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Princeton University.

Drescnteh br Charles Williston Т Аут, Class af '88.

Biochemische Zeitschrift.

Beiträge zur chemischen Physiologie und Pathologie. `

Herausgegeben von F. Hofmeister-Straßburg i. Els., ©, von Noorden-Frankfurt a. M., E. Salkowski-Berlin, A. von Wassermann-Berlin, N. Zuntz-Berlin unter Mitwirkung von И, Ascell- Catania, L. Asher- Bern, G. Berirand-Paris, A, Bickel- Berlin, F., Blumenthal- Berlin, A. Bonanni- Rom, F. Bottazzi-Neapel, ©. Bredig-Karlsruhei. B., A,Durig-Wien, F. Ehrlich- Breslau, И, v. Euler-Stockholm, J. Feigl-Hamburg, 8, Fiexner-NewYork, 3, Forssman-Lund, 8. Fränkel-Wien, Е. Freund-Wien, Н. Freundlich-Berlin-Dahlem, Е. Friedberger-Greifswald, Е. Friedmann- Berlin, ©. v. Fürth-Wien, G. Galeotti-Neapel, F. Haber- Berlin-Dahlem, Н. J. Ham- burger - Groningen, Р. Hári- Budapest, A. Нейќег- Berlin, У, Henri - Paris, V. Henriques- Kopenhagen, W. Heubner-Göttingen, R. Höber-Kiel, M. Jacoby-Berlin, A. Koch-Göttingen, М. Kumagawa-Tokio, Е. Landolf-Buenos Aires, L, Langstein-Berlin, Р. A. Levene-New York, L. v. Liebermann-Budapest, 3. Loeb-New York, A. Loewy-Berlin, A. Magnus-Levy-Berlin, 3. A. Mandel- New York, L. Marchlewski-Krakau, P. Mayer-Karlsbad,J. М 'isenheimer-Greifswald, L. Michaells- Berlin, Н, Molisch -Wien, 3. Morgenroth - Berlin, Е. Münzer- Prag, W. Nernst- Berlin, W. Ostwald - Leipzig, W. Palladin - St. Petersburg, W. Pauli-Wien, К, Picifier- Breslau, E. P. Pick -Wien, 3. Pohi - Breslau, Ch. Porcher- Lyon, Е. Roehmann - Breslau, Р. Ror a- Berlin, 8. Salaskin - St. Petersburg, N. Sieber - St. Petersburg, М. Siegfried - Leipzig, 8. P. L. Sörensen- Kopenhagen, K.Spire-Straßburg, E.H.Starling- London, J. Stoklasa- Prag, W, Straub- Freiburgi. B., A.Stutzer-Königsberg i. Pr., Н. v. Tappelner-Müncifen, H. Thoms- Berlin, А. 3. 3. Vandevelde- Gent, 0. Warburg-Berlin, W. Wiechowski-Prag, A. Wohl-Danzig, 3, Wohlgemuth-Berlin.

Redigiert von C. Neuberg-Berlin.

Vierundneunzigster Band.

Berlin.

Verlag von Julius Springer. 1919.

(RECAP) ЯДЕ, (EI (1414) du „ба.

Druck von Oscar Brandstetter in Leipzig.

Inhaltsverzeichnis.

Seite Herzfeld, Е. und R. Klinger. Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. Die Muskelcontraction.. . . . . ee id Baur, Emil. Notiz zur Theorie des Muskelmotors ........ 44 Friedenthal, Hans. Absolute und relative Desinfektionskraft von Ele- menten und chemischen Уегїпдипреп........... . 4 Bokorny, Th. Bindung des Formaldehyds durch Enzyme. . . . . 69 Bokorny, Th. Weitere Beiträge zur organischen Ernährung der grünen Pflanzen mit Ausblicken auf die Praxis. ..... 78 Feigl, Joh. Beiträge zur Kenntnis des Nichtproteinstickstoffs да menschlichen Blutes. Materialien zur allgemeinen chemischen Pathologie des Gesamtgebietes . . . . . аа бае G e wx 84 Hamburger, H. J. und 6. L. Alons. Das Retentionsvermögen der Nieren für Glucose. Kann in der Durchströmungsflüssigkeit das

Ca durch Sr, Ba oder Mg vertreten werden? . . . . . * . . . 129 Hamburger, Н. J. und В. Brinkman. Hyperglucämie und бїабовшне.

