Ankündigungen aller Art, soweit sich dieselben zur Aufnahme eignen, gelangen '

zum Preise von M. 1.— für die gespaltene Nonpareillezeile zum Abdruck. Aufträge auf ganze und halbe Seiten nach Vereinbarung. Annahme von Anzeigen durch die Union Deutsche Verlagsgeselischaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig. aas

BI

Union Deutsche Uerlagsgesellschaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig.

)

Ein Handbuch für Berufs- und freiwillige Feuerwehren, sowie für Freunde unseres Feuerlösch- und. Feuerrettungswesens

en Molitor.

mit 312 Abbildungen im Text. Elegant gebunden Preis 6 Mark.

Diefes neue, vollftändige Jandbuch der.gefamten Seuer 1ſchkunde ift nicht allein für Sachkreife, für Berufs- und freimillige Wehren, für Behörden, Verwaltungen, fowie die beteiligte Induſtrie als wertvolles Bud von Bedeutung, es wird, gleich wieder Ruf „Seuer!” eines Jeden Sinne auf fi lenkt, auch dem großen Publikum die inter- effante Kenntnis der Einrichtungen vermitteln, welche im Rampfe mit dem verheerenden Zlemente nach und nach entftanden find. „Seuers Schub und «-Trub” ift von einem als Autorität anerkannten Sahmann ‚verfaßt. Es enthält alle Sortfchritte in der Praxis des Löfchwefens und verwertet auch die Ergebniſſe der Internationalen Ausftellung für Seuer- ſchutz und Rettungswefen in Berlin 1901. |

Zu bejieben durch die meisten Buchhandlungen. e Prospekt gratis.

Luc

Neu eingeführt.

ioja- Bordeaux,

flaschenreifer roter Tafelwein, übertrifft an Qualität, Bouquet u. Feinheit alle kleineren Bordeaux-Weine,

ab Konstanz zu 89 Pf. per Liter.

1 Postkistchen mit 2 ganzen Flaschen franko gegen Einsendung von M. = 70

SAMOS-SÜSS-WEINE

vorzügliche Kranken- und Dessert-Weine

empfohlen.

Natur. e e

reinheit * ab zu M. 1.— per Liter.

garantiert. 1 Postkistchen mit 2 Flaschen franco M. 2. 80.

ZIEGLER & GROSS, Gan Schweiz

Proben und Preisliste gratis und franco.

E Allen Hotels und Restaurants

Verbess. Universal-Flaschen- e Verkapsel- Maschine

Preis M. 6.—, steht bis jetzt in jeder Be-

ziehung unerreicht da, redact. bespr. in

Nr. 2296 der Ill. Zeitung, Leipzig. INustr. Preisliste

ZIEGLER & GROSS, Konstanz 59. gratis und franco.

Union Deutihe Derlagsgejellihaft in Stuttgart, De Leipzig.

Union, Sammlung moderner Romane.

Preis jedes Bandes elegant kart. 75 Pf. Geschmackvoll gebunden ı Mark.

Diese modern ausgestattete Sammlung enthält wirkungsvolle Romane hervorragender Autoren. ‚Wir halten die Bände, welche durchweg eine gediegene Unterhaltungslektüre abgeben, bestens empfohlen.

Bis jetzt sind die nachstehend aufgeführten Bände erschienen:

1. Richard Hop, San Sebaftian. 16. Mar zn Frauenherzen. e AH, ée e ct Gelder 17. v. Sadher-Mafod, Der kleine Adam. n Märtyrer der Liebe. | 18. Augnft Berker, Das alte Bild. Die Baronin Amalti. 19. 9.2 —7— Hochſommerzeit war's. 4. Balduin ne Ten, Das BE = Das weiſe Lamm. nis des (a? oti, Mein Bruder Yves. wan eis, Raud. Elaretie, Noris. KT Telmann, Geridtet. Se eorg Hartwig, Das Dorfkind. e wei Eleven Worths. | 24. Skowronnek, Die Frau Leutnant. ` Edgar A. 338 eltſame Geſchichten. 25. Bierre Lotti, Aziy adeh. 9. Ouida, Leiden einer Anſtandsdame. | 26. Adelheid Weber, Die 1 gelber Lore. 10. Breit Harte, Im Walde pn Karquinez. 3% uft. 20h. ie I un Freih. von Wolzogen, Bafilla. en Bourget, Ihr Schatten. arimil. Schmidt, Glasmacherleut'. 2. Bret Harte, Der Kreuzzug des heodor ——— Erniedrigte „Excelfior“. und Beleidigte. 30. eng Nun BIRNEN: * —— Hochlandsgeſ ichten. ercy White, Weſtend. ontſcharow, Eine alltägl.Geſchichte. 32. Guſtaf Janſon, Das Paradies.

Weitere Bände befinden sich in Vorbereitung. Zu bezieben durch die meisten Buchhandlungen. > ——

ibliothek der e Unterhaltung und des Wissens

($. 78)

von A. 0. Klaussmann.

Izeichnung von Adolf Wald,

Zu der Bumoreske „Die Ceufelsmaschine“

Origina

Bibliothek

Unterhaltung » » e «= md des Wissens

mit Original-Beiträgen der hervorragendsten Schriftsteller und @elchrten sowie zahlreichen Illustrationen

Wr rl

Jahrgang 1995 oa Sechster Band

Stuttgart = Berlin « Leipzig Union Deutsche Verlagsgesellschaft

e Zruo der Union Deutſche Derlagggefellfcyaft “in Stuttgart

° 0 0

wl cl: ARR be

La

J nhalts- Verzeichnis. ?

Schiffbruch. Roman von Benriette v. Meerheimb (Fort- setzung) mg ENTE ERS ge Die Teufelsmaschine. humoreske von A. O. Klaussmann 66 Mit Jllustrationen von Adolf Wald, Die Russen in der Mandschurei. Bilder aus dem fernsten

Osten. Uon Martin Bowitz . » 2 2 2 2200.86 mit 11 Jllustrationen.

Kameraden. Novelle von Lulu v. Strauss und Torney . 108 Aus dem Thyratal. Eine Barzwanderung von Ch. Seel- ae A A A ENGE ee MA mit 8 Jllustrationen. Ihr Erstes. Skizze aus dem Frauenleben. Uon Else Krafft 161 Wie man sein Geld verwahrt. Ein Blick in die Schatz, -kammern der Neuzeit. Uon Berm. Giersberg . . . 172 Mit 18 Jllustrationen.

Beim neuen Papst. Römische Skizze von Woldemar Urban 195 mit 3 Jllustrationen.

Seite

Mannisfaltiges: Ein Augenblick, gelebt im Paradiese `... 208 Neue Erfindungen: I. Ein praktischer Gläserträger `, e, HO Mit 2 Jllustrationen. IT. Gabel mit beweglichen Zinken . . . 210

mit 2 Jllustrationen, KEINEN ae an e a ee SE

6

Inhalts⸗Verzeichnis.

Derek DD DD

Ameisenbegräbnisse

Kinderstubenidyll bei den Kwakiutlindianern mit Jllustration.

Das Tahrgeld nach Brighton . Der Haarkauf .

Goldene Hochzeitsfeiern

Uom Meerschaum

Verfehltes Inkognito

Ein Romanschluss, der ein menedhenleben

Die Anfänge von Monte Care . Der Photographieappärat ‘im Spazierstock Mit 2 Jllustrationen. Musikalische‘ Spitzbuben . Ein kurioses Wandgemälde . Gänsekämpfe .

Gemürtvolle Teilnahme .

Das Telephon im Dienste der Ferdi: Das öffnende Dekokt R

Wo man Langeweile kennen lernt.

Ein Ball der Hunde

Die enttäuschte Kleine .

Seite 212

214

215 217 218 220 222 223 223 230

231 233 234 236 237 239 239 240 240

4

Schiffbruch. d e Roman von Benriette v. Meerbeimb.-

OG

(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)

urch die Ausrufe der Bewunderung fühlte ſich Aſta beftig erregt. (Gë Tom ihr fo vor, al3 ob die Menfchen ihr aufmerkfam ins Geficht jtarrten. Sollten fie in ihr das tiginal des bemunderten Bildes erkennen? Wenn ſie nur fort könnte! ber eng eingeleilt ftand fie zwischen dem fie umdräangenden Bublifum.

Mengersty bahnte fich einen Weg durch die Menfchen- mafjen und zog ihren Arm durch feinen. „Was habe ich prophezeit? Großartiger Erfolg!’ |

Man drehte fich nach dem Baar um.

„Das war Hein

„Wo?“ |

„Die blonde Dame in dem grauen Zudtteb mit dem großen Federhut.” Ä

„Iſt fie wirklich fo hübſch wie das Bild; gr

„Mindeſtens.“

„Haben Sie das gehört?“ Mengerskys Augen ſahen in Aſtas roſig glühendes Geſicht. „Kom—

8 Schiffbruch.

men Sie mit fort, wenn Sie Aufſehen vermeiden wollen. Ich habe das Bedürfnis nach friſcher Luft. Wir bum— meln die Linden herunter dem Tiergarten zu.“

Sie gingen durch das Brandenburger Tor. Die Sonne lag voll auf den ſchlanken joniſchen Säulen. Die Schutzleute dirigierten mit majeſtätiſchen Hand— bewegungen die Fuhrwerke und Fußgänger, die über den Platz haſteten.

„Jetzt iſt Berlin ſchön, im Sommer iſt's ſchrecklich!“ ſagte Aſta. „Sind Sie gern hier, Herr Mengersky?“

„Ich? Augenblicklich ja. Im ganzen iſt Berlin aber keine Stadt für Künſtler. Der Militarismus, der Handel dominieren zu ſehr. Im Frühling gehen wir nah München. Da ſollen Sie einmal Künſtlerfreiheit fennen lernen.”

„Wir?“

„Ja Sie, ich und Fräulein Paulſen. Sie werden ſehen, wie dieſe Zuſammenſtellung das Berliner Son, zertpublikum begeiſtert. Das muß in München wieder— holt werden. Übrigens morgen früh gehen Sie gleich zum Photographen zu Bieber in der Leipzigerftraße und laffen ſich in diefem Koſtüm photographieren. Darunter wird gefcehrieben: Driginal des Gemäldes von Bengal „Ein Veilchen auf der Wieje Tonn Die Veilchenidee muß für unſere Zwede gründlich aus: gefchlachtet werden. Ich fage Ihnen, wenn Sie da3 erste Mal in Ihrem weißen Kleide das Lied fingen, raft das Publikum.”

„Mir kommt das alles etwas marktfchreierifch vor.”

„Iſt es auch. Aber was tun? Die Welt mill nicht nach verborgenen Talenten fuchen. Die vor: bandenen müſſen jelbft nachbrüdlich auf fich aufmerk— Tom machen. Später, wenn Sie erft enen Namen haben, ift daS alles überflüffig.”

Roman von Henriette vo. Meerheimb,. 9 IE ED D ED re Dre Deere

„Es iſt nicht leicht, Künftlerin fein!” fagte Alta ſeufzend.

Mengersky hätte am liebſten laut aufgelacht. Was ahnte dies Kind von den Kämpfen einer ringenden Künſtlerſeele, was wußte ſie von einer in Entbehrungen verbrachten Jugend! Wie er ſtundenlang in der kalten Dachkammer übte, bis die Finger ſo ſteif waren, daß ſie den Bogen nicht mehr führen konnten! Was ahnte fie von den bitteren Seelenqualen, wenn andere un: bedeutende Talente an die Öffentlichkeit gezogen, mit Lob überfchüttet wurden, und ihn nur laumarme Kritiken flüchtig erwähnten, das Publikum ftumm und fühl in feinen Konzerten blieb, in denen er fein höchftes Sünnen, fein tiefites Empfinden vor den tauben Ohren ftumpf- finniger Hörer preisgeben mußte, bis c3 ihm durch die Aufopferung einer ihm nabeftehenden Perſon gelang, Geld ‚ausftreuen zu Fönnen, Geld für Reklame, Geld für Reifen und elegantes Auftreten!

„Ich Toll aljo wirklich mit "oben nad) München gehen?” unterbrach Aftas Frage feine Gedanken.

„ya, das Toilen Sie!" Er nahm feinen weichen Filzhut ab. Der Wind Trei durch fein lockiges, dunk— les Haar. „Wenn der Frühling auf die Berge fteigt, dann mollen wir om Starnberger Ge jodeln, in der fleinen Künftlerfneipe „Badhähnerl” und „Rahm: ſtrudel“ elen. Wollen ©’ mithalten mas?"

„Wenn ich dürfte!”

„Wer hat denn etwas dagegen zu reden?”

„Meine Gefchmifter und —“

Aſta ftocte.

„Und?“ fragte Mengersky geſpannt.

Sie wandte den Kopf befangen zur Seite. „Und mein Bräutigam.“

Mengersky drückte ſich den Hut tief in die Stirn.

10 Echiffbruch. Eeer, E Ee DD ED EDDIE Blo einen Bräutigam bot das kleine Veilchen ſchon? Wo weilt denn der Herr?“

„Er iſt Marineoffizier und macht eine: met See |

Mengersty lachte plößlich jo ZE daß bie Borüibergehenden: fich. verwundert nach ihm umfahen: „Marineoffizier und ſchwimmt auf dem ‚Stillen Ozean, : während Sie in Berlin Konzerte geben! Bes neidensmwerte Seelenruhe! Laſſen Sie den Herrn Bräu- tigam nur ruhig EE Ka Liebe jcheint etwas wäfferig zu fein.” ey

„Herr Mengersty!” `, `

"og gefällig?” sët

Sein liſtiger Geſichtsausdruck brachte je zum m Sachen Sie konnte ihm nicht böfe fein.

„Ss UUS recht. Lachen Sie, das ſteht Ihnen rei⸗ ven. Sie find zur Lebensfreude gefchaffen.” .

Er ergriff ihre Hand und drüdte fie heftig. ` „Sie follen nur die beitere Seite unferes Lebens mit og nießen: den Beifall und den Erfolg. Wenn: Sie fich mir anvertrauen, werde ich den Ernſt, die Schwermut für mich behalten. Muſik iſt die Wurzel aller Künfte, fie fchließt ein unbefanntes Reich auf, das nichts ge- mein hat mit der äußeren Sinnenwelt. In dem Reich tebe ich, und Sie jollen auch hineinfehen. Mich Hat meine Kunſt 'entjchädigt für Hunger und Armut, Mip- achtung, häufiges Mißverftehen Tpäter übertriebenes Lob.”

Mengerstys Augen nahmen einen ernten, af düfteren Ausdrud an. Er behielt, in feine Gedanten vertieft, immer noch Aſtas Hand in Ns Gie Ton: den am Hand: des ‚Neuen Sees“. In dem matt ge färbten Waſſer jpiegelten "ei die umftehenden Bäume ganz Klar.

Roman von Henriette v. Meerheimb. 11

xD Da u

„Wünſchen Sie néi :Erfolge?* Mengerskys Tat, zinierende Augen. hielten Aſtas Blide wie gefangen:felt. „Dann. lafjen Sie fich dieſe Gelegenheit nicht entgehen. Man muß wifjen, was man will. : Möchten Sie Ihren Marineoffizier heiraten, jo Jagen Sie es öffen. ` Dann braucht der Münchner Plan nicht ausgeführt zu SE e

„sh will mit nach München reiſen“

Aſtas Antwort Hang fehr Tee Gedantenvall ſah ſie aufs Waſſer. Die ſtille graue Fläche erinnerte ſie an den Kieler Hafen. Ein hineingeworfener Stein zog langſam immer weitere Kreiſie.

„Sie haben gut gewählt!“ Mengerstys Stimme durchaitterte mühfam verhaltener Triumph: „Ich würde an Ihrer Stelle Ihre Angehörigen mit. der Tatjache überkafchen, nicht lange. vorher darüber jchreiben. und von München aus dem Bräutigam den Abfchied erteilen.”

„Briefe erreichen ihn in der nächiten Beit en nicht.”

„Deito heiter. Wenn er im St Teinen Brief, fondern nur Zeitungen mit glänzenden Kritifen ` über ehre Konzerte findet, wird er wohl SE E das bedeutet.”

„Das glaube ich auch.” | | `

„sh biete mich Ihnen ala naar an. Alles Geſchäftliche, alle Arrangements übernehme ich. Sie ſollen nur die goldenen Früchte miternten. Ich dächte, der Vorſchlag ließe ſich hören.“

„Sie ſind ſehr gut zu mir!“ Aſta ſah ſo kindlich dankbar zu Mengersky auf, daß es ihn rührte und ein wenig beſchämte. Er gab ihre Hand frei und trat tief aufatmend einen Schritt von ihr zurück.

Sie fuhr fort: „Oder halten Sie mein Talent für ſo groß, daß Sie nur um der Kunſt willen mir helfen wollen?“

12 Schiffbruch. EDDIE DD DD >

Er verbiß wieder ein Lächeln. „Die Antwort out ` diefe Frage gebe ich fpäter einmal. Wann? Vielleicht jehr bald in München. Sch will mich aber nicht beffer machen, wie ich bin. Ganz objektiv, nur um der Kunſt zu dienen, handle ich nicht. Was ift das überhaupt für ein Blödfinn mit der geforderten „Objektivität“ des Künftlers. Ich ich will leben, leiden, ge: nießen ein volles Leben, großes Leiden, Kampf, Dual und Sieg daraus wird der Künſtler der ſub— jeftive Künftler, der feine Wonne, fein Leid euch vor: jauchzen, vorweinen fol. Geht mir doch mit eurer pappledernen „Objektivität“ !”

„Sie jprechen wie Marka. Pie fagte mir auch, Durch Leiden erft veifte man zur Künftlerin.“

„Marta Baulfen!” Mengersfy z0g die Schultern hoch. „a, fie ift eine große Künftlerin, weil fie ganz Weib ut. eben Tag würfe fie ihre Kunſt bin für ihre Liebe.“

„Das finden Sie recht?”

„Recht recht? Beim Künftler fragt man nicht nach Recht und Unrecht. Uns gelten andere Gefeße. Markas Denkungsart ift erhaben.“

„Mir reien Sie doc, meine Liebe der Kunft zu opfern.”

„Niemals. Nur Ihren Berlobten follen Sie out: geben. Herz und Kunft geraten bei Ihnen nicht in Miderjpruch.”

„Hier biegt mein Weg ab,” ſagte Aſta gepreßt.

Sie wußte jelber faum, was fie an Mengerstys Morten jo aufregte. Ein tiefer, heißer Unterjtron ſchien durch all jeine Reden zu gehen und ihnen einen verborgenen Sinn unterzulegen.

„ch bringe Sie nach Haufe,” antwortete er fur,

Bon gleichgültigen Dingen plaudernd , jehritt er

Da en? uU 7 mr

d Roman von Henriette v. Meerheimb,. 13

DEI Dre DnmeD ne Dn Dee Dee Dre Der Dre De Dre Dre re DreD neben ihr her. Erjt vor der Tür ihres Zimmers ver: abfchiedete er fi). Er nahm ihre Hand, ftreifte fchnell den Handſchuh ab mit feinen frauenhaft gefchidten Künftlerfingern und drückte feine Lippen auf ihr zartes Gelenf, dann auf jeden einzelnen Finger. „Auf Wiederfehen, Alta liebe, fchöne, Kleine Aſta!“

Fräulein Ries ſteckte in dieſem Augenblick ihren Kopf zur Zimmertür heraus.

Aſta machte ihre Hand von Mengerstky frei.

Wie gejagt lief fie in ihre Stube, warf Déi vor dem Bett auf die Kniee und brüdie das heiße Geficht in beide Hände.

Siebentes Kapitel.

„Sind Sie jehr aufgeregt?” Fräulein Nies ftreifte Aſta das weiße Seidentlleid über. Sie erbot fich, bei der Toilette zu helfen, natürlich nur, um „Gefühls— jtudien an einer angehenden Künjtlerin” zu machen, wie Ajta Déi ausdrücdte.. Auf Bett und Stühlen lag der ganze Zoilettenapparat herum.

Das alte Fräulein mufterte mit geheimer Empörung die eleganten Sachen: reich gejtidte Wäfche, feidene Unterröde, jeidene Strümpfe, lange Handjchuhe, Tafchen- tuch mit echten Brüffeler Spigen, Fächer, weißes Plüfch- cape mit dunflem Pelzbeſatz.

„Man muß wirklich hoffen, daß das Konzert out befucht fein wird. Wie wollen Sie ſonſt diefen Toi- lettenaufwand beftreiten, liebes Fräulein v. Hollen?“

Alta machte ſich ungeduldig von den an ihr herum: zupfenden Händen der alten Jungfer frei. „Natürlid) bin ich aufgeregt!” ſagte fie mit nervöſem Lachen. „Fühlen Sie meine Finger. Eiskalt nicht wahr?

14 Schiffbruch.

DDr DDr Ee ED ED DD ED ED EDDIE DD DD Dor meinew: Augen: tanzen lauter pe, vote Sonnen. Und- ment Sie mich? fragen, was für ei Lied ich fingen toll; ich weiß. es we nicht ne Die. Worte noch die Melodie. . ri, dE

Marka klopfte an bie Tür. EI? Sie fertig? Wir muͤſſen fahren!"

Gig trat ein und Streichelte Aſtas heißes Geſicht. „Lampenfieber, Kleine? Nur ruhig Blut! Sehen Sie über all die Köpfe hinweg, und ſingen Sie Ihr Lied⸗ chen, wie wenn Sie ganz allein wären.”

„Wenn das nur fo ginge! Ich babe Angit, ſolche ſchreckliche Angſt. Ich bringe gewiß keinen Ton her— aus.“

„Dann bieten Sie wenigſtens den Sen einen angenehmen Anblid. Mengersky und ich forgen für den Ohrenſchmaus. Wegmwerfen tut das Bublifum fein Geld alfo nicht,“ meinte Marla troden. „Als ich mein erites Konzert in Moskau gab das ift lange ber:

O ſchöne Zeit o ſel'ge Zeit, Wie liegſt du fern, wie liegſt du weit!

Nehmen Sie Ihre Notenrolle mit, Aſta!“

„Mengersky will, daß ich auswendig ſinge.“

„Natürlich, aber Sie müſſen ſie bei ſich haben. Das Gedächtnis könnte Sie im Stich laſſen.“

„Ich halte Ihnen den Daumen,“ verſprach Fräu— lein Ries.

„Dann kann uns ja nichts paffieren. " Marla widelte Ajta in ihr Cape. „Je länger wir bier herum: trödeln, um fo ſchlimmer wird Ihre Angft.” ... |

Während der Fahrt ſprach nur Marla. Aſta ont: wortete feirte Silbe. Sie fürcdhtete, in Tränen oder in ein Frampfhaftes Lachen ausbrechen zu müſſen, wenn fie ein Wort eriwiderte.

11m

Roman von Henriette v. Meerheimb. 15

Das Publikum ftrömte ‚von allen en au Fuß und zu Wagen der Philharmonie zu. Ss EE A St großen Säite sage der Zettel über der Solle

„Das ift immer jo, wenn Mengerety ſpielt⸗ Marla. Sie führte Alta durch einen befonderen Ein» gang: in das. Zimmer der Künftler. .

Herr Rofengart vefelte dort bereit. au dem Sofa herum. `

Mengersky jprach mit aiavierbegleiter in einer Ecke.

Als die Damen eintraten, ging er ihnen Roſengart überreichte Marka feierlich ein wundervolles Roſenbukett.

Mengersky hielt Aſta einen Veilchenſtrauß hin. Sie ftotterte mühfam ihren Dank. |

Er ſah fie prüfend an. „Was ift denn das? Das fieht ja beinahe jo aus, ala. ob Sie Angjt hätten? Das mär noch ſchöner! Herr Roſengart denkt an alles er hat uns eine Flaſche u bereit geſtellt.“

„Auf Ihren ausdrücklichen Wunſch, Herr Mengerskh,“ fiel Roſengart ein. |

„Da trinken wir fchnell einen Schlud.”

Mengersty ging zu dem Champagnerfühler und goß die bereitftehenden Gläſer voll. „Angſt! Wenn ich Gie begleite da3 ift eine perfönliche Beleidigung.“

Er bielt Afta das Glas hin. Gie trank e3 burftig aus. Ihr Hals mar troden. Die Farbe Lam in ihr Geficht zurüd.

Dom Ronzertfaal ber tönte das gedämpfte Sprechen der Menfchen wie das Summen eines großen Bienen- fhwarmes. Stühle Happten unaufhörlid. Die Blätter der Programme kniſterten. Die Damenkleider raufchten.

16 Schiffbruch. Eeer Ee ee ME ee Mee Ee 3

Rofengart zog feine Uhr heraus. „SFränlein Baulfen darf ich bitten?”

Afta ſah mit entjegten, mitleidigen Augen auf Marka. Wie war e3 nur möglich, daß diefe fo gelaffen out Honn und mit der Miene völliger Gleichgültigkeit in den Saal ging?

Bon Markas Spiel hörte Afta nicht viel ein Gemwirr von Tönen nur an dem lauten Klatjchen merkte fie, wenn ein Stüd zu Ende war. Nach dem Adagio aus Beethovens neunter Sinfonie trat minuten lang tiefe Stille ein.

Dies Adagio ift nicht wie von einem fterblichen Menfchen erfonnen e3 ift der Traum eines ver: Härten feligen Geijtes, ber fich halb Lächelnd, halb mweinend feines Erdenleben3 erinnert.

Doppelt laut und jtürmijch feste endlich der Beifall wieder ein.

Mengersty ftand auf und bot Aſta den Arm. „Kommen Sie!” jagte er ruhig.

Gie erſchrak. „Jetzt ſchon? Ich Dachte, ich finge erjt nach Ihnen.“

„Nein. Es iſt beſſer fo.”

Am liebſten hätte ſie ſich an den Tiſch, an dem ſie lehnte, feſtgeklammert, aber ſie ſchämte ſich.

Als fie den Saal betrat, wurde lebhaft geklatſcht. Das galt natürlich nur Mengersky, dem beliebten Künftler. Mechanifch und ohne zu wiljen, was fie tat, verbeugte He fich leicht.

Mengersty jeste fi) an den Flügel. Wie faft alle Violinvirtuofen war er auch ein fertiger Klavierjpieler.

Er begann ein kurzes Borjpiel und ging dann in die veizende Melodie des jo entzücend komponierten Goetheliedes über: „Ein Veilchen auf der Wieje Toun

Das Publikum tuſchelte. Operngläjer, Lorgnetten,

Roman von Henriette v. Meerheimb. 17 a m U m] U m um) U m U m) TUI II oe] KRneifer richteten fich auf Afta. Das war ja das Dri- ginal des neuen Bildes von Bengal.

„Süß berzig bildhübſch nein, zu reizend!”

Ein Zeichen von Mengersty bedeutete Ajta, on: zufangen.

Gie fette ein. Ihre Stimme zitterte bei den erjten Strophen merklich. Sie fang das Lied befangen, nicht halb fo nedifch Lieblich wie fonft, aber trogdem ent: zückte es die Zuhörer.

Man applaudierte, rief da capo, immer lauter und jtürmifcher fordernd. Wlan jubelte der Jugend, Der Schönheit, dem reigenden Gefamteindrud Beifall. Wirk: lih, „es war ein herzig's Veilchen”, das da vor ihnen ſtand.

Mengersky begann ſein Spiel von vorn. Jetzt ſang Aſta weit beſſer. Der Beifall belebte ſie. |

Das Publikum vote der Jubel wollte fein Ende nehmen. Auch die folgenden Gejänge, heitere Liebes- und Frühlingslieder, mußten wiederholt werden. Zum Schluß wurde „das Veilchen“ To ftürmifch wieder ver- langt, daß Alta es wirklich zum dritten Male vortrug.

Glühend heiß vor Geligfeit warf fie fich dann im Nebenzimmer Marla in die Arme, ja felbft Herrn Rofengart, der felbftgefällig ſchmunzelnd daneben jtand, hätte fie am liebjten umarmt.

„Sratuliere, mein Fräulein gratuliere. Geniale Idee mit dem Beilchenlied koloſſaler Erfolg! Machen wir demnächſt noch einmal.”

Alta konnte nicht antworten. Nebenan ſchwieg alles.

SFeierliche Stille breitete fich aus.

Aſta vergaß ihre ausgeftandene Angit, ihr Ent:

züden über den Triumph ... da fang fie wieder die Zaubergeige des Meijters. Goldene Fäden ſpann die Violine, Zauberfäden danı ein Klingen der

1904. VI. 2

18 Schiffbruch.

ee ME ME EC Me EDDIE DD DD DDr Dre DD Saiten mie ein le&tes fpöttifch-füßes Kichern. Mengersky ließ den Bogen finten. Er verbeugte fich faum zum Dank, wiederholte auch niemals ein Stück und mochte der Beifall noch fo laut toben.

Afta traten Tränen in die Augen. Jetzt fchluchzte auch die Geige wieder in einem fcehmermütigen Adagio, um gleich darauf einen Funkenregen kühnſter Paſſagen den Zuhörern hinzufchleudern.

Mengersky trat in das Künftlerzimmer, ließ das Publikum draußen De müde klatſchen, legte feine Geige in den Raften und Zlopfte jeinem jungen Begleiter freundlich auf die Schulter. „Sie haben wieder ge: jpielt wie ein Erzengel, mein Hanfel! Adieu, Herr Rofengart, ruhen Sie auf Ihren Lorbeeren! Wir haben alle vier unjere Sache ganz brav gemacht, was? Jetzt auf zu Bengals, meine Damen! PBrofeljor Bengal hat das um uns verdient. Drei Paar Hand- Schuhe zerklatfchte er ficher beim Beilchenlied.”

„Ich bin eigentlich jehr müde,’ meinte Marla zögernd.

„Müde? Angegriffen? Sie Arme! Dann fahre ich mit Fräulein v. Hollen allein zu Bengald. Ganz enttäuschen dürfen wir die nicht.”

Ehe Marla Zeit zur Antwort finden konnte, legte Mengersty Alta ihr Cape um. Er fchlug den Pelz— fragen hoch. Das blonde Köpfchen hob jich reizend von der dunklen Umrahmung ab.

Er ang fie haſtig durch das die Garderoben um: drangende Publikum. Der Hausdiener pfiff. Eine Droſchke fuhr vor. Mengersky hob Afta in den Wagen.

Stumm ſaß er neben ihr. Der durch die Gla3- jcheiben hereinfallende Laternenſchein beleuchtete hell ihr zartes Profil.

Roman von Henriette v. Meerheimb. 19

DIDI DIE DD DD ED DDr Dr ED Dre DDr

„Alta!“ Tagte er endlich leife und mit von Leiden: ſchaft erſtickter Stimme.

Sie wandte ſich lächelnd zu ihm. „Habe ich mt, lich gut gejungen?”

Er nidte nur.

„Wie dankbar ich Ihnen bin! Wenn ich das je vergelten könnte!“

Ein leifes Schluchgen zitterte in der holden Stimme.

„Da3 können Sie!" Er faßte ihre Hand. „Lieben Sie mich ein wenig. Weiter will ich feinen Pant.“

Sie fchloß die Augen. Willenlos überließ He ihm ihre Hand, auf die er heiße Solle drüdte.

In dem Tormweg der Bengalfchen Villa gab Mengersty fie frei. Aſta ftrich fich das verwirrte Haar glatt.

„Berzeihen Sie mir, daß ich mich binreißen ließ,” bat er traurig.

Seine Stimmung jcehlug oft blißfchnell von der aus— gelafjensten Luftigkeit zur düfterften Schwermut um.

Aſta kannte diefe Schwankungen fehon. Mit einem Lächeln ſah fie in fein verdüftertes Geficht. „Ach habe nichts zu verzeihen.”

„ziebiter Engel! Bleiben Sie mir gut. Gie follen über feine Formverlegung mehr zu Klagen haben. Vertrauen Sie mir! Sie fchenten Ihr Vertrauen feinem Unmürdigen, nur einem Unglüdlichen glauben Gie e3 mir!”

„Unglüdlih? Ste, Herr Mengersky! Ach, wenn ich To fingen könnte, wie Sie jpielen, ich wäre der glüds lichite Menfch von der Welt.”

Er Sehüttelte müde den Kopf. „Wenn Marla Ihnen etwa von mir von meinem Leben erzählen will, hören Sie nicht auf fie,” bat er plößlih. „Sch allein will Sie einmal in dies Gewirr von Torheit, Schuld, Unglüd und Schmerz bineinfehen laffen.”

20 Schiffbruch. III DD DD RD ELF MD EDDIE ED DEI ED

„sch werde niemand anhören. Nur was Gie mir felbft fagen wollen, will ich miljen.“

Er legte ihre kleine Hand an feine heiße Stirn. Sie fühlte das Boden feiner Adern in jeder Finger: ſpitze.

Beide überraſchte jetzt das Anhalten der Droſchke vor dem Portal der Villa. Der Lichterglanz blendete ihre an das Dämmerlicht gewöhnten Augen.

Als Mengersky und Aſta den Salon betraten, waren die übrigen Gäſte bereits verſammelt. Ein lautes „Bravo“ empfing ſie.

„Wo iſt denn Fräulein Paulſen? Kommt ſie nicht auch?“ fragte Frau Bengal.

„Sie war zu abgeſpannt,“ antwortete Mengersky.

Frau Bengal faßte Aſta neckiſch unters Kinn. „Wohl etwas eiferſüchtig auf unſer neues Sternchen?“

Mengersky zuckte die Achſeln. „Künſtlergrillen!“

„Marka bekam heute früh eine Nachricht, die ſie erſchütterte,“ entſann ſich Aſta plötzlich. Den Vorwurf der Eiferſucht konnte ſie nicht auf Marka ſitzen laſſen, ſo unbegründet derſelbe auch ſein mochte. „Sie ſagte mir nicht, was es ſei, und mich beſchäftigte das Kon⸗ zert zu ſehr, als daß ich weiter darüber nachgedacht hätte. Erſt jetzt fällt es mir wieder ein.“

Profeſſor Bengal reichte Aſta den Arm. Mengersky mußte die Hausfrau führen. Die Paare ſaßen ſich gegenüber an dem großen runden Tiſch im Speiſeſaal. Die Tafel war entzückend dekoriert mit flachen goldenen Schalen in verſchiedenen Formen alle bis zum Rand mit Veilchen gefüllt. Die dunklen, anſpruchsloſen Blumen wirkten wundervoll auf dem goldig ſchimmern— den Grunde.

„Nächſtens haben wir wohl genug von den Veilchen,“ flüſterte van Tielen der neben ihm ſitzenden Dame,

Roman von Henriette v. Meerheimb. 21 DD RD ADD AD re DDr DD DD De einer jungen Schaufpielerin, zu. „Bas wird ja Die reine Beilchenmanie bier 3

„Das Fräulein feheint fich zur Spezialität ausbilden zu wollen,” entgegnete die Dame. Neidifch fah fie Aſta an, der all diefe Huldigungen galten. „Sie follte lieber im Bariets auftreten. In die Philharmonie gehört fie nicht mit ihrer feinen Stimme und dem großen Reklame: und Toilettenapparat.”

Alta hörte nichts von den leifen, boshaften Reden. Um fie herum fehmirrte nur lauter Mob und Bewunde— rung. Profeſſor Bengal war ganz außer ſich vor Ent» züden, Mengerskys Blicke fprachen deutlich) genug. Auch die übrigen Säfte ftimmten begeiftert in das „Hoch“ ein, das der Gaſtgeber auf die „neue hoffnungs— volle Sfüngerin der Kunſt“ ausbrachte. Jeder bat um ein Billett zum nächſten Konzert, beftellte fich ein Lieb- lingslied.

Der Champagner ſchäumte in den Gläfern. Vom Wintergarten ber tönten weich gedämpfte Walzerklänge einer verftedt binter den Kamelienbäumen ſitzenden Muſikkapelle.

Der Duft der Blumen, der Geruch der Speiſen, des Weins, alles das lag ſchwül und ſchwer in der Luft.

Aſtas Kopf wirbelte. Sie war froh, als ſie nach— her im Wintergarten ein kühles, verſtecktes Plätzchen fand.

Mengersky ſetzte ſich zu ihr. Er ſprach nicht viel, aber jedes Wort klang ſchmeichelnd wie eine Liebkoſung, jeder Blick bedeutete eine Liebeserklärung.

Aſta ſchloß die Augen. Sie hätte ewig hier ſitzen bleiben mögen, eingewiegt vom Duft der Blumen, den ſanften Klängen des ſchwermütigen Walzers.

Als ſie doch endlich aufbrechen mußte, gab ihr Frau

22 Schiffbruch.

Ee BECH ee Ae Ce MECH Ee DDr DD Bengal den Diener zur Begleitung mit, denn allein dürfe ein junges Mädchen nicht fo fpät in der Nacht nach Haufe fahren.

Mengersty beftätigte das. Er blieb noch auf Frau Bengals Bitten und 309 Déi nebit einigen anderen intimen Hausfreunden in des Profeſſors „Allerheilig- ſtes“, eine altdeutfch eingerichtete Weinftube, die nur durch einen alten, Toftbaren Gobelin vom Xtelier ge- trennt war, zurüd. Hier kamen dem Profeſſor feine genialften Ideen, wie er fich ausdrüdte. ...

Alta Hufchte möglichit leife über den Korridor der Penfion. Alle jchliefen gewiß längſt. Sie ſchrak zu- ſammen, als fie beim Betreten ihres Zimmers in dem unficheren Schein ihres matt brennenden Lämpchens eine dunkle Gejtalt regungslos an ihrem Bett fiten ſah. Sie ftieß einen leifen Schredengfchrei aus.

„Ich bin es, Alta.” Marla richtete Déi aus ihrer zufammengefuntenen Stellung auf. „Ich habe auf Sie gewartet. Ich wollte noch mit Ihnen fprechen.“

Alta gähnte gezwungen. „Ich bin fehr müde.“

„Was ich zu fagen habe, ift kurz. Hoffentlich kommt es nicht ſchon zu ſpät.“

Afta warf ihr Cape auf den nächſten Stuhl. Sie fniete neben Marka nieder und faßte ihre Hände. In dem blafjen Mondlicht, das durch die unverſchloſſenen Fenfter drang, ſah Markas Geficht jeltjam alt und ver: fallen aus.

„ta, Rind Sie find fehr jung und unerfahren. Mengersfy Huldigt Ahnen. Nehmen Sie das nicht ernft. Ein Künftler ift Leicht entzüdt. Seine Bewunde— rung bat gleich etwas Maßloſes.“

„Mengersky bemundert mich nicht maßlos. Ich nehme ihn auch nicht ernst, jondern jehr heiter.“

„Alta, fpielen Sie mir feine Komödie vor!”

Roman von Henriette v. Meerheimb. 3 ADDED ED ED DDr DIDI DDr rede DD

„Weshalb jollte ich das tun?“

„Sie meinen, ich babe fein Recht, mich in Ihre Angelegenheiten zu mifchen? Nein, ein juriftifches Recht babe ich jicher nicht, nur das Recht der Freundjchaft und aud) eine gewiſſe Verantwortung, weil ich Sie bei Bengal3 einführte, Sie mit Mengersky betont machte.”

„Wir wollen nicht mehr von ihm fprechen.”

„Wenn Sie mir verfichern Tonnen, daß er Ihnen gleichgültig ift dann fage ich nichts mehr.“

„Bleihgültig! Nein. Wie Toun mir fold) großer Künftler wohl gleichgültig fein?” |

„But, verehren bewundern Sie ihn als Künit- lex, jo viel Sie wollen daS tue ich auch. Den Menfchen aber laſſen Sie nicht in Ihr Schickſal en: greifen Sie würden es bitter bereuen.”

„Warum?“

„Weil Ihnen Mengersky nie mehr fein Tonn, mehr fein darf als der Künftler, zu deſſen Genie Sie out, leben und —”

„Ich will nichts mehr hören, wenigſtens nichts Nachteiliges über Mengersty.” Aſta hielt fich Die Ohren zu. „Er wird mir felber jagen, was ich wiſſen muß. Ich mag nicht durd) dritte unterrichtet werden.”

„Wie Sie wollen. ch bin II Aber merlen Gie ſich, daß zwiſchen Ihnen und Mengersky ein Hinder: nis ſteht, das ſich niemals aus dem Wege räumen läßt.“

Aſta glaubte, dieſe Worte ſeien eine Anſpielung auf ihren Bräutigam. „ya, ja ich weiß!” ſie ſeufzte. „Marla, Sie fehen jehr blaß aus! Sind Sie Frank?” lentte fie ab.

„Rein aber ich hörte heute früh, daß Profefjor Neen feine Frau verloren hat. Das erregte mich wohl

24 Schiffbruch.

ADD DD ED DD DDr DD DD DD ed etwas. Er ut fehr allein jeßt mit feinem kleinen Rinde. Er war immer fo hilflos in allen äußeren Dingen.“

Afta legte den Arm um Marfas Schultern und fah ihr tief in die Augen. „Marka, wenn Dbnen die Liebe mehr ift wie Ihre Kunſt dann können Cie ihm ja Delen

Marla machte fich fanft von dem umfchlingenden Arm frei. „Wir haben feit vielen Jahren nie mehr perjönlich etwa voneinander gehört,” ſagte fie ernit. „Ich werde mich ihm nicht anbieten ... und er, er wird es nicht wagen, mir zuzumuten, meine Runjt auf: zugeben, um ihm in aller Stille zu dienen.“

„Freilich, das kann er nicht verlangen. Das würden Sie wohl auch nie tun.“

Marla antwortete nicht. Sie jah ftill in die blafje Mondjcheibe am Himmel. Ein fehmerzlicher Zug lag um ihren Mund.

Ohne zu antworten, ging fie dann mit einem ftummen Kopfnicken hinaus.

„Berlin, 10. März. Liebe Ellen!

Eure Rlagen über meine fpärlichen Briefe mehren ih. Wenn nur meine Zeit mit diefen Vorwürfen wüchfe! Wer bat in Berlin überhaupt jemals Zeit! Alles jagt und hetzt ſich ab. Aber es ut doch wunder- vol bier. Der Winter war zu himmlifch! Die Morgen: ſtunden übe ich fleißig. Den Unterricht im Konſer— vatorium gab ih auf. Was foll mir Generalbaß nügen? Komponieren werde ich niemals. ` rt verlor nur meine fojtbare Zeit damit. Fräulein Behr, die berühmte Konzertfängerin, ftudiert mir jeßt meine Lieder vor den Konzerten ein. Dadurch Tomme ich viel fchneller vorwärts als bei Profeffor Runzes ewigen Übungen.

Roman von Henriette o. Meerheintk. 25 DImDr DDr DD ED DEI ee De Dre DD ed red DDr ch lege zwei Kritiken über mein lebtes Konzert bei. Was fagt hr zu dem „holden Schmelz” meiner Stimme und der „reizend jugendfrifchen Erjcheinung“ der Sängerin? Es ärgert mich immer ein bißchen, wenn mein Ausfehen jo hervorgehoben wird. Ich mwünjchte, man lobte nur die Stimme. Mengersty jpielt immer in den Konzerten, bei denen ich finge. Er be- jtimmt die Wahl der Lieder fogar meine Toiletten. Neulich fang ich die „Roſenlieder“. Ich trug eine blaß- rofa Damajttoilette und wilde "Nolen im Haar und am Ausfehnitt. Ich mußte die Lieder Dreimal mieder: holen. Am anderen Morgen befam ich anonym einen wundervollen Rojenftrauß.

Mein Bild ſteht in allen Schaufenftern ber Leip— zigerftraße, daneben Mengerskys Raſſekopf, die Violine an die Wange gelehnt, und Marla Paulfen an der anderen Seite. Ihr ſeht, ich bin in guter Gefellfchaft. In diefer auserwählten Gejelljchaft werde ich in kurzer Zeit nah München gehen, um auch dort in Konzerten an fingen. Im Sonmer ziehe ich mit Marka zufammen in die Berge, um mich zu erholen.

Erjehrid nicht über diefen Plan, Ellen. Neue Geld: opfer verlange ich nicht. Ich nehme jegt ziemlich viel ein. Sreilich, mein Leben, meine Toiletten Toten enorm. Aber ich denke, das ut eine gute Kapitalanlage. Später, wenn ich erſt auf feiten Füßen jtehe, berühmt bin, brauche ich nicht mehr fo viel Wert auf mein Außeres zu legen. ch hoffe, Dir dann das Kapital zurüd- zahlen zu können; jebt freilich bin ich noch lange nicht jo met und muß noch ein Weilchen Deine Schuld: nerin bleiben.

Dir verpflichtet bin ich body, Ellen, nie Tom ich e3 Dir genug danken, daß Du das für mich getan haft. Welch ein Leben ift das jet! Meine Vormittage

26 Schiffbruch. ID EDDIE ED DD ADDED AD re EC ee er gehören der Arbeit, Abends gehe ich ins Theater, in Konzerte oder zu Bengals. Durch die fand ich viele Freunde; freilich in ganz anderen Kreiſen, wie in denen ich früher lebte. Berlin fcheint fich in unendlich viele Zirkel zu teilen, von denen feiner mit dem anderen ver: tehrt. Ich fehe nur Künſtler, Maler, Muſiker, Dichter wenige Beamte, faft nie Offiziere. Von dem Schiff3- unglüd, das Kiel bis auf den Grund aufregte, jprach bier niemand. In Berlin wird alles fchnell vergejfen. Raum ift ein Ereignis in der Preſſe befprochen, kommt jchon ein neues dran, und das erite, das fo viel Staub aufmirbelte, iſt völlig beifeite gelegt.

Fräulein Nies, nach der Du Dich erkundigſt, fißt wie angenagelt über ihrem Roman. Er wird aber immer langmeiliger und wäſſeriger. Abends lieft fie mir mond, mal daraus vor. Schredlich fade, aber fie fagt, das muß fo fein. Gott gebe, daß fie ihr Gefchreibfel an- bringt! Das arme Ding hat fo wenig Geld. Marla und ich boten ihr etwas an. Aber fie nimmt nichts fie tft zu ftolz. Manchmal tut fie mir fchredlich leid. Wenn ich zum Konzert fahre in einer hübfchen Toilette ich weiß, das Publikum wird applandieren, oft ganz maßlos applaudieren für ein kleines Lied dann (pt fie in ihrer trübfeligen, häßlichen Stube bei der Arbeit und muß alles befchreiben, was fie nie gejehen, nie ſelbſt erlebt oder empfunden bat. Natürlich wird das dürf- tig, grau und farblos wie ihr eigenes Leben oder fo unnatürlich gejcehraubt und erzwungen.

Am beiten finge ich jetzt heitere Lieder. Kennt ihr das reizende Gedicht von Nofegger: „Darf i 's Deandl lieben?” Das fang ich al3 Zugabe neulih. Den Tumult hättet Ihr hören jollen! Ich weiß, es ift Feine große Kunſt, folch Liedel zu fingen, aber es ( zu rei- zend, wenn alle jo entzücdt find. Mengersky jagt auch:

Roman von Henriette v. Meerheimb,. 27 DDr RD ee DD AD ED DD ED Dee D re Dre Dre „Singen Sie nur, was Ihnen gut liegt und dem Publi- tum gefällt für Gie ijt die heitere Seite der Kunſt und des Lebens.” Ach, er ut fo gut zu mir! Ellen, wenn Du ihn einmal fpielen hören Fönntejt fo gött: lich, überirdifch fchön! Dem Ton diefer Geige müßte ich folgen noch in meiner Zodesftunde, wenn fie mich tiefe. Sfeder Nerv, jede Fafer zudt an mir bei diefem Spiel vor Entzüden, Wonne, Verzweiflung, Schmerz. Du kannſt das nicht verjtehen, Ellen, weil Du unmufitalifch bift. Wie viel Div dadurch entgeht, ahnit Du zum Glück nit. Mir ift, als würde die ganze Welt jtumm fein, wenn ich diefe Geigenjtimme nicht mehr hören dürfte. Dir kommt das wahrfcheinlich eraltiert vor. Vielleicht hätt’ ich’3 befjer nicht gejchrie- ben, nun es aber einmal dafteht, mag’3 fo bleiben.

‘ch erzähle nur von mir und frage gar nicht nach Euch. Und doch liegt (Guer trauriges Leben mir ſchwer auf der Seele. Oft bin ich freilich zu glüdjelig, um mich davon niederdrüden zu laffen. Habt nur Geduld: es muß fich alles alles wenden!

Vielleicht Tonn ich Euch diefen Sommer noch befuchen, dann beitere ich Kurt auf und Dtto, den lieben sungen. Sch Tann ihn mir gar nicht bedrüdt und Tchweigfam vorftellen, wie Du ihn fchilderft.

Herzensjunge, mußt Du denn durchaus zur Marine gehen? Ich finde, Das it folch fchredlicher Beruf. In der Heimat Zwang, Enge, Abhängigleit. In der Weite Gefahren, Unficherheit und auch Zwang ftets die unfichtbare Kette, die Dich bindet. Ein wirklich freies, großes Leben führt nur der Künſtler. Aber ich will nichts jagen, denn

„Sn deiner Brujt ruh'n deines Schiedfal Sterne —“ denen muß man folgen, feinen anderen.

William Nornann erreichen jetzt feine Briefe. Ellen,

28 Schiffbruch. ge EDDIE DDr re Dee Dre Dre Dre DD ECH willft Du es ihm jpäter fchreiben, daß ich Erfolg babe, Künftlerin von Ruf geworden bin? Es mar eine übereilte Torheit unjere Verlobung eine ganz finn- loſe Handlung, ohne innere, zwingende Notmendigfeit... wenigſtens bei mir.

Er wird auch überwinden. Nicht wahr, Ellen, Du fagft ihm das alles je eher, je beſſer.

Geid innig umarmt von Eurer Afta.“

Achtes Kapitel.

„Wie joll das enden?” fagte Joſeph Mengersty laut vor ſich hin.

Niemand fonnte ihm Antwort geben, denn er ftand ganz allein mit feiner Bioline im Arm am offenen Fenfter jeiner Heinen Barterremohnung in der Schnorr- ſtraße in München.

Sa, wie follte es enden? Das mar fchmer zu be- antworten, für ihn felbft am ſchwerſten.

Cie famen gerade noch zu den letten Tagen des Rarnevals in München zurecht. Marla Paulſen, Aſta und er. Da murde die norddeutiche Schmwerfälligteit gründlich abgefchüttelt. Er jtürzte fich in das Karne— valstreiben, mit dem ganzen ungebändigten Übermut eines leichtlebigen Künſtlers jchmamm er in diefem Strom ſorglos ausgelafjener Fröhlichkeit. Alta riß er mit hinein, während Marta Tühl beobachtend ziemlich zurüdhaltend blieb. Mengersky und Ajta moren bald die Hauptperjonen auf all den Masten: und Koſtüm— feften. Mit feiner Geige im Arm als „Rattenfänger“ 309 er alt und jung magnetifch nach ſich. Oder er fchlug die Zither, in eine echte derbe Tiroler Loden- joppe und Wadenjtrümpfe gekleidet, bie Spielhahnfeder auf dem graugrünen Filzhut, während Afta mit lang

Roman von Henriette v. Meerheind. 29 ni DDr DD DD DD DD berabhängenden Zöpfen in etwas idealifierter Bauern: tracht Volkslieder fang.

Der Jubel wollte fein Ende nehmen alles um: drängte die beiden.

Auch ihre gemeinfamen Konzerte wurden ſtets vor ausverlauftem Haufe gegeben. München ift eben die Stadt der Mufil, der Mal: und Baukunſt. Pie Dicht: kunſt findet weniger Anklang.

In der’ Fleinen Rünftlerfneipe, in der fie täglich dinierten, bildete die „Muſik“ einen Tiſch für "di, Marka und Mengersfy murden dort ſtets mit be- fonderer Auszeichnung als große Künftler behandelt. In Alta verliebten fich alle junge und alte Kollegen. Das Mädel war auch zu reizend.

Mengersty bis die Zähne übereinander. Sa, zum Tollwerden hübſch war fie in ihrem Turzen, braunen Lodenrod, den fie jet immer trug, mit der glattweißen Hemdblufe und dem breiten Ledergürtel, einen Ma— trofenhut auf dem Lockenkopf noch taufendmal reizen: der als in den eleganten KRonzerttoiletten.

Es lag über ihrer ganzen Erjcheinung der zauberifche Duft der erjten Jugend und reinjter Unfchuld, der Mengerstys Leidenfchaft fteigerte und doch wieder in Schranken hielt. Hier in München fand niemand etwas dabei, wenn er mit dem jungen Mädchen allein Bälle und Theater befuchte, mit ihr ganze Nachmittage on Starnberger See verbrachte. und Abends bis jpät in die Nacht hinein in einem Der dielen Kleinen Biergärten figen blieb. Hier ſah man viele Pärchen, Kunſtenthu— ſiaſten beiderlei Gefchlecht3, die ſich (ber die ftrenge Etikette der Heimat Ted hinmegfeßten. Sn München fonnte man ungeniert tun, was in Berlin Anjtoß er: vegt hätte.

Ohne genau zu wiſſen, wohin fie trieben, genofjen

30 ` Schiffbruch. I Dr De DD De DDr Dre fie die himmlischen Frühlingstage in der fchönen Königs: ftadt, die Kunft und Natur gleich verſchwenderiſch aus— geitattet bot. Mengersty machte jich felten Gewiſſens— biffe und Skrupel; nur manchmal, wenn Aftas Augen mit unbedingt gläubigem Vertrauen zu ihm aufjahen, oder fie eine Außerung tat, als ſtünde es ganz feſt, daß ihrer beider Zukunft ftet3 die gleiche‘ fein müſſe, dann tauchte wie jetzt in der Einſamkeit die marternde Frage auf: „Wie foll das enden?“

Meift genoß er die fehöne Gegenwart ohne Nach: denken, küßte ihre Hände, flüfterte ihr Schmeicheleien zu. Nur die Worte: „Sei meine Fran,” die fpracdh er nicht.

MWarım? ...

Meit weg von diefer fonnigen KRünftlerftadt, in der engen, dunklen Lefchnoftraße in Warfchau, ftand ein jcehmales, graues Haus mit breitem Giebel und eng nebeneinander liegenden Fenftern. Das bewohnte eine ältliche, die, unfchöne Frau, die beftändig ihren Roſen— Franz abbetete, im Haufe herumfchlurrte, nur Sonntags ein ordentliches Kleid anzog, um in die Meſſe zu gehen eine unfaubere, häßliche Berfon.

