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Ankündi un en aller Art, soweit sich dieselben zur Aufnahme eignen, gelangen 9 g zum Preise von Mm. 1,— für die gespaltene Nonpareillezeile zum

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888

Die Siegerin.

Roman von Elje Höffer.

oo (Fortfekung und Schluß.) Nachdruck verboten.)

Cinundzwanzigites Rapitel, artwig jchrieb an Erika einen langen Brief, H aber er erhielt ihn uneröffnet wieder. Sie ſchrieb ihm dazu mit ihrer klaren, feſten me] Schrift: „Heinz, laß mich aus Deinem Zeben gehen, gib mich frei! Sch weiß, daß ih Dir unendlich wehe tue, aber ich kann nicht anders; glaube mir, Heinz, mich felbjt verwunde ich noch tiefer. Und doch will ih das Dafein tapfer weitertragen tue Du es auch. In Dir ftedt fo viel Starkes und Füchtiges, das auch ohne mich gedeiht, Ah, warum bin ich fo feige, warum fchreibe ich Dir folch einen ſchwächlichen Abfchiedsbrief! Einmal will ich offen fein, Du follft wiſſen, daß ich innerlich zugrunde gebe, wie Du zugrunde gebjt. Aber laß mich ich flebe Dich an, laß mich! "Heinz, tritt nie mehr vor mich hin, Du machſt es mir fonft zu ſchwer, und es iſt doch zwedlos. . Du kannjt-mich nicht wantend machen, ich bin feſt entjchloffen. Es gibt nur diefen einen Weg, und unjer Glüd muß ſterben. Wenn ich kann, will ich aufhören, Dich zu lieben —“ Hartwig drüdte die geballte Fauft auf den Brief, „Den Grund will ih wijfen, den Grund!“ Erika verlebte die Tage wie in Betäubung. Seit

6 | Die Giegerin. oO Wengern den eriten Ruß auf ihren Mund gedrüdt hatte, war es wie eine Erfchlaffung über fie getommen, Eine Lähmung legte fih über ihre Gedanken und Empfindungen. Eine wilde Empörung wollte fich manchmal gegen feine Zärtlichkeit in ihr aufbäumen, aber ihr eiferner Wille zwang fie nieder. „Er hat mich getauft, ih muß die anderen retten!“ Und regungslos lag fie in feinen Armen, wenn feine beißen Lippen ihren kalten Mund fuchten. Nur der Ekel brannte und tab, und in ihrem zerftörten Herzen wucherte immer mächtiger der Haß gegen den, der das verfchuldet.

Wenn Hans ins Zimmer trat, fühlte fie, daß fie blaß wurde, fo ftark ftieg der Haß in ihr empor, Gie ſprach niemals mit ihm, antwortete nie auf feine Fragen. Sie wollte ihn vergefjen, aber der Haß ftellte ihn mitten in ihr Empfindungsleben, Wenn er fich im Zimmer befand, dann folgte fie feinen Bewegungen mit funtelnden Bliden. „Du du biſt ſchuld!“ dachte lie, „Nie fomme ich darüber hinweg nie! Er bat mir ein Glüd genommen, das groß und Stark war, und ih muß dafür ein Leben nehmen in entehrender Schmad. Ab, vor den Menſchen, vor der Gefellfchaft bin ich nicht entehrt, die wird fich por mir verbeugen, mich umfchmeicheln, aber vor mir felbit, vor den wenigen anftändigen Menſchen, da bin ich eine Ehrloſe! Wer einem Manne angehört ohne Liebe, it eine Dirne. Mag fie auf der Gaſſe oder auf einem Schloſſe leben. Zu diefem Leben zwingt er mich! Ich haſſe ihn, ich hafje ihn, ih —“

Sie lag mit geſchloſſenen Augen in einem Seſſel. Sie hörte nicht auf Wengerns Unterhaltung, der mit dem Bruder ſprach. „Rann ich es denn überhaupt tun? Rann ich mich ſelbſt in den Schmuß ziehen? Nein, ich tu’ es nicht, ich kann nicht, ich will nicht, mag fommen,

s' Roman von Elfe Höffer. 7 was will! Wenn er ins Zuchthaus fommt, fo hat er es verdient!“

Da hörte fie nebenan der Mutter leiſe, kummervolle Stimme, Irmgards weiches Organ antwortete, und vom Garten her ſchollen die hellen Rufe der Beinen Brüder,

Die traf es! Diefe vier Menfchen mußten vernichtet

werden, wenn fie glüdlih. werden wollte Glücklich? Ronnte fie das überhaupt noch werden? Das war doc) nun auch vorbei. Mit folher Gewiſſenslaſt wurde fie niemals glüdlich.

Sie hörte auf Die Stimmen der beiden Herren, auf die leife, klangloſe des Bruders, auf die behagliche, ſatte Wengerns. Wie fie fehon dieſe beiden Stimmen verabſcheute! Eiskalt kroch es ihr zum Herzen. |

Da Stand Wengern leiſe auf und beugte fich nedend zu ihr nieder, Er preßte ſeine Lippen auf ihren Mund.

„Mein Dornröschen!“ |

Sie zudte zufammen und jtieß ihn zurüd mit einer starten unwilltürlichen Bewegung.

Er wurde dunkelrot und biß ſich auf die Lippen. „Verzeihung,“ murmelte er, „ich habe dich erſchreckt. Oder magſt du Zärtlichkeiten vor Zuſchauern nicht?“ Er ſah zögernd auf Hans.

Der hielt jih lachend die Augen zu. „Aber Herr- Ihaften, geniert euch nicht! Ich kann verliebte Leute wahrhaftig verjtehen!“ Er lachte vieljagend,

Erika zitterte vor Empörung. Gie erhob fich heftig. „Du weißt, daß von Derliebtheit nicht die Rede ilt, wenigjtens bei mir nicht. Den anderen müffen wir ja die Romödie der glüdlichen Verlobung vorjpielen, Wenn wir aber unter uns find, brauchen wir die er- bärmlihe Maste nicht mehr!“ Ihr Geficht war. toten-

8 Die Giegerin. 0

blaß, fie Sprach langjam und fait. „Wir alle drei willen, wie diefe Verlobung zuftande getommen iſt. Wozu da die läherlihe Romödie? Du haft deine Fa— milie in Shmahb und Schande geftürzt, und ich fudhe fie zu retten mit dem Einſatz meines perfön- lihen Glückes. Wengern kauft mid. Von meinem perjönlichen Gefühl war bei dem ganzen Schacher nicht die Rede, das bat auch abfolut nichts damit zu tun.“ Sie trat diht an Hans heran, und ihre Augen ſprühten ihm entgegen. „Dich aber veradte ih fo tief, wie ich dich früher geliebt habe. Du biſt für mich der jämmerlihfte Menſch auf Erden. Und ich ftelle die Bedingung, daß du niemals die Schwelle unferes Haufes betrittft ich kann deinen Anblid nicht ertragen.“

Hans ftand mit fahlem Gefiht vor ihr. Seine Augen fladerten. „Du gebit fehr weit, liebe Erika —“

Sie zudte verächtlich die Schultern. „Ich rechne nur ab.“

„Du biſt noch krant,“ fagte Hans milde, dann ging er zur Tür hinaus.

Wengern ſaß mit geballten Zäuften, feine Augen hatten einen wilden Raubtierblick. Er ſah ftarr auf Erika. Seine Lippen bewegten fich lautlos. „Soll ich mic) auf fie ſtürzen und fie küſſen? Sie fiebt fo hinreißend Ihön aus in ihrem Zorn. Soll ich ihr zeigen, Daß ih ihr Herr bin, daß fie mir gehorchen muß? Soll ich janft fein und zart?“ Er rang fhwer mit fid, und feine Augen ließen nicht ab von dem blafjen, kalten Geſicht. |

Erita dachte: „Wenn er mich jeßt noch heiraten will, dann iſt er ein Elender!“

Da fühlte fie feine Hand auf ihrem Arm. Sie öffnete die Augen, Wengern lag auf den Rnieen vor

D | Roman von Elfe Höffer. 9

ihr, ſeine Blicke glühten zu ihr auf in einer verzehrenden Leidenſchaft. Er drückte ihre Hand an ſeine Bruſt. „Erika, du vergißt bei allem, daß ich dich liebe, wahn- finnig liebe —“

Sie erihrat vor feiner Leidenſchaft und ſagte: „Wenn du mid nicht liebteft, wäre es beſſer für uns beide. Dann wäre eine Verſtandesehe denkbar, wir fönnten nebeneinander leben als gute Rameraden, wir —“

Er preßte ihre Hand. „Eine Derftandesehe?“ Ein Lächeln verzog feinen Mund. „Zc liebe dich mit meiner ganzen Leidenfchaft und und ich werde dich zwingen. Rein, Erika, verzeih mir, ich will um deine Liebe ‘werben, du folljt lernen, mic) zu lieben, Erita!“

Sie richtete fih auf. „Bitte, ſtehe auf!“

Er ftand gehorſam auf und feßte fich neben fie hin. Er nahm ihre Hand und ftreichelte fie. „Sieh, Erika, was weiß denn ſolch ein kleines, dummes Mädel von Liebe! Das träumt fih etwas zufammen, und ich weiß ja, daß ich kein Traumheld bin. Straumbelden find nicht did und haben fein rotes Geſicht, -Traum- beiden lieben Iyrifjh mit Verſen und Seufzern, und id ich liebe anders.“ Seine Stimme wurde wieder belegt. „Aber du wirft lernen, diefe Art Liebe auch zu veritehen, es wird dir gehen, wie es vielen Heinen Mädchen geht: du wirft zuerft erfchreden, dann wirft

du Ihon Feuer fangen, Du kennſt eben die Liebe nicht —“

„Nein, diefe Art nicht!“ fagte fie kalt. Was wollte Diejfer Menſch von ihr? Warum redete er fo finnlofes Zeug? Sie liebte keinen Traumbhelden, fondern einen tlaren, geraden, fejten Mann, in deſſen Hand fie gläubig ihr Schidfal gelegt hätte, und fie hätte gewußt, er führte es gut, „Heinz,“ flüfterte fie leiſe.

10 Die Siegerin. 0

„Sagteit du etwas?“ fragte Wengern.

„Nein!“ fagte fie jchroff, und ihr eiferner Wille zwang das wilde Herz nieder,

Er beugte ſich wieder vertraulich über fie. „Siehſt du, Erika, die Männer täufchen das den Mädchen vor, weil fie wiffen, daß diefe Art Liebe ihnen gefällt. Aber fie lügen alle. Im letzten Grunde begehrt der Mann nur das Weib, alles andere ift Mittel zum YZwed. Glaube mir.“ |

Erika rührte fih niht. Sie dachte nur: „Ich weiß jest, was auf mich wartet.“

„And daß ich Dich fo erobert. habe, Erika ich gebe ja zu, ſchön ift es nicht gewefen, und es wäre mir auch lieber gewefen, du hätteſt damals gleich zugefagt, dann wäre alles anders gekommen aber ich mußte dich haben, Erika, begreifit du das niht?“ Er bededte ihre Hand mit brennenden Küſſen. „Noch zwei Tage, dann bift du mein!“ flüfterte er dicht an ihrem Ohr.

„Wäre ich nur tot!“ dachte Erika. „Dies Leben iſt ichlimmer als die Hölle.“ |

Erita wurde immer einfamer, Sie fühlte, daß die Mutter ihr fremd und verftändnislos gegenüberjtand, und doch konnte fie fich nicht mit ihr aussprechen, fie mußte über ihr Schidjal ſchweigen. Nur fo konnte fie das Opfer bringen, die anderen durften nichts ahnen.

Zrmgard war ſcheu und gedrüdt, ein Sculd- bewußtfein lajtete auf ihr, fie kämpfte gegen ihre Liebe zu Hartwig, und doch konnte fie es der Schwefter nicht verzeihen, daß fie ihn aufgegeben um eines anderen willen. Er litt ja fo ſehr, fie hatte es gefehen, und fie hatte nur den einen Wunſch gehabt: wenn er nur glüdlih wäre, dann wollte fie entjagen lernen, Aber nur Erita konnte ihn glüdlih machen, und die wählte

n Roman von Elfe Höffer, 11

einen anderen, einen reichen! Erika, zu der fie jtets aufgejehen hatte, die verkaufte fich !

Erita ſah Irmgards kalten Blid, Sie veritand auch das höhnifche Lächeln um Ernfts Mund, wenn Wengern ih über fie beugte. Dies Lächeln hieß: „Weißt du noch, wie dich der Abſcheu gejchüttelt Hat? . Weißt du noch, wie du über ihn gelacht haft? Damals veritanden wir dich alle, und jetzt verjteht dich niemand, Zebt gehörft du gar nicht mehr zu uns.“

„Sie verachten mich alle!“ Erika fühlte es täglich tlarer, und die Bitterkeit ftieg oft noch über den Schmerz. „ah muß auch diefes tragen. Sie wiljen ja nicht, welches der Grund ift, fie fehen nur die Oberfläche. Ich bin ganz allein, So einfam, wie ein Menſch nur fein kann. Und ich habe folh einen Reichtum gehabt!“

Es war am Abend vor ihrer Hochzeit. Ein ftiller, feierliher Sommerabend. Die Natur atmete goldenen Frieden. Erika ging langfam dur den Park und nahm Abſchied. Sie hatte fich jede laute Feier verbeten. Die Trauung follte morgen früb in aller Stille ftatt- finden. Gleich nah Mittag wollten fie abreifen,

Mengern war mit ihren Wünjchen einverjtanden, Die Trauer: verbot ja doch eine glanzpolle Feier, wie fie nad feinem Gefchmad gewejen wäre, Aber er hatte fih eine große Reife ausgebeten. Er wollte feiner jungen rau alle eleganten Städte, Sportpläße und Bäder zeigen, in denen er bisher fein Leben ver- bracht hatte, |

Erika hatte gleichgültig genidt. Cs war ihr ganz einerlei, ob fie nach Cannes oder nah Rom reiſten. Sie vergaß die Reifepläne immer wieder,

Zetzt ging fie ganz langjam durch den alten, dunklen Part, den fie feit ihrer Kindheit fo ſehr geliebt hatte,

12 Die Siegerin. o

Die Bäume über ihr raunten leife, und fie horchte hinauf, ihre Augen. brannten, „Sch werde täglich Sehnſucht haben,“ jagte fie leife. „Wohin ih auch komme, felbjt in den märchenhafteiten Gegenden wird fih mein Herz nah diefen Riefernwipfeln fehnen, nach dieſer weiten Fläche. Meine Heimat! Pich kann ich liebhaben, wenn alle anderen mich auch ver- achten. Die andere Liebe meines Lebens muß ich ja aus meinem Herzen reißen. Dich aber kann ich liebhaben, ohne meinen Treueid zu brechen.“

And fie dachte an das weiße Papier, auf das fie heute morgen mit ruhiger Hand ihren Namen gefekt hatte. Sie war nun feine Frau vor dem Gefeb, fie mußte ihm die Treue halten, Aber die Heimat, die durfte fie lieben, der durfte fie ihr ftarkes Gefühl geben.

Mit weicher Hand ftrich fie über den Riefernftamm und über die kühlen grünen Blätter der Büſche. Gie ſtand auf der hellen Birktenbrüde und ſah auf den blintenden Weiher, über deſſen Grund belle Fiſche

ſchoſſen. „Jane! Auch ein Menfch, den ich ver- loren habe, Auch ein Stüd Leben das weit zurüd- liegt!“ |

Dann ging fie über den braunen rijjigen Feldweg und ihre Blick hufchte über den Boden, als fuche er des Rappen fchmalen Huf. Den Weg war fie oft geritten in banger, pochender Erwartung, in jubelnder Gewiß- heit und dann in tödlicher Verzweiflung. Drüben war der Waldfaum, da hatte er fie geküßt und leife in ihr Ohr gejagt: „Meine Heimat bift du!“ Sie fühlte, wie ihr das Blut zum Herzen ftrömte. Sie hob den Ropf, fie durfte ja nicht mehr an ihn denken. Und doch wollte fie es befennen bis zu ihrem Tode: dies war der jeligite Augenblid gewefen, den fie gelebt.

Sie ging zurüd, Sie wollte auf den Kirchhof zum

0 Roman von Elfe Höffer, 13

Dater, Sie ging raſcher. Port konnte fie vielleicht weinen, dort löfte fich wohl der entfeglihe Drud. Port war fie ihm näber, und fie wußte dort vielleicht, wie er heute zu ihr geſprochen haben würde,

Sie fchüttelte den Ropf. Wenn der Vater gelebt hätte, würde er fie Mar und ftreng angefehen haben, und vor diefen Augen wäre die Maske gefallen. Und fie wußte, er hätte den morjchen Aſt abgefchlagen, er hätte die Schande getragen, aber die Opferung feines Kindes hätte er niemals geduldet.

Die eiferne Pforte Hang, Sie ging zwifchen den ſchlichten Gräbern hindurh zum Grab des Daters, das ſich einfach und anjpruchslos, wie er es gewollt, an die lange Reihe fchloß.

Sie fette fi nieder und ſah auf die braune Erde, die unter der Hiße troden brödelte. Nur um die Blumenftauden waren dunkle, feuchte Ringe.

Erika legte die Hand auf das Grab, fie fchloß die Augen, und fie fammelte ihre Gedanken, um mit aller Kraft und Glut ihres Herzens an den geliebten Vater zu denten. |

„Dater, ich bin ganz verlaffen! Dater, ich weiß nicht, ob ich ſtark genug bin, mich zu halten! Aber ih will es verfuhen troß allem! Zroß allem! Sch will gegen alles Häßliche, was an mich herantriechen wird, kämpfen, ich will anftändig und wahr bleiben, jo wie du es gewollt haft. Und wenn ich zufammen- breche unter der Laft, dann will ich aufftehen und mich weiterjchleppen, ich will nicht Hein und feige werden, Und wenn es jo ſchwer ift, will ich denken, daß es ſüß ift, Opfer zu bringen, und daß es ſtolz madt, wenn man fie fchweigend bringt,“ Sie beugte fich nieder und küßte die Blumen, „Sei bei mir, fei bei mit, Vater! Ich bin ja ganz allein!“

14 | Die Siegerin. "

Das war wie ein Aufichrei, und die Tränen drangen empor und löften den fchweren Drud,

Sie weinte lange,

Der Abend verglühte am Horizont, und die Spmmer- naht dämmerte herauf.

Da fühlte fie auf ihrer Schulter eine bebende Hand, „Erika!“

Sie ſprang auf, taumelte in ſeine Arme.

„Heinz!“ Für einen Augenblid verſank alles Leid.

Dann riß fie fich los. Als flüchte fie vor ihm, eilte fie auf die andere Seite des Grabes. Sie zitterte und fah ihn angſtvoll an. |

„Heinz, geb, jprich nicht, ih fürchte mid vor Dir, vor deiner Stimme, vor deinen Augen! Geb, Heinz, lieber Heinz ich bitte dich!“

Er fchüttelte den Ropf, feine Augen ſahen gramvoll aus dem bleihen Geſicht. „Nein, ich gehe nicht. Du vernichteft mich, und ich will wilfen warum, Ich wartete bier täglih auf Dich, denn ich wußte, eumal würdeft du fommen.“

Sränen traten in feine Augen und liefen langfaın über feine Wangen.

Erika erſchrak bis ins Herz. „Being! a ſah ihn flehend an.

„Erika, haſt du mich denn nicht mehr liebꝰ⸗

Ein dumpfes Achzen antwortete ihm.

Da ſprang er über das Grab und faßte ihr Hand- gelent, „Du haft mich lieb, leugne es nicht! Und du heirateft einen anderen, Weißt du, was folch eine Frau ift?“ Dann wurde feine Stimme ganz weich und zart, „Erika, niht einen Augenblid habe ich den Glauben an dich verloren, Ich habe gewußt, daß dich nur ein zwingender Grund beitimmen fonnte, Ach, manchmal famen wilde, tüdifche Gedanken und wollten

Do Roman von Elje Höffer. 15

dich anklagen und anjchwärzen, aber ich habe nicht gewantt! Sch habe nur vor Sehnjuht nad) dir gezittert und mich gebäumt in Qual, Die Eiferfuht hat mich faft wahnfinnig gemacht, wenn ich date: Nun küßt fie der andere! Und warum dies alles Erika, warum?“

Sie legte die Hand vor die Augen. „Ich darf dich nicht ſehen, ich darf dich nicht hören,“ murmelte fie.

„Erita, gib mir nur einen Funken Hoffnung, und ich entreiße di ihm! Erlaube es mir, es foll mir nichts unmöglich fein.“

Da fah ihn Erika ſtarr an. „Das ift zu fpät, ich bin bereits feine Frau.“

Er wantte zurüd, fein Geficht verzerrte ſich. Dann fant er auf den frifhen Grabhügel und preßte die Stirn in die Hände. Seine Schultern zudten, wie ein Rrampf ging es durch feine Glieder. Er gab keinen Zaut von fih, es war, als hätte ein brutaler Schlag ihn niedergefchmettert.

Erita ſah mit verzweifelten Augen auf ihn. Sie rang die Hände, jeder Blutstropfen trieb fie zu ihm, Aber fie durfte ja nicht!

Und dann war es, als endete eine veine, fieghafte Gewalt den wirren Rampf in ihr. Sie ging leife auf ihn zu und glitt neben ihm auf den Grabhügel, und ihre Arme umtllammerten ihn, und ihre Wange lag an ‚feinem Haar,

Er zudte in ihrem Arm und ftöhnte ſchwer. „Warum warum?“ |

Da fing fie leife an zu fprechen, „Dir allein bin ich Rechenſchaft ſchuldig. Wenn du alles weißt, dann will ih von dir hören, ob ich recht getan.“

Und fie fagte ihm alles, Er hörte ihr zu, wie ge- lähmt von dem Bann der geliebten Stimme,

16 Die Giegerin. 8

Sie nahm ſeine beiden Hände. „Habe ich recht getan, Heinz?“

Er hörte fie nicht. Er ſah in die Ferne, und in feinen Augen fprübte kalter Haß. „Der Hund!“ mur- melte er, „Der elende Schuft!“

Erika fuhr ihm mit der Hand über die Stirn, „Er it ein Schwädling, ift deinen Zorn nicht wert. Laß ihn, aber fage mir, ob ich recht getan habe?“

Er ballte die Hand, „Erika, ih muß ihn haben es gibt Mittel —“

Sie nahm feinen Ropf zwifchen ihre Hände und fah ernft in feine heißen Augen. „Nein, Heinz, das tuft du nicht!“

Da beugte er die Stirn und küßte ihre Hand,

„Habe id recht getan?“

Er jchüttelte wild den Ropf. „Nein nein, du opferft dich diefem Elenden du nimmſt ein fchmad)- volles Leben auf dich und du liebft doch mich!“

„Heinz, ich weiß, daß du mich veritehit. Was hätteft du in meiner Lage getan, wenn das Schidjal von geliebten Menfhen in deiner Hand gelegen hätte?“

Er fentte den Ropf. „Und an mich dentit du nicht?“

Sie Schloß die Augen, Dann fagte fie leife: „Un dich denke ih in Ewigkeit.“

Da nahm er fie in feine Arme und füßte fie, und nach einer langen Paufe löfte es fich mühſam von feinen Lippen: „Nein, du haft nicht recht getan, das durfte nicht fein, durfte niemals fein! Du weißt nicht, was du getan haft, du weißt noch nicht, was du auf dich nimmſt!“

Sie ſchüttelte den Kopf.

Da ſah er ihr in die Augen, ganz nah, ganz heiß. „Solange ich lebe, laſſe ich die Hoffnung nicht. Mein

0 Roman von Elſe Höffer, 17

ift deine Seele, und du mußt den Weg zu mir zurüd- finden du mußt! Denn du gehörft zu mir und kannſt dih nicht von mir löjen, felbft wenn du willſt. Ich glaube an dich, an deine fieghafte Kraft, die wird das Schidjal meiftern, und ich warte, Erika, ih warte!“

Er drüdte wieder feinen Mund auf ihre Lippen, und fie fühlte, daß fie dieſem Manne gehörte, daß er ihr Schidjal war.

Dann made fie fih los. „Meide mid, Heinz, geb mir aus dem Wege, wo du fannft! Leb wohl! Geh, ich bitte dich, und fomm niemals wieder!“

Er ließ fie langfam aus feinen Armen.

Sie ſah noch einmal den trüben, glanzlofen Blid, dann ſank fie auf das Grab des Vaters und drüdte das Gefiht in die Erde, und alle die fchweigenden ihlihten Holzkreuze ringsum fahen in Erbarmen auf dies Menſchenleid.

Zweiundzwanzigſtes Rapitel,

Der Zug donnerte durch die dunkle Naht. Ge- ipenjtifch glitten die Dämme und Bäume, die ragenden Selegrapbenjtangen vorüber wie ein rajendes Heer phantaftijcher Geftalten. Dunkle Gehöfte mit blintenden Zichtern, trauliche Dörfer um eine Heine Ricche gefchart, dämmernde Berge mit ragenden Burgen. Alles ver- ichwand, jagte dahin in rafender Haft, Zuweilen kam ein großer Bahnhof mit einer flutenden Lichtfülle, mit lautem Lärm, Erika hob dann die Augen und ſah auf Wengern, der ihr gegenüberjaß und mit halb- geſchloſſenen Lidern durchs Fenfter blidte, „Wenn wir nur noch nicht aussteigen!“ Dachte fie, „Wenn nur diefe Fahrt tagelang, wochenlang ſo weitergingel“ Bei jeder größeren Station klopfte ihr Herz, en lab

1910. XI.

13 | Die Giegerin. 0

fie auf die jtillfiehlummernde Dame, die in der gegen- überliegenden Ede lehnte, „Wenn die uns nur nicht allein läßt! Wenn fie nur bleibt!“

Wengern fab aud vft zu der Dame hinüber, aber mit einem ärgerlidhen, gereisten Gefichtsausdrud, Cr beugte fih zu Erika herüber. „gu dumm,“ fagte er halblaut, „auf der Hochzeitsreife hat man doch das Recht, allein zu fein.“

Sie dachte nur immer: „Nun bin id ihm ausge- liefert!“ Und eine ſchüttelnde Angſt war in ihr,

O Gott, wie furhtbar war Das Leben, das nun kommen wird! Allein mit ihm zu jeder Stunde er der nächte Menich, der zu ihr gehörte, diefer Menfch, von dem fie nichts wußte, als daß er fie begehrte um jeden Preis!

Der Zug fuhr in eine weite Halle. Die Dame griff haftig nach ihrem Schirm. Sie neigte den Ropf flüchtig grüßend und ftieg aus.

Mengern lächelte, „Na, gottlob I“ fagte er.

Erika faß ganz ſtarr. „Wenn nur ein anderer ein- fteigen wollte, möglichft viele laute, lachende, ſchwatzende Menſchen, damit ih Stimmen böre, damit ih nicht zu denken brauche!“

Angjtvoll ſah fie duch die offene Türe, aber die Menſchen fluteten rajch vorüber, Dann fiel die Türe dröhnend ins Schloß. Erika fühlte dunkle Schleier vor ihren Bliden,

Wengern ftand auf und febte fih dicht an ihre Seite. Er legte den Arm um ihre Hüfte und zog fie dicht an ſich. „Erika, mein füßes Meines Mädel, nun hab’ ih did endlih! Wie habe ich mich nad) dir ge- ſehnt! Wie haft du es mir ſchwer gemadit, du ſtolzes Geſchöpf! Aber um fo herrlicher ijt der Sieg. Weißt du noch, wie du mid) ins Geficht gejhlagen hajt? Hier

0 Roman von Elſe Höffer. 19

auf die linte Bade! Weißt du, wie ich dir fagte, du müßteft das bezahlen?“ Er flüfterte dicht an ihrem Ohr, daß ihre Haare unter feinem heißen Atem zitterten. „Ich will gnädig fein ich kann dir ja gar nicht zürnen, du Einzige. Zur Strafe folljt du nur die Stelle küſſen!“ Er hielt ihr fein Gefiht hin und ſah fie mit glühenden, lahenden Augen an. „Weißt du auch, daß du mic) noch fein einziges Mal geküßt haft?“

Erifa ſah auf die glänzende Bade, die der fraufe graue Bart umrahmte. „Sch habe dir doch gejagt, daß ich dich nicht liebe —“

Er lachte leife auf, „Dummcden! Und ich habe dir gejagt, daß du es lernen wirft, Nun fängt der Unterricht an. Küſſe mid, Erika!“

„Nein!“ fagte fie entſetzt.

Da ſah er fie mit tüdifchen, drohenden Bliden an. „Dentit du vielleicht noch) an den Unfinn mit der Ver— itandesheirat? Du bift meine Frau, und ich dente, du weißt, was das heißt!“

Er faßte ihre beiden Handgelente und beugte [ich über fie. Sie dachte in halber Ohnmadt: „Vielleicht erwürgt er mich! Dielleicht fährt jet unfer Zug in einen anderen hinein, und dann it alles aus!“

Sie horchte, ob nit ein furdhtbarer Stoß durch den gewaltigen Schlangenleib des Buges fuhr. Wie Ihön wäre das! | |

„Rüffe mich!” fagte er gebieterifch über ihr.

Da hob fie den Ropf und drüdte ihre kalten Lippen auf die heiße Wange.

Als hätte diefer ſcheue, widerwillige Ruß alle Leiden- Ihaften in ihm ausgelöft, riß er fie in feine Arme und tüßte fie wild, verzehrend, immer wieder, immer wieder,

Sie lag ftill und rührte fi) nicht, und mit heißer

20 Die Siegerin. D

Inbrunſt dachte fie: „Vielleicht fommt doch ein Zu- ſammenſtoß, denn dies kann ich nicht überleben, dies ift eine Schmach. An Heinz darf ich nie mehr denten, denn nun bin ich eine Ehrlofe. Nun bin ic im Sumpf.“

„Sieh mich an!“ gebot er,

Sie öffnete die Augen und begegnete feinem: ihillernden Blid,

Er fuhr zurüd, „Du haft Augen wie eine Tote,“ lagte er. „Du follft mich nicht fo kalt anſehen leuchtend, lachend müjjen deine Augen fein!“

Sie ſchüttelte den Kopf.

Da wurde er zornig. „Lache, dab ich deine weißen Zähnchen ehe!“

Da lachte Erika,

„So iſt's recht! Immer follft du lachen und glüdlich fein. Und die Augen werden dir leuchten, und dein fleines, winziges Herzchen wird rajcher Hopfen. Ich will ein zärtlihes Frauchen!“

Erika faltete die Hände über der Bruft, und wie in ihren Rindertagen betete fie: „Lieber Gott, laß ein Unglück geſchehen!“

Er küßte die geſchloſſenen Augen. „Die Augen hat Heinz geküßt —“ dachte ſie müde.

Da fuhr der Zug in eine Halle. Wengern ſetzte ſie vorſichtig aufrecht wie eine Puppe.

„Wir ſteigen hier aus, Erika. Mach dich zurecht!“

Sie ſah gedankenlos aus dem Fenſter. Sie ſtieg aus und ging wie im Traume über den langen Bahn- ſteig. Erft als fie dem neugierigen Blid eines Herten begegnete, nahm fie ſich zuſammen und hob den Ropf. Sie lächelte verächtlich.

Wengern ging dicht an ihrer Seite, Neben ihrer aufrechten, jtolzen Gejtalt ſah er Hein und plump aus, und er empfand den Kontraſt, er las ihn aus den Blicken

D Roman von Elje Höffer, 21

der Vorübergehenden, die über ihn hinweg auf Erika fahen, und ein ftiller Ärger bohrte in ihm. Aber doc glitt fein Auge bewundernd über die feinen Linien ihrer Geitalt,

Zum eriten Male beachtete er ihre freie Ropfhaltung. „Sie läßt fih nicht Duden, fie hat Rafjel“ Und auf einmal fühlte er fih als Plebejer neben ihr. Gie hatte entihieden etwas Hochmütiges. Das kam ihr ihm gegen- über nicht zu, denn ihm verdantte fie das glänzende Leben, das auf fie wartete. Er war der Gebende, fie follte Hein und dankbar fein, Sie jollte einjehen lernen, daß das Geld eine Macht war, die alle Naden beugte. Und auch ihr ſtolzer Naden follte ſich beugen.

Er drüdte dem Portier, der ihre Roffer zum Hotel- automobil trug, auffällig ein Goldſtück in die Hand, Aber Erika ſah über ihn hinweg, Er ärgerte ſich wieder. Er würde ihr ſchon noch imponieren,

Als er ihr in dem weich rollenden Automobil gegen- überjaß und ihr fchönes, helles Geficht Jah mit den düjte-

ren Augen und dem feitgefchlojfenen Mund, da fiegte -

wieder feine Derliebtheit, und er griff nach ihrer Hand,

Erika ließ es geſchehen, fchlaff, leblos duldete ihre Hand den leidenfchaftlihen Drud,

Dann ftand Erita im Hotelzimmer, vor ſich die geöffneten Koffer, aus denen die Kleider quollen. And wie fie die beiden eleganten Roffer anjah, die fp dicht und felbjtverjtändlich nebeneinanderitanden, da wurde ihr graufam das Intime ihres künftigen Lebens ar, Unzertrennlich follten fie fein, Tag und Nacht jollte fie ihn neben fich dulden, feinen Atem hören, vor feiner Leidenjchaft zittern, Sie preßte die Fäuſte an die Schläfen und ſah ſich verängitigt im Zimmer um. Noch war fie allein, Aber gleih würde .er fommen und fie in feine Arne nehmen,

22 Die Siegerin. D

Da lachte fie grell auf. „Ih, Erika Farnhorft ich joll dies erleben?“ Sie redte fih auf. „Nein, ic) kann es nicht, ih tue es nicht mag kommen, was will. Lieber geh’ ih in den Tod!“

Da hörte fie feine Stimme auf der Treppe. Gie zudte zufammen und ftürzte zur Tür, Beſinnungslos, pon einem tollen Entſetzen gefaßt, lief fie duch ein dunkles Zimmer, über einen breiten, menfchenleeren Korridor, die Treppe hinab. Gie begegnete niemand. In feiner Loge faß der Portier und fchlief. Dann war fie auf einer mattbeleucdhteten Straße, und wie ein Zubeln zog es durch ihr Herz: „Frei bin ih frei!“ Sie ftürzte vorwärts, ziellos, nur mit dem brennenden Wunſche, diefem Manne zu entgehen, frei zu fein, immer mehr Raum zu legen zwiſchen fih und ihm, nicht mehr die gleihe Luft zu atmen, feine Nähe nicht mehr zu fühlen,

Die ein Zreudentaumel fam es über fie. „gebt bin ich wieder ich felbit, alles war ein häßlicher Traum, ich laſſe mich nicht zerbrechen ih will nicht!“

Sie breitete die Arme aus und atmete tief, Um fie war tiefe Stille, nur von fern hörte man zuweilen einen Magen rollen, zuweilen begegnete ihr ein einjamer Nahtihmwärmer, der fie erjtaunt oder unverihämt anſah, einmal erſcholl auch ein freches Wort. Aber es glitt an ihr ab, es drang nicht in ihr Bewußtfein, in ihrem Snnern war eine helle Freude, eine felige Be- freiung. Sie wußte nicht, wo fie war, fie kannte die Stadt nicht, die Straßen waren ihr fremd, die Häufer mit den gefchlofjenen Läden unheimlich,

Dann kamen duntlle, verihwiegene Anlagen, „Ob ih’s wagen kann, bier auszuruhben? Er ift mir wohl nicht gefolgt, er kann mich nicht einholen.“

Da fühlte fie erft, daß ihre Rniee zitterten und daß

D Roman von Elfe Höffer. 25

ihre Bruft [hwer nad) Atem rang. Sie jant auf eine Bant, die feuht war vom Nachttau. Sie lehnte den Ropf gegen die kalte Lehne und bemühte ſich langſam und regelmäßig zu atmen. Dann famen die Gedanten, und wie fie fich in dem tiefen, ſchwarzen Duntel um- lab, fam auch das Entſetzen.

„Sp verlajfen wie ic ift doch kein Menfch auf der Melt! So einfam fp wund —“

Und ihre Gedanken ſuchten nach einem Menſchen, an den fie ſich klammern konnten in dieſer dunklen Einſamkeit.

Sie preßte die Hände ineinander. „Ich darf ja nicht an dich denken, Heinz, und ich will auch nicht! Das iſt ja ein Treubruch der Gedanken, und ich will doch an- ſtändig bleiben.“

Sie preßte den Ropf fefter gegen das kalte Eijen der Lehne. |

„Dater, an dich darf ich denken! Wie froh bin ich, daß du nicht weißt, daß dein Rind hier in Todesangſt durch die Naht hebt, daß ich einfam in einer fremden Stadt duch die Straßen irre, jeder Gefahr preisgegeben !“ Sie jah hinter fih ins Dunkel. „Gefahr was ift mir Gefahr? Dor nichts fürchte ih mich ſo wie vor ihm, was mir auch gejcheben mag.“

Sie lauſchte angftvoll auf jeden Tritt in der Ferne, Wenn er fie fuchte, wenn er die Polizei aufbot, wenn man Zagd auf fie machte dann müßte fie ihm folgen, denn fie war feine Frau! Da durfte fie ſich nicht weigern, Sie war ja an ihn gefe fjelt fürs Leben.

Ein Schaudern kroch über ihren Rüden, Uber einen Ausweg gab es, einen dunklen, ſchweren. Gie ftahl jich leife davon aus dem Leben, fie betrog ihn um den Raufpreis. Sie ladte leife. Wenn man fie dann aus dem Waſſer zog, wenn er mit blaffem, entſetztem

2A Die Glegerin. [e|

Geſicht vor ihrem Leichnam ſtand, dann hatte fie ge- liegt, dann ftimmte feine jchlaue Rechnung nit. Sie fah das Bild deutlich vor Augen: fein rundes, ver- blüfftes Gefiht und ihre bleiben Züge unter dem triefenden Haar. Pas war dann ihr Triumph, ihr Triumph über die Gemeindeit, die fie hatte knechten wollen.

Sie fuhr fih über die Stirn, „Sch biege, aber breche nicht!“

Dann war der Zwieipalt wieder da. „Doch ich breche ja zuſammen unter der Lajt, die ih auf mid genommen, und die ich nicht weiter tragen kann. Ich babe meine Kraft überfchätt. Zch habe an des Vaters Grab gelobt, fie zu tragen mutig und ſtark, aber ih kann nicht, denn die Bürde ift nicht nur ſchwer, fie ift auch ſchmutzig. ZH will fterben, folange ich nody frei . und rein bin.“

Sie erhob ſich und ging duch die dunklen Anlagen. Zuweilen jtießen ihre Füße gegen einen Stein, zu- weilen blieb ihr Kleid an einem Zweig hängen,

„Irgendwo muß ich an Waller kommen irgendwo muß doch ein Fluß fein, eine Brüde. Dann febe ich mic) noch einmal in das Dunkel und denke an Heinz dann wird mir der Entjchluß leicht.“

Ein raſcher Schritt kam ihr entgegen, Sie erichrat und drüdte fich gegen eine Mauer, „Wenn er mich fucht, wenn er mich findet! Wo mag nur der Fluß fein? Wenn ih nur Wafjer fände!“

Sie lief kreuz und quer durch die Straßen, aber überali hemmten Häufer den Blick. „Bielleicht bin ih ganz in der Nähe und weiß es nicht.“

Ein Schutmann begegnete ihr, der fie jcharf und ſtreng mufterte. Sie fentte den Blick. Sie ſchämte ſich plötzlich. Aber dann war der Gedanke raſch über-

[e| Roman: von Elfe Höffer. 25

wunden nur vorwärts, ehe er mich findet. Wie groß die Stadt war, wie fremd und wie kalt, die Straßen ihienen alle gleich.

Aus einer Nebengafje ſcholl ein heiferes, trunkenes Sohlen. Sie lief rafcher. Da bogen dicht vor ihr zwei ihwantende Geftalten in die Straße und jperrten ihr den Weg. Sie wich) zur Seite, es ſchlug ihr ein wider- liher Schnapsdunft ins Geſicht. Der eine folgte Ihwantend ihren Bewegungen und breitete die Arme aus. „Schönes Fräulein —“

Der andere lachte und tappte auf fie zu. Da drehte fie um und lief den Weg zurüd entfebt, angewidert, Hinter fih hörte fie die tappenden Schritte und da- zwiſchen den lachenden, truntenen Ruf: „Warten Sie doch, Ihönes Fräulein!“

Halb bejinnungslos lief fie vorwärts, das Blut taufchte vor ihren Obren, ihr Herz klopfte betäubend, die Rniee wankten und trugen fie kaum. Sie bog um eine Ede, dann links wieder in eine enge Gaſſe, dann geradeaus immer vorwärts,

Dann ftand fie auf einem Plate, und in fchlanter, unendliher Schönheit hob fich vor ihr ein Dom. Ein dunkles Portal zwifchen hellen Säulen, breite Stufen führten hinan.

Zetzt wurde Erika aufeinmalruhig. Hier war Schuß, bier war Friede, Sn diefen Dom wagte fich keine truntene Begierde. Sie ftieg die Stufen hinan und Ichritt in die Vorhalle, die fih hoch über ihr wölbte. Da brachen ihre Kräfte. Sie ſank zu Boden, ihr Rörper lag auf dem kühlen Stein, ihr Geſicht ſchmiegte ich gegen den groben Stein, der den Boden deckte. Sie dachte nur noch matt: „Hier ift Schuß vor allem!“

Dann ſchwanden ihre Sinne,

m

26 Die Siegerin. 0

Ein helles, ſcharfes Knattern und Krachen, das in einem dumpfen ODonnern verllang, wedte fie, Sie fuhr auf und ſah fih angitvoll um. Es war ſchwarze Finfternis um fie, eine drüdende Schwüle quoll duch das Portal und kämpfte mit der Kühle, die das Geftein ausatmete., Da zerriß ein bläulicher, audender Blitz die Dunkelheit, ein erneutes Krachen und fernes Rollen folgten,

Erika richtete Jich auf und lehnte den Ropf an den Sockel einer Säule. Sie war wie zerichlagen, die Kälte der Steine drang durch ihre Kleider und machte lie fröfteln, während die ſchwüle Luft heiß um ihre Stirne ſtrich.

Wieder ein züngelnder Blitz. Hell und ſcharf traten die Säulen aus dem Dunkel, für einen Augenblick gewannen die Blüten der Kapitelle atmendes Leben, die grotesken Fratzen der Waſſerſpeier verzerrten ſich, und die milden Züge der Heiligen neben dem Portal lächelten ſanft. Dann wieder tiefe Nacht, nur das Don- nern grollte über der Stadt.

Erika jtübte die Stirn in die Hand und beobachtete das wechjelnde, reizpolle und doch jo unheimliche Spiel der Blitze.

Dann fuhr ein ftarter Windftoß über den freien Platz. Er fing fih in dem klaren Bau des Turmes und fuchte faufend einen Ausweg, Es war Erika, als hörte fie die Gloden leije klingen, aber das betäubende Raten des Donners verjchlang jeden Ton,

Und Bliß auf Blitz zudte hernieder und belebte das tote Geſtein des Domes. Die entfetlihe Schwüle wid, ein klatſchender Platzregen brach los, und Die Stopfen ſprühten nach allen Geiten,

Erika zitterte, die Zähne ſchlugen ihr aufeinander, Sie dachte nicht an ihr Gejchid, fie fah nur mit großen

Oo Roman von Elfe Höffer. 27

Augen in den wilden Gewitterjturm da draußen. Es ſchien, als tanzte der Wind auf dem Platze vor dem Dome, als ftoße er mit gewaltiger, wütender Wucht immer wieder gegen die feiten Pfeiler, um fie zu ftürzen, und im Turme pfiff er fein wildes Lied, das der Donner mit braujendem Orchefter begleitete. Dann fchien es, als würden die Atemzüge des Sturmes langjamer, der Regen fiel weicher, und ſchließlich lag eine füße Stille über dem weiten Plate, in die nur Das leiſe Riefeln des Regens klang.

Erika ftand auf, ihre Glieder waren fteif und fchwer, ihr Ropf ſchmerzte fie, mühſam zwang fie die Gedanken. „ah muß Har werden, ich muß einen Entjchluß faſſen. Hier kann ich doch nicht bleiben, bis die Rirchgänger tommen, bis der Tag hell wird.“ |

Sie ſah drüben über einem verſchwommenen Dachfirſt einen lichten Streifen das war der neue Morgen.

- „3b muß einen Entihluß fallen, ih muß irgend etwas tun! Aber was? Fliehen?“ Sie lachte, Sie war ja gebunden, man würde fie fuchen und finden. Und dann, fie hatte ja gar kein Geld, fie konnte nidyt einmal nad) Haufe fahren. Sie war in einer fremden Stadt, niemand kannte fie, niemand half ihr. Und wenn aud), was nüßte es? Wengern würde fie ja doch zwingen zur Rückkehr. Er hatte den Bruder in der Hand und damit die ganze Schande der Familie, Er ftürzte fie alle ins Elend. Und das hatte fie ja doch vermeiden wollen, dazu hatte fie ja das Opfer gebradht! Und nun auf halben Wege verjagte fiel

Das Grauen fchüttelte fie. Sie fchlang die Arme um den ſchlanken Schaft einer Säule, „O mein Gott,“ murmelte fie, „o Gott dies war das lebte Auflehnen nun bin ich gebrochen! Ich muß gurüd zu ihm!“

28 Die Siegerin. 0

Sie ſchluchzte auf. „Nun foll endlich alles tot fein in mir!“

Zangjam ging fie die Stufen hinab, der feine Regen riefelte no) und durchnäßte fie. Sie fuchte das Hotel. Mit müden Schritten ging fie durch die Straßen, planlos, todmüde und erihöpft. „Wenn ih Waller ſehe, tue ih es doch noch, ih kann nicht anders!“

An den Gedanten klammerte fie ſich.

Da Stand fie plöglich vor dem Hotel, Sie wartete, bis fih in dem gewaltigen Bau das Leben regte. Sie wartete in Demut wie eine Bettlerin. Und als der Portier gähnend aus feiner Loge trat, fchritt fie an ihm vorüber, die breite Treppe binan.

Wengern empfing fie ſchon auf dem Rorridor. Er war angelleidet, fchien überhaupt nicht zur Ruhe gegangen zu fein. Helle Freude ftrahlte aus feinem geröteten Geficht, Er jagte ihr fein Wort des Vorwurfs.

Dreiundzwanzigites Rapitel,

„Ich will mich ſelbſt vergefjen, will alles auslöfchen, was war. Ich will ein ganz neues Leben anfangen, mit neuem Inhalt und neuen Dorausfegungen, will meine Gedanten hüten, damit fie nie mehr zurüd- Ichweifen ins Gewejene,“

Wengern war mit feiner jungen Frau jehr zufrieden, Überall, wohin fie famen, fiel fie auf durch ihre Schön- heit und ihr vornehmes Auftreten. Auf den Rennpläßen wat jie eine elegante, im Balljaal eine geradezu glänzende Erjheinung, Es wurde ihr viel gehuldigt, und manch ein Ravalier wagte, angefichts des ungleihen Paares, einen Vorſtoß. Doch nicht das leifeite Entgegentommen ermutigte ihn, Erita nahm die Bewunderung hin wie etwas Selbjiverjtändliches, ihr unendlich Gleichgültiges,

Oo Roman von Elje Höffer. 29

Sie lebten viel auf Reifen, in der großen Welt, in der die alten Namen klingen, und in der das Geld der breite goldene Boden iſt, auf dem das Leben fich aufbaut, Wengern wünjchte mit feiner Frau zu glänzen. Er überjchüttete fie mit Zoiletten und Schmud, und Erikas Lippen zudten hodhmütig , wenn ſie an feiner Seite in eine Loge trat und alle Operngläfer ſich auf lie richteten, Sie fah feinen befriedigten Blid, der duch das Theater glitt, und fie dachte bitter: „Zebt jtellt er mich aus!“

Und wenn fie feinen rajchen, gepreßten Atem neben lich hörte, wußte fie, daß die Bewunderung und der Neid in den Männeraugen feine Leidenschaft zu höheren Wellen aufpeitihte, Immer wieder kroch das eifige Grauen über fie hin, der Ekel, aber fie preßte die Hände zufammen und dachte: „Es muß alles tot fein in mir es muß! Ich will tun für ihn, was ich kann, ih will fein Vermögen glänzend zur Schau tragen, ih will mich jchmüden, meine Schönheit pflegen, Seine Eitelkeit joll Triumphe feiern, Aber mehr kann ih nicht. Damit muß er fih begnügen! Hier ift die Grenze!“

Und fie jpannte ihren kraftvollen Willen an bis zum äußerten. Sie zwang alles perjönliche Leben in ihrer Brust nieder, Sch bin nicht mehr Erika Farnhorit, ih bin Erika Wengern. Das ift eine ganz andere, Das ijt eine elegante Frau, die für ihre Toiletten lebt, und die die Küſſe eines ungeliebten Mannes duldet,

Oft dachte fie: „Wenn nur die nächſten Zahre vorüber wären, wenn ich nur ſchon alt wäre und grau! Dann ift auch er alt geworden, feine Leidenjchaft ift erkaltet, und ich kann mir den Frieden fuchen im Leben, da meiner Zugend das Glüd verjagt iſt. Frieden Frieden!“ Sie berauſchte fihb an dem Worte, und

30 Sie Siegerin. . 0

ſchmerzlich lächelnd wiederholte fie leife: „Frieden! Dann werde ih in einem einfamen Haufe wohnen mitten in einem alten dichten Bart, und ic) werde nicht mehr an die Menichen denken, nur auf die Vögel will ih horchen, und Blumen will ich pflegen, tatenlos will ich mein Leben verdämmern bis zum Ende. Alles Leid will ih vergeijen, alle getäufhten Hoffnungen, und in jeder Stunde will ih den Frieden genießen.“

Und fie fah die Zahre, die vor ihr lagen: Unruhe, Glanz, Sejelligteit, werbende Leidenihaft, Menfchen Menſchen, eine endlofe Kette gleichgültiger fremder Menſchen, die an ihr vorüberglitten, Menfchen, die ihr nichts zu geben hatten, Menſchen, denen fie nichts war als die ſchöne Frau, mit der man flüdhtige, an- genehme Stunden verplaudert, Menfchen, die niemals nah ihrem Snnern fragen würden, die niemals vor ihr ihr Herz Öffnen würden zu freudigem Geben und Nehmen, Menſchen, die man nur in der Gejellichafts- toilette jah, die auch ihre Gefühle nur in Gefellichafts- toilette vorführten. Niemals zeigte man ſich die Siefen der Seele, nur den flachen, lauen Strom der erlaubten, flachen, lauen Gefühle, unter denen fich fo vieles Elend birgt und fo vieler Schmutz.

Sp blieb fie einfam im bewegteften Kreiſe, ihre Augen ſuchten fein verwandtes Geſicht, fie blidten in die Ferne und fuchten den Frieden. Nur zuweilen Ichüttelte es fie wie ein Wetterſturm: „Gibt es wirklich kein Slüd für mich? Ich will das Glüd, das Glüd will ih!“ Und dann ſah fie wieder die erniten blauen Augen in einem leidvollen Gefiht Heinz! Und ihre heiße Liebe flutete empor, immer und immer wieder. Die fonnte nicht jterben. Und daneben glomm der Haß gegen den, der ihr Elend verfchuldet.

Denn fie an Hans dachte, wurde ihr Geſicht bleid),

D Roman von Elje Höffer. 31

und ihre Augen wurden weit. Sie fühlte, wie der Haß fih immer tiefer fraß, und je tiefer ihre Ehe fie demütigte, um fp gewaltiger loderte der Haß.