Die Toleranz der Nieren für Glucose ............ 131 Koch, Alfred und Alice Oelsner. Über die Betainspaltung durch die

Bakterien des Melasseschlempedüngers „Guanol* ....... 139 Gonnermann, M. Die quantitative Ausscheidung der Kieselsäure durch

den menschlichen Ham. . . . ea . 168

Boenheim, Felix. Die Oberflächenspannung ‘des Mageninhalts, sowie ihre Veränderung bei natürlichen und künstlichen Verdauungs-

versuchen..." oii ab ae te . 174 Boruttau, H. Über die biologische Wertigkeit der Stickstoffsubstan- zen des Leims und einiger Knochenpräparate und Extrakte . . 194

Balkowski, Е. Bemerkungen zu der Arbeit von Hans Aron „Über den Nährwert“ in dieser Zeitschrift Bd. 92 S. 211 . . .. . . 205 Wohlgemuth, J. Über neue Theorien der Diastasebildung und Diastase- at TT е o i E e E ЖО Е Л 50.0218 Michaelis, Leonor und Peter Rona. саар der Theorie des iso- elektrischen Punktes. Die Konkurrenz der anderen Ionen mit den H - und OH’-Ionen bei der Fällung des denaturierten Albu-

mine: Zei Akte a ea A . 225 Rona, Peter und Leonor Michaelis. Über Adsorption v von 1 Elektrolyten durch Kohle. .. .. 2. 2... а лата ле, ing en uer аа" АЙ

Ес Уға 161920 433200

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IV

` Wolff, Werner. Über die Ambardsche Harnstoffkonstante . . . . . 261 Freund, Julius. Über den Einfluß der Temperatur auf Cytozym- (ТһгошЬоКЕупазе-;1бвипдевп.................. 268 Griesbach, W. und G. Samson. Beitrag zur Frage der Wirkungsweise des Atophans auf den Purinstoffwechsel ........... 277 Feigl, Joh. Über das Vorkommen von Phosphaten im menschlichen Blutserum. VIII. Weiteres über die Systematik der P-Verteilung, mit besonderer Berücksichtigung der bisher als P in proteinarti- ger Bindung geführten Fraktion...» : 22 2 22000. 293 Feigl, Joh. Über das Vorkommen von Phosphaten im menschlichen Blute. IX. Zur Frage der Methodik, der Verteilung des Phos- ‚phors und der Beziehungen beider mit besonderer Berücksich-

tigung der Verhältnisse in normalen Erythrocyten . . ... . 304 Jastrowitz, H. Über die biologische Wirkung des Thoriums . . . . 313 Bang, Ivarf. Die diabetische Lipoidämie ............ 359

Autorenverzeichnis .............. ua 5100157809

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie.

VII. Die Muskelcontraetion.

Von 2 E. Herzfeld und R. Klinger.

(Aus dem chemischen Laboratorium der medizinischen Klinik und aus dem Hygiene-Institut der Universität Zürich.)

(Eingegangen am 25. November 1918.) Mit 3 Figuren im Text.

Bevor wir an das Problem der Muskeltätigkeit selbst her- ‚antreten, müssen wir auch hier, ähnlich wie wir dies bei den Untersuchungen über ’die Immunkörperbildung, die Zellpermea- bilität und ähnliche Fragen getan haben, zunächst eine sichere physikalisch-chemische Basis erwerben, von der aus sich klare Vorstellungen über das Wesen dieses und verwandter bio- logischer Vorgänge ergeben werden. Im Anhang sollen dann noch einige andere Fragen der Muskelchemie und Muskel- physiologie kurz besprochen werden.

