Schach dem Darwinismus! Studien eines Lepidopterologen. Von Johannes Schilde. Herausgegeben von dem Entomologischen Verein in Berlin. Preis 12 Mark. Berlin 1890. In Commission bei R. Friedländer & Sohn, Carlstrasse 11. "1 Berliner Entomologische Zeitschrift (1875—1880: Deutsche Entomologrisclie Zeitschrift). Herausgegeben von dem Entomologischen Verein in Berlin. ■M Vierunddreissigster Band (1890). Preis 12 Mark. Sehaeh dem Darwinismus! Studien eines Lepidopterologen. Von Johannes Schilde. Berlin 1890. In Commlssion bei R. Friedländer & Sohn, Carlstrasse 11. Schach dem Darwinismus! Studien eines Lepidopterologen. Von Johannes Schilde. / H e r a u s g c g c b c n von dem Eütomologischen Verein in Berlin. Berlin 1890. In Commission bei R. Friedländer & Sohn, Carlstrasse 11. XO A^^^ Jvv ^-evT S» Biographie Johannes Schilde's. Einer freundlichen Aufforderung des Vereinsvorstandes nach- kommend, habe ich es um so lieber unternommen, dem vorliegenden Werke meines Vaters, dem es leider nicht vergönnt gewesen ist, das Erscheinen seines: „Schach dem Darwinismus!" zu erleben, eine gedrängte Biographie und eine kurze Uebersicht über seine Thätigkeit auf naturwissenschaftlichem, speziell entomologischem Gebiete bei- zufügen, als ich damit zugleich einer pietätvollen Pflicht gegen den Todten Genüge thun kann. Vorauszuschicken ist hierbei, dass das äussere biirgerliche Leben meines Vaters zwar reich an Arbeit, aber, abgesehen vielleicht von einigen grösseren Reisen, arm an bemerkens- werthen Ereignissen gewesen ist, während seine innere Entwicklung und wissenschaftliche Thätigkeit, die gerade hier besonders hervor- zuheben sein würden, von mir, der ich einerseits längere Zeit, darunter speziell die letzten Jahre, im Auslande gelebt habe und andrerseits die naturwissenschaftlich -entomologischen Neigungen meines Vaters leider nicht theile, aus eben diesen Gründen nur flüchtig skizzirt werden können. Johannes Gustav Schilde wurde zu Dresden am 16. No- vember 1839 als der älteste Sohn armer aber rechtschaffener Eltern geboren. Von seinem Vater, der, wenn er des Abends seinen Bahn- wärterdienst erledigt hatte, fröhlich und guter Dinge zum Schuster- hammer griff und sich damit so gut es eben ging durch's Leben hämmerte, von ihm mochte er den heitern unverzagten Lebensmuth ererbt haben, der ihm auch unter dem Drucke schmerzlicher Fa- milienereignisse und finanzieller Sorgen, die ihm von der Jugend bis zu seinem Tode nicht erspart geblieben sind, nie abhanden gekommen ist; während die Mutter den aufmerksamen und strebsamen Knaben frühzeitig streng zu allerhand Arbeit heranzog und damit den Grund legte zu jener unermüdlichen Schaffensfreudigkeit und zähen Aus- dauer, die ihm noch auf seinem Sterbelager den Bleistift in die zitternde Hand zwang, um die letzten Korrekturen zum vorliegenden Werke zu Ende zu führen. Mein Vater — die Eltern waren in- zwischen nach Bautzen übergesiedelt — besuchte daselbst die Armen- schule. Der fleissigste und begabteste Schüler rausste er, wenn er seine Arbeiten erledigt, in der übrigen freien Zeit durch Zeitungs- austragen, Aufwartungen und andere kleine Verrichtungen nach Kräften zum allgemeinen Familienverdienste beitragen, so dass ihm nur die Nächte zur Privatlektüre, der er sich schon damals eifrig hingab, übrigblieben. Trotz dieser steten Beschäftigung im Hause und auf der Strasse, oder vielleicht gerade deswegen, entwickelte sich in dem Knaben, durch die I^ektüre angeregt, eine fast schwärmerische Liebe zur Natur und ein lebhaftes Interesse für die Naturwissenschaften; damals auch wurden die ersten Anfänge zu seiner Schmetterlings- sammlung gemacht. Da er eine schöne Handschrift schrieb, wurde er, nachdem er die Schuljahre hinter sich hatte, Schreiber, um 1858 eine Stellung an der Landständischen Bank in Bautzen anzunehmen, der er dann bis 1879 als Bevollmächtigter angehörte. Finanzielle Verluste zwangen ihn im Jahre 1886 wieder die Stelle eines Kassirers der dortigen Ortskrankenkassen zu übernehmen. Während dieses Zeitraums hatte mein Vater mit eisernem Fleisse und unermüdlichem Streben an seiner Weiterbildung gearbeitet und sich, der es bis an sein Lebensende nicht genug beklagen konnte, dass ihm eine schul- wissenschaftliche Ausbildung versagt geblieben, zu dem Ende allmälig eine umfangreiche, ziemlich werthvolle Bibliothek angeschafft. Grössere und kleinere Sammel- und entomologische Forschungsreisen fallen gleichfalls in diese Zeit. 1868 weilte er in Westindien, 1871, 1874 und 1882 im nördlichen Lappmarken, und 1879 am Nordkap und auf Kola. Am 22. September 1888 ist er dann, noch nicht 50 Jahre alt, einem Nervenleiden erlegen. — Aus einem eifrigen Bekenner des Darwinismus ist mein Vater im Laufe der Jahre zum Apostaten an dieser Theorie geworden, wohl zunächst von der Erkenntniss ausgehend, dass auch der Darwinismus gangbare Sätze hat, die ebenfalls auf blossem Glauben schweben. Der Philosoph hat eben dergleichen gerade so gut, wie der Mann, der da glaubt, dass das Wasser deswegen bergab läuft, weil es nicht bergauf laufen kann. Ein selfmade-man- und ohne schulwissenschaftliche Aus- bildung wurde selbstverständlich gegen ihn die mit Recht so beliebte Kampfart des Todtschweigens in Anwendung gebracht, obwohl er an- drerseits im engern und weitern Vaterlande sowohl wie im Auslande in lebhaften, zum Theil innigen Beziehungen mit der Mehrzahl der Le- pidopterologen stand und ihm und seinen Arbeiten die rückhaltlose Anerkennung gerade von selten namhafter Gelehrten nicht versagt geblieben ist. Durch diese Kampfesart verbittert, zeigen seine Ar- beiten manchmal eine Physiognomie, die dem Charakterbilde des Lebenden durchaus nicht entspricht. Ganz und gar nicht gehörte er zu denen, die „kein Buch in die Welt schicken, ohne zu glauben, dass nun ein jeder seine Pfeife hinlegen oder sie anzünden würde, um es zu lesen". Anspruchslosigkeit, heitrer Ernst, Bescheidenheit und ein unver- siegbar freundliches Gemüth sind wohl die hervorstechendsten Cha- raktereigenschaften meines Vaters gewesen, die ihn im Verein mit seiner Biederkeit und Geradsinnigkeit, in welchen Kreisen er auch verkehren mochte, stets zum gern gesehenen Gesellschafter machten. Sein Drang nach Wahrheit, der ihn den mit Jugendfeuer bereits gemachten Weg nochmals prüfend zurückführte, Beobachtungs- und Verstandesschärfe und ein nicht gewöhnliches Kombinationstalent dürften in allen seinen Arbeiten, die theils in verschiedenen wissen- schaftlichen Zeitschriften, wie der Berliner Entomolog. Zeitschrift, der Deutschen Entomolog. Zeitschrift, der Stettiner entomolog. Zeitung, den Berliner entomolog. Nachrichten, im Auslande, in der Zeitschrift für allgemeine Naturwissenschaften zu Halle u. a. m. zerstreut, theils in Separatdruck, darunter: „Gegen die Manchestertheorie in der Schöpfung, ein Lepidopterolog", erschienen sind, zu erkennen sein. Und wenn auch, um mit Lichtenberg zu reden, seine Philosophie nicht hinreichte, um etwas völlig Neues aufzufinden, so hatte sie doch Herz genug, das gern Geglaubte für unausgemacht zu halten. Auch mekies Vaters Wirken gilt der stolze Byron'sche Trost, der keinem ernsten, überzeugungsechten Streben versagt ist: „Die Wellen kommen eine nach der andern herangeschwommen und eine nach der andern zerschellen sie und zerstieben sie auf dem Sande, aber das Meer selber schreitet vorwärts." Bautzen im Dezember 1889. Wilibald Schilde. Als sinnstörenden Druckfehler bitten wir Seite 12, Zeile 25 von oben „seine einzige Existenz" in „seine einstige Existenz" zu verbessern. Bitte, ein Vorwort! Den Widerlegungen der preisgefeierten „Studien zur Descendenz- theorie I", folgen nun hier die seit Jahren druckreif ruhenden kri- tischen Beleuchtungen der Weismann'schen „Studien 11". Die induk- tive und deduktive Verneinung der Weismann'schen Spekulationen wird der Hauptsache nach aus dessen eigenstem Materiale durchge- führt, aber auch jede Gelegenheit benutzt, um die Hypothesen des zu Grunde liegenden Darwinismus im Einzelnen und im Generalen zu erörtern und zu verneinen. So weit nöthig und angcänglich, werden Weismann's Darlegungen repetirt, doch muss dem Leser die Einsicht in die zuversichtlichen Breiten des „Studien "-Textes und in die Bilder-Beilagen dazu, selbst überlassen bleiben. Nach dem vielleicht etwas anstrengenden sach- lichen Informationstheile, dürften die freieren Abhandlungen der mitt- leren und folgenden Kapitel das Interesse des Lesers wohl ein- gehender anregen und dem von mir dieser Schrift gegebenen Titel zur Anerkennung und Rechtfertigung verhelfen. Der bei weitem grösste Theil dieser Arbeit entstand fern jeder literarischen Beihilfe, während einiger witterungstrüben aber für gei- stige Sammlung erholungsreichen Sommerwochen des Jahres 1880, am Polarkreis im einsamsten nordischen Ostfinland. Die etwas begriffsgedrängte Fassung der Sätze entsprang also einestheils der intensiven Hingabc und Sammlung des Verfassers für die Arbeit, andernthcils war sie auch geboten für die zumeist pole- mischen Abhandlungen. Auch in Rücksicht auf die Druckkosten musste eine bequeme und ausschöpfende Breitlegung der Sätze oft 1 — 2 — fokaler Kürze weichen. Das induktive Material ist einerseits ein populäres, andererseits ein darwinistisch gefürchtetes und ziemlich gemiedenes. Auf ausgesprochene Anerkennungen ist für jetzt nicht zu hoffen, zumal polemische Schriften den Widerspruch und die Missstimmung gegen sich beim geringsten Fehler, auf dem man sie ertappt oder zu ertappen glaubt, herausfordern. Den Verfasser befriedigt schon die Möglichkeit einer offenen Darlegung seiner Gegnerschaft zur Selektionslehre, als Wahrung seines antidarwinistischen Rufes für eine besonnenere Zukunft. Wer die vorliegende Materie beherrsclit, ^Yird der Arbeit seine Anerkennung aucli schon heute niclit ganz versagen können und manchen Gedanken und Gesichtspunkt darin neu und von Interesse finden. Dem Darwinismus enthusiastisch zu applaudiren schuldet sich freilich der gegenwärtig noch herrschende Egoismus des blasirtcn volkswirthschaftlichen Manchesterthums. Der selbstsüchtige Faust- kampf des Ichthums Aller gegen Alle, die anarchische Zügellosigkeit der Selbsthilfetheoristen, das Ueber- und Unterbietungshalloh der Börsenkoulisse und Submissionstribünen, finden ja ihre theoretische Parallele, Stütze und Rechtfertigung innerhalb der naturdeutenden Hypothesen des Darwinismus. Allerdings nur irrthümlich akceptirt man die Selektion, die Hy- pothese vom Sieg des Passendsten im anarchischen Kampfe ums Dasein, als Deckung für die Praxis und Moral des die Allgemein- Interessen auflösenden und das Gesammtwohlbefinden von Individuum zu Individuum aufsaugenden Liböfalismus der fiebernden Gegenwart. Denn dass die auf die „Variabilität", auf die individuelle Verschieden- heit basirte Mechanik der Sclektionshypothese, bereits durch ihre eigene Prämisse impotent ist, liegt nahe und deutlich. Innerhalb allgemeiner Verschiedenheit der brüderlichen und ge- nossenschaftlichen Wesenkörper, der Sinnesfertigkeiten, Neigungen und Talente der verkehrenden Individuen, soAvie der terminlichen und ge- nossenschaftlichen Begegnungen und Berührungen, muss sich als mechanisches Resultat des individuellen Verkehrs nothwendig eine Existenzen-Balance, ein Existenzen-Ausgleich ergeben. — 3 — Ein „Bestes" als solches giltig, ist nirgends und niemals vor- handen. Die individuelle Verschiedenheit und Absonderlichkeit hüben, drüben und ringsum, macht jede Körperlichkeit und jede Sinnesrich- tung volhverthig, hjperbiologisch, denn die verschiedenen Individuali- täten verwerfen und begünstigen auch verschiedene Gegenüber. Die sogenannte Auslese im Kampfe ums Dasein muss genau so variabel sein, als wie eben der gesammte Existenzen-Status körperlich, sinnes- tüchtig, entwicklungsterminlich und durch seine geographische Zer- streuung im Verkehrswechsel nach Zeit und Ort variabel ist. Ausserdem sind die Konturwechsel, die jedes bewegliche Indivi- duum, die meteorischen Apostrophirungen, die jedes ruhende Indivi- duum innerhalb der Beleuchtungs-, Feuchtigkeits - , Windigkeits- Wandlungen geradezu unaufhörlich zu absolviren hat, biomorphologisch und lebenstechnisch unendlich viel bedeutender und bedeutsamer, als die Variabilitäts-Nüancen der Art. Die Sekundär -Mechanik der Darwinschen Hypothese bestreitet Verfasser zu Gunsten einer durch und auf die Welt -Einheit gravitirten und balancirten Proportion und Aequivaleuz aller Vorgänge, und hält die Wesen für fortschrittsfähig nach Entwicklungsgesetzen, trans- formabel durch periodische Konstellations- Phasen oder Epochen des Erdkörpers. In letzterer Beziehung hält er das Zeugungstlium für gesteigert und transmutabel beeinflusst schon durch die periodischen Vermehrungen des freien Sauerstoffes während polwärts erweiterter Wärmeepochen mit Pflanzenwuchs -Zunahme. Die für des Verfassers Darlegungen interessirten Herren Fach- gelehrten Vv'crden ersucht, wenigstens eine Beantwortung seiner auto- didaktischen Einwände vorzunehmen. Insoweit die Wissenschaft der Volksbelehrung, Volksbildung und Förderung dienen soll und ihre zahllosen Ableger unter das Volk verpflanzt, insoweit möchte sie wohl auch dessen auftauchende Bedenken und Einwände gegen auferlegte Thesen und Dogmen zu berücksichtigen und zu begleichen suchen, sobald die Monita thatsächlich begründet, vernunftgemäss und logisch sind. Der Darwinismus ist kein exklusiv wissenschaftlicher, sondern ein populärer Stoff, der seine Nutzanwendungen vielfach aus bereiten 1* ^ 4 — und breiten Händen genommen hat. Für das mitunter versuchte ausweichende Berufen seiner Vertheidiger auf ein „Missverstehen" seiner Thesen, auf einen exklusiv erforderlichen Geist des Verständ- nisses für denselben, ist die Selektionshypothese viel zu absolut und real. Wo die Thatsachen und Konsequenzen dem Wortlaut der darwinistischen Thesen widersprechen, da ist auch ihre Haltbarkeit, ihr „Geist" dahin. Wo die selektionsliypothetischen Ausführungen schliesslich auf indefinible „Naturgesetze" auslaufen und auslaufen müssen, da ist die Nichtigkeit ihrer Sekundär -Mechanik dargelegt. Der Darwinismus will durch Weismann mit realen Figuren ar- beiten. Der Verfasser erlaubt sich ihm in das Spiel zu greifen und bietet „Schach dem Darwinismus." Bautzen. Der Verfasser. Schach dem Darwinismus! Preisgefeierte Studien zur Descendenztheorie und ilnr wissenschaftlicher Unwerth von Johannes Schilde. Einleitung. Als ein überzeugter Anhänger und Verkünder der Darwin- Häckcrsclien Transmutationslehren, und getragen von der Idee, die Entwicklung der Raupe nach Form und Färbung müsse eine Formenwandlung wiederholen, welche die Raupe im Laufe der Zeiten durch „natürliche Auslese" bisher abgewickelt habe, durchprüfte Weismann, der Verfasser der „Studien zur Descendenztheorie", verschiedene Larven -Gruppen, und fand, dass die Raupen eines Theiles der sogenannten Schwärmer oder Sphingiden, zunächst die geeignetsten Merkmale für seine Zwecke versprachen. Das über die Raupen der Schmetterlinge vorhandene bildliche uiul beschreibende Material versprach dem gehegten Bedürfniss, dass sich das Gewünschte gerade aus dieser Gruppe formuliren lassen möge. Deshalb wurde soweit möglich von Weismann selbst der Ent- wicklungsgang einiger Schwärmerraupen -Arten vom Ei an beobachtet, und mit dem Befund manches ausserdem Erreiclibare an Abbildungen und präparirten Raupen verglichen und nach Bedarf geordnet. Das Resultat dieser „Studien" Avar nun auch das im Voraus erwar- tete: Die mit dem Aufwuchs und den Häutungen der Raupen verbundenen Umfärbungen und fortschreitenden Zeich- nungs-Komplikationen, erschienen Weismann zweifellos als gedrängte Wiederholung des Entwicklungs verlaufs, den die betreffende Raupenart seit ihrem Entstehen auf Grund der natürlichen Auslese allmälig zurückgelegt haben soll. In thunlicher Kürze werde ich nun den instruktiven ersten Ab- schnitt über das Thatsächliche der Raupenentwicklung durchgehen, und zugleich Dasjenige hervorheben, was sich als wesentlich inductiv für meine Schlussfolgerung, die der Weisniannsclien abermals durchaus gegenüberstehen wird, darbietet. Zunächst beobachten die Studien die Sclnvärmergattung Chaerocampa, deren systematische Separirung von der Nachbar-Gattung DeilepJiUa sie für gerechtfertigt halten, obschon „die Falter dies weniger noth- wendig machen", und obschon von über 50 Chaerocampa-kviaw nur für 15 die Eaupen bekannt sind, deren Entwicklungsgeschichte aber „eine tiefe Kluft zwischen beiden Artengruppen bilde". Das Charakteristische mehrerer der bekannten Chaerocampa- Kaupen, zu denen z. B. unsere sogen. Weinschwärmer-Raupen gehören, beruht hauptsächlich auf der nach vorn rasch zugespitzten Form der ersten 3 Körperringe. Diese zieht die Raupe in der Ruhe und auch im Schreckzustande, nach dem 4. Ring hin zusammen; dadurch wird dieser und der nächste oftmals mit augenähnlichen Zeichnungen versehene Körpertheil, bedeutend verdickt, der kleine Kopf mit den zusammengezogenen ersten Segmenten ragt rüsselartig daraus hervor, und anscheinend drohend starren nun die Augenflecke von einem dicken Scheitel. So verhält es sich besonders bei unseren heimischen zwei Wein- schwärmer-Arten Chaer. Elpenor und Porcellus; weniger prägnant vereint zeigen solche Raupenform und Zeichnung mehrere der übrigen bekannten Chaerocampini, und z. B. bei Ch. Si/riaca, wie sie Weis- manns und Lederers i) Bilder wenigstens darstellen, ist kaum noch eine Spur der Rüsselform bemerkbar und die Zeichnung streift schon an die der Smerinthus- oder Macroglossa-AxiQW an. „Die tiefe Kluft" zwischen den Chaerocamixi- und den Deilc- pliila-Yoi'xnew erschiene demnach, wenigstens über die Gattungen Sinerintlius, Sphin.v, Macroglossa hinweg überschreitbar, wie schon eine Nebeneinanderstellung der Weismannschen Raupenbilder Fig. 22 von Chaer. Elpenor, Fig. 16 von Sphinx ConvolvuU, Fig. 29 von Chaer. Syriaca, Fig. 70 von Smer. Ocellata, seiner Angaben (S. 56) über Maerogl. Corythus, sowie der Fig. S von JSIacrogl. Stella- tarum und der Fig. 50 von DeilephUa ZygophyUi verdeutlichen kann. Die gegenwärtig noch unbekannten Raupen von etwa 35 aus- ländischen Cliaerocampa-XxiQw würden wahrscheinlich nach Formen und Fntwioklungsphasen noch nähere Verbindungen bieten, während andererseits gerade die systematisch nächstverwandte Art des Gh. Elpenor: Ch. Porcellus^ sich durch den fast gänzlichen Man- gel eines Hernes morphologisch different zu Elpenor und der i) Verhaudl. d. zool. bot. Vereins zu Wien, 1855. ^ 7 ^ ganzen bekannten Gruppe verhält, trotzdem er mit Elpenor unter übereinstimmenden Verhältnissen in Nahrung und 0 e r 1 1 i c h k c i t auf w ä c h s t . Diesen Ch. Porcellus^ den kleinen Weinschwärmer, erklären die Studien aber für die phyletisch jüngere, von dem älteren Illpenor abgezweigte Form, weil bei ihm eine weisse Seitenlinie, die sogen. Subdorsale, eine Häutung früher aufträte als wie bei J^lpenor. Eine weitere, von den Studien theoretisch aber unbeachtet ge- lassene Differenz, ergeben die Angaben derselben (S. 10 und 14) bereits bezüglich der Form und Färbung der Eier von Ch. mpcnor und Porcellus; erstere sind „nahezu kuglig, doch etwas „plattgedrückt, grasgrün; letztere sind hellgrün, sphäroid, sehr ähn- „lich ersteren". Hieraus schlüpfen auch die Räupchen in verschiedener Grösse und Färbung; aber letztere soll bei Porcellus alsbald derjenigen gleichen, welche Elpenor erst nach der ersten Häutung erhält. (Eine thatsächlich unrichtige Angabe Weismanns.) Nach dieser Häutung, im Stadium H, erhält Porcellus „eine „sehr breite, rein weisse Subdorsallinie", aber, was für uns bemerkens- wcrth ist, „viel auffallender als in irgend einem Stadium bei Elpenor; „deutliche Schrägstriche (?) an den Seiten erscheinen", die bei Elpenor erst 2 — 3 Stadien später hervortreten. Auch die Umfärbung dieser anfänglich grünen Raupen in Braun erfolgte unter den spärlichen einzelnen Kaupen, die den Studien vor- lagen, bei Elpenor überwiegend eine Häutung später als bei Por- cellus, von welchem doch wenigstens 12 und 5 Individuen beobachtet wurden. Hingegen markirtc sich der Beginn der Verjüngung der Brust- ringe und der Augenfleckenbildung auf Ring 4 und 5 gleichzeitig bei beiden Arten. Bemerkenswerth für uns ist nun aber die Zeitdifferenz der Ausbildung dieser Augenflecke zu Gunsten von Elpenor. „Die Subdorsallinie krümmt sich in zwei kleinen Ausbiegungen „halbmondförmig nach oben und sehr bald füllt dunkleres Grün ihre „Konkavität. Dies ist die erste Anlage der späteren Augenflecke" O- i) Ich folge dei- Kürze halber lediglich den Weismannscheii Au- gaben , welche mit meinen oigueu Beobachtungen keineswegs überein- stimmen. Meine Elpenor-R'Axnßen zeigten bereits am zweiten Lebens- tage, 7 mm. lang, eine deutliche weisslichgrüne Subdorsale bis zum _ 8 _ Bei Porcellus hingegen „zeigen sich die ersten Spuren derselben „nicht als eine Krümmung, sondern als fleckenartige Verbreiterungen „der Subdorsale von stärkerer Weisse, und erst eine Häutung „später als bei Elpenor beginnt der dunkle Hof sich zu bilden „zuerst durch ein wenig Braun, welches sich am Unterrand des „vorderen der weissen Flecke zeigt und allmälig an Ausdehnung „zunimmt. Während das vordere Auge schon fertig ist, folgt nun „die Ausbildung des zweiten langsam nach." Diese Entwicklungslangsamkeit der Augenflecke des Porcellus wird aber noch beachtentswerther dadurch, dass bei ihm die bei Elpenor auf Segment 3 in den letzten Stadien auftretenden Flecken- bildungen sowie diejenigen des 5. Segments, sich weniger als wie bei Elpenor entwickeln (W. S. 16), und dass er nur 4 Häu- tungen durchmacht, während Elpenor 5 erlebt. Die Augenfleckbildung des Porcellus gelangt also erst zwei Stadien vor der Verpuppung langsam und unvollständiger dahin, wo Elpenor bereits im dritten Stadium vor der Verpuppung ist. Mithin wäre nicht Porcellus in der Entwicklung voraus, wie die Studien (S. 17) lehren, sondern Elpenor, der seine „Schutzrüstung" früher anlegt und längere Zeit trägt. Die Studien erkennen nun weder in ihrer Zusammentraguug der Kesultate dieser Entwicklungs- Beobachtungen, noch später diese phyletische Präponderanz des Elpenor, sondern im Gegentheil sie wiederholen: „Porcellus sei die jüngere, die in der Entwicklung „weiter vorgeschrittene Art, weil die Raupe das Stadium I von „Elpenor überspringe, schon mit der Subdorsale aus dem Ei komme, „damit auch der ganze übrige Entwicklungsgang von Porcellus „stimme, der im Wesentlichen nur eine Wiederholung der Erschci- „nungen bei Elpenor sei, und sich nur dadurch unterscheide, dass „alle Neubildungen um ein Stadium früher aufträten, als dort. So „die Umwandlung der grünen Grundfärbung in die braune, so die „Wiederholung der Augenflecke auf den übrigen Segmenten in Ge- „stalt verwaschner dunkler Flecke, so das Auftreten heller Rückeu- „ punkte. Nur die Augenflecke selbst und die Rüsselform i) bildeten „sich in demselben Stadium aus". Was nun noch diese letzterwähnte Umfärbung der Grundfarbe, das Auftreten dunkler Seitenflecke und heller Rückenpunkte um ein Hörne und noch vor der ersten Häutung auf Segment 4 und 5 die Bogenfleck-Anlage, die sofort nach der ersten Häutung unterwärts direkt fein schwarz angelegt erscheinen. i) „Schweinchenform" sagen die Studien. Stadium früher bei Porcellus als bei Elpenor anbelangt, so scheint zu dessen sicherer Feststellung erstens das von Weismann beobachtete Material zu knapp, zweitens aber variirt die Sichtbarkeit speciell der Flecke und Punkte sehr nach der Grundfär- bung der Individuen, drittens entstehen die „Anlagen von Augen- „ flecken" und die Rückenpunktc bei Porcellus innerhalb der im Ganzen nur 11 Tage währenden zwei letzten Phasen, während das eine letzte Stadium, wo sie bei Elpenor erst auftreten sollen, kaum weniger Tage als wie ihr Vorhandensein bei Porcellus umfassen wird. Alles zusammen betrachtet aber, erscheinen die Phasen dieser Umfärbungs-, Flecken- und Punkte-Entwicklungen nicht nur unsicher festgestellt, sondern überhaupt zum Nachweis eines sekundären Ent- stehens des Porcellus^ auch vom Standpunkte der Studien aus zu unwesentlich gegenüber der klaren, von denselben allerdings gar nicht aufgcfassten gegentheiligen ThatsaChe, dass die für biologisch bedeut- samer erklärten wirklichen Augenflecke, bei Elpenor rascher und vollständiger entstehen und denselben längere Zeit „schreck- „lich machen" als Porcellus. Wenn wir nun aber rekapituliren, dass 1) die Eier von Porcellus \md Eljjenor sich nach Form und Farbe unterscheiden, 2) dass die Räupchen beider unmittelbar nach der Geburt und auch fernerhin, nicht nur im Körper -Ausmaasse und in der Färbung, sondern auch ganz besonders in der Ausbildung des Horns differiren, dass 3) die Zeichnung der Längsstreifen und der Augen- fleckcn sowohl im ersten Entstehen wie durch alle Stadien hindurch verschieden bleibt, und zwar auch dergestalt, dass Porcellus zwar die Subdor- sale (angeblich) früher und schärfer wie Elpenor, die Augenflecke aber später und weniger prägnant erhält wie dieser, dass 4) auch die Zahl der Häutungen nicht üb er ei n- s t i m m t , und schliesslich nicht nur die Imagines, sondern aucli die passiven Puppen sich nach Struktur, Färbung und Grösse von einander unterscheiden, trotzdem d i e L e b e n s v e r h ä 1 1 n i s s e , also die angeblichen Motoren der Selektion, durch alle Stadien, vom Ei an bis wieder zum Ei für beide Arten soweit erkennbar nahezu über- einstimmend sind, «^ 10 — dann scheint doch jeder Anhalt entwunden nicht nur für ein Grübehi darüber, welche von beiden Formen die primäre und welche die dar- winistisch aus ihr abgezüchtete Form sei, sondern man sieht sich die Erkcnntniss aufgezwungen, zwei ähnliche und auch ähnlich le- bende, morphologisch aber doch durchaus und bis in's Kleinste, bis in's Passive, streng geschiedene Arten vor sich zu haben. Die Auffassung und Besprechung einiger Abbildungen anderer zum Genus Chae^^ocampa gehöriger resp. gezogener Raupen, um die- selben „in 3 phyletische Gruppen zu sondern, welche genau den „3 letzten phyletischen Stufen entsprechen sollen, wie sie" — irrthüm- lich in doppelter Hinsicht — „aus der Ontogenese von Ch. Elpenor „und Forcellus abgeleitet wurden," beschäftigt daher die Studien so ziemlich unnütz, zumal aber, weil die Eaupe von Ch. Nerii gänzlich übersehen und unverwendet geblieben ist. Diese Raupe durchbricht nämlich Weismann's theoretische Einthcilung der Chaerocampini : in eine erste Stammgruppe mit der einfachen Zeichnung der Subdorsale, in eine zweite entwickeltere, mit Augenflecken auf 4. und 5, Segment und in eine dritte avancirtestc Gruppe, mit Wiederholung der Augenflecke nach rückwärts auf allen Segmenten, ganz störend, weil sie ein blauschillerndes doppeltes Schmuck- auge mit weissem Spiegel nur auf dem 3. Körpersegment be- sitzt, vom 4. bis 11. Ringe aber eine weisse Subdorsale trägt, über und unter welcher viele zerstreute weisse Punkte mit bläulichen Höfen stehen. Auch durch das abwärts gebogene stumpfe Hörn separirt sich Neril von den übrigen bekannten Ghaerocampa-Formcw. Dass die jüngeren Stadien dieser Raupe die selektionsthcorctisch erforderlichen Augenflecke auf Segment 4 und 5 aufweisen sollten, bezweifle ich durchaus; sie werden vielmehr sehr wahrscheinlich die nahezu raupen -gemeinsame Subdorsallinie in irgendwelcher Ausfüh- rung auf den ersten Ringen ebenfalls zeigen. Diesen exotischen, als Raupe wie als Falter prächtigen Gasti) Nerii auf Grund seiner deutlichen Subdorsale aber für eine unent- wickeltere ältere Form als wie unseren Eipenor oder Porcellus zu halten, vermöchte ich nicht; wenngleich mir anderseits einfach ausge- stattete Formen der warmen Zone, wie z. B. Ch, Syriaca ebensowenig i) Dieser Schwärmer gelangt uur in günstigen Sommern in unsre Breiten. ^ 11 — mit V/eisinann für zurückgebliebene Formen gelten, sonJern für ihren speciellcn Lokalverliältnissen direkt natur gesetzlich, aber nicht sekundär durch Zuchtwahl, angepasste Formen, Darin, dass die Bildung der Augenflecke bei den bekannten Chaerocampa-lx'änY>e\\ nach rückwärts des Körpers fortschreite, bei der Gattung Deilephila aber in umgekehrter Richtung, finden die Studien den obenerwähnten „kluftartigen" Unterschied zwischen diesen zwei Formengruppen. Ich meine, dass es die Proportion zur speciellen Raupen- form und zum innern Organismus ist, welche die grösseren Zeichnungen auf die verdickten, die abmattenden auf die verjüngten Körpertheile naturgemäss vertheilt. Deshalb finden wir wohl auch eine bedeutendere Abmattung der „sekundären" Augen- flecke bei der verhältnissmässig zu Elpenor kleineren Porceüus- Raupc. Deshalb mangelt hier wohl auch die Deutlichkeit derjenigen Flcckeubildung, welche besonders bei JElpenor im erwachsenen Stadium auf dem 3. Segment erscheint, nachdem die Augenfleckc auf Ring 4 und 5 bereits vorhanden sind. Hier findet also auch in der C/ia^rocampa-Gruppe eine Fleckenbildung nach vorwärts des Körpers statt, sobald die Quantität des bezüg- lichen Organismus die entsprechende Bedeutung erreicht. Dass die Form der Körper keine absolute Geltung für die Form der Zeichnungen hat, sondern dass die Proportion zwischen beiden Verhältnissen sich nach dem Organismus und der Typik jeder ein- zelnen Art regelt, ist hierbei naturselbstverständlich. Wie bereits bei Cli. Elpenor und Porcellus, so werden wir auch beim Verfolgen der weiteren Studien über verschiedene Schwär- merarten, die zeitherigen Urtheile über deren Selbstständigkeit als Art oder Lokalform nicht erschüttert, sondern nur befestigt finden; und die Abstanimungsstaffeln der Studien auf Grund der Seitenstreifung, der einzelnen und mehrfachen Augen- und Fleckcnbildungen, als gezwungene und gänzlich unzuverlässige erkennen. Schon die Wahrnehmung, dass die „primäre" Subdorsale auch in der am weitesten vorgeschrittenen dritten Gruppe Weismanns bei einigen Arten noch vorkommt [Fig. 35] i), ruinirt dessen phyletischen Stammbaum, Hier wird die ähnliche Entwicklung der Augenflecke wie bei Elpenor und Porcellus nicht fast Gewissheit, wie es die Studien (S. 21) meinen, sondern wir sehen, dass die Augenbilduug i) Vergl. Anmerkung auf S. 12. bei ein und derselben Art, Ch. Tersa, je nach der Lokalität i) mit oder ohne Absorbirung der „primären" Subdorsale stattfindet. Das theils totale, theils doch auf den augenbesetzten Segmenten vorgegangene Verschwinden des Subdorsalstreifens bereits bei den Gruppen der als entwicklungs älter gesetzten vorgehenden p h y 1 e t i s c h e n Stadien, leugnet die descendenzliche Verbindung dieser verschiedenen Furmcn in Weismanns Sinne. Wenn die Sub- dorsale bereits in dem älteren Stadium der Weismannschcn Stammtafel, wo die Ptaupe zwei Augen trägt, verschwand, dann könnte sie doch in dem, nach W. , phyle tisch jüngsten, mit vielen Augenflecken, nicht wieder in voller Schärfe vorhanden sein oder fehlen je nach der Oertlichkeit. Die Studien schreiten nun zur (xattuiig: Dcilepliila, theilen deren besichtigte 10 Raupenformen nach deren Körperzeich- nung in 5 Gruppen, und suchen aus der Ontogenese dieser Raupen den Nachweis zu führen für das verschiedene phyletische Stadium oder die verschiedenen Altersstufen jeder Art, je nach der Aehn- lichkcit ihrer Endzeichnung mit irgendwelcher Häutungsstufe einer anderen Art. Diese Formstaffel der Z>gi7('j;/i?7«-Raupenentwicklungen rangiren sie folgendermaassen : 1. Stufe: gänzlicher Zeichnungsmangel; er findet keine Vertretung mehr bei erwachsenen J>e<7ßp/uZa- Raupen, wohl aber würde seine einzige Existenz d oleum entirt durch das farblos ausschlüpfende Räupchen. 2. Stufe: eine Sub dorsale zieht vom Schwanzdorn bis zum er- sten Segment, begleitet von einem Stigmas treif. Auch diese Zeichnung bildet nirgends mehr das Endstadium der Ontogenese, wird von Weismann aber im II. Stadium melirercr Arten vermuthet. 3. Stufe: diese Sub dorsale trägt auf dem Hornsegment e i n e n R i n g f 1 e c k. Deil. Hippophaes ist in der Gegen- wart die einzige Repräsentantin hierfür; sie soll also das älteste Habit der Gattung DcUephUa tragen. i) Burmeister, Atlas de la Descript. Phys. de la Republ. Argentiuc liefert ein anderes Bild von Ch. Tersai namentlich vom Weismaun- sehen abweichend durch den Mangel der Subdorsale. Tersa variirt also lokal in „phyletischen Primärwei'then". — 13 — 4. Stufe: auf der Subdorsalc stehen offne Ringflecke vom Segment 11 bis 1. Vertreten durch DeU. Zygophylli und Lineata. 5. Stufe: auf der Subdorsale stehen geschlossene Ring flecke; repräsentirt allein durch Deil. JLivornica. G. Stufe: an Stelle der geschwundenen Subdorsalc steht eine einfache Reihe von Ringflecken. 7>. Oal'ü, Ves2)ertilio und Maurctanica repräsentiren dieses Sta- dium am Schlüsse ihrer Ontogenese. 7. Stufe: eine Doppelreihe von Ringflecken; wie solche liöchste resp. jüngste Stufe der Z>rt/i/n- Raupe ebenfalls schwärzlich gefärbt wird, gleich der Euphorhiae, und dass auch die erwachsenen Raupen beider Formen grosse Aehnlichkeit der Zeichnung besitzen. Eine mir präparirt vorliegende erwachsene Z>a/iZii-Raupe vermag ich von einer ebenfalls erwachsenen Euplior- hiae nicht zu trennen, und ebenso stimmen auch zweierlei jüngere Stadien, ausgeblasen 22 und 44 mm. lang, ganz und gar mit ent- sprechenden Eup1iorlnae-Rüx\\}Qx\. üherein. Ausserdem zeigt bereits das 22 mm. messende Exemplar dieselbe Zeichnung wie das 80 mm. grosse. Auch Z>. Nicaea zeigt, nach Freyers Bildi), bereits als 17 mm. langes Räupchen die Flecken- reihen der ausgewachsenen Raupe. i) Freyer, Beitr. z. Gesch. europ. Schmetterl. 92. 93, _ 17 -= Mit den Studien gelangen wir nun zu D. Vespertüio, welche Raupe durch ihre Fleckenzeichnung als eine völlig willkommene phy- letische Einreilmng benützt wird, ob schon ihr allein unter allen D e i 1 e p h i 1 e n d a s S c h w a n z h o r n mangelt. Den Studien verursacht dies indess keinerlei theoretische Bedenklichkeiten, sie bedauern nur, das erste Stadium nicht beobachtet zu haben, „weil dieses nicht nur „wegen der Zeichnung, sondern auch wegen eines etwa noch vorhan- „ denen Restes des Schwanzhorns von Interesse sei," Bemerkenswerth für meine gegnerische Betrachtung ist noch, dass das erst 16 mm. lange Fi^sper^i^io-Räupchen bereits vor der zweiten Häutung „auf jedem Segment einen schwach gelben rund- „lichen Fleck zeigt, die erste Spur der spätem Ringflecke," und dass das nächste Stadium auf der weissen Subdorsale und ebenfalls auf allen Ringen gleich vollständige rothe Fleckchen, oben und unten von einem schwarzen Halbmond eingefasst, trägt. Vermittelnde Bildungen einer Zeichnungs- Entwicklung im Sinne darwinistischer Selektion fehlen also sowohl nach rückwärts wie nach vorwärts und jede Häutungs- oder jede Wachsthums-Phase schliesst ein Zeichnungsbild ab. Zu D. Gala übergehend, mangelt den Studien wieder die Be- obachtung der ersten Stadien, aber sie citiren eine Hübnersche Ab- bildung des ni. Raupenstadiums, und „dieses trägt ganz ähnlich wie „Z>. Vespertilio, anstatt der späteren Ringflecke kleine rothe „Flecken auf der an diesen Stellen bereits schwarzgesäumten „weissen Subdorsale." Das IV. Stadium lag Weismann in zwei Raupen aus dem Ober- engadin vor. Das eine Individuum, schwarzgrün in der Grundfarbe, mit weisslich grüner Subdorsale, zeigt die darin eingeschalteten Ring- flecke als schwefelgelben Spiegel und mit orangerothem Kern von hinten her vorwärts nur bis Segment 4, die zwei vordersten Spiegel, auf Segment 2 und 3, aber entbehrten des Kernes. Das andere Exemplar, 5 mm. kleiner als voriges, war pech- schwarz mit sehr undeutlicher Subdorsale und wenig hervortreten- den Ringflecken, deren Spiegel aber auch schwefelgelb war und den orangerothen Kern einschloss. Die Chagrinirung war eben so stark ausgebildet wie bei der vorigen helleren Raupe, die Chagrinf leck- chen aber gelb anstatt weiss. Die Studien heben noch hervor als wichtig in theoretischer Be- ziehung: den Mangel aller Ringflecke auf den drei vorder- sten Segmenten und deren schwachen Beginn erst auf dem 4. Ring bei dieser Raupe, 2 — 18 — Icli betone auch die Verdunklung des Chagrins in Gelb bei der schwarzen Raupe, an Stelle der weissen Chagri- nirung bei der helleren, und erkläre, dass keinerlei Induktive für die Umwandlungstheorie "Weismanns in dieser Ausbildungzdifferenz der Flecken ruht, sondern eine gegentheilige. Denn die geringere Grösse, die pechschwarze Grund- färbung, sowie die hierzu analoge Abschattung des Chagrins bei der zweiten Raupe, erklären auch das frühere Erlöschen der Ringflecken auf den schwachen Brustringen einfach als eine direkte Folge der Organisationsdiflferenz gegenüber der grösseren, helleren und weisschagrinirten ersten Raupe, bei welcher ja die Ringfiecke nach vorne zu ebenfalls schon bedeutend abblassten. Die weisse Chagrinirung der helleren Raupe sank bei der pech- schwarzen auf Gelb, und das matte Gelb der vordersten Ringflecke bei der ersteren erlosch völlig in der schwarzen Grundfarbe auf dem noch dazu dürftigeren Körper der zweiten Raupe. Nichts naheliegender und einleuchtender wie dies: keinerlei Re- kapituhitionen phylogenetischer Akkumulation der Fleckenbildung stecken hier dahinter, sondern die reinen Erfordernisse orga- nischer Färbungs-Korrelation der Gegenwart liegen vor, indem sich in dunklerer Grundfarbe auch die übrigen Fär- bungstöne abschatten und je nach ihrer Verjüngung früher erlöschen, zumal auch die dunkle Raupe kleiner ist als das hellere Exemplar. In der nächsten Phase erhalten auch beide Thiere das gleiche Kolorit und den Stud. selbst „scheint das Schwanken der Chagrini- „rung in auffallendem Zusannnenhang zu stehen mit der Gesammt- „färbung der Raupen." Auf die übrigen von mir bei Z>. Galii gesperrt hervorgehobenen Momente, komme ich mit W. später zurück. Aus der Beobachtung des letzten Stadiums der D. 6rrt?ii- Raupe ist für spätere The- mata nur hervorzuheben, dass dasselbe „einen hohen Grad von „Variabilität" ergab, dass unter 25 Exemplaren 9 schwarze, 3 braune und 9 lehmgelbe auftraten, aber in allen Abstufungen zwi- schen pechschwarz, braunschwarz, kastanienbraun, braunroth, gelb- braun, dunkellehmgelb und fast weisslichgelb. Ebenfalls für spätere Erörterungen ist noch bemerkenswerth, „dass die meisten schwarzen (raZn-Raupen auffallend der er- „wachsenen Etiiyharbiae-Raui^e ähneln, die hellockergelben „Individuen hingegen der Raupe von D. Nicaea." Die weitere Versicherung Weismann's, dass er „noch niemals „eine 6rrtZü-Raupe gesehen, welche im letzten Stadium noch Spuren — 19 - „der Subdorsale gezeigt, noch niemals eine, welche eine zweite Reihe „Ringflecken besessen hätte, dass also ein Zurückschlagen oder ein „plötzliches Vorschreiten in der phyletischen Entwicklung nicht vor- „ zukommen scheine," ist nur deshalb bemängelnswerth, weil den Stud. im Ganzen doch nur 27 lebende und 4 gemalte (raZü -Raupen zur Prüfung vorgelegen haben, und weil unter dem Namen Phileu- phorbiae allerdings eine Form der Galii bekannt ist, deren Raupe derjenigen von D. Euphorhiae gleicht i)- Der Raupe der nordafrikanischen D. Mauretanica können von W. nur wenige Zeilen gewidmet werden, in welcher diese der Eiu/pliorhiae ebenfalls sehr ähnliche Raupe, wegen des Mangels einer zweiten Reihe von Ringflecken, als eine auf einer älteren Stufe phyletischer Entwicklung zurückgebliebene Form, dem Stamm- baume neben Vespertilio und Galii eingereiht wird. Dass die subtropische nordafrikanische Heimath, wo diese Schwärmer sehr wahrscheinlich zwei Generationen im Jahre abwickeln, sowie die Nachbarschaft der „avancirtesten" Form D. Nicaea, nicht mit diesem „Zurückbleiben" in der Entwicklung harmonircn kann, sowie dass der Euphorbiae-Rau^e die zweite Reihe von Ringflecken ebenfalls öfters mangelt, wird ruhig übergangen, obschou 11 Seiten vorher (S. 22) „die Anschauung stimmen und viele „Thatsachen dafür sprechen sollen, dass unter den Tropen die „phyletische Entwicklung rascher vor sich gehe, als in „gemässigtem Klima," und obschon W. nur eine einzige abgebildete oder aus- geblasene Raupe der Z>. Mauretanica sah, Fig. 41 und 43 aber selbst zwei ausgebildete Euphorbiae-B.auj^en ohne zweite Ringfleckreihe abbildet. Die von Staudinger als Mauretanica in seinem Catalog separirte Deilejjhila-F orm, ist von Lucas als Euphorbiae gesammelt und beschrieben worden, und ebenso bezeichnet sie neuerdings Maassen wieder als „eine gewöhnliche Z>. Euphorbiae i)." Die bedeutende Variabilität der D. Euphorbiae als Raupe wie als Falter ist bekannt. In ihrer afrikanischen Heimath kommt viel- leicht noch etwas Dimorphismus zwischen den jährlich doppelten Generationen hinzu, und sicherlich ist hier eine bedeutsame Verwick- lung der physikalischen, örtlichen, pflanzlichen, geognostischen Wech- selbeziehungen sowohl wie auch der Kreuzungen zu berücksichtigen, die eine unendlich gewissenhaftere Sichtung beanspruchen, als dass i) Staudinger, Catalog d. Lepidopt. 1871 S, 36. 2) Maassen, Entom. Zeitg. 1880, S. 58. — 20 — die Stud. nach oberflächlicher Besichtigung eines einzigen Raupenbalges oder Bildes das Recht hätten, der unsicheren Mauretanica -Form alsbald einen Platz in einem phyletischen „Stammbaume" neben Galii und der hornlosen D. Vespertilio anzuweisen. Wer wollte nicht bereits ahnen, mit welch geringer Sorgfalt W. den Vortrag der „Induktionen" ausübt, wie sehr auf eine vertrauende Bereitwilligkeit des Lesers gerechnet scheint, der freilich nur selten in der Lage sein wird, die Details solches Specialfaches der Natur- beobachtung wirklich erschöpfend zu prüfen. Bei D. Livornica angelangt, welche die nächsttiefere phyle- tische Stufe des Weismannschen Stammbaumes der Deilephila allein vertritt, reiht derselbe eine junge, ausgeblasen besichtigte Raupe, deren Ausmass nicht angebend, ohne weitere Motive dem IV. Stadium ein, einfach weil eben Subdorsale, Spiegel und Kernflecke genau entsprechend seien der in Fig. 49 A abgebildeten D. Vesper- tilio im III. Stadium, und weil dem als älter aufgestellten Stadium Livornica, nothwendig das Habit der „jüngeren" Vespertilio-Grni^i^e eine Häutung später zugesprochen werden muss, wenn der Stamm- baum stimmen soll. Leider entwickelt dieses, von Livornica angeblich der Vesper- tilio, Galii und Mauretanica gelieferte „phyletische Stadium", bei Livornica die Eigenheit, dass der Hof um den Spiegelfleck auf jedem Segment nicht aus zwei einfachen schwarzen Halbbogen be- steht, wie bei den angeblichen Abkömmlingen desselben, sondern „der obere Halbbogen ist viel stärker entwickelt und „zieht bis an die Rückenlinie." Von dieser Eigenheit zeigen aber Vesp)ertilio und Galii weder in dem angeblich phyletisch korrespondirenden Stadium, noch über- haupt eine Spur und somit erlischt abermals jede Wahrscheinlichkeit für einen descendenzlichen Zusammenhang dieser Formen im Weis- mann-Häckelschen Sinne, um so nachdrücklicher auch, als gegenüber der oberflächlichen Zeichnungsähnlichkeit zwischen Livornica und Vespertilio, letzterem allein das Hörn fehlt. Die nun folgende ältere Entwicklungs- Stufe sollen die südrus- sische Z>. ZygopTiylli und die nordamerikanische D. Lineata bilden. Die Raupe D. Lineata scheint gar keine passenden Merkmale resp. Ansätze zu den studien-theoretisch erforderlichen Ringflecken zu zeigen, und so wird von W. einfach die Genauigkeit der Abbildung bezweifelt, die ihn einzig mit dieser Form be- kannt machte. — 21 — Nun wird die „sich unmittelbar anschliessende" D. Zygophylli vorgenommen, nach 4 verglichenen Raupenbälgen. „Der breite weisse Subdorsalstreif scheint bei dem einen Indivi- „duum auf den ersten Blick noch keine Spur von Fleckenanlagen zu „enthalten, bei genauerer Untersuchung aber soll man an den bctref- „fenden Stellen kleine schwarze Halbbogen über und unter der Sub- „ dorsale bemerken. Bei zwei Exemplaren soll sich aber das Weiss „der Subdorsale selbst an diesen Stellen zu einem deutlichen Flecken „erweitern, ja bei den letzten von den 4 Stücken die Subdorsale „zurücktreten und helle weisse Spiegelflecken auf ihr stehen, mit obern „und untern schwarzen Einfassungsbögen." Diejenige Raupe, „welche erst bei genauerer Untersuchung eine „Spur von Fleckenanlagen zeigt," wird (Fig. 50) in natürlicher Grösse abgebildet, und das mir vorliegende Weismannsche Bild zeigt nur auf dem 3. Brustring einen schwärzlichen Fleckenanlauf der Subdorsale, den ich für fehlerhaft zusammengelaufene Farbe halten wollte, weil von den Stud. bei Deilephila ausdrücklich der Beginn der Fleckenbildung vom Home aus nach vorn zu gelehrt wird, ein isolirter Fleck auf dem 3. Ring also nicht auftreten dürfte, ohne betont resp. phyletisch erklärt zu werden. Durch ein a wird aber auf einen sehr kleinen Bogenstrich, welcher die Subdorsale auf dem 8. Segment oben begrenzt, aufmerk- sam gemacht, und in Fig. 50 A wird noch eine vergrösserte Skizze dieser Zeichnung vorgelegt. Hier sieht man nun zwei ganz deutliche Halbbogen auf einfarbig grauem Grund beiderseits eines weissen Streifens dargestellt, wir erfahren aber nichts Genaues über Stellung und proportionale Bildung solcher Flecke. Die Stud. folgern indess aus den vorgeführten Zeichnungsmerk- malen der vier Raupenbälge, dass „also gerade in dem entscheidenden „Charakter der Ringflecke die Raupe sehr variabel sei und dass Das „nur entweder in dem Uebergang zu einem höheren, oder in dem „Rückbildungs -Vorgange aus einem höheren Entwicklungsstadium „liegen könne." Mir selbst liegen zwei verschieden grosse Bälge dieser Raupen- art vor. Die eine Form entspricht dem von W. abgehandelten und Fig. 50 abgebildeten, wahrscheinlich vorletzten Stadium, und ich be- merke innerhalb der Subdorsale allerdings auf allen Segmenten von 11 bis 2 die Andeutungen der späteren Ringflecke in Form etwas aufgehellter, da und dort bogig begrenzter Stellen. Allein diese matten Bildungen entsprechen auch der sehr wenig fleckenartig ausgeprägten Endung der Subdorsale am Home, sie nehmen an Deutlichkeit nach rückwärts des Körpers keineswegs zu, sondern bleiben sich durchgängig gleich, wenn ich sie nicht gar als deutlicher auf den vorderen Segmenten bezeich- nen will. Die andere ausgewachsene Form ist bedeutend grösser, — 85 mm. lang — auch in Farbe und Zeichnung verändert, resj^. vorgeschritten. Die Grundfärbung ist mattgrün, der gelbliche Subdorsalstreif zieht vom Nackenschild auf Segment 1 bis zum Hornsegment, wo er sich zu einem deutlichen, hellgelben, schwarzumzogenen, bogigen Keilfleck absetzt. Auf jedem der übrigen Segmente erweitert sich die Subdor- sale zu einem etwas mattern Flecken, deren jeder oben durch einen verdickten schwarzen Halbbogen rundlich markirt ist. Der längliche Fleck an der Hornwurzel ist bedeutend grösser und stärker schwarz gefasst als bei dem jüngeren Stadium, welches die Stud. besprechen und „phjletisch" einreihen. Die Ringflecke sind auf Segment 10 bis 5 von gleicher Ausbildung; von den übrigen vorderen Flecken ist derjenige auf Segment 4 aber sogar etwas matter markirt als wie der auf Segment 3. Ausser der schwarzen Randung der Flecken macht sich sowohl oberwärts wie auch an den unteren Seiten derselben, in der Nähe der Luftlöcher, eine schwarze Fassung der gelben Chagrinfleckchen bemerkbar, und wird besonders auf den Segmenten 2 und 3, wo die Luftlöcher fehlen, schattenartig deutlich. Es zeigt uns also der Ausbildungs- Fortschritt des Horn- flecks vom vorletzten zum letzten Stadium, den W. doch als „pri- märes" Erbtheil des ganzen Deilephila -Stammes und als Aus- gangsform aller Fleckenzeichnung verwerthet, sodann die über- wiegend gleichmässige Ausbildung der als „sekundäre" Er- werbung behaupteten Ringflecke, und überdies die korrelativ im Endstadium neu auftretende Schwärzung der Chagrinränder, dass keinerlei phylogenetische Dokumentation in diesen Zeichnungen dargelegt erscheint, sondern dass' sich mit dem vorschreitenden Wachsthum der Raupe eine Komplikation der Zeichnungen vollzieht, die augenscheinlich auf inneren organischen Bedingungen fusst. Ein in Weisraanns Sinne „primärer" Hornfleck der Deilephila- Gruppe, müsste seine volle Ausbildung bereits in Stadien erreichen, wo die vermeintlich sekundär daraus nachgezüchteten Ringflecke ent- weder noch mangelten, oder nach den vordem Ringen zu abmattend nur in Anfangsstadien vertreten wären, und die volle Ausbildung der Ringflecke müsste andrerseits bis nach vorn reichen, ehe als eine neue Bildung, die Ablagerung von Schwarz um die Stellen der Stig- men, stattfinden dürfte. Wir mögen die Studien um die Verlegenheiten nicht beneiden. I — 23 — die ihnen die niissliclien Konsequenzen ihrer Theorie unausgesetzt bereiten, aber wir müssen für das Raupenbild Fig. 50 besonderen Dank sagen, weil dieses allein eine breitere Diskussion überflüssig macht; denn ein Blick darauf versichert uns abermals und bestimmt, dass sich aus dieser Chagrinirung um die Subdorsale, der Beginn einer mechanischen, plan- und ziellosen Auszüchtung von „Ring- f lecken" auf Grund der „natürlichen" Auslese", unmöglich denken und unbeirrter Weise lehren lässt. Was könnte eine gelegentliche, einzeln oder auch öfter auftretende geringe Häufung des Schwarz au der Subdorsale, dem variirenden Individuum seinen Feinden und seinen normalen Genossen gegenüber für Vortheile gewähren? Oder welche Nachtlieile könnten vorhan- dene Ringflecken der Zygo'pliyUi-Rüx\\}Q., die soviel mir erinnerlich bei Derbent auf einer Astragalus-Art lebt, verursachen, so dass der- gleichen Flecke wieder abgezüchtet würden und mikroirt bis in die kaum wahrnehmbare Bogenmakel, auf welche uns das a der Weismannschen Abbildung hinleitet?! Wir gelangen nun zur Mutterform des W.schen DeilepMla- Stammes, zu Hippopliaes. Diese Raupe tritt nach W. ebensowohl mit dem einfachen, an den Rändern etwas verwaschenen Subdorsalstreif ohne jede Spur von Flecken auf allen Segmenten mit Ausnahme des elften auf, als auch mit kleinen rothen Flecken auf der Sub- dorsale an denjenigen Stellen, wo anderwärts die Ringflecke stehen; theils stehen diese rothen Fleckchen noch auf einem grös- sern gelben Spiegel, und schliesslich werden in einzelnen Fällen durch schwarze Begrenzung und Umrandung der Spiegelflecken sogar halbe und ganze Ringflecke daraus. Nach W. sollen wir hier innerhalb ein und desselben Sta- diums einer Art demnach die phylogenetischen Ausbil- dungsphasen des Ringflecks aus der Subdorsale vor uns haben, und den Nachweis, aus welchen Elementen die Neubildung hervorgehe, zugleich aber auch den, dass die Entwicklung der Ring- flecke bei DeUephila von hinten nach vorne fortschreite, somit als Wiederholung und Uebertragung des schon früher vorhandenen Fleckes am Hörne zu betrachten sei. Bei keiner der von W. beobachteten 28 lebenden Raupen fanden sich auf allen Segmenten gleich hoch entwickelte Ringflecke, sondern dieselben nahmen von hinten nach vorne an Ausbildung ab. Zunächst njache ich nochmals darauf aufmerksam, dass W. den Mangel dieser Erfordernisse seiner theoretischen Ent- wicklungs-Erklärung der Fleckenzeichnungen, bei seinem — 24 — D. Zygophylli Fig. 50 ganz und gar übersah. Dort besteht keine Fleckenbildung auf dem Hornsegment, ebensowenig auf den nächst- vorderen Segmenten 10 und 9. Dennoch aber wurde uns eine äusserst dürftige Bogenzeichnung auf dem 8. Körperringe mittelst besonderer Chiffre doch als werdender oder rudimentärer Ringfleck bezeichnet. Wenn die Theorie Ws. über die Mechanik der hier fraglichen Bildungen richtig wäre, dann dürfte aber doch keine Fleckenbildung in der Körpermitte isolirt auftreten, sondern am Hornsegment müsste stets, sowohl bei beginnender wie bei rückschreitender Umfärbung, die erste wie die letzte Marke von Wandelbarkeit der Zeichnung er- scheinen. Gewiss bietet die Raupe von D. Hippopliaes sehr interessant variirende und auf ihre Entstehungsgesetze erforschenswerthe Flecken- bildungen dar. Aber diese Variation zeigt keine Bilder wie sie die selektionstheoretische Hypothese braucht, sie zeigt keine Rekapitu- lationen „allmälig" kumulirter Schutzmittel in theoriegerechter Ab- stufung, sondern die Variabilität der IIippophaes-'Ra,u\^e produzirt weit mehr als wie die Zuchtwahl gebrauchen kann. Sie variirt in ihrer Fleckenzeichnung nicht allein in einer ab- mattenden Wiederholung des hintersten fertigen Ringflecks nach vorne, sondern diese Raupe erscheint auch, und zwar abermals in nach vorne allmälig abmattender Intensive, mit ein- fachen rothen Fleckchen auf Segment 10 bis 4! und schliesslich noch zu etwa 33 Prozent selbst ohne alle Flecke! In letzteren, prozentual also häufigen Fällen der Variation wür- den Kern, Spiegel, Hof, ja selbst Theile der Subdorsale, mithin angebliche Akkumulationswerthe von mindestens 4 phyle- tischen Entwicklungsstadien auf einmal verloren, über- schlagen. Die unabsehbar allraäligen Aufspeicherungen lebenfördernder, lebenverweigernder Auswahl des Besten, des Neuen, wie würden sie hier vergeudet, Avie würde das Selektionskategorische aus schwindelnden Urzeiten im Total ignorirt! Kein eklatanterer Fall der Widerlegung der ganzen „Studien" bisher, als gerade die Variabilität dieser ihrer hoffnungsvollen Stamm- form der 10 abgehandelten Deilephila- Arien. Jedermann wird es klar sein, dass Z>. Hippophaes wohl in einzelnen T heilen der Ringfleck - Zusammensetzung , rückwärts nach den Stadien von deren vermeintlicher Anzüchtung, also etwa durch Unsicherwerden und Wegfall der schwarzen Randung, und — 25 — allenfalls noch in der Abmattung der gelben Spiegel auf einem der Segmente nach vorwärts vom ersten sekundären Ringfleck auf Seg- ment 10, ataviren dürfte, niemals aber dürfte sie alle Ringflecke bis auf die letzte Spur verlieren, niemals andererseits die bereits zu an- sehnlichen Kernflecken angewachsene Ausfüllung der Ringe wieder allein, und als abmattende Pünktchen d u r c h a u s ohne gelben Hof, auf allen bezüglichen Segmenten, hervorbringen. Ein Moment liegt allerdings hier vor, das den Anhängern der Selektionstheorie den Versuch einer Benutzung andeuten könnte; es ist die Ansammlung der ganzen Fleckenausstattung im letzten Sta- dium. Denn bei zwei Raupen des vorhergehenden IV. i) Stadiums fehlte schon jede Spur von sekundären Flecken auf allen Segmenten. Es müsste hieraus gefolgert werden, die ganze Ringfleckausstat- tung sei erst im letzten Stadium erworben worden, und die Schnel- ligkeit der Anzüchtung lockere noch den Bestand des Ganzen der- artig, dass Rückschläge mit totalem Verlust der vollen Schutzsumme einträten. Es wäre dies aber ebenfalls eine Parforce-Jagd, welche die Dar- winianer auf ihre eigene Theorie leisteten. Es würde der Akkumu- lation eine theoriewidrige Flüchtigkeit zugeschoben und die Akku- mulations-Qualitäten würden der ebenfalls theoriefeindlichsten Unbe- ständigkeit geziehen. Ausserdem steht das unvermittelte Erscheinen kom- plizirter Zeichnungsbilder im Endstadium, einer „ Rück- schiebungs-Theorie" Weismanns, die wir später erreichen, scharf gegenüber, und bildet ein um so schneidigeres Dementi, weil die Variabilität des letzten Stadiums sich auch in T heilen der Ringfleckzeichnung bewegt. Diese Theile müssen aber Entwicklungs-Stufen der Flecken- bildung rekapituliren und nach Weismanns Rückschiebungshypothese sollen und dürfen Neuerwerbungen nur im Endstadium erfol- gen, und nur je in den Theilen ihres Hinzutritts auf die vor- herliegenden Stadien zurückgeschoben werden. Hier ist aber noch keine Spur, kein Theilchen der Ringflecke des Endstadiums im vor- hergehenden Stadium bemerkbar, also nichts „zurückgeschoben". Doch hierüber später ein Mehreres. Ich brauche den Stud. auch keinerlei Hilfsandeutungen zu machen; auf Seite 28 sagen sie uns ja, was sie aus dem ähnlichen Falle plötzlicher Zeichnungswechsel i) Laut S. 38 ; auf der Tafelerklärung wird die betr. Raupe Fig. 58 indess als TIF. Stadium bezeichnet. — 26 — bei der Euphorbiae -'Rüwi^g „induciren" : „die Ontogenese solcher „Art sei „oflfenbar" nur ein sehr unvollkommenes Bild ihrer phyle- „tischen Entwicklung, „das gehe doch allein aus der grossen Kluft „hervor", welche zwischen den bez. zwei Stadien liege. Eine Reihe „von Ringflecken „könne nicht" plötzlich und unvermittelt entstan- „den sein." Einen zweiten ganz analogen Fall, eine Seite weiter bei D. Dahin, erledigen sie wieder damit, dass sie die unvermittelt rasche ümfärbung einfach auf ein Stadium vorwärts verlegen, das vorlie- gende II. nicht als dieses anerkennen, sondern als III. bezeichnen. Der Fall mit D. Uippophaes unterscheidet sich nun allerdings von diesen mit D. Eiqjhorhiae- Dahin insofern, dass bei ersterem die sogenannten Vermittelungen vorhanden sind. Aber sie sind es nebeneinander, zusammen in ein und derselben Phase; sie treten mit der letzten Häutung immerhin unvermittelt nach Weismannscher Theorie plötzlich auf. Wenn diese Fleckenzeichnungen sämmtlich innerhalb der letzten Phase erst allmälig kumulirt wären, so rasch und locker, dass die Variation noch zwischen voller Ausbildung und gänzlichem Mangel derselben vibrirte — wie könnte jede solche Variationsstufe sofort fertig bereits mit dem letzten Hautwechsel auftreten? Eine ata- vistische Rekapitulation bestünde doch in der Häutung, bei Beginn der letzten Entwicklungsphase der Jizppop/iaes- Raupe für diese Zeichnungstheile genetisch noch gar nicht zu Recht. Die Flecken- beweglichkeit könnte sich erst innerhalb der letzten Wachsthums- periode darbieten, während welcher diese Neubildung erworben sein soll. Etwa von einem Rückschiebungs vor gang der neuen Erwer- bungen innerhalb der Endphase bis auf den Vorgang des letzten Hautwechsels, könnte aber aus mancherlei Gründen nicht gesprochen werden. Zunächst erschienen dazu die Ringfleckzeichnungen im Total viel zu variabel, unbefestigt und biologisch gleichgültig. Dann mangelt jede ausreichende Wahrnehmung von Umwandlungen der Ringflecken innerhalb der letzten Wachsthumsperiode ; es entstehen während derselben niemals Ringflecke aus Punkten, wie in dem Hautwech- sel selbst. Ausserdem zeigte solche „Rückschiebung" einerseits den merk- würdigsten Unbestand, andrerseits die eigenthümlichste Beharrlich- keit. Denn während das End Stadium von einem Drittheil der Indi- viduen noch ohne alle Fleckenbildung angetreten und beendet wird, von den übrigen Individuen mit mehr oder minder ausgebildeter Fleckzeichnung, tritt doch kein Theilchen der Fleckenbildung bereits ■— 11 — im vorletzten Stadium auf, selbst wenn die letzte Häutung alsbald ganz fertige Ringflecke erzeugte. Betrachten wir aber auch hier die bildlich gelieferte Raupe Fig. 60, mit der Reihe kleiner rother Pünktdien auf der matten Sub- dorsale, so gewinnen wir trotz ihrer Vergrösserung abermals die Ueberzeugung , dass das Auffinden oder Uebersehen der ruhenden Raupe durch das Vorhandensein oder Fehlen solcher, noch in ihrer vergrösserten Darstellung kaum bemerkbarer Pünktchen, nicht bccin- flusst werden kann. Würde doch die ockerfarbene schwarzrandige Ausfüllung der Luftlöcher augenfälliger sein, als diese vermattenden Pünktchen auf der Subdorsale, Das Allernachtheiligste für die vorliegende Theorie ist aber das Vorhandensein von Varietäten der IIipi)ophaes-^i\.\\\)Q in silbergrauer Grundfarbe mit schwarzen bald zusammenhängenden, bald unter- brochenen Querstreifen, in welchen rothe und hochgelbe Flecken stehen. Zuweilen löst sich diese schwarze Querzeichnung sogar in roth oder gelb gekernte Flecken auf. Von dieser Erscheinung, die ich später nochmals berühre, neh- men die Stud. keinerlei Notiz, obschon nur ein Blick auf solche Raupenformen unter den erwachsenen Hipjjophaes hinreicht, um jede breite Diskussion für die Untauglichkeit der Weismannschen Theorien zu verüberflüssigen. Hier im letzten Stadium dieser Raupe sehen wir plötzlich und unvermittelt eine Variation auftreten, welche gewisse Ausbildungs- Merkmale verschiedenster Sphingiden-Gattungen in sich vereinigt und diese bis in die fortgeschrittensten Anpassungsmuster variirende Form, wird von W. als Stammmutter, als Trägerin des Urhabits, so zu sagen als ewiger Jude der Deüephila -AxiQw auf- gestellt. Hiernach bleibt mir völlig unbeirrt die Erkenntniss von der Nich- tigkeit der Weismannschen Transmutations- Spekulationen, und ich hoffe, auch bisherige Anhänger derselben für meine Anschauung zu gewinnen. Welche bestimmten Kräfte der Organisation die auffällige Varia- tion der D. HijxpopJiaes-^awi^e verursachen oder vermitteln, vermag ich nicht anzugeben, obschon sich später einige erörternde Momente finden werden. Dem Auge bieten die Zeiclmungs -Abstufungen nach der Stärke der Körpersegmente zunächst ein Bild der Proportion, des Gleichgewichts, und ähnliches sahen wir bei CJiaerocampa. Auch dort trugen die stärksten Körpertheile die ansehnlichste Augenzeich- nung; selbst die Subdorsalstreifungen , überall wo sie vorhanden sind, spitzen ihre Breite mit den schwächer werdenden Ringen all- — 28 — mälig ab. Nur die dem ganzen inneren Organismus dienenden Luft- löcher vertheilen und gestalten sich lediglich ihrer Funktion ange- messen, unabhängig von der Raupenfigur. Aber das Proportionale des Fleckenhabits scheint durch die Stärke der Segmente bestimmt zu sein, natürlich spezifisch modifizirt in Verbindung mit dem jedes- maligen SpezialOrganismus jeder Art und jedes Individuums. Nicht allein die Ringfleckzeichnung der D. Hippophaes-'Ra.ui^en verjüngt sich nach dem dünner werdenden Körper hin, sondern auch schon die ersten sehr kleinen rothen Fleckchen vermatten in dieser Richtung. Bestünde diese immanente Proportionirung nicht, wären die Augenflecke durch schützende Akkumulation ausgezüchtet und bei D. Hippophaes noch so biomorphologisch locker, dass die Raupe bald mit 5—6 Augenflecken, bald mit so viel rothen Punkten, bald ohne alle Fleckung und Punkte auftreten könnte, dann müssten auch Fälle von „Rückschlag" zu erwarten sein, welche die Proportion der Dekoration störten. Es könnten etwa Fleckchen auf den hinteren und Augen auf den vorderen Ringen, Flecke und Ringe ab- wechselnd durcheinander auf einem und demselben Körper auftreten. Eine durch die ganze Art hin- und widerstreichende Selektions- qualität würde so zu sagen mit dem Organismus spielen; sie bringt das aber eben so wenig fertig wie der Schweif mit dem Hunde. Es ist deutlich die naturgesetzlich balanzirte Organisation des Indivi- duums, welche die Dekoration hervorbringt. Dass diese auch in direkten Beziehungen zu den Verkehrsverhältnissen der Raupe stehen kann, wird von mir nicht entfernt bestritten, wie späterhin näher besprochen werden soll. Ueber die Weismaunsche Zusammenfassung und Sclilussfolgerung aus den sog. phyletischen Gruppen der Deilephila- Arten, darf ich mich nach den bereits bei den einzelnen Arten bewirkten Darlegungen um so kürzer äussern, als ich die generalen Widerlegungen an ge- eigneter Stelle noch liefern werde. Wir sahen die jungen Räupchen Eupliorhiae und Dahlii in unangepasster 'Färbung zu ihrer Nährpflanze", nach der ersten Häutung alsbald einen bedeutenden Zeichnungs Wechsel erlei- den, und nach der zweiten bereits in derselben Zeichnung, wie 2 bis 3 Häutungen später im Endstadium. Sie ändern theilweis nur noch ein Wenig im Färbungston; dies thun sie aber auch bereits innerhalb des ersten und nochmals innerhalb des letzten Sta- diums. Von D. Euphorhiae sind überdies auch Umfärbungen je nach der Lokalität bekannt, wie solche die Weismannschen Bilder - 29 ~ 42—44 selbst darstellen. Hiernach scheint sogar angedeutet, dass Z>. Dahin und Nicaea Lokalformen der Z>. Euphorbiae seien. Die rasche Zeichnungsentwicklung dieser Gruppe steht ziemlich heterogen zu den in der phyletischen Tabelle von No. 2 bis zu No. 7 verzeichneten Arten. Denn die sämmtlichen von den Stud. in 7 Stufen zerlegten „phyletischen Rekapitulationen" werden hier sprungweise in höchstens zwei Häutungen erreicht. D. Euphorbiae bringt aus der ersten Häutung alsbald schwarze Höfe um die Spiegelflecke mit, die in solcher Form und Ausdehnung überhaupt bei keiner anderen der als phyletisch-korrespondirend benützten älteren Formen vorhan- den sind. Im Grunde mangelt nur die Chagrinirung, um bereits die Zeichnung mancher reifen Euphorbiae herzustellen, und dieses Cha- grin erhält sie mit nächster Häutung. Selbst eine matte Subdorsale fehlt vielen JEuphorbiae-^avi^m. gänzlich, und da eine solche dem ersten Stadium überhaupt mangelt, so würde dieser „primäre" Zeichnungscharakter oftmals gar keine Vertretung finden. Desto ungei-eimter in Studien - theoretischer Hinsicht gestaltet sich hierzu die Wahrnehmung einer Subdorsal- linie dann und wann noch im Endstadium der Eupliorbiae- Raupe. Einen ähnlichen Fall von rascher Umzeichuung erlebt D. Hip- pophaes, aber erst im 4. Hautwechsel. Auch Z>. Vespertilio be- merkten wir schon im H. Stadium mit einer Fleckenreihe auf allen Segmenten, im HI. Stadium traten dann ebenfalls unvermit- telt halbmondförmige Einfassungen hinzu, gleichweitentwickelt auf allen gleichstarken Segmenten. Das Hörn aber fehlt durchaus. Die Gruppengenossin D. Galii besitzt dieses wieder in allen Stadien; bei dieser Raupe trug ein Individuum des III. Stadiums von hellgrüner Farbe, auf der Subdorsale ohne Spiegel bereits rothe Flecke, die Subdorsale ist daselbst auch schon schwarz gesäumt, während eine schwarzgrüne Raupe im IV. Stadium noch keine rothenFlecke auf den vorhandenen gelben Spiegeln der Segmente 2 und 3 besass. Bei einem gleich alten aber pech- schwarzen Individuum fehlten auf den vordersten 3 Segmen- ten sogar alle Flecke und begannen erst matt auf dem 4. Ring. Was W. (S. 40) behauptet, die jüngeren Raupen hätten niemals die Zeichnungsform einer späteren phyletischen Stufe eher gezeigt als ältere Raupen derselben Art, wird also hier widerlegt. Eine Raupe des HI. Stadiums war denen des IV. Stadiums in der Flecken- bildung voraus und bei D. Euphorbiae-Dahlii tritt mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht selten die Subdorsale bei ausgewachsenen _ 80 ~ Individuen auf, denen solche in jüngeren Stadien theilweis oder gänz- lich mangelte. Denn mir liegt eine 78 mm. lange JEuphorbiae-B.SinTpe des Endstadiums vor mit matt angedeuteter Subdorsallinie von Riug- fleck zu Ringfleck, und diese Raupe stimmt fast ganz überein mit einer gleichgrossen Z>a7iZii- Raupe; nur dass bei letzterer die Sub- dorsale etwas deutlicher und breiter hervortritt. Matter als bei letzterer zeigt sich die Subdorsale aber auch bei einem Dahlii- Räupchen des II. oder III. Stadiums, ausgeblasen nur 22 mm. lang, und gänzlich fehlt die Subdorsale bei einem 44 mm. langen Balge einer Z>aAZii-Raupe, wahrscheinlich des IV. Stadiums. Solche Wahrnehmungen berechtigen zu dem Schluss, dass eine Subdorsale gelegentlich auch bei alten Individuen er- scheint, denen solche in der Jugend mangelte. Das phyletische Schema Weismanns verwirrt sich aber noch weiter, indem D. Euphorhiae-Dahlii in ihrer Zeichnung vom III. Stadium an bis zum letzten, und öfters auch in der Färbung, gar nicht wechseln, während doch die bei D. Galii bereits im in. Stadium vorhandenen rothen Fleckchen, welche W. Kernflecke nennt, bei D. JEuphorhiae nur gelegentlich und dann erst im letzten Stadium die Spiegelflecke ausfüllen (Fig. 43). Die subtropische Deilephila Mauretanica trafen wir in „phyletisch zurückgebliebener" Zeichnung an, und noch eine Staffel tiefer die ebenfalls mehr im Süden heimische Z>. Z/ivormca. Trotzdem übertrifft diese in bedeutender und eigenar- tiger Ausbildung des Hofes der Spiegelflecke, ihre phyle- tisch avancirten angeblichen Descendenzformen. Auch die vor älteste Stufe zurückgebliebener Deilephila- Raupenformen, Zygophylli und Lineata, stammen aus südlichem, h eisssommerlichen Breiten, wo sie wahrscheinlich regelmässig zwei Brüten im Jahre abwickeln, wodurch ihr „Zurückbleiben" in der Zeichnungsentwicklung sich noch ungereimter zur Selektions- theorie stellen würde, gegenüber D. JEuphorbiae, welche doppelte Generationen in ihren nördlichen Verbreitungsbezirken gewiss weniger erlebt, deren Puppe nicht selten sogar mehrjährig ruht. Die älteste Form des fraglichen Stammbaums, D. Hippophaes endlich, sehen wir in manchen ihrer bunteren Individuen (Fig. 59) zwei Stadien vorwärts über D. Zygophylli hinweg bis an Li- vornica (Fig. 62) und das IV. Stadium der D. Galii (Fig. 45) avanciren. Ausserdem lernten wir variirende Individuen dieser „Stamm- art" kennen, welche Querstreifung und andere komplizirte im Z>ei- Z^pA?7« - Stamme sonst unvertretene Zeichnungsbilder trugen. Wir sehen, die „phyletischen" Formstaffeln Weismanns bieten so — 31 — mancherlei Inkorrektes, dass der Bau dieser darwinistischen Entwick- lungsleiter an sich schon unzuverlässig wird. Dann aber erscheinen gewisse vorhandene Abstufungs-Analoga zwischen den Entwicklungs- und den Keife-Stadien immerhin nur von vikarirendem Werthe. Das Zeichnungsganze wie die Details irgend eines ontogenetischen Stadiums, ist trotz seiner Aehnlichkeit mit dem Reifestadium einer anderen Art doch noch weit entfernt von der korrekten Wiedergabe dieses Reifestadiums, und in nicht minderem Grade unterscheiden sich die korrespondirenden übrigen ontogenetischen Stadien der ver- schiedenen Deilephila spezifisch von einander. Der Beobachter kann nie in ernstem Zweifel bleiben, ob vor ihm eine D. (ra^ii- Raupe des Endstadiums oder eine D. Eupliorhiae mit einfacher Flecken- reihe befindlich ist, noch weniger wird er eine erwachsene D. Hip- pophaes-'R^\x\)Q, (Fig. 59) mit einer D. Galii des IV. Stadiums (Fig. 45) verwechseln oder ein Stadium von Chaeroc. Porcellus mit einem von Hlpenor. Jede Art hat in jeder Entwicklungsphase ihre spezi- fischen Eigenthümlichkeiten trotz mancher Aehnlichkeit mit nächsten, näheren und ferneren Forragenossen. Jede Form hat ihre eigene naturgesetzte Entwicklungskeimlage für die begegnenden Ver- hältnisse, das sehen wir zum nächsten Beispiel alsbald an Chaero- campa Elpenor und Porcelhis, die oft an gleicher Nahrungspflanze, in gleicher Umgebung und zu gleicher Zeit nebeneinander aufwach- send, dennoch vom Ei an differiren bis Avieder ins Ei. Dass die jungen unentwickelten Perioden des Wachsthums sich mehr ähneln als die gereiften, ist eine Erscheinung, die in allen und jeden Verhältnissen des Alls wiederkehrt, weil sie eben die Entwicklung an sich ist und kennzeichnet. Nicht allein die Raupen -Ontogenesen, nicht allein die Embryonalstadien aller Orga- nismen überhaupt, sondern auch die Embryonalstufen der mensch- lichen Gesellschaftseinrichtungen, ihre urthümlichsten Gefässe, Ge- räthe, "Waffen, Techniken und Künste finden wir einander ähnlich, aber auch in gewissen Punkten die jedes einzelnen Gebietes von eigen- artigem Typus. Das gilt sogar von den staatlichen Einrichtungen und von den geistigen Produkten und Kulten. Die Ursache sowohl der Uebereinstimmung wie der Differenzen ist nicht die Reibung und Konkurrenz mit nachbarlichen Bevölke- rungsgruppen, sondern es ist der naturgemässe Impuls, die gesell- schaftliche Beseelungs- Uebereinstimmung wie Eigenheit, welche die ersten Keime wohl nahezu gleichförmig erzeugt, dennoch bereits in der Befruchtung die Differenzen zur eigenartigen Weiterbildung ge- setzt hat. Jede Beseelungsform wird befruchtet durch das Grosso -» 32 — der lokalen Natur, die Quelle der Beseelung selbst aber, welche die Vielgcstalt der Wesenheiten neben einander erzeugt, muss in einer noch unbegriifenen Nothwendigkeit ruhen. Die Darwinsche Auszüchtung kann es nicht sein, denn was die Natur erzeugt, das kann nicht sekundärer Qualität sein, überlassen zu verbessernden Zucht -Experimenten ihren eigenen Produkten, Wie sollten primär missrathene Hände etwas verbessern können ? Aehnlich wie sich jeder Mensch eine Wohnstätte herstellt, je nach seiner Heimath aus Schneeblöcken, Erde, Zweigen, Häuten, Filz, Holz oder Stein, das Dach bald aus Erde, Rinde, Laub, Holz, Stein oder Fabrikaten aufsetzt, alles nach lokalem Gutfinden, Zwang und Zu- lässigkeit, aber doch im Total eine Behausung nach gesammtmensch- lichem Impuls, Begriff und Bedürfniss, ebenso bewegt auch ein noch tieferer Strom solchen Impulses die Wesenkeimung nach Nothwen- digkeit, und entwickelt sie passend für ihre Stätte, so dass, was äusserlich als Differenz erscheint, gerade ein Merkmal der Harmonie zur Natur ist. Zurücktretend zu den Studien, so erklären dieselben (S. 28), wohl wissend, dass D. Eupliorhiae-Dahlii nur drei der aufgestellten phyletischen Stadien „rekapituliren", deren Ontogenese deshalb ein- fach „als offenbar unvollständiges Bild ihrer Vergangenheit, denn „(S. 41) das Ausfallen phyletischer Stufen nehme zu mit dem Vor- „wärtsschreiten der phyletischen Entwicklung. Eine je höhere Stufe „die Art erklimme, um so mehr würden die Anfangsstadien zusammen- „ gezogen oder auch ganz ausgestossen." Die Induktion zu diesem Satze liefern ihnen Verlegenheitsfälle, in die sie bei den sprungweisen Habitveräuderungen gerathen, welche bereits die ersten zwei Häutungen von D. Euphorhiae begleiten, diese einzige Deilephila- Art, die sie vom Ei an beobachteten zum Aufbau der 7 Formstufen ihres Stammbaums. Wohin gerathen denn nun aber die vielerlei Stufen der Z>. ^ip^op7iat'5 aus dem letzten Aufwuchs-Stadium? Sie soll doch die zurückgebliebenste Form sein; und dennoch setzte ihre letzte Häutung so auffällige Neu- bildungen unvermittelt zu Tage, Und ausserdem, wie reimt sich diese Behauptung Weismanns zu den Darlegungen seiner darwinistischen Arbeits-Vorgänger und Ge- nossen auf anderen Gebieten? Finden diese nicht in den Embryonal- stadien selbst des fortgeschrittensten Erdbewohners noch die Phasen ganzer phylogenetisch durchschrittener Thierreihen rekapitulirt ? Was wären das für Vererbungsgesetze, die dort noch dem Lurchurahn ihr Album widmen und hier es schon mit — 33 — der Beseitigung eines Fleckchens Hautfarbe so eilig hätten, das wieder bei anderen phyletisch verwandten Arten gestattet bliebe? Wir können freilich solcher Logik-Drangsal entgehen, wenn wir hier wie dort Ontogenese und Embryonalphasen jeder einzelnen Form nicht als descendenzlichc Ererbungs - Rekapitulation , sondern als den naturnöthigen Verlauf des Aufwuchses der Ent- wickeln ng betrachten, wie den des Keims und der Knospe zu Blatt, Blüthe oder Stamm, oder um einen andern leichtbegreiflichen Vergleich zn bringen — wie den Verlauf der Entwicklung etwa zum Doktor der Philosophie, vom Abc-Schüler an. Der Abc-Schüler ist nun kein atavisch-rekapitulatives Embryonal- Stadium der Doktorqualität, wohl aber ihr und aller anderen geistigen Leistungs- und Rangstufen naturnothwendigcr gleichförmiger Ausgangskeim, der nur durch besondere Ein- flüsse zur Spezialreife der Doktorqualität gelangt, ausserdem in ganz anderer Bildungsform auslaufen kann. An der Hand solchen Vergleichs könnten wir uns sogar die mo- mentane Erscheinung von rückschrittlichen Kiemen oder Schwänzen erklären. Noch berechtigter, realer erscheint uns das Vorhandensein solcher Bildungsschwänze bei den materiellen Erzeugnissen des Men- schen. Jeder Guss, jeder Bau, jedes Möbel, jedes Kleidungsstück, jedes Gefäss, Buch etc. haben während ihres Entstehens bildungs- nothwendige Schwänze, die nach und nach beseitigt werden. Auch beim Bildungsprozess von Anorganismen be- gegnen wir „Schwänzen" der Entwicklung. Die strahlige Nadelbil- dung der beginnenden Eisbildung, die Wärme-Steigerungen, der Rauch vor dem Moment der Entzündung, die optischen Farbenfolgen, die Bewölkungswechsel der meteorischen Vorgänge, die Gewitterphasen u. s. w. , alles dies vertritt keine Rekapitulation einstigen Formbe- standes, sondern wie unsere embryonalen Kiemen oder Schwänze, die Arbcits-Mittel und Abfälle des Aufbaues, die Ar- beits-Manifestation der Entwicklung. Die einzelnen Entwicklungsstufen der Wasserkristallisation, der Dämpfe, der Wärmeskala, die einzelnen Farben, Wolkenformen, Blitz- und Donner -Erscheinungen, finden wir ebenso gut wie die Kiemen- und Schwanzforraen gleichzeitig als resp. konstant- ty- pische Merkmale anderer anorganischer Formenbildungen, resp. physikalischer und optischer Qualitätsskalen, spezifisch bewerthet ver- treten, ohne dass wir dabei an descendenzlichen Transformations- Zusammenhang denken. Auch das Vorhandensein rudimentärer Organe zeugt lediglich 3 — 34 - gegen die darwinistisclie Selektion und für die Existenz eines orga- nischen Entwicklungszwanges, wie ich später noch zu erörtern gedenke. Zu dem Thema Häckels, dessen Gebiet von mir noch weniger besichtigt wurde, verhalte ich mich, soweit mein Beobachtungs- Terrain nicht berührt wird, thuulichst passiv. Doch, bestreite ich das Vorhandensein von Eekapitulationen eines descendenzlichen Um- formungsverlaufs im Embryo, im darwinistischen Sinne gänzlicli. Und zwar zunächst aus folgenden sich aufdrängenden generalen Gründen Nehmen wir einmal probeweise an, der in allen seinen Gliede- rungen, seinem Knochengerüste, nach Dichte, Säften, Empfindungen und Leistungen harmonisch zur Welt vorhandene Mensch der Jetzt- zeit sei ein Produkt der Selektions-Mechanik. Wer vermöchte nun zu begreifen, warum und wie solcher doch lediglich in seinem heutigen Bestände morphologisch haltbarer Formkomplex, in einem w'eit vorgeschrittenen Zu- kunftsorganismus einstmals embryonisch erhalten bleiben könnte in mikroskopischer Zusammenschrumpfung. Was sollte dann die für fern zurückliegende Verhältnisse „angepasste" Form von heute noch erhalten, wenn alle heutige Zuthat verändert oder verschwunden ist? Schon allein die Zusammen schwind ung der einstigen phyle- tischen Formphase bis in die Winzigkeit des Embryo versteht sich durch- aus nicht für einen durch Selektion akkumulirten Organismus. Es be- griffe sich vielleicht, wenn ein solcher Organismus die Phasen seiner Ausbildung in gewissen entsprechenden Grössestufen des Wachsthums Aviederholte ; allein die angeblichen einstigen kalt- wie warmblü- tigen Molch- und Vierfüssler- resp. Vierhänder- Urahnen zu mi- kroiren, als Kiemen-, Schwanz- und Lungenfr.atzchen dicht nach- einander, scheint mir offenbar Uebernatürliches verlangt, namentlich aber auch bei einem angeblich durch unübersehbare Kumulations- reihung einzelner Nützlichkeiten herangebauten Gross -Organismus. Es fehlte in der Mikroform alle morphologische Rea- lität zur Wiedergabe der Makroform. Was könnte vererbungsgesetzlich noch Zwingendes, noch Halten- des zur verkleinerten Herstellung einstiger äusserer Um- risse bestehen, wo Schuppen, Haar, Fleisch und Blut der vermeint- lichen Ahnenreihe mangeln, bezw. aufgegeben sind. Die menschlichen Embryonalstadien bieten doch nur verschwommene äusserliclie An- deutungen an bekiemte und geschwänzte reife Formen, ihre Substanz i) selbst ist spezifisch menschlich. Die Aehnlichkeit mit entwickelten i) Ich weiss allerdings nicht, ob man dieselben bis auf die Blut- körperchen untersucht hat. Wichtig um Häckel wäre es. — 35 — Tliierformcn ist wenig wertli, sie verhält sich karrikirt dazu, und niclit einmal in dem Formenvergleichswerthe wie der Pilz zur Pinie oder Pappel, oder der Schachtelhalm zur Tanne. Die Aehnlichkeit aller Embryonen von Wesen mit gleicher Gliederzahl erscheint erkhärlich und begründet wie die Aehnlichkeit aller Eier, Pflanzenkeime, Kristallisationen, Erze, Salze, Dünste, aller Weltkörper und Kometen, aller Denkungsrichtung und logischen Handlungen, kraft des Entwicklungszwanges aller Formenbildung, aller Idcenlogik ; sie erscheint eben so erklärlich wie die vorgeführte Embryoualidentität aller kulturverschiedenen bürgerlichen Ausbildungs- formen im Abc-Schüler. Die Theorie von der minutissimirten Rekapitulation phy- logenetischer Entwicklungs - Ahnenreihen ist ein extremes Zu- rückkommen auf die alte Einschachtelungslehre Swam- merdams. Jener Präformations - Theorie des vorigen Jahrhunderts, die Häckel selbst als eine lächerliche unsinnige Irrlehre bezeichnet, folgt jetzt seine Theorie einer Postformation! Und sicher hat Häckels Rückschachtclungs-Konservatismus, im ziellosen Transformismus der modernen Selektionstheorie noch weniger Sinn, als jene Einschachtelungslehre von vorgebildeten Wesenkeinien der Generationen in einander, die Avenn auch keinen objektiv fass- lichen, so doch einen phänomenalen, molekular- oder doch ideell- logischen Werth hatte. Um nun wieder zur speziellen Vorlage zurückzukommen, so dürf- ten alle „Parteien" darüber mindestens einig sein, dass die Weis- mannsche Spekulation: die Entwicklungsbilder formverwandter Raupen zu einem Staffelschema phylogenetischer Transmutationen zu verwer- then, ebenso verfehlt angelegt, wie unverträglich mit den Kon- sequenzen der Häckelschen Embryonalbewerthung ist. Die Erscheinungen der Raupenphasen sind viel zu matter, un- beständiger und flüchtiger Natur, um einen Vergleich, eine Parallele mit denjenigen Entwicklungsqualitäten zu gestatten, welche Häckel selbst in den Embryonalerscheinungen als phylogenetische Rekapitu- lationen bewerthet. Die phylogenetischen Rekapitulationen des direkten Häckelismus unterschlagen alles auf Spezies und Gattungen Bezügliche, wiederholen sogar nur Ordnungs - Charakterismen in verschwommen generalen Zügen. Hier im Wei^nannschen Häckelismus aber, sollen gerade die superspezifischen Charaktere verschiedener phylogenetischer „Stadien" nach einander rekapitulirt werden. Merkwürdigerweise freilich wieder mit regelmässigen Unter- 3* — 36 — schlagungen der intermediären Habitkumulationen innerhalb der Raupenhäntungsbilder, Auch die „sehr wichtige Folgerung" Weismanns, dass die Ring- flecke der Deilephila- Arten zuerst auf dem Schwanzhorn - Segment entstanden, und nur sekundär und allmälig auf die davorliegenden Körpertheile übertragen worden seien, lässt sich weder auf die Fär- bungserscheinungen von D. Hippophaes noch von Z>. Galii und Zygophylli stützen, wie er vermeint. Die unvermittelt auftretenden Dekorations-Verschiedenheiten der D. Hippophaes im letzten Sta- dium, sprungweise wechselnd von Individuum zu Individuum zwischen grossen Flecken und kleinen oder auch gar keinen, zu- gleich auf allen oder auf wenigen Ringen, ebenso die gleich- massige, unabgestufte Ausbildung der Fleckenanlage bei D. Zygo- phylli, bieten keine Bilder wie sie die Theorie der Studien erfordern. Bei der D. {raZii- Raupe sahen wir das Erlöschen der bald fleckenartig roth, bald spiegeiförmig gelb vorhandenen Zeich- nung der vordersten Ringe deutlich abhängig von der Grösse und Grundfärbung des einzelnen Individuums, während die Flecke sogar zu dem Alter verwechselt und ebenfalls alle zu- gleich auftraten. Letzteres fand auch statt bei D. Vespertilio im II. Stadium. Weismann sagt, der Kernfleck scheine zuerst zu entstehen, die Spiegel sekundär. In der verschwiegenen Erinnerung aber an die gelben Spiegel ohne Kerne bei D. Galii, reservirt er sich und äussert: „es sei aber misslich hier weiter gehende Schlüsse zu ziehen „bevor wir die Bildung des e r s t e n Kernflecks noch nicht beobachtet „hätten, da aus dem Modus, wie sich die sekundären Ringflecken „bildeten, kein sicherer Schluss auf die Bildungsgeschichtc des pri- „mären Ringflecks gezogen werden könne." Wir sehen, die Stud. drücken sich mitunter vorsichtig aus, wenn sie Schäden an ihrer Theorie bemerken. Leider bleiben schon diese Wahrnehmungen hinter der wirklichen Schädenzahl weit zurück. In dem vorliegenden Falle mit D. Galii ist doch ein unver- kennbares Dementi der Akkumulation der Fleckenbilder geliefert, denn die allmälige Zuchtwahl könnte sich primär entweder nur der Flecke, oder nur der Höfe bedient haben, aber nicht wie es hier der Fall ist, je nach der Farbe des Individuums bald mit den Kernen, bald mit den Höfen arbeiten. Und wie können die Stud. von ünbekanntschaft mit der Bildung des primären Ringflecks reden? da sie D. Eupliorhiae doch vom Ei an beobachteten, alle Stadien derselben selbst abbilden und uns «eigen, dass der „primäre" Hornfleck als Spiegel entsteht, und - 87 — dass nur bei nianchen Individuen im letzten Stadium ein Kernflecli hinzukommt (Fig. 38 bis 44). Auch ihr Bild (Fig. 50) von der angeblich vorletzten Stammform D. Zygophylli zeigt einen kernlosen „prinicären" Spiegelfleck, und der Grundton ihrer Theorie ist es doch, dass die Entwicklungsbilder der Raupen die Phylogenesis ihrer Transformirung rekapituliren. — Freilich — es will eben Alles und Jedes nicht stimmen, denn während D. Zygojjhylli überhaupt keine Kernflecke erhält und die fortgeschrittenste Form Eupliorhiae dergleichen nur ge- legentlich im Endstadium, tritt die vermeintliche Stammmutter und Trägerin des Urhabits der Deilephilen : Hippophaes, laut Weismanns Fig. 58 und 59, alsbald mit einem Kern fleck am Hörne auf und erhält den Spiegel sekundär dazu. D. Galii aber macht es wieder anders, indem sie, laut Fig. 45, jung ebenfalls Kernflecke zeigt, dieselben aber darnach wieder ablegt und nur Spiegel behält. Und so geht die Selbstständigkeit der „phyletischen" Entwick- lungswerthe von Art zu Art, die gelegentliche Modifikation gewisser Merkmale „sehr wichtiger Folgerungen" Weismanns schwankt von Individuum zu Individuum, und die Basen seiner Theorien schmelzen dahin. In der Meinung, dem „unsicheren Boden" der sekundären Ring- fleckbildang damit eine Weihe der Berechtigung zu liefern, äussern die Stud. hierauf S. 43: „auch bei Chaerocampa scheint die Bildung „der primären und sekundären Augenflecke verschieden zu sein, „bei letzteren entsteht zuerst der schwarze Hof, bei ersteren der „Spiegelfleck," Nun, beide Theile dieses Satzes sind unsicher; denn laut Seite 11 und 12 der Stud. „krümmt sich bei Bildung der primären „Augenflecke die weisse S üb dorsale in zwei kleinen Bogen nach „ oben , dunkleres Grün füllt sehr bald ihre Konkavität aus und „verdunkelt sich gegen und in der nächsten Häutung in Schwarz." Die Bildung des dritten, also des sekundären Augenflecks, der aber niemals zu einer bestimmten abgetrennten Figur gelangt, „be- „ ginnt mit Ablagerung von Schwarz ebenfalls um die noch deut- „lich vorhandene weisse Subdorsale auf dem dritten Seg- „ment." (S. 13.) Also die S üb dorsale, die Lieferantin des Spiegels, ist hier wie dort zuerst am Platze, und hiernach tritt erst das Schwarz hinzu. Dass die Subdorsale letzternfalls vor Ablagerung des Schwarz keine Krümmung zeigt, stimmt korrekt zu der geringen Endaus- — 38 — biklung der sekundären Flecke; die Subdorsale bleibt dabei über- haupt intakt. Als Endergebniss ihrer Untersuchungen halten sich die Stud. nun berechtigt zu behaupten, „die heute lebenden Arten der Gattung „DeilepMla ständen auf fünf verschiedenen Entwicklungsstadien, „und in dem so verschiedenen phyletischen Alter liege der Grund „der „so sehr" verschiedenen äussern Erscheinung der Kaupen „ „von so überaus" ähnlichen Schmetterlingen, Es könnte fast „überflüssig scheinen, noch weitere Beläge für die Richtigkeit dieser „Deutung der Thatsachen beizubringen. ... Es könne aber mittelst „der gelegentlich vorkommenden Variationen der Raupen die Probe „auf die Richtigkeit der vorgetragenen theoretischen Deutung gemacht „werden." Eine Seite voll recht matter Angaben bildet nun diese allerdings „fast überflüssige" Probe: Nach den „Erinnerungen" des Dr. Staudinger, welcher „etwa 15 Jahre vorher die der JSiqjJwrhiae -J\•AUl^e „äusserst „ähnlich gezeichnete" Raupe von D. DaJilii züchtete, sollen sich „unter mehreren Hunderten derselben „einige" befunden haben, „welche im erwachsenen Stadium einen schwachen Lichtstreif als „letzte Andeutung der Subdorsale besassen, und „einer" der vor- „haudenen Raupenbälge besitzt sogar eine deutliche Längslinic „zwischen den Augenflecken." „Bei D. Eupliorhiae komme dies „äusserst selten" vor „und nur in schwacher Andeutung; so auf einem Hübnerschen Bilde „und bei einem präparirten Exemplar. Bei D. Vespertiüo hingegen „erfolge dieser Rückschlag gegenwärtig „noch häufiger". Diese „sehr seltnen" Fälle eines schwachen Lichtstreifs bei Z>. Eiqjhorbiae, „einigen unter mehren Hundert", nach fremder Erinnerung bei D. Dahin, „noch häufigeren" bei Z>. Vesper- tilio — sollen uns nun als prozentuale Dokumentirung des Anwachsens parallel dem angeblichen phyletischen Alters- habit der Art gelten und genügen; als eine fast überflüssige Probe, abermals nachweisen, dass hier Rückschlag und zwar ganz proportionaler, zu den aufgestellten phyletischen Entwicklungs-Stufen- folgen vorliege, und damit zugleich die Richtigkeit der Weismann- schen Theorie von Wesenentwicklung aufs Neue bewiesen sein? Es erscheint merkwürdig, was hier als „Wissenschaft" zugemuthet wird. Was soll zunächst, studientheoretisch, die Idee von Rückschlag noch bei dem Erscheinen einer Zeichnung im End Stadium, die bereits wie bei D. Eupliorhiae -Dahlii, vier bis fünf phyletische Perioden früher „abgezüchtet" wäre? Und was wissen wir über das — 39 — prozentuale Verhältniss des Vorkommens dieser Variation, wenn sie unter gänzlicli unbekannt bleibender Ziffer von Individuen-Einheiten: „sehr selten", „einige Male" und „noch häufiger" auftreten soUy Von D. Vespertilio ging sogar (W. S. 30) „das einzige junge Raupe hen zu Grunde", und von dem vierten Stadium sah W. mehrere, bei denen allen aber im letzten Stadium (,Fig. 40 c) die Subdorsale völlig verschwand. Woher nehmen nun die Studien den Muth zu versichern (S. 44): „In der That verhielte sich die Sache so, die Prozente der Rück- „ schlage bestätigten ihre Theorie, denn bei D. Vespertilio komme „das Auftreten der Längslinie im letzten Stadium noch häufiger vor." Und woher nehmen sie das Recht ganz zu schweigen bei diesem Thema vom Rückschlag, über den heterogenen Mangel des Horns bei D. Vespertilio ? Ganz zu schweigen ferner über die auffälligste Va- riabilität der D. Hippophaes im letzten Stadium? Die Antwort drängt sich auf jeder Seite auf: den „Studien" mangelt viel gewissenhafte und logische Durcharbeitung der Induktionen, sie ähneln mehr einer ausstattungssüchtigen Zusammentragung locken- der Theile. Das wird noch immer deutlicher hervortreten auch bei ihren theoretischen Sätzen. Wir gelangen nun zu den Raupen der Oattuiig Smerinthus, in deren variirender Fleckcnzeichnung W. die ersten Anfänge der bei so vielen Sphingiden-Raupen vorkommenden Farbensäume der Schrägstriche erkennt, welch letztere hei Smerinthus Tiliae, dem sogen. Lindenschwärmer, einzeln auch andeutungsweise als längliche Flecken vorhanden sind. Dass diese Farbensäume dann nach oben zu immer etwas rauh und unregelmässig begrenzt, nie „schon" so glatt und scharfrandig wie bei Sphincc Ligustri sind, wird meiner Ansicht nach einfach durch die bedeutend körnliche Chagriuirung der Haut bei Smerin- thus, gegenüber der ganz glatten Haut bei Sphinx erklärlich. Die Stud. erwähnen diese Körnelung der Haut bei Smer. Tiliae gar nicht, sondern erklären die dadurch bedingte rauhe unregelmässige Begrenzung der Farbenflecke, rasch als einen „offenbar" noch nicht völlig fertigen, sondern noch in der Bildung begriffenen Charakter. (Also zielstrebigen!) Alle drei von W. beobachteten Smerinthus-AxiQ\\ Tiliae, Po- puli und Ocellata, (Lindenschwärmer, Pappelschwärmer und Abend- pfauenauge) kommen in einfach grüner Färbung aus dem Ei; die bei den Sphingiden-Raupen vielfach vorhandene Zeichnung der hellen Schrägstreifen und die Subdorsalc treten bei Sm. Tiliae alsbald — 40 — mit der ersten, bei Sm. Populi und Ocellata bereits vor der ersten Häutung auf. Dieses Hervortreten wird also mit inneren Veränderungen zu- nächst in Folge von Nahrungsaufnahme zusammenhängen, wodurch die Säfte vermehrt und auch in ihrem Chemismus verändert werden. Die Querstreifung selbst tritt bei den chagrinirten Raupen besonders durch Vergrösserung und hellere Färbung der Chagrinhügelchen hervor. Eine abgehäutete Raupe von Sm. Populi zeigt mir, dass diese Chagrinhügelchen innere Höhlungen der Haut sind, welche von einer dem Ansehen nach paraffinartigen hellen Masse ausgefüllt sind. Be- sonders reichlich ist diese Masse unter dem ersten und letzten, durch höhere Chagrinhügelchen hervortretenden Querstreifen, auf dem Fett- körper resp. in den Hautgruben abgelagert, und steht beim letzten Streifen mit dem Inhalt des Hornes in Verbindung. Sehr wahrscheinlich stehen die Streifen demnach mit Säfteströmen sowie mit den Ablagerungen des Fettkörpers in organischem Zusam- menhang; vielleicht auch in Verbindung mit der Struktur des Nah- rungskanals oder des Nervenstrangs. Dieses schliesse ich daraus, weil sie erst auf dem vierten Segment beginnen, wo innen theils die glatte Partie der Magenblase durch eine faltige Darmstruktur abgelöst ist, theils die freien Doppelstränge des Nervensystems zu einem kompakteren Strang zusammentreten. Nach einigen Häutungen treten bei einem Bruchtheil der Raupen- zahl mehr oder weniger deutliche rothe Seitenflecken auf, theils auf einem theils auf mehreren Segmenten, und theils in einfacher theils in doppelter Reihe, die sich bei Tiliae mitunter etwas in die Länge ziehen. Dass dies nur bei Sm. Tiliae geschieht, diese Art also nach Weismanns Theorie die avancirteste, d. h. die phyletisch jüngste Form sein müsste, ist bemerkenswerth. Sie müsste als solche von den Stud. auch deshalb betrachtet werden, weil sie auf dem letzten Ring eine auffällige aber von W. gar nicht erwähnte körnige ge- färbte Rosette trägt, die den andern hiesigen Smerinthini durch- aus mangelt. Weil hierzu aber das spätere Auftreten der „pri- mären" Streifen bei ihr nicht passt, so sagen die Stud. in ihrer Zu- sammenfassung einfach: „die Unterschiede seien zu geringfügig um „darauf sichere Schlüsse bauen zu können, welche der drei Arten „die älteste sei." Von den theorielogisch für sie vorliegenden Merkmalen für Tiliae als 3üngste Form, schweigen sie zum Vorschub ihrer theore- tischen Scheinlehren. Wir aber sehen in den Zeichnungs- und deren Erscheinungs-Differenzen wieder ein Erforderniss des spezifischen und »_ 41 — iiulivicluellen Organismus betont, und das induktive Material gegen den phyletisclien Staffelbau Weismanns gerichtet. Derselbe erörtert nun die Entwicklungsbilder der Gattung Macroglossa, deren eine Art, das Taubenscbwänzchen, Macrogl. Stellatarion, ihm als Raupe ausreichend vorlag. Einfarbig gelblicli kommen diese Raupen aus dem Ei, färben sich ebenfalls bald grünlich um , häuten sich dann regelmässig aller 4 Tage, behalten aber die Streifenzeichnung, in der sie sofort nach dem ersten Hautwechsel erscheinen, durchweg bei, jedoch je nacli den verschiedenen Grundfarben, die sie individuell variirend später annehmen, in verschieden scharfer Markirung. Die Hautfläche soll ebenfalls bereits nach der ersten Häutung chagrinirt sein, wie die Stud. sagen, doch lassen sie dieses Chagrin zwei Sätze weiter noch- mals, erst im IV. Stadium entstehen. In diesem Stadium erscheint ein Theil der Raupen hellgrasgrün, der andre Theil dunkelgrasgrün, und noch eine Häutung weiter treten von 140 Raupen i): 49 in grüner, 63 in brauner und 28 in sehr ver- schiedener Zwisclienfärbung auf. Die Stud. nennen dies Polymorphismus und meinen, dass einige der Haupt - Varietäten bereits als halbwegs fixirte neue Formen zu betrachten seien. Zu dieser Ansicht bestimmt sie namentlicli ein darunter vorgefundenes braunes Individuum, das auf der linken Seite der vier ersten Segmente hellgrün, auf dem fünften Segment aber braun und grün gemischt war. Sie vergleichen diese Nüancirung alsbald mit dem scharfen Ab- wecliseln männliclier und Aveiblicher Färbung auf einem Segmente bei Zwitterbienen und meinen, auch bei dieser scheckigen Stellata- rum kämpften „offenbar" zwei unvcrschmelzbare Charaktere um die Herrschaft; damit stimme auch die Minderzahl der aufgetretenen Zwischenfärbungen. Dass wir aber nur einen interessanten Fall von Variation vor uns haben, erscheint mir nahezu zAveifellos. Wahrscheinlich ist der- selbe nach seiner besonderen Intensive sogar das Resultat dieses speziellen Züchtungsfalles, wenigstens habe ich im Freien bisher zu- meist grüne Stellatarum -'Raui^en gefunden, und auch in der lepi- dopterologischen Literatur finde ich diese Färbung vorzugsweise dar- gestellt. In der freien Natur kommen zusammengedrängte Kolonien dieser Raupe wie in Weismanns Zuchtraume niemals vor. Zumeist trifft i) Seite 52 sollen es nur 130 gewesen sein. ~ 42 — mau Stellatarum einzeln ocler nur wenige beieinander an, und zwar an sonnigen Hängen auf den Ranken ihrer dünnbelaubten oben licht- durchdrungenen Nahrungspflanze: dem Labkraut Galium verum oder mollugo. Im vollkommensten Zuchtkäfig wird die Li cht spende nun immerhin eine weniger intensive sein, für einen grossen Thcil der Raupen, zumal sie in so grosser Zahl eines bedeutenden zusammengedrängten Futterquantums bedürfen. Sie werden demnach weniger alle oben nebeneinander, sondern auch viele nach dem Innern zn untereinander sitzen. Dabei wird die tiefer weilenden nicht allein die Beschattung durch Pflanzentheile , sondern auch die Beschattung durch ihre höher und lichtwärts ruhenden Zuchtgenossinnen treffen, und dieser optische Einfluss auf das in der Häutung sicher sehr empfindliche und empfängliche Hautpigment, auf Schleimnetz resp. Hypodcrmis, wird solche verschiedene Farbentöne verursachen. Es würde dies zu der Färbungstheorie von Wallace stimmen, der ich, soweit ich sie aus Referaten kenne, beipflichten möchte, exklusive selektionstheoretischer Nutzanwendung. Dieser Theorie nach ist es die Molekularstruktur jedes Organis- mus, welche die Strahlenbrechung und damit die eigenartigen Fär- bungsbilder bedingt. Hiernach müssten natürlich umgekehrt verschieden gebrochene Lichtquanten, die wie im vorliegenden Falle eine und dieselbe Art von Organismus, aber mit den verschiedenen Lichttheilen doch auf verschiedene Individuen treffen, auch verschiedene individuelle Far- benstufen erzeugen i). Auch Dr. Rössler nähert sich dieser Auffas- sung, Avenn er gewisse schützende Zeichnungen und Färbungen gleich- sam als das Resultat einer photographischen Wirkung betrachtet-'). Das gescheckte Individuum der Weismannschen Zucht Avird während der Häutung so placirt gewesen sein, dass nur die eine Seite des vordem Körperthciles einer helleren Beleuchtung freilag und deshalb die grüne Farbe erhielt. Die gleichbleibende Färbung aller Individuen bis zum IV. Stadium würde sich durch die Kleinheit der Raupen miterklären, denn die geringere Grösse bis zur dritten Häutung gestattet eines- theils mehr die hohe Placirung näher der Lichtquelle, oder im frischgrünen Futter nebeneinander, anderntheils werfen die Raupeu- i) Je nach dem Untergrund oder der Tiefe ihres Aufenthalts dif- feriren Forellen im Farbenton ; selbst zweierlei nuancirte Individuen kommen vor. ■-') Rössler, Ueber Nachahmung bei Insekten etc. Wiesbaden, Niedner 1880. — 43 — körper sich gegenseitig selbst noch nicht die Schattengrössen zu wie bei Antritt des IV. und besonders des V. Stadiums, noch dazu innerhalb dichterer resp. auch theihveis abgestorbener Futtermassen. Jetzt wird auch die grössere Anhäufung von Säften in den Chagrinhügelchen den strotzenden Raupcnkörper für die Lichteinwirkung empfänglicher machen. Sobald eine ähnliche Variation im Freien vorkommt, dürfte solche Raupe iliren Iläutungsprocess mehr in schattiger Tiefe voll- zogen haben. Bei Älacroghssa Croatica sowie bei den ebenfalls formver- wandten Pterof/on Gorgoniades und Ocnotherae, bei Deil. Galii, bei Chaeroc. Elpenor und PorccUns, welche letztere an gleicher Nahrungspflanze mit 31acrogl. Stellatarum vorkommen, und ihre bezüglichen Häutungen zumeist nahe dem Erdboden im Schatten voll- ziehen, kommen auch ähnliche Farbenverschiedenheiten vor. Und besonders auch diese Parallelen der Umfärbungsvorgänge scheinen mir deutlich für direkte Einwirkungen des Lichtes auf den reagirenden Organismus „anpassend" von Fall zu Fall zu sprechen, während die gegnerischerseits nöthige Annahme einer gleich- massigen, gleich zieligen Umwandkmgsauslese durch gleich- mässigeAn feindungen innerhalb des Vorgangs einer gleichmäs- sigen Gewohnheits-Aenderung im Aufenthalt aller dieser an Galium lebenden, unterschiedlich grossen, schütz-, trutz- und putzge- färbten, verschiedenen Raupenarten kaum verständlich ist. Eine natürliche Auslese durch feindliche Nachstellungen könnte übrigens dunkelgefärbte Raupen-Individuen nicht begünstigen. Denn an grüner Staude wären auch die grünen Raupen als geschützter zu achten Avie die braunen, gleichviel ob sie tief oder hoch Sassen. Eine Verdüsterung des grünen Individuums vollzieht sich mit der Tiefe des Sitzes optisch von selbst, durch den jeweiligen Schatte n a u f w u r f . Jedenfalls bietet auch die Variabilität der Macr. Stellatarum- Raupe kein Zeichen dar eines Selektions-Vorganges. In der kurzen Besprechung der nun folgenden (xcittung Pterogoii wird uns ein theoretisches Divergiren der „Studien" besonders auf- fallen. Fterogon Oenotherae, die Raupe unseres niedlichen Nachtkerzen- schnurrers, trägt anstatt des Hernes auf dem 11. Ringe einen etwas erhöhten knopfartigen, runden Fleck, oder wie W. denselben nennt, einen schön entwickelten Augenfieck. Weismann denkt zunächst niemals daran, die Entstehung dieses Augenflecks am Hiuterthcil der Raupe, mit den vorher doch so _ 44 — breit abgehandelten „schrecklichen Augen am Scheitel des Schweins- kopfes" bei Chaer. Elpenor und Porcellus zu vergleichen. Er äussert sich aber erfreut, die amerikanische Gattungszugehörige: Pt. Gaurae, grün, mit in Gitterzeichnung aufgelöster Dorsallinie, und bei näherer Betrachtung auch die Subdorsale, zertheilt in schwarze, weissgesäumte Dreieckchen zu finden. „Denn dies bestätige doch von Neuem die merkwürdige Erschei- „nung, dass die Thier- und Pflanzenformen Nordamerika's „phyletisch älter seien als die europäischen. Damit stimme „ganz, dass Pt. Gaurae keinen Augenfleck, sondern noch das ur- „ sprüngliche , wenn auch kleine Sphingiden-Horn auf dem 11. Seg- „ment trage." „Dass die Raupen der Gattung Pterogon ursprünglich das „Schwanzhorn besessen hätten, lehre überdies noch die „„im südöst- „lichen Russland lebende Art Pl. Gorgoniades , deren Raupe sich „an die Jugendform von Pt. Oenotherae anschlösse, indem ein breiter „weisser Subdorsalstreif vom kleinen Schwanzhorn an bis zum Kopfe „ziehe. Ausserdem besässe sie noch einen ungewöhnlich breiten „weissen, rothgesäumten Infra-Stigmastreif, einen feinen weissen Dor- „salstreifen und eine feine Linea suprastigmalis."" „Pt. Gorgoniades sei also offenbar eine phyletisch ältere Art „„in einem noch grösseren Abstände zu Oenotherae, als wie Deil. „Hippophaes zu D. Euphorbia e. Wir sähen den Beginn der Zeich- „nung mit der grundlegenden Subdorsale auftreten, zu der dann „Infra- und Snpra- Stigmale hinzukomme. Aus diesen Längsstreifen „entwickele sich dann durch Zerlegung eine Gitterzeichnung."" Und dieser selben, im primärsten Zeichnungshabit der eigens aufgestellten phyletischen Staffel in Europa le- benden Raupe gegenüber, erklären die „Studien" 10 Zeilen höher, gesperrt : „dass die Thier- und Pflanzen-Formen Nordamerika's älter seien „als die europäischen, bestätige von Neuem die amerikanische Pt. „Gaurae", eine Raupe ohne alle Linienzeichnung, die „be- reits" zur Gitterzeichnung zerlegt ist! Und dieser Betonung des „primären Hernes" hier gegenüber, hinderte sie der Mangel desselben bei Deil. Vespertilio nicht, dieselbe in die VL Klasse ihrer bez. phyletischen Staffel einzureihen neben zwei langbehornte Arten, nur weil die Flecke stimmten! Von der nun folgenden Gattung Sphinx konnte W. keine genügenden Jugendstände der Raupen erlangen, sah sich auch in den Werken ziemlich resultatlos nach Abbildungen — 45 — solcher um. Verlangen und Bedarf gilt hauptsächlich der Subdor- sallinie, und so finden sich schliesslich, indem über die nach Weis- niann's rascher Meinung „ohnehin ungerechtfertigten" Grenzen dieser Gattung hinausgegriffen wird, unter ostindischen und südamerikani- schen Verwandten, begreiflich nicht nur endlich Raupen mit Schräg- streifen, sondern auch eine unsere Sphinx Convolvuli in Nordamerika vertretende Art mit völlig ausgebildeter Subdorsale. Das theoretische Schema bleibt glücklich aufrecht. Denn — wenn sich auch eine Art vollständig davon trennt, eine zweite ebenfalls eine Ausnahme macht, indem sie beide gar keine Streifung besitzen, wieder andere nur wenig scharfe Zeichnung tragen, so Hesse doch der Vergleich mit den so ähnlich gezeichneten Smerinthini und der Umstand, dass bei Einzelnen eine Subdorsale zu erkennen sei, die „„bestimmte Vermuthung"" als gerechtfertigt erscheinen, dass die „primäre Zeichnung auch hier die Subdorsale gewesen, dass dieselbe „durch die später dazu gekommenen Schrägstreifen aber meistens „völlig verdrängt worden sei." „Die Gruppe der Sphingini würde also gegenüber den Smerin- „thini die jüngere sein, und damit stimme die höhere Ausbildung der „Schrägstreifen, welche hier stets zweifarbig, mitunter sogar drei- „ farbig seien, während die Sm erinthus - Kxiew nur selten einiger- „maassen regelmässige Farbensäume besässen." Hieraus drängt sich aber die Schlussfolgerung hervor : die überall über die Erde verstreut lebende Gruppe der AS/>/imcr- Verwandtschaft sei der natürlichen Auslese nur durch Schlagschattirung gewachsen, während die ähnlich gezeichneten Smerinthini daneben allenthalben ganz vortrefflich mit einfacherer Schräg- streifung im Kampf ums Dasein bestehen! Dieser Schluss lautet aber so widersinnig, dass er schwerlich Vertheidigung finden wird, vielmehr wird sowohl die abermalige Hinfälligkeit Weismann- scher Transmutations - Dogmen wie auch des Selektionsbegriffs über- haupt erkannt werden. Es sind im Ganzen 14 Arten , welche W. aus 4 Gattungen des Sphingiden- Systems hier zusammenträgt, um diesen theoretischen, durch das individuelle Uebergewicht der Smerinthini schon bestrittenen Streifungsvorzug der Sphinxe darzustellen. Nur 12 dieser Raupen sollen Schrägstreifen nach Art der Smerinthus-^aw^QW be- sitzen, einzelne darunter aber braun sein und ohne scharfe Zeichnung. Wieviel von diesen aus 4 Gattungen, worunter zwei ausschliess- lich tropische, zusammengefassten 12 Arten, mit mehrfach ganz eigen- artig gestaltetem Hörn, bleiben nun noch übrig, um prozentual ge- wissenhaft oder naturlogisch die Weismannsche Behauptung ihrer — 46 — pliylctisclien Jugend zu rechtfertigen, zu begründen, gegenüber der für sich allein abgehandelten Gattung Smerinthus? Bereits unter unseren einheimischen 4 SmerintJius - Arten ist Tiliae nicht selten zweifarbig gestreift, oder die Schrägstreifen sind gleichwie auch bei Ocellata, oberwärts dunkler angelegt, während von unseren 2 Spliinx- Artcn doch nur Ligustri die bunten Farbensäume trägt. Ein irgendwie verlässlicher Anhalt für die gesperrten Sätze der Stud. über „plndetische" Merkmale jugendlicher Sphinx -formen gegenüber älteren Smerinthini, ist also nirgends geboten, Sie könnten Schrägstreifung noch bei den systematisch entferntesten Gattungen finden, um sie hier „phyletisch" einzureihen, auch „Schwanzhörner und Schweinchenformen"; Subdorsalen und Stigmallinien aber bei vielen Tausenden aller Noctucn-, Spinner-, Spanner- und Motten- Gattungen, und ebenso dort und überall das zeichnungslose, sich um- färbende erste Stadium. Mit der (Jattimg; Aiiceryx erreichen vär nun den Schluss des instruktiven Materials. „Die Raupe des Fichtenschwärmers: Anceryx Pinastri, kommt ebenfalls zeichnungslos aus dem Ei, färbt sich nach Aufnahme von Nahrung etwas um und erhält erst nacli 4 Tagen, einige Stunden nach der ersten Häutung, die scharfe grünliclnveisse S üb dorsale, sowie eine parallel darunter verlaufende weissliche Suprastigraale zu einem bereits vorher angedeuteten Stigmastreifen." „Bis ins vorletzte Stadium bleiben diese weissen Streifungen auf grüner Grundfarbe unverändert, nun aber verdrängt ein roth- brauner breiter Dorsalstreif mehr oder weniger vollständig die weisse Subdorsale. Die Suprastigmale Avird in viele kurze Stücke unter- brochen und die grüne Grundfarbe, je nach dem Individuum, mehr oder weniger durch den bräunlichen Ton verdeckt, der vom Rücken nach den Flanken sich herabzieht." „Dieses Stadium ist sehr variabel, und es beruhen die Varia- tionen einerseits auf dem Kampf der grünen Grundfarbe mit der von oben her vorrückenden rothbraunen, andrerseits aber auch auf der mehr oder weniger vollständigen Beseitigung zusammenhängender Längslinien. Im Ganzen beruht der Umschlag in der Zeichnung vom IV. zum V. Stadium darauf, dass die kleineren Raupen den Nadeln angepasst sind, die grossen aber den Zweigen." Diesem Ausspruch ist nur zuzustimmen; und viele am Tage fressende Larvenarten, die an Nadelhölzern leben, so auch mancher- lei Blattwespcnlarven- Arten bis zu einer gewissen Grösse, tragen zeitlebens ein hell gestreiftes grünes, harzgraues oder bräunliches — 47 — Habit, während darüber hinauswachsende Formen sich alsdann ins Rindenfarbene nnddeiden. Diejenigen Raupenarten aber, die am Tage an den Stämmen ruhen und nur des Nachts in die grünen Nadeln steigen, wie GastropacJia Pini, Lobidina, sowie die Prozcssions- und die Nonnenraupen, sind von Jugend an rindenfarbig gemustert. Indess trägt jede einzelne Art der nadelfarbenen wie der rindenähnlichen Formen, an demselben Baume lebend, ein separates Muster spezifischer Eigenthümlichkeit! Ausserdem mangelt es auch nicht an abstechend gefärbten und ge- zeichneten Bewohnern der Nadelhölzer, namentlich unter den Blatt- wespenlarven. Die Variabilität der Aiiceryx Pinasiri beginnt in dem Waclis- thums- Stadium, wo die Raupen noch in der Wahl der Ruhepunkte zwischen Nadeln und Zweigen schwanken mögen, ward vielleicht auch durch die oft sehr verschiedene Länge der Nadeln am Aufenthalts- orte der Raupen mit gefördert. Denn die Umfärbung der Raupe aus dem Grün ins Rindenfarbene wird auch hier in natürlicher Verbin- dung stehen mit dem Kontakt des Organismus zu den umgebenden Lichttönen, ähnlich so wie ich es bei den Abschattungen der Macr. Stellataruin besprach. Es ist hierbei nicht die portraitgetreue Wiedergabe bestimmter aufgetroffener Licht- und Schattentheile gemeint, sondern zum ent- fernten Vergleichsversuch, wie ein Prisma die davor regellos befind- lichen Objekte, je nach der Zahl seiner Schliffflächen und deren Raum und Form, in schöner Ordnung vervielfältigt wiedergicbt oder aus- lässt, ähnlich so mag der segmentirte Organismus der Raupe die Lichteinwirkungen der Umgebung, je nach dem System und dem Chemismus seiner Morphosis geordnet, wiedergeben oder negiren. Und diese struktur -systematische