Erita faß in dem prunkvollen, düfteren Eßzimmer eines alten Gutshaufes, das zu Wengerns Beligungen gehörte, Auf ihre Bitten hatte er eingewilligt, für ein paar Wochen aufs Land zu ziehen, denn er ſah ein, daß Erifa abgejpannt und nervös war. Es wurde ihm fchwer, feinen gewohnten Kreis zu verlajjen, feine ſchöne, vielbewunderte Frau in der Einfamteit zu begraben. Aber anderfeits reizte ihn ein völliges Allein- fein mit ihr, und deshalb gab er nad), Er ließ das alte Herrenhaus neu einrichten, und als Erifa den uralten Part ſah, da lächelte fie glüdlich, und lebhaft wandte fie jih an ihren Mann: „Hier möchte ich wohl immer wohnen!“

Er jchüttelte den Ropf. „Liebes Rind, ſolch eine junge Stau gehört nicht in die Einfamteit,“

Da ließ fie den Ropf finten, und leife fagte fie: „Aber wenn wir alt find —“

Er late auf. „Dann vielleiht! Aber bis dahin will ih noch aus vielen neidifhen Augen lefen, weld eine fchöne, bezaubernde Frau ich habe! Ich weiß es ja, aber all die heißen Blide der anderen müſſen es mir bejtätigen, ih muß wilfen, daß ich beneidet werde, ib muß fehen, daß du gefällit, daß du Die Schönſte bift!“

Erika ſtrich fich über die Stirn. Was wollte diefer Mann von ihr? Ihre Seele erreichte er ja nie, Die blieb frei auch in diefer Sklaverei,

Erika ſah über das blintende Silber des Teetiſches und zog eine Daje mit Rojen näher zu fich heran, Wengern fette fich ihr gegenüber. Er gewöhnte fich

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allmählih an Eritas Kälte und Ruhe, Er hielt fie für herzlos und gleihmütig, er gab es auf, bei ihr die gleiche Leidenſchaft zu weden.

„Rein ift fie ja Doch!“ dachte er triumphierend, Diefes Bewußtjein genügte ihm. „Sie hat eben kein Semperament, Aber das ijt auch gut, das bewahrt jie voor Oummheiten. Sie ift ſchön, ift mein und das ift die Hauptjache,“

Er griff nah den Briefichaften, die neben feiner Taſſe lagen, Er öffnete und las rafh, Dann ergriff er lebhaft Erikas Hand.

„Du, Erika, dente Hans hat fich verlobt!“

Erita ſah ihn gleihmütig an.

„Zoch dazu mit meiner Baſe, mit Erna Landhof! Großartige Partie, ſage ich dir! Das Mädel iſt ſchwer reich! Ich habe ſelbſt mal an ſie gedacht, bevor ich Dich kannte, dann aber hab’ ich ihn ſcharf darauf gemacht, und der Schlaumeier hat angebiſſen. Na, es war Seit, daß er fich rangierte, und es iſt vernünftig, daß er fich jo glänzend rangiert! Freuſt du dich nicht?“

Erita hob die Schultern. „Ich habe es gar nicht anders erwartet, Dies ijt doch das übliche Ziel diefer Sorte von Menjchen.“

Wengern wurde ärgerlih. „Na, ein armes Mädel hätte er doch nicht nehmen können, Du bilt unver- nünftig, du weißt doch, auf welchem Fuße dein edler Bruder lebt. Übrigens ift fie ganz nett.“

„Dann tut fie mir leid.“

Wengern late. „Ob, fie ift hölliich energiih. Sie wird ihn kurz halten.“

Erita erhob fih, Ihr war, als ſei von einem ganz Fremden die Rede, und nur fchattenhaft glitt durch ihre Seele der Gedanke: „Wie habe ich ihn einjt lieb» gehabt!" Sie trat an das Zeniter und lehnte fich weit

8 Roman von Elſe Höffer. 33

hinaus, Nun war alles folgerichtig gelommen: das flotte Leben, die reihe Frau. Und nun? Sie würde ihn kurz halten, hatte ihre Mann gefagt, Nun würde er vielleiht büßen für feine leichtfinnigen Sünden, Dielleicht würde er auch weiter ſündigen. Was ging es fie an.

Mengern trat neben fie. Sein rundes Geficht itrahlte in gutmütiger Freude, „Ich finde die Sache famos. Er ift ja kein Zugendheld, und die Geſchichte mit den Wechſeln damals war ganz unglaublid. Uber fie Hat mir ja dich eingebracht, und darum iſt fie längjt vergeben und vergeſſen. Übrigens wird ihn Erna Ihon Mein kriegen. Pie Landhofs können das Geld zuſammenhalten, das ijt ein Familienzug von ihnen, Bei uns konnten fie es immer beſſer unter die Leute bringen, darum hat aud all der gute Wein meinen Dater in ein frühes Grab gebracht, und meine Mutter bat fich aufgerieben in dem flotten Leben,“

Er wartete auf Antwort, aber Erika ſchwieg.

Schlieglih fuhr er fort: „Er kommt wenigjtens deiner Mutter von der Taſche. Und das ift die höchite Zeit, Sie hat ohnedies ihre Not, bis fie die Kleinen untergebracht haben wird. Sch habe ihr meine Hilfe angeboten und —“

Eritafuhrauf, „Nein, auf keinen Fall!“ ſagteſie erregt.

Er ſah ſie ärgerlich an. „Herrgott, ein paar hundert Mark ſind doch nicht der Rede wert!“

„Nein, das dulde ich nicht!“ Erika zitterte. „Auf keinen Fall ſollſt du meine Familie unterſtützen! Du ſollſt mich nicht noch feſter binden!“

Er biß ſich auf die Lippe. „Ich wollte, ich hätte dir nichts geſagt. Was ſoll denn aus den beiden Zungen werden? Der Zufhuß ift doch minimal, den ihnen deine Mutter geben kann!“

1910. XI. | 8

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„Sie follen ſich einfchränten, aber nicht von dir abhängen. Sie follen arbeiten, follen —“

Wengern lachte ſpöttiſch. „Ich dächte, fie hätten ein ſchönes Beifpiel!“

Erika jah ihn entjeßt an. Der Gedanke war ihr noch niemals gelommen, Wenn die beiden jüngeren Brüder Dasjelbe leichtjinnige Blut hatten wie Hans, wenn fie denfelben Weg gingen! Obwohl fie den Shren durch ihre Heirat fremd geworden war, quoll eine heiße zärtlihe Angſt in ihr auf. Nein, die beiden frijchen, fröhlichen Zungen durften diefen Weg nit geben! Sie follten werden, wie der Dater gewejen war. Und fie ſah Ernft vor fich, fein ſchmales, energifches Geſicht. Za, der erreichte das Ziel wohl, der brach nicht zufammen vor einem Hindernis, Aber Mar, der war fo weich, jo ſchwach, für dert gab es Verfuchungen und Gefahren, denen er nicht gewachſen war,

Ronnte fie ihn ſchützen? Ach, wie wenig konnte man doh einem Menſchen helfen! Man konnte ihn wohl eine Weile halten und vorwärtsfchleppen, ſchließlich aber ging er doch an feiner inneren Untraft zugrunde, wenn er nicht eritarkte im Lebenstampf.

Wer Kraft hat, der fiegt, und das iſt gut fo, denn die Starten müfjen das Leben tragen.

„Ich bin hart geworden,“ dachte Erika, und ihre Gedanken gingen weiter. Sie erſchrak in tiefiter Seele, „Dann war im lebten Grunde mein Opfer ein Unreht an meiner Kraft, eine Sünde gegen Das Leben, dem meine Kraft beſſer gedient hätte als der andere.“ Und auf einmal ftand ein Wort vor ihrer Seele:

„Nur eine Sünde wird nie vergeben, Die die treibende Kraft zerbricht, Das iſt die Sünde gegen das Leben —“

D Roman von Elfe Höffer. 35

Gie zitterte. „Aber ih tat es ja nicht für ihn! Ich mußte ja die anderen retten!“

Nein nein, ihr Opfer durfte nicht umfonft ce- weſen fein, fonft verlor ihr Leben den einzigen moralijchen Halt, nur die rettende Tat konnte die Schmad der Ehe ohne Liebe löſchen, konnte fie adeln und von der Er- niedrigung reinigen.

„3b habe mein junges Leben geopfert, ich habe mic) felbft in den Schmuß gezogen, um andere vor dem Schmuß zu bewahren, War es recht, war es unrecht?“

Zum eriten Male padten fie die Zweifel an dem Wert ihrer Sat, ein wilder Tumult wogte in ihr. Shr war, als fei ihr Lebensſchiff jteuerlos geworden.

Endlih zwang ihr Wille die wogenden Empfin- dungen zur Ruhe. „Sch habe getan, was ich tun mußte. Und ich werde mein Leben lang tun, was ich muß, die Ketten tragen oder zerreißen ich weiß es nicht,“

Fhr Mann lag auf dem Sofa und raudte Figa- retten. Am Boden lagen Sportzeitungen zerjtreut. Einen Augenblid padte fie ein jäher Zorn über dies nußlofe, tatenlofe Drohnenleben. Dann nahm fie ſich zuſammen.

„Heinrich, ich möchte in den nächſten Tagen nach Hauſe reiſen, um mit der Mutter über die Zukunft der Zungen zu ſprechen. Ich hoffe, du haſt nichts dagegen.“

Er richtete ſich halb auf. „Aber das kann ich doch viel beſſer.“

Sie ſchüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, daß es Mutter recht iſt, wenn du dich in dieſe Angelegenheiten miſcheſt.“

Er wollte auffahren, aber ſeine Gedanken glitten raſch ab. „Meinetwegen,“ ſagte er.

Erika wandte ſich zur Türe.

36 Die Giegerin. Q

Da ſprang er auf, umfaßte fie mit beiden Armen und 30g fie neben fi) auf das Sofa, Sie wehrte fich entjeßt, aber feine leidenfchaftlihe Rraft zwang ihren Widerſtand.

„Mein biſt du vergiß das nie!“ keuchte er heiſer.

Sie erhob ſich taumelnd, ihr war, als tanzten alle Möbel vor ihren Augen. Sie floh in das fernſte Zimmer und verſchloß die Türe angſtvoll. Dann ſank fie auf den Teppich und vergrub das Geficht in die Arme, ein wildes Schluchzen überfiel fie,

„Ich kann nicht, id kann nicht mehr, ich zerbreche!“ Und der Abſcheu wudhs in ihr gegen den Mann, der fie mit triumphierendem Beitgergefühl in feinem Arm hielt, der ihren Mund küßte, obwohl ihre Lippen in Ekel zuckten. „Er ift ein Elender! Wie kann ein Mann ein Weib küffen, das ihn verabſcheut!“ Sie preßte die Stirn in den Teppich. „Sch will aber niht! Ich will mich wehren und empören, folange meine Rraft noch in mir ift! Sch kann ja gar nicht unterliegen, ich muß fiegen, und ih will fiegen!“

Dierundzwanzigites Rapitel,

Eine ſchwüle Sommernadbt lag über dem Part, in dem die dunklen Bäume ftarr und regungslos itanden, als warteten fie atemlos auf einen erlöfenden Sturm, der die laftende Glut linderte,. Es war ein Ihwüles, jchweres Schweigen in der Natur, ein bangendes Warten auf eine nabende Gefahr.

Erika ſaß am Fenſter und ſah in den dunklen Bart hinab, Die heiße Luft im Zimmer ließ fie nicht fchlafen, der fchwere Duft der Rofen und des Zasmins, der zu ihr hereindrang, erregte fie. Ruhelos war fie dur) die weiten, pruntvollen Räume gewandert, in denen

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fie eine Fremde war und bleiben würde, in denen nicht ein einziges Winkelchen von ihrem Weſen ſprach. Alles hatten fremde Hände aufgejtellt, fremder Geſchmack hatte gewählt und beftimmt, fie fam und ging wie ein Saft, die Räume und Gegenjtände traten nicht in Be- ziehung zu ihrer Perjönlichkeit. Heimatlos war jie, rechtlos in den reihen Beſitzungen des Gatten, ein Ichöner, feltener Gegenftand, den er erworben, und der fih anreihte an die lange Kette der Roftbarkeiten, die er beſaß.

Sie ſaß am Fenfter und wartete, Sie wartete auf das ferne Summen des Automobils. Wengern war noch nicht heimgekehrt. DVielleiht war das Auto- mobil beihädigt, und er mußte auswärts übernachten.

Sie beugte fih in die Naht hinaus und horchte. Aber die tiefe drüdende Stille herrſchte wie zuvor. Sicher war mit dem Automobil etwas paffiert, oder oder —? Ihr Herzſchlag ſetzte aus, und dann begann das Herz rajend zu arbeiten. Oder —?

Oder er war verunglüdt! Langfam fuhr fie fi mit der Hand über die Augen, Solche Unglüdsfälle waren ja an der Tagesordnung, und ihr Mann fuhr itets ein rafendes Tempo. Vielleicht konnte da in der Naht etwas gefchehen fein, vielleiht

Wieder horchte fie in die Nacht hinaus, Dielleicht lag er hilflos irgendwo, unfähig fih zu rühten, fern von jeder menfchlichen Unterſtützung. Sie erhob fich, Sie mußte die Diener weden, fie mußte Telegramme aufgeben, man mußte nach ihm fuchen,

Sie legte die Hand auf die Klingel, aber fie ließ fie wieder finten. Wo war er denn? Gie wußte ja gar nicht, wohin er gefahren war, Sie konnte nicht aufs Geratewohl die Leute in die Nacht hinausjagen, fie mußte warten.

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Und wieder faß fie am Fenſter, und wieder fhlich der Gedanke an fie heran: „Wenn er tot ift, bin ich frei —“

Es war, als krallten fih ihre Gedanken an diefen Worten feit. Sie glitt von ihrem Sitz. Auf den Knieen lag fie vor dem Feniter, rang die Hände wie in wilden Gebet. „Dann bin ih frei! Ich will frei fein!“ Entſetzt hielt fie inne. Was hatte fie Grauenvolles gejagt?! Der fündige Wunfh war ein Verbrechen! Und doc, gewaltiger fammelten ſich die Kräfte ihrer Seele zu einem heißen Fleben: „Laß mid) frei fein!“

Und die Stunden rannen langjam dahin, die Naht Ihlid träge vorwärts, Noch immer lag fie auf den Rnieen, die Glieder Shmerzten, der Ropf war ihr ſchwer und wült, die Augen brannten.

Ein dumpfes, furrendes Geräuſch ließ fie plößlic) auffahren. Da kamen fie, da brachten fie ihn! Zitternd lehnte fie fih zum Fenſter hinaus. Wie langjam der Chauffeur fuhr!

Das Automobil bog in den breiten Parkweg ein. Sm fahlen Morgengrau fchimmerten die Metall- beichläge. Erika preßte die Hand aufs Herz. Sie konnte ſich nicht rühren. Drunten hielt das Automobil, dicht vor der Treppe. Der Chauffeur ſprang ab und ftieg tajh die Treppe empor, Die elektriihe Klingel gellte Ihrill durch das Haus.

Erika atmete kaum. Zhr Körper war eritarrt in atemlofem Laufen. Dann hörte fie unten flüfternde Männerftimmen. Der Diener trat mit dem Chauffeur an das Gefährt, Dann fah Erika, wie fie einen ſchweren Körper vorfichtig aus dem Wagen hoben und langfam die Stufen emportrugen, Nur undeutlih erkannte fie die Umriſſe.

Ein dumpfer Drud legte fih ihr auf den Ropf.

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Mehaniih ging. fie zur Türe und dffnete fie weit. Aus dem Treppenhauſe jcholl das keuchende Atmen der Männer, Mühſam hielt fie fih aufreht. Dann bejann fie ſich, es war ja dunkel, fie mußte leuchten. Sitternd zündete fie eine Rerze an und hob fie mit unfidherer Hand. Sie fah den Rüden des Chauffeurs, der fich unter der Laſt krümmte. Gie fah das glatte, ausdrudslofe Gefiht des Dieners.

Dann öffnete fie die Lippen. „Ein Unglüd?“ fragte fie heiſer.

Der Diener fchüttelte den Ropf, und ein verlegenes Lächeln kroch um feinen Mund,

„Was denn? Was ijt?“

„Es iſt etwas anderes, gnädige Frau.“

Sie beugte fich vor, fie veritand nicht. Das zudende Licht huſchte unfiher über Wengerns Rörper, der Ropf pendelte baltlos hin und ber.

Die Männer fchritten rafh an ihr vorüber und legten den Herren aufs Bett, dann ging der Chauffeur davon. Er griff nah feiner Mübe und ſah an der jungen Frau vorüber, mit dem Ärmel wifchte er ſich tafh den Schweiß vom Gefiht. Seine Schritte ver- hallten.

Erika trat dicht an das Bett, der Diener wich zur Seite, Da hörte fie ein röchelndes Schnarchen, und ein widerliher Dunſt ſchlug ihr entgegen.

Sie richtete fih ruhig auf. „Sie können gehen!“

Der Diener ging und drüdte die Türe leife ins Schloß, aud feine Augen hatten verlegen ihren Blid vermieden,

Das war es alfo! Betrunten war er! Shre Gedanten ſtanden ftill und kamen über dies Wort nicht hinweg, Sie trat weit vom Bett zurüd, bis ihr Rüden die Wand berührte. Ihr war, als müſſe fie davonlaufen, bis dies

Ian

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alles meilenweit hinter ihr lag, Doch ihre Augen bafteten auf der unförmigen Geftalt, die zufammen- gettümmt in den weißen Rijjen lag.

Alſo jo finnlos betrunten war er, daß man ihn ihleppen mußte wie einen leblofen Gegenjtand, daß er fich zum Gefpött feiner Diener machte, Betrunten daran hatte fie nicht gedacht, nie wäre ihr der Gedante getommen! Es war ihr bisher ganz jelbitverftändlich gewejen, daß Menſchen ihrer Geſellſchaftsklaſſe fich beherrichten in ihren Begierden und Snitinkten. Sie hatte noch niemals einen ſo betruntenen Menichen gejehen. Shren Vater hatte fie jtets nur nüchtern und beherricht in jeder Lebenslage gekannt.

Aber der da drüben! Der war der Parvenü ge- blieben troß feines Lurus, troß feiner Rennpferde und feudalen Güter; der fannte kein Maß, über den brach) eine Begierde herein und Inechtete ihn, und er wehrte ſich nicht! Er gab allen Gelüften nad) und erlag ihnen. Das war ein Menſch ohne Selbſtzucht und innere Rultur, ein Plebejer durch und durch.

Und an diefen Mann war fie gefejfelt! Für ein langes Leben gefejjelt! Der zerbrach fie und zog fie zu fich herab, und fie war ihm wehrlos preisgegeben, und fie würde wohl viele Nächte auf den Rnieen liegen mit dem wirren, fündigen Gebet: „Laß mich frei fein!“ Und er würde wiedertehren betrunten. Und am anderen Tage würde er fie in feine Arme nehmen und fie küſſen, und fie mußte es dulden. Ganz langjam, ganz ſchwer gingen ihre Herzichläge.

Sie trat dicht an das Bett. Pas fpielende Licht- flämmchen warf tanzende Reflexe auf das rote, ge- dunfene Geſicht, um. das der wirre Bart ftand. Pie Lippen waren weit geöffnet und bläulih, mühjam, ichnarchend, raſſelnd rang fih der Atem aus der

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ichwer arbeitenden Bruft. Die Hände zudten auf dem weißen Leinen, Schweißtropfen perlten auf der dunklen Haut, die ſchlaffen Muskeln zitterten bei jedem Atem- zuge, Es war ein widerlides Bild, und der Ekel ichüttelte die Frau, daß fie ſchwankte.

Dem war fie ausgeliefert dem da! Und in ihrer Bruft hob fich ein eifiges Gefühl, das fie ganz erfüllte, etwas Unheimliches war es, wie die Ahnung eines Verbrechens. Sie wich zurüd, bis fie unter dem Rron- leucdhter ftand, und langjam hob fie die Hand, und ihre Finger legten ſich feit um den Gashahn. Ihre Augen waren ſtarr auf das gedunjene Geficht gerichtet. Ihre Lippen bewegten fih. Ein Oruck und fie war frei!

Sie überlegte. Sie mußte noch die Fenſter ſchließen.

Mit feiter Hand drehte fie den Gashahn auf, Re- gungslos ſtand fie. Die Augen bohrten fich in das widerlihe Geſicht vor ihr. Da atmete fie den flauen, faden Gasgeruch, der Atem des Mannes ging ſchwer, die Frau rührte fich nicht.

„Ich werde zur Mörderin!“ Ein Zittern lief über ihre Geftalt. „Dann bin ich Br Ein Leuchten brach aus ihren Augen.

Stärter quoll der Da hörte ſie die Stimme des Baters: „Bleib du ſelbſt, ſteig nie in die Niederungen der Menſchheit hinab!“

Sie zudte zufammen und erwachte wie aus einem Saumed. Was wollte fie tun?

Sie preßte die Zähne in die Unterlippe und hob die Hand, Mit einem fchnappenden Geräufch fchloß ih der Hahn.

Dann ging fie hinaus.

Ourch alle Zimmer lief fie mit flüchtigen Schritten, als fei ihr die Verfuhung auf den Ferjen, und es hallte von den Wänden: „Frei wärejt du freil“

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Smmer rafcher ging fie, fie fühlte, wenn fie noch einmal zurüdfehrte und in dies wüſte Geficht fah, erlag fie der Berfuhung.

Es war ihr, als zöge ein geheimer Bann fie zurüd, der Gasgeruh war noch in ihrer Zunge, und ein Raunen war um fie, ein Wifpern und Säufeln: „Es ist ja jo einfah!t Keiner weiß es! Reiner merkt es! Und du bift frei frei!“

Mas find das für tolle Gewalten, die Ioden und reizen, bis die Tat getan?

Sie rang mit ihnen in ſchwerem Rampfe. Und fie bezwang fie. Sie ging in ihr Ankleidezimmer und legte ſich angelleidet auf den Diwan nieder, Und die ungeheure Spannung der Nacht löfte fih langſam.

Als Erita erwachte, lag die Sonne in zitternden Lichtfleden auf dem weißen Fell vor ihrem Lager. Sie erhob ſich mühſam und Elingelte. Das Mädchen erihien, und Erika ſah ein ſpöttiſches Blißen in ihren Augen. Da wußte fie, daß die Ereigniffe der Nacht Geſprächsthema in der Gefindeftube waren. Aber es berübrte fie nicht,

„Anna, paden Sie das Notwendigfte für ein paar Sage in einen Roffer und beftellen Sie das Automobil. Ich will zum Frühzug am Bahnhof fein.“

Das Mädchen machte große Augen und verſchwand.

Nah einer Heinen Weile kam fie wieder, „Soll ih gnädige Frau begleiten?“

„Nein.“

Erika zog fih ohne Haft an, wie jemand, der fein Ziel feit im Auge hat und fich nicht davon abbringen lafjen wird. Sie wollte nah Haufe. Sie fühlte, daß fie nicht fähig war, ihrem Manne zu begegnen, Allzu heiß brannte die Empörung in ihr. Sie wollte zur

Mutter, um über das Schidjal der Brüder zu fprechen.

"| Roman von Elfe Höffer. 43

Das war der angebliche Grund. Aber tief in ihrer Bruſt war eine weiche, heiße Sehnſucht nach der Mutterhand, die über ihre müde Stirn ſtreicheln und die wilden Gedanken glätten würde. Sie ſehnte ſich nach der Mutter, nach Irmgard, nach dem ſtillen, dunklen Park und dem feſten Haus mit den zwei Türmen.

Das war ihr Heimatboden, in dem alle ihre Gefühle wurzelten, der ſie genährt hatte in ihrem jungen Wachstum. Oort würde fie den Weg zu ſich ſelbſt zurückfinden. Hier blieb ſie ewig fremd. Ihre Wurzeln faßten nicht, ſie war wie ein Baum, der niemals mehr blühen, niemals Früchte tragen konnte, ſie mußte verdorren! Aus der Heimatluft wollte ſie neue Kraft ſchöpfen zum Ertragen oder zum Rampf.

As fie die grünlich blinkende Mofel wiederjah, wurden ihre Augen feucht, Und als fich die klobigen Türme des alten Städtchens hoben, da fchlug ihr Herz bis zum Halſe. Eine zitternde Erwartung war in ihr, Ob fie ihn wiederjah?

„Heinz Heinz!“ Der Name lag auf ihren Lippen und löfte alle Sehnſucht und alle Liebe. Und die häß- lichen Szenen, die fie erlebt, verjanten.

Auf dem Bahnhof fah fie kein bekanntes Geſicht. Sie zog den Schleier tiefer und fchritt raſch über den Bahniteig. Da drängte fich ein Gepädträger dicht an fie heran und nahm ihr die Taſche ab.

Sie lächelte. „Eine Oroſchke, Mathieut“

Er nidte.

Die Oroſchke fuhr in fchautelndem Trott über das holperige Pflaſter. Erika drüdte fih tief in die Ede, aber doch grüßten einige Bekannte überrafht. In dem Städtchen fiel jede fremde Erſcheinung fofort aufs

And dann fuhr fie durch feine Straße, an feinem

44 Die Siegerin, o

Haufe mußte fie vorbei, und ihr Herz pochte ungeftüm, ihr Blut ftieg in einer heißen Woge in ihre Wangen, und fie fühlte, daß fie den Mann noch liebte mit jeder Fiber, daß jeder Nerv in ihr bebte in feliger Erwar- tung,

Und fie vergaß, daß fie ihre Liebe unterdrüdt hatte, fie vergaß, daß fie an einen anderen Mann gebunden war. Ihr Herz drängte ihm entgegen wie in der glüdjeligiten Zeit ihres Lebens, Zhre Augen flogen über die graue Front des Haufes, fie fuchten feine Fenſter. Ob fie ihn ſah? Ob er wohl zufällig am Seniter ſtand?

Da ſah fie vor dem Haufe zwei Pferde. Ein Burſche hielt fie und wartete wohl auf feinen Herren. Sie beugte fich weit vor, Nun mußte er fommen, Doc das war ja der Braune nicht, und auch den Fuchs kannte fie nicht!

Da trat aus dem Haufe ein Offizier mit einem jungen, bildhübjchen Geficht, aus dem ein Baar fröhliche Augen die fremde elegante Dame neugierig anblikten.

Erika lehnte fih zurüd, Eine beilemmende Angjt war in ihr, Er wohnte aljo nicht mehr in der alten Mohnung. Er war fortgezogen,

Der Wagen donnerte durch) das Tor und fuhr auf die Landitraße hinaus, Aber Erika ſah die Heimat nicht. Das Land fchien ihr entfeelt und tot. Wo war Heinz Hartwig? Die Frage brannte in ihr,

Und als fie daheim die Arme um Mutter und Schweiter jchlang, da konnte die Freude nicht mehr durchdringen, da war fie ftill und bellommen, denn die ungelöjte Frage quälte fie, fie ſchwebte ihr auf den Lippen, und fie wagte fie doch nicht auszuſprechen.

Mutter und Schweiter fühlten bald das Fremde in Erikas Weſen. Sie empfanden das Unfreie ihrer

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Sreude, und wie ein Wall ſchob fih das Gefühl des Fremdſeins zwifchen fie.

Erika wollte in ihr Curmzimmer, fie hatte ſich darauf gefreut, in dem Heinen Gemach zu fchlafen und zu denen, daß alles nur ein wüſter Traum gewefen, fie immer noch die ftolze, frohe Erika Farnhorſt fei, die morgen über die taufrifche Waldichneife dem Geliebten entgegentitt,

Irmgard legte den Arm um ihre Schulter. „Seh lieber nicht in dein altes Zimmer. Du logierſt befier im Fremdenzimmer, da bajt du das Badezimmer näher.“

Erita nidte. „Alſo ins Fremdenzimmer!" dachte fie müde, „Auch hier fremd!“

Und als fie den Roffer auspadte, kreiſten troftlofe Gedanten in ihrem Ropfe: „Wohin gehöre ich eigentlich in der weiten Welt?“

Da hörte fie eine tiefe, leidenihaftdurchbebte Stimme: „Meine Heimat bift du!“

Wie hatte fie nur fragen können, wie hatte fie nur juchen können!

Semgard trat ein und ſah ihr bewundernd zu, wie fie all die blintenden Geräte auf dem Zoilettentifch aufbaute.

„Irmgard, fage mir, wo iſt Hartwig?“

Die Schweiter zudte zufammen. „Er iſt für ein Sahr beurlaubt auf Reifen,“ fagte fie leife.

Erita wurde blaß bis in die Lippen, wandte ſich ab und ordnete die Rämme und Büriten.

„Seit einem halben Zahr etwa,“ fagte Irmgard. „Ihr waret damals gerade in Norwegen, Er iſt gleich abgereift, nahdem —“ Sie ftodte, „Es war das beite für uns alle,“ fagte fie leife. „Sch babe es jebt auch verwunden. Du wohl auch?“

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Erifa nidte gedantenlos. Sie hätte am liebiten laut aufgefhhrieen: „Nein nein! Ich verwinde es niemals, ich will ja gar nicht!“ Aber fie blieb ganz jtill, nur ihre Hände zitterten leicht, dag das Kriſtall leiſe Hang.

Irmgard ſprach weiter, und ihre weihe Stimme Hang zärtlich und ſcheu. „Es ift mir ſchwer geworden, aber an dir habe ih mich aufgerichtet, Erika. Ich ſah, daß du fo rajch und mutig überwunden haft. Ich ver- itand ja deine Gründe nicht, und ich kenne fie auch heute nicht, aber ich dente mir manchmal, du haft Wengern geheiratet, um den Konflikt zwiſchen uns zu bejeitigen. Und ſieh, das gab auch mir Kraft. Ich dachte, ih wollte es dir gleich tun, und ich habe ehrlich getämpft. Es war ja auch gar nicht fo ſchwer, denn er liebte mich ja nit. Nun bin ich Mar, nun denke ich 2aum mehr an ihn. Er war eben eine Zugendliebe, und die überwinden die meiſten Menjchen.“ Gie lachte, Dann legte fie Die Arme um Erikas Schultern. „Er war auch deine Zugendliebe, du bift auch darüber hinweggekommen!“

Erika machte ſich von den Armen frei, dann ſagte fie ſchwer, als ſei es ein qualvolles Bekenntnis: „Ich liebe ihn und werde ihn immer lieben!“

Irmgard ſah ſie entſetzt an.

Da ſtrich Erika haſtig über ihr Haar. „Komm, laß uns hinuntergehen. Ich möchte mit Mutter allerhand beſprechen.“

Irmgard folgte ihr, in ihren Augen ſtanden drängende Fragen, aber Erika ſah fie nicht mehr an,

Sremgard preßte die Lippen aufeinander. Wie fremd und kalt Erifa war, wie fühl und leblos war ihr Geſicht geworden! Sie kannte fie gar nicht wieder. Sie veritand fie nicht mehr. Ein heftiger Groll regte

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fi) in ihr, und doch dämmerte ihr fern das Bewußtfein, daß die Schweiter ein graufames Schidjal hinter dem kalten Gelichte barg,

Fünfundzwanzigftes Rapitel,

Sie fagen in dem Heinen Wohnzimmer neben dem Gartenjaal um die rofa verjchleierte Lampe, und es war faſt wie in alten Zeiten, nur die tiefe, warme Stimme des Daters fehlte in dem Raum, und Erika war es, als fehlte die Seele, Sie kämpfte gegen die Sehnſucht nah dem Dater, und ihr einfames Herz ſuchte den Weg zu den Menſchen zurüd, die zu ihr gehörten. Aber es war, als verjtünden fie ihre Sprache nicht.

Über der Mutter Augen lag es wie ein Schleier. Fhr Blick ftrahlte nicht mehr auf in warmer Liebe, wenn er die Tochter traf, Die Heirat mit Wengern hatte ihr das Rind entfremdet, fie begriff Erika nicht mehr.

Ernft ſah forfchend auf die junge Frau, und wenn die Seide ihrer Röde leiſe knifterte, dann lächelte er Ipöttiih und dachte: „Dies gehört zum Raufpreis.“

Nur Mar war lieb und voller Bewunderung für alles, was aus der eleganten Welt, in der die Schweiter lebte, zu ibm drang. Seine weihe Natur vermied Konflitte und Erregungen, Erika hatte doch nichts Böfes getan! Er begriff die kühle Reſerve der anderen nicht,

Und Erika fühlte, daß fie mißachtet wurde, Dies Bewußtfein lähmte und vergiftete fie. Sie verachten mid, weil ih mich vertauft habe, und fie wiſſen nicht einmal warum. Und ihr war, als müſſe fie aufitehen, wie eine Angeklagte vor ihren Richtern, und fich rein-

48 Die Siegerin.

waſchen von dem häßlichen Argwohn, als müſſe ſie ihnen langſam Wort für Wort die Gründe entgegen- ichleudern, bis fie wieder aufrechten Hauptes unter ihnen leben konnte.

Aber fie ſchwieg. Ach, fie hatte diefe Gedanken ſchon au oft gedaht. Sie hatte ein Grauen vor den nutzloſen Grübeleien.

Marx legte die Hand auf ihren Arm, „Erika, erzähle uns Doch von euren Reifen, von eurem Leben, von dem Rennitall. Sn allen Beitungen lieft man davon, und ich bin dann immer ganz ftolz.“

Erika jchüttelte den Ropf. „Ih mag nicht gern erzählen, Max, ih bin ein bißchen matt, aber ich bin getommen, um mit Mutter über die Zukunft zu reden,“

Die Mutter hob die forgenvollen Augen und nidte, „za, wir müſſen Entihlüffe faſſen. Durch Hanjens DBerlobung ift mir eine große Sorge genommen, Er Ichreibt fo rührend, der gute Zunge, er hätte den Schritt getan, um uns zu entlaften. Hoffentlih wird er nun auch glücklich.“

Erika nickte flüchtig.

Die Mutter wartete auf ein Wort der Anerkennung von Erifa, Dann fuhr fie haſtig fort: „Was Ernſt und Max anbetrifft, fo hat mir Wengern feine Unterſtützung angeboten, Ich habe ihn aber energifch zurüdgewiefen, Ich hoffe nicht, daß er’s auf deine Deranlafjfung getan bat,“

Erika errötete, „Nein, Mutter. Ich habe ihm das- jelbe gejagt, Ich wünſche felbjt nicht, ihn in irgend einer Weife in Anfpruch zu nehmen.“

Die Mutter ſah fie überrafht an. „Unfere Lage ist jehr fchwierig feit Vaters Tod und durch Hanjens Zeichtjinn.“ Sie ftodte, „Und nun hat er, um feine Schuld wieder gutzumaden, feine Hilfe angeboten.

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Es handelt fih aber um das Vermögen feiner Frau, und daher widerjtehbt es mir. Aber ich fehe keinen anderen Ausweg. Ernſt und Max, beide haben den Wunſch, Offiziere zu werden —“

Da ſprang Ernit heftig auf, fein Geſicht war ganz blaß. „Niemals nehme ich einen Heller von meines Bruders Frau! Was denkt der von mir! Wenn denn alles vor dem Gelde kriecht, ich krieche nicht!“

Erika ſtand auf, trat auf Ernſt zu und faßte feinen Ropf zwifchen beide Hände, „Ernit, Zunge, das ijt recht, wie freue ih mich —“

Er riß fih von ihr los, und feine Augen blibten, „Was willjt denn du?“ Er lachte höhnifch. „Yon dem anderen habe ich es nicht anders erwartet, das mußte ja fo fommen, aber du, Erifa du! Daß du Das getan haft, daß du vor dem Geld kriehit pfui!“

Erika taumelte zurüd,

Er trat dicht an fie heran. „Nun habe ich dir meine Meinung gejagt, und das ift die Meinung von jedem anftändigen Menſchen. Du haft dich verkauft!” Tränen traten ihm in die Augen, Mühſam rang er nad) Worten. „Ich jage dir, ich will lieber zugrunde gehen, als deines- gleichen werden!“

Er ftürzte zur Zür hinaus.

Erika ſetzte fich zitternd auf einen Stuhl, Sie tonnte nicht mehr denten, Ihr war zumute, als hätte lie einer geſchlagen. Im Bimmer war eine laftende Stille, |

Da legte Mar feinen Arm um Erikas Hals, „Ich weiß gar nicht, was Ernjt hat, Ich finde es auch ſehr nett von Hans, daß er uns helfen will, Ich mödte doch jo gern Offizier werden,“

Erita machte fich frei. Sie ſah in das weidye, gut- mütige Geſicht und fagte hart: „Cs wäre beijer für dich,

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du verachteteſt mich aud fo wie Ernft.“ Dann ſtand fie auf und ging hinaus.

Die Mutter brad in Tränen aus und lehnte den Ropf an Srmels Schulter. Sie weinte hilflos.

„3b glaube, Erika ift krank, Mutter, Niemand fann fie verſtehen.“

Die Mutter nidte. „Ein Rind nah dem anderen löft fich los, bis man allein ift,“ fagte fie ſchmerzlich.

Irmgard küßte den grauen Scheitel, „Sch bleibe bei dir, Mutter,“

Erita ging durch die fintende Naht zum Grabe des Daters. Sie kam fih vor wie eine YAusgeftoßene. Alle verachteten fie,

Nun, fie mußte es tragen, bis fie einen Weg ge- funden, der fie aus diefer Niederung wieder aufwärts führte, Sie erfehnte den Rampf.

Sie lehnte ſich an den ſchlichten Granitblod, der zu Häupten des Grabes jtand, und fah auf die dunkle Erde nieder. Bitterer denn je fühlte fie ihre Verlaſſenheit.

Wenn der Dater noch bei ihr wäre, dann hätte fie in diefer Stunde einen Menfchen, der ihre Kraft ftählte und Sie in den rechten Rampf wies. Aber fie war allein auf fih angewiejen, fie mußte felbftändig einen Weg finden, der bergauf führte, denn fie fonnte fo nicht weiterleben, jo gedemütigt und verachtet. Sie mußte ihr GSelbftbewußtfein wieder erringen. Und daran wollte fie arbeiten. Sie mußte wieder ftolz werden, fie mußte etwas leijten.

Sie richtete fih auf. Za Arbeit! Dielleiht gab ihr die Arbeit Befriedigung und Selbftahtung. Sie wollte fi) einen Kreis ſuchen, in dem fie wirken konnte. Dielleiht konnte fie dann fogar zu Wengern zurüd- fehren und das Leben mit ihm ertragen, wenn fie ein Ziel hatte, das fie befriedigte, Die Arbeit würde fie

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über die öden Stunden des Alleinfeins tröften, Sie würde fie betäuben in den Augenbliden der Erregung. Sie würde die Gedanken eritiden an den Mann, der fern von ihr Vergefjenheit juchte,

Die Arbeit follte ihr Leben füllen, die Arbeit für andere,

Es fiel ihr ein, daß Wengern auch Fabriten bejaß. Eine große Zahl Arbeiter war dort beichäftigt, Er tümmerte fih gar nicht um den Betrieb. Dies war Boden für ihre Tatkraft, hier konnte fie wirken. Gie konnte fich felbit vergejjen über den anderen.

Wengern mußte ihr dies Arbeitsgebiet überlafien. Sie wollte ihn bitten, und es Sollte ihre erfte Bitte fein. Sie wollte ihm fagen, daß für eine Natur wie die ihre Ruhe und Satenlofigkeit zur Qual werden mußte, daß fie freudiger und zufriedener werden würde durch die Arbeit, Er mußte das veritehen und achten. Gie wollte auch ihn bitten, felbit eine geregelte Beihäftigung zu übernehmen, vielleicht ließ fih ihr Leben doch noch würdig geftalten auf dem Boden der Arbeit,

Sie ſah zum Grabe nieder, „Dater, bit du zu- frieden? Ich trage mein Los, fo gut ih kann. Noch einmal will ich verfuchen, es zum Guten zu wenden. Sch habe meine Freiheit verloren. Nun will ich mir eine Pfliht fchaffen und fie mit ganzer Kraft er- füllen,“

Leichten Schrittes ging fie zwifchen den Gräbern hindurch, dem Elternhaufe zu. Pas neue Lebensziel lodte fie mädtig. Zhre Muskeln ſpannten fich in froher Erwartung der Betätigung.

Als fie das Haus düſter und ftill vor fich liegen ſah, Ihlih wieder ein heißes Weh duch ihre Bruft. Pie Heimat hatte fie verloren, wie die Menſchen, die ihr nahe ftanden, Aber vielleicht konnte fie auch ihre Achtung

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wieder erwerben, vielleiht würden fie Doch noch ein- ſehen lernen, daß fie nicht niedrig war,

Am anderen Morgen rüjtete fie zur Abreife. Beim Frühſtück fragte fie Ernit: „Nun, was haft du über deine Zukunft bejchlofjen?“

„Ich erſuche dich, meine Angelegenheiten nicht zu berühren,“ fagte er ſchroff.

Da wurde fie blaß und jchwieg, und fie drängte zur Abreiſe.

Als fie im Wagen faß, atmete fie auf, fie wandte ih nicht mehr zurüd, der Anblid der Heimat tat ihr weh, Nur vorwärts wollte fie ſehen. Nichts follte fie mehr beirren, Und als fie an Hartwigs Haus pvorüberfuhr, war nur ein dumpfer Schmerz in. ihrer Bruſt, und auch den follte ihr die Arbeit überwinden helfen.

Wengern empfing fie mit ftürmifcher Zärtlichkeit. Er hatte wohl gefürchtet, fie würde länger fortbleiben, Er erwähnte mit keinem Worte jenen Abend, und au Erita fchwieg darüber, Es war ihr widerlich, Die häßliche Szene zu erwähnen. Dielleiht kam auch der- gleichen nicht wieder vor, Sie wollte mit dem beiten Willen und den ehrlihiten Vorſätzen das neue Leben beginnen.

Wenige Stunden nad) ihrer Ankunft wurde Wengern telegraphifch abgerufen, und mit lebhaften Bedauern in der Stimme teilte er ihr mit, daß er auf zwei Tage verreijen müſſe. Sie konnte ihm aljo noch nicht von ihren Plänen fprechen, und es war ihr lieb, denn fie wollte noch alles in Ruhe überlegen und mit einem taten Vorſchlag an ihn berantreten.

Als das Automobil abgefahren war, wechjelte fie raſch die Toilette, Sie vertaufchte das elegante Haus- leid mit einer einfachen Blufe und einem fchlichten,

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fußfreien Rod, Als fie fich flüchtig im Spiegel fah, lächelte fie leicht, denn fie ſah jugendlih und friſch aus. Die frohe Erregung hatte ihre Wangen gerötet, und ihre Augen ftrahlten in heller Zatenluft.

Sie ging durch den Park zum Dorf hinab, Die roten Fabritichlote qualmten ſchwere, zähe Wolken über die Landſchaft. Ein betäubender Lärm von arbeitenden, haſtenden Maſchinen fcholl ihr entgegen, und als fie vor dem breiten Tore ftehen blieb, ſah fie in ein leb- baftes Getriebe von hochbepackten Wagen, ftampfenden Pferden und haſtenden Menfchen.

Niemand beachtete fie, nur zuweilen zudte ein neugieriger Blid zu ihr hinüber, Sie hätte ftundenlang fo ftehen mögen, um diefem tätigen Leben zuzufchauen. Aber fie ſchämte fich plößlich ihrer Untätigkeit angefichts diefer taftlofen, ſchwer arbeitenden Menfchen, deren Musteln ſich fpannten, und deren Gefichter heiß und erregt ausjahen. Dies war nicht das Feld ihrer Arbeit. Zu den Frauen und Rindern wollte fie gehen.

Auf der Dorfitraße balgte fih eine Herde Rinder, Sie trat heran und legte die Hand auf einen runden Rraustopf. Da ftoben die Rinder entjebt auseinander. Sie lähhelte, Sie würden ſchon lernen, daß fie es gut mit ihnen meinte, Sie würden bald ihre Scheu über- winden.

Aus dem nächſten Haufe trat eine große, ftark- knochige Frau, fie hatte eine ſchwere Holzbütte in den Händen, und die Sehnen der mageren Arme ftrafften fich bei der Anftrengung. Sie goß den trüben Inhalt der Bütte die Stufen hinab, und Erita mußte raſch zur Seite weihen. Doc fie grüßte freundlich zu der Frau hinauf, Die dankte mürrifh und trat zurüd, Erika erfchrat, aber fie nahm ihren Mut zufammen und trat auf die feuchten Stufen.

54 Die Siegerin. u

Die Frau drehte ſich argwöhniſch um. „Was beliebt?“

Erika trat unter die Türe, „Sch weiß nicht, ob Sie mich kennen. Sch bin Frau Wengern.“

Die Frau nidte verdrofjen.

„ah möchte die Leute hier gern näher kennen lernen, möchte fie befuchen, und da Ihr Haus gerade das erite im Dorf —“

Die Frau mufterte fie argwöhniih, und es war Erita, als zude ein häßlicher Hohn um den harten Mund. „Ich kann Sie nicht hereinführen, denn ich habe nur die Rüche und eine Kammer für mid und meine drei Rinder. Das ift ja auch genug für eine arme Witwe,“

„Ah, Sie find Witwe? Iſt Ihr Mann fchon lange geitorben?“

„Seit zwei Zahren ſchon.“

Erika fragte in herzlicher Teilnahme weiter: „Wo- ran ift Ihr Mann geftorben?“

Die Frau ſchoß einen tüdifchen Blick über fie hin. „Wenn Sie fhon danadh fragen Herr Wengern hat ihn mit dem Automobil überfahren.“

Erika ſtieß einen leifen Schredenstuf aus, fie mußte ih an die Wand lehnen, fo zitterte fie.

Die Frau nidte mit ſchwerem Kopf. „ga, und nachher haben fie vor Gericht herausgefunden, daß er betrunten war, Es kann ja fchon fein, daß er etwas über den Durſt getrunten hatte. Unſereins hatte ja fein anderes Dergnügen, und es war ja auch gerade Zahltag. Wie fie ihn mir gebracht haben, lebte er ſchon nicht mehr,“ Sie ftrich fich energifch über die Schürze. „Na, tot ift tot! Aber dag ich Heren Wengern nicht gern fehen mag, werden Sie wohl verftehen!“

Erika jentte den Kopf wie unter einer Antlage, „Aber er hilft Ihnen doch?“

Roman von Elfe Höffer. 55

Die Frau zudte verähtlich die Achſeln. - „Cr hat es ja dazu.“ |

Der Ton der Frau empörte Erika. Doc fie konnte mit dieſem verbitterten, einfamen Weibe nicht rechten. „Dielleiht kann ich Ihnen beilpringen?“

Die Frau rührte fich nicht und fah fie nur lauernd an,

Erita griff in die Taſche, zaghaft und zögernd. Sie hatte das Gefühl einer Herzensroheit. Dann gab fie der Frau einige Goldftüde,. Zhr war jehr unbehaglich zumute. Sie dachte, die Frau würde ihr das Geld in heller Verachtung vor die Füße fchleudern,

Aber die hagere, braune Hand zudte an der Schürze, dann griff fie haftig, gierig zu.

Da wandte ſich Erika und ging. Sie wartete nicht mehr auf ein Wort des Dankes.

Sie ging die heiße, fonnige Dorfſtraße hinab. In ihr war eine große Traurigkeit, Sie wagte gar nit, in das nädfte Haus zu treten, denn fie erwartete, wieder verjagt zu werden. Der peinlihe Eindrud Ichmerzte fie und lähmte ihre frohe Tatkraft. Sie nahm ihren ganzen Willen zufammen, um darüber hinweg- zulommen, aber es war wie ein düfterer Schatten über ihr.

Erſt vor dem lebten Haufe blieb fie wieder jtehen, und als fie über die Schwelle trat, Elopfte ihr Herz ängftlih. Was wollte fie bei diefen Menſchen? Ronnten die ihr Wollen verjtehen, oder würden fie die reiche Frau verhöhnen, die plötzlich Samariterlaunen hegte? Eie fühlte, daß ihre Freudigkeit immer mehr ſchwand, aber dann jchämte fie fih. Wie konnte fie nur fo raſch den Mut verlieren! Enttäufchungen gab es bei jedem Werk.

Sie Hopfte an die Türe, Eine tiefe Stille herrſchte. Sie Hopfte lauter. Da antwortete eine matte Stimmg

56 Die Siegerin. m

ein unveritändlihes Wort, und Erika trat ein in dem fiheren Bewußtfein: bier kannft du helfen!

Eine trübe Dämmerung umfing fie. Heiße, Dumpfe Luft ſchlug ihr entgegen, gemijht mit dem fcharfen Geruch von angebrannter Mid. Erika konnte nichts unterfcheiden. Da ſcholl aus der ferniten Ede das helle, durchdringende Weinen eines Heinen Rindes, dazwiſchen ein dDumpfer Sammerlaut,

Erika ſtieß den Laden auf und trat in die Stube zurüd, Da fah fie ein zerwühltes, fhmußiges Bett, auf deſſen buntem Kopfkiſſen der fieberheige Ropf eines Weibes lag. Wirre Haarjträhnen lagen um das Geſicht; von dem mageren Rörper waren die [hweren Kiffen zurüdgefhoben. Die Bruft atmete haftig. Die braunen, rifjigen Lippen ſchmachteten halb geöffnet. Die bläulihen Augenlider waren gejchlofien.

Erika trat dicht an das Bett und ſah voll tiefen Mitleids in das heiße Geficht, und dann ging fie ſchnell in Die Meine Rüde und ſchöpfte aus einem Eimer Waſſer. Sie kniete vor dem Bett nieder, ſchob den Arm unter das heiße Riffen, und vorfichtig hielt fie das Glas an die lechzenden Lippen, Pie Kranke zudte aufammen, dann trank fie gierig, Die braunen Lippen bewegten fih, und die Lider zudten. Erika ließ fie zurüdjinten. Crleichtert atmete die Frau.

Da fing das Rind wieder an zu weinen in matl- erihütternden Zönen, Erika hob es aus der plumpen Wiege. Es war ein ganz kleines, elendes Rind, es mochte erſt einige Tage alt fein. Erika ſah zärtlih auf Das Geihöpfchen herab, und eine warme Zärtlichkeit ftieg in ihr auf,

Sie ſchlug das Rind in ein frifches Leinen, das fie aus einem Wäſchehaufen zog, der unordentlid in der Ede lag, dann wiegte fie es leije jummend im Arm,

0 Roman von Elfe Höffer. 57

Das Rind ſchwieg und bewegte das Mündchen, Erifa war fo glüdlich wie feit langer Seit nicht.

Da ſchlug die Kranke die Augen auf, und ein plöß- liher Schreden ging über ihr Geſicht.

Erika fahte ihre Hand. „Bitte, erichreden Gie nicht! Ich will ein wenig bei Ihnen bleiben, weil Sie io allein find. Rann ich Ihnen etwas helfen, kann ich Shnen etwas geben?“

Die Kranke jchüttelte den Kopf. „Sp eine feine Dame!“ murmelte fie.

Erika lachte leiſe. „Ach, denken Sie doch nicht daran!“ Sie nahm ein Tuch und trodnete vorfichtig die Stirn der Rranten. „Sind Sie fchon lange krank?“

Die Frau wies mit den Augen nah dem Rinde. „Seit dem da —“

Erika ftreichelte das zarte Rinderktöpfchen. „Haben Sie keinen Arzt?“

Die Frau lächelte trübe. „Das ift doch nicht der Mühe wert wegen ſo etwas.“

„Aber Sie haben doch Fieber, es muß doch jemand nad Zhnen jehen!“

Die Frau fchüttelte eigenfinnig den Ropf.

„Sie können unmöglich allein bier liegen bleiben. Mo iſt Zhr Mann? Bflegt Sie keine Nachbarin?“

„Mein Mann ift in der Fabrik, und die Nahbarinnen haben jelber Arbeit genug, Es wird ſchon fo wieder gut.“

Da fing das Rind wieder an zu weinen,

„Es hat Hunger,“ fagte die Frau befümmert. „Mein Mann kommt erjt in zwei Stunden heim, Dann madt er die Flaſche zurecht.“

„sh will es gern tun,“ fagte Erika raſch und freudig.

Die Frau bewegte abwehrend den Ropf, und dann jtöhnte fie auf, ſchloß die Augen und lag apathifch da.

58 Die Siegerin, a

Nur die glühenden Hände bewegten fih auf der Dede.