Das war die Gattin des berühmten PViolinvirtuofen Mengersky, fehon jeit zehn jahren feine Frau. Syn feiner ärmften, elendeften Zeit hatte er in Warſchau bei ihr ein Pachftübchen bewohnt. Er konnte ihr die Miete nicht bezahlen, er hätte nicht exiftieren können, wenn fie ihm nicht umfonft das Zimmer geheizt, den Tee Morgens, Mittags die Kohlſuppe gekocht hätte. Sie drängte ihn nie, feine Schulden zu bezahlen. Sie mar froh, ihm dienen zu können. Für ihre befcheidenen - Ansprüche war fie wohlhabend. Sie borgte ihm Geld ohne zu fragen, zu feilſchen, opferte fie den größten Teil ihres Vermögens. Zum Dank heiratete er fie.

Roman von Henriette v. Meerheimb. 31 DAAD Dr Dre DDr ED Dee Dre Dr DDr Deere Eie mar jelig. Sie verlangte gar nicht danach, fein Leben zu teilen, nur für ihn zu forgen, für ihn beten wollte fie.

Er machte Kunſtreiſen, durchitreifte faft die ganze Erde fie blieb in ihrer alten, dumpfen Gaſſe wohnen, überglüdlich, wenn er fie einmal im Jahr befuchte.

Mit der Treue eines Hundes bung fie an ihm. Die Zeit feines Beſuchs war der Höhepunkt im Jahr. Die Monate vorher und nachher zählten nicht. Nur um diefe wenigen Tage drehten fich ihre Gedanfen. Wenn ihm die Nationalgerichte, die fie meifterhaft zu kochen verftand, ſchmeckten, ftrahlte ihr Geficht.

Allmählich ſöhnte er ſich mit feiner Heirat, die ihm erh unfäglich peinlich gemwejen war, aus. Es wurde ihm fchließlich zum Bedürfnis, alle Jahre ein paar Tage in der alten, winkligen Stube zu Dipen: fie er: innerte ihn an die Zeit feiner Entbehrungen. Es war ihm ein angenehmer Kitel, die früheren Drangſale mit feinem jeßigen Leben zu vergleichen. Es ſaß fich ganz behaglich auf dem alten, ſchwarzen Lederjofa, vor der dampfenden Kohlſuppe daS. glüdjelig verklärte Ge- ficht jeiner Frau ihm gegenüber. Sie fprachen nur Polniſch zufammen. Gie die einverftanden zu allen, was er ihr erzählte. Wenn er jpielte, hörte fie mit gefalteten Händen andächtig zu. Beim Abjchied mußte er ein kleines gemeihtes Heiligenbild mitnehmen, das fie bet jeiner nächften Heimfehr gegen ein anderes ver: taufchte. Das Geld, das er ihr fehickte, fparte fie ſorg— jam für ihn auf, denn fie wußte, daß er ſonſt alle feine großen Einnahmen mit vollen Händen mieber ausgab und fammelte fo in geheimen ein Kleines Vermögen. Er fragte nie nach dem Verbleib der Summen. Es war ihm eine Beruhigung, fie an feinem Geminıt teil- nehmen zu laſſen.

32 Schiffbruch. De ZU en) DD DD ADDED ED DEI

Die wenigſten Menfchen ahnten etwas von feiner Heirat, nur Marka hatte er fich einmal anvertraut.

Das war noch vor Jahren geweſen, als feine Heirat

ibm wie eine Schande, ein unerträglicher Hemnifchuh erjchien, und er fich das Wort von ihr geben ließ, nicht3 zu verraten. Jetzt, mit den fahren, dachte er anders Darüber. |

Er war an feine Frau gewöhnt wie an ein zwar ziemlich unbrauchbares, aber unveräußerliches Eigen: tum. Er hätte e3 nicht vermocht, fie von fich zu ftoßen. Sie genierte ihn ja jo wenig. Sollte er zum Dank für alle ihre Opfer, ihre anbetende Liebe fie mie einen überläftigen Dienjtboten davonjagen?

Gene ganze feinfühlige Natur jträubte fich gegen diefe undankbare, rohe Handlung. Sogar ein gewiſſer Aberglaube verband ihn mit der Leſchnogaſſe und feiner unfchönen Bemwohnerin. Er hatte das Gefühl, folange diefe treue Geele für dich betet, Tonn es dir nicht fchlecht gehen. In feine wunderliche Weltanfchauung paßte ein wenig Aberglauben ganz gut mit hinein.

Aſta ahnte nicht, daß er verheiratet war. Oft ſchwebte ihm das Geſtändnis auf den Lippen, aber er brachte e3 nie fertig, He aufzuklären.

Borläufig ſchob er die läſtige Auseinanderfegung immer weiter hinaus. Aber einmal würde fie ficher fragen und er antworten müſſen. Wie würde es dann enden?

Da war er wieder am Ausgangspunkt feiner Ge: danken angelommen und gerade fo Flug mie vorher.

Nur feiner Geige konnte er all die quälenden Ge— danken anvertrauen, fie fehluchzte, jammerte, jubelte feine unruhige Geligleit, feine bangen Zmeifel in den itrahlenden Sommertag hinaus.

Unter dem Fenſter ſtanden die Vorübergehenden ftill, um dem Spiel zu laufchen.

Roman von Henriette v. Meerheimb. 33 DD ED ED EA ED ED AD ED ED FED AED ED ED . Ein leder Jodler unterbrach feine kühnen Paſſagen.

Er ließ den Bogen finfen und ſah Hinaus. Aſta mar e3. Die Sonne lag voll auf ihrem blonden Haar, ihrer weißen Blufe. Im Gürtel hingen ein paar duntelrote Rofen.

Sie trat dicht an fein Fenfter. „Schau da jteht er noch und fpielt, und Marla und ich gehen ſchon faſt eine halbe Stunde in der Schnorrgaffe auf und ab. Aber der Herr Mengersty vergißt bei feiner Violine feine beiten Freunde und jede Verabredung.”

Mengersty legte das Inſtrument Hin und ftrecte den Kopf weit zum Fenſter heraus. „Ich komme jo- fort bitt’ taujendmal um Entjehuldigung.”

„Marta und ich haben unjere Köfferchen ſchon zur Bahn gefchict.”

„Zur Bahn?“

„Ja gewiß wir wollen doch nach Partenkirchen. Haben Sie denn alles vergeffen? Wenn mir ung nicht beeilen, kommen wir nicht mehr zurecht.“

„Machen wir! Sch werfe meine Sachen jchnell in den Rudjad.”

„Die Violine au?“

„Rein, die bleibt zu Haus. Sn fünf Minuten bin ich da.”

Mengerskys Kopf verfchwand. Syn der Tat hatte er die verabredete Partie nach Partenkirchen total oer, gellen. Aber es jchadete nichts er konnte in un: glaublich Tuer Zeit feine Sachen in den NRudfad Schnüren, und kamen fie wirklich zu dieſem Zug zu fpät, jo fuhren fie eben mit dem nächiten.

Das Glück war ihnen aber in Geftalt einer Kleinen Zugverjpätung günftig. Sie erreichten alle drei etwas erbigt und atemlos noch den Anfchluß.

„Das war a Hetz'!“ Der NRudjad flog in das Web.

1904. VI. 3

34 Schiffbruch. DIDI DD ADD Dee Dee Dee DDr

Der Zug feste fich Ton in Bewegung. Der Gepäd- träger konnte nur noch fchnell abjpringen.

Mengersky redte fih. „Ach, das wird un3 gut tun ein paar Tage lang nur Berge fteigen, Milch trinfen und jodeln. Die Alpenrojen blühen ſchon morgen pflüden mir einen großen Strauß. Aber früh aufftehen, meine Damen!”

„Das verjteht fich.” Aſtas Augen ftrahlten. „Wird das fchön werden! Jetzt kommen mir in die Berge -— Marla, freuen Sie ſich nicht auch?“

„Sa, gewiß. Aber mir ift das alles nicht fo neu wie Ihnen.“

Markas Gefichtsausdrud war in letter Zeit immer ernft, ihre Stimmung niedergedrüdt und apathijch.

„Ich möchte in einem Kleinen Bauernhaufe wohnen,“ ſchwärmte Aſta.

„Womöglich im Heuſtadel ſchlafen,“ lachte Men— gersky, „und früh ſich ſelber die Ziegenmilch direkt in den Kaffee melken, was? Es gibt Genüſſe, die ſind nur in der Phantaſie ſchön; dazu gehört das Schlafen im Hen und andere allzu ländliche Dinge. Ich ziehe wenig— tens eine gute Sprungfedermatrage bei weitem vor, vielleicht weil ich die Hälfte meines Lebens auf einem Strohſack ſchlafen mußte.“

„Auf einem Strohſack wirklich?“

„Ich war ſogar froh, wenn ich den hatte und eine Dede dazu. Durch die dünnen Mauern ſolcher Dach: fammer pfeift der Nordwind höllifch Falt. Die Wände moren oft ganz mit einer dünnen Eisjchicht bededt. Dazu ein Inurrender Magen.”

„Sie haben gehungert?” Ajta weinte faſt vor Mitleid.

Mengersky zudte die Achjeln. „Das ging nod Beſſeren mie mir ebenfo. Richard Wagner ift feiner- zeit in Paris dem Hungertode nahe geweſen. Ihn

Roman von Henriette v. Meerheimb. 35 DD Deere De Dre Dre Dre Der Dre Dre Dr Dr Dr eD rettete der ideal gejinnte König diefes Landes mich meine Bioline.”

„Und noch jemand anderes,” fiel Marla fchnell ein. Ihre Augen richteten fich ftreng auf Mengersky. „ch fürchte, Sie vergeflen das jegt manchmal.“

„Rein, das tue ich nicht,” gab Mengersky trobig zurüd. Er ftedte die Hände in die Tafchen und pfiff vor fi) bin. Dann beugte er fich zu Aſta, die entzücdt zum Senjter hinausjah.

mmer höher wuchs das Gebirge an beiden Geiten auf. Ein feiner, blauer Duft lag über der höchſten Spite des Wetterjteingebirges.

„Auf den Kramer vielleicht fogar auf die Zug: ſpitz fteigen wir. Parunter tu’ ich’3 nicht, meine Damen, meinte Mengersty. „Übrigens weiß ich ein Duartier in Partenkirchen, das die Vorzüge der Sprung: - federmatrage mit denen des Heuſtadels zu vereinen

weiß ein ausgebautes Bauernhäuschen am Ende des Dorfs. Ich hab’ vor Jahren jchon einmal da ge- wohnt. Frau Huber, die Wirtin, ift eine brave Münch: nerin, bieder, treuberzig und gerieben ſchlau. Die Ausſicht ut Herrlich. Viele Fremde Tann fie nicht auf: nehmen, aber der Touriſtenverkehr ift ja jegt noch nicht jo fehlimm mie in der Ferienzeit.“

Marta und Aſta waren mit allem einverftanden. Marla aus Gleichgültigkeit, Aſta aus volliter Ober, zeugung, daß alles, was Mengersky vorjehlug, mujfter: gültig Sei.

Das Haus lag wirklich reizend, halb verfteckt im Grünen. Um den hölzernen Balkon rantten rote Kletter- tojen und duftendes Geißblatt. Auf den grünen Matten der Bergabhänge meideten Kühe. Die Töne des ob, geſtimmten Glockenſpiels ſchwangen fich mie eine out, fteigende Melodie durch die flille Luft.

%

%

36 Schiffbruch. De TU 7 >) RIED ED DEI DEI ED

Trotzig ftarr ragten die grauen, zerllüfteten Fels— wände des Wetterfteingebivges zu dem mattgrünlichen Abendhimmel auf. Roſige Wollenfegen hingen über den zadigen, fchroffen Spißen.

Die Wirtin Tom ihnen mit ausgeftredter Hand aus der offenen Haustür entgegen. „Grüß Gott!“

„Wir kommen gleih mit Sad und Pad, Frau Wirtin,“ rief Mengersky.

„Machen Sie recht.“

„Können wir hier ein paar Tage wohnen?”

„Aber gewiß. Für den Herrn Mengersty ift immer noch ein Platzl frei.“

„And die Damen?”

„Schaffen wir auch.“

„Haben Sie viele Gäſte?“

„Heuer iſt's noch nit fo arg. Ein Berliner ut grad abgereift.”

„Gott hab’ ihn ſelig.“

„gebt wohnt nur noch ber Herr Profejjor hier und Ten Kleines Bübl.“

„Doch Fein Kindergefchrei?”

„Bo denfen ©’ hin. Das Bübl ift ſchon bald acht Jahr. So a lieb's Kindl. Hat jein Mutterl verlor'n.“

„Zut mir leid, kann's aber nicht ändern. Da muß der Herr Profeſſor eben eine andere Frau juchen.”

„Das jag’ ich auch. Wär niemand mit ihm an- geführt. Der hockt allemeil ftil über feinen Büchern, da hört man fein ungutes Wörtl.“

Die lijtigen, in Fett verfchwommenen Kleinen Augen der Wirtin gingen von Aſta zu Marka bin und ber.

Mengersky lachte. „Na, Frau Wirtin, Sie fcheinen mir auch gern Heiraten zu ftiften. Warum find Gie denn allemeil noch ledig?“

„J bedankt’ mi’ ſchön! Hab’am eriten Mal genug.”

Roman von Henriette v. Meerheimb. 37 DDr Deere DD en Dre

„Sollten Sie Ihre Anſicht ändern, laſſen Sie es mich ja zuerſt wiſſen. Hauswirt in Partenkirchen wär' ich ſchon längſt für mein Leben gern.“

„Der Herr Mengersky iſt halt immer noch ein ge— ſpaßiger Herr.“

Die Wirtin ließ ihre Gäſte in den mit ſauberem, weißem Sand beſtreuten Hausflur treten. Vor den kleinen, feſt zugemachten Fenſtern blühten Rosmarin und Gelbveigelein in üppigem Flor. Das Mutter: gottesbild in der Ecke war dagegen ganz mit gemachten ſteifen Papierroſen dekoriert. Die Wirtin ſchlug raſch ein Kreuz im Vorübergehen Mengersky auch.

Aſta ſah ihn erſtaunt an.

„Hier iſt das Zimmer für die Damen.“

Die Wirtin öffnete mit Stolz ihr Privatgemach, ein großes, dreifenſtriges Zimmer mit Plüſchmöbeln, Nuß- baumſchreibtiſch und billigen Nippes dekoriert.

Marka riß vor allen Dingen das Fenfter auf. Sie trat auf die Kleine, fcehmale Holzveranda. Balfamifcher Henduft Schlug ihr entgegen. Auf der Wiefe dicht vor dem Haus harfte eine jtämmige Magd die Heuhaufen zujammen.

Ein Heiner Junge in dunkelblauem Tuchanzug half ihr dabei.

„Hanſel, Hanjel was ſchaffſt denn da?” rief die Wirtin ihm zu.

Der Feine Burfch ſah auf. Das blonde Haar klebte an der heißen Stirn, das Gefichtcehen war dunkelrot.

„Armes Buberl, immer in dem diden Jakett! Mußt ja bald umlommen vor Kb 3

„Ich hab’ kein anderes mit, Frau Huber.”

Marla ging die eine Treppe binunter auf die Wieſe. Etwas in dem FKindergelicht Tom ihr mert, würdig betount vor. Diefe breite Stirn mit den fein-

38 Schiffbruch.

Sleigh ED RD DD AD ED re De ⏑— gezeichneten Brauen über den großen hellblauen Augen, deren Blid immer wie in weite Fernen zu ſchweifen ſchien, das gerade Näschen, der fehmallippige, weiche Mund mo hatte fie das doch alles fchon gefehen?

Sie ftredte dem Kind die Hand hin.

„Srüß Gott wir wohnen jet auch ein paar Tage in deinem Haus. Dürfen wir uns in dein Heu legen? Du haft folchen großen Haufen zujammen: gerecht.”

Das Kind nidte. ES fchien Iden und verjchlojjen Fremden gegenüber zu jein.

„Wie heißt du denn?”

Marka ſtrich leicht über das feuchte, glatt anliegende Blondhaar.

„Johannes Reen heiß’ ich.” Der Tleine Junge nahm wieder die Harte auf.

ioo trat erjchroden einen Schritt zurüd. „Wo ift dein Vater?” fragte He ganz leife.

„Bater ift auf die Berge gegangen, für ınid) war es zu mett Zum Abendbrot kommt er wieder. Er bringt mir Alpenroſen mit, wenn er welche findet.“

„Da freuft du Dich wohl ſehr?“ Marka ſprach ganz mechaniſch. Sie beberrfchte ſich mühſam. Am Tiebften wäre fie vor dem Rinde hingelniet und hätte das Lleine, nachdenfliche Gefichtehen mit Tränen und Küſſen bededt, weil es feinem Vater jo ähnlich jah.

„Lieſe, gehſt du ſchon fort?” rief Hanfel. Er jah, daß die Magd ihr Handwerkszeug zufammenrafite.

„sch muß das Abendbrot richten,“ rief dieſe ſchon auf der Treppe.

„Romm!” ſagte Marla. Sie faßte die Hand des Kindes. „Wir wollen alle zufammen im Garten Abend- brot eſſen. Wir pflüden einen ſchönen Strauß für den Tiſch. Willſt du?”

Roman von Henriette v. Meerheimb. 39 Dr Dre De en DD De ⏑V

Hanfel war einverjtanden. Sie gingen an die blühende Notdorndede. Marta fchnitt einen großen Buſch ab.

„Dein Vater bat gern Blumen auf dem Tiſch das weiß ich.” Sie befreite die Zweige jorgfam von den Dornen. „So, nun laffen wir und von Frau Huber ein fehönes Glas geben. Du folljt ſehen, mie hübſch das ausfieht.“

Hanſels Geſichtchen legte fich in nachdentliche Falten. „Früher hatten wir auch manchmal Blumen auf Dem Zu, aber feitdem Mutti krank wurde nicht mehr.“

„War He lange Trank?”

„Sehr ſehr lange.”

Die Mundwinkel zogen fich herunter, die großen blauen Augen füllten ſich mit Tränen.

Arme feine Seele! Was mochte das Kind in den langen Monaten gelitten haben?

Marla wechjelte fcehnell daS Thema. „Wir jehen beide ftaubig aus. Weißt du, Hanfel, ich bin eine alte Freundin deines Vaters, du Tannit ruhig Tante zu mir jagen, oder auch nur Marka, mie du willſt. Jetzt geh mit in meine Etube, ich waſche dir Die Hände.“

Alta ſah erftaunt auf, als Marla mit ihrem Kleinen Schüßling ihr gemeinfames Bimmer betrat und mie ganz jelbitverftändlich dem Kind die Ärmel aufftreifte, um die Leinen braunen Hände gründlich abaufeifen.

„Es ift Hanfel een. Alta, das Kind von Pro- feflor Reen.“ | „ach ift er auch hier?” Um Aſtas Mund fpielten

nedifche Grübchen. „Das nenne ich einen glüdlichen Zufall! Oder ift e3 vielleicht feiner?“

„Laß das,“ bat Marla gepreßt. Seit einiger Zeit war das vertrauliche „Du“ zwiſchen ihnen eingeführt worden.

40 Schiffbruch. DIDI DD DI ERDE AD AD DD DD DD re

Unten im Garten dedte Liefe den Tiſch für fünf Berfonen. Das etwas derbe Leinentuch war leuchtend fauber. Goldgelbe Butter, ſchwarzes und weißes Brot, Schinken, Eier und eine riefengroße Satte bider Milch fahen recht einladend aus. Der Rotdornbufch im hohen Glafe prangte in der Mitte des Tifches.

Mengersky warf fchon hungrige Blicke auf die Spei- fen. „Wenn der Profeflor nicht bald kommt, fange ich an. Mag er jehen, wa3 übrig bleibt.”

Aber Marla bat um Geduld. „Ein abgegejjener Tiſch ift fo unappetitlich.”

„Da kommt der Vater!” jchrie Hanfel.

Mit ausgebreiteten Armen lief er einem großen, ichlanten Heren in grauem Tonriftenanzug entgegen, der eben, von der Dorfſtraße kommend, in den Heden- weg einbog. Mit dem Kind an der Hand betrat Pro- fejfor Reen den Garten.

Mengersty und Alta zogen ſich unmillfürlich etwas zurüd. Marla ging ihm entgegen. Das Kind mochte ihm wohl ſchon von der „guten Tante“ vorgeplaudert haben. Mit freundlichem Lächeln ging er ihr ahnungslos ent- gegen. Erſt als jie dicht vor ihm ftand, erfannte er He,

Er wollte etma3 jagen, aber er brachte fein Wort heraus. Er hielt ihre Hand in der feinen, unverwandt ſah er in ihr Gefiht. Wenig verändert erjchien fie ihm, denn die Erregung des Wiederſehens färbte ihre Wangen rofig, ließ ihre Augen glänzen. Das weiche, dunfelblonde Haar wehte der Wind in kleinen Moden um ihre Schläfen.

„Marta Sie hier?” jagte Zeen endlich.

„Ja id) hab’ jchon mit Hanfel Freundfchaft geſchloſſen.“

Er ſtrich ſich über das leicht ergraute Haar. „Wir haben lange nichts mehr voneinander geſehen.“

Roman von Henriette v. Meerheimb. 41 DEI DD DEAD AED ED ED RED ED ED re DEI

„Aber doch voneinander gehört. Sch las Ihre Bücher.”

„Und ich die Ronzertkrititen,” fiel Zeen ein. „Wie oft mußte ich an die leßten Abende in Mostau denken, wenn Gie mir vorfpielten. Ich babe nach Ihren Cho- pinjchen Nokturnos gedurftet, Marka, der Klang lag mir immer im Ohr.”

„Sie haben es nicht vergefjen?”

„sch habe nichts vergeſſen, Marla.”

Sie beugte fich zu dem Kinde und drückte ihre Lippen in fein weiches Haar. Sie mußte ihre felig ſtrahlenden Augen verbergen.

„Hanfel wird hungrig fein.” Sie nahm die Hand des Kindes. „Wir wollen elen. Darf ich Sie mit meinen Freunden befannt machen, lieber Profeſſor?“

Ihr leichter Blauderton half ihm feine etwas melt, fremde Unficherheit überwinden.

Mengersfy und Aſta traten aus dem Hintergrund auf daS Baar zu. Die Belanntfchaft wurde durch Mengerstys Liebensmwürdigfeit leicht vermittelt.

Alta ſah ihre Freundin erjtaunt an. War das noch diefelbe Marka, die vorhin fo müde und gleichgültig in der Wagenede lehnte?

Seht trat fie ſchwebenden Schrittes an den Tiſch. Mit leichter Hand füllte fie die dicke Milch auf die Teller, reichte daS Brot herum und belud Hanſels Brötchen mit den zarteften Schintenfcheiben. Das weiche, zärtliche Lächeln, die jtrahlenden Augen und roſigen Wangen ließen fie um Jahre jünger erjcheinen.

Über ihrer ganzen Erjcheinung, ihrem Reden und Tun lag mit einem Male ein verflärender Hauch holder Meiblichkeit. Die ernite, herbe Künftlerin trat ganz zurüd.

„Seit vierzehn Tagen bin ich ſchon bier in Barten-

42 Schiffbruch. ——— DEI ADDED EI ED kirchen, wo wir bereit3 oft und gerne weilten,” be: antwortete Reen Mengersfys Frage. ` „Hanſi war jo blaß und fchmal in Marburg geworden, daß ich ihn ſchnell aufpadte und "hierher brachte. Uns beiden tat Zuftveränderung not. Unfer Häuschen in Marburg ut nicht mehr recht behaglich. Nicht wahr, Bubi?“

Hanfel nickte nur. Er kaute zu eifrig an feinem Schinkenbrot.

„Sie wollten Ruhe haben, Herr Profeſſor, und nun ſchneit Ihnen ſolch Künſtlervolk in Ihr Still— leben hinein,“ meinte Aſta.

„Ich werde dankbar für Muſik ſein.“ Profeſſor Reen ſah ſehnſüchtig auf Markas ſchlanke Hände. „Freilich, ein Flügel wird kaum in Partenkirchen out, zutreiben ſein.“

„Und Herrn Mengerskys Violine blieb in München zurück.“

„Schade ſchade! Aber Sie wollten ſich gewiß alle hier ausruhen.“

„Das. wohl. Aber ob wir es ganz ohne Muſik aushalten können, ift mir jehr fraglich. Unfere Frau Wirtin befigt eine Zither, die hole ich nachher. Fräu— lein Aſta fingt.”

„Wie ſchön wird das werden!” Reens Augen leuchteten, janfte, geniale Dichteraugen, die kurzſichtig über alles Häßliche im Alltagsleben hinwegjahen, um voller Enthufiasmus das Schöne in weiter Ferne heraus: zufinden.

„Was Beſſeres Tonnte uns nicht paffieren. Daß wir diefer Jugendliebe Markas bier in die Arme liefen, ift ein Glücksfall fondergleichen,” ſagte Mengersky leife zu Mita, als fie nach beendeter Mahlzeit etwas ent- fernt von den anderen auf der Wiefe aan und ber gingen.

Roman von Henriette v. Meerheimb. 43 u re DDr ee DD DD ED re ED ee D De

Die eriten Sterne tauchten mattglänzend auf. Die Formen der Berge erjchienen immer gemaltiger in dem unficher fehwanfenden Dämmerlicht.

„Hier breite ic) das Plaid aus. Wir fiten dem Baar da drüben außer Seh-, aber nicht außer Hörmeite. Nun können fie bei Zitherbegleitung da wieder an- fangen, wo fie vor acht Fahren aufhören mußten.“

„Slauben Sie, daß bag gejchieht?“

Mengersty ftimmte feine Hither.

„Wir wollen e3 hoffen ſchon unfertwegen.”

„Warum?“

„Weil wir dann ungeftörter fein Fönnen.”

Dhne ihr Zeit zur Antwort zu laffen, fing er an au fpielen, die befannte, mehmütige Melodie eines alten Volksliedes:

„Du wirſt mir's ja nit übelnehm'n, Wann nit mehr zu dir komm'n darf...“

Ab und zu fang Alta mit halber Stimme einen Vers leife mit. Die wehmütige Melodie ſchwebte mie eine leife, rührende Klage zu Marla und Reen ber. über. Bon der Wieje brachte jeder Luftzug wahre Duftwollen des trocknenden Heus, des reifenden Korns berüber.

über den Bergen lag der funtelnde Sternenhimmel.

„Hanfel, geh jeßt zu Bett,“ fagte Reen. „Morgen bleib’ ich den ganzen Tag bei dir. Wir liegen im Heu, jehen in den blauen Himmel hinauf und denken uns was Schönes ja?“

„An Mutti im Himmel?“

„sa, Hanſi ja... auch an die.” Reen küßte das Kind auf die Stirn, dann fchob er es Marla hin.

Sie drüdte ihre Tippen auf die Stelle, die fein Mund berührt hatte. Beide fahen der Kleinen Geſtalt nach, bis fie im Haufe verſchwand.

44 Schiffbruch. ID RD ED RD ARD RD RED RD AD ED DE ADD

„Das Kind hat viel an feiner Mutter verloren,” fagte Reen ernit. „Sie lebte ja nur für ihn und ihr Haus. Gut, daß He jet nicht jehen Tonn, wie un- gepflegt und fchlecht verforgt beide find.“

„Sie empfinden den Verluft Ihrer Frau ſehr bitter?” fragte Marla. Ihr Herz fchlug laut.

„In der Seele meines Kindes ja.”

„Und für Sie?“

„Für mich bedeutet ihr Tod nur den Verluſt jeden äußeren Behagen?, der ube und Ordnung. Gie wiſſen ja, daß ich feelifch tief einfam in meiner Ehe war.“

„Das hat Héi in den fteben fahren, in denen mir uns nicht fahen, nicht geändert?”

„Nein. Wir redeten eine andere Sprache, fahen jede8 Ding mit verfchiedenen Augen an. Räumlich eng beieinander innerlich Durch Welten getrennt.“

„Konnten Sie nicht verfuchen, Ihre Frau zu Sich heraufzuziehen ?”

Er jehüttelte müde den Kopf. „Sie bejaß fein Drgan, um überjinnliche Dinge Toten zu können. ` Ich fonnte nur herunterfteigen oder einfam bleiben. Da war letteres beſſer.“

„Hat fie es nie empfunden, wie fremd Gie fich eigent, lich waren?”

„Ich glaube nicht.“

„Bas müflen Sie im len gelitten haben!“

„sh hatte meine Arbeit und die Erinnerung an einen reichen, wundervollen Frühling. ... Marla, alle Erzeugnifje meines Dentens find nur die Früchte jener Blütezeit.“

„Kann das wahr ſein?“ Ge legte die Hand über die Augen.

„Ja, es iſt jo,” jagte er einfach.

Roman von Henriette v. Meerheimb. 45 EDREDERDED ED AD ED re Dre D re Dee Dr ED ED

Atemlos wartete fie auf feine folgenden Worte. Aber er jchwieg und fah ernft vor ſich Hin.

Warum bat er nidyt: „Sei meinem Kinde eine Mutter Tomm in mein einfames Haus!” Jubelnd würde fie ihre Kunft, ihr freies Leben Hingemorfen haben ohne Klage, ohne den Gedanken, ein Opfer da— mit zu bringen.

Aber er jprach die erlöjenden Worte nicht.

Das Zitherfpiel verjtummte. Nur die Grillen zirp- ten noch im Grafe.

„Ich babe Ihr Leben nur durch Beitungsberichte verfolgen können,” nahm "een nach einer Pauſe das Gefpräc wieder auf. „Alles Glanz und Triumph.“

„Bom Standpunkt eines Zeitungsreporter3 aus ge- fehen ja. Ich dDächte, daS Auge eines Freundes fönnte tiefer jehen. Bon meiner mübhjfeligen Arbeit, den oft verzweifelten Kämpfen, in denen jede Künſtler— natur oft vergebens nach Ausdrud ringen muß, von meiner tiefen Herzenseinfamteit nein, davon ftand in den Kritilen nichts. Auch nichts von dem Durſt nach wahrem Verſtändnis.“

„Wo viel Licht ift, gibt es auch Schatten. Sie möch— ten Doch gewiß Ihr Künitlerleben mit feinem anderen vertaujchen ?”

Sie merkte in ihrer Erbitterung nicht8 von der atemlofen Spannung, mit der er auf ihre Antwort wartete.

„Natürlich nicht,“ jagte fie nach einem kurzen Still- ſchweigen ruhig. „Aber es wird fühl ich muß Aſta rufen; die könnte fich auf der feuchten Wiefe erfälten.“

Sie jtand auf. Reen blieb auf feinem Plaß fiten.

Mengersfys Zither lag achtlos im Hohen Grafe. Er hatte den Arm um Aftas Schultern gefchlungen.

hr blonder Kopf lehnte an feiner Bruft. Der

46 Schiffbruch. —————— —— Mond, der langſam über den Bergen heraufkam, be— ſchien hell ihr liebliches Profil. Er ſchien ihr etwas zuzuflüſtern; ab und zu drückte er feine Lippen leiden— Ihaftli) auf ihren Mund oder in ihr lodiges Haar.

Markas Schritte blieben geräufchlos in dem weichen Grafe. Sie jtand unmittelbar vor dem Baar, ebe Mengersty fie bemerfte ` Mit einem halb unterdrüd- ten Auf des Unmuts gab er Afta frei, die Héi mie ein Ichläfriges Kind aus füßen Träumen aufrichtete. _

„Schon fo fpat? Wir follen ſchlafen gehen? Gut, Marla ih fomme Morgen it ja wieder ein Tag ein himmliſch fchöner, fonniger Sommertag.“

Der Ausdrud der Glüdjeligkeit in ihrem füßen jungen Geficht tat Marla meh. Ohne Mengersty an- zureden, legte fie ihren Arm um Afta und führte fie mit fich fort.

Mengersfy blieb auf der fait taghell vom Mond bejchienenen Wieſe ſtehen.

Einer unbezwinglichen Aufwallung feiner exzen— triſchen Natur nachgebend, warf er ſich plötzlich in das Gras und drückte ſeine Lippen auf die Stelle, wo eben noch der junge, blühende Körper des ſchönen Mädchens ruhte.

Die Gräſer und Blüten kühlten ſeine heiße Stirn mit feuchtem Tau.

——

——

Neuntes Kapitel.

Goldene Sommertage mit unveränderlich blauem Himmel über grünſchimmernden Matten und grauen Felswänden, Herdenläuten, Lerchenjubel und Geißbuben- jodeln wohin man ging.

Marka, Profeſſor Reen und Hanſel durchſtreiften nur die nächſte Umgegend. Langſam ſchlenderten ſie

Roman von Henriette v. Meerheimb. 47 auf den bequemjten Wegen, indes Hanfel, die Hände vol Blumen, vor ihnen ber fprang.

Mengersky und Aſta wagten ſich weiter hinauf, hoch hinein in die Pracht der Alpenwelt. Sonn: verbrannt, heiß und müde, aber ftet3 fehnfüchtig, neue Schönheiten der Berge aufzufuchen, kamen fie met erft zum gemeinfchaftlichen Abendbrot zurüd.

Stillſchweigend verlängerte jeder jeinen Aufenthalt bier. Aber Mengersky hielt es auf die Dauer nicht ohne jeine Violine aus.

Die ließ Déi leicht aus München herſchicken. Schwie: riger war fehon der Tranfport eines Flügels für Mara. Aber jchließlich (dt für Geld alles zu haben und fo ftand denn auch bald ein alter, aber noch wunder: voll fingender „Bechjtein” in Frau Hubers Wohnzimmer. Bor allem verjchrieb Marla einen ganzen Poften leichter Blujen und Leinenanzüge für Hanfel. Der arme eine Kerl ſchmorte förmlich in feinem dien Tuchkittel.

Neen küßte ihr dankbar die Hand, als er Hanjel jo vorteilhaft verändert Tab, Das Kind lebte förmlich auf. Marta ftudierte feine Wünfche und Neigungen. Sie verftand es reizend, mit dem Eleinen gungen zu jpielen, der bald mit begeijterter Liebe an ihr hing. In Reens Augen traten oft Tränen. Ein unbefchreib- lich jehnfüchtiger Ausdrud lag auf feinen Geficht, wenn er fein Kind von weiblicher Liebe und Fürforge um: geben ſah.

Es rührte ihn tief, dieſe hochitehende Künftlerin Ichliht mie jede andere Frau Déi dem Kinde widmen zu fehen. Nein, nicht wie jede andere Frau ihr ganzes Sein und Wefen war doch viele Akkorde höher geftimmt wie die der nüchternen Alltagsnaturen. Gie mürde ſtets auch das einfachlte, ruhigſte Leben künſt— leriſch Schön zu gejtalten willen.

48 Schiffbruch. DREI ADDED DD DD Drei

Oft, wenn We in ihrem einfachen weißen Kleide, liebevoll mit Hanſel plaudernd, neben ihm ber fchritt, lag ihm die Bitte auf den Lippen: „Sei mein mie in jener feligen Zeit unjerer erſten Liebe. Geb nicht wieder aus meinem Leben fort.” Aber er fand nicht den Mut, dies auszusprechen. Seine jenfitive Natur jeheute davor zurüd, ein Opfer zu fordern.

Der Tag der Abreife rüdte immer näher. Marka erriet den wahren Grund ſeines Schweigens. Sie merkte, fie mußte jelbjt die befreienden Worte fprechen, in denen, wie in einem weichen Mollaflord, fich die traurige Dijfonanz feines Lebens, die trübe Schwermut des ihren löſen follte.

Nach einem langen, einfamen Spaziergang faßen fie zufammen auf einer Bank, um auszuruben. Hanſel Hetterte am Abhang herum.

„Ex wird ſich ſchwer wieder in Marburg eingemöh- nen,” fagte Reen mit einem tiefen Seufzer.

„Barum? Man Toun es dort Doch auch glüdlich und ſchön für ihn machen. Ein Kinderleben muß fo fonnig beiter fein wie ein Maitag. Jede Jahreszeit möchte ich zum Feſt machen. Wenn der erjte Schnee fallt, brät man Äpfel in der Röhre. Das erjte Veilchen im Srühling, der Lerchenjubel über den Saaten das kann alles zum Geck werden. Man muß e3 nur verjtehen.”

„Sold einem armen Rinde, das Dienftboten über: laffen ift, Toun man feine frohe Kindheit jchaffen.”

„Weshalb müflen Sie ihn denn Pienjtboten über- laſſen?“ fagte fie mit fanftem Vorwurf. „Geben Sie ihn mir! Ich will einen ſchönen Menfchen aus ihm machen. Schön fein darauf legt man heutzutage gar nicht mehr Wert genug. Schön fein von außen und innen, voll künftlerifchen Genießens jeden Augen:

Roman von Henriette v. Meerheimb. 49 IDEE ADD DIDI DD DDr Dee blicks, jchön in jeder Seelenregung, in jeder Auffafjung und Lebensrichtung. Das ift mein deal. Das Wort „ſchön“ bat einen meiten Begriff, gutes, bobes Streben iſt darin eingefchlojjen.”

„Mein Ideal ift daS auch. Aber mie fol ich es verwirklichen? In unferer Keinen, verjtaubten Woh- nung mit faulen, widerhaarigen Dienftboten, da findet fich Feine Schönheit. Früher hatte ich wenigſtens Ruhe, Sauberteit und Ordnung.”

„Sie follen fie wieder haben. Alle Fenſter will ich mweit aufmachen, die Sonne muß herein, Staub und Spinnmweben heraus. Frohes Lachen, KRinderjubel fol Dingen das ift doch die fchönfte Muſik. Cinfaches Leben und hohes Denken das ſei unſer Wahlſpruch. Ja?“

Sie reichte ihm beide Hände. „Marka!“ Er ſtand mie im Traum vor ihr. „Du du könnteſt deine glänzende Laufbahn aufgeben, um mir in meinem Heinen Haus die Wirtfchaft zu führen, mein Kind zu erziehen?“

„Ich will beides tun,” fagte fie feſt. „Und noch viel mehr. Ich werde dich lieben, dein Kind lieben, euer Leben ſchön und heiter machen.”

„Das Opfer ift zu groß! Deine unt —” `

„Pflege ich dabei weiter. Meine Muſik ift fo mit mir verwachlen, da gibt’3 Teine Trennung. Das Kon- zertegeben bleiben zu lafjen, ift Fein Opfer. DO, du lieber Träumer in deiner ftillen Studierftube, du ahnſt nichts von der häßlichen Seite unferes Lebens. Hältft du mich für To armfelig, daß mir an dem Jubel eines met jehr verjtändnislofen Bublitums fo viel liegt? Was gebe ich auf? Den Staub, die überhitte Atmo- ſphäre voller Ronzertfäle, den Neid, die Reklame, alles Häpliche fallt von meiner Runft ab nur das Schöne, Emige nehme ich mit mir in mein neues Leben, mit zu

1904. VI. 4

50 Schiffbruch.

geen Ee ED DD DEI ED ADD DD DD Dre dir in dein jtiles Haus. Hanfel, Tomm einmal ber!”

Das Kind Det auf fie zu. Mit einem jehüchternen Lächeln bot er ihr feine Glocdenblumen und Farnblätter, die in der Fleinen heißen Hand fchon matt die Spiten hängen ließen.

Marla zog Hanfel zu Héi heran. „Sol ih mit nach Marburg fommen und bei euch bleiben?”

Hanfel nidte eifrig. In feinen großen blauen Augen lag ein glücfeliger Ausdrud.

Sie fügte ihn auf die Lider. „Ganz deine Augen!” jagte fie, innig zu Reen aufblickend. „Ich will forgen, daß dieje lieben Kinder- und Pichteraugen nur noch Schönes und Gutes jehen.“

Hanfel lief wieder zu feinen Blumen.

„Wirt du auch nie bereuen, Marka?“ fragte Reen mit jtodender Stimme.

Sie jehüttelte den Kopf. „Ich bin fo lange herum: gewandert, jebt komme ich endlich nach Haufe zu dir. Heimatlos war mein Leben, heimatlos meine Geele, feit du von mir gingft.”

Stumm faßen fie nebeneinander Hand in Hand und fahen in die fintende Sonne hinein.

Abends wurde die Verlobung bei einem Glafe Rheinwein gefeiert.

Frau Huber war felig, daß ihr Profeſſor fich bei ihr eine Frau geholt habe. „Hab’3 mir gleich gedacht, mie ic) das Fräulein geſeh'n hab’,“ meinte fie. „Sie mar halt gar fo lieb mit dem Bübl. Na, mit der (dt der Herr Profeſſor nit ang’führt.“

Mengersky fpielte zur Feier des Tages feine fchöniten, ſchwermütigſten Weiſen. „Ein Abfchiedsgruß für die jheidende Genofjin,” fagte er. |

Roman von Henriette v. Meerheimb,. 51 EDDIE EDDIE Eechen Mee ECH

Afta umarmte Marla wieder und immer wieder. Sie wünfchte ihr herzlich Glück, und doch Klang durd) ihre Gratulationen eine deutliche Verwunderung bin- durch. ES erjchien ihr fo unglaublich, daß man das herrliche Leben einer Künftlerin aufgeben mochte, um eine eine Häuslichkeit in Stand zu halten, ein Kind zu erziehen. Da ging es ihr doch beffer! Gie fonnte ihre Liebe und ihr Künjtlerleben vereinen.

Nie Tom ihr der leifefte Zweifel an Mengerskys Liebe. Nichts ftörte ihren blinden Glauben. Wie ein- gefponnen in ein Ne von goldenen Sonnenfäden ge: noß fie diefe himmlischen Tage. Kein Brief der Ihren, der einen Mißklang hätte bringen Fönnen, erreichte fie. Hollens mußten faum, wo fie augenblidlich war. An William Normann dachte fie faft nie. Ellen mürde ihm ficher alles getreu berichtet haben. Damit war das läftige Band endgültig gelöft. Sie fuchte jede leife Erinnerung an ihn zu verbannen, und c3 gelang ihr vorzüglich.

Früh Morgens, oft um fechs Uhr fchon, trat fie ihre Bergmanderungen mit Mengersy an. Nur felten nahmen fie einen Führer mit. Er Tanıte alle Wege und Stege hier wie der ältejte Bergfteiger.

Manchmal rubten fie unterwegs an einem fehatti- gen Plägchen aus. Afta pflücdte Blumen. Mengersty wand einen Kranz Daraus, den er ihr in das blonde Haar brüdie Oft ſank er in folchen Momenten vor ihr nieder, küßte ihre Hände, ihre kleinen Füße, troß ihrer Abmehr.

„Laß mich doch! Ich Huldige der Schönheit der Königin Jugend.“

Was bedeutete feinen heißen, finnenbetörenden Liebes⸗ ſchwüren und Küffen gegenüber die blaffe Erinnerung ihrer erften, halbvergeffenen Verlobung?

52 Schiffbruch. ID EDDIE AD AED DIDI X—C

Mengerskys ſich oft plölich verdüfternde Stimmung, in der er nach folchen Ausbrüchen wortkarg und melan- cholifch neben ihr her fchritt, jchob fie auf unberechenbare Künftlerlaunen,, ohne "éi weiter den Kopf zu Aer:

brechen. ' Markas Verlobung, der die Heirat faſt unmittelbar folgen jollte, änderte aber auch Aſtas Pläne. Aus dem langen Aufenthalt in den Bergen fonnte nun nichts werden.

Profeſſor Zeen reifte mit Hanfel nach Warburg, um alles möglichft in Stand zu fegen. Marka wollte baldigit folgen, um Hd dort mit ihm in aller Stille trauen zu laſſen.

Bor einem Berliner Winter ohne Marla graute aber Alta, und Mengersky ftimmte ihr bei.

„Ich babe ein glänzendes Anerbieten, nach Amerika zu gehen zu einer Konzerttour. Komm mit mir!“ bat er. Insgeheim nannten fie fich jebt hu" „ch Tonn dir leicht einen guten Kontrakt verjchaffen.“

„Nach Amerika?“ Aſta überlegte unjchlüffig. „Was werden meine Angehörigen dazu jagen?” |

„Kind, wenn Du bei allen Unternehmungen deine Bafen und Vettern fragen willft, wirft du nie felb- ſtändig,“ lachte er. „Schlag ein!”

Sie legte zögernd ihre Hand in die feine.

Er trat dicht vor fie hin. „Ich Halte fie feft, diefe Heine Hand,” jagte er mit leicht bebender Stimme. „sch laſſe fie nicht wieder los. Es ift für uns beide das beſte, Alta, wenn mir in einem anderen Erdteil find. Wir laffen allen Altweiberklatich, alle kleinlichen Anfichten in der Alten Welt zurüd und fangen ein neues Leben an. Nur ich und du. Willft du?“

„Ich möchte ſchon.“

„Du mußt! Ich will dir ein Leben ſchaffen, Kind,

N

Roman von Henriette o. Meerheimb. 53 Ee Ee EE EE EDDIE ADDED AD DE Dre DD DD wie du e3 dir nie träumen ließejt. Laß die Lleinlichen Bedenken fahren. Denke groß!”

Sein heißer Atem mwehte über fie bin. Gie fah in fein intereffantes Geficht mit den ſchwermütigen Augen. Sie jchlang die Arme um feinen Hals.

„Ich will dir folgen bis ans Ende der Welt!“

Mit einem Jubelruf drüdte er fie an fih. Ber Atem verging ihr fat unter jeinen wilden Küffen. „Mein ganz mein! Gleich fahr ich na Mün- den zu dem Konzertarrangeur und fpreche mit ihm. . Anfang September geht’3 fort. Bis dahin treiben wir uns noch in den Bergen herum.”

Mengersty fuhr wirklich nach einem ziemlich Fühlen Abfchied von Marta noch München zurüd.

Alta erbot ſich, Marla beim Boden zu helfen. Der Nachmittag ohne Mengersty wurde ihr. lang.

Vielleicht Tom er exit morgen früh zurüd.

Marta nahm das Anerbieten an. Sie war in legter Zeit zu ausfchließlich mit ihren eigenen An- gelegenbeiten bejchäftigt gewejen; aber heute, wenige Stunden vor ihrer Abreife, fiel es ihr ſchwer aufs Herz, in welch gefährlicher Lage fie das junge Mäd- den zurüdlie. Morgen früh Tom Mengersky mie: der. Wollten die beiden etwa ganz allein bier wohnen bleiben?

Alta Job auf dem Fenjterbrett. Ihre Fleinen Füße trommelten gegen die Wand. Sie ſah geradezu ftrah- lend hübſch und glüdlich aus.

Marta legte ihre NRöde und Blufen zufammen. Aſtas angebotene Hilfe bejtand im Zufehen. Bon dem, was fie plauderte, hörte Marla nichts. Sie erwog immer nur, wie fie Aſta bewegen follte, von bier fort, zugehen. „Komm mit nad) Marburg zu meiner Hoch- zeit!” bat fte plößlich ziemlich unvermittelt. Der Ein-

54 Schiffbruch.

m DD ADD AD EI AD AD AD AD AD AED Dre DDr Dre fall Tom ihr wie eine Offenbarung vor. „Es iſt ge: vadezu herzlos, wenn du mich allein heiraten läßt.”

Alta jchüttelte den Kopf. „Ach, ihr feid euch ja beide ganz genug. Zum Überfluß habt ihr Hanfel zum Zuſehen.“

„Bitte, reife mit mir.”

„Kann ich doch nicht, liebſte Marla.“

„Warum nicht?”

„Wenn Mengersty zurückkommt, muß er doch mich wenigſtens vorfinden.”

Marla ließ den Koffer ins Schloß ſchnappen. Sie drehte den Schlüffel zweimal um und verwahrte ihn forgfam in ihrer Geldtafche. Sie trat zu Aſta ins Fenſter. „Du fonnt doch bier nicht mit Mengersiy allein wohnen bleiben, Aſta!“

„Weshalb denn nicht? Wir wollen im Herbft eine Ronzertreife nach Amerika machen.”

„Ihr beide zuſammen?“

„Ja, wir zwei allein.“

Aſtas lachende Augen erſchienen Marka ſchrecküch in dieſem Augenblick. Sie wußte, welch heiße Tränen bald fließen mußten.

„Natürlich heiraten wir vorher.“

„Hat er dir das geſagt?“

„Nein aber das iſt doch ſelbſtverſtändlich! Er hat mir geſagt, daß er mich liebt, daß wir immer Au: jammen bleiben wollen, da3 heißt doch jo viel wie, wir heiraten nicht wahr?”

„Bei anderen Männern ja bei Mengersty nicht.“

„Warum denn bei ihm nicht?“

„Weil er nicht heiraten Tonn weder dich nod jemand anders.”

„Weshalb denn nicht? Er ut doch wohl fein oer, fappter Mönch?”

Roman von Henriette v. Meerheimb. 55

Eelere DD RD DA e DD DD D re

„Afta, Jet ernſt. Was ich dir jebt jagen muß, wird dich jehr hart treffen.”

„Was denn nur?“

„Mengersty ift bereits jeit zehn Jahren verheiratet.”

„Das ift nicht wahr!”

„zeider doch. Er hat eine unfchöne, alte Frau, die in Warſchau lebt. Sie half ihm einmal aus bitterer Not. Mengersty wird fie deshalb nie von fich ftoßen. Außerdem ijt er, wie du weißt, Fatholifch, und feine Kirche erlaubt Feine Scheidung. So wunderbar e3 klingt: troß feiner oft jehr frivolen Äußerungen hängt Mengersty an feiner Kirche und auch an feiner Frau mit dem Stücdchen jeines Herzens, das fich auch nie von Polen, jeiner Heimatjtadt Warjchau, feinem alten Rinderglauben losmachen fonnte Ich hätte dir längſt die Wahrheit gejagt, Alta, nur bielt ich ein Ver fprechen, das ich Mengersky einmal gab, für bindend. Ehe ich dich aber in diefen Abgrund ftürzen laffe, breche ich lieber mein Wort.”

Alta glitt von dem Fenjterbrett herunter. Sie Honn dicht vor Marla und legte ihr beide Hände fehwer auf die Schultern. In ihr ſüßes, junges Ge- ficht gruben fich ein paar Linien, die es auf einmal völlig veränderten. Es erjchien Marla wie da3 einer Fremden graublaß, mit bitter verzogenem Mund und ftarr aufgerifjenen Augen.

„Alta! Um Gottes willen fieh nicht fo oer, zweifelt aus!” bat He „Zrin? ein Glas Wafler berubige dich! Kind, geliebtes Kind, dir bleibt ja noch fo viel die Liebe deiner Gefchwifter, die Freude an deinem Geſang. ... Vielleicht, Liebling wenn du diefen Schmerz überwunden bat. findet du Dich noch einmal zu deinem Verlobten zurüd.”

Alta Dep ihre Hände von Markas Schultern herab-

56 Schiffbruch.

ORDER DD DD ED DD ADDED De DD gleiten. Sie lachte ſcharf auf. „Bon einer Hand in die andere!” fagte fie hart. „Weil ich den einen nicht heiraten fann, fol ich mit dem anderen fürliebnehmen? Ein hübfcher Vorſchlag!“

„Ich meinte ja nur, daß du nach und nach es ver- winden wirft, Aſta. Komm mit mir! Ich packe fchnell deine Sachen. Es iſt bejfer, du fiehjt Mengersty nicht wieder. Überlaß alle mir. In unferer Leinen Häus— lichkeit in Marburg ift Pla für dich, da pflege ich dich gejund.“

„Nein ich bleibe hier und warte auf Mengersky. Ich will jelbjt von ihm hören, ob es wahr ift.”

„Aſta, ich ſchwöre dir, daß ich die Wahrheit gefagt babe. Denkſt du, ich werde dich belügen?“.

„Rein. Aber die die Perfon könnte inzwifchen geftorben jein, oder er fich Doch von ihr gejchieden haben.“

„Das hätte ich gehört.”

„Haft du ihn danach gefragt?”

„Das nicht. Aber wenn er nicht noch an feine Frau gebunden wäre, würde er offen und gerade han- deln können. Dies alles fieht nicht nach gutem (Ge: wiſſen aus. Ich kenne Mengersty, Afta. Ich weiß, welche dämonifche Gewalt er über monde Frauenbherzen ausüben Tonn. Geh der Gefahr aus dem Wege.“

„Welcher Gefahr?” |

„Son noch einmal zu fehen. Er wird dir von feiner Herzenseinfamtleit vorreden du jolljt die Mufe feiner Runft fein und fo weiter.”

„Darauf will ich es anlommen laſſen. Ich muß ihn doch wenigſtens anhören.”

„Ich kenne ihn better ald du. Er wird jich nicht von feiner Frau fcheiden laffen, um dich zu heiraten. Er wird dir anbieten —“

Roman von Henriette o. Meerheimb. 57 DET DD DIA ED ED ED DD DA Dre „Schweig! Sprich die häßlichen Worte nicht aus!” fuhr Afta auf. Sie vergrub das Geficht in beide Hände. Marla Iniete neben ihr nieder und verjuchte ihr Die Hände wegzuziehen. „Aſta, Tomm mit mir; ich bitte, ich befchwöre dich! Du fonnt ja von Marburg aus an Mengersky jchreiben.”

„Laß mich allein du folterft mich.”

„Gut.“ Marla ftand auf. „Wenn du meine Hilfe nicht annehmen willſt, Aſta,“ fagte fie traurig, „jo höre wenigſtens zum Schluß noch einen guten Nat.”

„Den William Normann zu heiraten und ein „glüd- feliges, gerubiges Leben” an feiner Seite zu führen? Ich danke für diefen guten Rat.”

„Du Tprichft jehr bitter.” In Marlas Geficht jtieg eine leichte Röte des Unmuts. „Mein Rat betrifft etwa3 ganz anderes. Er bezieht fich auf deine Kunſt.“

Alta ließ die Hände in den Schoß fallen und horchte unwillkürlich auf.