Dekorations -Entlehnung und „An- passung" wird nicht allein nach den verschiedenen Arten, sondern relativ auch je nach den individuellen Anlagen wechseln und variiren. Ererbte und erlebte Spezialitäten der organischen Anlage, der Säftemischung, der Nahrungs- und der Witterungs-Einflüsse, können diejenigen geringeren Abweichungen bedingen, die in balancirender Mannigfaltigkeit den individuellen Typus bezeichnen. Ln Generalen vermag freilich die heterogenste Umgebung den spezifischen Typus einer künstlich aufgezüchteten Raupe nicht zu ändern. Immerhin aber lassen sich mancherlei leichte Beeinflussungen in der Farbenausstattung wahrnehmen, indem sich zwischen Raupen der Zimmerzucht und den davon in der Freiheit gelassenen Nestge- nossen, Färbungsdifferenzen entwickeln, wie ich dies an den Raupen von Phalcra Btwephala, dem sog. Mondvogel, bemerkte. Ausser- — 48 — dem zeigen diese Raupen, je nachdem sie auf Linde, Eiche oder Weide leben, einen leichten Wechsel des Kolorits und der Zeichnung, und bei Brahestad in Nordfinland fand ich ihre gelbe Streifung fast ganz verschwunden und die schwarze Färbung bei weitem vorherr- schend. Aber selbst das eintönige Grün der Smerinthns- Raxijßen erleidet Modifikationen, je nachdem sie auf Weide, Pappel oder Espe aufwachsen, und eine nach dieser Richtung thätigere Aufmerksamkeit wird massenhafte Beispiele direkter leichter Einflüsse ergeben. Die Stud. deuten die variirenden Pinastri-B,ai\\^eu, bei welchen sowohl die Subdorsale wie die Suprastigmale im erwachsenen Stadium kontinuirlich vorhanden sind, freilich konsequent als Rückschlag auf die „primäre" Form, während solche Raupen wahrscheinlich von Zweigen mit langen Nadeln stammen werden. Vielleicht auch, dass diese Raupe sich verschieden kolorirt, je nachdem sie auf Kiefer oder auf Fichte lebt. Immerhin wird auch unter Individuen einer Brut die unter möglichst gleichen Verhältnissen aufwächst, noch eine gewisse Variabilität bestehen, geringer oder grösser je nach der Art, und dergleichen wird ungefähr so zu beurtheilen sein, wie die ver- schiedenen menschlichen Konstitutionen, Körperverhältnisse, Gesichts- züge, Teints, Augen- und Haar-Farben. Die vorstehenden Betrachtungen über direkte Lichteinflüsse auf den Hautkörper, als Ursache von im speziellen Morphismus zuläs- sigen, sympathischen Färbungen, können selbstredend nur einen pro- visorisch hinweisenden Werth beanspruchen. Die Begründung muss experimentuell gesucht werden, wenn in Wallaces Theorie nicht etwa bereits giltige Grundlagen geboten sind. Weismann flüchtet bei absonderlichen Färbungen einfach hinter den bequemen Zauber des Rückschlags, obschon solche Citation auch selektionstheoretisch widersinnig ist. Denn jeder Rückschlag würde einer Organisations-Umklappung gleichen, und allemal eine Form in eine Umgebung hineiusetzen, wo sie ihrer Untauglichkeit halber längst ausgemerzt, unhaltbar geworden sein soll. Um so rascher und imfehlbarer müsste nun aber jeder Rück- schlag alsbald unterliegen, wenn schon der winzigste Fall von Variabilität von der Auslese verarbeitet würde. Damit müsste aber die Neigung zu weiteren erzväterlichen Rückfällen innerhalb der stets korrigirten avancirten Descendenz sehr bald völlig erstickt sein, könnte nicht wie die Selektionstheorie durch W. wieder ver- kündet, oftmals mit zwei- bis dreistufig phylogenetisch-ver- alteten Wämsern auf dem modernen Markte des Lebens einschneien. Hierüber später mehr. — 49 — Die Schlüsse auf die Phylogenese tlurcli W. beginnen ungefähr mit der Angabe: es sei sein Ziel, die Anschauung Fritz Müllers und Haeckels, die Ontogenese biete eine kurze Rekapitulation der Phylogenese, durch die Entwicklungsvor- gänge der Raupe zu bestätigen. „Geleugnet solle nicht werden, dass die im Alter zuweilen „etwas veränderten Lebensverhältnisse der Raupe, eine neue Anpas- „sung derselben erforderten, im Allgemeinen aber blieben sich die „äusseren Verhältnisse während der Raupenentwicklung so sehr „gleich, dass wir eher eine völlige Gleichheit der Zeichnung „während der ganzen Raupenzeit erwarten könnten, anstatt der that- „ sächlich vorliegenden grossen Verschiedenheiten." Von einem Verkünder der Selektionslehre, einer Lehre, welche die kleinsten Einfluss- und Struktur-Differenzen sich zu Artenspal- tungen akkumuliren lässt, ist dies schon im Generalen ein selbst- dcmentirender Ausspruch. Aber auch thatsächlich ist den Studien hierzu kein Recht gegeben, schon nach dem Entwicklungsbilde nicht, das uns der Mensch und jedes Säugethier, von der Geburt an bis zur Reife bietet, und das man meines Wissens noch nicht als Reka- pitulation der phylogenetischen Stammesgeschichte zu behaupten ver- suchte, obschon Weismann dies müsste. Allein das Heranwachsen der Raupe oft bis ins tau- sendfältige Volumen ihres ersten Erscheinens am Blatt oder innerhalb der Gewächse, während diese inzwischen nahezu in gleicher Grösse und Struktur verbleiben, bietet relativ ganz wesentliche Veränderungen der Verhältnisse für die Raupe, so dass man habituelle Wechsel derselben schon verständlich findet. Weit weniger aber verstehe ich, warum z. B. die immens heranwachsende Raupe von Chaer. Elpenor nicht das schmal- blättrige, schwachrankige Futter ihrer Jugend verlässt, und sich nicht an grossblättrige Pflanzen begiebt? Sie allein soll der grausamen Selektions- Mechanik unaufhörliche Jahrtausende hindurch, trotz allem Farbenwandel als Auslesematerial dasitzen bleiben, bedornt, hellgrün, dunkelgrün, streifig, braun, dunklerbraun, schwarz, ciselirt, schweinsköpfig und augenglotzig geworden sein aus endloser Anfeindung und Lebensgefahr — aber beim Appetit, bei der Treue zum Galium und Weiderich verharrt sie unentwegt alle die unübersehbaren Zeitperioden hindurch, wo doch nachbarlich allerhand grossblättrige Vegetation schützender winkte. Und auch die Labkraut- und die Weiderich-Arten müssten nach Geschmack und Form eine ähnliche Unwandelbarkcit bewahrt 4 — 50 — haben, so dass die Selektion lediglich mit der Nutzbarmachung ' der Subdorsalzeichnung der Raupe beschäftigt gewesen wäre. j "Wir kommen auch hierauf später zurück und w^erden erkennen, dass in dieser Gegend das Grab der Selektionslehre überhaupt be- reitet ist. "Wenn "W. nun daraus, dass die Subdorsale bei Ch. Porcellus (vermeintlich) ein Häutungsstadium früher als bei Ch. Elpenor auf- tritt, den Nachweis finden will für die beiderseitige Ererbung dieser Zeichnung von gleichen Voreltern, die nun auf die Jugendstadien zurückgekehrt sei, und zwar bei der einen Jüngern Art weiter zurück wie bei der andern, so erinnere ich hingegen daran, dass ich Weis- manns ältere Art umgekehrt als die jüngere im Sinne der Stu- dien nachwies, weil sie, Ch. Elpenor, vollständiger, früher und längere Zeit als wie Ch. Porcellus die entwickelte Tracht des Reife- stadiums besitzt, und dass diejenige Art, welche vom Ei an den Sub- dorsalstreif zuerst erhalten haben soll, Ch Porcellus, überhaupt auch eine Häutung weniger abwickelt als Ch. Elpenor, der Streifen also von beiden Arten durch gleichviele Umbildungsphasen getragen würde. Ausserdem erscheint diese Zeichnung bei Ch. Porcellus alsbald „sehr breit, viel auffallender als in irgendwelchem Sta- dium bei Ch. Elpenor," und hierin scheint mir verständlich an- gedeutet, dass sie auch früher sichtbar werden muss, während ihre breitere und schärfere Markirung für Weismanns Theorie nicht passen will, denn phyletisch jüngere, entwicklnngsvorgeschrittene Formen müssten diese Subdorsale matter tragen als die pri- märe Form, umsomehr wenn letztere, wie es bei Ch. Elpenor der Fall ist, auch an Körpergrösse bedeutender wäre. Schliesslich spricht die durchgehende Differenz der Hornausbil- dung und das alleinige Vorhandensein von Schrägstreifung bei der grünen Porc€llus-R7i\\\)e, gegen einen phylogenetischen Zusammenhang dieser zwei Raupenformen im Sinne descendenzlicher Transmutation. Ihre Organisation muss trotz habitueller Aehnlichkeiten spezifisch durchaus verschieden basiren, wie ja auch die Imagincs bei näherer Betrachtung der Einzelnheiten sich in allen Punkten unterscheiden. Für einen Transformirungs - Zusammenhang zwischen Ch. Por- cellus und Elpenor erübrigt also nicht die geringste Induk- tion und theoretische Logik. Und wenn die Stud. nun in Be- tracht der, auch in der Gruppe der Macroglossini, Smerinthini und Sphinxe, theils durch alle theils nur in wenigen Stadien deutlich oder schwach vorhandenen Subdorsallinie „mit Sicherheit auf der Er- klärung fussen, dass uns damit eine Reihe von Bruchstücken aus — 51 — dem phyletisclieii Entwicklungsgänge der Sphingiden-Zciclnuing über- haupt vorläge, und dass diese von einer Grundform der einfachen Subdorsale ausgegangen und sich dann nach verschiedenen Seiten ausgebildet habe, während gleichschrittig damit die älteren phyle- tischen Stadien immer weiter zurück, in immer jüngere ontogenetische Stadien geschoben wurden, bis sie selbst in den jüngsten Stadien nur noch als schwache Andeutung aufgetreten oder ganz eliminirt seien," so hat das wohl einen geAvinnenden Klang, zu welchem aber alle Harmonie der Thatsachen fehlt, wie ich bereits erörterte und noch vielfach zeigen werde. Dem hierauf folgenden Lehrsatze Weismanns: „die Ontogenese „der Raupenzeichnung sei eine zwar mehr oder weniger stark ge- 'kürzte, aber kaum gefälschte "Wiederholung der Phylogenese," man- gelt sonach jeder verlässliche, induktive Anhalt. Wie schon erwähnt, ist der Subdorsalstreifen eine Gemeinzeichnung von sehr vielen unsrer bekannten Raupen, und die verschiedensten Gattungen hindurch von Argynnis Paphia, dem Silberstrich an, bis zum zwerghaften Ginster- spauner, Evpithecia Nanata, vertreten. Selbst an den mottenartig innerhalb von Gehäusen leben- den F.pichnopteryx-^öx\\)ü\&L\, wie an den grössern Sackträgern unserer Zone und an den Riesen der tropischen Sackträger, findet sicli diese den Studien „wichtige phyletische" Streifung vor. Aber diese Sackträger-Raupen ziehen sich bei der geringsten Erschütterung oder Berührung sofort in ihr Gehäuse zurück, ragen beim Fressen überhaupt nur mit den gezeichneten Brustringen hervor; dennoch ist kaum eine andere Raupenfamilie mehr von allerhand Ichneumoniden heimgesucht, als gerade die sacktragenden aller Gattungen. Welche Qualität von schützender Anpassung durch Zuchtwahl bliebe hier wohl übrig, wo die Quantität der schutzgezeichneten In- dividuen doch überwiegend der „Auslese" erliegt. Die Pensionäre der Natur werden durch variable Punkte und Streifungen schwerlich einseitig irritirt und existenzgefährdet; sie stechen und beissen zu, gleichviel ob Subdorsallinien von uns als täuschende taxirt werden, ob Hornstacheln drohen oder glotzäugige Rüsselköpfc sich blähen. Die Mücke im öden Lappland z. B. ist auf Brillengläser gewiss nicht durch Zuchtwahl abgerichtet und talentirt Avorden. Dennoch aber weiss jede derselben, Avelcher der Zufall einen bebrillten Men- schen zuführt, sofort den sichersten Platz vor Angriffen zu finden, indem sie beharrlich hinters Brillenglas strebt. Ihre List besiegt jeden Schleier durch Auffindung von Lücken, und je beharrlicher 4* — 52 — unsere Abwehr, desto erfinderisclier ist die Mücke in der Auswahl gedeckter Auflugspunkte. Mit ähnlichem Verständniss wird auch die schütz- oder trutz- gefärhte Raupe von ihren natürlichen Feinden erkannt und erbeutet werden. Für eine schützende Wirksamkeit der Raupendekorationen den Konsumenten gegenüber, bietet sich uns keinerlei reales Erkennen und Vermuthen dar. Augenscheinlich sind die mit dem Wachsthum der Raupen verbundenen Umwandlungen mit dem Entwicklungsvor- gang uaturnothw'endig verknüpft. Es sind Reifevorgänge. Denn ebenso wie jeder Grashalm, jeder Baum, überhaupt jede Pflanze in jedem Stadium des Erscheinens, des Aufwuchses und der Reifezeit bestimmte Farben- und Formen -Aenderungen aufweisen, ohne dass vernünftigerweise an ein allmäliges Zurückrücken der Reifestruktur und Färbung bis auf die Keimstadien, z. B, der Eiche, oder der Kartoffelstaude, oder der Weizenähre gedacht oder geglaubt wird, ebenso rangirt jedes Stadium der Raupenzeichnung inhärent der organischen Ordnung, innerhalb welcher sich das Wachsthum und die Entwicklung vollziehen. Die naturgemässen Verbindungen des Organismus zu seiner Um- gebung regeln oder modifiziren auch das Hervortreten gewisser Zeich- nungs- und Färbungsbilder auf der Hautfläche der Raupe, schliessen es ganz oder theilweise aus. Das von W. behauptete Zurückrücken komplizirter Dekorationen aus dem Eudstadium in friihere Stadien der Ontogenese, widerstrebte den Selektionsvortheilen selbst. Denn wenn die natürliche Auslese alles und jedes herstellen und relativ fixiren soll, wie dürfte sie sich bunte Farben der ausgewachsenen Raupen bis ans Ei und schliesslich noch ins Embryonale hineinschieben lassen, die nach dem Aus- schlüpfen alsbald in die Augen fielen? Für die ersten Stadien be- dürfte sie doch ganz unscheinbarer Räupcheu, wie solche auch zuallermeist wirklich vorhanden sind, aber jedenfalls nicht durch Selektion. Der Selektionsbegriff gestattet keine nebelhafte Giltigkeit und Ausführung seiner Züchtungssummen. AVo der Organismus kraft der natürlichen Auslese stünde ^ da müste seine Qualifikation zu den Beziehungen seiner Umgebungen komplett sein. Denn nur kraft der Selektion wäre jeder Organismus das was er ist, und auch die variationslose Eintönigkeit der jungen Raupe genösse sie dank der Selektion. Logisch hierzu klingt wenigstens die, von den Studien aber kritisch und unacceptirt zitirte Meinung Würteubergers : dass die — 53 — Selektion allein wieder es wäre, welche die in einem vorgeschrittenen Lehensalter neu erworbenen Veränderungen, weil sie nützlich seien, hei ihren Nachkommen mittelst immer früherer Vererbung, in immer frühere Wachsthumsstadien zurückführe. Bei einem Bekenner der Selektiouslehre halte ich die Voraus- setzung des unausbleiblichen Vorhandenseins der natürlichen Auslese allerorts und allezeit, für ganz unerlässlich. Aber auch vom sepa- raten Standpunkte Weismanns aus ist die Annahme verboten, dass im Verlaufe eines Raupenlebcns dem letzten Stadium Spezialnützlich- keiten akkumuliren sollen, die sich dann hinterher erst, auch als passend für alle Stadien herausstellten, und diesen nun ebenfalls noch zugeschoben werden müssten. Warum hätte die Selektion diese Nützlichkeiten den jüngeren Stadien denn bisher vorenthalten sollen, bezeichnet W. doch aus- drücklich den ganzen Verlauf eines Raupenlebens als im Allgemeinen sehr übereinstimmend ! Jedenfalls wäre es eine merkwürdig verkehrte Praxis oder Me- chanik von Selektion, wenn sie den (variablen) Jugendphasen der Raupen das lebensnöthige Habit nicht direkt zuschnitte, sondern je kleiner desto länger auf dasselbe warten Hesse. Auf der guten Versorgung der jungen Phasen ist doch zugleich die Existenz der älteren in erster Linie begrün- det, und nimmermehr lässt sich verstehen, wie die Zuführung weiter nöthigen Schutzes abhängig sein soll von einem rückwirkenden Drucke neuer Schutzerwerbungen im Endstadium. Müssten und könnten die Stadien der jungen zarten Räupchen viele darwinistisch-lange Zeitfolgen hindurch auf die gelegent- liche Auslese zufälliger Rückführungen von nützlichen Akkumulationen aus dem Endstadium warten, — dann kämen dergleichen sekundäre Zuführungen für die Existenzfrage gewiss viel zu spät an. Weismanns bez. Annahme ist also ohne praktischen Sinn. Die vorhandenen Thatsachen liefern aber überhaupt nicht die erforderlichen Konsequenzen, weder für nützende noch für in- differente Rückleitungen. Denn in der Raupen-Ontogenese, wo also erstens die zeitherige avancirende Auslese über die jungen Entwicklungsstadien mit ihren Schutzstufen hinweggegangen wäre, und dann auch jedesmal wieder eine korrigirende Selektion der Rucks chiebung der neuesten Nützlichkeiten theils längst durchgeführt theils im Gange sei, was nach W. (S. 73) sehr schnell und beschleunigt geschehen kann, finden wir die kleinen Rau- pen, trotz der ihnen, je nach den aufgestellten phyletischen Phasen, — 54 - fünf- bis siebenfach gewordenen Sei ektions - Reinigung , unendlich mehr gefährdet als die erwachsenen Stadien. Trotz ihrer Unscheinbarkeit und Kleinheit gelangt wohl kaum ein Prozent dieser „korrigirt angepassten" Wesen zur Abwicklung ihrer „phj'letischen" Phasen, Im Gegentheil, gerade in den jüng- sten Stadien ist die Raupe, durch Blatt auf Blatt absu- chende kleinere Feinde aus der Insektenwelt am meisten ge- fährdet und selbst die Eier der sie später aufzehrenden Schmarotzer- larven werden ihr meist jung eingesenkt. Wie viele gesunde Eier legt das Schmetterliugsweibchen sorgfältig an die bestimmte Nahrungs- stelle der Raupen, und wie verhältnissmässig wenige der auskom- menden Raupen entkommen den vielen direkten Nachstellungen und gelangen kaum bis in die mittleren Aufwuchsstadien. Und dieser ausserordentlichen Vernichtung der Jugendstadien begegnen wir bei jedem vorhandenen Organismus, desto reichlicher viel- leicht, je mehr das Endstadium von dem Jugendbilde abweicht, je mehr also Weismannsche „Abänderungs wellen" vor- und rückwärts darüber hingeglitten wären. Wir finden also auch hier nur Widerlegungen der Selektions- lehren selbst, wie auch der W. sehen Hj'pothese eines korrigirenden Rücklaufs der Auslese. Wenn nützliche Eigenschaften einer erwach- senen Art in der Verei'bung immer etwas früher aufträten, dann müsste das Reproduktionsvermögen schon längst und allenthalben wieder bei den ersten Ständen der Arten an- gelangt sein. Denn für jede einzelne Art bildet dies zunächst die primär nützlichste Eigenschaft im Kampfe ums Ba- sein für ihre Domination. Ausserdem liegt hier ausser der termin- lichen Variation auch eine individuelle Neigung zur Rück- schiebung wohl allgemein und beharrlich vor, und die trotzdem nach vor- und rückwärts im Wesentlichen unverrückbare Ge- setzmässigkeit der Pubertätstermine, zeugt aufs Neue ganz energisch gegen den mechanischen Sieg von Selektionsvorgängen. Die Studien folgern nun aus der Entwicklung der Raupenzeich- nung, z. B. aus dem Vorhandensein von enger Schrägstreifung bei jungen SmerintJius-'Rimi)c\ien von etwa 1 Centim. Länge, „wo von „Nachahmung eines bez. Blattes nicht die Rede sein könne," dass ein Zurückrücken der neuen Charaktere bis zu einem gewissen Grad unabhängig sein müsse vom Nützlichkeitsprinzip, und anerkennen, dass es vielmehr durch die Bilduugsgesetze innerhalb eines jeden Organismus verursacht werde. Diese bestimmten bei segmentirten Thieren die Neigung, die gleichen Charaktere auf allen Segmenten zu wiederholen. — 55 — „Die jungen Smerinthus -Uäni^chen würden clurcli die Scliräg- „ streifen nicht etwa auffallender, da sie überhaupt nur bei scharfem „Zusehen zu erkennen seien, und darin müsse der Grund liegen, „warum dieselben nicht durch Naturzüchtung entfernt worden seien; „denn indifferente Charaktere würden gänzlich unabhängig von „irgendwelchem Nutzen in dem Maasse immer mehr nach rückwärts „verschoben, in welchem sie durch noch später hinzutretende Cha- „raktere gewissermassen aus dem Endstadium der Ontogenese „„ver- „ drängt"" würden." „Es müsse dies ein rein mechanischer Prozess sein, beruhend auf „jenen inneren Bildungsgesetzen, deren Wirkung wir zwar bemerkten, „ohne sie doch schon näher begründen zu können." Zunächst sei bemerkt, dass die Konsequenzen dieser Lehre in ihren Beziehungen zu den geistigen Gebieten der „fortschreitenden" Menschheit, nur höchst deprimirende sein könnten, und dass sie in deutlichem Widerspruch mit den vermeintlichen Akkumu- lati onsleis tun gen der Selektion selbst stehen. Denn jeder neue Hinzutritt zur menschlichen Begriffsstaffel be- deutete dann auch einen Verlust rückwärts liegender, älterer Quali- fikationstlieile; unsere Leistungsfähigkeit bliebe relativ statisch, aller Fortschritt in den Beziehungen zur Aussenwelt erfolgte nur in Pa- rallelstufen gleichwerthig zum Verlust, und de facto blieben alle Ver- hältnisse und Leistungen gegenseitig stabil. Ein Zurückführen von geistigen Qualifikationen der denkkräftigen Altersstufe der Menschheit auf jüngere Altersstufen, würde auch mit sich bringen müssen, dass die Begriffe gereifter Jahre bereits in physisch unreifen Stadien funktionell würden; und wenn einstmals das initiative Mannesalter in irgend einer Weise rückwärts rückte, so müsste die Zunahme solchen Rückschritts die bisherigen geistigen Leistungen immer weiter in die Jugend zurückdrücken. Schliesslich rekapitulirte das Windelstadium den einstigen Philosophen, während das Mannesalter wieder zum Barbarismus gelangt wäre. Aber lassen wir diese Betrachtung sonderbarer Konsequenzen bei Seite, so muss es uns speziell zur Sache ganz merkwürdig vor- kommen, mit welchen Apparaten die Studien hypothesiren müssen. Hier auf Seite 71 ist ihnen die „eigentliümliche" Erscheinung des Rückschreitens neuerworbener Charaktere so ganz zweifellos, dass sie den Satz formuliren: „Veränderungen, welche im Endstadium der „Ontogenese entstanden sind, haben die Tendenz, sich im Laufe der „phyletischcn Entwicklung allmälig schrittweise, gleichwie die erste „Feststellung des neuen Charakters im Endstadium bewirkt wurde, „nach rückwärts auf die jüngeren Stadien zu übertragen." — 56 — Und auf Seite 44 fanden sie das „Postulat der Theorie in den Tbatsachen bestätigt": „dass irgend ein Stadium am leichtesten auf „die phyletische Stufe des vorhergehenden Stadiums zurückschlage, „dass somit am häufigsten Raupen, welche ausgewachsen dem VII. „phyletischen Stadium angehören, auf das YL, viel seltner auf das ,,V. Stadium zurückschlügen." Welche Stürme müssten nach solchen Theorien den Organismus durchwühlen, welches Chaos müssten die hin- und widerzerrenden Tendenzen : 1) des Selektionsfortschritts, 2) der Vererbung, 3) der Kreu- zung, 4) des Rückschlags, 5) des Zurückschiebens, in der Morphosis jedes Wesens darbieten! Und das soll „Monismus" sein, wo wenigstens fünf Geheim- Mechaniken hinter der Wesenbildung durcheinander rasseln? Man muss gestehen, Muhameds „Allah il Allah" kommt uns monistischer vor, als diese vielfachen Räthselkräfte eines darwinistischen „Natur Systems", Hier liest die Selektion zuerst das Beste heraus und macht das Individuum zeugungsfertig; aber die Kreuzung wirft alles wieder durcheinander. Nun wird die Vererbung gut beschickt, damit sie das „Ausgelesene" für das Kind und nicht erst launisch etwa für den Urenkel mit einfüge oder gar selbst verschlucke, wie es oft geschieht. Viertens und fünftens kommen dann die Rück- schiebungstendenz und die Rückschlagsschaufel, und rücken und schleudern der Selektion die schöne fertige Waare immer wieder hinter, zwischen die immer wieder ausmerzenden entsetzlichen Gabeln. Und bei alledem mehrte sich das „Bessere" nicht, würde nichts prämiirt, sondern immer tadelt der Markt, keine Sorte wird muster- giltig, und ewig bleiben die Differenzen der „fehlerhaften" Allgemeinheit einander proportional — freilich wie ich es betrachte, in beglückender Ordnung und Balance. Man sieht, welche Hülfsmittel der Selektionslehre bereits zuge- sellt werden müssten, um die Einwände der Thatsacheu zu beschwich- tigen. Allein darüber möchte wohl kein Zweifel bestehen, dass die reine Selektionsautouomie Darwins, die Organismen keinen Moment seit ihrer ersten Gestaltung sich selbst oder ausserselektiven Einflüssen überlassen könnte. Alles was vorhanden, was biomorphologisch und intellektuell ist in organischen Körpern, das hätte diese Selektion allein ausgelesen und gehäuft, und kein Gesetz der Vererbung, keine Vererbungs - Va- riabilität, kein Korrelationshader, keine Rückschlagslaune könnte sich irgendwann plötzlich dualistisch agirend einnisten in die Moleküle, — 57 — welche die Selektion allein ausgelesen, gesammelt, geformt und auf- geadelt hätte bis zum ersten Aufblitz der Intelligenz. Wo eine auftraglose Formgebung sozusagen jungfräulich bis zur Fertigstellung des Repro du ktions- Apparat es gelangte, und das Reprodukt wieder mit dem primären Stofflichen seiner Urvater Schaft sich zu bilden begönne, da könnte nur ein uni- ziter Strom des Bestandes hindurchflicsscu , und nur das eine Gesetz gelten, welches der Organismus selbst ist, in seiner keuschen Phylogenie. Vertragen die organischen Erscheinungen solche Logik nicht, so ist die Selektionshypothese bereits widerlegt. Und sie vertragen sie nicht, schon allein nicht, weil 3) das Individuum sich nicht in identischer Form fortpflanzt, 2) weil das Individuum sich fortpflanzt, 1) weil das Individuum vorhanden ist, wie ich hinten näher ausführen werde. Die Studien gelangen also durch das Vorhandensein von Schräg- streifung bei noch sehr kleinen Raupen zur Anerkennung innerer Bildungsgesetze, deuten sie aber als eine mechanische, durch Ver- erbung erfolgende Zurückschiebung von nützlichen Charakteren der erwachsenen Stadien, auch bis in diejenigen, wo sie indifferent seien. Wie ich oben anführte, mangelt für solche sowohl zweck- wie motorlose Formbewegung rückwärts der Selektionsbahn, jeder natürliche Begriff und jede Erklärung innerhalb der von W. selbst vertretenen Theorien; noch viel weniger gestattet mir mein eigner Standpunkt das Einverständniss mit solcher, allenthalben an- stossenden Erklärung. Schon allein daraus, dass das Puppensta- dium immer erst nach einer bestimmten Anzahl von Häutungen, die den Verlauf der naturgesetzlichen Reifezeit begleiten, eintritt, und begreiflich auch nicht früher eintreten, nicht zurückgeschoben werden kann, erkläre ich mir den Zwang auch für die Umfärbungser- scheinungen; sie werden nicht ohne Zusammenhang mit dieser in- neren Entwicklung verlaufen. Das Wachsthum der Raupe an sich allein bedingt keincsAvegs die Häutungen, denn diese vollziehen sich reichlicher in den schwachen Aufwuchsperioden als wie in den lebhaften, und innerhalb der rapiden Grössezunahme des . letzten Stadiums, wo auch der Nahrungskanal bedeutend an- wächst, erfolgt kein Hautwechsel bis zur Verpuppung. Sonach wird es klar, dass die Entwicklungsphasen hauptsächlich auf den inneren histogenischen Perioden der Körperstoffe beruhen. — 58 — Die Studien glauben sich für ihre Rückschiebungstheorie einen Motor herzustellen, indem sie, selbst entgegen Haeckels logisch rich- tiger Meinung von der Stetigkeit der Anpassung, erklären: bei den Raupen träte im Thierreich die Ausnahme ein, dass neue Charak- tere in der Regel nur bei der ausgewachsenen Raupe hinzukämen. „Die mit dem Alter der Raupe zunehmende Komplikation der „Zeichnung," erklären sie S. 73 gesperrt, „lasse sich kaum anders „deuten, als dass stets am Endstadium der Ontogenese die neuen „Charaktere hinzugefügt würden." Welche merkwürdig selbstvergessende Deutung ist dies zunächst von den „Studien", die nur wenige Zeilen vorher ebenfalls im Fett- druck erklären: „neuerworbene Charaktere würden aus dem End- „stadium nach rückw'ärts verschoben, gewissermaassen „verdrängt in dem Maas se, wie die Neuerwerbungen hinzu- träten." Wo sollte nun die jetzt gelehrte Anhäufung der Charaktere im Endstadium herkommen? Nun lege man sich aber z. B. die — zum Theil induktiv be- irrend vergrösserten — Weisraannschen Raupenbilder Fig. 22 und 23, 43 und 44, sowie 59 und 60 vor, w'elche zu je zwei ungefähr die an einem und demselben Orte vorkommenden Formenextreme zwischen den betreifenden Raupenarten darstellen, und nun frage man sich gewissenhaft, w^elches Fleckchens oder Pünktchens wegen eine oder die andere der konkurrirenden Raupen vor ihren Feinden verborgen oder preisgegeben, gefressen oder verschmäht bleiben könnte, so dass dieses individuelle winzige Zuviel oder Zuwenig entweder zur Austilgung käme, oder zur Vererbung erhalten bliebe. Und dazu vergegenwärtige man sich, dass die Anfeinder doch wirklich nicht von der Auslese solcher einzelneu Varietäten einer Art leben kön- nen, sondern ihr Augenmerk, ihre erhaltungsverantwortlichen Sinne nach den verschiedensten Koloraturen und Daseinsmerk- malen ihrer verschiedenen Nahrungsobjekte richten werden, dass nicht einmal weder das Auslesetalent noch der Aus- lesegeschmack ein und derselben Feinde einer Art gleich sein wird, noch gleich sein darf nach darwinistischer Theorie, geschweige denn dass die „Auslese"- Manier der verschiedenar- tigen Feinde einer Art ein und dieselbe Richtung haben werde; dann bedenke man, dass das ganze, nach W. den Schutz- erwerb akkumulirende Endstadium, in jedem Jahre bei uns durchschnittlich kaum eine Woche existirt, dass ferner weder für die Sicherheit noch für die Zulänglichkeit der Vererbung einer verschont gebliebenen Markirung irgendwelcher praktische, nocli — 59 — theoretische Verlass vorhanden ist, weil es sonst bereits hinter nn- auffindbare Eanpcn geben müsste, und man wird einsehen, dass sich der Vorgang der „natürlichen Auslese" den Avirklichen Verhältnissen gegenüber ganz unmöglich be- greifen las st. Weismann aber „ertappt (S. 73) die Natur gewissermaassen auf „der That, wie sie im Begriff sei, einen neuen Charakter, wenn auch „noch mit einiger Unsicherheit, hinzuzufügen." Er meint hierbei die rothen Flecke, welche bei den Sme- riwf/iws - Raupen im letzten Stadium in der Umgebung der Schräg- streifen vorkommen; und nach dem Auftreten derselben scheint es allerdings, als ob die Natur nichts davon wüsste, dass Streifensäume daraus gemacht werden sollen, wie die Stud. bereits kalkuliren. Denn wie uns diese S. 48 mittheilten, trat bei ihrer einzigen Zucht von Smerintlius Popidi unter 90 Individuen nur ein einziges Indi- viduum bereits im III. Stadium mit solchem Fleckenpaar auf, und dieses befand sich lediglich auf dem 6. Segment. Und nach der nächsten Häutung beobachten sie abermals nur bei einer Raupe, und zwar nun bei einer anderen als vorher, die rostrothen Flecken, und wieder auf dem 6. Segment 0. Im nun folgenden letzten Stadium fehlten vielen Raupen rothe Flecken ganz, andere besassen solche, aber nur klein und wenig leb- haft, noch andere zeigten zwei Flecken übereinander, „die auch zu- „sammenfliessen können imd dann eine bedeutende Grösse erreichen." Niemals aber wurden sie zu einem Saume der weissen Schrägstreifen. "Was wir aus diesen, theilweis etwas unbestimmten Angaben er- kennen, reicht doch aus, um es als werthlos für die Theorie Weis- manns zu finden. Um es kurz zu sagen, so ist es dies, dass wenn „eine Rückschiebung allmälig in denselben Schritten ge- schehen sollte, welche die erste Feststellung des neuen Charakters im Endstadium der Ontogenese herbeiführten," dann könnten bei /Sm. Populi nicht bereits im III. Stadium einzelne rothe Flecke auftreten und darnach wieder verschwinden, denn diese Flecke treten noch zwei Stadien weiter sehr variabel auf oder fehlen gänzlich; wären demnach h i e r n o c h k e i n e s - wegs „festgestellt." Gegen eine Rückschiebung überhaupt zeugen die Raupen von Smcr. Tiliae und Populi. Denn bei ersterer zeigte, trotzdem dass unter einigen achtzig Individuen einzelne den i) Es ist dies das erste der vier, durch Fusswiilste verdickten Bauchsegmente! — 60 — rothen Flecken strichartig langgezogen trugen, im vorhe- rigen IV. Stadium doch nur eine Minderzahl rothe Flecke, und das III. Stadium erschien ganz ohne solche. Es kann aber die hypothesirte Eückschiehung nicht vorhanden sein, wenn die bei der Farbensaumbildung „bereits angelangte" Form Tiliae im III. Stadium dennoch keine Flecke zeigt, wie die solcher Bildung doch ferne Populi. Und es ergiebt sich andrer- seits, dass die Farbenpunktirung der Populi im III. Sta- dium keine Rückschiebung ist, wenn sie später wieder verschwindet, ohne dass im Endstadium etwas Neues zu- rückdrängte. Ueberhaupt sehe ich soeben viele lebende Raupen von Sm. Po- puli vor mir, welche die rothen Flecken auch auf Segment 1 — 3 führen, wo keinerlei helle Querstreifung vorhanden ist, die schattirt werden könnte. Auch stehen die zwei Reihen solcher lebhafter rother Punkte an verschiedenen Seiten der hellen Schrägstreifen: in der obern Reihe vor denselben, in der unteren Reihe hinter denselben als Einfassung der Luftlöcher, könnten sich denniach nicht zu einem Farbenstreif verbinden, sondern ihre Verlängerung würde eine rothe Doppeleinfassung der hellen Schrägstreifen bilden. Wo diese Flecke lebhaft vorhanden sind, da färben sich auch die Kopfspitze, die Hornbasis, sowie die Fussränder in rothe Kouleur. Ucberdies wiederholt sich die helle Schrägstreifung der Seiten als abgesetzte und gebrochene Fortsetzung derselben nochmals zwischen Luftlöchern und Füssen mehr oder weniger scharf, und die Flecke in ihrer oft recht breiten, kan- tigen Form, machen keineswegs den Eindruck, als würden sie sich durch Zuchtwahl zu „Schlagschatten-Streifen" ausbilden. Interessant ist noch, welche „theoretischen Schlüsse" W. alsbald angedeutet findet aus dem zweimaligen einzelnen Auftreten eines rothen Fleckchens auf Segment 6 unter je 90 Raupen (S. 49). „Es erscheint ihm von Wichtigkeit über erstes Auftreten, Häufig- „keit und lokale Beschränkung der Flecke Beobachtungen anzustellen. „Wahrscheinlich würden sich grosse Verschiedenheiten ergeben, da „im letzten Stadium gerade diese Charaktere eine grosse Variabilität „zeigen. LTm so auffallender aber wäre es, wenn sich herausstellte, „dass das früheste Erscheinen der Flecke sich stets auf ein be- „stimmtes Segment beschränkte. Die Analogie mit dem ersten Auf- „treten der Augenflecke bei Chaerocampa, sowie der Ringflecke bei „Deilephila läge nahe." Bei „dem frühesten Erscheinen" denkt W. an das Auftreten der Flecke im III. oder IV. Stadium, das geht aus dem Platze dieser _ 61 — Erwägung am Schlüsse der Besprechung des IV. Stadiums und aus dem beziehenden Worte „stets" hervor. Indem er dies aber aus- spricht, erkennen wir deutlich, dass er hierbei abermals weder an seine eigene Theorie vom Auftreten neuer Bildungen nur im Endstadium, noch an die sich daran schliessende Hypo- these von dem Zurückschieben auf ältere Phasen gedacht hat. Er acceptirt alsbald den Flecken auf dem 6. Segment im III. Sta- dium als „frühestes Erscheinen" — und damit bin ich wohl einver- standen, — aber seiner eigenen Lehre nach könnten dies nur zurück- geschobene Flecken aus dem Endstadium sein, wozu freilich die Wandclbarkeit der ganzen Fleckenbildung im Endstadium nicht passt. Dass sich mit solchem Fleckchen bei einzelnen Individuen noch lange keine Aussichten auf Augen- und Ringflecke analog wie bei Wein- und Wolfsmilch- Schwärmern einzustellen brauchen, will ich nicht wiederholt darlegen. Wie aber die Studien (S. 70, 71) auch selbst sagen, die Schrägstreifen der Smerinthus -Raui^en, welche Blattrippen nachahmten, bewirkten in Gemeinschaft mit der grünen Grundfärbung, dass diese Raupen auf ihrer Nahrungspflanze nur sehr schwer zu entdecken seien, der Blick gleite über sie weg, so lässt sich überhaupt bezweifeln, dass solcher bereits wirksamer Schutz durch rothe Flecke verbessert werden sollte. Durch die Zuthat von rothen Flecken an den Seiten könnte die Aufhndung der Raupe unmöglich noch mehr erschwert, anscheinend eher erleichtert werden. Damit aber träte selektionslogisch wieder eine Ausmerzung der Fleckenbildung ein. Und somit meine ich, dass die Studien wohl abermals bei einem Irrthum, keineswegs aber die darwinistische Naturzüchtung „bei der Arbeit" ertappt wurde. Gewissen Wahrnehmungen nach scheinen mir Raupen von Sme- rinthus TiUae, Fopidi und OceUata im Freien und besonders auf dünnbelaubten Gesträuchen, relativ öfters mit Farbenstreifung resp. Farbenpunkten vorzukommen, als in den geringen Prozenten der W.schen Hauszüchtungen. Vielleicht hätte dies seinen Grund in den stärkeren Lichteinflüssen gegenüber denjenigen iin Zuchtkäfig, nicht etwa in der geringeren Anfeindung dieser bunteren Raupen. Das Uebereinstimmende des Auftretens solcher Zeichnungen bei zwei bezw. drei Arten, deutet aber hin auf eine morphologisch-histo- genischc Ordnung der formverwandten Organismen, während ein Se- Icktionsvorgang die öfters „Schlagschatten "-geschützte Raupe von Smer. Tiliae bereits viel häufiger am Platze erhalten müsste, als wie die von Smer. Populi und OceUata ohne solchen „Schutz". Von letzteren müssten wieder die punktirten zahlreicher vorhanden — 62 - sein, als die einfarbig gestreiften, und dieses Uebergewiclit dürfte durch gelegentliche Hauszüclitung nicht irritirt werden. Sollten uns aber die Punkte wirklich andeuten können, dass diese Raupen einst Farbenstreifen daraus erhalten werden, so wiirde diese Umwandlung ganz ohne Selektionsvorgang aus Gründen organischer Entwicklung innerhalb der Natureinflüsse zu erwarten sein. Die Darlegung der Ursachen für die Zeichnungs -Veränderungen resp. Fortschritte nur im letzten Stadium, versprechen die Stu- dien später vorzunehmen; provisorisch aber erwogen, so spräche dafür die mit der Grösse zunehmende leichtere Sichtbarkeit des Thieres und die längere Dauer des letzten Stadiums, wozu noch das Auftreten zahlreicherer Feinde träte. Käme hierzu eine Aenderung der Lebensbedingungen, z. B. die Uebersiedlung auf eine neue Futter- pflanze, so Hesse es sich begreifen, dass vor Allem die veränderte Anpassung der erwachsenen Raupe erfolgen müsse. Flüchtig überlesen, scheinen solche Erklärungen ziemlich plau- sibel, einer näheren Prüfung aber halten sie nicht Stand. W. selbst hielt noch am Anfang dieses Kapitels die Lebensverhältnisse nur zuweilen — und mit diesem Reserveausdruck dachte er hierher — für etwas andere im Alter als wie im Jugendstande der Raupen, im Allgemeinen aber erklärte er die äusseren Verhältnisse während der Entwicklung für sehr gleich, schon allein, weil niemals ein Wechsel der Nahrungspflanze vorkomme (!). „Wir sollten eher eine völlige Gleichheit der Zeichnung während der ganzen Raupenzeit erwarten," sagte er (S. 66). Wenn aber W. dort und wohl ganz richtig für die Schwärmer- raupen aussprach, dass — im Naturzustande — Seitens der Raupen niemals ein Wechsel der Nahrungspflanze vorkomme, so dürfte er doch hier (S. 74) der erwachsenen Raupe erst recht nicht zu- trauen, dass sie sich jemals an eine für sie neue Nahrungspflanze begeben imd gewöhnen werde. Mit der Verschiedenheit der zeitherigen Nahrungspflanzeureihe einer polyphagen Raupeuart steht ihre Tracht, nach selektionstheoretischer Voraussetzung, doch bereits im Anpassungsverband; also kann nur der Uebergang auf eine früher von der Art überhaupt noch unbenutzte Pflanze gemeint sein. Ein solcher Wechsel ist aber von der erwachsenen freien Raupe, und besonders selektionslogisch, nicht zu erwarten, ebenso- wenig eine irrige Eiabsetzung durch die Image. Weit eher könnte die junge Raupe, durch zufälliges Eingehen ihrer Geburtspflanze, zum Aufsuchen, Probiren und Verbleiben bei einer neuen Nahrung veran- lasst werden. An dieses Schicksal würden sich aber die deszendenz- — 68 — liehen Schwcärmei' bei der Eiablegung doch nicht im min- desten zn kehren liaben, sondern bei der alten, zeitherigen Pflanze bleiben! Ist es doch auch "Weismann selbst, dessen „Studien" später jeden korrelativen Zusammenhang der neuen Erwerbungen einzelner metamorphosischer Stadien unter einander leugnen. Wollte man dennoch behaupten, der Wechsel der Nahrung voll- ziehe sich allmälig, indem die Raupen sowohl an der alten wie neuen Pflanze gediehen, so wirkte gegen die Möglichkeit der Befestigung der neuen Pflanzonwahl durch einzelne Falter -Individuen, deren Kreuzung mit Faltern konservativer Richtung. Was einzelne Individuen abändern möchten, würde durch die Vielzahl anderer bekämpft und vereitelt. Angenommen aber, es hätten wirklich bereits mehrfache Nali- rungswechsel stattgefunden, im Sinne und nach Konsequenz der Se- lektionshypethese, so müsste man unter den zeichnungsrei- cheren Raupenformen auch die meisten Polyphagen er- warten, oder einen zyklischen Nahrungswechsel inner- halb des Aufwuchses und der Habitwechsel der Raupen, nach Maassgabe des einstmaligen Pflanzenaufenthalts, zu welchem jedes Häutungsbild das Anpassungshabit rekapituliren soll! Wir bemerken durchaus nichts derartiges von Wechseln der Nahrungspflanzen nach irgend welcher Häutung, und finden an- drerseits gerade die polyphagen Raupenmassen vieler Noc- tuen, sowie der Cheloniden, eintönig gezeichnet. Während es die mehr oder weniger nahrungsbeschränkten oder gänzlich jnonophagen Raupen der Papilionidae , Pieridae, Nymphalidae, der Sphingidae, Bombycidae, Liparidae, Saturnidae und Geometridae sind, welche färben-, zeichnungs- resp. dekorationsreich und ornamentirt vor uns erscheinen. Es besteht oder erkennt sich keinerlei P roportion und Kongruenz zwischen der Mannigfaltigkeit der Raupen- dekoration und dem Polyphagenthum, und dem Mono- phagenthum und den simpler ausgestatteten Raupenha- biten. Was nun die von W. angenommene grössere Sichtbarkeit und Gefährdung der erwachsenen Rnupe gegenüber der jungen betrifft, so zeigten uns schon frühere Erörterungen, dass die weit grös- sere Zahl der Vernichtungen die letzteren trifft. Die Taxen unserer Gesichtswahrnehmungen dürfen selektionstheoretisch überhaupt den Konkurrenzbeziehungen und den Nachstellungs- und =- 64 — "Wahrnehmungs-Talenien innerhalb der mannigfaltigen Thierwelt, nicht untergelegt werden. Ein Nahrungswechsel im letzten Stadium der Raupe ist aber am allerwenigsten wahrscheinlich, und hätte nach Zeitdauer und Anfein- dungsintensive relativ weniger Wichtigkeit für die Raupe als ein solcher im Jugendzustande begonnener, dessen Möglichkeit und Er- folg näher läge. — Am Ende unserer Sichtung der W.schen „Schlüsse auf die Phy- logenese", wurde soeben die Hypothese vom ersten Auftreten neuer Anpassungen im letzten Wachs thums Stadium der Raupe, nach jeder Richtung abgewiesen, nachdem die gegnerischer- seits beanspruchte Induktive durch die Fleckenzeichnung der Sme- rinthini-Raupen bereits als durchaus haltlos erörtert war. Es versagte ferner die Theorie einer kor rigir enden Rück- schiebungs-Selektion, weil deren theoretisch intensivste Pfleg- linge, die jüngsten Raupenstadien, bei weiten am wenigsten erhalten bleiben, und weil weder Verpuppungs- noch Fortpflanzungs- Phasen eine solche rückgleitende Tendenz erfolgreich erkennen lassen, noch organisch-funktionell gestatten. Abgesehen von einer Reihe blossgelegter theoretischer bedeu- tungsvoller Detailfehler, verlor der ganze phyletische Aufbau seinen Halt durch die Darlegung der von W. theoretisirten Absurdität, dass die Sphingidcn- Raupen überall auf der Erde nur mittelst „Schlag- schattenstreifung" durchzukommen vermöchten, während die Rau- pen der Smerinthini gleichzeitig und überall daneben ohne solchen „Schutz" häufig bestehen. Nicht minder theoriefeindlich erschien die Thatsache des viel- tausendfältigen Vorhandenseins der Zeichnungsbasis der W.schen phyletischen Stammtafel der Sphingiden, der Subdorsallinie, bei den heterogensten Raupenformen aller Zonen, selbst wenn sie innerhalb von Gehäusen leben, ohne dass sich irgendwie Bevorzugung im Schutz vor Anfeindung äusserte. Die behaupteten Logiken und Induktionen für die gleiche Ab- stammung von Chaer. JElpenor und Poixellns, sowie der Deilephila- Arten, und die phyletischen Bildungsausgänge der Zeichnungen, wur- den allseitig zurückgewiesen, und Verwechslungen und Irrthümer in der Sichtung des Induktiv -Materials aufgedeckt. Ausserdem wurde der Widersinn der Annahme einseitiger Selektionsvorgänge vorgezeigt, und überdies ein wirres Konkur- riren verschiedener Gewalten im Selektionsbaue, als unverträglich mit der monistischen Titulatur wie auch mit dem Se- lektionsbegriff selbst, beleuchtet. — 65 — In den Abschnitten Biologischer Werth der Zeichnung und Färbung gelangt zuncächst die vielseitige Anpassung, Schutz- und Schreckfarben- Ausstattnng der Raupen zu kurzer Erinnerung. Um dann dem Satz: „es sei wohl unzweifelhaft, dass die Aen- „derung der Färbung mit einer Aenderung der Lebensgewohnheiten „oinhergehe," die Anzweiflung fern zu halten, wird von W. behauptet, die braunen Raupen von Chaer. Elpenor und PorceUiis, Pterog. Oenotherae und Sphinx Convolvuli hielten sich bei Tage stets ganz unten am Boden und an dürren Aesten und Blättern versteckt. Im Allgemeinen ist dies nicht unzutreffend, namentlich für Sphinx Convolvuli, wo sich aber auch bereits die junge Raupe ähnlich ver- borgen hält. Dennoch wird das Verbergen sehr oft aufgegeben, besonders an trüben Tagen oder an weniger direkt erleuchteten 0 ert- lichkeiten, bei Pterog. Oenotherae und Chaer. Elpenor aber auch bei hellstem Sonnenschein, so dass diese Raupen oft in brauner Färbung weithin sichtbar am oberen Theile der Pflanze ruhen, während die jungen grünen Räupchen, an der Rückseite der niederen grünen Blätter verborgen, nur mühsam zu finden sind. Die Umfärbungs-Nüance solcher Raupen wird mit davon abhän- gen, wo sie sich im Stadium der Häutung aufhielten. Zumeist wird das ein dunkler Ort sein, im Schatten des Pflanzengewirres am Boden, weil diese Raupen, und namentlich zur Häutungskrisis, lichtscheu sind. Jedenfalls wird die Beleuchtungsstufe des Aufent- haltsortes zur Häutungszeit die Färbungsnüance der Raupenhaut in- soweit beeinflussen, als der spezielle Organismus für den bezüglichen Beleuchtungston empfindlich ist. Und solchergestalt werden sich biologische Qualitäten der Raupenfarben naturmechanisch und natur- angepasst von Fall zu Fall regeln. Die meteorologischen Wechsel grösserer und kleinerer Perioden werden mancherlei Einflüsse auf die habituellen Nuancen direkt, wie auch indirekt durch "Wachsthumsmodifikationen haben, nicht allein bei den Raupen sondern bei den Insekten insgemein, und die Erschei- nung begründen, dass manche Jahrgänge ein und dasselbe Insekt habi- tuell etwas abweichend von anderen Jahrgängen liefern. Leider mangelt hierüber noch ausreichend schematisirtes Beobachtungsmaterial. Wer hätte auch erwartet, dass Jemand z. B. die grüne Form der Wein- schwärmer-Raupe, die man bisher für eine gelegentliche durch Nah- rungs- oder Lichteinflüsse entstehende Varietät ansah, als „Rück- schlag" auf ein urweltliches Entwicklungsstadium hinstellen würde. 5 — 66 — Da dies durch W. aber geschehen ist, so folgen wir demselben weiter, wie er nun nach der „primären" Form sucht. Natürlich muss ihm, den öfteren Ruheplätzen der braunen Raupen gemäss, auch deren Färbung als eine sympathische erscheinen, und sie ist es ja auch im naturdirekten Sinne; nur ist die grüne Farbe nicht durch Selektion allmälig in's Braune übergegangen und das Grün nun „Rückschlag", sondern dieses hat und behält denselben uaturangepassten Werth wie das Braun. Beide Färbungen sind eine so sympathisch wie die andre, wenn die Raupe an dem Orte des physikalisch-organischen Erwerbs derselben verbliebe. Geschieht dies nicht, wandert die braune Raupe auf's lichte Grün, die grüne Raupe in's schattige Dunkel, so wird erstere, also Weismanns schutz-avan- cirte Form, unzweifelhaft aber mehr an Schutz einbüssen nach selek- tionslogischer Auffassung, als wie letztere, die „Urzeitform". Dass das Raupenlebeu solche Aufenthaltswechsel öfters mit sich bringt, ist des Entomologen willkommene Wahrnehmung. Es folgt aber daraus, dass die „natürliche Auslese" der braunen Raupe geschadet hätte, und dass es besser für sie stände, nach Selektionsbegriff, wenn sie „primär" grün geblieben wäre. Wenn die Studien von der erwachsen stets dunkel gefärbten Deilephila Vespertilio sagen, sie verändere im Stadium des Farben- wechsels von Grün in Braun die bisherige Gewohnheit oben an den Blättern ihres Futterkrautes zu sitzen, dahin, dass sie sich nun tag- über am Grunde verberge und nur des Nachts fresse, so können wir sicher sein, dass dieses Niedersteigen nicht nur Folge der Umfär- bung ist, sondern dass die Umfärbung mit durch den veränderten Auf- enthaltsort bedingt wurde. Und letzteren wird sie besonders deshalb wählen, weil das rasch vorgeschrittene Wachsthum ihr unterm einzelnen Blatte der Pflanzenspitze den gewünsch- ten Schattengenuss wie auch den sichern Halt nun versagt. Auch der für W. „lehrreichste Fall" mit Deil. Hippophaes wird ähnliche Lösung erfahren. „Diese am Sanddorn (Hippophae rhamnoides) lebende Raupenart „trägt zeitlebens nahezu die gleiche graugrüne Färbung, welche sehr „genau der Farbe ihrer Futterpflanze entspricht. Nichtsdestoweniger „sucht auch sie im erwachsenen Zustande am Tage den Fuss ihres „Wohnstrauches auf und frisst nur Nachts." W. sucht nun nach dem Grunde dieses Aufenthaltswechsels, der ihm auch bei einer Reihe Sphingiden- Raupen mit Farbenwechseln zwischen Grün und Braun entgegentritt, welche er selbst „Tag- schläfer" nennt, bei D. EuphorUae und Verwandten aber nicht, denn diese fressen auch am Tage. — 67 — Trotzdem kommt W. nicht auf den Gedanken, dass seine „Tag- schläfer" im erwachsenen Alter noth wendig den schattigen Boden aufsuchen müssen, um dem grellen Tageslichte zu entgehen, sondern er bleibt dabei, dass die Raupen nur so lange oben aus- hielten, „als ihre Grösse die eines Blattes oder Stengels nicht er- heblich überschreite," und sie nicht durch Grösse, trotz ihrer sym- pathischen Färbung auffällig seien. Also nicht das ganz natürliche bekannte Schattenbedürfniss der Raupen, sondern eine Art durch Selektion ererbtes Bewusstsein einer Gefährdung, die reine Flüchtung vor geahnten Feinden, treibe die grösseren Raupen nach dem Boden „auch dann, wenn wie bei Deil. „Hippophai's die sekundäre Anpassung au die Farbe des Bodens „noch mangle." "Wie viel zu weit her wird hier künstlich gesucht, was im natür- lichen Zwang des Schattenbedürfnisses und einer standhaf- teren Sitzstelle so er kennbar nahe liegt, und durch die Flucht auch der grünen Raupen nach abwärts geradezu handgreif- lich wird. Sind doch die Feinde der Raupen auch am schattigen Boden mindestens eben so reichlich vertreten wie oben im Licht! Und bezüglich des äusserst relativen Begriffs: „Auffäl- ligkeit", so ist einer revidirenden Ameise z, B. die grosse Raupe praktisch entschieden weniger auffällig, als wie die ganz kleine, blätterumhüllte. "Was nun die stets gleiche Färbung der Hippophaes-Rsimpe be- trifft, so wird auch diese in den Lokalverhältnissen ihres Aufenthalts ihre Begründung haben. Ich selbst fand noch keine solche Raupe lebend. Den Sanddorn aber traf ich öfters an, und aus Jäger's „Deutsche Bäume und "Wälder" geht hervor, dass dieser Strauch „auf Dünen des Strandes, an Flussmündungen und in den Alpen auf „dem kiesigen angeschwemmten Boden der Flüsse am Fusse des Ge- „birges auftritt. Hier vereint der Sanddorn sich häufig mit der Ta- „mariske und der grauen Weide, und bildet mit diesen gleichfarbigen „Holzarten ganz eigenthümliche grau und wie bestäubt aussehende „Gebüsche." „Er hat verworren stehende ausgebreitete Aeste mit „dichten dornspitzigen Zweigen, welche unten und innen immer ab- „ sterben. Sie sind dicht mit nadelartig schmalen 2 Zoll langen „silbergrauen Blättern besetzt und bilden nächst der Silberweide und „Silberpappel die hellste Belaubung." Ich will noch hinzufügen, dass die Unterseite der Blätter noch heller als die Oberseite und nahezu grünweiss gefärbt ist. Nach diesem Bilde kann es nicht zweifelhaft sein, dass die durch solche hellfarbene, gespreizte, unten und innen absterbende Vegetation 5* — 68 — hindurch, auf dünnen kiesigen Boden dringenden, von da nach der hellen Rückseite des Laubes und von hier abermals zurückgeworfenen Lichtstrahlen ganz eigenthümliche zwielicht-helle Farbentöne in grüner Nuance erzeugen müssen, so verschieden von dem meisten anderen Pflanzendämmer, dass auch die dort aufhältliche Hippojyhaes-UsLUjye meistens zu keinem anderen, als zu einem graugrünen, oder zu dem mitunter angetroffenen silbergrauen Habit gelangen kann. Gewiss werden diese zweierlei Couleurs der Hij^j^ophaes-'Räu^e durch ihre optisch - organische Erzeugung na turnoth wendig als „sympathische" zur Aufenthaltspflanze erscheinen, aber niemals werden wir diese graugrüne Hautfarbe als „die zurückgebliebene Tracht" eines einstmaligen Selektiousstadiums, sondern als eine ebenso vollkommen für die Gegenwart giltige erkennen, wie bei ihren buntesten Form- verwandten. Selbst die so auffällig gezeichnete Wolfsmilchraupe, die am Tage am Stengel ihrer Nahrungsflpanze verbleibt, trägt dennoch auf ihrer lichtgepunkteten Haut eine Art Mischkonterfei der um den Laub- und Blüthenbüschel der Wolfsmilchpflanze spielenden Lichtpunkte und Schatten, sowie des ring- gereihten Blüthenbüschels und der bald grünen bald abgegilbten Blättchen selbst. Ihre Variation wird, falls nicht durch die örtlich variirende Nah- rungspflanze direkt, in ihren wesentlichen Farbenwechseln vielleicht durch den Untergrund der Oertlichkeit bedingt. Analoge Induktionen nach dieser Richtung sind vorhanden. Nach G. H. Schnei der 's Mittheilungen befindet sich bei Neapel ein Hochplateau im Meere, das einen rothen Grund hat; und sämmtliche dort lebende Thiere sind schön roth gefärbt. Sicher beruht diese lokale Umfärbung aller dortigen Thiere auf direkten Beziehungen der Terrainfarbe zu den Organismen und ich begreife nicht, wie die Darwinianer für solche Kolonie eine ört- liche Separat-Selektion annehmen können. Wenn sämmtliche Belebungs-Konkurrenten eines Ge- bietes ein und dieselbe rothe Farbenausstattung haben, welcher Vortheil im Kampfe um's Dasein bliebe dann für die einzelne Art übrig? Soll es die Schärfe der feindlichen Farbenwahrnehmung gewesen sein , welche die dem Untergrund ähnlich gefärbten Verfolgten all- mälig mehrte durch Austilgung der unsympathisch Gefärbten, welches Sinnestalcnt leitete und erhielte nun gegenwärtig die allseitige Bcle- bungs- Proportion der Arten und Individuen, wo alle Konkurrenten gleichgefärbt sind, wo also aufs Gerathewohl nun auch die eigenen Brutgeschwister sich untereinander angriffen, da alle Farbenunter- schiede mangeln. - 69 -=. Nur der auf Seite der Verfolger unwandelbar einseitig ta- lentirte und geübte Sinn der Farben-Warnehmung und Unterscheidung könnte doch gegenüber die sympathische Schutzfär- bung bis zur Koniplettirung gefördert haben. Sobald, und das ist allerdings zweifellos, auch die Talente anderer Sinne mit aufgeboten würden, verlöre die Färbungs- Kumulation auf Grund der Selek- tion, an Werth, Handhabung und Förderung. Gewiss wird die Gesichtswahrnehmung das Hauptmoment für die Existenz der Fische bieten, aber wenn von ihr die Auslese des Geg- ners bis zur kompletten Farbenanpassung bewirkt wäre, so wäre doch auch die Barriere für die Gesichtswahrnehmung überhaupt er- reicht, jenseits welcher ihr Talent versagte, und landläufig ausge- drückt, stände nun die Selektion am Berge. Es müsste nun ein anderes Talent aufgeübt werden, das Gesichts- talent verlöre an Uebung und Schärfe, und damit würde auch die sympathische Färbungsintensive gegenüber wieder rückläufig. Wollte man die abgespielten Talente als noch fortbestehend in- tensiv erklären, „weil sie auch fernerhin nützlich oder indifferent seien," so müssten animale Wesen entstehen, die an entwickel- ter Vielseitigkeit der biologischen Talente das Mögliche er- schöpften; das egoistische Raffinement aber stände nun trotzdem in pleno „am Berge". Um nicht zu weit abzuschweifen, unterlasse ich die Besprechung einer noch langen Reihe von Gesichtspunkten gegen die Selektion, welche sich hier bezüglich der Verhältnisse der animalen augenlosen, der dominirenden, der verfolgungsfreien oder verfolgungsmatten, so- wie der vegetabilen örtlichen Organismen darböten. Ich hoffe, dass das Vorgebrachte den unbeirrt Prüfenden bereits von der Unhalt- barkeit eines Selektionsvorganges überzeugt hat. Und ebenso bleibt keinerlei Wahrnehmung noch Wahrscheinlichkeit übrig für das Vor- handensein einer durch natüi^liche Auslese bewegten Richtung der bei Tage ruhenden Sphingiden- Raupen: die grüne Hautfarbe gegen eine braune zu vertauschen, noch für ein bereits vorhandenes ver- schiedengradiges Avancement auf solcher phyletischen Staffel. Uebrigens — ein eigenthümliches Licht auf die Aufrichtigkeit des induktiv lehrenden Wollens der Studien muss es werfen, dass sie die silbergraue Form von Z>. Hippophaes nur ganz oberflächlich erwähnen, lediglich um deren Färbung als den Beginn eines Umfärbuugsprozesses zu verwerthen, die ganz besonders eigenthümliche , dem phyletischen Plane der Studien freilich total schädliche Zeichnungsanlage derselben aber verschweigen. Nach Wilde's Beschreibung ist diese Variationsform silbergrau, — 70 — mit einem schwarzen auf jedem Ringe durchbrochenen Dorsalstreifen und damit zusammenhängenden, nach den Füssen hinabziehenden schwarzen Querstreifen, in welchen rothe und hochgelbe Flecken stehen. Zuweilen ist die schwarze Zeichnung in roth oder gelb ge- kernte Flecken aufgelöst. Also diese von W. als Stammmutter, als primtärhabitliche Deile- phila benutzte Form vereinigt in sich: ein Umfärbungstempo der Chaerocampini etc., die Seitenstreifung mancher Sphingiden- Arten, die Fleckenanlagen der Smerinthini, und der Macroglossini Chagri- nirung und Zeichnungseinfachheit mit den Ringflecken der Deile- phila-Arten. Und dieses Alles erscheint unvermittelt, je nach dem variirenden Individuum in dem letzten Wachsthums- , im Endstadium. Und das Alles verschweigen die Studien offenbar wissentlich, denn die bezüg- liche Literatur lag ihnen vor, und die Nuance der variablen Grund- farbe verwerthen sie daraus für ihre Theorie. Nicht einmal allzuselten scheint diese, ja bereits wieder in Va- riationen bekannte silbergraue Form vorzukommen, und Avird ver- muthlich nur deshalb weniger angetroffen, weil sie besonders tief an der Pflanze sitzt, was auch ihre abweichende Färbung verur- sachen mag. Denn diese Form entsteht wahrscheinlich bei Individuen, die ihre letzte Häutung an einem besonders schattigen Platz in den ab- gestorbenen Partien des Sanddornstrauches vollziehen. Auch mag der rostfarbene Ueberzug, welchen die Sanddornpflanze zu gewisser Zeit erhält, einen direkten Einfluss auf die Raupenfärbung ausüben. Den „Studien" freilich machen Subdorsale, Querstreifuug und Ringflecke in allerhand Ausbildungsgraden neben- einander zugleich und plötzlich im letzten Stadium, eiuen kategorischen Strich durch's phyletische Schema. Namentlich auch fertige Querstreifung mit gleichzeitig beginnender farbiger Schlag- schattenanlage darf es nach ihrer Lehre doch unmöglich unver- mittelt beisammen im Endstadium geben, wo in den Vorstadien jede Spur davon mangelt. Ueberdies sind dergleichen Streifungen unter den Deilephilen nur bei D. Livornica mitunter annähernd vertreten, — diese aber lebt an ganz anderen Pflanzenbildern wie D. Hippophaes, nämlich an Labkraut oder am Weinstock. Ihrer Theorie zu Liebe scheinen die Studien hier ein merkwür- digstes „Uebersehen" riskirt zu haben. Mittelst solcher Methode gelangen sie nun auch Seite 83 zu einer neuen Unregelmässigkeit, indem sie die Minderzahl der Zwischen- färbungen der 31. SteUatarum-B,aiii>e zwischen Braun und Grün als - 71 - Kreuzungsresultate erklären, während sie nur 12 Zeilen vorher die gelegentliche silbergraue Hippophaes -'Raupe als den Beginn eines Umfärbungsprozesses bezeichnen, und ebenso am Schlüsse dieses Abschnittes hypothesiren : „beginnend mit dem Auftreten einzelner „dunklerer Individuen, führte der Umwandlungsprozess zuerst zu „grosser Variabilität, welche durch Seltncrwerden der Zwischenformen „zum Polymorphismus und durch gänzliches Ausfallen derselben zum „Dimorphismus hinüberleite. Diesen Prozess der Umwandlung sähen „wir noch vor sich gehen, und es könne durchaus kein Zweifel über „die treibende Ursache bestehen. Sobald ein Charakter mit Sicher- „heit sich als Anpassung herausstelle, besässen wir keine andere „Erklärung für seine Entstehung, als die durch Naturzüchtung." Das Ueberraschendste zu diesen Sätzen Weismann's ist nun, dass er eine 85 Seiten lange „Studie": Ueber den phyletischen Parallelismus bei metamorphosischen Arten liefert, welche in dem Satze gipfelt: „So rechtfertigen also die Thatsachen die An- „ sieht, dass die einzelnen Entwicklungsstadien sich selbst- „ständig veränderten, dass die in einem Stadium eingetretene „Abänderung ohne Einfluss bleibe auf die vorhergehenden und „nachfolgenden Stadien. Wäre dem nicht so, so könnte unmöglich „irgend ein Stadium variabel werden, ohne dass nicht zugleich auch „alle anderen Stadien variabel würden. Bestände eine Korrelation „zwischen Raupe, Puppe und Schmetterling derart, dass jede Aende- „rung der Raupe eine entsprechende Aeuderung des Schmetterlings „nach sich zöge, so würde auch, sobald eine grössere Anzahl von „Charakteren der Raupe in's Schwanken geriethe, nothwendig auch „eine grössere Anzahl von Charakteren des Schmetterlings schwankend „werden, d. h. Raupe und Schmetterling müssten variabel werden," Hier nun soll, ex voto entgegengesetzt, die Stellatarum-'RgiMpe ausdrücklich „durch Kreuzung" den bereits etablirten Dimorphis- mus noch etwas verwischen. „Dass diese Zwischenfor- „men der Kreuzung ihr Dasein verdankten, Hesse sich aus „ihrer relativ geringen Anzahl schliessen in Verbindung mit der „Thatsache, dass alle 140 Individuen des Versuchs von einer Mutter „abstammten. Zum Ueberfluss würde es noch der einzelne Fall be- „ weisen, in welchem eine Raupe grün und braun gescheckt war". Nun, über die räthselhaften Begriffsverbindungen von qualitativ zusammenhanglosen, inkorrelativen Stadien der Meta- morphose einerseits, und der Mischung biomorphologischer Raupenfärbungen durch Kreuzung der Falter andererseits, gelangeu wir mit den Stud. später noch zur Auseinandersetzung. Was aber die induktiven Variationen und Farbenwechsel betrifft, so — 72 — halte ich dieselben wohl auch für Anpassungen, nur dass die von mir angenommenen Natureinwirkungen den Nagel alsbald auf den Kopf treffen, und nicht wie die von W. zum Darwinismus gelieferten irrigen Induktionen, mit verschiedenen Rückschlägen und Rückschiebungeu zu kämpfen haben. Dem Spezial-Abschnitt, betitelt Biologischer Werth der Zeichnung, setzt W. die Fragen voran: „Hat die Zeichnung der Raupe irgend „einen biologischen Werth oder ist sie gewissermassen nur ein Spiel „der Natur? lässt sie sich demnach ganz oder theilweise durch Natur- „züchtung entstanden denken, oder hat Naturzüchtung keinen Antheil „an ihr?" Ob die Zeichnung der Raupe „irgend einen" biologischen Werth habe, lässt sich mit Ja und Nein beantworten, wie uns dies von W. selbst durch das Wort „irgend einen" bereits in den Mund diktirt wird. Und so behaupte ich ohne Zögern: Nein, die Zeichnung der Raupen hat nach aussen keinen endgültigen, keinen biologischen in- dividuellen Vorzugswerth, sie ist aber ebensowenig ein Spiel der Natur, sondern die Raupenzeichnung entsteht durch naturnothwendige kontaktische Unität des SpezialOrganismus zu seinen naturgemässen Daseinsverhältnissen, sie ist zum Naturganzen proportional morpho- logisch; und insofern ist ihr biologischer Werth zu bejahen. Die Darwin'sche Naturzüchtung kommt gar nicht in Frage, weil im Kampf um's Dasein jedes Avancement der Parteien durch sich selbst erstickt würde, wie ich schon in meinen früheren Aufsätzen wiederholt darlegte , auf Seite 2, 58 und 68 dieser Polemik abermals andeutete und hinten noch mehr klarlegen werde. Die Raupeuzeich- nung hat eben nur „irgend welchen", d. h. relativen biomorpholo- gischen Werth, dessen Taxe hauptsächlich oder überhaupt nur in unserer sinnlichen Auffassung ruht. Und darin wieder, dass ihr Werth niemals individuell exzelliren kann, beruht gerade die Wider- legung der Zuchtwahl und das klare Zeugniss für eine naturnothwen- dige Proportionirung der Individuenbestände der Arten. Sobald die Raupenzeichnung nicht nur „irgend welchen", sondern spezifischen Vorzugswerth hätte, müsste eine gewisse Raupe Alleinherrscherin werden. Jeder Spezialtypus kann der betr. Raupe aber nur einen ihrem Zahlenverhältniss, ihrer naturökonomischen Proportion zu der Gesammtheit ausgleichend entsprechenden relativen Schutz gewähren; oder er ist überhaupt nur die naturerforderliche Marke einer bestimmten Naturhandlung oder Naturbecinflussung, wie z. B. die klimatisch -ändernden Teints der Menschenhaut; oder wie - 73 - die Erscheinungsbilder der Lichtbrechungen im Abend- und Morgen- roth, in der Himmelsbläue, im Nordlicht, im Regenbogen etc. ihren eigenen naturverknüpften Spezialausdruck haben, nach Form, Farbe und Zeichnung. Trotz aller biomorphischen Anpassungen wird jede genuine Spe- zialität von der grossen Geburtszahl ihrer Individuen bis auf diejenige beschränkte Zahl, und nur bis auf diese reduzirt und konsumirt, wo das Gleichgewicht der ver- schiedenen Formen-Situation ruht. Damit ist auch die Existenz der Darwin'schen Auslese widerlegt. Wenn sich im Erfolg des Einen der Verlust des Anderen summirte, da müsste sich die geordnete Vertheilung der Bestände innerhalb der Gesammtheit noth- wendig verschieben. Wo aber z. B. von 140 Eiern, die ein einziges im Freien gefangenes Weibchen von Macrogl. Stellatarum noch ablegte, in der Natur schliesslich doch nur wieder ein Pärchen Schwärmer übrigbleibt und seiner Vorfahren Platz einnimmt, da kann trotz aller Streifung und alles Farben-Polymorphismus keine Blödig- keit der Anfeindung und kein angezüchteter Schutz vorhanden sein. Keine mechanische Auslese könnte gerade nur heran bis an das letzte Paar reichen, das nun dennoch keinerlei Vorzüge oder Verän- derung aufweist, als wie seine Vorfahren vor etwa 300 Generationen i). Der Eintritt einer sinnlichen Täuschung und Niederlage ist nicht denkbar bei Individuen, deren eigenes Sichtungstalent, d. h. nach Selektionslogik, erst ihre eigene Täuschung am Gegen- über biomorphisch akkumuliren würde. Aus welchen mechanischen Ursachen ferner sollte die Selek- tion immer wieder bei jeder Spezialität der millionenfältigen Formabstufung aller Wesenheiten die Spur verlieren gerade jedesmal bei dem mathematischen letzten Paare aus jeder Brut, das allezeit als vorhanden dokumentirt ist durch die Proportion der Belebungen. Unmöglich kann gerade dieses eine Paar leben- schützende Merkmale bieten, die bei allen seinen bereits unterlegenen Geschwistern fehlten. Denn von Generation zu Generation müssten sich da entweder vor unseren Augen die Formen verändern, oder die der Schutztracht des einen übriggebliebenen Paares nicht ge- wachsenen „Ausleser" müssten sehr bald umkommen, könnten höch- stens vom Gnadenbrot des „Rückschlags" noch einige Zeit das Da- sein fristen. i) Vergl. Rösels Bilder aus Mitte des vorigen Jahrhunderts. - 74 - Oder, wenn streifenlose Raupen mittelst Auslese soeben zu etwas mattstreifigen avancirt wären, so hätte dies nur durch eine beschränkte Talentiruug der Ausleser geschehen können, welche mattstreifige Raupen bereits übersahen. Somit könnte auch eine weitere Verbesse- rung der Streifung ferner, nur durch eine entsprechende gleiche Besserung der Auffindungstalente des Feindes eintreten. Den aktiven Konsumenten kann man aber doch nicht ein gerade nur auf einen Bruchtheil von Variation der einzelnen Raupenart beschränktes Talent unterlegen, welches stets eine Stufe hinter dem neuesten Hautpünktchen eines einzelnen Nahrungsobjekts zurückran- girte. Unmöglich kann man annehmen, dass die egoistische Intelli- genz der Ausleser unaufhörlich an der zufälligen einzelnen, ganz allmälig zunehmenden Erscheinung einer Streifungsspur scheitern Averde, und dass der Fortschritt resp. die „Feststellung" der Strei- fung, immer auf Kosten gerade nur für die unendlich langsamen Akkumulationstheile einer einzigen Art proportinal talen- tirt bleibender Verfolger geschehe. Die These von dem Erhaltenbleiben des Besten, also hier der passendstgestreiften der variirenden Raupenindividuen einer Art, hat keinen Sinn, wo soAvohl gänzlich streifenlose, wie auch ganz ver- schieden intensiv gestreifte Raupen verschiedener Arten proportional nebeneinander und durcheinander bestehen, denen gegenüber sich die allerverschiedensten Consu- menten befinden. Ueberhaupt nährt sich kein Wesen von identischen Formen, denn selbst die Nahrungsblätter der monophagischen Raupen sind unter einander verschieden. Noch viel weniger leben die „Ausleser" der Raupen von einer einzigen Raupensorte. Das variirende Streifchen oder Fleckchen als lebenswichtig, als kategorisch für den Konsum zu halten, wo derselbe die verschiedensten Punkte und Streifen der Nachbarschaft ringsum auffindet und vertilgt, und wo jeder Windhauch in die Vegetation, jeder Beleuch- tungswechsel durch Sonnenlichtwandel oder Wolkenzug, oder jede Körperbewegung der Konkurrenten, die ins Ge- sicht fallenden Konturen um riesige Akkumulations-Werthe der Darwinschen „AUmäligkeit" von Augenblick zu Augen- blick verändert, erschiene geradezu komisch. Ebenso unerklärlich, direkt widersinnig wäre das unge- trübte Gedeihen aller Trachten der verschiedenen „phy- letischen Ur- resp. Entwicklungs-Stadien" nebeneinander und nacheinander. — 75 - Denn ganz nach Oertlichkeit und Pflanzengedeihen, sind die „Primärformen" selbst ihrer septimär jüngsten „ Deszendenzforra " gegenüber, in der individuellen Existenz- ziifer obenan. Auch sind die nach "W. phyletisch jüngsten, also schutzfertigsten Habitformen, z. B. der Deilephila- Arten Dahin und Nicaea, keineswegs die verbreiteten und häufigen, wohl aber ist die sehr \ ariahle Euphorbiae, sowie die phyle- tisch ältere Galii weit verbreitet. Welcher Widersinn iigurirt in der natürlichen Auslese, wenn sie einestheils durch stete Vernichtung der kleinsten Fär- bungs-Variationen einer Art an den Ueberlebenden immer passen- dere Schutzstufen kumulirt haben soll, während doch die verschiedenen Arten, in den verschiedenen phylogenetisch antiqairten Trachten dicht und gleichzeitig nebenein" ander, noch heute existiren, ja eine jede einzelne Art, jedes Individuum, innerhalb der Mehrzahl seiner kurzen Lebens- tage, die „ausgelesen verworfenen" Trachten vergangener Jahrmyriaden nacheinander abhäutend durchbringen könnte!? Was nützt es also im hypothetischen Pathos Weismannscher preisgefeierter „Studien" von „Ueberleben des Passendsten" zu schwel- gen, wenn die Thatsachen im eigendsten Inductions-Ma- terial kategorisch protestiren, wenn sich die angeblichen Selektions -Verworfenheiten aller Urzeiten behaglich noch immer durcheinander tummeln!? Mit einem Wort, die Mechanik der Selektion imponirt nur dem Liebhaber, wahr ist sie nicht. Wer die Haltbarkeit der Selektionstheorie prüfen will ohne naturforschender Spezialist zu sein, der darf seinen Blick nicht über die vorhandene Mannigfaltigkeit der Wesen schweifen lassen, son- dern er muss seine Vorstellung in jene unfassbar ferne Zeit vertiefen, wo noch Alles auf Erden monoform war, wo die Differenzirung „durch Selektion" erst beginnen sollte. Was auf unerklärbare Weise , aber primär doch sicherlich ohne „Auslese", aus dem unfehlbaren formlosen Stoff sich zuerst zur Form löste und gestaltete, das hätte entweder gar nicht, oder unmöglich anders als quantitativ vom zweiten und dritten abweichen, gewiss nicht bereits qualitativ-kompositionell verschieden sein können. Und wäre nun ein gewisses Formquantum als Volumen durch Ueber- gewicht im Existenzringen zur Qualität geworden, so wäre hiermit die unverrückbare Basis für den Weitergang der Auslese ge- setzt gewesen. - 76 - Die Mehrung des individuellen Volumens mtisste das fortdauernde Resultat der Auslese geblieben sein. Die allerniedrigsteu und einfachsten der uns bekannten animalen Organismen stehen aber noch heute auf dem niedrigsten Grössenniveau, und zeigen keine Tendenz des absoluten Wachsthums, sondern ihre Fortpflanzung erfolgt durch Theilung, resp. durch Zusammenschmel- zung zweier Individuen, ohne dass das Individuum sich jemals dauernd voluminös von der Norm entfernte. So lange nun aber die Mehrung oder Forterhaltung solcher Urorganismen nur durch Theilung oder Zusamnienschinelzung erfolgte, hätte es überhaupt keine Vererbung von Vorzügen des Volumens oder irgend welcher anderen Qualität geben können. Das bedeutet aber wieder den Stillstand der Form, die Impotenz der Selektion vom Anfang an. Nach meinem Begriff müssen die Färbungsanpassungen und Zeich- nungen vorhanden sein nach Naturnothwendigkeit, wonach im Zu- sammenwirken aller Naturvorgänge unizit-gravitirlich überall Har- monisches erzeugt wird, wonach selbst Blätter, Früchte und Pflanzengallen je nach der Zone sich formen und schmücken, ohne dass hierbei irgendwelche auf die Form zielende Schönheits- Auslese denkbar wäre. Und so wie nach den licht- und wärmereicheu Zonen hin sich Alles in Form und Farben schmückt und hebt, den Ausgleich zum Ganzen dai'bietet, so auch das Insekt überall, je nach- dem es im Dunkel des Bodens, im Dämmer oder im Lichte lebt. So jede einzelne Pflanze in ihren Theilen von der Wurzelfaser bis zum Wipfel. Vernünftig, angepasst muss in der einheitlichen Welt Alles ge- rathen, wo nur eine Energie oder ein Müssen gravitirt! Und so müssen auch die Leistungen und Auffassungen der Thiere unaufhör- lich ihrer natürlichen Umgebung gewachsen sein. Wenn aber ein Falter z. B. gelegentlich nach einer gemalten oder künstlichen Blume fliegt, so hat solches rasch erkannte und korrigirte Irren nicht mehr Bedeutung als bei uns ein Sprechfehler. Eben so gut aber, wie wir Eauch von Wolkenstreifen, Wiesennebel von Wasser unterscheiden, mindestens eben so prompt werden Ichneumoniden, Spinnen, Ameisen, Vögel etc. , die gestreifte , schlagschattirte Raupe von einem Blatt unterscheiden, wenn sie ihrer zur Nahrung bedürfen und nach ihr suchen. Die an der Wurzel oder im Halmschafte lebende Larve unter- liegt der Verfolgung an ihrer Lokalität nicht minder, als die Raupe am Blatte, denn auch die Wurzelraupen werden proportional zum animalischen, nicht nur zum vegetabilen Ganzen erhalten, sonst müssten ihre Imagines die Lüfte erfüllen, wie ihr vorübergehend — 77 — örtlich rapides Anwachsen (Noctua Graminis, Segetum) andeutet. Aber trotz der steten Dezimirung zeigt keine Wurzel- oder Mark- Raupe einen Schutzapparat; sie ist rein der vorhandenen Herrschaft der Proportion überlassen, und bleibt auch spezifisch existenzsicher im Verhältniss zum Ganzen. Dabei ist die Färbung ihres Aeusseren wohl ähnlich ihrer Um- gebung, mehr oder weniger farblos, holz- oder splintfarben nüancirt, nach dem örtlichen Verkehr und organischer Zulässigkeit, immerhin hat aber jede Art etwas Eigenthümliches im Farbenton des Körpers oder der Chitintheile, oder der Wärzchen und der Behaarung an sich. Die Raupe von Cossus Ligniperda ändert sogar ihre Fär- bung je nach dem Alter, erscheint vielleicht überhaupt dimorph, duukelroth oder gelblich fleischfarben. Dennoch wird an den natür- lichen Aufenhaltsplätzen dieser Raupen ihre Erscheinung selbstver- ständlich gleichmässig dunkel sein, wie die Nacht oder das Dämmer ihrer Kammer. Wenn dergleichen Raupen mit scharfen Säften versehen sind, so können diese nur mehr beiläufig und nach analogen Erfahrungen, z. B. bei der freilebenden Harpyia Vinula, die ungemein häufig schmarotzerbesetzt ist, kaum mit effektivem Erfolg zur Abwehr die- nen, werden vielmehr zur Aufweichung des Frassobjektes, wie bei Cosstis Ligniperda^ und auch zur Gehäuseanfertigung benützt. Der- gleichen Säfte sind zu solchen normalen Verrichtungen so nöthig, dass deren Verbrauch zu nutzloser Vertheidigung die Raupe nur schwächt und am Gedeihen hindert. Die Studien prüfen nun das Vorhandensein der vier Hauptformen der Sphingiden- Zeichnung, als: 1) gänzliche Abwesenheit von Zeichnung, 2) Längsstreifung, 3) Schrägstreifen, 4) Au gen - und Ringflecke, auf ihr Wiederkehren bei anderen Gruppen der Raupen. Zeichnungslos finden sie alle innerhalb von Pflanzentheilen, sowie gewisse in tragbaren Säcken lebende Raupen. Ich ergänze hierzu, dass nur diejenigen Sackträger ungezeichnet sind, welche an dunklen Orten leben, wie z. B. die Kleidermotte Tinea Pellionetla, während die im Lichte lebenden mehr oder weniger hellgefleckte oder gestreifte Brustringe haben, und sich gross und klein und in allen Zonen darin bedeutend ähneln. W. meint, die Oberfläche der kleinsten zeichnungslosen Motten- raupen sei nicht absolut zu klein für die Entfaltung einer Zeichnung, denn bei 10 mm. langen Smerinthus-B.aii'pen seien die Schrägstreifen bereits ausgeprägt. Das ist als Vergleich zu jungen Makro - Raupen an sich richtig; nur mangelt den wenigen freilebenden — 78 — Mikro -Raupen die Zeichnung ebenfalls nicht, sondern nur den sehr verdeckt lebenden. Sodann hat das Sphingiden-Räupchen auch eine bedeutende Ent- wicklung nach Grösse und angedeuteter Zeichnung vor sich, die Mikro -Raupe aber nicht. Letztere ist dafür meist mit behaar- ten Punktwärzchen besetzt, ähnlich wie Macrogl. Stellatarinn nach dem Verlassen des Eies, und wie die meisten jungen, sowie die in Pflanzentheilen lebenden Raupen. Durch technische Verrichtungen der Gehäusewebung und Zusammeufügung ersetzen die Mikro-Raupen ausserdem vielfach überraschend, was ihnen an Aussehen abgeht. Dass die in Blattgängen, wenn auch oberflächlichen, lebenden Nepticula-Röi}x^c\\e\\ zeichnungslos sind, erscheint begreiflich. Wenn sie auch, wie W. bemerkt, dabei dem Lichte wie freilebende ausge- setzt sind, so kann doch durch die Blattmembran nur gebrochenes Licht und kein prägnantes Abbild der Aussenwelt dringen. Bei ihnen hätten besonders markirte Zeichnungen weder naturbegreifliche Ur- sache noch vernunftbegrifflichen Zweck. Der natürliche Zwang der Verhältnisse wird diese Raupen zeichnungslos erhalten, und ein er- kennbar ähnliches Verhältniss existirt auch für das Räupchen inner- halb der Eischale. Wie die Raupe im Mark und Splint, wie die Motte im Garde- robeschrein und die Nepticula unter der Blatthaut, oder auch wie der Pflanzentrieb im dunklen Keller, so bleibt naturnothwendig auch das Räupchen im Ei färben- und zeichnungslos. Mir scheint es nur merkwürdig, wie so Naheliegendes nicht so- fort erkannt, sondern wie dieses junge farblose Räupchen von den „Studien" als Dokument benützt werden kann oder doch soll, zum Beweis einstmaliger Farben- und Zeichnungslosigkeit aller fernsten Urahnen. „Die zweite Kategorie von Zeichnungen," fahren nun die Stud. fort, „die Längsstreifung, finde sich ausserordentlich verbreitet „in den verschiedensten Familien, allein überall fehle sie auch vielen „Arten, und dies spräche schon gegen ihre rein morphologische Be- „deutung, Hesse vielmehr vermuthen, dass sie irgend einen biolo- „gischen Werth, einen Nutzen für die Erhaltung des Individuums „habe. Der Nutzen sei darin zu finden, dass Streifen, welche der „Länge nach über die Raupe hinlaufen, dieselbe im Allgemeinen „weniger auffallend machten, namentlich wenn sie grösser sei, als „die Pflanzentheile ihres Aufenthalts." Auch hiergegen lässt sich auf Grund unseres Sehvermögens nichts einwenden. Der Selektion aber würde es näher ge- legen haben, das farblos auskommende Räupchen sofort — 79 — zu verwerthen und als Basis zu nehmen für die Anzüch- tung völliger Durchsichtigkeit anstatt der fernliegenden Strei- fung. Der dunkle Nahrungskanal in Mitte der Körperlänge hätte recht gut durch Aufsitzen an die Zweige und Rippen angepasst- maskirt werden können. Die Glasnachahmung ist doch vieltausendfältig bei den Flügeln der Insekten, bei mancherlei Madenformen und bei anderen weiss- blütigen Geschöpfen vertreten, also kein unlösbares Problem für die Natur. Demnach aber würde es scheinen, als wenn die Selektion ihr Material erst aus zweiter Hand bezöge. Sie hätte nicht bei dem primär Vorhandenen begonnen, sondern sie hätte auf die Variationen mit Streifungen erst gewartet; welche also auch hiernach aus mor- phologischen Gründen auftreten müssten. Wie bereits erwähnt, ist die Zeichnungsausstattung und speziell auch die als Nachahmung von Blattrippen hingestellte Querstreifung mehrerer Raupenarten, die gleichzeitig auf derselben Nah- rungspflanze leben, ganz verschieden von einander. Sie bildet weit mehr eine Symmetrie zum spezifischen Raupenkörper als zur Blattrippung ihrer Aufenthaltspflanze. Eine Betrachtung der Zeichnungsverschiedenheiten einiger zu- sammen an Espe und Weide lebenden verschiedenen Raupenarten macht dies bereits klar. Hier ist die Querstreifung der Smerintlms Populi und Ocellata eine ganz andere als wie 'die der Notodonta Torva, Ziczac etc. Bei letzteren Arten richtet sich das Vor- handensein und die Schärfe solcher Zeichnungen ganz nach den variirenden Grundfärbungen der Raupen. Ausserdem ist die Markirung der wirklichen Blattrippen eine ziemlich matte und zersplissene; die Blätter selbst wechseln ausser- ordentlich nach Form und Rippenanlage, abgesehen davon, dass die verschiedenen Benagungen und Missformungen der Blät- ter den Raupen selten ein komplettes Blatt zumSitz ge- statten. Schon die weissen halbkugligen Eier von Notodonta Torva markiren sich sofort auf der Rückseite der Blätter, ebenso die jungen Räupchen nebst ihrer bräunlich-grauen Frassspur auf der Blattmem- bran; auch die ausgewachsenen Raupen, die man flüchtig für eine Blattlädur halten kann, erkennt der interessirte Blick sofort. Die revidirenden natürlichen Nachsteller und Konsumenten aber werden unseren Wahrnehmungstalenten nur voraus sein, minde- stens gleich uns, sobald es auf's Sehen ankommt, auch die ver- deckt sitzende Raupe, mag sie gestreift sein oder nicht, gegen — So- das Licht bereits an der Beschattung der Sitzstelle durch den Körper wahrnehmen. Jeder aufsitzende Körper markirt und taxirt sich da sofort nach seiner Qualität, ob Ei, Galle, Raupe oder Blattmakel. Was wir an Farben- und Zeichnungsschmuck vor uns sehen an den Raupen, das wird nicht qualifizirt sein zur Täuschung der natur- zugewiesenen Konsumenten, und biomorphisch nicht höher rangiren in der Naturpraxis, als wde die verschiedene Koloratur und Roth- wangigkeit der Baum- und Strauch -Früchte, der Knollen und Wur- zeln, sowie der kontakt-naturmechanischcn Blatt- und Zweiggallen etc. Die spezifische Organisation und Lebenspraxis der Körper und die darin ruhende Form und Qualität des Kontakts mit ihrer Um- gebung wird es sein, welche ihre verschiedene Farbenausstattung be- dingt; heben wir doch sogar schönfarbene, konturreiche Wurzeln aus der dunklen Erde. Dafür spricht auch, dass behaarte Raupen den Ersatz ihres Haar- schmuckes bereits fertig unter dem abzulegenden alten Haarboden tragen. Ihre Behaarung erneut sich phasisch aus dem inneren Or- ganismus auf der Hypodermis. Wäre allmälige Selektion die Ursache der Umwandlung, so müsste das neue Haar aus dem alten entstehen, sich aus ihm wenigstens herausschälen. Das geschieht aber nicht, sondern aneinandergeschmiegt liegt jede Faser fertig unter der Haut und gleichzeitig mit der neuen Behaarung treten oftmals auch wesent- lich neue Komplikationen der Hautfärbungen und Zeichnungen auf. Auch bei den aus der Raupe hervorgehenden Puppen finden wir mitunter eine wechselnde Färbungs-Verbindung zu ihrer Aufenthalts- stelle, oder eine Korrelation zur Ausstattung des Raupenkleides, letz- teres z. B. bei Äpatura, M.elitaea und Pieris. Li den meisten Fällen aber etablirt sich Form und Färbung der Puppen unabhängig, auch von ihrer Umgebung. So treten z. B. die den Melitaeen als Imagines sehr nahe verwandten Argynnen, als Puppen in weit schärfer markirten Konturen und in anderer, knopfartig mit Metallglanz be- setzter Färbung auf wie jene. Unter den Vanessa-Vw^yy&w prangen nur einzelne Individuen, mitten unter grauen und grünen hängend, in mehr oder weniger intensivem, theilweisem oder vollem Metall- glanz, ohne dass irgendwie in der Nähe hierzu ein Vorbild wäre. Eine schützende Gleisung kann hierbei ebenfalls nicht aktiviren, denn wohlverborgen im tiefen, schützenden Dämmer unter Pflanzen oder Gestein hängt farbenei'loschen meistens solche Puppe. Und ebenso hängen nebeneinander hellgrüne und tiefschwarze Puppen, z. B. von Pararge Maera und Megaera. Die Stud. erachten (S. 90) aus der Erscheinung, dass alle au — 81 — Gräsern oder an Pflanzen zwischen Gräsern lebende Saty- riden-, Pieriden- und Hesperiden-Raupen längsgestreift sind, genügend dargelegt, dass Längsstreifung überall da vorkomme, wo man sie er- warten müsse, wenn natürliche Zuchtwahl ihre Ursache wäre. Un- erwägt aber lassen sie die ihnen ausdrücklich bekannte Thatsache, dass sehr viele, ja fast alle dieser Raupen tagübe r an der Erde verborgen bleiben und nur des Nachts heraufkommen zum Frasse. Zu welcher Schutzanpassung bedürften sie nun, tagüber am Boden oder sogar in demselben verborgen und nur in dunkler Nacht oben am Grase nagend, der Längsstreifung? Freilich, da sagen die Stud. wieder, diese Streifung sei eine gegenwärtig indifferente ,,Erb schaff aus ferner Zeit, wo alle diese Raupen am Tage oben sassen und den Boden mieden. Die Natur- züchtung belasse diese einstmalige Schutzzeichnung auch bei den in- zwischen durch Anpassung braun gewordenen Raupen, weil sie nichts schade, oder weil sie gleichgültig sei. Die Längsstreifung der braunen, erdfahlen Raupen ist aber viel- fach deutlicher, schärfer, als die der grünen, und überdies kommen auch die grünen Raupen zumeist nur des Nachts empor. Welch' reelle Qualität für ein naturforschendes und naturkün- dendes Thema vermag aber das stets zitirte Phantom der „Studien" zu liefern: „die Umwandlung" der Raupen aus Tagfressern in Tag- schläfer und Nachtfresser?! Allen di- und polymorphen Raupen des Studienthema's, vom imposanten Todtenkopfschwärmer der Nacht an bis zum kleinen Heufalter der sonnigen Wiesen wird dieser Wechsel untergeschoben, ein Wechsel, der neben vielem Anderen, allein eine totale allgemeine Revolution der Sehfähigkeit und Orga- nisation in sich begriffe. Wo bietet sich auch nur ein einziges real-induktives Fäserchen dar zur Anknüpfung solcher Willkürlichkeiten, solcher Zurechtlegung der Färbungs- Variationen für den Aufbau einer ja überhaupt ganz haltlosen Transformations-Hypothese? Kann man es dem Rezensenten solcher „Studien" verübeln, wenn er ihnen gegenüber nicht stets die- jenige Weichheit der Kritik findet, welche die Freunde solcher „Wis- senschaft" beanspruchen? Dieselben „Studien", die broschürendick die biomorphische Verbindung der Raupe mit ihrem eigenen künftigen Falter, und des Falters mit seiner nachkömmlichen Raupe bestreiten, der doch seiner Raupe sorgsam das Ei an die richtige Futterpflanze unter Tausenden von Pflanzen legt, dem umgekehrt die Raupe die Puppe virtuos aufgürtelt oder in kunstfertiges Gehäuse 6 — 82 — einschliesst, dieselben „Studien" lehren hier ohne Zögern, dass die heterogensten, zusammenhanglosen Raupenformen vieler Arten von Tag- und Nachtfaltern, einstmals den gleichen Wechsel eingingen, anstatt am Tage fernerhin nur des Nachts zu fressen, anstatt des Nachts nun am Tage zu ruhen und lichtscheu zu werden. Und welche Thatsachen legen sie dafür unter? Keinerlei, einfach das Bedürfniss, weil sie eine Erklärung in ihrem Theo- rienbau brauchen für die Färbungsvariation vieler Raupen und für die Differenzen des Jugendkleides mit dem des Reifestadiums. Und diese Arbeit soll laut Vorwort geliefert sein, „ohne vorgefasste Mei- „nung, wahrlich nicht um konsequent zu bleiben, sondern weil die „Ueberzeugung von der Richtigkeit der Deduktion und Induktion „sich um so fester gestaltete „„je tiefer die Untersuchung vordrang."" Mir scheint, die Beobachtung einer heranwachsenden, sich um- färbenden Pflaume allein hätte derartig tiefes Versenken schon erspart. Sehr instruktiv für unsere Taxirung der „Studien" und interes- sant ist noch der von denselben ertheilte Fingerzeig (S. 90), dass es ihrer Theorie keineswegs widerspräche, wenn längsgestreifte Raupen nicht nur an Gras, sondern auch auf Wicken, Kleearten und dergl. vorkämen. „Wir dürften doch nicht vergessen, dass diese Pflanzen „zwar selbst keine Längsstreifungen vortäuschten, dass sie aber „stets im Grase wüchsen, dass also die auf ihnen lebenden Rau- „pen stets zwischen Grasstengeln sich aufhielten, sehr häufig sogar „an Grashalmen sässen, so dass es für sie keine besser schützende „Zeichnung geben könnte, als Längsstreifeu." Nun wir merken ganz deutlich, W. hält die Längsstreifungen für das Zuchtresultat einiger obenhin fliegenden Vögel, und vielleicht auch der menschlichen Raupensammler; für eine auf „Schlagschattendistanz" berechnete. Was sich da unter den Stauden und Halmen vielbeinig Blatt auf Blatt ab nach- kriecht und geruchs-exquisit verfolgt, das lässt er ausser Beachtung. Wo gerathen wir aber überhaupt hin, wenn wir die Pflanzen der Nachbarschaft und nicht die Nahrungs- und wesentliche Aufenthalts- Pflanze der Raupe zur Prüfung biomorphischer Qualitäten benützen wollen? Welcher der an Galium, Epilobium, Convolvulus, Euphorbia lebenden verschiedenenartigen Sphingideu- Raupen, mit Glotzaugen- flecken, Ringflecken, Schattenstreifen etc. versehen, mit oder ohne Längstreifungen, wären nicht mehr oder weniger dicht oder einzeln stehende Grashalme nachbarlich? Welche Nahruugsstaude unserer — 83 — Raupen wäre überhaupt unter natürlichen Verhältnissen nicht zumeist von Gi'as umgeben, über- oder unterwachsen? Und andrerseits, wie verhältnissmässig wenige der längs- gestreiften Raupen!) verlassen am Tage ihr Versteck tief am Boden oder in der Erde, und bieten oben oder sichtbar hochruhend, den Vögeln etc. Gelegenheit zur Auslese. Nur der Häutungsprozess, sonst kaum ein heftiger Regen treibt die Arten ganz vorübergehend etwas empor. In der Erde graben, den Bodenmulm durch- wühlen muss der Sammler, um die meisten der längsge- streiften Raupen am Tage zu finden, und nur des Nachts beim Laternenschein bekommt er die emporgestiegenen zu Gesicht. Nimmermehr also vermag die lockere Begründung der Studien für die Zeichnungen die Zuchtwahl als zulässig und stichhaltig dar- zustellen. Von darwinistischer Seite fand ich gelegentlich einer Besprechung der Theorie von Wallace über Färbungen betont, dass nur die eingehendste Bekanntschaft mit der Biologie der Arten zur Aburthei- lung bezüglich der Selektionstheorie berechtige. Dabei wurde der weisse Schwanzpürzel des Hasen als ein selektirtes Markzeichen für die dem fliehenden Alten nachflüchtenden jungen Hasen bezeichnet. Diese Erklärung fusst nun aber keineswegs auf der uns gegne- nerischerseits anempfohlenen Gewissenhaftigkeit biologischer Studien, Denn, zunächst ist der Schwanz der Häsin weniger breit und weiss als wie derjenige des Rammlers, und dann zeigt eine weitere Umschau, dass diese helle Schwanz- und After-Marke auch beim Reh, beim Rennthier, bei den Ziegenarten, ja selbst bei vielen Rassen unserer Haushunde vorhanden ist. Und alle diese Arten tragen sie zu jeder Zeit, nicht allein zur Periode, wo sie Junge mit sich führen. Ihren Verfolgern würde demnach dieses weisse Merkmal weit längere Zeit sogar als Leitung dienen können als wie den Jungen, zumal diese Thiere besonders im Schnelllauf den weissen Stutz heben und „die Blume" deutlicher zeigen. Will man nun darwinistisch nicht auf einen „ekelhaften Bissen" rathen, den sie hierbei allerdings ostensiv entblössen, so wird sich ein Erhaltungsnutzen schwerlich behaupten lassen. Eine ähnliche Qualität von Nützlichkeit würde man selektions- lehrig dem Fussknackeu der Renthiere zuschreiben wollen. In der That scheint es, als wenn dieses helle Geräusch dem Zusammenhalt i) Solche an Nadelholz lebende kommen hier nicht in Frage. 6* der Heerden sehr dienlich wäre, wenn sie innerhalb der nordischen Fichten- Waldöden weiden, wo ohne eigentlich dichten Baumstand, das Niedergedrückte des dichten Wuchses der Aeste den Ausblick im Walde doch äusserst beschränkt. Allein als eine Summation angezüchteten Nutzens kann dieses Knacken nicht gelten, denn ebenso wie ich selbst durch dasselbe auf die Nachbarschaft noch unsichtbarer Renthiere erst aufmerksam gemacht wurde, ebenso und natürlich auf viel weitere Distanzen werden damit deren Feinde, die Raubthiere des Nordens herbeigelockt. Fast scheint es, als wenn die Natur hier die Bedürfnisse des inviduellen Ichs und die des Gegenübers berücksichtigte, zumal weil noch kurze grunzende Rufe innerhalb der Renthierherden den Zu- sammenhalt überdies regeln. Den Darwinianern ist die Anempfehlung gründlicher Sichtung von Induktionen auch in einem weiteren Falle nur zurückzugeben. In der Streitschrift „Schneider contra Jäger's Dufttheorie" zitirte Ersterer manches Biologische aus seinem Werke: „Der thierische Wille." Was darin auch zu Gunsten der Selektionstheorie geltend gemacht werden will, Alles und Jedes ist in Wahrheit durchaus nur deren Widerlegung, vom durch Lockzipfel angelnden Seeteufel an bis zur „feindewarnenden" Klapperschlange und den „sich verbergenden" fürchterlichen Drachenköpfen. Dem denkklaren Gegner des Darwinismus wird das ganze Werk eine unerschöpfliche Fundgrube von Induktionen bieten zur Wider- legung der Selektionslehre. Greifen wir für das vorliegende Thema nur heraus, was Schneider bezüglich der geordneten Eierablage aller Imagines für ihre nachkommenden Larven sagt: „Einzig die Geruchswahrnehmung erwecke (sie!) den Trieb zum „Eierablegen bei den meisten Insekten. Dass nun aber jedem Insekte „der Geruch gerade desjenigen Gegenstandes angenehm sei und in „dem Thiere einen zweckentsprechenden Trieb hervorrufe, in oder „an welchem die Larve allein zur Entwicklung gelangen kann, und „dass es nur wenige Insekten gebe, bei denen eine andre Wahrneh- „mung einen Trieb zum Eierlegen verursache, so dass sie dieselben „unzweckmässig auf Dinge legten, auf welchen die Larven umkommen „müssten, erkläre sich höchst einfach aus der Selektion; denn es „könnten ja schliesslich nur diejenigen Insekten übrig bleiben, deren „Wahrnehmungsorgane den Larvenbedürfnissen entsprechend beschaf- „fen waren, während alle anderen zu Grunde gehen mussten. Diese „Auslese finde auch heute immer noch statt." Der erste in dieser Darlegung ruhende Widersinn zur Selektions- — 85 — hypothese selbst besteht darin, dass der Geruchsentwickelung der I mag in es ein Monopol zugesprochen wird, während bei den Larven das Vorhandensein oder die "Wirksamkeit von natürlicher Auslese ausgeschlossen erscheint. Denn für diese wird eine Stabilität und Variationslosigkeit der Nahrungs- wahl vorausgesetzt, die weder auf die Theorie der Selektion selbst, noch auf die Wirklichkeit passt. Sodann verlangte der Selektionsbegriff erst recht, dass dieMo- nophagie beseitigt sei und die aus irrig abgesetzten Eiern schlüpfenden Larven eben gerade mittelst der Selektion möglichst Vielerlei fressen lernten! Bevor die Monophagie selektirt gewesen wäre, müsste die Existenz des Vielerlei fressenden Thieres unstreitig gesicherter gewesen sein, als gegenwärtig. Das Monophagenthum wäre ein selektirt er Na cht he iL Ehe die Fixirung eines bestimmten Futters eintrat, musste die Auffindungsleistung des Falters noch variabel und irrender sein, als sie nach Schneider noch gegenwärtig ist. Wenn nun die individuell- metamorphosische Unität zwischen Falter und Raupe auch mit einer ähnlich bewertheten Verwandtschaft zwischen Geruchs- und Ge- schmacks-Empfindung des Organismus zusammenträfe, und hierin der sonst immerhin räthselhafte Zusammenhang zwischen der Geschmacks- richtung der Raupe und der Geruchsleitung des Falters zu suchen wäre, so mussten ehemals auch die Geschmäcke der Raupen variabel und irrend sein, oder mittelst der irrenden Falter es werden. Und zwar könnte die Selektion ihren Produkten hier nichts Nützlicheres zueignen , als wie die Angewöhnung an möglichst vielseitige, an alle Pflanzennahrung. Mit der Feststellung einer bestimmten einzelnen Pflanze hätte sie Faltern und Raupen Mühen, Erfolglosigkeiten, öfteren Unter- gang, die Quelle einer ganz neuen Reihe von Ausmerzungsursachen ausge- lesen. Die logische nutzbringende Ausgangsrichtung von der Variabilität der Nahrungswahl wäre nicht die Be- schränkung, die Reduktion, sondern die Erweiterung der Ernährungs- und Erhaltungs-Fähigkeiten gewesen. Und hierin käme die Raupe dem Falter nur entgegen, denn es ist eine öftere Erfahrung der Entomologen, dass es Raupen giebt, die im Zuchtbehälter freiwillig von anderen Futterpflanzen leben, als die daneben befindlichen, von dem Falter regelmässig zur Eiablage ausgewählten. Mithin ist unbestreitbar dargethan, dass sich die Nahrungsaus- wahl des Falters für die künftige Raupe nicht „höchst einfach aus der Selektion erklärt", sondern dass dieselbe der Selektion ganz klar widerspricht. Wir sind noch nicht so weit, den Zu- sammenhang solcher biologischen Vorgänge als einen höchst einfach mechanischen taxiren und lediglich auf Ererbungs - Kumulationen re- duziren zu können. Denn wir selbst empfinden "Widerwillen vor Dingen, die wir gar nicht riechen, die uns oder unseren Vorfahren niemals schadeten, so z. B. vor Quappen, Fröschen, Schlangen, Mollusken, Schnecken und Würmern, vor Haaren in Speisen, vor Schleim etc., vor Dingen, die wir selbst an uns haben und die uns gelegentlich entzücken. Ausser- dem haben die verschiedenen Individuen auch verschiedene Geschmacks- und Geruchsliebhabereien und Abneigungen, und zwar variiren die- selben häufig innerhalb derselben Abkömmlinge, sowie zwischen Eltern und Kindern, Ebenso ändern dieselben beim gleichen Individuum je nach dem Lebensalter; und das scheint doch ein deutlicher Hin- weis auf direkt organische Basis, auf den Zusammenhang mit Pu- beszenzphasen, mit histogenischen Komplikations-Eigenheiten. Zurück zu W., so sagt er (S. 90) weiter, es sei nicht seine Ab- sicht, sämmtliche Schmetterlingsgruppen durchzugehen, das Vorge- führte genüge, um darzuthun, dass Längsstreifung wirklich überall da vorkomme, wo man sie erwarten solle. Gewiss ist es so, Längsstreifung mangelt nicht, wo die biolo- gische Situation ihre Erscheinung erwarten lässt. Aber nicht, weil ihr die biologische Zwangsbedeutung zukommt, welche W. hypothe- sirt, treffen wir sie naturgeordnet an, sondern weil die einheit- liche Natur nur Vernünftiges, Passendes hervorbringen kann, weil somit auch jeder unserer Vernunftschlüsse das Vernünftige in der Natur antreffen muss. Aber, „wenn uns ein Vers gelingt" mittelst der Gereimtheit der Natur auf dieselbe, so reimt sich nicht unsere Erfindung, sondern das fertiggedacht Gelieferte der Natur. Dass die Stud. aber für ihr eigenes Natursystera nur durch ein- seitige Benutzung des bereitliegenden Materials die Konstruktion zu erzwingen suchen, sehen wir wieder aus ihrer Verwendung der Schrägstreifung bei Raupen. Sie machen darauf aufmerksam, wie schwer es sei, z. B. die Raupe von Smerinthus Ocellata an ihrer Nahrungspflanze, der Weide zu erblicken. Diese Schwierigkeit des Erkennens der Raupe „bestehe „keineswegs blos deshalb, weil sie die Farbe der Weidenblätter be- „ sitze, sondern nicht minder, weil ihr grosser Körper nicht eine un- „ unterbrochene grüne Fläche darätelle, die sofort von den Blättern „abstechen und das suchende Auge auf sich lenken würde, sondern „weil dieselbe durch schräge Parallelstriche ganz ähnlich eingetheilt „werde wie ein Weidenblatt." Es ist wohl richtig, dass, besonders dem ungeübten Auge, die — 87 — Smer{nt7ius-EanY>c\\ schwer erkennbar sind, selbst wenn sie nicht an einem Blatt, sondern, wie es gerade entgegen der Meinung Weis- mann's (S, 94) nicht selten bei Schwärmer- und Spinner-Raupen vor- kommt, an einer kahlen oder kahlgefressenen Stelle des Zweiges sitzen. Dennoch bedarf es nur kurzer Uebung und Aufmerksamkeit, oder des Beachtens der schadhaften Blätter und Zweige, um dem interessirten Blicke sofort die Anwesenheit der Raupe zu zeigen. Den naturangewiesenen Verfolgern der Raupen aber stehen noch interessirtere untrüglichere Aufsuchungs- und Wahrnehmungs- Mittel zur Seite als uns. "Was fällt dem Raupensammler denn so oft ärger- lich in die Augen beim Prüfen der Büsche, als die bereits umher- klebenden Raupenleichname, besonders 'auch der Smerinthini, besetzt mit Maden oder hellen Püppchen der winzigen Mikrogaster. Bereits der jungen Raupe mit Streifung und bestens angepasst auf der Mittelrippe an der Unterseite des kompletten deckenden Blattes ruhend, impfte der noch weit kleinere auf und ab revidirende Feind seine todbringende Brut ein, während an demselben Strauche die streifenlos einfach grüne Raupe eines anderen Nachtfalters (Sco- liopterya; Lihatrix) gleichzeitig häufiger gedeiht. Viele der den Jugendgefahren entronnenen, dem Mikrogaster-Be- darf überzählig vorhandenen, gross und straff am Zweige sitzenden Raupen, holt noch der Staar oder Sperling trotz Schrägstreifung oder trotz keiner ; hackt wohl gerade die vorgeschrittensten Sahlagschatten- Anlagen zu Grunde, — denn Alles will leben, und Alles findet zu leben. Und weil nirgends in dem geordneten Haushalt der Natur irgendetwas die Füsse länger als die Decke strecken kann, so bleibt schliesslich auch die gravitirende Zahl ^mmn^/iits-Raupen übrig. Dass dies nun aber gerade die angepasstesten nach Darwinscher Transmutationslogik sein müssten, darf W. selbst nicht behaupten, weil ebenso wie die Anpassung dieser Smerinthini variiren soll, eben so nicht allein die Anpassungs-Kontur des Ruhe- platzes und das Auffinduugstalent der Verfolger variiren müsste, sondern weil auch diese Verfolger selbst nach Arten und Nachstellungs-Maximen sehr verschieden sind. Ein Zusammentreffen fördernder Talente hüben und drüben müsste demnach rein vom Zufall abhängen. Die Summation der Zu- fälle inclusive der Kontur-Variation aber fördert hier nicht das Ein- zelne, sondern sie bewirkt den Ausgleich, und keine Zeit reicht hin, um im blinden Konkurriren um's Dasein aus einem einzeln auf- tretenden Farbenfleckchen eine Schlagschattenreihc zu akkumuliren. Nun zitirt W. ausserhalb der Sphiugiden zwei Tagfalterraupen, Apatura Iris und Ilia, und zwei Spinnerraupen, Aglia Tau und Endromis Versicolora^ weil diese, auf Waldbäumen lebend, auch Schrägstreifung zeigen, und ihren Ruheplätzen allerdings ebenfalls trefflich angepasst sind. Auf den gleichen und ähnlichen Laubbäumen des Waldes leben nun aber mit Apatura Iris und Ilia gleichzeitig, und ebenfalls frei an und auf den Blättern, die gänzlich verschieden gestalteten, ge- zeichneten und gefärbten Raupen der sogenannten Eisvogelfalter, JLhnenitis Populi, Camilla und Syhilla, und auf den Nahrungs- pflanzen der Spinner Aglia Tau und Endromis Versicolora, auf Birke, Buche, Linde, Erle etc., leben gleichzeitig ein Heer der ver- schiedenst geformten, gefärbten, gezeichneten, nackten oder behaarten und bedornten Raupen aus vielerlei Schmetterlingsfamilien und an- deren Insektengruppen. Nun, die allermeisten dieser verschiedenen Larven entbehren der Querstreifung im Sinne der Blattrippenanpassung, haben aber ganz oder nahezu dieselbe Anfeindung auszuhalten wie die sogen, schutzgestreiften, erliegen ihr proportional wie jene, und bleiben dennoch alle durch einander in heterogenen Spezialha- biten proportional erhalten. Gerade die von W. für seine Theorie zitirten zwei Schillerfalter- Raupen Apatura Iris und Ilia zeugen ganz eklatant gegen die- selbe. Die Raupen dieser zwei Falterarten sind sich so ähnlich, dass der in die kleinen Detailmerkmale nicht Eingeweihte sie nicht zu unterscheiden vermag. Namentlich ist die Zeichnungsanlage, die uns W. als eine angezüchtete Schutzanpassung an die Blätter ihrer Nährpflanze bezeichnet, ganz übereinstimmend bei beiden. Nun leben aber beide Arten auf zweierlei Blattformen, Apat Iris nur auf W o 1 1 w e i d e n , Ilia hingegen auf Z i 1 1 e r p a p p e 1 ; aber beide ruhen in ganz übereinstimmender Manier offen und frei obenauf in der Mitte eines Blattes. Während nun trotz der wesentlich von einander abwei- chenden Ruheflächen eines Espen- und eines Weidenblattes, diese zweierlei Raupenarten habituell auf's Möglichste übereinstimmen, lebt mit Ilia zugleich auf Espe die Raupe des Eisvogelfalters, Limenitis Popidi, in einer Form und Färbung, die im hier fraglichen Sinne nicht die entfernteste Aehnlich- keit mit jenen Raupen hat. Wir sehen demnach, identische Formen mit typisch-sym- pathischer Zeichnung leben auf sehr verschiedenen Blatt- mustern, auf ein und derselben Blattform aber leben gleichzeitig heterogen geformte Raupen. Lisofern diese „an- gepassten" Wohngenossen bis Norwegen, West- und resp. Ost- Asien — 89 — verbreitet sind, ergeben sich noch vielerlei Verschiebungen zur konsumirenden und konkurrirenden Vogel- und In- sektenwelt, deren selektionswidrige Bedeutungen hier nicht ausgeführt werden können, auch kaum brauchen, weil sie dem Denk- willigen sofort vorschweben. Wohl überlasse ich den „Studien" die Verantwortung dafür, gesperrt zu lehren: „Schrägstreifen fänden wir nur bei solchen Raupen , die auf „Blättern mit Seitenrippen leben, nie bei solchen, die auf Gräsern oder „auf Nadelhölzern leben", im deutlichen Irrthum sind sie aber, wenn sie nach total einseitiger Induktionsnahme hieraus folgern wollen (S. 93): „Nach alle Diesem könne es wohl nicht mehr zweifelhaft „sein, dass die Schrägstriche der Sphingiden Anpassungen seien," denn eine anpassende Auswahl durch Naturzüchtung kann un- möglich statthaben, d. h. die gegnerischen Anfeindungserfolge können durch ein variirendes Hautpünktchen unmöglich abgewendet oder herbeigeführt werden, wo die bedeutendsten Verschiedenheiten aller Grade nebeneinander sowohl bestehen wie umkom- kommen nach unverkennbarer Proportion zu einander. "Wir erkennen wohl, dass eine naturimmanente Ordnung und Ver- bindung aller Organismen und ihrer Bildungsnormen zu einander vorhanden sein muss ; noch deutlicher aber ist es, dass kein einzelner Organismus von aussen her durch Darwin's natürliche Auslese be- rührt und verrückt werden kann in dem Bestände, den das einheit- liche Soll und Haben im Einzelnen gutbringt und für's Ganze ba- lanzirt. Wir begleiten die Stud. jetzt weiter, die nun die Erklärung der bunten Farbensäume an den Schrägstrichen vieler Sphiugiden- Raupen versuchen. Nachdem sie „lange an der Möglichkeit verzweifelt, ihnen irgend „einen biologischen Werth zuschreiben zu können," entdecken sie endlich, „dass man solche Raupe nicht dicht vor den Augen, son- „dern aus einiger Entfernung im Freien auf ihrer Nahrungs- „ pflanze betrachten müsse; dann stelle der Streif einen Farbenton „her sehr ähnlich demjenigen der Schatten, welche auf den Blättern „umherspielen. Die Farbensäume seien Nachahmungen der Schlag- „ schatten der Blattrippen; sie müssten so betrachtet werden, wie „einzelne Pinselstriche eines grossen Meisters in dem Gesicht eines „menschlichen Portraits. Und wüssten wir genau, auf welchen Pflan- „zen die verschiedenfarbig gestreiften Raupen ursprünglich gelebt „hätten, so würden wir auch erklärt sehen, warum die eine Raupen- „art lila, die andere roth, eine dritte blau gestreift sei." „Schlagschatten", Pinselstriche eines grossen Meisters, wie sollten — 90 — solche Schlagworte nicht imponiren. Ein Theil der Rezension jauchzte geradezu auf bei diesen Sätzen aus der Feder ihres grossen Meisters "Weismann. Und auch der Gegner darf diese Farbensäume schön und meisterhaft finden; nur erkennt der prüfende Spezialist alsbald auch hier die Verneinung der Selektion. Unsere buntgesäumten Raupen Sphinx Ligustri und Acheronüa Afropos leben nämlich keineswegs jede nur von einer einzigen Nah- rung, sondern an mehreren, auch verschiedene Schattentöne liefernden Pflanzenarten. Sphinx Ligustri lebt an Ligustrum, Sy- ringa, Fraxinus, Ilex„ Symphoricarpus; Acheronüa Atropos (der Todtenkopf) lebt an Lycium, Solanum, Datura, Evonymus, Philadel- phus, Rubia etc. Auf diesen verschiedenen Pflanzen leben sie natürlich wieder nicht allein, sondern es leben darauf mit ihnen, vor und nach ihnen, eine Anzahl verschiedener anders gezeichneter Larven. Wilde verzeichnet für Sph. Ligustri 36, für Ach. Atropos 14 Frass- konkurrenten allein unter den Raupen. Uebrigens mangeln ganz besonders bei Sphinx Ligustri die Erfolge der Anfeindung in dem Alter, wo sie die Farbensäume er- hält, keineswegs, sondern wenn man viel gesunde Raupen dieser Art haben will, so muss man sie jung aufsuchen; im erwachsenen „schlag- schattennachahmenden" Habit sind sie sehr häufig mit Parasiteneiern besetzt. Hieran wird nun freilich diese Farbenausstattung nicht schuld sein, sondern die naturnothwendige Periodität des proportio- nirenden feindlichen Auftretens. Aber, auf welchem Strauche Sphinx Ligustri auch sitze, ihre Schmarotzer finden sie sicher auf trotz oder auch ohne Schlagschat- tirung, zumal doch nicht wenige der Ichneumoniden und schmarotzen- den Fliegen ihre Brut bei sehr verschiedenen Raupenarten anbringen, und bei deren Aufsuchen ihre Sehorgane nur für die Nähe gebrauchen werden, da sie auf „ Schlagschattendistan- zen" nicht konstruirt sindi). Ausserdem giebt es flügellose Arten von Ichneumoniden, und ihr Vorhandensein beweist schon, dass ebenso gut, wie sogar die augenlose Ameise Eciton Anomma-2) die Blattlaus am Zweigende zu finden weiss, jene auch die Raupe wahrzunehmen befähigt sind untrüglich trotz allerhand Zeichnung und Färbung, geschweige denn dass ein auf Reihenjahrtausende ver- i) Die Beobachtung der Aufsuchungsmanieren der nach Beute fahndenden Schmarotzerarten gebietet diesen Schluss; wenige Centimeter vom Beuteobjekt entfernt, laufen sie noch suchend hin und her, 2) S. Stett. ent. Ztg. 1876, 73. — 91 — theilter Umformungsverlauf eines einzelnen Zeichnungstheilcheng solche naturzugeordnete Konsumenten irritirend beeinflussen könnte. Anstatt dass aber W. bei der Verlegenheit, die ihm die versdiie- denen Farbensäume verschiedener Arten bereiten, sich hinter die zu seiner eigenen Hypothese wenig Klang habende Ausrede flüchtet, „wir wüssten nicht, auf welchen Pflanzen diese angepassten Raupen ur- sprünglich gelebt, welchem Schattenspiel von Blättern ihre Säume ursprünglich angepasst seien," hätte sich ihm die Nachforschung auf- drängen müssen, ob ein Unterschied des Auffindens der Rau- pen durch ihre natürlichen Feinde je nach dem Pflanzenaufent- halt bestehe oder nicht! Ob z. B, Sphinx Ligustri auf den lichten Aesten des kleinblättrigen Schneebeerenstrauches öfter mit Schma- rotzern besetzt werde, als auf den dichter belaubten und schattigen Zweigen des Hartriegels oder Flieders. Es hätte dies der Ei-for- schung reell näher gelegen, als wie das die Anwartschaft der Zucht- wahl zur heutigen „Anpassung" doch dementirende „Wir wissen nichts" von den „ursprünglichen" Aufenthaltspflanzen der Raupen, die gegenwärtig je nach der Art mit lila, rother, blauer, schwarz und grüner