Erika ſah angjtvoll in das entitellte Geſicht. Uber dann kam eine ruhige Bejonnenheit über fie. Sie legte ein naſſes Tuch auf die brennende Stirn. Dann ging fie in die Rüche, und auf dem kleinen Herd machte fie Feuer an, ſchnell und gefhidt, und die keine Flamme fuhr in das dürre Holz und ledte über den Boden des Topfes. Sie goß die Mil hinein, dann fand fie die Flaſche und jäuberte fie. Und bald trank das Rind in behaglichen, durftigen Zügen und fchlief auf ihrem Schoße ein,

Erika fühlte, wie die Tränen ihr in die Augen fliegen und auf das winzige, rührende Rindergefichtchen teopften. Und fie date: „Wie muß das füß fein, ein eigenes Rind in den Armen zu halten und geliebte Züge in dem winzigen Gefihtchen zu ſuchen! Das ijt Glück! Aber ich darf das nie erleben es wäre ja entjeglih, Sünde am Leben —“

Die Frau wälzte fih jtöhnend, fie ſprach wirre, ſinnloſe Worte,

„3b muß fofort zum Arzt ſchicken,“ dachte Erika. Sie legte das Kind in die Wiege und madte eine friihe Kompreſſe, dann lief fie in das Nachbarhaus.

Mit großen, verwunderten Augen ſah ihr eine junge Stau entgegen.

„Bitte, gehen Gie für ein Weildhen zu der kranken Frau nebenan, Ich will rafch einen Arzt holen lafjen.“

Die Frau folgte ihr, fie hatte jich von ihrem Erftaunen noch nicht erholt.

Erita ging eilig die Dorfſtraße zurüd, fie ſah die erftaunten Blide nicht, fie war nur von einem einzigen Gedanken erfüllt.

Als fie den Bart erreicht hatte, fing fie an zu laufen,

o Roman von Elje Höffer, 59

und wtemlos kam fie an. Sie jchidte jofort zum Arzte, dann befahl fie der Zungfer, Leinen und Lebensmittel einzupaden. „Aber raſch rajch, Anna, Es ift jemand krank wir müjjen helfen!“

„Wer denn, gnädige Frau?“

„Eine Frau im Dorfe.“

Da hob Anna hochmütig die Naſe, aber Erika trieb fie zur Eile, und bald folgte ihr Anna mit einem ge- füllten Rorbe die Dorfitraße hinab.

Die Rrante lag noch immer mit gefchloffenen Lidern, Am Ropfende ſaß die Nachbarin, die Hände im Schoße gefaltet.

Anna trat ans Fenſter. „Was iſt das für eine Luft!“ murmelte fie.

Erika warf ihr einen zornigen Blid zu. „Sie tönnen gehen,“ fagte fie kurz.

Die Nahbarin blieb neugierig an der Türe ftehen und ſah habſüchtig auf den gefüllten Rorb. Da fuhr ſchon das Automobil mit dem Arzt vor. Die Frau ging eilig davon, und Erika trat unter die Türe.

Ein junger, fchlanter Menſch fprang aus dem Gefährt. Er fah Erika überrafcht an. „Gnädige Frau Sie felbft?“ Dann ftellte er jich vor. „Doktor Friedrichs.“

Erika reichte ihm die Hand, „Here Doktor, ich glaube, Sie find fehr nötig hier, Durch einen Zufall kam ich hierher.“

Die Augen des jungen Arztes hingen in Bewunde- rung an dem fchönen, erregten Geficht. Dann folgte er ihr in die Stube.

„Ich will Shnen helfen, Herr Doktor, wenn Gie mich brauchen.“

Einen Augenblid zögerte er und ſah auf die weiße Hand. Dann beugte er jih über das Bett und unter- juhte die Kranke. Mit ruhiger, fahlider Stimme

60 Die Siegerin. D

gab er Erika feine Anweiſungen, und ihre Augen ftrahl- ten vor Glück. |

„Helfen darf ih helfen!“ dachte fie. „Nun wird alles gut, nun wird das Leben doch noch ſchön!“

„Es war die höchſte Zeit, daß ich kam,“ fagte Doktor Friedrihs. „Wir müfjen jemand fuchen, der die Pflege übernimmt,“

„ah!“ ſagte Erika,

„Snädige Frau, das geht nicht. Die Nachtwache muß jemand anders übernehmen,“

„Nein nein, ich will es tun, Bitte, lafjen Sie mid) bier!“

Der Arzt fah fie mit erniten Augen an, „Wollen Sie wirtlih, gnädige Frau?“

„Ich babe ja fo viel Zeit,“ fagte Erika, „denken Sie nicht, daß es nur eine Laune ift!“

Er jchüttelte den Ropf und ging,

Mit lautlofen Schritten glitt fie zwiſchen dem Bett und der Wiege hin und her, und die ftille Freudigkeit in ihrem Herzen wuchs, und fie dachte: „Vielleicht habe ih all das Schwere erleben müfjen, um das Leid der anderen Menſchen zu begreifen. Dielleiht mußte ich auf das eigene Glüd verzichten, um mit ungeteilter Kraft helfen zu fönnen. Dies foll mein Lebensinhatt werden!“

Als die Zabritglode eriholl, und der Mann feine breite Geftalt zur Türe bereinihob, war Erika in dem Stübchen Schon heimiſch. Eine freundliche Ordnung herrſchte. Das Rind fchlief, und die Rrante lag zwiſchen frifchen, fühlen Leinen,

Erila reichte dem Manne die Hand, Er wijchte jeine klobige Fauft erjt an dem Arbeitstittel ab, bevor er ihre Rechte ergriff. „Ich will Ihnen helfen, folange es Zhrer Frau noch Schlecht geht. Bitte, lafjen Sie fich duch mid nicht ftören,“

s) Roman von Elje Höffer. 61

Er. ſah ſcheu zu ihr auf, dann feste er fich auf die äußerſte Rante eines Stuhles, ungelent und unbeholfen, als jei er ein Fremder im eigenen Haufe,

Erika ſah, daß ihre Gegenwart ihn beklemmte. Gie feste fich ftill ans Bett und wechjelte die Kompreſſen.

Der Mann atmete betlommen, der Stuhl knarrte bei jeder Bewegung feines fchweren Körpers, Und dann wimmerte die Rrante leije, als täte der Ton ihren Nerven weh,

Der Mann jeufzte und ftand vorjichtig auf. „Ic kann wohl nichts helfen?“ fragte er verlegen.

Erika fchüttelte den Ropf. |

Er ging, und fein fappender Schritt verklang im Flur.

Vor dem Fenſter ſcholl das neugierige und aufgeregte Wiſpern und Tuſcheln von Frauenſtimmen. Zuweilen hob ſich eine der Frauen auf die Fußſpitzen und ſpähte in das Zimmer, um zu ſehen, wie die vornehme Dame am Bette der armen Arbeitersfrau ſaß.

Erifa wandte fich jeufzend ab, Es war ihr unfäglich peinlich, fi beobachtet und belauert zu wiſſen. Aber allmählich vergaß fie die gaffenden Augen, denn die Kranke forderte ihre ganze Aufmerkſamkeit.

Cs war eine [hwere Naht. Die Frau rafte in wilden Fieberphantafien, Erita brauchte oft ihreganze Körperkraft, um fie im Beite feitzubalten, und mancymal war es wie ein Ringen zwifchen den beiden. Unaufbörlich famen die wirren Reden über die heißen Lippen, und die Hände fpielten auf der Dede ein unbeimliches Spiel, Das Fieber rajte in dem Rörper mit fürdter- liher Gewalt, und oft meinte Erika die Nähe des fremden, fchweigenden Gajtes zu fühlen, der am Bette ſtand und wartete, bis feine Stunde fam.

Dann padte fie eine tödlihe Angſt. Sie ſah ſich

62 Sie Siegerin. a

erihredt in dem fremden kahlen Simmer um und ſehnte fih nah einem Wort des Troftes und der Er- mutigung.

Endlih hob der Mann feinen blonden Ropf durch die Zürjpalte und blidte mit verängjtigten Augen auf fein Weib. Erika nidte ihm zu, und er ging beruhigt wieder davon,

Erit gegen Morgen wurde die Rrante ruhiger. Als der erite, fahle Dämmerſchein durchs Feniter kam, ſtand Doktor Friedrichs am Bette und befühlte den Buls der Frau, Erika ſah ihn mit angftoollen Augen an.

„Bir können fie ſchon durchkriegen. Aber jebt müſſen Sie an fich denken, gnädige Frau.“

Erika [hüttelte den Kopf. „Bitte, laffen Sie mid) bier, ih bin volltommen friſch.“

Und fie blieb. Sie wufch das glühende Geficht der Frau. Sie badete das Rind und wiegte es in ihren Armen, Der Mann ging zur Arbeit, und auf der Straße wurde es lebendig. In kleinen Trupps gingen die Arbeiter mit hallenden Schritten zur Fabrif, und da war auch) nicht einer, der nicht den Ropf zur Seite wandte und auf das fleine Haus fah, in dem die Frau des Herren war,

Erika fohoffen die Tränen in die Augen. „Ach, fie wiſſen es alle! Warum beobachten fie mich po?“ Sie trat tief in den Hintergrund des Bimmers.

Mengern berichtete telegraphifh feine Nüdkunft, Erika hatte gerade noch Zeit gehabt, nah Haufe zu eilen und fih umzuziehen. Der Rranten ging es befjer. Doktor Friedrihs hatte eine Krankenſchweſter aus dem Städtchen für die zweite Nahtwahe gefchidt.

Zum erſten Male freute fih Erika auf Wengerns Heimkehr. Zhr Herz war voller Bitten und Pläne,

Oo Roman von Elfe Höffer. 63

Und als das Auto vorfuhr, ftand fie erwartungspoll auf der Treppe und ſah ihm entgegen.

Er trat eilig auf fie zu, war mit Blumen und Ge— ichenten beladen, und Die heiße Wiederjehensfreude brach ihm aus den Augen. \

Erita {hob alles beijeite, Mit fliegenden Worten erzählte fie ihm ihr Erlebnis, „Heinrich, ich habe eine große Bitte an dich. Du darfit fie mir nicht abfchlagen. Sch freue mich fo darauf. Ich möchte gern ein Heim gründen für Wöchnerinnen und ein Heim für Rinder, damit die armen Heinen Geſchöpfe gepflegt und gebütet werden, wenn die Eltern arbeiten gehen. Und ein Krankenhaus für deine Arbeiter,“ Als fie fein amüfiertes Lächeln ſah, erichrat fie. „Ich bitte dich, fchlage mir’s nicht ab, Sc brauche das zu meinem Glüd, Ich kann fo nicht weiterleben.“

Er zog fie dicht an fich heran. Seine Augen glänzten, „Welch eine niedlihe Samariterin du bit, Kleine! Ich glaub’s beinahe, daß die Rolle dir reizend fteht!“

Sie erblaßte. „Nein, ſo nicht!“

Er lächelte überlegen. „Ich kenne ſolche Ideen. Nein, Rindchen, zur Krankenſchweſter bift du nicht geboren, Du gebörft nicht in die Armeleuteituben mit deinem ftolzgen Geſicht. And wenn aud du bift nur für mich da, nur für mich) ſollſt du da fein. Ich will dih mit niemand teilen, am wenigjten mit der Bande da unten im Dorfe.“

Erita wand ſich aus feinen Armen, „Sch bitte dich,“ fagte fie noch einmal, „erfülle mie den Wunſch. Du weißt nicht, was für mich davon abhängt.“

Da wurde er ärgerlih, „Erika, laß den Anfinn! Derartige Launen unterdrüde in Zukunft. Ich habe feine Luft, mich und meine Frau lächerlich zu macden, weil du dir in diefer Rolle gefällt. Wenn du abjolut

64 Die Siegerin. a

deinem Wobhltätigkeitsgefühl frönen willit, dann laſſe dich in der Stadt in ein Romitee wählen, da kannſt du genug Gutes tun. Und. nun ijt die dumme Sache erledigt, nun fomm und fei lieb zu deinem Manne.“

Er wollte fie umarmen und küſſen. Sie merfte, daB er wieder getrunken hatte, Da ftieß fie ihn vor die Bruſt, daß er taumelte, und flürzte davon, Ein erjtidter Fluch jcholl hinter ihr ber.

Erika ſchloß ih in ihr Ankleidezimmer ein, und als feine Hand an dem Schloß rüttelte, blieb fie ganz ſtill.

„Dffne!“ gebot er herriſch.

Sie hörte feinen ſchweren Atem. „Nein,“ fagte fie ruhig. | Ä

„Denn nicht die Dienftboten wären, ich jchlüge die Türe ein!“ fagte er keuchend.

„Zu, was du willft, du kannſt mich töten, aber küſſen wirft du mich nie mehr!“

Er lachte hohnvoll und ging.

Am nädften Morgen, als Erita die Treppe herab- tam, ftand Wengern mit finjterem Geſicht vor den gepadten Roffern. Anna und der Diener liefen eil- fertig durch die Räume.

„Was iſt?“ fragte Erila,

„Wir reifen mit dem Mittagszug. Die Landluft betommt, wie es fcheint, deinen Nerven ſchlecht.“

Erika erſchrak.

„Es tut dir wohl leid?“ fragte Wengern höhniſch.

„Nein,“ jagte Erika, „es ift mir gleidhgültig.“

Sehsundzswanzigites Rapitel. Wieder begann ein wechjelvolles Leben. Sie teilten nad Oſtende, und Erika führte wieder ihre Soiletten zur Schau, Aber fie war nicht mehr müde

D Roman von Elfe Höffer. 65

und apathifch wie in: der erjten Zeit ihrer Ehe, Sie war aus der ftillen NRefignation erwacht, von Tag zu Sag wuchs ein neuer fieghafter Wille in ihrer Bruft.

Das Bewußtfein ihrer ungebrochenen Kraft rang ih ans Licht. Gie wollte ihr Leben retten aus dem Sumpf, in dem es zu erjtiden drohte. Den lebten Weg, die Arbeit, hatte er ihr verfagt. Nun wollte fie die Freiheit! Mit aller Kraft drängte fie aus der Sklaverei. Mochte gejhehen, was wollte, fie ertrug die Schmach nicht mehr.

Das Opfer ihrer Perjönlichkeit war eine Sünde gewefen am Leben, an ihr felbjt. Täglich fah fie Harer, täglihb erwachte ein Stüd ihres früheren Jh und verlangte fein Recht. Und mit wachen, Haren Augen fah fie das Leben an, und was fie während der le&ten Monate duntel geahnt, wurde ihr zur Gewißheit. Ihr Opfer lag hinter ihr, und wenn jett noch die Schmad, über ihre Familie hereinbrach, mußten fie es tragen. Sie mußten alle daran arbeiten, ihre Ehre wieder zu retten. .

Hans hatte Wengerns Baſe geheiratet. Nun war er felbjt reich und unabhängig. Nun mochte er fich mit ihrem Manne auseinanderfegen Mann gegen Mann für fie war fein Raum zwifchen den beiden. Er modte nun die Folgen feiner Schuld tragen, und Mengern mochte tun, was ihm beliebte. Sie aber befreite fih und wurde wieder fie ſelbſt. Sie fühlte, wie ihre Kraft wuchs, wie fie dem neuen Leben ent- gegendrängte.

Zhr Widerwille gegen Wengern verftärtte fich immer mehr, nur mit Aufbietung aller Selbftüber- windung ertrug fie feine Nähe, und je mehr fie fich pon ihm zurückzog, um fo häufiger brachten Diener und Chauffeur ihn betrunken nah Haufe.

1910. XII. 5

66 Die Siegerin. a

‚Dies drängte, zwang fie zum raſchen Entſchluß.

Und fie trat vor ihren Mann, Wie ein fremder, gleihgültiger Menſch erſchien er ihr, der nichts mit ihr gemein hatte, keinen Gedanken, feine Empfindung, feine Lebensanjhauung. Sie fühlte klar die ge- waltige Kluft, die fih niemals geſchloſſen Hatte, ſich niemals fchliegen würde,

„Heinrich, ih möchte dir fagen, daß ich von dir gehen will für immer, Ich ertrage dies Leben nicht mehr, ich gehe daran zugrunde. Ich kann dich nicht lieben, ich kann mit dir nicht leben, Erſpare mir Worte und Erklärungen, Ich babe nur die eine Bitte: Gib mid) frei!“

Don unten herauf ſah er ihr ins Geſicht, tüdifch, boshaft. „Was fagit du da?“ fragte er leife.

„Ich will geben.“

„Ah, jebt, wo ich den Hans, den fauberen Bengel, gerettet habe, jebt, da er meine Baſe geheiratet hat, jest, da mir die Hände gebunden find, da ich wehrlos bin ihnen gegenüber, da ich mich ſelbſt mit einer Anzeige bloßſtellen würde jebt willft du gehen! Sagteft du nicht jo?“

„aa, das iſt mein feiter Entſchluß.“ |

Er faßte ihr Handgelenk mit brutalem Griff. „Nein, mein Liebehen, jo haben wir nicht gewettet. Du bleibſt!“

„Nein,“ ſagte Erika, „ich gehe.“

„Sage mir, daß du bleibſt,“ wiederholte er mit verſagender Stimme.

„Nein!“

Da ſtieg ein ſchnaufendes Stöhnen aus feiner Bruſt. Seine Augen quollen vor, fein Mund verzerrte fich, er griff hinter fih, wo auf dem Raudtifche eine Reit- peitihe lag, Er hielt fie in zudender Hand,

0 Roman von Ele Höffer. 67

Erika fah ihm ruhig in die Augen. „Ich gehe von dir, Du wirft mich nit halten,“

"Da ziſchte die Beitihe über ihr Geficht, unter dem Hieb brach fie zufammen, Als fie zu fih kam, war ihr erjter Gedanke: „Seht erit habe ich alle Schmach ausgekoſtet!“

Ein brennender Schmerz war auf ihrem: Geicht und trieb ihr die Tränen in die Augen. Anna beugte fih über fie und erneuerte die falte Romprefje. Sie lag regungslos, alles war tot in ihr, fie fhämte fi nicht einmal vor dem Mädchen, das den ſchmachvollen Beitfchenftriemen ſah. Leife fagte fie: „Anna, paden Sie dasAllernötigjte.“

Das Mädchen gehorchte geräufchlos.

Erika erhob fih. Sie wählte ihr einfachtes Kleid, Als fie fih im Spiegel ſah, fentte fie den Kopf. Auch der dichteſte Schleier vermochte dies Schandmal nicht zu decken.

Reine Stunde blieb fie länger, Die Freiheit ftand dicht vor ihr, Und vor ihrer Seele ftand das Wort: „Nur eine Sünde wird nie vergeben, das iſt die Sünde gegen das Leben —“ Sie atmete tief auf und dehnte ihre Glieder,

Da trat Wengern bei ihr ein. Er zitterte am ganzen Leibe. Er fniete vor Erika nieder. Sie wich voll Abjcheu zurüd,

„Berzeih mir,“ ftöhnte er, „ich bitte dich! Bleib bei mir! Ich will dir geitatten, was du willft, nur bleib bei mir!“

Erika [hüttelte den Ropf. „Es war ein Unredt, da ich deine Frau geworden bin. Ich will es gutmachen.“

Sie ſchritt an ihm vorüber, und als die Türe hinter ihr ins Schloß fiel, hob fie den Ropf und atmcte tief auf.

68 Die Siegerin. 0

Sie kehrte heim, niht demütig mit gefenttem Zlid, jondern mit frei erhobener Stirn. Und als fie durch Das Städtchen fuhr, fah fie eine ſchlanke, hohe Geſtalt über den Warktplatz fchreiten. Der Mann wandte den Ropf und ſah fie an, und ihre Augen tauchten ineinander und grüßten fih in fchwerem Ernit.

Erika hob die Hand und winkte. Aus des Mannes Augen brad ein fieghaftes Leuchten, freier hob er die Stirn, Erika errötete und lächelte ihm zu.

Dann war fie vorüber.

Und abends, als fie um die Lampe faßen, da ſprach fie ihre Beichte mit Harer, heller Stimme, und in ihrem Weſen war nichts von Reue, nur junge Kraft leuchtete aus ihren Augen.

„sh habe ein großes Unrecht getan, indem ich den tiefen Sinn des Lebens mißveritand. Sch glaubte das Rechte zu tun, ich glaubte ‚mein Sch verleugnen zu dürfen, um euch ſchwere Tage zu erſparen. Ich habe es gebüßt, und ich habe erkannt, daß es beſſer ift, ein großes Leid zu tragen, als fich felbit zu verraten und zu verlaufen in eine Knechtſchaft, die den feelifchen Tod bedeutet. Zebt aber habe ih mich durchgerungen, weil ich die Rraft zum Gieg gewaltig in mir branden fühlte, Sch habe lange nah Auswegen und anderen Löſungen geſucht, aber nun weiß ich, daß dies der einzig rechte Rampf gewejen iſt, der mich freimacht. Und nun bin ich wieder bei euch.“

Cs war, als fei das Schidjal mit ſchweren Schritten Durch das Zimmer gegangen. Die Mutter beugte fich und küßte Erikas fchimmerndes Haar, „Am Sarge des Vaters habe ich gebetet, daß ihr werden möchtet wie er. Erika, du bift von feiner Urt,“

Ernjt drüdte fein Gefiht an Eritas Wange, „Der- zei mir!“

oO Roman von Elje Höffer. 69

Dann war es wieder ftill, man nur den tiefen Atem der Menſchen.

Nur die Augen der Mutter waren matt und glanz- los, und unter unfäglihen Schmerzen begrub fie den Glauben an den Sohn.

Die Naht ſchlief Erita in ihrem Turmſtübchen unter feligen Träumen ein, und die Bäume des alten Parkes raunten ihr das tiefe, ftille Heimatlied zu.

Erika blieb in der Heimat. Sie nahm mit freudiger Selbſtverſtändlichkeit ihre Mädchenpflichten wieder auf. Sie arbeitete mit Eifer und Befriedigung, und abends war ſie ſtill und müde. Das war ſolch eine köſtliche Müdigkeit, wie ſie ſie nie gekannt hatte in ihrem haſtigen, wilden Genußleben.

Sie wollte ihre endgültige Scheidung abwarten, und dann wollte ſie ſich einen Wirkungskreis ſuchen. Bis dahin half ſie der Mutter und Schweſter an der Ausſtattung für die Brüder.

Mar hatte ſich entſchloſſen, die Zulage von Hans anzunehmen. Schweigend nahmen alle feine Erklärung entgegen,

Ernft war feſt geblieben. „Ich komme durch aud mit weniger, und wir wollen feben, wer es weiter bringt.“

Dabei blieb er, und er fah feiner Zukunft freudig entgegen.

Sn dem alten Haufe jcholl wieder helles Lachen und leifes Singen. Pas kraftvolle, treibende Leben war wiedergekehrt.

Erita lebte auf und genoß die Heimat zu jeder Stunde, ihre Ehe lag hinter ihr wie ein wülter Fieber- traum. Und das Auge der Mutter rubte wieder warm auf ihr, und Irmgard fchmiegte fich hingebend an die

179 - Die Giegerin. D

Schweſter. Die Tage waren erfüllt von Arbeit und Freude,

Und je mehr alle Qual und Schmerz aus ihrem Leben ſchwand, um fo ftärker hob fich die Liebe. Die alte, traute Umgebung wedte fie, fie löfte fih wie aus ſchwerer Feſſel.

Erika ging täglich die grüne Waldſchneiſe hinab und wartete auf das Glück.

Und eine lange, bange Wartezeit verſtrich. Eine Zeit, in der ihr reiner Glaube wieder erſtarkte und ihr Mille zum Glüd fih mädtig hob. Sie wußte ja, daß Hartwig wieder in der Garnijon weilte, fie wußte, da er auf den Tag ihrer Freiheit wartete und auf ihr Wort, das ihn rief.

Und das Glüd kam. Ihre Scheidung war ausge- jprochen worden.

Da Ichrieb fie ihm ein einziges Wort: „Komm!“ Es war ein milder, farbenfroher Herbſttag. Da erhielt Erika ein Telegramm: „Heute bin ich bei Dir!“

Da erhob fc in ihrer Bruft ein Singen und Rlingen, und gewaltige Akkorde bebten hinein, wie eine Ewigteits- melodie durchbraufte es fie. Sie dachte keinen klaren Gedanken. Es wurde ganz till in ihr Feiertag nad heigem Rampf.

Sie wußte, er würde den alten, lieben Weg wählen, ihr Finden follte keine Seugen haben.

Sie ging die grüne Waldfchneife hinab. Da fah fie ihn fommen, Sie blieb ſtehen bebend, mean vom Glüd,

Die erniten Augen leuchteten ihr entgegen aus

einem Geficht, das ſchweres Leid gezeichnet hatte. | Und dann hielt er fie in feinen Armen, fie fühlte die Allgewalt der Liebe, die um fie gebangt hatte in

D - Roman von Elje Höffer. a

langen, qualvollen Zahren, fie fühlte, Daß jie den rechten Weg gegangen war. .

„Erita, ih wußte, daß du noch Be Meg zu mir finden würdeft, ih wußte, daß du Dich retten würdeft, ich habe an dich geglaubt zu jeder Stunde, und ich habe gewartet, daß du mid rufen würdeit, wenn du den Rampf ausgetämpft hättejt!“

Und als er fie gefüßt, legte fie ihre beiden Hände um feinen Ropf und fagte: „Meine Heimat bift du!“

Ende.

Die Dame in Schwarz.

Ein Eifenbahnabenteuer von B. Birkenau.

Mit Bildern von oo

J. Mufarovsfy. Machdruck verboten.) er mit dem D-Zug fahren will, tut gut daran, lieber eine DViertelftunde vor Abgangszeit auf dem Bahniteig zu fein als eine halbe Minute zu jpät. Es follen ja auch D-Züge manchmal Berſpätungen haben, aber ein guter Fenſter— ji it ganz gewiß nur im erfteren Falle zu erreichen.

Das ijt mein Glaubensjaß. Deshalb traf ich als einer unter den erſten Reifenden auf dem Bahnhof ein,

Ich bin ſonſt nicht jo. Ich will das ausdrüdlich feititellen, um nicht in einen jchlimmen Verdacht zu fommen, als ob

Nun, man wird ja bören.

Alſo ich fchlenderte vor der Bahnjteigjperre auf und ab. Da traf mich zum erjten Male ein Blid aus ihren dunklen, feuchtfchimmernden Augen. Schlief- lich bin ich erjt fünfunddreißig. Der Blid hatte mich gepadt,

Nun ging ich noch langjfamer auf und ab. Einmal zweimal, Sch ſah mir die elegante, äußerſt zierliche Gejtalt mit den Augen eines Renners an. Da ich nicht die geringite Veranlagung zu lyriſchen Ergüffen be- fie, jo kann ich leider feine richtigen Vergleiche machen, Dielleicht genügt es aber doch, wenn ich verfichere, Daß die Erjcheinung einen äußerſt pitanten Neiz hatte,

D Bon 3. Birkenau. 73

einen Shit und eine Grazie, die angeboren fein mußten.

Das klingt wahrſcheinlich ziemlih profaifch, aber jeder macht eben feine Sache, jo gut er es verjteht.

Shre Blide hatten mich wiederum geftreift, und ich hatte mich nicht geirrt, als ich das leichte, dDurhaus nicht zürnende Lächeln mit meiner Perſon in Über- einftimmung zu bringen verjuchte.

Ein Abenteuer!

. Sclieglib bin ih noch ledig, und die Dame war es gewiß auch, oder fie war vielleicht auch Witwe, denn fie trug Srauerlleidung: Das Schwarz ließ aber ihr goldblondes Haar noch verführerifcher erfcheinen. Ihre Lippen hatten ein feuchtes Rot gleich dem von reifen Erdbeeren und düntten mich küſſedurſtig.

In diefem Augenblide hätte ich auf die Liebe beim eriten Bli die fürchterlichiten Eide geſchworen, troß- dem im Gtrafgefegbuh für Meineid mindeitens ein Zahr Zuchthaus vorgejehen ift.

Die Schranke wurde geöffnet. _

Ich ging dicht hinter der Dame in Schwarz, die fih einen kurzen Augenblid nah mir ummendete,

„Halle?“ fragte fie den Schaffner.

„Der erite Wagen.“ |

Halle war auch mein Reifeziel, und da der Zug von Berlin bis Halle ohne Anhalten fuhr, fo hatten fih in meinen Gedanten fchon die fühnften Pläne und Hoffnungen entwidelt, Ich hatte mit hundert über- baftenden Möglichkeiten die Chancen einer unge- zwungenen, zufällig erſcheinenden Anknupfung et- wogen.

Natürlich folgte ich der Dame in Schwarz auf

Schritt und Zritt, die mich jebt aber gar nicht mehr . zu bemerken ſchien. |

74 Die Dame in Schwarz. | je]

Sie trug eine Heine Handtaſche. Bei dem Erflettern der hohen Stufen, die mir noch niemals jo lebens-

gefährlich hoch erfchienen waren als jetzt, glıtt fie aus, Glüdliherweife konnte ich fie fofort unterftüßen,

Das war der Moment! Ich glaube, Bush bat diefe Worte einmal gebraucht,

og Don 3. Birkenau. 75

Die Dame in Trauer dankte mir mit einem Niden des königlich ſtolzen Hauptes für meine Hilfeleistung. Ich aber gebrauchte ſehr ſcharfe, kritifhe Äußerungen über die Rüdjichtslofigkeit der Eifenbahnverwaltung, die an ihre Paſſagiere die Zumutung ftellen möchte, mit einem Schritt Montblanchöhen zu erklettern.

Da ſahen mich ihre Augen an. Sch werde den Blid nie vergefjen.

„Od, es war nicht fo ſchlimm!“ Flüfterte fie.

Und dann begann das Dorpoitengepläntel.

Zuerſt geſchieht die Aufklärung des Gefechtsfeldes duch Reiterpatrouillen. Sch habe ein Manöver mit- gemacht und muß es wiljen.

Sn meinem Falle waren es die Fragen nad) dem Woher und Wohin.

Sie fuhr nah Halle. Ich auch. Sch heuchelte eine befondere Freude Darüber und ein noch größeres Er- itaunen, daß wir uns in die gleihe Wagenabteilung verirrt hatten. |

Die Fortiegung gab ſich dann von felbft. Die Dame in Schwarz hatte in Berlin eine Tante be- graben. Ich erfuhr nun in aller Ausführlichkeit und mit den wichtigften Einzelheiten, die zu ſchildern nur ein Weib vermag, wie jene Tante geftorben war, Mir war die ganze Sache ziemlich gleichgültig, ich äußerte aber doch bald Eritaunen, bald Teilnahme, bald Be— wunderung, was eben in der jeweiligen Lage ſchicklich war.

Mit etwas mehr Intereſſe vernahm ich lediglich die Nachricht, daß die Dam: in Schwarz von jener Tante fünfzigtaufend Markt geerbt hatte. Mir war fie dadurch plößlich noch viel ſympathiſcher geworden, und ihr volles, wie aus fchimmernden Sonnenfäden gefponnenes Haar erfhien mir noch weit reizvoller.,

76 Die Dame in Schwarz )

Eine mit fünfzigtaufend Mark beerbte Tante erzielt ungeahnte Wirkungen.

„Dar die Tante fo reich gewefen?“ forjchte ich mit gefteigerter Teilnahme.

„Reich war fie eigentlih nicht,“ entgegnete mein Gegenüber, „aber fie war in einer Lebensverjicherung. ZIch weiß es noch, daß ich zu Agathe jo bie die Tante Öfters gejagt hatte, fie möchte ihr Geld doch praftijcher verwenden. Zebt urteile ich natürlic) anders. Schließlich kann mir das doch kein Menſch verdenten, wenn ich mich über die fünfzigtaufend Mark freue. Niht wahr?“

„Nein durchaus niht! Im Gegenteil. Ich freue mid aud. Für Sie natürlich!“

‚Sie labte, Dabei fchimmerten Perlzähnchen zwi- ihen dem Rot der Lippen, und das Lachen klang wie Silberglödchen.

„Das it fo komiſch! Sch hatte ihr immer ab- geraten, fib in eine Lebensverjiherung aufnehmen zu laſſen. Wenn fie meinem Rate gefolgt wäre, fo hätte ich wahrjcheinlich gar nichts geerbt.“

Um ganz tiefjinnig zu erſcheinen, tat ich den Aus- ſpruch: „Sa, jo eine Lebensverficherung ift eine fehr wichtige Sache!“

Sie zudte mit den Schultern, fpitte wie ſchmollend die Lippen und meinte dann: „Das fagt man fo! Ich bin überzeugt, Sie felbit find in keiner Verſiche— rung.“

„Diesmal haben Sie recht geraten.“

„Sehen Sie! Dabei fprehen Sie fo begeiftert davon, als wären Sie ganz feſt davon überzeugt.“

„Das bin ich auch.“

In dieſer Weife entwidelte fich das Geſpräch weiter.

Der Ton nahm eine immer vertraulidere Wen-

a Don B. Birkenau, 77

dung an, wie es bei zweien der Fall ift, die fich ſchon lange kennen. Sp waren wir fchließlih auf einem Zickzackkurs

pon der toten Sante zur Lebensverjicherung, vom Gelde auf Berlin, von den hohen Breifen auf die Wohnungen und fchlieglich zu uns felbjt gefommen,

78 Die Dame in Schwarz. 0

Das gab mir die Möglichkeit, darüber etwas Be— ftimmtes zu erfahren, wer fie war.

„Wir plaudern nun fon fo vergnügt, wir haben bereits die halbe Fahrt bis Halle hinter uns, wir fennen uns id) darf dies doch fagen ſchon fehr gut und en uns bisher ausgezeichnet veritanden,

gm Grunde genommen wiſſen wir aber beide nichts,“

Sch nannte zugleich meinen Namen und überreichte, um ja ein volles Dertrauen zu gewinnen, meine Viſitenkarte.

„Meta Schöpp!“ erwiderte ſie.

Sonſt nichts. Sie hatte dieſen Namen mit einem leichten Erröten genannt, das ſelbſt ein Herz aus Nordpoleis zum Schmelzen gebracht hätte.

Meta!

Ich hatte diefen Namen bisher nicht ausftehen können. Aber in jener Wagenabteilung des D-Zuges Berlin— Halle fand ih den Namen allerliebit.

Aus dem Gepläntel war bald ein regelrechtes Ge- fecht geworden, |

Der Feind ſchien allmählich dem erdrüdenden An- ſturm zu weichen und nur noch mit den le&ten Referven einen fcheinbaren Widerftand zu verjuhen, um den Rüdzug zu deden.

Mit immer größerer Sicherheit hatte ih das Ge- ſpräch auf die Liebe gebracht, und ich geftebe, daß ich jelbjt über meine Beredfamteit erjtaunt war.

Natürlich fprach ih in eigener Sache. Nur damit läßt fih die flammende Begeifterung erklären.

Das Abenteuer war da!

Als wir in Halle einfuhren, als id ihr dabei be— bilflih war, das Zakett anzuziehen, da hatten meine Lippen ganz leicht das goldene Haar im Naden geftreift.

Cie hatte es gefühlt, denn fie wandte mir ihr Ge-

a Don 3, Birkenau. 179

ficht zu und ließ mich den trunkenen, bezaubernden Blick empfinden,

„Was haben Sie getan, Sie Böſer!“ flüfterte fie.

„Ob, nichts!“ ftammelte ich, ganz.in dem Banne ihres Wefens. „Aber Sie haben mid toll gemadt. Was ih von Liebe fo begeiftert gepriejen,. das hat ja nur Ihnen gegolten. Haben Sie das nicht empfunden?“

Das Gefpräh war fo leife geführt worden, daß die zwei weiteren Wageninfafjen faum ein Wort ver- itanden haben fonnten.

Sie zürnte mir nicht über meine Kühnheit. . Mit einer weichen Stimme mir war es Damals, als läge ein Zittern darin antwortete fie ganz leife: „Sie dürfen das nit. Ich glaube, ich könnte Zhnen nicht fo böje fein, wie ich es ne ſollte.“

„Meta!“

„Still!“

„Halle! Zehn Minuten Aufenthalt!“ ſchrie der Schaffner und eilte den Zug entlang.

Um uns war das übliche Tohuwabohu, wie es in jeder Bahnhofhalle bei Ankunft eines Zuges iſt.

Aber ich hatte auf nichts geachtet. Sch hatte ihre Handtafhe genommen, war ihr porausgegangen und "reichte ihr meine Hand hin, damit. fie beim Ausffeigen nicht wieder ſtraucheln follte,

Meine Hand mochte dabei die ihre zärtliher und inniger gedrüdt haben, als.es notwendig gewefen wäre,

„Ha endlih! Oh! Sch hatte es ja längjt geahnt! Deshalb hatteft du von deiner Ankunft nichts gefchrieben ! Sp betrügit du mich!“

Sp fauchte plößlih eine Stimme hinter mir*),

Eigentlich intereffelos, nur duch den Lärm fo un-

*) Siehe das Titelbild,

80 Die Dame in Schwarz. O0

anittelbar hinter mir aufmerkſam gemadt, hatte ich umgefchaut und in ein dunkelrotes, wütendes Geficht gejehen.

Nun fauchte diejes fremde Geficht mit den funteln- den Augen und dem fchwarzen Knebelbarte mid) felbft an: „Mein Herr, ich fordere Genugtuung! Gie find —“

Was ih nah feiner Anficht fein follte, hatte er nicht verraten. Ich hörte jeßt nur die ſehr erfchredte Stimme meiner Dame in Schwarz.

„Aber Alfred! Du bijt hier auf dem Bahnhofe! Mie konnteft du nur von meiner Ankunft wifjen?“

„Das fragjt du mich? Das glaube ich dir, daß du mic bier nicht fehen wollteft in Begleitung diefes dDiefes Herrn da!“

Die ganze Tage war mir immer noch etwas rätjel- haft. Sch konnte deshalb nicht gerade das klügſte Gefiht machen, wenn er fih nur um ſo wütender wieder an mich wendete.

„Ein Schuldgeftändnis kann nicht deutlicher zum Ausdrud kommen!“ zifhte er. „Ob ih muß mich beherrſchen, ſonſt ſonſt —“

Ich hatte noch kein Wort geſagt; aber es ſtiegen in mir bereits die ſchlimmſten Ahnungen auf.

Und meine Dame in Schwarz konnte lächeln! Aber es war ein ſo ſeltſames, eigenes Lächeln, das nur mir allein zu gelten ſchien. Mir war es trotzdem unverſtändlich.

Zu dem Manne mit dem ſchwarzen Knebelbarte ſagte ſie mit ruhiger Beherrſchung, um die ich ſie be— wundert:: „Aber Alfred, was ſoll dieſer Herr nur von dir denken?“

„Das ift mir ganz gleichgültig!“

Da traf mich ein Blid aus ihren Augen, ein jo

Oo Bon 3. Birkenau. 81

zärtlicher und flehender zugleich, dag ihm niemand widerftehen konnte. Dieſer Blick jchien zu jagen: Es gefhieht nur um deinetwillen! I

Zaut aber erklärte fie: „Verzeihen Sie, Herr Birkenau! Das ift mein Gatte, wie Sie fich wohl ſchon haben überzeugen können, ein ſehr eiferjüchtiger und mißtrauifcher Herr!“

„Sp!“ puftete Herr Schöpp. „Wer würde auch dazu Schweigen? Diefer Herr ift mit dir gereift. Er bat dir die Hand gedrüdt, wie es nur ein Liebhaber tut und —“

„Sp Ihweig doch! Alle Leute feben bereits auf uns.“ |

„sh will aber nicht fchweigen! Durchaus nicht! Sch will willen, was diefer Herr von dir gewollt hat!“

Ih ftand dabei und hielt immer noch die gelbe Handtaſche. Ich wußte jelbit nicht, was ich hätte ant- worten follen. 3a, was hatte ich gewollt? Dicfe Stage konnte ich doch dieſem eiferfüchtigen Otbello, der por Zorn ein brennendrotes Geſicht hatte, nicht beantworten.

Meine Dame in Schwarz lächelte wieder. Mıt einer Geiftesgegenwart, die mir damals wunderjam erichien, antwortete fie: „Ob, ih ich habe ihn nur zur Aufnahme in unfere Lebensperjicherungsgefellichaft bejtimmt.“

„Das ift niht wahr! Er ift dein Liebhaber! Ich ruhe nicht, bis ihr beide por Gericht ſeid.“

„Aber ich verfichere dir —“ |

Und dabei traf mich abermals der fchmelzende, feuchte, bittende Blick.

Herr Schöpp wütete: „Ihr wollt mich beide be-

trügen! Mein Herr mein Herr, fagen Gie die Mabrheit !“ |

1910, XI. 6

82 Die Dame in Schwarz. D

Ich verſpürte einen leifen Drud ihrer Hand. „Aber natürlih! Sch hatte mich immer ſchon in eine - Verfiherung aufnehmen laſſen wollen. Sie gnädige Frau hat mich erſt vollends davon überzeugt, dag dag —“

Geine buſchigen Augenbrauen zudten, feine Stimme lang. etwas berudigter, aber es grollte darin immer noh das Miktrauen des gereizten Löwen. „Wie wollen Sie das beweifen?“

„Aber Alfred! Mäßige dich doch bier! Wir fönnen ja die Verſicherung in der Bahnhofreſtauration vollends abſchließen.“

„Zat Aber fofort!“ haftete er. „Sch glaube es noch immer nicht! Ich laffe mich aber nicht Betrügen!“

An der Bahnbhofreftauration in Halle wurde dann mein Leben auf die Summe von vierzigtaufend Marf verlichert. -

Erſt als ich alle Anträge unterzeichnet batte, ge- ſtand mir diefer Herr Schöpp zu, daß ich ein ehrlicher Mann ſei, den er wirklich grundlos in Verdacht gehabt habe. Zum Zeichen feines Dertrauens drüdte er mit recht kräftig die Hand.

Niemals aber habe ich rergeffen, wie mir meine Dame in Schwarz beim Abfchied zuraunte: „Nicht böje fein! Auf MWiederjehen!“

Ich bin alſo jebt auf Todesfall verjicher!, habe die erite Brämie pünktlich bezahlt und hoffe nun auf ein Miederjehen mit der Dame in Schwarz.

Sch follte meine Hoffnung bald erfüllt ſehen.

Ich wartete auf den Zug in Dresden,

Mit einem fohrillen Pfeifen war die Lokomotive eingefahren,

Aus einem Abteil erjter Klaſſe fam meine Dame

=) Yon 3. Birkenau. 83

in Schwarz. Sie wurde fehr galant von einem jungen Herrn unterjtüßt, Da entipann fi abermals eine Eiferfuchtsizene,

die mir in den Einzelbeiten außerordentlich bekannt erſchien. Ich ſchätze, daß der Pafjagier erſter Klaſſe ſein Leben mindeſtens auf achtzigtauſend Mark ver— ſichern mußte.

84 Die Dame in Schwarz. 0

Das eine aber beobachtete ich mit aller Gewißbeit, daß dieſer Ichredlihe Herr Schöpp jet einen braunen Vollbart trug und mit dem aus Halle nicht die gc- ringſte Ähnlichkeit hatte.

Daraufbin hat es mich dann nicht mehr gewundert, daß meine Dame in Schwarz an mir porüberging und mic gar nicht mebr wiedererfannte. Aber den feudten, bezaubernden Blid babe ich. wiedergejehen, nur bat er dem jungen Herin aus der Wagenabteilung eriter Klaſſe gegolten.

Wenn meine Erben einmal meine Lebensverfiche- rung einkafjieren werden, dann follen fie durch dieſe Geſchichte erfahren, wen fie das ſchöne Erbe eigentlich verdanten, |

Zener Dame in Schwarz mit dem bezaubernden Blid und den vielen als Ehegatten amtierenden Der- jicherungsagenten.

Das Erwachen Aliens.

Von Th, Seelmann.

| Mit 7 Bilder. Nachdruck verboten.) lien, die Wiege der Rultur, ift im Begriff, aus dem tiefen Schlaf, der feine Völker Zahrtaufende umfangen bielt, zu erwachen. Zapan bat fich bereits die Stellung einer Großmacht errungen, China gebt langfam, aber doch vffenfichtlich daran, fich durch den Ausbau von Eifenbahnlinien und die Modernifierung feiner Armee wirtjchaftlih und militärisch zu reorga- nifieren, die innerafiatiichen Gebiete und Sibirien werden durch Rußland mehr und mehr aufgejchloffen und ihre Bodenfchäße der Ausbeutung zugänglich ge- madt, und in Indien wächſt ftetig unter den Ein- geborenen eine Bewegung, durch die das engliſche Zoch abgefjchüttelt und der engliihe Rolonialbefiß der an- geitammten Bevölkerung zurüdgegeben werden foll. Mie ſehr alle Verhältniſſe gegenwärtig im Fluß find, und mit welch erjtaunliher Schnelligkeit fich die MWandlungen zur Erwedung der vorhandenen Kräfte vollziehen, zeigt am beiten die Einwirkung der Japaner auf Korea. NRorea, das „Land der Morgenfriiche“, wie es die Eingeborenen ſchönredneriſch nennen, wird dank des japanischen Eingreifens jett wirklich von einem frifhen Morgenhauch durchweht. Die Zapaner find in Rorea allmächtig, aber die ‚Vorteile, die die Aufrüttelung für das koreaniſche Volk mit ich bringt, berechtigen fie auch zu diefem Übergewicht,

86 Das Erwahen Aſiens. 0

Schon wenn man im füdlichjten Hafen Roreas, in Fuſan, landet, erfennt man das wohltätige Walten Japans. Neu-Fufan, die japanifche Niederlaffung, wurde zwar jchon vor dreißig Zahren den Zapanern duch Vertrag geöffnet, aber die maſſenhafte Feit- fegung japanijcher AUnfiedler erfolgte doch erſt feit dem Sahre 1905, als Rorea die Reglung der inneren Angelegenheiten einem japanifchen Generalgouverneut überließ. Neu-Fufan fticht heute durch feine Reinlich- keit, feine fchmuden Gebäude und geichäftlihe Be— triebfamteit in angenehmfter Weife von den dürftigen und verfallenen Lehmhütten Alt-Fufans ab, wo die Koreaner anfällig find. Zapanifch ift der Heine Dampfer, der den Reifenden vom Anlegeplatz für die Seedampfer in einer halben Stunde nah dem Bahnhof trägt, Sapaner find aud die Straßenbändler bei der Bahn- ftation, die Bier, Zigaretten und Früchte anbieten, und aus Sapanern beiteht das Bugperfonal der Bahn, die durch eine Landſchaft mit fteilen, faſt fahlen Bergen, dann durch eine gut angebaute Ebene in elfitündiger Fahrt nad der Hauptitadt Söul führt.

Söul, das mitten in einem Kranze von Hügeln liegt, ift von einer turmgefrönten, 22 Rilometer langen Stadtmauer umgürtet, die über das bergige Gelände hinwegläuft und große Felderflächen in fih jchließt. Fan Söul wohnen gegen 30,000 Zapaner. Gie haben ih in allen Zeilen der Stadt eingenijtet, ihre Haupt- maſſe fißt aber am Fuß des etwa 300 Meter hohen Namfanberges, der unmittelbar aus der Stadt auf- ſteigt. In diefem Stadtviertel befinden fihb auch der Palaſt des Generalrefidenten, die Poſt, die Der- waltungsgebäude, die Schulen und Hofpitäler, die von. den Sapanern gefchaffen worden find.

Sofort nah der Befitergreifung begannen die

0 Don Th. Seelmann. 87.

Zapaner mit dem Bau von Eifenbahnlinien, wie fie auch auf die Verbefferung der früher wahrhaft elenden Zanditragen bedaht waren. Dann führten fie eine neue Währung ein, die den Umlauf von Millionen

minderwertiger Münzen unterdrüdte, Mit der Grün- dung der Bank Dai Ichi Ginkoh wurde für die Re- gierung ein Sentralorgan auf dem Gebiete des Finanz- wejens ins Leben gerufen, an das ſich zur Stärkung des Kredits KRreditverbände und ähnliche gemein- nüßige Unternehmungen ſchloſſen. Dazu wurden landwirtjchaftlihe Verſuchsſtationen errichtet, zur He-

fchen Überlandbahn.

co Das Erwachen Ajiens. Oo

bung des Handels zollfreie Tranfitläger angelegt und die verlotterte Landpolizei in fortfchrittlihem Sinne umgeſtaltet.

Hand in Hand damit ging die militäriſche Feſtigung

A

Koreaniſche Bauernfrauen kehren vom Markt zuruͤck.

der errungenen Stellung. An Stelle der operetten- haften koreaniſchen Goldatesta trat wohlgefchultes japanijches Militär, das in Soul und anderen Gar- nijonsorter untergebradt ift. Zwei überaus ftarte Seefeftungen an der koreanifchen Rüfte feben der Voll— endung entgegen, Die eine wird in Port Lazareff,

D Don Th. Seelmann. | 91

die andere in Chin-hai erbaut. Port Lazareff an der Ofttüfte und an der Bucht von Genjan bat eine ſehr günftige ftrategiihe Lage, Wiederholt wurde es während des rufjiich-japanifchen Krieges, als man

Eine Schule in Koren.

eine Verbindung zwiſchen Port Arthur und Wladi- woſtok berjtellen wollte, von den ruſſiſchen Schiffen als Zufluchtshafen benüßt. Beinahe noch wichtiger wird aber als Stützpunkt Chin-hai fein, das an der Südſpitze Roreas in der Nähe von Mafampho liegt und nur 20 Seemeilen von Zjujhima entfernt iſt. Hier verjuchte im Jahr 1899 Rußland Fuß zu fallen.

02 | Das Erwahen Aliens. D

Indem Japan jest Ehin-hai befeitigt, macht es mit den ſchon beſtehenden Befeftigungen in Tſuſhima, Sajebo und in der Straße von Shimonofeli das japanijhe Binnenmeer faft unangreifbar.

Wenn aud nur widerwillig und zum Zeil noch einen fanatiihen Haß gegen die Zapaner befundend, Shit fih doch die einheimiihe Bevölkerung an, die Bahnen, die ihr die Eindringlinge weifen, allmählich zu befchreiten. Der Roreaner ift von Charakter äußerſt pblegmatiih. Man hat gejagt, dag wenn die Erde einen fertigen Reistuchen hervorbrädbte und fertige Nleider an den Bäumen wüchſen, der Roreaner doc nur dann glüdlich fein würde, wenn ihm ein Diener den Ruchen aufhöbe und ihm ein anderer Diener die Kleider von den Bäumen Schnitte. Auch ift es zuweilen der Fall, daß man auf dem Felde fünf Männer mit einem einzigen Spaten arbeiten fieht, aber diefer Trägheit, fo weit fie auch verbreitet ift, ftehen doc in den nördlihen Landftrihen unter den Bauern Arbeitfamleit und Strebfamteit gegenüber. Zt die Feldarbeit beendet, dann liebt es allerdings auch bier der Bauer in dem langen weißen Rod und mit dem winzigen Hut aus Gaze auf dem Ropf aus der zwei und drei Fuß langen Pfeife ftundenlang zu ſchmauchen, ohne ein Wort zu ſprechen.