„Auch damit fchlägft du einen faljchen Weg ein, Kind. Hauptjächlich durch Mengerskys Schuld bt du in diefe verkehrte Richtung hineingeraten. So mie du die Sache betreibft, wirft du ein paar Jahre lang, To lange du hübſch und jung but. bewundert dann aber vergeflen werden. Mit jedem Jahr, das du älter wirft, werden die Menfchen größere Leiftungen von dir fordern, und du wirft fie nicht geben Tonnen. denn du but flach in deiner Kunſt geblieben. Pie ernite Arbeit fehlt das Ringen, Leiden, Streben. In einiger Zeit wirft du das Publikum langmeilen mit deinen Veilchen- und Rofenliedern. Und was bleibt dir dann?”

„Du felbit Haft mir gefagt, daß Reklame zur Kunſt gehört.”

„ja, Herz meil ich dir einen Erfolg gönnte und

58 Schiffbruch. RD ED re Dee ich dein ganzes Künftlertum nicht ernſt nahm. Ich dachte, es fei bloß eine Laune, ein Übergangsjtadium zwifchen Verlobung und Heirat. Willit du aber dabei bleiben, Aſta, jo geh auf ein Konjervatorium, ftudiere ernft und fleißig. Du kannſt dazwiſchen in Konzerten fingen, weil du ſchon etwas bekannt bt und nicht ganz in Vergeflenheit geraten Dot Dann mwird es ſich erweiſen, ob du eine Sängerin wirft, die man ernit nehmen Tonn, oder ob du nur eine hübſche „Spezia- lität” warſt, die die Yaune des KRonzertpublilums eine Zeitlang in Mode brachte.”

Alta antwortete nit. Markas Worte berührten fie jehr peinlich. In ihrer krankhaft gereizten Seelen— jftimmung glaubte fie nicht an die bittere Wahrheit ber. felben. Marla war ficher eiferfüchtig auf ihre Erfolge geweſen, wenn fie es fich auch bisher nie merken ließ. Sie mußte durch ihre Heirat aus dem öffentlichen Künjtlerleben ausfcheiden, und fie konnte es nicht er- tragen, Aſta jo mühelos Bewunderung ernten zu fehen. Die Konzertreife mit Mengersky nad) Amerila, Die fiher ein Triumpbzug wurde, war ihr wahrjcheinlich ein unerträglicher Gedante, weil fie fie nicht mehr mt machen Tonnte. WBielleicht erfand fie auS Neid, um Mengersky von ihr zu tremmen, die ganze Gejchichte jeiner Heirat.

Erleichtert, wie befreit von unerträglichem Drud, atmete fie auf.

„sh will deine Worte überlegen, liebe Marla,” fagte fie mit völlig verändertem Gefichtsausdrud. „Du haft gewiß recht, daß ich noch viel lernen muß. Ich bin ja nod jung genug dazu. Aber jett meine eben errungene Stellung aufzugeben, wäre mehr wie unklug. Da3 würde einen neuen mübjeligen Anfang bedeuten, wicht wahr?“

m) E

Roman von Henriette v. Meerheimb. 59 eene ee ED ED ED RD DD ADD Dre DD „Ohne Mühe erreicht man nicht8 Großes,” ant- wortete Marta kühl. Sie erriet Aſtas Gedantengang und fühlte fich verlegt.

Sie ſprachen nicht mehr zufammen, bis Marla im Neifeanzug von Alta Abfchied nahm. Da fonnte fie e3 Doch nicht Toten. das junge Mädchen innig zu um: armen. „Leb wohl, liebes, unvernünftiges Kind!” fagte fie ſchluchzend. „Dente immer daran, daß unjer Haus in Marburg dir Tag und Nacht offen ſteht. Ich fürchte, du wirft nur zu bald die Wahrheit meiner Worte er: kennen.“

Vom erſten Teil der Rede fühlte Aſta ſich ergriffen, aber der Schlußſatz ärgerte ſie wieder. Trotzdem küßte ſie Marka und verſprach bald zu ſchreiben.

Sie winkte auch pflichtſchuldigſt mit dem Taſchen— tuch, ſolange das Gefährt, das Marka und ihr Gepäck zur Bahn beförderte, noch zu ſehen war.

Mit einem Gefühl der Befriedigung ſah fie es end- Déi um die Ede biegen und verjchwinden.

„Künitlerneid und Mißgunſt nichts weiter!“ dachte fie erleichtert, wenn Markas Reden fie be- unruhigen wollten.

Der einfame Abend verging trübjelig. Bücher hatte fie nicht bei fich.

In der Nacht fchlief fie fchlecht. Immer wieder Ichredtte jie aus unruhigem Halbſchlaf in die Höhe.

Blaß und mit überwachten Augen Top He am anderen Morgen am Raffeetijch in der Laube, als fie Mengersky in den Garten einbiegen jah. Er ſchwenkte Ton von weitem den Hut.

Alta ſtand auf. Sie hielt ſich am Tiſch feft, um wicht zu fallen. Alles ſchwankte um fie herum.

„Suten Morgen!” Mengersfy Tom mit rafchen Schritten auf fie zu. „Guten Morgen, Liebſte, Schönfte,

60 Schiffbruch.

RD DD DD ADD RD ED De DD ee De DE Dre ECH Holdejte! Gleich komme ich wieder, will nur erft den Münchner Staub etwas abbürjten. Dieſe Hiße in der Stadt! Scheußlich geradezu fcheußlih!" Er atmete tief auf. „Kontrakte hab’ ich in der Tafche! Großartig, ſag' ich dir! Als Impreſario bin ich gar nicht fo übel. ... Aber was machſt denn du für ein grandiges Geficht? Schlecht gejchlafen? Oder gar Mi- gräne? Das wär noch fchöner!“

„Schlecht gejchlafen habe ich ja,” fagte Aſta langfam. hr Herz fchlug laut und ſchwer. Gie tonnte die Worte kaum bhervorbringen. Sie jah ihn nicht an, und Doch wußte fie, daß feine fehlanfe, ge: feymeidige Geftalt in dem leichten, weißen Sommer- anzug fich bebaglich dehnte, feine Augen mit zärtlichem Bid auf ihr lagen, fein dunkler Kopf malerifch von dem grünen Gemirr der Geißblattranken, die die Laube umzogen, abhob.

Er dagegen muſterte ſcharf durch die halbgeſchloſſe— nen Augen hindurch ihr blaſſes, verſtörtes Geſicht. Kein Zweifel Marka hatte geſprochen, um noch ſchnell vor der Abreiſe ihr Gewiſſen zu erleichtern! Welche Frau kann denn je den Mund halten? Narr, der er war, ihrem Verſprechen zu trauen!

Nun, ſchließlich erleichterte ihre Schwatzhaftigkeit ihm eigentlich nur die Ausſprache, die, wenn er nicht ehrlos handeln wollte, doch nicht gut zu umgehen war.

„Ich komme gleich wieder,“ ſagte er langſam. „Wir müſſen uns ausſprechen, Aſta. Aber hier, ſo dicht am Hauſe, könnten indiskrete Ohren uns belauſchen. Willſt du zur nächſten Bank auf der Wieſe gehen? Da, wo Marka und ihr Profeſſor immer ſaßen ja? Ich komme ſofort nach.“

Ohne Antwort, nur mit einem ſtummen Kopfnicken ging fie ihm voran.

Roman von Henriette v. Meerheimb. 61 RAD DE EDDIE EDDIE ADD Dre Dee

In Gedanken verfunten, die Arme um bie Kniee gefchlungen, jaß fie auf der Bank und wartete.

Er ftand ſchon einige Sekunden neben ihr, ehe fie ihn fah. Er faßte nach ihrer Hand. „Alta, was hat dich fo verändert? Was ift in der kurzen Zeit mit dir vor- gegangen? Warum bt du fo ftumm und blaß?“ fragte er ungeftüm.

„Marta hat mir etwas gejagt. Ich glaube es aber nicht eher, als bis du e3 mir mit deinem eigenen Munde beſtätigſt. Ich Tonn ich will eg nicht glauben!“

„Was hat Marta dir gejagt?“

„Du wärſt verheiratet. Irgendwo in Polen lebte deine Frau. Das ift doch nicht wahr da3 Tann nicht wahr fein?”

Er fette Héi zu ihren Füßen ins hohe Gras zo lehnte den dunklen Kopf an ihre Steg „Und wenn es nun doch Wahrheit wäre, Aſta?“

Mengersky ſprach fehr Leite Er fühlte ihre Kniee zittern wie bei einem plößlichen fchweren Schlag, der un- erwartet hinterrücks trifft. Ex bob den Kopf und ſah fie an, tonnte aber den Anblick ihres fchmerzlich verzogenen Ge⸗ Hds nicht ertragen und verbarg den Kopf wieder in ihrem Kleide. Erſt als er fühlte, daß ihre Hand kalt und ſchwer auf feinem Haar lag, richtete er ſich auf.

„Alta, ich Liebe dich nur dich!” beteuerte er. Er nahm ihre Hand von feinem Kopf herunter und bebielt fie zwifchen jeinen Fingern. „Nimm es nicht fo ſchwer. Außer Marka weiß kaum jemand in Deutfch- land etwas von meiner Heirat. In Amerika ahnt erft recht niemand etwas davon. Du wirſt überall als meine Frau gelten.”

„Aber ich bin es nicht!”

„Du wirft mein ganzes Glod. die Mufe meiner Kunſt fein.”

62 Schiffbruch.

Aſta lachte ſchrill auf. Marka hatte dieſe Wendung richtig prophezeit! „Du könnteſt dich ja von deiner Frau ſcheiden laſſen! Wenn du mich wirklich liebſt, ſo —“

„Das kann ich nicht, Aſta. Wir Katholiken ſind für immer gebunden. Und dann ich weiß nicht, ob Marka es dir auch geſagt hat ich bin meiner Frau viel Dank ſchuldig! Die alte, treue Seele verdient es nicht, daß ich ſie von mir ſtoße. Es wäre ihr Todesurteil!“

„Wenn ſie hört, daß du mit einer anderen Frau lebſt, muß das doch ebenſo ſchmerzlich für ſie ſein!“

„Das erfährt ſie nicht. Wie ſoll ich aber eine neue Ehe eingehen, ohne ihre Einwilligung zur Scheidung zu erlangen? Das kann ich ihr nicht antun! Ver: lange alle von mir, nur da3 nicht.“

Sie fah ftarr über ihn hinweg.

„Alta, fieh mich an!“ bat er. „Du liebjt mich... ich liebe di. Du follft meinen Ruhm und Reichtum alles Schöne, allen Glanz meines Lebens teilen. Ich will dich anbeten für das Opfer, das du mir bringit. Ich ſchwöre dir, daß ich nie aufhören werde, dich zu lieben, daß ich dich, fobald meine Frau ftirbt fie ift ja viel älter als ich heiraten werde. Vor der Welt, die nicht3 von meiner Ehe weiß, giltft du auch jetzt ſchon für meine Frau. Nun, fei nicht Klein, mäge und grüble nicht Jonge

Sie legte die Hand an die Stimme Hecht, Un: recht, Schuld, Treue alles waren nur Worte, leere Begriffe. Er drehte und mendete fie nach Belieben.

Ein gräßlicher Schmerz mühlte in ihrem Herzen. Menn er He wirklich geliebt hätte, würde er nicht magen, ihr das zu bieten: ein Leben im Glanz und Luxus und doch ein Leben der Sünde, des Betruges.

Ihre Empörung beftegte ihren Schmerz. Sie machte Idi von feinen Armen frei und ftand auf. „Ich muß

Roman von Henriette o. Meerheimb. 63 TT, ADD REDE REDE DIDI DEI ADD ED febr tief in deinen Augen gefunten fein!” Ihre Stimme zitterte. „Sehr tief, daB du mir folche Vorfchläge zu machen wagft!”

„Sehr tief! Sehr Hoch Stelle ich dich! Hoch über banale Anfichten. Sehr groß dente ich von deiner Liebe.“

„en der Tat zu groß, wenn du glaubjt, ich fönnte das verwinden.“

„Alta, fteh nicht To falt und fremd vor mir!“

„Wir müfjfen uns Doch von heute an kalt und fremd gegenüberftehen.”

Aber er fchlang feinen Arm um fie und drüdte ihren Kopf feit an feine Bruft.

Gie lag eine Sekunde millenlos in feinen Armen, dann machte fie fich fanft los. „Wir wollen uns feine bitteren Worte fagen. Du wählſt deine Frau ich gehe.“

„Afta, ich wähle He nicht ich Tonn fie nicht wie einen Hund davonjagen. Was willſt du denn anfangen ohne mich, Kind? Deine Verlobung ift fo gut wie aufge- löft, bei deinen Verwandten fühlft du dich unglüdlich!”

„Mir bleibt meine Kunft.”

Er achte Hart auf. „Deine Kunſt! Glaubft du wirklich, daß dein niedliches Stimmchen, dein Salon⸗ talentchen Runft iſt?“

Mita wurde ſehr blaß. „Ich habe doch fo viel Erfolg gehabt?”

„Mit mir ja. Berfuche es einmal, ohne mich zu fingen! Bielleicht applaudiert man deinem hübfchen Geficht zuliebe noch ein paarmal dann (US zu Ende.“

Das war in härterer Form noch einmal Marlas Urteil.

„Früher fprachft du anders.” Ihre Lippen zudten. Ihr war, als ob feine graufamen Worte ihr vollends den Boden unter den Füßen fortzögen. Langſam glitt fie immer tiefer in einen bodenlofen Abgrund, in graues Nichts Hinein. Jeder Halt, jede Stüße, nach der fie

64 Schiffbruch. RED ERDE ELEND ME, SEELE DS Ee, Ee Ee e verzweifelt hafchte, zerfloß mie Nebel ihre Hände griffen in bie leere Luft.

„Du bit diefen Winter über Mode geweſen, weil e3 mir paßte, dich dazu auszumählen,“ fuhr Mengersty ſchonungslos fort. „Mit men ich Konzerte gebe, dem wird allemal applaubdiert, den reif’ ich eben mit durch. Wenn du aber glaubft, daß teure Toiletten, ein helles Stimmen und ein hübfches Geftcht zur Künftlerin ausreichen da fehlt denn doch noch viel. Du wirft ftet3 Dilettantin bleiben.”

„Was fehlt mir denn zur Künſtlerin?“

„Alles oder wenig, wie man’3 nehmen will! Die armjelige Kindheit fehlt dir, eine bittere Sugend das harte, qualvofle Ringen, um das eine zu erreichen... Ach was erklären läßt ſich das gar nicht.”

„And trogdem ich nur Dilettantin bin, mollteft du mich mitnehmen auf deinen Konzertreifen? Hätten meine dilettantifchen Leiftungen nicht den Kunſtgenuß abgeſchwächt?“

„Im Gegenteil erhöht! Bei meinem Spiel hätte das Publikum wahre, große Kunſt genoſſen, bei deinem Geſang ſich von dem ſchweren, überwältigenden Ein⸗ druck ausgeruht. Dem Kenner iſt ſolch ein Gegenſatz reiz⸗ voll, der naiv Genießende nimmt alles dankbar hin.“

Aſta ſtand einige Sekunden ſtumm und blaß vor ihm. Ihr war, als hätten ſeine letzten Worte etwas in ihr zerbrochen.

Er beſann ſich auf eine Einlenkung. Sie tat ihm leid in ihrer bitteren Enttäuſchung. Aber ehe er ſich noch beſinnen konnte, wandte ſie ſich ohne Laut, ohne Gruß zur Seite und ging raſch dem Hauſe zu.

Er wollte ihr erſt nachgehen, aber dann beſann er ſich anders. Es war vielleicht beſſer, ſie beruhigte ſich in der Stille. Wenn er nach einem längeren Spazier⸗

Roman von Henriette v. Meerheimb. 65 u DD FED DEI FED AED ED ED De Dre DD Dede gang zu ihr Tom, noch einmal ruhig, liebevoll bittend mit ihr fprach, würde fie fich Doch noch feinem Wunsch fügen.

ALS er aber am Nachmittag nach einem anjtrengen- den Marſch zu Haufe anlangte, ftand nur Frau Huber vor der Tür.

„Alſo Sie fomm’n doch wenigjtens noch, Herr Men— geröfy! J hab’ fchon denkt, Sie wären mir aud) ausg’rudt?”

„Ich? Wiefo denn?“

„Na, das Fräul'n Wita hat doch gleich nach'm Frühſtück wie toll ihr Sach' ein'packt, Geld hing'worfen und fort!“

„Nach München wohl?“ Mengersky biß ſich auf die Lippen vor Arger. Dieſer Trotzkopf! Nun mußte er ihr in der Hitze nachfahren und ſie zurückbringen.

„Ra, nit nach München, direkt zu Haus zum Bru— der. Sie käm' nie wieder, hat fie gejagt, und fingen tät fie auch nit mehr. Dabei hat fie ausg’fchaut mie unfere Muttergottes mit den fieben Schmerzen. Alle: weil dent’ i, man hat die Gäſt' noch a Weil’ da fliegen |’ fehon wieder auseinander. Was woll'n denn der Herr Mengersty zum Ejfen hab’n? Ein Brathänderl i3 ſchnell g’richt’t.“

„Nichts. Ich fahre mit dem Abendzug na München. Was Toll ich bier noch,” antwortete Mengersty un— wirſch. Er warf die Tür ins Schloß. „Diefe Närrin!“ Seine Lippen waren ganz weiß vor Schmerz und Born.

„Hab’ v3 nit g’jagt? Run geht der auch!” brummte Frau Huber übellaunig. „Iſt halt a verdrehte G'ſchicht' mit dem Künftlervoll. A Schraub’n iS ihna allemeil a bijjel Ioder im Köpfl.“

(Fortfeßgung folgt.)

1904, VI. ö

een

Die Teufelsmaschine.

Bumoreske von A. O. Klaussmann.

mit Jllustrationen ` ?

von Adoit Wald. (Machdruck verboten.) ie fennen doch diejes moderne Gefährt, Auto: mobil genannt, eine Erfindung, die entjchie- den aus der Hölle jtammt, denn fie hat alle Leute in Aufregung verfegt, jelbjt unfere Sprachgelehrten, die über einen Erſatz für das ſchreckliche Wort „Automobil“ nicht einigen können. Den Leuten übrigens, die "di Hals und Beine bei der Sache gebrochen haben, wird es ziemlich gleich- gültig fein, ob dies durch eine Kraftmajchine, ein Aut, einen Selbitfahrer oder durch einen Motorwagen oe: ſchah. ch ſelbſt bin von Anfang an kein Freund dieſer Neuerung gemefen, weil fie zu viel Skandal madt und fich außerdem in gar zu fehlechten Geruch Iept Ich habe mich mein Leben lang nicht mit technifchen Dingen bejchäftigt leider. Aber ein Juriſt hat heutzutage fo viel zu lernen, daß er feine Zeit mehr übrig hat, um fich auch noch um technifche Dinge zu fümmern. Warum jolch ein Automobil von jelber läuft, wodurch es in Bewegung gejegt wird, und mie man es behandeln muß, damit es nicht wild wird oder an der unrechten

Humoreske von U. O. Klaußmann. 67 IRRE ED —⏑ ee AE Ae Bee -X⏑———————2— Stelle ſtehen bleibt von dem allen hatte ich bis vor kurzem abſolut keinen Begriff, denn ich war überzeugt, ic) würde nie etwas mit einem Automobil zu tun be- fommen.

Aber der Menjch fol nichts verſchwören.

Sch ſaß als Affeffor beim Amtsgericht in Nieder- heim und erwartete jehnjüchtig meine Beförderung zum Amtsrichter, damit meinem unbejgldeten Dafein endlich ein Ende gemacht werde. Da lam eines Tages ein neuer Kollege zu uns, ein liebensmwürdiger, netter Menſch, namens Werneburg, der viel überflüffiges Geld bejaß und aud ein Automobil mitbrachte. Ich führte Werneburg in die Gejellfchaft ein, war ihm aud) beim Einarbeiten am Gericht behilflich, und er faßte zu mir bald eine freundfchaftliche Zuneigung, die aber leider durch fein Automobil wieder in die Brüche gehen jolte, denn nach meinen Erfahrungen ift das nun einmal eine Teufelsmaſchine.

In Niederheim erregte Werneburg mit feinem Auto- mobil riefiges Auffehen. Die Bauern in der Umgegend waren noch ziemlich unziviliftert, und als er feine erften Ausfahrten unternahm, wäre er beinahe von ben Land- leuten, die jeine Mafchine in natürlichem Inſtinkt für Teufelswerk hielten, gelyncht worden.

Eines Tages jagte Werneburg zu mir: „Lieber Rollege, morgen gibt’3 auf dem Gericht nichts zu tun, und ich möchte eine kleine Spazierfahrt machen. Wollen Sie mit? Heutzutage muß doch jeder gebildete Menfch mwenigjtend einmal mit dem Automobil gefahren fein. Ich hole Sie gleich nod Tiſch ab, wir. machen eine Kleine Rundfahrt in der Umgegend und find Abends bei guter Zeit wieder zu Haufe.”

Ich begriff, daß man über die neue Mafchine wenig: tens etwas müſſe reden können, und da ich überzeugt

68 Die Teufelsmafchine.

ADDED AD AD ED ED ED DD DDr Dre De Dee Dre war, e3 würde mir bei den jungen Damen ein gemwijjes Relief geben, wenn ich von wilden Automobilfahrten mit entjeglichen Lebensgefahren erzählen könnte, fagte ich ohne meiteres zu. Ich ahnte ja nicht, was mir bevorſtand.

Aber der Menſch verſuche die Götter nicht!

Au.

Gleich nach Tifch holte mich Werneburg ab. Das Automobil war wunderhübfch rot ladiert, die Metall: teile waren vernidelt, alles blitte und ſah äußerſt ein- ladend und verlodend aus. Während Werneburg mir feine Höllenmafchine vorjtellte, fammelte fich die ganze Jugend des Städtchen um uns an, und al3 wir ob, fuhren, gefchah das unter jubelndem Hallo. In der Stadt fuhren wir natürlich langfam, denn als Männer

Humoreske von A. ©. Klaußmann. 69 ADDED TED REDE ED ED ED ED ED Dee De re ee Dre des Geſetzes durften wir uns nicht gegen die Fahr: ordnung vergehen.

Diefes langſame Fahren aber Tote Doch unfer Un: glüd fein. Wir waren nänlich noch feine drei Straßen weit, al3 Werneburg plößlich fagte: „Da drüben geht Fräulein Scheffler.“

Das gab mir einen Stich Herz, ſogar einen jehr tief gehenden Stich.

MWerneburg lenkte fogleich feine Mafchine nach dem Trottoir hinüber, auf dem Fräulein Scheffler ging, hielt mit einem Ruck und rief, feine Müte jchwen- fend: „Guten Tag, gnädiges Fräulein! Wohin des Weges?”

„sch will zum Bahnhof,“ antwortete Fräulein Leonie Scheffler und Hatte dabei nur für Werneburg Augen. Meinen Gruß beachtete fie gar nicht, und ich hatte Ge nicht8 anderes von ihr ermartet.

„sh will Ontel und Tante befuchen drüben in Schmiedefeld. Der Zug geht freilich ert in einer halben Stunde,” fuhr fie fort.

„Mein gnädiges Fräulein,” rief Werneburg, „das trifft fich ja herrlich. Mein Kollege und ich machen einen Ausflug in die Umgegend, und unfer Weg führt über Schmiedefeld. Wollen Ste nicht lieber mit dem Automobil fahren? Wir find viel früher da als der Zug, und da ich die Ehre habe, Ihren Herrn Onkel und Ihre Frau Tante zu Tennen, liefere ich Sie ım- verjehrt bei den Herrfchaften ab und mache dabei auch meinen Bejuch. Hoffentlich macht e8 Ihnen Vergnügen, auch einmal auf einem Automobil zu fahren, gnädiges Fräulein.“

Fräulein Leonie fehien zu überlegen, und ich merfte, daß mich ihr Blick ftreifte. ES war aber fein liebens— würdiger Blid. Dann fagte die junge Dame vorjichtig:

70 Die Teufelsmafchine.

hee Ae MECH, ME, Ee ED ED DEI FED ED ED ED ED ED ED „Sie werden aber jedenfalls zu fchnell fahren, und mir verunglüden am Ende gar.”

„Wo denken Sie hin,“ wehrte Werneburg ab, „wie werde ich Sie denn gefährden! Nein, ich fahre ganz vor⸗ ſichtig. Sie können neben mir Pla nehmen auf dem Borderfiß, und, follte ich Dbnen zu rafch fahren, fo haben Sie e3 ja in der Sand, einfach in das Steuer⸗ rad zu greifen und den Wagen langfamer gehen zu laſſen. Ich habe gefunden, Damen haben ein großes Verſtändnis für das Lenken diefer Kraftwagen.”

MWahrfcheinlich weil Fräulein Leonie nicht neben mir, der ich nun in die hintere Abteilung des Wagens zu fteigen hatte, zu fiten brauchte, erklärte fie fich plöß- lich zum Mitfahren bereit. Ich fprang vom Wagen, um ihr auf den Vorderſitz zu helfen, aber Fräulein Leonie tat, als wäre ich Luft. Sie nahm die Hand, die Werneburg ihr reichte, und ſchwang fich leicht zu ihm hinauf. Ich kroch gedemütigt auf meinen Hinter: ylas, das Automobil tutete mehrere Male binterein- ander feinen Warnungsruf, die Straßenjugend , die Héi wieder bei uns angefammelt hatte; fchrie Hurra, und wir fuhren weiter.

Am Ausgang der Stadt befindet: fich eine Schlofferei, und Werneburg, der bis dahin ſehr vorfichtig gefahren war, bielt plöglid. „Sie entfchuldigen, Fräulein Scheffler,“ ſagte er, „ich will nur einmal zum Schloſſer hinein und mir einen Schraubenjchlüffel mitnehmen, den ich zur Reparatur hier habe. Mein Automobil ift zwar in tadellofem Zuſtande, aber es Lönnte doch vielleicht bei der Rüdfahrt nötig fein, ein paar Schrau⸗ ben Teller anzuziehen, und ich will daher lieber nicht ohne Schraubenfchlüffel fahren.”

Dann ftieg er ab und ging in die Schlofferei hinein. Ich blieb mit Fräulein Leonie allein. Ich buftete, weil

Humoreste von X. O. Klaußmann. 71 TE EE ED ED EDDIE Dr ED Dre Dr De Dee E ich Hoffte, fie würde fich umdrehen, aber fie beachtete mich nicht, und mir war recht erbärmlich zu Mute. Hätte ich mich nicht gefchämt, fo wäre ich längſt ob, geftiegen und hätte mich feitwärts in die Büfche ge- Schlagen. Nur nicht länger in der fchredlichen Lage eine3 mißachteten VBerbrechers hinter der jungen Dame figen, die fo ganz und gar Feine Notiz von mir nahm!

Ja, ich war ein Verbrecher, ein fehr ſchwerer Ver: brecher ſogar, das mußte ich felber, und wenn Fräu— lein Leonie mich ſchlecht behandelte, fo Hatte ich es ver- dient. Kuliffenfieber und Champagner find böfe Dinge, befonder8 wenn fie gleichzeitig auf einen Menfchen ein- wirken, und hatten mich vor kurzem erſt in eine ſchauder⸗ hafte Patjche gebracht. |

Man hatte mich für das Liebhabertheater gepreßt und mir eine eme Rolle aufgezmungen. Ich Hatte noch nie in meinem Leben gemimt und nur eine Dunkle Ahnung, daß man fich dabei ſcheußlich blamieren könne, aber ich jagte an, und zwar lediglich deshalb, weil ich hoffte, mit Fräulein Leonie auf den Proben öfters zu- fammenzulommen, denn ich interefjierte mich außer: ordentlich für die junge Dame. Alle Unannehmlichkeiten, die die Proben ſchon brachten, wie da3 Ausmwendig- lernen, auch die Grobheiten, die mir ber Regiſſeur ein wirklicher Schauspieler mährend der Proben fagte, nahm ich mit in den Kauf, überftand ein acht- tägiges Kulifjenfieber, jchon bevor die Sache wirklich zum Klappen Tom alles, um mit der Angebeteten meine3 Herzens zufammenfein zu Tonnen. An dem Sonntag, an dem die Aufführung ftattfand, ich nicht einen Biſſen und lief umher mie ein Menfch, der gehentt werden fol. Bevor das Theaterfpielen los— ging, trank ich aus Angft mit einem anderen Mit:

72 Die Teufelsmaſchine.

DD ADD ADD rer ED Drei ce ED fpieler, einem Artillerieoffizier, met Flafchen Sekt, wo⸗ von der größte Teil auf mich fam. In einem Zuftand halber Bemußtlofigfeit trat ich auf die Bühne und brachte meinen Spruch an.

&3 lief alles vortrefflich ab, ich erhielt fjogar Applaus. Das verdrehte mir, zufammen mit dem zu viel genoffenen Champagner, vollitändig den Kopf. Als ich die Bühne verließ, um mich durch den halbdunklen Gang, der hinter der primitiven Bühneneinrichtung zur Herrengarderobe führte, zurücdzuziehen, begegnete mir Fräulein Yeonie. Sie trug ein reizendes Rokokokoſtüm und wollte foeben auf die Bühne gehen. Sie fah mit der weißen gefräufelten Perücke und in dem Koſtüm fo entzüdend aus, daß ich unter der Einmirfung meines Bühnentriumphes und des Gefteë einen nicht3mürdigen Überfall auf fie be ging, indem ich fie plößlich umarmte und küßte. Ich befam eine recht energijche Ohrfeige dafür, und das verblüffte mich fo, daß ich ganz befinnungslos die Worte jftammelte: „Werzeihung, gnädiges Fräulein, e3 war ein Irrtum, es liegt eine Verwechjlung vor!”

Dann verſchwand ich in der Herrengarderobe und blieb bier glücklicherweife eine ganze Zeitlang allein, um mid) mit meiner Niederlage abzufinden.

Trogdem ich mich entfchuldigt hatte, und Fräulein Leonie nun annehmen Tonnte, das Attentat hätte ihr gar nicht gegolten, beachtete fie mich von diefem Tage an abfolut nicht mehr. Ich hatte zuerjt gefürchtet, nein gehofft, fie würde fich bei ihrer Mutter über mich befchmweren, und diefe würde mich durch den Vater zur Nechenfchaft ziehen laſſen. Dann hätte ich ſchlankweg um fie angehalten. Aber fie jtrafte mic) mit dem Gräßlichiten, was einem Menfchen pajfteren Tonn, näm— lich mit der namenlofeften Verachtung!

Da Jop fie nun vor mir, faum einen Meter von

Humoresfe von A. DO. Klaußmann. 73 N ee PEN en PEN EN —⏑ en ee EC mir entfernt, und doch eriltierte ich nicht für fie! Pie Sage, in der ich mich befand, war |

Da ging das Automobil plöglich los und fuhr wie wahnfinnig davon. Ich hörte einen lauten Schrei Leonie und gleichzeitig einen Schredensruf Werne- burg3, der ſoeben mit dem vermaledeiten Batentjchrauben-

sm "e e ——

ſchlüſſel in der Hand aus der Schloſſerei herauskam. Zum Glück führte die Straße ſchnurgerade weiter; denn ſonſt weiß ich nicht, was geſchehen wäre.

Fräulein Leonie hatte wohl aus Langerweile am Mechanismus herumgedreht, und nun ging die Teufels— maſchine durch.

Hier galt es zu handeln. Ich ſprang auf den

74 - Die Teufelsmaſchine. DDr Dee Dr eD Vorderſitz, plumpfte mit einem Ruck neben der ganz blaß gewordenen jungen Dame nieder und ergriff das Steuer. Zum Glüc hatte ich bereit3 Werneburg fo viel abgejehen, daB durch das Bewegen des jchräg jtehen- den Rades das Automobil gelenkt werden fonnte, ich bemerkte auch, daß ich, fobald ich das Rad ergriffen, die Teufelsmaſchine wenigftens fo weit in meine Gemwalt befam, daß fe dorthin laufen mußte, wohin ich wollte, aber die Gefchwindigfeit, mit der wir dahinfauften, ver- minderte fich nicht, denn ich hatte feine Ahnung, wie man den Wagen zum Stehen bringe, was ich jo gerne getan hätte. Erſtens war unjere Schnelligfeit beängjiti- gend und außerdem war e3 natürlich höchit taktlos, Freund Werneburg im Stich zu laſſen und gemilfer- maßen mit Fräulein Leonie durchzugehen. Dieſe neue Sreveltat wäre ja noch fchlimmer gemwefen als die erite gegen fie verübte.

Warum bat aber eine folche Satansmafchine fünf oder ſechs Hebel, die. man ziehen, drüden, heben oder ihieben Tann? Ich hielt die Linfe Hand am Steuer: vad und probierte. an allen Hebgfıx herum; ich drückte, ich 308, ich zerrte. Dann gab e8 auf einmal einen furchtbaren Knall, ich hörte das Brechen und Klirren von Eifen, das Automobil machte einen Sprung wie ein Pferd, das die Sporen befommt, und jaufte wie ein Pfeil weiter. Ich ahnte, was gefchehen war: ich hatte den Mechanismus, der das Abjtellen des Motors beforgt, ruiniert, und nun moren mir auf Gnade und Ungnade der Zeufelömajchine über: lafjen.

„So halten Eie doch endlich!“ rief Fräulein Leonie, wie es ſchien, ſehr ärgerlich. | Sc antwortete: „Gnädiges Fräulein, ich habe mein möglichftes verjucht, aber ich glaube, der Abjtellmecha-

Humoreske von X. DO. Klaußmann. 75 nismus ift nicht in Drdnung, der Wagen mp erft halten, wenn das Benzin verbraucht ift.“

„Aber wir können doch nicht endlos in’ die Welt bineinfahren! Um Himmels willen, nein, das gebt nicht! Ich fteige aus!” rief Fräulein Leonie und machte Anftalten, aus dem mie wahnfinnig dahinjagenden Automobil zu fpringen, wobei fie natürlich Hals und Beine gebrochen hätte. |

„Rühren Sie fich nicht, oder Sie find verloren!” fhrie ih. „Was Tonn denn gejchehen? Ich werde die Mafchine zu lenken verfuchen, damit wir nicht irgend» mo anrennen oder umfjchlagen. Einmal wird Doch die Triebfraft aufhören.“

Darauf tat Fräulein Leonie das, was junge Damen immer in ſolchen Augenbliden zu tun pflegen: fie 308 ihr Tafchentuch heraus und begann zu weinen. Ich ſah das nur flüchtig, denn ich hatte mit der Teufel3- mafchine genug zu tun. Das Automobil zeigte eine törichte Neigung, in die Straßengräben zu faufen, und ich hatte fchwere Mühe, es daran zu verbinden. ` Debt näherten wir-ung einem Dorfe.“Ich tutete wie wahnfinnig, um alles Lebende zu warnen, aber im näch— Hen Augenblick ſchon hörten wir ein entjegliches Duielen, Schreien, Grunzen, einen Ton, der durch Mark und Bein ging. Das Automobil machte einen Saß und fprang nach vorwärts, einen Augenblid legte es mëi fogar etwas auf die Geite, dann jagte es weiter.

„Um Gottes willen, wir haben jemand überfahren!“ freifchte Fräulein Leonie, und ich war glüdlich, mit hoheitsvoller Miene ermwidern zu können: „Nein, mein mwertes Fräulein, e8 war nur ein Schwein!“

So raſch wir auch fuhren, jo hörten wir doc Schreien, Schimpfen und Rufen hinter uns, und als ich mich auf eine Sekunde ummwandte, jah ich jogar einen

76 Die Teufelsmaſchine.

Gendarmen hinter uns ber geritten fommen. Aber was fonnte der Gendarm gegen unfer Automobil ausrichten! Wir fuhren mit geradezu überirdifcher Geſchwindigkeit, wenigſtens fam es mir fo vor.

Debt waren wir wieder auf freier Gtraße, und wäre nicht der Staub geweſen, der uns in eine Wolle büllte, deren Beitandteile Déi hät unangenehm in Hals, Nafe und Augen drängten, jo hätte es mir bei- nahe Spaß gemadt, fo dahinzufliegen.

Bald näherten wir uns Schmiedefeld, und ich warnte durch unabläfliges Tuten. Ich erreichte damit aber nur den Zweck, die gefamte Einwohnerfchaft, Mann, MWeib, Kind und Hund und Kate, auf die Straße zu loden. Unter allgemeinen Entfegensrufen raſten mir durch Schmiedefeld hindurch.

„Halten Sie doch! So halten Sie doch!“ fchrie Fräulein Leonie, aber mir jagten an dem Haufe, in dem der Onkel und die Tante meiner liebensmürdigen Neifegefährtin wohnten, in unverminderter Gejchwindig- feit vorbei. Ich ſah zwei Arme ſich verzweifelt in Die Luft ſtrecken, welche jedenfalls Leonies Tante angehörten, die im Borbeifahren ihre Nichte erfonnt hatte. Dann gab es zweimal einen Ruck, ein plögliches Schreien ein. Hund, ſowie eine Ziege waren unferer Fahrt zum Opfer gefallen.

Weiter ging es, immer in der Ebene, und ich hätte mer weiß was um einen Berg gegeben, an dem das Automobil bätte binauflaufen müffen, um menigftens Doch einen Teil feiner Kraft zu verlieren. Aber der rettende Berg ließ Héi nicht ſehen; die norddeutjche Ziefebene ift leider flach wie ein Billard.

Tas nächſte Dorf murde durchjagt, ohne daß Menschen oder Tiere gefährdet wurden, aber die Ein- mwohnerjchaft mußte bereit3 von unjerem Nahen in

Humoresfe von A. O. Klaußmann. 77 DD DDr Der Dre Dre EDDIE ED ED Kenntnis geſetzt worden fein mahrjcheinlich durch den Telegraphen denn eine Menge Menfchen jtanden auf den Straßen, aber achtungsvoll an die Häufer oe: drüdt; nur einige verwegene Kerle verjuchten, dem Automobil große Knüppel in den Weg zu werfen. Einer diefer freundjchaftlichen Knüppel faufte fo dicht neben meiner Reifegefährtin und mir vorbei, daß mir nur durch ein energifches Wenden der Köpfe einem jchmeren Unfall entgingen.

Wieder waren wir auf freier Landftrafe. Wir näberten uns jetzt der Eifenbahn, und ich wußte, daß wir diefelbe kreuzen mußten. Da Tom auch ein Per- fonenzug auf der Strede entlang gedampft. Ich Hatte das angenehme Gefühl, daß wir gerade mit dem Ber: fonenzug zugleich an der Stelle eintreffen würden, wo Eifenbahn und Landitraße fich Freuzten. Wenn Dom unfer Automobil die Schranfe zertrümmerte, und wir befonderes Bech hatten, wurden wir von dem Perjonen- zug gefaßt und zermalmt. Der Gedante war mir jo fchreelich, daß ich die Linfe Hand vom Steuerrad nahm und die rechte Leonies ergriff, gleichfam als wollte ich fie fchüßen, aber die junge Dame fchleuderte meine Hand weg, al3 wäre fie giftig.

Wir hatten aber Glüd. Der Perſonenzug fuhr doch fchneller über die Kreuzungsitelle, und wir kamen in dem Augenblid an, als der Bahnmärter die zmeite Schranke zurüditieß. Um ein Haar wäre er überfahren worden, und er jchimpfte fürchterlich hinter ung ber.

Set lag wieder ein Dorf dicht vor uns. Plötzlich gab es ein unheimliches Rafjeln und noden im Gang- wert des Automobils, einen Augenblid blieb es jtehen, dann ſetzte es fich aber nochmals in rajende Fahrt. Das noden, Rrachen und Raſſeln wiederholte fich, und mitten im Dorfe ftand unjere Machine endlich ftill.

78 Die Teufeldmafchine. DIDI DD RD RD ARD ED ADD ED DDr

Auch hier war die Einwohnerfchaft durch den Tele- graphen alarmiert und bereitete uns einen ſehr un: angenehmen Empfang. Borerft bekam ich eine Tracht Prügel, und zwar feine Heine. Dann wurde ich durch einen modernen Büttel vulgo PBolizeidiener befchüßt, aber e3 koſtete mir und dem Boliziften ert ſchwere Mübe, Fräulein Leonie au den Händen der rafenden Weiber zu befreien, welche über fie hergefallen waren und nicht übel Luft zu haben fehienen, fie zu lynchen.

„Mörder elende Mörder!” fehrie man ung nach, als uns der Bolizeidiener abführte, und hätten die Leute nicht auf ihren Gemeindebüttel Rüdficht genommen, fo hätten fie uns wahrjcheinlich gefteinigt.

Halbtot langten wir vor einem alten verfallenden Turm an, der, mie ung bald Dor wurde, als Orts— gefängnis diente.) Zwei enge Treppen führte uns der Polizeidiener hinauf, nachdem er vorfichtig unten daS Tor vor dem nachdrängenden Volke geſchloſſen hatte. Dann öffnete er die Tür zu einem balbrunden Turmzimmer, in dem "éi ein Wafferfrug und zmei Schemel befanden, ließ ung eintreten und fchloß uns ein. Bon unten her hörten wir das Sohlen und Schreien der VBollsmenge, und deutlich vernahmen wir wieder die Worte: „Mörder Mörder!”

Popularität ift ja eine fchöne Sache, aber jegt war fie recht meng angenehm. Leonie jant ganz gelnidt auf einen der dreibeinigen Schentel, und ich jette mich auf den anderen. |

„Fräulein Leonie,” fagte ich, „tragen Sie die Sache mit Humor. (ES hätte viel fehlimmer fommen können. Wir hätten mit zerbrochenen Gliedmaßen in irgend einem Graben liegen bleiben oder mit unferem Auto-

*) Siehe das Titelbild.

Humoreske von A. DO. Klaußmann. 79 Dre red DD ED AD AD ED ED ED ED Dre mobil an einem Hindernis anfahren und zerfchmettert werden können. Als wir die Eifenbahn kreuzten, meinte ich, unfer letztes Stündlein fei gelommen, und ich er- laubte mir in diefem Augenblid Ihre Hand zu faſſen.“ Leonie antwortete mir nicht, fondern hielt ihr Ge- ficht mit dem naßgemeinten Tafchentuch bededt.

In gewiſſen Augenbliden wird man zu einem ganz gemeinen Menjchen. Die Prügel, die ich empfangen hatte, verjegten mich auch nicht gerade in eine an- genehme Stimmung, und ich wollte e3 doch der jungen Dame beibringen, daß lediglich durch ihre Schuld die ganze KRataftrophe entitanden war. |

„Snädiges Fräulein,” fuhr ich in fchärferem Zone fort, „ich hätte e3 gemiffermaßen als ein Glüd betrach- tet, mit Ihnen zufammen zu fterben und noch dazu durch Ihre eigene Veranlafjung, denn Sie haben durch da3 Spielen an dem Mechanismus die Teufelsmajchine in Gang gebracht. ch ſage Ihnen das nur, um Ihnen Tor zu machen, daß Sie Leine Urſache haben, mich fo ſchändlich zu behandeln, wie Sie es noch immer tun. Gie zürnen mir, und mit Recht, aber lieben Sie wenigſtens einen Waffenſtillſtand, bis mir aus diefem Mode herausfonmen. Das Tann Ran noch ziemlich lange dauern.“

Leonie ſchien zu überlegen; ſie antwortete mit einer Frage: „Warum ſchreien die Menſchen dort unten fort⸗ während: Mörder?” -

„Sch weiß es nicht, Fräulein Leonie, es muß Héi um ein Mißverftändnis handeln. Wenn man ein Schwein, einen Hund und eine Ziege überfährtt vielleicht find auch einige Gänſe darunter, aber ich weiß es nicht genau jo ut man doch dadurch noch fein Mörder. Die Gefchichte Tonn nach meiner Be- rechnung bundertzwmanzig Mark koſten, und für eine

80 Die Teufeldmafchine.

Ae, EC, EC, EC ME REDE ED DD ED ED EDDIE DD jolche „VBergnügungsfahrt” bezahlt man fie ja gern: Eine Strafe wegen unvorfchriftsmäßigen Fahrens werden wir jedenfalls nicht erhalten, denn wir find ja an der Sache unfchuldig, aber jchadenerfagpflichtig find wir natürlid. VBorläufig babe ich nur den Wunſch, daß Werneburg fich auf die Jagd nach dem Automobil macht, um uns ber ouë dem Loche berauszubringen, denn wenn wir vielleicht vierundzmanzig Stunden bier figen müßten, fo wäre das doch wirklich Feine Annehm— lichkeit.“

„a3 ?* fchrie Fräulein Leonie auf. „Bierundzmanzig Stunden? Gie wollen doch nicht fagen, daß wir bier beide in der Gefangenzelle bleiben müſſen?“

„Dieſe Ausficht ift vorhanden,” entgegnete ich, „und zwar mit ziemlicher Sicherheit. Ich kenne die Verhält- niffe bier in dem Neft nicht, aber ich bin überzeugt, befondere Gefängniszellen erfier und zweiter Klaſſe gibt e3 nicht. Man ift bier etwas ländlich. Deshalb werden wir mwahrfcheinlich die Nacht bier verbringen müffen, gnädiges Fräulein.“

Leonie befam einen neuen Anfall von Schluchzen. „Mein Gott, was fol daraus werden!” rieffie. „Denken Sie, mas das für mich heißt. Ich bin unmöglich ich bin verloren!“

Ich faßte einen heldenhaften Entjcehluß, trat an das Fenſter des Turmes, da3 nicht befonder8 Hoch über dem Boden war, holte mir dann den Schemel und ftieg hinauf, um durch das Fenfter zu fehen. Pie Gr fcheinung meines Geficht3 in der Fenjteröffnung murde von unten mit lautem Sohlen begrüßt, und einige Steine famen geflogen, welche zu meiner Rechten und Linken die Mauer trafen. |

„Wir befinden uns zwar zwei Stockwerke hoch, aber unten fteht ein Baum, Sräulein Leonie. Sobald "di

Humoreske von A. DO. Klaußmann. 81 I DDr ee ee DD ee ee ee eebe e der fröhliche Schwarm dort unten verlaufen hat, zer: trümmere ich das Gitter und jpringe durch das Feniter, um Shren Ruf nicht zu gefährden.”

„Sie werden Héi Hals und Beine brechen.”

„Um Shretmwil- len, Fräulein Leo— nie, joll mir ein Vergnügen und eine Ehre jein.”

„Es UI traurig genug, daß Sie in ſolchem Augenblid noch ſcherzen kön— nen.“

Zu meiner Freude bemerkte ich, daß ſich meine ſchöne Feindin auf einen Streit mit mir ein— laſſen wollte, da— durch trat unſer Verhältnis aus dem Stadium der gänzlichen Verach— tung in das des Kampfes, und dd AT ift immer ein Vor: 0.0 teil.

„Es wäre viel fchlimmer, mein liebes Fräulein,” jagte ich, „wenn ich ebenfalls Trübjal blajen wollte.

Nur der Humor Tonn uns aus der Sache herausretten. 1904. VI. 6

82 Die Teufelsmaſchine.

eier EC ME DD EDDIE FED EDDIE DE DDr DD ED Es ijt bis zu dem Baum fein fo großer Sprung, und wenn ich Ihnen fagte, es wäre mir ein Vergnügen, für Sie aus dem Fenſter zu fpringen, fo meine ich das ernjt. Ich weiß, die Zeit und der Ort find wenig dazu angetan, un Ihnen ein Geftändnis meiner Verehrung und Neigung zu machen, aber unfere Zage entjchuldigt vieles. So lange ich Sie fenne, Fräulein Leonie, find Sie mir wert und teuer gemwefen. Ich liebe Sie. Biel- leicht denken Gie jetzt anders über das Attentat, das ih im dunklen Gange zur Theatergarderobe auf Gie verübte.”

Leonie war aufgefprungen, ihr Geficht mar zorn- gerötet, als fie mir zurief: „Sie lügen fchändlich! Gie mißbrauchen die Zwangslage, in der ich mich befinde, in einer empörenden Weiſe!“

„Fräulein Leonie, der Vorwurf der Lüge ( für einen Ehrenmann fo ſchwer, daß ich bitten muß, ihn zu bemeifen. Sie haben mich jet auf das Dette be: leidigt, und ich fordere von SYhnen Genugtuung, mwenig- tens das Recht, mich zu verteidigen.“

„Sie zwingen mich, hr Liebesgejtändnis in dieſem unpaffendften Augenblide, den es überhaupt geben kann, anzuhören, während Ihr Herz einer anderen gehört.”

„Hein Herz einer anderen?” fragte ich verblüfft.

„Woher willen Sie denn das? Was veranlaßt Sie zu diefem Glauben? Schließlich muß ich Doch mein Den beffer Tonnen al3 jede andere Perſon.“

Leonie ſchien mit fich zu fämpfen, dann jagte fie, zu Boden blidend: „ALS Sie mich damals im dunklen KRorridorgange überfielen, erklärten Sie zu Ihrer Ent: fcehuldigung, e3 Handle fich um eine um eine Vers wechſlung. Ihre plumpe Zärtlichleit war alfo : einer ‚anderen Dame zugedacht.*

Humoreske von d DO. Klaußmann. 83 DREDEDREDF ED FED D AD ED DD ED EDDIE DD ED DD „Das war eine Notlüge,” antwortete ih. „Ih handelte in einem Zuftand von Sinnesverwirrung, Der durch Ruliffenfieber und EChampagnergenuß entitanden ` war. Meine Verwirrung wurde aber noch durch die Ohrfeige gefördert, die Sie mir freundfchaftlichermeife zu teil werden ließen. In meinem Zuftande ftammelte ich die alberne Entjehuldigung, die allerdings eines Schulbuben würdiger gemejen wäre als eines gebildeten Mannes. Aber ich ſchwöre es Ihnen, in diefem Augen- bid. da wir gefangen hier im Turm fißen und unten die wütende Vollsmenge unjere Stalpe fordert, daß die „plumpe Zärtlichkeit”, wie Sie fo freundlich waren, mein Benehmen zu bezeichnen, nur Ihnen galt, die allein ich verehre und liebe.”

Nach Deier inhaltreichen Rede ſetzte ich mich ve figniert auf den Schemel in der Nähe des Fenfters und wartete auf eine Antwort meiner Mitgefangenen. Dieje Antwort erfolgte aber nicht. Fräulein Leonie hatte fich auf ihrem Schemel fo herumgedreht, daß fie mir den Nüden zeigte. Sie betrachtete die leere Wand des GC runden Turmgemachs.

Ich ließ ihr Zeit zur fbeeiehie: Als aber eine Biertelftunde vergangen war, ohne daß ich eine Ant: mort erhielt, näherte ich mich ihr und fragte: „Haben Sie mir gar feine Antwort zu geben auf das, was ich Ihnen fagte, und was mir aus dem tieften Herzen am?“

Leonie ſtand auf und wendete Déi mir zu. „Wenn ich Ahnen glauben könnte —“ murmelte fie mit blut- rotem Geſicht.

„Es gibt Augenblice, in denen man glauben muß!“

Sie jentte den Kopf. „Können Sie fich denn nicht Defien, daß ein Weib empört, gedemütigt, erbittert fein muß, menn ein Mann ihr Zärtlichkeiten ermeift und

84 Die Teufelsmaſchine. ⏑⏑ ED De Dr DE Dre DE Dre Dre ihr dann fagt, dieſe hätten einer ganz anderen og: golten?“

„sa, das verftehe ich wohl. Jetzt aber iſt dieſes Mißverftändnis aufgeklärt. Und darum frage ich noch: mals: Leonie, Geliebte, wollen Eie mir verzeihen? Fühlen Sie denn gar nichts für mich?“

Und da flüfterte fie: „Ich habe Sie ja ſchon lange geliebt und gerade deshalb —“

„Mein ſüßes Mädchen!” rief ich voller Entzüden und ſchloß fie jubelnd in die Arme.

Wir küßten uns gerade herzhaft, als mir Lärm auf der Treppe hörten. Leonie erſchrak fehr, weil fie glaubte, die empörte Volksmenge fäme, um uns zu ers morden. Aber diefe Vermutung war glücdlichermeife falſch.

Die Tür ging auf, und herein trat der Büttel, der Gendarm, Werneburg und noch einige andere Perſonen. Sie kamen als Befreier.

Ich frage hierdurch aber entrüſtet öffentlich an, warum man Leute, die aus Elſaß-Lothringen ſtammen, in Norddeutſchland als Gendarmen anſtellt? Dieſem Umſtand allein nämlich verdankte ich Prügel und Ge— fängnis. Der Gendarm hatte telegraphiert: „Automobil- fahrer aufhalten! Haben Schwein, Hund und Geis überfahren!“

Den Ausdruck „Geis“ für Ziege kannte der nord⸗ deutſche Telegraphiſt nicht, er glaubte, es ſei ein Schreib- fehler und machte daraus das Wort „Greis”. Co famen mir in den Verdacht, Mörder zu fein, und wurden, als unſer Automobil ftreitte, fo böſe von der entrüfteten Bevölkerung empfangen.

Borläufig wurden wir aus dem Gefängnis. ent- laffen. Aber bis ſpät Abends wurden wir „verhört”. Dann fuhr Leonie und ich mit der Eifenbahn nad

Humoresfe von A. DO. Klaugmann. 85 SE Ee DDr DD AD AD AED AD DD re DDr De DrzDre Dr ED Niederheim zurüd, und ich hielt noch ſpät Abends bei Leonies Eltern um mein Bräutchen an.

Sch wurde, als ich erklärte, Rechtsanwalt werden zu wollen, damit unjerer baldigen Berbeiratung nicht3 im Wege ftehe, in Gnaden angenommen.

Schwein, Hund und „Geis“ Tofteten Hbundertund- fünfzig Mark, die ich gern bezahlte. Ich wollte auch die Reparaturlojten für da3 Automobil tragen, aber Werneburg lehnte mein Anerbieten ab. Er erklärte, er verkaufe die Teufelsmaſchine, die ihn um fein Lebensglüd gebracht habe. Er habe nämlich Leonie auch geliebt und wollte in den nächſten Tagen fich er klären.