Streifensäumung ex i stiren. AVelche Verfilzung der hypothetischen Darstellungen Weismann's über Rekapitulationen , Rückführungen , Indifferenzen sich hier voll- zieht, bleibe unerörtert; aber da Sphinx Ligustri, auch nach Weis- mann's Annahme, in der Jugend der Länge nach weissgestreift sein wird, wie alle ihre uns bekannten Verwandten und überhaupt die meisten Raupenarten , so hätten die Stud. nach ihrer Lehren Logik nicht allein das „ursprüngliche", sondern sogar das „ursprünglichere" Futter derselben deutlich manifestirt vor sich. Nach ihren Thesen von der biologischen Attestation der Aufenthaltspflanze durch die Hautzeichnung, und von der phylogenetischen Rekapitulation, könnte es ihnen nicht zweifelhaft sein, dass diese Raupen alle miteinander „einstmals an oder zwischen Gras lebten." Das phyletisch- biologi- sche Attest auf Grund des ersten ganz zeichnungslosen Stadiums vielleicht sämmtlicher Raupenarten, würde nun auf das „allerursprüng- lichste" Futter und freilich auf ein dermalen ganz unbekanntes, ein- tönig fahlgrünes, konturloses Vegetationsgrosso hindeuten müssen. Wir sehen, auf welche Absonderlichkeiten die Konsequenzen der Studienlehren hinauslaufen. Sicher kiinnten wir aus den pflanzen- üppigen, kontur- und dessinreichen Perioden der hier anzusetzenden terrestrischen Urzeit keine eintönigen Insektenlarven erwarten. Wenn der Aufwuchs der Raupen vom Ei bis zur Puppe allerlei Stadien der Entwicklung vom Färb- und Zeichnungslosen bis zur komplizirtestcn Dekoration mit sich bringt, so ist das keine Reka- — 92 — pitulation phylogenetischer Vergangenheit, wohl aber eine ungefähre Wiedergabe der uns noch heute umgebenden Trachtenbilder, ver- schieden vom Eintönigen bis zum bunt Koniplizirten je nachdem die Raupe , ähnlich wie im Ei , verborgen im dunklen Innern von Pflan- zen, oder wie die ersten Stadien mancher Sphingiden, an Stauden und an den Blattrückseiten von Pflanzen, oder wie die Raupen von Deilephila Euphorbiae, Dahlii und Nicaea, im brennenden Lichte der Sonne lebt. Ueberall naturbedingt sich ein geordnetes Bild von Proportion, eine naturweise immanente Regelung. Und das gilt auch von den gegenseitigen Beziehungen und Leistungen, wie wir das be- wunderungswürdig z. B. darin wahrnehmen, dass die schmarotzen- den Konkurrenten ein und dieselbe Raupe nicht mit einer zu reichlichen, sondern nur mit der bruterhaltenden An- zahl von Eiern besetzen! Dieselbe Ordnung begegnet uns in der Vorsorge der Schmetter- linge für die Existenzsicherung ihrer Nachkommen. Der ziemlich seltene Spinner Gastropacha Dumeti z. B., dessen Raupe an den häufigen Kräutern Taraxacum und Hieracium lebt, setzt seine Eier dennoch nicht beisammen, sondern in beträchtlichen Entfernungen von einander nach und nach ab, so dass man auch die Raupe später niemals in Trupps nebeneinander antrifft, obschon die Nahrung für viele oft lokal beisammen vorhanden wäre. Ganz so oder noch mehr vereinzelt bringt noch eine Masse anderer Arten ihre Eier an, so dass man die Nährpflanze derselben niemals überladen oder allgemein mit Raupen besetzt findet. Hieraus folgt aber, dass alle Schmetterlingsweibchen einer Art und mehrerer Arten an gleicher Nährpflanze, in einer beliebigen Ge- gend, diese Manier primär kommunistischer Brutpflege gegenseitig respektiren müssen, und es vermeiden, durch Be- legen eines gewissen günstigen Terrains nach oder nebeneinander, die Vorsorge des einzelnen Weibchens für seine Brut illusorisch zu machen, ohne dass ihnen dieses Gegenseitigkeits-Verhält- niss durch Dürftigkeit des Nahrungsvorraths angezüchtet worden sein könnte, weil die Nahrungspflanzen überreichlich vor- handen sind. Dieses Respektiren konkurrirender Bedürfnisse muss überhaupt ein durchgängiges unter den Insekten im Allgemeinen sein, sonst würde manches isolirt stehende Gesträuch noch weit verschiedener larvenbesetzt sein müssen, als wie man es gewöhnlich antrifft. So beobachtete ich bei Notodonta Torva wiederholt, dass immer nur 2 — 4 Eier an einem Espenbüschchen abgesetzt waren. An kleinen — 93 — Büschen aber mit Käfer- und Blattwespen-Eiern oder Larven besetzt, traf ich gleichzeitig keine Schmetterlingsbrut an. Es scheinen also hier gewisse Beziehungen zu bestehen zwischen den Imagines und den Larven einer Art sowohl, als auch zwischen den Lebenserfordernissen der allerverschiedensten Arten, wofür die Vererbung in korrespondirender Phase nicht ausreicht. Um nun aber auf das Thema der „Schlagschatten" zurück- zukommen, so sei noch auf die Schwierigkeit aufmerksam gemacht, die deren Anzüchtung entgegenstehen würde, selbst wenn die Raupe nur an einer Nahrungspflanze lebt. Ich meine den steten Wechsel von Beleuchtung und Schattenwurf innerhalb der Belaubung eines Strauches. Es begreift sich nicht, wie die Zuchtwahl bei dem steten mit dem Erdumschwung verbundenen doppelten Wandel von Licht und Schatten, sodann bei den minutenweise raschen, öfteren Wechseln zwischen Beleuchtung und Düster, oder bei den bald tage- bald wochenlangen Perioden dichter oder dünner Bewölkung, zu irgend einer Fixation eines gelegentlich auftreten- den Variationsfleckchens, zur Schattennachahmungs-Akkumulation ge- langen könnte! Und ich begreife ferner nicht, warum, wie schon gelegentlich erwähnt, gerade nur die /SpÄma; - Raupen allenthalben der Schlag- schatten bedurft haben sollen, sogar nach ihrer sekundären, tertiären u. s. w. Artenspaltung wieder spezifisch modifizirt bedurft haben sollen, während die Smerinthini überall mit ihren einfachen Schrägstrichen und darüber gesetzten auifälligen Fleckenreihen sehr reichlich und deszendenzlehrig auch in sekundären, tertiären etc. Formen durchkommen resp. durchkamen! Es gehört, wie mir scheint, Kapernauismus dazu, um selektions- freudig zu glauben, einerseits an deszendenzlich vielstufig spe- zifizirte Schlagschatten, Aufwucherungen, dicht daneben andrerseits an ebenfalls deszendenzliches Entwicklungs- Gedeihen und Spalten von Konkurrenzformen ohne Schlag- schatten -Anpassung! Die Zuversichtlichkeit der „Studien" für die Richtigkeit ihrer Theorie, die Farbensäume seien eine allmälig angezüchtete Nach- ahmung von Schlagschatten der Blattrippen, wächst aber noch, zu- mal sie (S. 95) eine neue Erhärtung derselben von neuer Seite her erprobt finden. „Nehmen wir einmal an," sagen sie, diese Farbensäume seien „keine Anpassungen, nicht durch Naturzüchtung entstanden, sondern „durch die hypothetische phyletische Kraft, so würden wir erwarten „müssen, dieselben im Verlaufe der Entwicklung irgendeinmal auf- — 94 — „treten zu sehen, zuerst vielleicht nur bei einzelnen Individuen, dann „bei mehreren, schliesslich bei allen, aber gewiss nicht so, dass zu- „crst einzelne unregelmässige farbige Flecke entstehen, unregelmässig „in der Nähe der Schrägstriche angebracht, dass dann diese Flecken „sich mehren, sich dem weissen Strich anschmiegen, zusammen ver- „ schmelzen, um einen immer noch mehr fleckenartig unregelmässigen „Saum darzustellen, und dass erst ganz zulezt dieser Saum sich zu „einem regelrechten, gleichbrciten Strich gestaltet." „Und doch ist „die phyletische Entwicklung der Farbensäume von der letztern Art." Nun, in Wirklichkeit reihen sich die Fleckenhilder der bezüg- lichen drei /Smeriwi/ms-Raupen Tiliae, Populi und Ocellata^ keines- wegs in so ergänzender Ausführung aneinander, wie W. hier erzählt, auch legten uns frühere Erörterungen bereits die theoriewidrigsten Thatsachen gegen W. dar, und dass ohne „Zielstrebigkeit" aus einzeln unregelmässig auftretenden Farbenflecken niemals Schlag- schatten-Anpassungen akkumulirt werden könnten, muss dem Denk- willigen aus obiger Darstellung Weismann's sofort auf's Neue ein- leuchten. Uebrigens aber sehe ich keinen Grund, warum das schaf- fende Prinzip sich desjenigen Rezepts bedienen sollte, das ihm die „Studien" soeben vorzuschreiben das Entgegenkommen haben. Ich wüsste nicht, was an der Vernünftigkeit eines Keim- und Heran- reifungs -Prozesses neuer Färbungsbildung auszusetzen wäre, wenn der Organismus naturkontaktisch erst einzelne Punkte, dann mehrere, dann zusammenfliessende und schliesslich Streifen lieferte, und zwar nur im Tempo der einzelnen individuellen Konstitutionen, aber nicht im fertigen Paradeaufmarsch Weismann'scher Idee. Die Unbegreif- lichkeiten und Wunder, die W. in die phyletische Entwicklung titulirt, die vollziehen sich ähnlich qualifizirt an jedem gefrieren- den Glasfenster. Die Schönheit, Regelmässigkeit und „Anpassung" der Bildungen auf anorganischem Gebiete könnte uns viel wunder- barer erscheinen, als wie die der Organismen, wo die Korrektheit der „Anpassung" durch die vorhandene Bisegmentation unver- gleichlich gefördert und durch die Initiative des mobilen Ge- schöpfes ausgenützt wird. Auch Regen und Sonnenschein treffen die ganze Erde und klei- den sie in Grün um aus Weiss oder Grau, aber ganz nach dem „Or- ganismus" der Zone, und nicht in einem Guss und Strahlen. Und nur Aehnliches könnte man auch von dem Verlauf eines neuen „Raupenfrühlings" vernunftgemäss erwarten. Ganz anders verhält sich aber die Sachlage zur Selektion, wie wir schon mehrmals erkannten. Nehmen wir nun auch unsererseits einmal versuchsweise an, die Selektion habe wirklich die helle Schräg' — 95 — streifung der Smerinthini allmälig aufgebildet, der ganze Orga- nismus und Chemismus, die Biomorphosis des Raupen- körpers sei darauf innerhalb der Jahrmyriaden akkumu- lativ präparirt und erstarkt zur Leistung dieser existenz- nöthigen Schutzmusterung: wie könnte solcher Organisationskom- paktion und Komplettirung zuwider nun plötzlich doch ein ganz neues grelles Farbenfleckchen auftreten?! Und wie könnte „die Auslese des Passendsten" dieses irritable eine individuelle Pünktchen nun alsbald oder irgendwenn jemals auffassen und auf- arbeiten zur Anlegung von Schlagschatten-Nachahmung? Auch nicht die Spur eines Vortheils wäre vorhanden zum bevor- zugten Erhaltenbleiben solcher einzelnen Variation unter der normal so vortrefflich angepassten Hauptsumme der Smerinthus-'Rau^enl Das Gegentheil kann nur auf Kosten aller gesunden Anschauung be- hauptet werden. Und womit würden denn die durch solche Pünktchen -Akkumu- lation benachtheiligten Konsumenten entschädigt? Womit gliche sich die Balance nach Individuen und Spezies wieder aus?' Mag man das Fundament des Weltganzen suchen oder hinsetzen wo mau will, aber soviel Walten von Vernunft muss doch Jeder darin wahrnehmen, soviel Dank, muss ich sagen, der in sich ver- knüpften Natur schuldig sein, dass er ihr nicht die Verlegenheiten individueller Klügelsucht abstrahiren sollte und darf. Zu Weismann's Hypothese der Entstehung von Farbensäumen aus Farbenflecken passt es überdies gar nicht, dass dieselben z. B. bei Sph. Ligustri stets alsbald fertig und niemals in „Rückschlägen" auf „phyletische Phasen" irgendwie fleckenähnlich erscheinen. Wir wollen nun auf die Sichtung der von W. verwertheten Augenflecken und Ringflecken übergehen, und können gegen deren selektirtes Entstehen die soeben dargelegten Widerlegungen als ebenfalls voUgiltig im Sinne behalten. Die Augen flecke sollen nach S. 99 der Stud. Schreck- mittel sein, welche den Zweck hätten, „ihren Träger möglichst „fürchterlich erscheinen zu lassen. In Gefahrsmomenten sollen einige „Sphingiden- Raupen die sogenannte Sphinx - Stellung annehmen und „bei wirklichen Angriffen wie toll um sich schlagen, und sich damit „nicht nur zu befreien, sondern auch ihre Dränger in Schrecken zu „setzen versuchen. Selbst bei Menschen, namentlich bei Kindern „und Frauen erreichen sie auch diesen Zweck, leichter vielleicht, als „bei ihren „erfahreneren" Feinden, den Vögeln." Diese emporgehobene Haltung des Vorder- oder Hinter- körpers ist indess einMerkmal derRuhe bei den Raupen — 96 — und kehrt, wie das Umsichschlagen, bei den verschiedensten Gat- tungen, z. B. bei den Platypterygiden , bei Harpyia, Notodonta, Sybocampa, Stauropus, Asteroscoptis, Plusia und bei vielen Geo- metriden wieder. Sie entsteht durch eine Kontraktion der Musku- latur bei dem Bemühen den Untertheil des Kopfes, wo die Augen sitzen, an oder unter dem ersten Körperring zu bergen; denn diese Raupen erzeugen ihren Augen damit freisitzend bereits die erwünschte Dunkelheit, welche an- dere Raupen ohne solche Manieren durch Flüchtung an den Boden erst erreichen. Die mit Augenflecken gezierten Chaerocampa-Rau^en hingegen ziehen im Ruhezustande und momentan auch bei Angriffen, die drei ersten kleinen Segmente in das starke vierte Segment zurück und nach W. soll „wahrlich wenig Phantasie dazu gehören, um in „solcher Raupe mit dem angeschwollenen augenbesetzten Vordertheil „ein fürchterliches Ungeheuer mit feurigen Augen zu „sehen." Die darwinistisch dozirenden „Studien" ergehen sich hier in den naiven Ausdrücken des Hexenzeitalters. Für die thatsächlichen Natur- beziehungen wird solches „Ungeheuer" gewiss nicht mehr „fürchter- liche" Bedeutung haben, als ehemals die „Flammenschwerter", „Feuerbesen" und „Feuerräder" des Himmelsgewölbes. Bei „Frauen und Kindern" mag solche Raupe und überhaupt jede Wurm- gestalt Abscheu erregen, einer Eidechse oder selbst „einem kleinen Vogel" gegenüber bleibt dergleichen nicht endgültig. Hier kommt es sehr auf die Spezies an. Den Meisen gegenüber sollen selbst echt menschliche Augen nicht sicher sein, dem Storch und der Ente aber gelten ja feiste glotzende Kröten und widerlich gefleckte Sala- mander nur als leckre Bissen. Auch Weismann's Eichelhäher tödtete die vorgeworfene Wein- raupe sofort. Aber nicht, weil er, wie W. sagt, seit Jahren gezähmt und gewöhnt war, auf Alles loszuhacken, sondern im Gegentheil. weil er ein freigeborner und naturgemässer Gegner der Raupe war. Dass die Haus hühner die ihnen in den Futtertrog geworfene fremde Erscheinung der Raupe erst vorsichtig umkreisten, bevor sie ihr den Garaus machten, kann bei solchen Zuchtthieren nicht überraschen, und dass die nicht viel weniger hausgehörigen Spatze deutliche Scheu davor äusserten, eben so wenig. Auf die Dauer würden auch sie die Raupe kaum geschont haben und noch weniger, wenn sie ihnen auf natürlichem Gebiete vorgekommen wäre. Hier am Troge waren die schlauen Spatze ohnehin auf unerlaubtem Terrain und ahnten wohl eine Art Falle. — 97 — Ob aber die Augenflecke au sich, oder nicht vielmehr das Total der Raupe das Zaudern verschuldete, bleibt entschieden zwei- felhaft, und ich glaube, dass der Schreck trotz verdeckter Augenflecke nicht ausgeblieben w*re, und ebenso vor einem tanzenden Holzkreisel oder einem sich aufdröseln- den Gummifadenknäuel geäussert werden würdei). Was macht die Theorie der W.'schen Zuchtwahl übrigens mit den Augenflecken auf dem 3. und 5. Segmente, die beim Einziehen in den 4. Ring theils ganz verschwinden, theils nur noch ein wenig hervorblinzeln? und was hätte die „sekundäre" Aus- züchtung der ersten Anfänge dieser selektionslogisch noch gegenwärtig geltungslosen Flecke fördern sollen? Dem vor der Raupe befindlichen kleineren Angreifer bleibt das zweite Paar Augen hinter dem angeschwollenen 4. Ring allemal verborgen und kommt erst bei seitlicher Betrachtung zu Gesicht. Der Vorderkörper einer solchen Weinraupe frei emporgerichtet soeben vor mir ruhend, erinnert im Profil allerdings an einen Eber- oder Tapirkopf. Etwas Schreckhaftes sehe ich aber in diesem mi- kroirten Formanklang nicht dargestellt: namentlich kann ich i) Der Sperling gehört als Insektenfresser zu den alier- schädlichsten Vögeln. Lehrer Hiller in Brieg theilte nach dem ,,Landw/' in einer schlesischen Gesellschaft für Kultur seine Beobach- tungen über den Sperling mit. Danach rührt der Sperling keine der schädlichen, verheerenden Raupen an, flieht vielmehr vor ihnen, wenn sie in grosser Menge auftreten und ihm in die Nester kriechen. Nur harmlose, kleine, weiche Raupen, welche meist unschädlich sind und welche von allen kleinen Vögeln , die Finkenarten einbegriflFen , zur eigenen Nahrung und zur Fütterung der Brut benutzt werden, sucht er auf, auch nur während der Zeit, in der er Brut zu füttern hat. Doch damit nicht genug. Gerade unsere nützlichen Insekten, die Ich- neumonen (Schlupfwespen), scheinen sein Lieblingsfutter zu sein. Be- kanntlich legen die Schlupfwespen ihre Eier in die lebenden Raupen, welche zu Grunde gehen, indem ihr Körper dem aus dem Ei sich ent- wickelnden Schmarotzer Nahrung giebt. Als Hiller eines Tages eine Menge Raupen der verschiedensten Art, welche von Schlupfwespenraupea durchsetzt waren, aus dem Zuchtkasten warf, flogen mehrere Sperlinge herbei und machten sich über dieselben her. Nachdem sich die Spatzen entfernt hatten, fand Hiller, dass nur die kleinen, feinen Raupen ge- fressen waren, die grösseren Raupen waren noch alle vorhanden, nur die Ichneumonlarven waren herausgepickt. Mehrfach wurde auch be- obachtet, dass Sperlinge an Wände und Zäune anflogen, an denen Raupen des Kohlweisslings hinaufgeklettert waren. Die nähere Be- sichtigung ergab, dass sie nicht die Raupen gefressen, sondern nur die daran befindlichen Schlupfwespenlarven aufgesucht hatten. Hiernach gehört der Sperling als Insektenfresser zu den allerschädlichsten Vögeln. 7 — 98 — aber an eine akkumulirte Schreckwirkung auf Grund dieser Form und Zeichnung selektionslogisch nicht glauben un- vernünftigen Wesen gegenüber, dieohnealleBedeutungserfahrung für solche Gestaltungs-Reminiszenzen sind. Mancherlei abenteuerliche Formen begegnen uns auf dem Ge- staltungsgebiete auch der Schmetterlingslarven. Wenn die erwachsene dunkelfarbene Varietät der Notodonta Tbri/a-Eaupe z. B., mit dem im stumpfen Zickzack gebogenen, zahngekerbten, misstönig lilafar- benen Körper an einem Blatte ruht, den zugespitzten Vorderkorper im schwanzartigen Bogen niederwärts gesenkt, das gelblichbraune Hintertheil aber sphinxähnlich emporgereckt, einen Höcker auf dem simulirten Scheitel und die Afterfüsse gleich Walrosszähnen heraus- gespreizt, dann ähnelt solche Raupe durchaus einem verkleiner- ten Ungeheuer der Urwelt. Das Hintertheil spielt die Rolle des Halses und Kopfes, der Höcker die Ohren, After und Afterfüsse ko- piren Schnauze und Stosszähne und ein scharfer Farbenstreif grenzt simulirt Hals und Leib ab, der drachenartig gezackt und geschwänzt verläuft. Welcherlei scheuchende Bedeutung dürfte man aber solcher mikroirten Anklangform an ein einstmaliges Ungeheuer reell zuschreiben, dessen Schreckhaftigkeit höchstens die menschliche Forschung und Phantasie nach einigen Knochenresten interessirt oder nach „Drachenbildern" gruselnd amüsirt. — Indem ich rasch zu den „Ringflecken" übergehe, „deren bio- „ logische Bedeutung den Stud. als eine wechselnde erscheint", glaube ich dieselben darüber, dass sie keine grosse Reihe von ähnlichen Versuchen wie mit den Weinraupen anstellen konnten , beruhigen zu dürfen. Wenn es auch nach den Experimenten von Weir und Buttler buntgefärbte Raupen giebt, die von manchen insektenfres- senden Vögeln, Eidechsen und Fröschen nicht gefressen würden, und Weismanns eigene Eidechse z. B. auch die Raupen des Ringel- spinners nicht verzehrte, so muss es dennoch genügend andere natür- liche Vertilger der hier verschmähten Raupen geben. Diese sind innerhalb der kulturloseren Waldungen überhaupt weniger häufig als in den Obstpflanzungen, wo freilich die Spannung der natürlichen Proportion durch menschlichen Eingriff mehr irritirt ist, als wie in den Forstungen, demnach auch unserer eigenen Korrektur reichlicher unterzogen werden muss. Die der gemeinen Ringelspinnerraupe ganz ähnliche Gastro- pacha Castrensis, auf mehrerlei häufigen Pflanzen, auf Haide, Wolfs- milch, Storchschnabel, Flockenblume und Plabichtskraut lebend, wächst dennoch niemals verheerend an. Einen Hinweis auf das Vorhanden- — 99 — sein naturentsprechender Belebungsproportion liefern gerade auch die von W.'s Eidechse verschmähten Raupen des gemeinen Kohlweisslings. So verwüstend dieselbe auch im Sommer vorhanden sein mag und so wenig Liebhaber sie nach oberflächlicher Wahrnehmung findet, trotz- dem fällt es nicht so leicht, im Herbst oder Frühling eine Raupe oder Puppe zu erlangen die parasitenfrei wäre. Wie begabt aber auch die anscheinend blöden Thiere sind, und wie rasch sie eventuell eine neue Situation begreifen und korrekt behandeln, erzählt uns W. selbst, dessen Eidechse die ihr wider- liche Raupe von Euchelia Jacohaea auf ihre Qualität prüfend mit der Zunge (?) berührte, nachdem sie die ähnliche Raupe von Gastropacha Ruht als geniessbar kennen- gelernt hatte. Aber weder die hier verschmähte JEuchelia Jacohaea, noch die, mit (für Manche unter uns) übelriechender Fleischgabel versehene Schwalbenschwanz-Raupe, geniessen eine allgemeine Immunität in der Natur. Namentlich letztere trägt der Sammler oft angestochen ein und erzieht eine Ichneumonide anstatt des Falters. Wenn uns W. nun (S. 105) erzählt, dass seine Eidechse sowohl die schwarze wie auch die gelbe Form der Deilephila (ra/ii- Raupe zwölf Stunden lang beharrlich verschmähte, während sie eine Wolfsmilchraupe binnen fünf Minuten hinabwürgte, und hier- nach selbst erwägt, dass manche durch widrigen Geschmack geschützte Thiere dennoch einzelne Feinde besitzen könnten für welche dieser Geschmack nicht gelte, so dürfte auch noch anzunehmen sein, dass auch unter den einzelnen Individuen ein und derselben Art, ganz wie unter uns Menschen, eine verschiedene Appetits-Rich- tung bestehe. Es möchte fernerhin sogar zweifelhaft sein, ob die Appetitlosig- keit einer eingesperrten Eidechse während eines halben Tages, auch als wissenschaftlicher Beweis gelten kann für die stete Immunität der verschmähten Raupenart vor jener Eidechse. Die Ansicht W.'s aber, die Wolfsmilchraupe dürfte für Eidechsen, die sie ganz ver- schlängen nichts Widerliches bieten, während sie für Vögel, die sie zerhacken, widrig sein könne, erscheint etwas komisch. Denn hier- nach dürfte man auf die Möglichkeit einer Anzüchtung von Selbst- täuschung folgern, indem die Angreifer „widriger Bissen" diese mit geschlossenen Augen hinunterschlucken lernten. Die naturgemässen Vorgänge belehren uns aber eines Besseren: die körnerfressenden Vögel schreiten sehr selten zu Angriffen auf Raupen, die Insekten- und Vielfresser aber überrascht man oft bei jener uns recht widerlich scheinenden Mahlzeit angeregt beschäftigt. Wenn die Stud. (S. 107) die Scheu von Frauen und Kindern — 100 — vor der Schlangenähnlichkeit einer Nicaea- oder (?aZir-Raupe be- tonen, und die Aengstlichkeit bei dergleichen gelegentlichen Begeg- nungen als induktiv für ihr „wissenschaftliches Thema bewerthen wollen, so halte ich dies für unzulässig. Was haben denn die ordnenden Vorgänge und Beziehungen innerhalb der freien Natur mit der gelegentlichen Angst von Frauen und Kindern vor einer Raupe zu thun. Eine Masse von allerhand Formen wird von unserer Sensibilität gemieden, ohne dass doch die natürlichen Konsumenten dieses „abscheulichen Ungeziefers" irgendwie an solchem Abscheu theilnehmen. Speziell zur D. {ra/ü-Raupe, die nach der zwölfstündigen Probe sowohl in ihrer schwarzen wie gelben Form von der Eidechse unangegriffen blieb, so wüsste ich hiernach nicht, was eine auf die Fleckenzeichnung gerichtete Selektion nach eingetretener Immu- nität, noch an der Raupe zu schaffen hätte, und wie und warum diese konsumverschmähte Foi'm des VI, phyletischen Stadiums noch bis zu dem VII. Stadium der D. Nicaea befördert werden konnte? Zumal auch die dazwischen innenliegende Wolfsmilchraupe, D. Euphorhiae, wieder anstandlos verzehrt wird. Wenn ein älteres phyletisches Stadium, wie Z>. Gallig in ver- schiedenster Färbung bereits verschmäht, angriffsgemie- den wäre, so entfiele die weitere Auslese, und namentlich könnte ein variirendes Farbenfleckchen keine Bedeutung für die Selektion haben, Avenn schwarze wie gelbe Totalvariationen gleichverschmäht bleiben. Wenn aber die Stadien der Z>. Euphorbia e-Dahlii und Nicaea, nach W. aus dem immunen Stadium der Z>. Galii {Ves- pertilis und Mauretanica) erst heraufgezüchtet worden sein sollen, so begreift sich dies auf Grund der W.'schen Auslegung der Selek- tionstheorie absolut nicht. Die Stud. erklären ausdrücklich die Raupenzeichnungen der VIL Staffel als ein Resultat der Selektion aus dem VI. Stadium. Dieses VI. Stadium wird uns aber, gleichviel ob schwarz oder gelb gefärbt, als widrig und konsumverschmäht vorgeführt. Da also die Weismannsche Auslesetheorie hier nur mit der Zeichnung rechnet, so müssten alle drei gleichgezeichneten Repräsentanten des VI. Stadiums verschmäht und selektionsfrei bleiben, umsomehr als uns dies von der ähnlich gezeichneten resp. gefärbten Raupe des VII. Stadiums, D. Nicaea, ebenfalls versichert wird. Die gegenseitigen Verneinungen der Studienlehren mittelst ihrer eignen Themata und Induktionsnahmen finden also nur neuen Zuwachs. Weismann versucht nun die Erklärung des zumeist nur am Schwanz hörn sitzenden rothen Ylecken^ Aev D. Hippophaes- — 101 — Raupe, indem er ihn für eine unbestimmte Nachahmung der Beeren der Nahrungspflanze hält. Er kennt' keine Raupe, welche genauer als diese in ihrer Ftärhung die Blätter ihrer Nahrungspflanze nachahme, und in derselben Zeit, in welcher die Beeren sich roth färbten, seien die Hippophaes-RsiUlien im letzten Stadium und mit rothen Flecken versehen. „Aus demselben Grunde, aus welchem diese Raupen die Gewohn- Jicit erlangt hätten, „nur" in der Dämmerung „sowie bei Nacht" zu „fressen, aus demselben Grunde müsse es auch vortheilhaft für sie „sein, diese rothen Flecken zu haben, welche in Farbe und auch in „ihrer Stellung an die gruppenweise den Stengeln ansitzenden Beeren „erinnern, und mit dem Hintertheil der Raupe am Zweige ruhen, wo „auch die Beeren sitzen. Ja es sei zu vermuthen, dass die geringen „Fortschritte, welche die Bildung sekundärer Ringflecke bis heute „gemacht habe, eben darin ihren Grund habe, dass solche Beeren- „ flecke an anderen Stellen dieser Raupe eher schädlich als nützlich „seien". „Weil nun solcher Beeren an einem Strauche sehr viele Avären, „so sei gerade der kleinere und weniger auffällige Beeren-Fleck, „vor wirklichen Beeren den -Augen der verfolgenden und Beeren „suchenden Vögel minder lockend, und auch deshalb vortheilhaft für „die Raupe, weil die Beeren zur Reifezeit der Raupen sich erst roth „zu färben begännen. Dieser Fall verdiene seiner besonderen Wich- „tigkeit halber ausführlichere Behandlung, weil er der einzige sei, der „uns lehre, dass die Ringfleckreihen der DeilephUa-Rai\\^ci) von „einem einzigen Fleckenpaar ausgegangen seien, der einzige Fall der „uns die Wurzel der ganzen Entwicklungsreihe ans Licht ziehe und „damit die ursprüngliche, primäre Bedeutung klar lege". Also hier soll einerseits die Dürftigkeit, der Mangel des Ringflecks an Aehnlichkeit mit wirklichen Beeren die Vögel ab- lenken und täuschen, sie wirklichen Beeren zuleiten, andererseits aber soll der erst gleichzeitig eintretende Beginn der rothen Um- färbung der Beeren, diese Ablenkung und Täuschung nicht auflieben. Es sind dies bereits zwei sich widersprechende Begriffe, denn die geringe Ausführung der Beeren-Nachahmung passte für die Wahrnehmung der Vögel doch gerade in demjenigen Stadium, wo auch die rothe Umfärbung der Beeren erst beginnt. Die Vögel könnten diese Flecke gerade für eine der sich soeben anfärbenden Beeren halten und darnach fahnden. Korrekt passend auf die Selektionslehren W.'s würde es sein, wenn die D. Ilijypophaes-'Raui^en grünfarbene Flecken als — 102 — Schutznachahraung unreifer von den Vögeln gemiedenen Beeren trügen. Nun liegen aber alle Verhältnisse gerade umgekehrt als wie sie W. darstellt und verwerthet. Die Beeren des Sanddorns, der Nahrungspflanze der D. Eijjpojjhaes-'Riiui^e, werden über- haupt von keinem Vogel gefressen, sondern bleiben auch im Winter leuchtend an den Büschen, i) Mithin bedürfte es für die Raupen entweder gar keiner täu- schenden Beerenflecken, weil die Vögel ihrer Futterpflanze nicht nach- spähen, oder andernfalls müssten diese Flecken möglichst voll- kommen beerenähnlich leuchtend in Erbseugrösse die ganze Eaupe, namentlich aber deren Vorderkörper maskiren. Denn laut eigenem Text der Stud. (S. 109) „heftet sich die Raupe „beim Fressen mit dem Hintertheil, wo die rothen Flecken prangen, „stets einem Zweig an, und nur das Vordertheil streckt sich mehr „oder weniger vom Zweige ab dem Blatte parallel. Die rothen Flecke „werden also immer am Zweige stehen, wo auch die Beeren sitzen." Diese Beerennachahmung am Hintertheil Avürde demnach inner- halb der wirklichen Beeren, denen die Vögel nicht nachstellen, ziemlich entbehrlich sein, wohl aber bedürfte der vortretende der Gefahr exponirte Vorderkörper solcher Schutzfleckung; und dennoch ragt gerade er je weiter vor desto fleckenloser grün aus den Beeren heraus. Kann es wohl eine deutlichere Verneinung und Niederlage der Studien-Theorien geben, als sie ihr allein diese D. Hippophaes nun dreifach bereitet. Und dies ist ihr „einziger Fall", sagten sie selbst, der uns lehren soll, auf welchem Wege die Selektion die Ring- fleckreihen kumulirte, ihr „einziger Fall", der uns die Wurzel der ganzen Entwicklungsreihe ans Licht, die Ursache der Bildung klarlegen soll!? Wir können mit diesem Zeugniss über die Hinfälligkeit des ganzen „Studien "-Gebäudes zufrieden sein. Für mich, dem Anhänger einer einheitlichen, aus der Natur heraus bedingten kontaktischen Organisation, erscheint aus Vorstehendem Folgendes angedeutet. Da der Z>. Hippophaes-RdiW^Q bis ins Stadium IV. die rothen Flecke mangeln, zu dieser Zeit auch die Beeren ihrer Nahrungspflanze noch grün sind, die rothen Flecke aber mit der neuen Häutung und gleichzeitig mit der beginnenden Umfärbung der Beeren in Roth auf- treten sollen, so scheint eine direkte sjnnpathisirende Verbindung dieses Raupenorganismus zu der Färbung seines Aufenthalts vor- i) Jäger, Deutsche Bäume und Wälder. — 103 — banden, die sich als eine Art naturgesetzliche „photographische" Einwirkung mechanisch vollziehen mag. Hiernach wäre die Vermuthung gestattet, dass die Variabilität der Raupe mit ihren verschiedenen Ruheplätzen an der Nahrungs- pflanze in Zusammenhang steht, dass ein beerenreicher Sitz während der Häutung die rothen Flecke mehrt, der entgegengesetze Fall die Fleckenanlage mindert, immer freilich nach Zulässigkeit des speziellen, individuellen und ererbten Organismus. Erörterungswerth dürfte es sein, ob D. Hippophaes-Raii'pen auch an beerenlosen männlichen, oder nur an weiblichen Büschen des Sanddorns vorkommen, und ob, wenn ersteres der Fall wäre, sich etwa ein Mangel, eine Abnahme der Seitenflecke resp. eine Mattig- keit des Hornflecks bemerklich macht. Einheitlich und naturharmonisch wie überall, so liefert jedenfalls auch hier die Naturnothwendigkeit das Raupenbild in seine Umge- bung, ohne dass die schwankenden Feilen einer Selektion etwas nach- zubessern hätten. Und gleichviel ob hier am Sanddorn das Auge die Raupe unentdeckt übergleite, oder ob dort eine andere Raupe gelegentlich als „widriger Bissen" prahlend in der Sonne schmore, diese wie jene sind naturproportionell da, und gewisse Naturfaktoren sorgen für die Raison ihrer Zahl. Unter dem Titel: Untergeordnete Zeiclinungs - Charaktere widmen die Studien nun dem feinen Netzwerk dunkler Längsstrichel- chen, der sogenannten Berieselung, und den hellen Rückenpunkten, die bei verschiedenen, am stärksten bei den dunkel gefärbten Raupen im erwachsenen Stadium auftreten, sowie gewissen hellen Seiten- flecken der Sphinx Convolvuli-Rai\\^e, ebenso gewissen Schrägstrei- fungen eine kurze Erörterung. Sie erkennen in der dunklen Berie- selung und in den hellen Rückenpunkten keine bestimmte Nachah- mung, sondern nur ein Mittel, die grosse gleichmässige Fläche der Raupe zu unterbrechen, ungleich und dadurch weniger auffallend zu machen. Ihre Zurückführung auf Naturzüchtung könne kaum zweifel- haft sein. Nicht mehr Bedeutung habe auch die nur noch rudimentär beibehaltene Schrägstreifung. Besonders deutlich ist diese Rieselung bei den dunklen Wein- schwärm er- Raupen sowie bei Pterogon Oenotherae vorhanden, und diese Raupen werden auch von W. zitirt. Da muss ich nun wieder entgegenhalten, dass die Zaghaftigkeit der hier gelehrten hasenhaft schutzsuchenden Rieselung doch im direkten Widersinn zu der bisher „induzirten" Schreck absieht der ungeheuerlich glotzäugigen „Schweinchenraupe" stehen würde. — 104 — Bisher suchten uns die Stud. , selbst durch Experimente mit H ü h 11 e r n u n d S p a t z e n , dieselben Raupen doch als „ e r s c h r e c k e n d e , gemiedene, fürchterliche Ungeheuer" nachzuweisen, für die sie jetzt sogar das zarte Netzwerk einer Rieselung angezüchtet er- klären, damit sie schutzbedürftig nur möglichst wenig auf- fallen. Wohin sollen diese fürchterlichen Ungeheuer nun die glotzen- den Schreckaugen stecken, die ihnen am geblähten, noch dazu un- bericselten Scheitel sitzen, wenn sie das Rieselnetz des übrigen Körpers dem Feinde verbergen sollen? Wir sehen, wohin wir die „Studien" auch begleiten, überall findet sich eine einseitige Verwendung des induktiven Materials, und nach Darlegung so mannigfacher Widersprüche über den Verlauf der phyletischen Vergangenheit dieser Raupen, bedürfte es kaum weiterer Nachweise gegen die Hypothesen Weismanns, Doch bleibe seinen Studien eine möglichst erschöpfende Sichtung auch ferner gewidmet, um deren Haltlosigkeit bis in jede Figur nachzuweisen. Die Rieselung tritt erst im erwachsenen Stadium der Raupen zugleich mit der braunen Färbung auf, (erscheint in dieser Entwicklungsphase freilich auch bei der seltneren g r ü n b 1 e i b e n d e n Varietät der Weinraupe. Nach der Theorie W.'s müsste diese Rie- selung demnach weit später erworben worden sein, als die Schreck- augen, denn diese treten bereits zwei bis drei Häutungs-, also phy- letische Rekapitulations-Stadien Weismanns, früher auf; erhalten aber gleichwohl ihre volle Ausbildung erst gleichzeitig mit dem Erscheinen der Schutzrieselung. Es liegt aber doch klar auf der Hand, dass der am Tage ver- steckt lebenden, sympathisch farbengeschützten Raupe die Selektion keine Schreckaugen zu komplettiren hätte und komplettiren konnte, oder dass andrerseits die mit Schreckaugen bewehrte Raupe hiernach keiner Schutzrieselung bedurft hätte. Jedenfalls ist die gleichzei- tig statthabende komplettiren de Ausbildung der Schreck- Augenflecke und der bergenden Schutz -Rieselung unvereinbar mit den Transformationslehren W.'s sowohl, wie mit den Anforderungen gesunder Erwägung. Die symbolische Zwitterfigur eines „Wolfes im Schafskleide" könnte der Mechanik einer natürlichen Auslese nimmermehr ent- springen, geschweige denn, dass diese Mechanik zweierlei, diame- trisch zu einander gerichtete Charakterismen gleich- zeitig in einem und demselben Organismus aufarbeiten konnte. Undenkbar wäre eine fortschreitende Kumulation von T r u t z - Zeich- nungen während der auslesenden Heranbildung von Angst- Merk- malen, — 105 — Wie ich bereits äusserte, halte ich diese Beriesehmg, uiul so auch die mitunter vorhandenen lichten Rückeni^unkte für eine im speziellen Organismus begründete Wiedergabe des wirren, "feinen Schattenspiels der Pflanzenstengel- und Blätter -Menge, mit Licht- punkten durchstreut, in welchem die Raupe vor den Sonnenstrahlen am Boden Schutz sucht. Der namentlich zur Häutungsperiode saft- strotzend gestaute, empfindliche organische Chemismus vermag die ihn umgebenden Farbentöne je nach seiner spezifischen und indivi- duellen Qualität und Histogenie wahrscheinlich zu. reagiren und die ihn naturnothwendig umgebenden Bilder in der von mir bereits an- gedeuteten Segmentären Regelung und Ordnung des Strukturinnern, gewissermassen photographisch wiederzugeben. Streifungen, Ring- und Augenflecke entstehen kontaktisch nach dem Gang der inneren Säfteströmungen, Stoffablagerungen und Ge- webestrukturen. Das Auftreten der Zeichnungen erst nach erfolgter Nahrungsaufnahme und damit begonnenem lebhaften Säftewechsel w'ürdc hierher stimmen. Aehnlich wie die Längsstreifung der Rückenmitte, die Dorsale, auf dem Pulsstrom des Herzgefässes basirt, so bezeichnen wahrschein- lich auch die Seitenstreifungen , die Subdorsalon, innere Bahnen der Blutströmung. ' Die Modifikationen dieser Streifungen sowie weitere Zeichnungsbilder mögen durch die generale Körperform, durch den Niederschlag, verschiedene Dichte und Lagerung der Fetttheile, durch Muskelläufe und Anhaftungen, durch den Darmtraktus, durch den Nervengang und den Sitz und die Windungen der Luftkanäle, sowie durch den Sitz und die Entwicklungstempi der inneren Keimanlagen des Zeugungsapparats und der Extremitäten des zukünftigen Falters, sowohl schematisirt wie auch spezifisch eigenthümlich komplizirt werden. Hierbei werden die kontaktischen Beziehungen des spezifischen Chemismus zu den Beleuchtungs- und Ernährungs-Verhältnissen, wie auch die Farbenbeziehungon zu einander, sowohl ihre primäre Grund- lage setzen, wie auch sekundäre begrenzte Beweglichkeiten der De- korationen mit sich bringen. Wahrscheinlich findet an den Thei- lungsstellen der glatten, ebenen Segmente, vermöge der inneren An- haftung straffer Muskulatur, vielleicht auch durch eine etwas mattere Rückströmung der Säfte oder durch Kreuzungs stellen der Stromrich- tungen befördert, eine Art Stagnation und Hemmniss der Blutflüsse statt, die sich an gewissen Stellen zu Rotationen steigert. Deshalb und ganz besonders auf starken Segmenten nach der Ablösung mit schwächeren, finden wir an diesen Stellen die Schwer- punkte der Zeichnungen und der Fleisch- und Behaarungs-Aufsätze. — 106 — Hier mag die gespeisteste, empfänglichste Basis für die Aufnahme der direlvten äusseren Einflüsse ruhen; und hier vermuthe ich auch die Ausbildung von Augen- und Ringflecken durch Rotationsbewe- gungen der Blutsäfte, namentlich auch, wenn die Bilder der Umgebung in optischem Kontakt entgegenkommen. Leider muss ich mich jetzt auf Andeutungen beschränken, denn obschon ich meine, dass viele Zeichnungen auf dem Kontakt des Or- ganismus zur Ausseuwelt beruhen, weil sie stets der Hautfläche, also den Berührungsebenen des Inneren mit dem Aeusseren imprägnirt sind, so vermochte ich die Naturhandlungen dafür bisher nicht nach- zuweisen. Lediglich auf einem Fluchtwege, den ihnen helle Punkte auf sekundärem Gebiet theoretisch aufzwingen und die sie nun nicht wie anderwärts als „werdende Schlagschattirung" bewerthen können, fin- den nun auch die Stud. selbst Avenigstens einen Zeichuungscharakter heraus, der rein „nur durch die Bildungsgesetze hervoi^gerufen sei „und zwar durch Aufeinandertreffen zweier, rudimentär gewordener „älterer Charaktere." Es sind dies helle Fleckchen, die bei Sphinx Convolvnli an der Kreuzungsstelle der Subdorsale und der Schräg- streifen stehen, aber nur bei den dunklen Individuen dieser Raupenart bemerkbar sind, bei den helleren Stücken, welche die weisslichen Schrägstreifen an den Seiten deutlich führen, natürlich in solcher hellen Streifung mehr erlöschen müssen. Vergleicht man das hierzu gelieferte W.'sche Raupenbild Fig. 16 mit irgend welchen seiner übrigen Figuren ring- oder augen- fl eckiger Raupen, so findet man sofort, dass alle diese Zeichnungen, ausgebildete wie rudimentäre und gleichviel welcher Farbe, ebenfalls an dem Punkte dieser Kreuzungsstelle stehen, wie auch nach W. „die „Neigung des Organismus, helles Pigment abzulagern, doppelt so „gross sein muss, als an anderen Stellen der beiden Liniensysteme." Es ist nur bedauerlich, dass der Verfasser der Stud. sein Augen- merk nicht der anatomischen Prüfung uiid Weiterverfolgung dieser sprechenden Induktion zugewendet hat, sondern lediglich dem Dorato des Darwinismus alles Mühen und Hoffen opferte. Wir könnten anders wohl etwas vorwärts gekommen sein auf dem Boden verläss- licher Forschung. Auch bezüglich der Titulation verschiedener Organe und Cha- raktere als „rudimentäre" hege ich den Darwinisten gegenüber abweichende Ansichten, In den zusammentreffenden Zeugungsstoffen der Gatten liefert jeder spezifische Organismus die Quintessenz seines Ichs molekular — 107 — zur Entwicklung seiner Deszendenz und in naturnothwendiger Folge davon ist die Basis der Spezialität gesetzt und das Bild „der Verer- bung" in grösster Aehnlichkeit hergestellt und geliefert. Demnach besteht auch eine zusammenhängende Molekular -Ver- bindung oder Ueberlieferung aus Urzeiten, wodurch wieder die Vor- bedingungen" zur Aehnlichkeit der Ablehnung, Aufnahme und orga- nischen Verarbeitung der neuen Zuflüsse und Einwirkungen im Indi- viduum gesetzt sind ; und so wird auch die Erscheinung sogenannter rudimentärer Charaktere lediglich auf direkter organischer Ueberlie- ferung beruhen. Insofern nun jeder Organismus auf Grund seiner ererbten Spezialität auch die Verarbeitung der gegenwärtigen äusseren Zuflüsse bewirkt, wird er seiner Vorfahrenschaft nothwendig durchschnittlich gleich bleiben, sobald diese Zuflüsse durchschnittlich unveränderlich sind. Aendern diese aber, und ist der Organismus auch zur Verarbeitung der Aenderungen befähigt, so werden diese Aende- rungen molekular auch in den Zeugungsstoffen Platz nehmen und der Deszendenz übertragen werden. Gegen neue Einflüsse sterile oder antagonistische Organismen aber werden unter wesentlich ändernden Aussenverhältnissen erliegen, relativ bald aussterben und weit früher verschwanden, als wie eine Neubildung in der empfänglichen Deszendenz deutliche Gestalt er- halten könnte. In den nach der Zeit so äusserst langsamen Umschwung der äusseren Verhältnisse, treffen eine ungeheure Reihe von deszendenten Zeugungsfolgen, und weil der von den äus- seren Aenderungen besonders berührte organische Körpertheil im Individuum nun nicht die vorher giltige Struktur, sondern stets nur die modifizirte zur Zeugungsmasse liefern kann, so wird die Deszen- denz niemals hinter den neuen Erfordernissen zurückbleiben können. Wohl aber k-ann das Generale des Naturganzen in seinen Detail- wesenheiten für uns unverständliche Keime seines fortschreitenden Umgestaltens anlegen , weil eben unendlich viele deszendenzliche Zeugungsfolgen sozusagen in einen Schritt des Weltganzen fallen. Nach dieser Anschauung glaube ich nicht, dass wir überhaupt rudimentäre Organe vor uns haben, sondern sozusagen werdende Neubildungen oder Umbildungen mit biomorphologischer Giltigkeit für jede Gegenwart. Was nun aber die Studien als rudimentäre Zeichnungs-Charaktere ansehen, die matteren Längs- und Querstreifen an den dunklen Raupen von Sphinx Convolvuli und an Chaeroc. Elpenor und Porcellus, das sind deutliche Zubehörs der Gegenwart, und müssten in diesem Sinn von W. selbst verwendet werden. — 108 — Derselbe betont mehrfach, so z. B. Seite 79, „die erwachsenen „Raupen von Caerocan^ya bei Tage stets ganz unten an den dürren „Aesten und welken Blättern der strauchartigen, vielästigen Nahrungs- „pflanze, dem Epilobium hirsutum gefunden zu haben, und selbst „wenn sie an dem ganz niedrigen Epil. parviflorum lebten, verkröchen „sie sich am Tage in dem Blätter- und Stengelgewirr v^\\ Boden". Nun, die bereits S. 65 angedeutete Ungenauigkeit dieser Angaben hier übergehend, so markiren sich doch an den welken trockenen Blättern die Rippen, wenigstens plastisch, oft deutlicher als an den grünen, und die daran sitzende Raupe dürfte nicht weniger als wie die grüne am grünen Blatt, ein Abbild dieser Rippung aufweisen/ versicherte doch W. soeben: „die Rieselung der dunklen Raupe könne „nur auf Naturzüchtung beruhen". Freilich sagt er hier nicht be- stimmt „auf Anpassung" weil die Trutz ausstattung der Chaerocam- pini logisch keine Schutz anpassung neben sich verträgt, und deshalb degradirt er auch die mitunter recht matten Schrägstreifen zu rudi- mentären Charakteren „die freilich jetzt sehr variabel seien, entspre- „chend dem geringen biologischen Werthe, den sie beanspruchen „könnten, weil sie nicht mehr durch Nachahmung der umgebenden „Gegenstände, sondern nur durch Coupirung der grossen Oberfläche „der Raupe nützen." Es kommt aber hauptsächlich auf die hellere oder dunk- lere Nuance der Grundfärbung an, ob diese Schrägstrei- fung deutlich ist oder matt, und eine Abbildung der helleren Chaerocampa Elpenor-'R^x\\)& in Rösels klassischem Werk zeigt sogar eine breite S üb dorsale von Segment 5 bis 11, oberhalb starker Schrägstreifen. Deutlicher als wie die Schrägstreifen bei den verschiedenen Raupenfärbungen erscheinen, dürften sie selbst als Grund des darwi- nistischen Anpassungsmechanismus nicht sein. Rösel-Klecmanns Angaben deuten aber eine direkte Ursache der Farben- und Zeich- uungs-Verschiedenheiten dieser Raupe an, indem sie melden, „dass die recht dunkelbraunen meistentheils kleiner bleiben als die übrigen hellbraunen und grünen, und dass die kleinere männliche, die grösseren (und scharfgezeichneten) weibliche Falter lieferten." Demnach würden diese Raupenverschiedenheiten sexuelle Gründe haben, worüber freilich noch Gewissheit zu suchen wäre. In den Stud. steht S. 112 zu lesen: „Als die Cliaerocampa-Rüw^&w noch „zeitlebens grün und den Blättern angepasst waren, scheinen sie „durchweg helle Schrägstreifen als Nachahmung der Blattrippen be- „sessen zu haben wie noch jetzt die Jugendform von Elpenor und „Porcellus". Und auf S. 123 sagt W: „Ich versuchte schon zu — 109 — „zeigen, wie der Färbungswechsel bei den C/mcro^xwjpa-Raupen „auf doppelter Anpassung beruht, indem die jugendliche Raupe dem „Grün der Pflanze, die ausgewachsene dem Boden und dürren „Laube angepasst ist." Wie kann hiernach und überhaupt von den Stud. nun gelehrt werden, die dunkelgrüne Streifung der grünen Raupe sei An- passung audio Rippen der grünen Blätter, aber die ockerbraunen Streifen der braunen Raupe seien keine Anpassung an die Rippen des ihnen zum Aufenthalt dienenden dürren Laubes, sondern nur Rudimente, bedeutungslos gewordene Ueberbleibsel jener dunkelgrünen, hellaufgeblickten Streifen der grünen Raupe?! Hierzu kommt noch der thatsächliche Widerspruch, dass diese Schrägstreifung bei Ch. Elpenor erst im letzten, bereits farben- variablen Stadium der grünen Entwicklungsphasen matt auftritt, und mit dem Antritt der braunen Färbung even- tuell an Ausbildung noch gewinnt, was uns W. selbst S. 13 ausdrücklich mittheilt. Wir können derartig widerspruchsvolle Theorien eben nur ver- wenden für das Bild der Unverlässlichkeitcn, das die induktive Auf- fassung und Wiedergabe der „Studien" unaufhörlich ansammelt. Den nun folgenden Abschnitt betiteln die Studien: Einwürfe zu Gunsten einer phyletisclien Lebenskraft, weil sie darin einige ihnen selbst einfallende Bedenken gegen ihre Theorien auch wieder mit eigenen Gründen widerlegen, und ebenso die gegnerische Rolle ihrer sogenannten „phyletischcn Lebenskraft" dem eigenen Abfertigungs-Talent übergeben. Anstatt einen der plastischen Begriffe: „organisches Entwick- lungsgesetz" oder ,,Universalprinzip .der organischen Natur", wie sie von Hartmann und Hub er uns imiirägniren , zum Angriff zu wählen, oder Nägelis „Vervollkommungsprinzip",Köllikers „Schöpfungsgesetz" und Askenasys „bestimmt gerichtete Variation", drängen sie uns den verwaschenen Ausdruck: "phyle- tische Lebenskraft" auf, nur um seine Nichtsnutzigkeit alsbald triumphirend darlegen zu wollen. Um so weniger gedenke ich dieser Spielpuppe der Stud. viel Gedenken zu opfern, sondern werde ledig- lich den steten Hinweis auf ein „organisches Entwicklungsge- setz", welches ja alle übrigen ebengenannten Titel in sich begreift, im eigenen Induktiv-Material der Stud. darzulegen trachten. Wenn von vornherein, so ist es ihnen nun erst recht ausgemachte Sache, dass der Raupenaufwuchs in Struktur und Färbungen eine Wiederholung der P'ormcnentwicklung derselben sei, und dass die verschiedenen Aehnlichkeiten erwachsener Raupen mit gewissen Jüngern — 110 — Stadien anderer Eaupenarten, das Zurückstehen der ersteren auf der Entwicklungsstaffel bedeuteten und nachwiesen. Kaum vermöchten sie auch anderer Meinung geworden zu sein, entgingen doch ganze Reihen induktiver Gegenbeweise ihrer Wahr- nehmung, und der als Ausgangspunkt vorhandene feste Glaube an Darwins „natürliche Auslese" bot ja ausserdem Gelegenheit, mittelst des vielseitigen Reserveapparates dieser pseudo-monistischen Theorie, die etwa wahrgenommenen Schäden zu maskiren. Die Studien halten die Deü. Ilippophaes für die Stammform aller heutigen Deilephüa-Arteu, und hier meinen sie nun zu beweisen, dass von dieser Art auch der „primäre" Fleck an der Horn- basis auf dem 11. Ringe sämmtlicher dieser Gattungsgenossen ab- stamme. Und zwar nur dieser eine Fleck, während die übrigen „sekundären" Flecke nach vorn am Körper zu, erst stufenweis bei den verschiedenen spätem Arten allmälig immer reichlicher und voll- ständiger, durch Zuchtwahl hinzugekommen seien, i) Deilephila Hippopliaes selbst nähme an der, „überall im seg- „mentirten Organismus" liegenden Neigung zur Wiederholung der Eigenthümlichkeiten eines Segments auf den übrigens) Theil, bei ihr aber könne sich die Ringfleckreihe nicht wie bei andern Arten zu einem konstanten und wohlentwickelten Charakter erheben, „weil „ein solcher die Existenz der Art gefährden würde". „Gerade die „Ringflecken der Deilephila- Arten zeigten uns die strenge Gesetz- „mässigkeit in der (Selektions-) Entwicklung der Raupenzeichnung." Es ist wieder bedauerlich, dass die Stud. wohl die geordneten Ansprüche namentlich auch des segmentirten Organismus erkennen, diese Proportion aber mit dem fertiggestellten Individuum gewisser- massen abgeschlossen und einer neuen Regelung durch die eigene Konkurrenz der Existenzen überliefert halten. Hier bei D. Hippo- pliai'S, wo sie so reichliche Erndte für ihre Hypothesen zu halten wähnen, zeigt sich aber gerade deren deutlichste Verneinung. Denn wie bereits dargelegt, könnte dieser Raupe in Konsequenz darwinistischer Theorien nichts nöthiger und nützlicher sein, als der Besitz recht vieler, deutlicher und grosser Nachahmungen der Beeren ihrer Nahrungspflanze, weil diese von Vögeln verschmäht bleiben. Und ganz besonders am Vor- derkörper müssten diese Beerenflecke brüsten, den die Raupe i) Hier ruht eine unbewusste Annahme von „Zielstrebigkeit" ver- borgen. 2) Diese Wiederkehr von Bildungen auf übereinstimmend organi- sirten Segmenten bildet einen Mitbeweis für ein organisches Entwick- lungsgesetz. — 111 — abwärts vom Zweige und den daran sitzenden Beeren hält. Nur wenn die Raupe ausschliesslich an beerenlosen Büschen sässe, wäre es denkbar, dass ihr bereits das „primäre" Fleckenpaar Schutz bereite, und dann würde auch ein Moment für die Selektionstheorie angedeutet sein. Immerhin würde die geringe Ausführung der Beerennachahmung bei der angeblich ältesten der Deilephila- Fornien theoretisch stören, und überdies berichtet W. selbst ausdrück- lich: die Raupe hafte mit dem gefleckten Hintertheil immer am Zweige wo auch die Beeren sässen. Wenn also hier der entgegengesetzte Fall vorliegt, als wie ihn die klare Logik auf die hypothetische Selektion verlangt, so ist deren Vorhandensein widerlegt. Wenn sich aber dennoch eine auch den Studien bemerk- liche deutliche Gesetzmässigkeit der Formenbildung offen- bart, so ist damit ein Moment des organischen Entwick- lungsgesetzes bewiesen. Und wenn sich durch alle Bildungen der Entwicklung in den spezifischen Färbungs- und Zeichnungsbildern zwischen den verschiedenen Deilephila- Arten neben einer gewissen dekorativen Aehnlichkeit, dennoch vom Ei an bis zum Schwärmer eine durchgehende Verschiedenheit der spezifischen Struktur- und Trachten-Phasen ausdrückt, ohne dass etwa klimatische Verbindungsformen vorhanden sind oder waren, so fehlt alle induk- tive und logische Begründung, und nur der Trotz des Glaubens bliebe übrig für die Idee einer deszendenzlichen Verwandschaft dieser Arten untereinander im darwinistischen Sinne. Und wenn wir ferner, und in Erinnerung der organischen pro- portional zur Gestalt und zur Umgebung vorhandenen Gesetzmässig- keit der Entwicklung von Zeichnungen der ausgewachsenen Raupe, bemerken, dass sich eine ähnliche proportionirende Gesetzmässig- keit zwischen den vorschreitenden Aufwuchsstadien und der zunehmenden dekorativen Ausstattung vorfindet, so können wir für beide Fälle, sowohl für die Ausstattung des einen erwachsenen Stadiums wie für die der dahin vorschreitenden Stadien, nur auf die Wirksamkeit von ein und derselben naturnothwendigen „organischenEnt wickln ngsgesetzmässigkeif'schliessen. Dann entspringt die Form jedes ontogenetischen Stadiums den organischen Beziehungen der Entwicklungsnothwendigkeit ebenso unmittelbar oder mittelbar im ersten wie im letzten Stadium. Habituelle Aehnlichkeiten und Abstufungen erfordern keine deszendenzliche Blutsverwandschaft, sondern nur Organisations- und naturkontaktisclie Beziehungs-Aehnlichkeiten und sie erscheinen — 112 — überdem innerhalb einer grossen Wesenmannigfaltigkeit und unter der Herrschaft eines Entwicklungsprinzips, naturselbstverständlich wie die Besetzung aller Unendlichkeit mit ähnlichen Weltkörpern. Für die phylogenetische Stammtafel der Stud. aber, der ich in jedem Punkte wiederholt die wesentlichsten Unrichtigkeiten nachwies, erübrigt auch nicht der mindeste induktive Verlass. Die ohnehin nur rohen Aehnlichkeiten zwischen den verschiedenen Stadien, ver- schoben sich sämmtlich in wirrer Weise zu der aufgestellten Staffel; am allerwenigsten aber vermochte Deilephila Hippophaes nach Aufdeckung ihrer vielfältigen Gewandung, den Nimbus ihrer Ur- mutterschaft zu bewahren. Ziemlich deutlich wurde erkannt, dass ihre Tracht lediglich ihrer Umgebung angepasst sei, dass die Ein- fachheit derselben auf keinerlei autiquen Beziehungen zu den ähn- lichen Trachten anderer Stadien der Deilephila -^-iiiv^ew beruhe, während die ganz besonders auffällige plötzliche Yariabilität des Endstadiums, durch das Zusammentreffen von Aenderung der Aufent- haltshöhe und der Farben- und Formeunachbarschaft im Häutungs- prozess hervorgerufen scheint, nach meiner Anschauung also durch individuelle Wechselerlebnisse von Fall zu Fall eintreten oder aus- bleiben kann. Ich finde ausser dem rohen sinnlichen Eindruck, den die Aehn- lichkeit mancher Zeichnungsformen junger Raupen hervorbringt, keine weiteren Hinweise für eine phylogenetisclie Stammverwandschaft solcher Formen, so plausibel der Glaube daran auch erscheint. Wenn W. die verschiedenen Färbungsstadien der heranwach- senden Raupen als phylogenetische Rekapitulalionen betrachten will, so würde man auch bei der Puppen- und bei der Falter-Ent- wicklung dergleichen erwarten und nachweisen müssen. Diese viel bedeutenderen Umgestaltungen vollziehen sich aber zunächst rein von innen heraus. Heute noch übt die Raupe ihr gewöhnliches Fressen, morgen sucht sie eifrig umher, entleert sich, hängt sich kunstgerecht auf, gürtelt sich fest oder fertigt je nach der Art ein mehr oder weniger künstliches Gewebe, vorsorglich sowohl für Puppe wie für Image; währenddem und nachher zieht sich die Körpermasse zusammen und oft schon übermorgen, manchmal auch erst nach laugen Monaten, dringt aus der platzenden Haut die neue Form der Puppe. Innerhalb dieser, durch Temparatureinwirkungen eventuell be- schleunigt oder verzögert, reift der Schmetterling heran, dessen Organismus bereits im Innern der Raupe seine Keiman- lagen hatte, und mit voller Ausrüstung an Farben, BeAvegungs- — 113 — und Fortpflanzungs-Organen, sprengt er die Hülle, pumpt nur die feuchten Flügel mittelst saft- und luftgefüllter Kanäle breiter aus, straff und trocken — und ist fertig, fortpflanzungsbereit. Nichts Embryonales, nichts von Kekapitulation ist wahrzunehmen während der Abwicklung dieser Metamorphosen, deren Erseheinungswechsel ich nur flüchtig nach dem Aeussern zitirte, weil dies den von W. theorie-induktiv benutzten, oberflächlichen Zeich- nungen der Raupenhaut gegenüber, ausreicht. Die clor Wissenschaft längst einverleibten Forschungen eines Swammerdam, Reaumur, Lyonet, Degeer, Herold, über die anatomische Entwicklung des Schmetterlings liegen der Studien-Beachtung absolut entrückt. Kein Wunder — denn nur ein Blick in Herolds reelle Arbeit überzeugt effektiv von dem Vollzug einer organischen Gesetzmässigkeit der Entwicklung. Dafür später einige Nachweise. Korrekt zur Hypothese Weismanns müssten die typisch ab- schneidenden Verwandlungs-Perioden auch die Gradationen ihrer darwinistischen Auszüchtung wiederholen, zumal wenn im metamorphosischen Kreislauf nicht nur die biomorphisch minder wich- tigen, ja selektionslogisch verworfenen Hautdekorationen der Phylogenese dargestellt sein sollan, sondern auch das primäre Stadium der Zelle, des Eies allgemein vertreten ist. Uebi'igens zur Raupe noch dies: So viel Raupen W. vom Ei an beobachtete, alle erschienen sie einfarbig dunkel oder grünlichfahl. Ihr ältestes phyletisches Stadium würde also, wie W. ja Vielfach lehrt und logisch lehren muss, in dieser Färbungsmonotone repetirt. Es ist aber doch unmöglich anzunehmen, • dass die ursprünglichen Nahrungspflanzen aller dieser Raupen ohne Rippung der Blätter, ohne Blüthen- und Fruchtstände gewesen seien; und sonach begriffe es sich auch selektionslogisch nicht, wie die monotonen Raupenkörper einstmals auf der konturreichen Vegetation angepasst und erhalten geblieben wären — oder, wenn letzteres der Fall gewesen, warum dann später eine auslesende Anzüchtung von allerhand Deko- rationen eintreten musste? Mit dem Hinweis auf eingetretene Nahrungswechsel wird nichts gewonnen. Zunächst erschiene es sonderbar inkonsequent, wenn die Raupen, während sie ihrer Phylogenesis Phasengang jetzt innerhalb der Häutungswechsel wiederholten, sie alle diese Stadien hindurch doch immer an ein und demselben Futter beharr- ten, dessen einstmaliger Wechsel doch so vielfach die Ur- sache derjenigen habituellen Transformationen gewesen sein soll, welche die Häutungsphasen gegenwärtig aus- wechseln. — 114 — Alle neuen Erwerbungen sollen doch lediglich auf dasjenige Stadium vererben, das sie erwarb; also müsste doch jedes Sta- dium auch bei seinem „phyletischen" Futter bleiben. Auch dass Raupen von nach W.'s Hypothese verschiedenem phyletischen Habitalter, dennoch vielfach auf gleichen Nahrungspflanzen leben und proportional zu einander bestehen kOnnen, will durchaus nicht zum Selektionsbegriff passen. WeismanTis Annahme von selektionsqualifizirten Nahrungs- wechseln entbehrt aber ferner aller "Wahrscheinlichkeit, nach dem Bilde das uns die beiderseits nach ganzen Gattungen ge- ordneten Beziehungen zwischen Raupen und Nährpflan- zen bietet, wie ich bereits im ersten Theile meiner Schrift gegen W. anmerkte. Es widerstreitet den Stud. ferner die Erwägung, dass die Raupe im bisherigen Habit auf eine neue Pflanze übergegangen, nach Logik der Selektionstheorie früher vertilgt als wie trans- mutorisch neuangepasst werden müsste. Sollten zuerst aber nur einzelne Raupen umgesiedelt sein, so hätte diese die Selek- tion oder doch die Kreuzung ebenfalls ausmerzen müssen. Wäre es aber noch anders,, wären die umgesiedelten Raupen alsbald geschützter geworden wie bisher, — ein Armuthszeugniss für die Zuverlässigkeit der Selektions-Maschinerie — i) dann mussten sie also noch existenz-sicherer werden als vormals, und mit einem Wort: die avancirten Stadien der von W. auf- gestellten Formenreihen müssten auch an Dauer gewonnen haben, die sogenannten alten Formstadien müssten im mm er kür- zer sein, diie Farben- und Zeichuungswechsel dürften nicht in der geordneten gleichzeitigen Dauer aufeinander folgen. Was das letzte' Raupenstadium in der That etwas verlängert, das ist nicht der vermehrte Schutz, sondern der innere Umbildungs- prozess zur Puppe, die früheren Hautwechsel folgen sich in regel- mässig gleichlangen Tempi. Dass die Mechanik einer Selektion durch den Druck ihrer Aus- lese, bei ungünstiger angepassten Raupen eine Beschleunigung, (Abkürzung), durch Nachlassen dieses Druckes bei güns.tigerer Anpassung, hingegen eine Verlängerung des Raupenstadiums mit- sichbringen müsste, wird nach kurzer Ueberlegung erkennbar, ich unterlasse deshalb dessen umständliche Erörterung. Bei ungünsti- i) Der ungeheueren Selektions-A Ilmäl igk ei t gegenüber, müsste eigentlich jede auftretende Variations-Neuigkeit falscli, verwerflich, unauf- kömmlich sein. - 115 - gerer Anpassung müsste der Vortheil rascheren Aufwuchses oder rascheren Abschlusses der Raupenstadieu, bei besser geschützter Existenz die Langlebigkeit der Raupe akku- mulirt werden. Die thatsächlich bemerkbare Förderung des Raupenwuchses und der Zeitdauer im Eudstadium gestattet hierfür keineswegs eine Nutz- anwendung, denn die früheren Aufwuchsstadien vollziehen sich alle in gleichen Intervallen, während eine korrekte Konsequenz auf all- mälig zugenommene, verbesserte Schutzausstattung, auch allmälige Steigerung der habitellen Zeiträume mit sich bringen müsste. Von darwinistischer Seite darf nun auch nicht ausweichend ge- antwortet werden, die selektirten Formphasen hätten sich aus mor- phologischen Gründen auf die eigentlich durch das Wachsthum geregelten Häutungen verlegt und gesammelt. Erstens, und für den denkwillig Kapazitirten bedarf das keiner breiten Erörterung, gestattet der Selektionsbegriff innerhalb seiner Akkumulations - Produkte nicht die Kontrafacienz eines bio- morpho- logischen Dualismus. Sodann wäre es eine bedeutsame Schwenkung im Tenor der darwinistisch angewandten „Vererbung im korrespon- direnden Lebensalter", wenn man die im initiativsten Existireu, im Reifestadium der Raupe angeblich aus aufgetretenen Varia- tionsatomen akkumulirten Anpassungen, nun gerade auf die Häu- tungskrisen, auf's passivste Raupendasein verlegt und in der Repetition verschoben dargestellt wissen wollte, die verschieden grossen Theilchen und Perioden des Er- werbs neuer Charaktere als gesammelt und wiedergegeben in gleichgrossen und regelmässigen, temporal mikroirten Abständen erklären AvoUte, Können doch diese Entwicklungs- bilder durch direkte Ernährungs- und Temperatur-Ein- flüsse und Manipulationen in ihrer Dauer natürlich und künstlich jederzeit abermals verschoben werden. Ganz unabwehrbar wird also der Eindruck , dass alle 'korrekte Erörterung gegen die Haltbarkeit der W.'schen Thesen über die Phy- logenesis in der Ontogenese zeugt. Wie sich von einer naturgemässen Entwicklungsnothwendigkeit vernünftig nur erwarten lässt, müssen sich innerhalb der grossen Mannigfaltigkeit der Formen Gruppenannäherungen herausstellen und innerhalb jeder sich uns als formverwandt vorführenden Artenzahl, auch gewisse verbindende Formleitungen oder Abstufungen neben einander ordnen lassen. Das Gebiet des Anorganischen und Phäno- menalen bietet Aehnliches, wie schon erwähnt. Namentlich aber dann wird unser Schematisirungs-Bedürfniss aus einer grösseren — 116 — Formengruppe den erwünschten' Stammbaum konstruiren können, wenn wir in die Formenlücken von uns erdachte Verbindungen ergänzend einfügen. Und solchergestalt legt uns denn auch W, einen Stammbaum der 10 Deüephila- Arten vor, dessen nach seiher Auffassung vorhandene Lücken er ihit fünf hypothetischen, „laut Ontogenese" h37)0the- tisch „ausgestorbenen" und „laut Ontogenese hypothetisch „bekannten" Formen ausfüllt. Indem er uns versichert, „es verstehe sich, dass „dieser Stammbaum nur die formalen Beziehungen der Arten zu ein- „ ander ausdrücken solle, nicht die realen, und es wäre möglich, dass „nicht Hippophaes die Stammart der übrigen Deilephilen wäre, son- „dern eine unbekannte oder ausgestorbene Art, die jedoch dieselbe „Zeichnung besessen haben müsste," öffnet er sich hier im Kleindruck einer Randnote ein wohlgeöltes Hinterpförtchen. Ich unterlasse es, die Gliederung dieses „nur formalen" Stamm- baums breit zu diskutiren, dessen stammhabitliche Urform, Z>. Hi2)- pophaes^ gelegentlich unvermittelt in einer Komplikation von Zeich- nungstheilen auftritt, welche fünf „phyletische" Stadien höher in dieser Gruppe noch unvertreten ist. Die Zweigformen dieses Stamm- baums sind ausserdem zum grössten Theile nur oberflächlich bekannt und sowohl in Bezug auf ihre Ontogenese wie spezifische Qualität mehrfach unsichere Gestalten (handelsspekulative Nova), so dass phy- logenetische Staffelbauten auf solcher Basis einen wissenschaftlichen Werth kaum haben können. Nachdem wir gesehen, wie bedeutend DeilepMla Hippophaes, Eifphorhiae, Galii variiren, resp. auch in jüngeren Stadien, wie wesentlich scheinende Zeichnungen bald hinzutreten, bald mangeln, je nach der Korrelation der herrschenden oder korrespondirenden Körperfärbungen, so dass z. B. bei Z>. Galii in der gelblichen Va- rietät alles Chagrin eliminirt wird, bei Z>. Hippophaes schwarze Querstreifung, aber auch Auflösung derselben zu queren bunten Fleckenreihen auftritt, bei D. Eiqyhorbiae Weiss in Gelb, Gelb und Grün in Bluthroth umsetzt, bei Smerinthus - Arten Roth auftaucht. Alles dies plötzlich und unvermittelt, nur durch den Chemis- mus oder die Reagenz des Organismus, nach alledem und nach einer Menge anderer spezieller bereits erörterter Wandlungsvorgänge innerhalb der Ontogenese, scheint doch ein reichliches Quantum von Voreingenommenheit nöthig zu sein, um in den Aufwuchsbildern der Raupen den Verlauf ihrer phylogenetischen Biomorphosis mittelst der darwinistischen Selektion dargestellt sehen zu können. Eine derartige Beweglichkeit jedes biologisch-dekorativen Funk- tionärs, wäre innerhalb der ungeheuren Allmäligkeit eines Zuchtwahl- — 117 — Vorganges der Natur unmöglich begreifbar, trotz aller hypothetischen Kontrawirkuiigen von Rückschlag, Rückschachtelung etc. Dass die jungen winzigen Räupchen mit ihrer noch chemisch einfacheren Stofflichkeit dem Auge nicht die Farbenmannigfaltigkeit bieten können, wie die strotzenden grossen Raupenkörper, erscheint naturvernünftig begreiflich. Jedes Blumenbeet, jede Wiese, jedes Gewcässer, jeder Tagesverlauf, jeder Gesellschaftsorganismus, Alles in der Welt bietet ähnliche Bilder der Komplikations- steigerung vom Entstehen an bis zur Beendung des Wachs- thums. Der Hinzutritt neuer Theile und die Imprägnationen der Berüh- rungsvorgänge zwischen innen und aussen, mehrt und illustrirt die phasischen Erscheinungen der Existenzen nach der Qualität ihrer naturgegebenen Organisation. Und jede Jugend ist wieder ein neues Gebilde, ein anderes Ding, in dem Zeugungsakt abgesetzt kreirt und flxirt zum Individuum aus der steten Strömung des Stoffaus- tausches. Trotz der Aehnlichkeit mit früheren abgelebten Jugenden ist die neu kreirte immer nur eine naturnothwendige molekular ge- setzte Vertretung der früheren, deren Phasengang durch keine ausserphysikalische Mechanik deszendenzlich rückwärts verschoben werden könnte , ebensowenig wie der mündende Strom , die Mittags- zeit oder der reife Staatskörper jemals „embryonalisch" auftreten können. Die bewundernswürdigen Schönheiten der kleinen Formen sind andrer Art, als die der grösseren, und offenbaren sich erst unseren bewaffneten Augen. Die Begründung derselben durch Selektionsvor- gänge wird unbegreiflich. Sah ich doch soeben selbst die leere Eischale einer Notodonta Torva in prächtiger unnachahmlicher Ciselirung und die Innenfläche im Goldglanz „gleisen". Die orga- nische Entwicklung tappt keineswegs im Dunkeln, wenn sie nicht gleich mit fertigen Giraffen auftritt, sondern eine beglückende Reihung der Mannigfaltigkeit um uns liefert, anstatt der verödenden Mono- formirung, die das konsequente Ende einer Auslese des Passendsten sein müsste. Wenn die Stud. (S. 119) aus dem gleichzeitigen Erscheinen von rothen Flecken bei verschiedenen S^nerinthus-AxiQw nun selbst wieder erkennen, dass aus ähnlicher physischer Konstitu- tion auch ähnliche Variationen naturlogisch hervor- gehen müssen, ohne dass die variirenden Merkmale an sich ver- erbt wür(ien, so sollten sie aus der proportionalen Existenz dieser Smerinthini ohne Farbensäume der Schrägstreifen überall neben den „schlagschattirten" >S/>Äiw,:i7- Arten, doch auch wahrnehmen, dass — 118 — solche Dekorationen kein Eesultat eines Konkurrenzkampfes um's Dasein sein können. Mir selbst wollen die gefleckten Smerintbini- Raupen die durch gefleckte Hippophaes-'Rsiupen erzeugte Annahme einer gewissen naturphotographischen Nachbildung nachbarlicher Beeren etc. wieder entwinden. Dennoch bleibe ich wenigstens von der Wirkung di- rekter Lichteinflüsse als Umfärbungsursachen spezifischer Haut- nüancen überzeugt. Das Auftreten der rothen Flecke bei Sme- rin^/ius- Raupen von beeren- und gallenlosen Nahrungspflanzen, macht deren innere Veranlagung zweifellos; immerhin wird die Ausbildung derselben durch Lichtkontakte erfolgen, denn ich habe bemerkt , dass die Raupen von Smerinthus Populi und Ocellata auf mager belaubten Espenbüschen fleckenreicher sind, als wie auf volllaubigem Weiden- und Pappelgesträuch, sowie als in Hausbruten. Selbst wenn' aber solche im Organismus ruhende Fleckenbildun- geu eine weitere Entwicklungsbedeutung hätten, so würde ihr Fort- schritt doch auf einem bezüglichen Reifungsvorgang des Organismus basiren und nicht auf Auslese-Kumulation:). Wenn M. Wagners Ansicht jetzt ziemlich allgemein wird, „dass die Arten als solche, ihre Jugend, ihr Mannesalter, ihr Greisen- „thum haben, und zuletzt aus Altersschwäche sterben," so vermöchte sich solcher Phasenlauf nur aus organisationsinternen molekularen, kontaktischen Abnutzungs - Beziehungen begreifen. Innerhalb von Selektionsvorgängen, der ebenso stetig fertigen wie stetig verjüngt angepassten, ausgelesenen Individua- lität ohne Entwicklungs-Soll und Ziel, fände ich nur stete Vollkommenheit, stete Jugend der Artenpräsenz möglich! Aber wie bereits gesagt, ein Farbenpunkt kann den Sinnen der Konsumenten gegenüber keine Bedeutung für die Schonung oder Gefährdung eines Individuums haben, weil die Konsumenten verschiedene und deren Wahrnehmungsbefähigungen weit bedeutenderen Unterschieden gewachsen sind, als wie sie die Variabilität einer einzigen Art darbietet. Der Verfasser der Studien hegt auch selbst die Meinung, „dass i) Eine solche kann ja auch nicht die Ursache der rothen Farbe von Beeren sein, die von Vögeln verschmäht bleiben. Von selek- tirter ,, Trutzfärbung" kann man bei Beeren aber auch nicht reden. Die Beerenfarbe entsteht durch Naturkontakt zwischen Fruqjit, Licht und Luft. — 119 — „die pliylc tische Natur einer jeden Art eine nicht minder wich- „tige Rolle bei der Hervorbringung neuer Charaktere spiele als „Naturzüchtung, welche doch immer erst mit den Ausflüssen jener „physischen Natur, nämlich mit den Variationen operiren und Neues „schaffen kann." Wenn aber die Naturzüchtung seit Bathybius Herrschaft bis heute jeden Saft destillirt und gemischt, jede Faser gewoben und eingesetzt, jeden Knochen konstruirt, jeden Darm und jede Gehirn- linie gewunden resp. phosphorgewürzt hätte, mit einem Wort, wenn sie jedes Molekül im Organismus angestellt hätte — wie könnte es dann noch „Ausflüsse jener physischen Natur" geben, die erst mittelst weiterer Auslese unter *den Individuen zu bioraorphischer Geltung und Bewerthung gelangten? Unter der Wucht einer so urmächtigen Kumulationssumme dürfte doch keinerlei Bewegungsfreiheit organischer, biomorphologischer Quan- ten möglich sein. Jedes Kumulationstheilcheu müsste dazu viel zu fest halten, biomorph viel zu veranwortlich sein. Höchstens das zuletzt angesetzte Charaktertheilchen könnte noch beweglich ge- dacht werden; nimmermehr aber vermöchten ganze Partikelreihen der verschiedensten Charaktere, wilden Protuberanzen gleich ab- und zuzuflackern. Die Oberfläche des akkumulirten Organismus der Selek- tion, wo ein Partikelchen biomorphologisch immer nur auf festgewor- dener Basis des vorherigen aufgesetzt werden könnte, kann keinem Revolutionsheerd gleichen, sondern einer festen Kruste auf umwandel- barem Kern des Organismus. Die Beweglichkeit der Variation könnte unmöglicli grösser "sein als die einzelnen Kumulationstheile, dürfte mit diesen nicht spielen können. Behaupten doch die Studien selbst, bei der Rückschiebung, solche Beweglichkeit nur in kleinen und einfachen Punkten und Schritten. (S. 71. und kor. 120.) Nun ist aber weder Kruste noch Kern fest. Denn so viel einzelne organische Körperpartikel, so viel Verschieden- heiten sind auch vorhanden in individueller Eigenheit selbst der inneren Organe. Keine Darmfalte, keine Lunge, kein Herz, kein Gehirn, keine Muskel, kein Knochen, keine Ader. Sehne oder Nerv, überhaupt keine histogenische Einzelheit wiederholt sich nach Figur, Volumen, Gewicht und Leistung übereinstimmend genau innerhalb der verschiedenen Individuen einer Art. Und nicht anders sieht es bei den Keimen und Embryonen aus. Ja, die Embryonen! Auch sie haben ihre Individualität! Und sie wenigstens müssen den festen Kern innerhalb des Akku- mulationsdruckes bilden. Sie sollen ja nach rückwärts mit so un- — 120 — begreiflicher Zähe die antiquirteu Portraits der Ahiieiireihen kon- serviren, wo es vorn mit den mühsam zugetragenen „direkten Nützlichkeiten," mit der neuesten Biomorphosis so drunter und drüber zugeht, wie z. B. bei Deil. Hrppophaes, Galii und 3uphorbiae, bei Chaer. Elpenor und Smer. Tiliae, Populi und Ocellata. Gerade auch bei den Embryonenen kann man nicht behaupten, was W. für Raupenzeichnungen geltend machen will: die Embryonal- formen blieben beibehalten „weil sie indifferent, gleichgültig geworden seien. " Denn erstens wäre dies der ungeheueren unbekannten phylo- genetischen Yergangenheits-Biologie gegenüber, viel zu viel behauptet, d, h. so viel wie nichts gesagt, dann aber dürfte auch keine embryo- nale Variation bestehen — denn wo Variabilität angetroffen wird da giebt es „Auslese" aber keine Beständigkeit, laut Selek. .tionsleln-e — der Kiemenurahn, der geschwänzte Vorfahr müsste vielmehr in absoluter Wiedergabe vertreten sein. Was wir aber in gewissen, z. B, menschlichen Embryonalstadien Gekiemtes und Geschwänztes wahrnehmen sollen, das sind ledig- lich plumpe Anklänge an solche Formen, ohne funktionelle Struk- tur, uTid der ganze Embryo nach Masse, Blut und Histogenie ist doch ein Menschenkeim, eine morphologische Bildungs- not h w e n d i g k e i t. Und gerade wieder dieses embryonal-funktionslose Fertigstellen, dieser abseits jeder Zuchtwahl arbeitende Struktur-, Säfte- und Kräfte- Aufbau, physisch und intellektisch vollendet für den normirten Augenblick der Geburt, des Funktionsbeginns, in Herz und Pulsschlag, Lunge und Athmung, Verdauungsorganen und Speiseaufnahme, in Adernetz, Muskeln, Sehnen, Sehkraft, ja bei den Raupen sogar in Kunsttrieben (Gespinnst- und Gehäuse-Anfertigungen), bei den Imagines sofort bis zur Zeugungspotenz, diese Herstellung des organischen Palastes vollendet bis zur Schlüsselübergabe, zeugt doch widerstands- los für eine direkt geordnete Schaffenswucht! Alles dies würde auch für eine so enorme Festigkeit der Ver- erbungsmacht sprechen, dass vom Lehrstandpunkt der akkumulirten Organisationen aus, die dennoch auch auf embryonalem Gebiete wirklich vorhandene Variabilität, ebenso unbegreiflich als wider- sinnig wäre. Und so auch die „Repetition der Urahnenschaft." Ihr bischeu Form müsste doch innerhalb der vorhandenen Variation, mittelst der Kreuzung nicht nur längst ins Gleichgewicht gekommen, sondern sogar längst aus der -„Indifferenz" heraus und „eliminirt" worden sein. — 121 — Nach darw'inistischer Logik müsste sich ja die Zuchtwahl auch mit den Embryonen direkt beschäftigt haben, denn wir finden ihre Materie doch modernisirt und nicht der resp. kaltblütigen Ur- ahnenform gleich, an die sie äusserlich — d. h. das bewaffnete Auge — vorübergehend erinnert. Wir finden sie anderseits aber auch blind, was die selektionslogischen Ahnen doch nicht sein konnten, finden ferner auch die urthümliche Nabel Verbindung beibehalten bis in die vorgeschrittensten Stadien und Organisa- tionen ! Vom Selektionsstandpunkte aus Länden sich also — und schon bei flüchtiger Ueberschau — unabweissbare Vaterschaften der Zuchtwahl: „die Repetitionen erscheinen gefälscht." Aber auch diese Vaterschaft gelangt zu keiner faktischen Aner- kennung. Denn gegenüber der Entwicklung und Fertigstel- lung z. B. des unvergleichlichen, beziehungsweise auch anpassungsfähigen Seliorgaiiismus, neben anscheinend auf das Embryonalleben modifizirten Anpassungs-Erschei- nungen, iimerlialb des dunklen Mutterkörpers, mangelt dennoch einer unendlich grossen Artenzahl von im Leibesdunkel natur- erzeugten Augen, aber, und das ist ferner wichtig, keineswegs allen, die Fähigkeit des Sehens bei Nacht und Dunkel. Und dieser einseitig vertretene Mangel und Nachtheil existirt, trotzdem das Sehvermögen auch bei Nacht, wohl allenthalben pri- mär nützlich wäre, und oftmals und vielseitig angestrebt wird. Die Natur entwickelt also das Sehorgan ohne dass es während- dem funktionirte, und an finstrer Stelle, Die Bedeckung und Funktionslosigkeit während des Embryonallebens, sowie die praktische Unfertigkeit des Auges bei Neugebornen beweist aber eine spezial embryo- logisch-biomorphologische „Anpassung" desselben. Dem Dunkel der Keim- und passiven Ausbildungsstelle des Auges positiv „angepasst," sind aber dennoch nach der Geburt nur ein Bruchtheil der Lebewesen, der andere Theil, darunter der streb- same entwicklungsgipfelnde Mensch selbst, dieser „Autonom" des philosophischen Vormunds der Darwinianer, sieht nichts bei Nacht! Diese Nacht und Dunkelheit umfängt, im Tagesverlauf regel- mässig intervallirt, auch die ganze freie Existenz jedes irdi- schen sehenden Wesens mehr als zur Hälfte und Aller Keime sprossen und entwickeln sich in mehr oder weniger Dunkel und Finsterniss. — 122 — Wo'? — alle weiter gegebenen Reflexionen weggelassen — wo soll nun innerhalb dieser Thatsachen die Geburts- und biomorpholo- gisclie Ausbildungsstätte des Auges selektionslogisch mechanisch gesucht werden; wie will der Selektionstheoretiker mit allen Hilfs- mitteln seiner blindlingen Entwicklungs-Maschinerie, die Herstellung des Seh-Apparats mit seinem kreuz weisen Diffe- renzverhalten zu Licht und Finsterniss erklären? Ein Bezug auf die terminlich differirenden Schlafzeiten beseitigt das selektionslogische Dilemma in keinem Grade. Denn Schlaf- und Seh-Beziehungeu zu Tag, Dämmerung und Nacht verschieben sich innerhalb der Wesenmenge und je nach der Zone in jeder Weise, differiren in Extremen selbst bei genetisch Verwandten, bieten nir- gends Parallelen zu einander. Vor allen Dingen aber wäre der Nutzen des Beiuachtsohcns viel zu „primär," oder wenn man will, mindest£ns „indifferent," um abgezüchtet werden zu können. Ausser- dem werden wir die Selektionswidrigkeit des Schlafes überhaupt noch erörtern und erkennen. Jede Art von „Anpassung" also bei dem natürlichen Kunstwerk des Auges ist nur wahrnehmbar, um bei weiterer Prüfung die Mecha- nik einer darwinistischen „Anpassung" zu verneinen. Ich glaube, man wird, nach Anhörung dieser Erwägungen, meiner Ueberzeugung von der Nichtigkeit der Selektion und em- bryonalen Rückwärtsschachtelungs-Hypothese eine Berech- tigung zugestehen müssen, und meine Darlegungen auch gegnerischer- seits für beachtenswerth halten dürfen. Für den Darwinismus verliert nach meinen Darlegungen die häckelianische Embryologie, auch ganz abgesehen vom speziellen Sehorganismus, allen phylogenetischen, repetirenden Untergrund. Es bliebe für dessen Formen-Rückschachtelung nur ein leerer, ja wider- sinniger Figuren-Eigensinn übrig. Oder sollte sich die Natur etwa eines Mahnzettels an unsere Resignation bedienen ; ohne Nutzen für sich selbst, ohne Anpassungsprotit, uns imsere niedere Herkommenschaft in karrikirten Verkleinerungen verhöhnen. Ich fände keinen Sinn! Gewiss also, kreuzweis ziehen sich die Fäden der Verneinung herüber und hinüber durch die Theorie der Selektion, zwischen der Variabilität der Endstadijen, 'und der (gefälschten) Kon- servirung der Urformen, und zwischen der Variabilität der Embryonen und Körpergewebe, und ihrer ewigen Rekapitu- lationskonstanz, und zwischen der Funktionslosigkeit em- bryonaler Theile, und ihrer funktionsfertig vollendet änge- passten Herstellung, und zwischen der im Dunkel erfolgenden — 123 — Herstellung des Auges und seiner nur sporadischen Anpassung resp. Befähigung für nächtliches Sehen. Und eine weitere Verneinung der Selektion beruht noch darin, dass die organische Funktionsfertigstellung des Neugebornen, nicht rückschiebend ererbt sein kann, weil die Praxis der er-, wachsenen Stadien nicht damit übereinstimmt, sondern verschieden davon ist. Der Anhänger eines einheitlichen organischen Entwicklungs- gesetzes begreift den Formenwandel innerhalb des Wesenaufwuchses als naturnothwendige Plastik der Entwicklungsvorgänge, und er bedarf der Kruste nicht, die der Druck der Kumulations-Niederschläge der Darwinianer nothwendig auf der Organismen -Kompaktion erzeugen müsste. Und so meine ich noch immer, dass die Natur zu allen ihren Beziehungen sofort Stellung und Ausdruck nimmt. In der Variation der Individuen drückt sich die naturnothwendige und naturursächliche Biegsamkeit der Organisationen aus, welche den Vibrationen der umgebenden Naturvorgänge entspringt und entspricht. Was den Naturgesetzen entspringt, das erhält denjenigen Schutz, den die natürliche, organisch-soziale Spannung zulässt und erfordert, aber nicht mehr. Diese Spannung halte ich gleich dem Typus aller Arten und Organismen, „sie ist die Resultante aus den verschiedenen Komponenten" (Wsm.) wird hergestellt und erhalten durch die Durch- schnittswerthe aller Naturvorgänge, deren ausgleichende Regelmässig- keit in der Summe uns die Forschungen und Kalkulationen auf den Gebieten der Astronomie, Ph3'sik, Chemie, Meteorologie, wirthschaft- lichen Statistik etc., immer deutlicher nachweisen; sie ist, sit venia verbo: die biomorphologische Gravitation aller Situationen zu einan- der, der Ausdruck der autonomen Gesetzmässigkeit in der Natur. Die Variationen, die konstitutionell verschiedenen Anlagen, sind gleich den einzelnen Ereignisszahlen, aus deren Gruppirung und Summation wir erst die Erkenntniss der herrschenden Gesetzmässig- keit gewinnen, sie sind die bis ins fertige Individuum gelangte, verkörperte natürliche Auslese selbst. Und sie sind unerlässlich für den Fortbestand der Arten, denn sie bringen dieselben zuletzt ebenso unvertilgt wie unprogressirt durch die immer wechselnden Werthe der gesammtphysikalischen Ereignisse. Solche natürliche Auslese ist allerdings in steter Bewegung, aber Avas für den einen Werth physikalischer Ereignisse erworben wurde, taugt für die darauf folgende Ziffer nicht mehr voll, und muss korri- girt werden. So irrt die Auslese ebensowohl niemals wie immerfort, ~ 124 — aber imr soviel bewegt sie sich, als die Spannung doj* Durchschnitts- ziffer, die Gesetzmässigkeit der kosmischen Proportion vibrirt. Jedem einzelnen Individuum der Thierwelt ist auch eine Beweg- lichkeit innen, meist so weit gehend, dass die Anpassung intellektisch wird. Wir finden, dass die Individuen zumeist es selbst sind, welche ihr Habit passend ausnützen, indem sie für ihre Situation Begriff haben. Das einzelne Individuum wählt sich den habituell zuträglichen, schützenden Aufenthaltsort aus, der keineswegs immer mit der Ge- burts- oder Nähr-Stelle zusammentrifft. Die Millionen von Insekten, die umherfliegen und kriechen, wissen genau die für sie geeigneten Orte zu finden und sich derart nieder- zulassen, dass ihr Habit sympathisch wirken muss. Sie sitzen nicht blindlings umher in der Ruhe an Gebäuden oder auf Blättern und Halmen, Avenn solche ihrer Tracht zuwider sind. So zahlreiche Ruhe- punkte die Flur auch gewährt, es sitzen doch nur die blüthenähnli- chen Lycaeniden, Melitaeen und Hesperiden, sowie einige Weisslings- arten mit grünmarkirter Rückseite der Flügel Abends da und dort. Sehr selten ist eine dunkle Satyride oder Vanessa darunter, denn diese Arten haben, wennschon sie tagüber unter jenen verkehrten, für sich nun passendere Ruheplätze aufgesucht. Genau so vortrefflich suchen die Arten der sogen. Eulchen und Spanner ihre Ruheplätze im Schatten unter Blättern, im tiefen Gras, an Stämmen, an Felsen auf und wissen sich überraschend gut ange- passt zu placiren. Und dieses ihr Talent kann nicht sekundär sein. Wenn ihre Tracht jemals nicht zu ihren Ruheplätzen gepasst hätte, so müssten sie — den Kampf um's Dasein darwinistisch gedacht — viel früher ausgerottet w^orden sein, als wie' ihre Tracht in selektions- theoretischer AUmäligkeit passend umgezüchtet werden konnte. Aber ich bin überzeugt, wenn man eine Anzahl solcher Insekten in fremder Zone unter ungewohnter anderer Vegetation aussetzte, sie würden dennoch alsbald die passendsten Ruheplätze, jedes Habit für sich, herausfinden. Wie gesagt, würde die Meinung der Darwinianer, nicht das In- sekt wähle seinen Schutzplatz, sondern die Naturzüchtung akkumulire im Existenzkampfe allmälig die passendste Tracht für die Ruheplätze aus den variirenden Individuen, an dem viel zu langsamen Fortschritt der Akkumulation gegenüber der Anfein- dung, die ja jede Brut kalkulatorisch wieder bis auf ein Pär- chen konsumirt, und an der vielseitigen und verschieden talentirten Anfeindung ihre Widerlegung finden. Hierzu kommt aber noch, dass es bei den Schmetterlingen, und namentlich deutlich bei den blüthenähnelnden Gattungen der — 125 — Tagfalter, ganz auf die "Witterung ankommt, ob sie oben sichtbar oder ob sie tief verborgen sitzen; und ähnlich steht es mit dem Verhalten der meisten Raupen und übrigen Insekten- formen. Witterungswechsel hat es aber wohl seit den fernsten selektions- logischen Zeit vorlaufen gegeben, und sonach mangelte der na- türlichen Auslese doch alle Sicherheit der Arbeit, sie hatte gar kein ständiges zuverlässiges Schema zur Aus- züchtung vor sich! Und am nächsten würde es gelegen haben, nicht ein Schutzmuster von prekärem Werth, sondern reelle direkte Ver- bergungsfähigkeit anzuzüchten. Freilich, erwägt man die Verhältnisse gründlicher, so erscheint alle Putz-, Schutz- und Trutz-Färbung doch rein als Ausstattung der Natur. Denn ob der nach der Blüthe schutzgemusterte Falter obenauf oder tief im Grase sitzt, es giebt allenthalben Augen oder andere Sinne, die nach ihm spähen und ihn wahr- nehmen; und nur das allein wird seine Form erhalten, seinen Be- stand garantiren , dass die feindlichen Späher wieder von Anderen erspäht werden, und so fort im ganzen grosseh Wesen-Zirkel immer Eins vom Andern und für das Andre lebt, und Keines einen proportionswidrigen Vorzug der Existenz erwerben und vererben kann. Unausgesetzt bemerken wir auch, dass dem interessirten, suchen- den Auge gegenüber in den seltensten Fällen diejenigen Färbungen, die man sympathische nennt, eine wirkliche Schutzrolle spielen kön- nen. Das Auge sucht gerade nach solchem, immerhin durch eine bemerkbare Regelmässigkeit umschriebenen „Schutzmuster", und mag es nun der ruhende Falter auf der Flur, am Stamm oder Felsen oder die ruhende Raupe am Halm, am Zweig oder auf dem Blatt sein, gerade die Kontur des bekannten Musters fällt meist sofort in's Auge. Unmöglich aber ist den natürlichen Konsumenten dieser Wesen ein geringerer Scharfblick eigen als uns, ohne andi'e ersetzende und unterstützende Aufsuchungstalente. Vielmehr wird zwischen den feindlich konkurrirenden Arten, mögen sie auch in die uns über- raschende Maske von Blättern und Grashalmen gekleidet sein, soweit naturnothwendig eine unfehlbare Auffindungsbegabung gravitiren. In den letzten etwas abgeschweiften Darlegungen glaube ich u. A. nicht unnütz beleuchtet zu haben, dass „die Ausflüsse der physischen Natur", die Variationen, die Nachhülfe einer Zuchtwahl weder er- halten noch bedürfen, wie die Stud. (S. 119) annehmen. Diese stellen sich nun „den Anhängern einer bestimmt gerichteten Variation" gegenüber, denen sie wahrscheinlich eben- — 126 — falls die Antworten ihrer eigenen Auffassung in den Mund legen auf ihre eigenen Fragen. Denn ich glaube, dass mit einer bestimmt ge- richteten Variation nicht gemeint sein soll, wie die Stnd. vorsagen: „dass alle Chaerocampini-Raupen , die heute keine Augenflecken be- sitzen, solche später noch bekommen müssen," sondern „die bestimmt gerichtete Variation" meiner Auslegung vertritt den Begriff: „orga- nisches Entwicklungsgesetz." Unter Beidem ist aber doch nicht ein Entwicklungsverlauf der Einzelnen wie an parallelen Schnüren gezogen zu denken, oder wie von Spindeln gesponnen, sondern eine (aequivalente) Umsatzbewe- gung in und mit dem Organismus, in und mit der Varia- tion und Proportion des Weltganzen. Das Bild der gesetzmässigen Entwicklung und der bestimmt ge- richteten Variation eines einzelnen Organismus vergleiche ich mir ähnlich den Stromläufen. Oft liegen die Quellen verschiedener Ströme nahe beisammen, dann führt sie das Terrain in mannigfaltigen Win- dungen weit auseinander, um sie später vielleicht nochmals sich zu nähern. Bereits unterscheiden sich nun Beide nach Grösse, Farbe und Mischung, je nach den Berührungen und Zuflüssen, die ihnen verschieden begegneten. Allein dennoch und trotz aller Kurven und scheinbarer Rückläufe oder Stagnationen, strömen sie vorwärts in bestimmter Richtung jeder nach eigenem Ziel. Und selbst diese Richtung, selbst das Ziel ist nichts absolut Starres, sondern kann verlegt werden und wandeln innerhalb der Beweglichkeit, der Varia- tion des physischen Grosso. Sich selbst vergessen die Studien aber sehr, wenn sie als Gegen- satz zu der, von ihnen der „bestimmt gerichteten Variation" unter- geschobenen Meinung von sich sagen: „dass ihnen komplizirte Cha- „raktere, wie mehrfarbige Schrägstriche und Augenflecke, niemals „als Resultat rein innerer Kräfte gelten, sondern immer nur „als gesammelt durch Naturzüchtung, durch Kombination der sich „darbietenden kleinen und einfachen Variationen." Nun, versuchen wir kritisch nur kurz zu erwägen, was die Stud. hier schlichtlings niederschreiben. Entweder, dem allerersten Farbenfleckchen am Raupenkörper — Sit venia verbo: dem allerersten Ansätze zu einem Schreck-Augen- flecken — müssen bereits individuelle Erhaltungserfolge zugetraut werden, und dann bedürfte es keiner weiteren Akkumulation, Sit venia verbo: „Ausbildung" desselben, oder die Feinde müssen als allmälig klüger werdende, und nur durch immer und immer augenähnlicher werdende Fleckenkumulation zu schreckende, gedacht werden, — dann aber — 127 — würde die Schutzpotenz der Selecktion mit Erlangung kompletter Augenflecken erreicht und erschöpft; wenigstens wenn man der Selektion nun nicht das Akkumuliren einer Fratzen- Perspektive zumuthen will. Der Begriff: akkuraulativ durch Selektion hergestellter „Augen- flecken" oder irgend eines anderen auf ein drittes Objekt bezüg- lichen, resp. ein solches vortäuschenden Zeichnungscharakters, involvirt aber eo ipso zu seiner Herstellung ein diesbezügliches „Anbahnen" und „Ziel." Denn wie und warum könnten ohne solches „Ziel," in unabsehbar langsam myriadentausendfacher, blinder Aufsammlung eines individuellen Fleckchens und seiner Variationen, schliesslich gerade „Augenflecken" herauskommen? und sogar speziell „Schreck- Augenflecke eines fürchterlichen Ungeheuers" nach Weis- manns sensualer und genialer Taxe und Menschenansicht? Also auch die Selektion würde ohne „Ziel" — und dieses Ziel würde als durch den Intellekt der „Ausleser" vorgesteckt gedacht werden müssen — zu keiner Akkumulation einer täuschenden Maskirung gelangen können. Eine den Feinden und Konsumenten der Raupe bereits innewohnende, (nein, „allmälig" immer klarer werdende) Idee von „fürchterlichen Augen" müsste der Richtung der Auslese mindestens immer voraus sein und diese dem bestimmten Bilde zuleiten. Um aber dahin zu gelangen, müssten die Nachsteller vor dem ersten Hautpünktchen, vor den ersten Anfängen, gerade so „erschrocken" sein, wie vor den daraus „akkumulirten Augen eines fürchterlichen Ungeheuers." Wir glauben hieran jedenfalls weniger, als wie an die Ungeheuer- lichkeit solcher Selektions-Thcsen. Die „Studien" lehren aber auch (z.B. S. 71), „alle Neuerwer- „bungen erfolgten nur im letzten Stadium, und würden von „diesem allmälig in denselben Schritten auf die früheren Sta- „dien zurückgeschoben, welche die erste Feststellung des „neuen Charakters im Endstadium herbeiführten." Mithin könnte es zunächst doch überhaupt zu keiner allmälig akkumulativen Fertigstellung eines täuschenden Charakters kommen; zumal doch auch jedes einzelne Kumulationstheilchen schutzgiltig gewesen wäre; und mithin wären ferner die, ledig- lich im letzten Stadium der Deil. Hippophaes wahrgenommenen, also in keinem Theilchen durch einen neuen Hinzutritt zurückge- schobenen aussergewöhnlichen Variationen zwischen nahezu gänz- licher Zeichnungslosigkeit und dreifarbigen Querstreifen und Ringflecken, nach eigner Konsequenz der Weismannschon Lehre, direkte „Ausflüsse der physischen Natur, einfache — 128 — Variationen," und vorhanden ohne Thätigkeit von Natur- .züchtung! Mittelst der eigen en wiederholten Lehren der Studien, ist somit deren ganze Theorie-Induktive zur Bewahrhei- tung der Selektions- und Abstammungslehre dementirt. Und wer wollte nicht erkennen, wie sehr den „Studien" die verläss- liche Disposition über ihr eignes Material mangelt, und dass Der- jenige durchaus irre geht, der ihrer Leitung vertraut. Ja, sagen sie nun, „ganz anders stehe die Sache, wenn es sich „um die blosse Uebertragung eines auf einem einzelnen Segmente „bereits vorhandenen Charakters auf die andern Segmente handle, „Hier erfolge diese Uebertragung aus rein inneren Ursachen und die „äusseren Verhältnisse spielten dabei nur eine negative Rolle, indem „sie die vollständige Reproduktion des Charakters auf allen Seg- „menten so z. B. der Augenflecken verhindern könnten, sobald die- „ selbe der Art nachtheilig sein würde." Wir wissen bereits, wie sehr der Mangel an Wiederholung und Ausbilduug der „Beerenflecke" am exponirten Vordertheil der Deilejyhila Hij^pophaes-^üuiie dieser Meinung widerspricht und an dieser Gegnerschaft nimmt auch das stets nur auf dem 11. Ring vor- handene Hörn der Sphingiden-Raupen Theil. Denn es wäre keinerlei Nachtheil für dieselben zu vermuthen, wenn sich eine auch nur ab- gestuftere Wiederholung desselben auch auf den übrigen Segmenten vorfände. Im Gegentheil würde es den Nutzeh, den das Hörn nach selektionstheoretischer Logik haben muss, nur erhöhen. Anstatt dass sich die Zuchtwahl mit Herbeischaffung ganz neuer Schutzmassregeln durch langsame Kumulation von Pünktchen zu Schlagschattirung ab- mühte, hätte sie doch die mehrversprechende Waffe des „primären" Hernes zur segmentären Vervielfältigung längst nahe gehabt. Soll doch solche Uebertragung eines Schutzmittels von einem Segment auf die übrigen nach W. verhältnissmässig leicht und rasch erfolgen. Gewiss, diesen Hornstachel, der einst in der Urferne bei gänz- lichem Zeichnungsmangel allein sehr verlässliche Erhaltungsdienste geleistet haben müsste, dieses Stachelhorn mit Entgegenkommen des Organismus leicht und rasch zu vervielfältigen, hätte die Selektion anstatt der wandelbaren Farbenpunkte ihren Raupen recht reichlich anschaffen müssen. Sehen wir doch, wie sich sehr viele andere Raupenarten reihenweise bestachelt und bedornt wohl befinden, deren Jugendstände nicht ein einziges Hörn besitzen, sondern nur feine Härchen auf Wärzchen, so z. B. die Gattungen Argynnis^ 31elitaea, Vanessa, Neptis, Limenitis. — 129 — Wir finden, die Theorie "Weismanns liefert eine neue Unverträg- lichkeit, gehen aber weiter, um uns von demselben „die Nützlichkeit „der Anfangsstufen nützlicher Bildungen leicht verständlich" vortragen zu lassen. Bei den Längsstreifen und Schrägstrichen ist ihm die Nützlich- keit der ersten Anfänge „nun allerdings selbstverständlich", „die An- „fangsstufen dieser einfachen Charaktere könnten nicht sehr von der ausgebildeten Form verschieden gewesen sein." Ich begnüge mich, hiergegen auf die Absonderlichkeit der Farben- punkte der Smerinthini hinzuweisen, die solche beginnende Schräg- streifen sein sollen, und auf die von mir mehrfach hervorgehobenen Schwierigkeiten, solche grell auftretende Neuheiten für nützlich und deren Mehrung zu Streifen verstehen zu können. Die Stud. sind der Meinung, die Entstehungsfrage lasse sich am klarsten bei der Ringfleckeubildung beleuchten, wie sie sich bei Z>. Hippopliaes vollzöge. Hier, wo es sich um Nachahmung von Beeren handle, müsse auch ein schwächeres Roth, ein kleinerer Fleck schon einen geringen Nutzen für den Träger haben. Die Studien, welche glauben, die Sanddornbeeren würden von Vögeln gefressen, und die die anfeindenden und auslesenden Elemente der Raupen überhaupt zumeist nur in der Vogelwelt suchen, dürften von solchen Beerennachahmungs-Anfängen also selbst nur Schädliches für D. Hippophaes erwarten. Wir aber, ob- schon wir wissen, dass die Vögel solche Beeren verschmähen, finden in den, überhaupt kaum bei der Hälfte der Raupenindividuen (W. S. 35) vorhandenen Fleckeuandeutungen auch vom gegnerischen Standpunkte aus keine schutzbereitenden Anlagen, weil das aus den Beeren oder aus der Gegend, wo die Beeren in den Zweigwinkeln sitzen, frei am Blatt vorgestreckte Vordertheil der Raupe eben ganz fleckenlos ist, trotzdem die Flecken gerade hier am nöthigsten wären. Ausserdem aber wissen wir, dass es neben den Vögeln noch verschiedene Konsumenten der D. Hippophaes-'RsiU^e geben muss, denen alle Flecke gleichgiltig sind, weil sonst die Nahrungspfianze dieser monophagen Raupenart, der Sauddorn, unter der riesig an- wachsenden Zahl ihrer Verzehrer längst unausreichend geworden sein müsste. Ueberhaupt hat es kaum realen Sinn, einzelnen auf sechs Raupenkörper-Segmenten vertheilten, in einer Linie stehenden, kaum wahrnehmbaren Farbenpünktchen (W. Fig. 60) den vielseitigen thierischen Listinkten gegenüber einen Täuschungswerth nach Mei- nung W.'s zuzuschreiben. Die erbsengrossen , orangerothen Beeren 9 — 130 — des Sanddorns stehen, zu leuchtenden Büscheln vereinigt, in den Astwinkeln und die Aehnlichkeit der rothen Raupenfleckchen mit ihnen ist so wenig vorhanden, wie die der Augenflecke einer Wein- schwärmerraupe mit einer blauen Weintraube. Alle derartigen Erwägungen meiden die Studien, sie schreiten ihren vorgenommenen Weg gradaus vorwärts und finden in gesperr- tem Druck den Fall mit D. Hippophaes „insofern von grosser Be- „deutung, als er zeige, dass bei diesen Zeichnungs- Elementen ganz „ebenso wie bei andern Organen der verschiedensten Thiere, im Laufe „der phyletischen Entwicklung ein Funktionswechsel vorkommen „könne; denn diese Flecke, welche bei D. Hippophaes rothe Beeren „nachahmten, spielten bei phyletisch weiter vorgeschrittenen Arten „eine ganz andere Rolle, sie bildeten Schreckmittel oder Widrigkeits- „ zeichen." Welch' bevorzugte Raupen, welch' unschlaue Vögel, welche Achsel- trägerei der Selektion! möchte man hier klagen; den Raupen hilft sie, die Vögel täuscht sie immerfort, oder will sie doch täuschen. Zuerst wurde den Vögeln der saftige Raupenkörper einfarbig, nur durch einen Hornstachel bedrohlich entgegengehalten, dann als grau- grünes Blatt maskirt zu verbergen gesucht, und da sie ihn dennoch erkannten und frassen, so mussten ihnen rothe Hautpunkte daran, magere Beeren vorspiegeln. Die Vögel, auch diese Täu- schung balancirend, müssen an ihren eigenen Nahrungs Objekten nun recht gleissende, ihnen selbst Widrigkeit vortäuschende Beerennachahmungen „auslesen," — und trotz alledem bleibt es beim Zentimiren, beim Proportioniren der Raupen! Die Vögel schmausen weiter in alle Wesenewigkeit und ganz gleichgiltig würde es bleiben, ob ihr Appetit per Selektion nun noch zwinkernde, dann rollende, schielende, endlich triefende Augeiiflecken einbringen sollte. Sie könnten nicht nahrüngsirre werden, und wenn nach Anti- quirung selbst der phyletisch vorgeschrittenen „Schreckaugen" die unaufhaltsame Logik der Selektions-Avantage den Raupen schliesslich drohende, klaffende und geifernde Rachen-Larvirung auf den „schrecklichen Schweinskopf" akkumulirte. Es ist keine Uebertreibung, sondern die korrekte Perspek- tive in die Zukunft der Selektionsaufgabe, welche vorwärts der darwinistischen „widrigen Bissen", der „Schreckaugen auf geblähten Schweinsköpfen", einen einstigen gegenseitigen Mummenschanz in Nussknacker-Schreckhaftigkeit unter der Wesenkonkurrenz vorspottet. - 131 — Die „Studien" nehmen „die Schreckaugen" durchaus ernst i) und es ist ihnen sehr unwahrscheinlich, dass „die echten Augenfiecke" der Chaerocampini „einen Funktionswechsel durchgemacht hätten; „ hier würden vielmehr, wie m i t S i c h e r h e i t angenommen w e r - „den könne, schon die ersten Anfänge Schrecken hervor- „ gebracht haben. Denn wir dürften nicht vergessen, dass diese Zeich- „nung bei den Voreltern im erwachsenen Alter aufgetreten sei „und auf dem angeschwollenen vierten Segment stehe, welches an „und für sich schon der Raupe ein sonderbares, für kleinere Feinde „wohl schreckliches Aussehen verleihe; wir wüssten auch bestimmt, „dass das Aufblähen dieses Segments auch bei der augenlosen Dar. „Choerilus in Anwendung komme." Diese „primäre" Anschwellung ist aber bei den jungen Chaerocampa-'Rsin'pen nicht vorhanden, sondern sie bildet sich erst von der Zeit an, wo die Augenfleckbildung bereits begonnen und zugenommen hat, in mehreren Aufwuchsstadien bis in's erwachsene Alter allmälig aus. Sonach könnten die ersten Anfänge der Augenflecksbildung, nach Weismanns eigner phyletischer Eepetitions -Hypothese, nicht auf dem komplett angeschwollenen vierten Segment gestanden haben. W. sagt selbst S. 11 von der bereits mit „der ersten Anlage der Augenflecke" versehenen Elpenor-Rauj^e, „sie habe fast das An- „ sehen einer kleinen Nachtschnecke, aber die drei vorderen Segmente „zöge sie noch nicht in die zwei folgenden zurück, wie dies vom er- „wachsnen Thier geschähe." Auch seine bezüglichen Figuren zeigen bis in's IV. Stadium nicht die repetions-phyletische Stärke der ersten 4 Segmente. Hier müsste also das phyletische Dokument im Datum wesentlich gefälscht sein! Es ist aber selektionshypothetisch weder Grund noch Sinn vor- handen, warum der „phyletisch-sekundär" gebildete Augenfleck- embryoin der Ontogenese gefälscht „primär repetirt" würde, näm- lich über den phyletisch- primären Schweinskopf der W.'schen Dar- stellung zurückgeschoben worden sei. Die primäre Dicke des vierten Segments gehört nach W. aus- drücklich zur nützlichen Schreckwirkung des Augenflecks. Ohne geblähtes Segment kein Augenfleck. Wohl aber deutet uns die proportional bestehende rüsselköpfige Dar. Choerilus in Nordamerika i) Es ist schade, dass ihre biologische Bewerthung der Todten- schädel-Zeichnung auf dem Thorax einiger Nachtschwärmer unbekannt bleibt. Vielleicht ein rudimentäres ,, Schreck-Gerippe"? 