Dagegen iſt den Frauen faft überall Fleiß und Un- verdroffenheit eigen. Sie verrichten die ganze Haus- arbeit, helfen auf dem Felde mit, wandern nad den Städten, um auf den Märkten die Landeserträgnifie zu verkaufen, und treten dann beiter plaudernd den KRüdweg an, um auf dem Ropf das in der Stadt er- ftandene Hausgerät nah Haus zu tragen. Obwohl die Rinderpflege noch jehr viel zu wünſchen übrig läßt, ſchlafen doch beifpielsweife die Säuglinge auf dem

e Don Th. Seelmann. 93

nadten Erdboden, find die Roreanerinnen in ibrer Art liebevolle Mütter. Dabei find fie den Neuerungen weitaus geneigter als die Männer, Die von den

Moderne hinefifhe Infanterie,

94 Das Erwachen Afiens. D

Zapanern eingerihteten Schulen werden daher auch viel zahlreiher von den Mädchen als von dem männ- liben Geſchlecht beſucht. |

Das Aufleben Chinas bezieht ſich in erjter Linie auf die moderne Ausbildung feiner Streitkräfte. Durch das Edit vom 15. Zuli 1909 übernahm der Kaifer den Oberbefehl über die Armee und Merine, betraute den Regenten mit feiner Vertretung und fchuf eine beratende Behörde, den EChün-Be-Hu, woraus ſich der Gencralftab entwideln fol. Dem Rriegsminifterium unterfteht ein Generalftabsdepartement, Tfan-mon-hu, und ein Marinedepartement, Hai-hün-hu. Die Auf- jtellung, Ausbildung und Befoldung der in den Pro- vinzen garnijonierenden Truppen erfolgt nad den NWeifungen des Rriegsminifteriums durch die Gou- verneure, Nach dem über die Wehrordnung erlaffenen faiferlihen Edikt follen die in einer Provinz liegenden Truppen in diefer felbjt angeworben werden. Die Truppen dienen als Zjehang-ge-ging drei Zahre bei der Fahne, drei Zahre in der Referve, Hfü-ge-ging, und vier Sabre bei der Landwehr, Hou-ge-ging.

Bis zum Fahre 1912 follen 36 Pivifionen errichtet werden, Davon find bis jet 8 vollftändig gebildet. Die 1., 5. und 6, Diviſion fteht unter einem General- injpefteur in Peking. gede Pivifion beitehbt aus 2 Infanteriebrigaden mit je 2 NRegimentern. Außer- dem gehört zu einer Divifion 1 Regiment Ravallerie, 1 Regiment Artillerie, 1 Bionier- und 1 Trainbataillon, . Die Friedensftärte beträgt rund 11,000 Offiziere und Mannfchaften, 2000 Pferde und Maultiere und 54 Ge— ſchütze. Die Bewaffnung bejtebt vorwiegend in Maufergewehren und Mauferkarabinern, Die Artillerie bat meift deutſche und japanijche, vereinzelt auch fran-

zöſiſche Geſchütze.

D Bon Th. Seelmann. 95

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Irregulaͤre chinefifche Kavalleriften.

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Die Offiziere der Truppen geben aus Milikär- ichulen hervor, deren unterjte Form, die Radetten- ſchule, faſt jhon in allen Provinzen beftebt. Schulen

96 Das Erwadhen Afiens. e

der Mittelftufe find im Herbit 1909 in Beling, Nanting, Wutſchang und Hfinganfu eröffnet worden. Außerdem fenden alle Brovinzen Militärfchüler zur fünfjährigen Ausbildung nah Japan.

In der urfprünglihen Verfafjung find noch die im ganzen Reich zerjtreuten mandfchurifchen Banner- prganifationen geblieben. Jedes Lager dieſer irre- gulären Truppen zählt 501 Infanterijten und 181 Raval- leriften. Die Bewaffnung befteht aus Speeren, Bogen und Pfeil.

Auch. auf dem Gebiete des Eijenbahnwefens be- ſtrebt fih China nad) langem Zaudern fortzufchreiten. Sn der vielumftrittenen Mandichurei begegnet es fich bei feinen Blänen mit den Ruſſen und Zapanern. Die Hauptlinie, die hier in Betracht fommt, ift die große fibirifche Überlandbahn, die von den Ruffen über Tſitſikar und Charbin bis nah Wladiwoftot geführt worden ift. Der mandfchurifhe Teil von Mandichuria bis zur Oftgrenze der Mandjchurei wird von der „Ruffi- ſchen Gefellihaft der Ehinefifhen Oftbahn“ verwaltet. Don ECharbin zweigt ſich nah Süden in der Richtung auf Mutden und Peling eine Geitenlinie ab, deren nördliher Zeil im Befiß der Ruffen ift, während der füdlihe Seil bis nah Port Arthur den Japanern ge- hört. Die Zapaner befigen ferner die Bahnlinie, weldhe von Mukden über Antung durch ganz Rorea bis Söul läuft. Dagegen ift die Bahn von Mukden nah Tientſin und Peking chinefiih. Ebenſo wird fich die Bahn in chinefiihen Händen befinden, die von Peking nordweitlih duch die Mongolei nah Sibirien geplant und wovon die Zeiljtrede von Beling bis Ralgan an der großen Mauer kürzlich eröffnet worden ift.

Don Beling nah Süden follen zwei Linien geführt werden, von denen die eine über Tientfin nach Shanghai

97

Don Th. Seelmann.

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und Die andere über Kaifong nach Hankau am Jang—

tjefiang verlaufen foll.

Hiermit find aber die oftafiatifhen Eifenbahn-

1910.

XII,

98 Das Erwahen Afiens. ; 0 projekte noch nicht erſchöpft. Nußland ift mit der Legung einer Linie bejchäftigt, die von der großen fibirifehen Überlandbahn öſtlich von Tſchita abzweigt, zuerft den Scilta, dann bis Chabarowsk den Amur entlang gebt, um Jih darauf nah Süden zu wenden und in Wladiwoftot einzumünden. Der weftliche Tell. diefer Bahn, der den Namen Amurbahn führt, ift bereits fertiggeftellt. Endlich beabjichtigt eine ameri- kaniſche Gejellihaft, eine Bahn von Aigun am Amur über Tſitſikar nach Niutihwang zu bauen.

Alle dieſe Bahnen werden zum wirtichaftlichen Aufſchwung der durchichnittenen Gebiete, zur Aus- beutung der vorhandenen Naturfchäße und damit zur Hebung der Bevölkerung beitragen. Welche Aus- fihten nach der wirtfchaftlichen Seite hin hier beftehen, läßt die große fibirifhe Überlandbahn ahnen. So find Rohlen in großen Lagern faft in dem ganzen Ge- biet von den Rirgifenjteppen bis zum Affuri vorhanden. Bei Ekibaztouz in den Kirgiſenſteppen find zwei un- gebeure Roblenflöze von 27 und 40 Meter Mächtigkeit nahgewiejen worden. Zn den Gouvernements Zenij- feist und Irkutsk liegen 19 Flöze von 52 Meter Mächtig- keit. " Die drei im Betriebe befindlihen Gruben haben eine monatliche Förderung von 5000 Tonnen. Ebenfo birgt das Amurgebiet bedeutende Roblenflöze. Ferner find reihe Lager von Eifenerzen häufig. Allein das Lager von Irba im Gouvernement Irkutsk wird auf 8 Millionen Tonnen gefhbäßt. Bei Balega und Nertichinst in Sransbaitalien hat man Erzlager von 54 und 60 Meter Mächtigkeit entdedt. Auch Rupfer, Silber und Gold find in anfehnlider Menge vor- handen. Gold findet fih namentlich bei Oletminst und Witimst an der oberen Lena und bei Minufinst und Ranst in Transbailalien vor, Einige diefer Gold-

Do Don Th. Seelmann. 099

lagerjtätten werden bereits von amerikaniſchen Gejell- ſchaften abgebaut.

Tiefgehende Umwälzungen find ohne Zweifel in Dorderindien im Anzug. Die Engländer haben bier unbejtreitbar Großes gejchaffen, aber jett verlangt der führende Zeil der Bevölkerung, die fich auf 500 Mil- lionen Röpfe beläuft, Mitwirkung an der Verwaltung und überhaupt vollftändige Gleichberechtigung mit den Engländern, Der Bund der „Swadeihi“ (Heimat- hub) tagt alljährlich in einer der großen Städte, und feine Wortführer fordern offen und veritedt zum Sturz der engliihen Herrichaft auf.

Noch vor wenigen Zahrzehnten liegen auch be- deutfame Dorgänge auf aſiatiſchem Boden Europa jo gut wie unberührt. Heute aber bringen es der gefjteigerte Weltverkehr und die vielfachen Wechtel- beziebungen der Völker mit fich, daß die Bewegungen im fernen Alien fofort auch in der einen oder anderen Meife auf Europa einen fühlbaren Rüdfchlag ausüben,

Ein tapferes Mädel.

Novelle von W. Harb.

—— (Nachdruck verboten.)

Köln, 30. April. as gleich vom Abend des erſten Reiſetages eine lange Epiſtel? Ich höre Dich erſtaunt die Hände zuſammenſchlagen. In der Tat, u ich wundere mich über mich ſelbſt, beſte Lotte, Daß der Menſch nach jo langen Reifeftrapazen, un- vergeßlihen Eindrüden und here Erlebniſſen noch abends zehn Ahr im Hotel friſch und fpring- lebendig wie 'ne Forelle Reifeberichte fchreiben kann den erſten pflichtihuldigft an die Eltern, aber den zweiten an Dich, liebftes Herzblatt hätte ich wirklich jelbft nicht für möglich gehalten. Oder hat man nur jolhe Spanntraft, wenn man mit neunzehn Lenzen mutterfeelenallein den ſchönen Tag genießt, den ein- zigen, der mir befchert ift, bevor fih mir die Tore meines Gefängnijjes öffnen? Oder —? Za, ich will’s Dir nur gleich beichten, liebſte Lotte: in mir zittert noch die Erregung eines großen Erlebnijjes nad! Eines ganz großen! Du hattet recht, als Du, Heine Hellfeherin, mir beim Abfchied fagteft: „Paß auf, Ilſe, du erlebjt was! Du bijt ſo eine!“

Doch hübſch nach der Reihe. Alfo ich fie hier im eleganten Großftadthotel viel zu elegant für mic, und ich zittere für meinen armen Geldbeutel, der

0 Novelle von W, Harb. 101

morgen früh für den Leichtfinn feiner Befigerin bluten und büßen muß und der ſehr patente und fehr zuvor- fommende Herr Ober hat mir das feinfte Hotelfchreib- papier zur Derfügung geftellt. Er fcheint mich für was befonders Nobles und Feines zu halten, keinenfalls aber wohl für ein armes und o Jronie des Schid- fals! adeliges Fräulein, das allen Stolz und alles Pochen auf fein blaues Blut und eine glängendere Dergangenbeit längft unter die Füße gezwungen hat und im Begriff ift, der Not gehorchend, eine fimple Stüße zu werden, eines jener höchſt nüklichen, viel- feitig verwendbaren, aber alljeitig bedauerten Wefen, ein Achenputtel der modernen Gefellihaft! Ach, beite Lotte, da bin ich ſchon wieder bei dem Thema, das wir beiden fohiffbrüchigen Eriftenzen bis ins End- lofe miteinander durchgehechelt haben, wenn wir in Deinem Stübchen Tagen auf dem fteifbeinigen und fteiflehnigen Pruntfofa, dem einzigen Überbleibſel aus beiferen Zeiten! Er ift mir immer vorgelommen wie eine Planke vom zerborjtenen Schiff, auf die wir uns gerettet hätten, und um uns braufte das wilde Weltmeer. Wenn ih Dich nicht gehabt hätte in der ichlimmen Seit, Deinen Troſt, Deinen lieben Rat, Deine Liebe!

Ich will aber nicht fentimental werden, gerade heute nicht, denn heute ift ein goldener Tag gewefen. Und ih will luftig fein und will den Ropf oben be- halten und beberzigen, was mein guter Papa wie er mir vor der Seele jteht mit feinen abgehärmten Sügen und feinen forgenvollen Augen! fagte, als er mich aus feinen Armen ließ: „Nun Gott befohlen, Slschen, mein Augentroft, meine verftändige Älteſte, und Ropf hoch! Es werden fchon wieder beſſere Zeiten fommen!“ Wenn er’s nur felber glaubte, der

102 Ein tapferes Mädel. D

Gute! Es fehnitt mir tief ins Herz, als ich ihm bei diefen Worten in die treuen Augen fab. Und dann erſt meine teure, füge Mama! Was die gelitten bat und beftändig leidet, daran darf ich gar nicht denken, ſonſt heute ich fofort ein paar Zafchentücher naß und höre gar nicht wieder auf, Auch eben tat ich’s im geheimen ein paar Minuten, als der. Herr Ober gerade nicht in meiner Nähe war. Du mußt recht, recht lieb und nett gegen meine Mama fein, liebjte Lotte, jo- lange ich draußen in der Welt bin bei den fremden Zeuten! Wie alt fie geworden iſt in den le&ten fchred- lihen Monaten ihr ſchönes dunkles Haar hat lauter weiße Fäden.

Weißt Du, was mich eben aufgerichtet und er- ‚quidt hat, als ich mit dem Safchentuch vor den Augen daſaß und achtgab, daß mir die Tropfen nicht von oben in meine faubere Handfchrift fielen, auf die ich noch immer fo kindiſch ftolz bin? Mein Blid fiel von un- gefähr auf die Wand mir gegenüber, und da hing ein großes buntes Bild, durchaus fein Runftwerf, aber gut gemeint und für mich und meinen Rummer ausgefucht pajjend. Eine abgehbärmte Frau fißt da mit einem unvernünftigen Haufen Rinder in einem ärmlichen Zimmer und empfängt durch den eintretenden Poſt- boten eine Freudenbotichaft. „Sit Die Not am größten, iit Gottes Hilfe am nächiten,“ Steht in großen Buch— itaben darunter. Wie dies unfcheinbare Bild in das vornehme Hotel und gerade an dieſen Pla& dicht vor meiner Naje getommen ijt, weiß ich nicht, ich bilde mir aber ein, der liebe Gott habe es extra für mich da hinhängen lajjen. Ach ja! Wenn doch eine ſolche Freudenbotſchaft auch bei uns eintehrte, Wiejenftraße 11, zwei Treppen! Wenn ich doch ſolche Freude auf die Gefichter meiner lieben Eltern zaubern könnte das

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wäre doch mein höchſter Wunſch, liebe Lotte, und ich bitte Gott täglich darum, Zedenfalls das Bild hat mich nicht wenig getröftet. Iſt die Not am größten, it Gottes Hilfe am nächſten! | |

Ich habe den Obertellner denn auch, als er fich in meiner Nähe zu tun machte und nach’ meinen Be- fehlen fragte, wieder mit ganz blanten Augen an- geguckt. Zn meinem Taſchenſpiegelchen ſah ich, dag fie noch blißen und mutig in die böſe Welt hineinfchauen fonnten. Ga, das Spiegelhen fagte mir noch mehr, wenn ich’s auch nicht jo unverfchämt und eingebildet be- fragte wie die böje Rönigin-Mutter in Schneewittchen: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ift die Schönfte im ganzen Land?“ Lotte, ich habe viele Sebler, das weiß ich, aber übermäßig eitel bin ich nicht, und auf die Schönheit des Fräbchens bau’ ich nicht allzuviel. Jedoch auch der Spiegel machte mir neuen Mut. Er fagte ganz leife, fo leife, daß es der Oberkellner nicht hören konnte: „Schäme did, Sie! Du bift jung, du bift hübſch, du haft noch eine Zukunft vor dir! Wer weiß, was das Leben für dich noch aufbewahrt hat vielleiht was Wunderſchönes. Dertraue nur!“

Sieh, Lotte, da wurde ih wieder die alte Zlie, die nicht unterzuftiegen ift. Wie Schön iſt es doch, daß ich Dich habe, mein Herz, und Dir alle meine Gedanken und Gefühle übermitteln darf! Wie einfam wäre ich ſonſt! Den Eltern darf ich fo was ja gar nicht fchreiben. Denen zwitſchere ich eine ganz andere Mufik vor. Die halten mid gewiß für ein leichtfinniges Ding, dem nichts tief geht. Mögen fie wenn mein Gezwitſcher ihnen nur ein wenig Sonnenſchein ins Dunkel bringt. Sit nicht unjere Freundſchaft ſchon ein großes, großes Gnadengeſchenk, liebe Lotte? |

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Der Herr Ober legte mir das Fremdenbuch vor, und ich mußte aus dem Inkognito heraus und mich darin verewigen. Ich mag dieſe Hotelbücher nicht, denn ſie ſind ſo neugierig und zudringlich. Ich ſchwankte erſt, was ich eintragen ſollte: mein ſchlichtes Pſeudo— nym, unter welchem verborgen ich mich von jetzt ab verkriechen will, oder meinen alten guten Namen, der zu meiner glanzloſen Exiſtenz nicht mehr paßt. Ach was, ſagte ich mir, während ſich der Herr Ober eine Weile diskret zurückzog, heute biſt du noch, was du einſtmals warſt, und ſchrieb mit kecken großen Buch— ſtaben unter das Gewimmel der fremden Namen: Z3lſe v. Arnſtein-Leßlingen. Das Fräulein Ilſe Hart- mann, das morgen früh ſeinen Weg fortſetzt, kommt immer noch früh genug zum Vorſchein. Heute wie ſchwach wir Menſchen doch find, Lotte! heute wollte ih noch oben fchwimmen, denn heute war ein gol- dener Tag gewejen. Der Herr Ober nahm mir das Buch wieder fort, ſah verjtohlen hinein und madte mir dann eine ganz befonders reſpektvolle Verbeu- gung.

Sp, nun zappelft Du natürlich ſchon vor Neugier, zu erfahren, was ich denn eigentlich Großes und Feen- haftes erlebt habe und warum heute ein goldener Tag gewejen iſt. Du kannſt nämlich ganz fabelhaft neu- gierig ausjehen, Liebite, obgleih Du dagegen immer ftreiteft. Wenn ich auch viele Meilen von Dir entfernt fie und der Fernfeher für den praftifhen Gebrauch leider immer noch nicht erfunden ft, ſehe ich Dein ge- ſpanntes Gefihthen doch deutlich por mir: die Augen groß aufgemadt, als könnten fie nicht mehr länger warten, der Mund halb geöffnet, als müffe die Neuig- feit da hineinfpazieren, das Näschen witternd in der Luft, vor allem die Obren gejpigt wie der feligen Groß-

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mama Schoßhund kurz, das ganze Geſicht ein ein- ziges Fragezeichen, | Za es war ein Mann! Und was für einer! Aha! fagit Du. Dacht' ich’s doch! Nun böre zu.

Als ih zum leßten Male heute früh Dein treues Herz an dem meinigen Hopfen gefühlt hatte und nah all den aufregenden Abjchiedsizenen in den Zug ge- jtiegen war, heulte ich die erjten Stunden, die ‘ja mit Eifenbahnfahrt ausgefüllt waren, leije vor mir hin, was ich ungeniert und ausgiebig tun fonnte, weil feines Fremden Gegenwart mir Zwang auferlegte., Ich dachte weder an die Zukunft, die düfter genug vor mir liegt, noch ſah ich auf die Schönheit der Welt, die wir durchfuhren. Sch mußte nur immer an das Daheim bei Vater und Mutter und bei den Keinen Geſchwiſtern zurüddenten, und wie doch alles fo fchredlih war. Alles, was unfere Familie gelitten bat, alle Demüti- gungen und Zurückſetzungen, alles Einfchränten und Einleben in die neuen engen Verhältniſſe machte mein Geift noch einmal durch. Ach Lotte, jo viel Herzeleid ' und Not habe ich den ftummen Wänden meines Ab— teils anvertraut, daß ich glaube, es iſt ein Zeil daran hängen geblieben. Wenigſtens wurde mit leichter zu- mut, als ich durch das Fenjter die Türme der alten . Stadt Mainz auftauchen ſah und der Rheinjtrom ficht- bar wurde. Hier wollte ich ja ausfteigen und ein gewiß auch in meiner Lage nicht ganz verdammens- werter Luruswunfhb langfam an den rebenum- kränzten Ufern des alten deutihen Stromes hinunter- Ihwimmen. Das jollte mein le&tes Vergnügen fein, dann mollte ich in meinen Pflichten untertauchen. Möglichft forglos, möglichft froh und empfänglich wollte “ich diefe fchöne Welt, die ich noch nicht kannte, auf

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mich wirken lajjen. Ich hatte den Himmel für diefe Fahrt um einen ganz ftrahlenden, warmen Frühlings- tag angeflebt, und ſiehe da, es ward ſo, es fam ein wunderbarer, ein goldener.

Dieſer Wunſch wird dir alfo erfüllt, fagte ich auf- munternd zu mir felber. Nun fei dafür dankbar, Zlfe. Nun mad ein Geficht, das zu der ſchönen Welt paßt, und nimm fo viel davon mit, wie du kriegen kannſt. Dielleiht mußt du ſpäter davon zehren.

Und richtig, Lotte, es ging. Man kann doch viel, wenn man aufrichtig will,

Bevor wir im Bahnhof einfuhren, hatte ich mein Haar geprdnet, meine Auglein blank gepukt und mir den Schleier für die Dampferfahrt über dem Hut be- feſtigt. Sn meinem Reiſekoſtüm, das auch noch aus den fetten Zahren ftammt, ſah ich gewiß viel mehr nach einer großen Dame aus als nad) einer angehenden Stüße, Du wenigitens bebaupteft ja, liebe Lotte, es ſtände mir keck totichid, fagteft Du, glaub’ ich.

Ah, Du Liebite, wie gern hätte ih Dich nun bei mir gebabt, als ich auf dem weißen ftolzen Schiff, das wie ein Schwan fo ficher und ruhig den breiten ſchim— mernden Strom hinabglitt, in der warmen Sonne auf einem Rorbftuhl hingelagert, langfam dahinfuhr. Zn . fatten Zügen nahm ich die Schönheit der wechfelnden Bilder in mich auf, nicht fragend, wie das alles heißt, was mein Auge traf, fondern nur genießend, in Form und Farbe ſchwelgend.

Dabei habe ich aber doch zuweilen aub an Dich gedadht. Da fißt fie nun, ſprach ich bei mir, die Itebe GSeelentröfterin und Genoffin, vor ihrem ungezogenen Haufen in dem alten Schulgebäude und fingt mit ihnen: „A aa, der Sommer, ber ift da,“ und hat doch nichts von all der Sommerjchönbeit, die hier von jedem

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burggefrönten Felſen glänzt. Ilſe, wie haft du’s doch gut, Daß du das genießen darfit! Du tateft mir berz- lich leid, meine liebe Lotte, Du bift auch zu was Beſſerem geboren. Dir hat man’s wahrlich nicht an der Wiege gejungen, Daß Deine lieben Eltern fo früh dahingingen und Dir die Aufgabe zurüdliegen, Dich felbft, jo gut es gebt, durchs Leben zu fchlagen. Aber da made ich Dich ſchon wieder traurig und wollte doch von dem goldenen Tage reden. Es foll au für heute die lebte Anwandlung gewejen fein, liebe Lotte. Feierlich ver- banne ich alle Trauergeifter und verwünſche fie in den tiefiten Grund unferer ftampfenden und fauchenden Schiffsmaſchine, daß fie mit dem Schwarzen Rauch in alle Winde davonziehen. Paß auf, Lotte, wir beide, wir zwingen’s! Für uns ſteht noch was aus! Du bleibft nicht auf Deinem Ratheder fiten, und ich werde feine ewige Stüße fein. Wir verpuppen uns nad diefem Raupenzuftnd und fteigen als zwei fchillernde Schmet- terlinge, Du, Lotte Horft, Elementarlebrerin der dritten Vorſchulklaſſe, und ib, Ilſe Hartmann, Stütze der Schloßfrau auf Schloß Gröne im Weitfalenland, einſt empor. Wir find überhaupt nur zwei verwunfchene PBrinzefjinnen.

Wenigſtens heute bin ih’s. Goldig flutet der Tag, kein Wölkchen am blauen Himmel, mit hellgrünem Schimmer die ernſten Felſen leiſe überwoben.

Jetzt kommt's, Lotte, das Große, das Schöne, mit dem das Leben fo karg iſt. Eigentlich ſollte ich’s nicht fchreiben, denn es läßt fi nur empfinden und ihleht in Worte kleiden. Eigentlich follte ich’s tief im Herzen verbergen, denn es gehört zu den Pingen, die man nicht hervorzerrt ans belle Licht, die am beiten verborgen bleiben im Schaf der Erinnerung. Eigent- lich follte ich mich auch nicht darüber freuen und darüber

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jubeln, ſondern traurig fein. Ih weiß auch wirklich nicht, ob ich luftig oder traurig bin. Es ijt ein Web in mit, das jubeln möchte, und eine Seligkeit, die ſich in Sränen bervordrängt. Denn, liebite Lotte, nur einen Tag lang, einen einzigen wonnigen, ijt das Glüd bei mir gewefen und hat feine ganze Fülle über mich aus- gegoffen, fo jtrahlend, daß ich glaube, diefer eine Tag reiht bin, um mein übriges Leben zu vergolden. Zebt ift er aus, der goldige Tag, und aus muß fein, was er gebracht hat ja, Lotte, es muß!

3b babe diefen Tag mit einem Manne verlebt, deſſen Bild nie aus meiner Seele weichen wird. Liebfte Lotte, ich weiß, was ih Pir jeßt fchreibe, das iſt bei Dir gut verwahrt. Nicht Dater, niht Mutter, du allein darfit es willen. Wie er ausſah? Ernſt, groß, männlich und feit. Etwas ſo Gewinnendes, Gutes und Liebes wie.in feinem Antli habe id nie auf Menichen- ſtirnen leuchten fehen. Ob Du ihn hübfch finden würdeft, weiß ich nicht. Wie alt? Zwiſchen fünfunddreißig und vierzig ſicher. Treue blaue Augen, Bart und Haare blond, ein Germanentypus, aber doch nicht von der . gewöhnlichen Art. Da haft Du ihn, Lotte, beijer kann ih ihn Dir nicht befchreiben.

„alle,“ hör’ ih Dich ganz aus der Ferne, „dir ift nichts weiter begegnet, als was jungen heißen Seelen eben juft zu paflieren pflegt: du haft dich Hals über Ropf, ja bis über beide Ohren, unbeilbar oder was man ſonſt zu fagen pflegt verliebt!“ Ich höre Dich jchulmeiftern: „Das weht einen an, man weiß nicht woher. Das kommt davon, wenn junge unbedadt- jame Mädchen allein“ und fo weiter und fo weiter, Nein, Lotte, es war doch viel mehr. Ich fühle es, in dieſer Begegnung gipfelt mein Leben. Ganz verftehen wirft Du mich nicht, fo ſehr Du Pir auch Mühe gibft.

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Dielleiht wird es Dir fo am klarſten: ich habe einmal gelejen, daß jedes Menfchen Ergänzung, die für ihn beftimmte und genau pafjende Seele, irgendwo auf der Erde für ihn eriftiert. Daß diefe beiden fich finden, it unwahrſcheinlich und äußert felten. Lotte, diejes zweite Sch, das fühle ich, das habe ich gefunden.

Ich fomme Dir überjpannt, pbantaftiih vor. Du meinst, in ähnlichen Übertreibungen ergeben fich alle Derliebten, wenn fie von dem Gegenftand ihrer Neigung erzählen. Ah, Du Hühnchen, Du abnungs- lofes, in Herzensiahen gänzlich unbewandertes Men- ſchenkind! Pu kannſt ja gar nicht urteilen! Aber ich verzichte auf alle weiteren Verſuche, Dir den Zuſtand ıneines Herzens deutlih zu machen. Ich laſſe Dich bei Deinem Glauben.

Mas wir redeten? Derlange nicht zuviel. Unſere Geſpräche wiedergeben, bieße dasfelbe fordern, wie etwa eine ſchöne Sinfonie, nahdem der lebte Ton verlungen ift, aus dem Gedächtnis wiederholen, Mufit, Traum, Raufch war alles.

Ein ganz unbedeutender Anlaß machte uns befannt. Nichts fpielt ja im Leben eine größere Rolle und hat wichtigere Folgen als der Gajt, der unangemeldet duch alle Türen tritt, der Herr Zufall. Diesmal ſuchte fich der Herr für feine Streiche den Hut meines Reiſebegleiters aus, riß ihn duch einen feiner allzeit gehorfamen Diener, einen beimtüdifhen Windſtoß, von feinem Ropfe und wehte ihn direkt in meinen Schoß, Kein Zirkusjongleur kann fein Ziel beffer treffen. Cs war Der einzige beftige Windftoß, den ich während der ganzen Reife verfpürt habe, fo rubig war es ſonſt. Alſo doch wohl cin Stoß des Schidfals.

Der Hut vermittelte unjere Bekanntſchaft. Erſt ſtanden wir nebeneinander an der Schiffsbrüftung und

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Ihauten gemeinjam die Wellen und die Vögel und die Berge an. Dann zog er wie felbjtveritändlich feinen Rlappftubl neben meinen Korbſeſſel, und da blieb er jigen, Stunde um Stunde, ohne anders einmal aufzu- ſtehen, als um mir und fich eine Erfrifchung zu beforgen.

Er wußte wunderbar zu erzählen, und die Augen glänzten ihm dabei. Er batte viel gefehen und viel erlebt. Auch jeßt befand er fich auf einer größeren Reife und wollte erſt nah Wochen zurüdfehren in feine Heimat. Ich hörte zu gebannt und verzaubert. Am ſchönſten war es, wenn er von inneren Erlebniffen, von feinen Anfihten und Anſchauungen ſprach. Er hatte eine feine, zarte und Doch fo Hare Art, Sch habe nicht halb fo viel geredet wie er und ficher nicht ein Diertel fo geiftreih. Oft glaubte ich in feinen Aus- führungen meine eigenjten, allerinnerften Gedanten wiederzuerfennen. Dies oder das haft du ja geradeſo auch ſchon einmal gedadt, fagte ich mir. Nur haft du es nie ſo anmutig und deutlich zutage gefördert.

Zweierlei kann ich Dir genauer berichten, liebe Lotte.

Nachdem wir eine Weile miteinander geredet hatten, wollte ei, wie es ja üblich ift, ſich vorſtellen. Uber als er dazu Anftalten machte, wehrte ich ab.

Ich hatte nämlich im geheimen fchon Angit davor gehabt, Lotte, Betrügen und ihm einen falfchen Namen nennen, unter dem ich von nun ab in der Welt herumreife, um ein trodenes Bläschen für mid zu haben und mein Brot zu verdienen, das wollte und fonnte ich nicht. Und meinen wahren Namen fagen um alles in der Welt nicht. Wenn er das war, für das ich ihn feinem Benehmen nad) bielt, für einen Mann, der in iener Welt Befcheid weiß, zu der wir auch einjt gehörten vielleicht hätte er geitußt, vicl- leiht unliebfam gefragt, vielleiht ſich abgewandt,

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Der kurze Glüdstraum wäre allzu fehnell zu Ente gewefen. Der Name Arnftein-Leglingen hat einen üblen Rlang in der Welt. Man hat ihn mit Schmuß beworfen und in den Staub gezogen. Und der Staub und Schmuß ift weithin geflogen, und die ſchmutzigſten Beitungen haben ihn in ihren Spalten mit Behagen ihren fenjationslüfternen Lefern aufgetifcht. Ach, Lotte, es ift unſagbar jchwer, das Haupt fenten zu müfjen, wenn der eigene Name genannt wird.

„Bitte,“ fagte. ih zu meinem Begleiter, „laffen wir einmal die vorgejchriebenen Förmlichkeiten bei- feite. Geben wir uns ohne den gefellfchaftliden Firle- fang er ftört mich heute.“

Er ſah mich finnend an. „Wenn Gie es denn jo wollen -- vielleicht haben Sie recht. Man kommt fic) näher ohne das.“

Mie er das fagte, Lotte, und wie er mich dabei an- ſah ich mußte erröten.

Die Vorftellung unterblieb aljo. Und wir kamen uns näher. Wie ein Strom floß es berüber von ihm zu mir und von mir zu ihm. Es war, als feien wir elektriichb verbunden. Die Welt, die fchönen Berge mit ihren Sinnen und Weingärten verjanten um uns ber, oder vielmehr, fie gaben nur den ſchweigenden Rahmen ab. Ebenfogut hätte ich mit ihm im gelben Wüſtenſande figen können oder irgendwo font wir wären die gleihen gewefen.

Ach Lotte, die [höne Zeit ging rafh dahin. Per goldene Tag neigte fih dem Ende zu. Schon fhidte ih die Sonne, die mir heute fo hell geleuchtet hatte, an, hinter den Eifelbergen zur Ruhe zu geben.

Und da kam das zweite, das Du hören ſollſt. Ich habe es am beiten behalten.

„Ich fürchte, ih kann Sie nicht wieder vergeffen,“

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fagte er. Er nahm meine Hand, und ich ließ fie ihm, als verjtünde fih das ganz von ſelbſt.

Ich jab ihm freimütig und ohne dumme Siererei in die Augen. „Sie baben mich reich gemadt,“ ant- wortete ich.

„Sagen Sie mir wenigitens ae Vornamen,“ bat er.

„Ich beige Ilſe.“

„Nun denn, nn Ilſe, es fehlt nicht viel, dann ſtellte ich ſchon heute an Sie die Frage, die ein Mann fonft nur an ein Mädchen richtet, wenn er cs länger fennt. Darf ih? Soll ich das Glück feſthalten?“

Ich jchüttelte ftumm den Kopf. Zetzt ward mir unfäglihd web, „Nein,“ fprach ich faft bart.

„ah muß Sie aber wiederfehen, Ilſe. Wann und wo fann das fein?“ |

„Niemals und nirgends.“ .

Er ſah mich betroffen an. „Wie foll ich das ver- fteben? Habe id) mich fo getäufcht?“

„Sie haben fich nicht getäufcht, aber es kann troß- dem nicht fein,“ Ich nahm alle meine Kraft zufainmen und atmete tief auf. „Zwiſchen uns fteht das, was man das eiferne Schidjal nennt. Pringen Sie nicht in mich, ich fönnte es Ihnen doch nicht fagen.“ Ach fühlte, wie fich meine Augen mit Tränen füllten,

Konnte ich anders, Lotte? Ronnte ih ihm fagen: „Mein Dater ift der in den Augen der Welt geächtete und verfemte Major v, Arnftein-Leßlingen, dein man Unredlichkeiten in feiner PDienjtführung nachgeſagt bat, der als ſchwer Angefihuldigter vor dem Gericht gejtanden hat und nur freigejprochen wurde, weil man ihm nichts direkt nachweifen konnte? Der einen wonig ebrenvollen Abjchied aus der Armee nehmen mußte und nun in einer ſolchen Notlage lebt, daß feine

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Tochter hingehen muß und bei anderen Leuten in untergeordneter Stellung fih ihr Brot verdienen, damit fie den Heinen Gefchwiftern die ſchmalen Bifjen niht noch ſchmäler maht? Hier fit diefe Tochter vor Ihnen. Was hilft es, wenn dieſe gute Tochter Shnen fagt, daß fie felbit ihren Vater für unfhuldig, für verleumbdet, für ein Opfer verhängnisvoller Mißver- ſtändniſſe und Verkettungen hält? Wenden Sie ſich nur ab von ihr, mein Herr, wie von ihrer befiedten Familie!“

Hätteft Du das fertig gebracht, Lotte?

Er würde gegangen fein blutenden Herzens, das weiß ich, aber er würde gegangen fein.

Sp follte der Traum nicht enden. Per goldene Sag mußte ein freundliches Abendrot haben.

Er bettelte, er flehte ich blieb aber feit, Lotte, Es könne, es dürfe nicht fo fchlimm fein, wie ih mir einbilde. Er fühle fich ftart genug, alle Feſſeln zu ſprengen.

Ich ſchwieg. Über dieſen Punkt tommt ficherlich fein Mann hinweg.

Der Rölner Dom ftand wie eine ſcharfe Silhouette am dunklen Abendhimmel. Man traf Vorbereitungen, das Schiff mit Seilen an der Landungsbrücke zu be— feſtigen. Die Menſchenmenge drängte vorwärts. Wir allein blieben noch zurück.

„Es darf nicht aus fein, Ilſe! Ich werde nicht ruhen, bis ih Shre Spur habe,“

„Sie werden wie ein Ehrenmann handeln und mich meine Wege gehen lajjen. Hinter der Landungs- brüde trennen wir uns. Slauben Sie mir, es wird mir ebenjo ſchwer wie ghnen.

Er hielt meine Hand feſt in der ſeinigen.

„And nicht die leiſeſte Hoffnung, Slje? nn Seit ändert jo mandes!“

1919. XI. 8

114 Ein tapferes Mäbdel. e

„Zah werde Sie nie vergeijen.“

Denn die Menſchen nicht gewejen wären, er hätte mich jeßt ficher ftürmifch in feine Arme gezogen. Ich ſah es ihm an den Augen an, die heiß und verfengend auf mich niederbrannten.

„Meinen Sie denn, daß ich Sie je vergefien kann? Das Leben wird mir wertlos fein, bis ih Sie wieder- gefunden habe. Ilſe, eine leife Hoffnung nur jo zart und dämmernd wie das lichtſchwache Fünkchen dort am Abendhimmel, das verheißungsvoll herübergrüßt.“

„Nun denn,“ hab’ ih da gefagt, „Ichreiben Gie mir nah zwei Fahren unter ‚Slje‘ pojtlagernd nad) Mainz. Sch werde mir den Brief holen, wenn id) nicht fchon tot bin. Und ich werde Zhnen antworten entweder, daß ein furchtbares Geſchick uns nah wie por irennt, oder —“

„Dder?“ jauchzte er. „Zlie daß du dann mein jein willft?“

„Wenn ghre Liebe dann noch vorhanden fein wird —“

„Sie wird es!“

Wir überfchritten die Landungsbrüde zulekt.

Auf dem Kölner Straßenpflafter reichten wir uns noch einmal die Hände. Cs war uns, als könnten wir nicht voneinander.

„Ich hoffe,“ war fein fettes Wort. |

Er ift mir nit gefolgt. Er ift ein Ehrenmann durch und durch.

Der Obertellner reicht mir fpeben auf meinen Be- fehl ein paar Marten. Er iſt gewiß erftaunt, daß man jo hartnädig und bis tief hinein in die Naht fchreiben kann. Es find nicht mehr viele Gäfte im Zimmer, Der Zeiger der Uhr über dem Büfett zeigt bald auf Mitter- nacht.

D Novelle von W. Harb. 115

Leb wohl denn, meine füße Lotti, und dent zuweilen an mich, Sch hab’ es nötig, dag Du mich mit Deiner Liebe aub in die grauen Tage begleitet, die nun tommen werden, Grüß mir den Vater und die Mutter, meinen Bruder Alfred und meine Heine Schweiter Hildegard. Sag ihnen, Du habeft von mir einen langen luftigen Brief erhalten. Cs war ja doch auch manches luftig darin gelt? Deine Ilſe.

P.S. Glaubſt Du, daß ih nah zwei Jahren einen Brief haben werde in Mainz? Sch glaub’s nicht, ob- gleich ich fühle, daß ich einen tiefen Eindrud auf ihn gemadt habe, Aber die Zeit ändert mandyes, hat er richtig bemerkt. Ad, Lotte, wenn fie doch nur das

Gejhid meines armen Papas ändern möchte!

* * *

Schloß Gröne, 12. Mai.

Du liebe, gute Lotte! Wie danke ich Dir, daß Du meine Eltern ſo fleißig beſucht haſt! Mutter ſchrieb mit, es ſei ihr bei Deinem Kommen geweſen, als habe die Sonne verjudt, einmal wieder bei ihr hinein- zufcheinen, Wie fandeft Du fie? Waren fie fehr, fehr niedergebeugt? Ach, die Armen! Dent Dir, Papas heißes Bemühen um eine Wiederaufnahme der Unter- ſuchung jcheint vergebens geweſen zu fein. Nun wird es bei ihnen noch dunkler werden.

Weist Du, was damals, als die Sache bekannt wurde, ein paar Leutnants unferer alten Garniſon ge- fagt haben follen? An Stelle des Majors ſchöſſe ich mir einfach eine Rugel vor den Kopf!! Sc verftehe Das, Lotte, vielleicht von Leuten, die keine Religion und keinen Halt haben oder aud) bei folchen, die in ihrem Schuldgefühl erjtiden. Aber ein Mann wie mein Papa, der nicht nur den Mut bat, mit dem

116 Ein tapferes Mädel, Q

Säbel auf die Feinde loszugehen, fondern auch Stärke und Gottvertrauen genug, um dem Unglüd die Stirn zu bieten, der wird das nie tun. Schon um der Seinen willen nicht, denen er jett doppelt nötig it. Gerade jeine Gelafienheit und. Geduld im Leiden ift mir ein Beugnis für feine Unfhuld, werin ich noch eines nötig hätte, Räme fie nur an den Tag! Es wär’ der froheite Sag meines Lebens.

Ob ih noch an die goldige Zeit auf dem Rhein- dampfer denke, fragſt Du in Deinem lieben Briefe, Du bift naiv, Lotte, Sch werde daran noch denken, wenn ich mit vier Kiſſen hinterm Rüden als alt- jüngferlihe Stridtante hinterm Ofen fite, die Wärme- flafjhe unter den Füßen und den Mops auf dem Schoß. Dann werden mir feine Worte noch in den Ohren klingen, und ich werde beglüdt por mich hin lächeln, wenn die Zugend fich liebt, und leife für mich . jagen: „Macht ihr’s nur, fo gut ihr’s könnt. So wie ich es hatte, bekommt ihr’s doch nicht. Es war einmal, es war einmal!“

Nun foll ih Dir felbitredend von Schloß Gröne erzählen und von dem, was ih darin zu tun babe, Liebe Lotte, Du wirft natürlid Papa und Mama mein Sammerlied nicht vorfingen. Es gebt nach der Melodie: „Ah du lieber Auguftin, alles ijt hin, hin, hin!“ Die Eltern glauben, ich hab's hier ganz gut, Der liebe Bapa hat mich fürforglid für mindejtens ein Dierteljahr an die Rette gelegt könnte ich früher tündigen, ich tät’s ſofort. Und wenn ih auskneifen tönnte und wüßte nur wohin mit mit, dann hätte ich Schloß Gröne und feine Bewohner längſt im Rüden.

Wenn Du mit Deinen hoffnungspollen Spröß- lingen, die Deiner mütterlihen Zuchtrute anvertraut find, das ſchöne Lied einübft: „Hopp, hopp, hopp,

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Pferdchen, lauf Galopp!“ dann, liebe Lotte, dent an mid. Solch ein Pferöchen bin ich hier. Zreppauf, treppab, zu jeder Arbeit gut fehlt nur noch die Peitſche.

Na, ih bin eben 'ne Stütze und kann's vielleicht nicht beffer verlangen. Ich hätte nur nie geglaubt, daß es für einen einzelnen Menſchen in einem einzelnen Sauepalt fo viel zu jtüßen gibt. Lotte, ein paarmal, wenn’s mit meiner Rraft zu Ende geben wollte, hab’ ih gedaht: Bald hab’ ich telber ne Stüße nötig, ſonſt fall’ ih um.

Wir hielten früher zwei Mädchen und eine Köchin. Die haben's gut gehabt bei meiner Mutter, Aßen ſich dide Baden an und platten in den Zaillennähten, Wir haben fie auch nie als Weſen niederer Ordnung angejehen, gegen die wir. uns etwas herausnehmen durften. Wehe uns Rangen, wenn wir das gewagt hätten! Ach, unfer fhöner Haushalt in Vaters alter Garnijon! Wie friedlih und harmoniſch ging alles darin zu! Auch jebt iſt es ja fiher unter Mutters fanftem Zepter nicht anders, nur daß wir keine zwei Mädchen und keine Röchin mehr haben. Dafür hat fich ein ungebetener griesgrämiger Gaſt eingefunden, der Rummer, Der fitt im Wohnzimmer breit auf dem Sofa, nimmt frech mit Pla am Mittagstifh und ftreut ein bitteres Salz auf jeden Biſſen, legt fich mit ins Bett, macht in der Nacht den greulichften Rumor und verfcheucht den erquidenden Schlaf, und morgens, wenn man aufiteben will, begrüßt er jeden HYaus- genoffen zuerft mit feinem bleichen Faltengeficht. Brr!

Ich kann keinen vernünftigen Brief fchreiben, Lotte, DBernünftige und geſetzte Leute fangen beim A an und endigen beim 3. Mir läuft die Feder immer davon und macht ‚Seitenfprünge nach rechts und links. Aber

113 Ein tapferes Mäbdel, o

jegt nehme ich fie feit zwijchen die Finger und bringe ihr Ordnung und Ruhe bei,

3b habe nämlih wirklih einen Augenblid Ruhe zum Schreiben. Pie Heinften Rinder find zu Bett, die großen find mit meiner „Herrfchaft“ ausgefahren und fommen erjt fpät zurüd, und die mittlere Sorte it Draußen im Garten. Was fie da treiben, mögen die Götter wiſſen. Sie haben mir heilig verfprochen, feinen Unfug zu machen, auch wenn ich fie eine halbe Stunde nicht beauflihtige. Diefe drei Sorten Rinder gibt’s nämlich hier. Ich wüßte nicht zu jagen, welche mir das Leben am wenigjten fauer machen. Zedesmal drei gehören zuſammen und bilden eine Gruppe für ſich. Erſte Gruppe: Ada, Renate, Ernefried Rinder der eriten Frau des Barons Mönk. Er hat jebt die dritte, meine gnädige Ungnädige. Das Bild der erften hängt unten im Prunkſalon in Lebensgröße. Sie ijt im Balltleid gemalt, eine ftolge Schönheit mit einem abſtoßend hochmütigen Zug um den Mund, Ihre drei Rinder, im Alter von einundzwanzig bis achtzehn, haben alle diejen gleihen Zug, aber nicht nur um den Mund, jondern auch im Herzen.

Die zweite Sorte ich hab’ fie ſchon taufendmal ins Pfefferland gewünjcht, aber es hat nichts geholfen bejteht aus drei Rangen, für die eigentlich ein kräftiger Prügelmeifter extra angejftellt werden müßte, Mit denen fchlage ich mich täglih herum, ähnlich wie mit den blutfaugerifchen Müden und Stechfliegen, die es hier in unglaublicher Menge gibt. Natürlid ein Rampf, bei dem es Wunden und Denkzettel ſetzt. Kurt, ein Bengel von fünfzehn Zahren, gehört nach meiner Meinung in ein Rorreltionshaus, Bodo braucht bei einem auf dem Rriegspfad befindlichen Indianer nicht mehr in die Lehre zu gehen, und die zwälfjährige Wald-

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traut hat nur aus Verſehen Mädchenlleider angelriegt. Lotte, was die drei zufammen anitellen, Du glaubft es niht! Eine Räuberbande in den böhmischen Wäl- dern iſt gegen fie eine patriarhaliihe Hirtenfamilie.

Folgt Sorte Nummer drei, Helmut, Eleonora und das Nejthäthen Eberhard. Zahre: vier, drei und eins. Ah, wie reizend! höre ih Dich ausrufen, denn id weiß, wie gern Du kleine Rinder haft. Hätteſt Du doch Dein Wort zurüd, Lotte! Hier liegen die ge- fährlihiten Fußangeln meiner Stüßentätigteit, Hier bin ih ſchon bundertmal geitrauchelt, gefallen und tapfer wieder aufgeftanden, denn ich mach’s meiner Gnädigen, die an den drei Buppen einen wahren Narren gefrefien hat, nie recht. Man kriegt hier ein Dides Zell, Lotte, und das mag für den mir bevor- ſtehenden Lebenstampf ja gut fein, aber manchmal tönnt’ ich aus der Haut fahren, Die Gnädige probiert an dieſen dreien ihre Verziehungskünſte. Ich hab’ feinen prophetiichen Blid, Lotte, aber was aus diefen dreien wird, weiß ich troßdem Lümmel werden’s. Lümmel ift der Lieblingsausdrud meines alten Barons. Gegen mich hat er freilich dies Wort noch nie ge- brauht vielleiht mahft Du Dich nach meiner Beichreibung auch ſchon auf jo was gefaßt, Lotte im Gegenteil, gegen das weiblihe Geſchlecht iſt Herr v. Mönt zeitlebens fagen wir allzu liebenswürdig gewejen. Fürchte aber nichts für mich, Liebite, er ift jetzt ungefährlich. Er wird im Rollituhl gefahren und geht nur täglich eine halbe Stunde auf Rrüden. Ich beneide ven Diener nicht, der ihn begleitet. So gern ich ihm feine gefunden Glieder gönnen würde, eines Dabei ift mir doch recht: ich brauche ihm feine Soden nicht zu ftopfen, denn er reißt keine faput. Die übrigen Beinhüllen der Familie, turze und lange, derbe und

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feine, ſchwarze und farbige, liegen auf meinem Arbeits- tifih. Sp, nun weißt Du, warum diefer Brief abfolut nicht länger werden kann. Außerdem ertönt aus dem Garten ein fchredliches Gebrüll, Der Stimme nah ift es Bodo. Ich muß hinab und Frieden ftiften.

- Deine auf Dornen gebettete Ilſe.

* * >

Schloß Grüne, 22. Mai. Meine fühe Lotte, Du haft morgen Geburtstag. Die gern ſchriebe ih Dir den allerlängjten und aller- herzlichiten Brief. Es geht aber nicht. Diefer kurze Gruß, in den ich alle meine Liebe und alle. meine Wünſche für Dich lege, muß Pir genügen. Wenn ic Dir mehr [chreiben fünnte und dürfte, es würde Dich in feine Feſttagsſtimmung verfegen. Grüße mir die

Eltern und Geſchwiſter. Deine abgehetzte Ilſe.

*x *

Schloß Gröne, 26. Mai,

Du bedauerſt mich, Lotte, Du möchteſt mir meine Laſt gern einmal abnehmen oder ſie mit mir teilen Du biſt gut. Aber bange zu fein für meine Gefund- beit, das braudft Pu nicht. Unkraut vergeht nicht. 3b bin mandmal todmüde, todunglüdlich, ich habe fünf Pfund abgenommen, aber ich bin kerngejund, Nur meine armen Hände, auf deren Schlantheit und Weiße ih einjtmals fo ſtolz war, die dauern mid). Krebsrot, fteinhart, zerjtihelt und verbrannt, mit Pflaftern bededt nächitens laſſ' ich fie photographieren von Kurt, der eine Ramera hat und wahllos jedes Objekt aufnimmt, und {hie fie Dir,

Du willft aljo vor allem gern wiffen, wie meine Antunft und Aufnahme bier geweſen iſt, und was ich

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mit meinen Quälgeiftern fonft erlebt habe, Ou follft einen fehr ausführlichen Brief haben, mein Herz, denn ftaune, aber mach den Mund hübfch wieder zu ich habe einen freien dreimal unterftrihen Nach- mittag. Ein Sonntagnahmittag, den id anwenden kann, wie ich will, und den ich zunächſt zum Schreiben benütze. Dielleicht gehe ich nachher in den Wald, fuche mir ein einfames Plätzchen, wo das Rraut Vergejjen- heit wächft, mache die Augen zu und fchlafe und träume. Mas follte ih auch fonft hier mit meinem „freien“ Nachmittag anfangen? Verkehr und Freunde hab’ ich nicht, fuche ich nicht mit wen, Lotte? Zn der Um- gegend liegen nur Güter und Dörfer, und die habe ich bisher nur von weiten gejehen. Auf den Gütern fiten meine ehemaligen Standesgenoijen, für die ich Zuft bin, und in den Dörfern Bauern, - Und doch ichreie ich förmlich nach einem Menfchen, dem ich alles in den Schoß fchütten, an deifen Bruft ih mich aus- weinen könnte. Lotte, wäreft Du doch auf eine Stunde bier! Ich bin todunglüdlid, Lotte, viel, viel unglüd- liher, als Du denkſt.