Es handelt sich zuerst darum, eine anschauliche Vorstellung über das Wesen der Elastizität und der bei der Verlänge- rung oder Verkürzung gewisser elastischer Körper stattfindender Vorgänge zu gewinnen. Es kann natürlich nicht davon die Rede sein, alle elastischen Erscheinungen auf dasselbe Grund- gesetz zurückzuführen; denn unter diesen Begriff fallen zweifel- los verschiedenartige Vorgänge. Es scheint uns aber, als ob die Physiker in der Regel zu sehr geneigt wären, die Elasti- zität einfach als eine gegebene Eigenschaft gewisser Stoffe auf- zufassen, und daß man zu schnell darauf verzichtet, der inneren Ursache dieser Eigenschaft auf den Grund zu kommen. Wir

möchten uns hier bloß auf den Hinweis beschränken, daß feste Biochemische Zeitschrift Band 94. 1

2 E. Herzfeld и. В. Klinger:

Körper im allgemeinen um so weicher und unelastischer zu sein pflegen, je reiner sie sind, während alle deutlich elastischen Körper Gemische (oder Verbindungen) von Stoffen darstellen, wobei gewisse optimale Mengenverhältnisse und Verteilungs- arten von Bedeutung sind [z. В. die verschiedenen Mischungen (oder Verbindungen) von Eisen und Kohle und die damit ge- gebenen bald mehr, bald weniger elastischen Körper]. Wir sind der Ansicht, daß hier die jeweils vorhandene Elastizität nicht einfach als eine „Eigenschaft“ betrachtet werden sollte, die man feststellt und mit der man sich abfinden muß, sondern daß die- selbe ein physikalisch-chemisches Problem ist; dem man um so mehr nachgehen sollte, als wir es durch Abänderung der Dar- stellungsweise in der Hand haben, diese Eigenschaft weitgehend experimentell zu modifizieren. Es dürfte sich wahrscheinlich hierbei ergeben, daß die Elastizität vieler fester Stoffe durch einen bestimmten, physikalisch-chemischen Zustand bedingt ist, der bei geeigneter Kombination verschiedener Elemente erreicht wird, bei anderen Mischungsverhältnissen dagegen nicht oder nur teilweise sich einstellt. In einem festen Körper liegen die Teilchen, durch ihre gegenseitige Anziehung aneinander gehalten, enge beisammen. Eine äußere Gewalt, z. B. eine Zugwirkung, entfernt sie voneinander und führt, sobald hierbei die Größe ihrer Anziehungssphären überschrittten wird, zum Riß oder Bruch. Wird aber ein zweiter Stoff B zwischen den ersten A ein- gelagert, der zu demselben zwar gewisse Affinitäten besitzen muß, aber sich nicht eigentlich zu einem neuen Körper mit ihm ver- bindet, so besitzen diese eingelagerten Teilchen dank diesem Umstand eine gewisse Verschieblichkeit und dienen deshalb als eine Art Gleitmaterial, welches einen zu raschen Bruch ver- hindert. Die A-Teilchen können jetzt weiter auseinander gebracht werden und bleiben dennoch in ihrem Anziehungsbereich, weil die B-Teilchen zwischen ihnen eine Art von Anziehungsbrücke (Zwischenglieder) bilden. So dürften sich viele Tatsachen der Metall- urgie erklären. Wir verweisen noch auf ein anderes, chemisch sehr differentes Beispiel, auf das bekannte Verhalten von Weiden- ruten, die vollkommen trocken sehr spröde sind, nach Liegen im Wasser aber äußerst biegsam und elastisch werden. Indem sich die Wassermoleküle zwischen und in die Zellwände ein- lagern, umgeben sie die einzelnen Zelluloseteilchen mit Sphären,

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 3

die in der oben beschriebenen Weise einer zu raschen Trennung derselben vorbeugen').