9* ■ — 132 — (W. Fig. 34) an, dass die Schreckaugen entbehrlich sind. Und gewiss liefert diese amerikanische Raupe noch weiteren Widersinn in die Theorien der Stud., insofern sie dort in einfacherem Habit als unsere Chaerocampini-Formen durchkommt, während die dortigen SpJiina; -Arten der Anzüchtung grellfarbigerer Schlagschatten bedurft haben, als wie unsere. Nach Allem von mir Erörterten findet auch die Erklärung Weis- manns: „die Färbungsgrellen der Deil. Galii und Eufhorhiae ba- sirten auf dem Bestreben, einen möglichst grossen abschreckenden Kontrast in der Färbung herzustellen, solche Raupen sollten auf- fallen," keinerlei Basis. Für die durch eigene Aufmerksam- keit die Dekoration des Gegners auszüchtenden Kon- sumenten könnte nie eine Ueberraschungs-, eine Ab- schreckungs-, eine Kontrast-Figur erwachsen, deren Ent- stehen sie nicht verfolgt und beobachtet hätten. Nirgends sehen wir auch die Proportionen der Ueberlebung gestört. Wenn W. diesen Abschnitt mit dem Ausspruch schliesst, „soweit wäre Alles durch Naturzüchtung leicht zu verstehen," so bin ich hin- gegen der Meinung, dass er dem Halt seiner Hjpothesen zu Liebe ein Ueberzeugungsopfer bringt, wenn er die Nützlichkeit der ersten Anfänge seiner hypothetischen Entwicklungsvorgänge behauptet. Denn Niemand und auch Weismann selbst nicht kann ernstlich daran glauben. Der Schlussabschnitt der ersten Abtheilung der „Studien" be- ginnt mit der Abhandlung über die phyletische Entwicklung der Sphingiden-Zeiehnung. Nach Weismanns Theorie, welcher zufolge der Raupenaufwuchs ein Bild wiederholt ihres phylogenetischen Formen-Umbildungs-Ver- laufes auf Grund natürlicher Auslese, hatten die Sphingiden-Raupen einstmals keinerlei Zeichnung. Das „charakteristische"!) Schwanz- hörn soll ebenfalls „älter sein als jede Zeichnung, weil es sich, so- bald es nicht überhaupt fehle, schon bei den jüngsten Räupchen und zwar meistens sogar in relativ bedeutenderer Grösse finde als in späterem Alter." Dieses Schwanzhorn nun, das also zum primären Ausstattungs- i) Es giebt auch ähnlich ausgestattete Raupen unter den Spinnern, z. B, JEndromis Versicolora und Bombyx Mori. Letztere, die Seidenspinnerraupe, trägt ausser dem Schwanzhorn auch einen ausge- prägten „Rüsselkopf." Aehnlich monströse Formen zeigen exotische Raupen, z. B. Papilio Gra^/i, Thoas. — 133 — merkmal der Sphingidcn-Raupen erklärt wird, erhält von Seiten der Stiid. nicht entfernt die Beachtung wie die Zeichnungen, z. B. die Subdorsale. Diese aber, als ein Charakter, der bei den allerverschie- densten Raupenformen vieltausendfältig wiederkehrt, scheint mir durch die begrenzte Erscheinung und spezifisch -verschiedene Kon- struirung oder Weglassung des Schwauzhornes an Interesse bedeu- tend übertroffen. Der Grund der geringen Beachtung des Hernes mag aber wohl im Mangel erwünschter Angriffspunkte für die Stud. liegen. Denn auch aus „der relativ bedeutenden Grösse" desselben bei der frisch ausgeschlüpften Raupe lässt sich kaum irgend etwas schöpfen für's Studienthema. Es ist nämlich nicht dieses Hörn allein bei den jungen Raupen relativ gross, sondern auch die Köpfe sind es. Weismanns Figuren 1 und 2 gegen 3, 17 und 24 gegenüber 23 und 28, 37 und 38 bezw. gegen 46; 53, 54, 55, 56 und 57 im Vergleich zu 70 weisen dies selbst augenfällig nach und wohl jede beliebige frisch aus dem Ei gekommene Raupenart böte neue Bestätigung. Sehen wir uns aber im ganzen grossen Thierreich um , so begegnen wir sowohl bei den Köpfen als bei den Extremitäten derselben Erscheinung. Viel- leicht überall bringt das junge Geschöpf eines oder auch beides re- lativ recht ansehnlich gross zur Welt. Selbst bei unseren eigenen Sprösslingen finden wir bezüglich des Kopfes dasselbe Verhältniss. Auf irgendwelchen primär-phyletischen Repetitions-Zusammenhang möchten wir aber hieraus um so weniger schliessen, weil es haupt- sächlich der gehirnenthaltende Schädeltheil ist, der am Kinder- kopf das erwachsene Volumen relativ übertrifft. Der Kopf ist vielmehr überall der naturnothwendig gewichtig entwickelte Bahnbrecher der Geburt. Warum das Neugeborne oft mit relativ grossen Extremitäten und so auch das Sphingiden-Horn verhältnissmässig gross ausgebildet erscheint, will mir nicht erräthlich werdeil i). Eine Erbschaftsform aus einem einstmaligen Urvätersta- dium wird, nach den analogen Erfahrungen mit den Köpfen und nach der Allgemeinheit der Erscheinung zu schliessen, ganz wahrschein- lich nicht vorliegen, Wenn die Stud. aber den Mangel des Horns bei Deil. Vesper- tllio auf ihre Theorien geprüft hätten, so würden sie auf mancherlei Bedenken getroffen sein. Denn wenn wir auch keinen Nutzen solchen Horns erkennen, so vermögen wir doch auch keine Schäd- i) Vielleicht sind es Gleichgewichts- resp. RaumausfüUungs- Erfor- dernisse der fötalen Einbettungen. — 134 — lichkeit in dessen Vorhandensein für die Raupe zu vermuthen. Derartige Charaktere und Orgaue sollen aber nach W. als „indiffe- rente" erhalten bleiben; sollen doch die ganz jungen Smerinthini- Räupchen „zurückgeschobene" Schrägstreifen haben, wo von Wirk- samkeit solcher Zeichnung keine Eede sein könne. Bei der D. Vespertilio-'Sid,u]}Q mangelt aber jede Spur des Horns bereits bei dem 15 mm. messenden Räupchen. Und diese Raupe lebt gleich mehreren ihrer behornten Gattungsge- nossinnen an einer Epilobium-Art, also unter möglichst ähnlichen Verhältnissen mit jenen. Mithin wäre kein Grund erkennbar, warum die Selektion bei ihr ausnahmsweise das Hörn spurlos abschaffen konnte. Eben so ungereimt zum Selektionsthema erscheinen die kleinen resp. kaum bemerkbaren Schwanzhorne der Chaerocampini Elpenor und PorceUus^ namentlich auch gegenüber der Pterogon Oenotherae- Raupe, die einen Augenfleck an Stelle des Hornes trägt. Denn auch diese drei Raupenarten leben oft nebeneinander an glei- cher Oertlichkeit und Pflanzeuart. Bei den beiden Chaerocampini nun, die doch zum angeblichen Effekt ihrer sog. Schreckaugen ein recht ansehnliches Hörn am Hinter- theil gut gebrauchen könnten, und dasselbe, besonders Elpenor, auch im Jugendstande augenfälliger tragen, wird es gerade im Alter der „Abschreckpraxis" unansehnlich, ja unbemerkbar. Die Selektion würde also hinten an Wehrfähigkeit gekürzt haben, was sie vorn zugelegt haben soll. Bei Pterogon Oenotherae aber, der in Lebensweise und Aufenthalt nahezu gleich- situirten Raupe, findet sich an Stelle des Hornes ein den Chaero- campini versagtes „Schreckauge". Wir sehen, immer wieder werden die Konsequenzen einer me- chanischen Selektion deutlich vermisst und verneint, und die Herr- schaft einer gesetzmässigen organischen Entwicklung dargelegt. Bezüglich nun der Zeich nungslosigkeit der einstigen Sphin- giden- Vorfahren, meinen die Stud., so Hesse sich diese ausser durch die frisch ausgekommene Raupe noch weiter dadurch belegen, dass es noch heute solche Raupen gäbe. Im Spiritus konservirt enthalte nämlich das Berliner Museum eine über 6 cm. lange Raupe, der Gestalt nach zu den Smerinthini gehörig, welche ein Schwanzhorn besässe und auf der ganzen Ober- seite mit kurzen, sparsam stehenden Borsten bekleidet sei, wie solche besonders auch den jüngsten Stadien der meisten heute lebenden Sphingiden- Raupen eigen seien. Diese nach Herkunft unbekannte Raupe scheine hellgrün gewesen zu sein, zeige aber jetzt einen gelb- — 135 — liehen Ton und jede Spur von Zeichnung mangle. „Wir hätten also gewissermassen ein lebendes Fossil vor uns, dessen Herkunft zu kennen von grossem Interesse sein würde." Sollte diese Raupe nun wirklich eine zeichnungslose Sphin- gide sein, obschon bei grüner Grundfarbe innerhalb des Spiritus auch manche schwächere Zeichnung verschwinden könnte, so wäre sie wahrscheinlich an monoton-farbenen, breitflächigeren J'flanzen auf- hältlich. In den Tropen und Subtropen aber, und allem Vermuthen nach stammt das Thier aus wärmerer, entomologisch undurchforschter Zone, das sogenannte Fossil unserer Sphingiden noch lebend zu vermuthen, die zurückgebliebenste Form unter den ent- wickeltsten, das scheint mir eine kaum zu wagende Idee, selbst wenn Australien oder die Galapagos ihre Heimath wären. Denn die mit rapider Flugfertigkeit begabten Sphingiden-Falter sind nicht wie Saurier oder Marsupialen zur Isolirung gezwungen. Uebrigens würde "sie ihre „fossile" Würde auch durch die so- eben besprochene „phyletische Grossköpfigkeit" nachzu- weisen haben. Auch vermögen die Stud. diese *Raupe dann nicht als das gesuchte Fossil zu verwerthen, wenn sie nicht gleich- zeitig ein wandelloses Vorhandensein ihrer „fossilen" Ur- Futterpflanze grotesk vorauszusetzen wagen. Ich halte die Verwerthung dieser Raupe i) hier nicht entfernt für angezeigt; und so interessant die phyletisch hierher zielende, um 8 cm. verlängerte, mit Luftlöchern sogar auch auf Segment 2 und 3 (!) überladene Weismann'sche Abbildung (Fig. 38) der frisch- geborenen JEuphorbiae -^aiii^e ist, mit jener fremdländischen Horn- raupe ist sie in keine phylogenetische Parallele zu bringen. Als erste und älteste Zeichnung der Sphingiden - Raupen wer- den nun, wie schon bekannt, der Subdorsalstreif, die Längs- streif ung überhaupt vorgeführt, angezüchtet durch einstmaligen Aufenthalt an Gräsern. Durch Umsiedlung auf Bäume und Sträucher seien. dann durch Zuchtwahl die Schrägstriche dazu gekommen und mittelst späterer Farbensäumung vervoll- kommnet worden. Nach den von mir bereits detaillirt gegebenen bezüglichen Wider- legungen erinnere ich hiergegen nur daran, dass ein Nahrungswechsel der Raupen nicht ohne vorheriges und nachheriges „Mit- machen" der eierlegenden Falter bewerkstelligt wer- ^ i) die vielleicht identisch oder nahestehend ist der südamerika- nischen Amphonyx Jati'ophae, Burmeister, Atlas V, 2, XL — 136 — den könnte und dass es auch nicht das Endstadium, sondern die junge Raupe sein müsste, die mit neuer Nahrungswahl initiativ vorzugehen hätte. Ueber die gelegentliche Schrägstreifung der Macroglossa Fuci- formis, die in umgekehrter Richtung wie bei den meisten an- dern Sphingiden-Raupen streichen soll, geht W. rasch hinweg, wäh- rend gerade .solche Heterogenität zu spezieller Untersuchung geeignet scheinen konnte. Wenn dieselbe eine neuere Erwerbung sein soll, wie W. bemerkt, so würde sie als selektirt wenig zu der an Scabiosa und noch dazu tagüber dicht am Boden unter Blättern ver- steckt lebenden Raupe passen. Aehnliche Lebensverhältnisse wurden uns wenigstens von W. bisher als dergleichen Streifung löschende, rudimentirende, vorgeführt. Bezüglich der die Subdorsale durchschneidenden Schräg- striche im ersten Stadium der Smerinthus PopuU-Rai\])e finden die Studien, „dass solcher Fall die Aehnlichkeit mit einem Blatte sehr „bedeutend vermindern müsse; er träte deshalb auch nur bei ganz „jungen Raupen auf, wo von Wirksamkeit einer Zeichnung keine „Rede sein könne."' Zu diesem Ausspruch versteht es sich aber durchaus nicht, wie demjenigen Urstadium, das diese gefährliche Zeichnung einstmals erwachsen besessen haben soll, die Zuchtwahl solche als nützlich akkumuliren konnte. W. räth hier auf eine besondere Blattstruktur und bei der Dar. Ckocrilus -'Rani^e, wo die Schrägstriche bis an die Dorsale (Rückenmittelstreif) reichen, hielte ich diese Dorsale als Kopie einer Längsrippe, die Schrägstriche als Kopien der Querrippung eines Blattes allenfalls für begreiflich • für das Durchkreuzen, das Uebergreifen der Schrägstriche durch die Längsstreifung der Seiten aber (Fig. 56) halte ich, dem üblichen Sitz der Raupe an der Mittelrippe gemäss, kein Blattschema vorhanden. Man müsste geradezu die Rippenkreuzungen durch verscliobene Blatt- lappen für nachgeahmt erklären. Das sind aber vage Themata, die namentlich bei der Un Stetigkeit der hier in Frage kommenden mancherlei Verhältnisse zwischen Raupensitz , Pflanzenbild , Beleuch- tungs-Litcnsive und Wandel, überhaupt ohne realen Diskussionswerth erscheinen. Wo nun Schrägstreifung und Fleckenzeichnung zusam- men vorhanden sind, „da sollen diese sich in der Schutzwirkung „gegenseitig nicht beeinflussen oder nur noch die Bedeutung rudi- „mentärer Bildungen haben. Und wo Subdorsale, Augen- und Ring- „ flecke gleichzeitig auf allen resp. Segmenten auftreten, wie bei Chaer. „ Tersa , da würden sie wohl eine andre Bedeutung als die eines — 137 — „Schreckmittels haben, deren Definirung mit dem geringen vorgele- „genen Material zwar nicht erfolgen könne, ohne dass man deshalb „das ganze Resultat der abgewickelten Untersuchungen für unbefrie- „digt halten werde. Es sei gelungen, für jede der drei Haupt -Ele- „raente der Sphingiden- Zeichnung eine biologische Bedeutung nach- „ zuweisen und dadurch ihre Entstehung durch Naturzüchtung wahr- „ scheinlich zu machen. Es sei ferner gelungen, zu zeigen, dass schon „die ersten Anfänge dieser Zeichnungen von Nutzen sein mussten, „und damit schiene ihre Entstehung durch Naturzüchtung geradezu „erwiesen." Wir hingegen wissen, dass keiner dieser Nachweise vor- handen ist, sondern dass sich die Studien inmittelst ihres Induk- tions - Materials auffallend kurzsichtig bewegten. Sie entrollen nun ein gedrängtes Bild ihrer Entwicklungshypothese, das ich gekürzt durchgehe, „Ihre ältesten Sphingiden-Raupen waren zeichnungslos, vermuth- „lich nur durch sj^mpathische Färbung geschützt, durch ein grosses „Schwanzhorn und durch kurze Borsten bewehrt." „Durch Naturzüchtung erhielten sie die Subdorsale sowie die „übrige Längs streifung, indem sie an oder zwischen Gras lebten." „In späterer Zeit sei durch den Uebertritt auf neue Nährpflanzen „die Schrägstreifung entstanden, mit deren Ausbildung die Längs- „ streifung wieder geschwunden und nun die Anlage von Schlagschat- „tirung vor sich gegangen." „Einige auf schmalen, dicken, schwachrippigen Strauchpflanzen „lebende Raupen, wie D. Hippophaes, hätten indess aus Nützlich- „keitsgründen die alte Längsstreifung beibehalten, hingegen durch „Nachahmung von Beeren die Farbenflecke auf dem Hornsegment „erworben und nun dieses eine Paar den übrigen hiervon später ab- „gezweigten Formen vererbt." „Wo die Vervielfältigung solcher Flecke „„wie bei D. Hippo- „phaes von grossem Nachtheil für die Art gewesen sein würde — " " , „da sei eine Uebertragung derselben nach vorwärts auf den Seg- „menten durch Naturzüchtung verhindert worden." „In anderen Fällen, wie bei D. Zygophylli, sei die Uebertra- „gung zwar erfolgt oder ererbt worden, die auffällige Färbung aber „aus Nützlichkeitsgründen verworfen oder entfernt worden." Ich zeigte hingegen (S. 20, 21 dieser Schrift) auch hier eine mit dem Raupenaufwuchs fortschreitende Flecken -Ausbildung und Kom- plikation. „Wieder in anderen Fällen," lehrt W. weiter, „seien diese Flecken — 138 — „zu Widrigkeitszeichen und schliesslich sogar zu fürchterlich schei- „nendeu Augennachahmungen befördert worden." „In dem Maasse als sich die Riugflecke aus der Subdorsale ab- „ schnürten, sei diese aus dem Endstadium der Ontogenese immer „vollständiger verschwunden und in die Jüngern Lebenstadien der „Raupe zurückgetreten — historisch geworden." Leider bleibt hierbei unerklärt, was dennoch, und entgegen der behaupteten Gleich seh rittigkeit des Auftretens neuer Charaktere mit dem Zurückrücken und Schwinden älterer, das gelegentliche Vortreten der Subdorsale aus dem IL und III. bis ins YII. Stadium bei D. J^uphorbiae-DaJilii , resp. Chaer. Tersa phyletisch ermög- licht. Der geduldige Ausdruck „Rückschlag" erhält hierfür die vertraulich verschwiegene Verantwortlichkeit. „Bei einer anderen Gruppe soll sich an Stelle des verschwuu- „ denen Schwanzhorns ein Augenfleck entwickelt haben, welcher wie „bei Pterogon Oenotherae, ohne Zweifel den Werth eines Schrcck- „mittels habe; über die Bedeutung der Anfangstufe liesse sich hier „ nichts entscheiden. " Uns beunruhigt hier u. A. aber auch die Frage, warum dieses vermeintliche Schreckmittel über dem After gerade erst in dem- jenigen Moment, und auch alsbald fertig auftritt, wo diese Raupe ihren Sitz höher am grünen Stengel oder Blatt verlässt, den schattigen Boden aufsucht und dementsprechende schützende Umfärbung erleidet. "W. lässt dergleichen auf sich beruhen und fährt fort: „bei einer dritten Gruppe, den jetzigen Chaerocampini, hätten „sich aus der Subdorsale direkt Augenflecke entwickelt, deren Au- „fangsstufen mit Bestimmtheit bereits die Bedeutung eines Schreck- „ mittels gehabt hätten. Gewiss aus diesem Grunde sei auch die „Subdorsale aus der Nähe der Augenflecke schon früh verschwunden." „Ein Theil der jüngeren tropischen Arten dieser Gruppe aber „habe diese Augonflecke auch auf den Segmenten hinterwärts ent- „ wickelt und vielleiclit zu Beeren- oder Blüthen-Nachahmung neuver- „ wendet oder zu Widrigkeitszeichen uragestempelt." Warum aber gerade bei diesen jüngeren tropischen, also den unseren gegenüber entwickeltsten Chaerocampini , die Subdorsale, jede Beeren- oder Blüthen-Nachahmung, oder einen Widrigkeitsein- druck irritirend und abschwächend, nun wieder breit und ununter- brochen durch die Fleckenreihe zieht, und durch deren Bildung nicht absorbirt wurde, und warum die Anwesenheit der Subdorsale bei Ch. Tersa je nach der Lokalität variirt, das lassen die Studien abermals unerörtert ruhen, obschon auch dies Alles im geraden Widersinn zu ihren Theorien steht. — 130 — Sie fahren fort: „bei allen diesen Raupen mit reiner Schreck- „ Zeichnung bleibe nicht nur die ursprüngliche sympatische Färbung „erhalten, sondern sie werde sogar bei den meisten durch eine „bessere ersetzt. Auch bei vollkommener Anpassung an den Erd- „boden könne das Zeichnungsmuster der Schrägstreifung beibehalten „und durch Abmattung nun zu einer unregelmässigen Gitterzeichnung „verwendet werden, entsprechend dem Gewirr von Licht und Schatten, „Streifen und Flecken am Boden des niederen Pflanzenwuchses." "Wir erfuhren aber doch z. B. S. 12 der Studien, ganz ausdrück- lich und wiederholt, sowohl bei Chaer. Elpenor wie bei Porcellus, dass die Umfärbung in Braun bereits im IV, Stadium er- folgt, wo die Augenbildung noch in der Entwicklung be- griffen ist, und wo bei Elpenor die Bildung des dritten Augenflecks sogar erst beginnt. Selbst im VI. Stadium tritt die Nachahmung von Augen noch deutlicher vor als im V, Stadium, Zwei Stadien später also, als wo die Raupe die Umfärbung in Braun theils durchgehends theils einzeln begonnen, wird die Augenbildung mit dem Auswuchs der Raupen erst komplett beendet. Ebenso treten erst jetzt die korrelativen dunklen Flecke hierzu, auf den übrigen Segmenten hervor. Das scheint ein morphologisches Zeichen, dass nun erst die „Feststellung" der Augenflecken erfolgt ist. Erinnern wir uns auch, dass es erwachsene grüne Formen dieser Raupe mit denselben, ja mit fast noch markanter ausgebildeten Augenflecken, korrelativen, fleckenartigen Wiederholungen, Rieselungen und Schrägstreifen giebt, und dass die Stud, solche Variabilitäten ausdrücklich als Rückschlag auf eine alte Form, die den Boden- schatten noch mied, bezeichnen, so tritt uns die Hinfälligkeit der Studienthesen auf's Neue klar vor Augen, Denn zum Theil in diesem Abschnitt wiederholen sie ihre Hy- pothese: „die Charaktere verschwänden aus einem Stadium in „derselben Ordnung, in welcher sie gekommen seien , , . . und würden „in denselben Schritten nach rückwärts verschoben, in welchen sie „durch später hinzutretende Charaktere aus dem Endstadium ver- „drängt würden." „Und diese Zurückführung könne beschleunigt „werden, wenn solche Charaktere auch für das jüngere Stadium „nützlich seien, es geschähe aber gänzlich unabhängig von irgend „welchem Nutzen auch dann, wenn die Charaktere indifferent seien, „lediglich veranlasst durch innere Bildungsgesetze." Hier bei den Chaerocampini treten nun innerhalb des letzten Stadiums, nachdem die Raupen längst braun geworden und soeben erst die Vollendung der Augenflecke eingetreten ist, noch eine Reihe von Augenhöfen, Rieselung und lichte Rückenpunkte neu hinzu. — 140 — Und zwar sollen diese für das soeben erst „abschreckfertig" gewordene Thier, eine zum Theil durch Naturzüchtung (W. S. 111) neu erworbene schützende Anpassung, zum Theil eine aus Nütz- lichkeitsgründen konservirte korrelative Bildung sein. Nun diese dreierlei Neubildungen sehen wir im letzten Stadium auftreten, ohne dass doch die Fertigstellung der Augenfleke in jüngere Stadien gerückt ist, was bei ihrem „Abschrecknutzen" doch „sehr rasch" geschehen soll und möchte. Dem gerade entgegengesetzt treffen wir vielmehr die „Angstfär- bung", das, für die am grünen Blatt ruhende jüngere Raupe so gefährliche Braun, bereits im III. und IV. Stadium an, welche Färbung doch ebenfalls vom letzten Stadium erworben und nun bereits 2 — 3 Stadium „rückwärts geführt" wäre. Und dieses „sym- pathische Braun" — d. h. wenn die Raupe nicht oben an der grünen, rothblüheuden Pflanze sitzt — soll doch als „eine bessere" Färbung die einstige grüne allmälig ersetzt haben. Wie hätte nun aber die Selektion diese „Schutz" -Farbe zurück- führen können bis in Stadien, wo sie gleichzeitig noch lange an der Ausbildung von „Abs ehre ck"-Zeichnungen arbeitet? Und wie hätte sie diese „jünger phyletische Schutzfärbung" vor den „viel älter phyletischen Schreckaugen" zurückschieben, wie über diese hin- wegstreifen können'?! Der uns von W. gelehrten phyletischen Ordnung nach müssten die allenthalben nützlichen Schreckaugeu früher zurückgewandert sein als die später zugebrachte Schutzfarbe; diese könnte in allen Stadien nur den fertigen Schreckaugen aufsitzen. In dieser Folge in den Jüngern Stadien anzutreffen, und die Schreckaugen im Endstadium, wo bereits dreierlei neue Schutzmittel, Verber- gungs mittel darauf akkumulirt sein sollen, bereits wieder abmattend oder verschwunden, hätte die Erscheinung Sinn für Ws. Theoriß. Es liegt aber Alles in umgekehrter Ordnung vor uns, und freilich genau so, wie es von einem organischen Entwicklungsgänge vernunftgemäss zu erwarten ist. Und was für eine „Rückschlagsform" soll denn die erwachsene noch grüne Raupenvarietät m i t v o 1 1 a u s g e b i 1 d e t e n A u g e n f 1 e c k e n darstellen? Ihr Typus müsste doch in den jüngeren Stadien, welche die Phylogenese repetiren sollen, regelmässig vorhanden sein. Er ist es aber nicht, sondern so lange die grüne Periode der Ontogenese bei den später braunen Raupen währt, solange sind weder Rüsselform noch Augenflecke aus den Anfangsbildun- gen heraus. Auch von den anderen „jüngsten" Zeichnungsfein- heiten der lichten und dunklen Fleckung mangelt jede Spur, obschon — 141 — sie die sogenannte grüne „Rückschlagsform" ganz theoriewidrig regel- mässig aufweist. üeberhaupt ist die ganze Darstellung dieser grünen Raupen- varietät als „Rückschlag" unbedacht, und logischer für die Stud. wäre es gewesen, dieselbe für eine werdende neue, für die Zukunfts- form zu halten. Alle phyletischen Zeichnungsbilder, die W. für die braune Form angiebt, trägt die grüne ebenfalls, die Augenflecke und die Rieselung sogar hervorgehobener wie jene, und dass ihre grüne Farbe, selektionslogisch zu den vollen Lebensverhältnissen und Auf- enthaltswechseln gedacht, ihr schutzbringender sein müsste als wie eine braune Farbe innerhalb der grünen Vegetation, das bedarf keiner nochmaligen Besprechung. Wohin wir also auch blicken, was wir auch prüfen, überall finden wir die Induktionen gegen die Studien-Hypothesen gerichtet, und wer bisher interessirt bei der Prüfung der Thatsachen und gegne- rischen Theorien ausharrte, vielleicht da, wo ich mitunter die breitere Auseinanderlegung des Themas nothwendig unterliess, sein weiteres Nachdenken einsetzend, der wird mit mir die „Studien" nur bedauern, wenn für ihre Wahrnehmung keine Ahnung eines unerklär- ten Restes der Wesenbildungsfrage übrigbleiben will, (W. S. 137), und wenn sie die Haltbarkeit ihrer Theorien am Schlüsse dieser Abhandlung nochmals garantiren wollen durch die Behauptung : „Aeusserungen einer phyletischen Lebenskraft" (eines organischen Entwicklungsggsetzes) „seien auf dem Gebiete der Sphingiden-Zeich- „nung und Färbung nicht zu erkennen, die Entstehung und Ausbil- „dung derselben beruhe lediglich auf den bekannten Faktoren „der Naturzüchtung und der Korrelation." Diese wohl nur den „Studien" eigene Einsicht erscheint mir, in der vorgetragenen Zuversichtlichkeit des Lehrtons, geradezu als eine Schädigung der Vertrauenswürdigkeit reeller Deduk- tion, und meine weitere, lediglich der Wahrheit in der Induktion tributwillige Sichtung wird uns leider kein günstigeres Urtheil er- möglichen. Unter dem Titel: lieber den phyletischeu Parallelismus bei metamorphosisclien Arten schreitet Weismann nun zu einer zweiten Abhandlung. Die Basis derselben bildet die Voraussetzung, dass dem uner- forschten Naturquell der organischen Entwicltlungs-Gcsetzmässigkeit ein Schema zugemuthet und untergelegt werden dürfte, das den Be- griffen der Studien angepasst, und auf deren Widerlegungsfähigkeit zugeschnitten ist. — 142 — Wie ich schon monirte, muthen sie dem Naturschaffen oppositio- nell zu, seine Entwicklung gleichsam wie an Schnüren gezogen durch den Weltorganismus zu trollen. Der das ihm zugängliche Grosse des Weltgebäudes durchfor- schende Menschenverstand vermuthet aber in demselben keine ratio- nell-eintönige Spinnfabrik oder Kaserne, sondern er erkennt das Universum, wo fern aller monotonen Schablone, jede Individualität sowohl bestimmten passenden Gelass, aber auch fördernde Verkehrs- freiheit und Bildungsmöglichkeit im Avancements-Zirkel der Gesammt- heit geniesst. Da giebt es kein Drängen und Verdrängen, kein Hailoh der Ueberbietungen und Submissionen, sondern im Vortheil des Einzelnen wie in seinem gesammtbezüglichen Verzicht, liegt das Wohl der Gesammtheit und auch des Einzelnen Glück. Was der Darwinismus als „Kampf um's Dasein," als „natürliche Auslese" titulirt, das ist der Vollzug der Haushaltung, die Permani- rung des proportionalen Gesellschafts-Status der Bewohnung. Wir freilich klagen über den grausamen Vollzug der Ausgleichung, wenn wir den Werth des Weltorganismus individualiter nach der Dauer unserer und der uns nachbarlichen Existenzen kalkuliren, während wir begreifen können, dass mit uns und aller unserer Nach- barschaft selbstverständlich der Universalausgleich nicht abschliesst. So wie wir uns mit jedem Schluck und Athemzug durch umgesetzte Organismen erhalten, so werden auch wir selbst umgesetzt zum Auf- bau neuer Organisation. Giebt es nirgends ein Ende — warum sollten wir uns gerade als Letztes, als „Ziel" blähen wollen, unserem Behagen alles angepasst finden wollen? uns der Konservirung universal- ausnahmsweise werth halten?! Keine Theilhaberschaft kann in' s Unendliche wachsen, denn vom Plus des Erzeugten lebt der normale, d. h. der dieses Plus zeugende Bestand. Die Zeugung füttert und hält die Welt und kal- kulirt auf sich selber. Dauerte ein sukzessiver Zuwachs der Theilhaber an, gewännen gewisse Elemente zum Nachtheil anderer Vortheile, so führte dies zur Aufsaugung der einzelnen Wohlfahrt, die Proportion der Theil- haberschaft ginge verloren, verschöbe sich immer mehr bis zum Verlust alles existenzlichen Gleichgewichts und bis zum Zusammen- bruch des Ganzen. Was der Weltorganismus an Wesenheiten konsumirt, das an sich fördert nicht, sondern erhält nur. Eine Förderung kann nicht durch Ausbildung immer neuer Kampfesmittel, sondern nur durch einheitlich ineinandergreifenden Umsatz des Bestandes erfolgen. Die erregte Luft z. B. gelangt nicht zur Ruhe durch Aufsetzung immer grösserer — 143 — Stürme und heftigerer Orkane, sondern durch den Ausgleich der Temperatur-Extreme. Bei der speziellen Betrachtung der uns vor- liegenden Lehensformen werden wir hierfür mancherlei Hinweis finden. Die Abhandlung Weismanns beginnt mit dem Ausspruch: „die „Behauptung einer vollständigen Unabhängigkeit des Raupen- „Stadiums von dem des Falters sei sinnlos. • Es verstehe sich von „selbst, dass eine gewisse quantitative Abhängigkeit zwischen „den verschiedenen Stadien bestehen müsse. Die Grösse und Masse „des einen bestimme auch das Volumen des anderen, so die Menge „organischen Stoffes im Ei das Volumen des ausschlüpfenden Räup- „chens." Gerade aber hierin besteht höchstens ein momentaner Zusam- menhang, weiterhin ein ausserordentlich verschiedenes Divergiren, und deshalb auch ein sehr instruktiver Ausgangspunkt zuv Wahr- nehmung einer tiefliegenden spezifischen Gesetzmässigkeit. Vor mir an einem Espeublatt haftet ein Schnaken-Ei. Dasselbe misst bei ziemlich 1 mm. Stärke 3 mm. Länge, ähnelt einem Würst- chen und entlässt ein Räupchen, das später ausgewachsen nur etwa das Dreifache der Eilänge erreicht, an Stärke die seines Eies kaum überschreitet. Nebenbei sei gleich mitgetheilt, dass sich diese Larve alsbald nach dem Verlassen des Eies sehr kunstvoll in eine Blattkante ein- wickelte. Nach einigen Tagen aber traf ich dieselbe an, wie sie sich innerhalb des Glasbehälters, in dem ich sie verwahrte, wahr- scheinlich um zu entweichen, mittelst feiner über die GlasAvölbung straff gespannter Querfäden eine Steigleiter anfertigte , jede Sprosse an den Seiten durch mehrere divergirende Spannfäden gesichert. Die Beobachtung dieser überraschenden Kunstleistung innerhalb des sehr weiten Halses einer Glasflasche, machte ich an dieser Larve in den Einöden Lappmarks. Noch nie oder so gut wie noch nie konnte eine Erprobung 'dieser intelligenten künstlerischen Leistung ausserhalb des natürlichen Materials der engen Blattrolle stattgefun- den haben. Aber abgesehen von dem neuen Material, wurde auch die neue sehr flache Konkavität der Glasfläche sofort mit talentvoller modifizirter Technik bemeistert. Das Püppchen dieser Larve mass 6 — 7 mm., die gespreizten Flügel der Iraago werden zusammen etwa 15 mm. spannen. Andere vor mir liegende Schmetterlingseier, woraus Raupen her- vorgehen, die bis über 40 mm. Länge erreichen und ebenso weit spannende Falter liefern, z. B. von Hipfa JRectilinea, deren er- wachsenes Stadium also das Quantum jenes ersten Insekts vielleicht 30— 40fach übersteigt, schlüpfen aus Eiern, die hin- — 144 — gegen kaum ein Drittel des Quantums obigen Schnakeneies enthalten. Aber selbst Wesen, die das Vieltausend- und Millionenfache ihres Eikeimes im Wachsthum erreichen, auch Avenn sie nur ein Ei auf einmal produziren, entstehen aus Eiern, welche die Grösse eines Schnakeneies nicht haben. Man braucht sich nur an den Zeugungs- keim eines Menschen zu erinnern. Die entgegengesetzten Verhält- nisse finden wir wieder in der relativen Grösse der Vogel- und Rep- tilien-Eier. Gerade in der gänzlichen Unabhängigkeit des Keim- Quantums von der Grösse des daraus aufwachsenden spe- zifischen Individuums und in der normirten Wachsthums. staffel, die jeder Organismus spezifisch-bestimmt erreicht, nie bedeutungsvoll -monströs überschreitet, vom Schimmelpflänzchen an bis zum Eukalyptus und von der Protiste an bis zum Wal, drängte sich mir die Ueberzeugung einer festen naturgesetzlichen Basis auf, welche in der Wesen-Proportion spezifisch und universal geordnet ist. Alle Variabilität der Grösse und Glieder - Gewalten und alle Kämpfe und Siege im geschlechtlichen Bewerb fördern nicht die Tyrannen der Thierwelt über das Normale hinaus, trotzdem sie nur der Konkurrenz einer allernächsten Bewerbung unter- liegen und sonach das beste, grosseste und stärkste Individuum, z. B. eines Löwen, Tigers, Bären oder einer Hyäne, immer Stamm- Erhalter und Akkumulateur sein müsste. Im Gegentheil ergiebt die paläontologische Forschung, diese vermeintliche Milchkuh des Dar- winismus, eine stufenweise Grössenabnahme dieser domi- minir enden Thiergewalten bis heute. Und ebensowenig kumulirt sich alles beste Verbergen und schnel- lere Verschwinden aus dem Gesichtskreis der Verfolger, bei den direkt wehrlosen Thieren, zu einer Reduktion ihrer spezifisch normirten Grösse. Wenn also die Stud. die Menge des organischen Stoifes im Ei als bedingend für die Grösse des ausschlüpfenden Räupchens erklären, so erkennen wir doch anderseits, dass unabhängig von jeder Keimgrösse die normale Ausbildung und Beendung des organischen Aufwuchses erfolgt. Eine weitere, aber hier zu umfängliche Erörterung würde ausserdem ergeben, dass selbst die Volumina der eientschlüpfenden Wesen keineswegs immer dem Volumen der Eimasse entsprechen, sondera dass ein kleineres Ei oftmals ein grösseres Geschöpf entlässt, als ein grösseres Ei. — 145 — Raupe und Schmetterling verändern ihren Bau unabhängig von einander, das meinen die Studien in einem nun folgenden Abschnitt darzulegen. Wenn sich aber ungleiche Abstände zwischen den Larven- formen und den Imagines einer Gruppe zeigen, so dürfen wir nicht vergessen, dass wir unser System aus der Natur herausge sucht haben, und dass uns jeder korrigirende Anhalt fehlt für den Zusammenfall der wirklichen Natur-Organisation und „Systematik" mit unserer einordnenden Auifassung der Erscheinungen. Wir haben zunächst nur die Art vor uns im Zusammenhang auf ihre Entwick- lungsphasen zu prüfen, und wenn wir solche in allen Theilen und Stufen verschieden von einer anderen ähnlichen Art finden, so können wir mindestens ebenso vernünftig annehmen, dass beide Arten aus ähnlichen Urkeimen sich nebeneinander ausbildeten, als zu glauben, dass trotz aller bis in's Kleinste vorhandenen Differenzen die eine Art der modifizirte resp. Abkömmling oder Abstammungsbruder der andern sei. Jede Einheit Terrain, Wasser oder Luft bildet nach Entstehung und Wandel, nach Gravitation, Chemismus, Licht- und Feuchtigkeits- Zutritt und Abgang ein „Ich" im stofflichen Kreislauf. Und nicht anders das Individuum, das durch Zeugung erscheint. Immer aufs Neue wird jedes Theilchen Humus erzeugt und um- gewandelt verwendet und der künftige Humus ist vermittelst des Kreislaufs der Stoffe begrifflich „deszendent" dem heutigen und ähnelt dem heutigen wie dieser dem früheren. Aber nicht weil er mittelbar deszendent dem früheren oder präkursorisch dem späteren ist, bleibt er sich ähnlich, sondern weil er sich nach natürlicher Bildungsnothwendigkeit ähnlich bleiben muss. Von diesem Ge- sichtspunkte aus beurtheile ich auch das Bild, das der deszendenz- liche Wandel der Organismen, den ich innerhalb kosmisch -ter- restrisch bezüglicher physischer Phasen periodisch nicht bezweifle, bietet. Die Aehnlichkeit der Produkte der Deszendenzreihen ist das durch Zeugung kreirte Vollzugsbild einer naturnothw^endigen Folge gleicher Pro- duktivität aus gleichem Stoffumsatz. Die individuellen Typen werden bereits im Zeugungsstoffe ähnlich gesetzt, vielleicht durch molekulare Bewegungseigenthümlichkeiten ; dies und die naturnothwendige Voll- zugsgleichheit der Stoffbewegung während der Zirkulation durch einen bestimmten Organismus bedingen die deszendenzliche Aehnlichkeit. Die Naturmacht, die unsern Weltkörper zusammenballte, dichtete und wohnlich entwickelte, fertig zum Zeugungsakt der ersten Orga- nismen, diese ursächliche Alleingewalt wird nicht auf einmal das 10 — 146 — Hergestellte einem sekundären laisser-aller überlassen, dergestalt, dass sie fernerhin nur noch für differirendes, variables Rohmaterial sorgte, die Auswahl des Weiterbaues aber jenem überlässt; sondern dieser einzige, unergründliche Strom, der die er- sten Atome zu unserer Wohnstätte zeugte und sammelte, der wird auch einzig und wandellos fliessen bis zu des letzten Atoms Entlas- sung. Soll und muss ein einheitliches Prinzip die Welt regieren, so kann kein Unterschied bestehen in der Motivität des Schaifens vom Anorganischen bis zum Menschenorganismus und auf die Balance im Stoffumsatz kann nicht eine individuelle Bewerbungs-Agiotage frei- gegeben sein. Unser Zweifel au der Unmittelbarkeit aller Erschei- nung ist nur ein Ausfluss unserer Unzufriedenheit und Ungeduld über das Mangelhafte unserer Einsicht. Man verzeihe noch diese kurze Vorbetrachtuug und schliesse aus deren selbstverständlicher Unzulänglichkeit nicht nachtheilig auf die gewissenhafte Sichtung des ja direkt greifbaren Studien-Materials. Wenn die Stud. „Alles" für eine sehr hochgradige, eine beinahe vollständige Unabhängigkeit zwischen Schractterlings- und Raupen-Stadium sprechend finden, so ist ihnen leider viel gegen- theilige Induktion entgangen, wie ich bereits mehrfach andeutete und später noch ausführen werde. Freilich, als „ganz was anderes" und als „indirekte" Zusammenhänge bezeichnen sie solche, die z. B. als Brutpflege durch Naturzüchtung zu Stande kämen, wie der Besitz eines Legestachels bei weiblichen Schlupfwespen, deren Larven im Lmeren von Insekten leben. Wenn sie mir allerdings den „allmäligen" Uebergang frei- lebender Larven zu Schmarotzern in lebenden Körpern und die „allmälige" Akkumulation des dazu im andern metamorpho- sischen Stadium erforderlichen Legestachels nur irgendwie durch Vorgänge mechanischer Auslese klarzulegen vermöchten, dann wäre ich selbst alsbald ein Verkünder der Selektionslehre. Wie matt die Stud. aber auch nach dieser Richtung angelegt scheinen, zeigt ihre Angabe, dass solche „indirekten Zusammenhänge durch „irgend einen Grad von Brutpflege bei den 'Schmetterlingen fast voll- „ständig fehlen"; während doch jede Image der Erde inner- halb solcher Verbindung zu ihrer Brut steht und zwar in biologisch wichtigster direkter Verbindung. Denn eine jede sorgt besser, wie es vielen Menschen möglich ist, für das Gedeihen ihrer Brut, indem sie sorgfältig das zukünftige Heim derselben auswählt, für das Ei die ge- schützteste Stelle an dem hinreichend ausdauernden Nah- rungsvorrath nach dem wählerischen Geschmack der Lar- - 147 - ven anbringt und den vorhandenen Eicrvorratli zumeist nicht gleich- zeitig absetzt, sondern vorsorglich da- und dorthin vertheilt. Gerade bei den Schmetterlingen kann man hierüber schöne Beobach- tungen machen. Auch die bei den Schlupfwespen vorhandenen Legestachel sind in ähnlichen Apparaten, als Legeröhren, bei Massen von Schmet- terlingsarten vorhanden, deren Raupen, wie auch den Stud. bekannt ist, im Innern von Pflanzentheilen leben. Hierher gehören die neben die Sphingiden gestellten Sesiiden allein mit etwa 75 Arten des euro- päischen Faunengebiets und wahrscheinlich ein Heer tropischer Ver- wandter; sodann die Masse der exotischen Castnien, der in- und ausländischen Cossiden, die Arten der Noctuen-Gattungen Nonagria, Senta, Calamia, DiantJioecia , Hydroecia, Oortyna und ausser mehreren Arten der Spanner - Gattung JEupithecia, ganze Kolonnen der pflanzenminirenden Schmetterlinge aus artenreichen Gattungen. Jedes Aveibliche Lidividuum dieser Arten befördert seine Eier 'vorsichtig zwischen die Rinde, in den Splint, in den Pflanzenschaft, an die Fruchtkapsel etc. des richtigen Baumes, Strauches oder Krautes, jedes Weibchen der zuletzt gemeinten Kleinfalter wählt den richtigen Baumschwamm oder Holzmulm, das richtige Blatt oder den richtigen Halm zum Einbohren oder Ansetzen seines Eies und alle miteinander respektiren, entweder nach Bedürfniss des „voraussicht- lichen" individuellen Konsums der Brut oder überhaupt das bereits brutbesetzte Vegetabil. Und welche überraschenden Beziehungen der Praxis und Intel- ligenz bestehen vollends zwischen Raupe und Schmetterling durch deren staunenswerthe Leistungen für der Puppe Wohlfahrt. Je mehr man sich hier mit dem Detail beschäftigt oder die Beobachtungen eines Reaumur, Degeer, Göze, Rösel, Ratzeburg etc. erquicklich stu- dirt, desto Erstaunlicheres tritt zu Tage, desto mehr schwillt das induktive Material heran gegen die Wahrheit der Selektionslehre. Aber überstreift der Blick nur allein z. B. die zierliche, man- nigfaltige Pracht der Elachisten-, Lithocolleten- und Nejjticula-Arten- kolonuen, und erinnert mau sich dabei des Selektions- Mechanismus, dessen Zuchtwahl alle diese, nur in ihrem eigenen winzigen Schema vorbildlos vorhandene Alabaster-, Perlen-, Gold-, Silber- und Pfauen- feder-Musterung, Betröpfelung und Befranzung dem Kampfe um 's Dasein abgerungen haben soll, in tausendfach mikroirter Ko- libripracht, dann passirt wohl die Schwachheit, dass man ein unbe- wiesenes nur gefühls-kategorisches „Nein!" empfindet. Nur der einen verneinenden Erwägung sei gedacht, die begriff- lich demonstrirt, dass, wenn circa 300 verschiedene europäische, 10* — 148 — asiatische und iiordamerikanische Arten z. B. vom Nejdicula-Genus sich aus einer einzigen Stammform durch allmälige Selektion abge- zweigt haben sollen, so könnten die ersten und alle 300 For- men mit einander während solch ungeheuren Zeitraumes nicht mehr charakteristische Nepticula geblieben sein! Eine solche Keihe könnte nicht noch genuin voll kon- servirt sein und namentlich nicht, wo wie hier jede ein- zelne Art variabel ist! — Und abermals drängte sich obiges Empfindungs-„Nein" herauf, als ich über dies Papier ein dunkles Pünktchen sich rasch bewegen sah, noch nicht so gross, wie dieser Druckschrift Komma, und dann mit bewaffnetem Auge ein sowohl mit 6 Beinen, Klauen, Borsten, zusammengesetzten Fühlern, ziselirten Flügeldecken, Flügeln, — sogar eingefalteten, — und Körpersegmenten versehenes Käferchen erkannte, so vollkommener Struktur, so wohlausgestattet mit dem inneren Wunderbau der Muskulatur, Säftekanalisation, Athmung, Verdauung, Fortpflanzung und selbsterhälterischen Willensfähigkeit, mit derselben vorausgegangenen metamorphosischen Entwicklung und Unterkunft als Ei, Larve und Puppe, wie jeder hunderttausendfältig grössere Riese seiner systematischen Verwandtschaft! Eine Monerengrösse! mit einem vollendeten Organismus, der thieriscli funktionell gleichwerthig dem Höchstdenkbaren rangirt ! Es giebt — man denke nur an die Organisationsbefähigung solcher Punktgrösse zur Gatten -Aufsuchung und Wahrnehmung auf weite Distanzen — kein grösseres Wunder anzustaunen als solches Thier- chen. Schon durch das blosse Denken an die unfassbar feine Form seiner histogenischen Theilchen wähnt man diese zu beschädigen. Solche Momente mögen keinen wissenschaftlichen Werth haben, wohl aber haben sie einen ebenso erhebenden als auch reell ernüch- ternden. Denn nicht gemurmelt wie das „Nein" induktiver Logik, sondern energisch weckt uns jenes „Nein!" der Empfindungs-Logik, diese in einem Blitz aufflammende Erkenntnisssumme, aus sophisti- schen Manchester-Träumen. Die Studien erklären das Vorhandensein aller biologischen Funk- tious-Verbände zwischen den verschiedenen metamorphosischen Sta- dien eines Individuums resp. einer Art, als ein indirektes, nicht durch innere Bildungsgesetze bestimmt, sondern durch äussere Ein- wirkungen mittelst Zuchtwahl allmälig angepasst. So auch den Lege- stachel, den Bau und die Lebensweise der Insekten. Und wir folgen ihnen weiter, weil, wie sie sagen, „die Thatsachen sprechen sollen." „Dass nicht jede Abänderung des einen Stadiums eine solche „des andern nach sich ziehe, gehe schon aus jenen Arten hervor. — 149 — „bei welchen nur das eine Stadium dimorph oder polymorph sei." „So fänden wir bei allen saison-dimorphen Arten die Raupen der in „Zeichnung und Färbung weit differirenden Schmetterlings - Genera- „tionen vollkommen gleich. Umgekehrt seien oft die Raupen dimorph, „während die Falter nur in einer Form vorkämen." Es zeige sich „auch, dass ein jedes Stadium selbstständig abändern könne, ohne „dadurch das andere in Mitleidenschaft zu ziehen, das hiesse, dass „ein jedes Stadium selbständig variabel werden könne, dass die „Eigenschaft grosser Variabilität oder grosser Konstanz keineswegs „stets allen drei Stadien, Raupe, Puppe und Schmetterling in gleicher „Weise zukomme, sondern dass bald dieses bald jenes Stadium „sehr konstant oder variabel sei, selten aber alle Stadien gleich „konstant oder variabel erscheinen." Im ersten Theile der Widerlegung Weismann'scher Transmuta- tions-Hypothesen ^) habe ich bereits unumstösslich nachgewiesen, dass die Erscheinung des Dimorphismus der von W. untersuchten Schmet- terlingsarten auf direkten Temperatur-Einflüssen beruht» und dass auch keine Spur von Einwirkung einer natürlichen Auslese vorhanden ist. Die Farbenumänderung der saison-dimorphen Falter vollzog sich je nach dem Einfluss winterlicher oder sommerlicher Temperaturen herüber und hinüber übers Kreuz, analog wie Er- starrungs- und Schmelzungs-Phänomene. In den vorangegangenen Abhandlungen dieses Heftes vermochten wir, wenn auch nicht zur Erkenntniss der aktivirenden Variabilitäts- Ursachen, so doch zu der vollen Klarheit zu gelangen, dass dieselbe ausser jedem Zusammenhang steht mit einem von W. gelehrten Trans- formirungs-Vorgang. So weit wir diese Variabilitäts-Erscheinungen verfolgen konnten, trafen wir nur auf die Wirkungen direkter Or- ganisations-Kontakte und nirgends blieb ein Halt zu Gunsten der Selektionstheorie. Gleichzeitig wurde uns auch die Gewissheit, dass die zum Fundament der Studien genommene Voranschauung: der Entwicklungsgang der Raupen wiederhole ein gedrängtes Bild ihrer Polygenese, ebenso durchaus grundlos ist. Als eine weitere Haltlosigkeit wird sich die Hypothese W.'s er- kennen lassen, die Variabilität habe intensivere Perioden^ welche die hauptsächlichen Ausgangspunkte seien der Zuchtwahl zu Umgestaltungen. Vor wenigen Seiten vermochte ich nachzuweisen, dass für jeden auf Grund der vermeintlichen Selektion akkumulirten Organismus eine i) Schilde, Gegen pseudodoxische Transmutationslehren, Leipzig 1879. — 150 — Variabilität höchstens statthaft'erschiene bezüglich der erstrebten letzten Zufügung, bezüglich der noch nicht befestigten neuesten Erwerbungs- zulage einer Nützlichkeit; dass eine neue Aneignung aber nicht denkbar sein würde, bevor die vorhererworbene nicht morphologisch feste Kruste geworden wäre. Während eines Erdbebens baut man nicht am Thurme. Einen ähnlichen Unbestand des biomorphologischen Aufbaues müsste aber auch eine Variabilitätsperiode zu bedeuten haben. Die Kaupen von Deil. Eupiwrhiae und Smer. Populi sahen wir bereits zwei bis drei Stadien vor ihrem Auswuchs va- riabel werden, d. h. auch in denselben Charakteren variabel in der Jugend wie im letzten Stadium; die Zeichnungs - Charaktere dieser Variabilitäts - Stadien fanden sich öfters auch noch im letzten Wachsthums-Stadium vor, fehlten aber hier auch gelegentlich wieder, wie z. B. die rothen Punkte bei Smer. Po- puli aus dem III. Stadium. Die Variabilität der D. JEupliorhiae aber bietet ebenfalls noch im Endstadium dieselben Zeich- nungsbilder wie nach der zweiten Häutung, d. h. sie behält die im III. phyletischen Stadium repetirte Urzeitdekoration innerhalb 2 — 3 weiterer Häutungen bis zur Verpuppung bei. Es tritt wohl meist noch eine leichte Aenderung der Färbung ein, allein die Fär- bung wechselt auch überhaupt je nach dem Aufenthaltsort der Rau- pen, wie uns W. selbst von seinen Experimental- Raupen berichtet. Auch wird von ihm hier nur die Zeichnung theoretisch bewerthet. Hiernach fänden wir, dass seit jener Zeit, welche die Raupe in dem betreffenden variablen Stadium phyletisch repetiren soll, bis jetzt keine weitere Aenderung aus dieser Variabili- täts-Periode resultirt haben könnte. Dasjenige variable Habit, welches bei D. Euphorbiae im III. und IV. Stadium aus ferner Zeit wiederholt werden soll, trägt sie noch heutigen Tages. Dass die Zuchtwahl hier einer Verbesserung nicht bedurft habe, könnte man ohne weitere Belege dafür unmöglich antworten. Es hätte nur die Bedeutung einer verwirrten Ausflucht, namentlich be- züglich zu den dekorationsmonotonen Hautwechseln; auch würde , man zugleich die unverträgliche Behauptung wagen, dass weder an der Nahrungspflanze der Raupe, noch innerhalb deren gesammter biologischer Berührungs-Umgebung, mehrere phylogenetische Perioden hindurch eine Ver- änderung vorgekommen sei. Repetirten die Häutungsphasen phyletische Entwicklungs -Pe- rioden, so wiederholten die jungen variablen Raupensta- dien auch sogenannte Variabilitätsperioden, die hauptsäch- — 151 — liehen Ausgangspunkte der Zuchtwahl zu Umgestaltungen, nach Weis- manns Darstellung. Bringen aber mehrere weitere Hautwechsel, diese morp'hologischeu Merkmale der phyletischen Transmu- tations-Perioden Weismannscher Hypothese, keine ent- sprechenden Umgestaltungen mit sich, dann entfällt den bezüglichen Hypothesen alle Induktive und Deduktive, Durch „Rückschiebungen" aber kann die Variabilität jün- gerer Stadien auch nicht entstehen, denn das Endstadium schwankt nicht minder als das vierte, hat auch durchaus nichts Neues zu- gelegt, das nacli rückwärts drücken und irritiren könnte. Uebrigens wurde auch die Theorie dieser „Rückschiebungen" bei Chaer. JEl- penor (S. 134 flg.) von mir gänzlich beseitigt. Dem rein hypothetischen Charakter gegenüber, den Weismanns Lehre vom periodischen Wechsel zwischen Variabilität und relativer Konstanz im Darwinismus einnimmt, genügt es, wenn an der Hand des eigenen knappen Materials der „Studien" zwei Fälle der Widerlegung nachgewiesen werden konnten, nachdem die gene- ralen Einwände, welche die allgemeine Variabilität der Embryonen und Körpergewebe kategorisch erhebt, bereits an früherer Stelle nachgewiesen wurden. Wir haben keinen objektiven Einblick in so ferne Zeitperioden, wie sie die Theorie der Zuchtwahl verwerthet und verlangt, und nur mittelst der hier ebenfalls zurückgewiesenen Lehre von „phylogene- tischen Rekapitulationen" wurde es thunlich, ein Scheinbild der an- geblichen „Variabilitäts- Periode" ferner Zeiten zu sichten und zu verlöschen. Wenn die Sphingiden- Raupen JEuphorHae und Populi bereits in einem ziemlich jungen Aufwuchs-Stadium in demselben Habit va- riabel sind, wie iioch 2 — 3 Häutungen weiter im Endstadium, so linden damit dreierlei Weismannsche Thesen ihre Widerlegung. Erstens kann es weder Variabilitätsperioden noch Se- lektion geben, wenn Raupenarten drei „phyletische Stadien" vor dem „heutigen" Stadium bereits in denselben Charakteren wie im Endstadium variabel sind; denn es wäre nicht einzusehen, warum die Selektion aus jener fernen Variabilitätsperiode, welche der dritte Häutungsfall phyletisch repetiren soll, bis heute noch kei- nen Fortschritt und auch keine Feststellung der Zeichnung erreicht habe, trotzdem doch noch mehrere Häutungsphasen, also „phyletische Stufen" danach etablirt scheinen, und trotzdem eine stete p roportionirende „Auslese" stattfindet, weil bei diesen Arten, ebenso wie bei allen anderen, keine indivi- duelle Progression, keine Existenzbevorzugung statt- — 152 — findet, sondern jede hundertfältige Brut immer bis auf das sozial-balancirende eine Paar reduzirt, „ausgele- sen" wird. Zweitens können die dekorativen Hautwechsel über- haupt keine phylogenetischen Repetitionen bedeuten, weil die Raupen mehrere Häutungen ohne habituelle Aen- derungen absolviren. Und drittens kann die Variabilität der mittleren Stadien nicht auf „Rückführungen" beruhen, wenn wie hier das Endstadium weder neue Zeichnungscharaktere aufweist wie das dritte? vierte und fünfte Stadium, noch wenn keines dieser Stadien zeichnuugs konstant ist, sondern alle variabel sind. Die Variabilität soll das Auslese -Material für die Transformi- rungen liefern. "Wie ich aber bereits vorführte, wird uns mittelst derselben nur ein Bild der Balance geboten, welche den Or- ganismen zur Begegnung und Ueberwindung der ver- schiedenen Natureinflüsse erforderlich und eigen ist. Die Komplikationen des organischen Aufbaues zu der erblich über- kommenen Veranlagung sowohl, wie zu den neu in und um ihn spie- lenden Naturvorgängen, bringen das Bild der individuellen Verschie- denheiten hervor, wodurch uns zugleich die Grade der spezifischen Biegsamkeit und Formbeweglichkeit der betreffenden Art zur Oert- lichkeit dargelegt erscheinen. Die biomorphologische Gravitation, die trotz örtlicher und ter- minlicher Abweichungen im Durchschnitt dennoch zum Aus- gleich kommende Grösse jedes Naturvorganges, garantirt anderntheils den Bestand der Arten. Für lokal erliegende Indivi- duen liefert entweder die Variabilität, die individuell verschiedene Biegsamkeit am Platze, oder die geographische Ausbreitung der Ar- ten an anderer Oertlichkeit, Ersatz und Ausgleich des Proportional- Bestandes. Auf Grund dieser Ordnung ist die Variabilität selbst allerdings ein „natürliches Zuchtresultat", aber auch bereits das Endresultat, und beweglich nur innerhalb eines Gesammtfortschrittes des Natur- ganzen. Und weil das, in den Bahnen der Sternenwelt ge- schriebene Prinzip der Natur, die zum Dienste des Ganzen geregelte Freiheit des Einzelnen ist, so besteht die balancirende Differenzirung auf allen Naturgebieten bis ins Kleinste. Deshalb treffen wir die Variabilität auch keineswegs nur auf dem G;ebiete der Organismen, sondern auch auf anorganischem und phänomenalem Gebiete an. Hier vermögen wir oft zu erkennen, dass sie in dem physikalischen — 153 — „Ich", das jeder beliebig grosse oder kleine Theil des irdischen Terrains und Luftgebietes bildet, in der Theilhaberschaft, in der Be- wegung zilm Ganzen ihren zwingenden Grund hat. Eine Variations- losigkeit der bewegten Thcilc des Weltganzen müsste uns geradezu absurd vorkommen. So finden wir sogar den Regenbogen in seiner Farben-Intensive und Bogenspannung bezüglich verschieden von früheren oder späteren, und variirend nach der astronomischen Geometrität der Erscheinungs- Zone. Wenigstens beobachtete ich an dem hochgeschwungenen Regen- bogen, den die tiefstehende Nachtssonne der arktischen Region am Südhimmel erzeugt, ein bedeutendes Vorherrschen des Roth, während dieses Phänomen Nachmitttags im Südosten beobachtet, in der höchsten Farbenpracht von orange durch gelb, grün, blau, violett, rosenroth, dann in demselben Bogen nach innen nochmals grün, lilla- röthlich, dann graulich und abermals violett leuchtete. Darüber spannte ein zweiter etwas matterer Bogen, aber immerhin noch in der bei uns gewöhnlichen Farbenintensive eines schönen Hauptbogens. Weitergehend finden wir auch jede Blitzerscheinung, jeden Donner, jede Wolkenform, jeden Regen- und Schneefall verschieden von einem andern derselben oder verschiedener Zone, sobald wir uns den Er- scheinungen mit Aufmerksamkeit zuwenden. Dann entdecken wir sogar in ein und demselben Regen-, Schnee-, Graupeln-, Schlossen- oder Hagel-Fall eine oft grosse „Variabilität" unter den verschiedenen Tropfen, Eiskristallen, Flockungen, Graupeln, Schlössen und Hagel- Körpern. Im Mineralreich finden wir nicht weniger diese bald grosse bald geringere „Variabilität" desselben Artobjekts, je nach der Oertlichkeit oder der Grösse des uns vorliegenden Theilstücks eines Minerals. Greifen wir z. B. nach dem nächsten Granitbrocken, so vermögen wir an demselben nicht zwei aus gleichen Theilformen oder in gleicher Mustersetzung figurirte Stellen zu bezeichnen, ja vielleicht nicht zwei völlig gleiche Glimmertheilchen des Musters zu konstatiren. Ver- gleichen wir aber die Granite der verschiedenen Oertlichkeiten, so sehen wir eine ausserordentliche „Inkongruenz" der Kompositions- Verhältnisse dieser einen Gesteinsart vor uns. Demselben Bilde der Variabilität begegnen wir beim Basalt, wie auch bei den mineralischen und metallischen Kristallisationen über- haupt. Jeder vorhandene einzelne Theil sowohl, wie jede Kompositions- grösse trägt eine Individualität zur Schau auch im Gebiete des Phä- nomenalen und Anorganischen. Wenn die Stud. uns (S. 150) nun verschiedene Kategorien von Schmetterlingen vorführen, wo bald alle Stadien ziemlich konstant — 154 — oder variabel, oder zwei oder eins der Stadien variabel und eins oder zwei derselben konstant sind, so werden wir diese Verschiedenheit der Verhcältnisse in den verschiedenen Nothwendigkeiten' von Bieg- samkeit dieser Organismen gegenüber der Natur vermiitheu dürfen. „Sehr gross" nennen die Stud. die Zahl der variablen Raupen, welche konstante Schmetterlinge und Puppen besässen, und führen dann „die ihnen bekannten Fälle" vor; es sind 18! aus einer Anzahl von Tausenden an Arten. Darunter sind 7, die sie nur nach einzelnen Bildern und Bälgen kennen, dann auch Sme- rinthiis Tiliae, welchen Schwärmer sie wenige Zeilen höher mit Recht für „sehr variabel als Raupe und Schmetterling" aufführen. Auch Chaerocampa Nervi, der Oleanderschwärmer, taucht merk- würdigerweise hier auf, nachdem er an induktiv passenderen Stellen bisher unerwähnt blieb. Im Ganzen reichen die dürftigen Angaben der Stud. über die Variabilitäts-Verhältnisse der einzelnen Stadien nicht entfernt aus zur Darstellung einer wissenschaftlich verwendbaren Basis, zur Konsta- tirung von Transformations-Kongruenzen und Inkongruenzen. Direkt erklärlich schiene es wohl, dass die vom Ei an bis zur Puppe durch alle Grössen, Gefährden und Einflussdifferenzen wochen- und monatelang aufwachsende Raupe mit saftdurchfiltertem, strotzen- dem Körper eine augenfälligere Variation darbieten könnte, sobald sie wesentlich freilebt und für Umfärbungen organisatorisch empfäng- lich ist, als der Falter, der oftmals kaum etwas Nektar kostet, ge- schweige denn Wälder und Auen zerfrisst, wie mitunter die Raupe. Aber dem Falter liefert überhaupt die Puppe das fer- tige Habit, die Puppe, welche die Studien „sehr konstant" finden dem Aeusseren nach, obschon auch dieses seine individuellen Eigen- heiten hat. Freilich tragen Tausende von Puppen annähernd die gleiche braune Färbung, sobald sie insgesammt im Erdboden ruhen; allein ihre Struktur und der organisirende Chemismus ihres Innern, sowie dessen Produkt, der Falter, sind variabel genug, und ebenso die Periodität ihrer Entwicklungsdauer. Die Oberfläche der Erde selbst erscheint auch eintöniger als die Mannigfaltigkeit ihrer Wachsthums- Produkte, die ihr Dasein doch dieser Oberfläche und den kosmischen Kontakten verdanken. Und so schlüpft auch der Falter nur aus der Puppe, deren Stofflichkeit zu seinem Wunderbau „kristallisirte", spreizt und trocknet die ihm soweit fertig gelieferten Flügel, fliegt ins Weite und durch- lebt einige dem Glück seiner Art gewidmete Tage. Manches zu seiner Variabilität hat sicherlich bereits die Raupe in ihrem Körper über- — 155 — liefert erhalten und selbsterlebt vorbereitet, aucli wenn es ihr Aeiisseres nicht andeutete, das Uebrige fügen die Schicksale der Puppe hinzu. Der Falter selbst aber tritt mit dem vollen Bild seiner Dekorationen, seiner individuellen Eigenheit zu Tage und erwirbt nichts Neues dazu. Liefert ihn die Puppe doch bereits zeugungsfertig, indem in ihr die Keime heranreiften, welche schon die Raupe embryonal überbrachte. Im Gaukelleben des Schmetterlings geht es keineswegs konser- vativ, geschweige denn erwerbend zu mit dem Schmuck, mit dem „Anpassungs-Habitus", den ihm seine Vorgänger überlieferten. Da und dorthin stäuben vielmehr die Farbenschüppchen und Flügeltheile, oft schon über Tag oder über Nacht ist alle Schönheit dahin, und selbst ohne öftere Regenwäsche, erhält das sittsamere Falterweibchen einen ruppigen Werber und Gemahl. Es ist total unstatthaft, die Variabilität der Schmet- terlinge von ihren Vorentwicklungs-Stadien zu trennen, auf deren Organisations-Vorgängen sie allen Vernunft- schlüssen auf die Thatsachen nach beruhen muss! Nichts Morphologisches, nichts Habituelles am Falter ist den Vorstadien gegenüber als eigenmächtiger Erwerb zu bewerthen und nichts an ihm wird durch ihn selbst kumulirt. Denn ist der Falter kurzlebig, so erfolgt die Fortpflanzung als- bald gänzlich rücksichtslos und unabhängig von einenr etwaigen variirenden Zeichnungs- oder Färbungs-Cha- rakter seines Gemahls und ist er relativ langlebig, so strapa- zirt sich dasHabit meist so bedeutend ab, dass die Ko- pulationswahl nothwendig auf Grund ganz anderer Lei- tungssinne erfolgen muss, als auf der auf Zeichnungs- oder Färbungstöne bezüglichen Gesichtswahrnehmung. Die Lasuren der Falterhabite sind „biologischer" als wie die Variabilität. Alle beobachtenden und denkenden Entomologen werden mir hierin völlig zustimmen. Ist es doch eine altbekannte Thatsache dass gewisse Spinner - Männchen nach dem Weibchen streben, das ihnen unsichtbar in einem Behälter steckt. Ein ruhig am Stamme sitzendes Weibchen des Spinners Aglia Tau wurde wohl von mehreren Männchen zugleich umworben, wäh- rend aber das erste die Begattung vollzieht, suchte ein zweites be- reits seine Stelle einzunehmen, gelangte nach Entfernung des ersten auch alsbald hierzu, und nach weiterem Freiwerden des Weibchens schritt ein drittes Männchen zur Kopulation. Wahrscheinlich wegen erschöpfter geschlechtlicher Neigung des Weibchens verweilte es aber — 156 — nur eine reichliche Minute bei demselben und ein viertes Männchen das herzuflatterte, verschmähte hier die Begattung. Ein regungslos an einem Pfosten sitzendes Weibchen des Schwammspinners Liparis Dispar ^Yurde ebenfalls von zwei Männ- chen umflattert und von dem „flinkeren" begattet. „Andere Männ- chen, welche das Weibchen mit sehenden Augen hätten bemerken müssen," aber nicht über die betr. Stelle kamen, flatterten etwa ein halb Dutzend Schritte seitwärts vorbei. Das begattete, von dem Weibchen festgehaltene Männchen, von einer starken Nadel durch- bohrt und nun gewaltsam losgerissen, büsste hierbei die beiden letzten Leibringe nebst Geschlechstheilen ein. Dennoch flatterte es sofort wieder zum Weibchen zurück und versuchte mit dem Leib- stummel die Begattung zu wiederholen i). Dass bei diesen Vorgängen keinerlei Auswahl oder Beach- tung irgendwelcher individualen Koloratur -Eigenheit stattfand, dürfte zweifellos sein. Die Leitung dieser Geschlechtstriebe rauss durch eine unserm Geruchssinne verwandte physiologische Leistung erfolgen, darauf lässt auch die Kopulationssucht des genital verstüm- melten Schwammspinners schliessen. Mittelst solcher Wahrnehmung mussten die ersten zwei Männchen das regungslos sitzende Weibchen gefunden haben, nicht mittelst des Gesichts. Die in der Nähe vor- beifliegenden Männchen sahen selbst die grössere, bewegte Gruppe der Paarung nicht und die Hiuleitung durch den Geruch war ent- weder durch eine konträre Luftströmung oder durch die Annäherung des Beobachters, oder durch die eingetretene Kopulation, vielleicht auch durch ein nachbarlich vorhandenes anderes Weibchen irritirt. Ob man den Aufsuchungssinn noch als eine poteuzirte Geruchs- Fertigkeit ausreichend bezeichnen kann, wage ich nicht mit ja zu beant- worten. Ein solcher Geruchssinn würde wenigstens den unseren so qualifizirt übertreffen, als wie unsere Ueberlegungskraft die seelischen Initiativleistungen der Thiere überragt. Die Beschuppung der Schmetterliugsflügel ist offenbar ein direktes Merkmal der separaten Organisation dieser zahlreichen Wesenfamilie. Die Zuchtwahl hat keinen Zutritt, denn sonst müsste, wo so viele Männchen erst mit mehr oder weniger abgeflo- gener Beschuppung zur Kopulation gelangen, die soge- nannte Glasflügligkeit schon längst überwiegen2). Sie ist aber u. a. gerade bei Faltern vorhanden, die sich wie die Sesien, Psychen, alsbald nach dem Ausschlüpfen kopuliren. Und i) Siehe Entomologische Nachrichten 1880, S. 15 und 205. 2) Darwin berichtet ja die Vererbung von Verstümmelungen! — 157 — ausserdem will ich noch der selektionsfeindlichen That- sache erwcähnen, dass gerade die blindlings nach dem Weibchen um her stürmenden Spinner obiger Sorten, wie Aglia Tau, Bomhyx Querctis, Fotatoria, Muhi, Endromis Ver- sicolora, Saturnia Pavonia, Liparis Dispar, äusserst markant sexual-dimorph sind! Eine etwaige einseitige „Verstümmelungs- Vererbung" auf die Männchen kann aber nicht vorliegen, weil die schön gezeichneten und bevorzugt gefärbten Männchen dieser Spinner recht standhafte Flügel besitzen, die träge hockenden Weibchen aber ihre Flügel noch weniger abnützen, trotzdem aber simpler deko- rirt sind. Auf derselben naturdirekt organisch -gesetzmässigen Basis wie die Beschuppung an sich, müssen auch deren Färbungs- und Zeich- nungsbilder beruhen. Wie ich bereits a. a. 0. erörterte, finden wir nicht nur bei etwa 170 Gattungen mit über 1000 Arten unsrer euro- päischen Noktueu-Familie, sondern bei einem Vielfachen dieser Gat- tungs- und Arten-Ziffern der Noktuen aller Regionen und Zonen, e i n fast gleiches Schema der Flügelzeichnung. Noch bedeu- tungsvoller ist die Wahrnehmung, dass sich dieses Zeichnungsschema der Noktuen : zwei bis vier Querlinien über die Vorderflügel und zwei rundliche Makeln im Diskus, theils ganz theils partial, auch bei einer riesigen Zahl von Arten aus anderen Schmetterlings-Familien wieder- findet, die sich durch Larvenform, durch Ausstattung der Mundtheile und Fortpflanzungsorgane, durch Ursprung der basalen Flügelrippen, also in strukturwichtigen, anatomischen und funktionellen Organen systematisch weit von den Noktuen trennen. Darunter befinden sich z. B. die Geometriden, deren bekannte Angehörige zahlreich die Querlinien tragen, sodann die Botyden selbst unter den Kleinschmet- terlingen mit Massen von Arten, welche das Zeichnungsschema der Noktuen oftmals komplett wiederholen und endlich sogar Tagfalter, wie z. B. von Parnassius, Melitaea und Argynnis. Die Verschiedenheiten zwischen diesen Familien haben einen systematischen Trennungswerth, etwa wie solche zwischen Eisbär und Walross, oder wie zwischen Uhu und Meise, dennoch aber grup- pirt sich bei den Tausenden dieser heterogenen Glieder der Schmet- terlingsfamilie der zarte leichte • Schuppenansatz, der oft im Kopu- lationsmoment bereits lädirt und unvollständig ist, nach dem gleichen Modell. Wenn sämmtliche Säugethiere vom Elephant bis zur Maus die Streifung der Zebra-Gruppe, oder sämmtliche Vögel vom Strauss bis zum Sperling Pfauenaugen trügen, so würde dies ein ungefähres Ana- logen für die Gleichförmigkeit dieser Schmetterlingszeichnung bieten. Nur ganz flüchtig darf ich hier bemerken, dass die Figur solcher »- 158 — Zeichinmgen durch den Verlauf und das Schema der Flügeladern mit bestimmt resp, doch modifizirt werden dürfte. Diese Kanäle werden durch ihre Stärke, durch ihr Hervortreten aus der Flügel- ebene, innerhalb der Puppe die Strömungen der bildenden Säfte örtlich dirigireu, ablenken, wenden, stauen, in Rotation setzen u. s, w. Weil die Flügel in der Puppe paarweise dicht auf einander und am Körper liegen, so können die Ader -Erhebungen beider Flügel bald parallel nebeneinander, bald aufeinander, bald sich kreuzend die Flügelebene noch mehr parzelliren. Die Art und Form ihrer gegen- seitigen Anschmiegung und ihrer gemeinschaftlichen Anlegung an den Körper, sowie die Formung dieses Körpers, seine Senkungen und Hebungen Averden ebensowohl die generale Aehnlichkeit der Zeich- nungsbilder, wie aber auch einen gewissen Theil der generellen und individuellen Abweichungen mit bedingen. Die Untersuchung dieser Verhältnisse möchte der kompetenten Forschung empfohlen sein. Dass freilich nur relative Ergebnisse zu erwarten sind, zeigt ein Blick auf differente Faltererscheinungen trotz sehr ähnlicher Raupen und Puppen (Äpatura Iris und lliaj. Eine Augenscheinlichkeit aber der grundliegenden Verbindung zwischen Raupen- resp. Puppen-Organismus und Schmetterlingszeich- nung, findet sich ausser bei der durch Temperatur-Einwirkungen kreuzweise umwandelbaren Vanessa Levana-Prorsa, besonders markant bei den variirenden Zeichnungen des schönen Spanners Lygris Reticulata vor. Dieser auffällige Schmetlerling hat braunschwarze Vorderflügel, die mit scharfen gelblichweissen Längs- und Quer-Linien und Bogen interessant gezeichnet sind; besonders interessant deshalb, weil diese Zeichnungen je nach der Grösse des Schmetterlings, also in Wirklich- keit je nachdem die Raupe grösser oder kleiner zur Puppe geworden ist, in mehreren Theilen ändern. Die grösseren Exemplare dieses Schmetterlings spannen 25 mm. von einer Flügelspitze zur anderen. Bei diesen ist eine die Flügel- mitte umkreisende schlingenförmige helle Zeichnung nach dem Vorder- rande des Flügels zu offen; die Schlinge schliesst sich sozusagen erst ausserhalb des Flügels. Bei 22 mm. spannenden Individuen ist diese Schiingenzeichnung bereits innerhalb des Flügels gerade am Vorderrande geschlossen, und stellt ungefähr eine eiförmige Figur im Diskus her. Gewisse helle Ströme um dieselbe fliessen breiter inein- ander als bei voriger Grösse. Bei den kleinsten, nur 20 mm. spannenden Thierchen hat sich die Schleife ziemlich entfernt vom Vorderrand einwärts, zu einer — 159 — Ringzeichnung verkleinert, auch die übrigen Rund-, Strich- und Gabel-Zeichnungen sind verkleinert und vermattet, nur die Verbin- dung der hellen Ströme hat an Breite noch zugenommon. Alle drei Figuren sind nach männlichen Exemplaren beschrieben, aber auch die weiblichen Schmetterlinge zeigen dieselben Wandel- bilder, und man sieht, dass diese Schmetterlingsartmit besonders markanten Zeichnungen, je nach der individuellen Aufwuchs- grösse der Raupe, wesentlich veränderte „Anpassungs"- Figureni) erhält, die sich hier merkwürdigerweise sogar mit der zunehmenden Kleinheit der dafür vorhandenen Flügelfläche nicht vereinfachen, sondern komplizirter gestalten, Erwähnenswerth hierzu ist aber, dass die Veränderungen der Zeichnungsbilder nicht immer genau nach den Abstufungen der Grösse erfolgen, dass also die naturmechanische Herstellung derselben nicht lediglich von der disponiblen Fläche abhüngt. Soviel aber bleibt unverkennbar, dass gewisse individuelle Eigenheiten der Körperbeschaffenheit und Proportion bei Raupen und Puppen von Lygris Reticulata, auch je die Er- scheinung, die „Anpassungsfiguren" des Schmetterlings von Fall zu Fall bedingen, und individuell different zu einander gestalten. Wie vermögen die „Studien" uach oberflächlicher Beobachtung ihres Materials nun der „Naturwissenschaft" den Satz fettgedruckt aufzudrängen (S. 152): „so rechtfertigen also die Thatsachen die „vertretene Ansicht, dass die einzelnen Entwicklungsstadien sich „selbstständig verändern, dass die in einem Stadium eingetretene „Abänderung ohne Einfluss bleibe auf die vorgehenden und nach- „ folgenden Stadien. Wäre dem nicht so, so könne unmöglich irgend „ein Stadium variabel werden, ohne dass nicht zugleich auch alle „anderen Stadien variabel würden." Dass letzteres nicht der Fall, wenigstens nicht immer äusserlich wahrnehmbar ist, spricht gerade für eine naturgesetzliche Fixirung jeder Art, deren Konstanz keineswegs auf etwas äusserlich nüancirtem Farbenaufsatz, sondern auf innerst festgestellter Organisationsnoth- wendigkeit und Zeuguugsbeschränkung beruht. Es ist wisseusvoreilig präsumtiös, einen vorhandenen Zusammen- hang zwischen einem „variablen" und einem „konstanten" Stadium i) Bemerkenswerth ist, dass mehrere an gleicher Nahrungspflanze aufwachsende andere Spannerarten, namentlich aber Larentia Capi- tataSalsatninata, auch eine sehr verwandte Zeichnungsanlage der Flügel besitzen. — 160 — bei letzterem ebenfalls äusserlich habituell markirt zu erwarten. Er könnte entweder im Innern des folgenden Organismus zur Wieder- weitergabe an das denselben äusserlich ausnützende Stadium stofflich konservirt, oder etwa auch temperamentär aufgewogen werden. Fallen doch auch menschliche Temperamente, besonders deutlich je nach den verschiedenen Völkerschaften, mit verschiedenen Haut- und Haar- farben etc. zusammen. Ebendahin deuten umgekehrt die sexuellen Umfärbungen z. B. bei Vögeln, Affen, Fischen, Molchen, zur Paarungszeit. Man wird nicht lächeln über die Titulirung von Temperament bei Schmetterlingen, wenn man deren offenbares gegenseitiges Necken beobachtet hat. oder ihr sehr verschiedenes Verhalten am Köder oder bei anderen Nachstellungen. Morphologischen Kontakten muss aber auch das Temparament entspringen. Dass sich die Variabilifät nach innen wende, histogenisch oder molekular werde in folgenden metamorphosischen Stadien, lehrt resp. verwerthet der Darwinismus ja selbst, durch seine „Vererbung in korrespondirender Lebensphase." Zu den nun folgenden Studien über die These: „die Komplikation „der Zeichnungen bedinge nicht die Grösse der Variabilität," darf ich kurz hinweggehen. Nach den gelieferten Nachweisen für die Basizität der Falterzeichnung in den Vorstadien, ist die hypothesirte einstadische Entwicklungs- Selbständigkeit bereits widerlegt, und das überhaupt sehr verschiedenartige Verhältniss der Zeichnungs- werthe zur Variabilität nun darwinistiseh gleichgültig. Immerhin sind auch hier die Angaben W.'s an sich wenig korrekt und um- sichtig. Die Schwärmer Liigustri^ Convolvuli und Galii lassen sich keineswegs, wie es W. versucht, durch konstanten Habitus den Pi- nastri-, Eupliorhiae- und Z>aAZH- Variationen absolut bedeutungsvoll gegenüberstellen. Jedes ihrer einzelnen Individuen trägt auch seine Zeichnungs- und Färbungs-Eigenheiten, und die Bewerthung der vor- handenen Variabilität richtet sich viel nach der zum Vergleich ge- nommenen Individuenmenge einer Art. Nach P. Maassens kritischer Sichtung der Butlerscheu Sphin- giden-Revision i) treten Lignstri und Convolvuli gelegentlich wesent- lich variabel auf, letztere, sogar sexuell-dimorphe Art, ausser- halb Europas in solchem Grade, dass dergleichen Lokalformen manchen Beobachtern als selbstständige Arten gelten. Dasselbe ereignet sich mit D. Galii, zu welchem Schwärmer Maassen ebenfalls zwei ausser- 1) Entomolog. Zeitung, Stettin, 1880, S. 58, 63, 64. — 161 — europäische eigenbenannte Formen zieht. Auch einer Lokalform des Oleanderschwärmers gedenkt derselbe. Bei auffälligen Färbungsbildern, die auch oft in gröberen Charak- teren auftreten, fasst man die Variabilität leichter in's Auge und taxirt dagegen bei eintönigerem Kolorit die Verschiedenheiten der feinen Zeichnungsbilder gering, Dass innerhalb der verschiedenen Arten dennoch eine verschieden qualifizirte Variabilität besteht, kann und soll indess nicht bestritten werden; aber die Behauptung Weis- manns: „Konstanz und Variabilität seien nicht abhängig von bestimm- „ten Zeichnungsformen," darf nach Vorführung einiger herausgesuchten Belegobjekte, nicht alsbald in den die Selektion stützen sollenden Schluss auslaufen (S. 154): „die einzelnen Stadien veränderten sich „unabhängig von einander, träten zu ganz verschiedener Zeit in „eine neue Variabilitäts-Periode ein .... und die Thatsachen deu- „teten unzweifelhaft auf eine völlige Abhängigkeit der Umgestaltungen „von äusseren Lebensbedingungen hin," Die verschiedenen Variabilitäts-Erscheinungen der Arten erfor- dern eine reellere Prüfung, als wie sie ihnen die Studien widmen, und wenn uns schon die äussere Beobachtung der bei Lygris Reti- culata proportional zur Flügelgrösse eintretenden Zeichnungsumwand- lung ein deutliches Zeugniss gegen die Selektionstheorie liefert, so würde ein tieferes Eindringen in die organischen Wechselbeziehungen eine naturdirekte Schaffensordnung und Biegsamkeit immer klarer demonstriren. Zunächst scheint die Frage vorgelegt und experimental prüfens- werth, ob nicht eine wenig variable Art entweder organisationshärter, und deshalb weit verbreitet, oder umgekehrt gerade von so empfind- licher Organisation und von so strikten Lebensanforderungen ist, dass sie nur an Oertlichkeiten existiren kann, die diesen Ansprüchen möglichst voll genügen. Wir kennen mehrere Schmetterlingsarten (z. B. Vanessa Cardui, Plutella Gruciferarum), die nahezu in alle Weiten der Erde reichen, andere, wie z, B. Vanessa JLevana-Prorsa, Melitaea Maturna, verbreiten sich sozusagen kometenartig inner- halb einer bestimmten latitüden Zone west-östlich, und noch andre, wie Melitaea Britomartis, Ltithosia Cereola, Ocnogyna. Parasita hängen satellitisch an einer bestimmten, klimatisch umschriebenen Region. Eine lange Reihe sporadisch seltener Arten erscheint trotz ihrer vielverbreiteten Nahrungspflanzen, streng örtlich isolirt und dennoch gleichgeformt; ihre und ihrer Metamorphosen empfindliche Organi- sation und Ansprüche mag die allgemeinere Ausbreitung wahrschein- lich hindern, so dass sie sich nur an Lokalitäten, die allen für ihre 11 — 162 — Spezialität werthhabenden Bedingungen genügen, erhalten. Deshalb mögen sie hier wie dort typisch auftreten, während Organismen mit weniger spröden Beziehungen zur Aussenwelt allgemeiner gedeihen, und die Einwirkungen derselben entweder durch habituelle Umfor- mungen der metamorphosischen Stadien, oder durch den Verlauf, die Mehrung oder Kürzung der Entwicklungs-Zyklen selbst, bereits ba- lanciren. Gegenüber der W.'schen These über die angebliche Unabhängig- keit der Variabilität der einzelnen Stadien von einander, und über seine vermeintlichen Variabilitäts-Perioden, erlaube ich mir noch folgende kurze Betrachtung. Die ausserhalb von Pflanzen lebenden Raupen verschiedener Schmetterlings- Familien existiren zumeist unter ziemlich ähnlichen äusseren Verhältnissen. Es giebt unter den Raupen der Tagfalter, wie unter denen der Nachtfalter, sowohl ganz frei-, als auch tagsüber versteckt-lebende. Im Allgemeinen indess führen die Raupen der eigentlichen Noktuen, deren meiste Arten sich tags- über sogar in den Boden wühlen, ein verborgeneres Dasein, als die Raupen der meisten Tagfalter. Eine noch bedeutendere Verschiedenheit der Existenz- verhältnisse besteht aber zwischen den Puppen, denn diese ruhen bei den Noktuen fast ausschliesslich verdeckt im Boden, bei den Tagfaltern hingegen frei oder befestigt, mehr oder weniger oberhalb desselben. Ausserdem zeigen die Puppen der Noktuen viel einfacher konturirte Formen, als wie die oft barock gestalteten Tagfalter-Puppen. Die Entwicklung der Nachtschmetterlinge in und aus tagsüber trägen Raupen, in und aus den im Boden ruhenden, monoton gestal- teten Puppen, wird demnach unter gleichmässigeren Zu- ständen erfolgen, als die Entwicklung der meisten Tagfalter, deren lichtbefreundete Raupen und mehr oder weniger exponirte, schärfer konturirte Puppen den Einflüssen mannigfacher Licht-, Tem- peratur-, Feuchtigkeits- und event. Bewegungs- resp. auch Glieder- lagerungs-Wechsel ausgesetzt sind. Beruht nun, wie ich meine, die Variabilität der Schmetterlinge wesentlich auf physikalischen, bezw. auch auf körperproportionalen Einflüssen der Puppe, so müssen hiernach die Tagfalter va- riabler sein, als wie die Nachtfalter. Und so ist es denn auch. Unter den etwa 480 bekannten Tagfalter-Arten des europäischen Faunengebiets verzeichnet Stau ding er's Katalog gegen 340 theils lokal distinkt, theils sporadisch auftretende Variationsformen. Unter einer gleichen Artenzahl der mit der Gattung Agrotis — 163 — beginnenden eigentlichen Noktuen bis einschliesslich der Gattung Caradrina, sind aber nur etwa 140 Variationsformen namhaft gemacht.* Die Variabilität der Tagfalter zeigt sich also hier- nach um über 140 Prozent grösser, als wie diejenige der Nok- tuen; und da alle Schmetterlinge habitlich nahezu voUkolorirt aus der Puppe kommen, so dürfte diese Variabilitäts-Differenz ganz wahrscheinlich in der grösseren, naturdirekten Be- einflussung der Tagfalter-Raupen und Puppen begründet und die Basizität der Falterzeichnung auf den Entwick- lungs-Schicksalen und Komplikationen der Vorstadien abermals eindringlich induzirt sein. Wenn die Studien nun (S. 154) den Verktindern eines orga- nischen Entwicklungsgesetzes „die Zuflucht zu ganz unbekannten, „nach Willkür ausgedachten Kräften'' anhaften wollen, so kann der- gleichen nur auf sie selbst zurückprallen, denn kaum jemals dozirte man fliessender ganze Serien „ausgedachter" Irrthümer und Zuflüchte, wie in den „Studien". Und wenn bei Annahme eines organischen Entwicklungsgesetzes für ihre Auffassung diejenigen Fälle, „wo Raupe „und Imago äusserst variabel, die Puppen aber völlig konstant seien. Jeder Erklärung spotten," wie sie sich äussern, so findet dieser Ein- sichtsmangel in der bisherigen Abwicklung ihrer Themata seine chro- nische Erklärung, während meine Induktionen das Vorhandensein einer anderen natürlichen Grundlage, als die eines solchen Gesetzes für unmöglich „ausdenkbar" darlegen halfen. Als Erklärung für die Konstanz der Puppe finden die Studien: „dass alle Puppen, welche in der Erde oder im Innern von Pflanzen „ruhen, oder durch dichte Gespinnste geschützt seien, völlige Konstanz „zeigten, Variabilität und Dimorphismus aber komme nur bei frei- „liegenden oder hängenden Puppen vor, weil diese den Blicken ihrer „Feinde ausgesetzt wären. Man sähe, dass die Natur nicht nutzlos „mit Farben spiele, sondern dass Abänderungen auf diesem Gebiete „wenigstens, nur auf einen äusseren Anstoss hin erfolgten." Nun, es scheint fast, als ob die „Studien" noch nichts von Ameisen, Mäusen und Maulwürfen gehört hätten, die den Boden auf der Suche nach allerlei Insekten, Larven und Puppen durchwühlen, durchfurchen und durchkanalisiren , oder von Erd- käfern, Asseln, Milben und Würmern, und von dem ganzen vielnamigen Heere, das da im Dunkeln vigilirt und schmaust. Die Entomophilen kennen ihre Konkurrenz aber besser und wissen, dass namentlich das Vorhandensein reichlicher Ameisen- Kolonien in einer Gegend das Ueberwuchern der übrigen meta- 11* — 164 — morphosischen Belebung In Schranken hält. Und vielleicht dieselbe Ameise, die jetzt eine braune, „völlig konstante" Puppe am Fusse eines Baumes ausweiden hilft, schleppte vorhin ei'n gelb- liches oder grünes Spannerpüppchen mühsam herzu, betheiligt sich später beim Anbruch einer „dimorphen", an der Mauer gleis- senden Puppenart, nagt deren Gold- und Silberschmuck -Spitzen, Dornen, Hacken ab, kriecht gelegentlich einer Pfauenaug-Puppe durch die künstliche Reuse auf den Leib, hilft eine Harpyiei^-Raupe bekämpfen, melkt dann ihre Blattläuse und nimmt beim Heim, wege irgend ein Stück Membran, oder Chitin, oder Harz, oder eine Tannennadel mit. „Wer sie nicht kennte, die Elemente!" Hier sind sie, Selektion, mit deren Wahl ohne Ende deine Züchtung allermeist zu rechnen hätte, von der Tannenwurzellaus an bis zum Leder des Elephanten und seinem Ohrenschmalz! Aber so lange es diese „natürliche Auslese" nicht fertig gebracht hat, dass jedes organische Ganze oder Theilchen, und so auch jede in der Erde oder in einem Gespinnst ruhende „völlig konstante", jede „mehr oberflächlich gelagerte äusserst variable" und jede „den Blicken freihängende dimorphe" Puppe Blausäure ausschwitzt, so lange wird alle ihre „Akkumulation" nicht den Werth eines Tropfens im Meere erringen, und wenn sie zunächst jede Puppe wenigstens mit dem Schreckschuss des Bombardirkäfers ausstattete. Ich glaube, in dieser kurzen Thätigkeitsskizze eine anschaulichere Widerlegung der natürlichen Auslese als Ursache der verschiedenen Puppentrachten und Strukturen geliefert zu haben, als in einer langen doktrinellen Abhandlung. Es ist völlig undenkbar, völlig sinnlos, dass die äusseren An- feindungen, der gleichförmige, rücksichtslose Druck der Vertilgung auf fast jede lokal vorhandene organische Form der animalischen Wesenheiten von Seiten derselben Angreifer und Konsumenten, irgend eine solche Differenzgrösse oder vielmehr Variations- Winzigkeit schonend respektiren, mecha- nisch verfehlen wird, wie sie die Theorie der natürlichen Auslese verwerthen will! Finden wir alle verborgen ruhenden Puppen eintönig braun, die minder verdeckten heller und die freihängenden farbengeschmückt, so muss dieses, sowie ihre verschiedene Ornamentirung , auf dem äquivalirenden Betriebsfundament eines organischen Entwick- lungsgesetzes beruhen, das wohl mit dem phj^sikalischen Grosso der Umgebung, aber niemals mit der darwinistischen Selektion ar- beitet. — 165 — Wollten die Stiid. ihre Aufmerksamkeit einmal auch anderen Erscheinungen im „monistischen" All zuwenden, so würden sie z. B. die Wolkenbildungen je nach der Lagerungshöhe, nach meteorolo- gisch-atmosphärischem Kontakt und Spannungsverhältniss , und nach der Beleuchtung, sowie im Generalen je nach der geographischen Zone, in von einander abweichenden, bestimmten typischen Formen und Farben wahrnehmen können, welche die Systematik ja bereits benannt und klassifizirt hat. Und diese zonisch - naturdirekten , variabel - typischen Bildungen würden die Studien gewiss als ohne „natürliche Zuchtwahl" immer aufs Neue wieder entstehende anerkennen müssen, ohne doch, wie bei den ihnen ohne Selektion unerklärlichen organischen For- mungen, alternativ äussern zu dürfen: „dass die Natur hier nutzlos mit Formen spiele." Aber gewiss vermöchten sie den Nutzen eines im hohen Luftkreise gespannten Wolkenfächers von unvergleich- licher Zarte der Dessins und Pracht der Farbenschmelze, in ihrem Zuchtwahl-Rationalismus klügelnd, eben so wenig zu er- kennen, wie sie andrerseits die Gleichgültigkeit aller krie- chenden und fliegenden Dessins und Farben, dem alles be- und nichts ver-achtenden Rationalismus der Ameisen gegenüber, anzuerkennen haben! Die Puppenformen berühre ich später nochmals; hier will ich noch an eine andere, der Ameisenpraxis analog rücksichtslose Ver- tilgung erinnern. Ich meine die Vertilgung aller Nachtfalter jeder Form und Fär- bung durch die Fledermäuse, Eulen und Nachtschwalben. Diesen unersättlichen Konsumenten gegenüber hat nur das Geltung, was überhaupt des Nachts umherflattert oder kriecht, nicht entfernt aber die variirende Nuance, das Pünktchen, die Linie, die Kontur- Eigenheit eines Flügels oder Körpers. In ihrem Magen finden sich allerlei „Schutzmuster, Lock- und Schreckfärbun- gen" beisammen an, die des Nachts umher- „täuschen." Mancherlei innerhalb der weiteren Thema - Abhandlung der Stu- dien in harmloseren oder gesperrten Sätzen vorbeiziehende Figur wäre zu glossiren; so z. B. lassen sie die Z>. Hippophaes -B.an^e, „die auf einer Pflanze lebt, welche als Niederholz (sterile) Fluss- „ufer begleitet, sich bei Tage „unter Moos" verbergen," und der D. JEiqyhorbiae-'Ra.ui^e unter den dichtlaubigen Büscheln der Wolfs- milch-Pflanze kein Versteck geboten sein ; doch will ich des Vorwärts- kommens halber noch immer nur die wesentlichsten effektiven Diffe- — 166 — renzen zum Selektions-Thema und die Induktionen für deren Unlialt- barkeit hervorheben. So suchen sie durch den Kontrast ira Aufenthalt der D. Hippophaes-B, SLUTpe gegenüber der ^wp/iorfeiae-Raupe für beider Anfeindung auch verschiedene Faktoren als giltig zu erklären; die Falter aller Schwärmerarten aber lassen sie bei Tage gleiche Verstecke aufsuchen und „gleiche Feinde" ihnen nachstellen (W. S. 156). Einen Unterschied in der Anfeindung dieser Raupen kann man als theilweise vorhanden insoweit zugeben, als die niederen An- greifer individuell mehr lokalisirt sind, wie die den örtlichen Diffe- renzen gewachsenen Vögel. Wohl aber ist andrerseits auch hier zu beachten, dass sowohl an der Wolfsmilchpflanze wie am Sanddorn nicht die Deilephüa -'Rampen allein leben, sondern noch eine Anzahl andrer Raupenarten in von einander weit abwei- chenden Habiten, dass also an jeder der zweierlei Oertlichkeiten die lokalen Feinde das variirende Farbenpünktchen einer oder der anderen Schwärmerraupen -Individualität nicht respektireu wer- den, wenn sie die heterogene Verschiedenheit der Ge- sammtbevölkerung der Stauden zu mustern haben und konsumiren. Eine weitere Unverträglichkeit zur Selektionstheorie besteht in den jährlichen Doppeibruten, welche die Deilepliila-Arten bei uns gelegentlich, im südlicheren Europa regelmässig abwickeln. Dass in der Lebenskonkurrenz dieser zweierlei Brüten allerlei Wechsel, Verschiebungen, Differenzen zu einander, kurz ein unleugbares Zweierlei der Begegnungen und Anfeindungen, der ver- meintlichen selektirenden Faktoren statthaben müsste, bedarf keiner weiteren Ausführung. Den Variations-Winzig- keiteu gegenüber, welche die Selektion motiviren sollen, müssten lebensgenossenschaftliche, vegetabile und meteo- rologisch-physikalisch e Differenzen, wie sie zwischen zw ei Jahres-Semestern oder Quartalen bestehen, die Bedeutung von Existenzkatastrophen für zweibrutige Arten haben. Bei der Erwähnung „der gleichen Verstecke und der gleichen Feinde", die den verschiedenen Schwärmer-Imagines nachstellen sollen, hätte den „Studien" aber doch entgegengesetzt sofort einleuchten müssen, dass solche „Gleichheit der Feinde" auch gleich- bedeutend mit einerlei Auslese wäre, dass eine solche aber in Konsequenz ihrer eigenen nur 2 Seiten vorher gestifteten und auf derselben Seite wiederholten Theorie „von der Unabhängigkeit des Falters von seinen Vor Stadien" und „der völligen Abhängigkeit seiner — 167 — Umgestaltung von den äusseren Bedingungen seiner Existenz", noth- wendig zur Monoformirung aller dieser gleichmässig „von den gleichen Feinden" umgebenen Schwärmer führen müsste. Die übereinstimmenden Funktionäre der Auslese müss- ten in kategorischer Logik der Selektionshypothese, als Kesultat der Zuchtwahl bei so Nah verwandten, unbedingt eine über- einstimmende Schwärmerform herstellen oder hergestellt haben, trotz aller Kaupen-Verschiedenheiten, "Wenn wir aber bei der allerdings vorhandenen vielfach gleichartig feindlichen Nachstellung, welcher die verschiedenen Schwärmerformen überhaupt ausgesetzt sind, dennoch deren Viel- fältigkeit und typische Konstanz durcheinander gewahrt sehen, so befürchten wir nicht die uns total oppositionelle Konse- quenz einer Monoformirung, an deren selektionslogisches Vor- handensein hier ja nicht einmal der „studirende" Jünger Darwins dachte, — sondern wir haben nur eine abermalige Niederlage der Weismann'schen Hypothesen zu konstatiren. W. findet nun auch Raupen, welche in den ersten Stadien va- riabel seien und später konstant; und bei der Raupe von Sphinx (Änceryx) Pinastri, dem Föhrenschwärmer, findet er nur erstes und letztes Stadium variabel. Das frische, 6 mm. lange Räupchen Hess nämlich „schon bedeutende Verschiedenheiten in den braun- „ schwarzen Mondfleckchen des Kopf Schildes erkennen." Und hier findet nun W. „keinerlei theoretische Bedenken gegen die Annahme „von zwei Variationswellen, deren erste, nachdem sie bereits „vom Endstadium über die übrigen hiuweggeglitten sei, nun nur „noch auf dem ersten Stadium ruhe, während die zweite Welle gerade „erst auf Stadium V, dem Endstadium, begonnen habe." 'Man erstaunt, welche eigenthümlichen Spekulationsbltithen solche Theorie-Beharrlichkeit aus der vielleicht ein wenig nüancirten Bogenzeichnung eines Millimeter -Raupenköpfchens zu treiben vermag. Welchen vorübergegangenen phyletischen Schreck- oder Schutz-Werth diese Kopfbogen gehabt haben sollen, die bei Tausenden von anderen Raupenarten ebenfalls und auch variabel vorhanden sind, bleibt von W, freilich unerörtert. „Wir wüssten ja," „dass die Arten von Zeit zu Zeit Umgestaltungen „erlitten, welche nach dem Anfangsstadium zurückrückten, sehr häufig „aber noch lange nicht unten angelangt wären, wenn oben bereits „wieder neue Nützlichkeiten erworben seien, die nun ebenfalls nach- „rückteiL" — 168 — „Kein schöneres Beispiel für solchen Kampf der alten Charaktere „mit den neuen, für solche sekundäre Variabilität, wüssten die Stud., „als es die Raupe unseres Nachtpfauenauges, Saturnia Carpini, ihnen „geboten habe." „Eine Zucht solcher Raupen aus der Gegend von Genua wickelte nicht nur eine Häutung mehr ab, sondern zeigte auch innerhalb der Häutungen konstanteren und schrofferen Färbungsumsatz, als unsere deutschen Carpmi-Raupen." „Die ersten zwei Häutungen blieben sie schwarz, dann erhielten sie alle einen orangefarbenen, dann einen hellgelblichen Seitenstreif, wurden hiernach plötzlich hellgrün mit wenig schwarzer Einmischung und zuletzt total hellgrün grundgefärbt." „Unsere deutsche Carpini hingegen erhält den gelben Seiten- streif bereits in der ersten Häutung, wird in der zweiten auch auf- wärts am Körper mehr oder weniger gelb, dann ein Stadium früher wie jene bereits grün, mehr oder weniger schwarz eingemustert, schattet hierauf das Grün etwas ab, bleibt auch mitunter fast gänzlich schwarz. In solcher Färbung gleicht sie sehr der nahever- wandten Saturnia Spini, welche immer schwarz gefärbt ist." „Unsere Carpini soll nun die jüngere, die ligurische die ältere Form sein." Allein die Stud. finden, „dass jede dieser Raupenformen längst ihre eigene Umbildung selbständig abwickele. Weil unsere Carpini im letzten Stadium bereits wieder die neue Erwerbung der Abschattung aufgesetzt habe, sei das Hellgrün, in Gelb umgesetzt, bereits wieder abwärts geglitten, kämpfe mit dem Schwarz der jüngeren Stadien und mache sie variabel." Bei der JLigurica aber „drücke nichtsNeues auf das alte Habit ; warum aber das Hellgrün der vorderen Stadien noch nicht weiter rückwärts geschoben sei, sondern scharf vor der Konstanz der ersten 4 schwar- zen Stadien absetze, lasse sich nicht angeben, vermuthlich werde es später nachrücken." „Jetzt arbeite „„die Kreuzung"" wahrscheinlich nur noch kurze Zeit an der gänzlichen Beseitigung des Schwarz „„im vor- letzten Stadium"" der ligurischen Form." „Auch bei unserer Carpini, obschon daselbst hellere Individuen selbst des III. Stadiums im IV. Stadium wieder dunklere Varietäten lieferten, sei dies umgekehrte Resultat der Zurückschiebung nicht überraschend. Nähere Erklärungen könnten unterbleiben — es sei eine nothwendige Folge der unausgesetzt stattfinden- den Kreuzung." — ' 169 — Dies also „das schönste Bild der Bestätigung, dass durch den Kampf alter Charaktere mit neuen sekundäre Variabilität entstehe!" Nun , nach meiner Erfahrung variirt die Raupe von Saturnia Carpini bei uns im Hügellande hauptsächlich in der Färbung ihrer schönen, mit Stachelhaaren bewehrten Körperwarzen zwischen Gold- gelb und Rosenroth. In der ligurischen Farbeneinheit der Grund- farbe traf ich sie manchmal auch bei uns an, selbst noch in Nordost- finland nahe 66" n. Br. Auf dem Kamme des Isergebirges aber sammelte ich sie im Jahre 1877 mehrfach in totaler Schwärze des letzten Stadiums. Ihre Variabilität mag demnach mit klimatischen Verhältnissen zusammenhängen, unter Beleuchtungsgraden, Feuchtig- keits- und Nahrungs-Verhältnissen auch örtlich wechseln. Aber die Kreuzung! Was soll deren Einfluss studientheoretisch hier abermals, wie bereits S. 83 der Stud. und S. 71 dieser Schrift, bei den Raupen!? Es wurde uns doch die gänzliche Unabhängigkeit der Charaktere der metamorphosischen Stadien von einander gelehrt. Auch wurde uns versichert, neue Charaktere träten nur im letzten Stadium hinzu und rückten dann rückwärts, und soeben wurde uns noch der vermeintliche Kampf alter und neuer Charaktere gezeigt. Zu alledem in Konflikt wird nun auf einmal versichert: es könne nicht überraschen, wenn die Kreuzung des einen Stadiums, der Falter, das andere Stadium, die Raupen, variabel mache, sogar über das letzte Raupen -Stadium hinweg, zurück im vor- letzten Stadium! Die Studien werden hier geradezu räthselhaft. Wo ist innerhalb aller transmutorischen Hypothesen, das Ausnahmegesetz der Kreuzung stipulirt, über das jetzt phyletisch giltige organisatorisch zur Gegenwart basale und bimorphologische Endstadium sogar hin- weg, phyletisch rückwärts die antiquirte Marke einer längst vergangenen, biologisch verworfenen Periode anzugreifen. Woher käme der Einfluss der Falterkopulation auf diese zu- rückgetretenen einstigen Endphasen, wenn des Falters Bimorphose nicht einmal den heutigen lebensverantwortlichen Färbungsbesitz der Raupen im Endstadium beeinflussen soll, wie uns die Stud. allenthalben lehren! Und wenn für die Kreuzung die uns versicherte Ordnung des Antretens und Zurückführens etwa nicht gelten sollte, was erhielte doch die ligurische „längst selbständige" Form so sepa- rirt in ihrem scharf markirten Habit? Sollte es bei ihr gerade wieder niemals zu ein erKreuzung mit den mobilen Grenzformen kommen? Trotzdem diese wildumherstürmende Spinnerart zu den feinsinnigsten Brautsuchern gehört. — 170- — Unser studienlogisches Dilemna ist amüsant. Wir treffen all- zubequem überall auf theoretische und natürliche Unbegreiflichkeiten zur eignen Lehre Weismanns. Machen wir uns die Mühe einer nochmaligen kurzen Rekapitu- lation des uns von W. in unzweideutigen Sätzen bezüglich Vorge- tragenen. Noch am Schlüsse dieser Abhandlung über Saturnia Carpini und deren Lokalform Ligurica wiederholt er extra, gestützt auf Lubbock (S. 169) „es bestehe zwischen dem Schmetterling und „seiner Raupe, und umgekehrt zwischen Raupe, Puppe und Schmetter- „ling keinerlei derartige Verbindung, dass irgendwelcher „variirende Theil an der Raupe, beim Schmetterling oder „irgend eine Variation an diesem, bei der Raupe mit einer „Abänderung antworte." „Dass keine Korrelation einer biologischen Funktion „oder Abänderung zwischen den verschiedenen metamorphosischen „Stadien existire, hätte W. eben hier zeigen wollen (S. 168), „und es gehe diese Unabhängigkeit mit Sicherheit aus dem „selbständigen Variabelwerden der Hauptstadien hervor. „Es gäbe hierfür ausserdem noch eine unendlich grosse Reihe von „Thatsachen der unwiderleglichsten Beweise, nämlich" — — „die „Erscheinungen der Metamorphose an sich selbst." Welch merkwürdigstes Ignoriren der offenbarsten, selbstredenden funktionellen und biochemischen Verbindungen zunächst hier vorliegt, zeigt ein einfaches Erinnern an die richtige Pflanzeu- wahl des Eierlegenden Falters für seine metamorphosisch-deszendenz- liche Raupe, an die künstlerisch-sorgfältige Sicherung der Falter- puppe durch die Raupe, und an die embryonale Vorbereitung der Fortpflanzungs- und der Bewegungs-Organe des Falters bereits im Raupenkörper. Ausserdem wies ich diesen Zusammenhang der meta- morphosischen Stadienfolgen bei der vorhin beschriebenen Variabili- täts-Korrelation der Lygris Meticulata, sowie im L Theile meiner Gegen-Studien, bei Vanessa Prorsa-Levana nach. Wie ebenfalls bereits erörtert, lässt die rasche Abnutzung des Falterhabits zumeist noch vor der Kopulation, keine Steigerung für dessen Färbungs- und Zeichnungs-Eigen- heiten durch geschlechtliche Zuchtwahl oder sonstige Anpassung zu. Vielmehr müsste hier, wenn das Habit durch äussere Einflüsse bio- morphisch akkumulirt würde, eine Reduktion alles Farben- und Zeichnungs-Schmucks stattfinden. i) Dass es aber in seiner i) Darwin selbst bezieht sich, wie wir wissen, selektionstheoretisch auf die Vererbung von Verstümmelungen. — 171 — typischen Schönheit erhalten bleibt, immer wieder komplett „angepasst" erscheint, obschon es im Kopulations-, das ist im Vererbungs- Akt, beschädigt, verflogen, überhaupt nur noch unvollständig vor- handen war, das beweis.t dessen Herstellung durch natur- immanente biochemische Entwicklungsgesetze. Auf eine Form-Konservirung durch den Einfluss des gewöhn- lich frischer, unbeschädigter zur Kopulation gelangenden Falter-Weibchens, dürfte man sich gegnerischerseits etwa nicht berufen wollen. Eine Keihe prägnant sexual dimorpher Falter widerlegte solchen Einwandsversuch sofort. Von solchen Formen gelangen die prächtigen Männchen der bekannten sogen. Feuerfalter: Polyommatus Virffaureae, Alciphron, Hippothoe; der Schillerfalter: Apatiira Iris, llia; des Aurorafalters Anthocharis Cardamines, gewöhnlich mehr oder weniger abgeflogen, beschädigt und [unscheinbar zur Kopulation mit ihren später als sie der Puppe entsteigenden Weibchen. Trotz- dem sind diese Arten, und noch viele andere, ausgeprägt sexuell- dimorph; und zwar entschlüpfen die Männchen derselben in prächtig glänzenden, schillernden, bunten Habiten ihren Puppen, wenn aber ihre Weibchen später in weit einfacherem Schmuck, ohne Glanz, Schiller oder Buntkolorit nachfolgen, dann ist die Schönheit der Männchen meist so reduzirt, dass weder von Bewerbungs-Vorzügen noch von Vererbung im selektionshypo- thetischen Sinne die Rede sein kann. Und dieses Verhältniss allein reichte aus, den prüfungswilligen Darwinianern die Existenz eines selektionsfreien Entwicklungsgesetzes zu demonstriren, ebenso wie der Vollzug, die verknüpfte und sexuell-separate Abwicklung der Metamorphose unwiderleglich bezeugt, dass ein biochemischer Um- satz-Zusammenhang zwischen allen Entwicklungsformen des Insekten- Zyklus vorhanden sein muss. Eine vernünftige Anschauung und Konsequirung der Erscheinungs- Korrelationen im grossen Weltganzen kann es nur logisch finden, dass die auf Raupen oder auf Falter bezüglichen biomorphischen Werthe lediglich in je einer dieser Phasen figürlich geltend werden, in dem einen Stadium erzeugt, oder verschieden geweckt werden, als wie im andern. Die Stoffe, welche die Raupe durch die Nahrung neu aufnimmt, werden bei ihr zum Aufwuchs, zum Strukturbau und Dekorations-Avancement verwendet und setzen sich in der Puppe weiter um zur Organisirung des Falters. Auf das Eindringen in diese Räthselvorgänge der organisch-chemischen Umsätze, möchten sich die Forschertalente vereinigen, denn hier ruhen die Motore der Entwicklungs - Ordnung , hier die Kausal -Attestationen derjenigen — 172 — „Stammbäume", als welche die vergleichende Morphologie nur die Jaits accompUs, die Figürlichkeit des natureinheitlichen Schaffens mehr statistisch vorarbeitend systematisirt als ursächlich erleutert. Will man nicht annehmen, dass lediglich ein immaterielles Wollen oder Müssen die metamorphosischen körperlichen Folgereihen basis- los hervorbringe, so kann man darüber nicht zweifelhaft sein, dass jeder Stofftheil für jede Bildung am Falter bereits von der Raupe der Puppe, resp. zur biochemisch-naturkontaktischen Aus- und Um- bildung überliefert wird, und dass der molekulare Organismus der Raupe es ist, der je nach seiner ererbten und erlebten Eigenheit, und je nach den weiteren verträglichen und rückwirkungsgiltigen Einflüssen, die das Puppenstadium treffen, das spätere Bild des Schmetterlings vorbereitet, und demselben ex ovo basirt. Ich muss gestehen, so anstandslos sich die Widerlegungs-Fakta zum Studienthema bisher in die Feder diktirten, für die These von der R a u p e n -Variabilität durch Falter-Kreuzung, fand ich von Weismanns Studien-Standpunkt aus keinerlei logische Fas- sung, selbst bei dem interessirtesten Vertiefen in den gegnerischen Ideengang. Denn unmöglich wagte ich die in den Stud, vor mir liegenden Worte in dem Klange zu nehmen, den sie dürr ausdrücken, und nur allmälig getraute ich mir das Erkennen zu, dass es wirklich bei der buchstäblich vorgetragenen super- metaphysischen Zita- tion bleibe. Es ist nämlich die „theoretische" Auffassung der Vererbung im korrespondirenden Stadium, welche das Studien-Räthsel birgt. Diese „Theorie" pure pute, ihr wesenloser Begriff an sich allein, genügt oder gilt den Stud. als deus sine machina, oder als duale Kraft. Denn nicht kontaktisch wie etwa ein materieller Funke entsteht, das Pulver entzündet und Gase und Russ erzeugt, oder wie die Nulltemperatur das Wasser kfistallisirt, oder wie der Sonnenstrahl die Fruchtkapsel sprengt und die Samen hinausschnellt, nicht auf forschungszieligen Kräften natürlicher Einwirkungen beruhend denkt sich W. den Akt der korrespondirenden Vererbung, nein nach ihm fehlt jede irgendwie benannte molekular-biochemische Transformirungs- Materie, und lediglich die mystische Hoheit des „theoretischen Gesetzes" der Vererbung, bisher wesenlos über oder in der „Quan- tität" (S, 148) schwebend, lässt sich in der gegebenen Phase nieder und deponirt oder vielmehr zitirt die Erscheinung des korrespon- direnden Vorfahren. Es ist dies der reine wortlautliche und logische Inhalt der Studienlehren. Denn diese wollen durchaus nicht etwa einen inneren — 173 — stofflich-qualifizirten Sitz der Merkmale des einen Stadiums bei dem andern zulassen, also nicht etwa die Beschuppung der Schmetterlings- flügel und deren Variabilität, bereits in den Säften der Raupe und Puppe für stofflich grundgelegt und korrelativ vorhanden gehalten wissen, nein nicht soviel wie die Bedeutung der Reibung für das Zündholz, findet man der metamorphosisch-organischen Stoffverbin- dung zugesprochen. W. erklärt mit ganz entschiedenen Worten, die Raupe sei Raupe durchaus nur für sich, die Puppe sei Puppe und der Falter sei Falter für sich nach akkumulirter Stofforganisation und Selbstzweck. Ein Schnappein der Vererbungs- Zyklen kippe alsbald ein ganz neues Bild. Was Flügel- und Genitalien-Keime im Raupenkörper, der embryonale Raupenstoff im Falterleibe, was die ge- genseitigen Existenz-Sicherungen zwischen den Stadien zu bedeuten haben, darüber findet sich mit keiner Silbe Ge- denken. Warum sind auch Mal pighi 's und Swammerdam's erste Nachweise solcher anatomischen Keimverbindungen bereits dritthalb Jahrhunderte alt, und Weismann's eigene Arbeit über diesen Gegenstand erst ein reichlich Jahrzehnt. Derselbe versichert uns dreimal, zuerst Seite 83 und jetzt Seite 164 und 167 seiner Studien: 1) „die individuelle, verschiedene Variation der Zeichnung und „Färbung von Raupen werde durch die Kopulation der „daraus hervorgehenden Falter von Fall zu Fall derart „gemischt, dass die Aenderungsfolge solcher Kreuzung „bei den Raupen allein wieder aufträten." Und dieses Resultat werde erzielt (S. 148): 2) „ohne dass irgendwelche Abänderung im Bau der „Raupe oder des Schmetterlings eine korrelative Ab- „änderung im Bau des Schmetterlings oder der Raupe „nach sich ziehe, denn wenn dies auch denkbar sei, so Hessen sich „solche korrelative Fälle bis jetzt nirgends nachweisen, vielmehr „spräche Alles für eine beinahe vollständige Unabhängigkeit, der „beiden Stadien von einander," und (S. 152): „es recht- „fertigten die Thatsachen diese Ansicht, die einzelnen Ent- „wicklungsstadien veränderten sich selbständig, die „in einem Stadium eingetretene Abänderung bleibe ohne Ein- „fluss auf die vorhergehenden und nachfolgenden Stadien." Wenn nun aber die Charaktere des einen Stadiums bioche- misch ausdruckslos und völlig unvertreten durch die andern Phasen streichen sollen, bis sie wieder erst im gleichen Stadium neu — 174 — ererbt erscheinen, und die Variabilität des einen in den anderen Stadien ebenfalls keinen digniten Sitz haben, dennoch aber die Kreuzung zwischen Faltern von ver- schieden gefärbt gewesenen Raupen, sowohl Farbenmi- schungen wie auch Reinigungen der individuell variablen Raupen-Charaktere verursachen soll, so müsste entweder ein rein theoretischer Transportzauber mit periodischem Einschlagen statthaben, oder die Weismann'schen , ein Entwicklungsgesetz läugnenden Begriffe sind ohne alle Ver- ständlichkeit. Denn irgendwo in der Quantität muss die materielle Motivität der naturgesetzlichen Arbeit, die korrelative Dignität, der ontogenisch-stofflich bewerthete Zusammen- hang vertreten sein, sonst bliebe nur ein rein wesenloser, ein geistiger übrig; und einen solchen bekämpft doch Weisraann durchaus als aktivirenden Formbildner. Wenn die Stud. diesen Abschnitt mit der Versicherung schliessen, ihr Begriff von „Formenübertragung" falle mit Darwins „Vererbung im korrespondirenden Lebensalter", mit Haeckels „homochroner Vererbung" zusammen, so möchte ich dies jenen Forschern zu Ehren bezweifeln. Die Stud. haben einfach mit den „Ausdrücken", aber nicht mit den Begriffen derselben gearbeitet, und indem sie selbst eines melekülar-normirten Zusammenhangs nicht bedürfen, nur „Quan- tität" beanspruchen, sich augenscheinlich nicht bemüht, über eine natürliche, biochemische Basis für die Vererbungs-Erscheinungen nachzudenken. Es genügte ihnen schon im I. Theile ihrer Transmu- tationslehren, dieselben einfach „dunkel" zu nennen. Ich erblicke in der Ordnung der Vererbuugsvorgänge gerade wieder einen unverkennbaren Ausdruck, das Synonym eines organi- schen Entwicklungsgesetzes und der biochemisch begründe- ten Wechselverbindung innerhalb der Metamorphosen. Denn erinnern wir uns allein des in steter typischer Vollendung derj'uppe entschlüpfenden Schmetterlings, trotzdem der- selbe den Fortpflanzungs-Akt zumeist in mehr oder we- niger ruinirter Tracht vollzieht, so gewinnen wir die mög- lichste Induktive für den einheitlichen Vollzug der We- senordnung durch ein materiell motivirt direkt giltiges Entwicklungsgesetz, frei von dem Dualismus deszenzdenz- licher Manch esterei nach darwinistischem Begriff. Die Indefini- bilität der letzten Ursache, diese beglückende Restriktion, kann der Forschung die Grundsuchung im Materiellen nicht entziehen. — 175 — Herr Dr. Weismann erörtert nun die Frage: Fällt die Formverwandtsehaft der Raupe zusammen mit der der Falter? Mit der Kritik der einleitenden Angaben will ich mich nicht breit befassen. Wollte man auf diesem interessanten Gebiete nur einigermassen Anhalt gewcährendes Material sammeln, so bedürfte es einer langwierigen umfassenden Beobachtung in allen Zonen. Die Studien liefern Zutreffendes und Mangelhaftes. Die Familiengruppe der Tagfalter trennt sich zunächst weder durch „grosse, breite und lebhaft gefärbte Flügel, noch durch keulen- förmige Fühler scharf" von den Familien der gesammten Nachtfalter, wie die Stud. meinen. Die tagfliegenden Gattungen der Arctioidea, z. B. unsere Arten der Gattungen Callimorpha, JSuchelia, Nemeophila und noch zahl- reiche exotische Formen, sodann die tagfliegenden Agaristiden, Ura- niden, Noktuinen der Tropen erreichen und übertreffen an Flügel- grösse und lebhafter Färbung viele Tagfalter, haben auch zum Theil gekeulte Fühler. Letzteres ist auch der Fall bei den Sphinx-, Sesia- und Zygaena -Formen. Hier besteht eine deutliche Form- verbindung mit den Kastniiden und Hesperiden. Aus letzterer Ord- nung sind auch bereits zwei unserer Arten bekannt, welche die Flügel in der Kühe nicht aufwärts, sondern nachtfalterartig nieder- gelegt tragen und eine australische Form mit der Haftborstei). Andererseits wird die Fühler-Keulung resp. Knopfung, z. B. innerhalb der verschiedenen Tagfalter-Gattungen der Satyriden, sogar je nach der Art variabel und matt, wie bereits ein Vergleich zwischen Pararge Maera und Megaera mit Par. Egeria und Dejanira zeigt. Es sind dies Arten, deren spindelförmige Raupen einen nok- tuenartigen Typus annehmen, durch den vom Körper aber sehr deut- lich abgesetzten, eigenthümlich kugligen Kopf sowie durch horizon- tale Afterspitzen, sich dennoch separat kennzeichnen. Gerade aber die Riesen der tropischen Tagfalter, die Arten der allerbreitflügligsten Gattungen Morpho und Caligo, sodann die mei- sten Formen der Heliconina zeigen kaum eine ganz schwache allmä- lige Keulung, geschweige denn eine Knopfung der Fühler: diese sind vielmehr öfters als drahtförmige zu bezeichnen. Auch die Fühler mancher Riesen -Equitinen, z. B. von Papilio Pegasus und Magellanus, sind drahtförmig, während andere For- i) Vergl. Zellers und Speyers Beobacht. u. Syst. Arb. , Entoraol. Zeitg. 1877, S. 314, 1878, S, 168, 1879, S. 477. — 176 — men derselben Gattung z. B. Pap. Machaon, Hector und Poly- dorus, gebogen spindelförmige Fühler tragen, die kaum von denen mancher Zygaeniden zu unterscheiden sind. Jedenfalls sind die Ver- schiedenheiten zwischen den Fühlerformen vieler sogenannter Rho- palozeren- und Heterozeren - Arten kaum augenfälliger als diejenigen zwischen den Fühlerformen der Arten mancher einzigen Gattung, wie man ferner beim Vergleich der Erebien Embla, Disa., Ligea, Adyte, Euryale mit ihren Gattungsgenossen Gorge, Lappona., Epi- stygne, Afra und Älecto finden wird. Letztere Gruppe trägt deut- lich abgekolbte Fühlerknöpfe, erstere Gruppe nur eine geringe Kol- bung der in dieser Beziehung noch individuell (oder lokal) variiren- den Fühler. Die durchaus spindelförmigen Fühler des südeuropäischen Tag- falters Lihythea Celtis sind u. a. denen eines Macroglossa Stella- ton/»n -Weibchens sehr ähnlich, ebenfalls ähnlicher als denjenigen ihrer genuinen Nachbarform Lihythea Carmenta aus Costarica, wo die fadenförmige Fühlergeissel sich erst am Ende etwas und nun fast knopfförmig verdickt. Die feine Endspitze bei Macroglossa und anderen Sphingiden fehlt allerdings bei Lihythea Celtis., tritt aber in sehr ähnlicher Form bei vielen Hesperiden auf und unter diesen finden sich wieder Fühlerformen, die sowohl an Sphingiden-, als Sesiiden-, Agaristiden- und Uraniden-Formen anstreifen. Es ist überhaupt eine bemerkenswerthe Thatsache, dass die Gattungen mit knöpf- und kolbenförmigen Fühlern unter den Tag- faltern der Tropen verhältnissmässig sehr wenig vertreten sind; die bedeutende Mehrzahl derselben trägt entweder ziemlich lange, draht- oder fadenförmige, endwärts sehr wenig verstärkte Fühler, oder schwach gekeulte oder gekolbte, wie unsere Limenitis- und viele Satyrus-Y ormQw. Selbst die Knopfung und Keulung der Pieridinen- Fühler wird bei dem Heere der tropischen Weisslingsformen inner- halb derselben Gattungen matter als wie bei den Arten der gemässig- ten Zonen. Die ganze Fühleranlage der tropischen Schmetterlinge erscheint, namentlich auch durch den öfteren Mangel der ringlichen, zweifar- bigen Beschuppung, etwas dünner und leichter als die der unseren. Auch die Körper sind leichter gebaut, und dem Fingerdrucke leich- ter nachgebend bei den tropischen Faltern als wie bei den hiesigen oder gar als bei dem robusten Körperbau der arktischen Schmetter- linge. Deutlich gekeulte oder geknöpfte, tagfalterähnliche Fühler finden sich ferner in verschiedenen anderen Insekten-Ordnungen vor, z, B. bei den Imagines der Myrmecoleonen (Ameisenjungfern) und der — 177 — Tenthrcdiniden (Blattwespen). Aber durch Herbeiziehung allein des exotischen lepidopterologischen Materials verwischt sich bereits die Grenze zwischen Tag- und Nachtfaltern in verschiedenster Richtung, und wird bei einstiger besserer Bekanntschaft mit deren Biomorphosis und Metamorphose wohl nicht schärfer werden. Nach den Ausnahmefällen bei den Hesperiden, die bei weiterer Beobachtung dieser exotisch reichvertretenen Gruppe wahrscheinlich noch Zuwachs erhalten werden, und nach dem später zu berühren- den Vorkommen der aufrechten Flügelhaltung bei mehreren Insekten- ordnungeu, kann auch die aufrechte Flügelhaltuug der ruhenden Tag- falter nur unsicher als Trennungsmerkmal von den Nachtfaltern gelten. Die Studien suchen aber darzulegen, die Tagschmetterlinge bil- deten eine scharf begrenzte Familie, die Raupen hingegen nicht. Diese vereinigten sich durch kein gemeinsames Merkmal zu der gleichen Gruppe wie ihre Imagines, sondern gliederten sich systematisch nur nach Familien aneinander. „Die Formverwandtschaft zwischen Tagfaltern und deren Raupen sei eine inkongruente und die Ursache dieser Erscheinung sei die Zusammenhanglosigkeit der biologischen Funktionen zwischen beiden Stadien, die Selbständigkeit der biomorphischen Erwerbungen durch die verschiedenen Einwirkungen der Zuchtwahl auf jedes einzelne Stadium der Metamorphose für sich. Die äusseren Anstösse zu Ab- änderungen seien verschiedene, träfen ungleichzeitig und in verschie- dener Menge auf jedes Stadium." Nun es ist gewiss, aber durch den Flügelmangel ja auch sofort einfach begreiflich, dass weder die Raupen der Tagfalter noch deren Puppen ein gemeinsames äusseres Merkmal aufweisen können, welches sie, ähnlich wie die aufrechte Flügelhaltung ihre Imagines, gruppirte. "Wollten wir lediglich die Schmetterlings-Körper ohne Flügel be- trachten, so böten diese ein noch weit eintönigeres Bild als wie die Raupen. Von vornherein aber ist die Behauptung abzuweisen, „die Falter unter sich unterlägen bedeutenderen Verschiedenheiten der Lebens- bedingungen wie die Raupen." Denn gleichviel ob der Schmetterling bei Tage oder bei Nacht fliegt, ob über der Wiese, dem Moor, dem Teichschilf, im Waldesdämmer, im Sonnen- oder im Mondes-Licht, — initiativ, frei und ungebunden durchfliegt er die Luft ohne weiteres Mühen, als um einen Gatten, um etwas Nektar, um einen Ruhe- und eventuell Eiablagerungs-Platz. Krankheiten und feindliche Nachstel- lungen begegnen ihm viel weniger als den Raupen und seine Flucht- schnelle vereitelt den tödtlichen Effekt manches Angriffs. Alle Schmetterlinge leben eigentlich nur dem Genuss, und Tag- 12 — 178 — und Nachtfalter keineswegs unter „sehr bedeutend verschiedenen Le- bensverhältnissen", wie die Stud. (S. 197) erklären und als einzige Data hierfür die Einflüsse des direkten Sonnenlichts, höherer Tem- peratur und einer grösseren Stundenzahl der Flugzeit für die Tag- falter gegenüber den Nachtschmetterlingen geltend zu machen suchen. „Denn unter demselben warmen Sonnenschein und während der- selben Tagesstunden fliegen mit titulirten Tagfaltern zusammen die Heere der Sesiiden, Agaristiden, Zygaeniden, Syntomiden, Glauko- piden, Psychiden, Arktiiden, Uraniiden, speziell auch die europäischen Noktuen-Gattungen Pyrrhia, Chariclea, Heliothis, Anarta, Omia, Sympistis, Panemeria, Acontia^ Thalpochares und so fort eine viel grössere Masse von ausländischen Heterozeren. Ausserdem noch zahlreiche Formen der Spannerfamilie und der Zünsler. Eine weitere Masse aus den verschiedensten Familien der Hete- rocera fliegt Tags und Nachts; so z. B. viele Sphingiden, Lipariden, Bombyziden, Saturniden, Plusiiden, Geometriden, Botyden, Cram- biden, Platypterygiden und Aluzitiden. Innerhalb der arktischen Region müssen sämmtliche Insekten bei Tageslicht fliegen. Umgekehrt meiden verschiedene Tagfalter-Formen, theils nach ganzen Gattungen, theils nach Arten, den hellen Sonnen- schein, fliegen nur im Pflanzendunkel oder im Abend- dämm er, ja sogar, entgegen der gesperrten Angabe Weismanns, „es gäbe keinen einzigen Tagfalter, der bei Nacht flöge," nur von Sonnenuntergang an bis in die Nacht. Gewisse Glanz-Formen der Tagfalter-Gattung Thecla sah ich in den Tropen nie bei Tage fliegen, musste sie stets aus dem tiefsten Schatten der dichtesten Strauchhecken hervorklopfen und eiligst suchten sie wieder dahin zurückzukehren. Aehnlich verhielten sich verschiedene Riesenfalter der Gattungen Morpho, Caligo und Opsi- phanes, während andere Arten dieser Gattungen sich extrem beneh- men, indem sie nur hoch um Baumwipfel fliegen. Morpho Montezuma hielt sich um Panama nur auf freien Plätzen im tiefen Waldschatten auf, ebenso Dinastor Darius. Caligo Teiicei; dieser riesige „Tagfalter", taumelte, gelegentlich auf- gescheucht, wie blödsichtig zwischen den sonnenbeschienenen weissen Mauern von San Jose und Cartago de Costarica, suchte Schutz im dunkelschattigen, schwarzberussten Rauchfang des Daches, selbst am dunklen Habit des Menschen. Opsiphanes (Brassolis) Cassiae aber, aus dem schwarzen Schat- ten der Büsche oder Dachungen hervorgetrieben, war im Sonnen- schein nahezu flugunfähig, bohrte den Kopf zwischen das dürf- — 179 — tige Gras der Plantagenpfade — und wurde doch das hurtigste Geschöpf, sobald sich die Schatten der Nacht rasch senk- ten. Noch wenn ich selbst kaum einen Gegenstand mehr deutlich zu erkennen vermochte, traf mein nach dem schwarzbewegten Objekte zielendes Fanggeräth diesen „nachtfliegenden Tagfalter" i). Um die bezüglichen Naturvorgänge wissenschaftlich zu verwer- then, bedarf es also jedenfalls grösserer Umschau, als wie sie die Studien pflegten, und schwerlich stimmt ein flottbeliebtes Schema auf die hehre Mannigfaltigkeit der biologischen Vorgänge. Was nun die von W. (S. 196) behaupteten, „ioi Grossen und Ganzen dem Falterleben gegenüber sehr uniform sein sollenden Be- dingungen des Raupenlebens" betrifft, so finde ich in letzterem um- gekehrt gerade eine weit grössere Mannigfaltigkeit der abzu- wickelnden Verhältnisse. Bereits das einfache Vergleichsbild zwischen einem Raupenleben auf dem sonnigen, schwankenden Wipfel eines Baumes oder in der Wurzel einer Staude, oder im Pelzfutter eines Rockes, oder gar an Teichlinsen unter Wasser, mit dem darauf folgenden Flug- oder Fortpflanzungsleben der betreffenden Falter, dürfte den Rau- pen unter sich das Verdienst der grösseren Mannigfaltigkeit zu- sprechen. Ihre Lebensbedingungen erscheinen weiter verschieden von einander als wie die ihrer Falter, wenn auch der eine frei um Baumkronen, der andere flach über der Flur, der dritte im verwahr- losten Garderobe-Raum, der vierte überm Teichtümpel umhergaukeU. Besonders aber auch das einzelne Raupenleben durchschreitet mancherlei biologisch Bedeutsames. Schon die Geburt der Raupe bedingt neben der auch dem Falter obliegenden Hervorwindung aus dem Gehäuse, extra dessen direkte Durchnagung. Hiernach beginnt die Auffütterung des winzigen Körpers .oft bis in's tausendfältige Volumen, durch Wochen, Monate, selbst Jahre hindurch, nicht selten unterbrochen durch äussere Störun- gen beim Mähen, Baumfällen, oder durch abschleudernde Winde, Regengüsse, Ueberfluthungen, oder durch Dürre, so dass die Raupe nach neuen Plätzen und Nahrung suchen muss. Viele derselben ha- ben Haftfäden zu spinnen, Gehäuse künstlich zu rollen oder zu bauen, zu heften, Gänge zu bohren oder aus- zufüttern. In diese Periode treffen nun eine Anzahl Häutungen, welche die äussere Funktionirung der Raupe unterbrechen, die histogenischen Umbildungen innerhalb einer anscheinen- i) Im 37. Jahrgang der Stett. Entomol. Zeitung werden S. 443 auch mehrere dämmerungsfliegende Rhopalocera Ostindiens erwähnt. 