Sp, meine liebe Maus, jebt ift mir wieder beffer. Sch danke Dir vieltaufendmal, daß Du mir Dein liebes Bild mitgefhidt haft. Wenn ich das vor mic) hinftelle und die Bilder meiner Eltern und Geſchwiſter daneben, dann fauge ich aus all den freundlichen Gefichtern neue Lebenskraft. Du fchreibit, mein Vater hätte es doch nicht zugeben follen, daß ich eine ſolche Stelle über- nehme. Meine Beite, Du bift wohl momentan ver- dreht, wie unfer alter Mathematiklehrer zu jagen pflegte, Was hätte ich denn tun follen? Untätig den Zammer im Haufe mit anfehen? Pie Prinzeß fpielen und möglichſt hochnafig die allgemeine Nichtachtung der edlen Mitmenfchen ignorieren? Mein Bater bat

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lich lange genug gefträubt, bis er Ja und Amen jagte zu den demofkratifchen Neigungen feiner aus der Art gefchlagenen Tochter. Ich follte was anderes ergreifen. „Das?“ fragte ih. „Sch bin zu allem zu dumm. Ich tann ein bißchen nähen, ein bißchen ftiden, ein bißchen Rlavier fpielen, ein bißchen fingen, ein bißchen malen ih kann von allen ſchönen Dingen, mit denen andere Leute fih Geld erwerben, ein bißchen, Nur tanzen und flirten mit den Leutnanten und anderen Löwen der Gefellihaft, mich in der neueiten Mode präfentieren und mich bis zum Hahnenſchrei amüfieren das kann ih. Nicht böſe fein, VBäterchen,“ fagte ich, als ich ſah, daß er traurig wurde, „ich bin felber ſchuld. Einen höheren Bildungsdrang habe ich leider nie in mir verjpürt, Zu etwas wird es aber reichen zur Stüße. Stüße kann jede werden, dazu braucht’s nichts weiter als eine tüchtige Portion ‚Dud dich‘, einen langen, langen, langen Geduldfaden, der nie abreißt, und ein zolldides Fell. Was ich davon noch nicht habe, werde id mie nad und nah anfchaffen.“ Nein, Lotte, ih habe es ganz recht gemacht, meinen Fähigkeiten nach ſtehe ich auf dem richtigen Platz.

Liebe Lotte, der Menſch muß zufrieden fein. Ich lerne hier wirklich eine Mafje. Dinge, um die ich mich früher nie gekümmert habe, gehen mir fo fir von der Hand, als ob ich mein Lebtag nichts anderes getrieben hätte. Sch bilde mich hier zur perfelten Hausfrau aus, und wer mich mal kriegt, der wird nicht betrogen. Willſt du, dummes Herz, wohl ruhig fein? Wirklich, Lotte, das klopfende fehnjühtige Ping unter meiner Bluſe läßt fich jchon wieder einmal von dem Heimweh nach einem gewijjen goldigen Tage ertappen.

Lotte, zuweilen male ich mir aus, wie es fein wird, wenn wir beide Du mußt natürlih mit in zwei

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Sahren zum Schalter des Hauptpoftamts Mainz ziehen werden. „sit etwas da unter Slje?“ frage ih dann den Beamten, Er kramt in feinem Briefhaufen, zudt die Adhfeln und fagt: „Bedaure, nein, Zräulein!“ Und dann gehen wir beide wieder nah Haufe, Du mid) tröftend und ftreichelnd, und ich wieder um eine Portion Lebensweisheit weifer, „Aber,“ werde ic dann auftrumpfen, „den goldenen Tag habe id doc gehabt. Der bleibt mein unveräußerlihes Eigentum.“ Nicht wahr, Lotte?

Alfo ih habe heute meinen freien Nachmittag wie ein Dienftmädchen, das mit feinem Schaß ausgehen fann.

„Heute nachmittag haben Sie frei, Fräulein,“ fagte Frau Eupbemia v. Mönt zu mit,

Ich verbeugte mich kurz und ſchob ab. Sch ver- ſchwand fchnell irgendwohin, nur von der Bildfläche, denn es konnte doch fein, daß es der Freifrau wieder leid wurde. Wozu hat eine Stüße einen freien Tag nötig? Die Dienjtboten, ja, das ift etwas anderes.

Eine Stüße braucht man nicht zu verwöhnen. Denn fie aufmudt, fliegt fie einfah. Man betommt ſofort hundert für die eine wieder. Aber ein Dienft- mädchen! Die wollen heutzutage angefaßt fein wie rohe Eier. Geht man nicht auf ihre Forderungen ein bums! kündigen fie, und man kann lange ſuchen, bis man eine neue kriegt.

Ich werde wohl bitter, Lotte? Man kann's bier leiht werden, wenn man derartigen Gedanten zu lange nachhängt. Das Elend mander armen Mädchen aus den bejjeren Gefellichaftsklafien ift doch groß, Liebſte.

Nein, dieſe Ilſe! ſagſt Ou. Nun kauderwelſcht ſie wieder alles mögliche durcheinander, aber was ich ſo

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gerne hören will, davon fchweigt fie. Entfchuldigen Sie, weile Pädagogin, ich Habe nicht Methodik gelernt. Aber ih werde gehorſam fein und hübſch dert an- fangen, wo es anfängt.

Am 1, Mai diefes mit fchönen Frühlingstagen jo. reichgefegneten Jahres fuhr ih armes Offiziers- töchterlein, nachdem ich meine unter den Erwartungen gebliebene Rechnung bezahlt und dem Herrn Ober- tellner ein meinem Range entiprechendes Geldjtüd eingehändigt hatte, mit der Eifenbahn in das Land der roten Erde, Der Herr Oberkellner quittierte mit einem liebenswürdigen Lächeln, warf einen. betvundern- den Blick auf meine Geftalt in der Heidfamen Reije- toilette und entließ mich mit einem devoten: „Adieu, gnädiges Fräulein.“ Das ijt das lebte „gnädige Fräu- lein“ gewejen, das ich eingeheimjt habe, Lotte, Pie Dame, die auf der Heinen Station in der tellerflachen Ebene zwifchen den grünen wogenden Ährenfeldern ausitieg und ſich fuchend umjah, ob ein Wagen für fie bereitftünde, war ein Fräulein Ilſe Hartmann, Ichlehtweg Fräulein und Stüße, .

Nun, ein Wagen mit Wappen und betreßtem Ruticher war da nicht. Sch war ratlos, denn natürlich hatte ich keine blaſſe Ahnung, wo Schloß Gröne lag und wie weit ich bis dahin laufen mußte, Wan Ichien nicht viele Umftände mit der neuen Stüße zu machen. Mein Ungetüm von Koffer ftand einfam auf dem Bahniteig.

Da trat ein alter Bauer an mich heran und fragte mich auf Platt, ob ich das neue „Frölen“ wäre für Schloß Gröne. Ich bejahte erfreut, und er erlaubte mir gnädigjt, neben ihm auf dem Brett Plat zu nehmen, das quer über die Leitern des Wagens gelegt war, Dem Wagen baftete ein Geruch an, als ob darin

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Schweine zum Verkauf gefahren worden wären. Es verhielt fich auch wirklich jo, befte Lotte, An ſolchen Kleinigkeiten muß man fich nicht ftoßen, wir find bier auf dem Lande, Wein Koffer fam yuuen u und heidit ging’s los.

Unjere lieben jchönen Berge, wo waren lie? Bis zum Horizont nirgends eine nennenswerte Erhebung, dafür weite, weite Rornfelder, Dazwiſchen die roten "Dächer einzelnjtehender Gehöfte, hier und dort ein- geftreut ein. Wäldchen, Sch fürchte, auch an die ein- förmige Landihaft werde ich mich ſchwer gewöhnen,

Du kennſt mich, Lotte. Unſere Fahrt dauerte

anderthalb Stunden im gemädlidhiten Zuckeltempo, und fo lange neben einem Menſchen zu fiten, ohne auch nur pieps zu fagen, das halte ich einfach nicht aus, Mein Wagenlenter ſchwieg fich polllommen aus und rauchte dabei fürchterlih, Zuweilen kam aus feinem mit weißen Stoppeln umrahmten Munde ein eigentümlicher Grunzton, den feine Braunen zu tennen ichienen, denn fie zogen jedesmal, wenn fie ihn hörten, itraffer an, um nad zehn Sekunden in den alten Schlendrian zurüdzufinten. Ich ertundigte mich nah allem möglidhen, das mid brennend interefjierte. Wie das Schloß beichaffen ſei. Ob man mit der Gnädigen leicht fertig werde, Wieviel Rinder im Haufe feien, ob häufig Gefell- ſchaften jtattfänden und dergleichen mehr. Er öffnete jedesmal den Mund, nahm die Pfeife heraus und fagte immer denjelben Schnad: „Dat kann id Sei nich jeggen, Frölen. Dat warden Sei nu bald ſülwſt gewohr,“ Mehr war aus ihm abfolut nicht herauszu- bringen.

Toffel! dachte ich im ſtillen und verſank nun auch meinerſeits in Schweigen.

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Noch immer fah ih kein Schloß, und das fchmale Brett fing fehon an, mir recht fatal zu werden da auf einmal lag es dicht vor uns, hinter einer Waldede.

Mein Ruticher wies mit feinem Peitjchenitiel dar- auf hin und fagte: „Nu fünd Sei dor, Frölen. Stigen Sei man ut, et fünd man noch en poor Schritt. Den Kuffert jett wi up de Landftrat, den könnt Ge nahſten afhalen.“

Ich tat, wie mir geheißen, und ſprang leihtfüßig mit beiden Beinen vom hohen Sitz auf die Erde. Dann bedantte ich mid.

„Dunner no mol,“ hörte ich meinen Kutſcher aus- rufen, „Sei fünd aber fir up de Bein, Frölen. Na, dat is god, denn fo wat könnt Sei dor brufen.“

ZIch wollte mich zum Geben wenden, da fing er noch einmal an. |

„Sei hewwt fit woll wunnert, Frölen, dat id Sei nix vertellt hew. Ick will Sei man feggen, dat kümmt von uf’ gnedge Fru. De bett mi giftern feggt: ‚Rrifchan,‘ ſeggt fe, ‚wenn du den annern Dag na de Bahn föhrit, bringjt mi mine nige Stüß mit. Un wenn fe en loſes Mul hett, un will di utfragen, denn böllft din’ Snut.“ Sp bett fe feggt, Frölen. Na, un nu will id Sei ot an goden Rat gewen, denn Sei duren mi, Sei warden dat dor nich licht hewwen. Reen Minſch höllt dat dor lange ut. De Olli, id meen, de gnedge Fru, is grantig un böllt den Ropp bannig hoch. Do'n Sei Ehr Ding, Frölen, aber fonjt hellen Sei dat Mul, denn geiht dat noch am beiten, Adjüs of,“

Nah Diefer langen Rede ließ Kriſchan feinen Grunzton hören, und die Pferde zogen an, Sc rief ihm für den guten Rat einen Dank nad).

Sp, Lotte, da ftand ich mit meinem Roffer auf der Landſtraße. SH hatte mir ja nicht eingebildet, daß

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man mid mit Ehrenpforten und Bölierfchüjfen emp- fangen würde, aber ein wenig mehr oder bin ich zu anſpruchsvoll, Lotte?

Ich überſchritt meinen Rubikon und ging durch wenig gepflegte Parkanlagen gerade auf die Einfahrt des alten Herrenhauſes zu, das in Hufeiſenform ge— baut war. In der Mitte des Ganzen ſtand ein alter- tümlidher Brunnen.

Wie oft habe ih mir gewünſcht, in ſolch einem ländlihen Schloffe zu wohnen. Uralte Linden, efeu- umſponnene Mauern, ein Graben mit Zugbrüde und ein alter Turm, ich natürlich, meine liebe Lotte, als Schloßfräulein in diefer mittelalterlihen Burgherrlich- keit. Daß der Wunſch jo in Erfüllung gehen würde, ahnte ich nicht.

Ein Laufmädchen gudte aus der Tür, und ich nannte meinen Namen, natürlihb mein Stüßenpjeudonym. „Herrje!“ fagte das Mädchen erjtaunt und mufterte mich neugierig. Dann half fie mir, führte mih auf die für mich bereitgehaltene Remenate und ließ auch meinen Koffer dorthin bringen.

„Haben Sie lauter fo feine Rleider, Fräulein Hart- mann?“ fragte fie, während ich mich vor dem Heinen Spiegel in Ordnung bradte.

„Wieſo? Nein, ih habe auch einfachere.“

„Na, dann tun Gie fih was Einfaches um, wenn Sie’s nicht gleich mit der Gnädigen verderben wollen. Und die großartigen Sachen jtoppen Sie weg, Daß fie feiner zu fehen kriegt. Pas gnädige Fräulein Ada pla&t ja fonft vor Neid.“

„Sewiß,“ antwortete ich, über den vertraulichen Son empört, „Das war auch meine Abfiht. Die eleganteren Roftüme habe ih nur für die Reife und zu etwaigen Gejellihaften.“

128 Ein tapferes Mädel, DO

Ah, Lotte, die Reihe der Demütigungen jollte ihon angehen, Die Perſon machte mir’s fofort Har, welche Stellung mir zukam.

Sie ftemmte die Arme in die Seiten und lachte frech: „Nee, fo grün!“

Dente Dir, das unterftand fih die Perjon. Ich traute meinen Obren nicht, die doch ganz normal ge- baut find. Ich fühlte, wie’s mir heiß aufitieg, und wollte etwas Heftiges erwidern. Hatte meine Dor- gängerin ſich derartiges gefallen laffen oder fogar fich mit den Dienftboten auf eine Stufe geftellt ich wollte meine Stellung fofort kennzeichnen.

Ich kam aber nicht dazu.

„GSefellihaften?“ fuhr das Mädchen fort und ließ fi mir nichts dir nichts auf einen meiner drei Stühle fallen. „Daß ih nicht lahel Das könnte Shnen wohl pafien, ja, das glaube ih. Na, Fräulein, gehn Se man ’runter nad) der Gnädigen, die wohl ſchon auf Sie wartet, die wird Ihnen die Flötentöne ſchon beibringen.“

Ich hatte wirklich zuerſt keine Worte, Dann fagte ih jo kühl und vornehm wie möglid, indem ich ein paſſendes Hauskleid hervorſuchte: „Laſſen Sie die überflüffigen Bemerkungen. Wie heißen Sie übrigens? Beim Umziehen brauche ich Ihre Hilfe nicht. Wenn ich beruntertomme, melden Sie mich bei Frau v. Mönt,“

Mas glaubft Du? Die Perfon rührte fih nicht. Sie gudte mich nur höhnifch von der Seite an und brach wieder in ihr albernes Lachen aus.

„Qu wird’s Tag! Sie glauben woll, id wäre Shre Rammerjungfer und zu Zhrem PBrivatdienit hier? Gott, was man nicht alles erlebt! Wenn ich das unten erzähle, das glaubt ja keiner!“

Ich würdigte fie keines Blides und Wortes mehr

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und ftreifte mein Kleid ab. Sie jah zu, wie ich mich fertig anzog, und fuhr fort, mich zu ärgern, Ach, Lotte, ich kriegte da einen Vorgeſchmack von dem, was mir bevorſtand.

Ich wußte, mit der hatte ich’s verdorben, vielleicht aud mit dem ganzen übrigen PDienftperjonal.

Fünf Minuten fpäter ftand ich vor Euphemia Frei— frau v. Mönk. Sie war nicht allein, fondern Ada und Renate rekelten fich neben ihr in Schaufelftühlen. Das Herz Eopfte mir bis in den Hals hinauf, und ich merfte, das Majorstöchterlein in mir fträubte fich mit Händen und Füßen gegen die niedrige Rolle, die es fpielen follte. Sechs neugierige Augen mujterten mid, Meine Snädige hatte das Lorgnon zu Hilfe genommen. Mir war’s, Lotte, als fei ich auf dem Sklavenmarkt ausgejtellt, und die Räufer prüften und betafteten mic), ob ich auch ftark genug fei zur Arbeit,

Dielleiht war dies der jchlimmite Augenblick. Jetzt bin ih abgebrüht und unempfindlich geworden, Lotte, wie ein alter Ziehgaul, der geduldig feine Laſt weiter- Ichleppt. Aber damals verwünfchte ich meinen Ent- ſchluß, meine Arbeitskraft als Stüße zu verkaufen,

Komteß Ada ſchlug ein Knie über das andere, beugte fih zu ihrer Schwefter und tufchelte ihr etwas zu. Beide lachten impertinent.

„Sie find Fräulein Hartmann?“

„Jawohl, gnädige Frau.“

„Sie kennen die Bedingungen, unter welchen ich Sie in meine Dienſte nehme?“

„Das Nötigfte ift ja ſchriftlich abgemacht worden.“

„Allerdings. Sie können glei) in Ihren Pflichten- kreis eintreten. Oder find Gie etwa noch müde von der Reife?“

„Gott, Mama, wie rüdfichtsvoll I" ſagte Ada je Mönt.

1910. XIII.

130 Ein tapferes Mädel. D

„Haben Sie ſonſt noch einen Wunſch?“ fragte die Freifrau unbeirrt weiter.

„Nein,“ erwiderte ich.

„Gut, dann kommen Sie. Ich hoffe, daß Sie anſtellig und willig ſind. Meine vorige ließ in dem Punkte zu wünſchen übrig. Sie find doch ganz ge- fund?“

3h bejahte kurz. Der Sklavenmarkt in Timbuktu ſtand wieder vor meinem Auge.

„Dann wird Zhnen die Arbeit nicht zu viel werden. Es gibt ja allerlei zu tun im großen Haushalt.“

Weiß Gott, Lotte, da jprad fie ein wahres Wort!

„Ich verlange ein freundliches, manierliches Wefen, itritten Gehorfam gegen meine Anordnungen und keine Empfindlichkeit,“ fuhr fie fort, als wir draußen waren. „Und dann no eins: Liebichaften dulde ich nicht.“

„Frau Baronin!“ fuhr ih auf, wie von einem Hieb getroffen,

„Sie fheinen doch empfindlih. Pas müſſen Sie ih unbedingt abgewöhnen. Meine vorige hatte ein Derbältnis mit dem Kutſcher. ZH warne Sie alfo.“

Lotte ftell Dir’s bloß vor, Es war zum Heulen und doch wieder grotest komiſch. Sch fühlte, wie mir ein Zeil Humor zurüdtam. Schlimmer konnte es nun wohl nicht mehr fommen.

„Es iſt Ihre Sache, ſich Zhre Stellung im Haufe zurechtzulegen,“ ward ich weiter belehrt. „Sch wünfche, - Daß Sie in gewiſſer Weife zur Familie gerechnet werden, wie ich in der Anzeige durchbliden ließ. Pas heißt, Sie nehmen an den gemeinfamen Mahlzeiten teil, mehr werden Sie felbft niht wünſchen. Es bat im- mer noch zu Unzuträglichkeiten geführt, wenn gemilje Standesunterjchiede verwifht wurden.“

Sh durfte nicht muden, Lotte. „Hollen Sei dat

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Mul,“ hatte Kriſchan gejagt, Und mein guter Vater pflegte wohl zu ſcherzen: „Wer fih für einen Pfann- tuchen ausgibt, der wird auch dafür aufgegeſſen.“ Die Grenzen waren mir gezogen. Ich wußte, wie ich dran war,

Dann kam das Geihäftlide. Intereſſiert Dich das auch, mein Liebling? Ich bin Mädchen für alles. Ich ftehe des Morgens mit den Hühnern auf und gehe als le&te ins Bett. Pie Gnädige padt mir auf, was ſonſt keiner tun kann, Ada und Renate fordern meine Dienfte ſtrupellos zu jeder Gelegenheit, das miß- ratene Rleeblatt in den Flegeljahren macht mir das Leben jauer, wo es kann, und wenn’s gerade paßt, bin ih auch als Rindermädchen und Wartefrau bei den Kleinen gut,

Mein freier Nachmittag ift leider auch fchon wieder aus, denn es fängt an zu regnen, und die gnädige Frau meint, ich könne draußen doch keine Luft ſchnappen und mich lieber im Haufe nüßlih machen. So muß denn diejer Brief zu Ende fein, Liebite, Schreib etwas

recht Sröhliches wieder Deiner Ilſe. %* * | Schloß Gröne, 8. Zuni. Nein, it es denn wirklich wahr, Lotte? Char-

lotte! Sch wollte es zuerft nicht glauben und mußte es zwei-, dreimal durchlefen, bis ich es begriff. Dann aber flog’s mir wie Elektrizität in die müden Beine, und ich tanzte einen wilden Freudengalopp durch mein Simmerlein, in das ich mich zurüdgezogen hatte, um Deinen lieben Brief zu lejen.

Lotte! Herzenstindt Einzige beite Freundin, wie freue ih mid) mit Dirt Pu bift aljo verlobt, Du bift Braut! Und Du willft troß der Tatſache, daß nun

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ein anderer, fo ein jelbitfüchtiger, nichtsnußiger Mann getommen ift und mir, ohne mich zu fragen, meine liedfte Freundin entführt, immer und für alle Zeit meine getreue Lotte bleiben! Wie himmliſch ift das ollest Sch könnte Burzelbäume fchlagen und Freuden- hymnen anftimmen!

Pfui, aber eine böfe, garjtige Lotte bift Du doch! Sich) zu verloben in meiner Abwejenheit und mid) mit der plößlichen Tatſache heimtückiſch zu überfallen! Ohne vorhergehenden verjchämten, zarten Hinweis, ohne fchonende Einleitung und Vorbereitung, ganz wie Bieten aus dem Buſch! Es fei Pir ſelbſt ganz überrafchend gelommen, ſagſt Du? Ad, Du kleine Heudlerin! Ein Hein wenig merkt das doch eine jede, wenn den Männern das Herz zu puppern anfängt. Herzenslotte, nun wirft Du eine Frau Oberlehrerin und bald vielleiht Frau Profeſſor! Meine Lotte eine würdige Frau Profefjor! Ach, Du närrifches Ding, ift Dir da nicht gräßlich feierlihd zumut? Haft Du nicht einen grenzenlofen Reſpekt vor Deinem Herrn Bräutigam? Sag ihm, er wäre ein ganz reizender Menſch, daß er fich gerade meine Lotte ausgefucht hätte. Nun braudft Du nicht mehr das Stödchen zu ſchwingen und Hefte zu korrigieren, das bejorgt alles Dein zu- tünftiger Mann für Dich mit. Säße ich doch jet bei Dir auf dem alten Sorgenfofa, das alle unfere Seufzer gehört und unjere Rlagelieder geduldig ertragen hat wie wollten wir den Burſchen auf den Schwung bringen, daß feine Sprungfedern fnadten und ihm Das blaue Fell platte! Schadete nichts, die Frau Profeſſor kriegt ja einen neuen!

Lotte, es gibt doch noch brave, gute und liebe Männer. Dein Hans Gott, ich verliebe mich gewiß auch noch in ihn bat’s geradeſo gemacht wie mein Bapa und

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hat ſich juft die ärmfte Rirchenmaus ausgefuht. Hu, was muß das für eine Liebe fein! Frißt er Dich nicht auf mit feiner Zärtlihleit? Gag ihm, einen Zeil müßte er für mich übrig laſſen. Du fchreibft, fein An- trag habe Dich völlig überrafcht, Du habeft nie daran gedacht, daß feine Wahl auf Dich fallen könnte, Aber er fei ein fehr edler und tüchtiger Menſch, und da habeft Du ohne Bedenken zugefagt. Du bijt köſtlich, Lotte, Wenn man eine arme Gänfjemagd iſt wie meine Lotte, mit einem ſo unfchuldigen, unberührten Zungfrauen- herzen, das keine Liebeszudungen kennt, und es fommt ein ſchöner, prächtiger Märchenprinz und jagt: Willſt Du meine Rönigin fein? dann wäre die arme Gänfemagd eine von ihren Gänſen, wenn fie nicht ja fagte. Bei mir ja, bei mir wäre das etwas anderes. Zu mir könnte euer ganzes Profeſſorenkollegium fommen famt dem ®Pireftor und könnte mich von meinem armjeligen Stüßendafein erlöfen wollen ih fagte nein, Lotte, Ich trage aber auch) die Photo- graphie eines Mannes in meinem Herzen. In zwei Zahren, Lotte! Wie endlos lang ift doch die Zeit noch bis dahin! Glaubſt Du, daß ih dann einen Brief betommen werde? Ah, Lotte, ich glaub’s nicht. So ein zweiter goldiger Tag kommt wohl nicht wieder,

Du Liebe! Daß Du mir, wenn in meinem Leben alle Stride reißen follten, eine Freijtatt und ein Rube- pläschen anbieteft unter Deinem zukünftigen Pro- feſſorendach, das ift zu nett von Dir! ga, Lotte, wenn ic) mal ganz verzweifelt bin und nicht mehr aus noch ein weiß, dann komme id. DBorläufig fämpfe ich aber lieber doch noch tapfer um mein Schidjal, Schaden kann's aber nicht, wenn Du Deinen Hans porjichtig und gründlich darauf vorbereitejt, was für einen un- ruhigen, quedjilbrigen Gaſt Du Pir eingeladen haft.

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Ah, Lotte, ein bißchen Glüd, einen leiſen glißernden Schimmer von Glüd wie dankbar ift Doch der Menſch dafür! Das habe ich heute erlebt. Denke Dir, ich habe noch einen zweiten Brief erhalten zugleich mit dem Deinen, der mid auch fröhlih gemacht hat. Der war von meiner Mutter, Traurig genug war er ja noch, aber ich hörte doch mit meinen durch die töchterliche Liebe geihärften Luchsphren einen leifen Unterton heraus, und es blieb mir nicht verborgen, daß in das Herz meines Mütterchens von irgendwoher ein [hüch- terner Hoffnungsjtrahl gefallen fein muß. Du wirft mir den Gefallen tun und zu ihr hingehen, Lotte. Bielleicht, wenn Du ſachte auf den Buſch klopfſt, er- fährſt Du es, was fie mir offenbar noch vorenthalten will. Gelt, jo viel Zeit läßt Dir Dein Hans doch?

Sa, ich bin heute fo recht, recht fröhlich. Wie ein gefangener Piepmatz, dem zwei Stückchen Zucker zwifchen die Stäbe feines Bauers geftedt find, und der doch gerne hinausflöge in den grünen Wald, der von fern herübergrüßt. So nachhaltig und kräftig haben die ſchönen Nachrichten gewirkt, daß aller Hagel und alle Donnerfeile, die heute auf mein Haupt herniedergeprafjelt find, wirkungslos abprallten. Du glaubft gar nicht, wie did mir das Fell bereits geworden ift nicht nur an den Händen!

Es gibt Tage, Lotte, da geht einem alles verquer, an denen fih das Schidjal wider einen verfchworen hat, So einer ijt heute, und ich will froh fein, wenn ich fchließlich heil und zufrieden im Bett liege.

Der junge Herr Ernefried unter uns gejagt, ein unausftehliher Bengel von achtzehn Jahren hat entichieden die Don Juans-Natur von feinem Alten geerbt. Über die Beitimmung des weiblichen Geſchlechts ſcheint er ganz fonderbare Anfichten zu

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haben. Wer weiß, wo er das gelernt hat, Zedes hübſche Geſicht beläftigt der unreife Frechmops mit feinen Liebenswürdigteiten, und mich hatte er fofort nad) feiner Ankunft er erjchien vor aht Tagen bejonders als Objekt feiner Eroberungspläne aus- geſucht. Die gnädige Frau ſollte ihre Ruticherpredigt, die fie mir gehalten bat, lieber für den Herrn Sohn zurüdbehalten haben.

„Heute wurde er unverfhämt, als ich ihm unglüd- liherweije mit einem Zrühftüdsbrett im Rorridor be- gegnete, |

Er legte einfah feinen Arm um meine Schultern und nannte mid einen reizenden Käfer. Er wollte mir wohl auf diefe Weile pordemonftrieren, daß er ‚den teilweifen Zamilienanfchluß, der mir gnädigft zu- gebilligt ift, weitherziger auffaßt als feine Frau Mama.

Natürlich habe ich ihn eklig ablaufen. lafien, Lotte. Am liebften hätte ih ihn nicht nur moraliſch, fondern tatfächlich geohrfeigt. ZH glaube aber nicht, dag ihn Das ſonderlich gerührt hat. Ich werde wohl noch mehr Sträuße mit dem jungen Herrn auszufehten haben. Eine Stüße, denkt der ficher, was hat die für Rechte! Die kann doch froh fein, daß fie überhaupt erijtiert. Stüßen find da für junge Gelbichnäbel, die nad Laune und Gefallen ihren Spaß damit haben dürfen. Sch weiß, mein Bruder Alfred, der ja nun auch bald in die Jahre kommt, da er die Mädels mit anderen Augen angudt, könnte das nie tun. Zedes Mädchen zu achten, das ift einer der erſten Rardinalpuntte vor- nehmer Erziehung 0 hat’s ihm mein Dater hundert- mal eingepautt.

Das Unglüd fchreitet fchnell, Lotte. Das erfuhr ich eine Minute jpäter, als ich mit demfelben Frühftüds- brett unglüdlicherweife befanden fich darauf Stüde

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eines mit abergläubifcher Ehrfurcht gehüteten Familien- porzellans die Treppe hinauffiel. Ratſch! natürlich noch ein großes Loch im Kleid dazu. Es krachte durchs ganze Haus, als ob Polterabend wäre. Sofort waren Kurt, Bodo und Waldtraut wie durch Hererei zur Stelle, und anftatt zuzugreifen und mir auffammeln zu helfen, führten fie einen ſchadenfrohen Zndianer- tanz mit angemefjenem Geheul aus. Zn ihrer Gegen- wart bekam ich von meiner Gnädigen die böfeften Worte zu hören. Meine Entfchuldigung verhallte wirkungslos,

Liebe Lotte! Ich babe das Benehmen eines Menſchen im Horn und in der Aufgebrachtheit immer als Gradmefjer feiner wahren Herzensbildung an- gejehen. Frau v. Mönt hat mich einen tiefen Blid tun laffen in ihren Charakter und bekommt von mir eine ſehr fhlehte Note, Sie keifte im Zargen der Waſch- und Marktweiber und fluchte, na wie ein Ruticher.

Wer adlig von Geburt ift, hat die Pflicht, auch adlig zu fein in feinem Wefen. Mein Papa träntte mir das - ſchon ein, als ih noch im Flügellleide in die Mädchen- Thule ging. Meine Gebieterin ſcheint Rüdfichtslofig- keit mit Vornehmheit zu verwechjeln, und Ada, mit Der ich feit einiger Zeit nun ſchon gar nicht mehr fertig werden kann, glaubt ohne Zweifel, je höher fie die Nafe trüge, deſto mehr ſehe man ihr die hohe Geburt an,

Diefe Ada! Gewöhnlich bin ih ja für fie Luft, und nur, wenn fie der Schub irgendwo drüdt, er- innert fie fich herablajjend, daß ich überhaupt noch da bin, Lotte, ich kann mir nicht helfen, und es iſt vielleicht Ihleht von mir aber auf diefen eingebildeten Frag bin ich regelrecht wütend und wünfche ihm eine recht nachhaltige und fchmerzhafte Demütigung. Womit

Novelle von W. Harb. 137

kommt ſie mir heute an? Staune! Sie hat da einen Verehrer in der Nachbarſchaft, einen Baron v. Riehl- horſt der Name hat fich mir eingeprägt, denn er wird hier oft im Haufe genannt, und Krifchan hat mir ja nicht geraten, die Ohren auzuftopfen, fondern nur „dat Mul to hollen“ ich habe diefen Herrn Baron noch nicht zu Geficht gekriegt, er foll auch auf Reifen fein augenblidlih. Ich bin auch gar nicht begierig, feine Bekanntſchaft zu machen, denn wer eine Ada v. Mönk leiden kann, der muß felber fo ähnlich fein wie fie. Zedenfalls fcheinen fie bier alle im Haufe jehr zu wünfchen, daß Ada den Baron heiratet, denn er foll jehr reich fein, alfo eine gute Partie.

Nun dent Dir kommt heute Ada zu mir und fordert mich auf, ich folle ihr auf eine ſehr elegante Sigarrentafhe, die fie augenjcheinlib dem Herrn Baron zur Aufmunterung der Gefühle bei irgend einer Gelegenheit verehren will, die Znitialen feines Namens ftiden. Ich könne das doc beffer als fie, und fie habe überhaupt keine Luft.

„Das iſt aber doch unrecht,“ wagte ich einzuwenden, „Der Herr Baron muß doch glauben —“

Da kam ich ſchön an. Was recht oder unredht fei, Darüber habe ic) nicht zu befinden, fauchte fie mich) an. Ich habe mich aller nafeweifen Bemerkungen zu ent- halten und zu tun, was mir befohlen werde,

Ich hätte ihr gern das Ding vor die Füße geworfen, aber ich dachte an meine Eltern, Lotte, und da habe ich ftillgefchwiegen nad) Kriſchans Rezept.

Die ein grollendes Gewitter zog fie ab, und Deine Zlje wird aljo ein Monogramm für einen ihr gänzlich unbelannten Herrn auf die Zigarrentaſche ſticken.

Meine Leiden waren aber noch nicht alle. Rlein- Eberhard, dem ich kurz darauf die Milchflafhe prä-

138 Ein tapferes Mädel. 8) jentieren mußte, verfchludte fich derart, daß die Gnädige beinahe Nerventrämpfe kriegte und zum Arzt fchiden wollte. Waldtraut hatte irgend was Unreifes ge- gefjen und ſah aus wie der Kalt an der Wand ad), noch vieles andere, Lotte, und für alles wurde ich ver- antwortlid gemacht. Ich dankte meinem Schöpfer, Daß dieſer Tag nun glüdlih zu Ende ift. Zetzt iſt es jpät am Abend und Ruhe im Schloß. Sp müde ich bin, diefen Brief mußteft Du doch haben als Antwort auf Deine himmliſche Anzeige.

Merde recht glüdlih mit Deinem Hans, meine Lotte! Du verdient es. Hoffentlich fieht er das ein, Daß er das brapite, Hügjte und liebjte Mädchen in ganz Mitteleuropa errungen bat. ZFieh ihn Dir nur gleich richtig ſchon vor der Hochzeit jet iſt die befte Zeit Dazu. Us Ehemänner werden die Herren der Schöp- fung oft bodbeinig. Einen innigen Ruß von

Deiner Slie.

*

* Schloß Gröne, 17. Zuni. Meine Lotte, ich hatte mich ſchon Hoffnungen hin- gegeben, daß Papas traurige Sahe doch noch eine beffere Wendung nehmen könne jebt ſehe ich, daß ih mal wieder zu rofenrot gefeben habe. Mutters Brief war wieder jo ſchlimm, und auch Pu fchriebft ja, man merte bei uns zu Haufe keine Veränderung, jo daß ich mein Hoffen zu Grabe tragen muß. Lotte, ih fürchte, ich bin bald am Ende meiner Rräfte. Ich balt’s nicht mehr aus nicht mal bis zum 1. Au- guſt. Sch fange an, die Flügel hängen zu lajjen kann auch fein, daß ich krank werde, Mir ift auch das einerlei. Als ich kürzlich in meinem Bett lag und nicht Ichlafen konnte, weil ih Herzweh und Heimweh hatte und immer weinen mußte, rief ich plößlich ganz laut,

| Novelle von W. Harb. 139

ſo daß ich ſelbſt darüber erſchrak: „Zch wollte, ich wäre tot!“ Iſt das nicht fchredlich?

Mir tut es fo leid, Herzenslotte, daß ich mit meinem Leid Dir zwifhen Dein junges Glüd fahre und es vielleicht trübe, ZH möchte Dir ja fo gern einen recht fröhlichen Brief ſchreiben jup heidi, jup heida aber es gebt mit dem beiten Willen nicht, Mein Humor liegt in den legten Zügen. Du nennſt mich ein tapferes Mädel und bewunderft mich, daß ich bei allem, was mich und unfere Familie betroffen hat, noch immer den Ropf oben habe. Wenn Du mich fehen könnteft, würdeft Du wahrfcheinlich anders denken.

Zu Papas Geburtstag fohrieb ich geftern. ODieſer Brief hat mir fürdterlides Ropfzerbrehen gemacht und viel Selbſtbeherrſchung gefordert, Die wider- Ipenitige Feder wollte fich nicht zu dem geringften Späßchen verſtehen, und Papas Geburtstagsbrief darf doch nicht ausfehen wie das Jammergeſchrei eines notleidenden Agrariers, wenn die Roggenpreife ge- unten find, So geht’s, wenn man einen Hopjer tanzen foll und die Hühneraugen fneifen in dem engen Tanzſchuh. Ab Tanzen! Wie gern tät’ ich das wieder einmal! Deine Zlie.

* %* % Schloß Gröne, 28, Zuni.

Liebfte Lottel Erfchrid niht ich habe fünf Tage im Bett gelegen, Mertwürdig, wie gut die mir getan haben! Cs ift doch ein wahres Wort: Arbeit macht Das Leben füß, Faulheit ftärkt die Glieder, Zuerſt, als ich fo dalag, meinte ich, die Einſamkeit würde mich noch verrüdter machen, weil alle ſchlimmen Gedanten ungehindert in meinem Hirn auf und ab fpazieren fonnten; aber nachher gab fih das. Da hielt ich mir nämlich felber eine kleine Predigt.

140 Ein tapferes Mädel. | Q

Sei vernünftig, Zlfe, und nimm’s, wie’s ijt, Per liebe Gott hat dir jet was zu tragen gegeben, einen ichweren Sad voll Sorgen er wird wohl wiffen, wann’s genug iſt oder wann er dir’s leichter machen kann. Natürlid möchteſt du gern lauter gute Tage fehen, und wenn’s nur anginge, ftellteft du den Sorgen- lad in die Ede und ſprängeſt leichtfinnig jubelnd davon, Du haft es ja Schlecht getroffen, Sie, bijt in ein Haus geraten, wo ’ne Stüße nicht viel mehr ift wie ein Stiefelpuger oder ’ne moderne weiße Sklavin, Dies Haus zum Ruhme des deutjchen Adels nehmen wir an, daß es doch nicht viele Häufer mit ſolchen Anfichten gibt hat dir der liebe Gott ertra ausgejucht, liebe Zlſe. Da follit du eine Schule durchmachen. Glaub nur ja nicht, daß du zu gut dafür bift, oder daß du eine ſo tiefe Erniedrigung nicht verdient haft, Nicht aufgemudt, Ilſe es ift fo. Denkt mal an die Seit, wo deine Eltern noch in glänzenden Verhältniſſen waren! Da bift du vergnügungsfühtig und leichtfertig gewefen jebt lernit du, was Pflichten find, damals Ihien dir das Leben ein einziger langer Walzer, jetzt zeigt es Dir feine grimmig ernite Seite, Heilfam, Brinzeß Ilſe, ſehr heilfam!

Siehſt Du, Lotte, fo redete irgend etwas in mir, und mein alter Adam, beffer gejagt, meine alte Eva mußte aubören, ob fie wollte oder nicht.

Aber das gewilje Etwas konnte auch ſchön tröften, und dann hörte ich noch viel lieber zu. Sieb, lie, wurde mit Hargemadt, alle Dinge in der Welt haben ein Ende nur die Wurft hat zwei. Deine Sklaverei wird auch einmal ein Ende haben. Dielleicht ehe du’s dentit. Wenn der Himmel es befchließt, fommt der Retter, küßt die verzauberte Kröte dreimal auf den Mund, und fie wird wieder, was fie vorher gewefen ift,

0 Novelle von W. Harb. 141

Du mußt nur alles hübfch dem lieben Gott überlafjen. Denn es für dich gut ift, dann bekommſt du fogar das Zuderwert, das du fo gern haben mödhteft, dann kehrt noch einmal der goldene Tag wieder, Hübſch geduldig, Ilschen es hat alles feine Zeit. Weißt du noch: Zit die Not am größten, ift Gottes Hilfe am nächſten. Auch deine lieben Eltern kann er erretten aus aller Srübfal, Er ift der rechte Wundermann, der bald er- höhn, bald ftürzen kann,

Glaubſt Du wohl, Lotte, daß mich meine felbit- gehaltene Rrantenpredigt wunderbar gejtärtt hat? Bald £onnte ich wieder aufitehen und zu Stau v. Mönts Genugtuung wieder an die Arbeit geben. Ich bin behender und frischer als je zuvor und ſpringe durchs Haus wie eine vom Corps de ballet. Dent Dir, Lotte, türzlih babe ich mich ſogar Dabei ertappt, daß ich leije ein Liedchen vor mir hin trällerte. Was ift der Menſch für ein kuriofes Geſchöpf! Und Zlſe Hartmann insbefondere! Den einen Tag will fie jterben, und den anderen ift fie puppenluftig. Ach, Lotte, das lebte Wort paßt doch nicht fo ganz na, Du veritehft mich.

Die Beichreibung von Deinem Hans hat mich fehr ergößt, Er ift alfo, wie ih mir gedacht habe, fo ein zahmes gelehrtes Tierchen, das von Büchern lebt und die wirkliche Welt mit zwei blöden Rinderaugen an- liebt. Wenn Du’s gefhidt anfängt, Lotte, haft Du ihn am Bändel, Du mußt Dich nur hüten, ihm in gelehrten Dingen zu widerfprechen, denn dann wird Dieje Sorte wild, Wenn Zhr beide Arm in Arm photo- graphiert feid, krieg’ ih doch ein Bild?

Geitern hatte ich ’ne Heine Affäre mit dem alten Baron, Der flügellahme Schwerenöter faß „grantig“, wie Rrijchan ſich ausdrüdt, in feinem einſitzigen Wägel- hen und war fuchtig, weil der Diener, den er weg-

142 Ein tapferes Mäbel. [e)

gefhidt hatte zu einer Beſorgung, nicht wiederkam. Da er nit allein aufitehen und herumgeben kann, bot ich meine Dienſte an,

Er ſchmunzelte, rappelte ſich mit meiner Hilfe in die Höhe, und.wir promenierten zwifchen den Bäumen auf und ab. Es muß ein fonderbares Bild gewefen fein. Er hatte feinen Arm um meine Schulter gelegt und ftüßte ſich fo feſt mit feiner jchweren Laſt auf mich, daß meine Relonvalejzententräfte zu verfagen drohten. Aber ich hielt tapfer aus.

Natürlich konnte er feine Wischen nicht unterwegs lafien. Er fagte mir allerlei Schönes, das er mir in Gegenwart der Gnädigen wohl nicht gejagt hätte, aber benahm fich fonft manierlih. Du mußt wiſſen, 2otte, feine Redensarten find fonjt oft fo, daß felbit ein junges Mädchen, das ſo wenig prüde iſt wie ich, doch in Derlegenbeit tommt. Schließlich war ich frob, als der Diener zurückkam.

Am erften Tag meiner Rrantheit war ich jo bös dran, daB fie doch den Doktor geholt haben. Ein lieber alter Herr, der mir eigentlihb nur Ruhe verordnete, Es feien die Nerven,

„Nerven?“ hörte ih Frau v. Mönk draußen reden. „Eine Stüße mit Nerven kann ich nicht gebrauchen.“ Mas fie font noch fagte, konnte ich nicht verjtehen, Sch hoffe, der alte Herr hat ihr den Text gelefen beinahe glaub’ ich’s, denn mich dünkt, ich hab’s feit- dem etwas leichter, Nerven! Es iſt doch zu unver- ſchämt, Lotte, daß eine Stüße Nerven haben will,

Die Gnädige bat auch fonjt einmal in meiner Krankheit nah mir geſehen. Zm übrigen war id auf die Pflege Bertas, des Laufmädchens, angewiejen, Du erinnerjt Dich noch, daß wir beide von Anfang an nicht gut Freund waren, und fo freute ich mich denn

Oo Novelle von W. Harb. 143

immer, wenn fie wieder hinaus war, Ich habe fie in dem begründeten Verdacht, daß fie die Nachfolgerin meiner DBorgängerin in der Kutſcherliebſchaft ge- worden ift,

Gemwundert und gefreut zugleih habe ich mich, daß Waldtraut mich öfter beſuchte. Das Mädel hat doch einen guten Rern, aus dem was werden könnte, wenn fie in die richtigen Hände käme. Gie brachte mir Blumen mit und war zuerjt jehr verlegen. Ada und Renate ließen nichts von fich hören.

Als ich mich unten wieder fehen ließ, fragte mich Ada, ob das Monogramm nod nicht fertig ſei. Es fcheint fo, als ob der reiche Freier, auf den fie Jagd madt, von feinen Reifen zurüd if. Sch hörte, daß man ihm auf feinem Gute einen Familienbeſuch abjtatten will.

Ich bedauerte, daß die Arbeit noch nicht weiter vorgeſchritten fei.

Sie war gereizt und unzufrieden, „Sie hätten Doch im Bette wahrhaftig Zeit genug gehabt,“ meinte lie dann.

Morgen wollen fie fahren Ada, Renate, Erne- fried und die Mutter, Es foll eine lange Fahrt fein, die einen ganzen Tag in Anſpruch nimmt. Gott fei Dant, der Tag wird eine Oaſe in der Wüfte meines Dafeins fein. Aber die SZigarrentafhe bekomme ich bis dahin nicht fertig.

Sei unbeforgt, mein Herz, um Deine lie. Pie feigt fih Schon duch allen Rummer hindurch. Sie hat auch wieder einen gejegneten Appetit und bekommt wieder rote Baden.

%”* & * Schloß Gröne, 5, Zuli.

Meine liebe, berzige Lottel Es gebt doch nichts in der Welt über eine treue Freundin! Ich brauche

144 Ein tapferes Mädel. oO

nur einen Wunfh auszufprehen ſchwabb! iſt er ſchon erfüllt, gerade wie im belannten Grimmſchen Märchen.

Ich bat Dich, mit Deinem Hans bei meinen Eltern Beſuch zu machen, damit die Ärmiten, zu denen faft kaum ein Menſch kommt, einmal eine Freude hätten, Welch herrliche Saat iſt daraus entiproffen! Dein Hans und mein Dater haben Gefallen aneinander gefunden, und der le&tere ift Durch die Begegnung fo aufgekratzt und günftig beeinflußt, daß er mir wie verwandelt erjcheint. Sn feinem lebten Schreiben pricht er in den Ausdrüden der größten Hochachtung von Deinem Profejjor. Bein Hans muß ein famofer Kerl fein, Lotte. Dorurteilslos, gerade, bieder und offen fein Schablonenmenfch, der dem Urteil der anderen blind nachfolgt. Da gratuliere ich, Kleine Braut,

Mo war ich Doch in meiner Schilderung der denf- würdigen Begebenheiten auf Schloß Gröne gleich ftehen geblieben? Richtig, bei Komteß Adas Zagd- und Raperzug, fih einen Mann zu ergattern, Ich bin doch ein molantes Ding, Lotte, habe ein „loſes Mul“, wie Kriſchan fagt. Mich dünkt oft, ich fehreibe die reine Standaldronit, Nichts als boshafte Rand- gloffen na, ſchadet nichts, es lieft’s ja keiner außer Dir und allerhöchſtens Dein Hans, dem ich gnädigit den Einblid in die zahmen Stellen geſtatte. Meine Natur muß fih irgendwie Luft mahen man quält mich auch genug.

Ada ſcheint es nicht nah Wunfch gegangen zu fein. Sie fam in fürchterlider Laune zurüd und ift ſeitdem wie ein überhigter Dampfteffel, der jeden Augenblid zu explodieren droht, Einfach unausitehlid, bejonders gegen mich unjhuldiges Lamm. Aber nicht wegen

a Novelle von W. Harb, 145 der noch immer nicht fertigen Brieftafche, von der ift fogar vorläufig nicht mehr die Rede. Die Verlobung muß alſo wohl noch gute Wege haben. Ich gebe ihr aus dem Wege, wo ich kann. Hu, die als Frau zu haben! ;

Ein töftliher Tag war’s, als Die vier fortgefabren waren. Da auch das unnütze Rleeblatt die Erlaubnis erhalten hatte, einen Ausflug zur Oberförfterei zu maden, herrſchte auf Schloß Gröne idpllifcher Friede. Am Nachmittag hatte ich ftundenlang Freiheit, im naben Walde herumzuftreifen, und fand dort ein ent- züdendes Plätzchen, wo ich Öfter fien mödte. Da habe ich wundervoll geträumt, Lotte, und alle meine Lieben aus der Ferne waren bei mir. Auch ein ge- wiffer Zemand tauchte wieder recht lebhaft auf.

Du meinjt, feine Geftalt müffe mir notwendig immer mebr verblaffen. Keinen Schimmer, kleine Weisheit! Aber es wird mir immer unbegreiflicher, daß ich es bin, die einmal fo etwas unbefchreiblich Schönes erlebt hat.

Grüß Deinen Hans, Liebe, Du baft es gut!

Deine Zlie.

* * *

Schloß Gröne, 16. Zuli,

Lotte! Sch weiß gar nicht, wo ich anfangen foll, zu erzählen. Das Glüd ift da, Lotte! Plötzlich ift es getommen, rieſengroß unfaßbar, blendend in feiner Fülle aber es ift da, gewiß und wahrhaftig!

Bald bin ich närrifch vor Freude und fann die Feder faum in den zitternden Händen halten, bald iſt in mir eine heilige, ftille, ftaunende Dankbarkeit. Die Zeit der Brüfung ift vorbei für mid), für meine Eltern. Ach, Lotte, fait ift es zu viel des Glüds auf

1910. XIII. 10

146 Ein tapferes Mätel. Oo

einmal. Nur kurze Zeit und wir werden uns wieder- eben!

Aun ift fie natürlich völlig J die Siie, denkſt Du. Die kriegt überhaupt keine vernünftige Zeile mehr zuftande. Sacdte, Lotte, ich bin gerade in der Stimmung, eine mufterhafte Parftellung des Wunders zu geben, das fich bier ereignet hat. Nicht nur Profeſſorenbräute fchreiben einen vorbildliden Stil ib hatte im deutſchen Aufſatz auch oft genug Nummer eins!

Gibt es noch Zeihen und Wunder? Ja, Lotte, es gibt noch welche. „Er ift der große Wundermann, der bald erhöhn, bald jtürzen kann!“ Das Lied will mir nimmer aus dem Sinn. Ilſe Hartmann, die arm- jelige Stüße, das Ajchenputtel, ift begraben und ftebt nie wieder auf. Und Ilſe v. Arnſtein-Leßlingen darf wieder getroft und frei ihr Haupt erheben. Du glaubſt gar nicht, Lotte, was für ein Gefühl das ift, wenn man feinen ebrlihen Namen, den die Leute mit Schmuß beworfen hatten, den man aus Furcht vor Schmach und Schande ängjtlih verbarg, wieder hervorholen darf, blank gepußt und rein, ohne Fleden und Matel.

Wunderbar befreiend ift das, Lotte!

Und zweitens ja, denke Dir, es fommt nod mehr: Der Brinz ift da, der Erlöfer und Erretter und hat die verzauberte Rröte nicht dreimal, fondern wohl ſchon hundertmal mitten auf den Mund geküßt und da hat fie fich in feinen Armen verwandelt in eine glüd- jelige Braut, Wir brauchen niht mehr nah Mainz, mein Herz, er mein unbelannter Belannter vom Rheindampfer 9“ mic) hier gefunden, hier in Schloß Gröne!

Du glaubft es nicht?

a Novelle von W. Harb. 147

Wenn Dein Brofeffor mit feinen kritiſchen Augen diefen Brief lejen follte, wird er gewiß den Ropf Schütteln und meine Einleitung mißbilligen. Man muß die Leſer nicht auf die Folter jpannen, wird er lagen, ſondern logifch und der Reihe nach die hijtorifchen Tatſachen berichten.

Geftern nachmittag, es mochte gegen vier Uhr fein, befand ich mich vor dem Schloffe beim alten Brunnen und fuhr Nlein-Eberhard in der warmen Sonne Ipazieren. Da donnerten ein Paar mutige Pferde über das Pflafter, und ein eleganter Zweifpänner fuhr in gefhiedtem Bogen vor dem Portal vor. Ich ahnte fo halb, wer darin figen mußte, denn Baron Herbert v. Riehlhorit, Adas Hoffnung, hatte feinen Beſuch an- gemeldet. Neugierig, wie der wohl ausſah, der es mit Ada vielleicht doch noch wagte, mufterte ich die hohe Geſtalt und fuhr mit der Hand zugleich nad) dem Herzen, deifen Schlag fait ftoden wollte. Und der alte Brunnen mit feinen wunderlihen Figuren fing an lich zu drehen, und das Schloß ſelbſt mitfamt dem Part und den alten Bäumen darin führten einen Tanz um mih auf, und ich Hammerte mich mit aller Gewalt an Nlein-Eberhbards Wagen, um nicht umzuſinken. Baron Herbert v. Riehlhorft und mein Held fie waren ein und dieſelbe Perſon!