Beſtraft wurde ich wegen unſerer tollen Fahrt nicht. Aber als ich mit Leonie ſchon verheiratet und wir von unſerer Hochzeitsreiſe zurückgekehrt waren, hatten wir noch ein paar Vernehmungen wegen der Fahrt zu über— ſtehen. Unſere deutſche Gerechtigkeit arbeitet eben ſehr gründlich.

Leonie und ich gehen jedem Automobil in weitem Bogen aus dem Wege. Das mag undankbaͤr fein, aber ficher ijt ficher!

Russen in der Mandschurei.

Bilder aus dem fernsten Osten. Von Martin Howitz.

1

mit ı1 Jllustrationen. Machdruck verboten.)

N: von Rußland unternommene und vollendete Bau einer Eifenbahn durch die Mandjchurei, melche den Schienenweg der GSibirifchen Eifenbahn bi3 zum Golf von Petſchili fortjegt, ift, abgefehen von jeiner politischen Bedeutung, ficher eine Kulturtat erften Ranges, aus welcher auch dem deutjchen Handel und der deutjchen Induſtrie beträchtlicher Vorteil erwachſen dürfte. Durch dieſe Eifenbahnverbindung iſt dem Verkehr mit Oftafien ein Weg gefchaffen, der Tier, bequemer und für die wichtigften Waren, die in Betracht fommen, ` auch billiger ift als die befannten Seewege zwiſchen den Häfen Europas und denen von Ehina und Japan. Mit der Mandjchurei ift aber durch die „Ehinefijche Ditbahn”, mie die transmandfchurifche Bahn offiziell heißt, ein Ländergebiet in der Größe von Ofterreich- Ungarn der Kultur und Ausbeutung erſchloſſen worden, das in feinen Bergen unermeßliche Schäße von Gold, Erz, Kohlen und anderen Mineralien birgt, und deſſen

Bon Martin Homiß. 87 ER ek u Pt Pan Par nn Par Tun put Eeer Da a m Boden zu eis Mm nem großen I 8 Teil entwe— der für die LZandmirt- jchaft oder für die Vieh- zuht ganz vorzüglich geeignet ut. Nicht viel über ein Jahr⸗ zehnt hat die Ausfüh— rung dieſes Rieſenunter⸗ nehmens ge— dauert. Am 19.Mai 1891 legte Zar Ni—⸗ folaus LI. noch als Thronfolger das erite Glied der großen ©ibi- rifchen Eifen- bahn. Am 1. November 1901 konnte dev ruſſiſche Finanzmint- Her v. Witte feinem kaiſer—

Port Arthur.

83 Die Auffen in der Mandfchuret.

IREDIERD EDDIE DD DD DDr EDDIE ADD DD lichen Herrn die Vollendung der „Chinefifchen Oſtbahn“ melden, und der Zar beglüdwiünfchte nun den Minifter „zu der Beendigung eines der größten Eifenbahnunter- nehmen der Welt in einer fo kurzen ert und inmitten von unglaublichen Schwierigkeiten“.

Mit großem diplomatischen Gefchid hat es Rußland in diefem Jahrzehnt von-1891 bis 1901 verjtanden, die zwijchen China und Japan ſtets herrfchende Eifer: ſucht, den für Japan fiegreichen Krieg mit China, Chinas wachjende Geldverlegenbeiten, den Boreraufitand und beten Niederwerfung durch die verbündeten Mächte, Deutfchlands Okkupation von Kiautſchou, die Iſoliert— beit des britifchen Reichs während des Burenfriegeg, fomwie die Lage in Korea auszunugen, um rechtzeitig die feiner oftafiatifchen Politik günftigen Verträge mit der chinefifchen Regierung zu jchließen. Sa, die Er- hebung der mandjchurifchen Bevölkerung im “Jahre 1900 gegen die ruffifchen Truppen, welche den Bau der Ehinefifchen Dftbahn zu fichern hatten, gab jchließlich den Ruſſen auch einen berechtigten Vorwand zu jener militärifchen Befegung der Mandfchurei, Die noch heute anhält und die nicht nur in den Kabinetten der Re gierungen von Japan und Großbritannien fo viel Miß- trauen erregt hat.

Das Bordringen der Ruſſen nach Südoften gegen den Stillen Ozean, ihr Verlangen nach eigenen, mo: möglich eisfreien Häfen im Bereiche der Verkehrszone zwifchen China und Yapan reicht bi3 in die Witte des vorigen Jahrhunderts zurüd.

Bis 1858 befaß Rußland noch nicht das fibirifche Küftenland am Japaniſchen Meer, in dejjen füdlichiter Bucht jet die mächtig aufblühende Hafenftadt Wladi- woſtok liegt, die Hftliche Endftation der eigentlichen Sibi- rifchen Eifenbahn. Die ganze ruſſiſche „Küftenprovinz“

Bon Martin Howiß. 89 OD mD ED D DE Dr ED AED ED DD DD AD ED De und die ganze „Amurprovinz”, die "dy weſtlich von jener zwifchen dem Sgablonoigebirge und dem mittleren Lauf des Amur ausbreitet, wurden ert in den fahren 1858 und 1860 von China an Rußland abgetreten;

Eisenbahnbrücke im Süden der Ehinesischen Ostbahn.

beide Gebiete hatten vorher zur Mandſchurei gehört. Seitdem bildet der Amur bis zum Einfluß des Uſſuri die nördliche Grenze der Mandfchurei, und der Uſſuri die Dftgrenze des Landes gegen Sibirien.

Der Mittellauf des Amur macht einen großen Bogen nach Norden, und daher jchiebt fich der nördlichjte Teil der Mandjchurei ziemlich weit hinauf zwiſchen die ſüd—

90 Die rullen in der Mandjcdyurci. ` EIrDrDrEDrD lichen Zeile von Zransbailalien und der jibirifchen Küftenprovinz. Als es nun galt, den vom Ural ber durch Südfibirien vorrüdenden Schienenweg der Si— birifchen Eifenbahn von Transbaifalien nach Wladi— woſtok weiterzuführen, wäre der Bau der Strede am linfen Ufer des Amur entlang ein bedeutender Ummeg ge- melen. Das war von der ruffifchen Regierung ſchon beim erften Entwurf der Bahn ind Auge gefaßt worden, und gleich als der Bau begann, waren auch fchon Unterhandlungen mit China in Vorbereitung, welche auf die Erlaubnis abzielten, jene Strede der Bahn in diretter Richtung auf Wladimoftot durch die Man- dfehurei zu führen. Um befjer zum Biel zu gelangen, führte die ruffifche Regierung die Unterhandlungen aber nicht felbit; fie rief vielmehr in Peling die „Rufjifch- chinefifche Bank” ins Leben, die ihr zum Werkzeuge diente bei der Verwirklichung ihres Planes. Die Bank fand reichlich Gelegenheit, der chinefifchen Zentralregie- rung wichtige Dienfte zu leiften, und als Gegenleiftung erhielt fie im September 1896 die erbetene Konzeſſion für den Bau jener Bahn durch die nördlide Man: dfehurei, was freilich nicht ohne gewiſſe Zugeſtändniſſe erreicht werden fonnte. Die „Geſellſchaft der Chineſi— chen Oſtbahn“ wurde gegründet, deren Präfident von der chinefifchen Regierung zu ernennen mar, und in beten Vorſtand neben Ruſſen auch. Chinefen traten. In Wirklichleit war auch dieſe zweite Gründung ein Unternehmen der ruffifchen Regierung; mit ruſſiſchem Geld, mit ruſſiſchen Materialien und von ruffifchen Spmgenieuren ward der Bau der Bahn in Angriff oe: nommen. Um den Bau vor Störung und Berjtörung durch feindfelige Elemente der mandjchurifchen Be: völferung zu fichern, legte Rußland mit Genehmigung Chinas in die Ortſchaften an der Bahnftrede und in die

Don Martin Howiß. 9 OD DA DD ED neuentjtandenen Stationen nicht unbeträchtlicde Schuß: truppen. Dasfelbe geſchah, als die „Gejellfchaft der Chinefifchen Oſtbahn“ die weitere Konzefjion erhalten

en a.

Bahnstrecke durchs Gebirge auf dem Weg nach Port Arthur.

hatte, jene Duerbahn im Norden der Mandfchurei durch eine jüdlich gerichtete Bahn zu ergänzen, die bis nach Port Arthur an der Straße von Betjchili geführt werden follte. Da die Geſellſchaft von der chinefifchen Regierung aber auch die Erlaubnis erhalten hatte, in der Man: dfehurei nach Belieben Kohlen: und anderen Bergbau,

92 Die Ruſſen in der Mandjchurei.

DD DD DD ED ED ED ED me D ED ED ED DD ECH Induſtrie und Handel zu treiben, jo bejchränfte fich der Dienft jener Schußgtruppen nicht auf den Bahnbau allein, und es war nicht zu vermeiden, daß es öfters auch zu Neibereien zwiſchen been Truppen 19 fotoen: jotnien und 8 Kompanien Infanterie unter General Gerngroß und den chinefifchen Gouvernements- truppen Tom. die jeit langer Zeit in der Mandjchurei

in ganz bejonderer Weiſe organifiert worden waren.

Provisorische Bahnstrecke zur Herbeischaffung des Baumaterials.

Die Mandfchurei ift eines Der Mebenländer des chinefifchen Neiches. Trotzdem fie die Urheimat der heute noch China beherrfchenden Mandfchudynaftie ift, ift fie doch nicht dem eigentlichen "Heide einverleibt worden. Gite zerfällt adminiftrativ in die Provinzen Schingking (die Halbinfel Liaotung) im Süden, Mir in der Mitte und Holungliang im Norden. Die Haupt: jtadt von Schingking, dem auch die Hafenftädte Niu- Hong und Port Arthur am Golf von Betfchili angehören, ift Mufden, die alte Refidenz der Mandſchu— dynaftie.

Es ijt ein buntes Gemifch, aus dem fich die gegen

Bon Martin Homiß. 95 ED DA D ED AD AD ED ED AD ED AD AD AD ED 12 Millionen zahlende Bevölkerung der Mandjchurei zuſammenſetzt. Urſprünglich war das große Land vor- berrjchend von Mandfchuren bewohnt, dem tungufifchen Zweig des uralaltaifchen Stammes. Jetzt find Te

Wohnung von eingeborenen Bahnwächtern im Eisenbahndamm.

den Chinefen gegenüber in Der Minderheit. Won den alten tungufifchen Stämmen wohnt kaum noch eine Million in der Mandfchurei, doch rekrutiert ſich aus ihnen die Beamtenmwelt, und der Boden (ut Hauptjäch- lih im Beſitz der alten Mandfchufamilien. Als bie Mandfehudynaftie in dem von ihr eroberten China zur Herrfchaft gelangte, legte fie zuverläjjige mans

94 Die Ruſſen in der Mandſchurei.

DREDRD AD AD DAAD ED ED AD ED DD ED ED Dr De D dſchuriſche Truppen in Die chinefifchen Städte, die in- folge von Aufftänden immer mieder verjtärkt werden mußten. Die wichtigften Beanıtenpoften in China mur, den mit Mandfchuren beſetzt. An die Stelle ber Man: dfehuren, die ihr Land verließen, rückten in Scharen Ehinefen. Die meiften dieſer chinefifchen Einwanderer ‚waren unverbeiratet ımd nahmen Mandfchurinnen zu Frauen. Die Nachkommen aus diefen Mifchehen waren bald reine Ehinefen. Die Mandfchuren find von unter: fester, aber fräftiger Geftalt, haben eine dunkle Haut- farbe, bervortretende Badenktnochen, ein frijches Aus— fehen, eine große offene Stirn und große braune Augen. infolge der Vermifchung gibt es alle möglichen Über: gänge von diefem reinen mandfchurifchen Typus zu dem chineſiſchen. Die herrſchende Spradje ift die chinefifche. Wohl jpriht man am chinefifchen Hofe und in Ge- lehrtenkreifen noch Mandjchurifch), aber von der mot: dfchurijchen Bevölkerung tun dies höchſtens noch zehn Prozent.

Aus politifchen Gründen fiedelte die chinefifche Re— gierung in der Mandfchurei auch Dunganen an, Ehi- nefen im Außeren, aber ihrer Religion nah Moham—⸗ medaner, die in nationaler Abgeſchloſſenheit leben. MWandernde Hirten und Jägervölker von teils tungu- jifchem, teil mongolifchem Stamm leben über das ganze Land zerjtreut. Die verfchiedenen Völker begen gegen- einander Haß und Vorurteile, was den wirtjchaftlichen Aufſchwung aufbielt. Dieſer Zuftand hat zu der Ent- widlung des Räuberunweſens beigetragen, das heute mehr al3 je in der Mandfchurei herrſcht. Echon lange war der Norden und Oſten de3 Landes infolge un- erträglichen Steuerdruds in Aufruhr; den Behörden wollte es nicht gelingen, die Ruhe mwiederherzuitellen. Es iſt daher gar nicht nötig, den Ruſſen Hintergedanten

Jpunssuonynasuf i2p ur addnuzınpsugequasy 42p uoa —A

N —— N Sg —4

96 Die Ruſſen in der Mandfchurei. zuzuschreiben zur Erllärung dafür, daß fie Truppen ins Land zogen, um den Bau der beiden Bahnlinien durch die Mandſchurei zu ſichern.

Auf dieſen Eiſenbahnbau wurde auch in techniſcher Beziehung die größte Sorgfalt gewendet. Die Man— dſchurei iſt gebirgig und reichlich bewäſſert. Alle Er- rungenſchaften der modernen Eiſenbahntechnik waren daher zu verwerten. Der lange Schienenweg durch Sibirien iſt im Verhältnis weit billiger und einfacher zu ſtande gekommen als die kürzeren mandſchuriſchen Strecken. Zahlreiche Brücken mußten gebaut werden, und die verſchiedenſten Syſteme kamen dabei in Ans wendung. Steinerne Bogenbrüden, eiferne Ketten- und Hängebrüden führen den Schienenftrang jet über die zahlreichen Gemaier bin, melde den Weg der Bahn freuzen. An dem Knotenpunkt, wo die füdliche Linie von der nördlichen abzweigt, bei Harbin, befindet die größte der Brüden, deren rieſige Eifenkonjtruftion über die breite Flut des Sungari geleitet ut.

Dies Harbin war früher ein bedeutungslofer mon: dfehurifcher Ort mit wenigen chinefifchen Häufern; jebt überragt e3 das füdlicher an der Bahn gelegene alte Kirin ſchon an Bedeutung; e3 ijt eine große, blühende Handelsftadt mit öffentlichen Gärten und Hofpitälern und verfehrsreichen Gefchäftsftraßen. Es dehnt fich auch am Sungari aus, auf dem fich während des Eifen- bahnbaus der Schiffsverlehr mächtig hob, da viel von dem: Baumaterial aus Sibirien hierher tranfportiert ward. In Harbin war der GI der Bauleitung, und noch heute ift hier der Sitz der Hauptfiliale der Ruflifch-. ‚Hinefifchen Bank. Der Bahnhof, um den fich die neue ‚Stadt ausbreitet, ift ein ftattliches Gebäude; in feiner Nachbarfchaft liegt ein großer Gaſthof. Auch die übrigen Stationsgebände der Bahn find jett alle jehr

Bon Martin Homitß. 97 OO NO ſolide Stein— bauten, nach— dem die ot: fangs aufge- jtellten Holz:

baraden während de3 Kriegs im Jahre 1900 von den Auf- ſtändiſchen zerſtört wor— den waren. Das Schie— nengeleiſe iſt einſpurig. Selten hat es auf dem na— türlichen Bo- den gelegt werden kön— nen; viel— mehr mußte der Weg ent— weder künſt— lich aufge— dämmt oder erſt durchs Gebirge ge— ſprengt wer— den.

Unter un— ſeren Abbildungen befinden ſich zwei Anſichten, die

das eine und das andere veranſchaulichen. Beide 1804. VI. 7

General Grodekoff mit seinem Stab nach dem Feldzug.

98 Die Rufen in der Mandfchurei. zeigen Gegenden, die zur füdlichen Linie gehören. Biele Meilen lang ziehen fich ähnliche Dammftreden Din wie die auf dem Bilde, das auch eine Der Kleinen mafliven Steinbrüden zeigt (Seite 89). Der Einschnitt durchs Gebirge auf dem anderen Bilde (Seite 91) (ut in der Nähe von Port Arthur zu fuchen. Die ganz außerordentlichen Koften, die diefe große Eijenbahn: anlage Durch die Mandſchurei dem ruffiichen Staat, beziehungsmweife der Ruſſiſch-chineſiſchen Bank verurfacht bat, werden aber exit Dadurch erklärlich, daß die Bahn zum größten Teil dreimal gebaut werden mußte: erſt pro- vijorifch für die Herbeifchaffung der Schienen, Schmellen, Steine u. ſ. w, dann wirklich bi3 zum Ausbruch des Auf— Standes, und nach der während desselben ftattgefundenen Zerſtörung ein drittes Mal. Unfer Bild auf Seite 92 zeigt eine echt halb ausgeführte Brücke Der richtigen Bahnlinie neben dem Geleife der proviforifchen Bahn. Diele Stationsgebäude erheben in bis vor furen noch völlig unbewohnten Gegenden, bie jebt den Kern von Anjiedlungen eingewanderter Kolonilten bilden. Für die Eifenbahnfchugtruppen und eingeborvenen Bahnwächter wurden unzählige Blodhäufer außerhalb der eigentlichen Garnifonen am Bahnlörper entlang errichtet; viele find in den Bahndamm gehöhlt, fo daß fie im Winter guten Echuß gegen die Falten Winde gewähren. Unjer Bild auf Seite 93 zeigt eine folche Anlage mit einer aus Eingeborenen Deftehenden Be: fagung. Die wichtigeren find bejjer befejtigt und mit einem Schnellfeuergefchüg ausgeftattet. Die regulären Schußtruppen find aus der Neferve der rufjijchen Armee als Freiwillige ausgehoben, fie haben eine bejondere Uniform, und Offiziere und Mannfchaften erhalten einen höheren Sold als die Der eigentlichen Armee. Das Bild auf Seite 95 zeigt jolche Freiwillige während der

Ss

-Fuempsinig suajegsbeiuan VAIgUOUSUI2IUL sap apnegqaßlloz A0 EES Gah

100 Die Ruſſen in der Mandjchurei.

Dede De ee DDr ED red DD DD RD DD V De EC Inſtruktionsſtunde, die im Innern eines Blocdhaujes abgehalten wird.

Der bei weitem wichtigſte Teil der ganzen man: dſchuriſchen Eiſenbahn ift die füdliche Linie durch Die Provinz Schingking von Mukden nach PBort Arthur, oder anders ausgedrüdt: durch die Halbinjel Liaotung, die wefllich die Kitfte ber Bai von Linotung und öftlich die der Bai von Korea bildet, nach der Südfpite an der Straße von Petſchili.

Der früher chinefifche, jeit 1897 von den Kutten bejegte Kriegshafen Port Arthur ift von außerordent: lich ftrategiicher Bedeutung. Ex bewacht die Zufahrt in den Golf von Petſchili, an deſſen Weftküfte Tientfin liegt, daS den Hafen für die nahe NReichshauptitadt Peking bildet. Vor dem Krieg mit Japan hatte China den Hafen mit einem Aufwand von vielen Millionen zu einem Kriegshafen erſten Ranges gemacht, wobei die ganze Anlage mit ihren dreizehn den Hafen um: gebenden hochgelegenen Forts von deutjchen Ingenieuren und Baumeiſtern Dergejtellt wurde. 1894 wurde Der jo befejtigte Hafen von den Japanern unter General Dyama geſtürmt, doch erhielt ihn China nach dem Kriege wieder zurüd. Als Deutjchland 1897 von der Kiautſchoubucht Beſitz ergriffen hatte, ließ Rußland eine Kriegsflotte in den Hafen von Port Arthur einlanfen. Es geſchah dies im Einverſtändnis mit Der chinefifchen Negierung, die nicht ohne Grund bejorgte, England wolle fich Des wichtigen Platzes bemrächtigen. Dex diplo- matijchen Welt gegenüber erklärte Rußland, daß e3 nur zeitweilig den Hafen für feine Flotte wünjche, da e3 einen eisfreien Hafen an der fibirijchen Küfte nicht belite. Japan ließ fich Durch dieſe Erklärung aber nicht beruhigen. Es bejette Wei-hei-weih, das Port Arthur gegenüber an der Straße von Betichili liegt,

-Buemipsinig u uoıssimmoysBungemun ↄlxuoijvuiajui 210

103 Die Rufen in ber Mandſchurei.

DD KDD KDD rED TED ADDED DD Dee DE Dee und bezeichnete e3 als Unterpfand für den Heft der ihm von China zu zahlenden Kriegsentfchädigung. Unfer Bild auf Seite 87 zeigt einen Teil des Hafens von Port Arthur mit dem ftark befeitigten „Goldenen Berg”. Das in der Mitte anfernde Schiff ift ein ruj- jtfcher Kreuzer; rechts am Ufer liegt ein Dampfer der Dftbahngefellfchaft, zwischen ihnen fährt eines der kleinen Dampfboote, die den Verkehr mit Tſchifu vermitteln.

Rußland Hatte wirklich im Plan, ſich an einer anderen Stelle der Küſte von Liaotung aus eigenen Mitteln einen „eisfreien Hafen” zu ſchaffen, und das ift inzwifchen gejchehen. 45 Kilometer nordöjtlich von Port Arthur an der Bai von Korea liegt in außer: ordentlich günftiger Lage die Bucht von Talienwan. 1898 jchloß Rußland mit China einen Vertrag ab, in welchem China den Ruſſen für die Zeit von 25 Jahren neben Port Arthur die Bucht von Talienwan und das Dazmifchen liegende Land pachtweije abtrat. Der Ber: trag erteilte den Ruſſen ferner die Konzejfion zum Bau einer Eifenbahnlinie zur Berbindung der Häfen Port Arthur und Talienwan. Im Auguft 1899 verordnete Der Zar, daß der Hafen von Talienwan als Freihafen gelten und daß neben demfelben eine neue Stadt, namens Dalny, erbaut werden folle.

In erjtaunlich Duer Zeit ift auf das bejondere Be— treiben des Finanzminifters v. Witte diejer le&tere Ukas verwirklicht worden. Dalny ut berufen, dem „offenen“ Vertragshafen Niutſchwang an der Bot von Liaotung, defien Zollgebäude unjer Bild auf Seite 99 wieder: gibt, den Rang abzulaufen. Rußland ijt ber nicht von einer internationalen VBerwaltungstommiffion ob, bängig wie in Niutſchwang. Die Zufahrt ift durch feine Meerenge, wie die Straße von Betjchili, be- einträchtigt. Der Hafen von Talienwan liegt per Küſte

Bon Martin Homiß. ` 103

von Korea ge: genüber und Ja— von näher als Niutſchwang. Während Dal— mn auf Staats— koſten für die Zwecke einer modernen See— handelsſtadt an— gelegt und er— baut wurde, ge— langte das Schlußſtück der ChineſiſchenOſt— bahn zur Aus— führung. Von Mukden kom— mend erreicht die Linie zunächſt bei Niutſchwang das Meer, wen— det ſich dann weiter durch die Landſchaft nach Dalny, und von hier aus eilt die Bahn ihrer ſüd— lichen Endſta— tion Port Ar— thur zu. Als die eigentliche Kopf— ſtation der ſibi— riſch-mandſchu—

| ET ` 2 L

| al

TE CN EN |

v » ch

VATER

, $ `

Wem e r CG Ska

S

E

4 *

Bahnstrecke zwischen Dalny und Port Arthur,

104 Die Ruſſen in der Mandfchurei.

DDR ED Dr Ee eege Ee Mee Ee Bee ECH riſchen Bahn ift aber Dalny zu betrachten. Ein Kriegs: hafen wie Port Arthur konnte dem Weltverkehr nicht die erforderlichen Dienjle bieten.

Schon jett jteht in dem mit Schugdämmen und Ansladeftätten aller Art verjehenen Hafen von Dalny der Eijenbahnverfehr in engfter Verbindung mit einem von der Dftbahngejellichaft geregelten Dampferverkehr nad Korea, Japan, China und Auftralien. Eine für 100,000 Einwohner berechnete Gejchäftsitadt, mit allem Komfort der Neuzeit ausgeftattet, ift um den Bahnhof herum aus dem Boden gemwachfen, doch (ut fie nur erft zum Fleinjten Teile bewohnt. Das größte der bereits beitehenden Gejchäfte (1 im Beſitz eines Deutjchen. Den Japanern ift die Anfiedlung in Dalny verboten. Im übrigen wird fremden Kaufleuten, die fich hier - niederlafjen wollen, viel Entgegenlommen bemiefen. Der Bau der Stadt, des Hafens und der Bahn fejjelte aber Hunderte von Technilern und Intereſſenten, Taufende von Kılis on Dalıy. Sm Jahre 1902 kamen nicht weniger al3 717 Dampfſchiffe und 1418 Dfehunken in den Hafen, zumeijt mit Baumaterial. Von den Damp: fern waren 324 ruſſiſche, 241 japanifche, 83 englifche, 49 chinefifche, 12 normwegifche und je 2 dänijche, öſter— reichiſche, deutſche und amerilanifche Schiffe. Am 24. Februar 1903 langte der erſte Schnellzug in Dalny an, und an demfelben Tage fuhren zwei Dampfer Der Chineſiſchen Oftbabngejeltfchaft nad) Nagajali und nach Schanghai ab.

Unter Entfaltung einer gemaltigen Truppenmacht hatte Rußland im Jahre 1900 den Boreraufftand in der Mandjchurei, dem fich die chinefifchen Gouverne: mentstruppen anjchloffen, niedergemworfen. Am 21. Juli wurden die Truppen des ſibiriſchen Militärbezirks und der Provinz Semiretſchinsk mobilifiert; aus Europa

Bon Martin Homitz. 105 PR RL Eeer ne ed wurden Verſtär— kungen nachgeſandt. Sm Oktober 1900 belief jich die Stärke der ruſſiſchen Feld— truppen in Oſt— aſien bereits auf 123,000 Mann un— ter 3900 Offizieren. Die Operationen dieſer Truppen wa— ren ebenſo energiſch wie erfolgreich. Aber die Zerſtö— rung der Eiſen— bahn hatten ſie nur zum kleinſten Teil verhindern können, Der Vandalismus der Aufſtändiſchen, die Opfer an Toten und Verwundeten, die Rußland zu be— klagen hatte, die Kriegskoſten, die China nicht zu zah— len in der Lage war, rechtfertigten es, daß Rußland nach der Nieder— werfung des Auf— ſtaudes die mili— täriſche Beſetzung des ganzen Landes

Die neue russische Hafenstadt Dalny an der Talienwanbucht.

106 Die Ruſſen in ber Mandjchurei.

aD rd DDr ED ED ED ED EDE DE DD ED ED ee ducchführte. Die chinefifche Regierung mußte den in der Mandjchurei ftehenden vufjischen Truppen oe jtatten, ſich bier anzufiedeln. Rußland aber erklärte, Daß es das Protektorat über die Mandfchurei fo lange aufrecht erhalten werde, bis Rußland durch die wieder: bergeftellte Ordnung in China vor jeder Störung jeiner vertragsmäßigen Intereſſen in dem okkupierten Lande gefichert fei. Dem xuffifch-chinefifchen Mandfchurei- abkommen feßten dann Großbritannien und Japan ihren Bündnisvertrag entgegen.

Die Mandjchurei (ut nod Klima, Produkten und Lage die bejte der Beligungen Chinas, die hinter der Großen Dauer liegen. Das Klima zeigt durchjchnitt- lich um 9 Grad Celſius Fältere Temperaturen als die entjprechenden Breiten in Wejteuropa; egen fällt reich- lich. In den Gebirgen, von melden der große Ehin- gan im Weiten und da3 Schangan Alin-Gebirge im Südoften beträchtliche Höhen aufweijen, herrſcht Wald vor, in der Ebene Wiejen mit Außerft jaftigen Gräjern. Gerfte, Hirſe, türkiicher Weizen, Kartoffeln, Mohn und viele Gemüfe geben gute Ernten. Opium, Tabak, Syn: digo, Hanf find weitere wichtige HandelSartitel. Jagd— tiere, Hirjche, Bären, Antilopen, wilde Ziegen gibt e in Menge, im Norden auch Zobel; freilich überall auch Raubtiere, bejonders Wölfe und Tiger. Die Flüſſe find fehr fifcehreich. Herden von Nindvieh, Pferden und Schafen find häufig, aber bei dem Reichtum an faftigem Gras könnten noch viel mehr von ihnen gute Nahrung finden.

Wie wenig aber die chinejilche Regierung e3 uer: ftanden bat, aus dem Beſitz des großen Landes den vechten Borteil zu ziehen, geht ſchon Daraus hervor, daß bi vor Dem der Bergbau in ganzen Lande ver— boten war, „damit der geheiligte Boden der Heimat

Bon Martin Homik. 107 DIDI D EDDIE DE DDr DD DDr DD des Raiferhaufes nicht beunruhigt werde”. Auf Über: tretung des Verbotes ftand die Todesftrafe. Der ruffiiche Einfluß bat auch hierin Wandel gefchaffen. Die Aus« beutung der Gold- und Silberfundftellen ift jegt frei: gegeben, aber an die Erfüllung gemiffer Bedingungen gefnüpft, welche die Ablieferung eines Teiles des ge: fundenen Goldes ımd Silbers an die chinefifche Staat3- faffe vorfchreiben.

a

Kameraden.

Novelle von Lulu v. Strauss und Torney.

S (Nachdruck verboten.)

ie Sonne Idien in die großen Fenſter des Nedaktionszimmers, aber es ſah trotzdem nüchtern und ungemütlich aus; denn die ) Fenſter gingen nur auf einen engen Hinterhof mit hohen kahlen Mauern, und die Sonne ſchien nur auf lauter Papiere, die auf den Tiſchen verſtreut lagen.

Der Redakteur wandte mit einer ungeduldigen Be— wegung den Kopf und ſah ſcharf durch die Brille das junge Mädchen an, das an der Tür ſtand.

„Sie wünſchen, Fräulein?“

Sie machte haſtig ein paar Schritte vorwärts. „Ich wollte ich komme wegen der Skizzen ich ſchickte Ihnen vor ein paar Wochen etwas —“

Der Nedakteur runzelte die Stirn. „Ihr Name?”

„Marie Biller.“

Er nahm einen Haufen Bapiere aus einem Fach des großen Schreibtifches, fuhr fuchend mit den Händen dazwiſchen herum und warf ein Kuvert auf den Zug,

„Da. Cie können e3 gleich wieder mitnehmen. Leider ungeeignet.”

„Herr Doktor, ich Dachte —“

ik

F

Kovelle von Lulu v. Strauß und Zonen, 109 DD DD DD DD ED De Der DDr De DD „Bitte, Sränlein, ich habe feine Zeit übrig. Bier

it Ihr Manuſkript.“

An dem zweiten Redaktionstiſch waren zwei Herren in halblautem Geſpräch, der eine balancierte auf der Kante des Tiſches und rauchte eine Zigarette; er hörte auch einmal auf zu ſprechen und ſtarrte dem Mädchen ziemlich ungeniert ins Geſicht.

Sie war einen Augenblick regungslos ſtehen ge— blieben, mit ſchlaff herunterhängenden Armen. Als ſie merkte, daß der junge Menſch ſie anſah, nahm ſie haſtig ihr Manuſkript vom Tiſch und ging zur Tür.

Auf der Straße ſchob ſie die Papiere in die Kleider— taſche und ging mit dem gewohnheitsmäßig eiligen Schritt der Großſtädterin die Straße entlang, ohne aufzuſehen, mit einem müden, freudloſen Ausdruck im Geſicht. Sie fuhr erſt auf, als fie auf einmal eine Stinime neben fich hörte.

„Erlanben Sie, mein Fräulein, daß ich ein Stückchen mit Ihnen gehe?“

(Gë war der junge Menjch, den fie da eben auf der Redaktion getroffen hatte. Marie kannte ihn gleich wieder. Eie antwortete nicht, fie war dunkelrot oe: worden und fing au, raſcher zu gehen.

Er blieb neben ihr. „Haben Sie nur feine Angft, ih will Ihnen nichts tun, Fräulein Biller.“

Sie jah überrafht auf. „Woher wiſſen Cie wie ich heiße?“

Er lachte. „Reine Kunſt! Sie fagten e3 ja eben jelbft auf der Redaktion. Ich ſah auch gleich, daß Cie ein Neuling moren, hr tranriges Geficht dauerte mich. So find alle Anfänger; mit ihren erften Ver— juchen laufen fie auf die größten Redaktionen, wo fie totenficher abgemwiefen werden, und dann find fie un— glücklich. Das machen die meiſten mal durch.“

110 Kameraden.

Das Mädchen hatte zugehört, ohne ihn anzufehen. „Es wurde mir fo fehwer, hinzugeben,” jagte fie leife, „ich wollte auch gar nicht, ich hatte bie paar Sachen nur jo zu meinem eigenen Spaß gejchrieben. Aber Mutter meinte, ich müßte es verfuchen, ich fonnte doch vielleicht noch etwas damit verdienen. Aber nun war es ja doch unnütz.“ |

Er ſah mit einem Lächeln auf fie herunter; dieje Anfängerverzweiflung fonnte er, und das Fleine Ding tat ihm leid. .

„Sie broden noch nicht den Wut zu verlieren, weil die Sachen nicht nach dem Gefchmad des einen Redakteurs waren,” tröftete er gutmütig, „wenn Gie He mir einmal anvertrauen wollten, ich würde Ihnen gern mein Urteil darüber geben und Tönnte Ihnen vielleicht mit einem guten Rat helfen.”

Sie ging langſamer und jah ihn nachdenklich ins Geſicht. Was für merkwürdig ducchfichtige, ruhige Augen fie hatte!

„sa ih Tenne Sie aber gar nicht,” jagte fie fragend.

„Dem ift leicht abzubelfen. Berzeihen Sie, daß ich mich Ihnen nicht eher vorjtellte. Fri Norbert, Schrift: Heller. Stiler. Dichter alles in einer Perſon!“

Er bob mit drolliger Feierlichkeit den Hut, dann blieb er vor einem Ladenfenfter flehen und 309 ein Notizbuch aus der Tajche.

„Warten Sie, ich will Ihnen meine Adreſſe geben, fo blindlings können Sie mir Ihre Geiſteskinder nicht anvertrauen. Und Ihre Adreſſe muß ich auch willen.

Ich ſchicke Ihnen die Sachen dann in den nächſten

Tagen wieder.“ Das Mädchen hielt das Kuvert in der Hand und. jah es unfchlüffig einen Augenblid an. Dann gab fie

Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 111

eebe ee ee eelerer eeler DAAD ADDED ADDED

es (bm hin. „Da. Sie - - Sie follen mir dann aber

offen fchreiben, mas Sie davon denken. Auch wenn es nichts taugt.”

„Keine Angſt, Fräulein Biller. Kritik unter Kollegen iſt offenherzig. Wenn die Dinger nichts wert find, jage ich es Ihnen, und Sie dürfen es mir dann auch nicht übelnehmen.” |

Sie fehüttelte den Kopf. „Nein, gewiß nicht! Das ift ja gerade, was ich wünfche, ein offenes Urteil! Und —“ Gig war auf einmal ftill, irgend eine Kirchenuhr in der Nähe jchlug zmei. „Schon fo ſpät! Ich muß fchnell nad Haus. Mutter wartet ficher ſchon lange. Adieu, Herr Norbert.”

Sie zögerte einen Augenblid, dann gab fie ihm die Hand und lief ſchnell die Straße herunter.

Fri Norbert radelte ſchon am anderen Tage ber: aus; er wollte ihr ihre Sachen gern felbjt bringen, und fie wohnte To weit draußen, daß ihm der Weg zu Fuß zu viel Zeit weggenommen hätte. Bor der jchmalen Glastür ihrer Wohnung wartete er ert etwas, ehe er tlingelte, er war ganz atemlos von Den vielen Treppen.

ALS drinnen der fchrille Ton der Klingel ging, blieb es erſt fill, dann famen Schritte zur Tür.

Marie Biller ſah dem jungen Mann fremd und fragend ins Geficht, fie erfonnte ihn augenscheinlich nicht. Aber dann auf einmal wußte fie, mer e3 war.

„ch Sie, Herr Norbert! Verzeihen Sie, daß ich mich im erjten Augenblick nicht gleich befinnen konnte! Ich Dachte auch) gar nicht, daß Sie jelbjt kommen würden.“ |

Sie gab ihm die Hand und ging ihm voran über den Kleinen dunklen Korridor.

112 Kameraden. Dre Dr DreDneD De EDrE DDr DDr DD

„Bitte, kommen Sie herein. Mutter iſt leider nicht da, fie wollte ein paar Beforgungen machen.”

Fritz Norbert Hatte den unbeſtimmten Eindrud, daß er in feinem jaloppen Radelanzug gar nicht hierher paßte, als er in das feine Zimmer eintrat. Altmodifche Möbel, ein Kanarienvogel und ein paar Blumenftöcde am Fenfter, blendend weiße Gardinen, und über dem Ganzen fo eine Stimmung von Ruhe und etwas ſpieß— bürgerlihder Gemütlichkeit.

Auf dem Teen blanfpolierten Nähtiſch am Fenfter lag eine Etiderei, da hatte fie wohl eben gejejjen.

Marie jchob ihm einen Stuhl hin und jah ihn an, aber jie fragte nichts. ES Hätte ihm Spaß gemadit, wenn er etwas Ungedild oder Furcht vor feinem Dr teil an ihr gemerkt hätte, doch fie blieb ganz ruhig, auch als er das Kuvert herauszog und auf den Tijch legte.

Wie er noch einen Augenblick zögerte, jah fie ihm lächelnd ins Geſicht. „Bitte, ganz ehrlich.“

Er nidte. „Natürlid. Sehen Cie, Fräulein Biller, Talent haben Sie, das habe ich gleich gelehen, Zwar fein großes, aber eines, das fi) dev Mühe lohnt.“

„So? Meinen Sie wirklich?” Nun wurde fie doch etwas lebhajter, ein geſpannter Ausdruck lag in ihren hellen Augen. „Sch war ſchon ganz darauf gefaßt, daß Sie mich auslachen würden.”

„Das gewiß nicht. QIalent haben Sie. Aber nun fommt das „Aber“. Die Übung fehlt Ihnen. Sehen Sie, ich habe Ihnen da ein paar Notizen an den Rand geſchrieben.“

Er ſchob ihr das Manuſkript Hin, fie beugte ſich Darüber und fuchte die bezeichneten Stellen.

Fritz Norbert ſah fie nachdenklich an, während He las. Die Sonne fchien ihr gerade auf das Haar, e3

Kovelle von Lulu v. Strauß und Torney. 113 DEDED REDE DE DD ED ED DT DE DE DE DE DE DE DE Dr ED gab in dem dunteln, etwas rötlich getönten Braun ein paar ſchimmernde Lichtreflexe, ähnlich den Goldton im Frauenhaar auf manchen alten Borträts. Auch die Nadenlinie des gebeugten Kopfes mar zart und hübſch.

Sein Geſchmack war ſie aber doch nicht. So ein ſtilles, ernſtes Geſichtchen, langweilig und temperament: los. Dabei die ganze Erſcheinung ſo unbedeutend und proſaiſch in dem ſchlichten blauen Kleid und der kleinen Schürze mit der Stickereikante. Sie kam ihm auch heute ganz anders vor als geſtern. Da hatte fie jo etwas Hilflofes, Scheues gehabt, das ihn anzog und ihm Luft machte, ein bißchen den Gönner und Helfer zu fpielen. Das war heute wie mweggeblafen. Sie war ganz ruhig und unbefangen, war auch gar nicht fo überſchwenglich dankbar, wie er erwartet hatte.

„Im ganzen liegt in Ihrer Schreibweiſe ſo etwas ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken ſoll ſo etwas Weltfremdes, als ob Sie noch ſehr wenig vom Leben geſehen hätten und wüßten,“ ſagte er, als ſie das Papier wieder auf den Tiſch legte. „Ich würde Sie nie für eine Großſtädterin halten nach dieſen Sachen, eher für ein Baftorentöchterchen, daS noch nie aus feinenn Dorf berausgefommen iſt.“

Gie jah vor ſich hin. „Viel anders ift es mir ja auch nicht gegangen. Bater ftarb, als ich Klein war, feitdem leben Mutter und ich ganz ftill für uns. Wir müſſen auch beide ordentlich arbeiten, wenn wir genug verdienen wollen. Morgens gehe ich zu einem alten Herrn, dem ich vorlefe und abjchreibe, und zu Haus mache ich Nachmittags und Abends Stidarbeiten für ein Gefchäft. Da geht fo ein Tag mie der andere hin.“

Er magie ein ganz entjegtes Geſicht. „Ya, aber Sonntags, da kommen Sie doch wohl mal heraus?

1904. VI. S

114 Kameraden.

Und ein Tag mitten zwiſchen den Menfchen in einer großen Stadt zeigt einem mehr vom Leben als ein ganzes Jahr in irgend einen Neft.”

„Sonntag3 bleiben wir zu Haus,” fagte das Mäd— chen, ohne aufzujehen, „Mutter ift Tranklich, fie kann das Gehen und den vielen Lärm nicht aushalten, und Belannte haben wir auch nicht, wenigftens Feine näheren.”

„Du lieber Himmel, und das balten Gie aus?“ Er fah fie ganz erregt und mitleidig an. „Das ijt ja gar Fein Neben, das ift ja ein langfames BVertrodnen! Sie find doch nur einmal jung! Eine Schande, die ichönen Jahre fo zu vergeuden. Denken Sie doch mal, wie fchön die Welt ift! Das iſt doch alles für Gie auch da, Sie haben ein Recht darauf.”

Sie jcehüttelte den Kopf, e8 war ein unruhiger Aus: druck in ihrem Geficht. „Ich glaube, wir müfjen doch immer erjt Pflichten erfüllen, ehe wir an Rechte denken fönnen,” fagte fie Huftig. „sch habe e3 nie anders gekannt, auch nie anders gewünſcht. Ich bin ja ſchon dankbar, daß mir jo ruhig leben Tonnen und feine Sorgen haben. Und unjere Freuden haben wir doch . auch, fogar ein Stüdchen Frühling mitten in der großen Stadt. Sehen Gie nur da unten!” Gie ging zum Fenſter und machte es auf.

Als er neben ihr ſtand und ſich hinausbeugte, ſah er tief unten in der Mitte des engen Hinterhofes auf einem Stückchen Raſen einen blühenden Apfelbaum. Die weißen duftigen Blütenzweige ſahen ganz fremd und nicht hierher gehörig aus, ſie hatten auch keinen Hauch zarter roſa Farbe wie ſonſt Apfelblüten, ſondern nur ein kränkliches Weiß, ſchon etwas ſchmutzig vom Kohlen⸗ dunſt und Staub. |

Als er zurücdtrat, munderte er ſich über den träu- merifch-glüdllichen Ausdrud, mit dem das Mädchen auf

- Novelle von Lulu o Strauß und Torney. 115 „ihr Stüdchen Frühling” hinunterfah. Ihm fiel auf einmal ein, daß fie felbft gerade mie der Baum da unten mar: zwijchen hohen Mauern eingellemmt, in der Blüte verfümmert, ohne eine Ahnung von freier Luft und Sonnenschein.

Er mußte felbjt nicht, warum er auf einmal fo ver: ftimmt war, al3 er wieder an den Tifeh ging. Er fuchte zwifchen den Bapieren herum und nahm dann etwas heraus.

„Wollen Sie mir diefe Skizze noch eine Zeitlang laſſen, Fräulein Biller? Sie ift entfchieden gut, und wenn Gi mir erlauben, ein paar feine Änderungen zu machen, könnte ich fie vielleicht für Sie unterbringen. Ich habe ja viele Verbindungen, und fo cin erjtes Gedrucdtjein macht doch immer Mut.”

Sie zögerte einen Augenblid. „ch weiß nicht, ob es richtig ift. Sch Dachte eigentlich, die Abweifung ſollte mir ein Fingerzeig jein, daß —“

„Dummes Zeug!” Er lachte auf. „Wenn Gie überhaupt an SSingerzeige glauben, dann bin ich Doch auch einer. Geben Sie her, Sie jollen jehen, e8 macht Ihnen Spaß, wenn Sie gedrudt find! Und arbeiten Cie nur tapfer weiter. Sch will Ihnen gerne helfen und Ihnen jagen, was Ihnen noch fehlt.”

Sie ſah ihn nachdenflih an. „Sch möchte wohl einmal etwas Tenuen, was Sie gefchrieben haben.“

„Barum? Weil ich fo mweife reden Tonn, meinen Sie folgerichtig, meine Produktionen müßten tadellos fein? Sa, Bauer, das ift ganz was anderes! Aber wenn es Ihnen Spaß macht, mal was zu jehen meinethalben. Dann bringe ich Ihnen was mit, wenn ich das nächte Mal komme. Donnerwetter ich habe ja noch nicht einmal gefragt, ob ich überhaupt mwiederfommen darf!” |

116 Kameraden. ED ED ED ADDED ED ED ED ED D ED

Gebt lachte fie auch, aber gleich darauf war fie wieder ernitbaft. „Gemwiß, wenn Sie mögen. Aber ich weiß gar nicht Sie Tonnen mich ja faum und find doch fo gut gegen mich.”

Sie ftocte und fah ihn fragend an. Gar nicht be- fangen, nur mie ein Rind, da3 etwas erklärt haben möchte, das e3 nicht verfteht.

Er lachte und jtredte ihr die Hand hin. „Das tft unter Rollegen ganz jelbjtverjtändlich, DaB man fich hilft, wo man fon, Auf Wiederfehen, Fräulein Biller!“

Er war ſchon draußen und lief die Treppe herunter. Eigentlich wunderte er fich über He ſelbſt und ärgerte ſich zugleich. Warum hatte er das von dem Wieder: fommen gefagt? Das Kleine Ding ging ihn doch nichts an, war ihm nicht einmal intereffant. Wieder einmal jo ein Streich, den ihm feine Gutmütigfeit fpielte. Na, er brauchte fich ja nicht weiter mit ihr einzulafjfen, mem er nicht wollte.

Er vergaß fie auch ganz in der nächlten Zeit. Der Großftädter ift Augenblicksmenſch, fcehnelllebig; ein Ein- druck löſt den anderen ab und verwiſcht ihn.

Erſt fo nach vierzehn Tagen fiel fie ihm wieder ein. Er hatte nach einem fidelen Abend fait bis Mittag im Bett gelegen und ſaß nun mit jehmerem Kopf oer. droffen am Schreibtifch, als ihm das Manuffript mit der Elaren, feinen Mädchenhandichrift wieder in die Hände kam. Er befah von allen Seiten und befann fei was hatte er doch damit wollen?

Ach jo, er hatte der Kleinen ja verjprochen, das Ding an irgend einem. Blatt unterzubringen. Es mar ja auch gar nicht fo übel, wenn auch noch fehr an- fängerhaft. Er Forrigierte mit feiner großen, hafigen Schrift ein paar ftiliftifche SSehler, wie er das Blatt noch einmal überlas, und jchob es dann in die Tafche.

Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 117 DR RD AD De DD DDr Dre DD Dre Dre Er konnte die Sache auch gleich beforgen, er hatte doch nicht3 anderes zu tun.

Sein guter Freund, der lange Schmittberger, der die Redaktion eines Blattes dritten Ranges leitete, hatte geftern auch die Rneiperei mitgemacht und faß ziemlich mißmutig an feinem Redaktionstiſch.

Norbert legte das Manuffript vor ihn hin. „Da, das ſollſt du druden. Höchſtens eine halbe Spalte. Ein ganz nettes Ding.“

Schmittberger Job gähnend auf das Blatt herunter. „Was ift es denn? Bon dir? Nein, das ift ja eine Damenhand.” |

Norbert die lachend. „Stimmt. So "me Kleine Anfängerin, der ich den Spaß gönnen möchte, ſich ge druct zu ſehen. Du kannſt es wirklich auf meine Ver: antwortung tun, denn jchlecht iſt es nicht.“

Der andere lachte jegt laut heraus. „Na, hör mal, das ift fo die richtige Kateridee! Fri Norbert als literarifcher Mäcen! Diesmal will ich’3 tun, ich brauche gerade noch eine Spalte. Aber bitte, gewöhne dir das nicht dauernd an! Wer ift denn diefe neue Größe? Hübſch?“

„Ach, nichts Beſonderes, eine zufällige Bekanntſchaft. Marie Biller heißt fie.”

Er warf ſich auf das Sofa und ſtreckte ſich bequem aus.

„Haſt du nicht ein vernünftiges Kraut zu rauchen? Ich habe meine Zigaretten vergeſſen. So danke!“

Ungefähr eine Stunde ſpäter bummelte er durch die Straßen ihrer Wohnung zu. Der Weg war ja weit, aber die friſche Luft tat ſeinen Nerven heute ganz gut. Auf der Redaktion hatte er noch ein paar alte Zei— tungsnummern in die Tafche geſteckt, in denen ein paar Skizzen und PBlaudereien von ihm jtanden; es war ihm

118 Stameraden. eingefallen, daß fie gefagt hatte, fie müchte auch etwas von ihm kennen.

Marie empfing ihn heute ſchon wie einen alten Be- kannten, er merfte, daß fie fich freute über fein Kommen.

Ihre Mutter war diesmal aud da. Ein Tleines, fümmerliches Frauchen in vertragenem, aber fehr ordent- Idem ſchwarzen Kleid, mit forgenvollem Geficht und einer verjchüchterten ngjtlichkeit im Wejen. Marie mußte Ton von ihm erzählt haben, fie wußte gleich Beicheid.

Als er mit feiner Nenigkeit von der Annahme der teinen Skizze herausfam, war Marie ganz ftill.

Die alte Frau ſchlug mit glänzenden Augen Die Hände zufanımen. „Siehft du, Marie, ich habe es dir ja immer gejagt! Nicht wahr, meine Tochter hat Talent, da3 jagen Sie doch auch, Herr Norbert? Und fie Toun noch ihr Glück damit machen. Wir wußten nur bis jet nicht, wie man das anfangen muß. Aber wo Sie ihr nun geholfen haben, wird fie mit ihrem Talent ſchon weiterflommen.”

„Mutter, laß Doch,” Marie war ganz verlegen ge: worden, fie ſtrich der Mutter leife über die Hand „jo viel iſt doch nicht daran.“

Norbert fah fie fragend an. „Freuen Sie fich denn nicht auch ein bißchen, Fräulein Biller? Ich Dachte, Sie würden Luftjprünge machen vor Vergnügen.”

Sie fehüttelte den Kopf. „Nein, nur Mutters wegen freut e8 mid, Mir kommt e3 eigentlich vor, als ob e3 nicht recht wäre. Was man fo für fich gedacht und gefchrieben hat, daß das nun alle die fremden Leute lejen es ift, als ob ich mich ſchämen müßte.”

Er lachte gutmütig. „Das gibt fich, es ift nur fo eine Art Zampenfieber. Balen Sie auf, wenn Gie es exit gedrudt lejen, find Sie ganz ftolz.“

Novelle von Lulu v. Strauß und Zonen, 119

ge Eeer ED DD DE DDr De De DD Dre De Dee De eD

Die alte Frau Hatte in dem Fleinen altmodijchen

Glasſchrank zwifchen den Taſſen gekramt, jet Tom fie zu Norbert.

„Mir fallt auf einmal ein, ob Sie nicht bei uns Raffee trinken wollen,“ fagte fe wichtig, „es ift doc) gerade die Zeit. Und wenn mir es auch nur einfach geben Tonnen —“

„Sehr liebenswürdig, wenn Sie mich behalten wollen!” Norbert jah lachend zu Marie herüber. „Wenn es Ihnen aud) recht iſt?“

Marie war rot geworden, fie nidte ihm zu und ftand auf. „Das ift hübſch, wenn Sie noch ein bißchen Zeit haben. Mutter, dann mußt du unferen Gaſt fo lange unterhalten, ich will eben den Kaffee machen.“

Sie war draußen, aber Norbert war ſchon neben ihr. „Wenn ich Ahnen Tode Mühe mache, will ich wenigſtens belfen,” meinte er Iuftig, „man mill fein Brot doch verdient haben!”

Marie war ert etwas verdußt, aber dann ließ fie es ſich lachend gefallen. ` In der winzigen Küche jaß er auf der Tijchlante und drehte pfeifend die Kaffee: mühle, während fie das Waſſer anfeßte, und das Mäd— den wurde ſelbſt jo vergnügt dabei, daß ihr blalfes Geficht ordentlich Farbe bekam. Norbert fand fie wirk— lich hübſch fo.

„Um da3 Angenehme mit dem Nüblichen zu ver: binden, werde ich Ihnen jegt etwas vorlefen,” erklärte er, während fie den Kaffee aufgoß. „Willen Sie nod), daß Sie neulich etwas von mir lefen wollten? Oder hat Sie der voreilige Wunfch ſchon gereut? Ich habe bier jo ein paar Dinger mitgebracht.“

„O ja, bitte, ich möchte e3 jo gern.” Marie fah eifrig zu ibm herüber. „Wie ſchön, daß Sie daran gedacht haben!”

120 Kameraden. eeh Ee RD Fr ED DD AD ee De DD AED Den Dee

„Ra, dann bereiten Gie fich auf einen riefigen Ge— nuß vor, Fräulein Kollegin!”

Es moren nur ein paar Rleinigfeiten, die er nor: la8, Geſellſchaftsſkizzen, Ted hingemworfen in ſcharf Jor, taftischer Manier.

Er konnte das Geficht des Mädchens nicht jehen, während er las. OS er fertig war, blieb fie aud) nod einen Augenblid ftill.

„Es ift gewiß fehr gut,“ fagte fie dann langfam. „Sie fennen die Welt ja auch wohl befjer als ich. Ich würde das alles auch nie jo durchſchauen Tonnen. Aber wir find ja gewiß auch jehr verfchieden.”

Ihn amüfierte ihr Urteil. Für das janfte Seelchen waren feine Sachen auch zu feharfe Sot, fie fühlte ſich abgeftoßen und mußte nicht, wie fie das ſchonend aus— drüden jollte.