12* — 180 — den Stagnation aber rapid fördern, wobei und worauf die Raupe zu fasten, resp, die Erhärtung der frischentwickelten Mundtheile abzuwarten hat. Nebenher erhält sie die mannigfaltigen Visiten der Schma- rotzer, die den Falter nahezu unbehelligt lassen, hat mit Stiuk- drüsen, Säften, Gabeln, Dornen zu drohen, zu manövriren, zu spritzen, Schläge auszutheilen , giftige Haarpfeile auszustauben, obschon ihr alles dies, sowie Schreckaugen- und Widrigkeits-Masken, den natur- angewiesenen Konsumenten gegenüber keinen Enderfolg einbringt. Denn den Kiefern der Ameisen, Käfer, Wespen etc., den Schnäbeln der Vögel unterliegt doch die bei weitem grösste Individuenzahl, die den primär selektions-widersinnigen, direkten Erb- Kraukheiten entging. Ausserdem hat eine weit grössere Anzahl der- selben als wie von den Faltern zu überwintern, und zwar mit- unter mehrere Male. Die nach vielfacher Dezimirung endlich ausgewachsenen Raupen- bestände begeben sich nun auf eine sorgfältige Suche nach dem Orte des Puppe nlagers, graben, bohren, spinnen, heften, kleben oder gürtein sich fest und noch als letzten (korrelativen) Moment ihrer Willensäusserung klettert der Hinterleib am zurück- gestreiften Hautbalge geschickt empor, hakt oder windet sich fest und schnellt das abgelegte Habit in energischer Bewegung von sich! Was hat diesem Duldungs-, diesem realen Arbeits- und Kunstleistungs -Leben gegenüber das Genuss-Seiu des Falters auf die Wage zuwerfen?: das Weibchen Liebe dulden und Eiversorgung, das Männchen Liebewerben und Geniessen! So der schillernde Priamus Südasiens, wie die Motte im Kleiderspind. Und ich glaube wohl behaupten zu dürfen, dass die Raupe wäh- rend ihres drei bis tausendmal i) längeren Lebenslaufes gegenüber dem Falter durchaus kein monoformes Dasein abwickelt, -wie uns W. in gesperrten Sätzen einreden will, um seine Hypothesen sine cura zu fundiren. Wenn aber die Raupenarten -Legionen, trotz ihrer den Faltern gegenüber ausserordentlich verschiedenen Aufenthalts- und Funk- tions-Heterogenität, sowohl freilebend, wie in Säcken, Blattrollen, Blatthäuten, Halmen, Früchten, Baumschwämmen, Wurzeln, Zweigen, Stämmen, Vogelnestern, an Kleidungsstoffen, Knochenabfällen, im Kehricht, im Mulm, Mehl, Getreide, in Bienenstöcken, am Fett, wie i) Gewisse Psychen -Raupen brauchen, namentlich im Norden, 2 — 3 Jahre zum Aufwuchs; der Falter lebt dann nur einige Stunden eines Tages. — 181 — unter Wasser, „keine irgendwie durchgreifende Veränderung der ty- „pischeu Zusammensetzung des Körpers erlitten, noch um kein ein- „ziges Segment verringert oder vermehrt" (Studien S. 196) erscheinen, noch immer Schmetterlings-Raupen geblieben sind, trotz- dem ihre hunderttausendfache, stets in unfassbarer Individuenmenge vorhandene Arteuverschiedenheit beliebige Hundertjahrtausende durch- schritt, so spricht auch dies unwiderleglich für eine beste- hende organische Ordnung oberhalb der sogenannten Anpassung — oder für eine total sinnlose Impotenz der Selektion gerade nach dieser einen Richtung. Nicht eines der typischen zwölf Segmente ist auch nur unpro- portional zur Gesammtfigur gestreckt, obschon die festsitzende Raupe nach Abweidung ihrer Haftstelle sich zuerst reckt und dehnt, um ein anderes Blatt zu erreichen, und nur wenn dies vergeblich ist, sich zum schreitenden Füsseheben bequemt. Aestelange Raupen wären zu erwarten von der Selektion, denn an Vegetation mangelt es noch lange nicht, und an Bereitwilligkeit zum Fressen, und an Trägheit im Bewegen ebenfalls nicht. Ebensowenig aber hätte die Selektion die Grösse der Raupe aus histogenischen und morphologischen Ursachen unberührt gelassen, denn einestheils sind die zwölf segmentigen Raupengrössen von 5 Millimeter an bis zum zwanzig- und dreissigfachen dieser Grösse vorhanden, und anderntheils findet sich unter verwandten Formen anderer Insektenklassen diese zwölfsegmentäre Ordnung nicht durchgängig beibehalten, sondern die Zahl der Seg- mente wandelt, z. B. bei den Larven der Zweiflügler zwischen 12, 13 und 14. Dieses Respektiren der Zwölf- Segmentation bei etwa 100 000 verschiedenen Arten von Schmetterlingsraupen aller Grössen und Zonen, — wenigstens sind Ausnahmen nicht bekannt, — ist aber ein abermaliger dringender Einspruch gegen die Praxis und Konsequenz einer Zuchtwahl, denn es wäre ein mechanisch unverständlicher Vor- gang, wenn die Selektion diese Raupen wohl bis auf solche segmen- täre Proportion herangezogen hätte, dann aber allein an der ausser- ordentlich mannigfaltigen Umformung der Fortbewegungsorgane und der Segment-Dekoration arbeitete. Innerhalb einer atomhaften, kreuzungs-, rückschlags-, rückglei- tungs-wirren Akkumulation wäre der plötzliche Abschluss resp. Gut- befund, die Etablirung einer, der eigenen Motivität wider- strebenden Gesetzmässigkeit resp. eines morphologischen Monopols der Ziffer „Zwölf" effektiv widersinnig. — 182 — Ebenso unerklärlich zu den Konsequenzen der Selektionshypo- these finde ich, wie es die Raupen trotz ihrer vermeintlichen „sehr uniformen Lebensbedingungen", doch zu auffälligen Unterschie- den inderFusszahl bringen konnten, und zwar ohne dass die genuinen Unterschiede zwischen ihnen und denjenigen Larven der Hymenopteren und Phryganiden, welche gleiche Lebensweise mit ihnen führen, angegriffen wurden. Noch klarer aber ist die darwinistische Mechanik der Anpas- sung widerlegt durch die grosse Verschiedenheit der inner- halb von Blättern minirenden Raupen, z. B. von Phyllocnistis, Cemiostoma und Neyticula. Alle Raupen dieser 3 Gattungen miniren zwischen Blatthäuten; dennoch aber stellen diese als Falter etwa im Werthe der Sphingiden- Gruppe nahe verwandten, als Raupe oft unter denkbar übereinstimmendsten Verhältnissen lebenden, wunderbar prächtigen Kleinschmetterlinge, bezüglich derLarv^n- füsse nahezu die extremsten Verhältnisse der Insekten- welt her. Denn die Raupen von Phyllocnistis sind fusslos, die von Ce- miostoma haben 16, diejenigen von Nepticula aber sogar 18 Füsse! Dabei verlässt die fusslose Raupe der ersten Gattung die Blatt- mine überhaupt nicht, die 18füssigen theilweise nur zur Verpuppung, doch verpuppen sich mindestens zwei Arten derselben, und unter den IGfüssigen Arten eine, ebenfalls sofort im Blatt. Das Bedeutungsvollste aber besteht noch darin, dass sowohl die fusslosen, wie die 16- und iSfüssigen Raupen, wäh- rend derselben Jahreszeit in den Blättern derselben Pflan- zenart allenthalben miniren, wobei die fusslosen Raupen aller- dings sehr flache Minen herstellen, die 16- und 18füssigen aber auch zum Theil in ähnlichen flachen, zum Theil in weiten blasigen und blättrigen Minen leben, gleichviel welcher Körperform und Fusszahl. So lebt z. B. in Pappelblättern während derselben Mo- nate die fusslose Raupe von Phyllocnistis Suffnsella mit der 16füssigen Cemiostoma Susinella und den 18füssigen Nepti- cula Turhidella, Hannoverella, Trimaculella, Asimilella-, ferner lebt in glattblättrigen "Weiden nebeneinander die fusslose Phyllocnistis Saligna und die extrem l8-füssigen Nepticula Jntimeüa und Wockeella; und mehrere 16füssige Cemiostoma- Arten miniren theils in sehr verschiedenen Pflanzenblättern, theils in denselben Blattarten wie die ISfüssigen Nepticula. Weder für die ausserordentlichen Organisations-Differenzen, noch für die Verschiedenheiten der biologischen Techniken dieser gleich- — 183 — artig aufwachsenden Minutien- Larven, bieten also die äusseren An- stösse irgend Anhalt noch Erkennen zu Gunsten der Selektions- theorie, und nicht wie die „Studien" S. 201 abermals gesperrt ver- sichern, „verhält sich alles genau so wie es sich selektionslogisch verhalten müsste," sondern im Gegentheil, wir finden Weis- manns sogenannte „I'nkongruenzen", auch zur Transfor- mationslehre selbst, auf zwingendstem, unausweichbar" stem Selektionsterrain. Was man für solche Fälle nun auch an Ausflüchten, etwa von „ungleichen phyletischen Umbildungsstufen", von „indifferenten Cha- rakteren", „vom Mangel an Kenntniss der einstigen Lebensweise", oder „der Embryonalstadien" vorbringen möchte, lasse ich nach so vielseitiger Niederlage der bez. gegnerischen Hülfsthesen vorerst ruhig unbesprochen. Dafür wende ich mich zur Darlegung der ferneren darwinisti- schen unüberwindlichen Schwierigkeit, welche gerade in der auf- rechten Flügelhaltung der Tagfalter ruht, die W. so arglos für seine Richtung zitirt. Gegenüber diesem gemeinsamen Charakter der Flügelhaltung, aus welchem der Darwinianer auf gemeinsamen Ursprung schliessen muss, erhält er aber die unlösbare Aufgabe, zu erklären, wie und warum die Selektion diese uniforme Haltung beibehalten konnte gänzlich unmodifizirt bis auf wenige Ausnahme- fälle, während sie doch übrigens die Umformung in vieltausendfäl- tiger Spaltung und Verschiedenheit bewirkt, sich mit Umformung der vorderen Beine, mit der mühsamen Anzüchtung einer oft sehr kom- plizirten Schutzmusterung auf der Flügelrtickseite sekundär be- schäftigt haben müsste. Eine gleich unentbehrlich gute Schutzmanier für alle Tag- falterarten der Erde kann in der aufrechten Flügelhaltung, als kate- gorisch nicht behauptet werden von selektionstheoretischer Seite. Denn dann müsste die Zuchtwahl für die vielen tagfliegenden Hete- rozeren mit gesenkter Flügelhaltung beim Ruhen, parteiisch, inkorrekt gearbeitet haben. Es läge eine totale Unbegreiflichkeit der Selek- tionsmaschiuerie vor, wenn sie den tagfliegenden Heterozeren nicht die den sogen. Rhopalozeren fast einhellig eigene Flügelhaltung zu- gebracht hätte, trotzdem sie im ersten Stadium nach der Geburt des Schmetterlings, wo sämmtliche Arten die Flügel tagfalter- artig senkrecht entfalten, nur zuzugreifen brauchte, um diese Haltung zu fixiren auch für die tagfliegenden Schwärmer, Spinner, Phalänen etc. etc. Gewiss bietet auch dieser Unterschied in der Flügelhaltung der — 184 — ruhenden Tagfalter gegenüber den übrigen Schmetterlingen eine sehr beachtenswerthe Thatsache zur Widerlegung der Selektionstheorie. Denn es darf als sicher angenommen werden, dass gleich den bereits vorliegenden tausendfältigen Wahrnehmungen, die sämmtlichen Schmetterlingsarten der Erdei) eine gewisse Zeit hindurch kurz nachdem Verlassen der Puppe die Flügel tagfalterartig senkrecht tra- gen resp. entwickeln. Dennoch und trotzdem die meisten Schmetterlinge im Tagesver- laufe vor Nacht, die arktischen Arten ja sämmtlich am Tage aus- schlüpfen, tragen von ungefähr 100 000 Schmetterlingsformen nur etwa 8000 die Flügel ruhend aufrecht und die Rückflächen schutzge- mustert; die übrigen ca. 92 000 aber tragen sie zurückgeschlagen oder wagerecht am Körper, unterseits zumeist eintönig korrespondirend oder neutral gefärbt und gezeichnet, ohne Anpassungsmuster, trotz- dem ausser den Rhopalozeren vielleicht noch 12 000 Arten von Hete- rozeren, unabhängig von Flügelform, Mangel oder Vorhandensein der sog. Haftborste, tagfliegend sind. Alle diese Erscheinungen, denen hier nur eine rasche Zitation gewidmet werden kann, widersprechen deutlich dem Vorhandensein einer natürlichen Auslese im darwinistischen Sinne. Zudem wäre die schützende Aehnlichkeit auch eines mit ausgebreiteten Flügeln, einer blauen, rothen, gelben, weissen oder bunten Blüthe gleich am Halme ruhenden Tagfalters, kaum von geringerer Qualität zu achten, wie seine naturgerechte, profilisch konturscharfe, aufrechte Flügel- haltung. Bei Witterungsunbilden behalten die Ta-gfalter ohnehin ihren freien Sitz oberhalb der Pflanzen nicht bei, sondern bergen sich tiefer, während die Spanner allezeit mit breiter Flügelfläche ruhend, sich während derselben Wetterschäden ebenfalls durchzubringen ver- stehen. Die universal-logische Ordnung der Natur nutzt innerhalb ihrer Wesenheiten alle Situationen, Gestalten und Normen aus, die in ihr vernunftgemäss möglich sind. Die Stud. gehen einzelne Schmetterlings-Gruppen, Familien und Gattungen durch, um die Abstufungen der Formen -Kongruenz und Inkongruenz zwischen Larven und Imagines zu erörtern. Sie finden (S. 185), „dass Inkongruenzen oder Ungleichheiten der Form-Ver- „wandtschaft zwischen Raupen und Faltern in allen Gruppen des „ Schmetterlings - Systems vorkommen, von der Varietät der Art an i) Speyer undMaassen taxiren dieselben auf 130 000, Kefet' stein auf 82 000. — 185 — „bis zu den Familien-Gruppen hinauf. Bald sind die Raupen zweier „systematischen Gruppen, z. B. zweier Arten, näher forraverwandt „als ihre Schmetterlinge oder umgekehrt, bald bilden die Raupen „andre systematische Gruppen als die Schmetterlinge." „Selbst im Formenkreis der Art fänden sich Inkongruenzen un- „gemein häufig. Bald seien die Imagines bei weitem näher formver- „wandt als die Raupen, bald umgekehrt; das Raupenstadium spalte „sich mitunter im Betrage von Artdifferenzen, während die Falter „von einander nicht zu unterscheiden seien. Am häufigsten seien „Inkongruenzen bei den Varietäten vorhanden, d. h. so, dass nur die „Raupe oder nur der Falter sich in Varietäten spalteten." Wenn wir oberflächlich mit dem Bilde rechnen, das uns äussere Färbungen bieten , so haben die Stud. wohl Recht , von mancherlei „Inkongruenzen" zu sprechen, Avelche die metamorphosischen Phasen einer systemsuchenden Kolonnenmonotone entgegenstellen. Diese scheinbaren Unangemessenheiten werden aber innerhalb des beweg- ten Alls dem schablonenhaften Systematisiren überall begegnen und finden sich näher unseren Verhältnissen bereits in den klimatisch- meteorologischen und Pflanzen- und Thier-Lebensterminlichen „Inkon- gruenzen" zur jeweiligen Umschwungsstadie resp. zu den einzelnen Jahresdaten des Erdballs. Die Beziehungen der einzelnen Jahres- daten zu den Thier- und Pflanzenlebensbildern dürfte sich nicht minder inkongruent systematisiren , als wie die metamorphosischen Variabilitäts-Komplikationen zu einander, deren scheinbare Unange- messenheiten nur in unserem Erkenntnissmangel der morpho- moti- vischen Ursache beruhen und sicherlich nicht erklärlich werden durch Unterlegung der natürlichen Auslese im Kampfe um's Dasein. Denn für die vielhundertttausendfältigen Verschiedenheiten der Strukturen, Färbungen und Zeichnungen der gesammten, für die tausendfältigen der lokal neben und durcheinander lebenden Insekten, sind gleichviele bedingende Verschiedenheiten der Einflüsse und Le- bensverhältnisse gegenwärtig nicht zu erkennen und zu kalkuliren. Für alle Wesen, die eine Sandwüste, ein Moor, eine Wiese, einen Acker, einen Wald, ein Gewässer bewohnen, sind die Existenzver- hältnisse, besonders der mit gleichen Ernähi'ungs- und Bewegungs- Organformen versehenen Gruppen, sowohl bezüglich der Erhaltung, wie Auffindung und Ausmerzung, doch so übereinstimmend, dass die Maschinerie einer Naturzüchtung nur mouoformiren könnte. Wenn Darwin selbst „dienaheBewerbung" gerade als den Haupt- motor der Transformirungen erklärt und als Nachweis hierfür z. B. das bessere Gedeihen einer gemischten Aussaat variabler Weizensorten gegenüber der Aussaat einer ungemischten einzigen Weizensorte anführt, — 186 — so scheint damit nur die Wahrnehmung einer proportionirenden Na- turgesetzlichkeit konstatirt. Denn eine Konsequenz der Selektion kann es unmög- lich sein, wenn unter denkbar übereinstimmendsten Verhältnissen nicht die Konzentration der Anpassung, sondern die Di- vergenz derselben existenzmehrend wirkte. Es ist ganz unver- ständlich, wie das Darwinsche Urprinzip alles Vorhandenen : „das Ueberleben des Passendsten im Kampfe um's Dasein", auch als Wahrheit das andere Prinzip: „die grösste Summe von Leben würde durch die grösste Differenzirung der Struktur vermittelt" i), neben sich vertragen soll. Die Auslese des Passendsten unter den Individuen erfolgt nach darwinistischer Anschauung durch die individuelle Konkur- renz beim Verkehr mit der Aussenwelt, und lediglich von deren Zustand, Wahrnehmung und Konsum hinge es also ab, was übrig bleibt als Bestes, oder was als unpassend ausgemerzt wird. Wenn gemischte Sämereien nun besser gedeihen als einartige, so kann sich allerdings eine Konkurrenz zwischen den Individuen der einzelnen Pflanzenarten markiren. Aber diese begründet sich auf die Beziehungen der verschiedenen Qualifikation, beziehentlich Kon- stitution der Samen zu den kleinsten Details des Bodens und der meteorologischen Einflüsse. Der Erfolg des einen deckt den Miss- erfolg des andern. Unter sich aber besteht die einzelne Samenart keinen transformirenden Kampf, sondern sie erliegt prozentual den- selben phj'sikalisch-chemischen Einflüssen, die ihrer Nachbarart even- tuell gleichgültig oder zuträglich sind. Eine Assoziation von Sämereien muss selbstverständlich unter sich diejenigen Eigenschaften mehren, welche die Komplikationen der Boden- und Witterungsverhältnisse zu balanciren ver- mögen. Es käme bei der Beurtheilung des Gedeihens und Bestandes einer gemischten Saat auch die Abwägung der absoluten Keimfähig- keit der einzelnen Samenkörner in Frage, d. h. der eine Same kann durch bessere Keimungsanlage selbst ersetzen, was der andre durch die ihm mehr zusagende Bodenqualität erlangt. Ein anderer Jahr- gang und anderer Boden können den Ausgleich wieder umgekehrt und doch mit gleichem Bestand-Resultat herstellen. Die darwiuistische Grundthese: „die nahe Bewerbung, die Kon- kurrenz zwischen den nächstverwandten Formen sei die wesentlichste Ursache von Transformationen und Artenspaltungen," findet, wie i) Darwin, Entstehung der Arten, S. 135. — 187 — schon a. a. 0. erörtert i), ihre generale Widerlegung bereits in der nach der Individuen-Zahl sich im Wesentlichen ausgleichen- den, in der Arten-Summe aber äusserst differirenden Bele- bungsmenge der arktischen und tropischen Zonen; denn hieraus erkennen wir, dass unter der oft immensen Belebungs- Monotone des Nordens die stete nahe Bewerbung die im Darwinismus fundamental bewerthete Wirkung nicht hat. Ob aber die Pflanzendecke hier aus zwerghaften Moosen, Haide- kräutern, Weiden und Birken, dort aus starrenden Kiesenkakteen, stolzen Farreu uud Palmen besteht, ob hier überwiegend Wolken kleiner Mücken, Tölpelkolonien oder Lemmingzüge, dort Heuschrecken- massen, Flamingoschwärme oder Gazellenheerden die Landschaft be- völkern, das kommt bei der Taxe der individuellen Bevölkerungs- werthe nicht in Frage. Individuum bleibt Individuum, Die Grössen- gestalt der einen Wesensorte, die unserm Auge imponirt gegenüber der verächtlich scheinenden Kleinheit der andern Art, liefert keine Qualität für die Schätzung des Existenzwerthes der Individuen an sich; nicht einmal in der rohen Relativität der verschiedenen Indi- viduen zu einander. Denn diejenige Individuen -Zahl, welche z. B. ein Löwe während seines Lebens vernichtete, zieht sein Leib, sein Dung, sein Kadaver in andrer Form wieder gross. Wenn Darwin meint, „wir könnten nur dunkel erkennen, warum „die Konkurrenz zwischen den verwandtesten Formen am heftigsten „sei, . . . würden aber wahrscheinlich nicht im Stande sein, genauer „anzugeben, wie es zugehe, dass in dem grossen Wettringen um's „Dasein die eine Form den Sieg über die andre gewonnen habe," so ist dieser Unsicherheit Darwins bezüglich der auslesenden transfor- mirenden Ursachen gegenüber zu bemerken, dass in unverkennbarer Konsequenz der Selektionstheorie die nahe Bewerbung, unter an- gepasst schutzgefärbten Thieren z. B., immer nur durch die feindlichen Einflüsse der Umgebung motivirt werden könnte. Nun bestehen, abgesehen hier vom primär selektions-de- mentirenden Sexualismus, mit seinen alle selektionsgiltigen Ak- kumulations-Einheitchen ungeheuer übertreffenden biomorphologischen Diflerenzgraden, innerhalb der allernächsten Verwandtschaften, inner- halb der Variabilität der einzelnen Art, in der Regel aber doch die kleinsten Verschiedenheiten, die geringsten Unterschiede von einander nach Habitus und Biomorphose, und wenn unter jeder i) Schilde, Gegen die Mancbestertheorie in der Schöpfung, Zeit- schrift f. ges. Naturw., Bd. L, Halle 1877. — 188 — der neben einander lebenden variablen Arten die passend- sten Individuen übrig bleiben sollen, so müsste die feindliche Aus- lese lediglich die Variations-Winzigkeiten innerhalb jeder Art bewerthen, die grösseren und grossen Differenzen zur Nachbar- art aber neutralisiren. Das wäre aber ein mechanischer Nonsens, und gerade recht deutlich bei den sogenannten sympathischen Anpassungs- Fär- bungen vieler Insekten sehen wir, dass die Darwinsche These von der „Transformation durch nahe Bewerbung" unmögliche Praktiken des natürlichen Verkehrs der Wesenheiten simulirt. Ziemlich ungern trete ich wieder zurück neben die Studien, zur Diskussion über die lediglich für deren Auffassung „inkongruente" Formenentwicklung. Die Taxirung des Aufbaues der Wesenheiten bedarf doch eines unendlich tiefen Eindringens und Erörterns von Fall zu Fall. Was aber die „Studien" in der vorliegenden Betrach- tung liefern, das kann nur dem ganz Uneingeweihten als „Arbeit" gelten; dem Fachmanne ist es nicht so viel werth, als etwa die Taxe und Beschreibung einer fernen Stadt nach dem Rauchdunste. Was kann es unserra Urtheil, was dem Fortschritt der Wissen- schaft Reales bieten, wenn nach der gelegentlichen oder örtlichen Farben-Variation eines oder weniger Dutzend Raupen, bei gleichzei- tiger relativer Färbungs-Konstanz von deren Faltern, alsbald „stim- mende Thatsachen" auf Abstammungs- und Wandlungs-Schlüsse für's ganze organisirte Weltall konstruirt werden, wo doch für jede ein- zelne Erscheinung und Bewerthung ein ausgleichendes Gegenüber zu finden ist. Die Induktionen der Stud. bilden zumeist nur Voraussetzungen und Behauptungen, die dem summarischen Ueberfliegen beliebig her- vorgezogener Erscheinungsgruppen voran- oder nachschreiten. Inner- halb eines steten Hin- und Herziehens der Gedanken und Schlüsse, ohne wirklich vorliegende Thatsachen, hält es schwer, in dem Thema über „sj'-stematische Inkongruenzen" neben ihnen auszuhalten, und man reservirt sich am besten beiseiten, um sie in ihrer eigenen Ver- wirrung einholen zu können. Die Absicht, die gegnerischerseits in der Antwort auf die Frage nach der Formverwandtschaft zwischen Raupe und Falter vorliegt, ist doch die, durch ungleiche Formabstände zwischen den metamorphosischen Stadien einer Art die selbständige Abänderung jedes einzelnen Stadiums durch Selektions- vorgänge darzustellen. Und die Absicht bei der Behauptung: „die Raupe lebe unter sehr uniformen, der Falter hingegen unter sehr wechselvollen Lebens- — 189 — Verhältnissen, ist wieder die, für den angeblich „ungemein uni- formen Bau der Raupen" die selektionslogische Begründung zu schaffen. Ich meine, wenn ich ein Streiter für die Selektionstheorie sein könnte, so würde ich sagen, die bedeutenden steten Wechsel der biomorphosen Widerstandsleistungen, welche die Raupe aktiv und passiv nach aussen und innen zu absolviren hat, stimmten ganz und gar zu ihrer ungemein wechselhaften Struktur, Form, Dekoration, Bewehrung, Funktionirung und Lebensdauer, und weil die Abwick- lung des Falterlebens an die Strapazen des Raupenlcbcns nicht heran- reiche, deshalb bleibe die immerhin herrliche Verschiedenheit der Faltererscheinungen biomorphologisch hinter der Struktur- und Or- namentirungs-Mannigfaltigkeit der Raupen zurück. Aber auch als Anhänger einer einheitlichen naturdirekten Ent- wicklungs-Gesetzmässigkeit, behaupte ich das naturnothwendige, das „erhaltungsmässige" (Möbius) Vorhandensein dieses Verhältnisses. Denn, wir haben Schmetterlinge mit 4 oder 6 ausgebildeten Beinen, sexuell flügellose, zwei-i) und vierfiüglige, Flügel und Fühler in mannigfaltiger Form und Ausschmückung, gelegentlich mit Taschen, Haft- und Duft-Büscheln und Warzen, den Leib bald nur staubig schuppenbelegt, bald in dichter Wollbekleidung, bald mit nackten Afterzangen, bald mit dekorativen Quastenbüscheln besetzt; Palpen in wunderbarer Formabwechslung, Saugtheile ebenfalls sehr verschieden. Aber wir haben andrerseits Raupen bald mit 10, mit 12, 14, 16 oder 18 Füssen, bald sogar ohne solche; das letzte Fusspaar auch allein mangelnd oder umgestaltet und emporgereckt, die Brustfüsse monströs verlängert, die Körpersegmente grotesk geformt, ausgedickt, oder behaart, bebüschelt, bebürstet, berudert, bestachelt, bedornt, bewarzt, bepudert, chagrinirt oder porzellanglatt, Stinkwülste, Stink- zapfen, Spritzspalten, Hörner am Kopfe, Züngelfäden am After, Brennhaare am Körper. Und während der Falter das Habit seines Geburtstages bis an's Ende trägt resp. abnützt, vollzieht die Raupe eine Reihe der oft überraschendsten Wechsel der Färbung und Or- namentirung. So erscheint z. B. die soeben noch einem Vogelexkre- mente täuschend ähnlich „angepasst" auf der Blattfläche ruhende Raupe von Acronycta Alni alsbald nach der Hautabstreifung in total veränderter, auffallend bunter Färbung und mit zierlichen ruder- förmigen Haaren besetzt, natürlich, wieder „angepasst" 2) nach Selek- 1) Diptüon Prittw., Eutom. Zeitg. 1870, S. 349. 2) Während der Ablagerung dieser Arbeit erschien, Stett, Ent. Zeitg. 1883, S. 419, Dr. Speyer"s Aufsatz über diese Raupe, worin die auflfällige Endfärbung der Alni-Raupe als „Trutzfärbung" etablirt — 190 — tionslogik, an derselben Stelle. Nocli bemerkenswerthere Trachten- wecbsel, mit täglichem Changement ohne Häutung, beobachtete Pieper bei exotischen Raupen i). Innerhalb der Raupenheere der Kleinschmetterlinge besteht frei- lich eine relativ bedeutende, naturbegründete Monotone der Formen und Dekorationen, aber die technischen Fertigkeiten der- selben übertreffen, so weit bekannt, diejenigen der Grossschmetterlings- Raupen im Ganzen an Mannigfaltigkeit. Auch steht der, durch die verdeckte Lebensweise der Kleinfalter- Raupen verursachten Ein- tönigkeit, eine oft ganz besonders herrliche, und in der direkt sichtbaren Natur zumeist einzig hier anzutreffende Mannigfaltig- keit der Farben- und Zeichnungs-Musterung derKleinfalterchen selbst gegenüber. Für die Differenzirung derselben durch Auslese im Kampfe um's Dasein fehlt aber jede Begrifflichkeit. Die oft nur dem bewaffneten Auge deutlichen Feinheiten der Musterwechsel durch alle Farben- und Metall- Abschattungen und Komplikationen hindurch, gestatten nirgends die Erkennung oder * vernunftgerechte Vermuthung eines auswählenden Konsums, einer nächstverwandtschaftlichen Bewerbung in der Daseins-Konkurreuz. Ihnen gegenüber geräth überhaupt die rein mechanische Auffassung der Schöpfung in Verfall, und die Anerkennung einer naturimmanenten Unmittelbarkeit von Wollen drängt sich total vernunftgerecht auf, trotz aller Auslegungs-Versuche zu Gunsten einzelner Produktivprozesse je nach dem naturkontaktischen Organismus. "Wohl giebt es begrenzte "Wahrnehmungen dafür, dass je nach dem Funktioniren, nach der Inbetriebhaltung eines organischen Theiles, die durch den Organismus sozusagen gefilterte, stoffwechselnde Materie gerade an der bewegten Stelle das Fördernde kontaktisch ausscheide, ablagere und zurücklasse, und so auf direkte Weise, angeregt, gereizt wird, unter der horrenden ,, Erklärung": diese ,, Trutzfärbung" habe sich sozusagen hinter dem Rücken der Älni-Konsumenten entwickelt, weil diese Thieren der allerverschiedensten Art nachstellen und sie frässen , und deshalb den schutzentwickelnden Veränderungen einer einzelnen Art keine schritthaltende Aufmerksamkeit schenken könnten. — Dass Herr Dr. Speyer bei solcher Beherrschung des darwinschen Ent- wicklungs-Gedankens ein hoher Lobredner Weismanns ist, erscheint begreiflich. Lässt er doch hier die Raupe ,,al]mälig" Trutzhabitus entwickeln, ohne dass deren akkumulirte Variationen, für das Auge, für die Auffiudungsleichtigkeit der Konsumenten Bedeutung hätten. Prosit solchen Verbündeten ! i) Stett. Eutom. Zeitg. 1876, S. 444. — 191 — und gezwungen durch die funktionelle Initiative des Individuums, das von demselben Geübte kumuliren wird; allein es lässt sich weder durch die Differenz des funktionalen Organismus, noch dnrcii histo- genisch-chemische Prozess-Verschiedenheiten begreifen , vvarum und wie derselbe blindlings umgesetzte Pflanzenstoff, der dort die Kuh aufbaut, hier ein nur liniengrosses Insekt, das nur im Dämmer überm Grase schwebt, in Purpur und Goldghmz kleiden kann, nacli tausend- fältiger Wechselkomplikation des Musters zwischen Artgenossen und Nachbarn. Die Studien schreiten über solche Erwägungen überlegungsbe- schwichtigt hinweg an der Hand des Darwinismus, dem ja andererseits die häufigen sj'^mpathischen Färbungen bei grösseren Wesen, die Angel- künste der Seeteufel, die Kommensalverbände, die rudimentären Organe etc. etc., handlichere, wenn auch weit vereinzelter hervorzu- suchende Stützpunkte gewähren — sollen. Auf Seite 186 flgd. erzielen sie das Resultat: „Am häufigsten „seien Inkongruenzen bei Varietäten ; auch im Formenkreis der Arten „fänden sich Inkongruenzen ungemein häufig, hingegen sei die Ueber- „einstimmung der Form-Verwandtschaft am vollständigsten im Bereicli „der Gattung." „Schon bei der Familie nähmen die Unregelmässig- „keiten wieder zu," „und in den Familien-Gruppen zeige sich eine „bedeutend gesteigerte Inkongruenz. Vollständige Uebereinstimmung „sei hier eher wieder zur Ausnahme geworden, und zwar fiele es „hier besonders auf, „„dass stets die Raupen es seien, welche „auf einer niederen Stufe gewissermassen zurückblieben,"" nur selten „durch gemeinsame Charaktere zu einer Gruppe höherer Ordnung „zusammenträten, Avie es bei den Faltern doch mehrfach geschähe." „Von vornherein sei es klar, liege auf flacher Hand, (!) dass alla „Fälle von Inkongruenz, von weiterem Form-Abstand des einen als „des anderen Stadiums, nur die Folge einer nicht genau parallel „laufenden phyletischen Entwicklung der beiden Stadien, Raupe und „Falter, sein könnten . . ., dass das eine Stadium öfter und stärker „abgeändert habe, als das andere." Zwei Blätter weiter, auf Seite 191, hingegen erklären die Studien: „bezüglich „„der ungleichen Abstände"" der Formverwandtschaft er- „gäbe sich, dass diese Form der Inkongruenz in der Ordnung der „Lepidopteren die Regel bei Varietäten bilde, sich noch sehr häufig „bei Arten finde, bei Gattungen beinahe vollständig verschwände, „und bei Familien und Familiengruppen überhaupt nicht mehr vor- „ komme." „In dem Maasse wie wir uns umfassenderen systematischen Grup- „pen zuwendeten, nähme die Inkongruenz ab, die Kongruenz zu, .... — 192 — „ denn es liege auch niclit der geringste Grund zu der Annahme „vor, „„dass lange Zeiträume hindurch immer nur die Raupen „oder immer nur die Schmetterlinge von Ahänderungsstössen getroffen „worden seien,"" sondern mit der Anzahl der sukzessiv sich häufen- „den Abänderungen werde sich der Unterschied in der Abänderungs- „ grosse beider Stadien relativ stets vermindern, bis er für uns ganz „verschwände." Wie gesagt, den breiteren phyletisch-sj'stematischen Ausführun- gen Weismanns, von denen Vorstehendes nur der von mir wie ich glaube im Wesentlichen richtig verstandene, aber um so schwerer in Einklang zu bringende Auszug ist, vermag ich nur unsicher zu folgen. Mich frappirt hauptsäclilich darin, dass es eingangs „die Raupen sein sollen, die innerhalb der Familien-Gruppen und progressiv deren grösserer Vereinigung stets als zurückgeblieben" erscheinen, während am Schluss soeben versichert wurde, „es fehle jeder Grund, dass .... immer nur die Falter vorwärts schritten ... je grösser die systematischen Gruppen seien, desto mehr schwände vielmehr die einseitige Abänderung, desto mehr ordneten sich die Abänderungs- stösse.zur Kongruenz der Formabstände." Wenn hierin nicht ein direkter Widerspruch liegt, so muss ich auf die Begreiflichkeit der bezüglichen Studien-Ideen verzichten, wie ich allerdings' bezüglich der „verschiedenen Formen von Inkongruenz", die W. vorschweben, ohnehin auf die begleitende Vertiefung resignire. Die Stud. finden die Raupen doch ausgesprochen als „stets zurückgeblieben" vor, und überhaupt „unter monotoneren Verhältnissen" lebend als wie die Falter. Hieraus könnte sich in der grössten Gruppirung aber doch niemals ein Ausgleich der Formabstände der zwei Endstadien, niemals eine Kongruenz Summiren, sondern die andauernde Differenz, die (angebliche) Mo- notone des Raupenlebens, müsste ein immer weiteres Aus- einandergehenderFormabstände zwischen Faltern und Raupen resultiren. Meiner Auffassung nach müsste die Summirung der ver- schiedenen Abänderungsstösse die Stadien sich immer mehr entfrem- den und auch die Abstände der Formverwandten von ihren korre- spondirenden Endstadien gegenseitig immer mehr verschieben und inkongruenter gestalten. Thatsächlich mangelt ja auch eine habituell scharfe Formgrenze beider Stadien der Schmetterlings-Metamorphose nach aussen, obschon die typische Qualität der Klassenumgrenzung organisatorisch ausge- drückt bleibt. Aber durch Fühlerdivergenzen, durch die niederge- legte Flügelhaltung, sodann durch das Auftreten der sogenannten — 193 — Haftborste auch in der Familie der Hesperiden, verliert die vou W. gemeinte Charakteristik der Tagfalter ihre kategorische Bedeutung. " Den Raupen aber fehlen die Flügel, obschon in ihrem Organis- mus die materielle Fundation sogar zu den siDätern Flügel- und Fühler- Spezialitäten unstreitig irgendwelche Dignität haben wird- Was die Raupen in Hinsicht auf den Flügelmangel in der Breite eintöniger gestaltet, das ersetzen sie durch Ornamentik des Körpers und durch Farbendekoration im Ganzen reichlich, während die blossen Körper der Falter an Mannigfaltigkeit hierbei weit zurück- bleiben. Und' wenn wir die Raupen und Falter insgesammt über- blicken, so stellt sich keineswegs eine scharfe Kongruenz der Klassen- begrenzung heraus, sondern es wird selbst die habituelle Scheidung von den anderen Inscktenklassen monirt; freilich in zum Ganzen der basiziten Monotone der Lebensverhältnisse verhältnissmässig so we- nigen und distinkt gruppirten Fällen, dass auch diese Wahrnehmun- gen nur zum Nachtheil der Selelrtionstheorie auslegbar sind. Wir kennen bereits die hierher gehörigen, einestheils fusslosen, anderntheils sogar ISfüssigen, an Hymenopteren-Larven erinnernden, blattminirenden Raupen und ich zitire noch die Falter der Gattung I^hri/c/anophilus , welche habituell und biologisch den Phryganiden ähneln. Wenn die Stud. lehren, die Inkongruenzform der ungleichen Ab- stände verschwinde beinahe vollständig bei Gattungen und komme bei Familien und Familien -Gruppen überhaupt nicht mehr vor, so vermag ich dem nicht beizustimmen. Denn dass auch innerhalb der Gattungen unter sich die verschiedensten Formbeziehungen bestehen, zeigt ein kurzer Ueberblick. Abgesehen von Grössendifferenzen und einigen wenig augenfäl- ligen äusserlichen Strukturverschiedenheiten, gleichen sich nämlich die bekannten, allerdings auch fast sämmtlich eingeschlossen leben- den Raupen der Gattungen Castnia, Trochilium, Sciapteron, Sesia, Bemhecia., Paranthrene , Hepialus, Zeuzera, Cossiis, Nonagria, Senta, Meliana^ Calamia, Leucania, Gortyna, Hydroecia, Asopia, Schoenobius, Chilo, Crambus, Carpocapsa, Tinea habituell durch- gängig mehr, als sich z. B. gegenseitig manche Raupenarten der ein- zelnen Gattung Fapilio oder Vanessa, oder Deilephila, Notodonta, Äcronycta, Cucidlia, Eupiihecia oder Botys gleichen. In den Falterformen äusserst abweichende Gattungen haben demnach alle mit einander ähnlichere Raupenfor- men, als die einzelnen Arten in mancher Gattung, und die Ungleichheit der Abstände ist auch, die Gattungen summarisch mit einander verglichen, ganz prägnant. 13 — 194 — Dass die Uebereinstimmuug aller obigen Raupengattungeu keine „Konvergenz" im selektionstheoretischen Sinne ist, lässt sich gründ- lich nachweisen, doch mangelt hier der Raum dazu. Der einiger- massen Nachdenkende wird bald finden, dass bereits die ausnahms- lose „Konvergenz", die repetitionsverniittlungs- und rückschlaglose Formübereinstimmung aller „gegenwärtig" innerhalb diverser Pflan- zenstoffe lebender Raupenarten verschiedenster Gattung selektions- widrig ist. Diese Inkongruenz der Endstadien ganzer Gattungen findet sich aber auch zwischen Gliedern der freilebenden Gattungen Papilio, Parnassius^ Zygaena, Gastropacha und CucuUia, deren Raupen mehrfach einen sehr ähnlichen Habitus zeigen, — man vergleiche Papilio Machaon, Parnassius Mnemosyne, Zygaena Exulans, Gastropacha Crataegi — Arhusculac — Lanestris und Cucullia Liucifuga, — während die Imagines ganz extreme Formen darstellen. Aehnliche Beziehungen wirren systematisch zwischen den Gattungen Plusia, Toococampa , Brephos und mehreren Geometriden; weitere Fälle von Inkongruenzen, sogar zwischen dem Grosso von Familien- gruppen, ergeben sich zwischen den Sphingiden einerseits und in- dromis, resp. auch Bomhyx Mori (Seidenraupe), Notodonta Tre- pida und Dictaea andrerseits, zwischen Zymatophoriden, Xyliniden und Kukulliden, zwischen Lipariden und Akronyktiden, zwischen Li- thosiiden und Arktioideen. Wie gesagt, die Erörterung dieser systematischen Beziehungen bildet eine Riesenaufgabe für sich, die auf dem studien-spekulativen Nebenwege nicht gelöst werden kann. Dr. Rösslen) diskutirt hierzu interessante Gesichtspunkte, welche auf Okenscher Basis ganz andere als selektions- deszendenzliche Natur -Verwandtschaften und Ordnungs-Verhältnisse prüfungswürdig erscheinen lassen. Ich selbst vermuthe in den etwa hunderttausend verschiedenen Schmetterlihgsarten naturgesetzlich Verwandte, d. h. durch ähnliche Bedingungen aus ähnlichen Keimen und Vorfahren naturnothwendig ähnlich Erzeugte und durch differente Einflüsse aus dem bewegten Kosmos heraus periodisch und lokal naturdirekt Transformirte. Denn ich begreife nicht, warum und wie auf dem grenzenunsicheren orga- nischen Gebiete andere Entstehungsgesetze gelten könnten und sollten, als wie auf anorganischen und phänomenalen. Bereits die patholo- gischen Rekompletirungen und anpassenden Neubildungen im Orga- nismenreiche beweisen mir das naturimmanente Urgeschick des Er- zeugens. i) Jahrbücher des Nassauischen Vereins f. Naturkunde, 1880, 1882, — 195 — Die Fornienreihuiigen des Naturschaffens scheinen unabhängig von den Deszendenz -Stammbäumen der Transmutations- Theoretiker zu sein. Dafür spricht die im Normalen der Naturvorgänge auf die distinkte Art beschränkte Kopulation, während eine gelegentliche Mesallianz und selbst eine erhaltungsförderliche Kreuzung zwischen auf ähnlichem Naturaufbau beruhenden Organismen begreiflicher ist, als wie zwischen durch Selektion langsam gespaltenen Formen. Darwins umfassende Erörterungen über dieses Thema konsta- tiren gerade das Vorhandensein noch unerkannter Naturgesetztheile und organischer Beziehungen, und nirgends offenbart sich eine Wahr- scheinlichkeit für den Einfluss von Zuchtwahl an sich, auf sexuale Effekte, sondern die bemerkbaren Degenerationen durch strenge In- zucht und die regenerirenden Kreuzungserfolge zwischen den Rassen oder den getrennten Zuchtstämmen domestizirter Thiere und Pflanzen konstatiren und kopiren nur die im sexualen Verkehr der freien Natur gesetzte Praxis der Arterhaltung, nicht aber das Direktive und den Grund derselben. Läge in den Kreuzungserfolgen Zuchtwahl zu Grunde, so müsste in dessen Konsequenz die Nützlichkeit der Kreuzung, durch Zuchtwahl immer weitergreifend werden und schliesslich einer unbeschränkten Kopulation und kreuzenden Be- fruchtung aller mit allen nahekommen, Hybride Kopulationseffekte erfolgen bekanntlich oftmals nur durch die Kreuzung in bestimmter Geschlechtsvertretung der kopu- lirenden zwei Arten, versagen aber bei in den Geschlechtsfaktoren verwechselter Begattung. Auch hieraus scheint ein Absolutismus im sexualen Kontakts -Prinzipe, eine strenge Naturnothwendigkeit der männlichen und weiblichen gegenseitigen Beziehungen und Negationen angedeutet. Diese Naturgesetzlichkeit scheint aber auch weiter sogar als direkt formbildend dadurch manifestirt, dass in den Fällen er- folgreicher Arten-Kreuzung, die Form-Justirung der Sexual- organe beider Geschlechter für einander alsbald naturdirekt geliefert wird, selbst wenn der Erfolg des Kreuzungsaktes von be- stimmter Geschlechtsvertretung der kopulirenden zweierlei Arten ab- hängt. Wenn für den Zeugungseffekt in Kreuzungsfällen eine bestimmte Geschlechtsvertretung der kopulirenden zwei Arten bedingend ist, die umgekehrte Geschlechtsvertretung hingegen resultatlos bleibt, so dürfte man, mechanisch beurtheilt, wohl auch erwarten, dass erstere Kopulation nur eines der beiden Geschlechter hervorbringe. Wenn aber dennoch die Herstellung der hybriden Form alsbald bis zur 13* — 196 — Perfektiouirung der neuen modifizirten Sexualfunktionäre in beiden Geschlechtern erfolgt, so scheint mir ein naturdirektes Ordnungsver- liältniss auch für die Sexual-Kontakte dargelegt, das durch die öfters vorhandenen sterilen, oder verkümmerte Fortpflanzungsorgane zeigen- den Bastarde, nur an Wahrscheinlichkeit gewinnt. Nachdem man sich dozirend an die trockene Wahrnehmung und Diskussion des Kreislaufs der Stoffe und ihrer kosmischen Aequiva- lenz, sowie der Struktur-Gravitation des Weltganzen gewöhnt hat, ohne doch irgendwie den letzten Grund dieser majestcätischen Unab- änderlichkeit im All zu kennen, so hätte man logisch auch keinen Grund, die sexualen Anpassungs- Normen und Aequivalenzen als natur direkte unmöglich zu finden, erst sekundär begreifen zu wollen. Wenn die von W. behauptete Art der ganz selbstständigen, zu- sammenhanglosen Abänderung des einen Stadiums stattfände, so müssten Kopulationen zwischen habituell kaum unterschiedenen, nur im Kaupenstadium deutlich getrennten Schmetterlingsarten immer zu beobachten sein. Welche geringen, oft nicht sicher zu konstatiren- den Unterschiede bestehen z. B. zwischen den verschiedenen Falter- arten der Gattungen CoUas, Pierls, Vanessa, Argynnis, Melitaea, Liycaena, Eur.ehia, Deilephila, Sesia, Zygaena, Acrom/cta, Xy- lina, Cucullia, Acidalia, Cidaria, Eupithecia u. s. w. , und den- noch fehlt jede Wahrnehmung von transformirenden oder nivelliren- den Kreuzungsfällen, denn wo deren Vorkommen dann und wann einzeln bemerkt wurde, da hat solcher Fall phänomenaler Irrung bisher noch keine neue Formetablirung vollzogen und klargelegt. In Konsequenz der Studien -Thesen aber müssten dergleichen geradezu die Regel sein und alle Sicherheit in der Form der Falter- und Raupen -Erscheinung verwischen. Erklären sie doch (S. 192) ausdrücklich: „Varietäten, Arten und Gattungen unterscheiden sich „immer nur durch relative Kleinigkeiten, tiefgreifende Unterschiede „kämen hier nicht vor und die wahre Ursache hierfür liege darin, „dass alle Abänderung nur in kleinsten Schritten geschähe." ... „Bis „zur Gattung hin beruhe die Inkongruenz lediglich darauf, dass „das eine Stadium öfter abgeändert habe, als das andere, erst bei „der Familie, Familiengruppe etc. beruhe sie auf der Dig- „nität der von der Abänderung vorwiegend betroffenen Körper- „theile." ... „Abänderungen in kürzeren Bildungszeiten, wie sie zur „Bildung etwa von Gattungen an Flügeln und Beinen erforderlich „seien, wären in ihrer Gesammtheit doch noch viel zu „gering, als dass sie einen erheblichen korrelativen — 107 — „Einfluss auf den übrigen Bau des Köi'iiers ausüben „könnten." (!!) Ob die darwinistischen Applausoren der „Studien zur Deszen- denztheorie" diese Ausführungen wohl gelesen haben können? Es ist kaum glaublich, denn wir Gegner derselben brauchten wirklich nur diese Sätze Weismanns, um einen selektionstheoretischen Selbst- mord zu zeigen. In Konsequenz derselben ist es nämlich gar nicht ein- zusehen, warum und wie die Kopulation überhaupt nor- mal auf die distinkte Art beschränkt bleiben kann, warum die mechanisch, planlos von aussen erfolgenden, „bis zur Gattung „hin keinen erheblichen korrelativen Einfluss auf den Körperbau „ausübenden" Abänderungsstösse auf das Habit der Falter dennoch die Kopulations -Funktionäre berühren sollten. Die Flügelfarben, Zeichnungen und Anpassungen dürften sich nach den Stud. weit von einander entfernen, ohne dass ringsum der Fortpflanzungs -Ver- band-Organismus different würde i). Bei welchem Differenzgrade der Flügelumfärbung soll denn die zeitherige Kopulations-Möglichkeit endlich erlöschen?! Wie unend- lich geringe Fortschrittte werden doch der Zuchtwahl beige- legt! Sollen denn nun die Aenderungen der Fortpflanzungsorgane dieser Werthe Nummer Eins vorher oder gleichschrittig mit der nebensächlichen habituellen Inkongruenzen-Herstellung sekun- där-korrelativ stattfinden, oder soll deren Aenderung bei einem gewissen Aenderungstempo der Farbe plötzlich eintreten?! Ich darf einer weiteren Ausführung des Widersinnes, den die Konsequenzen der Studien-Thesen aufwickeln, entsagen; dem enragir- testen Selektions-Theoretiker muss mindestens die totale Hinfälligkeit der Weismannschen Begründungs -Versuche von Kongruenz und In- kongruenz einleuchten. Ich weiss sehr wohl, dass seine Thesen durch Darwins eigene Darlegungen speziell im Kreuzungs-Thema beziehungs- weise mit abgewiesen sind; allein es erscheint überhaupt als eine generale Monstrosität im Darwinismus, wenn dieselben aus einander abgezweigten Formen, denen allerlei Zuchtwahl ihre „distinkte" Qualität als Art allmälig separirt haben soll, später wieder Kreuzungen eingehen können, welche — nach Darwin selbst — für die Hybriden sogar erhaltungsför- derlich im Kampfe um's Dasein Avirken. i) Häckel contra Virchow, S. 19, erklärte bezüglich der Spe- ziesfrage der Kalkschwämme, dass deren Artunterscheidung zwischen 3 und 591 Spezies bei einer Gruppe schwanken könne. — 198 — Triumphirend verkünden die Darwin-Häckeliancv : „der Spezios- „begriff habe nur relative Geltung, beruhe auf subjektiver Abstrak- „tion, die guten Arten erzeugten fruchtbare Bastarde in „Kreuzungen!" Nun, es ist doch eine direkte Niederlage der Theorie von der natürlichen Akkumulation „des Passendsten" oder „des Neuesten" im Kampfe um's Dasein, nach darwinistischer Auslegung, wenn sich die innerhalb von Eeihen- Jahrtausenden natur mühsam separirten Arten nach Ablauf noch weiterer Zeitenungeheuer wieder vermischen und als Hybriden nun sogar besser stehen können, als wie die direkten Pensionäre einer unab- sehbaren Auslese des Passendsten! Speziell aber zum Weismannschen Thema gesprochen, so hob ich bereits die grosse Aehnlichkeit verschiedener Schmetterlingsarten hervor, deren Raupen konstant und augenfälliger von einander ab- weichen. Solche Verhältnisse zeigen u. a. Acronycta Psi, Cuspis und Tridens, Auricoma und JRumicis, CucuUia Umhraticä und Tanaceti, Argynnis Selene und Eiiphrosi/ne , Aglaja^ Niohe und Adippe, auch Melitaea Athalia, Aurelia und Dictynna. Die wahrnehmbaren Unterschiede dieser Faltergruppeu untereinander be- stehen nur in durch Variabilität sehr geringen Abstufungen von Farbentönen, während Zeichnungen, Körperverhältnisse, Flugzeiten und Flugterrains im Wesentlichen, und namentlich innerhalb der Variabilität, übereinstimmen. Während trotzdem hier niemals Bastar- dirungen konstatirt sind, treten besonders unter den aufgeführten Argynnis- und Melitaea- Axiew nicht allzuselten die merkwür- digsten Abirrungen der Färbung und Zeichnung auf, aber solche abnorme Habite, die dem betreffenden Thicre unter seinen Artgenossen eine ganz fremdartige Erscheinung geben, trifft man ohne Weiteres im Werbungsverkehr und im Begattungsverband mit normalen Artgenossen an. Wenn nun solche ausserordentliche habituelle Aenderungen die Reproduktions-Organe unberührt lassen, welcher andere ent- gegengesetzte Vorgang soll denn innerhalb der auf viel tau send Generationen vertheilten Akkumulation des Darwinismus irgend wenn in der Umwandlungsperiode Platz greifen? Und welche Werthe innerhalb des unübersehbaren Verlaufs einer allmäligen Formabzweigung sollten die nivellirendc Kopulation und Mischung der divergenten Spaltformen hemmen und sistiren? Auch die verschiedenen Raupen aller dieser bezüglichen Arten leben gleichzeitig auf denselben Pflanzen und oftmals auch an derselben Oertlichkeit; die äusseren Einflüsse sind — 100 — also cUu'chgängig für alle metamorpbosisclicn Stadien aller dieser m ö glich s t üb c r e i n s t i m m e n d. Aehnliclies brauchte man nur zu suchen, um die Beispiele massig zu häufen. Wie früher schon Fischer von Rössl er stamm, so machte "Wilde, in seinem auch von W. zitirten Raupenwerke, auf die Struktur-Verschiedenheiten der Puppen aufmerksam und bildet viele davon ab. Da finden sich nun am Kremaster der Pup- pen die verschiedensten Ausrüstungen von Spitzen, Haken und Börst- chen vor. Aber keineswegs ähneln sich diese Bildungen bei nahe- verwandten, gleiche Verhältnisse durchdauernden Arten immer am meisten, sondern wir sehen z. B. zwischen den Kremastei-häkchen der Leucania Sframinea und Ohsoleta^) einen wesentlichen Unter- schied in Form und Gruppirung der Börstchen, ja wir sehen diese Ausrüstung bei L. Straminea sogar nach dem Geschlecht differiren. Der Darwiuianer würde diese Afterspitzchen gewiss als ange- züchtete Hülfsapparate der Puppen beim Auslassen der Imagines zu erklären suchen, mittelst welcher die Puppe sich einstemmen und vorwärts bewegen kann, welches Funktioniren ja auch wahrschein- lich ist. Aber ich wählte diese dreierlei, resp. sogar sexuellen Ver- schiedenheiten bei den Puppen von zwei sich äusserst ähnlichen Schmetterlingen, die auch unter denkbar zwängend ähn- lichen Verhältnissen innerhalb von Schilf Stengeln ent- stehen, um die Herrschaft organischer innerer Bildungsgesetze abermals darzulegen. Wenn die von W. angenommeneu, Zusammenhang- und cntwicke- lungsgesetzlosen Abänderungsvorgänge durch eine selbstständige Vor- wärts- oder Rückwärts-Bewegung der Stadien mittelst planlos mecha- nischer Zuchtwahl stattfänden, so Hessen sich Fälle erwarten, wo sich z. B. das Raupenstadium selbstständig etablirte, indem es die in ihm ja vorhandenen Reproduktionskeime selbst zur Reife brächte. Ebenso könnten, wie schon erwähnt, die Reproduktionsorgane der heterogensten Imagines sich einander so nähern, dass eine Kopula- tion und Befruclitung möglich würde. Dass die Erfolge mancher Kunstzüchtungen diese Konsequenz nicht einlösen, bedarf keiner wei- teren Erklärung. Was aber noch ganz qualirizirt gegen die Selektion zeugt, das ist die streng geschiedene Form der Puppen je nach der Insekten -Ordnung. i) Wilde, System. Beschreib, d. Raupen, Berlin 1861, Taf. V. 21 a— f, Taf. VI, 36 a, b. — 200 — Die Puppen der Netzflügler (Neuroptera) bleiben lokomotions- fähige Wesen, die der Käfer (Coleoptera) sind passiv, aber die Glieder liegen zumeist frei, die Puppen der Schmetterlinge bergen sämmtlicbe Extremitäten unter einer festen geschlossenen Chitinschale, die Puppe der Hautflügler (Hymenoptera) ruht ähnlich wie die Käferpuppe freigegliedert, zumeist in einem Gehäuse, die Fliegen- (Diptera) Made aber wird gewöhnlich zur Puppe, indem ihre Haut zu einem tonncn- förmigcn Gehäuse erstarrt, innerhalb dessen nun die lose, nur mit einer ganz feinen Haut überzogene, fast gliederfreie Puppe übrig bleibt. Gewisse Familien der Ordnung der Zweiflügler liefern aller- dings freie bewegliche Puppen; deren Struktur und Image -Entlas- sung bildet aber immer wieder eine distinkte Erscheinung, gegenüber allen anderen Insekten-Puppen. Nun, unter genau denselben engen, zwingenden Ver- hältnissen finden sich in ein und demselben Baumschwamme die verschiedenen Puppengestalten eines Schmetterlings und einer Fliege beisammen, in demselben Bienenstocke Hymenopteren-, Lepidopteren-, Koleopteren- und Dipteren- Larven und Puppen, und so fort, im Ameisenhaufen, im Wespennest, in der Galle, in der Frucht. Selbst unter oder neben demselben Wasserspiegel, den die Neuropteren- oder die Mücken -Puppen wandernd durchgleiten oder obenauf be- segeln, ruht gliederlocker die Puppe des Wasserkäfers in Nähe der umpanzerten Puppe eines Wasserschmctterlings. Und so ruht auch die Falterpuppe in demselben Getreide- oder Mehl- haufen mit der Puppe des Käfers, in derselben Knochcn- ansammlung mit der Puppe der Fliege. Und in demselben Staubwinkel mit der Puppe des Flohes, in demselben Vogelneste zusammen mit Floh-, Käfer-, Fliegen- und Wespen-Puppen, leben die monomorphen Entwicklungs- Stadien von Wanzen und Asseini)- Es giebt wohl keine lebengestattende weite Weite, enge Enge, noch dichte Dichte, die der privilegirte Aufenthalt für nur ein und dieselbe Puppenform wäre, und wo der verschiedenen Ordnungs-Er- scheinung der typischen Puppenform ein konvergirender Zwang durch Selektion zugefügt wäre. Dass die Anhänger der Selektionslehre aber die Puppenform etwa für „indifferent" halten könnten, verwehrt zunächst die trotz der Formenmonotorie immerhin vorhandene individuelle Va- riation der Puppen, sodann die eigenthümliche Form vieler i) Cornelius, Vogelnester u. Insekten, Entom. Ztg. 1869, 407. — 201 — . Schnakenpuppen, welche allerdings an diejenige inauchcr Schmetter- linge, z. B, an Hepialiden- Puppen erinnert. Anderseits tritt in der kleinen Familie der Cochliopodae mit freier Gliederlage unter den Schmetterlingspuppen ein Anklang an die Puppen der Käfer auf. Aber weder diese noch die vorige Aehnliclikeit von Puppen aus verschiedenen Ordnungen, lässt sich als Konvergenz durch Zucht- wahl auf zwingende Lebensverhältnisse erklären ; es bestehen offenbar zahlreiche weit zwingendere Lebensverhältnisse, wo die verschiedenen Puppen doch den Typus ihrer Ordnungen dicht neben einander bewahren. Die Studien finden die Zuhilfenahme einer naturimmanenten Gesetzmässigkeit überflüssig zur Erklärung der von ihnen erörterten Erscheinungen, und weil sie die irrige Meinung hegen, das ganze Schöpfungswerk als eine einfache Additionshandlung dargelegt zu haben und ihre Ausblicke sich immer innerhalb der deszendenzlichen Transformations-Perspektive bewegen, so entdecken sie Inkongruenzen und gewissermassen Verworrenheit, wo doch Alles an seinem Platze ist. In dem auch vom Darwinismus anerkannten Vorhandensein von Lokalrassen, liegt wie mir scheint, der nächstfassliche Schlüssel zum Labaratorium der Natur. Wenn wir es klar um uns erblicken, dass die direkten klimatischen oder örtlichen oder terminlichen Verschieden- heiten und Wechsel dieselben Menschern), Thiere, Pflanzen, Früchte^ Gewässer und Phänomene umformen, resp. chemisch und optisch verändern, so können wir doch nicht lediglich aus Ungeduld über den uns übersichtlich zu kurzen Zeitraum zur Wahrnehmung allge- meinerer irdischer Umformungen, jene direkten «Hinweise als nichts- sagend betrachten. Die biomorphische Apparat- und Leistungs-Mannigfaltigkeit der Organisationen basirt doch allenthalben auf einem speziellen Orga- nismus, ist der Ausdruck eigenthümlicher innerer Komplikationen, Kontakte und Niederschläge aus der Weltmaterie. Wenn wir gelegentlich Babys mit Barten, Schulbuben als Rech- nen-, Zeichnen- oder Musik-Virtuosen unvermittelt auftauchen sehen oder die merkwürdigen physischen und psychischen Phänomene man- cher Krankheitserscheinungen, oder die auftretenden körperlichen Umwandlungen und die plötzlichen Wechsel instinktiver Funktionen bei translozii'ten Thieren beobachten, so wird uns doch angedeutet, welch' einschneidende Umwandlungen eine vielleicht nur geringe Ver- schiebung* der organischen Struktur-Komplikationen oder die körper- i) Nordaraerikanische Einwandrer nehmen mit der Zeit den Yankee- Typus, gestreckteren Hals etc. an. — 202 — liehe RückAvirkungs-Verschiedeiiheit schon auf eine leicht veränderte Naturumgebung liervorzubringen vermögen. Uebrigens bemerken wir unausgesetzt um uns, wie der spezielle Organismus für seine biomorphische Ausstattung den passendsten Platz, die zusagendste Verwendung sucht, und nicht exis- tenzgefährdet am unrechten Orte ausharren kann, bis ihm die Zucht- wahl in ihrer gefährlichen Langsamkeit eine Schutztraclit, Schutz- kraft oder biologische Manövrir-Talente akkumulativ ausgelesen hätte- Das nächstliegendste und einfachste Erläuterungsbild hierzu liefert bereits der selektionswidrige Aufenthalts- wechsel der Zug- und Wandervögel. Innerhalb einer ungeheu- eren Langsamkeit klimatischer Aenderungen könnte der Wandertrieb nicht entstehen resp. konservirt bleiben; sondern es müsste mittelst der Selektion eine allmälige Anpassung der Vögel an das langsam ändernde Klima erfolgen, um so mehr als nach von Home y er die jungen Vögel zum längeren Verweilen an ihrer Geburtsstätte hinneigen. Mit den Stud. bin ich darin allerdings einig, dass Vorgänge direkter Abänderungen eintreten. Alle Abnormitäten entstehen wohl durch mittelst unmittelbarer Natureinflüsse oder mittelst Kopulation eingetretener Kon stellations -Verrückungen des Organismus. Auch kann durch Kreuzung aufeinandertreffender Lokalrassen örtliche Variabilität erzeugt werden. Immer aber wird im Naturzustande die Art -Vibration abhängen von den gesammtphysischen Normen, von den Bewegungen der Materie, und nichts Organisches wird emanzi- pirt, gehäuft oder unterdrückt, nichts wird verschoben werden in der einzelnen Art, so lange nicht ein Wandel, eine Versetzung, entweder der Art oder im grösseren Naturganzen eintritt. Im Monismus, zur Wahrheit eines einheitlich bewegten Welt- ganzen, erscheint Darwins Transmutationsmotor, „die natürliche Aus- lese" überhaupt als dualistisch, und als prinzipieller Nonsens. Denn Niemand vermag logisch zu fassen, wie ein unaufhör- liches, allgemein variables Naturerzeugen durch eigene Konkurrenz unter sich, eine Auswahl des Passendsten, eine Wesenförderung, einen Weltfortschritt erzielen sollte. Geräth und arbeitet Alles ringsum organisch mangelhaft und verbesserungsbedürftig, so variirt noth wendig auch allenthal- ben je nach dem Individuum, die Bewerthungs- und Aus- lese-Fähigkeit, es erscheint dem Einen gut oder überlegen, was der Andre verwirft oder bewältigt, die relativ falschen Talente bevorzugen relativ schlechte Gegenüber, aber was sie verwerfen, gilt andern für gut. Wenn Alles hüben wie drüben und ringsum biomorphisch von — 203 — einander abhängen, aus einander resultiren soll, Alles miteinander aber in Struktur, Habit und Funktionsfertigkeit individuell variirt, so kann die gegenseitige Ausmerzung diese Variation nur aufrecht erhalten, denn jede individuelle Abweichung wäre durch ein begegnendes oder auch nur bezüglich vertretenes, variables Ge- genüber, existenzvollwerthig! Die Variabilität kennt keine absolute Talentirung, sondern sie dient der Gleich w er thigkeit und. Balance der verkehrenden Einzelheiten zum Ganzen. Eine variable Art würde sowohl selbst variabel aus- merzen, als auch vom variablen Gegenüber nach verschie- denem Geschmack oder Talent ausgemerzt werden. Sonach halte ich die Selektion innerhalb der Variabilität der Arten, durch die eigene Praxis als transmutorisch impo- tent. Die Variabilität, die Ungleichheit der Strukturen, Trachten, Geschmäcke, Sensioneu und Talente hüben wie drtfben und ringsum, kann die Einzelheit nicht begün- stigen und verbessern. Die Auslese im Kampfe um's Dasein ist gerade so variabel, als wie eben der Existenzen-Status individuell variabel ist. Wir gehen nun über zur Begleitung der Studien bei ihrer Be- sprechung der InkongTuenzeii bei Hymeiiopteren und werde ich mich in dieser weniger durchsichteten Familien-Gruppe zumeist an das von W. Produzirte halten, was zur Vorlage auch ausreichen wird. „So strukturähnlich deren Imagines durchgängig seien, so be- deutende Form- und organische Funktions-Differenzen zeigten deren Larven." „Der eine Typus ist raupenartig mit Füssen und beissenden Mundtheilen ausgestattet und unterscheidet sich von den Schniettcr- lingsraupen äusserlich besonders nur durch den, anstatt wie bei jenen in 12, hier in 13 Segmente getheilten Körper und durch eine andere Zahlenordnung und Form der Bauchfüsse." „Der andere Typus ist madenförmig, ohne hornigen Kopf, ohne die drei typischen Insekten-Kiefernpaare und fusslos. Auch die Zahl der Leibringe wechselt zwischen 10, 12, 13 und 14; ebenso wechselt die Darm-Ausstattung des Leibesinnern, den madenförmigen Larven fehlt sogar die Afteröffnung (?) und auch die Tracheen- und Nerven- systeme sollen mit jenen nicht vollständig übereinstimmen." Die Ordnung der Hymenopteren bietet also für ein scheraatisi- rendes System sogenannte Inkongruenzen dar; dass der morpholo- gische Ordnungs-Zusanmienhang fehle, wie W. (S: 202) sagt, ist — 204 — nicht meine Meinung, denn hierfür existirt nicht etwa ein korrekitivcs Schema unsrer Taxe, sondern jeder ni et amorp hosische Zusam- menhang der individuellen Formen ist eben echt morpho- logisch und histiologisch. Die Stud. stellen die Frage, „ob es denkbar sei, dass die Ima- gines der Hj^menopteren sich nur zufällig so ähnlich sähen, in Wahrheit aber von ganz verschiedenen Stammformen aus sich ge- bildet hätten?" und beantworten sie mit: „Nein." „Schon aus dem „Bau der Imagines Messe sich mit grosser Wahrscheinlichkeit ein „gemeinsamer Ursprung aller Hymenoptera ableiten. Zur Gewissheit „würde dieser aber durch die embryonalen Rekapitulationen der „Biene, deren Maden-Embryo kurze Zeit die Ansätze des typischen „Raupenkopfes und an den vordersten Leibessegmenten die drei „typischen Beinpaare in ihren allen Insektenlarven gemeinsamen An- „sätzen in Gestalt rundlicher Blätter aufwiesen." „Hierdurch sei die gemeinsame Herleitung aller Hymenoptera „aus einer gemeinsamen Wurzel, von Larven, die im Allgemeinen „den Bau der heutigen Blattwespenlarven besassen, sichergestellt." Hierzu erlaube ich mir vorerst die Gegenfrage: Ist es ver- nunftgemäss begreiflich und denkbar, dass die sämmtlichen Hymenopteren der Erde in ihrer — nach von Kiesen wetters Taxe — mehrhunderttausendfachen Verschiedenheit, aus ein und derselben Stammform allmälig abgezweigt sein sollen? Und mir scheint, dass die reell überdachte Antwort hierauf sicherlich eben- falls „Nein" lauten muss. Für jeden unbefangenen Begriff ist es ganz unfassbar, dass ein gesetzloses Durcheinanderringen und biomorphisches Uebervortheilen innerhalb einer im Zeitlaufe vielmillionenfältigen Formen-Transmu- tation als Avance-Resultat die vorhandene Gleichförmigkeit des Hymenoptereu-Typus hervorbringen und nur mehrhundert- tausendfach differenzirt beibehalten haben könnte. Keine Insektenklasse der Erde und ganz besonders .die Imagines der Schmetterlinge nicht, verrichtet als entwickelte Form so mannigfaltige und oft wunderbare Arbeiten, als wie die Hymenoptera, beschäftigt sich so vielseitig ober- und unterirdisch wie diese. Für die charakteristische Frage der Stud., ob sich alle Hyme- nopteren „zufällig" so ähnlich seien, findet sich freilich keine wissen- schaftliche Beantwortung. Es ist ja aber gerade die Theorie des Darwinismus, alle Klassen von Organismen aus einer oder aus wenigen Formen durch Bevorzugung und Spaltung von „zufälligen" Varie- täten „zufällig" hervorgegangen zu erklären, und hiergegen gestattet — 205 — sich als vergleichender Einwand — abgesehen davon, dass selbst die „Studien" die „Zufälligkeit" primär aber nicht sekundär estimiren — vorerst nur der Hinweis auf die anorganischen und phänomenalen "Welterscheinungen. Ich meine nämlich, ebenso wie wir sehen, dass sich z. B, der Diamant im Ural, am Kap und in Brasilien, das Gold in Lappland, in Australien und in Kalifornien, der Graphit in Sibirien, auf Ceylon und in England, Granite, Basalte etc. etc. an den verschiedensten Oertiichkeiten der Erde nicht „zufällig", wohl aber streng naturdirekt, naturnothwendig und dennoch different von einander bilden konnten, oder wie im weitesten Weltenraum die verschiedensten Weltkörperformen sich im Grossen doch aus und zu den verschiedensten Systemformen ähnlich entwickeln, ebenso darf auch für die getrennte Entwicklung der Organismen die Geltung dieser Logik des Naturerzeugens nicht geleugnet werden, zu Gunsten einer neuen Bewegungsmechanik, die auf anorganischem. Gebiete, auf der Basis oder Wechselfolge der organischen Welt, durchaus feiilt, und deren einestheils artenspaltig progressives, anderntheils generisch konservatives und embryonal sogar stabiles Eesultiren, in dieser dreiseitigen Divergenz als ein mechanisches völlig unbegreiflich wäre. Keine Unwahrscheinlichkeit kann grösser sein als die, dass sich Hunderttausende verschiedener Arten, und mit den ausgestorbenen: Millionen, aus einer Stammform entwickeln, mechanisch und ziellos und alle nebeneinander doch parallel dem Typus der Hymenoptereu gerathen könnten. Wohl aber finden wir in dem einheitlichen Entstehen und Auf- bauen der Weltkörperformen die naturdirekte Normirung jeder Form- bildung erkennbar und diese Gesetzlichkeit der Entwicklungsvor- gänge kann bei den, ohnehin unsicher begrenzten Organismen die Giltigkeit nicht verlieren. Zeigt uns das Spektrum an fernen Welt- nebeln die Theile unserer Erdfeste noch als glühende Gase vertreten, so dürfen wir angedeutet finden, dass jene Gase gewisse Embryonal- stadien aller Welten rekapituliren, dass sie die Zelle, Furchung, die Kiemen unserer eigenen Entwicklungsstufen s. z. s. vertreten und dass im fernen Weltenraum wie im Mutterschoosse embryonal nichts anderes vollzogen und aufgenommen sein kann, als der ewige natur- kategorische Entwicklungsverlauf der Formen. Eine Weltordnung, die nur auf dem Gebiete des Anorganischen (diesen Humativen der Organismen) direkt und einheitlich ist, die organisirende Weiterentwicklung bis zur Akkumulation des — 206 — weltsondirenden Menschengeistes, bis zur höchsten Potenz irdischer Wesenheit, aber einer Existenzenreibung, einer Ueberbie- tungspraxis der guten und schlechten Selbsthilfen ihrer eige- nen ersten Wesenansätze überlässt und was diese schlau und blöde sich im Daseinsschacher gegenseitig „akkumulii'ten" an Formen-Ge- winn und Wandel, nun aus grossväterlicher Willfährigkeit in anek- dotisch silhouettirten Embryos Stoff liefernd nach- und mit- macht : das ist die Weltordnuug der darwinistischen Natureinheit, der selektionstheoretische Zwitter-Monismus — aber nimmermehr die unergründliche, endlos-einheitliche und unfehlbar direkte Natur-Majestät, an welche ich glaube, von welcher ich völlig überzeugt bin durch Erfahrung und Denken, dabei wohl einsehend, dass die physischen Komplikationen der bekannten Gegen- wart an sich allein die Kausalitätsfälle für die gesammte Wesen- Mannigfaltigkeit nicht zu liefern vermögen, sondern dass die Physis nur die Phänomenal-Aktion einer unerforschlichen Grundkraft sein kann, die im Materialen zeugend ruht und entweder form-auto- logisch ist oder kontaktisch Formwille und autoplastisch wird. Die Studien beginnen die Begründung ihrer Ansicht über die Formursachen wieder in ihrer eigenen Weise. Sie meinen, der Grund für die Inkongruenz des morphologischen Systems der Hymenopteren sei nicht schwer zu finden: „die Lebensbedingungen der Ima- „gines wichen ungleich schwächer von einander ab, als „die der Larven!" „Alle Hymenopteren lebten hauptsächlich in „der Luft, im Fluge, alle am Tage und auch in der Ernährungs- „ weise seien keine allzuweiten Unterschiede bemerkbar." „Ihre Larven aber lebten unter fast diametral ent- „gegengesetzten Verhältnissen; diejenige der Pflanzenwes- „pen lebten nach Raupenart auf oder in Pflanzen, in beiden Fällen „stets auf ihre eigene Lokomotion zur Erreichung und auf ihre Kau- „werkzeuge zur Verkleinerung der Nahrung angewiesen. Die Larven „der übrigen Hymenopteren aber bedürften sämmtlich keiner Orts- „bewegung und keiner Zerkleinerungswerkzeuge, um ihre Nahrung „zu erreichen und um sie zu geniessen, denn theils würden sie, wie „die Bienen und Raupenwespen, in Zellen gefüttert, theils saugten „sie, in Pflanzengallen oder Thierkörpern lebend, deren Säfte. Wir „könnten wohl begreifen, dass bei dieser letzteren Gruppe die Beine „und Kiefer geschwunden oder nur in dem reduzirten Zustande „der Madenformen persistent seien." (W. S. 204) Wer müsste nun nicht staunen über einen solchen Wechsel der Ansichten und Induktions-Anwendungen? — 207 — Gleich der Hymenopteren-Larve lebt doch auch die Schmetterlingsraupe auf oder in Pflanzen, gleich jener stets auf ihre eigene Bewegungsfähiglceit und auf ihre Kauwerkzeuge zur Er- nährung angewiesen und gleich den madenförmigen Hymen op- teren-Larven lebt die Schmetterlings-Raupe in Bienen- stöcken, Hummelnestern und in Pflanzengallen. Und wenn sie nicht ebenfalls in Thierkörpern vorkommt, so minirt sie da- gegen das Protoplasma im engen Räume zwischen den Häuten eines Grashalms oder eines Blattes, in der Wur- zel, in der Frucht, im Marke oder Holze einer Pflanze, wohnt in der seidengefütterten Röhre eines Gehäuses oder in einem Kunstbau unter Wasser! Wird sie auch nicht gefüttert durch Andere wie manche Hymenopteren-Larven, so braucht sie innerhalb eines Bienenstockes, einer Frucht etc., eigentlich auch nur den Mund aufzuthuu, zuzubeissen, zu kauen und dann und wann durch einfache Muskelbewegung sich ein wenig vorwärtszurücken i). Die Lebensweise und die Erhaltungsart der Hymenop- teren- und der Schmetterlings-Larven ist also nahezu übereinstimmend und in der Mannigfaltigkeit bleibt kein biolo- gischer Differenzenwerth gegenseitig unbalancirt, soweit unsere induk- tive Taxe reicht. Und nur drei Blatt zurück wiederholt Weismann gesperrt seine Behauptung: „die Schmetterlings raupen lebten im Grossen und „Ganzen unter sehr uniformen Bedingungen, so mannigfaltig „dieselben auch im Einzelnen variirt sein könnten . . . und man „dürfe wohl sagen, dass der Bau der Raupen in Folge uniformer „Lebensbedingungen ein im Ganzen ungemein uniformer „sei." Dicht hiernach folgt dann ebenfalls gesperrt der Satz: „Alles „dies verhalte sich bei den Faltern ganz anders. Hier „begegneten wir sehr bedeutenden Verschiedenheiten der „Lebensbedingungen." Nun, in demselben direkten Sonnenlicht und in gleich hoher Temperatur wie der Tagfalter und im arktischen Norden auch zur hellen Nachtzeit mit dem Nachtschmetterling, belebt das Heer der Hymenopteren fast jede Stelle der Büsche, Fluren und Gewässersäurae, aber nicht allein wie jene in freier Luft, sondern auch unterirdisch! Und nicht allein dem eigenen Ge- nussund dem Liebesleben sind ihre ganz und gar un vergleich - i) Ausserdem wird auch die entwickelte Bienenkönigin ge- füttert und gepflegt, trotz ihrer normalen Fresswerkzeuge. — 208 — liehen Handlungen in mannigfachster Aufmerksamkeit, Bewegung und Fertigkeit gewidmet, sondern dem Wohle ihrer Brut oder zugleicli ilirer ganzen kommunalen Gesellschafts-Organi- sation. Brauche ich wohl nochmals an die Ameise zu erinnern, wie sie Harz, Holz, Lehm und tausenderlei Dinge holt, die Blattläuse „melkt", wie sie am Strande, in Wald und Flur, auf Käfer, Raupen und Puppen fahndet, oder brauche ich an die Biene zu erinnern, wie sie mit bliithenstaubbeladenen Höschen von der emsigen Arbeit heim- kehrt und daheim den Wunderbau der Zellen konstruirt? Wie beide, Ameisen und Bienen, ihre gesellschaftliche Gliederung in einem genossenschaftlichen Einklang zu einander konserviren, um den sie jeder Staat beneiden könnte. Das sind nur zwei Typen aus den Form-Legionen der Hymenop- teren, deren mannigfaltiges thätiges Umherschweifen Jedermann kennt. Allein es giebt nun noch eine weit zahlreichere Vielfältig- keit unter den verschiedenen Arten der ne st bauen den, graben- den, schmarotzenden Wespen, es " giebt Wespenarten, welche lebende Raupen betäuben und in verschiedener Weise als Nah- rung zu ihrer Brut einmauern, was Ray schon 1667 beobachtet haben soll. Zu den Hymenopteren gehören zwar nicht die intelligen- ten Rivalen der Ameisen, die Termiten, mit ihren staunenerre- genden Gesellschafts-Bauten und Exkursionen; doch mir scheint, dass überhaupt in der Ordnung der Hj'menopteren nicht allein die Mannigfaltigkeit aller Insekten-Intelligenz und Technik, sondern sozusagen die biosophische Quintes- senz der gesammten animjilischen Belebung kulminirt. Hiernach beurtheile man nun die merkwürdige Behauptung der „Studien" : „Die Lebensbedingungen dieser Imagines wichen unter- „einader ungleich schwächer ab, als die ihrer Larven," „aber die Lebensbedingungen der Schmetterlinge „seien viel mannigfaltiger als wie die „uniformen" Lebensver- „hältnisse ihrer Raupen." Nun ich glaube, Jedermann ist überzeugt, dass erstens die sprüch- wörtliche, aussergewöhnliche Vielfachheit der Arbeits- und Kunst- leistungen der Ameisen- und Bienen-Formen, durch Verschiedenheit der funktionellen Situationen, die Verschiedenheiten der materi- ellen Unterkünfte ihrer Larven mindestens aufwiegt, dass zweitens die Lebensbedingungen der Hymenopteren-Larven nicht als vielbedeutender wie diejenigen der Schmetterlingslarven zu I — 209' — bezeichnen, vielmehr beiderseits als nahezu gleichwerthig mannigfach zu taxiren sind, dass drittens das Leben des Schmetterlings sich ganz unverkennbar einförmiger und funktionsloser abwickelt, als wie dasjenige irgend einer Termiten-, Ameisen- oder Wespen form — ausgenommen etwa die resp. „Königinnen", deren Passivität man aber die flügellosen oder gar madenähnlichen Weib- chen mancher Falterarten gegenüberstellen kann. Wer nun die Richtigkeit der vorstehenden drei Vergleiche zu- giebt oder zugeben muss, der erkennt mit mir die Nichtigkeit der Weismannschen Ausgangspunkte für seine Abhandlung und Begrün- dungs-Versuche von Kongruenz- und Inkongruenz-Erscheinungen bei diesen zwei Insekten-Ordnungen. Denn während W. die Mannigfaltigkeit der Schmetter" lingsformen durch eine relativ aber durchaus nicht vorhan- dene, grössere Vielfältigkeit ihrer Lebensfunktionen und Begegnisse fälschlich erklären will, die aber ebenfalls relativ nicht vor- handene, sondern nur angebliche Eintönigkeit ihrer Rau- penformen hingegen als Folge von deren wieder nicht vorhan- denen monotonen Lebensverhältnissen fälschlich darstellt, will er umgekehrt hier bei den Hymenoptereli, in einer von ihm abermals erdachten Eintönigkeit der Lebens- verhältnisse der Imagines, deren Struktur-Uebereinstimmung, und in der Verschiedenheit des Larvenlebens derselben die Formdifferenzen der Larven begründet finden, obschon er die- selben Lebensverhältnisse bei den Raupen total widerspruchs- voll hierzu als einförmige bezeichnet und für die Ursache von deren angeblicher Gleichförmigkeit ausgab. Die kreuzweisen Verneinungen der Weismannschen eigenen Lehr- Fundamente werden schwerlich noch Jemand zweifelhaft sein. Weitab liegt mir freilich die Behauptung, die beiderseitigen Larven seien nicht angepasst ihren Lebensverhältnissen; ich bin viel- mehr V 0 n der n a t u r n o t h w e n d i g e n K o n g r u e n z völlig überzeugt, nur bestreite ich die Anpassung mittelst der darwinistischen Sekundär- Selektion und beabsichtigte in Vorstehendem hauptsächlich die son- derbare Technik zu kennzeichnen, mit w^elcher die Stud. arbeiten. Mit alledem ist zunächst nur die Bekämpfung der Studien-Thesen, nicht aber eine Beleuchtung der vorhandenen Embryonal-Erschei- nungen erreicht. Ob es der Forschung jemals möglich sein wird, eine arbeitsklare Einsicht in das Aktuelle oder gar in das „Soll" dieser Naturvorgänge zu gewinnen, das vermag ich nicht zu beant- worten. Wohl aber vermag ich sowohl die Zusammenhanglosig- 14 — 210 — keit dieser Embryonal-Erscheinungen mit der Selektion, wie auch diese selbst als nichtig auf vorliegendem Gebiete genügend darzulegen, ebenso das Räthsel der vermeintlichen „ phylogeneti- schen Rekapitulation" durch embryonale Füsse und Köpfe seines Häckel-Darwinschen Nimbus zu entkleiden und naturlogisch und na- türlich verständlich zu erklären. Betrachten wir demnach in kritischen kurzen, aber dem Thema genügenden Zügen das Lebensbild der Honigbiene. Die Herstellung der Fortpflanzungsfähigkeit bei den Imagines aus weiblichen Individuenkeimen erfolgt hier ganz nach Gutdünken der Arbeitsbienen natur direkt und einfach durch die reichlichere Fütterung beliebiger weiblicher Larven in absichtlich erweiterten Zellen. Werden diese aber in gewöhnlichen engeren Zellen und mit geringerer Kost verpflegt, so entstehen geschlechts- lose Arbeitsbienen, und wieder in naturdirekter Korrela- tion hierzu, erhalten diese allein an den Hinterschienen eine schaufelartige Grube und am ersten Fussglied einen borstigen Besatz, welche beide Apparate beim Einsammeln des Blumenstaubs verwendet werden, den andern Stockgenossen aber fehlen. • Es findet die hochgradigste Inzucht statt, denn die eigenen Söhne begatten, ein einziges Mal in deren Leben, die ge- meinsame einzige Mutter der ganzen Stockfamilie, und es besteht hier bei den Bienen eine im Thierreiche in solchem Grade vielleicht nicht weiter vorhandene Initiativ-Einleitung der Begattungs- werbung durch das Weibchen, resp. speziell hier durch die Mutter. Die Potenz dieser Inzucht könnte selbst durch die von Darwin vermuthetei), aber keineswegs beobachtete Konkurrenz einiger fremden Drohnen beim sogenannten Hochzeitsfluge nur wenig abge- schwächt werden. In diesem Mangel an Kreuzung und in dem abnorm polyandri- schen Geschlechtsleben, wo das weibliche Element die denkbar ein- seitigste Vertretung findet, wird die Erscheinung der Geschlechts- losigkeit resp. der weiblichen Verkümmerung wahrscheinlich eben- falls direkt begründet sein und nicht in Selektionsvorgängen. Die Möglichkeit der Korrektur dieses — sit venia verbo — Zeugungs- i) Die Notbwendigkeit der vorherigen Aufreizung der Drohnen zum Begattungsfluge durch die Stockmutter lässt die Vermuthung frem- der Drohnen beim Begattungsakt nicht gerade tiefbegründet erscheinen. — 211 — Mankos durch Verpflegungs- und Ernährungs -Raffinements findet durch genitale, pubertätische und erotische Förderungs- wie auch Yerkümmerungs-Erscheiuungen im Thier- und Pflanzenreiche mancher- lei Analoga; die ganze Gärtnerei und Viehzüchterei z. B. lebt davon. Wenn aber allein nach Wahl der pflegenden Bienen, durch be- vorzugte Behandlung und reichlichste Zuführung spezifisch bester Nährstoffe, in der Made aus dem ersten besten Ei die Geschlechts- verkümmerung sowohl wie die damit verbundenen biomorphischen Organe und Funktionen der Imago beseitigt und dagegen die Reife und Umformung zu potenzirt weiblichen Formen und Funktions- Eigenheiten erzielt wird, so erscheint bei solchen sexual-biomorphen Korrelations -Wechselvorgängen irgendwelche Mitwirkung darwinisti- scher Zuchtwahl nicht angedeutet, wohl aber der naturdirekte Voll- zug von Aus- und Umbildungen durch zweckdienlichen Umsatz der Materie in einem auf natureingerichteter Basis sich entwickelnden und balancirenden Organismus dargelegt i). D arwin s eigene Auslegungs-Versuche zur Begründung der Zucht- wahl auch für die Geschlechtslosigkeit und die biomorphischen Ver- schiedenheiten der kommunistischen Hymenopteren müssen allerdings auf dem „übermässigen Vertrauen in das Prinzip einer natürlichen Zuchtwahl" beruhen, das er selber titulirt und durch merkwürdig einseitige Prämissen zu rechtfertigen glaubte). Die wunderbaren biomorphischen Struktur- und Funktions-Spe- zialitäten der Geschlechtslosen (Arbeiter -Bienen und -Ameisen), die also wegen ihrer Fortpflanzungs- Unfähigkeit ihre individuellen Vor- theile nicht selbst weitervererben können, erklärt Darwin dennoch für allmälige Kumulationen der natürlichen Zuchtwahl, weil „das anfänglich einzelne Auftreten" solcher Geschlechtslosen, sowie i) Wessen Sophismus durch die Titulation einer ,, Zweckdienlich- keit" der Biomorphose etwa gekränkt wäre, der köunte ja, um die bei einem gewissen Punkte freilich immer wieder schwindende ,, mechanische Basis" zu simuliren, ganz ruhig annehmen, dass die Mannigfaltig- keit der Welt-Besetzung und Ausstattung jeder existenzfähigen, biolo- gisch biegsamen Form entgegenkommt und innerhalb derselben sich biomorphologisch angepasst situiren lässt. Jede Morphose, die existirt, muss ja biologisch existiren. Wie amorphes Gestein oder Wasser sich stets geozentrisch und geo- logisch bewegt und plastisch einpasst, ebenso auch bio-logisch jede lebende Existenz, welche existirt. ,, Existenz" ist eo ipso kosmo- resp. bio-gravitisch, also An- passung. Der ,,akkumulirenden Selektion" Darwins wird hierbei keinerlei Zugeständniss. •-') Darwin, Entst. d. Arten, 318 flg. Das Variiren d, Th. u. Pfl. IT, 188. 14* — 212 — ihre weitere Arbeits -Ausbildung zum speziellen Vortheil der betref- fenden Kolonie ( ! ) ausgefallen wäre, so dass Bienen- oder Ameisen- Gesellschaften mit solchen sterilen Individuen besser erhalten geblie- ben seien, als andere ohne dergleichen. Nun ist es zunächst primär unlogisch zur Theorie von dem Er- haltenbleiben des Besten innerhalb einer variablen Art, dass sich während einer allmäligen Zuchtwahl die Geschlechtslosigkeit über- haupt hätte etabliren können. Denn in erster Reihe könnte durch sexual Missrathene das deszendenzliche Floriren nur beeinträchtigt und geschmälert werden, und lange bevor in d a r w i n i s t i s c h e r A 1 1 m ä 1 i g k e i t die spezialen Arbeitsleistungen derselben sekundär und gültig kumulirt werden könnten, müsste a priori im Ueberleben des Besten stets die Geschlechts- verkümmerung, der direkte Nachtheil, in der Kolonie ausge- merzt werden. Ohne mit der Geschlechtsverkümnierung sofort kor- relativ a u ft r e t e n d e b i o m o r p h i s c h - fu n k t i o n e 1 1 c V e r b e s - serungen hätte die Sterilität Einzelner der betroffenen Bienenge- meinschaft nur schädlich sein können. Der bis dahin nach Dar- wins eigener Voraussetzung bereits gedeihlich bestan- dene zweigeschlechtliche Kolonieverbaud hätte durch talentneutral auftauchende Geschlechtsverkümmerte nur durchlöchert werden können. Wie nun ausserdem eine allmälige Reduktion der vielen weiblichen Geschlechts-Individuen bis auf eine einzige Stockmutter vor sich gegangen sein soll, eine Reduktion, die, wenn die ganze Bienenexistenz nicht an „natürlicher Anarchie" zu Grunde gehen sollte, doch nur ordnungs-kon taktisch mit der anderseitigen, die bisherige Arbeitsleistung der weiblichen Bienen in derKommun ersetzenden Zunahme der Geschlechts- losen möglich gewesen wäre, warum ferner, trotz aller dieser von Darwin vorausgesetzten komplizirtesten „Zuchtwahl"- Umwege, die Auslese des Besten niemals direkt an den Männchen einen technischen Gesellschaftsbeitrag eruiren und kumuliren konnte, son- dern sie in ein Drohnenthum versinken Hess, so apathisch, dass sie sogar zum selbsterhaltungs-kategorischen Werk der Begat- tung erst angeregt und geworben werden müssen, warum überhaupt selbst die prämittirten undenkbaren Umwege einer Auslese des Besten die Gedeihlichkeit der kommunistischen Hymenopteren an sich doch nicht wirklich verbessert, sondern nur die erhal- tungsverantwortlichen Akteurs im Bienenstaate verscho- ben hätten, in theoriewidriger Ziel-Einseitigkeit, das alles — 213 — und noch eine Reihe tiefer liegender, hier aber erlässlicher An- schlussfragen und Bedenken lässt Darwin selbst unberührt; und doch ruht in diesen Eäthseln die Enipfindungs -Bejahung seiner eigenen Zitation: „dass die wunderbaren und wohlbegründeten Thatsachen der Hymeno pteren-Kommunen die Selektionstheorie auf einmal vernichten!" Und nach meiner Auffassung ist die naturdirekte Ordnung dieser Wesenerscheinungen, die Niederlage der Selektionstheoric gerade auch darin dokumentirt, dass es nur einige distinkte Organismen unter den Hymenopteren, aber hier keineswegs lauter Nächstverwandte, sondern verschiedene Systemgruppen sind, die in kommunistischen Klassenverbänden der fraglichen Eigen- art leben, trotzdem das erste selektionstheoretischc Agens dieser Vergesellschaftungen, die weibliche Sterilität, der Zuchtwahl fast allenthalben, und auch unter thierischcn Rudel-, Heerden- und Kolonie-Verbänden zur Hand wäre, womit sie die manchesterliche Beglückung der „Arbeitstheilung", die ja bis zum blasirten Sclbstekel einer Drohnenimpotenz führen darf, akkumuliren könnte. Speziell wieder zur Biene gesprochen, so ist es bemerkenswerth, dass trotz der potenzirtesten Inzucht die Variabilität nicht völlig mangelt, wie Darwin selbst währenddem er die Rassenbildung unter den Bienen bestreiten will, an Beispielen nachweist i). Ganz bedeu- tungsvoll sind aber die Berichte über die in Australien eingeführte Stockbiene, welchen zufolge die importirte europäische Biene dort den Kasten-Kommunismus aufgegeben hat und ein- zeln lebt, nur für ihre eigene Existenz bemüht. Sehr wahrscheinlich ist in naturdirekter Konsequenz und Aus- führung hierbei auch die ganze Kaste der Geschlechtslosen alsbald beseitigt worden. Welche Nutzhäufungen beliebiger Jahrtausende würden also hier alsbald entbehrlich werden und abfliegen vom akkumulirten Orga- nismus wie lose Federn, ohne die Existenz irgendwie zu molestiren. Die dort angetroifenen Naturverhältnisse sind für unsere Biene so zusagend, dass sie nicht allein die einheimische australische Biene verdrängen soll, sondern dass die wunderbarsten Institutionen und Formungen, an deren Akkumulation die Zuchtwahl schwindelnde Zeitenläufe gearbeitet, mit Rückschlägen, Rückführungen, Kreuzungen gekämpft hätte, dort naturdirekt und existenzgültig sofort korrigirt resp. ignorirt werden. 1) Darwin, D. Var. d. Thiere u. Pfl. I. 326 flg.; IL 117. 245, 266. — 214 — In welch' unbegreiflichem Gegensätze hierzu sollten nun aber noch heute die uranfänglichen Bilclungsvorgänge zur Made innerhalb des Bienen-Eies konservirt sein und eine einstmalige, noch weit hinter dem masslos fernen Zeitbeginn der ge- sellschaftlichen Verbindung und arbeitsdifferenten Organisirung der Biene zurückliegende Kopf- und Fussform der Maden -Ahnenschaft portraitdürftig repetiren? Wie bereits vorn bemerkt, so erscheint mir auch hier die Mi- kroirung und Konservirung einstmals biomorphisch funktioni- render Körpertheile bis in eine vielmalige funktionslose Verkleine- rung zunächst ganz ungereimt; imd andrerseits begriffe es sich wieder nicht, warum uns Embryo, Larve, Puppe und Imago dennoch so unendlich viel von den übrigen phyletischen Gestaltungs- wechseln und Uebergängen verschwiegen, die sie nach Kon- sequenz der Selektionslehre, sowohl vor wie nach der Periode, welche die obige Kopf- und Beine-Rekapitulation geradezu mit aus- nahmsloser Bereitwilligkeit vorführen würde, abgewickelt haben müssten. Ganz besonders aber begriffe sich eine rekapitulirende Betonung der Füsse nicht, da diese innerhalb der verschiedenen Larven- arten und Gattungen doch allenthalben so gleichgültig, oder doch verhältnissmässig leicht beweglich der Zahl nach, erscheinen. Welch enorme Reihe von Umformungen müsste Darwins Zucht- wahl aber vom hypothetischen Urinsekt an bis zum Wurmtypus der Larve einerseits, bis zum starren Stadium der Puppe und bis zum Meisterorganismus der fliegenden, sammelnden, bauenden und sama- ritir.enden Biene anderseits abgewickelt haben, wo von uns keinerlei Rekapitulationen vorlägen. Alle diese darwinistisch voraus- zusetzenden Transmutationen könnten doch nicht als phyletisch bereits hinter den Embryo-Kiefern und Beinen liegend bezeichnet werden, wollte man u. A, der ganzen heutigen Bienen-Erscheinung nach Form und Haushaltung nicht eine Stabilität vindiziren, welche nicht allein der Selektionstheorie selbst widerspräche , ■ sondern die auch realiter durch den ganz modernen Vorgang des raschen Funk- tionswechsels in Australien, sofort abgewiesen wäre. Nun wird aber der Nachweis dieser Brustfüsse, resp. ihrer morphohomen Ansätze und des bekieferten Kopfes, nicht allein im Embryo der Biene, sondern in sämmtlichen Ordnungen der Insektenwelt, wo madenfönmige Larven vorhanden sind, behauptet. Weismann selbst hat sie in dem Madenembryo der Fliegen aufgefunden. Diese Embryonal-Merkmale sollen also wirk- — 215 — lieh hinweg über alle genuinen Stämme, aus jenen fernsten aller en'tomischen Perioden repetiren, wo die heutige Million und die seither abgetretenen Millionen der Insektenformen noch erst in einer, etwa in der Lubbock'schen Stammform existirt haben soll. Nun, wenn diese Brustfüsse, sowie der bekieferte Kopf der Larve bei Käfern, Hautflüglern, Schmetterlingen, Zweiflüglern, Netzflüglern, resp. partial auch bei Gradflüglern und Schnabelkerfen, also wie W. selbst sagt, bei allen Insekten in gleicher oder ganz ähnlicher Weise erscheinen, so ist dies allein auf Grund des reinen Vernunftbegriffs der ganz unabwehrliche Beweis sowohl dafür, dass diese Insekten- millionen insgesammt nicht deszendenzlich von einer gemeinsamen Stammform oder weniger ähnlich monoformen Urtypen abstammen und sich nicht durch Darwins natürliche Zuchtwahl transmutorisch spalteten, als auch dafür, dass diese Selektionslehre hier abermals uuaufraffbar niedergelegt ist. Denn wenn sich die ungeheure Riesenzahl der bereits unterge- gangenen und die übriggebliebenen Millionen der noch heute existi- renden verschiedenen Insektenformen, aus einer kleinen Zahl mono- former oder aus einem einzigen Stamme, zu der vorhandenen Weite und Vielgestaltigkeit der Formen und Funktionen entwickelt haben sollte, dann könnte nach darwinistischer Lehre und Logik selbst, unmöglich noch dieser monoforme Zusammenhang aller Larven in der Beine- und resp. Kopf-Bildung vorhanden sein und embryonal sogar gleichterminlich erscheinen. Dieser Kopf und diese Beine könnten ausserdem nicht als fixer Ausgangspunkt, als „Nummer Eins" der Insekten- existenz der Urzeit erklärt werden, sondern vor dieser phy- letischen Struktur- Phase müssten noch Perioden der Wesenheit zurückliegen, deren biomurphische und zeitumfassende Be- deutung nicht zurückstehen kann hinter derjenigen Entwick- lungsperiode, die nach W. rekapitulirt werden soll. Wenn die embryonale Repetition beim Menschen bis in das Reich der Kiemen-Ahnenthiere zurückgriffe, wie die Darwinisten meinen, dann hätte die repetiren de Kärglichkeit bei einer der der Endform phylogenetisch weit näher liegenden Morphosis, bei der Insektenentwicklung keinen Sinn. Wenn in der Eiform die Urthümlichkeit der Keimung und Keimhüllung kon- servirt vorliegen, wenn das Aszendenten-Futteral selbst des flügellosen hypothetischen llrinsekts bis heute allenthalben als Ei noch vertreten, selektionstüchtig beibehalten sein soll, dann müsste innerhalb desselben auch jede Staffel seiner phy- — 216 — logenetischen Inhalts-Formenfolge rekapitulirt .werden. Der Natur kann man vom Standpunkt der deszendenzlichen Trans mutations-Theorie doch ebenfalls nicht zutrauen und nachsagen, dass sie „neuen Most in alte Schläuche" fülle. Aber total übersprungen blieben ferner in den weitereu Umwand- lungsvorgängen von Larve zur Puppe und von dieser zur Image, die ganzen unfassbaren Aufeinanderfolgen der einstigen Uebergangsformungen, gleichviel ob sie vom Darwinismus als vorschreitend oder als rückbildend oder als divergirend vorsichge- gangen erklärt werden wollen. Und alle diese Transmutati- onen würden weit jünger sein, der Gegenwart weit näher liegen als wie das sechsbeinige Urinsekt, welches embryonal noch rekapitulirt werden soll. Auf die embryonale Darstellung dieses hypothetischen Urinsekts aber müssteu die Studien nach ihrer Lehren-Logik schliessen, zumal ihrem Herrn Verfasser erinnerlich sein wird, dass im Raupen- organismus die Anlagen der Fortpflanzungs- und Bewe- gungstheile bereits vorhanden sind! Freilich ergiebt sich aus der deutlichen Entwicklungs-Keimunng dieser Embryonal- organe, bei näherer Prüfung auch hier nur eine Abweisung aller selektionsthcoretischen Spekulationen. Der morphogene Parallelismus beim unzweideutig echten Entwicklungs-Verlauf der Zeugungs- und der heterogenen Bewegungs-Organe innerhalb der Metamorphose und namentlich im Larvenstadium widerlegt, wie ich dem Denkwilligen hier nicht detaillirt auszuführen brauche, ganz deutlich sowohl die von Lubbock vermeinte Campodea-A'bstammxmg, als auch die von Müller, Packard, Brauer angenommenen „Fälschungen" resp. adaptiven Differenzirungcn und Reformationen eines anderen Urinsekts, mag man es sich geflügelt oder flügellos ansehen. Ueberdies, und ganz besonders Avenn der Darwinianer die Ab- zweigung der heutigen Ordnungs-Stämme der gesammten Lisekteu- welt bereits bei dem flügellosen Urinsekt Lubbocks annehmen will, fällt ihm die bewältigungslose Erklärungslast dafür zu, wie und warum sich trotz der Selbstständigwerdung im unbeflügel- ten einstmaligen Form da sein, dennoch alle diese resp. Zweige zu sehr ähnlich beflügelten Insekten zielidentisch ausbil- den mussten, im „ziellosen" Differirungsgange der Selektion und wie trotzalledem dennoch auch der angebliche Stamm- typus, die einstmals verworfene Form der Zuchtwahl, die Campodea -Form, aus jener fernen Periode und während — 217 — milliardenfältiger weiterer Transformation s-Rcibun gen, bis heute existenzfähig bleiben konnte?! Die Studien lassen dergleichen ganz unerwähnt, sehen innerhalb des Eies nur die Phylogenesis des exakten Larvenstadiums repetirt, trotzdem sich auch hier nicht einmal der an den freien Hymenop- teren-Larven genuin vorhandene Wechsel der Segmente zwischen 14 und 10, embryonal erinnert fände. Welch' struktures bedeutende Unterschiede bestehen ferner nicht allein zwischen den Mundtheilen der Dipteren-Made und den hierzu nur äusserlich formähnlichen Köpfen einer Bienen- oder Käfer- Made. Welch' qualifizirteren Um formungs verlauf mtisstci der lokomobile und lokomobilende sogenannte Schlundkopf abge- wickelt haben, gegenüber dem immerhin noch den Titel „Kopf' ver- dienenden Ernährnngsapparat der Bienenlarve oder gar gegenüber den Köpfen der madenähnlichen Käfer- und Schmetterlings -I^arven. Und dennoch hätten die vorauszusetzenden viel häufigeren Abände- rungsstössc auf den ganz heterogen hergestellten Saug-Appara( der Fliegenmade der gelegentlich auch zur Fortbewegung dient, di(> Embryonal-Rudimeute derselben nicht weiter zurückge- rückt in der Ontogenese, als bei den übrigen Ordnungen der Maden, deren Köpfe ungleich weniger von dem typischen Raupeiikopf ab- weichen. Anderntheils sind ebenso widerspruchsvoll auch die rudimentären Brustbeine gleichwerthig und gleichperiodisch bei Bienen- wie Flie- gen-Maden embryonal anzutreffen, obschon ihr Schwinden später nicht ganz gleichwerthig erfolgt. In keinem dieser Fälle würde die ohnehin wenig gehaltreiche Ausflucht von der „ungleichen Dignität" der abgeänderten Theile anzubringen sein, die von den Studien bei gewissen Inkongruenzen der Schmetterlings-Formenverbindungen versucht wird. Denn die Maden unterscheiden sich überhaupt fast nur in streng funktionellen Theilen und alle besprochenen Verschieden- heiten bei denselben betreft'en nur solche allgemeine Pr im är- werthe für die direkte Existenz. Aber allein der Abstand zwischen dem Kopf der Bienenlarve und dem Schlundkopf der Fliegenmade ist unstreitig für qualitativ bedeutender zu taxiren, als wie der Abstand zwischen dem typischen Raupenkopf und dem der Bienenlarve. Das letzlere Verhältniss Hesse sich etwa mit demjenigen zwischen Krokodilrachen und Enteu- schnabel vergleichen; der Abstand vom Bienenlarve nkopfe bis zu)n Schlundkopf der Fliegenmade aber taxirt sich ungefähr wie der zwischen Entenschnabel und Larapretenmund (Cyclostoma). — 218 — Nicht minder bliebe auch der ganze Rückbildungsverlauf des bekieferten Kopfes bei dem Bienen-Embryo unrekapitulirt , denn die Einschrumpfung könnte selektionslogisch niemals eine Wieder- gabe von Umbildungsvorgängen durch die Auswahl des Passendsten darstellen oder vertreten, die sich während einer doch steten Funktionsdieulichkeit des Ernährungsapparates vollzogen haben sollten. Ich erkläre mir den Schwindungsvorgang am Kopfe des Embryo vergleichsweise den Vorgängen am Nabel der Neugeborenen oder ähnlich der allmälig relativ schwindenden Langbeinigkeit, Langohrig- keit, Weitmäuligkeit und Dickköpfigkeit junger Hufthiere, Hunde, Vögel u. s. w. oder auch ähnlich mit der Absorption der Blüthen- basis an der schwellenden Frucht. Und es ist denn auch, wie wir finden werden, ein rein auf die Gegenwart deutungsreifer morphologischer Vorgang. Nur die Selektionstheorie darf hiervon nach ihren Umformungs-Konsequenzen bei dem für jedes Wesen primär wichtigen Kopfe keinen Gebrauch machen, zumal nicht, wenn sie die embryonalen Beine als Dokument für ihre phyletische Stammes-Historie verwenden und für sich als beweisend zitiren will. Diese verhältnissmässig zum Kopfe nur ganz sekundär zu bewerthenden Beine, insofern die Natur in unserem Insektensystem damit bei den Larven gelegentlich von Nachbar zu Nachbar wechselt. Betrachten wir zunächst das ganz unlösbare Mengengewirr von Fragen und Räthseln, das die Selektionstheorie hier aufdrängt. Wir haben tausende von Arten der Schlundkopfmaden der Fliegen, daneben nicht minder zahlreiche gleichförmig bekieferte Schnakenmaden, weiter dann die Heerkolonnen der Saugkopf- maden und Kieferkopflarven der Hymenoptera nebeneinander und so fort die scharfabgesetzten, immer wieder vieltausendfältig artbesetzten Terrassen der Phryganiden-, Lepidopteren- und Koleop- teren-Larventypen aneinander. Mit einem Wort, wir haben über eine Million verschiedener Insektenformen vor uns, die sich aber und bereits von der Eiform an bis zur Imago durch alle Stadien der Metamorphose typisch unterscheid- bar, nur in höchstens 16 Ordnungen klassifiziren lassen. Welche Faktoren der Zuchtwahl sollten und könnten alle diese selbstständigen, variirenden. jederzeit in billionenfältiger Individuen- zahl vorhandenen, in einen zyklirten Entwicklungsverlauf von zumeist vier, mindestens aber von zwei Stadien (Pediculina) zerlegten Formen, sozusagen festgeankert haben an einer einst erreichten Stelle ihres bestimmten Typus? Woher diese selektionstheoretisch unerklärliche — 219 — Fixirung? Warum wäre der Strom der Zuchtwahl nur in den so kurzen wenigen Armen von nur 16 Insektenklassen getrennt vorwärts geschritten, um aber jeden Arm alsbald in eine unübersehbare Breite typischer Mannigfaltigkeit an Arten auszugiessen, die unverbunden doch nur aus jedem einzelneu Arm speziell typisch gerichtet bliebe. Wie käme eine ziel- und planlose Anpassungs-Konkurrenz zu solch frappanter Ordnung eines Systems, wo auf einem Stamme mit nur 16 Aesten plötzlich eine ungeheuere Progression der Ver- zweigung sprosst, die von ein und denselben Verhältnissen umgeben, doch millionenfältig verschieden geräth, anderseits aber und auch unter abweichenden EinHüsscn, doch den Typus je ihres Stammes und Astes behält. Nur bemitleiden könnte man den Versuch, diesem deutlichen Bezeugen eines natur-urmächtigen Ausquells jeder Form, etwa die Erklärungsnichtigkeit der Selektionslehre entgegenstellen zu wollen: die biologische Indifferenz und Gleichgültigkeit dieser Grundtypeu gestatte deren Beibehaltung, hindere deren Beseitigung, Und dem Darwinismus liegt wirklich keine andere Antwort auf der Zunge, als diese offenbare Selbstverurtheilung. Seine Jünger verkünden selbst die Existenz der Zuchtwahl auf dem Gebiete der Grund- typen, indem sie eine rein äusserliche Aehnlichkeit zwischen hete- rogenen Thier-Ordnungen als konvergente Anpassung tituliren. Hier- bei etabliren sie aber das weitere Räthsel, warum die Zuchtwahl erst nach millionenfältiger Differenzirung der Stamm- formen sekundär darauf zurückkäme, die Differenzen wieder zu konvergiren, sich zu korrigiren und zu ver- bessern. So bedeutend von heutigen Verhältnissen abweichende Lebensbeziehungen sind für ehemalige Praktiken der Zuchtwahl nicht denkbar, dass anstatt der heutigen sekundären Konvergenz der Typen, diese nicht gleich direkt vom Stamme aus aflizirt und transformirt sondern „konservat-dift'erenzirt" hätten werden müssen. Welche Unverträglichkeit zur Selektionshypothese legt uns aber noch der Endpunkt des Larvenlebens, der gleichmässige Vor- gang der Verpuppung vor in seiner ebenfalls scharfge- trennten Vielgestalt. Bis zur erstmaligen Verpuppungsart müssten selektionslogisch die Urlarven oder Urinsekten von gemeinsamer Form gewesen sein. Denn wenn verschiedene Urtypen unabhängig von einander zur übereinstimmenden Morphose des Puppenstadiums differenzirt worden sein sollten — wo bliebe dann die selektionstheoretische Ziellosigkeit der Entwicklung im Konkurrenzsieg des Besten innerhalb der nahen Bewerbung? — 220 — Angenommen aber, das Puppenstadium wäre von einer mono- formen Urahnenschaft oder selbst von mehreren solchen Vorfahren unabhängig von einander angebahnt und erreicht worden, wie hätte sich dann innerhalb dieser mehr oder weniger oder auch ganz passiven Puppenstadien, die weitere Spaltung zu der eben so unendlichen Formen-Verschiedenheit vollziehen können mittelst der Zuchtwahl, als wie es nicht allein Insekten-Ordnungen, Familien-Gruppen, Gattungen und Arten giebt, nein, als wie es so- gar Individuen darin giebt. Denn nicht nur herrscht Di- und Polymorphismus und Sexual- verschiedenheit, sondern es herrscht auch individuelle Farben- und Struktur-Variation innerhalb des starren Puppenreichs. Ausserdem ist die wunderbare Dekoration und Ornamentirung sehr vieler Puppen erstens zumeist typisch spezialisirt für jede ein- zelne Art und zweitens von solcher Form und Ausführung, dass sie als ein Attribut der starren Puppe, aber nicht als ein Rest, als eine Erbschaft aus einem vermeintlichen Initiativ -Stadium derselben in der Vorzeit, erscheinen kann. Höchstens dass etwas Färbung oder die Bauchfüsse und manche Körperaufsätze der Raupe da und dort noch am Puppenkörper schwach markirt bleiben; Hauptform, Kontur, After- Dorne und Börstchen gehören morphologisch zur Puppe und zu dem Laboratorium des Naturschaffens in derselben. Unmöglich könnten die Darwinianer, nachdem die starre Schmetterlings-Puppe oder Fliegen-Tonne erworben gewe- sen wäre, der „Auslese" noch die Begleitung der weiteren Umformungen, und zwar mehr oder weniger oder ganz parallel dem Systeme, immer aber im genauen distinkten Zusam- mentreffen, in Kongruenz mit der distinkten Artforra, zuschreiben. Bei einer planlosen, nur von fremder resp. geg- nerischer Sension und Einwirkung abhängenden Auslese wäre die spezifisch-kongruente Differenzirung der passiven loko- motions- beschränkten, festgebundenen, eingehüllten und inhumirteu Insekten-Puppen ein undenklicher Vorgang. Wir brauchen uns nur an die Ameisen, die Haupt-Ausleser derselben, zu erinnern, um sofort einzusehen, dass die „Zuchtwahl" unter den Insekten-Puppen nothwendig nur zur Monoformirung aller Puppen führen müsste. In Wirklichkeit besteht aber fast durchgängig oder allenthalben sogar eine variable Individualität zwischen den einzelnen Puppen. Denn jede Tagfalterpuppe trägt ihre individuellen Merkmale und auch innerhalb der eintönigeren Formen und Strukturen der Nacht- falterpuppen hat jede Formspezies bestimmten Ausdruck und jedes Individuum seine Eigenheit. Und nicht absolut anders wird es sich bei den übrigen Ordnungen der Insektenwelt verhalten, die ich bis- her weniger eingehend auf ihre Puppen -Verhältnisse prüfen konnte. Wer wollte also noch immer nicht die ganz entschiedene Ver- neinung der Selektionshypothese erkennen? Wir dürfen die Larven gewissermassen für freie Embryonen der Imagines halten, und in dem scheinbaren Rückschritt des Puppen- stadiums diejenige Phase erblicken, in welcher das Avancement der Formen von aussen gänzlich nach dem inneren Organismus über- geht, zur Präparation der Fortpflanzungsform. Und ähnlich so wird auch die Reduzirung des embryonalen Aeusseren der Bienen- und Fliegenmaden im Ei bereits eine Einleitung des freien Madensta- diums sein. Die Vorgänge der kontaktischen Stoftumsätze auf anorganischem Gebiete, z. B. die Umbildungen der Metalle, Minerale, Gesteine und Gewässer, die Ansammlung und Entladung der Gewitter, die Phasen- zyklen der Weltkörper im Grossen, wie die Resultate des speziellen menschengeistigen Mühens und KoUektirens, halte ich für phänomenal- analog, ja im letzten natürlichen Grunde auch für motiv- identisch mit den Erscheinungen der Metamorphose. Ich halte Alles für eine Konsequenz und so auch die Insektenentwicklung in der Puppe für einen naturdirekten kontaktischen Stoffumsatz resp. kontaktische Stofferzeugung. Das organisch Zutreffende, das „Angepasste" der bio-morpholo- gischen Potenzen an Harmonie und Proportion zur Mitwelt zeigt mir nicht mehr und nicht weniger die eine Grösse des ewig Unerforsch- lichen, wie der niederfallende Stein, wie der aufkeimende Same, wie die kreisenden Weltkörper, wie überhaupt jede Erscheinung der Welt, deren Gesetze wir betiteln und sozusagen kennen, aber nicht deren Motiv. Der Energie, welche die Situationen und Bewegungen in der Unendlichkeit des Kosmos regelt, derselben „Kraft" werden wohl auch die „Anpassungen", die biodynamischen Gravitationen der kurz- lebigen irdischen Existenzen direkt zugetraut werden können, und die metamorphosischen Anpassungen der Insektenwelt werden nicht mehr und nicht weniger wunderbar oder sekundär sein, wie die Me- tamorphosen und Anpassungen im Kosmos, auf denen sie schliesslich beruhen. Dass aber das hier speziell abzuhandelnde naturgesetzliche or- ganische Schaffen solcher Anfangs- oder Korrelations-Bildungen, wie die embryonalen Köpfe oder Fussansätze der fraglichen Maden es sind, morphologisch bedarf, dass dies Schaffen bei einer äusserlichen — 222 — Rückformung für die darauf folgende Formphase demnächst nach innen tritt, und dass in den sogenannten „Rudimenten" vielmehr die Keime zu späterer neuer Yer\Yeudung ruhen, und nach ihrem äusseren Schwinden elementar morphologisch fortbestehen, das will ich nun mit wenigen Sätzen darlegen. Denn, die embrj'onalen Köpfe und Beine aller Hymenopteren- und Dipteren-Larven sind keine Rekapitulationen der phylo- genetischen Historie dieser ungeheuren Insektenmannigfaltigkeit, keine Dokumentation einer gemeinsamen Abstammung, wohl aber eine entwicklungs-dynamische Korrelation, der morphologische Zusammenhang des Baumaterials mit denjenigen Köpfen und denjenigen drei Fusspaaren, welche die verschiedenen Imagines des Erdreichs tragen in der ganzen Insektenmillion. Man wiederhole das bereits von S wammer dam ausgeführte Experiment, einer reifen Larve einen Brustfuss abzuschnei- den, und man wird an der Verstümmelung des b ezüglichen Fusses der Image sowohl den Beweis dieses morpholo- gischen Zusammenhangs, als auch gleichzeitig den Zusammen- bruch der ganzen darwinistischen. Embryonal- und phylogenetischen Rekapitulations-Spekulation vor sich haben! Der Wissenschaft liegen aber seit dem Jahre 1815 auch die exakten Nachweise Herolds über die Entwicklung des Schmetter- lings vor. Dieser konstatirte, dass im letzten Stadium des Raupen- lebens') „auf der inneren Fläche des zweiten und dritten Segments „der Raupenhaut die Bildung der Keime der Flügel geschieht. Und „obgleich diese neuen Keime, aus welchen sich künftig die Haupt- „extremitäten des Schmetterlings entwickeln, wie alle übrigen weichen „Theilc unterhalb der Haut der Raupe verborgen sind, so zeigen „dieselben doch schon jetzt eine grosse Neigung, äusserlich zu wer- „den, die Raupenhaut wird in der betreffenden Gegend fleckig und „aufgetrieben." (Herold.) Bereits Lyonet hatte diese Flügelkeime wahrgenommen, hielt die „kleine abgesonderte perlfarbene Masse von besonderer Zähigkeit „auf jeder Seite des Vorderkörpers" aber für die Keime der künf- tigen Beine des Schmetterlings. „Allein diese entstehen nicht aus einer gemeinschaftlichen Masse „der ebengedachten Art, sondern die Keime der Schmetterlingsbeine „entstehen als einzelne, innerhalb der vorderen sechs Füsse der i) Nach neueren Darlegungen bereits in den jungen Raupen. — 223 — „Raupe befindliche zapfenartige Auswüchse aus dem Schleimnetz i). " „Es bilden sich ferner innerhalb der verschiedenen Theile des Rau- „penkopfes die Keime aller am Kopfe des Schmetterlings befindlichen „Organe." (Herold.) Die Gegenwart der Puppenform, rcsp. der organischen Keime des Schmetterlings unter der Raupenhaut bezw. im Raupenorganis- mus war bereits Swammerdam bekannt und artete in den Begriif einer „Einschachtelung" der Formenfolgen in einander aus. Auch Rösel von Rosen hof wusste es, „dass man eine (erwachsene) „Raupe nur in Weingeist etwas verhärten lassen brauche, so werde „man unter der Raupenhaut die Puppe hervorbringen können, welche „doch in der That wieder nichts anderes sei, als ein Papilion, dem „noch die rechte Stärke der Gliedmassen fehle." Aber auf Herolds experimentale und unbeirrt folgerichtig durchdachte Arbeit 2) möchte sich die Aufmerksamkeit zurücklenken. Das Totale der darin netto induzirten, unverkennbar echten zyklischen Entwicklungsvorgänge der sexuellen Biomorphität des Schmetterlings verneint jede Spur retrogradiver Zitationen phylogenetischer Entwicklung, sondern konstatirt für den ganzen Entwicklungsverlauf die Wirkung einer urbildenden Naturkraft. Das Auftreten der Fortpflanzungsorgane als deutliche Keim- Anlage bereits im jungen Räupchen, die prägnant echte Weiter-Entwicklung durch Verschmelzung dieser Keime, die Keimung und luftkan alisirte Entwicklung der Flügel bieten nirgends eine Spur von Rudimenten, von rückgeschobenen oder irgendwie phylogenetisch irritirten Organen, wie sie selektions- hypothetiscli adaptative Diiferenzirungen erzeugen müsstcn, sondern Alles gewährt nur ein Bild der reinsten Entwicklung durch natur- direktes Erzeugen. Speziell aber betreffs der von W. fälschlich als ein Zeugniss phylogenetischer gemeinsamer Abstammung bewertheten 6 Thorakal- beine der Larven ergeben die Erfahrungen der Experimental -For- schung, dass diese Beine eine morphologische Korrelati- vität der gegenwärtigen 6 Beine aller resp. Insekten- Imagines sind. Demnach erscheint es auch begreiflich, dass gerade die ersten Embryonalstadien einer später fusslosen Made die Spuren solcher Sechsfüssigkeit ebenfalls zeigen, denn diese ersten Keimstadien 1) Die erläuternden Untersuchungen neuerer Forscher bestätigen im Wesentlichen die für unser Thema wichtigen Punkte. 