Auch er hatte mich fofort wiederertannt und ſtand bei mir, ebe ib mich noch hatte fallen können, Was er fagte, verftand ich nicht, ihm in die Augen zu feben, wagte ich nicht. Zn meinen Ohren braufte und raufchte es und in meinem Herzen war nichts als der dumpfe Schreck: Nun ift alles vorbei. Nun erfährt er, wer du bift, nun fieht er dich in deiner ganzen Niedrigkeit.

Und da, Lotte, tat ich etwas, das ihn fehr in Er- taunen feßgen mußte. Pie Hände vor das Geficht

148 Ein tapferes Mädel, - nn

Ichlagend, rannte ich ins Haus, ratlos, was nun werden ſollte. Nur fort von ihm! Ich ließ ihn bei Rlein-Eber- hard fteben, lief an. den verwunderten Pienern, die jeßt berbeieilten, vorüber, die Treppen binauf, auf mein Zimmer und riegelte mich ein. Die zu tlopften mir, die Hände zitterten,

Nur zwei Gedanken führten in mir einen wilden Tanz auf. „Er!“ hieß der eine „Verloren!“ hieß Der andere,

Meine Augen fielen auf einen Brief, der auf dem Tiſche lag. Mechaniſch griff ich danach. Es war meines Daters Handſchrift. Mechanifh riffen meine Finger die Hülle auseinander, und meine Blide flogen über die Buchitaben, ohne ihren Sinn zu verfteben.

Dann wurde ‘ih aufmerffamer, und auf einmal kam wieder Leben und Begreifen in mid. Ich las

den Brief, der die Himmelsbotfchaft enthielt, zu Ende mit tiefer Rührung, mit unbefchreiblicher Ergriffen- heit, und dann ſank ich vor dem Stuhl auf meine Rniee und babe geftammelt und geweint, gejubelt und ge- dankt und laut aufgeichrieen in meiner Wonne alles Durcheinander.

Was in dem Briefe ftand Lotte, Du haft es viel- leiht ſchon felbit erfahren. Meines guten DBaters Schuldloſigkeit ift glänzend an den Tag gekommen. Nichts ift ihm vorzuwerfen als vielleicht eine zu große Sutmütigteit, eine zu weitgehende DVertrauensjelig- keit. Sa, jo ift Vater immer gewefen, er bielt die Menfchen für zu gut.

Mein Zimmer war mir jebt zu eng, Lotte, Ich hätte meine Seligkeit hinausſchreien mögen in alle Welt. Wie ich in den Park gekommen bin ich weiß es nicht. Wie lange ich dort zwiſchen den Bäumen und blühenden Sträuchern herumgelaufen bin, kann

Is Novelle von W. Harb, 149

ich nicht fagen. Ich weiß nur, daß mid auf einmal jemand in den Armen bielt. Glaubſt Du wohl, Lotte, Daß ich ohne Scham und Scheu, ſo wenig mädchen- haft verfhämt wie nur möglich, in diefen umjchlingen- den Armen liegen blieb und es ruhig duldete, wie mich der große Mann liebkofte und mit taufend Schmeicyel- namen nannte? |

„ale,“ flüſterte er, „Ilſe, ich laffe Dich nicht wieder, wer du auch feilt!“

Na, Lotte, wir find auch wieder vernünftig ge- worden. "Uber es bat ein wenig lange gedauert. Als wir in der rofenumblühten Laube uns alles von der Seele heruntergeredet hatten, und mein Herbert wie das klingt, Lotte! meine ganze Geſchichte kannte, gingen wir zufammen ins Schloß zurüd.

Frau Euphemia v. Mönk empfing uns eilig. Pie nötigen Auftlärungen wurden ihr jchnell, und ich feierte einen unerhörten Triumph. Mein Glüd war aber zu groß, als daß ich mich daran hätte weiden oder falfche Freude empfinden können. Ich weiß auch nicht mehr, was geredet wurde. Zedenfalls war es jehr formell und nicht gerade freundlih. Ada blieb unfichtbar.

Zum Schluß fagte Frau v. Mönk: „Sie haben mit uns Komödie gefpielt, Fräulein v. Arnſtein. Sie Dürfen fich nicht beilagen, wenn Sie danach behandelt wurden, wofür Sie fih ausgaben.“

Ich kann nicht mehr, Lotte, ih muß paden. Wenn Du diefen Brief betommit, bin ich längft auf Riehlhorſt. Mein Herbert will mich zu feiner Mutter bringen.

Für mein Glüd habe ich keine Worte, In mir ift felige, heilige Weihnachtsſtimmung. Ganz ernit it mir zumute alle Roboldlein find verſchwunden. Aber die werden ſchon wiedertommen.

Deine Ilſe.

15) Ein tapferes Mädel, Oo

Riehlhorſt, 18. Zuli.

Morgen haben wir uns wieder, Lotte. Herbert begleitet mich auf der Heimfahrt. Alles, was ich bier erlebe, ift jo märchenhaft ſchön, daß ich oft fürchte, ih erwache aus einem berrliden Traum wieder zur häßlichen Wirklichkeit.

Weißt Du, mit wen mein Abfhied von Gröne am herzlichiten war?

Mit dem alten Rrifchan.

Der fragte fich hinter den Ohren und fagte, als ob er's nicht begreifen könnte: „Ne, ne, wat de Minfch nich alles belewt. Up minen Swinswagen bett ’ne richtige Baronin feten, Hett id dat wüßt, dat Sei wat anners wören as ne gewöhnliche Stüß, id hätt’ Sei doch ’n Küſſen unnerlegt.“

Der Mann hat recht, Lotte. Wenn ich erit Herrin bin auf Schloß Riehlhorit und habe jpäter einmal eine Stütze nötig, die foll’s beffer haben als ich. Der werde ich ein Riffen unterlegen. Deine Ilſe.

Moderne Brunnenanlagen. Don P. Richter,

Mit 7 Bildern. (Nachdruck verboten.)

De Beſucher älterer Städte wird nicht zuletzt ſeine Freude an den ſchönen Straßen- und Marktbrunnen haben, deren jede mittelalterliche Stadt meift mehrere aufzumweifen bat, |

Mährend das fechzehnte, fiebzehnte und achtzehnte Sahrhundert Werke entitehen ließen, die auf Meifter im wahrften Sinne des Wortes fchließen lajjen, ſo muß es auffallen, daß derartige Denkmäler aus der größeren Hälfte des vergangenen Zahrhunderts faft ganz feblen. Man ging Damals fo weit, daß man dieje ardhitelto- niſchen Brunnen als überlebt anfab, fie ſchienen zu viel Blat in Anſpruch zu nehmen und wurden durch die derzeit eingerichteten Wafferleitungen als über- flüffig betrachtet. Sa, man glaubte fie durch guß- eiferne Kaſten erjegen zu fünnen, die ebenfo unſchön wie unpraftijch waren und find.

Welch eine Wendung zum Beſſeren ift in den legten Dezennien in Ddiefer Hinficht zu verzeichnen, mit welch gutem Beifpiel geben bier gerade die deutichen Reſidenzſtädte voran!

Diefes Wiederbeleben bejchräntt ſich nicht nur auf die Straßenbrunnen, fondern man dachte auch an den Brunnen im Hofe oder in der Zorhalle des mittel- alterlihen Patrizierhauſes. a, es darf wohl gefagt werden, daß der fünftleriihe Wandbrunnen in den

DO Bon B. Richter. | 158

legten Jahren eine Verbreitung gefunden bat, wie er fie noch nie erlebt hat. Rein Innenarditekt wird in der Diele oder in der

Fig. 2.

Gartenveranda, oft auch im Speijezimmer den Wand- brunnen übergeben. Es gibt wenige Gegenftände, die eine reichere Aus-

Moderne Brunnenanlagen. D

154

wahl des Materials gejtatten, Anerkannt ift aber, daß der glajierte Ton wegen feiner Bewegungsfreibeit in Farbe und Form das bevorzugte Material für den

Fig. 3. In feinem anderen lafjen fich

Wirkungen wie unfere hier wiedergegebenen Brunnen- anlagen erreichen oder gar übertreffen, und wer zum

Wandbrunnen iſt.

J— Von P. Richter. 155

Beiſpiel die Reichshauptſtadt beſucht, kann ſich in dem Warinehauſe von der Wirkung eines ſolchen Brunnens

u

I J— IH 99

8* 9 Rt ERSTE, HINEIN

überzeugen und das melodiſche Plätjchern des Waſſer— itrabls auf feine Sinne einwirken lajjen; er wird davon

begeijtert fein,

156 Moderne Brunnenanlagen. s)

Unjere Abbildungen geben wohl jämtlich einen be- jheidenen Beweis von den gefhmadvollen Neuerungen auf diefem Gebiete, und es muß bier namentlich die

i 2 | | - > EEE

Fig. 5.

Heidelberger Ofenfabrif 3. Heinftein erwähnt werden, welche ernite Bejtrebungen nach dieſer Nichtung bin unternommen bat. Welch günjtige Aufnahme und Beurteilung ihre Schöpfungen finden, läßt die Kritik

158 Moderne Brunnenanlagen. 0

pflanzen erhalten ihren legten höchſten Reiz durch das Raufchen der ftimmungspollen Brunnenanlage. Betrachtet man unfere beiden Abbildungen der

Freilandbrunnen (Fig. 2 und 3), ſo wird man die Leiſtungsfähigkeit der Herjteller beurteilen können.

Obwohl von [chlichtejter Art, empfindet man doch auch bei diefen Brunnen fo wohltuend die Überein- ſtimmung der Architeftur mit der Umgebung, und mancher wird empfinden, was ihm in feinem Garten und in feinem Haufe feblt.

XEXEX

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ID II) SIE ZISI

0000 en

PDatenjchaft.

Humoreske von C. Camill,

oo Nachdruck verboten.)

bonmüllerin, geb auf a Wörtl!“ x , Kummſcht vom Dienft, Huberin?“

„Voll, woll! Die Zohannfer-Mirzl in Hechendorf drauß bat ’s Erſchte g’habt, und jett foll i d’ Göd ein- laden gehn.“

„And da kummſcht ebber gar zu mir?“

„3 tät’ ſcho bitt'n. Die Johannſerin wollt’ am Mittwoch taufen lafien.“

„35 a Madl a jchön’s Rindl?“

„An Engerl ſag' i dir. Und weil du’s der Mirzl antrag’n haft —“

„Da gibt’s gar koa Ned’n nimmer. 3 nimm dös Göd gern. 3 han ja allaweil fcho paßt, ob denn gar neamd af mi herdenkt. Sp a Sat Godln*) bringt ja Slüd, und i mag doch die Evan Schnederin gar fo gern.“

„No jat Na hoaßt ’s Kindl alfo Anna Zakobine Simplizia Maria —“

„Jeſſas, die Nam’ all! 3’ wos denn?“

„No woaßt, wenn’s amal aufbot’n wird und der

*) Zn gewiifen Gegenden Oderbayerns ift es Sitte, daß, wenn man beim eriten Rinde Pate fteht, man bei allen nachfolgenden Dies auch tut, O. Terf.

160 | Patenfchaft. n

Herr Pfarrer wirft’s von der Ranzel ’runter, dös bat dann an Rlang, meint die Fobannferin, und i moan’s a.“

„Ja, freili, dann -—!" jeufzte die Thonmüillerin ein wenig betreten. „J ban aber nur Maria Anna g’ heißen.“

„No ja. Mir fan balt doch ſcho ftädtifcher wor’n. Und haſcht's net g’lefen: der kloane Prinz, der erſcht tauft wor’n is, der hat a halbete Seiten Näm’ g’habt. Die fan halt do net dumm, die Prinzen, die!“

„Barum?“

„No geb, frag herum, hinum! Es tragt doch was, wenn mer ordentlihe Godln hat.“

Die junge Frau ftüßte refolut die Arme ın die Seiten. Sie ftand da, fhmud und rofig wie das labende Leben und ein Hein bifjel hberausfordernd, als ob fie fagen wollte: „Wir zahln's ho!“

Gewichtig ließ fie dann jet auch die Worte fallen: „Ufo, Huberin, da fehlt fi bei der TShonmüllerin nir. 3 ſteck fuchz'g Markl ins Kiffen, die Wöchnerin kriagt a Gansl und ſechs Flafhen Wein, und du du wirfcht a z’frieden fein.“

„Dös gilt! Dös hoaß ı nobligt, Thonmüllerin. Aber woaßt, nir für ungut, die Dirn' derfft net vergefj’n, und der Knecht hält a die Hand’ auf, wenn’s was zum Nehma gibt.“

„Kummt a nimma drauf an!“ lachte die reihe Frau vergnügt. „Ihr werdt’s ſcho fehn, daß i woaß, was der Brauch is. 3 hab’ ja a folhene Freud’, daß i endli a Godl kriag.“

„3 bin aber grad a nur ’raufg’jprunga. Grad naß bin i vor lauter Schwiß’n. Geb, laß mi a biſſ'l hin- ſitz'n gell?“

Errötend padte die Thonmüllerin die alte Frau beim Arme und 303 fie ins Haus herein,

o Humoreste von €. Camill. 161

m TG

„Wie i in meiner Freud’ all’s vergiß! Geb, kumm nur grad eini, Huberin. Was magjt trin®’n? An Kaffee, a Bier, an Wein, a Limonad’?“

„Limonad’? Na!“ Die Hebamme jehüttelte ſich kräftig. „Waßt, mir ham a ſchware Nacht hinter uns. Mir ifcht ſcho ſo lau im Mag’n, und wenn d’ grad koa PBlag’ net damit haſcht a Wein! war mir’s liabſcht.“

„Was d' magſcht! Red mer net lang.“

&s war Heuernte. Rneht und Magd waren mit dem Hausheren auf dem Feld. Die Shonmüllerin hieß die „weife Frau“ fih in die Stube ſetzen und lief jelbit nah Rüde und Keller,

Flint wie ein Wiefel, appetitlih wie ein Bors- dorfer Äpfelchen, ſtolz wie eine junge, glüdlihe und reihe Grau fein darf, hantierte fie herum. Was fie anpadte, hatte Hand und Fuß und gefhah mit einer ungezierten Anmut,

Man fah ihr gerne zu.

Die Huberin faß breit im Herrgottswinfel unter dem Gerante eines durchs Fenfter hereingewachjenen Efeus, roch an den Rofen und bewunderte die Blumen- zucht der jungen Shonmüllerin.

Dabei ledte fie fih heimlich die Lippen, denn das Waſſer lief ihr im Mund zujammen, als Frau Anna jegt ein Stück weißroten Spedes, einen Diertels- weden goldgelber Butter, zwei jchneeige Nettiche mit grünen Schöpfen und eine rotverjiegelte Flaſche berantrug.

Natürlich fo iſt's Sitte auf dem Lande ließ fich die Huberin, troßdem fie am liebiten gleich ordent- lich abgefäbelt hätte, erjt tüchtig nötigen, bis fie unter Abwehren und Lobpreifen ein Schnittchen Sped herausholte und mit bewundernswerter Enthaltſam⸗ feit von dem Rotwein nippte,

1910. XII. 11

162 Patenſchaft. | u

Die Shonmüllerin war noch ganz in entzüdten Träumen und ſah erjt von ihrem Zeller auf, als die Huberin eine Hymne auf den Wein anhob, den fie immer und immer wieder, faum hatte fie das Glas abgejet, benippen mußte.

„a, jo a Weindl! Shonmüllerin, den kriagt ma halt nur bei Euch. Dös is a echter Tropfen i ver- iteh’ jo was.“

Geſchmeichelt griff die junge Bäuerin nach der Flaihe, um aufzugießen, und nötigte, wie es fich gehörte, immer wieder zum Trinken.

Die Huberin war ftandhaft darin, denn ihr oftmals anftrengender Dienft hatte „geiftige Anregung“ nötig, und wenn fie zeitweilig auh je nah dem Der- mögensftand der Zamilie, in der fie gerade tätig war, mit gewöhnlichitem Rümmel fürlieb nehmen mußte, io zog fie doc eine ftrenge Linie für die, die’s hatten.

Mit der Shonmüllerin war fie zufrieden. Sie aß, trant und wurde gejprädig.

Die junge Frau hörte mit heimlihem Graufen und doch einem Gefühl hoffenden Bangens den zu gefahrvoller Tragik ausgefponnenen Verlauf des Storchenbeſuches bei der Sohannferin, der eigentlich ganz in herkömmlichen Grenzen fih gehalten hatte, an, und die Huberin, ihre Wichtigkeit immer noch Ihärfer fühlend, ſchenkte fich jest felbit ein,

Als fie den letten Tropfen im Glas hatte, erhob fie ſich. Es gehört fih nicht, feine Gelüjte zwanglos zu befriedigen; der Anftandsbiffen auf dem Zeller und der Anſtandsſchluck im Glafe, darauf hält der Bauer.

„Alſo übermorg’n um zwei! Und daß d’ dein Mann a mitbringt!“

„And du ſagſcht der Sohannjerin, daß i's fei ernfcht

D Humoreste von €, Camill. 163

mein’, Wer ’s Erſchte aus der Tauf hebt, dem g’hör’n die andern nachanand a als Godln.“

„Zreili, freilit Ihr habt jetzt ’s Recht beim $o- bannfer.“

Raum war die Huberin um die Gtraßenede ver- ſchwunden, als die Thonmüllerin nah ihrem Wäſche— fpind lief.

Ganz binten lag ein grobleinenes, fauberes Säd- lein, das zog fie hervor. Sie hodte fih auf die blit- blanke Diele, jchüttelte den Inhalt in ihren Schoß und lachte hell auf.

„Fuchzig ſechzig achtzig hundert! Und Dazu ein Hunderter find zweihundert und Sieben, zehn, ahtzehn Markln. Die Milchwirtſchaft tragt ſcho was, wenn man’s verſteht. Die fuchzig Mark fürs kloane Godl hat's in vierzehn Täg' wieder herein, Und der Hans braudht nur dös ander’ zahl'n. Für ’n Knecht, die Dirn’, die Huberin. So a vierzig Markln vielleiht! Die laßt er [ho ſpringa.“

Shren Schatz zujfammenraffend, das Beuteldhen zehnmal um fich felbft drehend, damit es beſſer ſchloß, band fie es forgfam zu und veritedte es wieder. Bald darauf ftand fie am Herd und briet und badte, als gälte es Rindstaufe bei fich felbft zu halten,

Als der Shonmüller vom Felde heimkam, ſchnupperte er ſchon beim Hoftor in die Luft hinein, Der Rnedt ftieß die Dirne in die Seite und rieb fi) den Magen.

Die Anna Thonmüller hörte das ſchwere Auf- ftapfen der drei Stiefelpaare, lief mit dem Rochlöffel unter die Küchentüre, die in den Hof binausführte, und rief zur Senne hinauf: „Hansl, kummſcht net abi? 3 hab’ dir was 3’ fag’n.“

„Muß glei fei oder noch eher?“ lachte der Manıı mit verliebten Augen hinab. |

164 Patenſchaft. o

Aber ohne auffällige Eile der Bauer beherrſcht jedes Gefühl außer dem des Zornes gern ftieg er die paar Stufen berab.

„Haſcht did im Tag geirrt?“ fragte er. „Cs riecht ja nah Sonntagsbrat’n.“

Die Bäuerin padte des Mannes Arm mit beiden Händen, wobei der Rochlöffel dem Hans einen tüchtigen Nafenjtüber gab, und zog ihn über die Schwelle. „Na! Aber an Freudentag müſſ'n mir fcho feiern! Dent, Hansl, grad war die Huberin dat“

„Die Huberin bei uns? Annamirl du —?“

Seine Stimme erjtarb, denn die junge Frau drüdte ihm raſch und voll Verlegenheit den Rochlöffel auf den Mund.

„Red nit fo daher! HB’weg’n der SZohannferin ücht dag’wein. Mir foll’n Baten wer’n beim Erſchten.“

„O mei! Dös is all's? Und i hab’ ſcho denkt —“

„Stad biſcht und freuen tuſcht di! Mir ham doch no Zeit. No ka halb's Zahr verheiratet! Aber Godln, wennſcht haſcht, dös bedeut” Glück je mehr Godln, deſto mehr Glüd!“ 2

„Halt auf! ODös ſagſcht 'm Zohannſer fei net. Zwoa, drei, aber auf mehr gang i fei nöt eil Es kojcht a Geld die Sach’. Hafcht [ho g’fragt? No wart bis nad ’m Ejjen.“

Stillihweigend, aber mit viel Verftändnis wurde dies ernfte Gefchäft bejorgt. Dann fchob der Bauer den Seller zurüd, der Knecht fuhr fih ſchmunzelnd mit dem Rüden der braunroten Hand über die fettigen Zippen, und die Frauen hantierten am Spülftein und Herd,

Nah ein paar Minuten war die Thonmüllerin beim Mann in der Wohnftube,

' Humoreste von €, Camill. 165

Zett, wo Knecht und Magd ferne waren, padte er fie zärtlih um die Schultern. Sie feßten fich dem Herrgottswintel gegenüber auf das jteifbeinige Sofa, und Frau Anna begann mit dem, was ihr heute das Michtigite war.

Einig waren fie dann bald, denn die Wangen ber jungen Bäuerin glühten, und ihre Augen leuchteten noch einmal fo tief wie fonft, und der Hans hätte fich in feiner Derliebtheit den Teufel ftatt einer kleinen, niedlichen Göd aufihwäßen lafjen und hätt’s noch mehr gekoſtet.

Am Tauftag brannte die Sonne in äquatorialer Glut bernieder.

Der TShonmüller hatte Heu auf dem Felde liegen, das eigentlih eingebraht werden follte, aber feine Frau tat vollitändig „narret“, als er feine Abſicht, der Kindstaufe fernzubleiben, ausſprach.

Frau Anna lief ſeit dem früheſten treppauf, trepp- ab, Zwei Riefentörbe ftanden vollgepadt, mit Wadhs- leinen zugededt, auf dem Tiſche, gerade unter dem Muttergottesbilde,

Und die in immer gleider Güte und Milde breitete die Hände jegnend über die Zaufgefchente.

Die eigenen Braunen eingefchirrt, fuhren die Tauf- paten endlich ſtolz davon.

Das Johannſerhäuſerl war ein Vogelneſt im Ver— gleich zu dem Thonmüllerhof. Aber ſauber und nett lag Garten und Haus da, und liebevoll gepflegt ſchaute der Dunghaufen um die Ecke.

Die Huberin ſchoß wie eine Rakete aus der Tür, als fie den Wagen anfahren ſah. Hinter ihr kam langfam der Zohannfer herbei,

Die Paten wurden freundlich, aber durchaus nicht etwa dankerfüllt begrüßt. Die Ehre war ja auf feiten der Thonmüllerſchen.

106 Batenfhaft. | 0

Sp ähnlich rieb der Zohannfer dem allerdings doch ein wenig felbjtbewußt auftretenden Shonmüller die Sade unter die Nafe, und in jeder Gebärde hieß es: „ga, feid Zhr nur erſt einmal fo weit, Ihr Stümper!“

Der Thonmüller ärgerte fih ein wenig, und um es ſich nicht merken zu lafjen, half er feiner Frau auspaden. Bevor man zur Wöchnerin ging, mußten die Geſchenke aufgebaut werden.

Die Huberin fam von einem Entzüden ins andere, Auch dem Zaufvater lief allmählich ein breites Grinfen übers Geſicht.

Zwölf Weinflaihen reihten fich da aneinander und itredten rotgetapfelte Hälſe ſtolz hinaus in die Luft, ein von Fett fchneeweiß fehimmernder Gänjebauch lag daneben, zwei braungelb gebadene Rringel, je in der Größe eines Wagentades, wurden ausgepadt, und dazu bligte und blintte auch noch Silber dazwiſchen.

„Viel z’viel, allz'viel!“ wehrte gnädig vergnügt der Sobannjer ab und eilte nah einem NRiefenteller, der ertra für diefen Aufbau gekauft worden war, „Za, was fallt Euch denn ein, Shonmüllerin! Na, wenn halt Euer Erjchts da iſch, dann kommt die Rewanſch!“

Es war natürlihb unmöglid, die zwölf Flafchen Wein und alles andere auf den einen Zeller zu bringen. Sp trug man nur die leicht transportierbaren Gegen- itände hinein an das Bett der jungen Mutter,

Sie lag in einer belltofa Nachtjade zwiſchen bauſchigen Kiffen und hatte den Zäufling ſchon im Staat feiner fpigen- und bänderbejehten Kiſſen neben fih liegen. Als die Gejchente bergebraht wurden und der Zohannfer das Fehlende durch die Türe zeigte, itrahlte das Geliht der Frau befriedigt auf. Diele Worte machte aber auch fie nicht darum.

Die Shonmüllerin ging mit einem Gefühl hebriter

0 Humoreste von €, Camill. 167

Nichtigkeit an das Bett heran, Ihre Augen fahen faum nach der Mutter. Mit zärtlicher Andacht hefteten fie ſich auf das rotrungelige Gefichtchen, das fich gar nicht recht zufrieden in feinem Steckkiſſen hin und ber ſchob.

Das alio war die Göd! Das erjte Batentindl! Gott, was für ein Keines Wunder!

Die Huberin padte das Bündel an den Trag- bändern, und ungefähr in der Urt eines jungen Hundes, den man am Fell faßt, 305 fie es zur Shonmüllerin berüber und legte es ihr auf den Arm. Ä

„O mei, ſo a fhön’s Kindl! Geb, tu ihm net weh!“ wehrte die Shonmüllerin ganz erjchroden.

Die Männer lachten und die Rindsmutter und die „weile Stau“ desgleichen. Uber fo behutfam und furchtſam ift jede in den erjten Minuten mit einem winzigen, zerbrechlich ausichauenden Menjchentinde.

Dem Thonmüller ftah’s in die Augen, wie hübſch fein Annerl fih als Rindswärterin machte.

Er ging ganz nahe heran und ftrih mit feiner plumpen Hand fachte über die Rrausftirne der Neu- geborenen, was dieſe als Beleidigung auffaßte, denn fie verzog höchſt fonderbar das Geſichtchen.

Während er feiner Frau zuraunte: „Seh, Annerl, fo g’fallft mir noch) amal ſo gut!“ fam plößlich aus den Kiſſen ein ſchriller Ton höchſten Rummers. Die Shon- müllerin verblaßte förmlich und hätte im tiefiten Ent- jegen das Bündel wohl fallen lafjen, wenn der Hansl nicht felbit zugegriffen hätte,

„Jeſſas, was hat’s?“ regte fih die Wöchnerin gleih auf und ftredte die Arme aus, und der Dater, der draußen ſchon wieder bei den Weinflajchen ftand, kam fogleich mit einer ſchon entkorkten in der Hand wichtig heran. Die Huberin trug fehüttelnd und wiegend den Heinen Schreihbals auf und ab,

163 Patenſchaft. s)

„Wer wird glei jo grob zulang’n, Hansl! Deine Braten kunnten dös Dingl ſchier verdrud’n!“ fchalt die Thonmüllerin ihren Mann.

„Was hätt’ denn i dem Fratz'n tan?“ fragte der, beleidigt vom Zone feiner Frau.

„Fratz!“ Hagte die Wöchnerin weinerlich. „Na, woaßt, G’vatter Thonmüller, a Zrab is freili dös Deandl net. Sp brav wie’s g’wei’n is bis jett,“

Der Shonmüller bekam rote Ohren, Das merfte die Huberin und drängte fich heran.

„Ah was! Freili is’s a Frak, aber was für a ber- siger! gebt fchau grad her, Thonmüller, jet lacht’s Dich Doch akkrat an, Aber macht's euch fertig, Manner- leut, Zeit is zum Rirchgang !“

Der Thonmüller ließ fih duch die Türe fchieben.

Draußen ſchwenkte er das Glas Wein, das ihm der Zohannfer reichte, mit einem „Brojit, G’vatter!“

hinter die Binde, „A fein’s Weinl!“ lobte er ſchmatzend. „Wo haft ’n her, Michel?“

Der ſchaute erjt verblüfft und lachte dann hellauf. „Don Dir, Hans! Ga, fiegit’s denn net?“ Und weil . er Schon einige Male genippt hatte und feine Zurüd- haltung vergaß, faßte er den Thonmüller an den Schul- teen und gab ihm derbkräftig einen Schlag. „Woaßt, all’s, was recht is, Hansl, a nobligter Kerl bifcht ſcho. Dös kann Dir faner leugna. Aber du follicht a fehng, daß mir euch net ausnutzen. A Rindl, höchftens zwoa. Für unfervan is dös gnua. Moanſt net a?“

Die Thonmüllerin hatte die lebten Sätze gebött. Sn ihrer Patenfeligkeit fiel jie dem Michel naiv ins Mort: „Uber geh, Zohannfer, auf drei, vier Godln rechnet der Hans fei noh und i erjht recht. Wenn’s auf mi antummet —“

[a Humoreste von €, Camill. 169

Der Hans rempelte fie energiſch an, daß fie raſch ſchwieg.

„Gehn mer!“ ſagte er in ſeiner gelaſſenen Art.

Die Taufe verlief nach geziemendem Brauch. Der Erſtling der Familie wird allerwegen am meiſten ge— feiert, und Johannſers, die ſich zu den Hauptpaten auch noch ein paar Verwandte als Vizepaten bei- gezogen hatten ſchmunzelten trotz des Verbrauches an Kaffee, Kuchen, Wurſt und Wein. Die Speiſekammer der Zohannſerin zeigte einen erfreulichen Reichtum an Schinken, Gans, Spedjeiten und fo weiter, und im Patenſäckel der kleinen Anna Jakobine Simplizia Maria tlingelte es von Oold- und GSilberjtüden, und im Rijjen lag „eingebunden“ das filberne Patenbüchsl und der ichwerfilberne Patenlöfſel, was beides Frau Anna Maria Thonmüller in der Freude ihres jungen Herzens über das erfte Patenkind noch über ihr Verſprechen hinaus gefchentt hatte.

Als der Sohannfer mit dem Thonmüller die Braunen einfchirrte, war es Nacht geworden. Am Horizont flammte ein lihter Schein auf und erloſch, erfchien und verſank wieder.

„et wetterleucht’s! Mei Heu, wann's naß wird, gohannjer, kunnſcht du mir’s zahlen. Da is dei Sauf? ſchuld dran.“

„Voll, woll! ’s fimmt ſcho nix!“ lachte der Michel, der etwas unjicher auf den Beinen ſtand.

Nachts um zwei Uhr, als der Shonmüller eben träumte, er habe feinen erjten Sohn taufen laffen und feiere das Feft mit Böllerfhüffen und Feuer— wert, wedte ihn feine Frau.

Die Böllerfchüffe hörte er noch mit wachen Ohren, und die Freudenfeuer fah er auch. Der Himmel hatte beides, freilih nicht zur Ergötzung der Shonmüllers,

170 Patenſchaft. o

injzeniert., Ein Wetter, wie es im ganzen Sommer noch nicht dagewefen war, brach los,

Der Wind heulte in aufbrüllender Wut um das Haus, die Bäume im Garten fradhten unter feiner Unbarmberzigkeit und bogen fich faft aus den Wurzeln. Wie knatterndes Gewehrfeuer raufhte es durch die Zuft beran, und plößlich fchlug es prafjelnd an die Seniterfcheiben.

„Keuzitürten a noch Hagel!“ Der Thonmüller jprang aus den Federn,

Sein Weib hielt fich die Ohren zu. „Hansl, mad drei Kreuz’! An fo an Fluch bei ſolch an Wetter! ’5 ichlagt ganz g’wiß ’eb ein bei uns.“

„Hat ſcho eing’ihlag’n! ’5 Heu is zum Teufel! ’5 größte Zeld war’s, drei Fuder langa net. Woaßt, was dös koſcht, bal mir’s kaafa müaſſ'n? Alſo, na kannſcht dir ausrechno, was uns die feine Baten- ſchaft koſcht. Der Teu—“

Ein mädtiger Donnerſchlag verſchlang die fchlechte Rede, |

Der Thonmüller hatte den Ropf gedudt, als hätte er eine Obrfeige gekriegt, und Anna barg das Geſicht in den Riffen und heulte laut auf. |

Als der Donner verballte, fing jie aber an.

„Nix is dir heilig! Net amal a ſo a Elvan’s Göd, jo a unfhuldig’s. Aber fluah nur zual 3 geh’ morgen zur heiligen Maria im Eich und opfer’ ihr zwoa Rerzen, damit f’ ein Erbarmen, bat und dem Zohannſer dös Kindl erhält trotz dei'm Fluach, und bitt’ für fie und für mi, daß net dös vanzig bleib’n tat, grad, weil i’s unter ſechs Godln net tua. 3 net!“

Mit einem höhniſchen Lachen riß der Thonmüller die Schlafitubentür auf. „Meinsweg’n zwanzig [haff dir an! Aber mi la im Frieden. 3 tua bei koan

0 Humoreste von €, Camill. 171

mehr mit, dös van is mir teuer g’nua, daß du’s woaßt.“

Und in dem Sturm draußen ſchlug krachend die Türe zu, und wütend ftapfte er nach dem Stall, um zu fehen, ob der Rnecht am Plab war für alle Fälle,

Dierzehn Sage regnete es ohne Unterlaß, und vierzehn Tage gab es im Haufe Thonmüller faure Ge- fihter und nichts von Leibgerichten.

Endlich gab doch der Hansl nad, drehte die Sache ins Scherzbafte und ftellte eine „Patenrehnung“ zu⸗ ſammen, die er ſeiner Frau zuſchob.

Sie las mit noch immer verkniffenen Mundwinkeln die Endſumme und lachte verächtlich.

„Hättſcht doch gleich tauſend Mark herg'ſchrieb'n. Und wenn's dös a noch koſcht! Mir is nix z’viel für die Batenfreud’, die i hab’,“

„Alſo!“

* = *

Die Zeit läuft ſchnell. Zwanzig Zahre find viel, rechnet man fie vorwärts, wenig, rechnet man zurüd,

Die Shonmüllerin war in den zwanzig Zahren fehr völlig geworden, troßdem fie fleißigſt all ihre Pflichten erfüllte. Auch die des Mutterwerdens hatte fie nicht vernachläffigt, zwei Züchter und ein Sohn wuchſen dem Ehepaar zu Stolz; und Freude heran.

Der Shonmüllerhof war noch immer einer Der Ihmuditen im Ort, dem Shonmüller ſah man an, daß er das wußte. Durd) feinen blonden Vollbart fchoffen ein paar graue Fäden, die Loden auf dem Haupte lihteten fi, aber feine hübſche, ſchlanke Figur hatte er im Gegenfaße zu feinem Weibe beibehalten. Auch in feiner Art war er fih ziemlich gleih geblieben. Er hielt die Hand feiter auf dem Geldbeutel als fein weichherziges Annerl.

172 Patenſchaft. e|

Der Dezember kehrte kalt ein. Schnee lag ſchon in den erſten Sagen faſt meterhoch, und als er zu fallen aufhörte, kam eine forfche Kälte, daß taufend- fältige Diamantfterne in der Sonne aufbligten und knirſchend die Zritte auf dem Schnee klangen.

Die TShonmüllerin war eine gute Rundin in großen und Heinen Läden. Gie trug Berge von NRödchen, Höschen und Hauben, von Pferdchen und Püppchen heim und fperrte alles in eine Rammer, die ertra für die Weihnachtsüberrafhungen freigehalten wurde, ein.

Ein bißchen heimlich tat fie dabei und wich dem Manne gerne aus, wenn fie konnte.

Drei Tage vor dem Heiligen Abend ftand fie in der Rammer und verteilte, Leni, ihre blonde, hübſche Sechzehnjährige, half zum erjten Male mit. Uber nicht gerade mit freudiger Haft war’s, daß fie die Sachen und Sächelchen, die ihr die Mutter reichte, hinnahm, fondern eher in einer Heinen, unzufriedenen Verbiſſenheit.

„Dös Kaſperl tuaft für ’n Franzl eini, die Poppen, die kloani, für d' Sophie. Die Groß’ kriagt die Hauben- ſchmid'n⸗Mari und dös Stedenpferdl der Nazi. Pie Hofn da fan für 'n Zohannfer-Hansl, dös Röckl fürs Mariandl, 8’ Haub’n g’hört der Anni, die Schürz’n ’m Lenei, der Zanker für n Schorfhl geb, Zenerl, zähl amal. Wieviel Zohannfer ham mer 'etz?“

Das Lenerl war firihbraun im Gefiht. Es warf dem Schorſchl feinen Zanker in eine Ede, langte nad) dem Schürzenzipfel und heulte fo plößli und über- wältigend hinaus, daß die Mutter zu Tode erfchroden von der Rommode, vor der fie fniete, auffuhr.

„ga, Madl, was is denn? Lenerl, fehlt dir was? Red nur grad, Madl, was hafcht denn?“

Das Mädchen fchüttelte die zärtlihen Mutterhände

0 Humoreste von €. Camill. 173 ab. Zwiſchen ftopendem Schluchzen fchrie fie: „Nix hab’ i, und weil i nix hab’, drum grein’ i. Zehn Zo— bannfer Rinder, zwoa Haub’nfhmids, vier Zapf- maiers Deandl und drei vom Ejchenwirt dös fan neunzehn. Neunzehn Godln habt’s, und neungehnmal verjchentit, was ſunſcht mir kriagt hätten. Und all’s wird uns abzwadt, und für all’s müalj’n mir fpar’n helfen. Aber i, gell i han foan PBat’n friagt. 3 net und der Hansl van, der wo ’s5 Jahr drauf g’itorb’n is, und ’s Annmirl hat vane, die nix hergibt, Und neun- zehn Godln hat koa Menſch, an neunzehnmal fchentt tva Menih und —‘

„est hältit 3 Maul!“ fagte, fih langfam duntel- rot färbend, die Thonmüllerin und hob mit unvertenn- barer Gebärde die Hand.

Ehe Leni den Kopf gedudt hatte, klatſchte eine kräftige Ohrfeige, und im felben Augenblid öffnete ſich die Türe, und auf der Schwelle ftand alt, verhußelt und ein wenig vornübergebeugt die Huberin mit ihrem gewinnenden Lächeln von einft,

„Ah!“ rief fie halb fpottend, halb begütigend, „Sibt’s a Dezemberg’witter und fchlagt’s ei? Geh, b’halt ’n Hamur beinand, Shonmüllerin, i bring’ dir a Freudenbotichaft.“

„Hut huhuhu! No vans!“ heulte vorahnungs- voll die Leni, „’eb fan’s zwa— zwan zwanzig.“

Die Thonmüllerin machte einen Schritt auf die Huberin zu, padte die beim Arm und ſah ihr ängjt- lih in die Augen. „Na, Huberin, gell na?“

Phlegmatiſch zudte die „weile Frau“ die Achfeln. „Na, Shonmüllerin, zwanzig far’s net, aber zwoan- zwanz’g. Die Zohannjerin hat Drilling g’habt. Und weil d’ halt ſcho g’jagt haſcht, amal machſt noch die

174 Patenſchaft. 0 God, fo laßt ſ' di freundli einlad’n für ’n erjchten Feier- tag zur Sauf’,“

- Frau Anna Shonmüller wurde es ſchwarz vor den Augen; der Atem verfagte ihr. Sie ſank, nah Luft jhnappend, auf den einzigen Stuhl der Rammer hin,

Das Lenerl hatte den Schürzenzipfel fallen lafien, Ihaute einen Moment mit offenem Mund drein und lachte dann fchrill und höhniſch auf,

„Leni, du machſcht, daß d' naus kimmſt, aber glei!“ erholte fich fofort die Mutter,

Als die Türe fih zögernd hinter dem Mädchen ge- ſchloſſen hatte, ſtand die Shonmüllerin ſchon wieder vom Stuhle auf.

„Sit nieder, Huberin! Wirt müd fein, und i, i kann mi ſo a erfreu’n,“ fagte fie ſpöttiſch. „Alſo, was bringft für a Freud’? Orilling bat d’ Zohannferin. Ich gratulier! Dös hab’n die zwoa doch g’wiß und wahrhaftig mir zum ort antan! Weil i g’fagt hab’, noch amal, aber dann is Schluß. Der Schluß is fein, der g’freut mi ’eh vor Weihnachten, Da {hau her! G’wandl, Spielſach'n, Äpfel, Nuß und Zuckerwar'. Dös alles bat fo beiläufig hundert- fünfzig Marlin koſcht, und da fan d' Patentaler no net Dabei. ’n Thonmüller fei Anficht, die kennſcht. Seit- dem uns die erihte Tauf' ſcho's Heu von unferm Ihönjten Feld kofcht hat, hat er ’s Schenta verſchwor'n. Pat'n hat er ſcho g’jtanden, aber zahlt hab’s fei i i allvan, Und grad, weil er mi alleweil tragt hat mit meine Hauf’n Godln, hab’ i net na g’jagt, und fo jan’s ’et glüdlich neunzehn g’wef’n. Die zwanzig hat hat mir mei Mo in felbiger Wetternacht vor zwanzig Zahr’n ang'wunſch'n, und bis auf die zwanzig hab’ i mi g’faßt g’madt. Aber zwoanzwanzig? Na, na, Huberin, zwoa jan 'etz z’viel, Hör, was i Dir ſag'.

D Humoreste von €, Camill. 175

Bal’it zur Zohannferin kimmſcht, fagft ihr: Dan Göd hätt’ i verfproch’n, und van Göd halt i aa no aus. Für die annern zwoa foll dös nehma, was fie und der Zohannſer bei unfere Rinner ſich als G’vattern g’ipart hab'n. Es is a ganz ſchön's Bröderl, wennft auf adht- zehn Jahr z’rudrechneft, Sie fan der G’vatternfchaft fauber ausg’wich’n, troßdem ’s nur af drei Godln tumma wär’n. Mir ham zug'ſchaut, wia die Johannſers die reine Rinihafen imetiert ham, und i hab’ alleweil den Geldbeutel hübſch aufg’maht, guate Miene zum böſ'n Spiel g'macht und mir nix mirk'n laſſ'n. Aber die Watich’n, die i vorhin meiner Leni geb’n hab’, die hätt’ eigentlich mir g'hört. Denn ſiegſcht, Huberin, s Madl hat recht g’habt. G'ſpar'n tua i an meine Leut', damit i den Godln tüchlig ſchenka koa, und wenn i z'ſamm'zähl', was i in dene zwanzig Zahrln damit ’nausgeb’n hab’, ſo macht dös da haſcht's ſchwarz auf weiß, i hab’s wohl aufg’schrieb’n zwoa⸗- taufenddreihbundertundfehsundfuchzig Mart hafcht’s glefn? Derfiht nahrehna al Die zwoataujend- Dreibundertundfechsundfuchzig Markt hab’ i zum Fenihter ’nausg’worfa für a Marott'! An Dank hab’ i nia net g’habt, dös ſöll Ham m’r g’fehn, wia unſre Kinner Paten braucht hab’n, und Glüd hätt’ i im Leb’n wohl fo a g’habt, weil mir, der Thonmüller und ich, feit g’jchafft hHab’n und unjer Zeug verjtand’n hab’n, Aber a jeder muaß fei Lehrgeld zahl’n im Leb'n, wenn er fih von was Dummen net abhalt’n laßt, und i hab’s a bifjl teuer g’madt. Don heut an is Schluß. Der Zohannferin ſagſcht, ausnügen derfet mer die Gutmütigkeit der Leut’ a net, und dreizehn Rinner, dös ging mir übern G’fpaß. Zu der Sauf tumminet, Die fuhzig Marti Batengeld fannicht du | a glei mitnehma und dei Sad a, dann fan m’r ferti!“

176 Patenſchaft. Q

Die Luft ging der Thonmüllerin aus, und fie trodnete fih den Schweiß von der Stirn.

Trübſelig Jah die Huberin drein. Shr lief da eine bübihe Spule leer,

Aber nichts half, Frau Anna aus der Empörung über die Drillinge zu bringen,

Als die beiden Frauen im Hausflur noch ein wenig debattierten, fam vom Stall ber der Shonmüller ge- gangen,

„Hansl,“ hielt ihn feine Frau auf, „kumm, laß dir was ſag'n. Die Zohannferin hat Prilling kriagt 3 mog aber nimmer laſſ' mi net frozzeln. Zwanzig fan’s ’eb, du haſcht recht b’halt’n, Und 'etz is Schluß, Schluß, Schluß!“

Hellauf lachte der Hausherr. „Hat’s endli den Schnapper ’tan? 3 wart’ fcho lang drauf! Huberin, geh eini, dös is a Flaſch'n Wein wert. Leni hol ’n Wein ’rauf, den mit ’m roten Ropf. Zwoa Butell’n und an Sped bringſcht und an Ras. Dös is a Freud’ heut!“

Der Huberin wurde ganz weihmütig zu Sinn, Aber an Eſſen und Trinken ließ fie’s nicht fehlen und am Loben und Preifen der Thonmüllerſchen Güte und Gutherzigkeit auch nicht.

Als fie ein wenig fteif und ein wenig unficher fich sun Gehen erhob, fielen ihr mit Schred die fehlenden zwei Paten ein, „Zejjas, zwoa Pat'n fehl'n m’r no!“

Da ſchlug fie der Shonmüller auf die Schulter, „Gräm di net lang, Huberin! Mei Weib is g’fcheit wor’n, dös derf mi was koſcht'n. Und an armer Teufel is der Sohannfer mit fein’ Hauf’n Rinner a. 3 nehm’ die zwoa andern auf mi, i allvan, Und zur Sauf kemma m’t, grad wie ’s erſchte Mal zu zweit und jcho rihtig a. Annamirl, du wirft net na jag’n?“

Humoreste von €, Eamill. 177

D

Die Thonmüllerin ſchnappte nah Luft. „ga, Hansi! 'etz werſcht na wohl du der Sepp? Willſcht du a no zwanzig GodIn han?“ fchrie fie entſetzt.

„Ah nat Go viel wer’n’s {ho nimma. Aber in Stich laſſ'n derf’n mir die arme Leut’, die fich ſcho af uns verlaff’n hab’n, a net. Moanjt net, Huberin? Und mir könna's ja macha.“

Er Eopfte auf die Taſche. Frau Anna fiel auf einen Stuhl. Zwei dide Tränen, halb Rührung, halb Sorn, entrollten ihren Augen.

„eb fan’s fei zwvanzwanzig!“ meinte fie. „Geb, Hansl, warn du ’eh fei grad ſo dumm fein willfcht, wie i's g'weſ'n bin, vergiß halt net, daß mir ’ch af was anners denka müaſſ'n als af unfere GodIn. Moapt net af was? Af unfere Rinner und: Entel- finner,“ a

Der Thonmüller lachte, daß das Haus dröhnte, die Huberin ficherte und hüftelte, und hinter der Tür am Sclüfjelloch grinſte vergnügt triumphierend die Leni mit,

Aber doch behielt das Annamirl recht. Bei dem zweiundzwanzigiten Paten wurde Schluß gemadt. And wenn das Leni jet mit ins Einkaufen ging bei Weihnahts- und DOftergefchenten, rümpfte es nur immer ein wenig die Nafe die Obrfeige hatte gut gefejfen damals und fagte: „Muatter, zwoa von deine zwoanzwanzig haſcht wieda an’bracht; der Sepp und d’ Mari jan g’firmt. Drüber gibt’s nir’n mehr!“

BAB xx x

1910, XII. 12

Auf Wache. Don Loth. Brentendorff.

Mit 15 Bildern. Nachdruck verboten.)

Star feiner unjerer jungen Vaterlandsverteidiger pürste die auf Wache und Poſten zugebrachten Stunden unter die vergnüglichiten feines GSoldaten- lebens zählen, und doch ift für die Erziehung zur Rriegs- tüchtigkeit der langweilige Garnifonwachtdienft ebenfo unentbehrlich wie jeder andere Teil der militärischen Ausbildung. Der erniten und verantwortungspollen Aufgabe, die dem Wachtpoften im Felde zufällt, würde der Durchichnittsjoldat Schwerlich gewachfen fein, wenn er nicht Durch häufige Friedensübung gelernt hätte, vor dem Schilderhaus Auge und Obr in ftändiger Machjamtleit zu erbalten und jede Anwandlung von Schlaffbeit und Müpdigfeit mit energiſcher Willens- anjpannung zu meijtern,

Die Ordnung des Garnifonwachtdienjtes ift mit geringfügigen Abweichungen bei allen größeren Ar— meen fo ziemlich dieſelbe. Ebenſo wie in Deutjchland pflegt man die Wache fo zu bejegen, daß fie je Drei Ablöfungen für jeden auszuftellenden Poſten enthält, Größere Garnijonen haben in der Regel eine Haupt- wache, bisweilen unter dem Rommando eines Offi- ziers, von der aus der gejamte Wachtdienft geregelt wird und wo die Meldungen von allen Wachen ge- fammelt werden, Der Offizier vom Ortsdienjt und der

> Yon Loth, Brenkendorff. 179

Rondeoffizier in größeren Sarnifonen find es deren wohl auch mehrere haben die Aufmerkſamkeit der Machen und Poſten zu prüfen und die Ausübung

Preußiſche Gardeſchuͤtzen bei der Abloͤſung.

180 Auf Wache. D

des Wachtdienites zu kontrollieren, Wachhabende, das beißt Befehlshaber der Wache, find je nach der Größe der Wache Gefreite, Unteroffiziere oder Offiziere.

Poſten vor der Wiener Hofburg.

Mährend der Ausübung feines Dienjtes gilt jeder Poſten als Vorgeſetzter der Unteroffiziere und Mann- ichaften, und es iſt ihm außerdem innerhalb gewifjer Grenzen eine PBolizeigewalt über Sivilperjonen ein- geräumt, Er darf im Notfall Verhaftungen vor-

0 Von Loth. Brentendorff. 181

nehmen und die Arretierten ins Schilderhaus jteden, bis er abgelöft wird oder bis fie ihm von einer Pa-

Nuffiiher Sardefoldat auf Poften.

trouille abgenommen werden, Bei Widerftand oder FZluchtverjuch darf er ſogar von feiner Waffe Gebrauch machen, und zwar mit viel weitergebender Freiheit

182 Auf Wade. j a

als fie wirklihen Bolizeiorganen eingeräumt iſt. Alle dieſe Befugnijje find natürlih mit einem entjpredhen- den Maß von Verantivortlichkeit verknüpft, deſſen er- zieheriihe Wirkung auf den jungen Soldaten nicht zu unterfchägen ift. |

Eine bejondere Art des Wachtdienftes üben Die Wirtshauspatrouillen, denen die Aufgabe zufällt, das Derbalten der Mannfhaften in Wirtichaften und fo weiter zu überwachen, und deren Anordnungen von Unteroffizieren und Mannſchaften unbedingt Folge zu leiten ift, da fie während ihres Dienftes ebenfalls den Charakter von Vorgeſetzten erhalten.

Am wenigiten beliebt bei den davon Betroffenen find die Stallwacden, die die berittenen Truppen zur Beauflihtigung der Pferde ftellen und die ihren Dienft meijt ohne Waffe tun.

Unzertrennlihb von dem Wachtpoſten ift in der Dorftellung des Publitums das Schilderhaus, jenes winzige, zumeift aus Hola gezimmerte, leicht trans- portable Bauwerk, das gewöhnlich einer in die Höhe gefchoffenen Hundehütte gleicht und an Romfort der inneren QUusjtattung noch um einiges binter einer ſolchen zurüditebt. Es iſt beftimmt, dem Poſten Schuß gegen allzu harte Unbilden der Witterung zu gewähren, und feiner gelegentliden Verwendung als AUrreftlofal wurde bereits Erwähnung getan. Form und Farbe der Schilderhäufer find natürlich nicht bei allen QAlrmeen diefelben; Daher ift die durch unſer: Abbildungen er- möslichte Vergleihung gewiß mint ehne Intereſſe.