Bei den meisten organischen und für die Biologie wich- tigen elastischen Körpern ist dagegen die Elastizität auf eine ganz andere Weise bedingt, die wir im folgenden näher unter- suchen müssen. Wir gehen hier von einem ebenfalls sehr be- kannten Beispiel, der schon in unserer Mitteilung V näher stu- dierten Gelatine aus. Wir haben gezeigt, daß jedes Gelatine- teilchen aus einer kugeligen Masse von hoch molekularen (mit Ca-Salzen verbunden) Polypeptiden besteht, die sich mit Wasser schon in der Kälte zum Teil verbinden; dadurch entsteht an der Oberfläche jedes Teilchens eine Zone von halbflüssiger Be- schaffenheit (die bekannte „Quellung“ der Gelatine). Die durch Wasseraufnahme gequollenen Gelatineteilchen möchten wir uns schematisch wie in Fig. a vorstellen, wobei das dunkler ge- haltene Innere den noch weniger gequollenen, festen Kern jedes Teilchens vorstellt. (Im warmen Wasser gehen die einzelnen Albumosen und peptonartigen Körper, die das Teilchen auf- bauen, vollständig in Lösung, die Wasserbindung ergreift auch den inneren Teil und führt die ganze Masse in molekulare Verteilung über.)

Fig. 1. a) Gequollene Gelatineteilchen. b) Dieselben bei Zug in der Pfeilrichtung.

Diese Teilchen sind, sich selbst überlassen, kugelig, weil die Sphären von Abbauprodukten 4 Wasser sich wie eine Flüssigkeit verhalten und sich daher auf eine möglichst kleine Oberfläche zusammenziehen. Sie hängen mit ihren Mänteln

1) Eine ähnliche Rolle kommt den Flüssigkeiten in plastischen Massen zu, z. B. bei Ton in Wasser. Hier fehlt aber notwendigerweise Elastizität, weil die einzelnen Teilchen des festen Stoffes nicht unter- einander zusammenhängen und daher durch die eingelagerte Flüssigkeit viel zu verschieblich (halb flüssig) werden. Unter besonderen Umständen können übrigens auch plastische Stoffe eine gewisse Elastizität aufweisen (Brotteig). \

1*

4 E. Herzfeld u. R. Klinger:

unter relativ großer Viscosität aneinander und bilden so die (je nach dem Wassergehalt) feste bis halbfeste (gallertartige) Gelatine. Setzen wir nun ein Stück einer solchen, mäßig wasser- haltigen Gallerte einem Zugin zwei entgegengesetzten Richtungen aus, so gelingt es, eine beträchtliche Verlängerung (unter gleich- zeitiger Verschmälerung) zu erzielen, die nach Aufhören des Zuges sich wieder ausgleicht. Es muß angenommen werden, daß die einzelnen Teilchen durch die Gewalteinwirkung in der unter b abgebildeten Weise aus der Kugel- in die Eiform über- geführt werden, indem der Mantel an den Seiten der Kerne dünn gezogen wird und sich in der Zugsrichtung als Polkappen anhäuft. Hierbei wird eine ungleiche Verteilung der Massen erreicht. Die Ausdehnung kann daher nur gegen die „Flüssig- keitsspannung“ des Mantels erfolgen, und die dadurch aufge- speicherte Energie muß, sobald die Kraft nachläßt, die Mantel- masse wieder zu gleichmäßiger Verteilung, d. h. in die Kugel- form, zurückführen. Gestützt wird diese Annahme noch durch das bekannte Auftreten von Doppelbrechung in derart gezoge- ner Gelatine, die ebenfalls auf eine Deformation der Teilchen hinweist.