2) Herold, Entwickig. d. Schmetterlinge, 33 Taf. Cassel 1815. — 224 — stehen noch im direkten Stoffbezug von der morphologisch-zyklischen Nachbarschaft der sechsbeinigen Imago. Freilich erklärt, ja auch nur schematisirt ist hiermit nichts, und warum Embryonen mit Fussansätzen sich späterhin, je nach der Art, zu echten oder unechten Maden umformen oder nicht, das lässt uns die Natur wahrscheiulich niemals arbeitsklar erkennen. Das Natur-Soll hierbei rangirt an Unergründlichkeit neben der naturnoth- wendigen morphogenen Bisegmentation der Wesen, die ich als eine körperliche Dokumentation des Proportions- und Gleichgewichts-Prinzips in der Natur wenigstens tituliren möchte. Die darwinistische Anpassungshypothese löst diese Räthsel nicht, denn, wie wir wissen, leben die heterogensten Formen vielfach unter denselben Verhältnissen nebeneinander in proportionalgeordneter Ge- deihlichkeit — man erinnere sich einfach der Meerbewohner — , und auch die Bisegmentation zeigt kein Rühran der Zuchtwahl. Die den grössten Theil ihrer Lebenszeit nur auf einem Beine stehenden Reiherarten etc., als Beispiel gewählt, behalten doch ihre gesunden zwei Beine unverkiimmert, obwohl auch ihre Fortbewegung nur mit einem Beine ganz gut denkbar wäre. Trotz aller verderb- lichen Anfeindungen, durch rückseitiges, manövrirendes Beschlei- chen, behalten allerlei Thierformen ihre Augen, und diese zumeist nur paarig, am Vorderkörper i); selbst die gewiss allseitig mühend geübte, nützliche „Wendehalsigkeit" bleibt äus- serst beschränkt resp. unvollkommen bei den Thieren. Wenn die Plattfische mit so verdrehten Köpfen vorhanden sind, dass beide Augen auf einer Seite liegen, so spricht auch dies nicht für, sondern gerade gegen die Zuchtwahl. Denn völlig ungereimt hierzu wäre es, dass ähnliche Anpassungen und Verrückungen, da sie morphologisch zulässig sind, einzig nur hier und nicht auch viel- fältig anderwärts ausgeführt wurden, wo z. B. ein Auge an der Stirn und das andere am Hinterkopf oder Hinterkörper so direkt nütz- lich sein mtisste. Die selektionsmechanische Akkumulation biomorphologischer Ziele, Parallelen und Analoga anerkennen die Darwinianer ja ganz latent, unbedenklich, unbedacht und unerinnert, indem sie, die Leugner eines Schöpfungs- Solls, doch nicht leugnen, dass Säugethiere, Vögel, Reptile, Fische und Insekten i) Und Hunderttausende von verschiedenen Insektenfornien stimmen bezüglich ihrer Augen untereinander mehr überein, als mit ihren eigenen Larven ! - 225 - resp. auch Pflanzen und Pflanzensaamen, mittelst verschie- denster Organe fliegen, schwimmen, sehen, hören, riechen, kauen und verdauen; innerhalb welcher Thatsachen freilich ein gut Theil vom Darwinismus bereits generaliter widerlegt ist. Wäre die Zuchtwahl das Form- und Existenz -Motiv und Ver- antwortliche seit Anfang an, — woher dann diese detaillirte univer- sale Relativität und Einseitigkeit der Existenzen, diese mor- phologische Unterordnung, diese Rücksichtnahme und Selbstverleugnung gegenüber und innerhalb der Bio- morphosis der organischen Mannigfaltigkeit, die sich bändeweis darlegen Hesse, die sich aber dem Denkwilligen ohnehin allenthalben offenbart. Nicht eine zweite Form, nicht ein zweiter Sinn, nicht eine Ftlrbungsnüance dürfte existiren, wenn im Kampfe um's Dasein das Passendste deszendirte und kumulirte, erhaltungsverant- wortlicli wäre seit Anfang an! Denn selbst die (weltkausale) Variabilität müsste ausgemerzt worden sein zu Gunsten eines universal-stoisch-konstituirten Organismus! Dies und nichts anderes wäre die Logik und Konsequenz der Selektions-Mechanik ohne Direktion und Ziel. Beim Beginn des Themas über die Dipteren finden die Studien, dass die Imagiues der genuinen Dipteren in allen Hauptcharakteren miteinander übereinstimmen, denn Zahl und Bau der Flügel, Zahl und Gliederung der Beine, eigenthümlicher Bau der Brust, ja selbst die Mundtheile variirten innerhalb enger Grenzen. Dem entspräche in den Hauptzügen die gleichmässige Le- bensweise, sie flögen und liefen alle im Licht und diejenigen, welche überhaupt Nahrung genössen, erhielten sich von flüssi- gen Stoffen. Dagegen seien die Larven der Schnaken und die der anderen eigentlichen typischen Fliegen durch grundverschiedenen Bau von einander getrennt. Die Schnakenlarven besitzen einen hornigen Kopf mit Augen, drei Kieferpaaren und mit kürzeren oder längeren Fühlern, sowie einen aus 13 Segmenten zusammengesetzten Leib, sind zwar stets ohne die typischen drei Fusspaare, häufig aber mit sogen. After- füssen am ersten und letzten Segment versehen. Die Fliegenlarven hingegen sind madenförmig, ohne hornigen, ja ohne jeglichen Kopf. Die typischen Insektenmundtheile fehlen und statt ihrer findet sich ein verschieden geformter (!), im Munde gelegener, vorstreckbarer, ganz eigenthümlicher Hakeuapparat. Ausser 15 — 226 — dem ersten, dem Kopfe homologen augenlosen Segmente sind nur noch 11 andere vorhanden, an welchen niemals (?) Füsse sich ent- wickeln. Die Ausbildungsursache dieser zweierlei Larventypen soll nun wieder sekundäre, selektionsmechanische Anpassung in verschiedene Lebensverhcältnisse sein. „Wie bei den Hymenopteren- Larven, so „Hesse sich auch hier der Bau der Larven aus den Eigenthümlich- „keiten ihrer Lebensweise verstehen." (W. S. 207.) Nun dass Weismann's Taxe und Verwendung „der stärker ab- weichenden Lebensverhältnisse" eine höchst willkürliche und sich induktiv gegenseitig widerstreitende ist, erkannten wir bereits mehr- fach und namentlich analog zum jetzigen Thema auf S. 221 flg. dieser Schrift, bezüglich des Vergleichs zwischen Schmetterlings- und Hy- menopteren-Existenz. Und so auch hier wieder. * Es kann z. B. Niemandem zweifelhaft sein, dass trotz Weis- mannscher Einsicht von einer „in allen Hauptcharaktcren überein- stimmenden" Struktur aller Diptera, die in dem gleichförmigen Lichtleben, Fliegen, Laufen und Ernährungssuchen be- gründet sei, dennoch zwischen den Fliegen- und Schnaken -Typen ein Strukturunterschied vorhanden ist, der den betonten ähnlichen Lebensverhältnissen keineswegs so parallel läuft resp. kongruent ist, wie W. obenhin versichert. Die von ihm vorgeführten existenzlichen Faktoren des Licht- lebens, Fliegens, Laufens und der Nahrungsaufnahme differiren nicht allein zwischen Fliegen und Schnaken so wenig, sondern gerade diese Verhältnisse sind durchaus sehr ähnliche, innerhalb der gesammten Insektenbelebung der Lüfte, Fluren und Wasserränder. Auf der Basis dieser fast universal ento- mischen Lebensähnlichkeiten oder Lebensdifferenzen kann die Begründung einer Formeigenheit unmöglich Halt finden, dazu ist die biomorphe Mannigfaltigkeit, im Lisekten- reiche nicht allein, sondern auf der Erde überhaupt denn doch viel zu bedeutend. Wollten Avir z. B. einer andächtigen Kinderschaar nach Art der Studien die Lebensverhältnisse eines Strandvogels schil- dern, der von ausgeworfenen Weichthieren lebt, oder eines Aas- geiers oder eines Marabuts, die -in zerfliessenden Kadavern schmausen, so werden wir ganz dasselbe sagen können, was W. (S. 206) als die Zuchtwahl-Motive für die Ordnung des Dipteren -Typus angiebt: „sie leben im Licht, bewegen sich „vorwiegend durch Fliegen, laufen aber auch alle zugleich und er- „ nähren sich von flüssigen Stoffen." Wir werden u. a. aber noch — 227 — hinzufügen dürfen: ihre Nahrung bestehe hauptsächlich in faulenden Thierkörpern, durch deren Vertilgung sie sich gleich den Dipteren sehr nützlich machen. Denn sowohl die saugenden Imagines, wie die Maden der Fliegen, eben so viele beissende Käfer und deren Larven sind die wesentlichsten Konkurrenten der Vögel auf und in einem Aase. Und bezüglich der direkten Lebens- verhältnisse besteht hier eine Kongruenz, eine Ueber- einstimmung zwischen allerlei Insekten und Vögeln, zu der sich die Biomorphosis dieser biologischen Konkur- renten in ungeheurem Missverhältnisse zeigt, wenn man mit der Zuchtwahl rechnet. Auch die darwinistischen Retraite- Manöver, z. B. auf „sekun- däre" Anpassungen, auf die sogen. Konvergenzen, führen nur in's eigne Feuer. Denn wenn man sagen wollte, die Vögel seien erst als solche sekundär zu Aasfressern resp. zu Konkurrenten der be- 'züglichen Insektenformen geworden, die morphologischen Abstam- mungsverscliiedenheiten zwischen Vögeln und Insekten blieben be- stehen und gestatteten nur gewisse biologische Konvergenzen, so hat man ganz dasselbe auch von den Insekten darwinistischer Seits be- reits wirklich dozirt, indem man, laut vierfachem Citat (S. 209 der •Stud.), „den Wurm- resp. Maden-Typus als durchaus nicht alt, son- „dern im Gegentheil als eine sehr rezenteForm hervorhebt und festhält." Die eigenthümlichen Situationen der Selektionstheorie hierbei lassen sich kürzer und besser überlegen und empfinden, als wie wörtlich breitlegen. Wären sowohl die Vögel wie die Insekten erst sekundär biologisch konvergirend zu Aasfressern geworden, so müss- ten vordem entweder heute ganz unbekannte Formen Aasfresser gewesen sein, es müssten ganz theoriewidrige, sonderbare, biologisch -ge- nerale Wechselepochen sich ablösen, oder die Aeser der Urzeit müssten unverzehrt geblieben sein, oder es müssten befusste Formen resp. Würmer, diese hypothetischen Urväter der heutigen Maden, unter denselben Verhältnissen ehemals dasselbe geleistet haben, was heute Madenformen erfordert etc. etc. Welche Unzuverlässigkeiten innerhalb der Maschinerie der Zucht- wahl hier auftauchten, ist leicht einzusehen. Ich wollte nur die Ver- wischung und Allgemeinheit derjenigen Naturverhältnisse hervorheben, welche W. als die Spezialfaktoren für die Biomorphosis des Dipteren- Typus anführt. Was übrigens seine Angabe bezüglich „des gleichen Lichtlebens der Fliegen und Schnaken" noch speziell betrifft, so befindet er sich auch hier in einem bemerkenswerthen Irrthum. Die Fliegen arten frequentiren allerdings vorwiegend den 15* — 228 — heissen Sonnenschein und ruhen ziemlich alle hei Nacht. Die Schnaken aber sind zu einem grossen Theile Liebhaber der Dunkelheit und auch vielfach der finstern Nacht. Viele der- selben sind wohl ausschliesslicli nächtliche Thiere; wenigstens fand ich manche Tipuliden- Arten nur gegen Abend frisch ausgeschlüpft und anscheinend die nächtliche Flugzeit erwartend. Gerade der nächtliche Gesang der Kuliziden ist es, der in den Tropen die Schlafstätte des Ruhenden umpeinigt und auch bei uns bleiben diese Visiten nicht aus. Dem Verfasser der Studien wird sicherlich dieser nächtliche „Schwanengesang" des Darwinismus selbst bekannt sein. Bezüglich seiner Angabe nun, die typische Trennung der genui- nen Dipteren-Larven entspräche ganz den bezüglichen Abweichungen ihrer Lebensverhältnisse und sei bei deren morphologischer Unab- hängigkeit von den Vorstadien sonach bestimmt ein Resultat der separat erlittenen Zuchtwahl, so zeigte ich bereits, wie haltlos diese* Meinung ist für Larventypen, die gleichzeitig an ein und demselben Orte, unter ein und denselben zwingenden Verhältnissen, z. B. in einer Frucht, in einem Baumschwamme, in einem Wassertümpel, in einem Thierkörper u. s. w. , mit den Larven mehrerer anderen In- sektenordnungen beisammen leben, ohne dass die typischen Theile» jeder Larvensorte mehr als höchstens äusserliche Konturähnlichkeit zeigten, ohne welche sie ohnehin niemals beisammen leben konnten. Oftmals aber leben typische Schlundkopfmaden mit typisch bekiefer- ten und befussten Raupen dicht nebeneinander, und bewältigen und verzehren trotz organischer Abweichungen dasselbe Objekt mit gleichgut selbsterhälterischem Erfolg. Mit Recht betonen die Stud. selbst die ausserhalb der Fliegen- geschlechter ganz unvermittelt vorhandene Struktur der Schlundköpfe. Aber es findet sich keine Erklärung dafür, warum die Zuchtwahl hier solche heterogene Umbildung vollzogen habe, während die übrige örtliche Larvenkonkurrenz ohne diesen Apparat sich gleichgut nährt und bislang erhalten hat. Gerade die von W. zitirte Lehre eines anderen Darwinianers von der Konvergenz, von der Anpassung heterogener Thicrformen an gleiche Lebensbedingungen spricht wieder gegen die Selektion. Denn hier würde ja behauptet, dass sich die Auslese mit den Er- nährungsorganen beschäftigt habe, ohne doch innerhalb der gewiss zwingendsten Enge einer Frucht wieder auf die gleiche Mechanik gekommen zu sein, trotzdem laut selektionsfundamentabler phylogenetischer Dokumentation im Embryo, hier wie dort der gleiche bekieferte Urkopf gleichgelagert vorläge! — 229 — Noch merkwürdiger zu diesen grossen Struktur-Differenzen der fraglichen Larvenköiife nimmt sich die, wie bereits erwähnt, auf wei- tere vier darwinistische Autoritcäten gestützte „ünzweifelhaftigkeit" der Studien aus, „dass die sog. madenförmigen Larven der Insekten durchaus keine sehr alten Formen seien, sondern im Gegentheil sehr rezente." Nun die Anzüchtung des echten Madenkopfes, des Schlund- kopfes, müsste doch um Jahrhunderttausende vor den Beginn der Umformung der übrigen Madenköpfe nach Art der Bienenlarve zu- rückversetzt werden, denn vom Kieferkopf bis zum Schlund- kopf ist der Formabstand, also die transmutirende Akkumulations- Arbeit, doch ungleich bedeutender, als wie bis zum Bienen- larvenkopf. Gegen diese eventuell unerlässliche Konsequenz streiten aber die Thatsachen, Aveil die embryonalen Köpfe und Beine, welche die Darwinianer als das phylogenetische Zeugniss gemeinsamer Ab- stammung verkünden, bei allerlei Maden gl eich terminlich, und zwar embryonale Köpfe und Beine bei einander, er- scheinen und „phyletisch rekapituliren." Wenn aber die sogenannten konvergirten Maden, z. B. die Bienenlarven nicht allein, sondern sogar viele echte Kieferkopf- larven heute fusslos vorhanden sind, und die echten Schlund- köpfe doch unstreitig als über das Stadium eines Bienen- larven-artigen oder -ähnlichen Saugkopfes hinweg weiter transformirt angenommen werden müssten, dann hätte das Auftreten der Beine neben dem Kieferkopfe bei den Sehlundkopfraaden- Embryonen docli keinen Sinn,' wenn man die sogen. Rekapitulationen nicht als ein merkwürdiges Konserviren und Aufeinander- schieben ganz verschiedener alter phylogenetischer Perioden darstellen wollte. Die „Studien" zur Deszendenztheorie nehmen freilich solche theoriefeindliche induktive Konsequenzen weder überhaupt, geschweige denn als widersächliche wahr. Und doch liegen dergleichen geradezu langweilend viele vor, denn zu dem bereits Vorgeführten kommt noch, wie W. uns S. 206 selbst mittheilt, dass auch der Haken- apparat des Schlundkopfes „ein verschieden geformter ist." Demnach müssen nach Vollendung des Schlundkopf-Urtypus noch weitere „Abänderungsstösse" auf dieses Organ erster Dignität ge- drückt haben, ohne dass trotzdem die „Abänderungswellen" irgend etwas Embryonales in einen ferneren „phyletischen" Hintergrund ge- führt hätten, als wie bei den unabgeänderten Stamra-Schlundköpfen, Vielmehr hätten nicht allein sämmtliche Embryonalköpfe und Beine der verschiedenen Schluudkopfmaden, sondern auch aller — 230 — Kieferkopfmaden der Schnaken, wie der gesammten Hyme- nopteren-Maden, dem „Wellenschlag" dieser hypothetischen Trans- formationen seit verschieden periodischen Undenklichkei- ten an ein und derselben Embryostaffel übereinsjiimmend getrotzt. Wir sehen, wie endlos sich die induktiven Konsequenzen mehren zur Niederlegung der chaotisch geschichteten Studien-Hypothesen. Auch die Lebensweisen der Schnakeularven, die sich sowohl ähnlich wie Kaupen und wie viele Käfer, von Pflanzen resp. sogar vom Eaube erhalten, wie erstere und wie die Phryganiden- Larven sich auch Gehäuse bauen, im Wasser, in der Erde und in Vegeta- bilien leben, als Heerwurm, ähnlich den Prozessionsraupen, gelegent- lich Wanderzüge ausführen, gewährten nicht die geringste Basis für die Separation ihrer merkwürdigen Spezial-Mori)hosis durch Darwins Zuchtwahl. "^ Es giebt noch viele wissensuchend tiefblickende Männer, die sich mit der Enträthselung der Schöpfungs-Mannigfaltigkeit beschäftigen; allein gerade diesen reiht sich Frage an Frage; geschweige denn, dass diejenigen Trivial-Momente, diejenige Uebcreinstimmung oder Differenz der von den „Studien" überflüssig hervorgehobenen, fast universalen Lebenseleraente eine Leuchte aufstecken könnten über das Soll und Haben der Organismen. Kann man sich z. B. ein relativ gleichförmigeres Grosso denken, als wie es der Ozean bietet in seiner fast unbeschränkten Räumlich- keit. Und dennoch, welche ebenso unbeschränkte Fornienmannig- faltigkeit durcheinander belebt denselben, ohne dass etwa Mangel an Raum zur Modifizirung zwänge. Ist es zu tief, zu seicht, zu kühl, zu warm, zu hell, zu dunkel, zu süss oder zu salzig — ein Auf- oder Niedertauchen, eine Vor- oder Rückwanderung genügt, um das Behagliche wieder oder neu aufzufinden, überall dasselbe Wasser ist zu haben oder zu vertauschen. Ja überall auf Erden doch dieselbe beglückende Vielgestalt der Belebung und ihrer überraschenden bio- logischen Funktionen, und fast will es scheinen dem Allen gegenüber, als wäre es für die verödende Maschinerie der Selektion im Pilze zu enge und im Ozean zu weit. Was nun nochmals die von W. flüchtig zitirte sogenannte Kon- vergenz betrifft, welcher zufolge heterogene Thierformen 'gleichen Lebensverhältnissen habituell ähnlich angepasst worden sein sollen, so würde von solchem Auslesevorgang zu erwarten sein, dass er nicht die Form-Aeusserlichkeiten, auf welche es namentlich bei der ohnehin geschmeidigen Larven- resp. Wurm-Gestalt im Innern von Stoffen nur nebensächlich ankommen möchte, in erster Reihe umge- — 231 — stalten werde, sondern dass vor Allem die primär wichtigen Ernährungsapparate in Behandlung genommen und nach dem Schema der zeitherigen älteren Wohngenossen umgeformt würden. Träten Kieferköpfe neu in eine bisher von Schlundköpfen bewohnte Hausung ein, so käme doch gerade derjenige Typus wieder zu, den laut Embryo einstmals auch die Schlund- köpfe besessen haben sollen! In dieselbe Selektions ma- schine käme jetzt dasselbe Rohmaterial wie einstmals, und die „Auswalzung" desselben müsste doch auch dasselbe „ange- passte Blech" erzielen wie bisher. Gerade wenn solche Zutritte in verschiedenen Zeiten nach einander vor sich gingen, wenn die darwinistischen kongruirenden resp. konvergirenden Wandlungen be- stünden und alle Insekten eines Stammes wären, dann müssten uns in den verschiedenen Arten-Insassen der betreffenden Oertlichkeit mancherlei phylogenetische Uebergänge vom Kieferkopf bis zum modifizirtesten Schlundkopf häufig entgegentreten. Und ebenso die phylo- genetischen Staffeln auf allen andern Gebieten der Abstammungs- theorie. Was wir aber vorfinden an örtlicher Konsumkonkurrenz, das sind biomorphologische Parallelen und Analoga, aber niemals morphologische Uebergänge einer deszendenzlich transmuti- rendcn Allmäligkeits-Ungeheuerlichkeit. Nach afledem dürfte auch auf dem Terrain der „Konvergenz" die Nichtigkeit der Selektionsmechanik dargelegt sein. Die Studien fussen umwankbar auf ihrer eigenthümlichen oppo- nirenden Auffassung einer „phyletischen Lebenskraft,, dergestalt, dass es ihnen freilich „unfassbar bleiben muss, wie ein und dieselbe „Lebenskraft in demselben Individuum das eine Stadium stark, das „andre schwach ^ur Transmutation anregen soll entsprechend den „stärker oder schwächer abweichenden Lebensbedingungen, denen „sich der Organismus in diesen beiden Stadien fügen soll" (S. 210). Sie finden „durch solche ungleiche Abweichungen die Ausfüh- „rung eines idealen Systems, eines Schöpfungsgedankens verkümmert • „und verdreht." Ja, um das Motiv der Transmutation, um die Unfasslichkeit des Schöpfungsgedankens dreht sich doch die Diskussion seit Men- schengedenken. Die Studien haben aber sicher keine Veranlassung, wenn die Wesenerscheinungen nicht „kongruent" ihrer Transmuta- tions-Spekulation verlaufen, diese bisher noch unbegriffene Meister- schaft in der Natur für weniger intelligent zu kousequiren, als etwa einen Schneider, der doch auch den Rock nicht den Beinen, sondern — 232 — dem Oberkörper anpasst, oder für weniger klug als einen Staar, der seine Eier richtig in die Mäste, aber nicht zur Mäste hinaus legt. Innerhalb des plan- und ziellosen Kannibalismus „des Ueber- lebens, des Sieges des Besten im Kampfe um's Dasein", liegt doch nicht etwa das den Studien behagende ideale System oder Schöpfungs- denken! Die Lebewelt, plan- und zwecklos zwischen endlosen Uebervortheilen, Morden und Sterben aufgewuchert, selbst im Ent- wicklungsheros des Menschenthums durch allerhand korrespondirende Sinne, Empfindungen und intellektuelle Kritizismen ungeheuer relativ akkumulirt, wäre vernünftiger der selektionsthcoretische homogene Urschleim geblieben. Und so prinzipiell die Selektionstheorie auf die Selbstsucht der Lebewesen spekulirt und spekuliren muss — als ein Homolog, als eine Burg des Egoismus ist doch keine Art derselben organisirt. Am besten vertreten den organischen Egoismus gerade noch die sog. niederen Thiere von den Amphibien au abwärts bis in's Reich der Protisten. Hier giebt es sozusagen unverwüstliche Naturen, zu Wasser und Lande unter den verschiedensten Temperaturen lebens- fähig, die sich theilen und zerstücken lassen und gewissermassen unsterblich sind, was selektionslogisch aber alle Wesen sein müssten. — Die morphologische und histogenische Verbindung der Entwick- hingsphasen habe ich mehrfältig nachgewiesen. Was die -Natur z. B. an der Image zu erreichen hat, dessen Garantie ist in den Vor- stadien längst vorhanden, und wenn sie einen Fischmokh in einen Salamander umsetzt in derselben Materie, so wird es wahrscheinlich nur durch eine örtlich naturbegründete, leichte Verschiebung der materiellen „Gravitation" oder Haftbarkeit sein. Soweit dieser Be- griff ausreicht, Avird es die Nothwendigkeit des Erhaltenblcibens der Kraft sein, welche auch die Proportionirung der Umsätze organisirter Materie bedingt. Nur natürlich erscheint es, dass der lokalisirte Vollzug solchen Umsatzes, solcher Evolution, erstens auf die Physis dieser Lokalität kausal ist, und sonach zweitens auch kein heterogenes Produkt zur Lokalität liefern kann. Dem materiellen Reiz entsprechend, d. h. dem biomorphischen Bezug, welche z. B. atmosphärische Luft auf den stofflichen Zellen- resp. Organisations-Bestand einer gewissen Formstufe haben kann, entsprechend muss auch das Produkt dieses Reizes sein. Denn aus der Sphäre der ihn umgebenden und in ihm verdichteten Stofflich- keit, wird kein Organismus hinaustreten können. Nur durch mensch- liche Eingriffe derartiger Qualität, dass sie der organisirtcn Materie einer vorliegenden Form entsprechen, kann eventuell derjenige Form- — 233 — Umsatz künstlich hervorgebracht werden, dessen Morphose in den Umsetzungs-Möglichkeiten des bezüglichen Organismus natürlich ruht. Wo der Umsatz der Kraft sich in den stofflichen Grenzen eines Organismus oder Körpers vollzieht, da gelangt die neue Formbildung in keiner Halbheit oder Zweifelhaftigkeit zur Perfektion, sondern deutlich abgestuft in naturdirekt kongruirter Gradation, ähnlich wie die Umsätze des Wassers, der Minerale und Metalle in scharfen Evo- lutionen physiologisch - kongruent erfolgen und solchergestalt von einander auch formlich getrennt bleiben können, je nach der Tempe- ratur oder Elementirung ihrer Station. So lange wir aber über der Erscheinungen Grund und Soll reell nicht mehr wissen als wie heute, so lange möchten doch wohl auch Ideen von einem „verdrehten Schöpfungsgedanken" in gebildeter Sphäre nicht laut werden. So schwer es fallen mag, nach einem gewissenhaften Vergleich mit den Thatsachen und Logiken, der Darwin'schen Theorie wieder entsagen zu müssen, einer Theorie, welche der in uns unüberwindlichen Ansicht von einer (örtlich aus- tauschenden, äquivalenten) Entwicklung der Natur, einen mo- mentanen Haltepunkt vorgaukelte, so können wir doch aus eitler Selbstschmcichelsucht uns den Erfolg der Räthsellösung nicht mittelst offenbarer Ungereimtheiten einsouffliren. Welch' prostituirte Majestät der Natur wäre es, wenn es, sit venia verbo, „inmitten" der Ewigkeit und Unendlichkeit auf einem beliebigen Weltpünktchen planlos akkumulativ aufgescha- cherte Organismen gäbe, die schon „Alles wüssten," d. h. die nach motiv- und zielnichtigem Entstehen sich mit ihrer blindlingen Er- kenntniss-Nichtigkeit eo ipso wesenkrönen könnten, denen die künftigen Ewigkeiten keine -„real-primäre" Vorlage mehr böten, die allenfalls in den nächsten Dezennien 'noch das Restchen Chemie, Magnetismus und Elektrizität der Organismen retortisch und tele- fluidiren und zu Phantasie-Organismen per Unterhaltung „kaleispinte- kromokrenen" könnten. Wie bald verlöre wohl auch das Kombinations-Spiel mit solchen organischen Baukästen allen Reiz,- Langweile und Widerwille stellten sich beim Menschen ein, bestäubt ruhte das abgespielte Inventar der organischen Kumulationen, deren Komplikations-Möglichkeiten selbst für die fernsten Periodenfolgen pränumerando durchgeprobt wären, in den antiquirten Archiven; durch den „Nichtgebrauch" erzeugten sich geistige „Rudimente" und „Einschrumpfungen" — und lange bevor nur eine darwinistische Periode in's Land gelaufen, wäre ihre einstige Begrifflichkeit kaum noch als psychogenetisch embryo- nirtes Monument im Menschenthum vorhanden. Niemand wüsste — 234 — noch etwas von dem Aktiviren dieser Eudimente einer einstmals das All sezirenden Wissenschaftsphase. Die Selektions-Konsequenz verschluckt, eliminirt sich überall selber und so auch ihre eigene Begrifflichkeit. Beglückwünschen wir uns, dass diese Theorie nichtig ist und dass der Mensch bis in alle seine Zeit hinaus Arbeit und Freude für sich erhoffen darf. Die Studien finden es ohne die Voraussetzung von Selektions- Vorgängen unfasslich, wie die metamorphosischen Stadien das zu den Lebensverhältnissen kongruente mannigfaltige Bild gewähren können; als ob „leben, existiren" nicht eo ipso primär die bimorpho- logische Kongruenz präsumirte und resp. dirigirte, ähnlich wie der armelos geborne Mensch zum Künstler mittelst Mund und Füssen sich existenzlich virtuos „kongruirt". Gefangen in ihrem eigenen Begriffs- Kursus von „ungleichen, hier starken, dort schwachen Abänderungs- stössen", vermögen die.Stud. ja auch mit dem Gegenüber der selbst- gestellten Puppe ihrer „phyletischen Lebenskraft" zu keiner natür- lichen Einfachheit zu gelangen. "Wohl wissen sie, dass Larve, Puppe und Imago im Grunde ein und dasselbe Individuum ausmachen, dass die Larve nur die Jugendform der Imago ist ; aber dieser Zusammen- hang gilt ihnen nur als ein rein quantitativer. Sie wollen durchaus nicht erkennen und zugeben, dass die Keime zur künftigen Eigenheit der Metamorphosen bereits mit der Zeugung elementirt sind, sondern sie sehen in den Metamorphosen geAvissermassen eine ähnliche technisch bedingte Stufenabwicklung, wie sie z. B. eine Thierhaut verschieden erleidet, je nachdem sie durch die "Werkstätten des Gerbers und Schuhmachers oder Riemers oder durch die des Kürschners und Schneiders wandert. Unerinnert bleibt den Stud. die naheliegende technische Un- fasslichkeit in ihrer Theorie, wie eine Larve, mit dem Kauapparat versehen, welchen der Embryo für ihre phyletische Vorvergangenheit jetzt nachweisen soll, wie sie mit diesem Apparat plötzlich in das dichte Innere einer saftigen Frucht oder weichen Masse versetzt, als junges zartes "Wesen den Ernährungswechsel beginnen, durch-, führen und beibehalten könnte; und woher, wenn ihr dieses wirklich möglich war — und dies müsste alsbald geschehen sein, denn sonst kam sie doch um — , woher dann noch die mechanische Noth wendigkeit zur „allmäligen" Umformung des Kieferkopfes in einen Saug- oder Schlundkopf kommen sollte. Eine solche Neuerung könnte auch nur durch eine an sich so- wohl, wie technisch unbegreifliche Irrung einer einzelnen Imago eingeleitet werden, welche ihr Ei anstatt wie bisher frei an eine Pflanze, an oder in eine Frucht legte. — 235 — Legte sie das Ei aussen an eine Frucht an, so fände die aus- kommende Larve doch zunächst und nach ihren ererbten sensualen und organischen Anlagen mehr Veranlassung zur Suche nach der erb- gewöhnten freien Nahrung, als wie zum Anbiss und zur Einbohrung in die ungewöhnte fremde Frucht. Nimmermehr läge eine Wahrscheinlichkeit vor, dass solche Larve auch alsbald auf die Irrung ihrer Mutter eingehen und mit-irren würde. Erklären die Darwinianer doch selbst die richtige Wahl der Nährstätte für die Brut durch die Imagines als ein einfaches Resultat der Auslese der Geruchs-Fertigkeiten. „Irrig abgesetzte Brut käme „selbstverständlich um, und so bliebe nur diejenige übrig zur „Weitervererbung der richtigen Geruchsanlage, deren Mutter richtig „gewählt habe."i) Nun, das Kategorische dieser Geruchsleistungeu ist gewiss an- zuerkennen; dass die Zuchtwahl dabei aber auf einfachstem Wege wieder abgewiesen ist, werden wir nachher völlig klar erkennen. Jetzt finden wir durch die eigene Lehre des Darwinismus verneint, dass einzelne Irrungen einer eiablegenden Image zu einer neuen Nahrungsannahme, zu einem VortheiL für die Larve ausschla- gen könnten. Wie aber, angenommenen Ausnahmefalles, also im Fortlebungs- falle der irrig abgesetzten Brut, dieses Erlebniss alsbald zur Fixation im Organismus gelangen und dagegen die altererbte, bisher erhal- tungsverantwortlich akkumulirte Anlage beseitigt sein könnte, wie das Erhaltenbleiben einer einzelnen Nachkommenschaft abgeirrt Er- nährter sich dann in derselben Richtung erhalten und akkumuliren sollte, weder durch den Massendruck der Kreuzung mit den normal begatteten Artgenossen, noch durch die Kreuzungen mit dann auch anzunehmenden anderseitigen Abirrungsbruten, noch durch das pro- zentual ungeheuere Vernichtungs-Verhältniss zur feindlichen Gegner- schaft an seiner Existenz und Befestigung gehindert worden sein sollte, das zu erklären gehört sicher mit zu den Unfasslichkeiten und auch zu den Selbstvvidersprüchen im Selektiousthema. Halten wir uns der Kürze halber nur an die nächstliegende Hypothese der Stud. von der Unabhängigkeit der Biomorphose, der biologischen Funktionen jedes einzelnen Stadiums der Metamor- phose. Setzen wir ihr gegenüber die für den Vorgang eines Nah- rungswechsels der Larven unerlässliche Annahme, dass solch' einmalige irrende Eiablage durch das Mutterinsekt auch fernere Geltung be- halten soll, so müsste solcher neue Vorgang bei der Deszendenz eines Individuums irgendeinmal sofort zur Wiederholung i) Schneider, „Der thierische Wille." — 236 — und Befestigung in dem nächsten korrespondirendcn Imago-Stadium gelangen. Dass es für solche Fälle kein „All- mälig" gäbe, zeigt eine kurze Ueberlegung des vorhin Angedeuteten. Auf welchem Wege aber solche Neuerung speditirt werden sollte, da ja die Larven, nach Weis mann, keinerlei biomorphe Verbindung und Marke für die Biologie ihrer Eltern ha- ben und im angenommenen Irrungsfalle auch wirklich nur die ge- wohnheitswidrigen Dulder einer ausnahmsweisen, fremden Verschul- dung wären, das gehört abermals zu den Studien -konsequenten Un- begreiflichkeiten. Ausserdem wirrt sich noch ein Knäuel weiteren Widersinns zu den Lehren von den ererbten Anlagen, der Variation derselben, der Rückschläge und der Kreuzung ineinander. Und bis hierher gelangen wir überhaupt nur, indem wir bereits die fünffältige Schwierigkeit als beseitigt annahmen, dass eine irrende Eiablegung, anstatt an die bisherige Nähriiflanze direkt, irrig an dasAeussere einer Frucht oder dergleichen er- folgt sei und dass die auskommenden Larven die neue Nahrungs- stelle alsbald durch den Geruch akzeptiren, mittelst ihrer Fresswerkzeuge auch sofort bewältigen, schmackhaft und zuträglich finden würden. Es lässt sich beiläufig wohl zugeben, dass der einzelne Fall solcher Irrung und auch die Möglichkeit des Larven -Gedeihens an der neuen Nahrung nicht durchaus unwahrscheinlich ist. Denn an eine total heterogene Eianbringung durch die freie Imago glaube ich überhaupt nicht, sondern meine, dass eine Irrung im Geruch immer- hin noch auf eine auch den Larven akzeptable Nahrung treffen würde. Ich möchte sogar bezweifeln, dass die angeblich irrend erfolgende Eierablegung durch Schmeissfliegen an die Aaspflanze auch wirk- lich den Ruin der auskommenden Brut bedingt, sondern halte es für sehr möglich, dass die fette alternde Blume sowohl direkt den jungen Larven als Nährstoff dienen kann, als auch dass diese und noch andre Larven an anderen Pflanzen mit abfallenden Theilen von Blu- men in der Natur zum Boden gelangen, wo sie oft weitere Nahrung finden. Zu solchem Wechsel verbringen z. B. in den Weidenblüthen eine nicht unbedeutende Zahl von Käfer-, Schmetterlings-, Hyme- nopteren- und Dipteren- {Stomoxys-) Larven nur ihre erste Jugend- zeit, wie ich mehrfach wahrnehmen konnte. Im Weiteren gebe ich zu, dass ich eine gewisse Anpassungs- möglichkeit für neue Verhältnisse in einer Kumulation funktioneller Uebungen für begründet und nachweisbar halte, werde mich darüber auch später äussern. Allein alles dies vollzieht sich deutlich natur- — 237 — direkt, ohne irgend einen Bezug auf Konkurreuzauswirrung mit Le- bensgenossenschaft. "Was nun zunächst die übrigen Seiten eines Nahrungs- und ein- seitigen Strukturwechsels auf darwinistischer Basis betrifft, so sind noch die Unmöglichkeiten hervorzuheben, die sich dagegen heraus- stellen, dass eine Versetzung der Larvenkeime von aussen n-ach dem Innern von Stoffen statthaben könnte. Hätte die Larve eine Irrung des Mutterinsekts einmal konsu- mirend überleben können, so vermöchte diese Form dies deszendenz- lich wohl auch fernerhin, wenn nicht in der Kreuzung die abso- lute Unmöglichkeit vorläge, dass es jemals zu einer Befestigung solcher Neuerung und zum Eingehen derjenigen zeitherigen Maxime kommen könnte, welche die konservative grosse Mehrheit unüberwindlich vertritt. Selbst wenn die Larven der Neuerung durch einen Ernährungsvortheil zu schnellerer Reife befördert, sich mittelst ihrer Imagines durch Inzucht vermehren wollten, so könnte dies nicht von Dauer sein, vielleicht gerade ihren raschesten Unter- gang herbeiführen. Denn einestheils vermöchte ihre geringe Zahl der Kreuzung immerhin nicht auszuweichen , weil die grosse Zahl der konservativen Artgenossen den ausgleichenden Vortheil der tem- poralen Entwicklungs -Variation für sich hätte, und anderseits wäre die Fruchtperiode eine weit kürzere als wie die des Laubstandes, so dass eine Zeitigung der Brut die Imagines nicht zur rechten Zeit für den giltigen Fruchtzustand liefern würde, und die Neuerung entweder aufgegeben werden oder die Rasse eingehen müsste. Zu allen vorgeführten Umständen gegen den Vorgang eines auf d i e A e n d e r u n g d e r M u n d t h e i 1 e bezüglichen vegetabilen Nahrungs- wechsels, treten aber noch weitere Unfasslichkeiten hinzu bei solchen hypothetischen Fällen, wo bekieferte Köpfe in das Innere von Stoffen versetzt werden sollen. Hier wäre die Einbringung des Eies keinem Insekt möglich, das nicht den entsprechenden Legestachel hätte und sonach bliebe überhaupt nur der erste Irrungsfall diskutirbar, wo das Ei aussen angesetzt würde. Bohrte sich nun die Larve in dai Innere und könnte sich hier einrichten, so ginge dies nach Weismanns Theorie der Imago gar nichts an, sondern der Legeapparat müsste sich bei derselben ganz und gar selbstphasisch zum Lege-Stachel umzüchten. Dieser Vor- gang bei der Imago hätte aber wieder nur dort Sinn und Werth, wo die Irrungsfälle derselben von den Maden bereits präakzeptirt wären, und wo letztere bereits das dichte Innere der äusseren freien Er- nährung vorzögen. Die Erwerbung der Legestachel könnte also nur — 238 — sekundär, nachdem die Larven bereits die Lebensweise von Maden angenommen hätten, nachfolgen. Auf welchem Wege die Auslese solche Umformungen in dem mehr oder weniger ephemeren Dasein der begat- tungsraschen Imago ausführen soll, bei diesem Stadium, die ebe'n so heterogen zum Larvenstadium wie zur Deszendenztheorie, ohne alle „phyletischen ßepetitionen" fix und fertig funktionsreif dem Vorstadium der Puppe entsteigt, ohne dass, nach W., ihre Biomorphosis in den Vorstadien anders als durch die rohe Quantität vorgesehen sein soll, das müsste der Auffassungsgläubigkeit meines Rezensirten überlassen bleiben. Ich halte solche Vorgänge allerdings für mechanisch unbegreiflich, unterlasse aber deren noch mehrseitig gebotene Widerlegung, um damit nicht zu ermüden. Bezüglich der Schlundkopfmaden mache ich aber noch darauf aufmerksam, dass diesen nach bisheriger Annahme eine Afteröffnung fehlt, 1) wenigstens nicht in der den befussten Kieferkopflarven eigenen Requisition vorhanden ist, und dass sich auch in den bezüglichen Embr3-onalstadien derselben nichts davon erwähnt findet. Wären nun deren Vorfahren, wie nach W. zu prämittiren ist, ähnlich dem Kieferkopf-Typus kothentleerend gewesen, und so in das Innere von Körpern versetzt worden, dann hätte zur Beseitigung dieser Natureinrichtung ein Umschwung des ganzen Organismus be- züglich der Nahrungsaufnahme und Absorption stattfinden müssen, mit Vorgängen verbunden, deren „allmäliger" Vollzug durch Darwins Zuchtwahl ganz undenkbar fällt. — Die Studien kommen (S. 211) zu der Besprechung einer ihnen besonders auffälligen Inkongruenz-Erscheinung, zwischen den Maden und den Imagines der Flöhe. „Die Larven derselben besässen vollkommen den Bau der Schnakenlarven, die Flöhe selbst aber zeigten vom typischen Schnakenbau nur rudimentäre Flügel, während Fühler, Mundtheile und Beine, selbst Gestalt und Verbindungsweise der Körperringe sehr wesentliche Umgestaltungen erlitten haben müssten. " „Hier liege die Hauptursache der auffallenden Inkongruenz nicht „in der .ungleichen Zahl der auf jedes Stadium getroffenen Abände- „rungsstösse, sondern vielmehr in der Stärke derselben, in der i) Ich sah die Kothentleerung bei einer schlundköpfigen Fliegen- made an Salat lebend. Am After zwischen mehreren Warzen trat eine dünne braune Masse heraus, die ich vordem innerhalb des Körpers gegen den After zu bemerkt hatte. Diese Entleerung erfolgte viel- leicht anormal durch die Behandlung der Made mit Aether. Ein Aus- scheidungs-Kanal musste aber vorhanden sein. — 239 — „Wichtigkeit der Theile, welche abänderten, und zugleich in dem „Grade der Abänderung." „Gerade hierin scheint den Studien ein nicht unbedeutendes, „theoretisches Resultat verborgen zu liegen, welches sich wiederum ., gegen die Wirksamkeit eines organischen Entwicklungsgesetzes „wende." Nun, wenn wir uns zur Betrachtung der dem Menschenkörper anhaftenden Schmarotzer wenden, so werden wir zwar nicht die den Stud. auffällige Inkongruenz zwischen den beiden Stadien merk- würdig finden, sondern vielmehr diejenige selektions widrige Unge- reimtheit entdecken, die zwischen den gleichen Lebensverhält- nissen und den ganz verschiedenen Formen und Funk- tionen dieser unserer lästigen Freunde besteht. Denn im ganzen weiten Insektenreiche ist dieHetero- genität der Belebungsformen selten so eng lokalisirt beisammen, wie event. unter der Garderobe des Menschen. Nicht allein beherbergt die Oberfläche des menschlichen Körpers den in Systemen zu den Dipteren geordneten Floh, sondern je nach Ver- hältnissen auch eine bis dreierlei Arten von Läusen. Letztere ge- hören bekanntlich zu einer Kollektivordnung verschiedener Insekten- formen, die sich durch einen schnabelförmigen Mund und durch ihre unvollkommene Verwandlung aneinander gruppiren lassen, und me- tamorphosisch von den meisten anderen Insekten unterscheiden. Das Larvenstadium in der Ontogenese fällt hier gänzlich aus, denn das Ei entlässt bereits ein junges Insekt in der Endform, das sich nur durch Wachsthum noch etwas umgestaltet, indem es, wie es vielfach auch anderwärts im Thierreich der Fall ist, an der re- lativen Länge der Extremitäten verliert, und erst nach einiger Zeit fortpflanzungsfähig wird. Sowohl nach dieser generalen Richtung, wie auch nach den Details zum Aufenthalt und zu den Lebensverhältnissen besteht eine bedeutende Verschiedenheit zwischen der Morphosis der Flöhe und derjenigen der Läuse. Metamorphose, Körperbau, Bewegungsorgane und Bewegungsmanier, die Form und Struktur der Saugapparate, die Unterbringung der Brut sind durchaus verschieden bei Flöhen und Läusen. Speziell durch die Befestigung der drei Fusspaare an drei gesonderten Brustsegmenten stellt sich der Typus des Flohes nicht nur heterogen zu seinen angeblichen Stammverwandten, den Schnaken, sondern zu den meisten metamorphen Insekten überhaupt. Und man kann sich kaum eine relativ bedeutendere morpho- logische Inkongruenz denken, als diejenige, welche Floh und — 240 — Läuse im beiderseitigen gleichmässigen dunklen Heim und bei ganz ähnlichem biologischen Funktioniren dar- bieten. Zur Maschinerie der Zuchtwahl ergeben sich die unverkenn- barsten Unregelmässigkeiten ; denn wie könnte die Selektion u. a. dem Flohe allein die Springbeine anzüchten und die Laus dagegen vernachlässigen, trotzdem diese in ihrer, noch dazu weit ra- scheren und reichlicheren Deszendenzreihung jedesmal so extrem lange Beine zur Welt mitbringt, dass die Zucht- wahl nur auszulesen brauchte, um ihr das rettende Springen eben- falls beizubringen. Auch wenn man die Springbeine des Flohes für eine alte, als nützlich beibehaltene Schnaken-Erbschaft ausgeben wollte, so bliebe immer noch eine theoretische Ungereimtheit, eine Bevorzugung des Flohes durch die Selektion übrig, wenn sie hier die alten Beine beibehielte und bei der Laus die stetig bis heute und reichlicher angebotenen, morphologisch langen Beine der Jugend ignorirte. Ausserdem dürfen wir Avohl annehmen, dass die Hunde und die übrigen bez. besetzten Thiere zahlreichere Flöhe beherbergen als die Menschen. Dort bedürfen sie aber der springenden Flüchtigkeit viel weniger, denn der Hund stöbert sie scharrend oder beissend zumeist nur nach einem anderen Flecke im Pelze. Die Eierableguug erfordert ebenfalls kein springendes Wandern, denn diese besorgt der Floh, indem er die Eier vom Hunde aus gleich abwärts fallen lässt, oder an die Haare befestigt; brauchte auch nur das öftere Liegen seiner Wirthe zu benutzen, um bequem absteigen zu können. Das Springen be- hagt demselben wohl selbst nur wenig; wenigstens springt er vorkommen- den Falls möglichst schnell wieder zur Herberge zurück und ist so sehr Anhänger des dunklen, warmen Aufenthalts am Körper, dass es übrigens nur befremden könnte, warum ihm die Selektion die behagliche Eianbringung direkt an herberglicher Stätte nicht ab- solut angezüchtet hätte. Wie gesagt, die natürliche Zuchtwahl befände sich bei un- seren Schmarotzern in totaler Inkongruenz zu deren Nütz- lichkeiten und primärsten Lebenserfordernissen. Denn nicht allein, dass der Floh, nach dem biologischen Zeugniss durch die Laus selektions-biologisch entbehrliche Springbeine hat^ so hat er sogar an diesen Beinen eine Menge kitzelnder Börstchen, bei einer Gangart, die seine Anwesenheit beharr- lich und unverkennbar selbstverräth, und die Verfolger zu seiner B eunruhigung und Vernichtung selbstmörderisch aufstachelt. — 241 — Nicht minder inkongruent zum Nützlichen würde die „natürliche Auslese" bezüglich der Farbe für den Floh gearbeitet haben. Wollte man gegnerischerseits etwa die Kreuzung mit den Flöhen von dunklen Thieren oder Menschenrassen einwenden, so würde ich ent- gegnen, dass es auch viel hellfarbene Hunde giebt und — dass selbst die Mohren etwas weisse Wäsche tragen. Bemerkenswerth ist noch, dass die Menschenlaus am Neger schwarzgefärbt ist, und dass dieses Insekt in warmen Zonen allen Berichten nach reichlicher als wie bei uns vertreten ist, während es mit dem Floh, d. h. direkt am wenig bekleideten Neger kaum ebenso sein dürfte. Wenn nun die Farbe des Flohes vom Süden her bis zu uns konservirt sein sollte, dann begriffe es sich nicht, warum gerade nur dessen Kouleur und nicht auch die dunkle Neger-Laus von der „Anpassung" bei uns ignorirt würde, die Laus, welche be- züglich der Fluchtbeine doch so selektionskarg behandelt erscheint. Ln Barte, an den Augenbraueii und an sonstigen behaarten Körpertheilen des Menschen, kommt gelegentlich eine Läuseart vor {Pediculus piihis)^ die sich fest hakt und saugt und dann schwer zu entdecken ist, weil sie erhöhten Talghügelchen der Haarwurzeln oder auch einer Hautpustel ähnelt. Es ist nicht bekannt, dass dieses Lisekt auch an Thierleiberu schmarotze wie andere Pediculina und Pulicina. Wir hätten also hier ein Wesen vor uns, für dessen „An- passung" wir die motore Selektions-Maschinerie ganz speziell kennen würden, — es wäre der Mensch selbst! Und die Eigenschaf- ten dieses Insekts müssten, der Selektionstheorie gemäss also die Balance, das Resultat sein menschlicher Anfein- dung, menschlicher Auslese und Nachstellungs-Intelligenz. Hierzu wäre es aber recht bemerkenswerth „inkongruent", dass trotz dieser qualifizirtesten aller Auslesen dieses Insekt nicht allein noch existirt und auffindbar geblieben ist, sondern dass seine — dar- winistisch-logisch also unsere — Anpassungsleistungen, die Talente, resp. die bimorphologische Qualifikation speziell thieri- scher Schmarotzer, z, B. der Thier-Läuse und Milben, der Pferde- und Vogel-Lausfliegen, keineswegs übertrifft. Derselbe nie- drige und widrige Schmarotzertypus, den der Mensch unaufhörlich „selektirt", er ist entweder identisch oder in relativ unwesentlichen, morphologischen Modifika- tionen am Büffel, am Eichhörnchen, an der Fledermaus, am Vogel, ja selbst an der Biene und am Käfer im Dung oder unter Wasser vertreten. Ja die körperlichen Verschieden- heiten zwischen Schmarotzern am Menschen und solchen an Thieren, sind oft bedeutend geringer als wie zwischen Schmarotzerarten 16 — 2i2 — derselben Gattung, die lediglich an einer Tliierform leben. Die Krätzmilbe des Menschen {Acarus exulserans L.), die Käsemilbe {Ac. domesticus L.) und die Vogelmilbe {Ac. avicularum) unter- scheiden sich z. B. gegenseitig weniger, als wie sich letztere von einer anderen Singvogelmilbe {Ac. passerinus) unterscheidet. Man bedenke die intelligenteste und intensivste aller Auslesen, ?,\iQz\Q\\\)ei Pediculus yiihis ist sie wirklich und faktisch und unverfälscht und unbeeinträchtigt durch wirthliche Kon- kurrenz vorhanden und vorhanden gewesen. Aber sie hat ihren stetig Beachteten und Verfolgten keine bessere biomorphe Erbschaft kumulirt, als wie der blindlings im Federkleide kratzende Vogel seinen Pulicina und Orni- thomyina oder als wie der abwehrlos duldende Käfer sei- nen Hydrachnea! Gewiss es ist unverkennbar, dass dieses abseitige Thema sein hohes Interesse hat und eingehender abgehandelt zu werden verdient; denn bereits meine kurze Erörterung lässt eine abermalige Vernei- nung der Selektionstheorie nach zweierlei Richtung erkennen. Wenn die Studien nun am Schlüsse dieses Abschnittes den über- zeugten Verkündern eines organischen Entwicklungsgesetzes im irrigen Siegeswahn die Frage fett entgegendrucken (S. 213): „wo das Ope- rationsfeld dieser Kraft bliebe?" und diese Vernunft- und induk- tionsgemäss offenbare Kraft bis auf das „ultimum refugium" eliminirt zu haben wähnen, so bin ich dagegen fest überzeugt, dass die Selek- tionstheorie von den „Abänderungswellen" der fortschreitenden kri- tischen Forschung in wenigen Jahrzehnten aus dem Körper der Wissenschaft hinausgespült sein wird. Und hierzu wird gerade das Operations -Thema der „Studien" die dignitesten Rückschiebungs- stösse mitgeliefert haben. Widmen wir nun den Stud, noch unsere weitere freie Begleitung bei der Sammlung ihrer Induktionen mit einer Zusammenstellung. Was sie für sich gefunden haben, formuliren sie charakteri- stisch so : „Die Formenverwandtschaft der Larven falle „durchaus nicht „immer" zusammen mit der Formverwandtschaft der Imagines, ein „morphologisches System der Larven falle „nicht überall" zusammen „mit einem morphologischem System der Imagines." An Nachweisen selbst für die Richtigkeit dieser elastischen These, ist nun innerhalb der ganzen Studien nicht ein konkreter Werth vorhanden, sondern die ganze Basis derselben bildet eine Reihe blanker Behauptungen, die sich auf das flüchtige Zitiren einiger — 243 — herausgegriifenen Insekteiiformen nach deren äusserer Erscheinung beschränken. Wie sich der anatomische und organisch-chemische Bau der Larven elementar und histogenisch zu ihren Imagines verhält, das zu konsequiren kam den Stud. nicht in's Erwägen. Und doch liegt der frappante Fall vor, dass gerade dieser Verfasser der „Studien zur Deszendenztheorie" vor längeren Jahren eine ergänzende Arbeit „Ueber die Entstehung des vollendeten Insekts in der Larve und Puppe" veröifentlichte , worin er die Anlage und Entwicklung des Kopfes, der Beine, Flügel und Schwinger der Schmeissfliege bereits im Innern und aus dem Innern der ganz jungen Larven nachwies, nachdem die Anwesenheit der Flügelkeime innerhalb der Larve (Raupe) bereits seit S warn m.er dam konstatirt ist. Weismann bestätigte die Entwicklung aller jener Körpertheile „als ganglienähnliche, von selbstständiger Membran eingehüllte „Zellenanhäufungen unabhängig von der äussern Haut der Larve, „bereits in der frühesten Zeit des Larvenlebens", und seine Unter- suchungen ergeben ausserdem, dass gewisse erste Bildungsstadien der Füss'e später als wie die der Flügel eintreten, die Anlage des Kopfes sich später als wie die der Füsse und Flügel markirt. (!) Diese, neuerdings von Dewitz wieder eingehend untersuchte Keimung der Organe der zukünftigen Imagines innerhalb des lebens- aktiven Organismus der sich nebenbei mehrfach häutenden und or- ganisch erneuernden Larven, diese als phylogenetische Rekapitulation unaufstellbare Anlage-Gruppirung und Reihenfolge der Extre- mitätenbildung gewährt unverkennbare Erscheinungen echter natur- direkter Entwicklung s Vorgänge, Mit den Ergebnissen dieser einstmaligen effektiven Studien Weismanns koUidiren seine darwinistischen Spekulationen jetzt pein- lich, und vielleicht deshalb finden die ersteren, abgesehen von einer flüchtigen häckelianischen Zitation, von ihm heute keine erörternde Be- achtung. Auch die schöne Herold'sche Arbeit über die Entwicklung des Schmetterlings aus Raupe und Puppe, welch' treffliche Handhaben konnte sie dem forschungswilligen Weiterstreben bieten. Nur be- klagenswerth wäre es, wenn jenen Perioden sachlicher Forschunjf gegenüber, in unserer Zeit die selbstsüchtig aufs „Nichts" abstrahi- rende Spekulation als Induktionsergebniss estimirt werden könnte. Wollten die Stud. noch mehr von Inkongruenzen ihrer Taxe sehen, so durften sie nur immer weiter und weiter über alle Wesen- heiten der Erde hinwegzublicken. Sie würden als letzte und grösste Inkongruenzsumme die Ges.ammt-Mannigfaltigkeit des vorhan- denen Ganzen zu der erdigen, steinigen, mineralischen und flüssigen 16* — 244 — Monotone des kahlen Erdkörpers gefunden haben. Denn nimmermehr gleichen die demonstrablen physischen und sozialen Komplikationen und Korrelationen des Erdballs die ungeheuere Zahl der organischen Formenmaamigfaltigkeiten im Total aus, wie bereits die Formen-Abnahme und Dürftigkeit innerhalb der gemässigten und arktischen Zonen beweist, w 0 doch andrerseits die physikalisch- meteorologischen Komplikationen weit bedeutender sind als wie innerhalb der äquatorialen und subtropischen Zonen. Hier bleibt ein riesiger Ueberschuss zu Gunsten der Mannigfaltigkeit des lebendigen, bewegten Formenhabitus der Erde. Dieses Formen-Plus könnte aber nimmermehr das sozial-schwe- bende Verdienst oder Verschulden eines Existenzendrucks, eines indi- viduellen Wucherthums sein ; denn keiuQrlei mechanischer Organismus aus Materie vermöchte die eigne Mutter Physis zu bewältigen und deren Erzeugnisse dann als emanzipirte Bewegungs-Transmission zu eigenmächtiger Herstellung weiterer, sekundär- oder pseudo -physi- scher Produkte zu verwenden. Die arbeitende Physis muss vielmehr von einem kategorischen Müssen oder Wollen bewegt, influirt und konfluent direkt erzeugend sein. Die Mannigfaltigkeit muss natur- inhaltlich „gewollt" und „gesollt" werden, und unser eigenes Wollen wird nur ein Ausfluss aus diesem universalen Strome sein, der unendlich fliessen wird, auch wenn die Physis unsere Berge längst zu Kies geschliffen haben wird. Wieder direkt zur Vorlage gewendet, so mache ich nochmals darauf aufmerksam, dass namentlich die von W. bei den Pulicinen angenommenen ungleich werthigen Umwandlungs -Vorgänge zwischen Imagines und Larven, nothwendig eine völlige Verwirrung der Arten- begrenzung mitsichbringen müssten. Es gefällt W. nirgends, auch der Rolle zu gedenken, welche die inneren und äusseren Zeugungsorgane bei dem Formenwandel spielen müssten. Wenn aber die Stadien der Metamorphose selbstständig von einander abweichen und transformiren könnten, hier in allerlei funktionellen Theilen und Organen, bei dem andern Stadium eben- fells selbstständig, bald in wichtigen, bald in nebensächlichen Werthen, dann wäre nicht einzusehen, warum Dasselbe nicht auch zwi- schen dem dualen Sexual-Apparat der Geschlechter ein- träte, dergestallt, dass gelegentlich der ganze Kopulations- Ver- band aufgegeben und jedes Geschlecht auf eigene Manier durch sich selbst fortpflanzungsfähig würde. Soll die Selektion die Sexu- alität mechanisch akkumulativ differenzirt haben, warum sollte sie nicht auch wieder von ihr abkommen, gerade hier nicht wieder — 245 — „konvergiren" können, trotzdem die hypothetische Urthümlichkeit geschlechtsloser Fortpflanzung noch heute tausendfältig dignit besteht. Dem flüchtigen Anscheine nach wären auch dahin neigende Fälle vorhanden, z. B. unter den Insekten bei den Blattläusen, bei den Blattwespen, bei den Schmetterlingen Psyclu Helix und Solenobia Lichenella, unter den Krustern bei den Wasserflöheu (Z>«2:>/iwia). Hier liefern bekanntlich die Weibclien nach einmaliger Kopulation mit den Männchen dann einen Zyklus mehrerer Geburten nacheinander, und die jungferlich geborenen Jungfern sind als solche fortpflanzungsfähig. Allein alle diese Fälle sind nicht derartig, um als Kesultate einer gesteigerten Inkongruenz durch einseitig auf die Sexualität getroffene Abänderungsstösse gelten zu können. Denn die männliche Mitwirkung darf wahrscheinlich nur zyklisch ausfallen, nicht gänz- lich i); und ausserdem bleibt es immer das weibliche Element, welchem' diese merkwürdigen Jungferzeugungen erlaubt sind. Auf männlicher Seite existirt meines Wissens kein Fall selbstständiger Reproduktionsbefähigung neben dualer. Speziell bei den Blattläusen tritt noch der widersprechende Fall hinzu, dass diese ohne Larvenstadien sind, indem die Weibchen alsbald junge Läuse gebären, und dass darnach alle Altersklassen dicht neben- und durcheinander in ganz gleichen Verhält- nissen aufwachsen. * Es ist hier nicht der Raum, diesen hochinteressanten Natur- erscheinungen und ihren Analogien im Pflanzenreiche eine längere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Folge von verschiedenen einseitigen Differenz-Fortschritten der Geschlechtsfunktioneu auf Grund natür- licher Auslese sind sie sicher nicht, das zeigt ihr Vorhandensein bei Wesen mit ganzer, halber und ohne Metamorphose. Ausserdem wären sie sexual-einseitig und viel zu selten. Beständen Abänderungen der metamorphosischen Einzelstadien in der von W. gemeinten gegenseitigen Unabhängigkeit, so müssten sowohl die einseitigen Fortpflanzungsfälle, die zeugende Eingeschlecht- i) Entomol. Nachr. IX, No. 1 bespricht Dr. R. K. v. Stein allerdings eine Reihe von parthenogenetiscben Blattwespenformen, zu denen trotz hundertjähriger Beobachtung bis heute noch keine Männ- chen entdeckt wurden. Wo dergleichen jungferliche Deszendenzreihen- folgen ihre Gattungsmerkmale mit den dual-sexual zeugenden Formverwandten übereinstimmend behalten können, halte ich selek- tionslogisch unverständlich. Mindestens läge in der Vielheit partheno- genetischer Arten innerhalb verschiedener Gattungen entwicklungs- theoretisch eine ,, Zielstrebigkeit" verborgen. — 246 — lichkeit reichlich vorhanden sein, als auch die Durcheinandermi- schungen von Arten, und dies gerade innerhalb der höchstorganisirten Wesenheiten. Denn in Konsequenz der Selektionslehre könnte für dieselben und aus der fortschreitenden Inkongruenz über- haupt keine nützlichere Errungenschaft mechanisch her- vorgehen, als wenn das einzelne Individuum keinen Gatten mehr zu suchen brauchte, dessen ererbte Organitations- und Funktious-Mischungen die vortheilhaftesten eigenen Anlagen des In- dividuums doch zu allermeist wieder fälschen, dezimiren oder gar aufheben. Hinweg wäre alle Kreuzung, das Ideal des Zuchtwahl- Egoismus wäre erreicht, denn unverfälscht auf der Arena der Natur würden nur die ureigenst erhaltungsbewährten Stammesattribute ein- ander rivalisirend entgegentreten. In Generationsschritten müsste sich immer grössere Vollkommenheit des „Ich"-Domiuiums aus der Auslese des Passendsten im Kampfe um's Dasein entwickeln. Die Moral des Darwinismus — der aufsaugende pro- gressive Zinseszins — wie würden ihre Konsequenzen im Transformismus, mit allerhand Riesengebissen, pfeilerhaften Pranken, mit Augenblicks- und Massentödtungs-Giftzähnen, mit ab- soluten Abschreckfratzen, Stachelknäuelu, Stinkdüften und anderen Poteuzirungen der bereits angebahnten angeblichen Nutz-, Trutz- und Ekel-Kumulationen, das irdische Emporium der Zuchtwahlstätte durchwimmelu, bis schliesslich ein Generalrachen alles miteinander geniessen und verschlingen könnte. Wie schnell also könnte die Selektion durch das ihr logisch zukommende Potenziren der Weismann'schen „Inkongruenzen" durch Emanzipation vom Kreuzungszwang dahin gelangen, Avohin sie mittelst letzterem wohl ebenfalls, aber sehr viel später gelangen würde. — Die Studien sagen uns theils etwas Neues, theils nicht, wenn sie uns (S. 217) zur Systematik belehren, „dass die Larven der Flöhe „wegen des geringen Formabstandes von den Schnakenlarven, nur „den Rang einer Familie mit letzterem zusammen beanspruchen „können, während ihre Imagines durch so weiten Formabstand von „den Schnaken getrennt sind, dass sie den Rang einer besonderen „Zunft verdienen; . . und dass von Raupen einer Art, die lokal in „zwei Formen erscheinen, die Falter aber nicht, jede der beiden „Raupenformen den systematischen Werth der Varietät, die Falter- „form aber den Werth der Art haben." So lange die Larven der Flöhe und Schmetterlinge aus Eiern hervorgehen, welche die Imagines ablegten, und so lange sich diese - 247 — Larven nicht begatten, so lange behält jede systematische Separat- taxirung der einzelnen Entwicklungsstadien nur einen Spielwerth. Die Konsequenz der systematischen Betonungen von Inkongruenz und Kongruenz durch W., würde die gesammte animalische Welt ungefähr eintheilen in drei Hauptordnungen: in eine der „Eier", in eine der „Würmer" — inklusive Schlangen, Fischen und Walen, denn diese würden biologisch- und form-kongruent den Maden sein — und in eine dritte Ordnung der „Fü ssler". In letztere gehörte alles Befusste von der Raupe bis zu uns; aber jede Art würde min- destens in zwei Ordnungen erscheinen müssen, alle zusammen aber in der ersten, denn das „phyletische Embryonal -Dokument" zwänge hierzu. Das ist keine Satyre, sondern die kategoriche Konsequenz der Weismanu'schen Taxirung der Kongruenz- und Inkongruenz-Ursachen, sobald der Erscheinung der Art im Total keine Diguität, d. h. keine biomorphosische Unität mehr zugegeben wird, sondern die Embryonen und Entwicklungs-Phaseu als Abstammungs-Konservate, bezw. als Zuchtwahl Di- und Konvergenzen systematisirt werden sollen. Die Stud. wiederholen auch ihre doppelt unrichtige Behauptung : „die Gruppe der Tagfalter entspreche genau einem gleich grossen „Kreis gleichförmiger Lebensbedingungen, der den Raupen mangle." Weismanns Irrungen in der Taxe der Lebensbedingungen, legte ich bereits (S. 222) beim Disput über die Hymenopteren klar. Des Weiteren wissen wir auch, dass sowohl durch eine enorme Bei- mischung tagfliegender Heterozeren, wie durch dämmerungs- und nächtlich fliegende Tagfalter, durch Tausende von faden- fühl er igen „Rhopalozeren", ferner durch die gesenkte Flügelhaltung zweier und wohl noch mehrerer Tagfalterarten durch Auftreten der Haftborste deren systematische biomorphe Begrenzung im Sinne der Stud. keineswegs besteht. Eine eingehende und beachtenswerthe Beleuchtung dieser Ver- hältnisse enthalten die Jahrbücher des Nassauischen Vereins für Naturkunde, Jahrg. XXXI. und XXXII. i) Was aber die aufrechte Flügelhaltung in der von W. verwendeten Betonung noch extra bemängelt, das ist die Wiederkehr der-, selben in [zwei anderen Insektengruppen, nämlich bei den Wasserjungfern (Libellulina) und Eintagsfliegen (Ephemerina). Erstere ruhen gleich den Tagschmetterlingen namentlich bei Nacht, letztere tagüber mit aufrecht dicht zusammengehaltenen Flü- i) Dr. Rössler, Vers, die Grundlage f. eine natürl. Reihenfolge d. Lepidopt. zu fioden. Sep. zu haben bei Jul. Niedner, Wiesbaden 1880. — 248 — ■ geln. Wahrscheinlich brächte eine Untersuchung und Vergleichung der Brustmuskulatur den erforderlichen Aufschluss über diese inter- essanten Uebereinstimmungen mit den Tagfaltern. Den Studien scheinen alle diese Thatsachen in der Insektenwelt entweder fremd oder gleichgültig zu sein; sie behaupten einfach: gekeulte Fühler oder aufrecht gehaltene Flügel an einem Insekt ge- nügten, um mit Sicherheit den Tagfalter zu kennzeichnen, „einem „gänzlich Unkundigen könne man keulenförmige Fühler als Haupt- „merkmal der Tagfalter angeben und er werde niemals im Zweifel „sein über die Zugehörigkeit irgend eines Schmetterlings zu den „Tagfaltern." (W. S. 194) Wer sich aber auf dieses Merkmal allein verlassen wollte, der würde viele Sphingiden, Sesien und Zygaenen als Tagfalter betrachten! bei einer Riesenwahl von echten Tagfaltern mit fadenförmigen oder , sehr schwach verdickten Fühlern hingegen über ihre systematische Stellung in Zweifel und Fehler gerathen. Ein „Unkundiger" über- haupt würde Blattwespen, Ameisenlöwen, Libellen und Eintagsfliegen als Tagfalter einordnen, wenn er den Anweisungen der Stud, ver- trauen wollte. Die Aufstellungen derselben für ihre Lehre von der Kongruenz zwischen Form und Lebensverhältnissen entbehren in ihrer flachen Einseitigkeit des forschuugsgiltigen Induktion swerthes. Was sie für ihr biomorphisches System aber dargestellt wünschen, das muss herzu; was widersächlich ist, das wird nicht wahrgenommen und was sich natürlich nicht vorfindet, das wird als vorhanden be- hauptet. Weder die Haftborste, die gesenkte Flügelhaltung und der nächtliche Flug einiger Tagfalter, noch die tagfaltergleiche Flügel- haltung in zwei anderen Insektengruppen, weder die fadenförmigen Fühler vieler Tagfalter, noch die gekeulten resp. geknöpften Fühler vieler Heterocera, sowie Hymenoptera und Neuroptera, finden irgend- welche Beachtung noch Erwähnung. Dass in der Natur offenbar ein weit genialeres, freieres System von Kongruenz und Konvergenz der Formen zu den Lebensverhält-. nissen vorhanden ist, als dass darauf die Zwangserklärungen der Deszendenz-, geschweige denn der Selektions-Theorie' passten, ver- mögen die Stud. nicht wahrzunehmen, und dass der Zwang der Lebensverhältnisse von aussen allein die Komplikationen nicht deckt, welche die Natur innerhalb jeder Formklasse in gewisser Parallele aber dennoch streng eigenartig wiederholt, entgeht ihnen ebenfalls, weil sie alles auf die Abstammungstheorie zu nivelliren streben und ohne den erforderlichen Ueberblick des bezüglich Naturgebotenen zu sein scheinen. — 249 — Das im Protisten reiche zahlreiche Formkonturen nicht allein der Makro-Animalen, sondern sogar der menschlichen Technik bereits vertreten sind, dass dann im eigentlichen Thierreiche wieder jede Ordnung desselben ihre aufsteigende Formenreihung hat vom einfacheren bis zum komplizirteren Typus, dass gewisse Formstufen jeder Ordnung nach ihrer äusseren Erscheinung ihre Vertretung auch in den übrigen Ordnungen finden, dass das Uebergreifen der Formenvertretuugen von Ordnung zu Ordnung kreuzt, bietet entschie- den selektionswidrige Induktionen, welche W- gänzlich ignorirt. Aus der Klasse der Wurm er greifen gewisse Formen, und selbst in biomorphischen Anklängen, theils hinüber in den Bereich der Krus- tenthiere, theils der Insektenlarven, theils auch der Fische und der schlangenartigen Amphibien. Die Fische erhalten dagegen eine Formvertretung aufwärts durch verschiedene Amphi- bienformen (Fischmolche), sowie bereits durch warmblütige Thiere, in den Walen. Hierauf strecken die Amphibien ihre Form theils als Flug- echsen biologisch unter die Vögel, theils werden sie durch Schuppen-, Gürtel- und Schnabelthiere unter den Säuge- thieren repräsentirt. Die Vögel wieder finden ihre biologische Nachahmung nach oben durch die Flug-Säugethiere, und sie selbst erinnern durch Pinguine, Alke, Kasuare und Strausse an Hasen, Känguruhs, Lamas; andererseits durch die Kolibris an Insektenformen, und vice versa. Einer ähnlichen analogischen Formrepetition begegnen wir nun auch in jeder einzelnen Insektenklasse. Die Formen der Tagfalter selbst, wie ihrer Larven, wiederholen sich innerhalb der Nachtfalter, und die Gesammtheit der Grossschmetterlinge innerhalb der Ge- sammtheit der Kleinschmetterlinge. Das Grosso der Schmetterlinge insgesammt findet dann unter den Neuropteren seine Formanklänge. Und so besteht überhaupt auch eine wechselseitige Repräsentanz der Formen innerhalb der Hymenoptera, Diptera und Coleoptera, in Bezug sowohl kreuzweise unter sich, wie in Beziehung zu allen übrigen Insekten-Familien, ja sogar zu den Amphibien und Säugethieren. Denn in letzterer Hinsicht existiren unter den Käfern resp. deren Larven, Formen, welche an Saurier, Schildkröten, Robben, Nashorne, Böcke, Stiere, Hirsche u. s. w. erinnern. Ein bemerkenswerthes Pendant zu den darwinistisch reichlich ausgenützten Pflanzennach- ahmungen durch Insekten. Auch das Reich der Vierhänder in sich repräsentirt eine an- sehnliche Menge von anderen Säugethierformen ; und ähnliche ver- tretende Formbeziehungen nach rückwärts und vorwärts trifft man — 250 — unter den Körpertypen und Physiognomien des Menschengeschlechts an, Farbige Rassen erinnern an Thiere, zeigen aber mitunter auch kaukasischen Typus, Nochmals zurückgedacht, so finden sich unter den niederen Wasserbewohnern, den Strahlthieren, Polypen, Korallen, sowohl aller- hand Pflanzen- und Blumen-Formen, wie in deren Ausscheidungs- bauten der Uebertritt ins anorganische Gebiet. Wie im Protisten- reiche, so finden sich an deren Körpern oft die Formen der extremsten Erzeugnisse menschlicher Lebenskunst, z, B, Anker, Helme, Speere, Pfeile, Fussangeln, Nadeln, als organische Bildungen in mikrosko- pischer Kleinheit vor, und beweisen durch ihre Ueberein- stimmung mit den Produkten menschlicher Erfindung und Denkkraft die Naturimmanenz und Gesetzmässigkeit aller Formbildung und Anpassung, Anderntheils kleidet sich auf diesem Gebiete das Organische nicht selten durch Phosphoreszenz und Irisiren in die Erscheinung des optisch und meteorologisch Phänomenalen, wie ja auch schon speziell in der Insektenwelt durch brilliirende und leuchtende Individuen gewissermassen die Kunsterzeugnisse der Juweliere und Pyrotechniker, ja das Sternengeflimmer des Weltenraumes zur ephemeren Vertretung gelangt. Während aus der kristallenen Tiefe aller Augen, und na- mentlich aus dem Auge der gehobenen glücklichen Menschheit, ein unergründlich tiefer Strahl des Geistes blitzt und seinen Zauber schwingt in und über alles, was Physis ist. Und dies Alles, und das glückliche und zagende, bejahende und verwerfende, das hoffende und resignirende Fühlen unseres Herzens, sollte sich aus den blinden Wuchererfolgeh und Uebervortheilungen einer Selektion anorganisch entwirrt und kapitalisirt haben?! Wie hätte sich auf solcher Basis auch nur eine Faser für ein Rechts- und Billigkeitsgefühl in uns bilden können, das trotz ten- denziöser Gegencleutungeni) selbst den rohen Naturmenschen ziert, das aber durch die Unfehlbarsprechung des darwinistischen Kampfes ums Dasein, durch sein „Ich stets vor allen Anderen", gerade in den Zentren der „Zivilisation und Vernunft" ausgemerzt und eli- minirt worden sein und bleiben müsste. Die Studien sind anderer Meinung als ich, Sie glauben lediglich i) Achelis z, B, bestreitet eine aprioristische Moral, wie ich glaube mit Unrecht, unter Hinweis auf widersprechend lautende Gebote verschiedener Sittenkoden. Die Moral aber basirt auf Aequivalenz ; ihr Werth, ihr Begriff, ihr Prinzip ruht im „Ausgleich". Moral ist sitt- licher Ausgleich, Diesen streben alle Koden an, und deshalb ist das Prinzip allerdings apriorisch. \ — 251 — in den äusseren Einwirkungen, durch Zuchtwahl und Anpassung, die Begründung gerade der Formen -Mannigfaltigkeit aufgefunden zu haben. „So wäre denn", äussern sie (S. 219) gesperrt, „für jede der „verschiedenen Arten von Inkongruenz der Formverwandtschaft, ein „durchaus genauer und überall zutreffender Parallelismus mit Inkon- „gruenz der Lebensbedingungen nachgewiesen .... und der schon „aufgestellte Satz, dass die Formabstände stets genau dem Abstand „der Lebensweise entsprächen, habe demnach überall seine Bestätigung „gefunden. Ungleiche Formabstände fielen genau zusammen mit „ungleichem Abstand der Lebensbedingungen, und Gemeinsamkeit der „Form träte genau in demselben Umfange auf, wie Gemeinsamkeit „der Lebensbedingungen. Bei Tj-pen gleicher Abstammung entspräche „der Grad der morphologischen Verwandtschaft genau dem Grade „der Differenz in den beiderseitigen Lebensbedingungen." Ich glaube hinreichend erörtert zu haben, wie wenig bereits das oberflächliche Bild der Erscheinungen solches Generalisiren gestattet, geschweige denn die Prüfung und Vergleichung der Lebensverhältnisse verschiedener Arten. Wir sahen identische Lebensverhältnisse von heterogenen, wie von direkt nachbarlichen Formen absolvirt, während ein und dieselbe Art unter wesentlich abweichenden Aufenthalts-, Umgebungs- und Nahrungsverhältnissen oft identisch auftritt. Nirgends empfingen wir den Eindruck, geschweige das Erkennen, dass ein in- dividuelles Meistbieten auf die, ja ebenfalls unaufhörlich veränder- lichen äusseren Lebensverhältnisse, es jemals vermöchte, die natur- imperatorischen Normen der Belebungs - Mannigfaltigkeit biomorphisch protegirend zu verschieben. Wenn wir „bei den metamorphosischen Thierformen nicht nur „ein doppeltes Zusammenstimmen von Bau und Funktion beobachten," sondern auch, wie die Stud. weiter behaupten, wahrnehmen sollen j „dass die Umwandlung der Form in den beiden Hauptstadien der „Entwicklung in ganz ungleich raschen, ungleich starken und in „ungleichem Rhythmus ^statthabenden Schritten erfolge," so möchte ich doch wissen, wo der Vorgang solcher Umwandlungen irgendwie nur plausibel dargelegt, geschweige denn wahrnehmbar geworden sein soll? Auch wenn es mir nicht gelungen wäre, die embryologische Krücke für die phyletischen Dogmen der Stud. wegzuziehen, so bliebe die Embryologie als Beweisbasis der darwinistischen Transformations- lehre, noch immer eine hintergrundlose Spekulation, so lange alle cisprotozoischen Animalen aus ein und demselben, selbst beim fortgeschrittensten Wesen vertretenen, variablen Stadium der Ei-Form hervorgehen. Was hätte der selektionslehrige Formenfortschritt aus dem — 252 — Niedrigsten zum Höchsten, dieser Eklat, diese Dominenz der Wesen- Vervollkommnung vorn, diese Zurückführungen der neuen Erwer- bungen nach rückwärts in der Ontogenese, resp. bis in die mikrosko- pischen Embryonal-Stadien für Sinn, wenn hinten trotzalledem immer und ewig nicht vom Ei loszukommen wäre, das doch individuell variirt wie alles andere. Wie können die Stud. allein diesem theoretischen laisser-aller gegenüber, selbst die Existenz unantastbarer typischer Theile be- streiten und gesperrt wiederholen: „in Bezug auf die Ursachen der „Entstehung hätten wir keinen Grund, zwischen typischen und unty- „pischen Theilen einen Unterschied zu vermuthen; das Vorhandensein „einer schöpferischen Kraft sei zur Erklärung der Erscheinungen „überflüssig" (S. 220). Wie tief die Trennung der Spezies wurzelt, wie ganz unmöglich es ist, selbst das universale Stadium der Eiform für einen von der Selektion beibehaltenen Grundtypus erklären zu wollen, das zeigt die spezifische Eigenthümlichkeit der Form, Struktur und Färbung, die das Ei der einzelnen Art von demjenigen einer anderen, wenn auch nächstverwandten Art trennt. Ausserdem trennt nicht allein eine typische Generalform der Eier, sondern sogar die Manier der Ablagerung, fast unzwei- deutig für den Spezialisten, jede Klasse der Insekten von einander. Man erkennt an gewissen Merkmalen ziemlich sicher, ob man Schmetterlings- oder Käfer- oder Neuropteren-Eier vor sich hat. Ein ähnlich leitendes Merkmal für das Erkennen einer fraglichen Insektenklasse bietet in Abwesenheit des Insektes selbst oft sogar dessen Frassspur; denn die Art der Benagung der Pflanzentheile ist ziemlich typisch für jede Ordnung, selbst bei ähnlichen Fress- organen. Die wissenschaftliche Gelassenheit, mit welcher die Stud. ihre Themata vortragen, kommt mir werthlos vor, wenn sie es nun als morphologische Korrelation zulassen, „dass der Schädel von Darwin „beobachteter Kaninchen mit Hängeohren Abweichungen zeige, welche „allein in Folge dieses Herabhängens der Ohren einträten" (S. 223). Was hier „die Folge" ist, der abweichende Schädelbau oder die hängenden Ohren, bleibe freigestellt, denn jedenfalls geht die Struktur beider Theile konform, wie schon die verschiedenen Schädeltypen und die dazu korrelative Form der Ohrmuschel bei den verschiedenen Menschenrassen andeutet. Hier schlummern aber keinerlei natürliche artenspaltende Trans- formationen, welche den Stud. erlaubten, von diesen Zuchtkaninchen — 253 — alsbald auf zwei freie Arten einer Daphniden-Gattung über- zuspringen, „die sich so nahe ständen, dass sie nur bei genauer „Vergleichung einzelner Theile zu unterscheiden seien. Während aber „die meisten äusseren und inneren Organe fast identisch seien, „wichen die Samenzellen der Männchen ganz auffallend „von einander ab." Nun dies spricht doch ganz qualifizirt gegen die Möglichkeit einer Differenzirung durch Zuchtwahl; denn wie sollte sich fast allein in den Zeugungsstoffen die Allmäligkeit einer Artenspaltung vollziehen können? Jedenfalls werden diese beiden Daphniden nicht kreuzungs- fähig mit einander sein. Wenn aber der Zeugungsstoff der hypothe- tischen Stammart beider einstmals individuell differirt und auseinander gestrebt hätte, was hätte dabei die Zeugungsqualität innerhalb des akkumulativen Divergirens dennoch kon- servirt, so lange und gerade nur bis zu dem Punkte völliger Spaltung in zweierlei Befruchtungsstoft'e, und nicht weiter? Wenn nicht die erste geringe Differenzirung des Befruchtungs- stoffes alsbald zur zweigeschlechtlichen Separation und Etablirung eines neuen Stammpaares führte, — auf akkumulative Art all- mälig wäre dergleichen Separation nicht möglich; hierbei könnte nur die Fortdauer des Zeugungsverbandes selbst der ausser lieh getrennten Formen mechanisch erreicht werden. Vom Ständpunkte des selektionslogischen Reüssirens alles Eigen- nutzes hat die Kopulations-Separation nach Arten überhaupt keinen Sinn, denn das Nützlichste bei sexual-dualer Zeugung für den Sieg des Ichthums wäre es doch, wenn es mit jeder Art von Gegenüber neuerzeugt und fortgepflanzt werden könnte. Die Stud. machen noch einige besonders an den Antennen und den männlichen Geschlechtsorganen stai-k ausgedrückte Differenzi- rungen zwischen Daphniden -Formen namhaft. Dergleichen Ab- weichungen an den für die Erhaltung der Art verantwortlichsten Organen können sich aber doch unmöglich als durch Anpassung an ändernde Lebensbedingungen ausgezüchtet erklären. Das differi- rende männliche Zeugungsorgan kann bei der Kopulation nicht ge- eigneter sein für den weiblichen Theil als wie das normale; der Darwinismus stellt diese erhaltungsfunktionären Priraärtheile doch selbst als selektionsakkumulativ angepasste hin. Eine positive Aenderung dieser Organe wäre nur konform, gleich- zeitig bei beiden Geschlechtern denkbar. Dergleichen Transformi- rungen kamen aber ausserhalb der Zuchtkreuzungen noch nicht zu unserer Wahrnehmung, wenn nicht die Umwandlung des Axolotl in ein Amhlystoma, zu dessen Besprechung und Deutung wir mit den — 254 — Stud. nun gelangen werden, eine derartige Erscheinung darbietet. Bevor wir indess diesem Thema beitreten, habe ich noch demjenigen über die Diptcra eine kurze Beigabe zu widmen. Jedermann kennt die den Menschen und Thieren peinliche Zu- dringlichkeit der Stechmücken {Culex ^ Shmdia). Es giebt deren eine Mehrzahl von Arten innerhalb der verschiedenen Zonen, doch bedarf es keiner besonderen Betonung einer einzelnen Form, da sie, und auch dies ist ganz, besonders selektionswidrig zu konstatiren : ^alle in gleicher Weise leben und in gleicher Weise als Quälgeister auftreten" (Taschenberg). Innerhalb unserer ökonomisch ausgenützten und gepflegten Land- schaften gelangt man nur wenig zur Taxe derjenigen Bedeutung, welche die Stechmücken in den feuchten Tropen, namentlich aber in den Sommertagen der arktischen Wildnisse haben. In den nordischen Einöden Europas, Asiens und Amerikas summiren sich die Mücken- Individuen zu einer Zahl, deren Riesigkeit im Insektenreiche, neben den Ameisenformen, wohl einzig ist. Aber mit vollendeter Meister- schaft versenkt eventuell jedes von den zahllosen Mückenweibchen, sowohl auf der dürren Haide wie auf dem quatschenden Moore, seinen Saugrüssel in die Haut des Menschen, welcher ihr nur gelegent- lich und selten ins Revier geräth. Im arktischen Norden ist der individuelle Bruchtheil aus der Summe der vorhandenen Mückenheere, der zu solchem Gebrauch seines Rüssels beim Menschen, oder zu ähnlichem bei Thieren gelangt, ganz ausserordentlich gering, und kaum nach Millionteln zu be- zeichnen. Es ist anzunehmen, dass wenn nur ein Tausendtheil der vorhandenen Mücken zur Einbohrung der Rüssel bei Menschen und Thieren gelangte, der Norden ganz unbewohnbar sein würde. Die Haut der verhältnissmässig immerhin seltenen Renthiere, so- wie der übrigen nordischen Weidethiere mit dichtem Haarkleid be- setzt, vermag die Mücke nur an wenig Stellen anzubohren. Ich beobachtete ihre Angriffe nur auf die Augen, auf die Maulgegend und auf einige andere Weichtheile der Thierkörper. Mir selbst trachteten sie ebenfalls mit Vorliebe an den Augen hinter den Brillen- gläsern beizukommen, obschon sie die übrigen freien Körperstellen an Kopf und Händen keineswegs vernachlässigten. Wie wenige aber von ihnen, und wie kurzer Zeit finden sie an solchen Stellen Platz, denn fast jede festgesaugte Mücke ver- fällt alsbald dem Tode. Selbst Renthiere und Kühe streiften ohne besondere Anstrengung mittelst der Hinterfüsse die saugenden Diptera verschiedener Art von Stirn und Scheitel, und das bedeutet fast allemal den Untergang der trunkenträgen Saugerin. — 255 — Die Verwendung des Mückenrüssels und namentlich die Ueber- lebung solches Falles, ist also ganz unzweifelhaft ein re- lativ ausserordentlich seltener und kaum als vorhanden zu betrachtender Gelegenheitsfall, und diese selektionsnichtigen Verhältnisse gelten nicht allein für den heutigen Norden, sondern soweit wir konsequiren können, für alle mucken bevölkerten Zonen der Gegenwart und Vergangenheit. Hierzu. kommt, dass durch Wetterverhältnisse verursacht, nicht selten Wochen vergehen, während welcher alles initiative Mückenleben pausirt, wie ich zuverlässig beobachtete. Die der Mückenfrequenz günstigen Momente vereinigen sich im Norden auf eine ziemlich geringe Anzahl von Tagen, die durch passive Perioden unterbrochen werden, so dass es durch- schnittlich kaum mehr als 20 Tage sein werden, an welchen die Stechmücken während des kurzen und launischen Sommers der ark- tischen Eegionen jährlich zu allgemeiner Frequenz gelangen. Im Jahre 1880 wurde nach meiner direkten Wahrnehmung im Nordosten Finlauds diese Zahl der mückenbelebten Tage von Anfang Juni bis Mitte August noch nicht erreicht. Im Jahre 1871, wo ich dort an 13 Tagen Gewitter beobachtete, waren auch die Tage der Mücken- Frequenz reichlicher. An solchen Tagen ist fast jede Oertlichkeit im Freien so mücken- bevölkert, dass es nahezu unmöglich wird, an irgendwelcher Stelle, sei sie feucht oder dürr, sonnig oder beschattet, nur minutenlang zu rasten, und nur unter steter Abwehr gelingt dem Sammler ein kurzes peinliches Verweilen, um die ergriffenen Naturobjekte rasch zu bergen. Nach jeder freien Körperstelle und sei sie auch leicht überdeckt, richtet sich das gewandte Trachten der Mücken, und unausgesetzt verscheucht und vernichtet, reicht doch alle Bewegungsschnelle nicht hin, um allerorts den Mückenstich zu verhindern. Die Mücke entwickelt nicht allein eine virtuos schnelle Anwendung ihres struktur- vollendeten Stech- und Saugapparats, sondern auch eine bemerkens- werthe Schlauheit im Ueberwinden der ihren Angriffen entgegen- gehaltenen Maskirungen. Hinter die Ohren unter dem Gaceschleier, hinter die Augen- gläser, an die Aufsitzstellen der Kopfbedeckung an Stirn und Schläfen weiss sie zu gelangen, und kaum hat sie Position gewonnen, so setzt sie den Rüssel senkrecht auf die Haut, versenkt ihn 1— 2Millim. tief und saugt in wenig Sekunden ihren Körper rothstrotzend voll Blut. Gewöhnlich erreicht sie währenddem noch der Tod, denn das empfindliche Stechen und Saugen leitet die menschliche Hand, oder die Pfote und das Maul des — 256 — Vierfüsslers wach der richtigen Stelle, und der leichteste Druck tödtet die strotzende Mücke, Auf welchem akkumulirenden Wege sollte nun Dar- win's natürliche Zuchtwahl diesen vollendeten Saug-Or- ganismus und diese Intelligenz seiner Anwendung beim Menschen, der Mücke entwickelt haben?! In welcher Rechnung sollte hier die Auslese der biologischen Anpassung, mit dem Gaceschleier, den Handschuhen, (Jen Brillen- gläsern und Hutkrämpen eines einzelnen Fremdlings stehen, der dann und wann in Jahrzehnten unter die Mückenheere des Nordöns tritt, einige Quadratmeilen strichweise durchschreitend von den Hundert- tausenden des von den Mücken beherrschten Gebietes. Denn gerade nach dem Fremdling richten sich die Angriffe der Mücken energischer als wie nach dem im Norden zerstreut Einheimischen, Selbst wenn durch die Anwendung des Saugapparats an Thier- körpern die Leitung auch zur Besiegung der menschlichen Abwehr- mittel gegeben wäre, so vermöchte doch nimmermehr der einem Nichts gleichende Bruchtheil aus der vorhandenen Mückenzahl, welcher über- haupt zum Gebrauch seines Rüssels und zur Ueberlebung dieses Gebrauchs gelangt, für eine Mechanik von Selektion nur irgend denkbar giltige Kumulations-Prozente zu liefern im Ver- hältniss zu den übrigen Mückenmillionen, deren Rüssel niemals eine derartige Verwendung erprobt. Auf der ausgedörrten Haide giebt es keine der mensclilichen oder thierischen Blutquelle ähnelnde Stelle, und im Moore, wegen der vielen offenen feuchten oder nassen Punkte, giebt es wieder keine Veranlassung zum Einbohren, Meine dahin gerichtete Aufmerksam- keit konnte auch niemals irgend eine Mücke bei solchem Geschäft beobachten, ebenso zeigte keine der in passiver Situation untersuchten Mücken etwa einen wasservoUgesaugten Leib, Aber auch wenn der Rüssel gelegentlich dennoch zur Ansauguhg der feuchten Moospolster Verwendung fände, so bliebe immer noch ein selektionslogisch viel zu grosser Unterschied zwischen solchem wasserfeuchten vegetabilen Filz und der festen menschlichen und thierischen Hautfläche, aus welcher jeder resp, Mückenrüssel alsbald Blut zu heben weiss, obschon die Mücke diesen Genuss zumeist mit dem Leben büsst, ihr Talent mithin unvererbt bleibt im selektions- theoretischen Sinne. Warum aber richtet sich der Angriff der Mücke überhaupt nach so selten gebotenen, vernichtungbringenden Objekten, und warum nicht nach den häufigen, allenthalben so nahen Raupen und Larven mit ihren prostituirten saftstrotzenden Fett- — 257 — körpern? Und warum wäre es gerade das (relativ seltenere?) Weibchen allein, welchem eine augebliche „Auslese des Besten" solches selbstmörderische Dürsten ausgewählt hätte, wobei so oft die Keime der Deszendenz in Myriaden mit dem Mutter- leibe zu Grunde gehen? Welche ganz unverständliche Launenhaftigkeit, welche unverläss- liche, dem Arterhaltungs-Egoismus widerstrebende Me- chanik würde hier der selektionslogischen Biomorphose vindizirt? Gewiss, der Mückenrüssel allein genügte, die Selektions- maschinerie bereits im Total zu verneinen! Hierzu kommt aber noch, dass die Stechmücke ihr Nahen dem Subjekt ilirer Neigung erstens bereits in die Ohren singt und summt, und diese warnende Anmeldung nach dem Niedersitz dann nochmals mittelst eines empfindlichen Stichs eindringlich konstatirt. Welch' effektiven Nachtheil erster Qualität hätte die Zuchtwahl hier ihrem Organismus ausgelesen. Welche abwehrallarmirenden Signale für Diejenigen, welche die Mücke anzapfen will, hätte sie in diesem ihrem Zuchtobjekte selbst, zu dessen direktestem Nachtheile feiudesnützlich akkumulirt. Die induktive Ueberzeugung von der Unhaltbarheit der Selek- tiouslehre muss nach dieser Betrachtung biomorphologischer That- sachen eine neue kräftige Stütze gewinnen. Nimmermehr kann der Mückenrüssel, der Mückengesang und der empfind- liche, die Vernichtung direkt herbeileitende Stich ein Resultat der mechanischen Auswahl des Nützlichen für's Ich im Kampfe um's Dasein seim)! Es ist so, wie ich bereits andeutete: der Mückengesang summt das Schwanenlied des Darwinismus! Hierzu kommt ferner, dass manche Stechmücke überhaupt, manche Art nur zu gewissen meteorologischen Perioden, auch diesen Gesang nicht ausübt, sondern sich stumm bewegt. Der Selektion hätte also eine Handhabe zur durchgehenden Beseitigung des nach- theiligen Lautwerdens keineswegs gefehlt. Die Mücken singen und stechen aber fort, trotzdem ihnen diese Funktionen tödtlich werden, in gleicher Weise am Polarkreis wie am Aequator. Und ob die I i) Die etwaige Meinung von der Anzüchtung von „Aufopferungs- Niitzlichkeiten für die Genossenschaft" unterlasse ich zu diskutiren; zumal es sich hier nicht wie bei den Bienen um selbstmörderische Ab- webrmittel, sondern um selbstmörderische Ernährungsapparate handelt. Uebrigens stechen und summen auch viele anachoretische Insektenformen. 17 — 258 — Mücken am ewig warm feuchten Saume tropischer Riesenströme seit- Jahrmyriaden Jahr aus Jahr ein vielleicht das 5- bis lOfache abwickeln an Generationsreihung und „Auslese" gegenüber ihren StammesschAvestern auf den arktischen Tundren, — ihre Biomorphose bleibt durchweg in Uebereinstimmuug und kaum ein Flügeläderchen trennt die bez. Mückenform am Jenissei von der- jenigen am Maranon! Sehr ähnliche Resultate selbstverschuldeter Vernich- tung wie die Diptera erzielen, wie bereits angedeutet, die ganzen peinlichen Schmarotzersippen am menschlichen Körper durch das krabbelnde und stechende Avisiren ihrer Gegen- wärtigkeit. Und es scheint unverkennbar, dass auch auf dem Gebiete des Schmarotzerthums eine balanzirende Gewähr der Beziehungen vorhanden ist. Warum hätte sich z. B. die Maschinerie der natürlichen Auslese bei dem Schmarotzerthum auf die Eier, Larven und Puppen der Schmetterlinge beschränkt, nicht auch die Imagines bewältigt? Bei den Säugethieren, Vögeln, Fischen, Krustern, bei den Käfern, Hymenopteren , Neuropteren und Dipteren finden sich mehr oder minder oft und regelmässig Schmarotzer vor. So fand ich kürzlich nacheinander einen Wasserkäfer, eine Libelle und eine blutgetränkte Mücke mit den rothen birnförmigen Puppen vonMilben besetzt, während ich an Schmetterlingen w^eit seltener derartiges beobachten konnte, und die andrerseits gemeldeten Fälle von thierischen Schmarotzern an Schmetterlingen ebenfalls sehr vereinzelte sind, i) Selektionsmechanisch begreift es sich nicht, sondern es sieht aus wie eine naturimmanente Direktive, wenn die weich häutigen, oft sehr wollig bedeckten Schmetterlingskörper nahezu schmarotzer- frei sind, deren vorherige drei Entwicklungsphasen, Eier, Raupen und i) Dr. Haller, um Mittheilungen über Schmetterlings-Parasiten bittend, erhielt darauf Nachrichten über etwa 7 — 10 beobachtete Fälle; vermuthet allerdings, und wohl nicht mit Unrecht, dass noch viel mehr zu beobachten sei. In welch' geringen Prozenten die Schmetterlinge aber trotzdem mit Parasiten besetzt sind, deutet uns eine Notiz Dr. Rössler's, entom. Zeitg. 1881, p. 389, an: Unter 15 000 in Papierdüten aus Manila erhaltenen Schmetterlingen fanden sich ca. 6 Düten vor, in welchen neben dem am Körper mit Bohrloch versehenen Schmetterling kleine Kokons und kleine Fliegen lagen. Sechs Fälle einer Art von Schmarotzerbesetzung unter 15 000 aus den Tropen stammenden Faltern, lässt den übrigen bekannten Verhältnissen gegenüber gewiss nur auf eine abnorme Begünstigung der Falter schliessen. Auch die von Dr. Assmuss in der Wiener entom. Monatschrift, Bd. 11, p. 180, gemel- deten zwölf Funde von Gordiazeen in Schmetterlingen sprechen nicht hiergegen. — 25Ö — Puppen, ganz enorm durch Parasiten dezimirt werden; während die harten Käfer und die Imagines anderer Insekten-Ordnungen, deren Larven weniger prostituirt als wie die Schmetterlingsraupen leben und unbehelligter bleiben, dagegen den Schmarotzern reichlich preis- gegeben sind. Keine Oertlichkeit der belebten Natur existirt, wo nicht eventuell tagüber das Heer der Nachtfalter, und zur Nacht die Menge der Tagfalter vertheilt ruhen, bewegungsloser und wehrloser als .die meisten Käfer zum bequemen Aufstieg von allerhand Milben, Bohrinsekten u. s. w. Wenn trotzdem das, auf die Raupen, Puppen und Eier tausendfältig vertheilte, Schmarotzerheer die Schmet- terlinge selbst nur in seltenen Fällen heimsucht, wenn trotz der vollen freien Bahn die Selbstsucht einer Selektion sogar die vielen überwinternden, 8 bis 10 Monate lebenden Schmetterlinge unbenutzt, schmarotzerfrei lässt, — dann ist die Selbsthülfe einer Selektionsmaschine eben nicht vorhanden, denn der mechanisch fallende Dampfhammer schmettert auf Alles, was unter ihn kommt, und hält nicht von selbst inne, wenn anstatt des Eisens eine Hand auf dem Ambos liegt. Die Schmetterlinge scheinen aber naturabsichtlich schmarotzerfrei zu sein. — In dem Vorhergegangenen glaube ich wiederholt und tendenzlos überzeugend dargelegt zu haben, dass die Theorie der „natürlichen Zuchtwahl" überhaupt eine gänzlich unhaltbare ist, und werde weitere generale Widerlegungen noch ferner bringen. Speziell aber stellten sich die von Weismann zum Darwinismus gesuchten Themata als so durchaus und merkwürdig undurchdachter Qualität heraus, dass nach deren Desavouirung fast nie zu suchen war. Wenige Gebiete des Naturganzen gewähren ja so durchsichtig instruktive, so sinn- und geistbeglückende Bilder, als wie das' der metamorphosisch gegliederten Formenskalen der Entoma. Auch die zu beobachtenden Intellekten Qualitäten auf zoologischem Gebiete richten sich keineswegs nach der Quantität des Individuums und ebensowenig relativ nach der Lebensdauer. Denn wenn die Intelligenz z. B. des ausgewachsenen Elefanten gerühmt wird, so verdient die verhältnissmässig ungeheuer grössere Intelligenz nicht minder Beach- tung, mit der eine winzige Stechmücke im öden Lappland hinter den Gesichtsschleier des exkursirenden Fremdlings zu gelangen weiss, sie, die nicht so viel Minuten alt zu sein braucht, als wie der Elefant dressirende Jahre. Ich darf gestehen, dass es auch auf mich einen niederschlagenden Eindruck machte, als mir die eingehende Prüfung der meiner Be- obachtung zugänglichen Orgauismen.und Lebensverhältnisse die Unhalt- 17* — 260 — barkeit der Annahme einer akkumulativen Transpbyloformation durch Naturzüchtung darlegte. Denn wer könnte bestreiten, dass es auch ein Gefühls- „Ja" giebt und lange vor und ohne Darwin gab, welches unabweisbar behauptet, dieses All kann nicht auf einmal hervor- gezaubert sein, es muss eine Entwicklung geben. Und wer könnte leugnen, dass Darwin's politisch und wirthschaftlich zeitopportune Hypothese dem maschinenuratösten Geschlechte die einfachste Lösung des Schöpfungsräthsels zu versprechen schien, so lauge man ohne nähere Prüfung und Abwägung der näheren Beziehungen des Wesen- bestandes zu einander, sich mehr derjenigen Bereitwilligkeit überliess, die unsere Ueberzeugung von einer Transmutation der Formen dem Anblick des Bildes der Selektionstheorie aus verschwimmender Weite entgegenbrachte. Während nun das Nähertreten die Unverträglichkeit der Details zu einander otfenbart. Müssen wir vernunftgemäss die Zuversicht einer Transmutation des Vorhandenen festhalten, so wird von der Annahme einer Pe- riodität solcher Vorgänge und von einer natur direkten Ge- setzmässigkeit der Entwicklungen nicht abzukommen sein, und der deszendenzlich-transformirende Zusammenhang wird nur innerhalb des Vorgangs einer Umformungs-Zeugung als vermittelnd, als Stoif- Transporteur erscheinen. Nach solcher Umformungsperiode halte ich die Arten für fixirt auf die naturvorhandene Summe und Verkehrs-Komplikation der Na- turkräfte; und zwar so exakt distinktiv nach den Konstitutionen, dass thatsächlich nur wenigen Arten ein wesentlicher Wechsel des Auf- enthalts-Klimas möglich bleibt, so dass nicht einmal eine wirkliche Auswanderungs- resp, Ausweichungs-Tendenz von lebenswidrigen nach lebenserleichternden Terrains und Zonen erkennbar ist, die ja selek- tionslogisch wäre, aber grosse Theile der Erde individuell entvölkern und andere Theile durch Imigration überfluthen und kosmoorganisch formrepräsentativ machen müsste. Alle Induktion der vordarwinschen Forschung ergab die Beweise periodisch eingetretener Aenderungen der allgemeinen klimatisch- physikalischen Zustände und Proportion der Organismen auf unserer Erde; deren eine Ursache wohl in Veränderungen des Polarpunktes, endlos komplizirt durch die Umlaufs-Periodeu und Stadien des Sonnen-^ Fixstern- und kosmischen Welt-Systems natürlich zu vermuthen ist, wodurch periodisch wiederkehrende, durch ewig ändernde Positionen und Beziehungen im Weltenraume aber ebenfalls veränderlich wirkende Umformungs-Perioden bedingt werden können. Solchen kosmischen Deplazirungen unserer Erde dürften Avohl einflussreichere und dauernde Umgestaltungen ganzer Formenreihen — 261 — der Organismen zugetraut werden, als wie nach unserer direkten Wahrnehmung in der Gegenwart klimatische Eigenthüm- lichkeiten für einzelne Lokalformen und Emigranten von Arten, oder in noch lokalbeschränkterer Weise für einzelne Individuen (Ab- errationen) biologisch und biomorphisch bereits umgestal- tend wirken. Es ist anzunehmen, dass jede Wiederholung der Periodität der Nachtgleiche-Verrückung, die etwa 25 000 Jahre erfordern soll, statisch hineinfallend in die unfassbaren Progressionen der auf die Sonnen- und Fixsternwelt und den Weltenkosmos bezüglichen Umlaufsabschnitte, jedesmal ähnliche, aber doch veränderliche Komplikationen der Natur- krafttheile herbeiführte. Denn nicht nur die terrestrisch-lunarcn Ver- hältnisse und ihre Positionsbeziehungen, sondern auch die ausscr- planetaren Zustände jedes einzelnen bezüglichen Faktors im Kosmos werden nach Ort und Stoff im Laufe der Zeiten und immerdar ändern. Aehnlich, aber qualifizirter, wie jetzt jeder Sommer neues Leben aus der Winterstarre weckt, was innerhalb der Tropen die nasse Periode analog verrichtet: so empfängt vielleicht periodisch die ganze Erde, und innerhalb der bezüglichen Position des Nachtgleichen- resp. Polar -Wandels, besonders auch der vereiste Norden, neuen Lebens- impuls und Formen -Wandel resp. Avancement. Allein die Vermehrung des Sauerstoffes auf der Erde innerhalb einer warmen pflanzenüppigen Periode des land- reich ens Nordens dürfte eine Belebungs- und Zeugungs-Litensive von jetzt unmöglicher Art mit sich bringen. Und welch' metamor- phosirenden Eiufluss wir einem Plus oder Minus von Sauerstoff zu- trauen können, davon werden wir unten bei der kritischen Begleitung der Axolotl-Umwandlung eine Idee bekommen. Mit dem Rückgang solcher Belebungsinteusive des Nordens wan- dern die wärmebedürftigsten und durch dieselbe existenzlich befrie- digten Organismen dem Aequator zu und häufen dort die Mannig- faltigkeit der Formen auf Kosten des Individuenbestandes. Ausserhalb dieser Avancements -Epochen ruht die organische Umbildung von Arten, und nur die lokalen Umformungen emigrirter Individuen, sowie die Variabilität deuten hin auf die Biegsamkeit der Organismen ge- genüber äusseren Einflüssen, Die präsumtiven Umwandlungsperioden dürften gewissermassen ein Zeugungs-Frühling für die Erde sein, in welchem nicht allein die Keime der bisherigen Wesenheiten, sondern in resp. jungen Arten auch die denselben immanenten weiteren stofflichen Umbildungskeime befruchtet werden und reifen, während von unten herauf immer wieder — 262 — die Urformen resp. raodifizirt entstünden und die alten bezw. auf- rückten zu höherer Form. Vielleicht würden bei avancirten Formen nur die Zeugungsstoffe den Antrieb zur Wandlung empfangen und diese im Geburtsvorgang ausführen. Möglich dass die Periodität des Zeugungstriebes bei Thieren, die der Annahme einer mechanisch-allmäligen Aus- bildung doch mit am eindringlichsten widerstreitet, auf der Periodität des von mir simulirten generalen Neu-Zeuguugs-Impulses basirt. Möglich dass das Menschengeschlecht, aus verschiedeneu Formen nacheinander aufgerückt, an einem morphologisch-physischen Avance- ment durchgängig nicht mehr Theil hat, sondern nach Rassen theils abtritt, theils nur noch geistig qualifizirter vorschreitet, nachdem es in der vergangenen letzten Entvvicklungsepoche aus dem früheren geistigen Schlummer zum Wollen und zum Bewusstsein seines Ichs gelangt ist. Deshalb vielleicht die Rassen und das undurchdringliche Dunkel, das über eine gewisse Zeitperiode nach rückwärts unsere Vorgeschichte fast plötzlich deckt, obschon bereits mit den ersten Anfängen histo- rischer Kunden aus der Vorzeit auch gleichzeitig die Merkmale vollgiltig kultivirter Völkerschaften auftauchen, die eutweder als alt- avancirte, oder in günstigen Klimaten geförderte, ihren Prosperitäts- Zyklus lange vor uns zu absolviren vermochten. Die Möglichkeit eines periodischen physisch-mechanischen Auf- schwungs der geistigen Anlage wird plausibel bei einer Erwägung der Resultate spirituoser und narkotischer Genüsse, während diese Er- scheinungen in der Selektionshypothese durchaus nicht unterzu- bringen sind. Im Anschluss an den vorletzten Satz möchte ich noch meine Zweifel aussprechen, ob die Gegenwart berechtigt ist, die Anfänge unserer Geschichtsverzeichnungen als der „Kindheitsperiode des Men- schenthums" angehörig zu tituliren, der sie nun entwachsen sei oder entwachse. Die uns übersichtliche Geschichte des Menschenthums ver- schwimmt nach wenigen Jahrtausenden einerseits in eine verdüsterte „Urthümlichkeit", andererseits leuchten volle Völkerexistenzen darin auf, relativ gleichwerthig den besten heutigen. Wie könnten wir nun, bei so kurzem Athem und bei so differi- renden Kulturausgängen der Geschichte unserer Vergangenheit, gegen- über der unabsehbaren Weite und Ferne der irdischen, menschlichen Zukunft, von einem „einstmaligen" Kindheitsalter der Menschheit sprechen, ohne auf den baldigen Entwicklungsstillstand der Mensch- heit selektionswidrig, latent zu prognostiren? — 263* — Welche Unklarheit und Willkür der Begriffe und Logik würde verschuldet, wenn der Darwinismus die Allmäligkeit Hundert- tausender von Jahren für eine winzige biomorphische Umgestal- tung beansprucht, während andererseits dem Menschen der Sehritt vom Kindesthum bis zum Kausal-Theoretiker der Formen- welt innerhalb von höchstens 5 000 resp. sogar von etwa 100 historischen Jahren zugesprochen wird, so dass für die zukünftigen irdischen Jahrmillionen unserer Deszendenz nur ein be- schaulicher Rentengenuss vom jetzigen Kapital-Grundstock des in anarchischem Kausalnexus spekulirenden Wissens testirt bliebe. Es scheint, weder die heutige individuelle Details-Zerstreuung resp. Isolirung der wissenschaftlichen mündlich dozirenden Ueber- lieferungen, geschweige denn die Qualität der realen Fixation und Basis unserer „grossen Zeit" : unser Papier an und für sich, wird die Wissensschätze der Gegenwart auch nur so lange konserviren, als wie uns der Menschheit „Kindesperiode" in Stein gebaut, gegraben und ornaraentirt, dämmrig erhalten blieb. Je mehr die Forschung unserer Tage die Arbeitstheilung am Gebäu der Wissenschaft zuspitzt, und je detaillirter sie die Er- gebnisse separirt verzeichnet, in desto näherer Zukunft müssen sich unseren Nachkommen die Nebel der Vergessenheit über die Periode der Jetztzeit ablagern. Denn die Tradition vermag die Quantitäten der geistigen Arbeitsdetails selbstverständlich nicht durchaus zu be- wältigen und zu konserviren, und die Qualität des mit der Dokumen- tation des modernen Status unizit betrauten Papier es wird sich im Laufe der hier in Frage kommenden Zeiten als von sehr ephemerer Verlässlichkeit und Transportfähigkeit herausstellen. Ein quintessenzirendes Enzyklopädiren der wissenschaftlichen Zeitergebnisse nach einander aber würde immerhin individuell ein- seitige und fehlerprogressive Kollektiv-Kompendien hervorbringen; wie ja die Studien selbst zu ihrer thesenreichen Abhandlung u. a. bereits die metamorphosisch-anatomischen Fakta der jüngstverwichenen Jahr- zehnte forschenden Mühens, selbstvergessen überschlagen. Von einer Simplizirung der Wissenszweige durch Auffindung eines materiellen Kausal-Fokus der Naturvorgänge wäre aber ebenfalls kein Heil für uns zu erwarten, weil, wie bereits erwähnt, die Menschheit dann „vor Klugheit nicht mehr wachsen", sondern in Wissens- und forschensmüde Blasirtheit und geistige Trägheit versinken müsste. Ueberhaupt: ohne die Grundnahme eines übersinnlichen Motors innerhalb der Natur wird man, so viel und so wenig ich wenigstens einzusehen vermag, niemals eine Basis von Ursächlichkeit auch nur für die anorganischen, kosmisch -generaleu Bewegungen gewinnen. — ■ 264 — Denn innerhalb des nur als unendlich, unumgrenzt begrifflichen Raumes, wo nirgends eine Schranke das Stoffliche aufhält, da ist auch kein Druck, kein Gegendruck, kein Gravitations-Halt, keine Spannung und Vibration, ja nicht einmal eine Welle denkbar, ohne übersinn- lichen Einfluss. Innerhalb des Unendlichkeitsbegriffs entfällt uns die materielle Auffassung und die mechanische Begrifflichkeit jedes willenlosen Kraftursprungs, jeder Kraftwirkung und Krafterhaltung. Innerhalb einer kosmischen Unbegrenztheit, wo jede mechanische Bewegung brandungslos in der Unendlichkeit auslaufen müsste, da kann es keine Mechanik, keine kausale Urkraft geben, die wir als „materielle" begreifen könnten. Und dasselbe unbeschreibbare Wollen, das den organischen Mechanismus des Fisches in wellenloser Tiefe bewegt, oder das in der zweckdienlich konstruirten Maschine für uns arbeitet, das wird auch in allen Tiefen und Weiten des Uni- versums allgegenwärtig Kraft und Urwille sein, wofür wir Begriff und Namen haben als: „Geist", „Weltgeist" oder „Gottheit". Nach dem spekulativen Vorgehen der Darwinianer selbst, darf die Spekulation auch auf die Darstellung eines höchsten Unbekannten durch die Naturforschung nicht getadelt werden. Was wäre ein Naturwissen ohne Nutzanwendung? Die Ergebnisse der Naturforschung nur auf sich selbst bezogen, entbehrten ohne die stete Aussicht auf ihre ewige Indefinibilität alles Reizes und Genusses, ja die Forschung verlöre ihren Motor, die materielle Lebenspraxis ihr geistiges Ana- logen. Denn wir haben nicht nur Zähne, Schlund und Magen zur Ernährung, sondern auch Zunge und Gaumen zum Prüfen und zum Genuss der Speise; und ebenso sollen wir nicht nur naturforschen, sondern auch naturgeniessen und vergleichen. Hier ist es, wie mir scheint, wo nach dem jeweiligen Befähigungs-Niveau der Völker- schaften die Verbindung und Erläuterung zwischen Natur-Demonstra- tion und theologischem Resigniren uneigennützig bewirkt werden muss, um die Menschheit möglichst allgemein zu beglücken. Entsprächen die Schicksale und das Getriebe der Belebungswelt allenthalben un- serem Gerechtigkeits- und Liebe-Bedürfniss, so würde dem Natur- beobachter der höchste Daseinsgenuss zu Theil. So, wie wir aber die Verhältnisse ansehen, steht das sittliche Empfinden des moralischen Menschen oft klagend über der Naturpraxis, und nur der kritische Verstand söhnt uns schliesslich auch mit ihr aus. Denn so unbegreif- lich alles um uns ist, soweit kennen wir uns selbst, dass wir alles geistige und beseligende Streben und Arbeiten, den Zug unseres Herzens nach dem Guten, Vollkommenen und Deutungswürdigen, gerade dem Unvollkommenen und Räthselhaften, das wir um uns auffinden, verdanken. Um die Menschheit selbst zu fördern, ist die — 265 — Welt um uns gewiss vollkommen eingerichtet. Wäre sie trivial-ideell vollkommen, dann reduzirte der Mangel aller Negative un- sere Begrifflichkeit mindestens um die Hälfte, dann müssten wir aufhören, Menschen zu sein, wenn wir glücklich sein wollten-^ innerhalb absoluter „Seligkeit" verlöre selbst das Glück und Streben seinen Rang und Namen. Und so finde ich um die Menschheit alles naturweise vorhanden und fertig auch zur Erstrebung des Glückes innerhalb derselben. Lässt sich trotz alledem der Sinn und das Warum des Vorhandenen nicht begreifen, so folgere ich immer wieder auf eine naturiuhaltliche, aber für uns übersinnliche Ursache. Eine demonstrable materielle „Kraft" findet in der Unendlichkeit weder Stütze noch Strömung. Bezüglich der Forschung nach dem natürliclien Vollzug der Trans- formationen möchte nach meiner besten Ueberzeugung das Haupt- augenmerk auf die Prämission periodischer Umbildungen zu legen, und der Begriff „allmälig" in seinem trivial-optischen Sinne fallen zu lassen sein. An seiner Stelle wird als theoretische Basis aller AU- mäligkeit die Periodität oder die „periodische Allmäligkeit" ins Auge zu fassen sein. Für den Vortrag spekulativer Einschaltungen habe ich um Ent- schuldigung zu bitten. Aber man wird über Rekonsideration von Räthseln nicht spotten können, denn eine unbefangene Prüfung des nur angeblich einfach kausalen Darwinismus ergab mehrfach, dass diese Theorie lediglich auf Unerklärlichkeiten und Wundern ruht und balancirt. Die verschwommene Hinnahme und Verwendung des landläufigen Begriffs von „Allmäligkeit" ist es, welche der bereitwilligen kritiklosen Umschau den Schein einfacher Natürlichkeit entgegengaukelt. Der gedankenlose Blick in die ferne Perspektive der Allmäligkeit sieht hinein in Transmutationsreihen wie in die grünen Wände einer Baum- allee, die sich nur beim Durchschreiten in ihre einzelnen Bäume und wirklichen Theilfolgcn auflöst. Darwin selbst nimmt seine „Allmäligkeit" erst sekundär, und setzt sie einer Periode auf, die nichts anderes als wie eine kosmische Sporadität des Schöpferhauches, eineKausalität auf Reisen voraussetzt. Seine Ansicht von dem „in vorkambrischer Periode (einmal und seitdem nicht wieder) eingehauchten Schöpfer- odem des Lebens, und von der Lösung des höchsten Problems durch Hunger und Tod" spricht dies deutlich aus; denn was der Schöpfer- hauch einstmals bei uns zu beleben hatte, das müsste er innerhalb der Unendlichkeit werdender Weltkörper fortwährend bald hier bald dort im Räume verrichten, mithin auch zielstrebig sein. — 266 • — Ob meine bescheidene Meinung von mit den terrestrisch-kosmischen Umlaufsphasen verbundenen Transformations -Perioden nicht natür- licher ist als die eines gastirenden Schöpferhauches, bitte ich erwägen zu wollen. Man kann Darwin's mühereiche Arbeiten bewundernd durchflogen oder kritisch begleitet haben — die Seiten 576 bis 578, es sind die letzten seiner Arbeit „lieber die Entstehung der Arten" i), müssen genügen zur Einsicht, dass auch Darwin beim Tituliren des Unbekannten die Logik seiner eigenen Theorie vergisst, latent aber die Ansicht von der Periodität der Transmutationen theilt. Wir schreiten nun zur* Beleuchtung der Weismann'schen Spe- kulationen: Ueber die Umwandlung des mexikanischen Axolotl in ein Ambly Stoma. Bekanntlich überraschte Dumeril s. Z. die wissenschaftliche Welt durch die Mittheilung von der im Pariser Aquarium erfolgten Um- wandlung eines sich bisher formstatisch fortgepflanzten Fischmolchs, des mexikanischen Axolotl, in eine Salamanderform, in