Ein übermütiger Gedanke durchfuhr ihn, er beugte ſich vor und fah ihr mit einen lachenden Blid in die Augen.

„Meinen Sie nicht, daB mir uns troßdem ganz gut verjtehen könnten?“ fragte er halblaut.

„Ich weiß noch nicht,” fagte fie nachdenklich, „Sie find jo viel klüger als ich.“

Er antwortete nicht und fah faſt verlegen an ihr vorbei. Diefes munderliche Feine Ding mit ihrer ruhigen Unbefangenbeit ärgerte ihn beinahe. Es hätte ihm Spaß gemacht, fie einmal herauszureißen, und doc) fühlte er, daß das ein häßlicher Wunfch war.

Gie hatte jeßt ihren Kaffee fertig, er nahm ihr die Ranne weg und trug fie triumphierend in die Stube berüber.

„Er ift befonders gut geworden, weil ich geholfen babe,” verficherte er Frau Biller, die den Kaffeetifch inzwijchen mit drei altmodifchen goldgeränderten Taſſen gedect hatte.

Novelle von Zulu v. Strauß und Torney. 121 DDr ED AD ED ADDED Dre D DEI ED ED ED eD „Kuchen gibt freilich nicht,“ entfchuldigte fie fich fat ängftlich, „ich konnte fo ſchnell feinen beforgen, der Bäder wohnt fo weit.”

Er lachte nur. „Meinen Sie denn, daß ich täglich fo fchlemmte? Du lieber Himmel ein armer Literat! Für den ut eine Zafje Kaffee in Gemütlichkeit ein Luxus.“

Das kleine Sofa krachte ordentlich, als Fritz Nor: bert ſich darauf ſetzte, er ſah überhaupt mit ſeiner Länge und dem hochgetragenen blonden Kopf faſt zu groß für die Tleine Stube aus; aber er fühlte fich wohl und war ausgelaſſen Iuftig.

Marie war echt noch ftill, als ob fie fich fcheute, Be einmal jo recht der forglofen Freude binzugeben, aber bald lachte fie mit. Es fam Norbert vor, als ob fie heute einmal wirklich jung wäre, nicht das früh: alte, verlümmerte Schattenpflänzchen, das fie ihm fonft Iden, -

Als fie fertig waren, räumte Frau Biller die Taffen zufammen, um fie zu Toilen. Marie wollte ihr helfen, aber das litt fie nicht, die follte bei dem Gaſt bleiben und ihn unterhalten. So holte Marie denn ein paar feine Sachen, die fie gejchrieben hatte, und las fie ihm vor; er fritifierte fie und gab ihr ein paar gute Rat: jchläge für die Zukunft. Zuletzt fam fie fogar ſchüch— tern mit ein paar Verſen und Gedichten heraus.

„Ballen Sie nur auf, wenn Gie fo weitermachen, werden Sie bald ganz berühmt fein,” nedte er, „und dann bitte ich um Ihre Proteltion, Fräulein Kollegin!”

Sie war duntelrot geworden und fah ihn einen Angenblid zögernd an. „Ich wollte, Sie fagten das nicht immer.“

„Was fol ich nicht fagen? Fräulein Kollegin?”

Sie nidte verlegen. „Sch mag es nicht hören.

122 Kameraden.

DD DD DD ED ED ADDED ED DE DEI ED re sch bin doch noch lange nicht fo weit, und es fängt jo fo gefchäftsmäßig!”

Er lachte. „a, das hilft aber nichts, wir find nun einmal Kollegen!”

Gie jehüttelte den Kopf. „Lieber Kameraden,” jagte fie ernſthaft. „Sie helfen mir doch wirklich wie ein guter Kamerad.“

Kameraden! Sri Norbert mußte lachen. Was mußte das Leine Ding von Kameradfchaft? KRamerad- Ihaft, wie fie unter Männern in ernfter Arbeit Schulter an Schulter oder auch in tollen Nächten beim Wein Héi ſchließt? Eine Kameradſchaft, über Iyrifchen Ge— dichten gejchloffen, mit ſolch einem Kind, das nichts vom Leben wußte! Aber je jah ihn fo erwartungs: voll treuherzig an, daß er die Nederei, die er auf der Zunge hatte, nicht herausbrachte. Er jtredte ihr nur die Hand hin. |

„Einverjtanden, mein fleiner Kamerad!“

Sie ließ ihre Hand unbefangen einen Augenblic in jeiner und jah vor ſich hin. Er Schloß unwillkürlich die Finger feiter um die fühle Mädchenhand, die fo ruhig in Der feinen lag; fie merkte e3 gar nicht, auf ihrem Geſicht war ein Ausdrud von träumerifcher Zus friedenheit. So wie jemand, der ſchläft und noch nie geweckt worden ift, mußte er denken.

Verftimmt ließ er ihre Hand los und rücdte heftig den Stuhl.

Aber im nächſten Augenblid mußte er über "éi lachen. Dieſes Leine Mädchen ging ihn ja nichts an. Er wollte auch nichts von ihr. Und zu einem Experi- ment war fie nicht einmal interejjant genug. Nein, die fühle Rameradichaft war bier das bejte.

Bon da an Tom Fri Norbert aber dod) öfter. Es ging jo ganz allmäblich, daß er fich daran gemöhnte,

Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 123 genee Ee Eelere ED DD ED DD DD De alle paar Tage die fteilen Treppen heraufzufteigen und den Knopf der Klingel bei Billerz zu drüden. Er war bald ganz zu Haufe in der feinen Stube mit den alt- modifchen Möbeln und den weißen Gardinen, troßdem es da ganz anders war, als er es fonjt fonnte Das ganze Leben fah fich aus diejer weltfremden Enge ander® an, aber vielleicht gefiel es ihm gerade des— balb fo gut. Es war immer fo ein Ausruben und Aufotmen zwiſchen dem wirren Stundenmwirbel de3 Großjtadtlebens und des Literatentums.

Marie und er waren ganz gute Freunde jet. Er verftand das Mädchen ja eigentlich nicht; es war eine fo fonderbare Miſchung von faſt badfifchmäßigem Idea— lismus und nachdenflicher Klugheit in ihrem Wejen, und in dem winzigen Ausfchnitt vom Leben, den fie wirklich fannte, machte fie fich ganz ihre eigenen Ge— danken und Urteile.

Aber troßdem ihre Art (hm fremd war, hatte fic doch einen wohltätigen Einfluß auf ihn. Ihre gleich: mäßige Ruhe legte Te befchwichtigend auf feine Nerven.

- Manchmal freilich verftimmte fie ihn auch. Der Ver: kehr mit Frauen war fonft für ihn unzertrennlich von einem gewiſſen pricdelnden Weiz. Der fehlte hier, und er fühlte auch, daß er machtlos war, aus Dem Geheim— nis Deler Natur den Funken berauszufchlagen. Das war er nicht gewohnt, und augenblidsmeife Tonnte e3 ihn ärgern, aber das waren (mmer nur flüchtige Re— gungen, und Marie merkte fie gar nicht, fie blieb immer gleich unbefangen gegen den Kameraden.

Es war Ende April, die Luft war fchon ganz mom, vor den Villen der Tiergartenftraße blübten die Zul: pen und Hyazinthen, und an den Straßenecken Tonnen Kinder mit großen Büfcheln fperriger Weidenzmweige vol filberflammiger Kätzchen. So ein Tag, der es einem

124 Kameraden.

DD Ee DD ED DD AD ED ne Dre De Dee DD ee zwifchen den hohen Häufern unbehaglich macht und ou allerhand jentimentales Zeug aus der Jugendzeit ers innert.

Frig Norbert bummelte mit der Zigarette die Fried- richftraße entlang und überlegte eben, ob er nicht heute einmal Zeit hätte, Hinauszuradeln, als er auf einmal Marie Biller vor fich gehen ſah mit ihrem gleichmäßig eiligen Schritt, den Arm voll Palete. Sie fah immer geradeaus, gar nicht nach den glänzenden Auslagen der Schaufenjter oder den Menfchen um fie herum.

Norbert ging etwas fchneller und war gleich bor, auf neben ihr. Sie fuhr zufammen, als er fie an- vedete, fie mußte ganz in Gedanken gemejen jein, aber dann die fie ihm freundlich zu.

„Ich habe Beforgungen gemacht, ich muß Mutters und meine Sommerjachen in Ordnung bringen,” fagte De auf feine Frage, „jest wollte ich nach Haus.”

„Jetzt nach Haus!” Norbert fehüttelte den Kopf. „Natürlich, fich gleich wieder krumm hinſetzen und fticheln. Nein, Fräulein Marie, daraus wird heute nichts! Ge haben Zeit und ich auch, und Gie fehren jebt um und machen mit mir einen Fleinen Bummel durch den Tier: garten. Sehen Sie nur, mie jchön es ift!“

Sie blieb unfchlüffig eben und jah zu dem blauen Himmel über den Häufern hinauf, in dem ein paar feine weiße Wolfen ſchwammen.

„Ich weiß nicht recht —“ jagte He zögernd.

„Aber ich weiß es. Eine Schande, foldy jchönen Zon in der Stube zu boden! Kommen Sie Tehrt marſch!“ |

Sp gingen fie denn zufammen ert die Friedric)- ftraße, dann die Linden entlang und durch das Bran- denburger Tor in den Tiergarten hinaus.

Über den Bäumen und Bülchen hing daS junge

Novelle von Lulu o Strauß und Tornen. 125 DD EEE Dre Dre Dre DD Laub wie ein dünner grüner Flor, irgendwo antworte: ten fich ein paar Buchfinfen, der eine nah, der andere ferner, in zmwitfcherndem Gefchmetter. Dazu war e3 wundervoll weiche, müde Luft.

Marie war anfangs ganz ftill, aber Norbert freute fih an den großen, glüdlichen Augen, mit denen fie um fich jah.

Ihm fiel auf einmal ein, daß ihre Pakete doch ge- mwiß unbequem zu tragen waren; ohne zu fragen, nahm er He ihr aus der Hand und jchob fie in die Tajchen.

„Geben Sie her, mir macht das nichts aus, ob fie da in der Zafche teen. Sie follen heute mal ganz vergnügt und frei fein und nichts zu fchleppen haben, weder körperlich noch geiſtig.“

Sie ſah ihn ernſthaft an. „Ich glaube, das iſt ganz unmöglich. Geiſtig, meine ich. Was man da zu ſchleppen hat, wird doch mit der Zeit ein Stück von einem ſelbſt, das man gar nicht miſſen möchte.“

Er ſchüttelte unzufrieden den Kopf. „Wenn Sie doch einmal all dieſe ernſthaften Grübeleien zu Haus laſſen wollten! Wiſſen Sie, daß das ganz was Ver— frühtes, Unjugendliches an Ihnen iſt? Und Sie ſind doch wirklich noch ſo jung.“

„Dreiundzwanzig ſchon wenigſtens faſt,“ ſchob ſie eilig ein.

Er mußte lachen. Das war echt wie ſie; ſo gar nichts von der weiblichen Ziererei mit dem Alter, eher noch ſich ein bißchen älter machen!

„Faſt?“ fragte er neckend. „Wann denn? Darf ich das nicht auch wiſſen?“ |

„Warum nicht? Am vierten Mai.”

„Am vierten Mai? Famos, das it ja in acht Tagen! Das müffen wir aber zufammen feiern, Fräu— lein Marie!”

126 Stameraden. EDrEDrEDrED TED ED ED DD AD AD DE DD Dr Dr De eD

Sie ſchien gar nicht auf ihn zu hören, fie jah nach: denklich geradeaus. Dann hob fie den Kopf.

„Eigentlich beneide ich Sie um Ihre leichte Lebens— auffaffung,” fagte fie. „ch wollte, ich könnte das auch. Es muß viel netter und bequemer fein. Wie fangen Gie das nur an?”

Er lachte. „Das ift ganz einfach. ES kommt wohl, weil ich das Leben fo genau fenne. Bon klein auf habe ich mich allein durchbeißen müfjen und babe einen Tag Glück und den nächften Pech gehabt. Da lernt man, das einzelne nicht fo fehmwer zu nehmen. Gonft fonnte man auch gar nicht den Kopf über Wafler halten. Und e3 lebt ſich wirklich) ganz bequem und fidel fo!“

Er pfiff eine luſtige Gafjenhauermelodie vor fich hin, dann brach er wieder ab.

„Sie würden das auch lernen, wenn Sie mehr her, auslämen. Aber jo wie Sie hinvegetieren, immer allein mit der alten Dame, die für die Jugend Fein Ver: ftändnis hat, in dieſem winzig engen Kreis, da muß es von felbjt fommen, daß Ihnen die kleinſten Kleinig: fetten wichtig werden. Es ut wirklich ein Sammer um Sie.“

Sn Maries Gefiht war ein Ausdrud von Unruhe, es war, als ob fie etwas fuchte, um von diefen Thema abzulommen.

„Wo find Sie eigentlich zu Haus, Herr Norbert?” fragte fie haſtig. „Sie haben mir nie davon erzählt, auch von Ihren Eltern nicht.“

(Gr zudte die Schultern. „Was ut denn da groß zu erzählen? Meine Eltern habe ich kaum gekannt, He ftarben, als ich Ten war. Damals wohnten mir in Thüringen. Ich kam dann zu Verwandten hierher. Aber ein Heim habe ich nicht mehr gehabt feitdent.

Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 127 ID DD DD ED AD AD ADD re De Dre Dre De Dre Iſt mir aber auch ganz recht, mir paßt die Ungebunden- beit bejjer.”

Marie ſah ihn an, mit einem großen, ehrlichen Mit: leid in den hellen Augen. „Aber das ift doch fchred- lich! Ganz allein Tonn doch Fein Menſch leben! Gie haben doch gewiß viele Freunde.“

„Zreunde? Wie man’s nimmt.” Norbert ärgerte faft über daS Mitleid des Mädchens, er hieb zer: jtreut im Borbeigehen ein paar hellgrüne Blattknojpen mit dem Stod ab. „Wiflen Sie, ich habe viele gute Bekannte, auch Freundfchaften, aber feinen Freund. Ein Menfch fann einem ja doch nie genügen, man hat mit jedem nur irgend eine Seite gemeinfam. Cbenjo geht miv’3 auch in anderer Weife. Liebfchaften habe ich genug gehabt, aber die Xiebe, die eine, große, kenne ih darum auch nicht. Aber das ift ja auch viel bejjer. Wozu ſich mit den Menfchen fo fejt verbinden? Biel: leicht werden fie einem fpäter mal binderlich und läſtig, und dann Tann man fich nicht losmachen.”

Marie war dunkelrot gemorden, aber fie ſah ihm doch mit großen Augen voll ins Geficht.

„Rein,“ fagte fie fchroff, „fo Darf man gar nicht denten, das iſt häßlich. Das ift Doch eben die rechte Liebe, daß man Hi ganz gegenfeitig verfteht. Wenig tens, was ich mir darunter denke. Und ich glaube, das gibt e3 für jeden nur einmal auf der Welt. Und wenn man das nicht hat, dt alles andere nur fchlechter Erſatz. Man Toll fein Höchjtes nicht in Kleiner Münze verzetteln, das iſt unmürdig! Dadurch verliert man das Anrecht auf das wirkliche große Glück.“

Sie Hatte ganz aufgeregt gejprochen, aber faft als ob fie mit fich felbjt ſpräche; an ihm fah fie vorbei, als ob er gar nicht da more, in ihren Augen moar ein fonderbar tiefer Augdrud.

128 Kameraden. [ne 0 m? ö——

„Ein ſchrecklich unpraktiſcher Idealismus, den Sie da entwickeln!“ Norbert war ſtehen geblieben und ſah lachend auf fie herunter. „Kind, damit bringen Sie Ihre Jugendjahre hin, daB Sie auf diefe ideale Liebe warten? Und menn der Märchenprinz nicht fommt, werden Sie alt und grau und haben überhaupt nie gewußt, was leben heißt! Fräulein Marie, Sie find Doch nur einmal: jung.”

Sie antwortete nicht, fie ſah nur mit ängftlichen Augen zu ihm auf.

„Bir müffen weiter,” fagte fie dann baftig.

Er achtete nicht darauf, er beugte ſich vor und ſah ihr ins Geſicht. „Willen Sie, daß Sie ein Un: recht an ich felbft begehen? Den Augenblick verlieren Sie über allerhand unmöglichen Träumereien, und Ihre Seele, hr Ich verkümmert und vertrodnet unterdes in der Entwicklung!“

Er war ſtill und atmete tief; er wußte felbft nicht, warum er fic) jo aufregte, aber es machte ihn un- geduldig, dieſes junge Geſchöpf in ihren eigenfinnigen felbftgemachten Vorurteilen befangen zu fehen. Und dabei Tom fie ihm heute auf einmal jo bejonders rei- zend vor, als ob fie wieder etwas von dem Scheuen, Hilflofen hätte, das ihn zuerſt angezogen Hatte.

Marie hatte echt nicht geantwortet, jet wandte fie ſich auf einmal fchroff weg und fing an weiterzugeben.

„Sie follen nicht fo fprechen,” fagte fie hajtig, „Sie gerade nicht! Sie wiſſen Doch, wie ich lebe, und daß ich nicht anders kann. Sch muß mich ja hereinfinden, ob ich will oder nicht, und Sie machen e3 mir nur fchwerer. Sie wiſſen doch felbit, daß feine Möglichkeit iſt für mid —“

„Keine Möglichkeit?“ Norbert war dicht neben ihr, er ſah mit lachenden Augen zu ihr herunter. „Mög:

Novelle von Lulu o Strauß und Torney. . 129 E⏑⏑ Dre De De lichkeit, das Leben zu genießen, gibt es immer. Sie brauchten nur zu wollen, Fräulein Marie!“ |

„Ich?“ Sie fah fragend zu ihm auf. „Wiefo?”

Er lachte wieder. „Das mollte ich Ihnen ſchon lehren. Sie müfjen nur nicht übertriebene Anfprüche ftellen. Wenn man das Beſte nicht haben Tonn, gibt man Déi eben mit dem Geringeren zufrieden. Ich bin wirklich) ein ganz guter Kerl, Fräulein Marie, Sie ſoll⸗ ten nur verfuchen, mich ein bißchen gern zu haben.”

„Sie?" Marie lachte, aber e3 war fein ganz un» befangenes Lachen, He war rot dabei gemorden. „Sole Witze jollten Sie nicht machen. Das ift nicht hübſch.“ |

Norbert wollte haftig antworten, aber er war ftill, als er ihr Geficht ſah. E3 war, als ob fie ihn ſchon wieder ganz vergejjen hatte. Sie fah mit einem träume: rifhen Ausdrud in das helle Grün der Bäume hinauf.

Sie hatte ihn wohl gar nicht verftanden. Biel- leicht war da3 auch ganz gut. Er war gerade drauf und dran gemwejen, fich wie ein verliebter Brimaner zu betragen. Das war aber nur die Aufmallung eines Augenblid3 gemejen, im Grunde ließ fie ihn ja doc) kalt.

Marie blieb auch einmal ſtehen und ſah mit einem tiefen Atemzug um ſich. „Es war wirklich gut von Ihnen, daß Sie mich da herausbrachten. Wie wunder: ſchön das alles iſt! Das Waller Hinter den Büjchen, und die Sonne und die Vögel! Wir haben fo viel gefprochen, da genießt man e3 gar nicht recht. Das fann man nur, wenn man ftill ift.“

- So gingen fie denn ftill nebeneinander ber die lebte Strede des Weges. Ganz bis nach Haus brachte er fie nicht, er bog ein paar Straßen vorher ab, wo er feiner Wohnung näher Fam.

1904. VI. 9

130 Sameraben. —⏑ —⏑ ⏑—CEC

Sie gab ihm beim Weggehen freundlich die Hand. „Laſſen Sie ſich bald wieder bei uns ke Sie wiſſen, wir freuen uns immer.“

Fritz Norbert hatte ne an dem Tage eigentlich vor: genommen, nicht fo oft mehr hinzugeben. Aber wenn e3 auch fonft öfter vorkam, daß er acht Tage nicht hin- ging, Diesmal, wo fein Borfaß ihn gemijjfermaßen band, war es ihm unbequen, fehlte ihm ordentlich,

Eigentlich war es auch übertriebene Vorficht. Seiner ſelbſt wegen Hatte er fie wahrhaftig nicht nötig, und Marie na, er hatte doch deutlich gejehen, daß ihr der Verkehr ungefährlich war. Sie würde Téi auch wundern, wenn er jebt auf einmal wegblieb, fie wußte ja gar nicht weshalb. Und dann hatte fie nicht gefagt, daß am vierten Mai ihr Geburtstag war? Es wäre doch unfreundli von ihm, wenn er fih an dem Tage gar nicht jehen ließ.

Vielleicht Fonnte er ihr auch eine kleine Geburtstags: freude machen. Irgend etwas Befonderes. Er bejann ſich, und endlich fiel es ihm ein, er wollte fie mit in die Oper nehmen. Das war etwas ganz Neues für fie. Und ihm würde es Spaß machen, ihr Entzüden zu fehen.

Am Nachmittag, al3 er wußte, daß ihr Sekretär— dienst bei ihrem alten Geheimrat vorüber war, ging er bin.

„Wie gut von Ahnen, daß Sie fommen!” fagte fie, als er ihr gratulierte. „Ich Dachte fehon, Sie hätten und ganz vergeffen. Sie find jo lange nicht bier ge: | wesen.“

„Haben Sie mich wirklich für fo jchlecht gehalten, Fräulein Marie?” Er ftand vor ihr und fah freund: lich auf fie herunter. „Nein, im Gegenteil, ich babe jehr viel an Sie gedacht. Sch Habe mich immer be:

Novelle von Lulu o. Strauß und Torney. 131 IDrED EDDIE Dre Dr DDr Dre De Der Der De Dre Dr ED ED jonnen, was für eine Freude ich mir zu Ihrem Ge: burtstag machen wollte. Und fehen Sie” er 309 feine beiden Billette aus der Taſche und hielt fie ihr bin „bier ift mein Geburtstagsſpaß. Ich will Sie heute abend mit ins Opernhaus haben zu Triftan und Syjolde.”

„Mich?“ Marie fah ihn ungläubig an. „Das dt doch wohl nicht Ihr Ernſt! Ich ich bin da ja nie gewejen! Ich Tenne das ja gar nicht!”

„Eben deswegen! Für Shre Bildung fehr vorteil: haft! Du lieber Himmel, dreiundzwanzig fahre Sie fehen, ich habe ein gutes Gedächtnis —- und noch ` nie im Theater gemejen!”

Frau Biller Tom jet auch herein und machte ihr forgenvolljtes Geficht, als fie von dem Plan hörte.

„Kind, Mimi, du ins Theater! Aber dann kommſt du ja fo ſpät nad) Haus! Und es ift doch auch teuer! Das geht doch nicht, Herr Norbert, das Tonn meine Tochter doch nicht annehmen!“

„Warum nicht? Das ift übrigens auch nicht fo gefährlich, denn ich befomme als Rritifer immer Frei billette.“

Norbert log diesmal, aber er tat e8 Marie zu Ge: fallen. Sie war dunkelrot geworden, als die Mutter davon ſprach.

„Alſo, Fräulein Marie, Sie machen fich heute abend fo hübſch Sie können, und um fech3 hole ich Sie ab. Nach Haufe werde ich Sie nachher auch bringen, da—⸗ mit fich Ihre Mutter nicht forgt.”

Als er pünktlich kam, um fie abzuholen, war fie Ihon ganz fertig. Sie hatte ihr bejtes Kleid an, ihr braune Haar mar heute etwas locderer gemacht, und ihr Geficht Hatte mehr Farbe als fonjt, das fleidete fie gut.

132 Kameraden. Te?

Fran Biller ftrich noch mit wichtigem Eifer an ihren Kleid herum, zuletzt brachte fie noch ein Fleines Käſtchen und gab e3 Marie. „Da, Mimi, das iſt mein (Ge: burtstagsgefchent. Heute follft du ein bißchen hübſch ausfehen, Kind.” `

Eine feine roja Schleife lag in dem KRäftchen.

Marie jah mit glüdlicden Augen auf das Ping herunter. „Du but fo gut, Mutter, das ut viel zu ſchön für mich!“

„ein, nein, Kind, fomm nur, wir wollen fie o:

jteden, daß Herr Norbert nicht warten muß.” Marie war ſtill, als fie dann zufammen durch die Straßen gingen. Norbert ſah manchmal in ihr Ge: jicht, da3 hatte einen ermwartungsvollen Ausdrud mie ein Kind vor Weihnachten.

„Freuen Sie ſich?“ fragte er einmal unterwegs.

Sie nidte. „OD, fo jehr. Aber ich habe faſt auch Angſt. Sch weiß jo gar nicht, wie es ift.”

Er lachte. „Dumm, daß ich vergeffen habe, Ihnen das Tertbuch vorher zu geben. Warten Sie, ich will Ihnen etwas davon erzählen, damit Sie doch Bejcheid wiſſen.“ |

Sie hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, während er ihr den Gang der Handlung erzählte. Unterdes moren fie am Opernhaus angelommen; es war ſchon höchſte Beit, fie hatten Toum in der Garderobe die Sachen abgegeben und ſaßen auf ihren Pläßen vorn an der Brüjtung im dritten Rang, als der Zuſchauer— roum bunfel wurde und die Ouvertüre anfing.

Ein paarmal fah er Marie an; fie ſaß ganz regungs⸗ [08 vorgebeugt, ihr Geficht fonnte er in der undeutlichen Däanımerung nicht recht erkennen.

Dann vergaß er fie auch eine Zeitlang. Die gemal« tige Zonfülle und Schönheit des Wagnerjchen Meifter:

Cedkie EC Ak

Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 133 AD ARDRED ED D Dre Dre De Dede DD E E werkes riß ihn mit fort, erfüllte fein ganzes Ich bis in jeden Nerv hinein.

Erſt als am Schluß des erften Aufzuges der Vor: bang fiel und die eleftrifchen Lampen im Zuſchauer— raum mit ihrem grellweißen Licht die fonderbar er: bobene Traumſtimmung zerftörten, fiel ihm Marie wieder ein.

Er beugte fich zu ihr hin. „Wie gefällt es Ihnen?“

Sie wandte langjanı den Kopf und jah ihm mit weit offenen abmwefenden Augen ins Geficht. Sie hatte feine Frage gar nicht veritanden, er mußte fie wiederholen.

Da .nidte fie. „Es ift wie ein Wunder!” fagte He balblaut.

Er ſah auf einmal, daß fie bis in die Lippen blaß war. Er erjchraft ordentlih. Wenn es ihr nur nicht zu viel wurde! Sie war fo etwas ja gar nicht ge- wohnt!

Um ihre Aufregung etwas zu beruhigen, fing er

an, ihr ein paar auffallende oder fomijche Erſcheinungen im Publikum zu zeigen und feine Bemerkungen darüber zu machen. Das Mädchen hörte zu, aber es war, als ob fie ihn gar nicht verftände; fie die nur bin und wieder, antwortete auch, wenn er fie etwas fragte, aber es Tam ihm vor, als ob fie im Schlaf ſpräche. Faft bereute er jeine dee. Sie hätte gewiß nicht gleich als erjtes jo etwas Großartiges, Übermältigendes jehen dürfen, dem moren ihre feelifchen Kräfte nicht ge- mwachjen. Weiter. Die Tiebesjzene zwifchen Triftan und Iſolde. Grünlihe Gartendämmerung auf der Bühne, finn- beſtrickende Muſik, alle Nerven aufregend und zugleich ſüß einfchläfernd. Durch die atemlofe Stille des Haufes Iſoldes jehnfüchtiger und doch felig jauchzender Auf: „So laß mich fterben!"

134 Kameraden. Dën A et ED TED DD DD DD AD DD

Norbert hatte fi) vorgenommen, auf Marie zu achten; er hatte fich jegt genug an die Dämmerung gewöhnt, um ihr Geficht zu erkennen. Sie faß über die Brüftung vorgebeugt, die Lippen geöffnet, als ob fie jeden Ton trinten wollte. Die Hände lagen im Schoß, feſt ineinander gellemmt.

Er faßte fie leiſe mit feiner Nechten und Löfte fie auseinander. Sie fuhr ert zufammen, aber dann ließ We e3 ruhig gefchehen, litt auch, daß er ihre Hand feit in feiner behielt. ` "ebe Finger waren glühend heiß, e3 war ihm bisweilen, als ob es wie ein Zittern durch fie bin lief. |

Sie ſprach kaum zwei Worte mehr während des ganzen Abends. Als nach dem lebten Aufzug der Vor- bang fiel und ein donnerndes Klatſchen und Rufen durch Das Haus ging, ftand fie haftig auf und drängte hinaus. Sie waren faſt die erften draußen. Wie im Traum ließ fie es gefchehen, daß er ihr den Mantel umbing und ihr das mitgebrachte Tuch um den font band. Ihr Geficht war jet heiß, ihre Augen hatten einen fonderbaren Glanz. Norbert hatte das Mädchen noch nie jo hübjch gejehen.

Er felbft war in gehobener Stimmung. Dazu war fo eine unbeftimmte Unruhe und Unternehmungsluft in ihm wenn er allein gemejen wäre, hätte er irgend einen tollen Studentenftreich machen mögen!

Draußen auf der Straße 309 er ihren Arm feit in feinen, fie gingen ohne zu fprechen, er fang und pfiff abgeriſſene Melodien vor fich Hin, die ihm haften ge- blieben waren.

Als fie aus dem Bereich der belebteren Straßen heraus waren, fing er an, langfamer zu gehen. bummelte fich To köſtlich durch diefe faſt ſchwüle Nacht: luft Hin die eleftrifchen Lampen ftanden wie weiße

Novelle von Lulu o. Strauß und Torney. 135 Monde in dem tiefen Blau des Himmels, ein weißlicher Lichtdunft lag über der Stadt, und ganz hoch oben waren die Sterne wie Funken in die blaufchmwarze Duntelbeit gefät. Das Summen des nächtliegen Groß: ftadtleben3 Hang gedämpft in diefe ftilleren Straßen herüber. Nur bin und wieder begegneten fie einem Menfchen. Norbert wurde e3 langmeilig, daß das Mädchen gar nicht ſprach. Er blieb auf einmal jtehen.

„Denken Sie fich das fehr intereſſant für mich, fo ſtumm dahinzutrotten, Fräulein Marie! Sie haben doch ficher eine Menge Gedanten, und ich finde e3 Schlecht von Ihnen, wenn Sie mich gar nicht ein biß— chen davon profitieren laffen.”

Marie jcehüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht e3 ift alles fo fonderbar” fagte He wie träumend, „die Welt ift jo anders heute. Und e3 kommt mir vor, als ob ich gar nicht mehr ich felbjt bin.”

Er lachte nur, ohne zu antworten. Es war nichts mit ihr anzufangen jebt, fie mußte fich erſt befinnen.

Da waren fie endlich in ihrer Straße. Frau Biller hatte Norbert den Hausfchlüffel gegeben, er jchloß auf und fie tappten fich hintereinander die dunklen Treppen hinauf. Oben zündete er ein Streichholz an, Damit fie das Schlüffelloch der Korridortür finden fonnte,

Marie blieb einen Augenblick zögernd ftehen und wollte ihm die Hand geben. Er jchüttelte den Kopf und jchob fie ſacht vor Héi ber in die Tür.

„Wie einen Dienſtmann wegſchicken Lotte ich mich nicht gleich, Fräulein Marie. So vier Stunden Kunſt— genuß wirken fchredlich auf den Magen, meiner Inurrt ſchon wie ein Wolf. Ein Stüdchen Butterbrot müſſen Sie mir ſchon geben.“

„Wenn Mutter nur nicht aufwacht,“ ſagte Marie flüfternd.

136 Kameraden. geen Egger Ee ee Ee Eege Ee ee Ee Ee Ee ⏑UV

„Keine Angft, wir find ganz leife, die alte Dame merft es gar nicht.“

Nun ftanden fie in der Stube. Die eme Lampe mit dem günen Schirm war niedrig gejchraubt, es war ganz dämmerig. Das Fenſter war offen, die roten Blüten des Geranienftod3 ftachen jonderbar grell von der Dunkelheit draußen ab und bemegten fich leiſe in der ſchwülen Nachtluft, die hereinmwehte. Auf dem Tiſch ftand Brot und Butter und eine altmodifche gehäfelte Raffeemüßge, mit der die kleine Kaffeelanne zugededt war.

Marie war mitten in der Stube ftehen geblieben, die Arme jchlaff berunterhängend, und ſah mit ab- weſendem Blid über all die befannten Gegenstände meg. Das rote Kopftuch war ihr auf die Schultern zurüd- gefallen, das dunkle Haar lag unordentlich baufchig um die Stirn. Ihr Geficht mar noch glühend heiß und hatte einen Ausdruck glüdlicher Verſunkenheit.

Es durchfuhr Norbert auf einmal fonderbar beiß, als er fie anfah. Ein reigendes Bild! Wie eine ganz andere er hätte nie gedacht, daß das in dem Mäd— chen ftedte!

Leife nahm er ihr das Tuch ab und legte dabei feinen Arm um ihre Schulter.

„Marie, bejinmen Sie fih! Gie find nicht mehr im Opernhaus. Kommen Sie doch endlich mal wieder auf die Erde!”

Sie mar zufammengefahren und fah ihn auf einmal mit einem ängftlichen Blick an. „Nein bitte nicht” mit haftiger Bewegung wollte fie dh von feinem Arm losmachen.

Norbert lachte, ihre Angſt machte ihm Spaß, er 308 fie etwas feiter zu ſich. „Rind, ich tue Ihnen ja nichts! Seien Sie nicht albern. Bon einem Kameraden Tonn

Novelle von Lulu pn. Strauß und Torney. 137 man fich das fchon mal gefallen laſſen. Da ift doch nicht3 dran!”

Sie verſuchte ihn zurüdzufchieben. „Nein, nein das nicht nicht die Kameradfchaft mißbrauchen“ fagte fie ſtockend.

„Mißbrauchen? Wer jagt denn das? Das Klingt gleich fo ſchlimm! Es ift Doch nichts dabei. Wer weiß, was morgen ilt! Und Sie haben doch jelbjt ge: fagt, daß die Welt heute ganz anders ift und Gie jelbft au, Marie —“

„Ich will nicht ich will nicht“ fagte fie halb» laut, atemlos.

Aber fie wehrte ſich nicht mehr. Gie litt es wie willenlos, als er fie jet dicht an fich 308, ihr Kopf lag an feiner Schulter.

Sie rührte Déi auch nicht, als er fie küßte. Sie fchloß nur die Augen, und er fühlte, daß fie über und über zitterte.

Haftig ſchob er ihren ont herum, daß er ihr ins Geficht fehen fonnte „Sieh mich an! Mir in die Augen!”

Da jah fie ihn an. Mit großen bangen Augen, wie ein Tier, das Héi vor der Peitjche fürchtet. Syn feinem Blid war eine heiße Unruhe.

ALS ſich ihre Augen trafen, warf fie auf einmal die Arme leidenschaftlich um feinen Hals. ` `

„sh weiß nicht, was das iſt,“ ſagte fie haftig flüfternd, „mir ift jo bange. Und ich Tonn doch nicht anders. AS ob ich Feinen Willen mehr hätte. Und es iſt doch Unrecht —“ |

„Unreht? Warum? Laß doch die ewige altkluge Neflerion.. Wer da3 Leben genießen will, muß Mut haben. Nicht immer an das „Es fchidt fich nicht“ denfen. Das ut für Schmädlinge. Wer Mut hat und frei ift, jchert Di nicht drum.”

138 Kameraden. ID LED DAR RD AD AD AED AED DD DD Dre AECH `

Er hatte abgebrochen und raſch gefprochen, da- zwijchen füßte er He wieder, mitten in das baujchige dunkle Haar, das losgegangen war und über feine Hand hing. Sie wehrte ſich nicht, fie bog ihm den Kopf entgegen. Ihr Atem ging tief und zitternd. Es war wie ein Rauſch über das junge Ding gelommen. AU die zurüdgeftaute verfümmerte Lebensluft ihrer dreiundzwanzig Jahre

Ein ſchwüler Windſtoß fuhr auf einmal ins Fenſter, die Lampe flackerte, und von der einen Geranienblüte flatterten ein paar grellrote Blätter herunter. Norbert nahm ſie auf und ſtreute ſie dem Mädchen ins Haar.

„Du du —“

Er hob ſie auf mit beiden Armen und hielt ſie einen Augenblick ſo; er fühlte dabei ihren ſtoßweiſen Herzſchlag.

„Kind, was du zitterſt! Was haſt du denn? Angſt? Vor was?“ Mit einem heißen, unſteten Blick ſah er ihr in die Augen, dann lachte er auf. „Ja, ja, ich weiß ſo machen es die kleinen Mädchen alle, ich kenne das das gibt ſich von ſelbſt. Es will eben alles gelernt ſein, Schatz! Beim nächſten kleinen Roman geht es ſchon beſſer!“

Er lachte noch einmal, mit einem häßlichen ſcharfen Klang in der Stimme.

Das Mädchen ſchauerte auf einmal wie fröſtelnd zu— ſammen, ſie hob raſch den Kopf und ſah ihn ein paar Sekunden lang wie fragend an. Seine Augen ant— worteten ihr, es lag eine haltloſe, brutale Leidenſchaft darin.

Marie ſah haſtig weg, in die Dunkelheit hinein. Ihr Geſichtsausdruck hatte ſich plötzlich verändert.

Draußen hatte ſich der Himmel bezogen, kein Stern war mehr zu ſehen. Es war ganz ſtill, nur von fern

Novelle von Lulu o. Strauß und Zommen, 139 DDr DD Ee Aere Dre ADDED DE Dr DD re Hong ein rollende jummendes Getön über die Dächer.

Auf einmal fchlug draußen irgendwo eine Kirchen— uhr. Schwere einzelne Schläge, erjt viermal, den vollen Stundenſchlag, dann fette fie noch einmal ein, nod tiefer und dröhnender. Es Hang fonderbar unheimlich, wie eine nahe drohende Stimme aus der ungemiffen Dunkelheit heraus.

Marie jtrich ſich langſam ein paar dunkle Haar- ſträhnen aus der Stirn. „Zwölf Uhr!” fagte fie laut, wie aufwachend. „So ſpät ſchon! Das ift ja. mitten in der Nacht. Wenn ih Mutter nur nicht aufmwede!“

Er fah fie ganz verwundert au, ihre Stimme klang auf einmal fo anders. Sie bog den Kopf weg, als er fie küſſen wollte.

Lachend legte er den Arm feiter um ihre Taille und wollte fie nah an fich ziehen. „Was geht uns das an? Für uns gibt es feine Zeit. Und es ut niemand auf der Welt als du und ih! Wir haben uns zu lieb —”

Sie jehüttelte den Kopf und fah ihm auf einmal fremd und groß ins Geficht. Faſt mit einem Ausdrud von Widerwillen. „Lieb? Nein, daS nit. Das ift anders. Das weiß ich, daB ich dich nicht Lieb habe.”

Sie Hatte Déi plöglich von ihm losgemacht, ehe er es vecht gemerkt hatte. Ein paar Schritte von ihm weg ftand fie und fah ihn an, angftvoll, faft feindfelig.

„Kein, das war es nicht,“ jagte fie noch einmal laut und haſtig, „ich weiß nicht, was es war. Schlecht find wir geweſen ſchlecht —“

Der Mann jagte einen Augenblick Tein Wort und ſah ihre nur Gefiht. Dann Tom e3 auf einmal wie ein Born über ihn, er trat einen Schritt auf fie zu.

„Dummbeiten! Schleht? Wenn jeder Kuß gleich

140 Kameraden. DIDI Dre DDr Der De Dee Der Me eine Schlechtigfeit wäre, du lieber Himmel!” Er lachte auf. „Sei doch nicht kindiſch Mädel! Komm!“

Dit unmillfürlicher Bewegung hob fie den Schirm von der Lampe, daß ftatt der grünlichen Dammerung das grelle weiße Lıcht auf fie beide fiel. Er fah, daß ihr Geficht wieder ganz blaß mar.

„Es war doch fehlecht,“ fagte fie haftig, „wir haben uns nicht lieb. Und mir mwiffen es beide. Wir haben mit dem Höchſten gejpielt. Mit dem, was man nur einmal im Leben zu vergeben bat.“

Fri Norbert ftand regungslos. Er verjchlang das Mädchen mit den Augen. Sie ſtand gerade aufgerichtet, es Tom ihm vor, al3 ob fie gewachſen wäre.

Einen Augenblid waren fie beide ftil. Marie bob, wie fie da hinter dem Tiſch im Licht ftand, die Arme, faßte ihr lofes braune3 Haar und drehte es haftig in einen felten Knoten zufammen. Eine plaftifch jchöne Stellung.

„Marie,* fagte der Mann auf einmal leidenfchaft« lich, „laß die vielen Worte. Das ut Unfinn. Warum ſollten wir nur gefpielt haben? Es Tann ja doch Ernſt jein. Jeden Augenblid, wenn wir wollen. Und mir gehören doch zufammen, du und ich —“

Er wollte ihr näher Tommen, aber er blieb doc) wieder ftehen. Sie ſah ihm voll ins Geficht, ganz ernft- haft. Es war ihm faft, als ob er fich vor ihren Augen - fürchten müßte.

„Rein,“ fagte fie langfam, „wir gehören nicht zu: ſammen. Wir verftehen uns gar nicht. Das weiß ich. Und Sie auch. Wir find ung ganz fremd. Bis in die Seele herein fremd.” `

Es war, al3 ob der fühle Ton ihrer Stimme ihn auf einmal ernüchtert hätte.

Er nahm feinen Hut vom Tifeh und ging zur Tür.

Novelle von Lulu o. Strauß und Torney. 141 DDr Dr Dr ED AED DDr Mee Dr Dr ED DD In einer ganz alltäglich praftifchen Überlegung nahın er auch den Hausfchlüffel, der auf dem Tiſchtuch lag. „Ich ſchicke den Schlüffel morgen zurüd. Gute Nacht!” jagte er.

Gelundenlang ftand er noch an der Tür und ſah zu ihr zurüd. Sie rührte fich nicht. Da ging er.

Das Mädchen blieb vorgebeugt ftehen, folange He feine Schritte hören fonnte Dann ſchlug fie Die Hände vor das Geſicht und fchluchzte auf.

Anfang uni, ein raufchender Negentag. Eintönig grauer Himmel, und eintönig trommelnde Tropfen auf den Blättern der Bäume und den fpiegelnden Straßen: trottoirs.

Das Mädchen, das die Straße entlang geht, hält mit der einen Hand vorſichtig das Kleid, mit der anderen den Schirm, der hin und wieder vom Wind zur Seite geriſſen wird. Sie geht mit gleichmäßig eiligen Schritten und ſieht gar nicht auf. `

Sie merkt auch nicht, daß der junge Mann, der ihr entgegenfommt, fie fcharf fixiert; mie er näher kommt, geht er langjamer und ftreicht fich mit nervöfer Be- mwegung den blonden Schnurrbart. Schließlich, als er dicht vor ihr dt. bleibt er doch wie unmwillfürlich ftehen.

„sräulein Marie!“

Da fahrt fie auf, einen Augenblick erjchroden; aber gleich Darauf fieht fie ihm mit einem müden, gleich: gültigen Blid ins Geſicht. „Ad, Sie —“ jagt fie ge: dehnt. Es Elingt fait etwas bitter.

„sa, ich, in Lebensgröße! Er lacht auf, aber oe zwungen. „Wie nett, daß ich Sie mal treffe! Wie geht es Ihnen, Fräulein Marie? Und Ihrer Mutter?“

Er iſt umgekehrt und geht, als ob das ſelbſtverſtänd— lich wäre, neben (br her.

142 Kameraden. ID LIED REDE ED EDDIE DD DD ED ED RD ED ED ED

„Es geht nicht gut,” antwortet fie, „Mutter ift ſehr elend. Ich weiß nicht, was es ift, ich mache mir Sorge, aber fie will nicht3 vom Doktor willen. Am erften Juli gebe ich meine Stelle bei Geheimrat Mertens auf, ich Tonn Mutter nicht To viel allein lafjen. Nur fchlimm, daß der Verdienjt wegfällt. ch muß dann mehr für das GStidgefchäft arbeiten.“

„Alfo noch mehr zu Haufe fien als font! Der Meg zu Mertens war immer Ihr einziger Gang in die frifche Luft. Sie werden felbjt auch noch front werden.”

Sie zudt die Schultern, ohne aufzufehen. „Was fol ich machen? Es geht ja doch nicht anders.“

„Haben Sie denn nichts anderes? Keinen bejjeren Verdienft? Was macht denn die Schriftitellerei?”

„Ach, die!” jagt fie wegwerfend, „das war ja Uns Dun. Sie fagten ja felbit, daß ich Ten großes Talent habe. Und ich würde doch nie etwas leijten.“

Sie hält den Schirm zurüd über die Schultern. Er bat fie die ganze Zeit von der Seite angejehen, während fie fprachen. Ein jonderbares Gefühl von Enttäuſchung und zugleich von Erleichterung kommt über ihn.

Er begreift fich felbjt nicht. Wie hat ihm das da— mal3 nur paffieren können? Eine Gejchmadsverirrung! Nicht die Spur von Reiz in dem feinen Ding! Die ganze Erfcheinung hat jo etmas Alltägliches, Spieß: bürgerliche8® das graue leid, der Kleine ſchwarze Rragen um die Schultern, daS Haar unter dem Hut fo feft zufammengefnebelt, und fo etwas VBerfümmertes, Frühaltes im Gejicht!

Er hätte gar nicht nötig gehabt, fich jo ängjtlich fernzuhalten. mur wohl nur fo eine Art Schön: heitsraufch gemwefen, Mufit regte jeine Nerven immer

Novelle von Lulu o. Strauß und Torney. 143 Eeer Ee DD De Dre De DD Dre Dre Dre Dee DD fo auf. Er märe ihr ficher nicht wieder zu nahe ges ` treten, ihre Entrüftung war ganz überflüffig gemejen. Die ganze Sache war eine Nächerlichkeit!

Vielleicht Tonnte noch alles wieder in Ordnung gebracht werden. Anfangs hatten ihm die Bejuche bei Billers ordentlich gefehlt, er hatte fich Ton fo daran gewöhnt gehabt. Und eigentlich war doch fein Grund, warum der Verkehr nun nicht weitergehen follte.

„Gar nicht mehr jchreiben wollen Sie?” fragt er jest auf ihre legten Worte hin, „das ift ſchade. Ich glaube, Sie hätten doch etwas leijten können, e3 fehlte Ihnen nur die Anleitung. Und ich würde Ihnen ger helfen, dag wiſſen Sie ja. Wir find doch immer ganz gute Kameraden gemejen. Mir haben Sie jchon oft gefehlt.“

Faſt neckend hat er da3 gejagt.

Sie hebt nur etwas den Kopf und vunzelt die Stirn. „Wein. Das ift vorbei. Das war nur ein Irrtum.“

Wie ſchroff das klingt! Sie ſieht ihn dabei gerade an mit ihren durchſichtigen Augen. Es macht ihn auf einmal wieder ganz verlegen. Sie gehen ein paar Augenblicke nebeneinander her, ohne zu ſprechen.

„Tragen Sie mir das alſo doch noch nach, Fräu— lein Marie?“ platzt er dann heraus. „Es war doch wirklich nicht ſo ſchlimm. Du lieber Gott, man iſt doch jung! Wenn ich Sie beleidigt habe, tut mir das ehr- lich leid. Es joll auch nie wieder vorlommen! Mehr fann ich Doch nicht tun, als Ihnen das fagen! Aber dann lafjen Sie e3 auch jein wie früher!”

Gie hält jet den Schirm fo, daß er ihr Geficht nicht jehen Tonn. er hört nur ihre Stimme, und die klingt fonderbar hart. |

„Rein, das geht nicht. Für Sic tft das ja anders.

144 Kameraden.

DD ED DD Dre dee Ihnen war das nur ein dummer Streich, den Sie am anderen Tag vergeſſen haben. Uber für mi —”

Er wird jebt auch ungeduldig. „Aber das iſt überfpannt und töricht, Fräulein Marie. Sie müſſen die Sache anfehen, mie fie ift. Es ul ja ſchrecklich, alles gleich jo fehwer zu nehmen! Wirklich jung find Sie nie gemejen, und die eine Stunde, wo Gie mal fühlten, daß Sie's fein könnten, die ſehen Sie mie ein Berbrechen an! Sa, wenn Cie noch jemand damit gefchädigt hätten, einem anderen die Treue gebrochen —“

Sie fieht ftarr geradeaus in den grauen Negennebel, der über der Straße liegt.

„Das ift es ja gerade,” fagt fie dann langjam, „ein Zreubruch. Nicht gegen einen anderen, gegen mich jelbft. Meine Selbftachtung habe ich verloren.“

Gite find beide ftill.

„sa, das iſt wahr,” fagt fie dann noch einmal, als ob ſie mit fich ſelbſt jpräche, „wirklich jung bin ich nie gemwejen. Und jebt komme ich mir auch ſchon ganz alt vor.”

„Verrücktheit!“ Gr lacht gereizt auf und ftößt den Stock hart auf das naſſe Pflafter. „Und natürlich, ich habe die Schuld an dem ganzen Unglüd! Nicht wahr?”

Gie fehüttelt den Kopf. „Nein, Ihnen mache ich feinen Vorwurf; Sie denten darüber anders, das weiß ih ja. Sie können auch gar nicht wiſſen, was das für mich iſt. Ich richte nur mich felbft.”

Es kommt jo gedrücdt heraus und To traurig. Norbert Debt fie an, ihr Geſicht hat einen müden, hoff: nungslojen Zug.

Ein heimliche Schuldgefühl fteigt auf einmal in ihm auf, und zugleich ein großes Mitleid mit diefem jungen Ding, das fich da fo refigniert unter feiner Laft von Gewijjenszweifeln und Lebensjorgen binfchleppt.

Novelle von Lulu v. Strauß und Torney. 145 ID D DD ED ED DE DET D ED EDDIE I

Er bleibt- auf einmal ftehen. „Fräulein Marie, wenn ich Sie nun noch einmal ehrlich bitte, mir zu verzeihen und die Dummbeit zu vergejjen bilft denn das auch nicht3? Sie tun mir fo leid, wenn ich dente, daß Sie fo trübjelig weiterleben wollen. Ich bilde mir ein, ich könnte Sie vielleicht manchmal etwas vergnügt machen. Darf ich nicht wiederfommen ?“

Sie bleibt auch eben und fieht ihm in die Augen. Es ut. als ob fie fast lächeln muß über feinen treu- berzig bittenden "on. Aber ihr Geficht behält den müden Ausdrud. „Nein, jagt fie ruhig, „es iſt beſſer, Sie fommen nicht wieder. Es wird doch nie, wie e3 früher war. Jener Abend würde immer zwifchen uns itehen. Aber” jie zögert einen Augenblick, dann gibt fie ihm die Hand „ich will verfuchen, das leßte zu vergeffen und nur an an den guten Kameraden von früher zu denken.“ |

Ein paar Selunden hält er ihre Hand in feiner, es fallt ihm nichtS ein, das er antworten könnte; eine banale Redensart mag er nicht fagen. Ehe er ein Wort gefunden, hat fie ihre Hand zurückgezogen und gebt.

Mit einem jonderbaren, halb unbehaglichen Aus: drud im Geficht Debt er ihr nach, wie fie bie Straße binuntergeht wie eine eine graue Motte, unter ihrem Schirm gegen den Wind kämpfend. Dann ift He in dem bläulichen Regendunſt verfchwunden.

„Armes Ding!“ jagt Fri Norbert laut vor fich hin, pop ein VBorübergehender ihn verwundert anfieht. „Das wäre vorbei. Strich drunter.”

Er wendet fich Fröjtelnd um und gebt vafch die Straße entlang.

ie

19804. VI, 10

Aus dem Tbpyratal.

Eine Harzwanderung von Ch. Seelmann.

mit s Tllustrationen. ? (Nachdruck verboten.)

Wie einerjeitS der Nordojthbarz mit der Roß—

trappe, dem Herentanzplag und dent Bodetal, andererjeitS der Nordmeitharz mit der alten Kaijerjtadt GoSlar und Bad Harzburg von Befuchern überflutet wird, wird der Südharz von Naturfreunden und Ton: riiten immer noch nur ſpärlich aufgefucht und durch: wandert. Und doc) hat auch der Südharz hohe land: ichaftliche Reize. Namentlich ift bier das Thyratal, das die Grafſchaft Stolberg Durchjegt, mit feiner Willen Waldeinſamkeit, feinen es begrenzenden fuppenreichen Dergzügen und feinen taufrifchen Wiejengründen eine wahre Berle, Die jeden Vergleich mit den gerühmtejten Partieen der anderen Teile des Harzgebirges aus— zubalten vermag.