Noch intereſſanter aber iſt jebenſalls eine Ver— gleichung der zu den Schilderhäuſern gehörigen Poſten nach ihrer Uniformierung und ihrer ſoldatiſchen Hal— tung. Namentlich in der letzteren ſpiegelt ſich vielfach etwas von dem Geiſte wider, der die betreffende Armee

0 Don Loth. Brentendorff. 135

Berittene Wachtpoften vor einer englifchen SKavalleriefaferne,

erfüllt, und der deutjche Lejer wird nicht ohne ein leijes Gefühl der Genugtuung fonjtatieren, daß nur wenige der bier nach dem Leben photograpbierten

184 Auf Wache, 0

„Schildwachen“ fich in bezug auf foldatiihe Straffbeit mit dem im QAUugenblid der Ablöfung dargeitellten deutſchen Poſten mefjen können,

Der Raijerjäger vor feinem runden Schilder-

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Fran zoͤſiſche Schildwache.

häuschen an einem Tore der Wiener Hofburg kann freilich mit Ehren neben ihm beſtehen, und auch der ruſſiſche Gardeſoldat vor dem Zarenpalaſt in St. Pe— tersburg nimmt ſich impoſant und martialiſch genug

D | Don Loth. Brentendorff. 135

aus, wie denn überhaupt das Mannjchaftsmaterial ſowohl im öfterreichifchen wie im ruffifhen Heere ein

Tuneſiſcher Wachtpoften.

ganz vortreffliches ift., Erzählt man doch von einem Wachtpoſten, der unter Alexander II, bei dem be- fannten Uttentat im Winterpalais ſchwer verwundet

136 Auf Wache, D

worden war, daß er fich troß furchtbarjter Schmerzen feiner Wegſchaffung mit allen ihm noch verbliebenen Kräften widerjeßte, weil er vor prönungsmäßig er- folgter Ablöfung feinen Poſten nicht verlaffen wollte.

Start auf rein theatraliiche Wirkung berechnet er- icheinen dagegen die beiden berittenen Wachtpoften vor einer englifchen Kavalleriekaſerne. Die Miliz- truppe der Imperial Veomanry, denen fie angehören, präjentiert ich ja äußerlich recht ſchmuck und gefällig; aber es it faum anzunehmen, daß fie im Ernitfall einem Feinde allzu gefährlich werden würde. Es iſt eben mit dem gejamten englijhen Landheere nicht gerade zum beiten beitellt. Eine allgemeine Wehr- pflidt exiftiert nicht, und die aktive Armee ergänzt lich lediglich durch Werbung, Die Rekruten verpflichten ſich zu zwölfjähriger Dienftzeit gegen einen Tagesfold von ein Schilling vier Bence. Yenmanıy und Volun— teers, die fich beide aus Freiwilligen refrutieren, bilden eine Urt von Hilfstruppe neben diefem ftehenden Heere; ihre militärische Ausbildung aber läßt ſehr viel zu wünfchen übrig. WUllerdings befindet ſich Groß- britannien augenblidlich mitten in einer umfangreichen Heeresteform, die ohne Zweifel erheblihe Beſſerungen Ichaffen wird. Der Gedanke der allgemeinen Wehr- pfliht aber, deſſen Durchführung allein imftande wäre, den namentlid während des Burentrieges hervor- getretenen Mängeln abzubelfen, findet bei der eng- liihen Nation noch immer zu wenig Anklang, als daß er in abfehbarer Zeit zur Wirklichkeit werden dürfte. Man bat bei unferen Nachbarn jenjeits des Ranals pon der Bedeutung eines wirklichen Voltsheeres wohl bauptjächlich deshalb nicht die rechte DVoritellung, weil man fich für den RKriegsfoll feljenfeft auf die Unüber- windlichkeit der gewaltigen Flotte verläßt und die

0 Bon Loth. Brentendorff. 187

Möglichkeit, im eigenen Lande gegen einen eingedrun- genen Feind kämpfen zu müſſen, troß aller von wohl-

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Fin Wachtpoften in Neapel.

meinenden Generalen und pbantajievollen Schrift- |

jtellern ausgemalten Schredbilder nicht ernitlich in |

Betracht zieht. | Weſentlich impojanter iſt das Bild, das die Heeres-

188 Auf Wade. Q

Organijation Frankreichs nah ihrer lebten Neu- geftaltung darbietet, Mit einer Friedensjtärte von

WR, Sn *

Berittener Poſten in Spanien.

30,565 Offizieren und 565,261 Mann, zu denen noch 711 Offiziere und 23,996 Mann Gendarmerie und republifanifcher Garde fommen, ſowie 142,595 Pfer- den ijt die franzöfiiche Armee gegenwärtig eine der

q Don Loth. Srentendorff. 189

größten, und wenn auch die Kriegſtärke nicht genauer befannt iſt, jo läßt fie ſich nach der üblihen Berech-

MWachtpoften auf Korfu (Griechenland),

nung (25 Sahrgänge mit 25 Prozent Ausfall) auf mehr als vier Millionen Mann abfchägen, eine Niefen- zahl, die natürlih auch die legten Aufgebote in fich

190 Auf Wade, u

einfchlöffe, und die jich, foweit eine Verwendung auf dem Kriegſchauplatze in Betracht fäme, ganz erheb- - lich vermindern würde. Don der geplanten Rriegs- gliederung weiß man außerhalb des franzöfiichen Generalitabes nur fo viel, daß fünf Armeen vorgefeben find, davon vier im Often und eine im WUlpengebict. Jedes Armeekorps wird vorausſichtlich 36,000 bis 38,000 Mann in zwei Infanteriedivifionen enthalten.

Der franzöſiſche Schußftaat Tunis, dejjen Militär- madt der dunkelhäutige MWachtpoften auf unferem nächiten Bilde angehört, nimmt von der Armee der Republik in FZriedenszeiten rund 14,000 Mann und 700 Offiziere für fih in Anfprudb, und zwar 15 In— fanteriebataillone, 10 Ravalleriefhwadronen, 3 Bat- terien reitender und 4 Batterien FZußartillerie, 2 Genie- und 3 Traintompanien, Selbitverftändlich ergänzt ich ein großer Zeil der tunefiihen Militärmacht aus ein- geborenen Rekruten.

Die Uniform des Wachtpoitens auf Seite 187 it an dem federngefchmüdien Hute vermutlich für jeden unferer Leſer auf den erſten Blick kenntlich. Denn die Berfaglieri, die beliebtefte und popu- lärſte Truppe der italienifchen Armee, find auch im Auslande ungefähr ebenfo befannt wie die deutſchen Sotenkopfbufaren oder die öſterreichiſchen Deutſch- meijter, Ihre Anfänge reihen bis in das Fahr 1826 zurüd, wo fie von dem Gencral della Marınora im jardinifchen Heere nah dem Muſter der franzöfifchen gäger zu Fuß in zwei Rompanien organifiert wurden, Da fie befonders auserwählten Erſatz erhielten, zeich— neten Sie jich bald ducch ihre hervorragenden Leiftungen aus und wurden nad Errichtung des Königreiches Stalien als en wichtiger Beftandteil in die Armee desjelben aufgenommen, Gegenwärtig hat jedes der

zwölf italienifchen Alrmeeforps ein Berfaglieriregiment zu drei DBataillonen mit je vier Rompanien, unter denen fich auch mehrere Radfahrertompanien befinden,

Gin Doppelpoften in Konjantinopel,

192 Auf Wade. 0

Bemerfenswert und von dem üblichen Schema ab- weichend ift das natürlich nicht transportable geräumige Steinerne Schilderhaus, deſſen unſer neapo- litanifher Wachtpoften ſich zu erfreuen hat.

Noch vieleigenartiger allerdings wirkt der hohe, ſ hup- penartige Holzbau, der dem ſpaniſchen Pojten (S. 188) und feinem Roſſe Schuß gegen die fengenden Strahlen der Sonne gewährt. Der ftattlihe Küraſſier gehört zu den Mannschaften der Königlichen Estorte, die ungefähr die Stelle der preußifchen Garde einnimmt, während die übrige Heeresmaht aus 58 Linienregi- mentern beſteht. Dem Namen nach beiteht auch in Spanien beute die allgemeine Wehrpfliht. Aber es gibt nicht nur eine Unmenge von Ausnahmen, fondern es find auch Loskauf und Stellvertretung im weiteften Umfange geftattet. Das Inftitut der Einjährig-Frei- willigen, das eine Seitlang beftand, ift ſehr bald wieder abgefhafft worden, Pie Pienftpfliht beginnt mit dem einundziwanzigiten Sabre und dauert zwölf Zahre, von denen nach der Heeresverfaffung die erjten drei bei der Fahne abgedient werden follen. Aus Spar- jamteitsrüdjichten aber werden es deren felten mehr als zwei,

Die Haltung des Poſtens auf unferem nächſten Bilde würde jeden preußifchen Unteroffizier mit beller Entrüftung erfüllen; aber in der griechifchen Armee nimmt man’s mit ſolchen Äußerlichkeiten offenbar nicht fo genau, wie denn überhaupt die jüngfte Bewegung im griebifhen Offizierkorps ein recht eigentümliches Licht auf den Geiſt und die Pilziplin diefes Heeres- förpers geworfen hat. Von der Größe der griechifchen Armee darf man ſich übrigens keine allzu ausfhweifende Doritellung machen, Sie hat einen Friedensetat von 22,427 Offizieren und Mannfchaften, und wenn au

D Bon Loth, Brentendorff. i 193

ihre Kriegjtärte auf 82,125 Mann mit 174 Geſchützen und 14,441 PBferden angegeben wird, denen fich zu—

Schildwache vor dem koͤniglichen Palaft in Sofia,

dem noch 76,800 Mann Nationalgarde und 58,000 Mann

Referven zugejellen jollen, fo darf man doch getroft

annehmen, daß ein erheblicher Zeil dieſer anfehn- 1910. XII. 13

194 Auf Wade. : do.

liben Streitmacht Immer nur auf dem Pape itehen wird,

Ganz fremdartig berühren uns die Organifations- verhältniffe der türkifchen Armee, deren Repräfen- tanten wir auf Seite 191 neben einem der beiden Schilderbäufer erbliden. Die allgemeine .Webhr- pfliht gilt für Mohammedaner vom einundzwan- zigiten bis zum vierzigften Lebensjahre, bei dem Ausbruhb von Glaubensfriegen aber erfährt fie ohne weiteres eine Derlängerung bis zum ſiebzigſten Zahre. Jeder Eingereihte kann ſich nah drei Monaten aktiven Dienjtes duch Zahlung von fünfzig türkischen Pfund von der weiteren Präfenzpflicht lostaufen. Die Friedenjtärte der Armee beträgt 20,000 Offiziere, 250,000 Mann, 22,000 Pferde und Tragtiere, 1300 be- jpannte Gejhüte, ohne Gendarmerie und Rader (10,000 Mann) der Redif. Eine Sanitätstruppe eri- ftiert nicht, abgejehen von dem geringfügigen Rranten- mwärterperjonal in Ronftantinopel. Die Rriegitärke der Nigam- und Nedifarmee, einfchließlich der irregu- lären Ravallerie aus Rurden- und WUraberitämmen (Hamidie), wird berechnet auf 1 Million Gewehre, 75,000 Säbel, 1600 Feld- und Gebirgsgeſchütze. Da- von ſollen mindeitens 500,000 Gewehre, 20,000 Säbel und 1000 Gefhüße für einen europäifchen Krieg ver- fügbar fein.

Neben folhen Zahlen nimmt fich die Rriegsmadt des neugebadenen Königreichs Bulgarien recht be- \cheiden aus, zumal wenn man bedentt, daß bei der Berehnung der vorausfichtlihen Kriegſtärke auch bier das Papier jehr geduldig ift. Eingeführt ift die allgemeine Wehrpfliht mit einem Rekrutentontingent von rund 20,000 Mann. Mohammedaner können fich dutch. Sahlung, von 500 Lewa lostaufen. Die ren

0 Don Loth. Brentendorff. 195

ftärte der Armee beträgt 2451 Offiziere und 40,000 Mann, die Rriegftärte mit dem oben angedeuteten

EN *

Abloͤſung eines Wachtpoſtens in Kairo.

Vorbehalt 174,000 Mann, ausſchließlich der Volks— wehr, deren zwei Aufgebote fihb aus den Dienſt— pflichtigen zwifchen dem 38. und dem 45, Lebensjahre

196 Auf Wache. 0

zuſammenſetzen. Das Gebäude, vor deſſen Garten- eingang wir unferen bulgariishen Wachtpojten erbliden, it der neue königliche Palaft in Sofia, eines jener modernen Gebäude, deren erhebliche Anzahl der bul-

Sapanifcher Poften in Korea.

garischen Hauptjtadt in den leßten Fahren mehr und mehr ein modern europäifches Gepräge aufgedrüdt hat, während fie bis zu ihrer Befreiung von der Türken— berrichaft und noch eine gute Weile nachher eines der greulichiten Schmußnefter war, die man fich nur vor- itellen konnte, |

D Bon Loth, Brentendorff. 197

Die ſchmucken Krieger in den gutfißenden Uni— formen und Den blißjauberen weißen Gamajchen (Abbildung Seite 195) zeigen uns einen Wachtpoſten

Luxemburgiſcher Soldat auf Poften.

por dem pizeköniglihen Palaſt in Rairo im Augen- blid der Ablöfung,. Außer einer engliichen Befatungs- truppe von ungefähr 3000 Mann verfügt Agypten über eine Militärmacht von rund 12,500 Köpfen, die jelbftverjtändlih von einem englijhen General be-

198 Auf Wade. je)

fehligt wird. Sie jeßt fih zufammen aus neun ägyp- tifihen und fünf fudanefiishen Bataillonen, einem Ravallerieregiment, jehs Batterien und zwei Ramel- forps. Die aktive Dienftzeit beträgt jehs Zahre und fünf Jahre bei der Polizei, die die erfte Reſerveklaſſe der Armee bildet. Don den vier Diviſionen diefer PBolizeitruppe find 25 Offiziere und 1227 Mann in Kairo ftationiert.

Das vizetöniglide Palais, das übrigens dieſem Mürdenträger nur felten wirklih als Wohnung dient, liegt in der Sitadelle, jener uralten Befejtigung, die ichon 1166 von Zuſſuf Saladin erbaut und fpäter durch Mebemed Ali verjtärtt wurde, Ihre weltberühmte Merktwürdigteit ift der vermutlih noch aus der Pha- rapnenzeit ftammende fogenannte Zojephsbrunnen, der neunzig Meter tief in den Feljen gejprengt iſt. Un- mittelbar neben ihm erhebt fih die Alabaftermofchee mit dem Grabmal Mehemed Alis, die fein Fremder zu befuchen verfäumt, weil man von ihrer Terraſſe aus die berrlichite Ausficht auf das gleich einer Oaſe mitten in der Wülte daliegende Rairo genießt.

Den Beſchluß unjerer Bilderreihe machen neben einem japanifhen Poſten in Rorea, wo fich feit dem ruffiihen Kriege die Japaner häuslich niedergelafien haben, zwei Wachtpojten, die gleich der Truppe, der fie angebören, eigentlih nur rein dekorativen Sweden dienen. Das Großherzogtum Luremburg bedarf keines jtreitbaren Heeres mehr, feitdem es völkerrechtlich für neutral erklärt worden ift. Seit der Auflöfung des Deutfhen Bundes, dem es von 1815 bis 1866 an- gehört hatte, feßt fich darum feine „Armee“ zufammen aus einer Rompanie Freiwilliger von 6 Offizieren und 140 bis 170 Mann, deren Stärke übrigens „im Not- fall“ auf 250 gebracht werden kann, und aus einer

oO Bon Loth. Brentendorff. 199

Gendarmerie von 2 Offizieren und 125 Mann, die in 32 Brigaden über das Land verteilt find. Das Ober- £ommando über die gefamte Heeresmaht führt ein Major, Die Wehrpflicht ift feit 1881 aufgehoben.

Poften vor dem Palaft in Monaco.

Beträhtlich geringer noch ift die bewaffnete Macht des troß feiner paradiefiihen Lage an der ligurifchen Küſte des Mittelmeeres fo übel berufenen Fürſtentums Monaco. Seinem Flächeninhalt von 21,6 Quadrat- tilometer (nach den neuejten Meſſungen follen es fogar nur 21,5 Quadrattilometer fein) und feiner Ein- wohnerſchaft von 15,000 Seelen entjprechend, leiftete jih das Ländchen bis vor etlichen Jahren ein „Heer“

200 Auf Wade. D

von 130 Mann, beitehbend aus einer Ehrengarde, einer Rompanie Infanterie und 44 Gendarmen, Den fon- jtitutionellen Anſchauungen des aufgellärten, durch feine wifjenfchaftlihen Arbeiten mehr als durch feine Regierungstätigkeit bekannten Fürften aber erjchien auch dieſe militärische Machtentfaltung noch als zu weitgehend, und heute verfügt Monaco nur noch über eine Gendarmerieabteilung von 86 Mann,

Daß der Dienſt diefer tapferen Verteidiger des Daterlandes kein allzu ſchwerer ift, läßt ſchon die ver- gnügte Miene unferes vor dem fürſtlichen Palajte auf- geftellten Wachtpoftens erraten.

DEE EEDZAÄ

Das Blut als Zeuge. Don E. E, Weber.

2 2 [um une ] Mit 6 Bildern. Machdruck verboten.)

Zi der Unterjfuchung zahlreicher Verbrechen kommt es Darauf an, nachzumweijen, ob Blutflede, die ſich an der Rleidung des vermutlihen Täters, an Meffern, Hämmern und anderen Gegenftänden vorfinden, von Menſchen oder von Tieren herrühren. Die Angeklagten reden fich ja vielfach damit aus, daß die feftgeitellten Blutflede einem geſchlachteten Tier entitammen, Zn ſolchen Fällen hat dann der Gerichtsarzt oder der Gerihtschemiter einzugreifen, un durch die mikro— ftopiihe und fonftige Unterfuhung die Natur der Flede aufzuklären, damit, wenn fie fih als Menfchen- blut ergeben, dieſes als ftummer Zeuge verwertet werden fann.

Das Blut ift keine gleihmäßige Flüffigkeit, wie es fih dem bloßen Auge darftellt, fondern es zeigt ſich unter dem Mitroftop als eine klare, fait farbloſe Flüffig- keit, in der viele rundlide Rörperchen, die Blutkörper— hen, ſchwimmen. Dieſe zerfallen in zwei Arten, die roten Blutkörperchen und die weißen Blutkörperchen,

Die roten Blutkörperchen verleihen duch einen ihnen eigenen $arbitoff, das Hämoglobin, dem Blut feine rote Farbe, Sie gleihen beim Menfchen flachen, runden Scheiben mit abgerundetem Rande und find auf den Breitjeiten tellerförmig eingedrüdt. Die Breite der menſchlichen Blutkörperchen beläuft ich

202

_ Das Blut als Zeuge.

0

Ein vergrößerter Blutfle mit erfennbaren Blutkörperchen.

auf 0,0077 Mil- limeter, ibre Dide auf O,ots Milli- meter, Die roten Blut- förperchen der Säugetiere ind nun meift tleiner als die des Menſchen, ſo daß ſich ſchon aus die— ſem Unter— ſchied ein An—

halt über den

Urſprung einer Blutſpur gewinnen läßt. Nur der Elefant hat größere rote FEN als der

Menſch. Au— ßerdem wech— ſelt aber auch noch die Form der Blutkör— perchen bei dem Menſchen und den Tie— ren. So ſind ſie bei den Vö— geln, Roepti— lien und Fi— ſchen, ſowie den Lamas und Ramelen mehr eiförmig.

Derſelbe Blutfleck, noch ſtaͤrker vergroͤßert, mit roten und weißen Blutkoͤrperchen.

D Bon €. E. Weber. 203

Bei einer Taube beträgt ihr Längen- durchmeſſer 0,0174, ihr Breitendurch- mejjet 0,0145 | Millimeter, bei einem Froſch find fie O,n2 Millime- ter lang und O,1 Millime- ter breit. Dar- —* aus laſſen ſich Querſchnitt durch einen Blutfleck. wiederum Schlüſſe über die Zugehörigkeit des Blutes ziehen. Aber auch die Zahl der roten Blutkörperchen ſpricht mit. In einem Kubikmillime⸗ ter Blut eines geſunden Mannes fin- den fich rund fünf Millio- nenrote Blut- förperchen vor und, wie bier gleich bemerft jei, gegenvier- zebntaufend weiße Blut- förperchen. Mafchenwerf der Blutfafern. Das Frauen-

204 Das Blut als Zeuge, 0

blut enthält auf einen Rubitmillimeter eine halbe Million rote Blutlörperhen weniger. Da ein erwadjfener Mann etwa zehn Pfund Blut befißt, fo entfallen darauf gegen fünfundzwanzig Milliarden rote Blut— förperhen. Den Raumindalt eines Bluttörperchens bat man auf O,oooooor221ı7 Rubitmillimeter und feine Flähenausdehbnung auf O,ooızs Buadratmillimeter berechnet. Die gejamten roten Blutkörperchen eines Mannes würden Daher, nebeneinander gelegt, 2816 Quadratmeter bededen, eine Fläche, deren Durch— Ichreitung achtzig Schritte verlangt. Es zeigt fih nun, daß ie größer die roten Blutkörperchen einer Tierart find, die gleihe Menge Blut auch deito weniger von ihnen enthält, fo daß auch diefer Umitand bei der Beurteilung verwertet werden ann.

Die weißen Blutkörperchen find fugelförmig. Gie befigen einen Durchmeſſer von O,osı bis O,ı2 Milli- meter. Bemerfenswert ijt ihre Eigenbewegung, Er- wärmt man einen Tropfen Menfchenblut auf die Normaltemperatur von 37 Grad Celfius, jo fieht man, wie die weißen Blutkörperchen Fortjäße ausjenden, - mit denen fie fich bewegen und feitheften oder auch irgendwelche Fremdkörper umfafjen, um fie dann in ihren Rörper bereinzuzieben.

Wie befannt, gerinnt das Blut an der freien Luft. Das des Menfchen gerinnt in drei bis zehn Minuten, Ranindhenblut beifpielsweife viel fchneller, Pferdeblut langjamer, Während der Gerinnung fchrumpfen die roten Blutkörperchen zu zadig-jternföürmigen Gebilden ein, und fpäter treten dann farblofe Faſern auf, die den geronnenen Blutfuchen wie ein Netzwerk durchziehen und Blutkörperchen in fich fchliegen. Die Fäden be- iteben aus Fibrin oder Blutfaferftoff, Der Blutkuchen bildet zuleßt eine rote Gallerte, aus der eine gelbliche

O0

Flüjligkeit ber- ausgepreßt wird, die das Blutjerum oder Blutwafjerdar- itellt. Das Blut⸗ ſerum iſt alſo das Blutplas— ma ohne den

Faſerſtoff. Behandelt mannungeron- nenes und ein- getrodnetes Blut mit Roch- ſalz und Eis-

Hamatinfriftalle,

eſſig und erhitzt es, jo ſieht man unter dem Mikro— jtop winzige plättchenförmige Kriftalle, die Hämatin-

Hamatinkriftalle im Größenverhaltnis zu den Blutförpercen.

friitalle, die in

ihrer Form

bei den einzel⸗ nen Tierarten etwas ppnein-

ander abwei- den und da—

Durch Die Ab— jtammung des

' Blutes verra-

ten.

Hierzu tre- ten nun noch andere Unter- juchungsme- thoden, Bei

206 Das Blut als Zeuge. Oo

der ſpektroſkopiſchen Unterſuchung zeigt das Spektrum verdünnten Blutes zwei dunkle Abforptionsbänder im gelben und grünen Zeil. Man erkennt das VBorban- denjein von Blut auch dann noch, wenn die Flüfjigkeit nur 0,2 Prozent Blut bejikt.

Endlih wird auch das Blutjerum zur Beitimmung des Bluturjprungs benüßt, Spritt man einem Ranin- chen fünf- bis fechsmal in zweitägigen Zwifchenpaufen von den Blutkörperchen befreites Blutferum unter die Haut, jo ruft das fehs Tage nah der lebten Ein- ſpritzung aus dem Kaninchen gewonnene Blutferum im menfclichen Blutferum, das mit einer Rochjalz- löjung verdünnt ift, bei einer Temperatur von 37 Grad Celſius einen jtarten wolkigen Niederfchlag hervor, Diejer Niederichlag entiteht in feiner anderen Blutart und ermöglicht daher, Menfchenblut von Zierblut genau, zu unterjcheiden. Auch. alte, eingetrodnete Blutflede zeigen diefe Erfcheinung, wenn fie mit einer mon löfung aufgeweicht werden,

Die Mitrophotographie geftattet es dann, die ge- wonnenen Ergebnijje photographifch aufzunehmen und nach Herftellung von Vergrößerungen den Satbeitand den Richtern und Gefchworenen vor Augen zu führen.

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Mannigfaltiges.

(Nachdruck verkoten.)

Prozeß und Hinrichtung im Jahre 1765. Maria Flint, die junge Frau eines Bürgers von Stralfund, hatte, wie fie behauptete, nur verfehentlich ihr Rind getötet. Der drohenden Derhaftung entzog fie fih durch die Fluht und lebte in der Nähe von Leipzig längere Zeit in Berborgenheit. Aber im Gewiſſen gequält, machte fie fih heimlih zu Fuß auf und fehrte in die Heimat zurüd.

Am 1. Dezember 1765 gegen Abend ſchlich fie durch die in Dämmerung liegenden Straßen Stralfunds dem Gerichts- gebäude zu und trat mit den faum verftändlihen Worten zu dem Gefängniswärter: „Ick bin wieder hier.“

Diefer erkannte fie zuerff nicht und fragte: „Mat för'n 34?“

„Maria Zlinten, die Armefünderin,“ fagte das unglüdliche Meib demütig.

„Dat is was anners,“ erwiderte der Wärter, ſchloß eine Zelle auf und ließ fie hinein. Dann eilte er fogleich zum Bürger- meijter und meldete das außerordentliche Ereignis.

Die Herren wollten es zuerft gar nicht glauben. Dann be- fahlen fie dem Wächter, die Gefangene milde zu behandeln und ihr keine Feſſeln anzulegen. Die Selle follte geheizt und ihr eine erwärmende Suppe gelocht werden. Don der Suppe fie nur jehr wenig. Sie bat nur um die Begünftigung, daß niemand zu ihr gelaffen werde, auch ihre Mutter nicht. Am anderen Tage fammelte fib unter dem Rathaufe eine große Menge Volts, da es feititand, daß die Gefangene zum gerichtlihen DVerhöre geführt werden folle. Um zehn Ahr erfchien fie in Begleitung zweier Ratsdiener, gefolgt von dem neugierigen Menfchenfhwarm, da jeder fie fehen wollte. Cie ſchritt langſam mit niedergefchlagenen Augen einher und ſah

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jehr blaß und angegriffen aus. Ihre Kleidung war ärmlich und ihre FZußbelleidung von der weiten Zußreife halb zerriſſen.

Das Geriht war fchon verfammelt. Aud die beiden Geift- lihen, Paſtor Stannide und Magijter Colberg, waren vor- geladen, um der Delinquentin ins Gewiffen zu reden, damit ihre Ausfage der Wahrheit gemäß laute. Bei deren Anblid brach fie in Tränen aus. Nun begann ein fehr jtrenges Ver— bör mit ihr. Sie gab zu, daß das Rind in ihrem Bett erjtictt jei, behauptete aber, fie hätte das nicht gewollt. Auch be- dauerte fie es, daß fie fich der Unterfuchung duch die Flucht entzogen habe. Das Gericht tagte bis gegen den Abend, nach- dem die Gefangene bereits wieder abgeführt war. Auf ihren ausdrüdlihen Wunſch lieg man niemand zu ihr. Zwei Wochen vergingen. Dann wurde das Todesurteil gefällt. Am dritten Adventfonrtage wurde von der Ranzel eine FZürbitte für fie getan.

Rubig ſah fie ihrem lebten Sage entgegen. Der 20. Dezember war zu ihrer Hinrihtung feitgejeßt, die fich, wie ein noch vorhandener Bericht meldet, in folgender Weife vollzog. Auf dem Scharflirhhofe war gelber Sand gefahren und auf dem Plage, wo die Enthauptung gefchehen follte, ausgeftreut worden. Der Pla& war mit Planten abgezäunt. Die Sterbetifte ward hinausgebradht und das Grab gegraben. Nicht, wie fonft üblih, auf einem Stuhle fitend, fondern jtehend follte die Hinrichtung ftattfinden. Weil fih das Gerücht verbreitet hatte, es würden Derfuhe gemaht werden, die Delinquentin mit Gewalt zu befreien, waren viele Arbeiter von den Furierſchützen aufgeboten und mit Waffen verfehen worden, die aus dem Zeughaufe mit Erlaubnis des ſchwediſchen Stadttommandanten gegen ein Geldgefchent geliehen wurden. Diefe Leute bildeten einen doppelten Kreis um den Richt— plat. Die ganze Stadt war ſchon vor Tag auf den Beinen. Weil es Winter war, ward befohlen, die Straßen zu fegen. Der Pla vor dem Rathaufe war fchon tags zuvor mit Schar- lab ausgefchlagen worden. Um neun Uhr verſammelte ſich Das Gericht, und ein Diener gab das Zeichen, daß die Delin- quentin vorgeführt werden follte. Der Henker ftand fchon an

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feinem Plab, der fihb an dem äußerften Ende der Gerichts- ſchranken befand.

Der Henker war in blauem Mantel und blogem Haupt. Sein langes weißes Haar fiel in Loden auf die Schultern, Unter dem Mantel hielt er das blanke Richtfehwert verborgen. Auf einen Wink des oberſten Gerichtsheren trat er aus den Schranken auf die Mitte des alten Marktes, ſchwang das bloße Schwert dreimal in Pauſen um fein Haupt und rief dabei mit lauter Stimme: „Wer Hagen will, der Hage feft!“ Dann trat er wieder an feinen Plab. Auf dem Alten Markt, mit dem Angefiht gegen das Rathaus gewendet, hielten alle Rats- diener, blau gekleidet, mit entblößtem Degen hoch zu Roß unter Anführung des älteften Ratsdieners Niemer in feinem mit Silber geftidten ledernen Roller. Die Hauptwache war angetreten und hatte das Gewehr bei Fuß.

Die Armefünderin ftand unten an der Ruftodie zum Ab- gange fertig. Vier Gerichtsdiener begleiteten fie. Auch die ganze Nachtwache ftand bereit, fie zu umgeben und mitzu- geben. An den Füßen trug fie Schuhe mit gerafpelten Sohlen, um auf dem Richtplage nicht etwa auszugleiten. Auf dem Ropfe trug fie, da ihr ſchönes Haar abgefchnitten war, eine Heine, enganliegende weiße Müte und eine Heine weiße Haube daran. Um den Hals hatte fie ein feines, weißes Tuch ge- ichlungen, das ein Knoten hielt. In der einen Hand hielt fie ein Gefangbud, in der anderen ein weißes Schnupftuch. Eine leichte Nöte bededte ihre Wangen. Gie galt als die fchönfte Frau in der ganzen Stadt. Darum machte fie auch einen rührenden Eindrud, Noch lange nachher weinte man um fie, da die meiften Leute die feite Meinung hatten, daß fie un- ſchuldig fei.

Als fie aus der Ruftodie trat und die große Menfchenmenge erblidte, wandte fie fih feufzend an den Paſtor Müller mit den leifen Worten: „Ach, Herr Baftor, wat för veele Minfchen !“

Diefer erwiderte: „Sei getroft, mein Rind, du brauchſt fie nicht mehr zu fürchten!“

Mit fiherem Fuße fchritt fie vor. Der Nichtzug febte fich in Bewegung. Sie ging zwifchen den beiden Geijtlichen.

1910. XI. 14

219 Mannigfaltiges. o

Unter dem Rathaufe ftanden ihre Freundinnen, deren fie viele hatte. Sie ſchlug aber die Augen nicht zu ihnen auf.

Die Gerihtsherren Kühl, Herkules und Brandenburg faßen auf einer drei Stufen hohen Bant, mit rotem Tuch belegt, gegen den Eingang. Zwei Stufen hoch zur Rechten ſaß der Stadtvogt und die Geſchworenen, ſchwarz gekleidet. Zur Zinten ftand eine Stufe höher ein Tiſch mit einer roten Dede, hinter welchem der Gelretär faß. Dor dem Tiſche festen fich die beiden Geiftlihen nieder. Der Scharfrichter jtand hinter ihnen. Der Stadtvogt erhob fih dann und klagte die Flint an. Die ftand vor dem Tiſch, und der Sekretär richtete folgende Fragen an fie: „Nicht wahr, Ihr habt ein Rind umgebraht?“

„Mit Willen nicht.“

„Nicht wahr, das Rind ift in Eurem Bette erftidt?“

„30.“

Dann las er ihr das Urteil vor, daß fie enthauptet und auf der Richtjtätte follte begraben werden,

Eine feierlihe Stille herrſchte während diefes Vorgangs; man börte viel Weinen und Schluchzen.

Die Flint fhlug nun die Augen auf und blidte rubig umber. Ein tiefer Seufzer entwand ſich ihrer Bruſt.

Paſtor Müller rief ihr den Troſtſpruch zu: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, aber die Seele nicht mögen töten.“

Der ältejte Serichteherr, Ratsherr Kühl, mahnte den Scharfrichter, ſeine Sache gut zu machen.

Dieſer hatte den Lübecker Scharfrichter zu ſeinem Bei— ſtande berufen, welcher ſchon auf dem Scharfkirchhofe wartete. Doprthin begab fih nun auch durch Geitengafjen der Stral- finder. Dann begann der Hinrihtungszug: voraus die Nats- diener paarweife, dann vier Gerichtsdiener, dann die Arme— fünderin mit den beiden Geiftlihen. Hinterher folgte die Wache. Überall fab man aus den Fenftern; es wurde viel geweint. Am Zribfeer Tor hielt die Armeſünderkutſche. Die Geiftlihen feßten fih mit der Zlint hinein. An beiden Seiten gingen zwei Küfter, welche den von der Delinquentin felbft gewählten Geſang fangen, bis man den NRichtplaß erreichte.

0 Mannigfaltiges. 211 ee a ne Hier war eine ungeheure Menjchenmenge verfammelt, zum Seil aus weiter Ferne.

Zn einem Bericht des Paftors Müller heißt es jetzt wört- lih: „Wir gelangten mit großer Mühe zu dem angewiejenen Ort und gingen an ihrem Sarge und Grabe vorüber. Hier ſtand die Delinquentin einen Augenblid till und betrachtete beides mit Wehmut; auch breitete fie ihr weißes Schnupftuch im Garge aus, um damit das fehlende Laken zu erfegen. Der Scarfrichter trat uns entgegen, hieß die Delinquentin ftill- itehen und die Schuhe ausziehen. Dies tat fie fehr ruhig und gelaffen, Hierauf legte er ihr die Binde um die Augen. Schnell warf er dann den Mantel ab und nahm das Schwert, das ihm der Lübeder Scharfrichter reihte. Er richtete hierauf der Armefünderin das Rinn etwas in die Höhe und fagte ihr, es habe ſchon noch etwas Zeit. Aber da war auch ſchon der Kopf herunter; faum daß wir hatten zur Seite fpringen können. Der Hieb war jehr glüdlih; die Rraft war fo ftark, daß der Kopf aufgerichtet in gerader Linie über eine Elle entfernt ichwebte, ehe er mit dem Körper zugleich niederfiel. An dem Geſicht fah ich ein fchnelles Zuden. Das Gefiht behielt eine rötlihe Farbe. Der Scharfrichter löfte die Binde von den Augen, nahm den Ropf und ftellte ihn aufgerichtet vorn zwifchen ihren Füßen nieder, Man fah ein ftartes Zuden, der Mund öffnete fich und ſchloß fich als wie beim natürlihen Atemholen. Die Augen waren völlig gefchloffen, und endlih wurde das Gefiht ganz blaß und hörte zugleich die Bewegung auf,“

Der Leichnam ward in der GSterbelifte auf dem Richtplabe verſcharrt. Nach Ausfage einiger Vorftädter ſah man aber um Mitternacht eine Laterne auf der Grabjtätte und Menfchen beichäftigt, woraus zu ſchließen ift, daß der Sarg ausgegraben und die Hingerichtete an einem anderen Orte wieder begraben worden ift. C. T.

Neue Erfindungen: J. Reiſehängematte. Rei— ſen iſt eine Kunſt, und wer billig, bequem und ohne Ermüdung fein Siel erreichen will, der finnt darauf, wie er die Bejchwerden und Unannehmlidhkeiten des Neifens am beiten überwinden kann.

212 Mannigfaltiges. ®

Für eine bequeme Gibgelegenheit hat nun die Firma Theodor Sachſe & Cie, in Kattowit geforgt, duch die Her- itellung einer Reifehänge- matte, die einem alltäglich von vielen Taufenden emp- fundenen Bedürfnis nad Ruhe, Bequemlichkeit und Sauberfeit in zwedmäßigfter Weiſe vorzüglid entfpricht.

Aus unferen Abbildungen Fig. 1 bis 3 ift die Anwen- dung dieſer Reifefißgelegen- heit ohne weiteres erfichtlich. Die Matte beſteht aus einem ſehr kräftigen Stoffitreifen, der vermittels zweier Spiral- federn an der unteren Stange des in jedem Eifenbahn- abteil befindlihen Schirmnetzes aufgehängt und in dritter Wagenklaſſe mit zwei unter- balb des Sites angebrachten Klemmplatten in einer Rite der Bant befejtigt wird, wäh- rend die Matten für Die erite und zweite Klaſſe lofe über die Nüden- und Sitz- polſter hängen,

Die Armjtügen find ver- itellbar, nach allen Seiten be- weglih und gejtatten wäh— rend der Eifenbabnfahrt be- quem zu fehreiben, die Matte bietet dem Rüden einen J feſten Halt, ſo daß der Kör— per in eine bequeme ruhende Fig. 2. Lage verſetzt wird und die Bewegungen, das Schleudern und Stoßen der Wagen wirkungslos gemacht werden kann.

a Mannigfaltiges. 213:

Das Anbringen der Matte im Abteil macht nicht die ge— ringſten Schwierigkeiten, es iſt vielmehr im Handumdrehen geſchehen, und der Reiſende hat dadurch ſeinen Platz belegt. Im zuſammengefalteten Zuſtande nimmt die Matte, die knapp 800 Gramm wiegt, einen ſehr beſcheidenen Raum ein, ſo daß fie bequem in der Hand— taſche, im Ruckſack uſw. mit- geführt werden kann.

II. Moderner Brat— appatat für Gasbhei- zung. Der „Lucullus“ ist ein felbjtändiger, mit Gas zu beizender Bratapparat, der an jede Gasleitung an- geijchloffen werden kann und infolge feiner eigenartigen Konſtruktion ermöglicht, jede Art Fleiſch ohne Zutat von Butter oder Fett unter Er- | haltung des jo wertvollen Fleifchjaftes zu braten. Er beſteht aus einem auf vier Füßen rubenden Unterteil, in welchem ih eine Wafjerwanne befindet, die im Znnern des Appa- rates gefchloffen ift und nur von außen vermittels des Trichters gefüllt beziehungsweife entleert werden kann. Die Wanne ift in ihrem Oberteil nah der Mitte zu geneigt und an der tiefiten Stelle mit einem nah unten hindurch- führenden Rohr verfehen. Das jchmelzende Fett und der Saft, der aus dem Fleifchitüde tritt, fällt auf diefe Wanne, läuft nach der Mitte und durch das Abflugrohr in ein darunter- zujtellendes Gefäß.

Längs der Wanne befinden fich zu beiden Geiten die Gas- brenner, die von innen angezündet werden müſſen. Die Regulierung erfolgt durch außen angebrachte Hähne,

Das Gas verbrennt ohne Rüditände, fo dag die Speifen in feiner Weife beeinträchtigt werden. Snfolge der eigen- artigen Ronftruttion wird eine permanente Trockenhitze erzielt,

Fig. 3.

214 Mannigfaltiges. s|

wodurch die äußere Eiweißſchicht des Fleifches fofort gerinnt und die Poren gejchlojjen werden. Diejes ermöglicht, daß das Bratjtüd im eigenen Saft gar werden kann. Es treten aus dem Fleifh nur etwa 10 Prozent Saft aus, gegenüber 30 Brozent bei anderen Bratvorrichtungen. So ergeben zum

LÄULURALLLLLLLL UNNA

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Moderner Bratapparat fuͤr Gasheizung.

Beiſpiel 10 Pfund Kalbsbraten 9 Pfund fertigen Braten, in der Pfanne gebraten aber nur höchſtens 61, bis 7 Pfund, Der ausgetretene Fleifchjaft läuft in ein befonderes Gefäß. Diefer Saft gebt aljo nicht verloren, verfocht und verdampft nicht, jondern bildet eine ſehr brauchbare Flüffigkeit zur Be— reitung der Soße. Das auf dem Lucullusapparat hergeftellte Fleifchgericht ift infolge feines hoben Saftgehaltes und des Wegfalls jeder bejonderen Fettzutat ungemein verdaulich und

0 Mannigfaltiges, 215

von fehr hohem Nährwert. Es wird duch diefe Eigenfchaften zu einem für jedermann, insbejondere aber auch für Magen- leidende und Relonvalefzenten, befonders zu empfehlenden Beitandteil der KRrantentoft, da es alle diätetiihen Anforde- rungen erfüllt. Eine ausführlihe Beſchreibung diejes vor- trefflihen Apparates verfendet koftenfrei die Firma A. €. Baub, Berlin SW 19, Leipzigerjtraße 66.

Die bezahlte Schuld. Der beliebte Romponift Lortzing war bekanntlich fajt immer in Geldforgen. Oft langte es kaum zum täglihen Leben. Überall mußten Anleihen gemadt werden, und gar ſchwer fiel Meiſter Lorking das Wiedergeben.

In feiner Rapelle hatte Lorking auch einen Pauler, der fehr vermögend, aber ein richtiger Geizkragen war. Don diefem Mann hatte fich der arme Rapellmeijter einige Taler borgen müſſen, und es war ihm leider nicht möglich, das Geld zu dem verabredeten Termin zurüdzugeben. Der geizige Pauler drängte bei jeder Probe, Lorking aber mußte immer wieder um Nachſicht bitten. |

Schlieglich hatte er von feinem Mißgeſchick einigen Orcheiter- mitgliedern erzählt, und diefe befchloffen, die paar Taler zu ſammeln und den bartherzigen Pauker zu befriedigen.

Diefer hatte die Gewohnheit, wenn er bei einem Orcheiter- ſtück einige Minuten zu paufieren hatte, was öfters vortam, nad dem Theaterbüfett zu eilen und dort ein Glas Bier zu trinten. Kurz vor feinem Einſatz war er dann pünktlich wieder zur Stelle, um feine Pauken zu bedienen. Hierauf bauten die Ordeitermitglieder einen feinen Plan.

Lortzing hatte eines Tages die Probe zu einer Oper angefeßt, bei der die Pauke im Beginn des zweiten Altes eine lange Pauſe hatte. Richtig war der Pauker auch fofort verſchwunden. Da zählte ein ebenfalls vorübergehend unbejchäftigtes Orcheiter- mitglied die Schuld Lorgings in lauter Grojchenftüden forg- fältig geordnet auf beide Pauken auf und ging dann wieder an feinen Platz. Auch der Pauker erfcheint pünttlich vor feinem Einſatz an feinem Inſtrument, ergreift die Schlegel und wirbelt mit volliter Rraft feinen Einſatz ab. Doch wer befchreibt fein Entjegen, als mit lautem Gepraffel ein Hagel von Geldftüden

210 Mannigfaltiges. 0

im Orcheſter herumfliegt. Lortzing Hopft fofort ab, die Orcheiter- mitglieder lachen aus vollem Halje, und der habgierige Pauter muß ſich nun feine Groſchen aus allen Eden und Dielenrigen zuſammenſuchen.

Als Lortzing verwundert fragt, was das alles zu bedeuten habe, ſagte man ihm lachend: „Herr Kapellmeiſter, wir haben uns erlaubt, ZIhre Schuld bei unſerem Kollegen zu begleichen. Er zählt bereits nad, ob es auch ftimmt!“ AM,

Was man alles verſichern kann. „Heutzutage,“ fo äußerte fich der Direktor einer großen engliihen Verficherungs- anftalt, „darf man ohne Übertreibung behaupten, daß man fih gegen jede erdentlihe Möglichkeit des Lebens verfichern fann. ga, der Mann müßte fehr klug fein, der eine Gefahr erfinnen wollte, gegen die man fich durch Verſicherung nicht hüten könnte, wenn man nur die nötige Prämie zahlen will, Ziemlich bekannt ift es ja, daß große Virtuofen ihre Hände gegen allerlei Zufälle, die fie beſchädigen könnten, verfichert haben, Sänger haben ihre Stimme, Athleten ihre Glieder verjichert, und wohl keinen KRörperteil, der zum Erwerbe dient, gibt es, der nicht verfichert werden kann. Der Teekoſter braucht nicht mehr zu fürdten, die Empfindlichkeit feiner Zunge zu verlieren, und auch der Parfümkenner kann gegen die Folgen des Derluftes feines Geruchſinnes Vorkehrung treffen. Be— fonders ſchönes Frauenhaar wird verjichert, ebenfo die Zierde des Mannes, der Bart.

Es gibt Gefellihaften, die die DVerfiherung gegen den Derlujt der Sehkraft als Spezialität betreiben, ſo daß der Derficherte der Gefahr, zu erblinden, mit verhältnismäßiger Ruhe entgegenfehen kann. Läßt die Sehkraft des Derficherten nach, fo gewährt ihm die Gefellfchaft auch zeit feines Lebens freie Behandlung feiner kranten Augen, Sn gleiher Weife fann man auch gegen Rablheit und Verluſt der Zähne Für- jorge treffen. In Grimsby werden Fifchernege gegen Verluſt oder Beihädigung verjihert. Eine Gefellfchaft gibt es, Die ihre Zätigkeit auf die Verfiherung geſchliffener Gläfer und Porzellan bejchräntt, ja es erijtiert fogar eine Gefellfchaft, die den Wirten ihre Ronzefjionen garantiert.

0 Mannigfaltiges. 217

Aber nicht nur gegen die Gefahren, die der natürliche Lauf der Dinge mit fich bringt, gegen Derluft der Stellung, gegen VBerluſt eines Gliedes kann man fich verfichern, fondern bei Lloyds. in London kann man ſich gegen alle nur erdenklichen Möglichkeiten verjihern. Wenn jemand irrfinnig geworden ift, nachdem er fein Zejtament zu Ihren Gunften gemadt oder Ihnen ein großes Legat ausgefegt hat, jo können Gie fih dagegen verjichern, daß er wieder zu Vernunft kommt und feinen legten Willen zu Ihren Ungunften ändert. Haben Sie eine Erbſchaft unter der Bedingung gemadt, daß Gie eine gewiſſe Dame heiraten oder Ihre Religion wechfeln follen, fo fönnen Sie fih durch Zahlung einer vereinbarten Prämie verfihern, falls die Dame Sie nicht haben will oder. Sie ledig bleiben oder an Zhrer Religion fejthalten wollen.

Wollen Sie Zhr Srundftüd verlaufen, und die Beſitzurkunde it Ihnen abhanden gekommen, fo können Gie als Erſatz für diefe Urkunde eine Police nehmen, jo daß Sie von aller weiteren Verantwortlichkeit befreit find. Haben Sie als Wirt eines großen Gartenlofals Vorkehrungen für Ronzert und Feuer- werk getroffen, und fürchten Sie, daß ein Regen Shre fcehönen Ausfihten auf hohe Einnahmen zu Waffer machen wird, fo tönnen Sie auch diefe verfichern, fo daß Sie, foweit Ihr Geld- beutel in Betraht kommt, den fallenden Barometer mit lahendem Munde verfolgen können.

Sind Sie der Erbe eines unverheirateten Ontels, und haben Sie Angſt, daß er heiraten und Sie dadurch um Ihr Erbteil bringen könnte, dann können Gie fi gegen diefen unwill- tommenen Fall verfichern, fo daß Sie, Zhr Ontel mag heiraten oder nicht, um keinen Pfennig gefchädigt werden. Sind Gie mit einer jungen Dame verlobt, die eine große Mitgift hat, fo können Sie fih auch dagegen verfichern, daß fie Ihnen nicht noch in zwölfter Stunde einen Rorb gibt. Sind Sie der nächſte Derwandte jemandes, der noch nicht fein Teftament gemadt bat, jo mag es vielleicht für Sie ratfam fein, fich dagegen zu verfihern, daß er diejes Teſtament nicht zu Zhrem Nachteile mache.

Ein Apotheker kann ſich duch Derfiherung gegen die

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Folgen der Haftpflicht ſchützen, falls er ein falfches Medika— ment verabfolgt hat; ein Zahnarzt braucht feine Nächte nicht deswegen mehr fchlaflos zu verbringen, weil er vielleicht einen faljhen Zahn ftatt eines gefunden gezogen hat, und auch der Arzt braucht die Folgen einer falſchen Diagnofe nicht mehr zu fürchten, Mit der verhältnismäßig niederen Prämie kann man der Gefahr, Vater von Zwillingen zu werden, ruhig ins Auge fehen. Der Rapitalift, der zu feiner Bank kein Zu— trauen mehr bat, kann diefelbe gegen Zufammenbrud ver- ſichern.“ 3. C.

Kameradſchaftlich. Fürſt Bismarck trat im Zahre 1838 als Einjährig-Freiwilliger in das Potsdamer Gardejäger- bataillon ein und ließ fih nach einem halben Zahre zu den „zweiten Zägern“ nach Greifswalde verjegen, um dort nebenher Dorlefungen an der Landwirtfchaftlihen Schule in Eldena zu hören. Er war ein guter Ramerad. Pas bewies er einmal einem Manne, der fpäter als Gutsbefißer in Pommern lebte und der damals mit Bismard zufammen bei den Greifswalder Zägern diente.

Bismard ftand eines Tages beim Sektionsmarſchieren gerade im Gliede vor dem betreffenden Rameraden. Nun war es bei den Zägern Mode geworden, auch einmal von den damals zahllofen Störchen gelegentlih einen herunterzubolen. Dagegen erlaffene Verbote fruchteten wenig. So fchwebten, als die Zäger an jenem Tage nah Haufe marſchierten, über der Truppe wieder einige Störche, von denen urplötzlich der Hintermann Bismards einen mit der Rugel herunterholte. Die Offiziere gingen in ziemlih weiter Entfernung vor den Mannfchaften, hatten aber den Knall gehört, au) den Storch niederfallen fehen. Cs wird fofort „Halt!“ kommandiert, und der Hauptmann ftellt felbft Gewehrrevifion an. Zunächſt beim eriten Gliede, dann beim zweiten. Beim erjten wird nichts gefunden. Schon ſchwantt der Attentäter, ob er nicht frei- willig hervortreten und die Strafe auf fi nehmen folle, da raunt ihm aus dem erften Gliede fein Dordermann Bismard zu: „Aufgepaßt! Gewehr in den linten Arm wir taufchen die Bühfen!“ Und in demfelben Moment fliegt gefhidt die

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Büchfe Bismards feinem Hintermann zu und deſſen Büchje nah vorn. Keiner der revidierenden Offiziere hatte den geſchickt und bligfchnell ausgeführten Tauſch bemerkt, und der Fall mit dem Storhenfhuß blieb unaufgellärt. C. T. Moderne Küſtenbefeſtigungen. Um einer feindlichen Flotte die Benützung von Häfen und Reeden zu verwehren,

Panzerdrehturm fuͤr ſchwere Geſchuͤtze.

werden jetzt offene Strand- und Küſtenbatterien angelegt, die grundfägßlich mit ſchweren Gefchüßen, deren Heinjtes Raliber die 15-Zentimeter-Ranonen find, ausgerüftet werden. Port aber, wo ein enges Fahrwafjer mit geringfter Geſchützzahl und Beſatzung beberrfcht werden foll, fommen PBanzerwerte zur Verwendung.

Die auf Mauerbauten ruhenden Banzerungen find entweder Batteriepanzer oder Panzerdrehtürme. Die bombenficheren Hohlräume unterhalb der Drehtürme werden heute aus Beton bergeftellt, und die ganze Anlage wird fo tief im Erdboden angelegt, dag nur die Panzerturmfpige über demfelben ber- vorragt.