ein Am- hlystoma. Durch die Vermittelung des beobachtenden Fräuleins von Chau- vin gelangte der Verfasser der „Studien" dann ebenfalls zu gleichem Resultat und zur Kenntniss des Verlaufs dieser sporadischen Meta- morphose, deren darwinistisch- spekulative Vei'wendung den Inhalt einer Abhandlung Weismann's bildet. Die Weismann'sche Auffassung derselben als „Rückschlag" er- scheint zunächst im Generalen nicht im mindesten naturbelegter als wie die gegnerische, welche in dem Vorgang einen naturbedingten Entwicklungsschritt erkennt. Wenn die von W. zitirten Berichte eines de Saussure und Cope angaben, dass in Nähe der betreffenden mexikanischen Seen, resp. in Mexiko südlich vom Wendekreise überhaupt noch niemals ein Amhlystoma gefunden wurde, so hatte man sich ohne andere Erfahrungen zunächst hieran zu halten und konnte annehmen, dass die natürlichen Verhältnisse dort die weitere Metamorphose des Si- redon, des Axolotl, nicht gestatten. Was diese Umwandlung aber verwehrt, das könnte wohl im geringen Luftdruck und in der Trocken- heit der Luft, in Folge dessen z. B. der Umsatz des Wassers ver- hältnissmässig rasch vor sich geht, und auch im Chemismus des i) Neuere Auflagen sollen dem Vernehmen nach die fraglichen Ausdrücke nicht mehr enthalten. — 267 — Wassers, nicht aber, wie W. eingangs vermuthet, in der periodischen Trockenlegung des Ostufers „bis an 2 000 Fuss" gesucht werden. Zunächst wird der betreifende salzhaltige See keiner Schüssel gleichen an seinen Rändern, an welche sich gleich einem Sahnering eine, nach Meinung Weismann's, für den Axolotl unübersteigliche Salzkruste ohne alle Unterbrechung und Einbuchtung ansetzte. Der periodisch durch Winde trocken gelegte Ufertheil wird auch nicht so absolut steril und vegetationsleer sein, dass solches Reptil nicht die Distanz von höchstens 2 000' gelegentlich zu überschreiten vermöchte. Und ausserdem wird der Axolotl wahrscheinlich nur deshalb allein am Ostufer ben)erkt, weil der See da seicht ist, ohne dass er an an- deren Stellen gänzlich fehlen wird. Mit dem durch Winde periodisch zurückgestauten Wasser muss er ja ohnehin in tiefere Stellen gerathen. Unterlässt dieses Thier die Wanderung ans Land, so geschieht dies, wenn der physikalisch-chemische Zustand seines geräumigen Aufenthalts das Stadium der Metamorphose nicht einleitet, den Drang zur Landung nicht erzeugt. Bei den von Chauvin'schen Züchtungs-Experimenten ging die Andeutung der inneren Umwandlungs-Vorpräparation aus dem eigenen Initiativverhalten des Axolotl hervor, denn er hielt sich zuerst be- ständig an der Oberfläche der Wassers auf. Dies geschah Ende November innerhalb eines Behälters, der sich in einem zu solcher Zeit bereits geheizten und mit relativ schwerer Luft erfüllten Wohnraum befand. Neben den wesentlich veränderten physikalischen und chemischen Aufenthaltsverhältnissen im Grossen, reift sehr wahrscheinlich besonders die Enge des Zuchtbehälters, resp. das Verhältniss der Zahlengrösse der im Konsum konkurrirenden Individuen zu der Grösse des gebotenen wassergefüllten Raumes den Eintritt des Umwandlungsprozesses proportional heran und beschleunigt ihn bei individuenreicherer Kon- kurrenz im Konsum des zersetzten Luftvorraths im Wasser, sobald die Pubertäts-Krise eintritt. In geräumigen Behältern in geringer Zahl gehaltene, am Austreten gehinderte Axolotl metamorphosiren wahrscheinlich gar nicht oder verkümmert. Aus der einstigen Bewaldung Mexikos zur Diluvialzeit mit W. auf das damalige Existiren des Ämblystoma-Stadhxms zu folgern, um den heutigen Umwandlungsvorgang als einen „Rückschlag" auf jene Form der Vorzeit darstellen zu können, scheint mir im dar- winistischen Interesse und Sinne höchst gefährlich. Denn woher käme auf einmal im Selektionsverhältniss die dann vorauszusetzende totale — 268 — Stabilität der Siredon-Form seit dem Schwinden jener fernen Zeit bis heute?! Wenn diese Stabilität aber nicht aufgestellt werden wollte, wenn der Siredon in der nachdiluvialen Zeit nur irgendwelche Ver- änderung erlitten hätte, — wie könnte er noch auf die einstige Am- hlystoma-Fovva. zurückschlagen?! Und wie dürfte man darwinistischerseits solche Unveränderlich- keit überhaupt annehmen wollen gegenüber den lange Zeit fortge- dauertenVeränderungsschritten des mexikanischenKlimas, gegenüber der weiten, aber sporadischen Verbreitung der Siredon- Formen in Nordamerika; wie aber besonders gegenüber der noch heute sichtbaren wesentlichen Variabilität des Axolotl, die that- sächlich vorhanden ist und von der uns auch die v. Chauvin'schen Berichte einige Kunde geben, indem jedes Individuum seine unter- scheidenden Merkmale hatte. Mit dem etwaigen Hinweis auf die Unfruchtbarkeit der in Europa gezüchteten Amblystomen könnte man diesen schwerwiegenden Ein- wand gegen die Idee des Rückschlags nicht beseitigen. Denn die Sterilität ist nicht allein bei den uns allernächsten Wesenheiten normaler Existenz eine regelmässige prozentuale Erschei- nung, sondern ganz besonders häufig vorhanden bei den in Zuchtverhältnissen gehaltenen und erzeugten Organismen aller Art. Wenn die Sterilität der Amhlystoma unserer Aquarien nicht in mangelhafter Erfüllung der Umwaudlungsbedingungen beruht als Folge der Kunstzüchtuug resp. künstlich beschleunigten Umwandlungs-Nach- hülfe, so darf sie sehr wohl in der ganz widernatürlichen Inzucht der hiesigen Axolotl vermuthet werden, denn die Stud. sagen es selbst, dass alle s. Z. in Europa vorhandenen Individuen aus der- selben Pariser Zuchtkolonie stammten. Die Reproduktionsorgane sind ja vorhanden, nur etwas unaus- gebildet, und dies vermöchte uns gleich einen Hinweis zu liefern bezüglich anderwärtiger als nebensächlich taxirter Rudimental-Er- scheinungen. Es wären nicht Rudimente, sondern unausgebildete, keimhaltige Organisationstheile zu späterer Entwicklung resp. Meta- morphose. Der mexikanische Axolotl und überhaupt die Siredonen aller Hochlandsbassins waren entweder noch niemals Amblystomen, oder nur unter entsprechenden einstigen Naturverhältnissen, sind unter letzteren aber auch stets, ähnlich wie heute, mittelst desselben meta- morphosischen Aktes aus der Siredon-Yorm. in die Salamander-Form entwicklungszyklisch übergetreten. — 269 — Unter passenden Verhältnissen, wie sie die Variabilität von Klima, individuellen Anlagen und Schicksalen gelegentlich herstellen, wird der Axolotl auch in seiner Heimath metamorphosiren; und eventuell wieder in etwas andere Arnhh/stoma-F orm als in Paris oder bei Weismann. In der von mir durchgeführten Widerlegung der „Studien I." wies ich bereits nach, wie der Dimorphismus dort nur eine Antwort des Organismus auf ändernde Einwirkungen war, ohne alles Rückschlags- phänomenale. Dass die „Studien II," der von ihnen doch wahi'genommenen Variabilität des Axolotl keinerlei theoretische Beachtung bieten, viel- mehr dessen Unwandelbarkeit seit der fernen Diluvialzeit bis heute präsumiren, deutet wieder an, wie ihr Absehen nur darauf gelenkt scheint, Material für die Selektionstheorie zu beleuchten, die drin- gendsten Widerlegungsthatsachen aber zu übergehen oder nicht zu erkennen. — Nach diesen vorgreifenden Betrachtungen müssen wir den we- sentlichsten Sätzen der Stud. und der Art ihrer Benutzung der Axolotl- Metamorphose einige spezielle Aufmerksamkeit widmen. Wir dürfen Weismann's Ausspruch akzeptiren, „dass „gerade dieses Umwandlungserlebniss in theoretischer Hinsicht von „ganz besonderem Werthe sei, dass möglicherweise dieser eine spe- „zielle Fall im Stande sein könne, über die Richtigkeit der Grund- „prinzipien zu entscheiden, nach welchen mau sich hier die Trans- „mutation, gegenüber die heterogene Zeugung, als Entstehungs- „ Vorgang der Arten denke." In einem Glasballon von etwa 30 Centim. Durchmesser begann Fräulein von Chauvin fünf, ungefähr acht Tage alte Larven des Axolotl am 12. Juni 1874 zu beobachten. Gefüttert wurden die Thierchen mit Daphnien, später auch mit grösseren Was ser- thieren reichlich. Schon Ende Juni zeigten sich bei den kräftigsten Larven die Anfänge der Vorderbeine, und am 9. Juli erschienen auch die Hinter- beine. Die Larven hatten nun die gewöhnliche Entwicklung zum Axolotl vollendet. Ausgangs November hielt sich Axolotl No. I be- ständig an der Oberfläche des Wassers auf und wurde deshalb am I.Dezember in ein bedeutend gi'össeres Glasgefäss mit flachem Boden versetzt, welches derart gestellt und mit Wasser gefüllt war, dass er nur an einer Stelle ganz unter Wasser tauchen konnte, während er bei dem häufigen ümherkriechen am Boden des Gefässes überall anderwärts mit der Luft in Be- rührung kam. — 270 — Das Wasser wurde allmälig noch mehr vermindert ; „nun fingen „die Kiemen an einzuschrumpfen, gleichzeitig bestrebte „sich das Thier, die seichten Stellen zu erreichen, und am „4. Dezember begab es sich ganz und gar aufs Land und verkroch „sich ins feuchte Moos. Zu dieser Zeit erfolgte die erste Häutung," Innerhalb der Tage vom 1. bis 4. Dezember waren die Kiemen- quasten fast ganz zusammengeschrumpft, der Kamm auf dem Rücken vollständig verschwunden, und der bis dahin breite Schwanz nahm eine runde, dem Schwänze des Landsalamanders ähnliche Form an. Ebenso vollzog sich eine Umwandlung der graubraunen Körperfarbe nach und nach in eine schwärzliche; vereinzelte anfangs mattgefärbte weisse Flecken traten hervor und gewannen mit der Zeit an Intensität. Als am 4. Dezember der Axolotl das Wasser yerliess, waren die Kiemenspalten noch geöffnet, schlössen sich allmälig und waren nach etwa acht Tagen mit einer Haut überwachsen. Weitere drei der Larven, ebenso kräftig entwickelt wie No. I, wurden derselben Behandlung unterworfen, und No. II verwandelte sich auch ungefähr gleichzeitig und genau wie I. Er hatte noch vollkommene Kiemenquasten, als er in das flache Wasser versetzt wurde, und schon nach vier Tagen hatten sich die- selben fast vollständig zurückgebildet; er ging ans Land und nun folgte im Verlauf von etwa zehn Tagen die Ueberwachsung der Kie- menspalten und die vollständige Annahme der Salamanderform. Bei Axolotl III und IV, welche weniger häufig die seichten Stellen aufsuchten und sich im allgemeinen weniger der Luft aussetzten, ging die Entwicklung langsamer von Stat- ten, so dass die grössere Hälfte des Januar verstrich, bis sie an's Land gingen. Nichtsdestoweniger dauerte das Eintrocknen der Kie- menquasten nicht längere Zeit als bei I und II, desgleichen erfolgte auch die erste Häutung, sobald sie aufs Land gekrochen. Das Individuum V erschien von Anfang an viel schwächlicher als die anderen, blieb auch im Wachsthum auffallend zurück und gebrauchte vierzehn Tage anstatt vier, um die Verwandlung so weit durchzumachen, dass es das Wasser verlassen konnte. Für alle äusseren Einflüsse war es viel empfänglicher als die anderen, und nahm eine helle Farbe an, wenn es der Luft zu lange ausgesetzt wurde. Darnach alsbald in tieferes Wasser gebracht, tauchte es so- fort unter, erholte sich allmälig wieder, und die Kiemen entfal- teten sich dann immer wieder von Neuem. Dasselbe Experiment wiederholt, war jedesmal von demselben Erfolge begleitet, und von Chauvin schliesst hieraus wohl mit Recht, dass ein zu energischer Zwang auf die Beschleunigung des Umwandlungs- — 271 — Prozesses einen Stillstand und bei Fortsetzung den Tod herbeiführen kann. Mir ist es wahrscheinlich, dass besonders auch die mit der Schwächlichkeit des Individuums V verbundene geringe Pubeszenz die Metamorphose verzögerte. Die periodischen Sexualausstattungen der Triton-Männchen deuten solchen Zusammenhang an. Von diesem Axolotl wird noch bemerkt, dass er nicht, wie alle anderen, bei der ersten Häutung, sondern erst zur Zeit der vierten das "Wasser verliess. Die Beobachterin dieser Umwandlungen schliesst ihre Mittheilungen mit der Aussprache: „Axolotl-Larven vollenden zum grössten Theil, vielleicht alle, ihre Metamorphose, wenn sie ge- sund aus dem Ei schlüpfen, richtig gefüttert i) und Einrichtungen getroffen werden, die sie zum Alrhmen über dem Wasser nöthigen. Selbstverständlich müsse dieser Zwang nur ganz allmälig und in einer Weise geübt werden, welche die Lebenskraft des Thieres nicht über Gebühr in Anspruch nähme." Hiernach bringt W. die sehr beachtenswerthe Erläuterung, „ dass die Umwandlung bei Axolotl I— IV im Ganzen 12 bis 14 Tage (bei Dumeril's Axolotl 16 Tage) erforderte, bei Axolotl V wohl noch 10 Tage mehr. In allen fünf Fällen sei die Metamorphose eine vollständige gewesen, nicht zu verwechseln mit derjenigen, welche alle in kleinen Gefässen gehaltenen Axolotl mit der Zeit mehr oder weniger eingingen. „Hier komme es nämlich häutig zu gewissen Ab- „änderungen, welche auf die Amblystoma-F orm abzuzielen „schienen, ohne dass dieselbe aber erreicht würde." (!) In der Wiedergabe der von Chauvin-W^eismann'schen Mit- theilungen hob ich diejenigen Sätze hervor, welche uns instruiren, dass die Umwandlungen deutlich proportional den Schritten der ent- sprechenden Behandlung, resp. auch korrespondirend mit der kör- perlichen Reife der Individuen erfolgten, dass die Neigung zur Me- tamorphose mit der Abnahme der konkurrirenden Konsumenten im Wasser ebenfalls abnahm — und hierbei rangiren sich auch die zur Fütterung dienenden Wasserthiere mit ein — und dass die Kiemen sich sogar immer von Neuem entfalteten, sobald das Thier dem tiefen Wasser wieder tiberlassen wurde. Hierzu erfuhren wir nun soeben durch W. selbst, dass in kleinen Gefässen — und vielleicht auch in dürftigerer Verpflegung mit frischem Wasser — gehaltene, aber nicht zu eigentlicher Luftathmung gelan- gende Axolotl gewissermasseu eine Abstufungsform zum Sa- lamander annehmen. Von Weisraann's anderen, zum Theil mindestens vier Jahre alten j) hierdurch der Pubertät zugeleitet, — 272 — Axolotln berichtet er, „dass ihre Kiemen alle sehr zusammengeschrumpft „seien, und dass auch der Kamm schwinden und der Schwanz sich „verschmälern könne, ohne dass deshalb von einer Umwandlung zum „Amhly Stoma die Rede sein könne." Wie nach Wahrnehmung solcher Abstufungen, Unterbrechungen, und auf die direkten Naturcinflüsse antwortenden Proportionen der Umwandlungstypen, der Effekt der wirklichen Metamorphose als „Rück- schlag" auf ein diluviales Formstadium auffassbar sein kann, vermag ich ni^ht einzusehen. In Konsequenz der Selektionstheorie müssten alle diese Zwischenstufen doch bereits Rückschläge sein. Ja, nach W., der uns versichert, dass diese- Siredon-Fovm. in Mexiko einst- mals bereits zum Amhlystoma selektirt gewesen, später aber wieder in die Siredon-Fovm „zurückgeschlagen" sei, und dass die im Aquarium erfolgende Metamorphose zum Amblystoma abermals ein Rückschlag auf jene einstige Salamanderform sei, nach dieser Weismann'schen Hypothese müssten die heutigen An- näherungsformen sogar Rückschläge noch bis hinter das Amblystoma der Diluvialzeit sein! Diese intermediären, fortpflanzungsfähigen Siredonen mit zusammenschrumpfenden Kiemen, ohne Rückenkamm und mit ver- schmälertem Schwanz müssten danwinistisch ganz unweigerlich als phyletische Avancestadien des '[Jv-Siredon hinauf zu dem präsumirten einstigen Amhlystoma anzusehen sein. Das ist die unumgängliche Logik der uns so beharrlich vorge- tragenen eigensten Lehren des Darwinismus und der Studien. Aber ganz unverkennbar bricht hier abermals ein Aufbau derselben zu- sammen, wenn weniger intensive, sich nur als Uebergänge zur heutigen „Rückschlagsform auf die vorige Periode von Formkonstanz" dar- stellende Leitformen doch andrerseits vielmehr als noch ferner- treffende Rückschläge bis hinter jene Formkonstanz konsequirt werden müssen. Man kann sich gegnerischerseits wenden, wie man will, diese „phyletisch retrograden" fruchtbaren Avanceformen spielen in Kon- sequenz der Selektionstheorie unstreitig eine selbstbekämpfende Dop- pelrolle. Sie erscheinen sowohl als moderne Abstufungen hinab auf den vollen ^wiZ>/2/sioma-Rückschlag, wie auch als urzeitige vor- amblystoine (s. v. v.) Avancestufen hinauf (W., S. 248) zu dem gegnerisch präsumirten diluvialen Salamander. Vergleichen wir diese selektionslogisch, und namentlich auch be- züglich der Fortpflanzungs- resp. Sterilitäts-Frage sich bereitende Verfilzung der Konsequenzen mit den vorliegenden Thatsachen, dass — 273 — zuerst nur eins der kräftigsten Individuen in dem vollbesetzten Wasserbehälter nach freier Luft ausschnappte, und akzeptiren wir den W.'schen Ausspruch, dass dieses Individuum nach Umständen auch ohne künstliclie Nachhülfe an's Land gegangen wäre und metamor- phosirt hätte, erwägen wir ferner, dass Axolotl II, III, IV und Y darnach in denselben Gefässen theils etwas, theils viel langsamer und njir zwangsweise nach und nach in die Umwandlung eintraten, dass unter vielen Hunderten, welche Dumeril beisammen hielt, nur einige Dreissig, und wohl freiwillig, die Metamorphose eingingen, erinnern wir uns schliesslich an die eventuelle Wiederkehr der Kiemen bei No. V, so drängt sich uns doch die Wahrscheinlichkeit auf, diese Umwandlungen als einen Entwicklungsvorgang der naturbezüglichen Gegenwart betrachten zu müssen, wo unter Umständen ruhende Umformungskeime durch entsprechende, abgestufte, naturdirekte Ein- flüsse zum Umsatz und zur organisirten Perfektion gelangten. Sehr wahrscheinlich wird es auf die luftkonsumirende Konkur- renz innerhalb eines bestimmten wassergefüllten Raumes ankommen, wie viele von den pubeszenten Thieren zu weichen und in die Meta- morphose einzutreten haben ; und wenn nach Weismann's Angabe von Kölliker unter einigen Hundert Axolotls mir ein Ambly Stoma erzielt, so wird vermuthlich deren Aufenthaltsraum entsprechend gross gewesen, allezeit mit frischer Wasserzuführung gespeist und luftgetränkt, oder vielleicht so beschaffen gewesen sein, dass den Siredonen der Ausgang nicht möglich geworden ist. Die Temperatur- verhältnisse werden selbstverständlich ihr Für und Wider auf die Metamorphose haben, doch bieten die W.'schen Angaben keinen dies- bezüglichen festen Anhalt. Einen besseren Anhalt für die Giltigkeit meiner Deutung bieten dagegen die Studien durch die Mittheilung, dass von einer ziemlichen Anzahl Larven von derselben Brut, mit welcher v, Chauvin experimentirte, die aber stets im tiefen Wasser gehalten wurden, sechs den Winter überlebten ohne zumetamorphosiren (W. S. 235). Wie schade ist es aber, dass die Stud. immer nur im Ausblick auf die Selektionstheorie die ihnen zu Gebote stehenden Beobach- tungen unkritisch hinnahmen, und wie sehr kennzeichnet sich das Unzulängliche solches Standpunkts, wenn sie hier bemerken: „es sei „für die Verwerthung der Thatsachen „ziemlich" irrelevant, ob alle „oder nur fast alle Axolotl sich zur Umwandlung zwingen Hessen, „der letzterwähnte Versuch beweise, dass nicht etwa diese ganze „Brut von vornherein die Neigung besessen habe, die Metamorphose „einzugehen." 18 — 274 — Gewiss, diese „Neiguug zur Metamorphose ist von vornherein" hier ehensogut allenthalben vorhanden wie nicht. In jedem Indivi- duum dieser Fischmolche ruht die organische Materie bereit, um, aber nur durch die ganz entsprechenden Natureinflüsse in Bewegung versetzt . die stoffliche Rotation und Verlegung zur Metamorphose zu vollziehen. Die Wunder, welche die Natur mit dem Schweisse eines gefrierenden Fensters metamorphosirt, sind nicht simpler, nich^ weniger „angepasst", als wie die Metamorphose zum Salamander, Wenn die Stud. nun, wie sie sagen, „feststellen", dass Siredon mexicanus in seiner Heimath niemals die Metamorphose eingehe, indem sie sich auf die Mittheilungen de Saussure's und Cope's stützen, während doch Tegetmeier bei einem von fünf solcher aus dem See von Mexiko stammenden Individuen die Umwandlung ein- treten sah, so ist damit für den Induktionsbedarf der Stud. nichts gewonnen. Denn der dort frei im See lebende Fischmolch erleidet, abgesehen von der vorerwähnten periodischen Trockenlegung, keine Lebensbeschränkung, keinen Zwang zur Luftathmung, und wird den Aufenthalt im frischen Element des Sees vorziehen müssen, wenn die als aussergewöhnlich geschilderte Trockenheit der Luft den Uebertritt in's freie Stadium des Salamanders konstitutionell nicht, resp. nur periodisch gestatten sollte. Dass nicht dennoch auch dort gelegentlich die Metamorphose einträte, wer wollte das bestreiten, der die versteckte Lebensweise der Salamandrinen erwägt. Zogen sich doch auch die v. Chauvin'- schen Amhlystoma alsbald in's feuchte Moos zurück, und werden sie im luftdünnen, sonnigen Hochland Mexiko's gewiss erst recht ver- borgen leben. In der That melden neuere Berichte das Vorkommen von Am- hlystoma auch um die Seen von Mexiko und entgegengesetzter Meinung wie W., vermuthe ich, wenn nicht die stete Feuchtigkeits- schwängerung der Luftschicht in nächster Nähe der Seen die Exis- tenz der Amhlystoma überhaupt ermöglichen sollte, gerade in der periodischen relativen Trockenlegung gewisser Ufer- strecken die Veranlassung und Bedingung der Axolotl-Me- tamorphose in's Salamander-Stadium. Denn die vom zurückgestauten Wasser entblössten Uferstrecken jener flachen Seen bleiben feucht und sumpfig, und wenn man den Wind nicht als unumgängliches Landungshinderniss hinstellen will, so wird man gerade hier ein passendes Terrain für die Salamander-Existenz vermuthen können. Eine lokale Ein- schränkung dieser Amphibien-Aufenthalte bleibt immerhin denkbar, und kann u. a. durch störende oder zuträgliche Einströmungen von — 275 — Gewässern bedingt sein. Oertliche Studien dürften die den darwi- nistischen Spekulationen beschwerlichen „phyletischen" Lösungen wahr- scheinlich als direkt physikalich-meteorologische erkennen lassen. Auf den Seiten 236/7 bespricht W. einige synonyme Fragen über Amblystoma-F ormen, die aus Siredonen verschiedener Lokalitäten des südwestlichen Nordamerika stammend, an fremden Lokalitäten in Aquarien gezüchtet wurden. Gewisse Streitigkeiten über die Spezifität der in verschiedenen Aquarien aus importirten fremdländischen Fischmolchen gezüchteten Amhlystoma halte ich nun für ziemlich unergiebige im starr-syste- matischen Sinne. Denn ich bin der Meinung, dass selbst ein und dieselbe Siredon-Fovm ein abweichendes Amhy Stoma metamorpho- siren kann, je nach der organisations-kontaktischen Eventualität der Natur- resp. Züchtungs-Einflüsse ihrer Translokationen. Gerade die ausserordentlich biegsamen, ergänzungszähen, um- wandlungs-adaptablen Konstitutionen der Amphibien lassen vermuthen, dass ihre Form und Dekoration unter Umständen nach der lokalen Physis ihrer Versetzungs stelle „opportuniren" werden. Aenderte Axolotl V doch bereits Hautfarbe und Kiemenformen, je nachdem er in oder ausserhalb des Wassers war. An demselben Tage, an welchem ich dies niederschreibe, beobach- tete ich im Norden Finnlands eine Anzahl Hausgänse, die ich als sie lagen kaum von Enten unterscheiden konnte : aber es wurde mir versichert, dass diese kleinen, niedrigen, fast total fahlgrauen Gänse die Ab- kömmlinge seien von hellen, hohen, rothbeinigen Gänsen, die vor wenigen Jahren aus dem Süden bezogen wurden. Im umgekehrten Grade aufgehellt, sah ich die Elstern und Sperlinge abgeändert in ihrer nordischen Heimath. Selbst das Hornvieh, für dessen Kegene- ration gelegentlich weithin nordwärts gesorgt wird, sah ich im euro- päischen Norden innerhalb einiger Tagereisen, die zugleich Höhen- differenzen enthielten, im Habitus, namentlich in der Behornung und Körperhöhe wechseln. Von einer Zitation massenhafter Lokal-Differenzirungen, die sich auf entomischcm Gebiete zeigen, will ich absehen, aber ich erinnere an die Mittheilungen Dr. Wolfs, der die Katzen auf den Galapagos alle prächtig gross und schwarz vorfand, trotzdem diese Färbung an dem Orte ihrer Abstammung, in Guajaquil, kaum vertreten ist. Ich erinnere an seine Mittheilungen von den gutmüthigen, schönen, verwilderten Hunden, an die verwilderten Esel, welche sich in ko- mischer Positur auf die Hinterbeine setzen — alles kürzliche Ein- Avandrer auf den Galapagos und von der Westküste Südamerika's 18* — 276 — stammend, wo solche Eigenschaften an diesen Thieren keineswegs wahrgenommen werden. Ich erinnere noch an die durch Dr. Heincke nachgewiesene Formspaltung des Herings direkt je nach der Ausbrütungs-Teraperatur resp. Entwicklungsdauer des Eies, an den Bär von Antikosti, der durch seine Nahrungsuchung am Meeresstrande rothe Nase und Pfoten bekommen hat, an die Ratten der Insel Minikoj% die auf Kokospalmen wohnen, und glaube hieraach auch die Folgerung ge- stattet, dass die gleichen Siredonen unter den verschiedenen Züch- tungs- und Verpflegungs-Verhältnissen der Aquarien weder selbst gleich bleiben, noch die gleiche Form metamorphosiren werden. Wessen Urtheilen und Wahrnehmen nicht tendenztheoretisch ist , der wird auch diese schöne freie Biegsamkeit der bewegten Natur nicht missverstehen, um in weiter Ferne künstlich zu suchen, was nahe liegt. So geht es aber wohl den Stud., wenn sie Marsh's Vermuthung, dass Siredon lichenoides in 7000' über dem Meere gelegenen Seen des südwestlichen Nordamerika wegen d e r k ü h 1 e r e n T e m p e r a t u r die Metamorphose nicht eingehen könne, „ohne rechte Begründung" finden und „rein theoretische Muthmassung" nennen (W. S. 237); „denn Amblystomen seien jetzt aus allen Theilen Nordamerikas bis „nördlich New York bekannt geworden, ein Beweis, dass auch eine „bedeutende Winterkälte kein Hinderniss für die Metamorphose des „Axolotl sei (S. 260)." Ich möchte aber doch wissen, welchen Ueberwerth die spekula- tiven Muthmassungen Weismann's den naturinduzirten Ansichten Marsh's gegenüber haben könnten. Je direkter wir uns an die Natur wenden, desto schneller und verlässlicher erhalten wir Antwort. Wenn W. die Trockenheit der Luft auf dem Tafellande Mexikos als das Hinderniss der Metamorphose erklärt, so mtisste er doch die von Marsh dafür geltend gemachte „kältere Temperatur" des Wyoming Territory als eine mit ihm zusammentreffende Erklä- rung anerkennen; denn diese niedere Temperatur in Verbindung mit der hohen, kontinentalen Lage bedingt doch ebenfalls sehr trockene Luft. Marsh meint aber als Umwandlungs-Hinderniss jedenfalls die relativ niedere Temperatur der Sommermonate Wyomings, und Weismanns kritisirende Zitation der strengen Winterzeit des flachen Nordamerika scheint doppelt unangebracht. Denn während der Frost- periode, wenn die Gewässer eisbedeckt sind, wird die Metamorphose jener nordamerikanischen Fischmolche in die landlebige Salamander- form selbstredend nicht erfolgen wie in Weismanns durchwärmten Aquarien, sondern innerhalb der feuchtwarraen Jahresperiode. — 277 — Einer Meinung bin ich aber mit W., dass die in Paris erzeugten Amblystonien eine neue Form sein können, d. h. nach meiner Auf- fassung: eine durch Lokalverhältnisse modifizirte Form, eine Rasse ; denn gleichviel aus welchem in Mexiko nachbarlichen See die Larve stammt, sehr wahrscheinlich fallen Siredon lichenoides und mexi- canus in eine Art zusammen. Einen Theil meiner Ansichten über die Ümwandlungs-Erscheinung des Axolotl hat nun auch der Verfasser der Stud. früher vertreten (S. 239). Abgekommen ist er von dieser Meinung durch den Anblick der erzogenen Amblystomen, welche ihrem Vorstadinm gegenüber „ganz andere Thiere geworden seien". „Eine derartige sprungweise „Entwicklung der Arten erscheint ihm ganz undenkbar." „Naturzüchtung sei hier von vornherein ausgeschlossen (!) bei „dem Vollzug der Metamorphose, und direkter Einfluss der ver- „ änderten Lebensverhältnisse reiche bei weitem nicht aus zu deren „Erklärung," Was den Stud. diese Erklärung benimmt, das ist der Standpunkt des darwinistischen Katheders. Von da herab, mit dem Blick in einen Raum voll Zuchtrassen und angemalter Perspektive, lehrt man den Wesenanfbau eiuerseit wohl als biomorphische Plastik der er- haltungskritisch-kategorischen Sekundenarbeit au jedem individuellen Dasein, verkündet das schmiegsame Schlagwort der „AUmäligkeitt" alles Entstehens und den imposanten Eigensinn einer „postformirenden Repetition" in der Ontogenese, verhält sich aber andrerseits gänzlich schweigsam darüber, wenn das metamorphosische Auswechseln der Stadien Millionen von präsumtiven forra- vermittelnden Kumulationstheilchen unbestätigt lässt, resp. embryonal unterschlägt. Wir brauchen doch niu* um uns zu blicken, um ähnliche Vor- gänge, wie sie hier die Metamorphose in's Ämhly Stoma zeigt, ganz allgemein wahrzunehmen. Die komplizirten Prozesse alles Wachsthums, die Geburten, die Pubertäts-, die Ernährungs- und Ausscheidungs-Phasen, dann die Umsätze des Wassers, der Atmosphäre, der harten Stoffe, die me- teorologischen Changements, die Entzündungs-, Schmelzungs-, £r- starrungs- und Kristallisations-Erscheinungen, bedingen sie nicht ins- gesammt mehr oder weniger zusammengesetzte ausgleichende, d. h. angepasste Vorgänge und verschiedene Fronten physikalisch-che- mischer Korrelationen dar, und fassen wir sie nicht dennoch als naturdirekte auf? Allenthalben charakterisirt sich der Ausgleich, die Anpassung zu einander und zu Allem. Eine Grenzmarke zur Scheidung direkter — 278 — und sekundärer Erzeugung findet sich im letzten Grunde nirgends; CS bleibt alles direkte, wenn auch schliesslich indefinible Naturwirkung. Aber nicht unfasslich, wenigstens doch logisch begreiflich nach den leitenden Vorgängen um uns finde ich es, dass die Naturwirkung auf einen gesund-biegsamen, stoffsatten Organismus ein wesentlich ver- ändertes Bild umsetzen kann, das immer wieder passt. Das Natur- schaffen kann sich' mindestens nicht weniger vernünftig manifestiren, als wie wir durch dasselbe gebildet und unterrichtet, vernünftig zu denken vermögen. Welch' anderes Bild gewährt die festgemiederte Knospe als tags- darauf die entfaltete Mannigfaltigkeit der Blume, welch' anderes dann wieder die gepanzerte Fruchtkapsel und ihre endlich auseinander gesprengte fächerreiche Fruchtkammer. Was treten hier nacheinander für verschiedene Bilder zu Tage an demselben Orte, je nachdem der Sonnenhauch mit den Säften seines Pfleglings verkehrt. Und wenn wir die Natur, verfolgt bis in ihre letztzugängliche Realität, mit dem Eklat der Heterogenität im Formenumsatz, doch stets die „Anpassung" würfeln sehen, wie dürften wir ihre Unmittelbarkeit ärgerlich ver- neinen, wo uns ihre Realität entschwindet — weil unsere Realität zu Ende ist. Wenn die Studien neun zum Theil ganz bedeutende Unterschiede des metamorphosirten Amhli/stoma von seinem Vorstadium aufzählen, dann mit Betonung ausrufen, „diese Unterschiede im Bau zwischen „Axolotl und Amhlystoma seien bedeutend grössere und gewichtigere, „als sie zwischen benachbarten Gattungen, ja grösser, als sie zwischen „den Familien der Urodelen sich finden", und deshalb das Amhlystoma für einen Rückschlag auf die Form der Diluvialzeit erklären, so sollten sie vorerst doch bedenken, dass diese von ihnen hier aufgestellte Behauptung eines Grosso-Rückschlags mit den von ihnen vertretenen allmäligen Selektions-Akkumulationen, mit ihrer Theorie der „genau „im Schritte der neuen Erwerbungen von vorn nach rück- „wärts gleitenden Abänderungswellen", total unvereinbar ausfallen muss. Denn hier spränge der akkumulirte Organismus bald mit blossen Farbentönen und Körperornamenten, bald aber mit Augenlidern, Zahn- reihen und Schwimmhäuten vor- und rückwärts von einem Bein aufs andre. Bald würde in Differenzminimalen etwa im Betrage individueller Färbungs-Variation, bald in Typensummen von Familienabständen atavirt. Dabei würden sich noch die kuriosen Konsequenzen ergeben, dass, wie bereits erwähnt, gerade die geringe Formdifferenz am Siredon als fernstzurücktreffender, die vollständige Meta- _ 279 — morphose ins Amhlystoma aber als phyletisch- jüngst er Ata- vismus zu betrachten sein müsste; und während die Studien die Sterilität der letzteren Formen aus Rückschlagsgründcn plausibel machen wollen, würde ersteren wieder die bei ihnen vorliandene Fortpflanzungsfähigkeit selektionsrechtlich aufzureden sein. Das MerkAvürdigste zur Selektionstheorie hierbei wäre schliesslich noch dies, dass diese Rückschläge selbst nach den Individuen aber- mals variiren, dass. alle Individuen überhaupt variabel sind, dass aber trotz alledem dieses darwinistische Räthselgeschöpf seit vordiluvialcr Zeit bis heute so konstanter Organisation geblieben sein müsste, dass der Rückschlag sich darin hin- und herschöbe unentwichen und flott wie ein gutgeöltes Webschiffchen. Um den Weismann'schen Selektions- und Rückschlag-Hypothesen huldigen zu können, scheint mir sonach eine kapernauische Gläubigkeit nöthig. Auf besserem Wege der Erkenntniss dagegen begegnen wir den Studien Seite 244, wo sie ausrufen: „wenn von einer durch direkten „Einfluss äusserer Agentien gesetzten Abänderung aus der ganze „Körper sich durch Korrelation in ein paar Tagen gerade so um- „wandeln kann, wie es für die neuen Lebensbedingungen, in denen „er von nun au leben solli), fim angemessensten erscheint, dann ist „das Wort „Korrelation" nur noch eine Phrase, durch die nichts cr- „klärt, wohl aber der Versuch einer besseren Erklärung verhindert „werde! Dann sei es vorzuziehen, sich einfach zu dem Glauben an „eine phyletische Lebenskraft zu bekennen." Ja gewiss ward innerhalb dieser „Korrelation", dieser biomor- phologischen Stoffumsätze die Beantwortung des Schöpfungsräthsels liegen; und bis jetzt drückt das Wort „Korrelation" allerdings nur den Kollektivbegritt' für eine Summe unsrer Einsichtslosigkeit aus. Aber zu was darüber hier ein besondrer Klageruf Weismann's, wo gegenüber die abstrakte Idee vom „Rückschlag" so ju- bilirend verkündet wird! Zu was hier den alternativen Pathos, i) Der real-mechanischen Polemik des Darwinianers scheint dieser Satz nicht gut ,,angepasst"; ihm müsste es eigentlich sofort beikonimen, dass der metamorphosirte Axolotl nicht umgewandelt zu werdeu braucht, wie er leben ,,soll", sondern dass er lebt, wie er umgewandelt wurde, Metamorphosirte er, ähnlich den Insekten, in ein beflügeltes Wesen, so würde er den Lebensbedingungen wieder anders, aber gewiss ebenfalls angepasst existiren. Die Natur darwinistisch sekundär genommen bi'aucht nur irgendetwas zu schaflfen, und help yourself giebt's irgend- wie oder wo eventuell „angepasst" zu leben und zu vererben. Wenn man das Naturvorhandene nur bis aufs darwinistische Niveau existenz- lich befragt, dann bedingt sich, wie gesagt, jede Existenz einfach in sich selbst. Was da lebt, das lebt, weil es zu leben versteht. — 280 — wo alle und jede unsrer täglichen Aussprüche und Taxen über Zeit und Raum, über Schwere, über Molekülarität, über Zeugung, über Vererbung, über die Mechanik der Sinnesleistungen etc. durchaus nur „Worte" sind zur Bezeichnung motorisch unbegriffener, von uns aber doch als Einheiten gehandhabter Werthe der Naturkraft. Das „Soll", welches die Stud. bei der naturangepassten Meta- morphose des Axolotl zu verstimmen scheint, wird durchaus nicht speziell auf den einzelnen Fall extra zugeschnitten werden, sondern dieses „Sollen, Müssen und Wollen" ruht im Ganzen. Wie die einzelnen Linien und Bogen zum Buchstaben, die ein- zelnen Buchstaben zum Wort, zum ersten Sinn, die einzelnen Worte zum Satz, zur Gedankenreihung, die Sätze zu Lehren, zu weltum- fassenden Verständnissen verbunden sind, jeder Theil ein Ich, ein Soll, und alles zusammen ebenfalls nur ein einziges Soll und Ich durch und für den menschlichen Geist, so ist wohl auch das An- passungs-Soll des metamorphosirten Axolotl ein nothwendiger Schrift- zug im Hauptbuche Natur. Der Salamander, im Besitze des auf die ihn umgebende Natur auch naturlogischen Organismus, ist in keine Heterogenität versetzt, sondern vermag mit seiner Umgebung alsbald in Verkehr zu treten, auf deren Physis sich die Metamorphose naturnothwendig in allen Theilen beziehen und umsetzen muss, da andere Bedingungen natur- unmöglich sind. Solche Begriffe erscheinen doch wohl handlicher, natürlich ein- leuchtender, als wenn man nach den Studien-Darlegungen die Annahme aufgenöthigt erhält, dass mit dem „Rückschlag" auch zugleich das Vergessen der durch Auslese- Akkumulationen unendlich lang- sam erworbenen bisherigen biologischen Funktionirungen plötzlich wieder einträte, dafür aber im „atavirteu" Organismus die bio- logische Akkumulationssumme eines urzeitigen Intelli- genz-Abschnittes alsbald wieder und noch komplett antik funktiouirend angetroffen werde, gleichviel welches „phyle- tische" Stadium der „Rückschlag" gerade erreiche. Die mittelst der Selektionstheorie erörterten seelischen Funk- tionen der Wesen werden doch dargestellt als phasenlos all- mälige, mittelst Variabilität und Kreuzung jederzeit noch extra ineinanderschwimmende er fahrungs technische Anhäufungen, ohne impulsirenden oder naturimmanenten Zufluss. Eine organische Theilstelle giebt es da nicht, sondern was heute die Biologie und Physiologie eines selektirten Organismus ausmacht, das bildet einen assoziven Pfeilerbau, der bereits in der Urseele des Zellen thieres wurzelt, und keine Abbruch -Korrelationen für — 281 — variable Rückschläge in aiitiquirte Ahnenkörper begreif- lich oder zulässig macht. Kurz gesagt: mittelst Selektions- und Rückschlags-Hy- pothese, wie mittelst des prüfenden Menschenverstandes begreift es sich effektiv nicht, wie ein soeben erfolgter „Rückschlag" eines mexikanischen Axolotl in die Sala- mander-Form der fernen Diluvialzeit nur noch seine Beine richtig zu gebrauchen, oder eine (moderne) Fliege zu fangen, zu kauen und zu schlucken verstehen sollte, er, der an- geblich nicht nur plötzlich in einem seit Jahrmyriaden naturverworfenen Organismus erscheinen würde, sondern mit demselben obendrein in eine inzwischen veränderte Naturumgebung, ja in das der Diluvialzeit gewiss sehr wenig „angepasste" Raffine eines Pariser oder eines Da- meu-Boudoir-Aquariums versetzt wäre! Ich darf es dem Nachdenken des Einzelnen überlassen, die Hin- fälligkeit des Rückschlag-Begriffs weiter zu prüfen, und dabei in dem metamorphosischen Fertigstellen der individuellen Bio- morphosis zugleich einen naturdirekten Associv-Kontakt von Geist und Physis zu erkennen, ohne welchen die physio- logischen Funktions-Akkomodationen der metamorphosischen Formeu- wechscl gar nicht begreiflich sind. Wenn die Stud. zur Stütze ihrer Idee vom Rückschlag des Axo- lotl äussern, Jedenfalls enthielte eine solche Annahme nichts, was mit bekannten Thatsachen in Widerspruch stünde", so möchte ich nur wissen, welche Thatsachen sie hier meinen? Wo sind denn solche zustimmende Thatsachen? Nirgends. Im Gegen theil, wenige Zeilen weiter (S. 248) berichten sie die Existenz einer ganzen Reihe von Ämbli/stoma- Arten in Nordamerika. Nun diese Reihe ähnlicher Formen, unvermittelt durch niedere Zwischenstufen nebeneinander, beweist mit dem aquarien-technischen Umwaudlungsvorgange doch gerade die Haltlosigkeit der Selektions- hypothese. Vor unseren Augen erfolgt der plötzliche Aufschwung der klimatisch translozirten Siredon-Form in ein noch dazu „neues" (?) Amhlystoma. Andernorts existiren noch viele ähnliche Salamander- Arten, deren Entstehung ebenfalls nicht durch die selektirende All- mäligkeit von Variations -Winzigkeiten aus einer Stammform er- folgt sein kann. Denn welche unübersehbaren Reihen allmäliger Kumulationen müssten hier, ebensowohl bei dem Rückschlag auf das Amhlystoma der Aquarien, wie auch bei der morphologisch damit iden- tischen Metamorphose jener freilebenden Amblystomen Nord" — 282 — amerikas, in räthselhaft biomorphischer Uebereinstimmung auf einmal abgestreift und unterscblagon werden. Welche sonderbare Selektion^ oder welche Impotenz einer Auslese des Besten, wenn ein künst- lich erzeugter „Rückschlag" auf das vermeintliche Am- hli/stoma der Diluvialzeit doch denselben Typus ergiebt, welchen heute noch 20 frei nebeneinander konkurrirend oder isolirt lebende variable Amblystomen repräsentiren! Weismann im ersten Theile seiner „Studien" (S, 76) verneint selbst im Sperrdruck die Möglichkeit des Wiedererschei- nens von Arten, „und wenn auf der Erde auch nur zwei ver- „schiedeneKlimate in geologischen Perioden miteinander abwechselten". „Selbst wenn der Einfluss genau derselbe sei, wie zur Zeit der ersten „Artgestalt, so könne er doch unmöglich die erste Gestalt wiederum „hervorrufen. Wäre auch die Natur der Einflüsse wieder die gleiche, „so doch keineswegs die physische Konstitution der Art!" Für diese Thesen der I. Studien haben die II. keine Erinnerung mehr; denn jetzt lassen diese (S. 246, 258), abermals im Sperrdruck, verschiedene Reptilienformen resp. Gattungen „durch dieselben „äusseren Einflüsse und Bedingungen der einstmaligen „Formbildung, in Anpassungs-Abständen von geologischen „resp. zoologischen Epochen" vor- und rückwärtsspringen. Die Stud. gelangen (S. 248) nämlich zur Verwerthung derjenigen Fälle, wo de Filippi, Jullien und Schreibers „geschlechtsreifc Larven" des Wassersalamanders mitten unter normalen Larven desselben beobachteten. Sie bezeichnen „es hiernach als „feststehend, dass Arten, welche die Salamandriden- Stufe in der „phyletischen Entwicklung längst erreicht haben, gelegentlich auf die „Perennibranchiateu-Stufe zurücksinken könnten." „Die Grösse des morphologischen Abstandes sei hier „genau dieselbe zwischen Triton und seiner geschlechtsreifen Larve „wie zwischen Axolotl und Amhlystonia\ die Verschiedenheit zwischen „beiden Rückschlagsfällen liege lediglich in der Richtung des „Sprunges, der im ersten Fall gerade in umgekehrter Rich- „tung gemacht werde, als im zweiten." Es scheint kaum glaublich, wie ein denkend bei seiner eigenen Theorie weilender Darwinianer diese „gleich grossen Vor- und Rück-Sprünge" verschiedener Thiergattungen rite auf „phyle- tische Stadien" verschiedener „geologischer resp. zoologischer Epochen", dieses gleichmässige und gleichwerthige Ueberschlagen morphologischer Akkumulationen der präsumtiven intermeta- morphosischen Allmäligkeitsstadien wahrnehmen und abhandeln kann, ohne die, gerade in diesen seinen Darlegungen wie in den — 283 — realen Vorgängen selbst ruhende totale Uuterminirung der Selektions- hypothese aufzufinden! Die Einhaltung gleichwerthiger Form- distanzen innerhalb verschiedener Gattungsstämnie, geo- logische Perioden hindurch, ist doch mit einer durch ver- schiedene individuelle Konkurrenz bewegten Zuchtwahl ganz unvereinbar. Die Aufmerksamkeit der Stud. wird aber gefesselt durch die mit den hier angenommenen verschiedenen Kückschlägen verbundene Dif- ferenz der Fortpflanzungsfähigkeit. Die Amblystomen sollen nämlich steril sein, wogegen die TH^ow-Larven sich „als geschlechtsreif erwiesen haben", und die Ursache dieser Verschiedenheit trotz gleicher Grösse des Rückschlag-Sprunges suchen sie damit zu er- klären, dass „der Rückschlag des Triton auf ein älteres phylctisches „Stadium zusammenfalle mit dem Stehenbleiben auf einem on- „togenetischen Stadium, denn das ältere Stadium der Phylogenese, „auf welches der Rückschlag stattfinde, sei in der Ontogenese eines „jeden dieser Wassersalamander noch vollständig enthalten." „Ganz anders bei dem Rückschlag des Axolotl in die früher „ schon einmal erreichte, aber längst wieder aufgegebene Aniblystonia- „Form! Diese sei in der Ontogenese des Axolotl vollständig „ausgefallen; seit einer langen Reihe von Generationen sei die „Ontogenese immer nur bis zur Perennibranchiaten-Form gelangt. „Wenn nun jetzt einzelne dieser Axolotl zum Rückschlag in die Am- „blystoma-F orm veranlasst würden, so werde damit in morphologischer „Beziehung allerdings kein grösserer Sprung gemacht als beim um- „ gekehrten Rückschlag des Triton zum .Fischmolch, aber es liege „darin zugleich noch ein Sprung in andrer Beziehung, ein Sprung „nämlich über eine lange Reihe von Generationen hinweg zu einer „Thierform, welche die Art seit langer Zeit nicht mehr hervorgebracht „habe, welche ihr gewissermassen fremd geworden sei. Wir hätten „hier das Aufpfropfen einer weit abweichenden Konstitution auf die „des Axolotl, oder mit andern Worten, die Vermengung zweier weit „abweichender Konstitutionen." „Dei" spezielle Nachweis der Ursachen von verschiedener Affektion „des Fortpflanzungsvermögens müsse einer späteren Zeit überlassen „werden . . . und das hier verborgene Gesetz werde sich dereinst „vielleicht so formuliren lassen: „Atavistische Individuen verlieren „die Fähigkeit der Fortpflanzung um so vollständiger, je länger die „Generationsfolge ihrer Vorfahren ist, deren Ontogenese die phyletisch „ältere Stufe, auf welche der Rückschlag erfolgt ist, nicht mehr enthielt." Mir scheint, es wäre besser, wenn die Stud. die Art ihrer Ah- nungen von „Naturgesetzen" verschwiegen, denn durch Thesen, wie — 284 — die prophetische vorstehende würde das uns unerforschliche Natur- prinzip durch Supponirung offenbaren „Unsinns" verunglimpft. Zunächst stellt Weismanns Extension des darwinistischen Begriffs von „Rückschlag" bis auf zoologisch-periodische, gattungs-qualitative Vor- und Rück-Changements, an sich eine der grösstmöglichen Unfasslichkeiten dar. Wenn es die Natur aber fertig brächte, resp. physikalisch verschulden könnte, dass ihr unter den Glaswänden eines Aquariums etc., die biomorphologischen „Anpassun- gen" der Gegenwart sozusagen desertiren dürften myria- dische Generationen zurück bis auf die „ angepassten" Gestalten der Diluvialzeit, und diese oder ähnliche Rückschläge in der Freiheit, nun steril, für irgendwelchen Arterhaltungs- zweck nutzlos wären, dann vollzöge sich offenbar natür- licher Unsinn. Ganz unverträglich zu der Weismann'schen Deutung der Axolotl- Metamorphose als sterilen Rückschlag verhalten sich auch die von ihm selbst zitirten 20 übrigen Amblystoma-Arien Nordamerikas. Diese schliessen ihre Ontogenese regelmässig mit dem fortpflanzungs- aktiven Ainbhjsfoma-Stadmm ab, das sie vom SiredonSiadium aus durch dieselbe unmittelbare Metamorphose erreichen, wie es das Axo\oÜ-Ämbli/stoina, augeblich rückschlagend, erreicht. Wenn nun, nach darwinistischer Konsequenz, die metamorpho- sischen durch Rückschläge noch rekapitulationsfähigen Stadien einer Art zugleich auch als phyletische anzusehen sind, so verhalten sie sich genetisch einzeln bewerthet, morphologisch- qualitativ wie verschiedene Arten bezw. Gattungen zu ein- ander. Wenn aber logisch zu Weismann's These die Sterilität von Rückschlägen selbst auf phyletisch-weite Distanzen erst nach einer grossen Reihe von Generationsfolgen eintreten soll, ja nach Andeutung der eierlegenden Pariser Axolotl-Amblysto- men selbst dann die Zeugungsfähigkeit noch nicht ausgeschlossen erschiene, dann kann es auf dem Wege der ungeheuren AUmäligkeit der Zuchtwahl niemals zur Spaltung einer Stammform in 20'distinkte AniUystoma-Arten nacheinander und nebeneinander kommen; denn diese Arten wären unter sich allezeit viel näher verwandt als mit ihren eigenen, nach W. sogar selbstständig adap- tativen metamorphosischen Stadien, und eine Befruchtungs- isolirung, eine gegenseitige Befruchtungs-Sterilität einzelner Abnei- gungsformen zu distinkter Amblystomen-Abzweigung könnte niemals erwartet werden, sobald Rückschläge im Werthe voller Gattungen — 285 — noch fruchtbar blieben, die nach W. (S. 256) selbst als eine Art Kreuzung zu betrachten wären. Diese Fruchtbarkeit würde aber, abgesehen vom angezweifelten Pariser Fall mit Axolotl-Amblystomen, beim Rückschlag von Tritonen auf geschlechtsreife I>arven vorliegen, und das prophetische „Gesetz" Weisniann's bezüglich der Sterilitäts-Ursache ebenfalls entschieden verneinen. Denn nicht allein in der Ontogenese des Axolotl wären „phyletisch ältere Stufen" ausgefallen, sondern auch in derjenigen der Tritonen. Der Selektionstheorie zufolge kann nämlich kein plötzlicher Sprung vom Larven-(Perennibranchiaten-)Stadium bis zum heutigen Triton erfolgt sein, sondern es müsste ein Uebergang mittelst einer grossen Zahl allmälig erreichter Zwischenstufen angenommen werden. Von solchen intermetamorphosischen Akkumulations- stufenist aber zwischen Larven-Abschluss und Trifon-Entwicklung nichts wahrzunehmen, „sie müssten längst ausgefallen sein, die „Ontogenese enthält sie nicht mehr", selbst nicht in Rück- schlägen. Logisch. hierzu müssten aber auch Tri^öw-Larven, deren Geschlechtsreife — den vermeintlichen Rückschlag — "W.'s Betrach- tungen einseitig zu erklären suchen, die Fähigkeit der Fort- pflanzung vollständig verloren haben. Da geschlechtsreife Tri^ow-Larven indess konstatirt worden sind, so fallen Weisniann's Deutungsversuche und seine provisorische These dazu in nichts zusammen. Wollte man aber gegnerischerseits den Ausfall phyletischer, ent- wicklungsaufschreitender Intermediärstufen vom Molch- zum Sala- mander-Stadium nicht hypothesiren, sondern die morphologische Dif- ferenzirung dieser zwei Stadien als durch divergent verlaufene Adaptation erfolgt erklären, so ruinirte man sich selbst auch die leiseste Begreiflichkeit für die Möglichkeit kompletter Rückschläge zwischen Salamander- und Molch-Stadium. Höchstens würde man hier konvergent intermediäre Formerscheinungen zwischen beiden Stadien noch erwarten und als Rückschläge theoretisiren können. Dergleichen sind aber nicht bekannt, und so erleidet W. auch nach dieser Seite nur Abweisung seiner Hypothesen. Die Hinfälligkeit dieser wird aber fernerweit dargethan durch ein theorielogisch vorhandenes „Zuviel" von Differenzirung zwischen Axolotl und Amhly Stoma. Denn dem letzteren gehen auch die halben Schwimmhäute und der Rückenkamm ab, und dies sind Organe, welche der Salamander gar nicht abgezüchtet er- halten könnte, weil deren Beibehaltung ihm, der zur — 286 — Paarung und Eierablegung ins Wasser geht, eher nützlich als nachtheilig sein dürfte. Mindestens sind es Orgaue, die zu den „indifferenten" und deshalb beizubehaltenden rangiren würden, und die selektionstheoretisch nimmermehr etwa als „korrelative" be- zeichnet werden könnten. Eine scheinbare Handhabe für ihre Rückschlagstheorie fanden die Stud., wie bereits angedeutet, in der Sterilität des „neuen" Amblystoma der Aquarien; und der Meldung Blanchard's, dass einige Weibchen doch Eier abgelegt haben, setzen sie (S. 253) ganz unangebracht eifernde Randnoten entgegen, welche mit dem merk- würdigen Satze schliessen, dass „wenn auch einzelne Amhlystoma sich fortpflanzten, so würde dies doch an der Thatsache nichts ändern, dass die Majorität steril sei". Man darf die Studien um solche Verschanzung nicht beneiden. Das (wohl metamorphosisch-zyklische) Vorkommen der Amblysto- men um die betr. Seen bei Mexiko ist neuerdings beobach- tet, nur sind mir die Namen der wissenschaftlichen Garanten wieder entfallen. Die Sterilität der Zucht-Amblystomen aber, ob durchgehend oder partial, ist für die Studientheorien zunächst keineswegs gleich- gültig, wohl aber empirisch begreiflich. Die Metamorphose dieser Zuchtthiere vollzog sich, wie bereits her- vorgehoben, nicht auf vollgültig naturgemässer Basis, und auch bei relativ so wenigen Individuen, dass die Unvoll- ständigkeit der physischen Resultate erklärlich scheint. Ein vollwichtiger Naturvorgang würde schon die Fortpflanzungsfähigkeit liefern, wenigstens den erhaltungsnöthigen Prozenten nach. Die Un- fruchtbarkeit ist doch in der Natur selbst keine seltene Erscheinung, innerhalb unserer Zucht-Organismen des Thier- und Pflanzenreichs sogar eine ziemlich häufige. Bei den hier fraglichen Zuchtthieren trifft die veranlasste Metamorphose aber noch auf das Vorhergehen einer strengen Inzucht translozirter und wahrscheinlich irgendwie entwicklungszurückgehaltener Individuen, denn alle bezügl. Axolotl entstammten einer einzigen importirten und bona fide gepflegten Brut. Auch Weismann's Siredonen lieferten 1875 keine Brut, und mithin zeigten auch die bisher zeugungsfähigen Larven (Axo- lotl) Sterilitäts-Erscheinungen. „Die Grösse des morphologischen Sprunges" im Rückschlag sol^ den Grad der Fruchtbarkeit mitbedingen, „doch keineswegs absolut", sagen die Stud. reservirt; wohl aber vermöge im Rückschlag auf ein älteres phyletisches Stadium, wie beim Triton^ also auf ein in der — 287 — Ontogenese noch regelmässig enthaltenes Stadium, die Fruchtbarkeit viel leichter gewahrt zu bleiben als in den Fällen des Axolotl. In Konsequenz dieser Anschauung müssten sich eine Menge der- jenigen verschiedenen Arten, welche sich äusserlich oft zum Ver- wechseln ähnlich sind, und welche selektionstheorctisch ein und die- selbe Stammform haben, freilebend mit Erfolg kreuzen, denn nirgends läge hier ein „morphologischer Sprung" von derjenigen Bedeutung zwischen denselben, wie bei den vermeintlich durch Rückschlag zeu- gungstüchtigen T'H^on-Larven bis zu den Tritonen. Auch zu den vorn angeführten und von mir bereits als selektions- qiialitativ entwertheten Formausgleichungen resp. Akkumulationen von Raupenformen durch die Kreuzung ihrer Falter, gerathen die Stud. abermals in Selbstwiderstreit, wenn sie hier das von der Endform biomorphisch bedeutend verschiedene Larvenstadium, trotz der des- halb vorauszusetzenden phyletischen Abänderungs-Erleb- nisse, dennoch als aufnahmefähig für den Rückschlag der einstmaligen Biomorphosis erklären wollen. Das Merkwürdigste von selbstvergessenem Dementiren leisten die „Studien" aber in einem „Zusatz" ihrer Axolotl-Abhandlung, wo „ein „anatomisches Verhältniss ihre Auffassung des Axolotl von Mexiko „als eines zurückgeschlagenen Amhly Stoma sehr energisch unter- „ stützen soll." Durch Dr. Wiedersheim erfahren sie nämlich, „dass der Axo- „lotl die bei allen auf dem Lande lebenden Amphibien vorkommende, „bei allen ausschliesslich im Wasser lebenden bezüglichen Amphibien „hingegen fehlende „Intermaxillardrüse" besitzt." „Diese Drüse son- „dert eine klebrige Substanz ab, welche das Festkleben der Beute „an der hervorgestossenen Zunge bewirkt; und aus dem Mangel der- „selben bei allen Perenuibranchiaten und Derotremen (ausschliessliche „Wasserthiere) liesse sich folgern, dass sie für das Fressen im Wasser „bedeutungslos sein müsse." „Trotzdem zeige sich die Drüse durch vollständige Ausfüllung „mit Absonderungsscliläuchen „wohl entwickelt" sowohl bei den im „Wasser lebenden Larven von IViton- als auch von Amhly stoma- „ Arten, exklusive Axolotl." „Bei letzterem seien die betreffenden „Drüsenschläuche nur in geringer Anzahl vorhanden, den Haupttheil „der Drüsenhöhlung fülle ein dichtverfilztes Bindegewebe aus, die „Drüse sei demnach ganz rudimentär, und eine Erklärung hierfür „scheine nur unter der Voraussetzung möglich, dass der Axolotl eine „atavistische Form sei." „Denn es leuchte ein, dass die bei allen Amhly stoma-L?^YVQ\\ schon „angelegte Drüse beim Rückschlag des hypothetisclicn mexikanischen — 288 — „Aniblystoma der Diluvialzeit in die Rückschlagsform des heutigen „Axolotl mit herübergenommen werden musste. Es verstehe sich „aber auch leicht, dass das Organ im Laufe der Zeit mehr und mehr „verkümmern musste, da es im Wasser keine Verwendung mehr ge- „funden habe." Nun, wenn es auch Herr W. vergessen zu haben scheint, so ist es doch uns noch erinnerlich, dass nach ihm „die Entwicklungsstadien „unabhängig von einander abändern", dass „neue Erwerbungen nur „im Endstadium (der liarven) erfolgen, und deren Zurückführung „nach rückwärts genau in den Schritten ihres Zutritts durch die „Akkumulationen der natürlichen Auslese allmälig geschähe, wenn die „Neuerwerbungen nützlich oder indifferent für die älteren phyletischen „Stadien seien." Hier nun bei den Amblystomen soll es dagegen wieder „ein- leuchten", dass eine angeblich nur dem Endstadium des Landlebens dienliche, demnach selektionslogisch auch nur in diesem Stadium akkumulativ erworbene Fangsaftdrüse beim „Rückschlag" auf die ausschliesslich im "Wasser lebende, der Drüse sonach bisher „phyle- tisch" fremde Aszendenzform „mit in diese Perennib.rauchiatenform des heutigen mexikanischen Fischmolchs Axolotl herübergenommen werden musste, weil diese Drüse bei allen Arablystoma-Lw::sQ\\ schon angelegt sei." Die theoretische Situation der Stud. wird hier eine gespannt merkwürdige. Die Anlage der Drüse auch bei den wasserlebenden Amblystoma-hdiVS'en machen sie geltend, um auch den Rückschlag der Drüse auf den Axolotl „einleuchtend" zu machen. Ist nun aber die Drüse bei allen diesen Larven vorhanden, so müssten letztere inklusive Axolotl selektionslogisch entweder alle eines Stammes sein mit räthselhaftem Drüsenbesitz seit vor-amblystomer Urzeit, oder die Drüse musste überall aus einem Landsalamander-Stadium einstmals auf das Fischmolch-Stadium gleichmässig zurückgeschlagen und dieses dann ä la Axolotl abermals vorwärtsgesprungen sein. Hierzu passte nun zunächst nicht die Verschiedenheit der „Konservirung" dieser „indifferenten" Drüse beim Axolotl und seinen gleichartig lebenden Wasserverwandteu; und beim Axolotl mit seiner verkümmerten Drüse verstände sich nicht, wie solche verfälschte Form wieder vorwärts rückschlagsfähig sein könnte. Auch die innerhalb der reichlich zwanzigerlei Formen des Am- hlystoma- Genus, seit vordiluvianischer Zeit bis heute zu prämit- tirende gleichmässige Konstanz, trotz der ganz ausscrge- wöhnlichen Sporadität und Isolirung je nach der Art, stellt sich der Selektionshypothese misslich gegenüber, mag man die — 289 — „Allmäligkeit" auch noch so reichlich beanspruchen, die Jahrmyriaden derselben auch noch so freigebig bewilligen. Und zum ferneren Ver- fall der Selektionsfrage stellt sich dieser biomorphologischen Parallele gegenüber die Gattung Triton auf, mit ihren abge- wichenen Salamandriden, bei bezüglich der Drüsenanlage gleich- werthig dem Axolotl-Typus ausgestatteten Larven. „Zurückgeschoben" nach Weismann's These«„durch Hinzutritt neuer Erwerbungen im Endstadium" kann die Drüse der Amblystoma- Larven-Arten aber ebenfalls nicht sein, denn einestheils könnten der- artig modifizirte resp. gefälschte Larven nicht, gelegentlich wieder rückschlagend, fortpflanzungsfähig sein, und anderntheils lassen sich „Neuerwerbungen", welche „zurückgeschoben" haben könn- ten, nicht erkennen; geschweige dass die ganze Hypothese einer Drüsen-Rückschiebung bei der gleichartigen und gleichterminlichen Anlage in der Amblystomen- wie in der TVi^on-Gattung überhaupt Sinn und Halt hätte. Mindestens um so viel als wie Amhly Stoma und Triton differiren, müsste auch die kritische Drüsenanlage ge- genseitig morphologisch „verschoben" sein, wenn Weismann's Thesen induktiven Werth hätten. Seine „Studien" schweigen übrigens nach dieser Richtung so ziemlich ganz, sprechen nur deutlich vom „Rückschlag" der Am- bli/stoma-Briise auf das Axolotl-Stadium, und deshalb ist diese Meinung einer besonderen Aufmerksamkeit werth. Wenn uns W. bisher schon die Unfasslichkeit des Rückschlags eines den heutigen Verhältnissen angepassten Organismus auf seinen ur-vorzeitigen Anpassungsbau dozirte, so unternimmt er es hier sogar, uns den Glauben an gefälschte, oder vielmehr an „phy- letisch zurückverschobene Rückschläge" zuzumuthen. Auf eine gesunde Begrifflichkeit solcher „m Orphol ogisch- phyletisch verpfropfter" Rückschläge W.'scher Idee werden wir wohl verzichten müssen. Was in derartigen Studien einzig noch klar bleibt, ist die Ueberzeugung, dass die Idee eines „Rückschlags", ge- pfropft auf einen Organismus, welcher der morphologischen Modalität solches Rückschlags noch durchaus vorphyle- tisch fern und fremd war, ohne irgendwelchen Sinn ist. Wenn das, durch vermeintliche Aufsetzung einer postphyloge- netischen, ihm selbst niemals „angepassten" Drüse morphologisch gefälschte Stadium der Triton-Laryen durch Rückschlag und mit dem modernenspermatisch-ovogonen Apparat heutigentags wieder fortpflanzungsfähig werden könnte, während doch bezüglich der Befruchtungsverhältnisse allenthalben selbst zwischen allernächst- stehenden Formen die diffizilsten Bedingungen geltend sind, so würden 19 — 290 — alle realen Erfahrungen vor den Kopf gestossen, besonders aber die Allraäligkeits-Theorie mit ihrem ganzen hypothetischen Reserve-Ap- parat ad absurdum geführt. Wo die vermengten Formen zoo. logischer Perioden als zeugungsfähig hypothesirtwerden — da hat die Hypothese von Jahrmyriadenreihen umfassenden artenspaltenden Akkumulationen keinen Sinn, am aller- wenigsten aber aus ein und demselben Munde. Soviel ist gegen Weismann's Studien völlig klar: Ein „Rück- schlag" könnte nicht erfolgen auf ein Formstadium, welches vor Beginn der Anzüchtung des den vermeintlichen Rückschlag repräsentirenden Organs existirte; oder anders ausgedrückt: Auf die phylogenetische Rekapitulationsform eines kiemenathmenden drüsenlosen Vorfahren könnte eine erst später deszendent und beim Landleben erworbene Drüse nicht zurückschlagen. Ein durch natürliche Zuchtwahl als zeugendes Endstadium längst verworfenes und nur noch als metamorphosische Vor- stufe in der Ontogenese „adaptativ" beibehaltenes phylogenetisches Stadium könnte durch fälschenden Rückschlag und ver- mittelst des mo.dernen Zeugungs-Apparates nicht alsbald wieder „geschlechtsreif" werden, "könnte weder die antiquirte noch die moderne Form hervorbringen. Eine Neuerwerbung, also hier die „Fangsaftdrüse", könnte aus dem Endstadium einer metamorphosischen Ontogenese nicht in ein vorhergehendes Stadium der Metamorphose gelangen, vollends nicht, wenn sie hier nutzlos wäre, denn, allerdings nur nach Weismann's eigener These, „verändern sich diese Stadien unabhängig „von einander." Eine „Zurückführung" dieser, nicht nur bei allen Endformen der Salamandritlen, sondern auch bei deren Larven, exklusive Axo- lotl, „wo hl entwickelt" vorhandenen Drüse könnte aber vollends nicht komplett, wohlentwickelt, ebenso noch im Endsta- dium wie auch in dem dafür indifferenten metamorpho- sischen Vorstadium zugleich auftreten — denn abermals nach W. selbst sollen die Charaktere nur „genau in den Schritten des Hinzu- tritts neuer „Erwerbungen aus dem Endstadiura nach rückwärts ge- schoben werden," Für das „Avohlentwickelte" Vorhandensein der Drüse sowohl bei den Landsalamandern wie auch zugleich bei deren Larven, welche, Aveil stets im Wasser lebend, dafür doch keine Verwendung haben sollen, mangelt von Weismann's Lehrsätzen aus jede Erklärung und Zulässigkeit. In weiterer Konsequenz derselben dürfte diese Drüse bei dem Axolotr auch wieder nicht „zum Theil" rudimentär gefunden werden, — 291 — denn ein „indifferentes" Organ dieser Art dürfte entweder bei- behalten, oder doch nur gleichmässig und nicht nur stellenweise „bis auf eine geringe Anzahl von Drüsenschläuchen" schwindend werden. Selbst Weismann's Schluss auf Bedeutungslosigkeit und Wcrthlosig- keit der Drüse beim Axolotl etc. erscheint durch den Mangel derselben „bei allen untersuchten ausschliesslich im Wasser lebenden Amphi- bien" keineswegs gestützt. Denn da sie, wie W. bekannt ist, auch „die Larven derTritonen in wohlentwickeltem Zustande besitzen", gleich den Larven Yon Amblystoma-AYten, so stellt sich die Annahme einer Bedeutungslosigkeit derselben für's Wasserleben als sehr zweifelhaft motivirt heraus, weil die Arten der Gattung Triton, die sogen. Wassermolche, in allen Stadien theils ausschliesslich, theils zur meisten Zeit Wasser- bewohner sind, wie schon ihre Körperformen darlegen. Nur zur lethargischen Ueberwinterung gehen die entwickelten Tri- tonen ausser' Wasser. Dass die Gleichmässigkeit dieser Drüsenanlage bei Wasser- und Land-Salamandern also in kein er Weise theoriegerecht nach Weismann's Auslegung ist, scheint genügend dargelegt. Gesunder Anschauung nach können die Fälle der geschlechts- reifen Triton- und Amblystoma-LsiYven (des Axolotl) nur als me- tamorphosisch ganz gleichwerthige und parallele gelten. In beiden Fällen schlägt die Geschlechtsreife nicht „phyletisch" zurück, sondern sie wird beschleunigt, indem diese Amphibien, durch äussere Einflüsse am Vollzug der Schlussmeta- morphose verhindert, bereits im Larvenhabit geschlechtsreif werden. Als solche Hinderungsursachen der Metamorphose vermuthe ich beim Zucht-Axolotl : kühlen liiftdurchfrischten Wasseraufenthalt und Landungsunmöglichkeiti), bei den de Filippi-Jullien-Schrei- bers'schen Triton-Larven: vorzeitiges Verseichten und Schwinden eines intensiv durchwärmten, sauerstoffarmen Sumpfwassers, wodurch die sexuale Frühreife auf Kosten der danach ausbleibendenS'?Vgf?on-Stadium in 's Amhlystoma wieder als einen Rückschlag auf die ontogenetische Endform der Diluvialzeit zu kalkuliren. „Die Endform der Diluvialzeit konnte sich nicht halten, sondern schlug zurück und verblieb von damals zu jetzt wieder in der Form einer vordiluvialen Periode, bis abermals nach Reihenjahrtau- senden, heutigen Tages, die züchtenden Minutissima eines Zimmeraquariums den biomorphologischen Bann sofort wieder umgekehrt lösen und jener „Rückschlag" abermals „zurückscklägt" in die einst unhaltbar gewordene Diluvial- zeit-Form", — so spekuliren die „Studien" eines gefeierten Darwi- nianers und kümmern sich absolut nicht um die Monstre- Ferien, welche sie der ganzen Transformationsmaschine d«abei vindiziren, w?nn die kreuzweisen Rückschläge, abwärts wie aufwärts, heute wie zur fernen Diluvialzeit, auf dasvordiluvia- nische A.S'?rerfon-Stadium treffen und dabei je nach dem onto genetischen Bedarfsfall bald fügend,- bald jugendfrisch al-s Larve oder als Zeugende aktiren dürfen, und wenn hier- neben, zerstreut und isolirt über einen weiten Kontinent, etwa zwanzigerlei Gattungsgenossen noch schlecht und recht im Zyklus der Diluvialperiode prosperiren! Und dies'e Studien, deren naturbasischen Detailsmangel wir ausserdem fast auf jedem Blatte wahrnahmen, streuen gegen E, v. Hartmann das Monitum ein: „zu. einer wahren Bewerthung der „von der Naturforschung gelieferten Thatsachen", zur Beantwortung der Frage: „Sind die Prinzipien der Selektionstlieorie mechanische? „könne man nicht gelangen, wenn man eben nur die Resultate in „sich aufzunehmen strebe, ohne die Methode ihrer Erlangung selbst „ausgeübt zu haben, ohne also auf einem der berührten naturwissen- „ schaftlichen Gebiete durch eigene Forschung vollständig zu Hause „zu sein." „Die Bestreitung des rein mechanischen Werthes der „Darwin'schcn Umwandlungsfaktoren beruhe augenscheinlich zum — 209 — „grossen Theile auf unrichtiger Taxirung der naturwissenschaftlichen „Thatsachen, mit welchen operirt werden müsse." Wer meinen Darlegungen nur einigermassen folgen wollte, dem muss es bekannt sein, wie schai-f sich diese Monita Weisniann's zurückwenden gegen seine eigenen „Studien." Insofern ich die Selektionstheorie autoptisch bekämpfe, so werde ich auch die Widerlegung der Waschen Darstellungen, mittelst welcher er V. Hart mann gegenüber die Bejahung obiger Titel-Frage ver- sucht, frei in meinem Sinne durchführen. Wenn von Hart mann die einzelnen Darwin 'sehen Umwand- lungsfaktoren: Variabilität, Vererbung und Korrelation als nicht- mechanischc bezeichnet hat, so glaube ich vielfach und a. a. 0. i) angedeutet zu haben, dass die Prämisse der ganzen Selektionsinaschi- ncrie durch diese eigene Prämisse selbst dementirt wird. Beim steten Ucberleben des Besten kann innerhalb allgemeiner Variabilität weder ein positiv noch ein relativ Bestes vorhanden sein. Die Relativität der Beziehungen hebt die individ-uelle Positivi- tät auf und macht die allgemeine Variabilität positiv, ge- meinnützlich. Einseitiges Transformiren von Arten durch Zuchtwahl ist weder nach Theorie noch Praxis zulässig, da, wie ich ebenfalls schon aus- führte, eine Monoformirung der Lebewclt daraus resultircn würde. Auf der Seite der Praxis kommt noch hinzu, dass der angreifende Theil in der Auslese, also der Motor der Transformirung am Gegenüber durch die unendlich langsamen Resultate seines eigenen Auslesetalentes unmöglich übervortheilt, düpirt werden könnte. Auf seinen eigenen Fortschritten, auf dem Raffine seiner Auslese, würde ja der Status seines Gegenüber basiren. Hiermit gelangen wir von selbst darauf, dass die Avantagen stets auf Gegenseitigkeit beruhen, sich gravitiren würden, und mit einander stehen und fallen müssten. Damit, und ausserdem gerade durch die a 1 1 g e m e i n e V a r i a - bilität hüben und drüben und ringsum, sowohl bezüglich des Habituellen, als bezüglich der Talente, Sensionen und Ansprüche, wird auch die ganze Bewerthung und Konsumi- rung „des Besten" genau so variabel, als wie eben der Kon- kurrenten-Status variabel ist und jede mccluinischc Transmu- tation bleibt also in sich verstopft. i) Darwinistische Erwägungen, Entomol. Zeitg., Stettin 1877. An- tidarw. Skizzen, Deutsche Entoinol. Zeisschr. XXVII [, 1884 Heft I, S. 123 flg. — 300 — Die Gegenseitigkeit, die Gravitation der biologischen Verhältnisse und ganz besonders deutlich die allgemeine Variabilität derselben republikanisirt jederzeit den Konkurrenz-Status, macht „das Beste" wandelbar illuso- riscli und dadurch den Status ohne äussere oder impulsivische Motivität permanent. Die Studien machen (S. 285) selbst geltend, „dass die Anpassung keine einseitige, sondern eine gegenseitige wäre, dass eine Art sich gewissermassen ihre neuen Lebensbedingungen selbst aussuche und nicht wie ein Prokrustes-Bett in solche hineingepresst werde." Das „Bei- spiel", welches sie von Hartmann hierzu als ein solches entgegen- halten, welches selbst dieser als nur durch Naturzüchtung verständlich zugeben werde, ist nun gerade das denkbar unglücklichste und demgemäss von mir bereits besprochen worden i). Einer als schmackhq,ft verfolgten weissen Schmetterlingsart, die unter einer (angeblich) ungeniessbaren anderen bunten Schmetterlings- art (Heliconidae) fliegt, soll es vermeintlich sehr nützlich sein und kraft dieses Nutzens selektions-akkumulativ gelingen, die Form und Färbung der ungeniessbaren Art zu erreichen, nachzuahmen. Durch solche Maskirung würde sie nun mit jener Art verwechselt und von ihren Feinden irrig ebenfalls für ungcniessbar gehalten. Nun, für dieser Feinde Anpassung scheinen die Stud. ihre obige „Gegenseitigkeit und Selbstaussuchung derLebens- bedindungen" keineswegs giltig zu lialten, sondern einzig das bestrittene „Prokrustes-Bett". Wenn Weismann's hypothetischer Weissling unter einer anderen bunten Art fliegt und existirt, so lebt er kraft des Naturschutzes wie alle anderen Wesen um ihn. Nützlicher, als sein altbe\Yährtes kann ihm ein fremdes Habit nicht werden. Denn wäre er in dem eigenen überhaupt nicht kompensiv geschützt, so würde er unter- gehen, verschwinden, lange, lange bevor nur das erste Stäubchen zur „Nachäfifung" der bunten Art auf seine weissen Flügel selektirt wäre. Würden doch seine Konsumenten gerade ihm um so interes- sirter nachstellen müssen, wenn d i e ü b r i g e F 1 u g g e n o s s e n s c h a f t für sie ungeniessbar wäre! Aber diesen Konsumenten des hypothetischen Weisslings, diesen Faktoren der vermeintlichen Transmutation, diesen Akkumulatoren des mimikrischen Habits supponiren die Studien eine ganz merk- würdig inkonsequente Rolle. Ihre stete Auslese soll die nach- äffenden Formen bis zur täuschenden Aehnlichkeit mit 1) „Ausland" 1880, No 11, 28: „Antidarwiniana' — 301 — den uugeniessbaren Faltern herangezüchtet haben; und nun sollen diese von ihnen selbst komplettirten Masken auf einmal vor ihren Nachstellungen sicher sein, weil sozusagen das Auslese-Latein der Selekteure plötzlich am Ende wäre. Die Ungereimtheit solcher Schlüsse ist offenbar und offenbar ist es auch, dass weder die bunten Helikoniden noch ihre angeblichen Nachahmer absolute Immunität vor Feinden geniessen, weil ihre Zahl immer proportional bleibt. Sollten die fraglichen Helikoniden als Falter wirklich keine regelrechten Konsumenten haben, so muss die Proportionirung ihrer Zahl durch Gegner in anderen Stadien ihrer Metamorphose erfolgen. Die Darwinianer melden übrigens und zwar ohne eine Erklärung dafür zu geben, dass die „nachäffenden" Formen immer nur selten unter den zahlreichen Individuen der wirklich uugeniessbaren Arten vorkämen. Nun, eine Immunität der Originalfalter als vor- handen angenommen, so würde die Erklärung für die Häufigkeit derselben und für die Seltenheit der nachäffenden Individuen recht nahe liegen und also lauten: die Nachäffung hat den naturzuge- wiesenen Konsumenten gegenüker keine täuschende Bedeutung; die Mimikry wird erkannt oder mittelst geeigneter Sinne (Geruch) gar nicht als solche estimirt; und die Seltenheit der gcniessbaren Nachäft'er entsteht durch die den Gegnern derselben aufgenöthigte, besonders intensive Aufsuchung dieser geniessbai-en Falter unter den uugeniessbaren. Die Seltenheit der nachäffenden Individuen unter den zahlreichen uugeniessbaren würde sich mithin ebenfalls aus selektions widrigen Gründen erklären lassen. Ich unterlasse es, die Frage der Mimikry weiter zu verfolgen, da ich sie an vorhinzitirter Stelle bereits mehrseitig und abfällig beleuchtet habe, und die derselben unterliegende Naivetät von Natur- anschauung ohnehin wenig fesseln kann. Nur eine, innerhalb der Sclektionslehre selbst unzulässige, einseitigste Bewerthung von Zuchtwahl-Praxis vermochte die akkumulative Herstellung mimikri- scher Formen anzunehmen. Die als Mimikry titulirte Art von Nachahmung kehrt unter lokal konkurrirenden Gestalten auf den verschiedensten Gebieten wieder. Wie viele Fliegenarten ähneln nicht den Bienen, Wespen oder Hummeln und werden von Kindern und Erwachsenen als solche gemieden, obschon sie nicht zu stechen vermögen. Ebenso besteht noch eine Unzahl von Aehnlichkeiten mit stechenden Insekten unter den Schmetterlingen, wie bereits viele Namen derselben andeuten, — 302 — z. B. Muscae-, Culici-, Tipuli-^ lch7ieumoni-, Vespi-, Bombyli-, Formicae-formis. Dass sich zu ähnlichen mimikrischen Beziehungen selbst viele örtlich konkurrirende Pflanzen, Früchte und Gallen, ja schliesslich Thierstimmen (Lachmöve, Ochsenfrosch, Pfeifzikade etc.), Anorganis- men 'und Phänomene etabliren Hessen, bleibe unausgeführt, um die Komik von Konsequenzen der „Mimikry" nicht zu zitiren. Wir springen vielmehr zu einem Satze der Studien über Wachs- thums-Sch ranken vorwärts, „deren Ursachen sie bei einfacheren „Verhältnissen, nach Leuckart's älteren Darlegungen, ganz wohl „erkennen wollen. Die Organisationshohe eines Thieres stehe nämlich „in genauer Beziehung zu dem Verhältniss zwischen Volumen und „Oberfläche desselben. Für Thiei^e kuglicher Form genüge die Ober- „ fläche vollkommen zur Respiration, so lange sie von mikroskopi- „scher Kleinheit seien. Ein solcher Organismus könne aber nicht „beliebig vergrössert werden, weil dann das Verhältniss der Ober- „fläche zum Volumen ein ganz andres wird, die Oberfläche wächst „im Quadrat, das Volumen aber im Kubus, so dass sehr bald die „Oberfläche der ungleich stärker wachsenden Körpermasse nicht „mehr genügende Athmung biete" (\V. S. 290). So weit ich in die bezüglichen Verhältnisse zu blicken vermag, scheint durch diese Darstellung etwas Positives für W.'s Thema nicht erreicht. Die Athmungs-Apparate zur Lebenserhaltung kompliziren sich keineswegs im Verhältniss zur Grösse , wie dies die mikro- skopischen, aber verhältnissmässig hoch organisirten Räder- und Bären- Thierchen neben den eigentlichen einfachen Infusorien, sowie die dem Elephanten gleichwerthige Organisation der zwerghaften Spitz- mäuse bereits andeuten; und die zur quadratischen Zunahme der Oberfläche kubische Progression des Volumens wird „bei ein- facheren Verhältnissen", also z. B. innerhalb- der Quallenformen, zu wassergefüllten, ziliarisch athmenden Hohlräumen und Kanälen nach und zu demselben Prinzip wie die Oberfläche; die „kubische Progression" also gegenstandslos. Sodann würde aus der Theorie von „dem anpassenden Na- turvorgeheü auf dem nächsten, einfachsten Wege" konse- quiren, dass auch die Respiration der in der Grösse allmälig avan- cirten Organismen, bei der nächstliegenden, urthümlich vorhandenen, einfachsten Praxis der rhizopodirenden Urwesen, der Amöben, ausbildend geblieben wäre. Der grösste Kugelkörper vermöchte durch rythmisches Breit- und Ausfliessen in Scheinfüsse^ mittelst dieser einfachsten Praktik : Ein- und Ausathmung, Nahrungs- — 303 — aufnähme, Verdauung, Fortbewegung und Zeugung (event. Absclinü- rung) in einem Akte zu vollziehen. Speziell aber zum Studien-Texte scheint mir die gestellte Be- tonung der Grössenverhcältnisse aufwärts von der mikroskopischen Kleinheit nicht richtig, denn innerhalb der organisirten mikrosko- pischen Kleinheiten variiren dennoch Grössen, soviel mir bekannt, zwischen 1/2000 Linie bis zu etwa 1/5 Linie Durchmesser, und das kleinste Punktthierchen {Monas termo) selbst soll zwischen 1/2000 bis ]/r,oo Linie im Ausmass variiren. Ich kann aber nicht einsehen, warum so bedeutende Diffe- renzen, wie etwa zwischen Eins und dem Mehrhundert- fachen solchenDurchmessers, innerhalb mikroskopischer Verhältnisse nicht als ebenso biomorphisch bedeutsam zu taxiren sein sollten, als wie zwischen den Makroformen, zumal der Darwinismus seine Selektion doch vollgültig lässt. Unter den sog. Infusorien giebt es aber auch sehr viele Arten, die sich in Schichten und Klumpen zu, wie ich lese, bis 5 Zoll grossen Gallertkugeln zusammenballen. In solchen verhältnissmässig riesigen Infusorienstöckeu muss aber die von den Stud. auf den Durchmesser eines Hundertstel Linientheiles kalkulirte Athmung der inneren, ringsum abgesperrten Stockinsassen dennoch vor- sichgehcn. ■ Die zu einem mehrzälligen, tausendfältig vergrösserten Koloniekörper kompaktirten mikroskopischen Organismen funktioniren also noch mittelst desselben Apparates, wie das einzelne 1/10 bis i/sg Linie messende Geschöpfchen {Ophrydmm versatile). Der Ausgangspunkt dieser Betrachtung: die Ordnungsmässigkcit der Wachsthums-Verhältnisse, welche W. mittelst Leuckart's Dar- legungen „in ihren Ursachen ganz wohl erkennen" will, fand von mir auf Seite 143 bereits einige .hier zulässige Besprechung, Den Studien hätte der (S. 273) von ihnen selbst berichtete bedeutende Grössenunterschied zwischen den 1/4 Zoll dicken Eiern der Amhly Stoma und den weit kleineren aber zahl- reicheren Eiern der Axolotl, allerlei andere Erwägungen zuführen können, als wie sie solche hier aussprechen. Ich selbst darf die bezüglichen Erörterungen freilich nicht ausdehnen, sondern wende mich mit den Stud. weiter. Dieselben betonen in ihrer Polemik zu Gunsten der Selektions- theorie „wiederholt die Langsamkeit der meisten und vor allen „auch der klimatischen Aenderungen, Wenn unser .Klima in der „Umwandlung in ein arktisches begriffen wäre" — sagen sie ungefähr — „so würden z, B. unter den Hasen vereinzelt auftretende und sich „im Laufe der Generationen wiederholende weisse Individuen während — 304 — „der allmäligen Zunahme der schneeigen Wintermonate, erst zu „gleichen Vortheilen mit den braunen Hasen gelangen, allniälig aber „würden diese stärker dezimirt werden und die weissen Familien „einen Vortheil im Kampfe um's Dasein besitzen, der durch anfangs „langsame, in dem Masse, wie sich das Klima dem ai'ktischen nähere^ „aber immer heftiger werdende Ausrottung der braunen Individuen, „schliesslich nur die weissen Hasen als Sieger übrig lasse." Als auf solchem "Wege entstanden erklären die Studien „die weisse Farbe aller (?) Polarthiere", und pressen damit abermals die Anpassungstalente der Konsumenten in das Pro- krustes-Bett. Dass die Hasen in den Schritten einer Verwinterungs-Zunahme der Jahresdauer sich auch mehr und mehr in Weiss umfärben würden, stelle ich nicht in Zweifel. Nur meine ich, dass solche Umwandlung naturdirekt und nicht erst sekundär als Folge deszen- denzlicher Siegfolgen im Existenzkampfe eintreten würde. „Ein Gran von Wahrheit" sagen die Stud. „sei darin, dass „ganz vereinzelt auftretende Variationen wenig Aussicht haben, zu „herrschenden Charakteren zu werden", und versichern dazu eine Seite weiter: „unser Hase bleibe auch im Winter braun und bringe nur „selten weisse Variationen hervor." Nur mittelst der von W. verfochtenen Auslese, wenn die Natur- einflüsse nicht ihren direkten Stempel aufdrückten, würde, auch in Konsequenz der eigenen Studien-Darlegungen, der ein- zelne weisse Hase niemals reüssiren. Diese seltenen Albinos würden, da die Satzzeit der Hasen, resp. verkürzt innerhalb der arktischen Klimate, in die schneearme und ganz schneelose Jahreszeit fällt, unter ihren normal gefärbten bräunlichen Geburtsgenossen gerade die auffällige, gefährdetste Erscheinung sein, und selektionslogisch am allerseltensten die ohnehin so gefahren- reiche Hasenjugend überleben bis in den Winter hinein, wo durch die überhand nehmende, im hohen Norden sogar monate- lange Nacht ohnehin die Färbung gleichgültiger, wenn nicht gar die weisse leuchtende Farbe gefährlicher wird, als wie eine dunkle in dunkler Nacht! Eine langsame, allmälige Aufhellung aber der braunen Färbung in Weiss durch natürliche Zuchtwahl hätte in ihren Anfängen zunächst keinen Sinn, umsoweniger, als zwischen Hase und Häsin, trotzdem beide unter gleichen Verhältnissen leben, bereits eine ziemlich deutliche Färbungsdifferenz besteht und bestehen kann. — 305 — Eine nüancirt-allniälige Umfärbung aus braunen in weisse Hasen durch natürliche Auslese, könnte letzteren vor den solches bewirkenden und beobachtenden, hungernden Füchsen u. s. w. ferner keinen Vor- theil einbringen, denn der Gesichtssinn der Konsumenten würde sich gleichschrittig der Umfärbung der Hasen, die- ser anpassen resp, schärfen müssen. Geschähe dies nicht, und hätte die Gesichtswahrnehmung über- haupt die hier doch nur tendenziös untergelegte kategorische Partei- bedeutung, so müsste Nahrungsmangel, und als Wechsel- wirkung eine Abnahme der Feinde eintreten; damit zugleich aber auch wieder eine Abnahme der Hasengefährdung, und ebenfalls gleichzeitig Mattigkeit und Ausfall der Auslese hellerer Hasen verbunden sein. Solche Erwägungen zeigen aber deutlich, dass die Spannung, die Proportion unter dem Seienden, nicht zu einseitigem Vortheil bewegt, geschweige denn „allmälig" verlegt werden kann, dass vielmehr eine Ordnung alle Existenzen balanzirt. Die Mechanik der Selektions- hypothese aber sperrt sich selber. Ich habe auch dieses Thema an vorhinzitirter Stelle bereits ab- gehandelt, und u. a. darauf hingewiesen, dass der Feind des Hasen im hohen Norden: der Fuchs, ebenfalls weiss ist, und ült'er sich wieder den weissen Eisbären hat. Den weissen Pelz des letzteren könnten die Darwinianer aber nur als auf dem Wege des bestge- lingenden Anschleichens an die Beutethiere akkumulirt erklären wollen. Hiergegen ergiebt eine Prüfung der auf Gegenseitigkeit beruhenden Existenzverhältnisse, immer wieder dieselbe Verneinung wie soeben beim Hasen. Ausserdem kollidirt die allezeit weisse Tracht der fraglichen Polarthiere, selektionslogisch sowohl mit den schneefreien Som- merwochen, wie mit den finsteren Monaten der arktischen Winter nacht. Und überdies dürften die Wahrnehmungs- und Er- beutungs-Praktiken der fraglichen Thiere bei weitem weniger auf der Schärfe des Sehens, als vielmehr auf der Feinheit des Geruchs und auf den entsprechenden Beschleichungskünsten beruhen. Wir erkennen also wieder, dass sich alle bezüglichen Momente gegen die Studien-Hypothesen wenden. Dieselben widmen nun den Vererbungs- Erscheinungen einige Besprechung, und ihren Gedanken über den muthmasslichen natur- mechanischen Vorgang derselben, kann ich zu meiner Freude meistens zustimmen; sie kommen mit meinen (S. 116) geäusserten Anschauungen im Grunde nahe überein.' „Es sei nun freilich nicht mehr als eine Andeutung" und das Wie der Uebertragung der Entwicklungsrichtung 20 — 306 — bleibe uns fremd, sagen die Studien, nur Häckcl, der unermüdliche Vorwärtsdränger, habe durch seine Idee von einem Gedächtniss der Plastidüle, auch diese Lücke auszufüllen gesucht. Ich möchte auch Dem beistimmen. „Häckel, der unermüdliche Vorwärtsdränger", hat nämlich den Kreislauf der Spekula- tionen am schnellsten beendet, und ist in unbewusster Re- signation wieder am Auslaufspunkte angelangt. — Denn was anderes als ein Verzicht auf die Darstellungs- möglichkeit eines materiellen Motors ist es, wenn der mo- lekulare Weseuaufbau im letzten Grunde nur als durch Gedächtniss, das ist durch Beseelung, durch materiell indefinible Energie, hypothesirt wird. Mit der Proklamirung der beseelten Zelle kann selbst die Theo- logie einverstanden sein, denn sie ist im Grunde doch nur ein Sy- nonym für die „göttliche Allgegenwart". Die Stud. wenden sich nun auch gegen die von Hartman n'sche Anwendung des Begriffs der „Korrelation" auch auf diejenigen Be- ziehungen, welche zwischen den Existenzverhältnissen verschiedener Arten gegenseitig bestehen. Sie wollen unter Korrelation nur die Abhängigkeit eines Theiles des Organismus von dem andern, die morphologischen gegenseitigen Wechselbeziehungen der einzelnen Kör- pertheile verstanden wissen, welche lediglich auf einem „physiolo- gischen Abhängigkeitsverhältniss" beruhten. „Wenn aber von Hartmann unter Korrelation auch eine mor- phologische, systematische Wechselwirkung aller Elemente des Or- ganismus begreife, so trage er etwas Fremdes in den Begriff hinein, und zwar im Widerspruch mit den Thatsachen." Nun, insoweit der Darwinismus alle Biomorphosis für das Resultat und für die Balance der gegenseitigen Lebensbeziehungen erklärt, scheint mir die Anwendung des Korrelations-Begriffs auch für diese sich gegenseitig gravitirenden Verhältnisse nur logisch; und die vor- hin kritisch beleuchteten, freilich nicht biomorphologisch transmuti- renden, sondern fixirenden. Spannungen, z. B. zwischen Hase, Fuchs und Eisbär, lassen auch die Thatsachen für solche Extension des Korrelationsbegriffs sprechen. Darwin selbst aber zieht ausgesprochen dieselbe Konsequenz, indem er wiederholt äussert: „die Struktur eines jeden organischen „Gebildes stehe auf die wesentlichste aber oft verborgene Weise in „Beziehung zu der aller anderen organischen Wesen" . . . „alle Be- „wohner eines jeden Landes lägen mit gegenseitig genau ab- „gewogenen Kräften im beständigen Kampfe mit einander, und „oft schon äusserst geringe Modifikationen in der Bildung — 307 •- „und Lebensweise einer Art (nicht eines Individuums) genügten, um „ilir einen Vortheil über andere zu geben." Hier ist unzweideutig gemeint eine korrelative Spannung von Or- ganismus zu Organismus, eine systematisch gebundene, mor- phologische Verkettung von Art zu Art. Und nichts anderes ist daraus zu konsequiren, als ein dem All immanentes morpho- logisches System. Meine Erörterungen zeigten auch mehrfach, dass wir die That- sächlichkeit dieser all-proportionalen Wechselbeziehungen, dieser bio- morphologischen Gravitation aller Situationen und Formungen als vorhanden anerkennen müssen. Sie wird allerdings bis über unsere Organismen, bis über das Irdische hinausreichen, und alles Nahe und Ferne umfassen, und kausal sein aus dem Bestände und Wechsel im All. Damit erlischt freilich abermals der Begriff für die vagabon- direnden Individualitäten der Selektions-Emanzipation. Die Gesammtnatur ist gewiss nur ein Organismus und äquivalent im Werden und Vergehen, Welten entstehen und sterben ab nach kosmisch kategorischer Gesetzmässigkeit, wie bezüglich ähnlich ihre organischen Bewohner, nicht im Kampfe um's Dasein durch Ueber- lebln eines Besseren zum Nachtheil Anderer, sondern kraft der aus- tauschenden Beziehungen des Ganzen zu ihnen. Mir erscheint es wenigstens ganz unlogisch, jedes Ge- wichttheilchen unsrer Erde als geliefert, abhängig, ge- tragen und eingeordnet durch kosmische kontemporane Integralität zu lehren, und doch die Formung ihrer Pro- dukte deren selbsteigener, individueller Emanzipirungs-Lotterie zuzuschreiben. Die Stud. schreiten nun dazu, die Definition der Variabi- lität theoretisch fassen zu wollen, und die mechanische Erklärung derselben durchzuführen. Sie finden die Ursache der Variabilität in den ungleichen Einwirkungen der Aussenwelt auf die, durch Er- erbungs-Ungleichheiten bereits variabel konstitutionirten Organismen; und auf eine ganz ähnliche Auslegung gelangten auch meine eigenen früheren Schlüsse. Gerade umgekehrt als wie W., stellte ich aber diese Variabilität dar als die individuell unverrückbare biomorphologisch-konstitutionelle Gleichgewichts-Vibration um den Existenzen-Status der Arten. „Für jeden natürlichen äusseren Vorgang und Einfluss müssen parirende und erliegende Individuen vorhanden sein; nur unter dieser Voraussetzung existirt die Art und balancirt sich der Zahlenbestand derselben unter sich selbst und zur Porportion des Ganzen. Nur die 20* — 308 ~ konstitutionell verschiedenen Aulagen bringen zuletzt die Arten im Ganzen ebenso unvertilgt wie unprogressirt durch die immer wechseln- den Werthe der meteorologisch -physikalischen Ereignisse," — schrieb ich bereits in mancherlei Varianten, und durch mancherlei Hinweise belegt, in meinen früheren antidarwinschen Arbeiten nieder. Das bewegte All schafft und erfordert eo ipso die Variabilität! Theoretisch betrachtet, kann die allgemeine Variabilität aller Organismen nach Habitus, Struktur und Intellekt, auch nur einen dieser Variabilität entsprechend verschiedenen, ge- genseitigen Konsum effektuiren, wodurch diese Variabilität so- gar selektionslogisch zum sich selbtbedingenden Existen- zen-Status würde. Dies und überhaupt die einschläglichen darwinistischen Fragen, wurden an passenden Stellen dieser Schrift breiter ausgeführt. Was aber die wirkliche Verkehrs-Praxis der Organismenwelt thatsächlich unter sich anbelangt, so sei nochmals dargelegt, dass dabei eine natürliche Zuchtwahl im Sinne Darwin's, eine akkumu- lirende Anpassung durch Auslese der kleinsten Charaktere indi- vidueller Variabilität, von den effektiven Naturverhältnissen ganz unverkennbar verneint wird. ' In meiner Schrift gegen Weismanu's Studien I habe ich die Aufmerksamkeit auf die Schutzmusterung der Flügelrück- seiten von Schmetterlingen gelenkt, und in einem bereits zitirten Artikel danach weiter erörtert, dass auch die vermeintlich unge- niessbaren Vorbilder mimikrischer Formen eine Schutz- musterung der Flügelrückseiten für den Ruhezustand tragen gleich sämmtlichen Tagfaltern der Erde, die mit aufgerichteten Flü- geln ruhen. Die Modalitäten dieser, die grellgefärbten Flügeltheile bald ver- deckenden und sich gegenseitig komplettirenden, bald aber umgekehrt, wie bei vielen unter auffallenden Blüthen ruhenden tro- pischen Arten (z. B. Papilio Hector, Alcmenor)^ die bunten Flü- gelzeichnungen hervorhebenden sjmpathischen Farbenzeichnungen der Flügelrückflächen, erscheinen so prägnant als Anpassun- gen, die in dieser schützenden Farbenanpassung -dargestellte oder versuchte Präkaution erscheint so unleugbar, dass für deren Her- stellung nur Zweierlei denkbar bleibt: entweder das kontaktische Wirken eines noch unbegriffenen Müssens urweiser Vollendung, oder aber die einseitige, blindtreffende Mechanik der natürlichen Akku- mulation nach Darwin' scher Hypothese. Die Besichtigung der Rückseite jedes beliebigen Tagfalters in- duzirt dies; besonders eignen sich zur Information unsere Weisslings- — 309 — arten {Pieris Cardamines, DapUdice, Napi, Sinapis), unsere Bläu- linge {Lycaena Argus, Aegon, Icarus, Adonis\ unsere Perlmutter- falter {Argynnis Sehne, Euphrosyne, Niobe, Adippe), unsere Mauerfalter {Pararge Maera, Megaera) u. s. w. Alle diese Thierclien ruhen mit nach aufwärts zusammenge- schlagenen Flügeln, wobei die Vorderflügel zwischen den Hinterflügeln ziemlich versteckt werden. Nur die Spitzen der Vorderflügel stehen ein wenig aus den Hinterflügeln hervor. Alles was nun bei solcher Ruhestellung von den Schmetterlingsflügeln zu sehen ist, und so von den Vorderflügeln auch gerade nur die hervorstehenden Spitzen, das hat eine sympathische Musterung, d. h. eine solche Koloratur, wo der Falter den Farbentönen seines Ruheplatzes oder seiner Um- gebung in der Natur so sehr ähnelt und angepasst ist, dass er unge- übten Blicken leicht entgeht, indem er entweder gar nicht wahr- genommen oder für den Theil einer Blüthe, Pflanze oder Fläche gehalten wird. Besuchen wir nun z. B. gleich nach Beginn der Falter-Flugzeit, im April und Mai, oder später zur zweiten Brut, im Juli und August, einen vielleicht etwas busch- und ackerumrahmten Wiesengrund, so gaukeln u. a. darüber hin die weissen Gestalten obiger Pieriden: Cardaniines, DapUdice, Napi, auch Rapae, Brassicae und Sinapis. Suchen wir nun diese Falterarten im Ruhezustande auf Blumen, Stauden oder Halmen zu beobachten, so treffen wir gar oft mehrere dieser verschiedenen Arten dicht neben einander auf ein und derselben Pflanze an, und gleichwohl finden wir, dass jede Art ein eigenes „Anpassungs"-Muster der Rückseite trägt. Jede dieser sechs Arten unterscheidet sich durch die Dessins seiner Schutzmusterung von jeder anderen Art ihrer Flug- und Ruhe-Ge- nossenschaft mehr oder weniger, aber namentlich viel bedeu- tender von den Individuen ihrer Nachbarart, als von den Individuen-Genossen ihrer eigenen Art, ihren Brüdern und Schwestern. Die Unterschiede zwischen den titulirtesten Schutzmerkmalen der verschiedenen Artenbewohner ein und derselben Lokalität sind mithin und überhaupt im hohen Grade bedeutender, als die kleinen Variations-Verschiedenheiten, die sich zwischen den Schutzmustern von Individuen ein und derselben Art resp. Brut vorfinden. Laut Selektionstheorie sollen nun, wie wir ja wissen, alle Nütz- lichkeiten, alle Schutzfärbungen und Anpassungen, und also auch die unsere Falter im Ruhezustande verbergenden pflanzenähnlichen Muste- rungen, allmälig entstanden sein dadurch, dass wie hier, immer — 310 — diejenigen Falterindividuen einer Art oder einer Brut, welche durch irgendeine kleine Abweichung resp. Eigenthümlichkeit in der Färbung oder Zeichnung den Augen ihrer Feinde am besten entgingen, übrig- blieben zur Bruterzeugung, und diesen Vorzug dann weitervererbten zu weiterer Auslese und neuer Verbesserung für den Kampf um's Dasein. Auf diese Weise, durch solche in der Vererbung fortgesetzte Konkurrenz der besten Anpassungs-Musterung besonders innerhalb der allernächsten Verwandtschaft, soll jeder der hier fraglichen Falter, und überhaupt jeder „angepasste" Organismus, die ihn den Blumen, Pflanzen oder anderen Naturobjekten ähnlich machende Schutzmuste- rung erlangt haben, auf dem rein mechanischen "Wege akkumulirender Auslese innerhalb des feindlichen Konsums. Eine andere Erklärung für diese, wirklich in überraschender Theilzusammenfügung vorhandene Anpassung der Falterflügel-Rück- seiten steht dem Darwinismus konsequent nicht zur Verfügung. Dass diese seine Theorie aber völlig haltlos ist, wird*sofort klar, wenn wir überlegen, dass vorerst die obigen Weisslingsarten mit den verschiedensten Anpassungsmustern versehen, und ausserdem je nach der Oertlichkeit auch noch eine Anzahl noch mehr abweichend schutz- gemusterter Repräsentanten anderer Faltergattungen stets zu glei- cher Zeit und bunt durcheinander, auf ganz und gar denselben Terrains mit einerlei Vegetationsbildern fliegen, ruhen und die Plätze auswechseln. Demnach haben sie auch dieselben Feinde und Kon- sumenten unter Insekten und Vögeln um und gegen sich, und es musä völlig einleuchten, dass die Aufmerksamkeit, das scharfe Auge, die Selbsterhaltungsverantwortlichen Sinne dieser Feinde über- haupt, nicht durch einen ganz geringen Unterschied inner- halb der Variabilität von Falterbrüdern einer einzelnen Art zu Gunsten des einen brüderlichen Unterschieds getäuscht werden kann, wenn die weit abweichenderen Färbungen anders- artiger Fluggenossen keine Immunität, keine Angriifssicherheit vor ihnen geniessen, sondern alle diese Faltermuster durcheinander immer in gleicher Weise proportional nebeneinander dezimirt wie verschont werden. Wenn auf einer Wiese, ja mitunter auf einer einzigen Distel- staude, gleichzeitig resp. im Laufe eines Tages bis zwanzigerlei Arten von Schmetterlingen ruhen mit ebenso vielerlei verschiedenen Dessins der sympathischen Ausstattung, und die ihnen nach- spähenden Feinde bald diese bald jene Art wahrnehmen und erbeuten müssen, um sich erhalten zu können, dann kann die kleine — 311 — Differenz eines Farbenpünktchens dem Bruder vor dem Bruder keinen Vorzug zum Uebrigbleiben einbringen, oder die Sensualitäten der Konsumenten müssten je für sich in ein „Pro- krustesbett" von Einseitigkeit gepresst sein, das ebenso natur- widrig an sich, wie selbst unlogisch zur Theorie vom „Ueberleben des Besten" wäre. Bestände nicht eine noch unbegrifferie, naturdirekte Ordnung der Beziehungen aller Organismen zu einander und zu ihren Verkehrs- stätten, sondern wäre es Darwin' s Auslese des Passendsten im (doch auch variablen) Kampfe um's Dasein, welche die uns um- gebende Wunderwelt voll Schönheit und Vollendung der Anpassung blindmechanisch aufgewuchert hätte, dann müssten alle Falter-, alle Insekten-Arten, die seit unvordenklichen Zeiten auf ein und der- selben Vegetation leben, plätzßaustauschend ruhen und von gemeinschaftlichen Feinden gesucht und konsumirt werden, auch ein und dasselbe Schutzmuster tragen. Denn alle diese Falter haben nicht jeder einen separaten Nachsteller, son- dern verschiedene gemeinsam, die unbeirrt vom kleinen variirenden Farbenpünktchen und vom wechselnden Ruheplatz, die verschiedensten Maskirungen konsumirend ignoriren, wie es z. B. bei der bereits zi- tirten Ameise der Fall ist. Was hier als selektions-verneinende Naturverkehrspraxis von mir für einige Falterarten geltend gemacht wird, das gilt, nach den Be- ziehungen modifizirt, auch für alle übrigen örtlich verkehrenden und konkurrirenden Organismen, Wenn die grossen Schutzverschie- denheiten aller Arten neben- und platzwechselnd durcheinander proportional ungefährdet aushalten, so könnte durch das variirende Pünktchen oder Strichelchen bei einer Art, bei einem Indi- viduum, keine Existenz-Gefährdung oder Bevorzugung entstehen, die hinweg oder hinzu zu selektiren wäre. Und wenn Darwin's Auslese-Mechanismus seit Anfang geherrscht und die vorhandene Artenbildung ziellos verursacht hätte, dann konnte er sich die Vielfältigkeit der Schutzmusterung auf gleichen Unterterrains gar nicht ausarten lassen! Was ich in meiner ersten Arbeit über die „Studien I" bezüglich der Saison irten Verschiedenheit der Schutzmuster als selektions- widrig hervorhob, wolle man dort (S. 116) nachlesen. Hier muss ich noch darauf aufmerksam machen, dass im weiteren Widersinn zur Selektionstheorie, und namentlich im Widersinn zur vermeint- lichen Transmutations-Bedeutsamkeit der „nahen Bewerbung", unter den blüthennachahmenden oder vortäu-schenden Lyzaeniden sich meh- rere Arten hnden, wo diese Schutzmusterung in ein und — 312 — derselben Art je nach dem Geschlechtc differirt, und zwar derartig, dass die Weibchen verschiedener Arten sich im Schutz- muster resp. in der Schutzfärbung gegenseitig mehr gleichen als ihren eigenen Männern, mit denen sie ruhend doch völlig gleiche Plätze bewohnen. Letzteres wird namentlich dann ganz ekla- tant, •^venn da und dort auf Halmen, Stauden und Büschen Männchen und Weibchen mit differenten Schutzmustern der Flügel- flächen dicht aneinander, im Kopulationsverbande ruhen. So gleichen sich die AVeib eben der Bläulingsarten />3/caena Ädonis und Corydon im Farbenton der Schutzmusterung völlig, sehr nahe kommt ihnen auch Lyc. Icarus-, die dreierlei Männchen aber unterscheiden sich darin sowohl untereinander, als auch ganz besonders von je ihrem eigenen Weibchen. Aehnliche, die natürliche Zuchtwahl im Sinne Darwin's unbe- dingt verneinende sexuale Differenzen im Schutzmuster bestehen auch zwischen Lycaena Argus und Aegon^ und noch in mehreren anderen Fällen unter den Gattungen Satyrus, Erehia. Wollte man darwinistischerseits aber etwa hinter die Ausflucht der „Indifferenz" solcher Musterung flüchten, so hätte man lo- gisch zur vorhandenen Proportion aller organischen Be- lebungs-Konkurrenz wohl recht, verzichtete aber auch gleichzeitig auf die ganze eigene Theorie. Denn abgesehen von den soeben angedeuteten, verhältnissmässig wenigen Fällen sexualer Differenzen, stimmen die sjmpathischen Muster der Flügelrückseiten, selbst bei wesentlicher sexu- aler Zeichnungs-Verchiedenheit der Oberseiten, bei den allermeisten Arten zwischen beiden Geschlechtern überein, und be- werthen sich durch diese von der Differenz der Oberseiten unabhängige Uebereinstimmung, sowie durch die Art und Weise ihrer Musterung unbestreitbar als „Anpassungen" an die Natur- bilder ihres Aufenthalts. Ferner ruht gerade innerhalb dieser Anpassungs-Zeichnungen der Rückflächen sehr oft der Schwerpunkt der spezifischen Artmerkmale. Die weiter bezüglichen Ausführungen muss ich leider einschränken und es dem Interesse des die Darwin'schen Theorien ex capite be- herrschenden Doktrinärs überlassen, alle gegen die Selektionstheorie hier gleichzeitig vorliegenden Flexionen durchzudenken. Jedermann aber wird einsehen, dass die vieltausendfältig spezifischen sympathischen Muste- rungen der Schmetterlinge, auf denen oftmals das spezifische Kri- terium der Arten allein beruht, vom Darwinismus nur als — 313 — Resultate seiner ^natürlichen Zuchtwahl" akzcptirt wer- den können und müssen, dass diese Anpassungen jedoch. nicht durch diese Selektion entstanden sein können, weil sowohl auf demselben Natur- gebiete, und also auch denselben Konsumenten gegen- über, nicht allein allerhand wesentlich verschieden sympathiscli gemusterte plätzewechselude Arten, son- dern sogar different sympathisch gefärbte Geschlechter einer Art proportional zu einander bestehen können, und dass endlich diese Anpassungen nicht als „indifferent" für die natürliche Auslese bezeichnet werden dürften, weil auf ihnen oftmals das Merkmal der spezifischen Unterscheidung für unsere Sension beruht. Wir müssen nun nochmals auf „die theoretische Definition der Variabilit<ät" zurückkommen, deren Basizität W. als bereits ruhend in der ererbten Ungleichheit, in der aszendenten Mischung der ersten Keimanlage eines Individuums, sowie in den, durch Häckel nach- gCAviesenen, ungleichen Einflüssen von Ernährung und Druck auf die jüngsten Eizellen im Eierstock eines Thieres, erörtert. „Um eine völlig gleichartige, homogene Wurzel, eine tabula rasa, „für die daraus hervorwachseuden Nachkommen zu finden, würde „man auf den ersten Ur-Organismus der Erde zurückgehen müssen. „Ob ein solcher jemals bestanden habe, sei sehr zweifelhaft, und „weit wahrscheinlicher, dass zahlreiche erste Organismen durch Ur- „ Zeugung entstanden. Nehme man der Einfacliheit halber aber einen „einzigen ersten Organismus an, so werde die erste von diesem durch „Fortpflanzung entstandene Generation nur solche individuelle Unter- „schiede besessen haben, welche durch Einwirkung ungleicher äusserer „Einflüsse hervorgerufen wurden. Schon die dritte Generation aber „werde neben den selbsterworbenen auch ererbte Ungleichheiten auf- „ gezeigt haben, und mit jeder folgenden Generation werde die ererbte „Ungleichheit der individuellen Veranlagung zugenommen haben." Dieser naturmechanische Erklärungsversuch der „Variabilität" stimmt, wie gesagt, mit meiner eigenen bisherigen Anschauung ziem- lich überein, nur leitete ich daraus zugleich neue Verneinungen der Selektionstheorie ab. Weitere Prüfungen induziren mich aber, dass diese meclianische Darstellung der Variabilitäts-Kausalität für die Thatsacheu nicht ausreicht, dass vielmehr auf die „Gravitation" eines Prinzips der Veränderlichkeit im Organismus aus dem Welt, ganzen heraus, geschlossen werden muss. Zunächst sei darauf aufmerksam gemacht, wie herzliaft die Stu- dien mit der „Allmäligkeit" der Selektionstheorie umgehen, und wie — 314 — stürmisch mit dem ganzen Transmutationsmechauismus überhaupt, wenn sie „den ersten", oder „die weit wahrscheinlicher zahlreichen Ur-Organisnien" der Erde alsbald fortpflanzungsfähig aktiv ein- führen, ja die Mechanik ihrer Variabilitäts-Basis bereits mit „Keimen und Eizellen im Eierstock" in Gang setzen wollen. Bevor wir freilich zur „ersten durch Fortpflanzung ent- standenen Generation" gelangen, giebt es vorher die dringendsten Primärfragen der Selektionsspekulation zu beantworten. Denn wir wollen selektionslogisch wissen, woher ziellos die Dilferenzirung und Umsatzbewegung innerhalb des uniziten Urseins kam. Wir wollen, erklärt haben, wie sich diese Stoffbewegung kontouriren, körperlich werden konnte, wie sich im Stoffumsatz, in der primären Grandiosität aller Bewegungs-Erscheinung, das mechanisch tertiäre und quartäre winzige Individuum, der erste Organismus ziellos etabliren konnte?! Ohne dirigirendes Prinzip wäre doch hierfür, d. h. für die Aufgabe, für den Verlust der stofflichen Unizität, kein mechanisches Eingehen und scheidendes Beginnen denkbar. Würde aber das Vorhandensein eines, oder zahlreicher Urwesen konsequirt, „durch Urzeugung", wie W. sagt, so könnte diese indefinible Urzeugung nichts anderes sein, als das gegnerischerseits geleugnete Prinzip! Als naturmechanischer Zufall konnte diese Urzeugung an sich niemals wieder impotent werden, während in der Allmäligkeit darwinistischer Zuchtwahl das urgezeugte Individuum selbst zum organisirten- Faktotum der Zeugung akkumulirte. Die Zeugung an sich ist eo ipso selbstfertig und inkumulativ. Ohne motorisches Entwicklungs-Pi'inzip konnte das urerzeugte erste Geschöpf überhaupt niemals vorwärtskommen, weil sein „Ich" im Status seiner Urerzeugung und der übrigen naturinhaltlichen Fluktionen auf seine Existenz, verbleiben musste. In Konsequenz der Selektionstheorie konnte das urerzeugte Wesen nur ein mor- phologisch-statisches Ich bleiben, und sein Wieder- Vergehen nur durch Urzeugung neuer Urwesen ersetzt werden. Sollte es als erstes Urwesen auch alsbald, oder allmälig die Befähigung zur Fortpflanzung erlangt haben, so wäre in solcher Prämisse zugleich auch diejenige vom Vorhandensein eines Entwick- lungs-Prinzips enthalten. Die Selektions-Mechanik beginnt erst nach dem Effekt der Fortpflanzungsthat, in der Deszendenz. In einer, oder auch in vielen blindlings entstandenen Urzeugungsformen ohne in- dividuelle Deszendenz, könnte eine Mechanik der Auslese des Besten keinen Fuss fassen. Entweder die Urzeugung muss immer wieder dieselben Formen hervorbringen, oder — 315 — sie selbst miiss Fortschritte im Urzeugen machen, und die Fundamentirung der individuellen Fortpflanzungsbefähigung setzen und entwickeln. Selbst wenn verschieden geartete Urwesen hervorgebracht wurden und zwischen ihnen ein Kampf um's Dasein konkurrirte, so könnte dieser am erzeugten „Ich" nichts deszendenzlich transmu- tiren, sobald nicht fortpflanzungsfähige Individuen darunter wä- ren, die direkt als solche urerzeugt worden sein müssten, "Werden aber zeugungsfähige Wesen geschaffen oder ent- wickelt, so liegt darin, wie gesagt, bereits das Entwick- lungsgesetz, das den Darwinismus dekapitirt. Und wenn man das Zeugungswunder auch bis auf sein physio- logisches Soll siniplizirt hätte, so gewänne man effektiv Nichts für die Selektionshypotliese. Denn die Zeugung an sich, die Fortpflan- zung des Individuums ist die „Kreation" des Individuums, und kann nur als kompletter Akt, niemals als das Allmälig- keits-Produkt einer sekundär-physischen Akkumulation begriffen werden. Nichts innerhalb der Selektionstheorie kann erklären, woher im urerzeugten Geschöpf das Prinzip, die Aktion der Fortpflanzung und Vererbung, diese ja bereits kompakt als solche ergriffenen Matadore der Deszendenz- und Selektions-Hypothese, „blind-mechanisch" auf- tauchen könnten. Betrachten wir nun aber die naturgebotenen Induktiven selbst, so bieten sich uns auch exakte Verneinungen der "Weismann'schen Darstellung einer sekundär-mechanischen Wurzel der Variabilität. . Die Stud. sagten uns (S. 305/7) ausdrücklich: „der lebende Or- „ganismus sei das statische Moment im Entwicklungsprozesse der „organischen Welt, und würde stets nur wieder genaue Kopien seiner „selbst liefern, wenn nicht die Ungleichheit der äusseren Einflüsse „ein jedes neuentstehende Individuum in seiner Entwicklungsrichtung „ablenkte." „So werde einst auch die erste vom Ur-Organismus „durch Fortpflanzung entstandene Generation nur solche Unterschiede „besessen haben, welche durch Einwirkung ungleicher äusserer Ein- „flüsse hervorgerufen wurden; aber schon die dritte Generation werde „neben solchen selbsterwoi'benen, auch ererbte Ungleichheiten aufge- „ zeigt haben. Und so fort von Generation zu Generation werde „solche Vererbung der variablen Anlagen bereits im Keime, zunehmen." Unsere Anschauung über die urthümlichste Manifestation ani- malischen Lebens betiteln als solches die im Wasser lebenden nackten Foraminiferen {Protogenes primordialis, etc.). Es sind dies „le- bende Schleimklümpchen, welche ohne bleibende Organe, doch die — 316 — . Fähigkeit besitzen, aus inneren Ursachen ihre Gestalt aufs mannig- fachste zu vercändern, zahlreiche Fortsätze (Scheinfüsse) an beliebigen Stellen strahlig auszuschieben und wieder einzuziehen, dabei Nahrung aufzunehmen, zu verdauen und die Reste wieder auszuscheiden, Be- wegung, Athmung, sowie die Fortpflanzung durch Zerfall in biologisch gleich werthige Theilstücke auszuführen. Etwa 1000 Millionen ganz ähnlich funktionirender Organismen, leben erstaunlicherweise sogar im Blute des Menschen, und selbst im Schneckenblute finden sich dieselben sog. weissen Blutkörperchen oder Zellen". i) Abgesehen nun von der selektionstheoretisch nie erklärbaren Fortpflanzungsart dieser mikroskopisch kleinen Wesen durch Thei- lung, wonach die Theile sich wieder zur normalen Grösse kom- plettiren, erstickt gerade in deren willkürlichem Gliederungs- und endlich transportablen Vervielfältigungs-Vermögen, aller Variabilitäts- und Transmutations-Werth im Sinne der Selektions- hypothese. Wo Gliederung und Theilung irrelativ von Fall zu Fall und formgleichgültig vorsichgeht, wo die Variabilität der Form-Kontour permanent ist, und die individuelle, ungeheure Vervielfältigung ver- mittelst dieser Variabilität, zugleich gewissermassen eine Verewigung des Individuums 2) extendirt, da werden die Formdifferenzen, die Va- riationen gegenseitig neutral, die Variabilität wird hier Typus, und keine der pseudopodischen Wechselfiguren gelangt zur Fest- stellung und Bewerthung. „Eine wunderbare Kontraktilität, die sich durch Strömungen des Protoplasma in Richtung der Umbildungen bemerklich macht, ersetzt der Amöbe die mangelnden Organe. Ihr Körper verändert beständig Form und Umriss. Indem er sich in wechselnder Weise partiell