Wer fich auf der Bahnfirede Halle:Kafjel dem Süd: har oder Unterharz nähert, biegt bei der Station Berga auf die Zweigbahn, die nach Stolberg führt, ab. Schon bier bietet jich eine lohnende Aussicht dar. Nach Süden breitet "éi Die fruchtbare „Goldene Aue” aus, die in ichnellem Lauf die Helme durchſtrömt. Dahinter jteigt der Nücden des Kyffhänjers auf, Dellen Abhänge von

wieuÄg) wi ayuapspıem

148 Aus dem Thyratal.

ID De: Dr ——

Dede DeeDeEDen ED

friſchem Laubwald bedect find und von Dellen Höhe das von den deutfchen Kriegervereinen errichtete Moler Wilhelm Denkmal und der trogige Wartturm der alten Kyffhäuferburg im Sonnenglanz herabgrüßen. Aber unjere Fahrt geht nach Norden, das Tal der raufchen- den Thyra entlang, die es nicht erwarten zu Tonnen jeheint, ihre Waffer mit der größeren Helme zu oer: einen. | Tach etwa halbſtündiger Fahrt hält unfer Zug in Uftrungen, wo die legten mwaldigen Ausläufer des Har- zes jchon ganz nahe an uns herantreten. Unſer Blid ſchweift weit hinein in das hier ausmündende Krumm— Ihlachttal, in dem mehrere Bergmerfe und Hütten: werte angelegt find. Den beften Überblie würden wir gewinnen, wenn wir den nahen „Vogelherd“ befteigen würden. Bon dort aus wirde die ganze Talfenkung vor uns liegen bis zum faft 1900 Fuß hohen Auerberg, der den wirkſamen Abjchluß des Lieblichen Krumm— jchlachttals bildet. Aber mir ſetzen unfere Fahrt noch bi3 zur Station NRottleberode fort. Rottleberode ift von einer Kleinen, forgfam angebauten Ebene umgeben, die auf der einen Geite von den vielgipfeligen Stol- berger Bergzügen, auf der anderen von dem fogenann- ten „Alten Stolberg” eingefaßt wird. Der „Alte Stol: berg” ift ein wildzerklüfteter Gebirgsflöz aus Kalk— geftein, auf dem ett die jeit langem in Trümmer ge- funfene Stammburg der Fürften von Stolberg aufragte, deren eine Linie bier ihren ausgedehnten Grundbefiß hat. Ein jchloßartiger Bau, den ein ftattlicher Bart mit feinen Bäumen und Wieſen umfränzt, jpiegelt fich in dem klaren Waffer eines einen. blinfenden Sees. Wir verlajjen jegt Die Bahn und wenden uns als fröhliche Wanderer unferem Ziel, dem Städtchen Stol— berg und dem oberen Thyratal, zu. Unſer Weg führt

Bon Th. Seelmann. 149 IDMDMDMD MD AD ID ID AD AD ED ADDED DDr De uns auf glattem Kiespfad am Ufer der Thyra hin, die übermütig die lichten Wieſengründe durcheilt, welche

Stolberg von der Woligangshöbe.

die Nadelwälder der aufiteigenden Berglehnen mie ein dunkler Nahmen umfchließen. An anmutiger Abwechſ— lung fehlt uns auf unferer Wanderung nicht. Da liegt, in einer Senkung der rechtsjetiigen Bergwand ver:

150 Aus dem Thyratal.

ee eene Dr ED DrED ADDED Dre Dr DEI Dede Dee DD jteeft, die romantische „Pulvermühle”, dann folgt, von alten Lindenbäumen umjchattet, eine Waldſchenke; nach ihr gelangen wir zur „KRarlshütte”, die ihre Schönheit mitjamt dem waldigen Hintergrund in dem Spiegel- bild, das ihr ein jchilfumfäumter Weiher entgegenhält, jelbjt bewundern kann, und von weither kündet fich uns ſchon klappernd eine Waffermühle an, die auf dem jen: feitigen Ufer von einem eigenartig geformten Berglegel . überragt wird.

Mir find unjerem nächften Ziel, Stolberg, bereit ziemlich nahe gerücdt. Das Tal erjcheint uns jegt aus gedehnter, denn man bat die Baumbeftände auf den Bergflanten niedergejchlagen und dafiir den Pflug über die Abhänge geführt. Große Erträgnifje liefert diefer landwirtjchaftliche Betrieb nicht, aber hier auf diefem fteinigen Boden iſt man ſchon mit wenigem zufrieden. Nur oben auf dem Kamm Der Bergzüge haben noch) die Wälder ihre Herrſchaft aufrecht erhalten.

Eine ſchmale, längliche Inſel von Dächern taucht jest im Tal auf: Stolberg mit jeinen buntfarbigen Hänferchen, über denen ftolz das gebäudereiche Schloß der Fürſten von Stolberg thront, liegt vor uns, Mit wenigen Schritten haben wir das Städtchen erreicht.

Die Stadt Stolberg hat jich auf dem Schnittpunkt von vier Täler, Den unteren und den oberen Thyra= tal, zu denen noch von den Seiten das Saltetal und das Ludetal treten, entwickelt, aber troßdem ift das bebaubare Gelände nur jehr bejchräntt. Die Häufer find Daher zum Teil jo eng an den Berg gebaut, daß die Bewohner, um in den Garten oder auch in den ım Felſen ausgehöhlten Keller zu gelangen, ert auf den Dachboden fteigen müſſen. Zwar find auch neue, ſchmucke Gebäude entjitanden, aber finden ſich Doch überwiegend alte Häufer vor. An einem derjelben er

Bon Th. Scelmann. 151

ge e NND NND MD NDND DD

Gi

e L D

' d Le DI

IT Se Cer" D j I u H 1 u HP | L } Me. t DILL,

w

Ein Strassenbild aus der Niedergasse in Stolberg.

blicken wir die Syahreszahl 1535, in anderen umſpannen die Fenfterrahmen noch die mittelalterlichen, bleigefaß: ten Bußenjcheiben.

152 Aus dem Thyratal. Ee Ee MD DD DR DD ED ED ee Ce DE DEN Eines der bemerkensmwerteften Häufer Stolbergs ift freilich verfchiwunden. Es war das Geburtshaus des Bauernführers Thomas Miünzer am Marktturm, das durch einen Brand zerjtört wurde. Im Stadtarchiv kann man noch heute die Eintraguns gen über Die Koften ver: merkt ſehen, die der Stadt Dadurch ent: jtanden, daß De ihren oe: fürchteten Sohn mit et: nem Ehren: trunk willkom— men zu heißen gezwungen war. Einmerl: würdiger Bau ijt ferner das ih an da Cchloßberg anlehnende Rathaus mit = hohem Spitz— Das fürstliche Konsistorialgebäude. dach und über: hängendem Obergeſchoß, das 1451 erbaut wurde. Seine Front zieren eine jtattliche Sonnenuhr, das Stadtwappen und klaſ— jifche Bilder mit Iateinifchen Spnfehriften. Im Unter: ſtock (ut ein Ratskeller mit altdeutjcher Stube eingerich: tet. Das jonderbarfte an dem Nathaus aber ift, daß

Bon Tg. Seelmanıt. 153 DDR DD DD DDR AD EDDIE DD ED es im Innern feine Treppen beit. Dafür führt aber jeitwärts eine Freitreppe empor, von der aus man in die drei Stockwerke hineingelangen fann. Auf der

Das Schloss, vom Zwieselsberge aus gesehen.

Terraſſe hinter dem Rathaus erhebt jich Die altehr: würdige St. Martinikirche, die "dun im 12. Jahr— hundert im frühgotifchen Stil erbaut wurde. Sie tit gejchmadvoll renoviert worden und mit farbigen Chor: fenjtern und einem Altarbild, das die Auferweckung des

154 Aus dem Thyratal.

DD Eeer ED een erde

AECH

Lazarus darſtellt, geſchmückt. Die Kirche zeichnet ſich durch ein prachtvolles Geläute aus, deſſen machtvolle Töne in den Bergen einen vielſtimmigen Widerhall wecken.

Wir beſuchen nun noch die 1535 erbaute Kanzlei oder die frühere ftolbergifche Münze, in der fich jekt da3 fürftliche Konfiftorium befindet. Zwar ift die Landes: hoheit feit 1815 an Preußen übergegangen, aber die vormaligen Grafen und jegigen Fürften zu Stolberg haben fich die Regelung der geiftlichen Fürſorge vor- behalten. Das Konfijtorialgebäude ift ein vier Stock hoher Prachtbau mit malerifchem, dunklem Holzſchnitz— wert und vorfpringendem zierlichen Erker.

Set ſteigen wir auf terrajjenförmig angelegten Steintreppen zu dem Bergvorfprung, auf dem Schloß Stolberg aufragt, empor. Das Gefchlecht der Stolberge laßt jich bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts au: rücverfolgen. Sie hängen mit den Grafen von Honftein zufammen. Der Stammvater der Etolberge ift Hein: rich, ein Nachlomme des Grafen Friedrich) von Hon— Hen. Heinrich war zuerſt Herr von Boigtftedt und erbaute dann um 1210 die Burg Stolberg, die urſprüng— lich Stalberg hieß, und nannte jich ſelbſt nach ihr. Zem 14. und 15. Sahrhundert erwarben dann feine Nach: kommen die Burgen und Ämter Roßla, Kelbra, Hon: Hein. Königftein, Ebersburg, Heinrichsburg, erbten Wernigerode und ſiedelten ſich auch am Rhein an.

Schon 1412 wurde die Familie in den Reichsgrafen— ſtand erhoben. Sie teilte ſich dann in die Rheinlinie und die Harzlinie, die 1634 erloſch. Ihre Nachfolger wurden die Mitglieder der Rheinlinie, die ſich 1645 in die Linien Stolberg-Wernigerode, Stolberg-Stolberg und Stolberg-Roßla ſpaltete. Da die im Rheinland und Geldern zurückgebliebenen Stolberge von 1742

Ansicht der Stadt Stolberg von Süden.

156 Aus dein Thyratal.

DD ADD AD Dr Dre DDr ee DD DD erde bis 1804 den Reichsfürftentitel führten, fo wurde den Stolberg: Wernigerode 1890 der Fürjtentitel von neuem von Preußen verliehen. ` Im Jahre 1893 erhielten dann auch die Stolberg-Stolberg den Fürftentitel. Die jeßige gefürjtete Grafjchaft Stolberg-Stolberg unfaßt einen Slächenraum von 200 Duadratlilometern.

Das Schloß ut Fein einheitlicher Bau, auch nicht von hervorragenden architektonifchen Schmud, ruft aber doch durch ſeinen bedeutenden Umfang, die fenfterreichen MWandflächen, Die Turmfapelle, den altertüimlichen Burg: bot und den laufchigen Park einen nachhaltigen Ein- Dud hervor. Zem Innern kann man eine Gemäldegalerie, eine Wappenjammlung, ein Naturalienkabinett und eine Bibliothef von 48,000 Bänden, darunter 20,000 Reichen: predigten, befichtigen.

Bom Schloß aus hat man einen hübjchen Blid auf die Stadt, ſchöner aber ift er nod von der Lutherbuche aus. Wir fteigen Deshalb auf den Waifenberg zu jenem am Waldrand ftehenden Baum hinauf. Er führt jeinen Namen mit gutem Hecht. Denn, wie die Stadtchronit meldet, erklomm Luther bei feinem Aufenthalt in Etolberg in Begleitung eines ihm ver: wandten Bürger3 den Berg, um von bier aus bei Sonnenuntergang die verjehlungenen Talzüge zu Ober, Schauen und zu bewundern. Dabei foli er dann Siet, berg mit einem fliegenden Vogel verglichen haben, deſſen Kopf das Schloß jei, deſſen Rumpf und Echwanz von dem unteren Thyratal gebildet werde und dejjen Flügel von dem rechts und links einmündenden Kaltetal und Zudetal dargeftellt würden. Bon der Lutherbuche führen mehrere Pfade in daS Tal hinab und den jenfeitigen Berg wieder hinauf. Verfolgt man einen Dieler Wege, fo hat man ein ftetS wechjelndes Bild von dem ganzen Talfefjel und den ihn umfchließenden Bergen vor Di.

Bon Th. Seelmanı. 157 DIDI ADD DD DD beten Kern zwar immer derjelbe bleibt, daS aber durch Berfchiedenartigkeit des Standpunktes fortwährend neue, anmutige Reize er: halt.

An näheren und entfernteren Aus— flugspuntten Hat Stolberg feinen Mangel. Man kann ſich nach der Eber3- burg wenden oder nah Der Ruine Hohnftein wandern oder nach Dem Zmiejelsberg oder der Wolfgangshöhe, die mit 21 ftattli- chen Buchen bejtan- den ift. Wir ſchla— gen den Weg nad) dem Eichenforit ein, den wir nach einem

einftündigen Marſch ander tau— ſendjährigen Hun— rodseiche vorbei erreichen. Eichen— forſt iſt zugleich Fr. Roſe in Wernigerode phot. der Name eines Aussichtsturm auf der Josephshöhe bei Stolberg. ehemaligen Jagd— schlößchens des Fürften von Stolberg. Beſteigen wir den Ausfichtsturm, jo ift zwar der Fernblid auf der einen Seite durch den Brockenrücken beſchränkt, aber dafür entfehädigt die Lieblichleit der Landſchaft zu unferen

158 Aus den Thyratal.

Dr ED Ee ee ee Eeer Dre Dre DDr D De ee ee ECH Füßen. Eine Kleine PBierteljtunde vom Jagdſchlößchen entfernt, treffen wir auf eine Naturmerkmürdigteit, auf einen Buchenſtamm von 5 Meter Umfang, aus dem acht ſtarke Buchen hervorgewachſen find.

Seht aber lodt uns der gegenüberliegende Gipfel, deſſen hochragender Ausfichtsturm jchon immer unfere Blicke auf fich gezogen hat, der Auerberg mit der Joſephs—⸗ böhe. Der 575 Meter hohe Borpbyrfegel des Auer- berges ijt eine weithin fichtbare Landmarke und ber Metterprophet für die ganze Umgegend. Vordem trönte das Plateau des Auerberges, das gemaltige Tannen in Reih und Glied unftehen, ein AusfichtS- turm in Rreuzform, der nach einem Plan des berühm— ten Architekten Schinkel vom Grafen Joſeph von Stol- berg im Jahre 1833 aus Eichenballen errichtet worden war. Er murde jedoch durch einen Bligjchlag am 12. Juni 1880 zerjtört. AS Erſatz bat 1896 der Harzllub im Verein mit der fürftlichen Verwaltung einen eifernen Ausfichtsturm mit zierlichem Gitterwerk in Rreuzform erbaut, der ebenfalls als Joſephshöhe oder als Joſephskreuz bezeichnet wird. Eine eijerne Schughalle bildet fozufagen den Sodel des Turmes, der 38 Meter hoch ut und auf 200 Stufen erflommen wird. In der Schughalle ift eine Sommermirtjchaft eingerichtet. Das Panorama von der Joſephshöhe ift faft unbegrenzt. Nur im Nordmeiten verhindert der Broden den Fernblid. Nechts vom Broden zeigen "di die Türme von Wolfenbüttel und Braunfchweig. Gegen Nordoften fieht man die Domtürme von Magdeburg, den Turm von Bernburg, Schloß Falkenjtein und Rammelburg. Im Oſten taucht der Petersberg bei Halle auf. Im Südoften erfcheinen der Kyffhäuſer und die Rothenburg, im Hintergrund der Thüringer Wald mit dem Inſelsberg, Schloß Friedenftein bei

Bon Th. Seelmann. 159

IIDODMDMDMDMD ED ED AD AD AD AD AD ADD ED DD DD

Goslar, die Wachfenburg bei Arnjtadt und die Türme von Erfurt. Gegen Weiten endlich erblicdt man die

—— —— nn

an d = ` be - * U ; , ` zs 5;

: * —— * SE e |Denicke's Ruhe.

Waldeinsſedelel.

Eichsfelder Pforte und hinter dem Eichsfeld den Hohen Meißner bei Kaſſel, die Koloſſalfigur des Herkules, die

160 Aus dem Thyratal.

Ce ee Ee ED DD ED ED Der Dr De DE DDr ee DDr Gleichen bei Göttingen, die Weferberge und das Gol. linggebirge.

Der Auerberg bildet auch die Wafferfcheide zwifchen . der Thyra und der Selke. Am Fuße des Berges führt die Straße nad) dem Gelfetal, in dem Alerisbad und weiterhin Mägdeiprung betounte Ziele der Touriſten jind. Wir aber wandern in einer anderen Richtung. Wir jteigen von der Joſephshöhe öſtlich Hinab, Ober, jchreiten die „Dolzchaufjee”, gehen bis zum „Güldenen Altar”, einem Felſen über dem Krummijchlachttale, nehmen bom unjeren Weg über das Gajthaus zum Anerberg und gelangen nun auf einem Wiejenpfad in den Schindelbruch und von dort nach „Denides Ruhe” am Frankenteiche. Unter einer fechshundertjährigen Riefeneiche empfängt uns ein entziidendes Waldidyll. Aus Rajenftüden und Baumftänımen ift eine niedrige Jagdhütte zufammengefügt, und Tiſch und Bänke aus Aſtwerk harren unjer unter dem breiten Laubdach. Aber noch eine kleine Überrafchung Steht uns bevor. Au der Eiche lehnt eine Leiter. Wer fie hinauffteigt, wird im Geäft noch eine zweite Hütte finden, in ber e3 fich, umgeben von dem frischen Blättergrün, prächtig finnen und träumen läßt.

Mer den Harz durchmandert, follte e3 nicht ver: fäumen, auch einen Abftecher nad) dem Unterharz und nad) Stolberg zu machen. Er wird diefe Abweichung von der großen Touriſtenſtraße nicht als einen Zeit: verlust zu betrachten haben, jondern vieles finden, das ihn feſſelt md erfreut, und er wird aus der Wald: einfamfeit volle Befriedigung mit fich heimnehmen.

Jbr Erstes.

Skizze aus dem Trauenleben. Uon Else Krafft.

% (Nachdruck verboten.)

Si ging umher, al3 jei ein Wunder gejchehen. Ihre Augen jcehauten ganz meltfremd, und es war oe: rade om GSilvejterabend, als fie plöglich ihres Mannes Hand nahm, feheu, Tromm und geheimnisvoll.

„Heinz!“ jagte fie nur, leife erzitternd.

Er hielt fie im Arme und lächelte. „Sa bift froh, fo das erte Jahr im eigenen Nejt? Aber du haft ja Tränen in den Augen? Du, das ijt eigent- lich eine Beleidigung für mich.“

Sie ftrich über fein Geficht, über feine braunen Haare und mar ganz und gar verwirrt. Heinz war doch eigentlich gräßlich jchwerfällig. Er mußte e3 ihr doch von den Augen ablejen, was in ihr vorging!

„Heinz!” jagte fie noch einmal, über und über rot werdend. Und nun lief fie von ihm fort, lachte und weinte in einem Atem und holte aus dem unterften Winkel ihres Wäfchefchräntchens etwas Kleines, Zer— zauftes und Unfcheinbares hervor, das ſich bei näherer Betrachtung als ein Püppchen mit verblaßtem Wachs: geficht und gläjernen Augen erwies.

1904. VI. 11

162 Ihr Erftes.

IRA EDDIE EIER EI DD ED NED Dee DD

Er mußte gar nicht, wa3 er dazu fagen follte, und blickte bald feine junge Frau, bald die alte Buppe aus Gretes Rindertagen an.

Da hielt Grete feinen Arm feſt. „Heinz, weißt du, was nächjtes Jahr nod mit ung fein wird?”

Sie fchludte und ftotterte bei jeden Wort. Er mußte e3 jegt wiſſen ihr munderfeliges Geheimnis, machte aber doch fcehnödermeife ein dummes Geficht, fcehüttelte den Kopf und fragte harmlos: „Nein, ich weiß wirklich nicht, Grete.” |

Sie reichte (Dm mit beiden Händen die alte Puppe bin und drüdte gleich darauf den Kopf jo feſt an des Mannes Schulter, dag er auch nicht das kleinſte Stüd- chen ihres blutübergoſſenen Antliges zu jehen befam. „Nächſtes nächftes Jahr werden werden wir jo ein lebendiges Püppchen haben, Heinz!”

Als es heraus war, wollte fie wieder von ihm fort: laufen. Sie Tonnte aber nicht. Ihr dicker, brauner, tapfiger Heinz bielt jie vor lauter Rührung jo fejt um: - klammert, daß fie fich nicht rühren konnte.

Aber nun wußte er e3 doch mwenigjtens!

Donn Tam der Frühling, und die junge Fran Tote an feiner Blüte vorübergehen, ohne mit leifem Finger an der jungen Pracht zu rühren. „Kleines Kleines,“ ſagte fie faft ehrfurchtsvoll dabei.

Und an den vielen Kinderwagen in den Tonnen: durchfluteten Stadtparkwegen blieb fie erſt recht jtehen und konnte fich nicht fatt ſehen an dien, geballten Fäuftchen, an runden, zofigen Gefichtchen, die da aus den Kiffen fchauten.

„Iſt's ein Bub?“ fragte fie manchmal das be: aleitende Kindermädchen oder die Mutter, die den Wagen jchob.

Bon Elfe Krafit. 163 DD ERDE EDDIE ED DD V De Dre

Auf ein Niden lächelte die junge Frau und dachte bei gefunden, jchönen Kindern: „So Tall mein3 mal ausfehen!” Bei einem Kopffchütteln auf ihre Frage dachte fie aber: „Sa, jedes kann natürlich nicht jolch einen ungen haben mie unjeren!”

Es jtand nämlich bei ihnen beiden Tet daß es ein Knabe fein würde.

Heinz ſprach täglich von ihm, als fei er ſchon da. „Wenn unjere Stadt fein Gymnaſium befommt, laß ich mich .nach einem größeren Ort verjeßen, Grete.” Oder: „ch werde den Jungen in die Einjährigen: verficherung aufnehmen laffen, es koſtet uns ſonſt nach: ber ein Heidengeld, das Militärjahr.”

Und fie nickte zu allem und lief die Woche ein paar: mal zum Tor hinaus über die Wiefen zu den Eltern, und fragte die Mutter fo viel törichtes Zeug, daß die alte Frau in ihrer praftifchen Art fie oft mit einem Wort aus allen Himmeln rip.

„Du, Mutterle, ob es wohl blonde Loden und blaue Augen kriegt, das Kleine, wenn ich mir immer den Engel auf unferem Hausfegen anfchaue? Und jo mwunderzarte Haut und ein Grübchen im Kinn wie auf dem Bilde?”

„see, Grete, wo foll denn da3 herlommen? Ihr jeid alle beide dunkel, auch nicht befonders hübſch, und braun wie die Zigeuner. Gei froh, wenn's geſund iſt, euer Kleines.“

„Ja, aber aber ich hab' doch geleſen, man ſoll immer ein ſchönes Bild anſchauen, wenn man ſchöne Kinder haben will,” beharrte Grete. |

„So 'n Schnad,” meinte die Frau Inſpektor mit: leidig, und beforgt hielt fie die jungen, Falten Hände feft. „Haft du auch woll'ne Strümpfe an, Gretelen? immer warm halten jegt, wenn aud) die Sonne jcheint!

DD

164 Ihr Erftes.

ED Und tüchtig herummirtfchaften in deiner Wohnung, nicht immer jo DU und verfonnen in der Stube fiten. Das taugt jest nicht für dich.“

Die junge Frau murde rot. „Ich ſticke doch die Wagendede, Mutterle. Vergißmeinnicht in lichtblauer Seide auf weißem Tuch. Iſt fo eine mühfame Arbeit, da muß —”

Die Mutter unterbrach fie klagend. „Die fchöne Zeit! Und fo mas Unpraftifches! Ich Hab’ doch noch die Striddeden liegen von der Großmutter, du wußteſt doch! Die tun’3 auch und fehen ſehr hübſch aus auf dem Wagen. Was du für unnüßes Geld aus: gibſt! Ihr habt's doch wahrlich noch nicht jo Dick!”

Da ſchwieg Grete und ging langfam und mit og: ſenktem Kopf durch die Felder heim in das alte Haus am Markt, in dem fie das erfte Stockwerk bewohnten. Da traumte fie weiter in Déi hinein, von ihrem Kleinen, füßen Rindchen, das von allen kleinen Erdenbürgern gewiß das mwonnigfte jein würde.

In der Hauptftraße war ein großes Wäjchegejchäft, das in feinem Schaufenfter nur das Allerfeinjte und Teuerjte barg. Die Fran Bürgermeifter faufte dort, die reichen Gut3- und Fabrilantenfrauen aus der Umgegend, auch die elegante Frau Doktor Hegemann, die Til ert aus Berlin hierher nach der Kleinjtadt verzogen war.

Grete jtand oft mit heißen Wangen davor, lieb» äugelte mit den munderzarten Spißenfächelchen einer Babyausfteuer, mit weißen und roten Lederjchühchen, und al3 Krone des Ganzen einem Bettchen, das mit feinen Mullvorhängen drapiert und mit lichtblauen Schleifen ausgeſchmückt war.

Und dann rvechnete die junge Frau ihr Wirtfchafts- geld zufanımen, zählte und zog ab, und als Heinz eines

Bon (Gite Grott, 165 ADDED DE Dr ED ED ED Dr Dr ED DD Dee Dre DDr Tages bei Tifch verwundert fragte, warum feine wunder: liche Grete nie Appetit auf Fleifch oder ſonſtige Leder: bilfen babe, und er immer. allein das Beſte aufefjen müßte, wurde da3 blafjfe Gefichtehen ganz dunkelrot und verlegen, und Grete ftotterte irgend etwas von Sattfein und Unluft zum Ejfen. |

Aber fie fparte, fparte für die Spitenjädchen, ` Hemdchen, Lägchen und Schühchen, die im großen Schaufenſter der Hauptitraße lagen.

Als zum Geburtstag die Mutter ihr ein paar Goldſtücke brachte, damit fie fich das neue Sommer: Ten felber ausfuchen Tonne, fiel fie der alten Frau fo ftürmifh um den Hals, daß diefe ganz erjchroden meinte: „Aber nein nicht To wild fein, du kannſt dir ja Schaden tun, Greteken!“

Sie faufte fich natürlich fein neues len.

ALS Heinz eines Tages vom Amtsgericht heimkehrte, Honn vor dem Lager feiner Frau im Schlafzimmer ein Bettichen mit meißen Mullgardinen und lichtblauen Schleifen gefhmüdt, und feine Grete mit gefalteten Händen dabei, unfähig auch nur ein Wort in aller Geligfeit zu jagen.

Der Gerichtsfelretäv wurde ganz verlegen, als er die Pracht jah. „Aber du da3 hatte doch noch Zeit, bis der junge da ift! Wohl mächtig teuer, was? Und Mutter wollte doch die alte Rorbmwiege jchiden, in der Du felber gelegen, Gretchen!“

. Sie verzog den Mund. „Das alte Ding! Das wär’ doch lange nicht ſchön genug für unferen ungen! Da, fieh bloß mal ber, Heinz!”

Sie hob die Bettchen, ftrich über die Spiten und Schleifen und war ganz aufgeregt vor Entzüden.

Da gefiel’3 ihm auch, al3 er ihre Geligteit fah. Er neigte fich ſogar und ſteckte einen der großen Finger

166 Ahr Erftes.

DIDI De 5

durch das Gitter des Bettchens, als läge ſchon etwas Lebendiges, Zappelndes darin. Und dann lachten fie alle beide und Lagen fich in den Armen und waren felber wie die Kinder in ihrem Reichtum.

Als Heinz wieder aufs Amt gegangen war am Nach: mittage, holte fich Grete ein paar Nachbarinnen ing Haus und führte fie in feierlichem Schweigen zu dem neuen Stüd ihrer Wirtjchaft.

Die Frau Oherftenerlontrolleur fchlug die Hände zufammen. „Is nid) die Möglichkeit, Fran Sekretär! Aber wie konnten Sie bloß! Schon vorher da3 Rinder: bett im Haufe! Paſſen Sie auf, da haben Sie Un- glüd mit dem Kleinen!”

Und die andere Nachbarin, die kinderloſe Kaufmanns⸗ frau, nidte dazu in düfterem Gent „Ich hab's Ihnen fchon damals gefagt, als Sie zwijchen Weihnachten und Neujahr gewaschen haben. Das gibt ein Unglück, Frau Sekretär!“

Grete ſtand da mit herabgeſunkenen Armen. „Aber aber, die Tante in Berlin, wo ich doch ſo oft zu Beſuch war, Hält ſolchen Aberglauben für Unſinn,“ verteidigte fie fich. „Alles Ammenmärchen!” ſchrieb fie noch neulich. |

Die Nachbarinnen zudten die Achjeln, und die Frau Dberftenerfontrolleur hob, nachdem fie neidifch die feine Wäſche unterfucht hatte, kopfſchüttelnd eines der Kiſſen empor. „Auch fo was Unpraftifches! Dieje vielen Spiten drüden nur fo ein Kind, meine liebe Frau Sekretär. Und lange halten tut Doch folche dünne Ge— fchichte auch nicht!”

Grete ftanden plöglich die Augen voll Tränen. Ihr war mit einem Male fo weh und jchwach zu Mute, daß fie fich niederjegen mußte.

Beide Nachbarinnen gaben ihr gute Natjchläge.

Bon Elſe Grott, 167 ebe Ee Eeer Ee De Dede eeh „Sehen Sie, da3 kommt vom vielen GStilljigen, Frau Sekretär. Man fieht Sie ja fait den ganzen Zog om Fenſter mit Ihrer Wagendede fien. Meine Nichte hat's geräde fo gemacht, immer ftillgejeflen, vor ih Hin geträumt und Kinterlitfens genäht. Nachher bat fie jo jung fterben müſſen, als ihr erſtes —“

Grete erhob fich jäh und ging ftraff aufgerichtet

in da3 Nebenzimmer. Gie hatte eigentlich die Abficht gehabt, die Nachbarinnen zum Kaffee aufzufordern und ihnen dabei nod jo verfchiedene neue, winzige Sächelchen zu zeigen, die fie wie ein Heiligtum im tief- Hen Schrein bebütete. Aber nun konnte fie nicht mehr. Gie ging nod) einmal an das Kinderbettchen, als fich die beiden Frauen verabfchiedet hatten. In ihre Tränen hinein ftahl fich ein Lächeln, und eine ganz jonderbare Empfindung fam über fie.

Sie dachte plöglich an ihren Tod bei des Kindes Geburt und Fonnte nicht einmal entjegt über dieſen Gedanken fein. ` Im Gegenteil, fie fam fich als fo eine Art Märtyrerin vor, die die Erfüllung ihres höchſten Wunfches opferwillig mit dem Tode bezahlt. Nachher würde fie im Gedächtnis der Hinterbliebenen mit einem Glorienjchein alles Guten fortleben. |

Die Kleine, phantaftiiche Frau malte fich dieſes Bild mit einer Sartnädigfeit aus, daß fie ſchon ihren Buben groß und jelbftändig vor fich fah, mie er noch immer in Verehrung und Liebe feiner niegefannten, fchönen Mutter dachte. Denn fie war natürlich ſehr ſchön im Andenken der Überlebenden. Die einzige Photographie, die von ihr aus den legten fahren eriftierte, zeigte fie in fo vorteilhafter Stellung und Beleuchtung, daß der Photograph das Bild jogar am Markt in feinem Glas: fenfter ausgeftellt hatte. Heinz war fehr ſtolz darauf,

168 Ihr Erftes.

Te E Ee Ee Ee Mee ED ED bie Mutter meinte, e3 fei zu ſehr geſchmeichelt, und die Freundinnen zudten die Achjeln und jagten nichts.

Aber das jchadete nicht. Ihr unge würde das dermaleinft nicht mehr unterfcheiden können und von der nie gelannten Mutter mie von einer Heiligen fprehden

Grete fchredte aus tiefem Sinnen empor. Unten vor der Tür war das Jagdwägelchen vorgefahren, in dem die Eltern jede Woche einmal zur Stadt herein: famen.

Der Knecht reichte der Frau Inſpektor gerade ein großes Paket vom Kutjcherbod, und Vater und Mutter gingen damit ins Haus, um die Tochter zu befuchen.

Dben padte die alte Frau aus. Ganze Bündel Reinenftüde und alte, fchon etwas gelbe und vertragene Rinderwäfche.

Der Vater ſtrich mit der braunen Hand gerührt darüber bin. „Ya, ja, da habt ihr alle dreie drin- gelegen, mein Zöchting. Zuerft der Heini, Gott hab’ ihn felig, dann der Joſeph mit feinen derben Stram- pelchen und zuleßt du, unfer Nefthätchen. Na, mas fegite nu?”

Grete fagte zuerjt gar nichts. Sie ftreichelte nur dankbar der Mutter Hände und meinte dann etwas ſcheu und verlegen, ob denn diefe Art Wäfchefchnitt nicht jchon etwas veraltet wäre.

Die Frau Inſpektor fchüttelte gekränkt den Kopf. „Ra ja, da haben ja! Gind mohl nicht fein genug, meine Sachen? Das macht der viele Aufent- halt in Berlin bei der verwöhnten Tante, die dir folche Schrullen in den Kopf oelebt hat. Da alles noch felber von der Großmutter gewebt, gebleicht und genäht. So was hält drei Generationen aus, jo gut ift daS Leinen.”

Bon Elfe Krafft. 169

EDDIE IT Ee ee Ee DE DD DD ED EDDIE DDr DD

„a, ja, Mutterle, ich glaub's ſchon,“ lenkte Die junge Frau haſtig ein, „und ich danke dir auch jchön dafür.”

„Mbrigen3 hätten wir auch die Korbmwiege heut mitgebracht,” meinte die Frau Inſpektor jchnell oer föhnt, „aber da muß Vater erjt ein Stüd Rohr ein: flechten, ehe wir He herſchicken.“

Der Inſpektor nicte lachend in feinen weißen Bart hinein und nahm eine Prife. „Da haben dieje Teufel3- tader, die Mäufe, gehörig dran "rumgearbeitet in den zwanzig Jahren, feit fie unbenugt fteht. Aber ich ladiere dann alles mit jchöner, brauner Farbe über, dann fieht’3 wieder fein aus, Gretefen.”

Die junge Frau wurde rot „Ich ich hab’ Schon ein Bettchen,” ftotterte fie. „Wollt (hrs mal ſehen?“

Sie lief in das Schlafzimmer, während die beiden Alten langſamer folgten.

„Dunnerkiel noch mal,“ meinte der Vater in ehr— licher Bewunderung, „das iſt ja wie für 'nen Prinzen. Wo haſt du denn das her, Töchting?“

Grete forſchte ängſtlich in der Mutter Geſicht.

Die ſtand ganz ſtumm, ſah in die Kiſſen, Deckchen und Schleifen und rührte ſich nicht.

Die junge Frau ſchmiegte ſich gegen ſie, bittend, weich. „Sei nicht bös, Mutterle, aber ich brauchte doch kein neues Sommerkleid, nachdem ich mir die alten wieder hergerichtet. Und über das ſchöne Bettchen bin ich ſo ſelig, ſo ſelig.“

Sie war nicht böſe, die alte Frau. Es mußte wohl beim Anblick des neuen Kinderbettchens etwas in ihrer Seele erwacht ſein, das aus alten Tagen herüberkam, ein lieber, lieber Gruß. So, gerade ſo hatte ſie ja auch als unpraktiſche, blutjunge Mutter geſtanden und

170 Ihr Erſtes.

das Beſte und Schönſte für ihr erſtes Kindchen gerade gut genug gehalten.

Sie ſtrich der Tochter mit leiſem Finger über den geſenkten Kopf.

„Gott erhalte es dir!“ ſagte ſie dann.

Und eines Tages, die Roſen ſtanden in voller Blüte, und auf den Feldern am Inſpektorhauſe draußen wurde das erſte goldene Korn in die Scheuer gebracht, da war es wirklich da, das kleine, ſo viel umträumte Weſen. | Ä

Heinz jtand ganz betroffen, al3 man ihm das Bündel in den Arm legte.

Ein Mädchen war aus feinem ungen geworden. Blond, blauäugig, mit einer Haut fo wunderzart wie bei einem Elfentinde. Und ein Grübchen hatte es im Kinn, gerade fo wie auf dem Bilde, das fehnende Frauenaugen ein Jahr lang in ftiller Andacht ans geſchaut.

„Sonderbar,“ ſagte die Großmutter, das helle Haar kann nur von der Urgroßmutter ſtammen, die als Kind Zöpfe wie Flachs gehabt haben ſoll.“

Grete konnte darüber noch nicht nachdenken. Sie lag mit gefalteten Händen wunſchlos in ſüßer Schwäche auf ihrem Lager und wartete auf das Sterben. Es war ſo köſtlich, dieſes müde Ruhen nach den vielen, vielen Schmerzen.

Dann aber, als die Nacht verſtrich, und der erſte Sonnenſtrahl durch das Fenſter lachte, und Heinz ihre Hände nahm und ſie wieder und wieder in ſeiner Dank— barkeit küßte und ſtreichelte, kam es plötzlich wie eine rieſengroße Kraft und Lebensfreude über die junge Frau. Sie wandte den Kopf und ſah im Morgenlicht die Großmutter ſtehen, die lächelnd ihr Enkelkind in den Armen wiegte, in den Augen ſo viel Stolz, ſo viel

Bon Elfe Krafft. 171

EDDIE ED ED ED ED ED ED re Dr Dre DDr D ED ECH Liebe für das neue, winzige Gefchöpf, daB es in ber Kranken jäh wie Eiferfucht emporftieg, und nur ber eine Wunfch fie befeelte, leben, leben zu bleiben für dag Kleine, für ihr Kind, das blonde, rofige Mädchen.

Mit einem halb fchluchzenden, halb TEE Laut itredte Grete u Arme aus.

„Mutter, gib’3 mir, bitte, bitte, gib's mit, das Meine!“

Die alte Frau trat an daS Bett und legte ihr lebendes Bündel vorlichtig vor die Tochter hin.

Heinz kniete ſtumm, in mortlofem Staunen über fein eigen Fleifh und Blut, vor der jungen Mama.

Sie lag ein Weilchen regungslos und fah immer nur in das weiche, runde Gefichtehen mit den Blau- augen und den goldenen Härchen über der Stirn.

Dann lächelte fie, lächelte, wie nur Mütter lächeln tönnen, küßte ihr Kindchen in ſtummem Gebet und lebte lebte.

dp

aaa

ie man sein Geld verwabrt.

Ein Blick in die Schatzkammern der Neuzeit. ` Uon Berm. &iersberg.

mit ıs Jllustrationen. S (Nachdruck verboten.)

3 it eine alte Wahrheit, daß der Bejig nicht nur

Freude, jondern auch Sorge bereitet, und wäre e3 jchließlich feine andere Sorge als die Furcht, jeiner durch den gewaltjamen Eingriff anderer oder durch die vernich- tende Wut der Glemente wieder verlujtig zu gehen. Schon in den älteften Zeiten bauten "dh die Mächtigen der Erde diebes- und feuerfichere Schaglammern für ihre beweglichen Neichtümer. Und die vergrabenen Schäße, die hie und da ein Zufall nach Jahrhunderten wieder ans Licht kommen läßt, erweden uns ein gemijjes Mit- leid für die armen Befiger, die ihr koſtbares Eigentum dem Schoß der Erde anvertrauen mußten.

Sn unjerer Beit pflegen nur noch Spigbuben ihre Beute zu vergraben, und die mehr als zmweifelhafte Praris, Erſparniſſe an abgelegenen oder ganz „un: verdächtigen” Drten zu verjteden, wo fie „gewiß mie: mand juchen wird“, tft lediglich bei Kleinen Leuten im Schwange, die damit oft die übeljten Erfahrungen

Bon Hern. Giersberg. 173

ID MDmMDADED ED ADD ED DD ED DD DD ED ED

machen müfjen. ` Im allgemeinen ift daS Symbol der Wohlhabenheit feit Jahrzehnten ber eiferne Geldjchrant, deſſen bloßes Vorhandenjein dem glüclichen Befiger in

Sa 00 vom d hi

(E

Einbrecher an einem Geldschrank älterer Bauart.

-den Augen feiner Mitmenfchen einen gewiſſen Nimbus zu verleihen pflegt, auch wenn in Wahrheit nicht eben die Schäße des Kröfus darin aufgejpeichert liegen. Die Kaſſenſchränke älterer Bauart, in denen man Geld und Geldeswert gegen Einbruchs- und Feuers—

174 Wie man fein Geld verwahrt.

ED rEDEDFEDTRED EDER DD ED AD AD ED ED Dr ED ED gefahr zu fichern vermeinte, waren nun zumeijt recht wenig geeignet, ihren Zweck zu erfüllen. Wohl ent- prachen fie in Bezug auf Widerjtandsfähigfeit des Materials, Feltigleit der Bauart und finnreiche Kom— bination des Verfchluffes dem damaligen Stande der Technik, aber die Herren Spigbuben, die das Auf: jprengen von Geldjchränten zu ihrer Spezialität ge— macht batten, zeigten Déi den Technikern zumeijt um ein beträchtliche überlegen. Sie erfanden Werkzeuge von bewunderungswürdigem Naffinement, die ihnen das Aufbiegen der angeblich unangreifbaren Türen, das Durchfchneiden der Seitenwände oder das Sprengen der Schlöffer ohne allzu große Anftrengung und inner: halb kurzer Zeit geftatteten. Der mit einer jogenann: ten „Diebesfluppe” operierende Einbrecher auf unferem Bilde mag als Beifpiel für die Leichtigkeit und Be: quemlichkeit der „Arbeit“ dienen, deren es zur gemalt: ſamen Eröffnung derartiger, eigentlich nur delorativen Zwecken dienender Geldfchränte bedurfte.

Mit der Fenerficherheit war es um nichts beer beſtellt. Mochte auch der Eifenmantel ſtark genug fein, die Flamme felbjt von dem Inhalt des Schrantes ab- zubalten, jo war damit doch nur wenig gewonnen, denn bei der Unterfuchung nod dem Brande mußte man zumeift die niederfchmetternde Entdeckung machen, daß Banknoten, Wertpapiere und Gejchäftsbücher voll- itändig verfohlt waren, eine unausbleibliche Wirkung der von den glühenden Eiſenwänden ausftrahlenden oder durch den Türfalz, die Schlüffellöcher u. |. w. eindringen: den Hiße. Celten auch widerjtand ein nach älterem Eyjtem fonjtruierter Geldfchrant der Wucht des Abjturzes, dem er nach dem Durchbrennen des tragenden Fuf— boden3 ausgefegt war und Der ihn, wenn es Det um einen Fall aus beträchtlicher Höhe handelte, oft jo weit

Bon Herm. Giersberg. 175 ——————— auseinander berſten ließ, daß der Inhalt leicht von den Flam— men angegriffen wer⸗ den konnte.

Die gebieterijche Notwendigkeit, all die- fen Gefahren vorzu— beugen, hat nun wäh: rend der letzten Jahr— zehnte auf dem Ge: biete der Geldſchrank— fabrifation eine je volljtändige Umwäl— zung hervorgebracht, daß den Mitgliedern der ehrenmwerten Ein— brecherzunft bei dem Wettlauf mit Den Fortfchritten der Tech- niker doch jchließlich der Atem ausgehen mußte. Wenn auch Engländer und Ames tifaner mit gutem Beispiel vorangingen, jo ift doch erfreulicher: weife die deutſche In— duftrie nicht Hinter ihnen zurüdgeblieben, und es Tonn ohne überhebung ` ausge: jprochen werden, daß We ihnen mit ihren

Tdealer Durchschnitt durch die Kellerräume des Crédit Eyonnais zu Paris.

176 Wie man fein Geld verwahrt. IRRE ADD AD AD DD AD ADDED ED neueften Erfindungen und Verbeſſerungen jogar viels fach den Rang abgelaufen bat.

Leicht und mühelos war das Ziel allerdings nicht

Panzerschrank mit doppelt verschliessbaren Fächern (französisches Fabrikat).

zu erreichen. Denn jo wie im Artilleriewejen ber glüd- lich gelungenen Erfindung einer widerjtandsfähigeren Banzerplatte die Konjtruftion eines Geſchützes oder Gejchoffes von entiprechend vermehrter Durchſchlags— kraft auf dem Fuße zu folgen pflegt, jo wußten ge

Bon Herm. Gtersberg. 177 DD DD ED AD AD AD AD AD AD AD AED AD ADD AD ED raume Zeit hindurch die berufsmäßigen Einbrecher, die ja durchweg erfahrene und tüchtige „Fachlente* find, jeder Verbejjerung der Abwehrmittel eine gleich bedeut-

Panzerschrank mit doppelt verschliessbaren Fächern und Kassetten (französisches Fabrikat).

jame Vervolllommnung ihrer Angrifiswaffen entgegen: zujeßen.

ALS die Panzer der Kaſſenſchränke jo demanthart wurden, daß es nicht länger möglich ſchien, ihnen jelbjt mit den bejlen Diebs werkzeugen beizufommen, machten ich die Herren von der Zunft eine für ganz andere Zwecke berechnete Erfindung zu nuße, indem fie mittels des GSauerjtoffgebläjes Kleine Löcher in den Panzer

1904. VI. 12

178 Wie man fein Geld verwahrt.

RIMDD AD DA AD AD Dr DD DE Dr DD ſchmolzen und fich damit die „schwache Stelle” fchufen, von der aus mit zwedentfprechenden Inſtrumenten meitergearbeitet werden konnte; und als geeignete Vorkehrungen auch diefer viel und erfolgreich geübten Einbruchstechnik einen Riegel vorjchoben, ftellte Héi juft zur rechten Zeit in Geftalt des Thermit wieder ein neues Hilfsmittel ein.

Unter diefem Namen Hatte nämlich Dr. Hans Gold- ſchmidt in Glen ein Pulver erfunden, das, an und für Héi durchaus nicht feuergefährlich, bequem in jedem beliebigen Gefäß tranfportiert, ja jelbjt in der Taſche mitgeführt werden Tonn, und das, auf die einfachite Ziele durch Überftreuen mit Magnefium zur Eutzün- dung gebracht, in wenigen Sekunden eine Temperatur von 3000 Grad Eelfius und darüber erzeugt. Golden Hißegraden aber vermag fo leicht Feine Eifen- und Banzerplatte zu miderftehen, und es erſchien feines: wegs als eine fenfationelle Übertreibung, als die eis tungen aus Anlaß der neuen Erfindung fehrieben, daß hinfort fein Geldfchrant mehr Sicher jet.

Wir werden indeljen weiter unten jehen, daß e3 der Tüchtigleit deutſcher Techniker gelungen ift, auch diefer nicht gering anzufchlagenden Gefahr zu begegnen, und daß von der namhaftejten deutfchen Geldjchrant: fabrit heute bereit3 völlig thermitjichere Trefor und Stahllammertüren bergejtellt werden.

Das höchſte Intereſſe an einer größtmöglichen ger, volllommnung der einjchlägigen Sicherheitsvortehrungen hatten naturgemäß von jeher die großen und enen Banlinftitute, die nicht nur eigenes, ſondern auch frem— des Gut in oft geradezu riefenhaften Beträgen zu bes wahren haben und die darıım jtet3 einen bevorzugten Gegenftand jehnfüchtiger Diebesgelüfte bilden.

Es gibt nun zwar viele KRapitalijten, die es gor:

Bon Herm. Giersberg. 179 ee PT I un 7 U 2 un m) DDr DD DD ziehen, ihre zinstragenden Wertpapiere in eigene Ber: waltung zu nehmen. Das bat entjchieden jeine Vor: teile, aber e3 vermehrt auch die Sorge um eine hin: länglich fichere Verwahrung der koſtbaren Effekten, und da nur wenige in der Lage find, fich die bei dem heutigen Stande der Diebestechnik erforderlichen, immerhin koſt—

Das Gewölbe für die Panzerschränke im Eompteir National d’Escompte zu Paris,

jpieligen Gicherheitsvorrichtungen im eigenen Haufe zu jchaffen, müfjen die Bankinftitute in den meiften Fällen die Rolle de3 treuen Hüter übernehmen.

Die Einrichtung der verjchlofjfenen, dem aufbewahren: den Bankier felbjt nicht zugänglichen Depots ift neuer: dings zu einer ganz allgemeinen geworden, ımd fie legte Den Bankhäuſern die Verpflichtung auf, für den Schuß des ihnen anvertrauten Gutes auf die denkbar beſte Weiſe zu jorgen.

180 Wie man fein Geld verwahrt. Zwei verjchiedene Syſteme num find es, die dabei

von den großen Geldinftituten angenommen morden find: da3 Geldjchrant- und das Stahlkammerſyſtem.

Das erftere, das vorwiegend in Frankreich, bei Eleineren Banken aber auch in Deutjchland Brauch ut. Tennzeich- net fich, wie fchon die von uns gewählte Benennung kundtut, durch die Aufjtellung möglichſt jolider Panzer— jcehränte, die im Innern eine Anzahl bejonders oer: fchließbarer, größerer und Eleinerer Abteilungen oder Fächer aufmweifen. Jedes Dieler Fächer wird gegen be- jtimmte Jahresmiete einem Kunden für die Aufbewah: rung feiner Effelten oder beliebiger anderer Wertjachen

zur Verfügung ge: ; ſtellt. Es enthält zuweilen noch eine bejondere, ſelbſt— verjtändlich eben: fall3 verjchließbare Kaſſette aus Stahl- blech und befindet jih unter jenem doppelten Verjchluß, von dem weiter unten bei Be- jehreibung der Stahlfammern die Nede fein wird.

Das Schrankſyſtem, das die denkbar größte Raums ausnußung gejtattet, empfiehlt jich namentlich für folche Banken, deren ejchäftslofale ihrer baulichen Beſchaffen— heit nach für die Anlage eigentlicher Stahlkammern nicht die nötigen Vorausjegungen bieten. Es iſt unter anderem beim Credit Lyonnais in Paris (mit 63,000 Schrankfächern), bei der Bank von Frankreich, der Banque PBarijienne, dem Comptoir National d'Escompte und anderen großen franzöſiſchen Geldinftituten im Gebraud).

Nebenher mag erwähnt werden, daß die von uns

Arnheims Klauenstufenfalzprofil.

Bon Herin. Gieräberg. 181 OD DD DD DD DD AD DD ED ED abgebildeten franzöſiſchen Schränfe namentlich wegen ihrer ohne weſentliche Profilierung glatt aufeinander Schlagenden Türfanten nicht ganz auf der Höhe der modernen deutjchen Technik ftehen. Eine durch inein— ander greifende Profile gefchaffene Verankerung der Tür mit ihrem Rahmen ift nämlich eine der mejent- lichften Vorausfegungen ſowohl für die Diebes- mie

"MR

Durch Einlage von gedrehten Panzerschienen verstärktes Mauerwerk einer $tahlkammer.

namentlich für die Feuerficherheit eines Geldjchrantes. Ein gewaltfames Auffprengen mit Hilfe von Werkzeugen wird Dadurch ungemein erjchwert und das Eindringen von Feuergajen wirkſam verhindert.

Eine der befannteften und angejehenften unter den deutjchen Geldjchrankfabrifen, die Firma ©. J. Arn— heim in Berlin, hat denn auch von jeher auf die med, mäßige Gejtaltung der Türzargenprofile ein ganz be:

182 Wie man fein Geld verwahrt. EDrED AD DD DD DD DD ED AD AED ED AD A De jonderes Gemicht gelegt, und das Deler Firma neuer- dings patentierte jogenannte Klauenftufenfalzprofil (der Lejer möge wegen de3 von uns nicht verjchuldeten barbarifchen Wortes freundlichft nicht mit uns ins Gericht gehen) ftellt ſowohl das Sinnreichite und Voll- fommenjte dar, was in diejer Hinficht erreicht werden fann. Die mit dem Schließen des Schrankes oder Treſors felbjttätig bewirkte Verankerung zwiſchen Tür und Rahmen gejtattet fein noch jo geringfügiges Aus: weichen der Tür nach irgend einer Richtung hin, weder bei Anwendung von —— noch etwa durch Hitze. Letztere würde im Gegenteil durch Ausdeh— mung des Me: tall3 nur ein um jo fejteres Ineinandergrei— fen und Zuſam— Panzer aus Eisenbahnschienen. menprejjen be- wirken, jo daß ein Eindringen von Gaſen abjolut undenkbar ift:

Wir haben Ton oben erwähnt, daß bei Bränden eine Vernichtungsgefahr für Leicht verfohlende Gegen. jtände, wie es Banknoten, Wertpapiere und Gejchäfts: bücher num einmal find, auch Durch die von den glüh— heißen Eiſenwänden des Schranfes nach innen ftrah: lende Wärme gejchaffen wird. Das einzige Mittel, diejer Gefahr vorzubeugen, befteht in der Einfchaltung einer Die Wärme nicht leitenden Sjolierfchicht zwischen der Äußeren und Der inneren Banzerung der Wände und Türen. Die in früheren Zeiten für dieſen Zweck verwendeten Füllungen aus Aſche, Schutt und Der: gleichen find abjolut unzulänglich, und ein Schrank mit

Bon Hern. Giersberg. 183 ⏑⏑ AD AD De derartigen <foliermaterial wird feinem Inhalt bei Entwidlung hoher Temperaturen, wie fie Feuersbrünfte oder die Anwendung von Sauerftoffgebläjfe mit fich bringen, faum noch irgendwelchen Schuß gemähren.

Die belte bisher befannte Füllmaſſe (It eine befonders

||

be DUB Mm

Stahlkammer des £redito Jtaliano in Mailand.

präparierte, dreimal geglühte Sfnfuforienerde, mie Be Hd bei Schränfen und Stahlfächern, die von der Firma Arnheim geliefert wurden, ſchon in zahlreichen Exrnftfällen vorzüglich bewährt hat. Gegen die märchenhaft hohen Temperaturen, die fich Durch Thermit erzeugen lafjen, bietet allerdings auch diefe Erde feine ausreichende Sicherheit mehr, und es ift deshalb erfreulich, daß die Zechnifer der mehrfach genannten deutfchen Firma neuer: dings eine in ihrer Zufammenfegung felbjtverftänd:

184 Wie man fein Geld verwahrt. IDOMDMEDID ADDED AD ADDED ED ED ED TED ED Dr ED lich al3 Gejchäftsgeheimnis gehütete Mifchung ber. zuftellen vermochten,, die Hd als miderftandsfähiges Iſoliermaterial auch dem gefürchteten Thermit gegen: über ermiejen bat.

Das zweite Syitem zur diebes- und fenerficheren Aufbewahrung verjchloffener Depots ift das der Stahl: fammern, dem man

fomohl in England und Ame— vita mie

neuer: dings ou in Deutſch⸗ land me: nigſtens bei den größeren Bankinſti—

tuten durchweg den Vor— EE zug gibt. Stahlkammer der D Auch bier e erhält jeder Mieter ein bejonderes, unter doppeltem Verſchluß ſtehendes Fach, aber dieſe Fächer befinden fich nicht in einzelnen Schränken, jondern in den Wänden eines eigens für diefen Zweck konſtruierten Raumes.

Die Sicherheitsvorfehrungen gegen Einbruch3- und Brandgefahr müfjfen, wenn jie eine volle Gewähr für unbedingte Zuverläfjigkeit bieten follen, bier eigentlich ſchon bei der baulichen Anlage der betreffenden Lokalität beginnen.