220 Mannigfaltiges. a

Um auftreffende Geſchoſſe abgleiten zu lafjen, ijt für die obere Panzerbedahung die gewölbte Form gewählt. Der innere PBanzerturm läßt fih durch mafchinelle Vorrihtungen nach allen Richtungen hin leicht drehen, jo daß ein allfeitiges Schußfeld gegeben it. Außer für fhwere Gefhüge werden neuerdings auch Panzerdrehtürme für Schnellladefanonen

Gepanzerter Unterfunftsraum.

angelegt, damit eine landende feindliche Abteilung mit Rlein- feuer überjchüttet werden kann. Um jederzeit eine größere Truppenzahl zur Derfügung zu haben, die aber gegen eine feindlihe Beſchießung gut geſchützt ift und nur gebraucht wird, wenn man zum offenen Angriff übergeht, werden fer- ner bisweilen unterirdijche gepanzerte Unterkunftsräume ge- Ihaffen, die etwas weiter im Gelände zurüdliegen.

Unjere Bilder zeigen einen Banzerdrebturm mit fchweren Gejhügen und einen gepanzerten Unterkunftsraum, wie fie von Belgien an der Mündung der Schelde angelegt worden find, Th. S.

Ein Luftreiter. Am 7. Zuli 1850 ritt der Ingenieur Pritevin vom Marsfelde von Paris aus in Gegenwart von

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über zweihunderttaufend Zufchauern im wahrjten Sinne des Mortes duch die Luft. Der Ballon, den er benüßte, war vierzig Meter hoch und ganz von Seide.

Als der Präfident der Republit um halb fechs Uhr mit feinem Gefolge auf dem Marsfelde erfhien, traf Pritevin eben feine le&ten DBorbereitungen. Pas Pferd, ein ftarter Pony, auf welhem Herr Pritevin wie auf einem zweiten Pegaſus den abenteuerlihen Luftritt machen wollte, wurde gefattelt und aufgezäumt herbeigeführt. Es mußte einen Rund- gang machen, um fi dem Publitum zu zeigen. Darauf wurde es vermittels eines Gurts aus dem ſtärkſten Segeltuchleinen, welches unter feinem Leibe in deffen ganzer Breite durd- gezogen war und nah oben in vier Striden auslief, unter dem Ballon befeitigt.

Herr Pritevin beftieg fodann mit Sporen und Reitgerte im eleganten Sodeiloftüm feinen Saul. Die Leute, die den Ballon an Striden hielten, ließen diefen auf ein gegebenes Zeichen los, und fofort erhoben ſich Roß und- Reiter unter einem nicht zu befchreibenden tojenden Beifall der Zuichauer- menge zu den Wolten empor. Im erjten Moment des Auf- fteigens fhlug das Pferd wildfhnaubend hinten und vorn aus, dann aber wurde es ganz ruhig und ließ die Beine wie gelähmt herabhängen. Fünf Minuten nad) der Abfahrt hatte der Ballon mit Roß und Reiter bereits die Region der Wolken erreicht, in welchen er vier- bis fünfmal den Augen der Zuſchauer ab- wechfelnd entfchwand und wieder fihtbar wurde. Dom ſtarken Weftwind getrieben, zog der Ballon auf Fontainebleau zu. Pferd und Reiter hatten empfindlid von der Kälte zu leiden,

Gegen fieben Ahr fhidte Pritevin fih an, feine Nieder- fahrt zu bewerfftelligen. Nach einer Stunde befand er ſich bereits der Erdoberflähe nahe genug, um die Anter auszu- werfen. Bei dem heftigen Winde wurde der Ballon aber immer wieder fortgetrieben, und das Pferd wurde fehr un- ruhig. Endlid gelang es Pritevin in der Nähe von Dillemain, den Zweig eines einzeljtehenden Baumes zu faffen. Dorf- bewohner, die ſchon mehrere Minuten dem Laufe des Balloııs

222 Mannigfaltiges. =)

gefolgt waren, fonnten die herabhängenden Stride ergreifen und daran den Ballon vollends herabziehen.

Gleih darauf ſetzten Roß und Reiter wohlbehalten ihre Reife auf feftem Boden fort, und um e Uhr famen fie wieder in Paris an. eg,

Ein Trunkenbold auf dem Hühnerhofe. Die folgende intereffante Beobachtung ift im vergangenen Sommer auf einem großen Hühnerhofe in Holjtein gemaht worden.

Eine Eleine braune Henne, die fih ſchon immer duch einen itart entwidelten mütterlihen Znftintt ausgezeichnet hatte, brütete unter einer Anzahl Enteneier auch ein Gänfeei aus. Das Ergebnis war ein Gänferih von ganz ungewöhnlicher Größe, Die Heine Henne war außerordentlich ſtolz auf ihn, und wenn fie ihre junge Brut jpazieren führte, jo ging fie faft nie mit den. Heinen, zarten Entlein, fondern immer neben ihrem Riefenfohne, zu dem fie mit förmlich verliebten Bliden emporſchaute. Dabei fah fie die übrigen Hennen mit ihren alltäglihen KRüchlein ganz geringfchägig an, jo daß ihr jeder anmerkte, fie tat fih wer weiß wie viel auf ihre eigenartige Brut mit dem Wunderfnaben darunter zugute,

Wie fehr fie le&teren bevorzugte, das konnte man Abend für Abend verfolgen, wenn fie ihre Rinder „zu Bett“ brachte. Sie war bei den kleinen Enten ſchnell genug beruhigt, daß fie ihre Ordnung hätten. Den Gänferid) aber nahm fie unter ihren befonders zärtlihen Schuß, indem fie ihm auf den Rüden hüpfte und ihre Flügel über ihn breitete, obgleich fie von feiner mächtigen Statur nur ein kleines Stüdchen bededten,

Da kam eines Tages ein Bejucher auf den übermütigen Einfall, dem Gänſerich Kuchenbröckchen zu reichen, die mit Wein geträntt waren. Er nahm fie begierig und wurde davon total betrunten. Als nicht lange nachher die Henne fam, um ihren Liebling zur Nuhe zu bringen, fah fie ihn fehr miß- billigend an, denn er bot in der Tat einen Häglichen Anblick dar. Schwantend trottete er neben ihr her, feine Flügel hingen fchlaff herab, er ftieß alberne Töne aus, die fih wie ein un- artituliertes Gadern anbörten, Ganz unverkennbar fchämte fie fich feiner. Sie brachte ihn nad) dem Scheunenwintel, wo

e) Mannigfaltiges.

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ide Neft geftanden und wo fie bis dahin mit ihrer Brut die

Nächte zugebraht hatte. Dann aber führte fie die Entchen.

nach dem allgemeinen Sühnerhaufe und ſchlief dort mit ihnen, wie wenn fie ihnen den AUnblid ihres mißratenen Bruders erfparen wollte, Don da ab widmete fie jih ausfchlieglich den Enten. Don dem Gänferihb nahm fie keine Notiz mehr. C. D.

Seltſame Geräuſche und Erſcheinungen. Es gibt Leute, die beſtändig erſchrecken, die ſofort die Geiſtesgegenwart ver- lieren, wenn etwas Neues oder Abſonderliches ihren Sinnen zu nahe tritt. Schuld daran iſt unſer nervenanſpannendes Zeben, fhuld ift auch der heute duch die Menjchheit gehende okkultiſtiſche, fpiritiftiihe Zug, der in jedem fremden Ton, jeder ungewöhnlichen Erfcheinung Äußerungen einer unfaß- baren, verborgenen und daher feindfeligen Kraft wittert. Gibt aber nicht die Entdedung des Radiums und des Heliums mit ihren rätfelhaften Eigenfchaften denen recht, die von jeher behaupteten, daß alle übernatürlihen Vorgänge fih eines Tages auf dem Wege des Erperimentes als ganz natürlich werden erklären lafjen?

Trotzdem ftedt nichts mehr an als Geifter- und Gefpenfter- furht. Sonſt herzhafte Leute, die ſich abends über Geifter- geſchichten unterhalten haben, find nicht zu bewegen, in finfterer Nacht, wenn der Sturm heult, auf den Dachboden zu fteigen, um dort ein Zenfter zu ſchließen. Und tun fie’s, dann jagt ihnen das Raffeln der Dachziegeln, das Ächzen einer vom Wind bewegten Bodentür heillofe Angjt ein. Richtig ift ja: Die Naht hat etwas Unheimliches, dem fih auch der Aufgellärte, Mutige nicht ganz entziehen kann, und Shalejpeares Wort, Daß es mehr Dinge zwifchen Himmel und Erde gebe, als unfere Schulweisheit fich träumen laffe, wird weiter Geltung behalten. Aber wer mit ein wenig Willenskraft und Raltblütigteit aus- gejtattet ijt, follte fih es nicht entgehen laffen, allem nachzu— jpüren, was „geſpenſtiſch“ ausfiebt, ſchon weil dabei ein ander Ding, das mit Geiftern fonft nichts zu tun bat, auf die Koſten tommt: der Humor!

Einige Beifpiele werden das bezeugen.

224 Mannigfaltiges, e) Der Reller eines Yaufes, in dem ich vor Jahren wohnte, itand in dem Gerud, es „gebe in ihm um“. Dienſtmädchen und Rinder waren abends nur fehwer hinunterzubringen. Brachte man fie dazu, dann fangen und pfiffen fie fih laut die Furcht von der Seele. Solche Angftlonzerte waren täglich abends zu hören. Hinten in dem Kellergange jtand ein auf zwei Böden rubender Holztifh, der zum Abſetzen diente,

An einem fhwülen Abend mußte Frau U. noch hinunter, um etwas zu holen. Nah fünf Minuten kam fie totenblaß und erjchöpft oben wieder an. Ihr war das Licht verlöfcht, und fo mußte fie im Finftern bis zu der ihr wohlbelannten Tür gehen. Plötzlich hatte fie im Keller einen bläulich fchim- mernden Ropf liegen fehen. Bewegt hatte er ſich aud.

Zhr Mann lachte fie aus. Aber das Verhalten feiner fonft refoluten Zrau gab ihm doch zu denken. Er nahm für alle Fälle eine Waffe zur Hand und ging hinab, um der Sache auf den Grund zu kommen, gleichfalls im Finjtern. Spwie er in den hinteren Gang fommt, erjhridt er. Tatſächlich dort leuchtete etwas! And wie er genau binfieht, entdedt er auch die Umriſſe eines Menfchentopfes, der ſich fcheinbar bewegt, denn bald iſt die eine, bald die andere Seite heller erleuchtet. Er fühlt, wie ihm ein unbehagliches Gefühl über die Rüdenhaut läuft, aber er faßt fih ein Herz, macht mit vorgeftredtem Arm einen Sprung nad der Erfcheinung bin, greift zu, als wolle er einen Löwen bei der Kehle faifen, und greift in etwas Kaltes, Naffes. Nun madt er Licht. Was war’s? Vier Pfund Kalbfleiſch!

Die Frau Nachbarin hatte den für ſich und ihre Kinder be— ſtimmten Sonntagsbraten dort einſtweilen abgeſetzt, weil ſie den Schlüſſel zum eigenen Keller, in dem ſie das Fleiſch über Nacht aufbewahren wollte, einzuſtecken vergaß. Die Leute liebten „Altſchlachtenes“, und das hatte in der Finſternis phosphoreſziert. Die aufeinanderliegenden Fleiſchſtücke gaben mit Hilfe der Phantaſie ein kopfähnliches Profil.

Ein anderer Fall. Herr B. ging ſtets gegen zwölf Uhr nachts zu Bett. Eines Nachts wird er durch ein dröhnendes Geräufb, das aus der Bettjtelle zu kommen fchien, aus dem

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Halbihlummer gewedt. Er zündet das Licht an, kriecht unter das Bett, unterfucht alles, findet aber nichts. Es wird vom Nahbarhaufe herübergefommen fein, dentt er und fchläaft wieder ein, Den näcjten Abend um diefelbe Zeit lag er noch munter. Plößlich wieder diefer dröhnende, klingende Ton aus dem Bett heraus. Diesmal hatte er fih nicht getäuscht, es war im Zimmer und beftimmt im Bett. Er hebt die Matrabe mit Anſtrengung auf, wendet jedes Stüd um, denn wer tann’s wiſſen, es konnte eine Ratte zwifchen den Spiral- federn haufen. Aber alles vergeblid. Sp ging’s mehrere Tage, und zuleßt ftieg Herr B. gar nicht mehr aus dem Bett, wenn diefes in der Geifterftunde lebendig wurde, Ah was, dachte er, es werden die Sprungfedern fein, die anfangen zu brummen. |

Einmal ging er etwas fpäter fchlafen. Und wie er im Begriff fteht, das Licht auszulöfchen, fieht er plößlich das Ge- wicht der am Fußende des Bettes hängenden kleinen Schwarz- wälderuhr einige kurze Pendelbewegungen machen, und gleich- zeitig hört er das ihm inzwifchen wohlbefannt gewordene melodiſche Geräufh. Endlich erwifcht! triumphiert er. Dann unterfucht er die Sache genau, und des Rätjels Löfung war ganz einfah. Beim Reinemachen war das Bett mehr nad) der Wand geſchoben worden, fo daß das niebergehende Ahr- gewicht auf die runde Rugel des Bettpfoftens fam. Port balancierte es ein Meines Weilchen, bis es abglitt. Ehe es zur Ruhe kam, fchlug es feine anderthalb Pfund Blei einige Male gehörig an den Bettpfoften, und die gejpannten Matragen- federn forgten ‚für eine entfprechende Verftärtung des Tones. Und auf einmal erinnerte fih Herr B. auch, daß die Uhr ftets vor Eintritt des Geräufches auffällig leife gegangen war. Auch die Erklärung dafür, daß der Spuk ftets zur beftimmten Zeit losging, fand er. Die Uhr wurde eben ftets zu derfelben Zeit aufgezogen. Mit dem Abrüden des Bettes von der Wand trat wieder Ruhe ein.

Ein weiteres Beifpiel. Nach einer anftrengenden Tour im Riefengebirge übernachtete ih mit meinem Wandergenojfen in einer Baude. Beſſer ein ſchlechtes Quartier als gar keins,

1910. XII. 15

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fagten wir uns, als man uns wegen Überfüllung des Haufes unter dem Dache verjtaute.

Wir lagen noch nicht lange, als mein Neifegefährte leife tief: „Hören Sie was?“

„Nein.“

„Aber pafjen Sie doch auf! Hier ftöhnt und fehreit doch jemand! Sekt, hören Sie! Grade als wenn jemand fterben müßte! Schon eine ganze Weile höre ich zu!“

„Ah was!“ fagte ih. „Horchen Sie nicht hin, machen Sie die Augen zu und Schlafen Sie!“

Eine Weile war Ruhe. Dann hörte icy’s ſelbſt ganz deutlich. Es war ein ganz furiofer Ton, Einmal Hang’s wie der tiefe Ton einer Maultrommel, dann Hang es wieder wie ein fehmerz- lihes Geftöhn, Wohlweislih fagte ih nichts. Aber mein Genoſſe ward unruhig.

„Hören GSie’s jetzt?“

„Zum Teufel ja! - Aber fchlafen Sie doch lieber! Es wird ein Kranker im Haufe fein. Was geht’s uns an! Sind Doch noch mehr Leute im Haufe, die fih drum kümmern können.“

„Herzlofer Menſch!“ |

„Meinetwegen!“ brummte ih und legte mich auf die andere Geite.

Plötzlich machte mein Genoſſe Licht, ging im Zimmer hin und ber, legte feine Ohren an alle Wände, während dazwiſchen ab und zu Das leife klagende Gewinjel erfchallte.

„Weiß Gott, bier ift’s unheimlich! Pas geht nicht mit techbten Dingen zu!“ murmelte er.

Da riß mir die Geduld. Ich ftandb auf, nahm ihm den Leuchter ab und begab mich felbft auf die Suche.

Auf dem Korridor hörte man nichts, folglich konnte es nur im Zimmer fe.bit fein. Wie ich neben dem Waſchgeſchirr die Mände ableuchte, höre ih auch richtig den Ton in meiner nächſten Nähe. Ein Blid abwärts und ich wußte alles.

Ich rief ihn ber.

„Wiſſen Sie, wer fich bier zu Tode quält?“

„Run?“

„Eine Fliege!“

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Er fah mich verblüfft an. Pann zeigte ich es ihm. Auf einem umgeſtürzten Blecheimer ftand ein Wafjerglas, auf deffen Boden eine feijte Fliege mit den Beinen feftllebte. Mahrjcheinlid war Zuderwajjer in dem Glafe gewefen, defjen eingedidter Reft der Fliege und damit unferer Nachtruhe zum Derderben wurde. Bei ihrem Rampf um die Freiheit machte fie das an den Fliegentüten oft zu beobachtende Ronzert, das, duch die Reſonanz des Blecheimers verftärkt, deutlich hörbar wurde,

Mein gefühlvoller Genoffe goß Waffer in das Glas, und die Fliege erfoff. Dann kroch er ftillihweigend ins Bett.

Abgefehen von den wirklichen Sinnestäufcehungen, die als ſchwere Krantheitsform ganz auszuſchalten find, gibt es auf Schritt und Tritt Auffälliges, das den nervöfen Menfchen aus - dem Gleichgewicht bringt, aber den kaltblütigen höchjtens reizt, die Natürlichkeit diefer Vorgänge nachzuweiſen. Wer bis fpät in die Nacht hinein arbeitet, gewöhnt ſich bald daran, daß zu einer bejtimmten Nadtjtunde Möbel, Bilder, Dielen und Ballen anfangen zu fniftern und zu krachen. Der Furchtſame erihridt; er denkt nicht daran, daß dieſe Geräufche mit dem Temperaturrüdgange im Zimmer zufammenbhängen.

Die viele Menſchen erfhreden nicht über ein fcehwaches Leuchten gewiſſer Gegenftände, wenn fie ganz dunkle Räume betreten. Diefes Leuchten rührt zumeift von nichts anderem ber als von Papier, das tagüber dem Sonnenlicht ausgefegt war und nun einen Zeil der empfangenen Strahlen im Dunkeln wieder abgibt. Photographen wiſſen ein Liedchen zu fingen von dieſer Eigenfchaft vieler Papiere, denn mande Platte wird unbrauchbar, weil der Fabritant den zwifchen die ein- zelnen Platten zu legenden Streifen von einem Papierftüd nahm, das dem hellen Licht ausgejegt war.

Ein Schelm, auf deffen Ronto manch Gefpenfterjtüdlein zu ſetzen ift, war von jeher die Akuſtik. Sie geht auch heute noch, troß fchöner theoretischer Berechnungen, ihre eigenen Wege, wie ſo mancher Ronzertfaal, mandes Theater und manche Kirche beweifen. Akuſtik fann man eben nicht einbauen wie einen Ofen. Sie hat an Spulerei und Gefpenijtelei ihren guten

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Anteil. Man darf’s doc keinem verdenten, wenn er über menfhlide Stimmen erfchridt, die feheinbar ganz aus der Nähe tommen. Er hört die Laute genau und weiß doch, daß unter, über und neben ihm niemand wohnt und daß zwifchen feinem und dem nädften bewohnten Haufe ein noch nicht bezogener Neubau liegt. Er wird fiherlid eher an Einbrecher als an die Inſaſſen des dritten Haufes denken, die, hundert gegen eins zu wetten, tatfädhlid die Urheber des Sputes fein werden. Die Akuftit liebt nämlich frumme Wege. Eine Reihe durch mehrere Gebäude gehende Zimmer können durch Deden- verkleidung und verfhiedene Dedenhöhen in ihrer Gefamt- anordnung der Form eines flah gefhwungenen Bogens nahe fommen, der den Schall bejonders gut leitet. Man bat diefe Tatſache früher in Gefängniffen zu benützen verftanden, indem man die Rerter in große Gewölbe verlegte, die in der Scheitel- mitte eine Trennungswand erhielten. Sn den einen der da- durch entftandenen zwei Räume wurden der Gefangene und ein Genoſſe gejtedt, in dem anderen befanden fich die Laufcher, die troß Der tzennenden Wand die Geſpräche genau hören konnten. C. M. F.

Raffaelſche Einige Jahre vor feinem Tode erhielt Raffael vom Papft Leo X. den Auftrag, eine Reihe Entwürfe aus dem Leben des Heilandes und der Apojtel zu zeichnen und nad diefen Entwürfen in der durch Wolltapeten- weberei berühmten Stadt Artas in Frankreich für den Vatikan fieben Tapeten weben zu laffen, deren Anfertigung er felbfi überwachen follte. Dieſe Wolltapeten hatten in jener Seit eine weite Derbreitung. Sie wurden nit Dit an den Wänden befejtigt, fondern hingen loje von der Dede herab, wie dies auch Shalejpeare in feinen Dramen mehrfach erwähnt. So läßt er den Zalftaff hinter der Tapete fchlafen, und Hamlet glaubt feinen Stiefvater hinter der Tapete zu hören, was betanntlid dem armen Bolonius das Leben koftete,

Raffael führte den Auftrag des Papſtes auch gewifjenhaft aus, und fo entftanden fieben farbenprächtige, reich mit Gold durchwirkte Tapeten. Glüdlih trafen fie in Rom ein. Aber inzwifjhen war nit nur Leo X., fondern auch Raffael

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gejtorben. So wurden Die fieben berrlihen Tapeten beifeite gelegt und bald ganz vergeffen. Erſt 1798 famen fie durch einen Zufall wieder zum Vorſchein. Doch die Zeit hatte die Farben- töne gebleicht, Motten hatten große Löcher in das dichte Gewebe gefreffen. Daher verkaufte man die Tapeten an einen Händler nach Livorno. Diefer, der fih von dem eingewirkten Golde blenden ließ, verbrannte fie, um das edle Metall zu gewinnen. Nur einzelne Stüde blieben davon übrig, die nad) mannigfachen Srrfahrten in die Hände eines Antiquitätenhändlers in Rom gelangten, der ihren hohen Wert erkannte und diefe Refte für Unfummen nad Amerita veräußert. Das fchönfte diefer koſtbaren Stüde erwarb im Jahre 1908 Danderbilt für die Kleinigkeit von fünfzigtaufend Dollar. Und dabei war diefer Sapetenrejt kaum ein Quadratmeter groß, zeigte allerdings in einer Ede den mit euberaden ausgenähten Namen _ Raffaels.

Ein Baumftall. Bei der Betrachtung unferes nflepenbeit Sildes kann leicht die Meinung entjtehen, daß es den Stumpf | einer jener Mammutfichten wiedergibt, die fich in einem 800 Kilometer langen Waldftreifen in Ralifornien an der Rüfte des Stillen Ozeans finden, außerdem noch auf der Sierra Ne- vada vortommen und eine Höhe von über. 100 Meter bei einem Alter von mehr als 1500 Jahren erreihen. Allein unfer Riefe, eine Buche, ftand in Auftralien im Staate Dittoria, |

Diefe Erflärung mag wohl eine gewiffe Derwunderung erregen, denn im allgemeinen ijt der Flora des auftralifchen Kontinents keine befonders üppige Entwidlung eigen. Pie vorherrfchenden Charatterpflanzen find niedrige Alazien, die die immergrünen Bufchbeftände, die „Scrubs“, bilden, dazu die dichtſtrauchigen Eukalyptusgewächſe, die durch ihre bis zu 4 Meter langen, aber recht dünnen Zriebe der Landſchaft ein eintöniges Gepräge verleihen, und fodann die Grasbäume, deren kurzer, dider Stamm eine Rofette fchilfartiger Blätter trägt, und die dadurch den Palmen ähneln.

In gewiffen Gebieten aber, die fih größerer Regenmengen erfreuen, treten auch Nadelhölzer und Buchen auf, die fi

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zu großen Wäldern zufammenfhließen. Namentlich ijt dies in den auftraliichen „Alpen“ der Fall. Wie kräftig die Buchen unter günftigen DVerhältniffen dort gedeihen, läßt unfer Bild fofort ertennen. Die Riefenbuche, deren Alter man auf gegen 1000 Jahre [häten kann, war zum Teil ausgehöhlt, fo daß der Hohlraum von den Farmern gelegentlih als Stall für ihre Pferde benügt wurde. Ein ungewöhnlich heftiger Sturm brachte dem Koloß den Tod, indem er ihn in etwa 5 Meter Höhe über dem Erdboden abbrah. Nun wurde der Stumpf duch ein Dach geſchützt und ein ftändiger Pferdeftall darin eingerichtet. 3.6.

Ein origineller Sammler. Einft lebte in Wien ein wahrlich origineller Sammler, ein liebenswürdiger ungarifcher Magnat, Graf Es., der „in Spazierjtöden machte“. Er bejaß 366 Stüd für jeden Tag des Jahres einen feparaten GStod, fogar das Schaltjahr war berüdjihtigt. Sie waren in einem befonderen Zimmer in zierlichen Schränten nah dem Datum aufgeftellt, um bei ihrer Benüßung ganz gemifjen- haft vorgehen zu können. Nun hatte der Graf aber unter feinen Stöden ein paar fogenannte Lieblingsftöde, „Fa- vorits“, um die es ihm leid tat, daß fie jo felten an die Reihe und „ins Freie“ kamen, und da gefchah es denn mitunter, daß, wenn fein Auge beim Umtaufch des „Zagesftodes“ auf einen der nach der Ordnung noch in weiter Entfernung jtehenden „Lieblingsſtöcke“ fiel, er ihm tröftend zurief: „Wart nur, es tommt ſchon auch an dich die Reihe, daB d’ mit’m Herrl ſpazieren gehen darfit! Nur brav warten, da gibt’s feine Bevorzugung! Schau die andern an, die müjjen auch warten, der 366er muß. gar vier Zahre Geduld haben, alſo geſcheit fein!“

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß aber gefagt werden, daß der Graf doch nicht ganz aufrichtig mit feinen Stöden war, denn er gab feinem Leibdiener zuweilen heim- lih den Wint, einen oder den anderen Stod, um den es ihm befonders zu tun war, „ohre Auffehen und ohne daß es die übrigen Stöde bemerften“, ins Freie zu führen. Das gefchah auch mit dem armen 566er oder „Schaltjahrjtod“, der fonft gar zu lange hätte warten müſſen. | C. T.

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Falſch aufgefaßt. Unter der Regierung des Fürften Günther von Schwarzburg-Sondershaujfen (F 1740) predigte eines Sonntags ein Randidat in der Schloßkirche. Er wollte wahrfcheinlich feine Probepredigt recht eigenartig beginnen und fängt mit ſchönem Pathos alfo an: „Wovon foll ih predigen? Was foll ih euch fagen?“

Da wurde der Fürjt, in der Meinung, der Randidat habe feine Predigt fchleht auswendig gelernt, zornig, erhob ſich von feinem Sitze und rief: „Herunter mit Euh! Das iſt nun viel zu jpät, wenn Zhr jet erft daran denken wollt, was Ihr predigen follt! Daran hättet Zhr hübſch denken follen, ehe Zhr die Ranzel beſtieget.“ W. K.

Der König der Friſeure, wie er ſich ſelbſt nannte, P. Trufitt in London, iſt vor kurzem auf ſeinem Landſitz geſtorben. Sein Geſchäft liegt an der vornehmen Bondſtreet, und alle Mit- glieder der feinen Welt fannten und fehäßten ihn, nicht nur die Herren, fondern auch die Damen, denn er war nie, ſelbſt nicht in den fchwierigjten Fällen, um einen Rat verlegen.

Natürlich rafierte und frifierte er nicht felbft, fondern überließ dies feinen Gebilfen. Nur wenn es fich um ein getröntes Haupt handelte, erfehien er perfönlich auf der Bildfläche. Der Rönig Alfons von Spanien, der Rönig von Portugal und viele andere Monarchen gehörten, fo oft fie in London weilten, zu feinen regelmäßigen Runden. Sonft bejchäftigte er ſich nur mit dem wiljenfchaftlihen Zeil feines Berufes, das heißt er ſtand mit Rat und Tat zu Dienften, wenn es ſich um die Löſung eines wichtigen Problems handelte. Für eine ſolche Ronfultation nahm er ein Pfund Sterling, und die Zahl der Runden, die während der Saifon feinen Rat einholten, foll eine fehr große gewefen fein und ihm bedeutende Summen gebracht haben,

Sein Einfluß in der vornehmen Gefellfchaft und damit in ganz England war fehr groß. Er rühmte fich unter anderem damit, daß er die Nachtmütze abgefchafft habe, denn er war der erjte, der nachzumeifen wagte, daß dieſe Ropfbededung für den Haarwuchs Shädlich iſt. Er behauptete, daß feitdem in England die Anzahl der Kahlköpfe erheblich zurüdgegangen ſei. M.

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Eiſenhaltige Nahrungsmittel. Während man früher eiſenhaltige Subſtanzen nur als Heilmittel gegen Blutarmut und Bleichſucht anwandte, hat die neuere Phyſiologie bewieſen, daß jedermann eine beſtändige Zufuhr von Eiſen für die normale Beſchaffenheit ſeines Blutes nötig hat, daß alſo das Eiſen ebenſogut zu unſeren Nahrungsmitteln gehört wie Eiweiß, Kohlenhydrate und Fette. Beträgt doch bei einem erwachſenen Menſchen die Ausſcheidung an Eiſen täglich mindeſtens zwanzig Milligramm. Außerdem wird es auch noch vielfach im Körper abgelagert, namentlich in Leber, Milz und Knochenmark, von wo dann in Zeiten der Not, zum Beiſpiel während einer längeren Krankheit, das Blut ſeinen Eiſenbedarf zu decken ſucht. Daher muß ſchon der geſunde ausgewachſene Menſch täglich eine verhältnismäßig beträcht- lihe Menge zu fih nehmen. Diefe muß aber noch bedeutend gefteigert werden bei Rindern und jungen Leuten, die im Wachstum begriffen find. Sehr widtig ift die Zufuhr von Eifen bejonders auch bei Retonvalefzenten, bei Säuglingen blutarmer Mütter, ftrofuldfen oder rahitiihen Rindern, Zeuten mit Blutverluften und bei Lungentranten.

Nun glaubte man früher, daß der Menfch mit der Nahrung feinem Rörper ſchon genügend Eifen zuführe. Dies ift aber nicht der Fall. Denn es geht von dem in der Nahrung ent- haltenen Eifen immer nur ein ganz Heiner Zeil in das Blut über, fo daß nach den neueften Berehnungen des Profefjors Robert der Menſch täglich mindeftens fünfzig Milligramm zu jih nehmen muß, um feinen Eifenbedarf hinreichend zu deden. Dieje beträchtliche Menge ift aber keineswegs in jeder beliebig zujammengejegten Nahrung vorhanden, fondern muß dur befondere Auswahl dem Rörper verjchafft werden.

Don den Pflanzen, das heißt von deren wafferfreier Sub- itanz, haben

100 Gramm weiße Bohnen 8,3 Gramm Eifen 100 F Erdbeeren 9 F 100 Linſen 9,5 : R 100 : Apfel 13,2 5 100 = Spinat 36 u PR

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Don den in Frage tommenden Flüſſigkeiten enthalten: 1 Liter Weißwein 1,4 Milligramm Eifen 1 Rotwein 2,3 5 3; 1 Apfelwein 20,6 er

Don den tieriihen Gebilden kommen als ftärter eifenhaltig nur vier in Betracht, nämlich Milch, Eier, Leber und Blut. Die Mil hat übrigens nicht fo viel Eifen, als man gewöhnlich glaubt in taufend Gramm nur drei bis ſechs Milligramm. Zur Dedung des Eifenbedarfes eines bleihjüchtigen Patienten genügt aljo die Milch nicht. Als ein in diefer Beziehung fehr wertvolles Nahrungsmittel glaubte man den Eidotter anjehen zu müffen, da ja das fih bildende Hühnchen feinen ganzen Bedarf hieraus allein bezieht. Dies ift auch ganz richtig, aber die Eifenverbindung des Eidotters gelangt beim Genuß nur jelten zur vollen Aufnahme in das Blut, weil fie durch Schwefel- wafferjtoff, welder fih im Darmkanal meift in erheblichen Mengen vorfindet, fehr leicht zerſetzt wird.

Diel günftiger verhält es fich bei den aus der Leber bereiteten Gerichten, Es wurde ſchon erwähnt, daß fich das Eifen in einigen Organen, namentlich in der Leber, ablagert. Natürlich ift dies nicht nur beim Menfchen, fondern aud bei den Tieren der Fall. Diefes Lebereifen nun, von Profefjor Doktor Zaleski „Hepatin“ benannt, geht bei der Verdauung zum weitaus größten Zeile in unferen Rörper über. Daher find alle Arten von Leberfpeifen für Blutarme, Bleihjühtige, Retonvalefzenten und fo weiter ſehr zu empfehlen.

Bei weiten am günftigften aber, jowohl was die Menge als die Reforbierbarteit betrifft, fteht es mit den Eifenverbin- dungen des Blutes. Hiermit find ſchon von jeher mehr oder weniger erfolgreihe Verſuche bei Bleihfühtigen gemacht worden. Man hat fie Blut trinten oder rohes blutiges Fleisch effen laffen. Eine ſolche „Raubtierkur“ dürfte aber nicht nad jedermanns Gejchmad fein. Deshalb find mehr zu emp- fehlen die bluthaltigen Speifen, wie Blutfuppe, Blutwurjt und Bluttuhen, welche man in den Oftfeeproninzen „Palten“ nennt, und welche, mit Grüße bereitet, als große Delitatefje betrachtet werden.

n Mannigfaltiges. 235

Während heutzutage die Blut- oder Rotwurſt ein allgemein beliebtes Nahrungsmittel ift, hat fie früher zu den aufregendften Szenen Anlaß gegeben. Der morgenländifhe Raifer Leo IV, (886— 911) ſah fih fogar veranlagt, - folgende Verordnung zu erlaffen: „Wir haben in Erfahrung gebracht, daß die Menfchen fo toll geworden find, teils des Gewinnes, teils der Lederei willen, Blut in eßbare Speifen zu verwandeln, Es ift uns zu Ohren getommen, daß man Blut, in Eingeweide wie in Nöde eingepadt, als ein gewöhnliches Geriht dem Magen zufhidt. Wir können dies nicht länger dulden und nicht zugeben, daß die Ehre unferes Staates durch eine fo frevel- hafte Erfindung bloß aus Schlemmerei freßluftiger Menfchen gefhändet werde. Wer Blut zu Speifen umfhafft, er mag nun dergleichen kaufen oder verkaufen, der werde hart gegeißelt und zum Zeichen der Ehrlofigkeit bis auf die Haut gefchoren. Auch die Obrigteiten der betreffenden Städte find wir nicht gefonnen, frei ausgehen zu laffen, denn hätten fie ihr Amt mit mehr Wachſamkeit geführt, jo hätte eine folhe Untat nicht be- gangen werden können. Sie follen ihre Nachläſſigkeit mit zehn Pfund Goldes büßen.“

Nun, heutzutage dürfen wir alle, Blutarme und Blutreiche, ungeftraft Blutwurft ejfen. Dabei wird aber häufig ein großer Fehler dadurch begangen, daß man fie zu ſtark räuchert, wobei die Eifenverbindung unter Einwirkung der Nauchfubftanzen zu Steinharten Rlumpen verklebt, welche völlig unverändert und unverdaut wieder abgehen.

In England und Amerika, wo die Blutwurft nicht diefelbe Beliebtheit genießt, deren fie fih in Deutjchland erfreut, hat man aus Blut die verfchiedenften „Patentmedizinen“ nad meift geheim gehaltenen Methoden hergeftellt. Bei uns aber wird jtets Blutwurjt, ebenfo Leber, Spinat und Apfelwein zu den erfolgreichften Mitteln für Aufbefferung und Eifen- bereiherung des Blutes gehören.

Auf die überaus zahlreichen künftlich hergeftellten Eifen- präparate in Verbindung mit Nahrungs- und Genußmitteln wollen wir nicht näher eingehen, denn dabei fpielt die gejchäft- lihe Reklame oft eine große Rolle, Ob einzelnen diefer Prä-

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parate wirklich ein heilträftiger Wert innewohnt, darüber be- frage man jedesmal vor dem Eintaufe den Arzt. Dr. T.

Ein neues Reitkoſtüm für Damen. Die heutige Reitart der Damen und das dabei gebrauchte Reitkoſtüm find ver- hältnismäßig jungen Datums. Zwar ritten ſchon die Damen des Mittelalters auf kurzen Spazierritten nach der gegen- wärtigen Art und in einem Rleide, das weit über die Füße binabhing, bei langen Reifen aber, die zu Pferde zurüdgelegt wurden, und vielfach auch bei den Hebjagden ritten die Frauen zumeift nach Männerart, Das Kleid fiel dabei rechts und links bis auf die Füße herab, und der Sattel trug hinten für das bequemere Siten eine höhere Lehre. Oftmals ſaß auch hinter der Dame noch ein Mann auf, der fie bei gefährlicheren Wegſtellen feithielt.

Diefes Reiten der Damen nah Männerart erhielt ſich in Deutichland vereinzelt noch bis zum Anfang des neungzehnten Zahrhunderts. Beiſpielsweiſe iſt die Kaiſerin Augufta, die Gemahlin Wilhelms J., in ihrer Zugend gelegentlich noch auf diefe Weiſe geritten. Aber wie ſchon angedeutet, war dies eine Ausnahme.

Als in der zweiten Hälfte des achtzehnten Zahrhunderts der engliihe Setter, das engliihe Dollblutpferd und der englifhe blaue Neitfra® mit vergoldeten Rnöpfen in Auf- nahme tamen, wurden auch die Reitweife der englifchen Damen, eben die jegt übliche, und das heutige Reittoftüm Mode. Da es nicht zu leugnen ift, daß der Sib auf dem Damenfattel niht bejonders bequem ift, ebenfowenig das dazu nötige Koſtüm, fobald die Reiterin abgeftiegen ift, jo macht ſich jegt in England, wo bekanntlich die Damen häufig an den über Heden und Gräben gehenden Zuchsjagden teilnehmen und überhaupt waghaljige Reiterinnen find, eine Bewegung gel- tend, die für das Reiten nah Männerart eintritt und zugleich ein entiprechendes Reitkoſtüm empfiehlt.

Im Londoner Hydepark haben fich kürzlich verfchiedentlich Damen, die nah Männerart ritten, in dem neuen Roftüm gezeigt. Es bejteht, wie aus unferer Abbildung zu erfehen.ift, aus Pumphofen und hohen KReititiefeln, während den Ober-

a | Mannigfaltiges, 237

körper ein weites Jakett mit langen Schößen umſſchließt. Dazu wird ein niedriger, weicher Filzhut mit breiten Rrempen

Phot.: Worlds Graphie er Das neue Neitkoftim für Damen.

getragen. Das Roftüm ift Heidfam und wahrt durchaus den weib- lihen Charakter, was befonders deutlich dann hervortritt, wenn jih die Reiterin zu Fuß durch die Straßen bewegt. Th. ©,

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238 Mannigfaltiges. )

Der eigenjinnige Liszt. Der Afrikareifende Gerhard Rohlfs hatte im Fahre 1870 den Großherzog von Weimar und Franz Liszt zu Tiſch geladen. Nach einem in zwanglofer Unterhaltung verbrahten Mahle kam der Großherzog auch auf Mufit zu ſprechen. Liszt war in muſikaliſchen Dingen äußert peinlih. Er hatte ein jehr gerechtes, aber auch ebenfo ſcharfes Urteil über feine Runft und ließ keine andere Meinung gelten. Nun hatte der Großherzog kürzlih zum erften Male den Diolinvirtuofen Sarafate gehört und war von deifen künſtleriſchem Spiel entzüdt. Liszt war ganz entgegengefegter Meinung. |

Der Großherzog rief darauf dem Künftler zu: „Ich ver- fihere Ihnen aber, lieber Meifter, dag Saraſate ganz wunder- voll gefpielt hat! So fehr ich auch Ihr mufilalifches Urteil ſchätze, ſo kann es mich doch nicht.in meiner Anficht umftimmen.“

Da Stand Liszt von feinem Platze auf und fagte: „Rönigliche Hoheit müffen ſchon verzeihen, daß ich in mufilalifchen Dingen mehr zu verjtehen glaube. Königliche Hoheit find ein guter Re- gent, und ich bin ein guter Muſiker. Wenn ich daher fage, der Sarafate ijt fein Künſtler, fo hat’s Damit auch feine Richtigkeit !“

Der Großherzog lächelte nur und entgegnete: „Sie mögen ja vielleicht recht haben, lieber Meifter, aber gefpielt hat der Saraſate troßdem ganz herrlich!“ A. M.

Die Tragkraft des Haares. Die Elaſtizität und Wider- itandsfähigteit des menſchlichen Haares war den Völkern des Altertums gut betannt und wurde: von ihnen auch praftifch verwertet. Sp wurden aus Geflechten von Frauenhaaren die Stränge zu den Ratapulten, jenen großen Schleuder- und Belagerungsmaſchinen, hergeftellt, die in der ganzen Kriegs- gefhichte des Altertums eine fo große Rolle fpielen. Die vor- nehmjten Damen gaben ihren Haarfhmud zu dieſem Zwecke ber.

Wie weit die Trag- und Widerftandstraft des menfchlichen Haares überhaupt geht, haben neuerdings Anterfuhungen franzöſiſcher Statiftiter ergeben. Danach vermag ein einzelnes Frauenhaar von mittlerer Stärke eine Laſt von nicht weniger als 173 Stamm zu tragen, ohne zu reißen. Nimmt man nun an, daß der menfchlihe Ropf durchſchnittlich wenigſtens dreißig-

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taufend Haare befißt, fo ergibt fich als Rejultat, dat die Haare einer Frau eine Tragkraft von etwa fünftaufend Rilo haben, Die Tragkraft wird aber dadurch noch erhöht, dag das Haar gedreht und gewunden wird. O. v. B.

König Eduard als Klubmitglied. Es find jetzt gerade vierzig Jahre verfloffen, feit der damalige Prinz von Wales, der jüngjt verftorbene König Eduard VII. von England, die Anregung zur Gründung des vornehmiten Londoner Rlubs, des Marlborvugh-Rlub, gab, um einen neutralen Ort zu haben, wo er fi mit feinen Freunden treffen fonnte. Don den damaligen Mitgliedern leben nur noch zwei: der Herzog von Fife und Lord Fargurbar. Ohne dab die Statuten es vorfchrieben, wurden in den Rlub nur folhe Perſonen auf- genommen, die der Rönig dort zu fehen wünfchte. Aber fonft verlieh König Eduard dem Rlub kein befonderes Gepräge.

Der Rönig verbrachte, wenn er in London weilte, täglich einige Stunden im Rlub, doch ohne daß man fich feinetwegen befondere Befchräntungen auferlegte. Er kam unangemeldet im Automobil oder zu Zuß, ließ fih im Veſtibül von dem Klubdiener feine Sahen abnehmen und betrat dann wie jeder andere mit einem kurzen Gruß an die Anwefenden die Rlub- räume. Niemand ließ fih in feiner Beichäftigung ftören. Meijtens begab er fi) geradeswegs zu feinem Lieblingsplaß, einem Lehnſtuhl am Ramin im Nauchzimmer. Hier pflegte die Unterhaltung gleich lebhaft zu werden. Der Rönig erzählte felbit jehr gut und anregend und hörte gerne zu, wenn andere erzählten. Hin und wieder fpielte er auch. WMeiftens aber wurden Anekdoten erzählt, und fo mander gute Wiß, der die Runde durch ganz Europa madte, ift in jener bebaglichen Ede am Ramin im Marlborough-Rlub entjtanden. B. M.

Das Tönndjen. Profeffor B., ein bekannter Rechts- gelehrter, der einſt an der Univerfität zu Heidelberg wirkte, mußte wegen feiner Wohlbeleibtheit manchen Ulf der über- mütigen Studenten über fi ergehen laffen.

Eines Tages, als er das Ratbeder beitieg, ertönte aus der Menge feiner Hörer der Ruf: „Tönnchen!“

Mit liebenswürdigjtem Lächeln fagte der Profeffor: „Ich

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weiß, meine Herren, daß ich bei Zhnen den Spißnamen ‚Zönn- hen‘ führe. Aber zwifchen mir und einer Zonne befteht denn doch ein erheblicher Unterfchied.“

Alles lachte, und ein paar Dorlaute riefen: „Obo!“

„Ich will’s Zhnen jagen, wenn Sie es nit wilfen,“ fuhr, der Brofeffor fort. „Eine Tonne ift von Reifen umgeben, ih aber von Unreifen!“ W. G. Sch.

Die Sprechſtunde der Geiſter. Nach „Fauſts dreifachem Höllenzwang“ können die Geiſter nur in folgenden Nachtſtunden mit Erfolg zitiert werden: Dienstag und Donnerstag von zehn bis zwei Uhr, Freitag von zehn bis drei Uhr, Sonnabend von zehn bis zwölf Uhr, Montag von elf bis drei Uhr und Mittwoch von zwölf bis drei Uhr. Sonntags ſind die Geiſter überhaupt nicht zu ſprechen. Die Vorbedingung des Erſcheinens der Geiſter iſt aber, daß auf die betreffenden Tage Neumond fällt. Mz.

Ein guter Rat. Als Prinz Alerander von Battenberg, der fpätere Fürſt von Bulgarien, noch als Offizier bei der Garde in Berlin jtand, erfreute er ſich allgemeiner Beliebtheit wegen feines trodenen Humors, Eines Tages Hagte ihm ein Ramerad, der junge Graf B., dag er Schulden gemadt habe und fich nun nicht getraue, feinem Dater darüber zu berichten, weil diefer in folhen Angelegenheiten feinen Spaß verftebe.

„Nun, er wird ſchon noch einmal ein Auge zudrüden,“ meinte der Prinz.

„3b glaube nicht, daß er das tun wird.“

„Mein beiter B., da will ih Zhnen einen guten Rat geben, Die Sade iſt fehr einfah. Wenn Sie nächſte Woche Urlaub nehmen und nad Haufe fommen, begleiten Sie Ihren Dater einmal auf die Zagd. Sobald dann ein Stüd Wild zum Schuß ſteht, fhütten Sie fehnell Zhrem Vater Ihr Herz aus, und zwar in dem Moment, wo er angelegt hat und losdrüden will.“

„And warum gerade dann?“ forſchte Graf P. verdußt.

„Weil Zhr Herr Vater dann unzweifelhaft ein Auge zudrüden wird!“ W. 6. Sch.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Theodor Freund in Stuttgart, in Oſterreich-Ungarn verantwortli Dr. Eruft Berle3 in Wien.

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Eine Anleitung zur Handfertigkeit für Baftler.

Don Eberhard Schnetzier. Mit A09 Abbildungen. Praktiſch gebunden M. 5.—

„Die Art im Haus erfpart den Zimmermann.“ Welch großer Vorzug es ift, nicht nur die Arbeit des Handwerkers richtig beurteilen, ſon— dern wo eg nottut auch ſelbſt zugreifen zu können, leuchtet ohne weiteres ein. Die Anleitung hierzu gibt das vorliegende Bud. Es madt mit der Handhabung aller wichtigen Werkzeuge befannt und zeigt, wie und was man fich alles jelbjt machen kann. Wie jchlage ich einen Nagel richtig ein? Wie jchleife ich ein Mefjer, das zum Schneiden von Papier oder Bappe beitimmt

ift, oder mit dem ich Kork oder Gummi jchneiden will? Wie biege ich ein Brett rund? Wie poliert man? Auf ſolche und viele andere Fragen des täglichen Lebeng gibt das Buch ebenjo Auskunft, wie es Anleitung zu allen möglichen Herftellungsarbeiten enthält, 3. B. Anlage einer Azetylengas- beleuchtung, Einrichtung eleftriiher Schwachſtromanlagen für Treppen und Gangbeleuhtung ujw. Ein praftiiches Hausbuch für jedermann, das namentlich auch der Jugend, die ich gern mit der Selbitheritelung und Reparatur häuslicher Gegenftände befaßt, ſchätzbare Winfe gibt.

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Neue Romane Deliebier Wuloren,

* Roman von-W. Heimburg. Geheftet M. 3.—, Der Stärkere. elegant gebunden M. 4.—

Es ift ein großes, ernftes Problem, das in diefem Roman behandelt wird: die Stellung der Witwe und Mutter ihrem einzigen Kinde gegenüber. Diefer eigenwillige Knabe fteht ihrer großen Liebe zu dem Nachfolger ihres verftorbenen Mannes jo ſchroff in Wege, daß fie ſchließlich entſagen muß. Das ift in kurzen Worten der Inhalt einer höchſt fefjeinden, zum Nachdenken anregenden Geſchichte, die weit über bloße Unterhaltungslettüre Hinausragt und mander Leferin in ähnlicher Lage Troft und Nuten bringen dürfte.

Generalanzeiger, Balte.

Llber fteinige Wege. Yoman von W- Helmbure. 3, Anfinne.

: : Roman von TB. Heimburg. Wie auch wir vergeben. 5. Autiage. Gebehter WS, cie-

gant gebunden M.4.—

Der große Kreis von Yreunden ihrer liebensmürdigen Erzählerkunſt bemweift, wie glücklich W. Heimburg immer ihre Aufgaben löſt. Das zeigt aud) ihr Roman „Wie auch wir vergeben”, in dem uns die Verfafferin das Befteihrer Art gibt: die gemütvolle Auffaffung modernen Lebens. Die Woche.

Roman von E. Werner. Geheftet M. 3.—, elegant ge: Siegwart. zunden M4-

Die beliebte Berfafferin hat fih in diefem Noman die Aufgabe ge: ftellt, die Gegenſätze zwiſchen rüdfichtslofen: Amerilanertum einerjeitd, den Traditionen altpreußifchen Adeld und der Tüchtigleit des Genies, daB fi ohne Preisgebung feiner Ideale durchſetzt, anderfeitS zu beleuchten, un daß ift ihr auch recht gut gelungen. Voſſiſche Zeitung, Verlin.

N Roman von Georg Hartwig. Gebeftet Der blaue Diamant. M.4—, elegant gebunden M.5.—

. Ein Geſellſchaftsroman, in deffen Mittelpunft die liebensmwürdige Ge— ftalt eines jungen Mädchens fteht bie in den Verdacht gerät, einen koſtbaren Diamanten entwendet zu haben. Wie die junge Renate Mildner gerade durch dieſes Mißgefhid ihrem Glüd in die Arme geflihrt wird, daß bildet den Inhalt des Romans, der namentlich jüngeren Lejerinnen gefallen wird.

Doffiiche Zeitung, Berlin. -

FR Aoman von Hedwig Erlin (Hedwig Gräfin Die Erite Beite. von Platen zu Hallermund). Geheftet M. 3.60,

elegant gebunden M. 4.60.

Der Roman ift fefjelnd und fpannend geichrieben und glüdlich durch»

eführt. Die drei Hauptperfonen find gut gezeichnet, trefflich bejfonders „Die Erfte Beſte“ felbft, deren Art und Wejen den Leſer ſympathiſch berührt. Ein Roman, der vielen Freude bereiten wird. Staatsanzeiger, Stuttgart.

umoriftifder Roman von Wilhelm Poeck. Turmichwalben. Gevenet M.3.—, elegant gebunden M. 4.— Ein fröhlides Bud, diefe „Turmſchwalben“. Gut zu lefen für Tuftige und für ernfte Yeute. Für Iuftige, weil e8 zu ihrer Stimmun

paßt. Und für ernfte, weil fe darüber ihren Ernit einmal vergeffen un zum Laden, zur Heiterkeit geführt werden. Bamburger Gorrefpondent.

. : : Roman von H. von Hippel. ; Sei jo wie ich. Geheftet M. 4&.—, elegant gebunden M.5.—

Ein ungewöhnlich fejjfelnd geſchriebenes Bud. Dean kann Biefen Roman als dag Hohelied ber Liebe und der heldenhaften

EntIEDunae Eeunineeit bezeichnen. Ein Buch von bedeutender pfyhologijder Tiefe. Möniggberger WXilgemeine Zeitung.

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