zu- sammenzieht, bildet er oft zahlreiche strahlige Fortsätze. An be- liebigen Stellen fliesst der Körper gleichsam in solche willkürliche Fortsätze, Scheinfüsse genannt, aus, die bald weicher und dicker, fingerförmig oder lappig, bald feiner und zähflüssiger, fadenförmig, ästig, bald mit einander zusammenfliessend, oder sich wieder trennend erscheinen, und kaum gebildet, wieder in die allgemeine Leibesmasse zurückgezogen werden, " s) i) Johannes Ranke: „Das Blut." -) Die Studien bestreiten selbst (S. 319) die Vererbung von Abr änderungen in solchen Fällen, wo die Fortpflanzung wie bei den Obst- sorten durch Pfropfreiser, durch Verewigung dos Individuums erfolge! Andere Beobachter vermutheu hierin sogar die Ursache der Degenera- tions-Erscheinungen, der parasitischen (Reblaus) Ueberfälle. s) Johannes Ranke: ,,Das Blut." — 317 — Hier also bei dem beseelten Protoplasma, bei dem ebenso primitiven wie biomorpliologisch docli vollendet angepassten soge- nannten „Urorganismen", ist die lebensthätige Variabilität des Individuums gerade die denkbar grösste; es hebt aber die Permanenz des Formenwandels die fernere Bedeutung jeder einzelnen Variationsfigur für die Selektion auf, ganz besonders auch deshalb, weil diese Variabilität niclft zwischen Individuum und In- dividuum, sondern bereits in der Biomorphosis des einzelnen Individuums selbst ruht. Dass also diese lebensthätige Unstetigkeit der Indivi- dualität, diese biomorphologische Variabilität" im Individuum, diese aller-allernächste Bewerbuhg der Form ohne Ende, eine mechanische Akkumulation innerhalb der Vererbung sein könnte, wie es die Stud. zu erklären suclien, ist nicht zu fassen. Diese Wesen ohne Sexualität vermehren sich in formgleichgültiger Theilung, und die Trennung der pseudopodischen, wahrscheinlich durch Ernährungs-Reize hervorgelockten Individuen-Theile wird, wie ich meine, durch örtlich aggregirendes Attrahiren bewiiiit werden. Die regellos strahlig nach Nahrung ausfliessenden Protoplasma-T'heile werden sowohl durch Zuströmungen aus dem momentanen Zentral- körper, durcli Begegnungen und Vereinigungen ihrer äusseren Theile, wie auch durch direkte örtliche Erträgnisse der Nahrungsaufnahme gewichtig, gravitisch werden, und bei eintretendem schwachen Zu- sammenhang mit dem, wieder nach anderer Richtung attrahirten Ilauptkörper, hierdurch von demselben getrennt und individuirt wer- den. In einer unbekannten Impulsion zur physiologischen Leistung der Kontraktilitäts-Praktiken und Selbsterhaltungsthätigkeit muss das Agens dieser Prozesse ruhen, und die Komplikationen der pseudo- podischen Verrichtungen werden nicht sekundäre Akkumulationen, sondern kontaktiscli naturprinzipielle Agentien sein. Akkumulativ kann die Vervielfältigung durch Theilung nicht entstanden sein. Einmal müsste auch der darwinistischen Auslese, und zwar ohne deren Zuthun, der Vorgang einer ersten Theilung des beseelten Protoplasma naturdirekt offerirt worden sein. Dieser erste Vorgang aber würde auf derselben urmotorischen Indefinibilität wur- zeln wie die sekundären, die man selektionstheoretisch erklären will. Ein Entwicklungs-Prinzip bleibt immer die Basis. Unrecht wird man nicht haben, im belebten und beseelten Pro- toplasma nach der Wurzel der Lebensmechanik zu suchen. Ich wüsste nicht, was verständlicher darauf hindeutete, als die unge- heure Vertretung dieses protoplasmischen Lebens in dem Blute aller Wesen. — 318 — Ich wüsste aber auch nicht, was eindringlicher gegen die Ti- tulation derselben als „Urthiere" einer Zuchtwahlstaffel protestirte, als die relativ ebenso konservirte wie angepasst speziali- sirte Vertheilung dieser Urformen des Lebens, innerhalb wie ausserhalb, der organischen Welt. Und ich wüsste nicht, was die Weismann'sche Darstellung des mechanischen Entstehens der Varia- bilität allmälig aus den Urformen heraus durch häufende Vererbung generativer Erlebnisse, induktiver widerlegen könnte, als die Permanenz der Variabilität in den Urtypen des Le- bens. Und nicht allein bei diesen immembranen Wesen ist die Va- riabilität biomorphologisch Typus, sondern die Variabilität der Form ist innerhalb der protozoischen- Individualitäten überhaupt, die denkbar grösste, wie jedes bezügliche Lehr- kapitel nachweist. Wie bei dieser intensivsten Variabilität unter der an indivi- dueller Konkurrenz ebenfalls unvergleichlichen und unfass- bar riesigen protozoischen Arten-Repräsentanz, diese Urstaffeln der darwinistischen Transmutations-Spekulation noch immer, und sogar systematisch als „Reich" bewerthet vorhanden sein könnten, neben den Akkumulations-Dominanten derselben Spekulation, neben uns, das wird selektionslogisch gewiss Niemand plausibel machen. Wenn, um noch einen andern Gesichtspunkt des Variabilitäts- Themas zu berühren, die Studien Häckel Recht geben, „die primi- tiven Verschiedenheiten der von den Aeltern erzeugten Keime auf die Ungleichheiten der Ernährung und des erlittenen Drucks zurückzu- führen, denen bereits die einzelnen Keime im älterlichen Organimus unvermeidlich ausgesetzt seien", und dazu noch einen andern Grund für die Ungleichheit der Keime fügen: „die ungleiche Vererbung der individuellen Verschiedenheiten innerhalb der Vorfahrenreihe", so finde ich hierin, ohne das Thatsächliche der Erscheinung irgendwie anfechten zu wollen, doch eine Ohnmachtserklärung, ein „Prokrustes- bett" der akkumulativen Nützlichkeitstheorie enthalten. Denn wenn der Organismus ein mechanischer Aufbau der steten nützlichsten Eigenschaften und organischen Veranlagungen wäre, und die individuelle Keimung sogar die von Häckel angenommene re- petirende Konservations-Bewerthung hätte, dann müsste eine stete Auslese des Besten auch akkumulirt haben, dass die keimnährenden Organe diese Keime gleichgut entwickelten, aber niemals moderne Zuthaten und Erlebnisse das vermeintliche Gesetz der konservirenden Rekapitulationen sogar bis in das Ur-Phyletische zurück fälschen und schädigen könnten. — 319 — Uud andrerseits, wenn der ganze Organismus hinab bis auf seine erste Keimung im Mutterkörper, von den Einflüssen und Erlebnissen der Vorfahrenschaft und der Gegenwart, und oft auch nachtheillg mitberührt und modifizirt wird, dann bleibt auf selektionstheoretischer Basis, also innerhalb der Spe- kulation auf Transmutation durch Variabilität, doch un- möglich Halt für den phylogenetischen Kekapitulations- Konservatismus Hackel's. Einige weitere den Häckelismus spezieller anfechtende Erörterun- gen, auf den vorderen Seiten (34, 132 flg.) dieser Schrift, werden dem begleitungstreuen Leser noch im Gedächtniss sein. Auch einige brei- tere Ausführungen der Stud. bezüglich des mechanischen Ursprungs der Variabilität, sind durch meine bisherigen Erörterungen bereits verneinend beantwortet. Mit ihrer Folgerung, dass „der lebende Organismus das statische Moment im Entwicklungsprozesse, die äusse- ren Einflüsse das dynamische Element dieses Prozesses" seien, bin ich insoweit wortlautlich einverstanden, als ich allen "Wandel inner- halb und ausserhalb des Organischen für Ausgleichung auf ein ein- ziges Prinzip betrachte, das im Ganzen ruht und auch die anscheinend sekundären Vorgänge für's Ganze dirigirt und balancirt. Die An- passung ist kosmisch und einzig, die Molekularität gewissermassen endlos nach Quantität und Qualität, denn selbst die Welten sind nur Moleküle der Welt. Was die eine Ziffer aus der kosmischen Summe ändert, das wird von der andern vorwärts oder rückwärts korrigirt, die ererbten An- lagen mit einbegriffen. Aber ebenso wie der Durchschnitt aller phy- sisch demonstrirten Vorgänge, je umfassender unser Kalkül, eine der Permanenz desto nähere Basis ergiebt, ebenso vibriren auch die Arten nur innerhalb der Aequivalenz zum Ganzen. Dass die Variabilität der Körper und Sensionen, innerhalb der gegenseitigen Konkurrenz nach selektionstheoretischer Darstellung, durch ihre eigene Prämisse sich als inkumulativ konse- quirt, legte ich bereits dar. Eine allgemeine Variabilität der individuellen Konstitutionen und Leistungen ohne dirigirendes Prinzip, muss sich rastlos immer durch sich selbst dividiren, und kann, wenn nur aus der Ungleichheit der äusseren Einflüsse hervorgegangen, in ihren verschieden veranlagten Gliedern auch nur die Reaktion auf die begegnenden anorganischen und organischen Faktoren enthalten und verwerthen. Diese letzte Anschauung finden wir nun weiterschreitend in den Studien ebenfalls ausgesprochen. Aber destoweniger begreift es sich, wie diese begonnen und beendet werden konnten, um die Theorie — 320 — vom Ueberleben des Besten, von der Emanzipationsflucht des Individuums über die Ingredienz der Natur hinaus zu ver- theidigen, diese Theorie von der sekundären Vernunft, wo- nach der den Kosmos deutende Verstand erst sekundär aus akku- mulirter Materie blindlings hergestellt und dem Inventar des Universums kürzlich zugefügt sein soll. Die Studien vindiziren ihren bezüglichen Deduktionen „eine Har- „monie der Naturauftassung, deren sich die Gegner nicht rühmen „könnten;" es scheint aber, als ob innerhalb ihrer Theorie selbst der Begriff vom Erhaltenbleiben der Kraft keine Unterkunft fände. Ihre mechanischen Erklärungen kommeti mir gewaltsam vor, und ihre Ausführungen wie ein Schneepflug, der um einen Weg zu furchen, seitwärts wirre Haufen aufschüttet. Die Gläubigen der Selektions- theorie haben vor allen Dingen die Logik für sich, als planlose Pro- dukte der Natur, auf deren Erklärung und Begrifflichkeit zu verzichten. Wenn unsere Auffassuugsfähigkeit nicht Natur-Ingredienz ist, sondern sich nur mittelst der eigenen akkumulirten Konkurrenz libellirt, dann hätte sie kaum soviel Bedeutung als wie der Ton einer Aeolsharfe, durch welche der Wind bläst. Unser Verstehen wurzelte dann auf Embryonalständeu, auf „angepasster, gefälschter" Ph)'logenese, hätte allenfalls Zeitwerth, aber keine Urtheilswahrheit. Sind wir durch die Selektion, dann sind wir wirklich Automaten und spiegeln uns in uns selbst ohne freien Ausblick. Ein solches Scheinwissen perhorreszirt freilich die Selektions- hypothese in ihrem Lehrton gänzlich, sondern beansprucht, unbe- dacht auf sich, für unsere Anschauung sogar universale Giltigkeit. Wenn der Darwinismus nämlich das Angepasste, das gegenseitig Zutreffende aller Organismen, für einen Kumulationserfolg der steten Auslese, des steten Ueberlebens des Besten im gegenseitigen Ringen der Organismen um's Dasein erklärt, und die Herstellung aller angeblichen Produkte solcher aussermenschlichen Talent-Kon- kurrenz zwischen allen den verschiedenen der vorhandenen Or- ganismen, auch mit unseren Begriffen und Urtheilen von vollendeter Anpassung übereinstimmt, dann kann unsere Auffassung der Dinge als keine an unsere Sinne, an unseren Organismus gebundene Täuschung, sondern die Erscheinungen müssen als allgemein zu- treffende, und sonach auch als Wirklichkeit angenommen werden. Sobald ohne alles Zuthun des Menschen, lediglich durch mechanische Auslese der Strukturen, resp. durch Konkur- renz der Wahrnehmungstalente nichtmenschlicher Organismen, z. B. ebensowohl der Affe wie die willenlose Sonnenthau-Pflanze, zu — 321 — menschlicher Vernunft analogen, ja biologisch überein- stimmenden Funktionen, beziehungsweise auch zu biomorphologisch gleichem Bau mit uns gelangt wären, dann müsste auch wirklich ein identischer Zug von Auffassung die gesammte Natur beherr- schen, und darin die Wirklichkeit der Vorgänge demonstrirt sein. Die Vollendungs-Analogie und Uebereinstimmung der mechanischen Resultate aller (vermeintlichen) Selektionsarbeit der willenlosen wie der willensfähigen Organismen mit der menschlichen Anschauung muss auch innerhalb des Darwinismus als Beweis gelten für die unmittelbare Richtigkeit und Giltigkeit unserer Vernunft, soweit sie reicht; freilich im neuen Widerstreit zum Darwinismus, auch als ein Beweis für die Unmittelbarkeit alles Vernünftigen in der Natur. Wenn der Mensch im Darwinismus die viel tausendfältigen „Erhaltungs-, Schutz- und Trutz-" Merkmale der Lebewelt als solche titulirt und als solche wirksam gewesen akkumulativ entstanden erklärt, dann legt er die menschlichen Sinne, die menschliche Kapazität unstreitig der gesammten Naturarbeit unter und anerkennt sie als Wirklichkeit. Und indem er auch die absolut willenlose Organismenwelt als logisch zur menschlichen Vernunft gestaltet und angepasst anerkennt, konsequirt alles Vernünftige als naturdirekte Wirklichkeit, aber nicht als Abstraktion oder Täuschung des menschlichen Spezial- organismus. Wenn, um Thatsachen vorzuführen, verschiedene Schmetterlings-, Blatt- und Stabheuschrecken- Arten durch ihre körperliche Nachbildung von Blüthen, Blättern oder Halmen die Sinne von allerhand ihnen nachstellenden Thieren, laut Selektionstheorie ebenso oder ähnlich täuschen resp. herausfordern sollen wie unsere Sinne, oder wenn die uns widrige Wirklichkeit oder Kopie eines Reptils den gleichen Ab- scheu auch gewissen Thieren einflössen soll, oder wenn Seeteufel, Spinnen, Ameisenlöwen, Krabben, ja selbst fleischverzehrende Pflanzen mittelst derselben Mittel wie Menschen, also wie Fischer, Vogelsteller, Thierfänger, Plänkler oder Raubzeugfänger arbeiten, wenn mit einem Wort die ganze mechanische und sensuale Praxis und Be- gegnung, sowie die bezüglichen hypothetischen Aufformun- gen in der Natur ohne menschliches Zuthun dennoch der besten mensch- lichen Sinnesauifassung und Vernunft entsprechen, und eben auf Grund dieser Auffassung der Erscheinungen, vom Darwinismus die Existenz und Entwicklung aller Lebeformen erklärt werden will, wenn also vom Darwinismus das vom Menschen für nützlich oder schäd- lich Taxirte in den organischen Gestaltungen als derHerstellungs- 21 — 322 — motor selbst für diese Gestaltungen gelehrt wird, dann würde der Darwinianer seine eigene Hypothese dementiren, wenn er dem mensch- lichen Organismus nur eine auf sich selbst bezügliche Auf- fassung der Aussendinge zusprechen wollte, die nicht Wirk- lichkeit sei. Zu letzterem Dementi ist* er durch die Konsequenzen der Se- lektionshypothese aber ebenso gezwungen, wie zu der diametral entgegenstehenden Inanspruchnahme einer identischen Sensualität aller gesammten Zuchtwahl-Konkurrenten. Denn in erster Logik zur Selektionstheorie könnte die menschliche Auffassung nur eine diesem Organismus angepasste sein; in zweiter Hinsiclit aber muss der Mensch bei Verkündung der Selektionstheorie die ihm speziell angepassten Sensionen auch der ganzen Trans- mutationsbewegung in der Natur unterlegen. Hiermit aber gelangt der Darwinismus selbst unwill- kürlich zur Anerkennung eines naturkategorischen Prin- zips aller Gestaltung und Funktionslogik; denn die Prämisse der gleichen Abstammung alles Organischen deckt, wie nicht weiter nach- gewiesen werden braucht, die Sensions-Identitäten im Organismen- Eeiche nicht. Die in der Natur wirklich vorhandene Ordnung lässt sich, gründ- lich erwogen, also in keiner Weise mittelst der Sfelektionshj^pothese verstehen. Das möge noch eine kurze Anschlussbetrachtung über den „Schlaf" direkt induziren. Ob sämmtliche thierische Organismen periodisch schlafen, bleibe dahingestellt; sicher ist das Vorhandensein des Schlafes oder eines demselben ähnlichen Ruhezustandes bei allen Wirbel- und Glieder- thieren. Bei den metamorphosirenden Wesen haben auch die Larven- Stadien ihre Schlafperioden. Die physiologische Erscheinung des Schlafes wird sonach bei etwa zwei Millionen verschieden organisirten animalischen Formen vorkommen. Mag nun das sich bewegende Lidividuum noch so bedeutungs- voll die Aufmerksamkeit und Verfolgung auf sich leriken, so wird doch die Fluchtbefähigung das Hauptgewicht der individuellen Gefährdung auf das schlafende Individuum abwälzen, in welchem Zustande das passiv ruhende Thier den Geruchs- und Ge- sichts-Wahrnehmungen, und wenn es athmet und schnarcht, auch dem Ohre seiner Feinde eine fixirte Heranleitung zur Erbeutung abgiebt. Die „Studien I" betonen es selbst, „dass unsere fliegenden Tag- „falter überhaupt nur wenige Nachstellung erleiden, aber vielen „Angriffen ausgesetzt sind während ihres Schlafes", und abseits — 323 — selektionshypothetischcr Sclilüsse lässt sich die wesentliclicre Gefähr- dung des schlafenden Wesens gegenüber dem wachen gewiss nur beglaubigen. Während der Ruhe, besonders während des Schlafes, erlitt also das Individuum von jeher eine bedeutende und wahrscheinlich die grösste Lebensgefährdung, und es begreift sich absolut nicht, wie eine mechanische Auslese des Nützlichsten den Schlaf überhaupt hätte zu Stande kommen lassen, geschweige denn, wie dessen individuell, spezifisch, periodisch und zonisch differirendes und modifizirbares Phasenthum. Die ersten Spuren von Schläfrigkeit, hätten bereits als ein in- dividueller Nachtheil wirken und durch die grössere Preisgebung und Gefährdung solcher Schlaftendenzler im Kampfe um's Dasein alsbald ausgemerzt werden müssen zu Gunsten der gegensätzlich disponirten, wachen Individuen. Das einzelne schlafsüchtige Individuum erläge, mechanisch genommen, sicher vor allen anderen seinen Feinden, ge- höre es nun unter die Primordialen oder unter die Primaten. Für den Selektionstheoretiker und auch speziell für W. ist diese Voraussetzung überhaupt kategorisch; denn die dem ruhenden Falter eigene sympathische Ausstattung könnte nur als sekundär, durch stete Vertilgung ruhender Falter akku- mulativ erworben erklärt werden. In einer fernen Urzeit müssten also den schlafenden Faltern die heute vorhandenen sympathischen Anpassungen gefehlt haben, und damals und noch früher würden die- selben — nach selektionshypothetischer Konsequenz — so intensiv gefährdet gewesen sein, dass die Zuchtwahl nothwendig zuallererst dieses Schlafbedürfniss, oder vielmehr bereits die Schlaf- neigung ausmerzen musste. Und sie hätte dies um so gewisser inimär mechanisiren müssen, weil der Schlaf noch heute individuell, spezifisch, zonisch und temporal modifikationsfähig, verschiebbar, variabel ist, jedenfalls ungleich verlegbarer ist, als wie irgendwelcher Zeichnungschar akter an einem Schmetterling etc. Gewiss, nach darwinistischer Logik konnte es zu einer Steigerung der erstmaligen Schlafneigung, zu einer akkumulativen Heranbildung des Schlafes niemals kommen, denn weder gegenwärtig, wo wir ja das Phasenthum des Schlafes als physiologisch begründet betrachten, ist das schlafende Individuum besser geschützt als das "wache, viel- weniger aber hätte eine allmälige Selektion der Schlafbefähigung stattfinden können, auf Grund von Vortheilen der schlafsüchtigen unter den munteren, nüchternen Individuen; vielmehr, jede kleinste 21* — 324 — Neigung zum Schlaf hätte ein individueller, unterliegenbringender Nachtheil gewesen sein müssen! Die Schlafneigung in den Urorganismen schon organi- satorisch auszuschliessen resp. auszutilgen, müsste die primäre Leistung einer Selektionsmechanik gewesen sein. Nehmen wir aber einmal versuchsweise den Schlaf als eine „se- lektirte" Nützlichkeit an, so finden wir konsequirt, dass die Selektion jedenfalls nur ein durchaus gleichzeitiges Schlafen aller kon- kurrirenden Organismen fixirt haben müsste. Statt dessen finden wir nun diese mannigfaltigsten Schutzfärbungen für die zu ganz verschiedenen Zeiten ruhenden und schlafenden Wesen vor. Unverkennbar stossen wir hier auf ein Ordnungsprinzip in der Natur, das wir, bei flüchtiger Taxirung der Schutzmusterungen als solche, wohl „Vorsehung" tituliren möchten, wenn wir nicht wei- terprüfend erführen, dass die Naturpraxis im Grossen auch über die „Schutzfärbungen" zur Tagesordnung übergeht, und dass das eigent- lich naturhaushaltende Prinzip tiefer ruht. Was Darwin dafür unterlegt: die Auswahl des Besten aus der Konkurrenz des Seienden, diese könnte doch unmöglich gegen die Schlafneigung einstmals primär ohnmächtig, tolerant gewesen sein, um ihre Pensionärs erst hinterdrein, durch ein sekundäres, nachge- liefertes Anpassungshabit wieder zu rehabilitiren. Wenn sie als nächstliegend das Schlafbedürfniss in ihren prä- sumtiven Organismen, oder die differenten Schlafzeiten derselben gar nicht aufkommen Hess, dann brauchte sie ihre „Unfehlbarkeit" nicht erst sekundär resp. tertiär durch die grausame, die Zeugung auf- peitschende Auslese-Praxis einer Schutzmuster- Akkumulation zu kor- rigiren; sozusagen nicht erst nach der Rathssitzung klug zu werden. Den Schlaf aber für eine sekundäre Rente aus der bereits vorher angezüchtet gewesenen Schutzfärbung erklären zu wollen, dürfte wohl Niemand beikommen, der nur einigerraassen die hier- gegen aufbäumenden Konsequenzen erwägt, die durch das Vorhan- densein des Schlafes bei fast allen Wesenformen der Erde nahe- gelegt sind. Auch als eine Selektions-Akkumulation der Dunkelheit und der Nacht kann er nicht dargestellt werden; wie daraus erhellt, dass sich die Thiere erstens in Tag- und Nachtschläfer theilen, und dass zweitens z. B. alle Tagfalter des Nordens, auch die ausschliesslich arktischen Spezies, doch auch in der Nachtzeit ruhen, während die Sonne unausgesetzt am Himmel steht. Sie gehen kaum später zur Ruhe und werden nicht früher munter als wie andere Falter bei uns und überall. Weder scheint der wochenlange, unausgesetzte Tag ihre — 325 — Schlafzeit, noch der doch selbst Mittags^ recht schräge Stand der Sonne ihre Flugzeit zu verschieben. Wohl aber beobachtete ich, wie vornen schon berichtet, einen Schmetterling der Tagfalter-Ordnung, der nur mit Sonnenuntergang bis in's tiefe Dunkeln flog, bei Sonnenschein emijorgeworfen, nur wenige Schritte weit blöde zu taumeln vermochte. Auch viele Ver- wandte desselben sowie fernstehende Arten sind als schatten- resp. dunkelliebend bekannt. Den darwinistisch nun noch möglichen Gedanken, dass der Schlaf eine „Mimikry" des „widrigen" Todes bilde, unterlasse ich ebenfalls breit zu widerlegen; die vielen Aasfreunde leiteten sofort auf die nächste Zurückweisung solcher Spekulation. Wohl aber bietet sich uns in den Erscheinungen des Ruhens, des Schlafes, der Ohnmacht und des Todes wieder eine Abstufung dar, wie zwischen allen anderen Verhältnissen und Wesenheiten um uns. Diese Wahrnehmungen im All liefern uns die Begriffe der Unendlichkeit, den Trieb nach Forschen und Erkennen. Die Abstufungen zwischen Ruhe und Tod mildern des letztern Schrecken. Aber sowohl in der Selektionshypothese, wie in einem plan- und willenlosen Monismus findet gerade auch der Tod ebenso wie die Zeugung keine Wurzeln. Für die Fragen: woher zuerst das Individuum, woher dann die Zeugung, oder umgekehrt, und wie existirte das Individuum, bevor „allmälig" die Zeugung selektirt wurde? hat die Selektionstheorie keine Antworten. Und selbst wenn die Existenz des Individuums demonstrirt wäre, so erforderte die Konsequenz eines mechanischen Egoismus, dass das Individuum mittelst primären Stoffwechsels selbst erhalten bliebe. Die mörderische Selektion zur sekundären Kunst- arbeit der Zeugungen, die dennoch so oft versagen, ist ohne Logik und Sinn im Monismus Darwin'scher Lehre. Die Logik des selektionshypothetisch motivirten Monismus ge- stattet das individuelle Phasenthum im Stoffumsatz nicht. Das or- ganisirte, von den Elementen seines Aufbaues und seiner Existenz jederzeit umgebene und durchdrungene Individuum müsste endlos sein, und durch aequivalenten Stoffwechsel sich im eigenen Körper unaufhörlich erneuen und ersetzen. Und nun die Konsequenz der Selektion selbst — wie vertrüge sie das Phasenthum: Werden und Vergehen? Die ersten Anfänge, aus denen sie ihre Wesen gezüchtet haben soll, hätten doch so wenig Struktur, dass die Idee einer Abnutzung nicht vorgebracht werden könnte. Diese Anfänge könnten eigentlich gar nicht organisirt, sondern nur einfacher konturirter Stoffumsatz gewesen sein, und da letzterer unaufhörlich fortdauert, so wäre — 326 — mechanisch innerhalb desselben zugleich die Endlosigkeit des Individuums primär gesetzt gewesen, und eine Selektion, die stets das nächste Beste des Individuums auswählt, könnte diese Endlosigkeit niemals verloren gehen lassen, um sekundär Zeu- gungsapparate und Sexualität, für noch dazu nur perio- dische Aktion zu akkumuliren, müsste im Gegentheil primär immer für das individuelle Beste, das ist für die individuelle Endlosigkeit arbeiten. Wenn Alles eine blinde Maschine wäre, wie hätte die Selektion wohl eine Endlosigkeit im Formenwandel differiren kynnen, die Endlosigkeit des Individuendaseins aber nicht?! Und was hätte sie ihren Fabrikaten Besseres aneignen können, als wie endlose Individualität. Seit Anfang des Lebens trachtet alles Athmende unausgesetzt darnach im heissen Ringen des Ichs, des Körpers und des Geistes, seine Existenz zu sichern, zu bessern, zu verlängern! Gewiss, im Monismus irgendwelcher Auffassung kann die Selektion überhaupt nicht entstehen. Und niemals könnte sie, die den welt- umwerbenden Geist des Menschen bis zum Begriff seiner eigenen Ursächlichkeit, oder darwinistischer ausgedrückt: bis zur „Erkenntniss- lUusion seiner zwecklosen Aufwucherung" entwickelt haben soll, sich die phasische Vergänglichkeit ihrer Akkumulationen irgend- woher oktroireu lassen müssen, die keine derselben wünscht, gegen die jedes Wesen nach Möglichkeit ankämpft, die Alles beklagt, immer und endlos, und die ewig an Stelle der entwicklungskulminirenden und strebenden Männlich- keit den talentgefälschten Embryo figur-hässlich und plump etablirt, und blöde brustsuchend aufpäppeln lässt. Woher? also im egoistischen Mechanismus einer Selektion der Tod? wo neben dem Stoffumsatz sogar noch direkte Sekretion organisirt ist und rasch die Aequivalenzen des Konsums herstellt. Allenthalben wo wir prüfen, stossen wir eben unvermeidlich auf positive und negative Beweise eines zeugenden Prinzips, und unzweifel- haft scheint es, selbst der Stoffwechsel arbeitet nach Direktive, nach einem Soll und Muss. Die Annahme einer blind-kausalen Durchführung der Akkumu- lation und Aequivalenz des Stoff-Bezugs und Umsatzes im Organismus scheitert an dem Phasenthum der auf das Lebensalter be- züglichen Funktionen sowohl, wie auch an der bestimmten be- schränkten Lebensdauer. Ausserdem, wie ich anderwärts schon betonte, — 327 — auch an der Periodität, resp. abweichenden Periodität der Zeugungen innerhalb des Thierreichs. Es ist namentlich letztere, sowie die in spezifisch verschiedenster Beziehung zur Lebensdauer jeder einzelnen Art normirte Heranreifung, Kulmination und Rückläufigkeit der Fortpflanzungs-Funktionen, eben- so die erst ungefähr nach doppelter Zeitintervalle eintretende Reife, Höhekonstanz und Abnahme der geistigen Kulmination des Menschen, welche Darwin's mechanischen Absolutismus in der Natur verneint. Man könnte den Tod vielleicht als eine mechanische Folge der Zeugung betrachten, durch eine Abnützung der mittelst Zeugung überkommenen materiellen Keimbasis erklären wollen, indem man meinte, dass das Lebewesen sich auf der Basis ererbter Materie auf- baue, das überkommene Grundlage-Material aber allmälig wieder schwinde, im Stoffumsatz absorbirt oder träge werde, wodurch in materiell-logischer Nothwendigkeit, gleich der Basis, auch das darauf Aufgebaute wieder eingehen müsse. Man könnte sagen: die Zeugung an sich, das körperliche Vererben, sei ein individueller Wandel; die neue Formbildung erfolge und basire sich als Uebersiedlungswerth ; mithin müsse auch die Weitergabe und Wiederholung des Wandel- bildes, also das Absterben des im Akt und auf der Basis eines Wandels Errichteten, eintreten. Aber wenn man alles organische Phasenthum selbst bis auf seinen molekular-physiologischen Mechanismus demonstrirt hätte, so reichte doch durch den Wandelstrom der indefiniblen Ahnenreiche des Li- dividuums kein Blick bis zum wirklichen Grunde, um die Evolutions- ursachen der einzelnen Wesenformen prähistonomisch zu sondiren, und nichts vermöchte zu ergründen, wie und warum es zur Indivi- dualität und zu Arbeits-Stationen im organisirten Stoffumsatz kommen konnte und kommen muss. Das Räthsel liegt immer wieder unergründlich tiefer. Gegenüber solcher Betrachtung sei mir noch ein Versuch erlaubt, durch Vorlegung einiger Ziffern den „Allmäligkeits-Anspruch" innerhalb der Selektionshypothese minimal zu beziffern. Jeder Moment und jede einzelne Art und Weise des Auftretens des einzelnen Lisckten-Individuums bildet einen Fak- tor, eine Aktion der hypothetischen Selektion, resp. eine zu kalkulirende Einheit derselben. So die Zahl der Arten, die Zahl der Individuen, die sexualen Differenzen derselben gegenseitig in einer Art und nach aussen, die Kopulations- Werbungen und Akte, die Reproduktionsmengen durch Eier etc., die Larvenerscheinung, die Häutungen (Habitwechsel), die Verpuppungen, die Lebensdauer, die le- bensgenossenschaftlichen und klimatischen Begegnungen und Erlebnisse. — 328 — In irgendeiner Form ist jedes Individuum des Belebungs-Durch- schnitts der Erde jederzeit vorhanden. Nehmen wir die Gesammtsumme der vorhandenen Insekten- Arten nach von Anderen, z. B. von von Kiesewetter, versuchten Auf- stellungen rund an als: eine Million, den Individuenbestand jeder Art ebenfalls nur zu einer Million, obschon er namentlich im Dipteren- (Mücken, Flöhe) Reiche, bei den Koleopteren (Dung- und Mai-Käfer!), Hymenopteren (Ameisen, Termiten, Bienen!), Neuropteren (Eintagsfliegen), Lepidopteren (Kohlweisslinge, Obstmotten), Aphiden (Pflanzenläuse!) jederzeit, geschweige denn periodisch ganz unge- heuer vielmal grösser ist, so erhalten wir als Belebungs- status eine Billion Insekten-Individuen. Lassen wir hiervon die eine Hälfte Männchen, die andere Weib- chen sein, so ergiebt die körperliche Differenz erstens jeder beiden Geschlechter zu einander, sowie zweitens zur fremden Mitbewerbung für die roheste Konkurrenz der Selektion ... 2 Billionen Fälle, und Kopulations-Bewerbungen und Akte wieder . 1 Billion „ . Nehmen wir nun an, dass jedes Weibchen nur 50 Eier absetze, so erhalten wir 25 Billionen „ , und wenn hiervon nur je 25 Stück zur Aus- schlüpfung der Larven kommen, wieder .... 121/- ^ ^^ . Nehmen wir innerhalb der Zahl-Rückgänge des formenwechselnden Larven-Aufwuchses, alles vorige Larvenleben durchschnittlich nur eine Häu- tung, einen Habitwechsel vollziehend an, so er- geben sich abermals 12'/-' „ „ Ziehen wir als zur Verpuppung gelangende Individuen das Doppelte des Imago- Status in Rechnung, so haben wir 2 „ ,^_^ zusammen also 55 Billionen bestimmte einzelne individuelle Erscheinungs -Fälle, ganz abgesehen von den mindestens ebenso zahlreichen Vorgängen der Nahrungsuchung, erhaltungs-, verbergungs-, verwandlungs-technischen Funktionen, der physikalischen, meteorologischen,- sowie kultivirlicheu Wandel. Unterstellen wir nun jedem solchem Wesenheits-Faktum nur drei Tage Dauer, und lassen es nur in dreierlei Situationen zur Mitwelt kommen, so erhalten wir zusammen 165 Billionen Fälle für die Selektious-Maschinerie innerhalb jedes Entwicklungs-Zyklus der Insektenwelt. Das ist ganz unzweifelhaft eine Minimalzahl. Die Maximalsumme der einzelnen Aktionen und Konkurrenzfälle innerhalb jedes, während — 329 — eines Jahres nicht selten mehr fach abgewickelten Metamorphosen- Zyklus wird selbst diese Riesensumme ungeheuer verviel- fachen, und wenn wir sagen, verhundertfachen, so ist damit ebenso- wenig etwas, Endgiltiges dargestellt, wie etwas überschätzt. Der der gesammten Insektenbelebung untergelegte Status von einer Billion Individuen dürfte innerhalb einzelner Mücken-, Ameisen-, Termiten-, Eintagsfliegen-, Käfer- oder Pflanzenlaus- Arten i) bereits erreicht resp. überschritten werden. Seien wir demnach wenigstens überzeugt, dass seit den etwa 100 Jahren, welche die biomorphologische Beobachtung energisch be- gleitet, mindestens viele Tausend Billionen einzelne Zuchtwahl-Kontakte stattgefunden haben würden, ohne dass uns auch nur ein einziger Fall von Umwandlung im freinattirlichen Insektenreiche wahrnehmbar geworden ist. Und nehmen wir die einzelne Art vor, so haben wir bei 1 Million Individuen-Status: 2 Millionen Beziehungs- Kreuzungen der Sexualität, der Art in sich und der Aussenwelt gegenüber, 1 Million Bewerbungs- und Kopulations-Akte, 25 Millionen abgesetzte Eier, 121/2 ^^ Larvengeburten, 12i/2 „ Hautwechsel, 2 „ Puppen, 55 Millionen X 3 Situationswechsel zur Mitwelt, ergiebt 165 Millionen; in 100 Jahren also, und vielleicht hundertfach minimal angenommen, 16 500 Millionen Fälle für die natürliche Auslese bei einer einzigen Art! Wenn wir aber die eigentliche Basis der Selektionshypothese die allgemeinen Variabilitäts-Verhältnise aller einzelnen Individuen zu einander, und hierzu Darvvin's oft wiederholten Satz , „dass die Struktur eines jeden organischen Gebildes auf die we- „sentlichste, aber oft verborgene Weise zu der aller anderen or- „ganischen Wesen in Beziehung stehe," in Rechnung nehmen, dann haben wir selektionslogisch den gesamm- ten Individuen-Status mit sich selbst zu kalkuliren, zu multipliziren, i) Forel schätzt die Ameisenzahl innerhalb einzelner Nester auf 5000—500,000! — 330 — und erhalten für die Insekten, ganz exklusive aller Komplikationen der klimatisch-anorganischen Influenzen, als Minimal-Produkt: Eine Trillion Zuchtwahl-Kontakte innerhalb jedes Be- lebungs-Moments! Und was nehmen wir diesen, der vermeintlichen Selektions-, Entwicklungs-Maschine zur Verfügung stehenden, unaufhörlich Ewig- keiten absolvirenden Konkurrenz- Werthen gegenüber in Wirklichkeit wahr? Was konstatirt die exakte Forschung in Bezug auf die heutige Belebungswelt? Eine fluktuöse Konstanz aller Arten, eine stete Ba- lance aller Wesenheit unter steh und zur Fluktuation des Naturganzen! Immer und ewig resignirt das „Ich" naturgesetzlich für's Ganze. Wollte man sich gegnerischerseits auf die nivellirende Kreuzung berufen, so müsste man, um der Selektionshypothesc überhaupt noch Geltung zu wahren, andrerseits doch die mittelst ebenderselben Kreu- zung theoretisirte Akkumulation in Rechnung stellen, und damit würden noch immer Riesensummen gleichunfasslich ausdruckslos über die Arten dahingegangener Auslese-Kontakte zur Verneinung der Se- lektionshypothese übrigbleiben. Wenn aber die Millionen, Billionen und Trillionen der individuellen Konkurrenzfälle, innerhalb der zartesten, variabelsten, metamorphosisch-biologisch sezirten und der Beobachtung zugänglich- sten Organismen weit, noch keine Bedeutung äussern, vom Un- geheuer der darwinistischen „AUmäligkeit" noch immer keine erste Spur erkennen lassen, dann ist dieser Entwicklungs -Begriff ein Schemen, und überhaupt Ignorant für biomorphologisch transmutable Verhältnisse. Die Resultate der Rassen-Züchtungen unter den Hausthieren, die Abänderungs-Erscheinungen an emigrirten Wesen können hiernach nur gegen die Selektionslehre zeugen, indem sie die eventuelle Leichtigkeit und Schnelle der Biegung und Akkomodation der Organismen darlegen, während innerhalb der Generalwucht aller Naturverhältnisse die Individualitäten der der Natur unverrückt über- lassenen Organismen nirgends ein sekundäres Transformiren erkennen lassen. Und wollte man die obigen minimalen Zahlengrössen der indivi- duellen nächstverwandten Konkurrenzen etwa anfechten, indem man z. B. den öfteren Nichtzusaramenhang, die Sporadität der einzelnen Art-Kolonien als abzüglich davon betonte, so würde man sich dar- winistischerseits nur selbst desavouiren, denn gerade zur Selektions- — 331 — lehre hat die üebereinstimmung sporadisch vorkommender, also unter verschiedener Mitbewerberschaft existirender Arten, gar keinen Sinn, wie ich a. a. O.i) bereits darlegte. Speziell nun wieder zu den Studien gesprochen, so betonen die- selben (S. 305) „die verschiedene Entwicklungs-Anlage bereits der ersten Keime eines Individuums, und fanden sie mit Häckel in den nachweisbar ungleichen äusseren Einflüssen des Mutterkörpers be- gründet. Nun, es begreift sich nicht, wie sich solche Darstellung mit Häckel's Theorie selbst von der phylogenetischen Rekapitulation durch die Embryonal-Stadien vereinbaren soll? Wenn seit Millionen Zeitläufen „schondiejüngstenEizellen im Eierstock eines Thieres in Bezug auf Ernährung und Druck stets ungleich beeinflusst werden," und innerhalb der ungeheueren Vererbungsreihe immer die bezüglichen Schicksale der Vorfahrenschaft gewisse rmassen kondensirt und durch die Verhältnisse der jeweiligen Gegenwart immer w^ieder modifizirt werden, dann kann man innerhalb der Selektionshypothese, inner- halb der Lehre von der steten Transformation .durch Auswahl der Variabilitäten, Häckel's Embryonal-Konservatismus ganz unmöglich verwenden. Beide Theorien widersprechen einander schnurstracks und bis auf den Grund. Und wenn andrerseits die Akkumulations-Winzigkeiten der Darwin'schen Selektion überhaupt und dazu die Weismann'schen „ Zurückführ ungen derselben in den Schritten ihres Ansatzes" Geltung haben sollten, dann könnte und dürfte die repetirende Dar- stellung eines gewissen Urform - Status innerhalb der Embryonal- stadien für uns auch keine Differenzen zwischen Individuum und Individuum wahrnehmen lassen, von der thatsächlich vorhandenen Grösse. Selbst wenn die Umstände, unter welchen „zahlreiche erste Or- ganismen" entstanden, nicht als gleichwerthige angenommen werden, so wäre dennoch für diese vorausgesetzte Urzeit alles Lebens nur eine primitivste Monotonie der Urformen annehmbar und die heu- tige Variabilität der ersten Embryonalstände, dieser vermeint- lichen Repetition der Phylogenese, dazu viel zu gross! Eine mehrseitigere Beleuchtung des Embryonal -Themas an sich und innerhalb der Selektionslehre wurde auf früheren Seiten dieser Schrift bereits unternommen und deshalb sind weitere Aus- i) Gegen die Manchestertheorie in der Schöpfung. Zeitschr. f. ges. Naturw., Bd. L, 1877, 42. — 332 — führungen hier vermeidbar. Soviel aber ist für den Denkwilligen schon ohne Weiteres klar: wurden und werden die verschiedenen Embryonal -Stände und Phasen der verschiedenen Arten durch Ererbungseinflüsse und — wie die Transmutations-Theoretiker ijiduktionsrichtig selbst verkünden — durch Einflüsse der jeweiligen Gegenwart modifizirt, variabel, so bricht allein an diesen Thatsachen und deren Konse- quenzen die darwinistische Hypothese zusammen und reisst zugleich den Embryonal -Rekapitulations- Konservatismus Häckel's mit sich nieder. Die stete individuelle Variabilität aller Embryonal- stände einerseits, die universal vorhandene Grundlage der Ei-Zelle und die Uebereinstimmung weiterer Embryonal- stadien für alle Wesenkeimung andrerseits, die funktionslose Heranbildung der Leibesfrucht, des Fötus, geburtsfertig für den freien und doch zum elterlichen Körper zunächst dif- ferenten Lebensantritt, verneint entschieden kreuz weis die Darwin- Häckel'schen Hypothesen und beweist eine naturinhaltliche Gesetz- mässigkeit aller Entwicklung. Mechanismus und Teleologie betiteln die „Studien" ihren Schlussabschnitt, in welchem sie An- sichten über eine „immanente Teleologie der Welt" und über „be- seelte Materie" entwickeln, die zum grossen Theil mit den meinen übereinstimmen. Freilich, die der Selektionslehre hierbei konsequirte Niederlage lassen sie unbeachtet und meinen dieselbe aufrecht zu halten, indem sie erklären: „die zweckthätige Kraft greife nicht direkt in den Mechanismus der Welt ein, sondern müsse vielmehr hinter demselben liegen, ... am Anfang der Dinge." Nun, was Darwin „als Keim alles Lebens, nur wenigen oder einer einzigen Form der vorkambris eben Zeit eingehaucht" meint, „den Schöpferhauch des Lebens", dasselbe Räthselfundament alles Seienden, plaziren die Studien innerhalb der räumlichen und zeit- lichen Endlosigkeit des All, sogar „hinter den Mechanismus der Welt, an den Anfang der Dinge." Sie merken hierbei freilich nicht, dass die Logik des Unendlichkeitsbegriffs nlles „hinten" und allen „Anfang" in räumliche und zeitliche „Allgegenwärtigkeit" um- wandelt, dass im endlosen All „hinter etwas stecken" soviel be- deutet, als wie: überall sein, als: Alles durchdringen. „Reine Zauberei" wäre es, sagt W., wenn sich die Formen sprungweise biomorphologisch üx und fertig umwandelten, erwägt — 833 — aber nicht, dass der Zauber, die Unbegreiflichkeit einer nur bis zum oder nur beim Anfang der Dinge vorhandenen zweckthätigen Kraft in keinem Grade geringer wäre und dass in Weismann's Sinne ebensowohl der Eklat eines Beginns, eines Einspringens, einmal und nicht wieder, beansprucht wird, und durch letztere Prämisse dieser zweckthätigen Kraft, dieser primären "Weltursache, eine geradezu spukhafte Gastrolle zugemuthet wird! Die Frage nach dem „Woher?" dieser Weltursache wollen wir als ewig unbeantAvortlich nicht stellen, wohl aber können wir be- haupten, dass Weismann's Annahme des einmaligen Aufblitzens und Wiedererlöschens derselben innerhalb der Unendlichkeit, jeder liOgik,' jedes monistisch-mechanischen Sinnes entbehrt. Mit der p]rkennung einer zweckthätigen Kraft oder auch nur einer primären Weltursache ist innerhalb der Unendlichkeit auch deren permanente Immanenz im All erkannt und deren Allgegenwart konsequirt. Wenn die Studien, wie sie sagen, „nicht recht einsehen, warum diese, von von Hart mann inneres Entwickelungsprinzip genannte Kraft überhaupt noch kausale Kräfte in Anspruch nehme und nicht gleich Alles lieber selbst besorge," so höhnen sie damit nur den Einsichtsmangel, um welchen es sich eben beim ganzen Schöpfungs- räthsel für uns alle handelt. Die Titulation: „kausale" Kräfte basirt doch nicht auf der Erkenntniss eines primären Motors, sondern auf, unbekanntwodurch verursacht, wahrgenommener Bewegung. „Die letzte Ursache" besorgt allerdings alles selber, und wie wir dieses Unbegreifliche nennen, ob Gottes Finger, ob kausale Kräfte oder deren stoffwandelnde Transmissionen, das bleibt Titel, Auf- fassungs-Individualität, Begriffs-Variabilität, Ideen-Balance, Ausgleich auf die Unendlichkeit (auch der Begriffe). Gegenüber der Behauptung Weismann's: „Fälle sprungweiser Um- „ Wandlung des gesammten Organismus mit nachfolgender Vererbung „seien überhaupt noch nicht bekannt", erinnere ich an die vorhin (S. 292) besprochenen Fälle schneller intellekter und funktioneller Wandlungen bei verschiedenen Thieren, sowie plötzlichen Erscheinens neuer Baumgestalten; wozu mein Aufsatz: „Nochmals Antidarwi- nistisches" i) noch einige Beispiele lieferte. Ausserdem meldete man im „Kosmos" die bedeutende Umformung vieler Theile einer Mais- pflanze durch ein einziges Zuchtexperiment. 2) Reihen sich in solchen 1) „Ausland" 1881, No. 10, S. 194. 2) Den Botaniker erinnere ich auch an Koch's merkwürdige Er- fahrung mit Batrachium fluitans W. — 334 — Fällen auch keine Vererbungsfolgen der Umwandlung deszendenzlich dicht aneinander, sondern treten dergleichen Metamorphosen je nach den natürlichen Kontakten intermittirend, und deszendenzlich unver- bunden parallel sporadisch auf, so wird die Vererbung ja auch ent- behrlich. Denn die sporadi sehen Umwandlungs-Parallelen und Uebereinstimmungen der Organismen demonstriren ja gerade die Immanenz der Transformationen. Eine Bezugnahme auf die in den Metamorphosen und Ge- nerationswechseln zyklisch' wahrnehmbaren grossen und raschen Formumsätze erklärt Weismann für ungiltig. „Dass zwei sehr hctero- „gene Typen in einen Entwicklungskreis gehören können, sei einer „weit besseren und zutreffenderen Erklärung fähig, als die sei, welche „ihr von den Anhängern der sprungweisen Entwicklung gegeben werden „möchte." „Durch Anpassung verschiedener Entwicklungs-Stadien „oder Entwicklungs-Generationen an abweichende liebensbedingungen „erkläre sich nicht nur die genaue, oft auffallende Uebereiustimmung „von Gestalt und Lebensweise, sei nicht nur eine Brücke geschlagen „zwischen Metamorphose und Generationswechsel, sondern wir ver- „ ständen auch, warum innerhalb ein und derselben Hydrozoenfamilie „Arten mit und ohne Generationswechsel vorkommen könnten, ja wie „daneben andere Arten stehen können, bei welchen der Generations- „ Wechsel nur auf das eine Geschlecht beschränkt ist." Nun, die Sachen liegen gerade umgekehrt. Die Studien heben nur die ihnen vermeintlich dienlichen Momente der Naturerscheinungen hervor, und lassen die anderen unerwägt. Wenn die verschiedenen Formbilder der Metamorphosen und Generationswechsel durch divergent akkumulirte Anpassungen inner- halb der individuellen Entwicklungsstadien differenzirt worden wären, und der selektionshypothetische „Rückschlag" bestände, dann müssten, wie ich schon bei der Axolotl-Frage erörterte, sehr oft intermediär- konvergirende Zwischenformen zweier metamorphosisch aufeinanderfolgender Stadien als Rückschläge auftreten. Von solchen „phyletischen" Reminiszenzen ist aber innerhalb der Metamorphosen etc. keine Spur vorhanden; die Formenwechsel, die Verwandlungen der Larven zu Puppen und darnach in eierlegende Insekten, oder die entsprechenden morphologischen Umgestaltungen bei Reptilien, Würmern, Weich- und Strahlthieren vollziehen sich typisch distinkt stets in derselben formkategorischen Wechselfolge. Der vor allem pro domo interessirte Selektionstheoretiker fragt auch niemals nach dem Verbleiben der, seiner eigenen Lehre nach fälligen, aber ausbleibenden intermetamorphosischen Rück- schläge; wohl aber scheut sich W. nicht, z. B. beim Axolotl, Rück- — 335 — Sprünge noch weit hinüber und bis hinter diese intermeta- morphosisch „ausgemerzten" Klüfte zu theoretisiren und diese fern- ster Urzeit „angepassten" Rückschläge auch modern existenz- gültig und existenzfähig zuzulassen. Und wie gewinnt der Darwinianer denn die Induktionen zu seiner „Adaptation", zur Lehre von der divergenten Differenzirung der Ent- wicklungsstadien ? : Trifft er in ein und demselben Stoffe, unter übereinstimmenden Naturverhältnissen, Vertreter aus verschiedenen Klassen unserer Syste- matik an, deren Biomorphosen zu einander und zu den ähnlichen Lebensverhältnissen hinneigen resp. harmoniren, so erklärt er dies für „durch Uebereinstimmung der Lebensweise selbstverständliche"- Konvergenz-Erfolge der natürlichen Auslese. Trifft er aber, wie wir eben hörten, „innerhalb ein und derselben Hydrozoen-Familie Arten mit und ohne Generationswechsel, ja daneben andere Arten an, bei welchen der Generationswechsel nur auf das eine Geschlecht beschränkt ist," so findet er wieder „bestens zutreffendst" induzirt, dass diese Differenzen, diese Heterogenität der individuellen Formfolge zwischen den zwei Geschlechtern ein und derselben Art, au contraire abermals selbstredend, aus der Verschiedenheit der beiderseitigen Lebensweise, aus divergirender Adaptation resultire. Bereits vornen induzirten wir, dass die Vielfältigkeit der Formen zu den kalkulirbaren Differenzen der Naturverhältnisse viel zu be- deutend ist. Innerhalb der zwängenden Enge z. B. einer Holz-, Blatt- oder Halm-Substanz, innerhalb einer Frucht, einer Wurzel, eines Baumschwammes, eines Bienennestes, eines Thierkörpers leben die verschiedensten "Wesengestalten, geschweige dass die relative Monotone der Gewässer, des weiten Ozeans und Luftgebietes im Stande wäre, die organische Veranlagung und das intellektuelle Selbstanpassungsvermögen der, durch erstaunliche Ziffern von Re- produktionskeimen ohnehin immer brutto und netto naturbalancirten Wesen sekundär zu irritiren und mittelst der Auslese kleinster in- dividueller Abweichungen, innerhalb unabsehbarer Zeitenläufe jede Art einzeln umzuformen, — und noch dazu ohne zu mono: formiren. Welche Heterogenität an Lebeformen wimmelt im Fangschirm nach jedem Schlag in einen Eichbusch, oder wird emporgezogen in einem Zug des Schleppnetzes; und welchen Sinn zur Selektionshypo- these soll es haben, wenn in demselben Wasser, auf demselben Grunde, nicht allein allerlei verschiedenartige Lebensformen, nicht allein allerlei verschiedene Arten ein und desselben — 336 — Genus mit homogenem Bau der beiden Geschlechter, son- dern auch Arten ebenderselben Gattung mit sexuell hetero- genen Zyklen der Lebensabwicklung existiren. Der generale Konsum kann die individuelle Variabilität innerhalb einer einzigen Art nicht eruiren und mittelst dieser Varia- bilität dirigirt werden, wo er den Individuen-Status der he- terogenen Gesammtbelebung proportionirt! Und seine „Aus- lese" kann nicht die Gatten gegenseitig differenziren , wo beliebig viele Nachbararten sexual distinkt nicht nur daneben, nein auch unaufhörlich durcheinander beweglich und plätzewechselnd besteK\en! Ebensowenig vermöchte sich bei einer divergirenden Adap- tation der Gatten der Zeugungsverband zu erhalten; wenigstens wird das Gegentheil unbegreiflich, weil die verschiedenen, aber oft kaum zu unterscheidenden ähnlichen Thierarten der durch- einander wimmelnden Natur allenthalben durch eine distinkte gegen- seitige Zeugungsschranke unüberschreitbar separirt sind. Ebenso wie mittelst der Selektion eine Lösung, ein Sepa- rirungs-Vorgang des Zeugungsverbandes für eine neu abzweigende oder abgezweigte, nur ganz wenig veränderte Art unerklärlich fällt, ebenso unbegreiflich erscheint der umgekehrte Fall, dass wäh- rend eines allmäligen Divergirens der Morphose der Ge- schlechter einer Art der Zeugungsverband, die gegenseitige Zeugungs-Potenz, erhalten bleiben könnte. Beide Voraus- setzungen innerhalb der Selektionshypothese werfen einander gegen- seitig um. Die Studien und die Darwinianer überhaupt halten namentlich ihre Prämisse von der „Allmäligkeit" der Transmutation für sehr vernünftig. „Sprungweise Abänderung sei nicht das Mittel, dessen „sich die Natur zur Umwandlung der Arten bediene. Der Schluss, „dass ein Summiren der kleinen Abweichungen stattfinde und „mit der Zeit zu grossen Unterschieden führe, läge doch weit näher, „und keine einzige Beobachtung spräche für erstere Annahme." Ich sehe aber nimmermehr ein, wie die Annahme „kleiner" Sum- mations-Theile der Transmutationen, gegenüber der Annahme perio- discher Umwandlungen philosophisch vernünftiger und natürlich in- duzirt sei. Die Kalkulations- Vorliebe für „Kleinheiten" ist nur eine mensch- liche Schwäche, die bequeme Konsequenz und Abstraktion auf unser in jeder Weise, nur nicht in der Bescheidenheit winziges „Ich". An und für sich und was die Eruirung der motorischen Ursache betrifft, so ist unsere Einsichtslosigkeit egal, sowohl für die kleine wie für — 337 — die grosse Formdifferenz und mikroskopisch wie teleskopisch blicken wir iii eine Endlosigkeit. Die Meinung: die Sumraation kleiner Abweichungen gebe eine Erklärung für den Aufbau resp. für das Vorhandensein der Wesen- heiten, ähnelt dem weinerlichen Gesang des Furchtsamen im Finstern. Innerhalb der vom Darwinismus theoretisch versuchten „Klein- heiten" besteht zunächst selbst wieder eine ganz enorme Rela- tivität und eine begriffliche Verschiebung und Unsicherheit. Die vieltausenderlei Gestaltungen der protozoischen Artengebilde haben ebenfalls ihre individuellen Abweichungen, und sollen mittelst dieser Variabilität transformirt worden sein. "Was aber z. B. ein Bison-, ein Giraffen-, ein Elefanten-, ein Walfisch-Individuum von anderen seinesgleichen abweicht, das wird quantitativ und, rein sensiv taxirt, oft auch qualitativ ganz ungeheuer gross sein im Ver- hältniss zu der Variabilität der mikroskopischen Formen. Denkt man sich die verschiedenen VariabiLitäts-Erscheinungen als den Ausdruck von Differenzen in der molekularen Bewegung und Vertheilung beim Aufbau der verschiedenen Individuen, so ist man auch der Ansicht, dass innerhalb der individuellen Variabilität, d. h. also innerhalb des Materials für die Selektion, vom Walfisch an bis zum i/^oo Linie messenden Infusorium, die ungeheuersten Verschiedenheiten in der molekularen Quantitäten-Fluk- tuation bestehen, die ungeheuersten Differenzen der ma- teriellen, organischen Fibration von Individuum zu Individuum und von Art zu Art für die Praxis der Auslese vorhanden sind. Der Molekülar-Betrag der individuellen Variabilität unter den Gross-Organismen muss ungeheuer viel grösser sein als wie bei den Protozoen, und hierdurch wird, wie gesagt, zunächst die Taxation der „Kleinheiten" innerhalb der Selektionslehre höchst relativ. Sodann aber müssen innerhalb der Gattungen der grössten Formen, wo die bedeutendsten Molektilar-Quantitäten in- dividuell verschieden umgesetzt werden, wo für die Selektion also die fassbarsten Handhaben vorlägen, auch die bedeutendsten Artenzahlen nebeneinander vertreten sind, und diese Arten- zahlen müssen nach abwärts bis zu den mikroskopischen Formen allmälig immer geringere werden. Dass die Verhältnisse ziemlich umgekehrt liegen, bedarf keiner langen Darlegung; ein kurzer Blick über die animalische Welt hinweg zeigt uns z. B. wenige Arten von Walen, Elefanten etc., aber destomehr artenreiche Gattungen unter den Vögeln, Am- phibien, Fischen, Insekten etc., und wahrscheinlich würde sich bei ausreichender Forschung die reichlichste Artenrepräsentanz innerhalt) 22 — 338 — der Gattungen der mikroskopischen Wesenformen ergeben. Bereits die in dieser Hinsicht bekannten Zahlen deuten hierauf hin. Was übrigens die Primärformen animalischen Lebens betrifft, die Rhizopoden, so bemerkte ich bereits, dass bei ihnen, bei dem be- seelten Protoplasma, trotz mikroskopischer Kleinheit, die Variabilität quantitätisch relativ, und qualitativ absolut die denkbar grösste ist. Die Variabilität ist hier biomorphologisch, indem die rhi- zopodische Existenz, soweit erkennbar, durchweg auf permanenter Veränderlichkeit beruht. Die mancherlei Deduktionen, die sich hieraus weiter gegen die Mechanik der Selektion ergeben, müssen hier unerörtert bleiben ; die geschehenen Andeutungen des zweifelhaften Werthes der für die Se- lektion beanspruchten „Kleinheits-Akkumulationen" genügen. Wenn der Darwinianer für das heterogene Belebungsbild mi- kroskopischer Gestalten innerhalb eines Wassertropfens die Kon- kurrenz-Erfolge der „nahen Bewerbung" als ursächlich geltend machen will, — ich muss gestehen, auf die selektionstheoretisch induktive Prüfung, wie auf die geistige Versetzung unter die Konkurrenten- Praxis der mikroskopischen Lebewelt hierfür muss ich verzichten. Aber wenn wir wissen, dass auch unter diesen, unserm freien Auge verborgenen Wesen vielfach bereits dieselben wenn auch morpho- logisch modifizirten Vital-Aktionen den Status proportioniren wie in der Makrowelt, wenn wir dieselbe Logik der lebensverant- wortlichen Verrichtungen allenthalben, vom Walfisch an bis zum Infusorium aktivirt sehen, dann, meine ich, müssen wir in dieser Uebereinstimmung der Lebensnormen ein einheit- liches naturdirektes Prinzip und auch die Wirklichkeit unseres bezüglichen Erkennens dargelegt finden. Die Studien wollen (S. 319) keine einzige Beobachtung für sprung- weise — ich will sagen für periodische — Umwandlungen kennen. Man darf sie hiergegen nur auf die Titel mehrerer Abhandlungen in Darwin's Kapitel über die „UnvoUständigkeit der geologischen Urkunden" und über „Geologische Aufeinanderfolge organischer Wesen" aufmerksam machen. Diese lauten: „Abwesenheit zahlreicher Zwischen- Varietäten in allen (!) einzelnen Formationen"; „Plötzliches Auftreten ganzer Gruppen verwandter Arten"; „Plötzliches Erscheinen verwandter Arten in den untersten fossilfüh- renden Schichten"; „Erlöschen"; „Das fast gleichzeitige Wechseln der Lebensformen auf der ganzen Erdoberfläche". Was Darwin zur Vereinbarung dieser von ihm selbst titulirten geologischen Dokumentationen mit seiner Hypothese erörtert, mittelst der „UnVollständigkeit der geologischen Urkunden" zu erklären meint, — 339 — dessen Akzeptation bedarf vielfach einer wahrhaft kindlichen Beleh- rungs-Entgegennahrae und Auffassungs-Willfahrt. Die kritische Besprechung dessen würde allein einen Band füllen — nur Einiges sei hier kurz hervorgehoben. Darwin (Entst. d. Arten, S. 381) gebraucht zur Erklärung des Mangels von Zwischenstufen in den fossilen Ablagerungen, als Beispiel die Mississippi-Mündung, deren Niveau gleich anderen Theilen Amerika's sich innerhalb der Eiszeit erhoben und wieder gesenkt haben werde. Hierdurch resp. durch die Wanderungen der Arten würden die fossilen Ablagerungen bestimmter Formen an dieser Stelle relativ plötzlich ausgefallen (resp. unterbrochen worden) sein, ohne dass doch an der nun anderwärts fortlebenden Art selbst etwas ver- ändert zu werden brauchte. (An anderen Kapitelstellen lässt Darwin solche Niveau-Hebungen und Senkungen, verbunden mit Aus- und Wiederzurück-Wanderungen derselben Formen, vielmals nacheinander erfolgen, worauf ich dann zu sprechen komme.) Einen reellen Deduktionwerth aus dieser Mississippi-Zitation und aus dem, was Darwin sonst noch damit verbindet, kann ich nicht erkennen. Denn „die Eiszeit", „in diese fallende aussergewöhnlich grosse Klimawechsel", „unermessliche Länge der Zeiträume", „ausge- dehnte geographische Veränderungen ganzer Theile von Amerika", solche tellurische Eang-Phänomene, weltumstürzend schon jedes ein- zeln für sich, — mit dem Begriffe von Hebungen und Senkungen am „Mississippi" und seinen „Mündungen" zu verbinden, ist kaum von imaginablen Sinn; nicht mehr oder minder verlässlich oder werthlos wäre eine spekulative Diskussion über einen präsumtiven Stromlauf des urzeitig grünen Grönlands. Dieser jetzt übereiste, nur sommerlich Gletscherströme abstürzende Erdtheil induzirt uns, dass auch die Spezialität unseres heutigen Mississippi und seiner Mün- dungen innerhalb der Begriffe „Eiszeit, aussergewöhnlich grosser Klimawechsel, ausgedehnter Land- und Flussmündungs-Hebungen und Senkungen" weder ein geographisches, noch physikalisches oder vo- luminöses Kalkül ist, und unzulässig bleiben muss als geo- logische Schichtungs-Urkunde. Man müsste denn darwinscher- seits anzunehmen vermögen, dass die als in Amerika vorsichgegangen bezeichneten extremen Klimawechsel, sowie die Niveau- und Terrain- Veränderungen des Landes und der Mündungen weder die Wasser- mengen beeinflusst, noch die Wasserläufe und deren Mündungen ver- legt hätten, oder wenn dergleichen einstmals geschehen, dieselben nachher wieder genau an den früheren Ort zurückgeführt hätten. Darwin (a. a. 0,, S. 383) zitirt allerdings sogar eine 1400' mächtige kohlenführende Schicht Neu - Schottlands, in welcher in 22* — 340 — 68 verschiedenen Höhen übereinander identische Arten von Pflanzen-Fossilen lagern, als den klarsten Beweis für meh- rere lange Zeitpausen und wiederholte Niveauveränderungen während des Ablagerungsprozesses. Währenddem würden die nämlichen Arten nicht immer an dieser Stelle existirt haben, sondern in ein und der- selben geologischen Periode dort vielleicht vielmals verschwunden und wiedererschienen sein. Nun wir merken zunächst, dass wo sich die geologische Urkunde pro domo verwenden lässt, wenn auch auffällig ein- seitig, da scheint ihre „Unvollständigkeit" keiner Beachtung nöthig, da fehlt dem Buche kein Blatt, da gilt es für be- weiskräftig. Und dass während vielmaligem Auf- und Nieder- tauchen von Länderstrecken, Klimawechsel, Aus- und Zurückwandern, innerhalb unermesslicher Zeiträume hier auch die „All- mäligkeit" der Umwandlung ausgesetzt haben muss, und die Art unverändert nach immensen Zeitläufen und langer Wanderung gerade die alte Heimstätte immer und immer wieder (68 Mal) ebenfalls unverändert auf- und vorgefunden haben soll, relativ besser zu neuer Ablagerung wie der Vogel sein altes Nest, — das scheut sich der grosse Theoretiker' nicht vorauszusetzen und zu deduziren. Auch wo er den allgemein tellurischen Wechsel der Lebensformen besprochen hat (S. 412), und die Verbreitung der Landbewohner ge- schiedener Kontinente als wahrscheinlich langsamer folgert, wie die der Organismen zusammenhängender Meere, da gilt das Zeugniss der geologischen Urkunde hierfür „in der That" für vollständig. Freilich in solchen Fällen, wo „an den entferntesten, verschiede- „nen Punkten der Erde die organischen Reste gewisser Schichten „eine unverkennbare Aehnlichkeit mit denen unsrer Kreide besitzen," „ohne dass etwa überall die nämlichen Arten gefunden würden," — in diesen Fällen wird die Differenzirung der gewanderten Arten je nach dem Emigrationspunkt, wieder prämittirt und die Se- lektion rehabilitirt, trotzdem sich gerade „diese Beobachtungen „nur auf die Meeresbewohner der verschiedenen Weltgegenden „beziehen" (Darw. S. 409), deren schnellere Ausbreitungsweise uns soeben zugesichert wurde, und deren Umformung unterwegs deshalb eigentlich weniger anzunehmen wäre, als wie bei den obigen 68 Mal umgezogenen sumpf- oder landvegetativen Kohlenfossilen. Die Kousequirung der eigenen Deduktionen innerhalb Darwin's Arbeiten scheint mir nirgends öfter versäumt als wie bei der Be- sprechung der geologischen Zeugnisse, und das Schwärmen vieler — 341 — seiner Anhänger gerade für diesen Theil der selektionshypothetischen Induktions-Versuche kann ich nicht verstehen. Recht merkAA'ürdig erscheint mir auch, der unabsehbaren Lang- samkeit vorkommender Hebungen und Senkungen gegenüber, seine Meinung für den Vorgang von Sedimenteinschlüssen zumeist nur 'bei Senkungen. Denn für den Vorgang der Einbettung eines Or- ganismus wird die etwa mehrtausendjährige Auf- und Niederbewegung irgendwelchen Terrains um einige Zolle oder Fusse gewiss viel we- niger in Frage kommen, als wie die Beschaffenheit und Menge des örtlichen Niederschlags selbst. Erfolgt die Einbettung nicht ver- hältnissmässig rasch, soll dabei die Auf- oder Niederbewegung des Lagergrundes mit aktiren, so werden wohl kaum jemals Organismen infossilirt, sondern immer früher zerstört werden. "Was sich innerhalb immenser Langsamkeit schliesslich zu diver- genten Verhältnissen zwischen einer geologischen Hebung und Senkung summirt, das giebt einzeln an sich, während einer Jahrhunderte um- fassenden Gegenwart, für die Einbettung eines Organismus schwerlich jemals einen Bedeutungsmoment ab zu Gunsten der Senkungs- Allraäligkeiten. Unsere Fossile marinen Ursprungs, seien sie der Oberfläche oder den tiefsten Schächten unterm Festlande entnommen, müssen ja sämmt- lich zu irgendwelcher Zeit in irgendeiner Hebung aufwärts gestiegen resp. mit aufwärts genommen worden sein. Niemals gehobene oder in Hebungsschichten betheiligte, stetig gesenkte marine Fossile werden wir niemals zu sehen bekommen; die ruhen immer unter Wasser. Wo Darwin hierüber spricht (S. 412), da scheint er auch seiner obigen 68-etagigen, identischen Pflanzen-Fossile vergessen zu haben, wenn er sagt: „Während der langen und leeren (ablagerungslosen) „Zwischenzeiten, wo der Meeresboden stät oder in Hebung begriffen „war, haben die Bewohner jeder Gegend viele Abänderungen erfahren „und viel durch Erlöschen gelitten etc." Nun, zu dieser Darstellung will diejenige bezüglich des über- einstimmenden Inhalts der 68 Kohlenflötze übereinander nicht entfernt passen. Nach diesen wenigen Exzerpten aus Darwin nun zu W. zurück- kehrend, scheint mir so manche von Darwin selbst anerkannte, aber selektionslogisch von ihm unerklärt gelassene geologische Erscheinung die von W. vermissten Beobachtungen periodischer Wesenbildung ge- liefert zu haben, i) i) Das Thema erinnert mich auch an die Bereitwilligkeit, mit welcher man die Theorie von dem Abküblungs- und Zusamraeuziehungs- — 342 — Die Studien (S. 320) versichern nicht zu übertreiben, wenn sie behaupten, „selbst die kleinen Unterschiede zwischen Art und Art „enthielten stets eine Menge kleiner Struktur-Abweichungen, welche „sich auf ganz bestimmte Lebensbedingungen bezögen. Ueberhaupt „bei jeder Thierart sei der gesammte Bau in allen seinen Theilen „auf's Genaueste den speziellen Lebensbedingungen angepasst." „Ein „unabweisbares Postulat einer sprungweisen Entwicklung würde nun „sein, dass sogleich lebensfähige, in bestimmten Lebensverhältnissen „ausdauernde, auf bestimmte Verhältnisse berechnete (?) Individuen „ entstünden, " Solche Betonungen „ganz bestimmter Beziehungen aller Theile eines Organismus zu den äusseren Lebensverhältnissen" ist auf se- lektionstheoretischer Grundlage einerseits oft oder vielmehr durch- gängig ebensowenig berechtigt, als andrerseits wohlfeil gemacht. In ersterer Hinsicht erinnere ich kurz abermals an die individuell doch unaufhörlich die Plätze austauschenden Formen-Ver- schiedenheiten innerhalb eines Wassertropfens, wie inner- halb eines Teiches, eines Flusses oder eines Meeres; oder innerhalb eines Waldes, eines Kirchthurms, eines Vogelnestes (Kuckucksjugend), eines Kadavers. Ich erinnere an die Pflanzen- Wechselfolgen auf Abholzuugen, Brandstätten, und auch nochmals an die sexuellen Differenzen zwischen jeder Art, die morpho- logisch vielmals, wenn nicht stets bedeutender erscheinen als wie die Differenzen zu andern nächsten Artengenossen. Ich zitire gegen Weismann's obige, unbedachte Meinung, und ge^en die Haltbarkeit der Selektionshypothese im Generalen, auch . noch die wandelnde DiflFerenz der Jugend und der aufwachsen- den Stadien fast aller Organismen der Erde zu ihrem Reife- Stadium. Stetig bunt durcheinander absolviren nicht allein die Arten, son- dern auch die oft noch wesentlicher von ihren eignen Eltern ab- weichenden Jungen platzwechselnd ihre Existenz. Flaumbärtig ent- zückt der Jüngling die sehnende Jungfrau und knüpft die Bande zur künftigen Ehe, mähnendürftig resp. unausgefärbt wirbt der jugendliche Löwe, Hahn oder Hecht etc. etc. dem mit den typischsten Attributen seiner Art prätendirenden Alten oft die Braut oder Gattin weg — und wie oft, am Ende jedes Individuums ja unaufhörlich, siegt das jüngere Individuum, also die phylogenetische Repetition Prozess des Erdballs entgegennimmt, ohne zu bedenken, dass wenn sich dieser zusammenziehen, also verkleinern sollte, die nothwendige Neben- erscheinnng seit lange ein immer weiteres Uebertreten des Wassers, und schliesslich die Ueberfluthung alles Landes sein müsste. — 343 — (Häckel), über das älteste Indiriduum, also über Darwin's ausgelesenste Auslese! Die Jugend fliegt sich stürmisch in die Arme, und späht nicht „zuchtwählerisch" nach den künftigen Erb- aussichten aus einer stattlichen Vorfahrenschaft. Die Basis der Selektionshypothese: „die Variabilität innerhalb der Spezies" ist ein Nichts gegenüber der Variation des platzwechseln- den Formenlebens durcheinander und nacheinander biologisch an oder in derselben Oertlichkeit. Und die Entwicklungshöhe, das reifste Mannesstadium aller Formen dominirt biomorphologisch nicht im Kampfe um Dasein und Fortpflanzung, sondern die physisch frischer und eroberungslustig willkommener Platz und Braut ergrei- fenden Jüngslingsstadien aller Formen sind die Helden des Le- bensmarktes. Nicht die Akkumulations - Gipfel der hypothetischen Selektion, sondern ihre phylogenetischen Repetitionsformen ausge- merzt verworfener Aszendenten beherrschen die Auslese. Selbst die Wissenschaft verjüngt sich immer auf's neue durch Be- fruchtung aus antik aszendenten Quellen. Bezüglich der Wohlfeilheit der selektronshypothetischen Stipula- tionen wissen wir überhaupt, dass da wo die „alle Systeme des Or- ganismus durchdringende Harmonie von Bau und Lebensbedingungen" selbst dem beschwichtigungswilligen Darwinianer zur „Anpassungs"- Theorie nicht stimmen will, man sich durch hypothetische Titel, wie „Fälschung", „Rudimente", „unvollendete Konvergenz oder Divergenz", oder durch „Unbekanntschaft mit früheren, oder mit allen heutigen Lebensverhältnissen" zu decken sucht. So unverkennbar alle Verhältnisse der Natur • nur in Harmonie zu einander bestehen und bestehen können, ebenso unverkennbar ist hierzu aber auch die organische und resp. die Intellekte Biegsam- keit, mittelst welcher eventuell alle Organismen selektionswidrig mehr oder weniger zur Intellekten und biomorphologischen Balan- cirung z. B. ihrer etwaigen örtlichen Versetzung rasch befähigt sind. Logisch zum Ungeheuer der Selektions-Allmäligkeit dürfte der- gleichen aber nicht der Fall sein, und logisch zum egoistischen Nütz- lichkeitsprinzip müsste diese Biegsamkeit noch weit grösser, womöglich bis zu einem biomorphologischen Universal- Stoizismus „entwickelt" sein. Dass die Natur aber in und aus sich selbst diese alles durch- dringende Harmonie und Balance direkt urordnend erzeugt und selbst novitätisch korrekt „anpasst", das zeigen u. a. Fälle, wo sich aus anormalen Wesenkeimen morphologische Monstrositäten bilden, wie z B, das kanadische und das italienische Zwillingspaar, beide in — 344 — bemerkenswerther Uebereinstimmung mit zwei Oberkörpern und Her- zen auf einem hierauf abwärts gemeinsamen Unterrumpfe. Die lebenstüchtig eingeordnete Verschmelzung und Einfliessung zweier Individuen in einen einzigen Ver- dauungs-Apparat, scheint mir doch in" seiner Wieder- holung ein energischer Beweis für das naturdirekte Ur- geschick eines Ordnungs- und Anpassungs-Solls. Dass die Fälle der Nichtlebeusfähigkeit anormaler Wesengeburten häufiger sind, schädigt hieran nichts. Der Begriff der Nichtlebeus- fähigkeit, z. B. für animale Missgeburten, ist kein absolut zutreffender, sondern nur relativ anwendbar auf die Dauer der Lebensfähigkeit. Denn gelebt hat auch jeder ungeboren gebliebene monströse Fötus. Dass die Natur eine durch irgendwelche Einflüsse auf die Zeugung und Wesenkeimung anormal gerichtete Ausbildung nicht, oder nicht stets bis auf denjenigen Effekt hinausführen kann, an welchen wir gewöhnt sind, daran ist eben die Art der anormalen Einwirkung auf die Keimung schuld. Dieser Einwirkung entsprechend aber wird sich der naturgeschickte Entwicklungsgang allemal vollziehen. Wären die Organismen nur akkumulirte Mechaniken der Se- lektion, so könnte sich kein gestörter, d.h. kein irgendwie pseudo- phylogenetisch berührter Wesenkeim jemals entwickeln, geschweige denn monströs-biomorphologisch gerathen, und demgemäss novitätisch „angepasst" aktiviren. „Angepasst", „korrelativ", „morphologisch" auf sich und seinen Aufenthalt wird aber jede Art Wesenbildung organisirt und aktiv sein, auch jeder ungeborene monströse Fötus, so lange er lebt. Für die naturkalkulatorische Giltigkeit eines Formbildes etwa das Kriterium seiner Fortpflanzungsfähigkeit gegen meine Auffassung einwenden zu wollen, brächte keinerlei Gewinn für die Selektions- hypothese. Denn die Proportionirung der Konkurrenz innerhalb der organischen Natur regelt sich eben trotz und mittelst aller und jeder Vorgänge, wozu auch gewisse Prozente der Fortpflanzungslosigkeit gehören. Hingegen aber dürfte es innerhalb einer durch Selektion akkumulativ-allmälig entwickelten Organismen- Welt niemals ein Fehlen oder Versagen der Kopulations- akte, und auch niemals erbliche Krankheiten geben. Denn die Basis aller deszendenten Selektion beruht auf der ersten Zeugung; und diese könnte nur eine völlig tüchtige gewesen sein, und könnte sich, kraft des Selektions-Prinzips, niemals verschlechtern ! — 345 — Auch dieser Punkt allein gegen die Richtigkeit der Selektions- theorie ist ebenso völlig klar, wie in allen seinen Konsequenzen ihren Nerv zerstörend. Die Studien versuchen es auch, gegenüber von Hartmann, das Auxiliare der Naturzüchtung zu bestreiten, und hierbei kann ich ihnen insofern beistimmen, als ich jederlei tra;nsmutirend sekundäre Instanz im freien Nsturerzeugen verneine. Auch wo ich z. B. an mir selbst intellekte Resultate von „An- passung" wahrgenommen habe, da flössen die individuellen „Neu- erwerbungen" — mechanische Rechnentechnik — nur aus allgemein menschlicher Vorveranlagung, beschränkt auf deszendenzlich ebenso allgemein unkumulative, inextensible Grenzen. Dass irgendwelche Art von Anpassung ausser der naturdirekt vollzogenen in der freien Natur effektiv wirksam sei, muss ich nach der wahrnehmbaren steten Belebungs-Proportion bezweifeln. „Die Geschicklichkeit unsrer Sinne hängt ab von der Uebung" — zu diesem relativ giltigen Ausspruch gelangte z. B. Dr. Fialla durch seine instruktiven Beobachtungen an operirten und sehend gewordenen Blindgeborenen. Diese mussten nach der Operation die formalen Definitionen im Sehen erst erlernen und gelangten hierzu mittelst des Hörens und Befühlens; also mittelst des Vergleichs des neugewonne- nen Sinneseindrucks mit dem bisher in absonderlicher Schärfe aus- gebildeten Gefühls- und Gehörs-Vermögen. Die Schärfe der letzteren Sinne seheint mit der Erlangung des Seh-Sinnes abgenommen zu haben, denn ein sich zeither ohne Schwie- rigkeit innerhalb von Strassen bewegender Blindgeborener fand sich, sehend geworden, zunächst nicht mehr darin zurecht. „Bei keinem seiner operirten Blindgeborenen aber war es Dr. Fialla möglich, angeborene Ideen zu entdecken. Ohne die Fähigkeit des Sehens oder des Hörens könne sich bei keinem Individuum eine klare Vorstellung der äusseren Welt, oder resp. eines Tones entwickeln." i) Was in diesen Beobachtungen als „Anpassung" in Bezug auf die peuerlangte Fertigkeit des Sehens erscheint, das ist nur eine rasche Nachholung von Intellektualitäten, welche in die Entwicklung jedes normal ausgebildeten M.enschen gehören. Und so wie wir müssen auch allerlei junge Thiere das Sehen, d. h. das bewusste, vergleichende, nutzanwendende Sehen erst erlernen. Eine Beschleunigung im Erwerb dieses begreifenden Sehens, von unten nach aufwärts in der Wesenkette bis zum Menschen, die i) Ein blindgeborener Dominospieler in Chemnitz aber verdeckt seine Steine vor den Mitspielern mit der Hand. Kann freilich fremde Anleitung dazu erlangt haben. — 346 — selektionslogisch doch vorhanden sein müsste, ist nun keineswegs bemerkbar. Im Gegentheil, alsbald nach der Geburt erkennt die Kaulquappe, das Tischchen, das Insekt, das Hühnchen u. s. w. die herannahende Gefahr und entflieht derselben manövrirend vorsichtig; und kaum ein andres Wesen gelangt so spät zum begrei- fenden, sSlbsterhälterisch wirksamen Sehen, als wie der Mensch. Keine der von Dr. Fialla mitgetheilten Beobachtungen stützt die Selektionstheorie oder die Annahme einer deszendenzlich akkumulirenden Auxiliation von Anpassungen. Kegelrecht zur Selektionstheorie müsste aber mit den komplett ererbt vorhan- denen Sehorganen der Neugeborenen auch zugleich die kom- plette Verwerthung derselben verbunden sein, um so mehr, als ja bereits die Embryonalstadien phylogenetische Ahnen- schaften repetiren sollen, die doch einstmals auch selbst- erhälterisch sehfähig gewesen sein müssten, und eben gerade mit durch ihre diesbezüglichen Vorzüge ihre Kon- kurrenten übervortheilt, aus dem Felde geschlagen und überlebt haben und zu „vererbenden" Stammälteru geworden sein sollen. Aus der einseitig abnorm gesteigerten Talentirung Blinder oder Taubstummer, und aus der Rückgängigkeit der früheren Gehörs- und Gefühls-Schärfe bei operirten Blinden scheint auch für die Pro- portionirung innerhalb der sensualen Fertigkeiten das balan- cirende Prinzip angedeutet, welches das „Auxiliäre" der Anpassungen alsbald zum Ganzen in Ausgleich bringt. Sowohl die Beziehungen von Organismus zu Organismus, wie auch die biomorphischen Expansionen innerhalb jedes einzelnen Organismus mögen nach einem aut^'s Ganze und durch das (janze aufs Einzelne bezüglichen Ausgleichungs-Zwang pulsiren, welcher die Erscheinungen der „Anpassung" naturfällig bedingt. Die Ergebnisse der menschlichen Züchtungen widerlegen, glaube ich, meine Anschauung nicht. Sie sind Ergebnisse der Auswahl direkt naturerzfiugter Cha- raktere, und nur auf übersichtlich beschränkte Zeit künstlich haljbar. Im „Ausland", 1880, S. 545, unter „Antidarwiniana", machteich bereits auf die Ordnung aufmerksam, in welcher das Erhalten- bleiben der proportionalen Belebung nach Arten und In- dividuen innerhalb der freien Natur, trotz der ganz ungeheuer verschiedenen Ziffer der von den verschiedenen Artindividuen her- vorgebrachten Geburten und Geburtskeimen, den Belebungsstatus doch immer wieder von der grössten wie von der kleinsten Ziffer der verschiedenen Geburten, bis auf ein (ideell) einziges Paar proportionirt. — 347 — Ob das eine Lebewesen, z.B. der zweigeschlechtliche "Wal- fisch, in derselben Zeit nur ein einziges Junge gebiert, wo neben ihm ein anderes, z. B. die zwittergeschlechtliche Seegurke, Millionen ihrer Keimwesen abgiebt, und in weit rascherer Deszen- denzfolge wie jener, meerausfüllende Billionen, Trillionen, Quadrillio- nen etc. von selbstzeugenden Nachkommen haben könnte, ehe jener nur ein einziges Junge zur bigenerischen Fortj^flanzung liefert, — dennoch proportionirt die freie Natur, „der Kampf um's Dasein" sich unaufhörlich bis auf den für die Arten- wie Individuen - Erhaltung erforderlichen Status. Die Ge- burts-Millionen werden konsumirt und reduziren sich naturkalkulatorisch bis auf das einzige erhaltungsnö- thige Zwitter-Individuum; und zu der seltenen Einzel- geburt schont der Konsum und gesellt das Natur-Büdget den erhaltungsnöthigen Gatten. Dieses grossartige Ordnungsverhältniss, das ich als selektions- widrig ebenfalls bereits früher berührte, i) ist um so mehr beachtlich, weil wir bemerken, dass es bereits durch relativ unbedeutend schei- nende Eingriffe des Menschen mindestens örtlich gestört werden kann. Denn trotzdem z. B. eine einzige Mutterauster nach Möbius durch- schnittlich 1012 955 Keime abgiebt, gehen die Austernbänke der Nordsee zurück, „weil der Nachwuchs durch die stärkere Ausbeutung übertroffen wird". Hierbei ist wohl unzweifelhaft, dass die Proportionsschädigung nicht entfernt direkt durch ein Ueberwiegen der Ausfischungs-Ziffer über die Ziffer der Zeugungs-Keime entsteht, — denn nur ein Stamm von etwa tausend Mutteraustern vermöchte bei einem durchschnittlich 15jährigen Auswuchs-Turnus einen jährlichen Konsum von 60 Millio- nen zu ersetzen, — sondern dass unser Austernfang den lokalbezüg- lichen Naturhaushalt überhaupt stört und improportionirt. — Meine Auffassung des Natur-Mechanismus scheint mir u. a. auch durch die Pflanzengallen induzirt. Wir nehmen unter diesen, ebenfalls in ungeheurer Menge und Vielfältigkeit variabel vorhandenen, animal-technisch raediär hervorgerufenen, inquilin vegetabilen Orga- nismen unstreitig eine naturdirekte, spezifisch immanente Anpassungs- bildung wahr, ohne eine phylogenetische Allmäligkeit von Entwicklung derselben irgendwie begreiflich oder gar induzirt finden zu können. Die Gallwespen gehen — nach Ratzeburg — „gewöhnlich an „kranke Pflanzen, verwunden diese durch einen Stich, indem sie ihre „Eier in die Pflanzensubstanz einbringen, von welcher die Brut leben i) Gegen pseudodoxische Transmutationslehren, S. 117 u. flg. — 348 — „soll. Hierdurch entstehen an den Gewächsen bald sehr saftige, bald „mehr trockne holzige Auftreibungen oder Auswüchse — Gallen. „Jede- Art erzeugt ihr eigene, von anderen verschiedene Galle, „selbst wenn sie ausnahmsweise eine andere als die ge- „wöhnliche Holzart stechen sollte." (!) Der spezifische Typus jeder Gallenart bleibt sogar dann erhalten, wenn die eigentliche Gallwespenlarve durch eine schmarotzende Larve von Schlupfwespen ver- drängt ist.(!) Die Formung der Galle ist also mit Einführung des lebenden Eies spezifisch distiukt gezeugt. Logisch hierzu trägt auch ein und dieselbe Pflanzenspe- zies, ja oftmals ein und dasselbe Pflanzenindividuum an übereinstimmenden Theilen und zu gleicher Zeit ver- schiedene Galleuarten; während andrerseits, z.B. an der gemeinen Eiche, die bekannten zweierlei Galläpfel- Arten vorkommen, von fast gleichem Aeusseren, trotzdem die eine Art auf der Blatt- fläche aus den Kippen, die andere Art an der Stielbasis aus dem Blattwinkel hervorgeht. Ferner bilden sich die Gallen jeder einzelnen Art nicht alle zu gleicher Zeit, sondern oft nachein- ander, und stehen auf ein und demselben Blatte neben- einander in verschiedener Ausbildung während langer Monate, Die verschiedenen Gallenarten sind merkwürdige, oftmals präch- tige und naturkunstreiche Gebilde. Sie gewähren entweder ebenso ein Bild von Anpassung wie nur irgendwelcher andere örtlich fixirte Organismus, oder sie „äffen" Früchte, Knospen, Thiere, Schmarotzer- pflanzen etc. etc. nach. Beachtonswerth ist aber besonders noch, dass die biomorpho- logische Struktur-Einrichtung vieler Arten derselben sich von Fall zu Fall ganz nach der Zahl der örtlich gerade untergebrachten Wespeneier, Blattläuse etc. ausbildet, so dass z. B. dieselbe Ei- chengallenart, welche um ein Ei nur eine Kammer bildet, um mehrere Eier nebeneinander ebenso korrekt mehrere Kammern resp. um jedes Ei eine separate Kammer bildet; bereits Rösel lieferte Abbildungen solcher an Formenschönheit und Raumeintheilung mit den Bienenzellen konkurrirenden Gelegenheits- arbeit der naturimmanent organisirenden und anpassenden Technik. Ich selbst vermochte mich dem induktiv vielversprechenden Stu- dium der Gallen leider noch nicht eingehend zu widmen. Allein was mir davon bekannt geworden und vorstehend kurz berührt worden ist, das scheint mir doch für einen naturdirekten Vollzug der Organisation — 349 — zu sprechen, der seine Konsequenzen auch auf die übrige Organismen- welt erstreckt. Die Bewerthung der Pflanzengallen als speziesqualitative Orga- nismen dürfte bei Erwcägung ihrer naturtechnischen Bedeutung anzu- erkennen, und ihnen begrifflich eine Rangstaffel etwa zwischen den direkten thicrischen Gehäusebildungen (Meerschwämme, Korallen) und den Pilzen und Flechten zuzusprechen sein. Den Fruchtbildungen sind sie durch ihre spezifische Selbstbedeutung fremd und überlegen; denn sie sind nicht wie jene ein sexual-biomorphologischer Theil der Pflanze, sondern Inquilinen derselben, und das Agens ihrer Erzeugung bewältigt und organisirt ebenso distinkt spezifisch, wie distinkt mo- difikationsfähig, je nach dem Fall, die Säfte, Organisation und die Bewohnungs-Konkurreuz der Heimstätte. Das „auxiliäre Prinzip", welches die Studien leugnen, das „der umbildenden Kraft erst zu Hülfe kommen müsste", ist also unver- kennbar bereits im Schaffen der Natur urdirekt enthalten. Die „Auxi- liation" der Natur ist aus und auf sich selbst bezügliches Urgenie; und es erscheint auch fast begreiflich, dass wenn das Weltall eine Einheit in sich ist, auch jedes „Molekül" derselben sich nur auf diese Einheit bewegen und anpassen muss. Dass die Natur „neue" Formen „fix und fertig hinstellen kann, „ausgerüstet zum Kampfe um's Dasein, und angepasst in allen ihren „Organen und Organsystemen an die speziellsten Bedingungen ihres „neuen Lebens, . . . diese reine Zauberei" (W., S. 322) existirt! Wir sehen es um uns, an den einseitig abnorm gesteigert angepassten Sinnestalenten Blinder, Taubstummer, Krüppelgeborener, an den ab- norm morphologisch kompletten Gallenbildungen, an den neusym- metrirten resp. neuorganisirten pflanzlichen, thierischen und menschlichen Aberrationen und Monstrositäten. Die Biomorphologie der Wesen ist keine starre. Sie ist än- dernden Verhältnissen gegenüber alsbald soweit biegsam, als wie es die Formenerhaltung erfordert. Jedem einzelnen oder doch fast jedem Organismus kommt auch die Vielfältigkeit seiner Umgebung, seine weite geographische Verbreitung, aushelfend und balancirend, nach seinen Wahlbedürfnissen entgegen. Zonisch versetzte Bienen, Ratten, Esel, Hunde etc., welche neue Gewohnheiten annehmen, deuten dies an. Speziell das auswählende Situations-Verständniss der Insekten ist nicht gering, und besonders diese Qualifikation bringt den Ein- druck der „Anpassungen" hervor. Der fliegende Falter besitzt ein deutliches Wahlverständniss für seinen spezial günstigen Platz auf der Flur, am Baumstamm, am Gestein, auf oder unterm Blatt. — 350 — Wäre es nicht so, wäre die Aniiassung selektirtes Erbe, so müsste auch jedes Thier genau nur an die oder an solche Stellen flüchten, wo seine Vorfahren den erhaltungswirksamen Schutz fanden. In Wirklichkeit sind aber die Färbungs-Differenzen sowohl der ver- schiedenartigen Falter-Belebung einer Oertlichkeit, wie auch die Fär- bungs-Differenzen derjenigen Ruhe- oder Flug-Punkte, welche jedes einzelne Individuum während seines bewegten Daseins nacheinander berührt, unsäglich viel zu bedeutend für die unfassliche Lang- samkeit und Winzigkeit der vermeintlichen Selektions-Transmutation. Die individuellen Abweichungen, die Variabilitäten der Thiere, und die Abweichungen des Spezialbildes jeder Oertlichkeit, die sie beim Aufenthaltswechsel unaufhör- lich austauschen, sind ungeheuer gross im Verhältniss zu der bereits Jahrmyriaden beanspruchenden selektions-akkumulativen Zuwerthung nur eines minimalen Differenz-Charakters. Wenn ein Insekt von Blüthe zu Blüthe ruht, am Baumstamm, am Felsen den Sitzplatz vielleicht nur um Zolle ändert gegen vorhin oder gestern, wenn ein Feldhuhn, ein Hase über Aecker streifen oder an verschiedenen Stellen verweilen, wenn ein Raubvogel unter dem wolkenkonturirten Himmelsblau schwebt, oder wenn nach diesen In- dividuen nun wieder andere Individuen resp. das andere Geschlecht derselben .Arten ganz dieselben Plätze besuchen, oder wenn endlich alle solche Individuen jetzt im Sonnenschein, dann im Wolkeuschatten, heute auf trocken-matter, morgen auf feuchter, regenerfrischter Flur verkehren, so werden sie in kurzer Zeit, und jedes tausendfältig wechselnd während seiner Lebensdauer, nacheinander und durch- einander auf so verschieden nüancirten und gezeichneten Punkten verschieden konturirt werden, so verschiedene Bilder, Phasen, Grade von „Anpassungen" absolviren, als wie sie ihnen die „AUraäligkeit" der darwinistischen Hypothese, jede einzeln nur in Reihenjahrtausenden „akkumuliren" könnte. Wenn also die winzigen Einheiten einer Selektions-Akku- mulation irgendwelche Erhaltungsbedeutung hätten, dann könnte die unaufhörlich ihre Plätze austauschende Lebe- welt überhaupt nicht existiren. Sie wäre vertilgt lange be- vor eine selektionshypothetische winzige Nützlichkeit fixirt wäre. Die Anpassungs-Chancen, welche jedes platzwechselnde Individuum von Augenblick zu Augenblick austauscht, und die selbst das örtlich fixirte durch meteorologische Wechsel sowohl, wie auch durch habi- tuelle Aenderungen und Schädigungen absolvirt, unbeschadet der Proportion aller Belebungs-Konkurrenz, balauciren bio- — 351 — morphologische Werthe, wie sie die darwinsche Selektion erst nach unabsehbaren Zeitläufen herstellen könnte. Ererbt, d. h. darwinistisch akkuraulativ erfahrungsmässig er- worben, kann ganz unverkennbar manche vorkommende erhaltungs- qualitative Maxime der Insekten nicht sein. Denn innerhalb ark- tischer oder tropischer Wildnisse von meinem Fangnetze verfolgte verschiedenartige Schmetterlinge schössen nach mancherlei Flucht- versuchen endlich wie verzweifelt in's Gras; andere dergleichen be- obachteten den anschleichenden Sammler vom hohen Blatt. Selbst kleine Eupithecien (kleine nachtfliegende Spannerchen), denen ich in den taghellen Nächten des einsamen Nordostfinland nachstellte, suchten sich nach den gewöhnlichen Fluchtversuchen schliesslich dui'ch Ver- bergen in Gras und Büsche zu retten. Eine Verfolgung dieser Thierchen durch Vögel, — Fledermäuse bemerkte ich innerhalb dreier Sommer dort überhaupt nicht, — konnte ich trotz voller Aufmerksamkeit niemals wahrnehmen; meine Nach- stellungsart war den tausendfältig umherfliegenden Thierchen also jedenfalls gänzlich neu. Ebenso neu war nun aber auch alsbald ihre Fluchtmanier. Ererbtes, normale Erlebnisse lagen sicher nicht zu Grunde; das Neuerlebte scheuchte sie sofort ängstlich in Verstecke. In Konsequenz zur Selektionslehre durften sie aber solche Plätze niemals aufsuchen, sondern erfahrungs-akkumalativ als lebensgefährliche meiden, weil fast allenthalben daselbst Raubspinnen verschiedener Art umher- spähten. Aus den soeben und vorhin, sowie aus anderwärts von mir be- tonten Thatsachen und Hinweisen erkennen wir deutlich nicht allein die Vorgänge plötzlicher Aneignung oder doch Neuanwendung in- tellektueller Fähigkeiten, sondern auch das Vorsichgehen naturdirekt biomorphologisch vollzogener Neu-Anpassungen und Neu-Organisa- tionen. Und wenn nun geringwerthig scheinende, oder auf ihr Wirken, auf ihren Grund für uns gar nicht definirbare Vorgänge der Gegen- wart plötzlich biomorphologisch neuorganirte Individuen gestalten, so können wir von den Phasen der kosmischen Perioditäten, in welche der Erdkörper tritt, und welche die weitverbreiteten Individuen jeder Art, je nach der Lokalität ihres Aufenthalts und je nach ihrer In- dividualität immerhin wieder verschieden berühren werden, wohl ziemlich berechtigt allgemeine, resp. doch umfassendere Umbildungen erwarten. Und wir müssen soche Umbildnngs-Perioden sogar annehmen, weil glatt gegenüber allen selektionstheoretischen Verkümmerungsversuchen — 352 — die geologischen Funde zunächst nur und gerade dafür zeugen. Mittelst der Selektion, mittelst der Auslese des Besten im Kampfe um's Dasein gelangen, wie ich vielfach erörterte, die mannigfaltigen Organismen zu keiner Transformirung, denn allein die allgemeine Verschiedenheit, die Variabilität der körperlichen und sinnlichen Ausstattungen von Individuum zu Individuum hüben und drüben und ringsum, quotiirt den Ausgleich, balancirt jede einzelne individuelle Erscheinung als vollwerthig brauchbar und nöthig für's Ganze. Aber ebensowohl wie Gefrier- und Schmelz-Punkt, Wasser- und Feuer-Entstehung, Kristallisation, Verdunstung, Bewegung, Welle, Ton, Stillstand, Mischung, Trennung, Vor- und Rücklauf, Sonnen- und Mond-Aufgang, Zeugung und Tod, überhaupt jeder Form-Bestand und Wechsel, sowie auch jeder mathematische Werth, Alles in uatur- relativer Periodität erscheint, eintritt, ebenso scharf markirt muss logisch hierzu auch die Eigenheit eines Organismus entstehen; und seine körperliche Gruppirung kann sich nicht normlos egoistisch wuchernd aufwirren, ohne spezifischen Distinktions-Aufang und Ende. Seine Erscheinung muss vielmehr so gut wie alles Andere ein Effekt, ein in sich distinkter Molekular-Komplex sein. Allein der für jeden Organismus kausale Zeugungs-Akt, erfolge er durch Kopulation oder durch Theilung, erzwingt logisch auch den Schluss auf eine Periodität der Art-Erscheinung, während die Kon- sequenz der Selektion einen Zeugungs-Akt verbietet, für ihren In- dividuen- und Art-Beginn vielmehr Verschwommenheit erfordern muss. Es ist eine der ersten Schwächen und Inkonsequenzen der Des- zendenztheorie nach Darwin -Hack el'scher Auslegung, dass sie bei Leugnung einer Generatio aequivoca deszendenzliche, phylo- genetische Stammbäume aufstellt, vom beseelten Protoplasma an bis zu uns, innerhalb welcher immensen Formstufenfolgen vom nie- dersten bis zum höchsten Repräsentanten allenthalben die Zeugung als distinkter Akt fertig vorhanden ist. Und wollte man den Vollzug der Zeugungsakte etwa nicht als durchgängig gleichwerthig anerkennen, so würde man nach aufwärts der hypothe- tischen Abstammungsleiter kein Besserwerden finden, sondern sogar einräumen müssen, dass die Zeugung und Fortpflanzung bei den niedersten Wesen, als Knospung, Theilung, effektsicherer und individualistischer ist, als wie bei den Kopulationen der höheren Formen. Ein horrender Schaden und ein merkwürdiges Selbstvergessen innerhalb der Lehre von der Allmäligkeit des Selektions-Mechanismus, vom akkumulativen Besserwerden oder doch individualistisch hebenden — 353 — Transmutiren ist es aber, wenn alle Organismen-Millionen von Anfang bis Ende bezüglich der Zeugungsqualifikation nicht allein statisch geblieben, sondern logisch zum Selektionsbegriff sogar reaktionär ge- worden sein müssten. Denn die Zeugung, gewiss das primärste Kriterium für eine besterhaltende, existenzverantwortliche Auslese, erscheint nicht allein qualitativ inkumulirt, sondern qualitativ und quantitativ an sich sogar verschlechtert, je höher die Organisation der Art komplizirt ist. Die Mechanik der Auslese hätte das Erhaltungs dienlichste für die Arten bei der Transmutation beharrlich versäumt, wohl aber durch allerlei Präservativ-Mittelchen erst endlos Sekundäres aufgefasst und akkumulirt. Dabei hätte sie aber noch immer nicht etwa das Zweit- und Drittbeste für den Individual-Egoismus erworben: die eingeschlechtliche oder vielmehr die geschlechtslose Fort- pflanzungsfähigkeit, und die Krankheitslosigkeit, sondern sie hätte nur durch allerhand Ausstattungs-Komplikationen, Schmuck-, Schutz-, Trutz-Farben und Apparate etc, das primär Versäumte dürftig korrigirt und maskirt. Mit einem Wort: die Inkorrektheit der Selektion hätte im Grunde genommen den ganzen Kampf um's Dasein erst selbt verschuldet, gesteigert und komplizirt! Eine auf sich selbst, auf den eigenen Mechanismus inkorrekt arbeitende Maschine giebt es aber überhaupt nicht; und weil sowohl die opportunirende Proportionirung, wie die verschiedenseitige Periodität und das Ver- sagen der Zeugungs- resp. Kopulations-Akte, sich thatsächlich inkor- rekt zu den Erfordernissen eines ziellosen Selektionsmechanismus konsequirt, deshalb existirt auch diese Selektion überhaupt nicht. Was die Studien nun auf den letzten Seiten weiter aussprechen, das entspricht mehrfach auch meinen eigenen Anschauungen. An- deren ihrer Sätze daneben mangeln freilich die grundgebenden Kon- sequenzen für den ersten Theil ihrer Aussprüche gänzlich, und die Studien gerathen auch philosophirend mit sich selbst in Konflikt. Sie anerkennen (S. 325 u. flg.) für „den grossen Weltmechanismus „eine gemeinsame Wurzel, anthropomorph ausgedrückt: einen Welt- „mechaniker . . . jenseits unsres Erkenntnissvermögens in dem dun- „keln Gebiete der Metaphysik. ... In der Erkenntniss einer teleo- „ logischen Weltursache, . . . man könnte von einer immanenten „Teleologie der Welt reden, . . . liege ein bedeutender Fortschritt." „Und warum sollte zur Einpassung auch des Geistigen, Empfin- „denden, Wollenden und Denkenden in den mechanischen Prozess „der Entwicklungen, nicht der Gedanke der beseelten Materie 23 — 354 — „wieder aufgenommen werden? Sollte damit nicht eine brauchbare „Formel zur Erklärung sonst gänzlich unvermittelter Erscheinungen „gefunden sein?" „Man stelle sich kühn auf den. Boden der neuen Erkenntniss, „ziehe die richtigen Konsequenzen aus ihr, und wir würden weder „Sittlichkeit, noch das beruhigende Gefühl, einem harmonischen Welt- „ganzen als nothwendiges, entwicklungsfähiges und einem Ziele zu- „ strebendes Glied eingefügt zu sein, aufgeben müssen." Dieser Ermuthigungsruf zu „richtigem Konsequiren" kann uns leider nicht entfernt imponiren, denn auch hier wieder verschulden die Studien im schönsten Pathos ein Vergessen aller Selbstlogik. Nur wenige Sätze resp. Zeilen bevor sie uns nämlich ihrer resp. „neuen Erkenntniss" eines „"Weltmechanikers", einer „immanenten Teleo- logie der Welt", einer „beseelten Materie" zugeleitet meinen, und nicht glaubten, „dass wir darauf verzichten brauchten, die Existenz einer zweckthätigen Kraft anzuerkennen", sagen sie von letzterer : „nur müssten wir sie nicht in den Mechanismus der „Welt direkt mit eingreifend uns vorstellen, sondern viel- „mehr hinter demselben, als die letzte Ursache dieses „Mechanismus." . . . „Eine teleologische Kraft würden wir nur „dahin verlegen müssen, wo sie allein wii'ksara sein könne: an den „Anfang der Dinge." Nun, dass sich logisch auf den Unendlichkeitsbegriff alles „hinten" und aller „Anfang" in „Allgegenwärtigkeit" konse- quirt, ergiebt schon ein kurzes Erwägen, Im unendlichen All als ursächliche Kraft „hinter" etwas stecken, das bedeutet: überall sein. Man braucht die „Studien" nur nach der geographischen resp. kosmischen Stationirung des „hinten" ihrer Erkenntniss fragen zu wollen, um dieses „hinten" allgegenwärtig von allen und nach allen Seiten der Unendlichkeit auftauchen zu sehen. Dass das metaphysische Hinten der Studien von denselben aber wirklich als örtlich und terminlich stationirt angenommen wird, geht unzweideutig hervor aus ihrer Verlegung der teleologischen Kraft „an den Anfang der Dinge". Und wenn sie nach solchem, im Fettdruck gegebenen Ausspruch dann wieder von einer „immanen- ten" Teleologie der Welt und von der „beseelten Materie" reden, dann erkennt man abermals, dass sie dialektiren, ohne logisch zu denken. Denn entweder der Zweckwille ist der Welt immanent, die Materie ist beseelt und das metaphysische Agens demnach — 355 — überall und ewig, oder die zweckthätige Kraft wirkt nicht im Mechanismus der Welt, setzte denselben nur in Gang am An- fang der Dinge, — und dann gäbe es keine teleologische Im- manenz der Welt, keine beseelte Materie. Aber kein hierarchisches Dogma kann geistesknechtendere An- sprüche an uns machen, als wie die Darwin-Weismann'sche Prämisse eines Deus ex machina „der vorkambrischen Zeit", „am Anfang der Dinge", einmal und nicht wieder. Nicht allein räthselhafter wie räthselhaft, sondern geradezu ver- nunftwidrig sophistisirt der Darwinismus die unerforschliche Kraft der Unendlichkeit und Allgegenwart hinaus hinter die Welt, nur immer weiter in's neblige Blaue — an den Anfang der Dinge. Und was die „Studien" speziell hierbei leisten, das soll beitragen, wie sie Seite 328 äussern: „zur Erreichung einer mit dem Erkenntnissstande „unserer Zeit stimmenden, in sich harmonischen und befriedigenden „Weltanschauung." Gegen den unserer Zeit in den „Studien" zugedachten „Erkennt- nissstand" erlaube ich mir als schlichter Denker aus dem Yolke einfach zu protestiren. Die „Studien" qualifiziren sich lediglich, hier aber preisgefeiert, für die Erkenntniss-Sphäre des Dar- winismus par outrance. Die Propaganda für diesen offenbarte sich mir aber nicht allein in den Studien, sondern auch in allen anderen mir vorgekommenen Förderungs-Versuchen als eine wenig gesunde und vorsichtige. Zur Stütze dieses Ausspruchs erlaube ich mir noch kurz auf einen Aufsatz Oelsner's 'über H. Spencer's Philosophie abzu- schweifen, in welcher der Darwinismus summarische Bestätigung finden soll. Nach längerem Referiren hiess es da:i) „Gefühle und Funktionen „ständen in bestimmter Beziehung zueinander. Wie schon gezeigt „worden, seien in der gesammten belebten Welt Schmerzen nothwendig „die Korrelativa der dem Organismus schädlichen Einwirkungen^ „während Freuden die Korrelativa solcher Einwirkungen seien, die „zum Wohlergehen beitrügen, ... da es sich als unvermeidliche De- „duktion aus der Entwicklungslehre ergäbe, dass die verschiedenen „Arten von empfindungsfähigen Wesen unter keiner andern Bedingung „in's Dasein gelangen konnten. . . . Nur unter der Bedingung könnten „empfindende Wesen sich entwickeln, dass freudebringende Hand- „lungen zugleich lebenerhaltende Handlungen seien," i) „Ausland", 1880, No. 48. 23^ — 356 — „Die Beweise für diese Behauptung," sagt Oelsner, „bringe „H, Spencer von allen Lebensgebieten herbei." Nun, greifen wir aus der Biologie eigenmächtig das Ucächst- liegende und unstreitig lebensverantwortlichste Organ- systera und dessen Funktionirung heraus, um die Annahme eines mechanischen Akkumulations-Zusammenhangs des Organismus, einer Entwicklungs-Korrelation zwischen Freuden und Lebens- und Erhaltungs-Vortheilen, sowie zwischen Schmerzen und biologischen Nachtheilen abzuweisen. Ich meine einige auf die Zeugung, Fort- pflanzung und Geburt bezügliche Thatsachen. Die, trotz Budin's nomineller und De Mantegazza's idea- listischer Anfechtungen, thatsächlich doch vorhandenen morpholo- gischen Hindernissei) und Schmerzen der Defloration, die Beschwer- den der Schwangerschaft, die Leiden der Geburt und oft auch der Säugung, später die Zahnung, die Pubertäts-Zustände und Perioden, alle diese, auf Lebens- und Erhaltungs-Vortheile individuell mecha- nisch-egoistisch betrachtet, primär bezüglichen Vorgänge bieten diametrale Thatsachen wider Spencer's Philosophie. Unter man- nigfachen Schmerzen und Leiden, oftmals sogar gesund- heit- und lebenzerstörend, vollziehen sich die auf das Leben selbst primär aktiven Funktionen unseres, und mehrfach auch des thierischen Organismus! Und nun andrerseits : die Ekstasen der sich damit physisch und moralisch ruinirenden Erotomanen, die Glücks-Illusionen im leben- zerrüttenden Genüsse des Morphiums, Opiums, des Haschisch, der Koka, des Alkohols und andrer Narkotika und Spirituosa, das Qualen und Tod bringende Trachten vieler Lisekten und Wirbelthiere nach Flamme und Brand, trotzdem erstere sonst das Tageslicht sorgsam meiden (auch nicht dem Monde oder den Sternen entgegenfliegen): hier von unwiderstehlich reizenden Trieben gepackt resp. von Genuss zu Genuss eilend, zerstört sich Organismus und Leben! „H. Spencer betone ferner," referirte Oelsner, „dass es noth- „wendig sei, das Studium der Moralwissenschaft durch das Studium „der Biologie vorzubereiten. Was sich physikalisch als ein beweg- „liches Gleichgewicht definiren lasse, das definirten wir biologisch „als eine Ausgleichung der Funktionen. Das "Wesen einer solchen „Ausgleichung aber bestehe darin, dass die verschiedenen Funktionen „in ihrer Art, ihrem Grade und ihren Kombinationen den verschie- i) Das darnach beseitigte, unaufhörlich und für die Deszendenz- frage doch eo ipso kategorisch verworfene Virgin, claustr. — 357 — „denen Thätigkeiten angepasst seien, welche das vollkommene Leben „erhalten und darstellen, und eine solche Anpassung sei gleichbe- „deutend mit der Erreichung des Zieles, dem die Entwicklung des „Handelns fortwährend zustrebe." Auch diese Anschauungen finden durch die soeben eingehaltenen Thatsachen ihre Widerlegung, und finden eine solche noch ferner durch die sehr induktive Doppelfunktion, und durch die viel- fältigen Misserfolge der Zeugungstheile, welche letztere selbst, selektionslogisch doch „in ihrer Art, ihrem Grade und ihren Kom- binationen", seit urphylogenetischer Vergangenheit der erfolg- sicheren Thätigkeit des Zeugens, das ist dem materiellen Inbegriff des vollkommenen Lebenszieles, angepasst sein müssten. Somit, wenigstens insoweit ich die vorgebrachten einfachen That- sachen kunstlos logisch zu beurtheilen glaube, halte ich auch die Deduktionen philosophirender Darwinisten durch die wichtigsten Thatsachen bereits in erster Linie, und in Konsequenz hierzu überhaupt widerlegt. Die Studien geben am Schlüsse zu, dass wir „noch weit entfernt „seien, den Mechanismus, welcher die organische ebensogut wie die „anorganische Welt hervorrufe, auch nur „„einigermassen vollständig"" „zu verstehen. Trotzdem müsse man zugeben, dass für den Natur- „ forscher die mechanische Auffassung der Natur die einzig mögliche „sei, die er nicht aufgeben dürfe, so lange ihm nicht das Eingreifen „teleologischer Kräfte in den Verlauf des organischen Entwicklungs- „ Prozesses nachgewiesen sei." Nun, was die Anerkennung, die Begreiflichkeit einer aus aller Logik und aus allen Deduktionen doch immer resultirenden „zweck- thätigen Kraft" oder „beseelten Materie" ganz besonders erschwert, das sind die Vorgänge beim Vollzug der Proportionirung im Natur- haushalte, welche, wie schon gesagt, unserra Individualismus, unsern Einzel-Wünschen und Beurtheilen oftmals nicht entsprechen. Klagend bemerken wir zahlreich Unheil und Ungerechtigkeit, und vermissen allenthalben, in jeder Sphäre die ideale Glückseligkeit unsrer Träume. Aber ich meine, gerade die Erfahrung, dass wir die individuell ja überdies sehr verschieden vorgestellte und beanspruchte Glück- seligkeit für das einzelne Wesen nirgends antreffen können, dass selbst jede Glücksstufe, nach der wir erst heiss gerungen, nach dem Betreten uns in neuem Lichte, minderwerthig, ja oft nichtig erscheint, muss uns belehren, wie alle unsere Taxen für Glück und Unheil, einzeln für sich betrachtet, sich nur auf die Gegenüber und Nebenher von Verhältnissen stützen, und durch die wahrgenommenen Kontraste — 358 — erst entstehen. Eine Existenz innerhalb wünscheloser, kontrast- freier Zustände niüsste für uns, wie wir nun einmal angelegt sind, durch seine Monotone, durch seine Verhältnisslosigkeit alle Glücks-Bedeutung verlieren, und uns geistig weit herabsetzen. Wir würden sogar zum „Vegetabil" herab- sinken. Diese flüchtig wiederholte Betrachtung möge uns zunächst über die uns umgebenden individualistischen Missverhältnisse der Na- turpraxis in Bezug auf Einzelheiten beruhigen. Das teleologische Prinzip, das der Einheit des Weltganzen immanent und durch diese ausgleichend ist, muss auch in seinen krassen Konsequenzen zweck- mässig zum Ganzen sein. Das „Eingreifen" teleologischer Kräfte aber — ich verstehe darunter den naturimmanent teleologischen Vollzug organischer Bil- dungsprozesse — ist nach meiner Anschauung allein durch die biomorphologischen Neubildungen, z. B. der vorhingenannten Zwillingskörper auf einem Unterrumpf, that sächlich induzirt. Ein dem Naturerzeugen innewohnendes Anpassungs- thum, von Fall zu Fall teleologisch abäuderbar, und den- noch naturimmanent gleichgesetzlich normal ausgeführt, ist durch die ähnlichen Zwillingsgeburten in Italien wie in Kanada u. s. w. ganz unverkennbar bethätigt. Innerhalb der Deszendenztheorie darwinistischer Auslegung fin- det sich weder Zulässigkeit noch Formel für solche über- einstimmende Fakta biomorphologischer Um- und Neu- bildungen durch naturselbsthelfendes Eingreifen direkt in den Verlauf organischer Entwicklung! Aber auch eine generale Induktion mit spekulativem Schluss vermag sich die Naturforschung für das Vorhandensein einer teleo- logischen Immanenz der Welt zu schaffen. Schon mancherlei fremde Weltkörper sind bezüglich ihrer phy- sikalischen Verhältnisse soweit bekannt, dass die Forschung die Existenz von Wesen unsrer Organisation auf denselben verneinen muss. Die Welt kann aber nicht allein auf unsrer Erde be- dacht, — Sit venia verbo — begriffen werden, die Begriff- lichkeit, das Denken, geistiges Leben und Streben muss auch anderwärts im Kosmos vorhanden sein. Will nun der Darwinianer für seine eigne Denkleistung nur ir- gendwelchen realen Urtheilswerth beanspruchen, — unsere Sinnes- wahrnehmungen und die darauf bezüglichen Taxen unterlegt er be- — ' 359 — kanntlich der ganzen animalenWelti) — und stellt er die menschliche Denk- Qualifikation als akkumulativ-mechanisches Resultat un- seres Spezial-Organismus innerhalb irdischer Konkurrenz- Verhältnisse dar, so muss er die Wiederholung der Denk- fähigkeit ausserirdisch im Weltenall verneinen. Nicht- menschliche Organismen könnten selektionslogisch auch nicht denken. Verschiedene Mechaniken könnten ziellos nicht Ueberein- stimmendes hervorbringen. Zwingt uns dennoch alle Vernunft, und auch die Logik auf den übereinstimmenden Sensualismus aller Erdengeschöpfe, das Vorhanden- sein von Vernunft und Denkfähigkeit auch bei Wesen ausserhalb der Erde zu konsequiren, so können wir diese geistige Qualifikation nur als eine naturprinzipielle, als eine Influenz aus dem beseelten All begreifen. Zum Schlüsse sei . noch auf die logische Dürftigkeit des im Grunde nur relativ anwendbaren Begriifs der „Entwicklung" hinge- wiesen. Die uns zungenleichte, selbstgefällig imponirende „Entwicklung" des Weltalls gestaltet sich, konsequent erwogen, doch zur Unbegreif- lichkeit und Unvernunft. Denn eine blindmechanisch endlos vorschreitende ziellose Ent- wicklung können wir nicht begreifen. Innerhalb einer solchen müssten auch die Naturhandlungs-Grundlagen, die stofflichen Eigenschaften, niüsste selbst „die letzte Ursache", der unergründliche Urquell des Seins von heute, den auch Weis mann anerkennt, transmutiren und irgendweun materiell antiquirt, rückschlägig, embryonal und eli- minirt werden, zu Gunsten immer feineren, immer höheren, immer komplizirteren (!) Urseins. Leugnet man die Veränderlichkeit der stofflichen Eigenschaften, anerkennt man ein Prinzip innerhalb der ewigen Materie, dann fallirt die Hypothese der blindmechanischen Entwicklung, denn eine prin- zipielle letzte Ursache ist eo ipso Zweckmässigkeit und verneint die Selektionshypothese. i) Recht bezeichnend für die „plan- und ziellose" Spekulation mancher Darwinisten war der Umstand, dass sie fast gleichzeitig, wo sie den Bienen, Hummeln, Ameisen etc. die feinste Unterschei- dungsfähigkeit für allerhand Blumen färben und damit die Aufzüchtung beliebter Farben bereits seit Jahrmillionen zusprachen, sie andrerseits mit ziemlichem Aufwand und vieler Zuversicht bei aller- hand Menschenrassen der Erde noch jetzt auf „unterhumm liehe" Farbenblindheit haussirten. Und welch' zärtliches Interesse offen- bart sich, einen recht , .gebildeten" menschenähnlichen Affen und einen recht „thierähnlichen" morallosen Menschen herbeizuschaffen. — 360 — Freilich wohl, die „Studien" wollen wirklich das Welt-Prinzip selbst in den mechanischen Prozess der Entwicklungen mit eingereiht wissen. Das darwinistische Verhänguiss reisst sie mit sich fort. Lassen wir sie treiben und versinken ! So lange sie uns hierzu nicht auch „die Variation, die Rückschläge und Rückführungen, die phyletischen Repetitionen und gefälschten Embryonen", oder wie die Requisiten der Selektionshypothese sonst noch heissen, innerhalb des Weltprinzips „induziren", so lange sie uns nicht auch „Entwicklung" und „Rückschläge" der Ewigkeit und Unendlichkeit an Zeit und Raum deduziren können, so lange sind ihi'e „Studien zur Deszendenz- theorie" für uns irrelevant, und nicht einmal in folle dem Darwinis- mus „angepasst". Denn nur einen örtlichen Wandel im Ausgleich auf ein ewiges Allgauze vermögen unsere Gedanken ahnend zu begleiten. Und so erlaube ich mir diese Schrift mit dem Schlusssatze Weis- mann's modifizirt zu schliessen: „das mechanische Naturer- zeugen äquivalirt im teleologischen Weltganzen". Mit Weismann's Anerkennung der Teleologie, d. i. eines Prinzips im Naturschaffen, wird von ihm gleichzeitig der Verzicht auf die Selektionshypothese ausgesprochen; deren induktive und deduktive Unhaltbarkeit diese meine Schrift unaufhörlich und variabel darzu- legen hatte. Möge das Hinauslaufen aller unsrer Erwägungen auf die An- erkennung einer Zweckmässigkeit des Weltganzen, nur auf der Eigen- heit unsrer Kapabilität beruhen, — mittelst unsrer Kapabilität, Vernunft gemäss müssen wir diese Ur-Zweckmässigkeit immer auffinden. Und wenn nichts anderes vorhanden wäre als nur der leere Raum, so müsste er aus Prinzip vorhanden sein. Denn der Raum, die Permanenz des All, kann nicht materiell mechanisch entstehen. Und wie seine Endlosigkeit von uns nur mittelst ideellen Fluges verfolgt, aber niemals erfasst werden kann, so wird auch im All eine Idee ruhen, die naturimmanent, und wenn auch für uns überbegrifflich, so doch nicht „übernatürlich" sein kann. Carl Frojnholz Buchdruckerei, Borlin C, Neue Friedrichstr. 47. Aeltere Jahrgcäuge der Zeitschrift von 1;i:.' ..r •\'--~ir -..-«jjöj^/ .,'.1%:. ,r: V.; •..■3!/";..-t*.r., ,.'r.rjj:^-i