ı

a Sëtz "AU Au H 1 111 1

Bon Herm. Gierdberg. 185 DDR Alle aus ungebrannten Materialien mie Zement, Granit, Sandftein u. f. m. hergeftellten Wände Tom: nen fast ganz geräujchlos durchbrochen werden und bieten daher feine genügende Sicherheit. Ein aus hartgebranntem Material gefügtes Mauerwerk wider iteht wohl dem Feuer, aber nicht unbedingt jedem Ein-

bruch3ver-

RL ſuche. 2 Man gibt EEE 4 ihm de3- halb eine

= = > größere SES ` ftands- Ep fähigkeit d = durch Ein⸗ EES fügung SS, von ge⸗

e härteten und ge—

drehten

Schienen mit ſeitlich ner Bank zu Berlin. Ä nicht get jchiebba-

ven Muffenverbindungen, mie jie unfere Abbildung auf Seite 181 zeigt. Die Hindernijje, die der Ein- brecher beim Durchbohren einer ſolchen Wand zu überwinden hat, find gewiß nicht gering, aber jte lajjen fi, wenn die Diebe mit allen Errungenfchaften der Neuzeit ausgerüftet find, dennoch befeitigen. Ein voll- tommener Schuß der Stahllammer wird erjt durch das Belegen der Wände mit ftarfen Panzerplatten erreicht. Ohne jolche würde ein Banktrefor in der Tat niemals

186 Wie man fein Geld verwahrt.

OD ADADE DDr DD ID AD AED AD AD AD ADD re als abfolut ficyer gelten können. Statt der Platten wendet man zumeilen auch eine Banzerung durch neben- einander gelegte jchwere Eifenbahnfchienen an. Natür- lich muß die Sicherung fich auch auf den Fußboden und die Dede der Stahlfammer erjtveden, und von bes

Stahlkammer der Banca Commerciale in Turin.

jonderer Wichtigkeit ift bie Anlage eines um die Außen: jeite der Mauer laufenden Rontrollganges, der jeder: zeit die Unterjuchung derjelben auf ihre Unverfehrtheit geitattet.

Die von der Firma Arnheim hergejtellte Stahl- fammer der Dresdener Bank zu Berlin, die wir neben einigen anderen derartigen Gemwölben im Bilde vor: führen, gewährt eine bejonders anjchauliche Vorftellung von der Konjtruktion folcher Räume.

Bon Herm. Giersberg. 187

DD ED EDDIE DI ⏑⏑ DD ED Durch bejonderen Reichtum der Ausftattung zeich: net jich neben ihrer vorzüglichen Sicherheit die Stahl- fammer der Banca Commerciale in Turin aus. Ihre Größe und ihr deforativer Schmuck entjprechen voll- fommen der Pracht, mit ber das Gebäude und Die

Gebäude der Banca Commerciale in Turin.

übrigen Gejchäftsräume diejes großen SSES Bank: inftitut3 ausgejtattet find.

Bejonderes Gewicht muß bei der Anlage einer Stahl—⸗ kammer naturgemäß auf die Unangreifbarkeit der Tür— und Fenſteröffnungen gelegt werden. Unſere Abbildung auf Seite 189 zeigt uns eine ſolche von der Firma S. J. Arnheim hergeſtellte Tür, die zur Stahllammer des Credito Italiano in Mailand führt. Es iſt gewiß

188 Wie man fein Geld verwahrt.

DIDI ADD ADD DD ADD ADD ein ehrendes Zeugnis für den vortrefflichen Auf unjerer Induſtrie, daß nicht nur beinahe alle großen deutjchen Banken, fondern auch die hervorragendjten Geldinjtitute Öfterreich-Ungarns, Italiens, Rußlands, Norwegens und Schwedens den Fabrifaten der Firma Arnheim

Schalterraum der Banca Commerciale in Turin. |

vor den englifchen den Vorzug gegeben haben und daß dieje Firma im Laufe weniger fahre gegen 1500 Bank— und Trejforanlagen ausführen fonnte

Unangreifbar für unberufene Menjchenhände wie für die Wut der Elemente müjjen gleich den Türen auch die Fenjterladen der Stahlfammern fein. Gie erhalten außer der Sicherheit, die ihre eigene Stärke gewährt, noch bejonderen Schuß durch Gitter aus ge: drehten Stahljtangen von zirka 40 Millimeter Durch:

Bon Herm. Giersberg. 189 meffer, deſſen Befeitigung die Einbrecher allein ſchon mehr als die ihnen zur Verfügung ftehende Zeit Toften würde. | |

Es mag manchen unferer Leſer wundernehmen,

JEE CIS 18% IM H E

D v

`

{

IE E Sa

(ks S > KSE

3 dr 4

IR

HS

a

RE

A

D e

fi

Kë?

si Le De

Guests D

$ —* *

Tür einer Stahlkammer von $. J. Arnheim,

daß wir bisher nur von einer Einbruchögefahr durch gewaltfames Zerfchneiden, Durchbohren oder Zer— fchmelzen der Panzerplatten gejprochen haben. Biel näher muß ja dem Laien der Gedanke an Die Möglich: Feit liegen, die Öffnung des Schranfes durch Anwen— dung von Nachjchlüffeln oder von Inſtrumenten zu

sso ss uoneuiquioꝝ SOpuaj[a)snzu!3 uageisipng 43Po uajyez Inn

190 Wie man fein Geld verwahrt. EDDIE DD DD DD ED D ED ED ED ED ED ED bewirken, die geeignet find, die Funktionen der richtigen Schlüffel zu verrichten. Aber von folchen Möglichkeiten iſt heutzutage in der Tat nicht mehr die Rede. Die Ronftruftion der Schlöfjer iſt eine jo kunſtvolle ge- worden, Daß fein erfahrener Spigbube mehr verjuchen wird, fein Biel auf diefem Wege zu erreichen.

Das gleich: zeitige Zurück— jchieben der zahlreichen, oft beinahe arm: diden Riegel, die in die ent— jprechenden Ver: tiefungen der Türzarge grei- fen, geſchieht durch eine ein— Tode Drehung der an der Außenfeite der Tür angebrach- ten Dlive. Aber diefer Mechanismus kann erſt in Tätig- feit treten, wenn durch Anmwendung des richtigen Schlüfjels die Hemmung ausgelöft worden ift. Wie wenig dabei von der Anwendung eines Diebswerk— zeuges nach Art der fogenannten Dietriche zu fürchten

Bon Herm. Gieröberg. 191 ir DD ADmDrme Dr DD DE DD ED TED DE DD DD ift, mag daraus hervorgehen, daß an den fogenannten federlojen Schlöfjern bei den neun im Schlofje befind- lichen Zuhaltungen ` im ganzen taufend Millionen verjchiedene Stellungen der Zuhaltungen möglich find, bei denen die Rip— pen und Kerben ineinander ein— dringen können. Und nur eine einzige Davon ift die richtige, bei der Das Schloß geöffnet wird. Der Dieb würde aljo min: deſtens ein Menfchenalter aufwenden müſſen, um all dieſe Stellungen 3 hervorzubringen. = See Aber nicht = = immer begnügt man ſich mit —J— der Gewißheit, nn daß niemand ohne die richtigen Schlüſſel etwas auszurichten ver— möge. Denn häufig ſind durch die Umſtände noch weitergehende Vorſichtsmaßregeln geboten. Dieſer Not— wendigkeit verdanken die Kombinations- und die Zeit— ſchlöſſer ihre Entſtehung. Bei erſteren iſt der Hem—

E, —WWliliu ——— e. .— er

Zeitschloss.

192 Wie man fein Geld verwahrt.

IODOMMDAD ADDED TED DE DD DD ADD DAAD DD mungsmechanismus fo fonftrniert, daß ein Öffnen der Tür erſt erfolgen Tonn. nachdem die in den außen befindlichen Knopf eingejchnittene Kerbe nod, einander die Ziffern einer bdreiftelligen Zahl oder die Buchjtaben eines aus drei Zeichen beftehenden Wortes berührt bat, die nur dem Eingemweihten befannt find. Ein anderer mag an dem Knopfe drehen, jo viel er

"H H —4 N ) Ri

1

Tür eines Sicherheitsiaches.

will, er wird Doch niemals den beabfichtigten Zweck erreichen.

Bei dem Zeitichloß erfolgt die Freigabe des Hem— mungshebel3 ohne menschliches Zutun durch einen automatifchen Mechanismus zu einer auf die Minute genau vorher zu bejtimmenden Zeit. Drei nebenein- ander angeordnete vorzügliche Glashütter Uhren regeln diefe Prozedur. Jede von ihnen arbeitet dabei felb: jtändig, jo daß, ſelbſt wenn zwei von ihnen ftehen bleiben follten, ein Verfagen des Mechanismus nicht zu fürchten ift. Eine durch ein Zeitfchloß geficherte Schrank:

Bon. Herm. Giersberg. 193 oder Trejortür ift vor der bejtimmten Zeit von me mand zu öffnen, er möge auch im Beſitz der richtigen Schlüfjfel fein. liberall da, wo ein Mißbrauch Deler Schlüffel zu befürchten jteht, erweiſt fich deshalb dieje Vorrichtung als bejonders zweckmäßig und empfehlen3- wert.

Wir haben oben gejagt, daß die Türen ber einzel: nen, an die Kun: den des Bankhau— ſes vermieteten Sicherheitsfächer jtet3 unter dop— peltem Verſchluß, daS heißt unter dem gleichzeitigen

Verſchluß der Banf und des Mieters gehalten werden. Meder der mit der Ber:

mwaltung Der Stahlkammer be- traute Beamte noch der Mieter würde im jtande fein, die Öffnung allein mit einem Schlüfjel zu bewirken. Erſt wenn der Ange- jtellte ber Bank den feinigen in Anwendung gebracht hat, bat der Beier des Faches die Möglichleit, es mun jeinerfeit3 aufzufchließen. Ein Mißbrauch durch Un- berufene ut dadurch jo gut wie unmöglich gemacht. Hie und da geht man in der Vorſicht jogar noch weiter, indem man durch einen eigenen Geheimverfchluß, dejjen Befonderheit nur dem Mieter des betreffenden Faches befannt ijt, das Schlüfjelloch für jeden anderen un— auffindbar macht. Ihrer Kompliziertheit wegen aber 1904. VI. 13

F ai

)

re

CEA

Stahlfach mit @eheimverschluss.

194 Wie man fein Geld verwahrt.

> Eege DD ee Dre De Dede iſt diefe an und für fich auch ziemlich überflüffige Bor: richtung in Deutfchland wenig beliebt.

Wie ans vorftehender Schilderung wohl zur Ge- nüge erhellt, ift heute alfo niemand mehr genötigt, feine Erjparniffe zu vergraben oder fonjtwie zu verjteden, um fie vor Diebes- und Feuersgefahr zu fichern. Er Tonn vielmehr für den verhältnismäßig jehr gering- fügigen Betrag, auf den fich die Jahresmiete für ein Fach in der Stahllammer eines großen Banlinftituts beläuft, für die Sicherheit feines Eigentums alle die Bürgichaften erhalten, die eine hoch entwidelte Tech- nit zu gewähren vermag. Es ijt darum nur natürlid), daß von der zwedmäßigen Einrichtung heute bereits nicht nur reicher begüterte Rapitaliften, jondern auch viele fogenannte Leine Leute Gebrauch machen, die - an folcher Verwahrung ihrer Erjparniffe jedenfalls better tun als daran, daß fie fie irgend einem Bankhauſe zu Spefulationszweden anvertrauen.

P?

Beim neuen Papst.

Römische Skizze von Woldemar Urban.

mit 3 Tliustrationen. (Nachdruck verboten.) T' dem Heinen Örtchen Riéſe bei Trevifo wurde | dem jtädtifchen Boten Johann Baptiſta Sarto om

2. Juni 1835 ein Sohn geboren, der den Namen Giu— jeppe erhielt. Es ut der jetige Papſt Pius X. Der hübfche und fromme Knabe konnte durch die Unter: jtügung des Pfarrers das Gymmafium bejuchen und Tom dann in das Priefterfeminar zu Padua. 1858 erhielt er ben Doktorhut und die Priefterweihe. In Nieje las er feine erjte Meſſe vor feinen einfachen Verwandten und den dortigen Bauern; e8 war für den fleinen Ort ein Ereignis. Er wurde darauf zuerſt Pfarrer in Tom- bola, 1867 in Salzano. Der Bifchof von Trevijo, der jeine bedeutende Begabung erkannte, ernannte ihn zum Kanonikus der dortigen Kathedrale, jpäter wurde er Sekretär des Bifchofs und Generalvifar.

ALS - 1884 der Bifchofsfig von Mantua frei wurde, fiel die Wahl auf Sarto. Er blieb in diejer Stellung biS 1893, wo feine Ernennung zum Kardinal-Erzbifchof und zum Patriarchen von Venedig erfolgte. Zehn Jahre jpäter, am 4. Auguſt 1903, wurde ihm die höchite Würde übertragen, welche die Fatholifche Kirche zu ver:

196 Beim neuen Buapft.

EDrEDrE Dre Dr ED DrEDrEDrE Dr EDrEDre Dede De DrrD ed ED geben hat. Das Konklave der KRardinäle in Rom mählte den Bauernfohn Giufeppe Sarto zum Papft, und als Pius X. erteilte er, angetan mit dem päpftlichen Ornat, dem Volk erſtmals den Segen.

Il papa del popolo der Volkspapſt, wie man ihn fowohl feiner Abfunft, als auch feines fchlichten Auf- treten3 wegen vielfach nennen hört, hat unter anderen bedeutfamen Änderungen im vatitanifchen Leben aud) die feit Jahrhunderten nicht mehr gepflegten Volks— predigten wieder aufgenommen. Pius X. jpricht feit einiger Zeit jeden Donnerstag oder Sonntag zu feiner römischen Gemeinde, wie man möchte faſt jo fagen jeder Dorfpfarrer zu feiner Gemeinde fpricht. Nach ein- zelnen Barochien werden die Mitglieder der römiſchen Kirchengemeinde hierzu eingeladen vermittels eines o: drudten Bettels, auf dem Ort und Zeit genau angegeben ift und den fie von ihrem Geeljorger oder von irgend einem der päpftlichen Ämter erhalten. Mit diefem Zettel begeben fi) alte und junge Männer, Frauen und Mäd— hen, Rinder, Arme und Reiche, Kranke und Lahme in den Batilan, wo fich der Borgang nun folgendermaßen abjpielt.

Nachdem man um die Betersticche herumgegangen das ijt eine Heine Reife und die verfchiedenen Tore paffiert bat, mo die Schweizer Hellebardiere und päpft- lichen Gendarmen die Kontrolle ausüben, betritt man den großen inneren Hof des Vatikans den Corte di San Damafo —, einen gefchichtlich denkwürdigen Platz, auf dem gut zehn: bis zwölftauſend Menfchen jtehen fönnen. Hier, unter freiem Himmel, hält der Papſt feine Anjprachen.

Un der Stirnfeite des Hofes ift ein einfaches Podium errichtet, auf dem ein roter Seffel ſteht. Hellebardiere mit der neuen Pidelhaube die alten Barette paßten

Papst Pius X.

198 Beim neuen Bapft.

DEI Dr ee Mee ee Eege Dre De Dre DD re De Dede dd übrigen3 zu den bunten Landslnechtstrachten beſſer halten vecht3 und links von dem Podium Wacht, ab und zu fieht man einen Monfignore im dunfeln Talar oder eine Guardia dei nobili, aber nicht verrät einen ungewöhnlichen, feierlichen Vorgang. Ein paar Fahnen von einzelnen Kongregationen hängen herum, die hüb- ſchen, zierlichen figlie di Maria mit ihren weißen Schleiern und blauen Brujtbandern nehmen recht3 vom Podium Aufftelung, mp auch der Platz für die päpftliche Ka— pelle ift.

Der Hof füllt ſich allmählich immer mehr und mehr, bis er ſchließlich vollitändig vollgepfropft erfcheint, auf den Galerien und Balfonen des Vatifans fammeln fich Leute. Jeder Platz ut beſetzt, alles im bunten Gewühl, ohne jede Etikette. Das feheint des neuen Papſtes ftärkite Seite zu fein. Bon Etikette bemerkt man nicht3. |

Punkt 3 Uhr Nachmittags ertönt im Hofe ein ftarfer Trommelmirbel. Die Mufil zieht auf, nimmt ihren Platz ein und fpielt eine Iujtige Weife. Ich hörte zum Beijpiel die Ouvertüre zu „Zampa oder die Marmor: braut”. `

Mit dem Glockenſchlag halb 4 Uhr der Papſt iſt von großer Pünktlichfeit ertönt wieder ein Trommel: wirbel, links vom Podium wird eine Tür geöffnet, durch die hindurch man eben einen Aufzug niedergehen fieht. Aus diefer Tür jchreitet ganz weiß gelleidet und umgeben von einer Anzahl geiftlicher und anderer Würden: träger der päpftlihden Hofhaltung Papſt Pins X.

hervor. Ein braufendes Rufen und Schreien erfüllt die Luft. „Evviva Papa Pio decimo! Evviva il Papa del

popolo!“ cellt es von allen Ceiten, Tücher werden geſchwenkt, Kinder auf die Schultern gehoben, eine un: geheure Bewegung bemächtigt fich des Volkes.

Bon Woldemar Urban. 199 DIDI ADDED DD Dre Dre Dre Der Dede

Ruhig fchreitet ber Papſt zum Bodium vor, Lächelnd grüßt er das Volk und fegnet es ein Vorgang von berzlicher Einfachheit und jchlichter Größe.

Der Papſt bat eine etwas matte Gefichtsfarbe, fieht aber jonjt gut und verhältnismäßig jugendlich aus. Wenn er jpricht, belebt fich fein Geficht, feine Be- mwegungen werden frei und leicht. Er ut nicht das, mas man einen großen Redner nennt, aber feine Rede ift von wunderbarer Klarheit, fein Vortrag warm und de3- halb von Überzeugungsfraft. Man gibt Déi ihm gern - bin, wenn er jpricht, es ut, al3 ob man wieder jung würde, wieder in feiner Kirche fäße und den väterlichen Ermahnungen und Tröftungen feines Geiftlichen laufchte. Man vergißt ganz, daß es der PBapit ift, der fpricht, und daß man Dt im Vatikan befindet fo väterlich, ſo herzlich ſpricht Papſt Pius X.

Sein Vortrag iſt ebenſo einfach wie kurz, kaum zehn Minuten. Dann ſpielt die päpſtliche Kapelle eine Hymne, in welche die friſchen Kinderſtimmen der hübſchen figlie di Maria einfallen, und nach etwa einer halben Stunde iſt der Vorgang zu Ende. Ein Kaplan reicht dem Papſt einen rotſeidenen Hut und einen ebenſolchen Mantel, und langſam, den Hut in der Hand, freundlich nach allen Seiten grüßend, geht er wieder mit ſeinem Ge— folge ab.

Nur langſam entleert ſich der große Hof. Nach einigen Minuten ertönt plötzlich noch einmal das laute, gellende Rufen: „Evviva Papa Pio decimo! Evviva il Papa del popolo!“ und oben im oberiten Stod des Va— tifans exfcheint noch einmal für wenige Sekunden Die Geſtalt des Bapites hinter den Glasjcheiben, auf dem Mege nach feinen Privatgemächern.

Auch einen Staatsfekretär nach feinem Sinne hat fich on Stelle des bisherigen, des Kardinal Rampolla,

Ansprache des Papstes

RUE Er ee

n orte di San Damaso

202 Beim neuen Papſt. DD DD med DD AD AD ED ED ED Pius X. ermählt.e Es ui der Kardinal NRaffaele Merry del Val, der am 10. Dftober 1865 in London, wo fein Vater damals jpanijcher Botjchaftsrat war, geboren wurde, aljo exit 38 Jahre zählt. Die Erklärung für CX überrafchend fchnelles Emporfteigen auf Der Stufenleiter geiſtlicher Ämter und Würden liefert der Umjtand, daß er durch jeinen Bater, den jpäteren jpantschen Botjchafter in Wien und beim Batilan, bereits in früher Jugend in enge Berührung mit verjchiedenen Fürſten— höfen und den maßgeben- den Perſönlichkeiten der Kurie fam. Er bereitete, ſich in der Academia dei Nobili Ecelesiastiei für den diplomatischen Dienjt Raffaele Merry del Val, der neue der Kirche vor, wurde 1885 päpstliche Staatssekretär, zum Prieſter geweiht, be reits vier Jahre darauf päpitlicher Geheimfämmerer, 1897 päpſtlicher Hausprälat und Tur nacheinander apojtolifcher Delegat in Kanada und Titularbiichof von Nicaa. Im Syahre 1888 begleitete er den Nuntius Ga: limberti zur Beifegung des Kaiſers Wilhehn I. nod Berlin, und 1902 war er Bertreter des Papſtes bei der Krönung des Königs Eduard VII. von England.

I

@Dannigfaltiges. x

(Nachdruck verboten.)

Ein Augenblick, geledt im RBaradieſe. Im Juli des Sahres 1875 waren in Britifch-Kolumbien reiche Goldfunde gemacht worden, und viele Taufende von goldhungrigen Menfchen jtrömten am Sticfeen River zufammen, wo fie ch weder Tag noch Nacht Ruhe gönnten, fondern unermüdlich den goldjtaubhaltigen Sand om Ufer des Fluſſes aus: wufchen.

Ein junger Mann namens James Day, feiner urfprüng: lichen Profeſſion nach ein Jchlichter Schufter, fand den Ertrag Diefer mühſamen Arbeit allzu mager. Er befchloß, auf eigene Fauſt dem Ausgangspunkt der Goldquelle nachzu- forihen, und verließ den Hauptfluß, um an einem feiner oberen Nebenflüſſe, dem Yellow (Greef. die Arbeit wieder aufzunehmen.

Seine Erwartungen wurden enttäufcht. Er fand noch weniger Gold al3 vorher. Dazu befand er fich in einer un— bewohnten Gegend, die feine Möglichkeit bot, Nahrungs: mittel und andere Lebensbedürfnifje zu faufen. Wenn er ih auch mit VBorräten wohl verjehen hatte, fo jah er doch nach drei fruchtlo8 durcharbeiteten Wochen mit Schreden, daß fie "di ihrem Ende näherten. Da half ihm alles nichts, er mußte umkehren.

Um den Rüdweg abzufürzen, folgte er nicht wieder den Windungen des Yellow Greef jondern marfchierte quer über Land. Plöglich fah er feinen Weg verjperrt durch eine tiefe,

204 Diannigfaltiges.

ID RDTEI ED ne De De Dre DDr ED rd Dee DD Ed langgeftredte Schlucht mit hohen Teilen Wänden, die jeden Übergang unmöglich machten. Sechs Meilen weit mußte er an Dielem unmilllommenen Abgrunde entlang gehen, ehe ji) etwas mie ein Übergang entdeden ließ, wenn er aud) fo unwegfam war, wie man ihn ſich nur denfen fonnte. Als er aber mit Mühe und Not die zerflüfteten, durch Geröll noch unficherer gemachten Felspartien hinabitieg, fiel ihm plötzlich eine Schicht zu Tage liegenden rötlichen Quarzes in Die Augen, welcher Gold zu enthalten pflegt.

Mit zitternden Händen fchlug er ein Stüd von dem Quarz ab und Bebe da: er hatte eine reiche Ader gold- Daltigen Geſteins entdedt!

Geine glüdfelige Benonimenheit war fo groß, daß er neben feinem Reichtum niederfauerte und den Reft des Tages damit zubrachte, fich au3zumalen, was für ein herrliches Leben er führen werde, wenn er die Millionen eingeheimft habe, die ihm bier fo unvermutet entgegenlachten. Dann fuchte er fich am Rande der Schlucht eine bequeme Schlafftätte in der Nachbar: Ichaft feiner Goldmine aus und legte ſich zum Schlafe nieder, um am folgenden Morgen ſchon bei Tagesgrauen mit friſchen Kräften an die Arbeit zu gehen und feinen Schaf zu heben. In den Träumen dieſer dentwürdigen Nacht aber genoß er das ganze Hochgefühl des Millionärs in vollen Zügen.

Unglüdlicherweife jedoch war e3 die Nacht des 24. Juli 1875. In diefer Nacht trat in Britifch- Kolumbien ein Erd— beben ein, und James Day entging nur wie durch ein Wunder dem Schidjale, von den Gejteinmafjfen mit verfchlungen zu werden, Die den Abgrund ausfüllten, neben dem er an jenem Tage dahingewandert war.

Seine reiche Soldader aber war in der Tiefe verſchwunden. Er war ein armer Schuhflicker wie vorher und zog fich von Der Öoldgräberei gänzlich zurüd. (Gë mußte ihm genügen, daß er einen „Augenblid im Paradiefe” gelebt Hatte.

An Bord der „Juno“, die von Kalfutta nach Singapore dampfte, vertrieben fich die Paſſagiere im Rauchſalon die Zeit mit Kartenfpielen. Ein englifcher Offizier gewann einem Hindu eine nicht unbedeutende Summe ab und meinte

Mannigfaltiges. 205 Te N N Pl Te? ne? Un? I u? ER um) ZU) Un? Zu nt ‚wohlgefällig lächelnd: „Ach habe offenbar heute eine glück— liche Hand.“

„sch wette, Daß ich Sie in dem Punkte Doch noch über- treffe,“ behauptete der dunfelgefärbte Hindu.

Der andere nahm die Wette an. Er war fein vermögender Mann. Was er foeben dem Partner abgenommen hatte, fegte er aber auf die nächſte Karte und gewann den Einſatz verdoppelt zurüd. Kameraden von ihm, die hauptfächlich die Reiſegeſellſchaft bildeten, fingen an, fich für bie beiden ` Spieler zu interefjieren, erhoben jich von ihren Tifchen und gruppierten ſich um die beiden, die vom Erfolg einerfeitg, vom Mißerfolg anderfeits zu immer fühnerem Wagen ot: gejpornt wurden. Die Einfäbe wurden immer höher und gingen aus den Hunderten bereit3 in Die Taufende über. Bald nach der einen, bald uns der anderen Seite lächelte - Fortunas Laune. |

Endlich fagte der duhfeläugige Sohn Indiens: „Sch ſetze mein Rubinenbergmerf zu Kotree gegen zehntaufend Pfund, wenn e3 Ihnen recht ift.“

Der bis dahin vom Glücke begünjtigte Engländer ſah Déi verlegen im Kreife der um den Spieltifch Herumftehenden um. Seine „glüdliche Hand” hatte ihm vertrauende Gönner erworben. „Unbedingt gehen Sie darauf ein! Wir über: nehmen die Garantie, fall Sie verlieren follten,” fchallte es ihm von fünf, jech3 Seiten entgegen.

Die Dargebotene Garantie genügte dem Hindu, der Ein: fat wurde angenommen. Und nun wurden die Karten ge: geben. Ber Hindu verlor. |

Gleichmütig, als handle es fich um den Berluft eines Schillings, erhob fich der Indier vom Spieltifche. „Sch hole Ahnen die Befigurfunde,” jagte er und ging.

Der ftrahlende Gewinner nahm mit überjtrömender Freude und Dankbarkeit bie Glückwünſche derer in Empfang, die ihm zu dem Siege verholfen und ihn zum reichen Manne gemacht hatten.

Indeſſen war e3 nur ein „Augenblid im Paradieſe“, der ihm gegönnt war. Der Berlierer des Bergwerks nämlich

206 Mannigfaltiges.

DD AED ED DDr DE Dre DD De fehrte nicht in den Rauchfalon zurüd. Unbemerft war er ind Meer gefprungen und verſchwand unter dem Tochen- Den Gifcht der Waffermaffen, welche der Bampfer auf: wirbelte.

Durch diefen Alt der Selbjtaufopferung rettete er fein Rubinenbergwerk für feinen Sohn; denn Spielfchulden dürfen nach indifchem Geſetz von den Erben nicht eingetrieben werden, und fo ging der Engländer mit der glüdlichen Hand troß allem doch leer aus.

In dem armfeligften Viertel von Paris fuhr an einem rauhen Wintertage der Rechtsanwalt %. vor einem der höchſten und unanfehnlichiten Häufer vor. Bis zum oberften Stockwerk mußte er die jämmerliche Treppe emporklimmen, ehe er an einer niedrigen Tür den Namen entdedte, welchen er fuchte. Auf fein Pochen erjchien eine abgezehrte, ver: fümmert ausfehende Frau und erklärte fich für die Perfön- lichfeit, nach der er fragte. Sie führte ihn in ein nahezu von Möbeln entblößtes Zimmer, beten Kamin fein Feuer aufwies, in beten einer Ede aber auf einem Lager von Zumpen ein magerer, etwa zwölfjähriger Knabe lag und hujtete, daß dem Hörer dabei das Herz im Leibe weh tat. Mutter und Sohn zitterten vor Kälte.

„Madame,” jagte der Rechtsanwalt teilnahmsvoll, „ich habe Ihnen die traurige Kunde zu bringen, daß Ihr Herr Onfel vorgeftern geftorben ijt.“

Die arme rou fuhr in beftigem Schred zufammen, erinnerte Héi aber fchnell ihrer Iangandauernden Entfrem- dung von dem Dahingefchiedenen und fagte traurig: „Mein Obeim bat ich feit dem Tage meiner Berheiratung fo hart- nädig von mir losgeſagt, daß ich durch feinen Tod Taum noch etwas verliere.“

„sm Gegenteil,“ belehrte er fie, „Sie gewinnen ganz erheblich dadurch.”

„Ich?“ fragte fie ungläubig. „Mit feinem Wiffen und Willen ficher nicht.“

„Sein Wiſſen und Wille Tonn dabei feinen Einfluß aus: üben. Er ut, ohne ein Tejtament zu binterlajjen, eines

Mannigfaltiges. 207 ————————————— plötzlichen Todes geſtorben. Sie ſind ſeine einzige recht— mäßige Erbin.“ |

„Reichtümer wird er nicht zurüdgelaffen haben,” jagte die Frau, „denn er war kein ſparſamer Mann. Aber ſo viel wird's ja wohl ſein, daß ich meinem Sohne eine warme Stube machen und ein nahrhaftes Eſſen vorſetzen kann. Vielleicht reicht es ſogar dazu, daß ich einen Arzt zu holen vermag.“ J

vi, es reicht noch ein gut Stück weiter,“ meinte der Beſucher mit einem gerührten Lächeln. „Ihr Oheim hat in letzter Zeit ſehr glücklich ſpekuliert und hat eine ganz be— deutende Erbſchaft hinterlaſſen.“

Mit aufleuchtendem Auge blickte die arme Frau zu dem Gaſte empor. „Wie viel iſt's denn?” : „Das läßt fich noch nicht genau feititellen. Unter einer

Million Franken iſt's ficher nicht.”

Die bleichen Wangen des armen Weibes färbten ſich mit lebhaftem Rot. Ihre matten Augen erglänzten in einem überirdiſchen Licht. Die von Sorgen und Hunger zuſammen⸗ gekrümmte Geſtalt richtete ſich in die Höhe. „Gott ſei Lob und Dank,“ rief ſie, „dann kann für uns beide ein neues Leben angehen! Meinem armen Jungen find die Wege ge: ebnet, er wird Mangel und Kummer, die feine Kindheit getrübt haben, nicht mehr an fchmeden haben. Aber,“ fügte fie gepreßt hinzu, „mir ift gar nicht wohl.”

Sie drückte erbleichend die Hand aufs Herz und fant gleich darauf Ieblos in die Arme des entſetzten Beſuchers. Es war ein „Augenblic im Paradiefe” geweſen, den er ihr bereitet hatte. Ein Herzichlag hatte fie der Erde entrüdt.

Ihr armer Junge aber durfte fich wenigſtens der Erb» fhaft erfreuen. Er genas bald unter der guten Pflege, die man ihm angedeihen lafjen fonnte, und ijt heute eine der Zierden unter den Schülern eines Parifer Lyzeumd. Ki. Tüfterhoff.

Menue Erfindungen: I. Ein praktiſcher Gläſerträger. Soft alle Erfindungen auf dem Gebiete der hausmirt- Thaftlihen Geräte find Veränderungen befannter Dinge, und es bedarf met eingehender Erklärungen, ebe man

208 Mannigfaltiges. DD DmD DD AED EDDIE DD DDr ED deren Zwecmäßigkeit einzufehen vermag. Der Gläferträger „Serviteur“, den wir im Bilde vorführen, ift dagegen etwas abjolut Neues. „Sonjt” hatte man in diefer Richtung jehr viel Unglück, „jetzt“ iſt ſolches gänzlich ausgeſchloſſen.

Es iſt tatſächlich nicht leicht, Weingläſer zu tragen, ohne

Sonst.

ſie zu zerbrechen, gleichviel, ob man ſie, übereinander ge— legt, in Behältern trägt oder auf Servierplatten ſtellt. Syn reicheren Haushaltungen ijt Daher das Budget für zerbrochene Weingläſer fein geringes. Hat die jervierende Perfon bei einer Fejtlichkeit mit Gläſern Mißgefchick, "Tout dem Gaſtgeber der Schreck oder das Lächeln feiner Gäſte met unangenehmer als die Koſtſpieligkeit des Vorfalls.

Mannigfaltiges. 209

ADDED ED DD DES DD DD DD ED ED ED Der Gläjerträger „Serpiteur” macht jolche Unannehme lichkeiten unmöglih. Man jest das Glas auf, und fofort iteht e8 fo feit, daß der Serviteur fchief gehalten, auf den Kopf gejtellt, ja gefchleudert werden Tann, ohne daß die Gläſer fallen oder aneinander fchlagen. Kein Gla3 Toun

Jetzt.

dur Stoß abgebrochen werden, da e3 elajtifch jteht. Jedes einzelne läßt fich genau fo leicht abnehmen wie vom freien Zug. Für gewöhnlich wird der Serviteur als Träger beim Servieren und Abräumen benubt Wer fehr wertvolle Gläſer benugt und häufig Geſellſchaften gibt, bewahrt om beiten feine fämtlichen Gläfer in Serviteurs auf. Selbjt eine ungeübte Perſon Tonn mehrere Dutzend der empfindlichiten 1904 VI. 14

210 Mannigfaltiges. Kriſtallgläſer auf einmal zum Tiſch bringen, ohne daß die Hausfrau fürchten muß, daß ihre frohe Tiſchlaune durch Ungeſchick oder Mißgeſchick der ſervierenden Perſon oer, dorben werde.

Von hervorragendem Nutzen iſt der Serviteur auch für Geſellſchaftsbüfette. Gerade der gerngeſehene fröhliche Gaſt wirft auf dem dicht gefüllten Speiſenaufbau oder im Ge- dränge leicht ein paar Gläfer mit um. Derlei ſucht jeder Gaſtgeber zu vermeiden, und hierzu ift der Serviteur ein fiherer Helfer. Große Etabliſſements Dellen die gefüllten Serviteurs in beliebiger Zahl aufeinander, fie ftehen voll- fommen feit. EM.

IL Gabel mit beweglichen Zinten. Die unten PE abgebildeten Gabeln mit beweglichen Zinfen tragen dem Umjtand Rechnung, daß bei den gewöhnlichen Gabeln das Putzen der Zinfen eine recht mübhevolle Arbeit ut. Die vom KRüchenperfonal nicht immer zur Zufriedenheit der Hausfrau be- ſorgt wird. Bei den neuen Gas bein find die mittleren Zinten, a und a,, beweglich eingefügt, während nur die äußeren, d und d,, feit find. Die eine Der be- weglichen Zinken ift nach vorn, Die andere nach hinten un den

Sig. 1. Sig. 2. Rift ce drehbar, wie es Fig. 2

Gabel mit beweglichen Zinken. punktiert zeigt. Sn Der Ges

brauchsftellung werden ſie Durch

die Hülfe g an den unteren Enden gehalten, welche durch eine Feder f nach oben gedrüdt wird. I P.

Bornedme Gäfte. Ein ſehr elegant gekleideter Herr betrat eine3 der vornehmſten Reftaurant3 in Paris, wählte Béi einen bequemen Pla& im Speifefaale aus und bejtellte ein ausgejucht feines Mahl, das er, ſobald es aufgetragen war, mit der Miene eines Kenners verfpeifte. Er hatte

MEET

Mannigfaltiges. | 211 ö DD erde foeben jeinen Kaffee und ein Bläschen feinſten Likörs goë: nofjen und zündete fich gerade die dazu beftellte echte Ha— vanna, zu fünf Franken das Stüd, an, als eine gefchlojjene Droſchke vordem Reftaurant vorfuhr. Ein ſchwarzgekleideter, ernft blickender Herr ftieg aus und ließ Déi von einem der herbeieilenden Kellner zum Wirte des Lokals führen.

„Meinen informationen zufolge,” begann der Schwarz- gekleidete, „befindet fich augenblicklich hier in Shren Räus men ein von mir fchon feit längerer Zeit gejuchter Herr, der mit einer halben Million Franken flüchtig geworden it. Wollen Sie die Güte haben, mich durch die Räume zu führen, damit ich mich von der Anmelenheit des Verbrecherg überzeugen Tann. Ich möchte bei der Verhaftung alles un: nötige Auffehen, da3 ja auch Ihnen nur peinlich fein Tann, vermeiden.“ |

Natürlich führte der Wirt den Beamten fofort durch die Säle, und Taum hatten fie den Speifefaal betreten, als Der Bolizift den Wirt anftieß und, auf den behaglich in ſeinem Seſſel lehnenden Fremden mweifend, ihm zuflüfterte: „Dort fißt mein Mann! Um das Wild nun nicht kopfſcheu zu machen und um gleichzeitig alle Aufjehen zu vermeiden, fhiden Sie, bitte, einen Kellner hin und lafjen Sie ihm melden, fein Freund, der Baron R., bäte ihn, auf einen Augenblid herauszutreten.“

Der Wirt Iddie einen Kellner mit dem Auftrage zu dem Fremden, der ganz gelajjen aufitand, feinen Hut auf: fegte und "éi in den Korridor begab, wo der Schwarz gekleidete und der Wirt ihn erwarteten. AB er an den beiden vorübergehen wollte, legte der Polizift die Sand auf feinen Arm und fagte mit erniter Stimme: „Sm Namen des Geſetzes verhafte ich Sie! Folgen Sie mir ruhig, jo will ich von einer Feflelung abfehen. Andernfalls —“ damit z0g er ein Paar bligende Handfchellen hervor.

Der Fremde erbleichte, erwiderte fein Wort, ſondern folgte dem Beamten ruhig zum Wagen, der, nachdem beide eingeftiegen waren, fehnell der nächjten Polizeiftation zu— fuhr.

218 Brnitinifitengeß Ir

39 Realtek HBaëitotrbeouzi Dnttzäie ici re bagrëtëgarh eg! ei Geikigye pfr a kr dien (Gpgge) SëtborziaterSchrpéutsg na mett Dep: 2ottdi Sint tre Au gata ara here äieggteihrgeiéeg Werhtiftung eines Millionendiebes etwas wußte. Ebenfowenig war auf irgend einem anderen der Reviere, die alle fofort antelephoniert wurden, von einer folhen Verhaftung etwas befannt,

Man ftand vor einem Rätſel, das aber fchon geläft wurde, noch ehe der Wirt feinen Heimmeg angetreten hatte.

Es erfchien nämlich, gerade al3 er fortgehen wollte, der Befiter eines anderen vornehmen Reftaurant3 mit genau demfelben Anliegen im Bolizeibureau wie er. Auch er wollte einen Betrag von etwa 80 Franken einkafjieren für eine Mahlzeit, Die er einem Millionendieb, der gejtern abend in feinem 2ofal verhaftet worden war, geliefert hatte. Bei ihm war genau diefelbe Gefchichte aufgeführt worden, nur mit vertaufhten Rollen, denn diesmal hatte der Schmarz- gefleidete gefpeift. Der andere hatte ja Thon gegeſſen. Es braucht wohl nicht erft hinzugeſetzt zu werden, daß beide Wirte mit fehr langen Gefichtern abzogen. IM. e

Ameifendegräßniffe. In den Schriften der Linnefchen ` Gefelichaft zu London wurde ein Bericht über ein Ameifen- begräbnis abgedruct, welchen eine Dame, Mrs. Hatton in Sydney, eingefandt hatte, die diefem Begräbnis als Augenzeugin beigewohnt hat.

Die Dame hatte eines Tages ihren vier Kahre alten Knaben fchreien gehört und feinen Körper von roten Ameifen angegriffen gefunden, auf deren Neſt er "éi, ohne etwas zu ahnen, gejeßt hatte. Unter dem Beiftande einer Magd wurden die Angreifer abgefchüttelt und dabei etwa zwanzig Stüd getötet und auf die Erde geworfen.

Als die Dame nach einer halben Stunde wieder an die Stelle fam, fand fie die toten Ameifen von einer großen Anzahl lebender umringt. Sie entjchloß fich, deren weiteres Tun zu beobachten, und folgte vier oder fünf von ihnen, die fi) von den übrigen trennten und nach einem Hügel

i_ ON 1

ei EEE Herkküteit inneugfelhänein anddrsfichtend nach; ungoſöhe Séfdtrpfäieëitemarvgélouuëenbr gef. wieder dou bei, Sie ordneten fi) zu einem Zuge und Debëtcbiäräurëgg Butecwo Ai Gsfeuräilrétcg Tagen. Nach wantgeuo Miſmuten guhrlteatgwoid bbr Aıtiiewiddraugnund d bag Dei Rer og ER ihoerutoteri gaune rabemutcuf gcheſer·ffulgtenozu ahme Gei. md redet est Man toi Umeiſi audeſo eebe. ärëëeëlëunzélgdapoetb te ufreet, angetugehtkipiunag. Mie Brnzäfiton] beivoglen ſich Sedërt engl ogdn0 gege tg, ugeffägt mmit2dinsg mag giin gien Geteste So Am eiieg, Helepehttih Sept dies Seicheattéoend anoNindslegten den toben Vhörgeen wirbehjTggekheillitig mu Berinheidee der nhace u gehenten mubelarienn AAmoiſenniaujgſhoban sunnr, Kndid Jhaſigenfijr aecörit He Featuring ee, arrangieren ae. Ra ëng ide Behelg erbibegamirinahiälichet sh} diebſffahe nft efb Mile sje eën tal Did taden neigen Hnein- polegffiroequad ogauſpᷣ Fo gwisttenschräleitetsn 28 ärdte die Ameifengräber miebospoggogigéitpdakbignzag ftisdöonufs& ag HR dg geuf tue up einshefdflders BE rei ebe dg Duden Tee Hefe newer our ae doch die Alfa) da fsibierä wgtër fapkı hab ara brinndeke Begraͤblilsphage sine chije nitiotstgsimmderhahkeni,e reg dëte irren ucnis Weid Coit, ocCßr Sachn Mgbbog Anis bone SR ibn A Keinapälounet erf opze ſohesi notsbemnd Bofohiardrbie Sëëb dr'tgboratiammokvMstepg Whiie, ER Goijtlicher erneuern Heiden! Zëëletafwtonbtuëoimika Tea, Im nodisienp Re CH 128epät bericht ur enutein des NE der gemeintitigelded Wiciestärusiie insmiäsatohgs SU Bar fahrer ne BëtbäiaurAgettiégnberon- ginn Singer Wanurellumgizulszan. NWehnſcheig⸗ Here großon luſttepgungi gubo ESa gahlxiche Tute nate doihal en die. silber af nieder een: es ite! Brutt miedothede gotroogdoen dg eu diq der.

214 Drannigfaltiges.

EDDIE A AD ARD AD DD ee Dr unglüdten einer Grubenerplofion. Sie mußten daſelbſt liegen bleiben, da e3 offenbar unmöglich war, fie über die jteilen und glatten Wände ihres gläfernen Gefängniffes hinauszufchaffen.

Um die Ameifen bei ihrer Arbeit zu ftärfen, und weil er glaubte, daß fie Hunger litten, feste White drei feine ` mit Honig gefüllte Tröge aus Kartenpapier auf die Ober: fläche des Neftes. Aber anftatt über diejelben, mie fie ſonſt tun, gierig herzufallen, begannen fie Diefelben als Fried— höfe zu benußen und trugen ihre Toten hinein, fo daß nach drei Tagen in dem einen Trog 140 und in jedem der beiden anderen 180 Tote begraben waren. Ebenjo benutten fie leere oder mit Zuder gefüllte Pappkäſtchen und fchienen, folange fie Tote in ihrer Kolonie hatten, nur von dem Gedanken befeelt, He über das Weichbild ihres Nejtes hinaus⸗ zufchaffen, obwohl die Erfteigung der ſenkrechten Wände der Käjtchen für die Leichenträger nicht ohne Schwierigkeit war.

Dffenbar kennen die Ameifen die fchädlichen Einflüffe der von den verweſenden Körpern ausgehenden Dünfte auf die Gefundheit der Lebenden ganz genau.

Übrigens ift, mie derfelbe Beobachter verfichert, ihre Sürforge für die Lebenden Doch noch größer als ihr Reſpekt vor den Teten. Eines Tages traf er eine Arbeiterin, die eine tote Ameife aus dem Nejte trug, um fie zu begraben, und ihre Bürde niederlegte, um fich einen Augenblick au3» zuruhen. Während fie hierbei um fich blickte, bemerfte jie eine hilflos auf dem Boden liegende Larve, Die Durch irgend einen Zufall vergefjen fein mußte, verließ jofort den toten Körper ihres Kameraden und trug das zarte junge Weſen eiligft in den Bau. Ber Tote konnte warten, und fo heißt es alfo auch bei den Ameifen, troß al ihrer Pietät für Die Berftorbenen: „Der Lebende hat recht!“ C. T.

Kinderfindenidyll bei den Kwakiutlindianern. Ein Indianervolk mit originellen Sitten find die Kwakiutl, die im Norden der Vancouverinfel und an der gegenüberliegen: den Küfte von Britifch-Kolumbien wohnen. Sie leben von Fiſchfang und Jagd und Halten an ihren alten Gebräuchen

Mannigfaltiges. 215 OD —⏑ EDDIE AD ED ADD ADDED mit großer Zähigkeit fejt. Unfer Bild zeigt eine Indianerin diejes Stammes in doppelter Tätigkeit. Sie jest mit der ‚großen Zehe des rechten Fußes die Wiege ihres Jüngſten in fcehwingende Bewegung und ijt zugleich mit Spinnen

bejchäftigt. Die Kombination beider Tätigfeiten und Der ganze Apparat, mit deſſen Hilfe das fleißige Indianerweib ihr Kind wiegt, zeugt entfchteden von ungewöhnlicher In— telligenz. B. 9. Das. Fahrgeld nad) Brighton. Bon der 1896 zu Berlin geftorbenen berühmten italienifchen Sängerin Giulia Griſi

Eine Wiege bei den Kwakiutlindianern.

Cut miss D gen Kmskimugıynein”

216 Dannigjaltiges.

DD DADIED ADDED AD AED AD AD ED ED AED DT DD

erzählt der englifche Smprefario der Künjtlerin Wilbert Beale in feinen „Erinnerungen“ folgendes heitere Gefchicht- chen. Die Künjtlerin empfing für ihr öffentliches Auftreten befanntlich geradezu fürftliche Honorare, aber fie hatte, vom Wert des Geldes gar feinen Begriff. Handvollweife pflegte

De Gold und Silber, wie es gerang ohne jemals zu zählen. Der, | ernste Vorftellung guy Das tat e denn

Be, A3 n ‚hatte = J A 8 | "P GC 3 RER FIT m ER Y | e

"ët

Ae

dr:

eale meldete Tich und empfing ein Teleguraman vote Ddverdiod (item Det zip: fipiartieigte, ditsrerriägen, Richter Stat ART de Där Orbit GE E déng FE rihrel Reese ähe eben

habe? Lachend ſteckte Beale das Telegramm in De Zélie, EHE Meder "eier Oroſchbed 9 (fen iech Se Am eréiu To rgrnr hatke oobcithtbauui evbtbgé: d ëng: Biuäebte

Mannigfaltiges. Cl Kee ee Ee ee ee, eebe eebe Zen rn und ein Telegrattin ee TAT Arne EIER elle (tel EE freën Aether aas ehen wollte, erfchien, ei ET Eee A Geet —— CHR, Sté, tte arte gegihenſ⸗ Hirtl BAM digiekfegeld ët. EB SCH InsWerlige HAT Ei ren hf? "aitipms mis 1960 Tpimmag madam eer ECH RU 81 deg, Sail. lich Ruhe vor den Telegrammen und ET ee ee RE ihm gäe ——— sëng di Alan ÉITER TERROR dern SET vi gung Ile Sangpugen TS A ee Dip Gg ae Bee —— De lge

"01100 NH ea en Seärda

aber Armlich gekleideteMabthon Wu 8 Wl UR 50

Kate SEN © 3 08 ee ee Pr Zeck od SE r ende nern ti Sai ac ag —— SE ERC

SE Se He awa AN

E EI SECH? Ee Se Se SS Di II Sl Kabeln

dëaiatag Ama, poli IR eye, De 3 Me Doud Ia el —— (iR,

bk dP Här dan GH EN Here —— TORE RT TEE ——— He Hart Koseng SE RAD elt ä Dap ug num ml and jaitalanp

218 DMannigfaltiges. DIRDERDERD ERDE DD EDDIE DER RD AD DDr De Dee Dex DD

Der alte Herr nahm dem Friſeur die Schere aus Der Hand, wählte forgfältig ein einziges langes Haar aus und fchnitt e8 ab. Er barg e3 in feiner Brieftafche, dDrüdte Dem vor Überrafehung fprachlofen jungen Mädchen freundlich die Hand und verließ den Laden.

Debt ert blickte daS Mädchen auf die Banknoten. Es waren zwei Noten zu je hundert Franken. Zmweihundert Franken für ein einzige3 Haar! Der Mann müßte ent, weder verrückt oder ein englifcher Lord fein, meinte ärger- lich, daß ihm das gute Gefchäft jo plößlich entgangen war, der Frifeur.

Das Mädchen eilte hinaus, um dem gütigen alten Herrn zu danken. Sie erfpähte ihn noch, als er gerade in ein vornehmes Hotel ganz in der Nähe eintrat. Den Bortier des Hotel3 befragend erfuhr fie, daß der alte Herr weder ein Verrücter noch ein englifcher Lord wäre, fondern ein deutfcher Gelehrter, Alerander v. Humboldt mit Namen, der in politifeher Miffion in Paris weile. W. St.

Goldene Hodzeitsfeiern. Das Felt Der goldenen Hoch- zeit ift an und für béi fchon eine Seltenheit, da es in uns ferer rafchlebigen Zeit nicht vielen Ehepaaren bejchieden ift, fünfzig Jahre zufammen zu leben. &3 gibt aber eine Menge Menfchen, welche daS Bedürfnis haben, dieſes feltene et nod in befonderer Weiſe zu feiern, um ihrer Eitelfeit oder ihrer Sucht nach Abfonderlichem Genüge zu tun. So hat im Jahre 1897 in Magdeburg ein Wafenmeifter, der gleich- zeitig das Amt eines Henkers verfieht, feine goldene Hoch- zeit zugleich mit Der filbernen Hochzeit feines Sohnes a: fammen gefeiert; um da3 Felt würdig zu begehen, hatte er alle Rafenmeijter aus ganz Deutfchland eingeladen, und nicht weniger al3 230 waren diefer Einladung gefolgt.

Sn demfelben Sahre, und zwar im Auguft 1897, feierte der Schweizer Fremdenführer Chriftian Almer in Grindel- wald feine goldene Hochzeit in einer höchſt abfonderlichen Weife. Seine Frau war noch nie auf einen Der Gipfel gestiegen, zu deren Höhe Almer fo oft die Fremden hinauf: geleitet hatte. Um nun zu zeigen, wie fräftig er noch Ier,

Dannigfaltiges. 219 AD AD AD ED ED ED ED rd re Dr trug Almer feine Frau huckepack zu einer Höhe von 3000 Meter empor, wo er von einer großen Anzahl von Bergiteigern erwartet und gebührend gefeiert wurde.

Ein gemwiffer Johann Dorman lernte al3 junger Menfch in einem Pariſer Gefängnis feine Braut fennen, und nad): dem er fie nach der Entlaffung geheiratet hatte, zog er mit ihr nach Amerika. Als das Paar beinahe fünfzig Jahre oer heiratet wor, befchlofjen fie, Die goldene Hochzeit gemein- Jam im Gefängnis zu feiern, und zwar in einem Barifer Gefängnis. Sie reiften alfo nach Baris, begingen bier eine leichte Gejetesverlegung und wurden zu einigen Tagen

KA ngnis verurteilt. Ihre Abſicht aber wäre Tat nicht Ausführung gelangt, da ja Männer und Frauen in ee Gefängnifjen ihre Strafe abbüßen mülfen; Dorman reichte daher jchleunigft ein Geſuch bei der Be- hörde ein, damit er, um feine goldene Hochzeit richtig zu feiern, mit feiner Frau zufammen eingefperrt würde. Mit Rüdfiht auf den fonderbaren all wurde feinem Wunſche Genüge geleiftet.

Ein gemwiffer Santle, ein Farmer in Vorkihire, feierte feine goldene Hochzeit durch ein. großes Preisringen. Er war felbjt noch vorzüglich bei Kräften und in feiner Jugend ein berühmter Preisringer gewejen. Er erflärte fich bereit, an feinem Hochzeitstage mit fünfzig jungen Leuten zu ringen, und zwar würde er für jeden nicht mehr al3 zwei Minuten brauchen, um. ihn zu Boden zu werfen. Jeder, der an dem Preisringen teilnahm, follte eine Summe von fünf Dollars einzahlen. Neunzehn Gegner hatte Gantle bereits geworfen, al3 er mit dem zwanzigjten Unglüd hatte. Er glitt aus, ftürzte und brach fi) das Schlüffelbein. Auf dieſe Weife war das Preisringen zu Ende.

Ein gewiſſer Richardfon, ein alter Seiltänzer, feierte feine goldene Hochzeit in Springfield im amerifanifchen Staate Illinois auf folgende Weife. In der Nähe des Ortes Springfield geht eine Eifenbahnbrüde in Höhe von 180 Fuß über einen Fluß. NRichardfon machte ſich on: heijchig, feine Frau am Tage der goldenen Hochzeit in einem

Rëm SES —— pm * nn guarantee dd (Gin gg got aéi H er obere uses Beratende au) um a tee ett are alinekeimenjsund IHR ac Vettiel gt BedäAngi agent vntte, Bag "tat l Bag Gang Sift oppen wit ae a dog oi bſbſingeno kanae. aa der Drhab⸗ Weu mern UST bots uadejoiſ E TE acu fuſz elfen. onis e E RR 918, VëcirgttHp. Burma —e— pl eſonhele golbonenl igachett.di cv ee⸗ RT TORE TANTSEHR Attessvonosoloc wurrd Dip tren, ` Anette er are ur ea

ef EC doioSpeiſſen; rien ee

ia; Em gpgr cap En keb rih ateni Vußien de alkchſten —— drei Goldbräutigame, eine ZofääliZeg hend arkirdfh Beeren daveyrguffuhrung GE eng E ges Dao Indien omel 19 een lg hragmer E ehem MIET ed Uër user nn oe] ne igeoßzel moccen beta m Baam Gite 19868, SERGE gie däi Ee mae, eVgaßeocſk RAR CFTMRRE- el: Fi ee GE IYas- gt 5dr VRR TRFTA URN UI 20: Athen giagifr Beonktilen worden, von DEREN FRE HERRN SHE Re sigäitieh E ng WA Ar- dd TE % ai ER MEERE. I REN 28009! dütncëignndén Bra, de So a Act Bëlä7gä PN d een 880 mein? een Burner vie

Minnigſltige ` REECH den edifrejlichas äi oi bëunftoiäreeitg rich inne wordecder Mochoſchaſſiin rgebtich"Tchön vor taufend Jahren abgebaut, "und das ift auch nicht unglaublich, Do das aus Kiefel und Magnefia beftehende Material früher noch zu vielen anderen Dingen als zur Herjtellung von Pfeifen- föpfen benußgt wurde. Der Meerjchaumbergbau bei Menlon fol fogar ſchon zweitaufend Jahre zurüdreichen. Die Ar: beiter find meift Berfer und Kurden. Eine Gruppe von drei bis fünfzehn Leuten hackt zunächit ein Loch von etwa einem Meter im Durchmeſſer in den Boden und gräbt dann weiter einen Schadt, bis fie auf eine rote tonige Schicht jtößt, unter und in der gewöhnlich der Meerjchaum zu finden ut. Sie wird zumeilen ſchon in wenigen- Metern Tiefe erreicht, met aber erjt in 20 bis 40 oder gar 60 Metern.

Die rote Erde enthält Meerſchaum in nierenfürmigen oder unregelmäßig gejtalteten Knollen von der Größe einer Walnuß oder höchftens eines Apfels. Die eigentlichen Blöcke werden erſt aus bejonderen Gängen herausgeholt, indem oft unter großen Schwierigkeiten lange Stollen in den reien Ton getrieben werden. Sn jener Gegend, it an manchen Stellen der Boden ſchon derart unterwühlt, daß die verfchiedenen unterirdifchen Gänge ineinander übers gehen. |

Die Meerfhaumblöde werden von den „Lulidjchi3” ge: fauft, von den Pfeifenfabrifanten in Eskifchahr, von denen ` immer an 150 auf dem Markte zu erfcheinen pflegen. Vor der Verarbeitung muß der rote Meerfchaumblod gereinigt werden, wa3 einfach durch Abfragen der äußeren Schicht mit einem Meſſer gejchieht; über taufend Menfchen find dauernd damit beichäftigt. Nach der Reinigung werden die Blöcke nach ihrer Größe und Gite in vier Klafjen getrennt. Dann werden fie weiter verkauft an die Händler und Agenten in Eskiſchahr. Dieſe paden die Blöcke mit großer Vorſicht und Sorgfalt in Baummolle ein, jo daß fich Die Stüde nicht gegenfeitig ftoßen und reiben können. Im Handel haben die vier Klafjen des Meerfchaums bejondere Namen: Tiramali, Biremberlif, Pambukli und Dakme. Der

22% Mannigfaltiges.

ee Ee ee ED DD De DD DD DD De Dede jährliche Ertrag der Meerſchaumbergwerke beläuft fich auf 1200 bis 1500 Doppelzentner. Der Meerfhaum von (Gë: fifchahr fteht in Europa fehr hoch im Preife, fo Daß die Bergmwerfe bei jparfamer Ausnutzung dem türkifchen Staat viel Geld einbringen können, zumal fie auch heute noch al3 unerjchöpflich gelten. 8.0.8.

Berfebltes Inkognito. Der KRomponift Leoncavallo fam eines Tages durch eine füditalienifche Stadt und las an den Anfchlagfäulen, daß an dieſem Tage feine Oper „Bajazzi” gegeben würde. Er befchloß, der Vorſtellung infognito beizumohnen, und Taufte fich Abend3 einen Parkett: platz. Neben ihm Hatte eine hübfche junge Dame Plab genommen, der es bald auffiel, daß er fih nicht an dem allgemeinen Applaus beteiligte, fondern ruhig "ben blieb. Nach einiger Zeit wandte fie fich om ihn mit den Worten: „Barum applaudieren Sie nicht? Gefällt Ihnen die Oper nicht?”

Leoncavallo, dem dieje Frage viel Spaß machte, ers widerte: „Offen gejtanden, nein; ich muß fogar jagen, fie mißfällt mir. Sie ift offenbar da3 Werk eines Anfängers, um nicht etwas Schlimmeres zu jagen.“

„Wenn Sie das behaupten, mein Herr, dann haben Sie keine Ahnung von Muſik,“ erklärte die Dame. `

„Sehen Sie,” jagte er und ſummte eine furze Melodie vor fich hin, „dieſe Melodie ift aus Mozart geftohlen, das ift aus Bizet und das von Beethoven.“

Kurz und gut, er zerriß die ganze Oper in Feben.

Seine Nachbarin fah ihn forfchend an und fuhr dann fort: „Iſt das, was Sie mir gejagt haben, wirklich Ihre aufrichtige Meinung?“

„Gewiß, meine ganz aufrichtige,” lautete die Antwort.

„But,“ verjegte Die Dame und verließ mit ironiſchem Lächeln das Theater.

Als der Komponift am nächſten Morgen die Zeitung durchflog, fiel fein Blid auf einen Artikel „Leoncavallo über feine Bajazzi“, und zu feinem großen Erftaunen las er alles, was er der Dame am vorigen Abend über fein

Diannigfaltiges. 2933 DD Dr Dr ED re Dre re Dee Dre De De eigenes Werk erzählt hatte. Seine Nachbarin, die ihn ganz genau erfonnt hatte, war mit der Kritik feiner Oper beauf- tragt gemejen. gn

Ein Romanſchluß, der ein Menfhenleden rettete. Ein fürzlich verftorbener Schriftfteller hatte einen längeren Roman gefchrieben, der inı Feuilleton einer Zeitung Aufnahme fand. Eines Tages erhielt der Verfaſſer den Befuch eines Predigers, der ihn, fogleich auf den Zweck feines Erſcheinens kommend, fragte: „Haben Sie auch Toon den Schluß des Romans verfaßt, der jebt im Tageblatt veröffentlicht wird?”

„Gewiß,“ antwortete der Schriftteller.

„Stirbt die Heldin zum Schluß?” fragte der Prediger weiter. |

„Sa, fie ftirbt an der Schwindfucht. Nach den von mir genau befchriebenen Symptomen Tonn fie faum am Leben bleiben.“

„Sie müſſen fie aber doch leben laſſen und den Schluß ändern,” bat eindringlich der Prediger. Und auf die Ent- gegnung des Schriftitellers, daß fich das jeßt nicht mehr tun lafjen werde, fügte er hinzu: „Sie müfjen e3 tun! ch habe eine Tochter, die alle die Schwindjuchtsfymptome, die Sie bejchreiben, hat und jede neue Fortjegung Des Romans mit Spannung erwartet. Moien Sie nun das junge Mädchen in der Erzählung fterben, jo wird meine Tochter, da die Gefchichte einen fo tiefen Eindrud auf fie gemacht hat, wahrjcheinlich ebenfalls fterben. Der Ausgang Ihrer Erzählung entfcheidet aljo über ein Menfchenleben.“

Als dies der Verfaſſer hörte, verfprach er, die Änderung vorzunehmen, derzufolge da3 von ihm gefchilderte junge Mädchen "éi erholte und glüdlich wurde.

Und in der Tat auch die Tochter des Predigerd über: wand die Krankheit, verheiratete jich und wurde eine ge- funde und glüdliche Frau. 8. €.

Die Anfänge von Monte Earlo. An feinem o: deren Beijpiele fong man fo augenfällig die Macht eines Laſters zeigen ald an dem Fürftentum Monalo, das in 30 Jahren aus einem elenden Dorfe von faum 600 Ein-

224 Mannigfaltiges.

DDr ED DDr DDr De De Dr ED Dre Dre De DereD wohnern zu einem weltberühmten Plage herangewachfen ut. fo reich und ſchön und anziehend wie wenige Orte der Erde.

Schon im Jahre 1002 ließ fich der erite Grimaldi auf dem Felfen von Monako nieder, und bis zum Jahre 184€ herrſchten die Grimaldi als Fürften über ihr Land, da3 Die drei Städte Monalo, NRoccabruna und Mentone umfaßte, 3 Meilen lang war und eine mittlere Tiefe von 300 Meter hatte.

Sie regierten unter dem nominellen Schuße der Könige von Sardinien. Da He fich in ihren Adlerneſtern tödlich langmweilten, jiedelten fie aber fchlieglich nach Paris über. So Tom zum Beifpiel der Großvater Karls IL. der das Spiel einführte, nie in fein Land. Er hatte feine Städte an einen Intendanten namens Chapon verpachtet. Um fein Pachtgeld beizutreiben, zwang Deler die Einwohner, fich. ausfchließlich aus feinen Getreidelagern mit Weizen oder Mehl zu verjehen. Diefe indirekte Steuer wurde mit graus famer Strenge beigetrieben. Dabei waren natürlich die Verkaufsprodukte des Intendanten die denkbar jchlechteften.

Nach dem Tode Honorius’ V. (1841) wollte deſſen Sohn und Nachfolger Floreftan I. feine Staaten befuchen. Er fand die Gemüter feiner Untertanen in ſtärkſter Erregung gegen den Intendanten. Diejer juchte fein Heil in Der Flut, und Florejtan I. verjchenkte auf dem öffentlichen Plage 12 Fuder Wein und verteilte unentgeltlich Weißbrot; fo beruhigte er feine Untergebenen.

Zugleich fchaffte er alle Steuern ab, führte fie aber nach und nach wieder ein, Denn er war ein armer Mann. In Baris konnte er ſich nicht mehr über Waffer halten. So befchloß er denn, in feinem Schloffe zu Monako zu wohnen. Diefes Schloß aber, welches die Bejucher heute mit feinen prächtigen Galerien und feinen ftolzen Türmen entzüdt, war damals einer Ruine ähnlich. Die Tore jchlugen im Winde, dureh Dachriffe ob der Regen in die Zimmer, und in den Hallen nijteten die Vögel in voller Sicherheit.

Das Land felber aber bot ein einziges, unvergleichliche3 Schaufpiel. Die Felfen, Die e3 gegen Norden fchirmten,

Mannigfaltiges. | 225 Ee Eeer Bee eege Ee D DDr ED re De ECH oben auf einen Wald von Drangen: und Zitronenbäumen nieder. Silberblättrige Dlivenbäume, Magnolien und Dieandergebüfhe wuchſen an den Gebirgsbächen. Den Strand entlang lag ein Dubtend einfacher Landhäufer im Schatten der Syfomoren. Rechts ragte die große Mauer der Turbie empor; lint3 leuchteten die weißen Häufer von Bordighera aus ihren Yorbeerhainen blauduftig herüber ein Paradieſeswinkel!

Noch war Floreftan I. befchäftigt, fein Schloß zu rejtau- rieren, als die Revolution von 1848 fam. Die Völker er: hielten Berfafjungen, fogar Sardinien und die päpftlichen Staaten.

Auch Floreftan glaubte dem Beifpiele feiner fürftlichen Kollegen folgen zu müffen und gab, um anzufangen, feinen getreuen Einwohnern von Mentone und Roccabruna eine liberale Verfaffung. Die Einwohner von Monako mußten nod warten. Am Abend aber nach allen Zluminationen bewiefen ihm feine Frau und feine zmei Minifter, daß er jet der Sklave feiner Untertanen fei und das göttliche Recht der Herrfcher verlegt Habe. Floreſtan ſah es ein, und am anderen Morgen verkündeten Plakate in Mentone und Roccabruna, daß die Verfaffung wieder aufgehoben Ter.

Die Einwohner revoltierten jet, und eine Abordnung ihrer Bürger ging zu den fardinifchen Minifter Cavour und bat um Annexion der zwei Städte. Diefer lehnte ab, da Monako nicht dabei fei. Nun erklärten fich die beiden Städte felbjt für unabhängig, optierten aber etwas fpäter bei der Annerion von Nizza durch Napoleon III. für Frank: reih. Sie find auch heute noch franzöfifch.

1856 jtarb Florejtan und hinterließ die Krone feinem Sohne Karl IL der das Spiel in Monalo einführte.

Diefer Karl III., der als blinder Greis im Jahre 1889 geftorben ift, war zu jener Zeit ein fchöner, ſtolzer Kavalier mit abenteuerlichen und verfchwenderifchen Launen. Er liebte e3, in prachtvoller Uniform, umgeben von einem: fürftlichen Gefolge, zu paradieren. Napoleon III. Taufte ihm, troß des WPlebifzit3 der Bewohner, nochmal3 Die

1904. VI. 16

%

226 Drannigfaltige®.

ee Ee Ee Ee Ee ED EDDIE ED ED ED ED Ee ee Dre beiden Städte Mentone und Roccabruna um Die Summe von vier Millionen Franten ab.

Diefer unverhoffte Goldregen Tom dem Fürjten jehr ge- legen. Set konnte er fich einen Hof halten und fein Ahnenſchloß wiederherftellen. Aber er hatte auch begriffen, daß die Einkünfte von einem Dorfe mit 60 Häufern ihm nie genügend fein würden. Er fchrieb daher an die da— maligen Spielunternehmer und jchilderte ihnen die Vor: teile, welche fein Kleines Fürftentum ihnen bieten würde.

Das Kapital jedoch hatte Ten Vertrauen zu ihm, und es dauerte ziemlich lange, bis er einen Pariſer Kapitalijten fand, der mit dem unternehmung3luftigen Fürften oer: ſuchen wollte. Er hieß Daval und landete mit einem Kleinen Bündel Taufendfrantenfcheine.

Aber er machte ein jehr trübes Gefticht, als er das Kleine, winfelige Städtchen jah, und die Anfänge waren auch recht ſchwierig. Daval mietete ein Haus gegenüber dem Schloffe. Es jteht heute noch und dient als Kaferne für die Leib- garde des Fürften. Ein Saal, der 5 Meter breit und 20 Meter lang war, enthielt zwei Roulettetifche und einen Tiſch für Trente-et-quarante Zumeilen Tpielte ein feine? Orchefter im Nebenzimmer. Der Eintritt war frei für jedermann. Die Croupiers refrutierten fich aus ehemaligen Kellnern aus Nizza. Als Spieleinheit galten Spielmarfen von zwei Franken, die man am Eingang an einem Schalter faufen Tonnte Die Einſätze waren Ten, und wenn Die Bank fein Geld mehr hatte, hörte man einfach auf. Pie reichen Spieler, die Gäſte der großen deutfchen Spieljäle zu Homburg und Baden-Baden, fanden Déi nicht zurecht in Dieler Umgebung, da auch das Oort Teinerlei Komfort bot. Die Wirtfchaften waren ſchmutzig, und das einzige Hotel daſelbſt jah niemals einen Gaſt zum zweiten Male eintehren. Man mußte fchon von der blindejten Leiden- Ihaft des Spieles ergriffen fein, um von Nizza aus auf einem fchlechten Schiffe in diefes Neft zu kommen, wo fein gutes Glas Bier und fein reinliches Bett zu haben war.

So kam es, daß troß aller Reklame durch ganz Europa

Mannigfaltiges. 2327 EDDIE DREI Ee DD DD DD De DDr Dr ed das Unternehmen nicht gehen wollte. Daval zog fich bald zurück.

Aber der Anſtoß war gegeben, und es kam auch gleich ein neuer Unternehmer, ein Herr Lefebvre, mit dem Gelde einer Madame Grivois.

Das Spiel begann von neuem, höher und ſolider. Jetzt waren immer 30,000 Franken in der Bank, und würdige Snipeftoren überwachten das Ganze. Ferner ging zweimal am Tage das Dampfichiff Carlo II. nad) Nizza, um Die Spieler hin und her zu befördern. Der Fürft felbft Tom jede Woche ein paarmal und febte einige Spielmarfen.

Nach Berlauf einiger Monate hatte man den Weg nod Monako ſchon beifer finden gelernt: man kam von Marfeille, von yon, von Genua und Turin. Der Name Monako Hang im Obre, und die Reifenden fchilderten Das Land in den ſchönſten Farben. Dann war die franzöfifche Polizei de3 zweiten Raiferreiches auch unerbittlich gegen bie Hafard- ſpieler und trieb die reichen Südfranzofen förmlich ins benachbarte kleine Fürſtentum.

Herr Lefebvre und Madame Grivois merkten, daß das . Unternehmen ſich ausdehnen müſſe. Sie beſchloſſen alſo, ein großes Kaſino zu bauen. Monte Carlo erſtand auf den Felſen.

Auf dem Bauplatze ſtanden drei Hütten. Sie waren in acht Tagen niedergeriſſen, und dann wurde fieberhaft ge— baut. Das Bauterrain war ſo billig, daß der damalige Bürgermeiſter von Monako einem Freunde gegen ein Mahl von zwölf Gedecken jene Bodenfläche abtrat, auf der das Hotel Beau-Rivage erbaut iſt. Heute ift der Quadratmeter davon 800 Mark wert.

Die Grundmauern des Kaſinos ragten eben über die Erde hervor, als ‘die Direktion Lefebvre-Grivois fich zurüdzog, um dem eigentlichen Begründer von Monte Carlo, Herrn Blanc, Pla zu machen.

Das war im April 1868.

Herr Blanc Tom von Homburg, wo cr al3 Spiels pächter ein Vermögen von 20 Millionen erworben hatte.

298 Mannigfaltiges.

7 en} EDRD-ED ADD De DD Klein, ſchwächlich, fkrofulds, wie er war, flößte er erft dann Zutrauen ein, wenn er über Befchäfte redete. Dann war er übermältigend. Er befaß im höchſten Grade die Babe, ein folches Unternehmen zu leiten. Vol Sntelli- genz, begabt mit einer leichten Auffaffungsgabe, über: ließ er nicht3 dem Zufall, fondern er verließ fich jtet3 auf feine prompten Entjchlüffe und feine energijche, zielbewußte Leitung.

Zuerjt zahlte Blanc dem Fürſten 1,700,000 Franken bar aus. Dann verpflichtete er fih, für 7 Millionen Arbeiten ausführen zu laffen. Ferner übernahm er die Erneuerung des Schloſſes und bezahlte die Steuern für alle gegen wärtigen und zukünftigen Untertanen de3 Fürften.

Von feiner Seite aus bemilligte der Fürſt eine lang: jährige Konzeftion, die ihm, im Falle eines Bruches, das Gigentumsrecht über alle® bewegliche und unbemegliche Vermögen des Unternehmens garantierte. `

Mit einem Schlage ftrömten nun Die Kapitalien nad) diefem vorher kaum gefannten Fled Erde. Die Baupläbe stiegen fchwindelhaft im Preife mit jedem Jahr. Elegante Häufer und große fomfortable Hotels wuchjen aus dem Boden. Die gärtnerifchen Anlagen wurden mit den feltensten tropischen Pflanzen Tünjtlerifch geiert,

Der erite Saal, der in Monte Carlo eröffnet wurde, ift der große viereckige Raum mit orientalifcehem Gepräge, in dem jeßt die Roulettetiſche ftehen. Er beſtand zuerst allein und war immer [hmußig wegen der ewigen Maurerarbeiten um ihn herum.

Nach dem Kriege von 1870 baute Charles Garnier, der Erbauer der großen Oper in Paris, das Theater. Blanc ſchoß ihm dafür 5 Millionen vor. Serner erbaute er den erſten Saal für Trente-et- -quarante mit feinen fchönen Wand: gemälden.

Die Eifenbahn, welche bereits 1868 eröffnet wurde, garans tierte Monako definitiv eine glüdliche Zukunft. Sie führte von Nizza bis Bentimiglia und Eoftete ſchweres Geld, denn fie zählt auf ihren 18 Kilometer Länge 12 Tunnels. Sie führte

Dannigfaltiges. 229 DD DDr DD DD DE Dre DE DE Dr ED Dr DD ee D eine jtetig wachjende Zahl von Befuchern herbei, welche Stammgäjte wurden, und Die fich in jeder Saifon über neue Schönheiten im Fürftentum- freuten. Die Parkanlagen waren einfach paradieſiſch, und die Hotel3 und Schlöfjer klommen wie Adlernefter die Felfen hinan.

Neben der Eifenbahn war auch der Krieg von 1870 ein Grund diefes unerhörten Auffehwunges. Die Franzoſen blie- ben den Spielfälen von Homburg und Baden-Baden Ier Die enormen englifchen und franzdfifchen Kapitalien wandten fi von den zwei deutfchen Badejtädten nad) Monafo. Das Unternehmen wuchs ins Kolofjale, und da, hatte Herr Blanc zwei tüchtige Hilfskräfte an feiner Seite.

Zuerjt jeine Frau, die er von Homburg mitgebracht hatte und die in der Gegend von Homburg in einer Nieder: lofiung ausgewanderter franzöſiſcher Hugenotten geboren war. Sie war, wie man Saat, eine Frau von großer In— telligenz und Herzensgüte. Mit vollen Händen jchöpfte He aus dem überquellenden Becher das Gold und trug e3 den Armen und Elenden mit tröftendem Worte zu. Die zweite Hilfsfraft war der Kapitän Doineau, den Blanc zum oberjten Leiter der Arbeiten ernannte. Diejer Kapitän Doineau genoß unter dem Kaiferreich eine ziemlich traurige Berühmtheit. Er war Militärbeamter in Algerien gewejen und hatte wie ein gemeiner Bandit eine Poſt überfallen. Ein Neifender war getötet, mehrere verwundet worden. Doineau Tom vor ein Kriegsgericht und wurde zun Tode verurteilt.

Die wirkliche Wahrheit über den Fall erfuhr man nie. Er wurde vom Kaifer begnadigt unter der Bedingung, Dot er Frankreich verlajje. So Tom er nah) Monako. Durch feine große Gejchäftstlugheit leiftete er Blanc bedeutende Dienjte. Dazu übte er einen gewaltigen Einfluß auf die italienischen Arbeiter aus. Doineau leitete alles, trieb alles vorwärts und wollte Monte Carlo zu einem Zauberichlojje machen.

Zu feinem Unglüd fiel er eines Tages bei Carlo II. in Ungnade. Der Fürft war jet nicht mehr der Herrjcher

2330 Dannigfaltiges.

Eeer ee DD Dr De Dre DD ren DD ne DD über 600 Bauern; er war ein fehr reicher Potentat geworden und regierte in einer berühmten Hauptjtadt. Das Unab- hängigkeitsgefühl und der Eigenfinn Doineaus beleidigten ihn. Er entließ ihn alfo und bot ihm 60,000 Franken Ent: ſchädigung. Doineau wies He ftolz zurüd, Einige Zeit danach trat Doineau noch. einmal an die Öffentlichkeit, denn er war der Haupthelfer des Marjchalls Bazaine bei Geen Entweichung von der Inſel Sainte-Marguerite bei Cannes.

Doineaus Fortgang hielt den Auffchwung nicht auf. Die Häufer wuchſen auf das franzöfifche Gebiet hinüber. Auf den Terrafien gingen die Berühmtheiten der ganzen Welt fpazieren, und im Theater traten die erjten Künftler und Künftlerinnen der Welt auf.

Keden Morgen brachte die Bank 150,000 Franken an bie Tiſche für Trente-et-quarante und 80,000 Franken an Die Roulettetifche mit. Die Bank wurde nie mehr geiprengt. Wenn nichtS mehr von den 150,000 Franken da war, drüdte der Partiechef auf eine elektrifche Klingel, und ein neuer Goldſtrom Top wieder heran.

So ijt e8 geblieben. Die Gemwinneinnahmen des Kafinos gingen progrefjiv in Die Höhe. Heute haben fie die Summe von 25 Millionen Franlen erreicht.

Ziele enorme Summe dient dazu, die Voten de3 ganzen Fürftentums zu bezahlen: Einnahmen des Fürften, Beamten: gehälter, Dividendengelder u. f. w. Die Aktien jtehen noch auf der ungeheuren Ziffer von 3500 Franken. Dr. Witry.

Der Fhotographieapparat im Spazierflod. Seit der Erfindung der Bromfilbergelatineplatten Tonn man in Tebr furzer Zeit photographifche Aufnahmen machen; fie laſſen Déi für den Handel im Borrat anfertigen, und gerade diefem Umftand hat die Liebhaberphotographie ihren großen Auffhwung zu danken. Das Mitführen der mit Brom: filberemulfion überzogenen Glasplatten erwies Déi aber auf Meilen wegen des beträchtlichen Gewichts und der Zerbrech- lichfeit der Gläfer Doch al3 jehr unbequem. Das führte zur Erfindung der fogenannten „Films“, Gmulfionshäuten, bei denen als Träger für die empfindliche Schicht an Stelle

Mannigfaltiges. 231

DIDI II II

des Glaſes durchfichtige biegfame Häute benußt werden. In der Regel wird Zelluloid benußt, das die Stärke und Biegfamkeit von dickem Papier befist und in zugefchnittenen Blättern verwendet wird, oder man fertigt dünne Kollo- dium- oder gegerbte Selatinehäute an, überzieht ne mit Bromfilberemulfion und rollt Te über Spannrollen, für die man in den Reife: apparaten die Roll- kaſſetten konſtruierte. Mit Hilfe dieſer Films hat man es jetzt glücklich ſo weit gebracht, in den Griff eines Spazierſtockes einen kleinen photo— graphiſchen Reiſe— apparat hineinzukon⸗ ſtruieren. Der Griff hat, wie unſere Illu— ſtration zeigt, die Form einer Krücke. Im kurzen Ende derſelben befindet ſich das Objektiv, im eigentlichen Griff die Rollkaſſette. Auf jeder Rolle befindet ſich Film für fünfundzwanzig Aufnahmen von der Größe, wie fie unſere zweite Abbildung, die Photographie eines Seeſchiffs, wie- dergibt. 9. M. Mufikalifhe Spitzbuben. Fortichritt ift die Loſung bei allen Unternehmungen heutzutage. Ein jeder Menſch, er mag ein einfacher Handwerker oder ein Fabrikbeſitzer fein, der über Hunderte von Arbeitern verfügt, ſucht fich in feinem Fache zu vervolllommnen, um jo mit bejjerem Erfolg feine Konkurrenten bejiegen zu können. Dies Bejtreben herricht in allen Schichten und Kreifen der Bevölkerung der Erde und nicht zum geringiten in den Kreifen der Spitzbuben.

Der Kamera-Spazierstock.

233 Mannigfaltiges.

ID DDr DD 3 Dieſe Sorte Menſchen, die gegen Recht und Geſetz kämpft, und auf jede nur mögliche Weiſe ſich das Beſitztum anderer Leute anzueignen ſucht, wendet geradezu erſtaunliche Mittel auf, um ihre Zwecke zu erreichen. So wurde kürzlich in Paris eine Verbrecherbande verhaftet, die ihre Einbrüche in den vornehmſten Stadtteilen unter den Klängen ganz vorzüglicher Muſik ausführten. Während ſie vor den Häuſern ihre Weiſen erklingen ließen, raubten die Spießgeſellen der Muſiker ungeſtört die leer gewordenen Räumlichkeiten aus. Der Anführer der Spitbubenbande war ein Staliener namens Ferrari, der in Neapel Dirigent einer Muſikkapelle gewejen war. Er engagierte eine Anzahl tüchtiger Muſiker, die er, in Frack und weiße Binde gekleidet, vor die Türen der vornehmiten Häufer führte. Durch fein ficheres, ge: mwandtes Auftreten veranlaßte er den Portier des Haufes, ihn in den Garten hereinzulafjen, um nicht auf der Straße fpielen zu müfjen. Dies gelang ihm faft immer, und bald lockten die Klänge eines ausgezeichnet ausgeführten Konzerts Die Bewohner des betreffenden Hauſes, Die Dienerfchaft ein- gefchloffen, an Fenjter und Türen. Die Kapelle fpielte nur die ausgefuchtejten Stüde und vor allen Dingen längere Piecen, fo daß den Helferähelfern Zeit genug blieb, die oer: laffenen Räumlichkeiten einer gründlichen Plünderung zu unterwerfen. Nach einem vorher genau beſtimmten Zeit- raum beendete der Kapellmeijter jein Konzert, nahm mit einer tiefen Verbeugung die gewöhnlich gar nicht gering bemefjene Belohnung für den bereiteten Ohrenſchmaus ent: gegen und verfchwand Am Laufe von etwa drei Monaten fol dieſe Spisbubenbande für mehr al3 60,000 Mark Schmuckſachen ꝛc. erbeutet haben, dann erjt gelang e3 der Bolizei, den Zufammenhang zu entdeden und die Bande zu verhaften.

Ein auf ähnliche Art „arbeitender” Spi5bube war ein fürzlich in London verhafteter Menjch namen? Bligh. Ein vorzüglicher Klavierjpieler, hatte er fich mit einem Kumpan, der ein guter PViolinfpieler war, verbunden, und ein als Diener auftretender, aber ebenfall3 im Frack, genau wie

Drannigfaltiges. 233 DmRDrD mr ED DD DIDI DD EI AD DD re DD die beiden Mufifer, gekleideter Spibbube war der dritte im Bunde. Sie boten jich bei Privatfeftlichleiten als Muſiker an, und während fie im Salon fpielten, räumte der als Diener eingeführte Dieb die Juwelenkäſten Der Damen Des Haufes aus. Die Mufiker fuchten Héi während Dez Konzert3 auch genau über den Schmud der eingeladenen Bäfte Kennt: ni3 zu verfchaffen, damit fie bei gegebener Gelegenheit auch wußten, ob es ſich Iohnte, Deren Häufern einen Beſuch abzu- ſtatten. W. St.

Ein kurioſes Wandgemälde. Der berühmte Maler Hogarth in London wurde einjt zu dem fehr reichen, aber geizigen Lord Leslie gerufen, Damit er die Halle feines neuen Edelfiges mit einem großen Wandgemälde, den Zug der Kinder Sfraels durch Note Meer, verfolgt von Pharao und feinem Heere, darjtellend, ausfchmüde.

Der Maler forderte Hundert Guineen und fagte, al3 ihm der Lord zwanzig geboten hatte: „Da ich mich in einer großen Geldflemme befinde, will ich die Arbeit für diefes Geld übernehmen, doch verlange ich, daß mir der Betrag im voraus bezahlt wird.”

Er erhielt fogleich das Geld und den Schlüffel zur Halle, damit er, am nächſten Morgen fein Werk beginnen Tönne. Kaum war die Sonne aufgegangen, fo erjchien er mit einen: Anftreicher, Der einen großen Eimer mit ziegelroter Farbe und einen riefigen Pinjel trug. Noch ehe fich der Lord aus den Federn erhob, war die Hinterwand der Halle in cin blutige3 Rot getaucht.

Hogarth prüfte fein Werk, rief Dann den Herru Dez Haufes und fagte ihm, als er die Halle betrat: „Es ift fertig!”

„Was ijt fertig?“ fragte der Lord erjtaunt und rief mit einem Blick auf die vote Wand: „Was ftellt das vor?”

„Das Rote Meer!‘ ſagte Hogarth mit erniter Selbſt— gefälligfeit. Ä g

„Das Rote Meer?" jtotterte der Nabob, denn er fing an, Unrat zu wittern. „Aber wo ift denn Pharao? Wo jind jeine Reiſigen?“ Ä

234 Mannigfaltiges. ID MD DIESE EBD ED ED DD ED RD EDDIE Dre ed

„Sämtlich ertrunten!“

„Wo aber zum Kudud! find die Kinder Iſraels?“

„Die,“ fagte der Maler mit einer artigen VBerbeugung, „Die haben bereits glücklich daS andere Ufer erreiht!" ©. T.

Gänfekämpfe. Der Kampf zwifchen Tieren gleicher Gattung ijt ein Sport, der nicht nur von barbarifchen Völker: Ichaften gepflegt wird. So betreibt man befanntlich die Hahnenkämpfe in fait allen füdlichen Ländern, den weit merkwürdigeren Gänſekampf Dagegen noch in manchen Gegen: den Rußlands. Ein deutfcher Maler, welcher vor längerer Zeit das Innere von Rußland bereifte, fand Gelegenheit, einen folchen Gänfelampf zu jehen.

Er betrat mit feinem Begleiter ein kleines Haus, auf Delen Flur ihnen ſchon ein wildes Bänjegefchnatter ent: gegenfchallte. Der Befiter führte fie auf den Hof, wo hinter Gittertüren die in der Abrichtung begriffenen Gänſe jagen, welche, jede abgefondert, in einem eigenen Berjchlage nur mit Safer gefüttert wurden. In einem jtallartigen Raume war eine freisförmige Erhöhung von vier Fuß angebracht und ringsum mit einer Bretterwand verjehen; das war die Bühne, auf welcher die Kampfübungen jtattfanden.

Auf bie Frage des Malers, ob es nicht möglich fei, ihm eine Probe folcher Kämpfe zu geben, erwiderte Der Bejiber: „Recht gern, aber dag ift ein Gefchäft! Es könnte leicht nicht bei der Probe bleiben, und mer jtünde mir dafür, daß nicht eine die andere umbrächte?“

Der Maler hinterlegte fünfzig Rubel, welche der Befiter hinnahm, jedoch nur für den Fall, daß beim Kampfe ein Un glück gefchehe. Fünfzig Rubel fei der Preis für eine noch nicht völlig abgerichtete Kampfgans, die, weit größer und ftärfer al3 unfere Gänfe, faft ber Größe und Stärke eines Schwanes gleichlommen.

Der Befiter brachte nun auf die fich gegenüberliegenden Seiten der Rampfbahn zwei anfehnliche Gitterkaſten, in welchen fich Kanıpfgänfe befanden. Eine Gans war chnee- weiß, die andere hatte ein graues Gefieder. Kaum wurden Die Gegner einander anfichtig, als fie ihre Wut und Kampfbegier

Dannigfaltiges. 235 durch Aufblafen der Brujtfedern, ein wildes Zuden in den Flügeln, die fie in dem engen Raume nicht volljtändig aus zufpannen vermochten, und durch ein eigenartig erflingendes Stöhnen zu erkennen gaben. Bie Kajten, in denen fie "di befanden, ftanden auf Rollen, und jo wurden fie eine Zeitlang gegenfeitig bis auf etwa einen Fuß Entfernung einander St: gefchoben, bis der Zorn der Tiere aufs äußerfte gereizt war; dann wurden die Kajten auf ihren urfprüngliden Plab zurüctgezogen, und bie beiden Vordergitter zu gleicher Zeit in die Höhe gehoben. Pfeilfchnell ſtürzten bie beiden Kämpfer heraus, Doch nicht gegeneinander; jeder nahm des anderen Play ein und fehüttelte und jpreizte das Gefieder, gleich- fam, um fich ert zum Kampfe zu rüjten; wie Stacdheln jtiegen die Bruftfedern in Die Höhe, die Augen glühten, und mit einem heiferen Krächzen erhoben fich beide zugleich, umkreiſten Die Bahn und ftießen in der Mitte derfelben fo heftig gegen: einander, Daß beide zurüdtaumelnd zu Boden ftürzten. Aber raſch erhoben fie ſich wieder und faßten jeder vor feinem Käfig feiten Fuß. Ein Moment verging jo, in welchem fe tief Atem jchöpften, dann fchritten fie mit zur Erde gebeugtem Kopf, mit langgeftredtem Halfe und met ausgebreiteten Flügeln in großen Kreifen umeinander ber; dieje Kreife wurden immer enger, Die Köpfe hoben fich mehr und mehr empor, die Flügel zogen fich ein; auf zwei Fuß Länge nahe trat der graue Vogel plöglich einen Schritt näher, und den Hals energiſch ausjtredend, ſtieß er jo heftig mit dem Schnabel gegen die Bruſt des Gegner3 und bp fo fcharf zu, Daß, als er den Kopf zurüdzog, die weißen Federn des ` Angegriffenen ringsumber in den Kreis flogen. In dems felben Augenblicte aber hatte diefer fich emporgerichtet, die Flügel weit ausgebreitet und mit denfelben einen jo Träf- tigen Schlag nach dem Angreifer geführt, daß diefer jicht- lich erbebte; Doch diente Der Schlag nur Dazu, feinen Mut zu erhöhen, und mit grimmigen Biſſen fielen fich die Kämpfer nun gegenjeitig an. So währte diefer Kampf mit Schlagen und Beißen gut zehn Minuten, in denen Die Gegner Héi bald näherten, bald jcheu einige Schritte voneinander rückwärts

236 Mannigfaltiges.

gie Ae Eeer Ee Ee Ee DD ne DD erde Dede faumelten, um Déi bom mit neuer Wut wieder anzugreifen; jest aber drängten fie hart gegeneinander, Bruft war feit .. gegen Bruft gepreßt, Die Füße ftampften gewaltfam, während die ausgebreiteten Flügel mit geradezu majeftätifcher Gewalt aufeinander einjchlugen und einen ſtarken Zugwind in dem Raume erzeugten, während die Köpfe aufeinander einfuhren und die Hälfe einander zu umſchlingen bemühten. Nach langem Hins und Herfchwanfen gelang letzteres Manöver endlich dem weißen Kämpfer; er riß den ummundenen Hals des Gegners an Déi, den Leib desjelben zu Boden und warf Déi über ihn, doch jetzt fprang der Befiger mit einer ſpitzen Stange auf den Kampfplatz, ſteckte diefe zwifchen Die ums Ihlungenen Hälfe, ſtemmte fich darauf und ſchlug mit einer Gerte jo lange auf den weißen Sieger, bis "déi dieſer dem Gegner entwand und in feinen Käfig floh, der jogleich ge- Ihlofjen wurde. Der graue Beſiegte aber blieb an dem Boden fiten, er fchien halb erwürgt zu fein und Tonnte nur allmählich Luft gewinnen.

Der Befiger unterfuchte nun die Kämpfer. Der graue Vogel hatte viele Federn verloren, blutete auch aus mehreren Wunden, Doch war er nicht lebensgefährlich verlett; der weiße Bogel zeigte nur eine Wunde an der Brujt, welcher noch immer Blut entfloß, Doch erklärte der Eigentümer, feine der Wunden fei bedeutend. `

Der Maler fagt in jeiner Schilderung: „Das Schaufpiel war im höchſten Grade aufregend, und die englifchen Hahnen= fämpfe find nicht Damit zu vergleichen, da ſie gegen den Gänſe— fampf etwas Kindifch-Lächerliches haben. Auf meine Frage, ob er, nad) Art der Hahnenkämpfe, die Füße der Gänfe nicht bewaffne, erklärte der Befiter, daß das bei Bänfen über- flüffig und untunlich fei, weil die Gänſe fo große Kraft in - Den Füßen befäßen, daß, wenn fie fejt die Bruſt des (eg: ners damit bedrüden, fie ihn zu erſticken im ſtande find; be- waffnete Füße würden fie auch am Aufſchwingen hindern- und dadurch den Kampf unintereffanter machen.” C. J.

Gemütvolle Teilnahme. Der Marihall Mac Mahon war auf einer Inſpektionsreiſe in einer mittleren Stadt

Mannigfaltiges. | 237 ED RED ⏑⏑ De Dre Dre Dr De Frankreichs abgeftiegen und wurde in dem Hotel, in welchen er wohnte, von einer heftigen Krankheit ergriffen. Der Arzt, den man hinzugezogen, fehüttelte bedenklich den Kopf und erlaubte dem Patienten unter feinen Umjtänden, feine Reife fortzufegen.

Eine Dame, welche in demfjelben Hotel wohnte, wollte eben abreifen, al3 fie die fritifche Lage des Marſchalls er: fuhr. Sie verfchob fofort ihre Abreife, blieb und erkundigte Déi mehrmals täglich in angelegentlichiter Ziele nach dem Batienten. Der Wirt glaubte aus ihren ängftlichen Fragen zu entnehmen, daß fie den Marfchall genau kenne.

Nach etwa drei Wochen wurde Mac Mahon außer Ge: fahr erklärt, und dieſe freudige Nahricht auch der Dame übermittelt. Als diefe erfahren hatte, daß der Marfchall ‚wieder genefen werde, gab fie fofort Befehl, man folle ihr die Rechnung bringen, da fie die Abſicht habe, noch in der- felben Nacht abzureifen.

„Ich bin jehr enttäufcht,“ jagte fie zu dem Hotehpirt, während fie in den Wagen ftieg, „denn ich Hatte mit Be- ftimmtheit Darauf gerechnet, einmal einem großen militäri: Iden Begräbnis beimohnen zu können.” GË?

Das Velephon im Dienſte der Forfhung. Das Tele: phon hat nicht allein dem gejprochenen Worte eleftrifche Schwingen verliehen, wie fte der Telegraph dem gefchrie- benen Buchjtaben ſchon feit längerer Zeit zur Verfügung Heft, fondern es ut zu einem Hörapparat geworden, mit welchem man die feinften Tonſchwingungen in ähnlicher Weiſe hören Ion, wie man im ftande ut, mit dem Mikro: jfope die kleinſten Dinge zu fehen.

Das Telephon zeigt elektriſche Ströme an, welche auf die bisherigen Galvanometer wegen ihrer Geringfügigfeit nicht mehr einwirken. Die Verdichtung des Wafjerdampfes in der atmosphärischen Luft erzeugt ſchwache Ströme, Die den: Telephon zugeführt werden, in welchem fie ein eigens tümliches Geräufch erzeugen, das Ähnlichkeit mit dem Knir— Iden befitt, da3 man vernimnt, wenn eine Stange Zinn unmittelbar vor der Ohrmufchel gebogen wird. Während

238 Mannigfaltiges.

DD DD Dr ED Dr DDr Dr Dr Dr Dr Dre Dre De der Nacht, wenn die Luft ſehr feucht ift, erreichen dieſe Ströme ihre größte Antenfität. Das Niederfahren von Blitzen, einerlei ob diefelben nahe oder entfernt find, ijt ftet3 von einem charakteriſtiſchen Geräufch im Telephon De gleitet, da3 genau in dem Momente auftritt, in welchem der Blitz gejehen wird. Man Tann daher im Telephon das von feinem Donner begleitete Wetterleuchten „hören“ und die eleftrifchen Entladungen eines entfernten Gewitters mit größter Genauigkeit zählen, zumal das Telephon auch Entladungen anzeigt, deren Lichtfchein von Wolken bedecdt wird. Das betreffende Geräufch im Telephon bejteht ges wöhnlich in einer Art von Kniftern, das Déi aus einer Tchnellen Reihenfolge elektrifcher Stöße von fehr verfchiedener Stärke zufammenjest und fich mit dem eines fchwedifchen Zündholzes vergleichen läßt, dag an der Schachtel gerieben wird.

Die Gejamtdauer des Kniſterns überjteigt jelten die Zeit einer halben Sekunde. Zumeilen wird auch nur ein einzelner eleftrifcher Schlag, wie von der Entladung einer Leidener Flache, gehört.

Ebenjo wie die elektriſchen Ströme der Atmofphäre, werden auch die Erdjtröme im Telephon hörbar. Die Er: Tchütterungen des Bodens, welche in vulfanifchen Gegenden Störungen der Erdftröme bewirken, find meiſtens fo ſchwach, daß das unbewaffnete Ohr fie nicht vernimmt, und das Seismometer, welches Erdjtöße und Schwankungen angibt, von ihm nicht beunruhigt wird. Dagegen bringt das Mikro: phon am Telephon die ſchwächſten Erfehütterungen deutlich zu Gehör, welche die fortwährende Tätigkeit der vulfani- Iden Kräfte begleiten.

Dem Meteorologen, dem Geologen, dem Phyfiler, Dem Aftronomen und dem Phyfiologen ift das Telephon bereit3 ein wichtiges Hilfsmittel der Forſchung geworden, und es fteht noch zu erwarten, daß die durch Delen Apparat er- möglichte Erweiterung der Grenzen des Gehörs fernerhin Beranlaffung zu zahlreichen Wahrnehmungen wird, welche die Erkenntnis der Natur bedeutungspoll fürdern. €. T.

Prannigfaltiges. 239 N N PEN pn m ey en Ee Mee ey TI I FI II)

Das öffuende Dekokt. Einft war Kardinal Belay, Delen Arzt der befannte franzöfifche Satiriker Rabelais war, frank, und an feinem Kranfenbette waren mehrere Ärzte zu einer Beratung verfammelt. Sie wurden dahin einig, daß Seiner Eminenz ein öffnendes Dekokt (Abjud) zubereitet werden müſſe. Rabelais, der mit feinen gelehrten Kollegen diesmal gar nicht einig war, entfernte fich ſchweigend, Dep auf dem Hofe ein großes Feuer machen, einen Dreifuß darüber Dellen und darauf einen Seel voll Waffer jeben. Dann warf er alle Schlüffel, die er finden fonnte, in den Keſſel, ang des Koches weiße ode an, ſetzte deſſen Mübe auf, und dann rührte er mit einem Stode die Schlüffel energifch Durcheinander, al3 wolle er fie zum Kochen bringen. AS feine Kollegen auf den Hof kamen und feine fonder: bare Hantierung fahen, fragten He ihn verwundert nach dem Grund derjelben.

„Meine Herren,” jagte er, „ich folge nur Ihrem melen Beichluß, und ich weiß nichts, was befjer zum Öffnen dienen kann, al3 die Schlüffel!”

Glücklicherweiſe wurde der Kardinal auch ohne „Öffnen des Dekokt“ gefund. ` G T.

Wo man Langeweile fernt. Sm Verlaufe einer lebhaften Unterhaltung Friedrichs des Großen mit d'Alembert und Lord Marſchall kam man auch auf die Langeweile zu ſprechen, und der König äußerte, er habe noch nie eine zutreffende Erklärung von dieſem Übel er: halten können. Bielleicht vermöge einer Der Herren eine folche zu liefern.

„Ebenfowenig wie Eure Majeftät,” gab D’Alembert zur Antwort, „find wir, Mylord und ich, mit diefer Krankheit vertraut. Aber Eure Majeftät würde am leichtejten zu einer genauen Kenntnis derfelben gelangen können.”

„And wodurch?” fragte Friedrich.

„Wenn Majejtät die beabfichtigte Reife an die europäi- fhen Höfe ausführen,” verſetzte D’Alembert, „jo werden Sie der Langemeile ficherlich fo oft begegnen, daß Sie fie bald ganz genau fennen werden.“ e W.

240 Drannigfaltiges.

ee ee e Dr ED Dr ED ED DE Dr ED ED ED Dre Dr eD ED red Gin Ball der Sunde. Der Graf von Morny, Der Halbhruder Napoleons III., galt für einen der elegantejten Kavaliere am Parifer Hofe, und deshalb Hatte ihm aud) die Gräfin Somoilow, die fich durch ihre Leidenfchaft für Mufit und für Hunde einen Namen gemacht hatte, Die Hand gereicht. Eines Tages gab fie einen Ball für Hunde. Ihre ſechs eigenen King Charles-Hunde bildeten den Mittel: punkt, um den ſich bie übrigen Vierbeiner, die eines be- fonderen Rufes genofjen, eingefunden hatten. Yeder Ein- geladene hatte die Befugnis, feinen Befiger mitzubringen. Man gab den Tieren eine Mahlzeit und verfchönerte diefe noch dadurch, daß am Schluffe derfelben ein Ball dreffterter Hunde jtattfand.

Plößlich aber entitand ein großer Tumult; die Gräfin Somoilow jchrie laut auf und ftürzte fich auf eine Bull Dogge, Die eben einen ihrer Kings Charles-Hunde ab— gewürgt hatte. Das war das Ende des Hundeballd. ez

Die enttäufhte Kleine. Als Lord Roſeberry nad Amerika fuhr, um die jtaatlichen Einrichtungen der Ber: einigten Staaten kennen zu lernen, wurde ihm zu Ehren in New dort ein großes Gaftmahl veranftaltet. Dieſem wohnte auch die zehnjährige Tochter eines feiner ameri- fanifchen Freunde bei.

Das Kind jtarrte den Fremden eine ganze Weile neu⸗ gierig an, dann wandte es ſich an ihn mit der Frage: „Sind Sie wirklich ein engliſcher Lord?“

„Ja, mein Kind,“ verſetzte Roſeberry.

„Ich habe mir oft gewünſcht, einen echten engliſchen Lord zu ſehen,“ fuhr die Kleine fort.

„Na, und ijetzt but Du wohl nun endlich zufrieden?“ fiel Roſeberry lachend ein.

„Nein, jetzt bin ich recht enttäuſcht,“ lautete die Ant— wort. mn.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Theodor Freund in Stuttgart, in Oſterreich-Ungarn verantwortlich Dr. Ernit Berles in Wien.

A

| Seide porto- u. zollfrei verjenden mir direft an Jedermann in wundervoller Ausmahl unter Garantie für Gier Tragen. Wundervolle Neuheiten in ſchwarz, weiß und farbig in allen Preislagen jhon von 95 Bi. an. Muiter bei Angabe de3 Gewünſchten franko. N nad der Schweiz 20 Br.

Seidenstoff-Fabrik-Union

Adolf Grieder & C', Zürich G 46

Kgl. Hof lieferanten (Schweiz)

Backpulver, Dr. Detker’s? Vanillin-Zucker, | Pudding-Pulver Millionenfach bewährt. _ Auf Wunsch ein Backbuch gratis von

Dr. A. Oetker Bielefeld.

oderne Bureau - Möbel;

amerik. Schreibtische, zusammen- setzbare Bücherschränke,

Jalousieschränke für Akten und Noten, Registra- turen etc. in großer `

Auswahl, Eigenes Transit- Illustrierter lager für Export. gratis und franko

GROYEN & RICHTMANN + KÖLN.

S. J. Arnheim Berlin N. 20

Hofkunstschlosser Sr. Majestät des Kaisers und Königs K. u.K. Oesterreichisch-Ungarischer Hoflieferant

Aelteste und ‘grösste Fabrik für Geldschrank- und Tresor. Bau

Spezialität: „Stahlkammern Safes“ Lieferant der Reichsbank, Königl. Seehandlung, Deutschen Bank, Disconto- Gesellschaft, Dresdner Bank, Bank für Handel und Todüxirie, Berliner Handelsgesellschaft und der grössten Finanz-Institute Deutschlands, Russ-

lands, Italiens, Oesterreich-Ungarns, Schwedens, Norwegens etc.

Begründet 1833.

Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart, Berlin, Leipzig.

Doppelijpat.

schät Erde

chätze der Erde. Entstehung, Gewinnung und Verwertung der interessantesten Stoffe aus allen Gebieten der Natur. `

Ein Bandbuch für jedermann, insbesondere für die reifere Jugend.

Uon Dr. Richard Blochmann. Mit vier Tondrudbildern und zahlreichen ZTertillujtrationen.

Elegant gebunden 6 Mark.

- Dem großen Kreife der Naturfreunde aller Stände, insbejondere auch unſrer heranwachſenden Jugend, ift diefe® Bud gewidmet. In unjrer Zeit, in welder die Naturwifienichaften zu hoher Blüte gediehen find und deren: Kenntnis für jeder mann von großem praftifhen Wert ift, gewinnt alles daB, was Mutter Natur uns ſchenkt, was fie im. endlojen Kreislauf der Dinge hervorbringt, erhöhtes Intereſſe. Unjer Bud „Schäße der Erde“ beantwortet die widhtigiten der vielen Fragen, die dem die Natur aufmerkſam betrachtenden Menſchen entgegendrängen. Die Vieljeitigleit der Gebilde auß der toten Natur und aus dem Weiche des Lebens, deren geheimnisvollen Aufbau, die ungeheure Zahl der Produkte, welde die ſchaffende Hand des Menjchen der Erde abgerungen, ihre Gewinnung und Verwendung im Dienste der Kultur führt da8 Bud in gemeinverjtändlider, fejjelnder Weile in Wort und Bild vor. Es iſt ein ausserordentlich nützliches und wertvolles Buch, das

in allen Kreijen, nicht zum mindeften oug in denen der Schule, Tebhaften Beifall findet.

UL AAA

ey

tutt d in, ipzig. pe Stuttgart, Berlin, Keipzig

| Union Deutsche Verlagsgesellschaft |

Allen Freunden ſchwaãbiſchen Humors empfehlen wir die bei ung erfchienenen Werke: |

Aus ’em scheine Hobelobe

"em alte Gäwele serrer Haamet. Luſchtiche Hoheloher G'ſchichtlich und Gedichtlich

vum

Wilhelm Schrader,

eme alte Naiejtaaner. Zweite Auflage. Preis broschiert 2 Mark.

Bamm alte Gäwele. Luſchtiche Hoheloher G'ſchichtlich und Gedichtlich

vum

«Kilbelm Schrader,

eme alte Naieſtaaner. Dritte Auflage. Preis broschiert 2 Mark.

Von

Er Wilhelm Schrader. Preis brosciert 2 Mark.

Diefe Bändchen bieten jedem Kenner jchmwäbijchen Dialektes und ſchwäbiſcher Eigentümlichkeiten eine uns 4 _erichöpfliche Quelle der Erheiterung.

EST TEE. meisten Buchhandlungen.

7 AAA

E? * J

F 1848. | | Ähringe und Naiestaan im Johr Achtevärzich. ) \ |

Ft SEN Fa rarig Fra Les

gl

3 1951

WILSON ANNER `