Wir sehen somit, daß ein fester und an sich nicht elastischer Körper, wie es wasserfreie Gelatine ist, dadurch zu einem elastischen werden kann, daß mit Hilfe des in geeigneter Menge aufgenommenen Wassers die be- schriebenen, deformierbaren und unter einer gewissen Spannung („Flüssigkeitsspannung“) stehenden Mantel- schichten auftreten. Diese Spannung ist es, die wir für diese Art von Elastizität verantwortlich machen müssen, sie empfinden wir als die Gegenwirkung, die der Körper seiner Deformation entgegensetzt, und sie führt ihn wieder in seine frühere Form zurück.

Dieser Begriff einer Flüssigkeitsspannung hat mit der viel untersuchten „Oberflächenspannung“ nichts Wesent- liches gemeinsam; wir sind der Ansicht, daß bei dem vorliegen- den und bei einigen ähnlichen Vorgängen keineswegs ein bloßes Oberflächenphänomen vorliegt, das in unserem Beispiel bei der Gelatine nur auf die Oberfläche der wasserbindenden Mantel- zonen beschränkt wäre; es ist vielmehr die Beschaffenheit der ganzen Mantelsphäre, soweit sie durch Wasseraufnahme die

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 5

Eigenschaft einer Flüssigkeit erhalten hat, also in allen ihren Schichten, das Entscheidende. Der Begriff der „Oberflächen- spannung“, so wie er gegenwärtig in den Lehrbüchern der theoretischen Chemie dargestellt wird, scheint uns noch unge- nügend abgeklärt, so daß wir ihn hier mit Absicht vermeiden und durch den für die folgenden Ausführungen zutreffenderen Ausdruck „Flüssigkeitsspannung“ ersetzen möchten!). Wir ver- stehen darunter das Bestreben aller flüssigen oder halbflüssigen Massen, die Kugelform anzunehmen, wenn sie äußeren Kraftein- - wirkungen nicht unterworfen sind. Ursache derselben ist die gegenseitige Anziehung der Teilchen, die sich zwar frei durch- einander bewegen, im Gegensatz zu Gasen aber noch durch die Anziehungskraft ihrer Masse aneinander gehalten sind. Ist die Verteilung der Masse nicht nach jeder Richtung hin eine gleich- mäßige, so sind hierdurch Kräfte gegeben, die zum Ausgleich der bestehenden Unterschiede drängen müssen. Eine z. B. in Ei- form gebrachte Flüssigkeit wird daher der Kugel zustreben. Wichtig für das Zustandekommen solcher Erscheinungen in der Gelatine ist die flüssige Beschaffenheit der Mantelzonen, die aber andererseits nicht einen zu hohen Grad erreichen darf, weil sonst der Zusammenhang aufgehoben würde (Flüssigwerden der Gelatine). Am günstigsten für die elastische Beschaffenheit der Gelatine ist vielmehr eine gewisse zähflüssige Konsistenz der Mantelzonen, wie sie nach geringfügiger Wasseraufnahme durch die Abbauprodukte der Mantelsphäre (Quellung) ge- geben ist?). ?

1) Wir beabsichtigen, auf eine Kritik dieser Vorstellungen in einer bald erscheinenden Mitteilung an anderer Stelle näher einzugehen; wir beabsichtigen daselbst die Frage zu diskutieren, ob die Annahme einer besonderen Oberflächenenergie und aller daraus abgeleiteten Schluß- folgerungen gerechtfertigt und notwendig ist.

2) Auf derselben Kraft beruht die Erscheinung, daß ein 2. B. lang- gestreckter Krystall beim Schmelzen sich zu einer kugeligen Flüssigkeits- masse zusammenzieht (vorausgesetzt, daß er daran nicht durch andere Kräfte gehindert wird, wie Adsorption; ein schmelzender Eiskrystall wird dieses Phänomen daher nur auf einer paraffinierten, nicht benetzbaren Glasfläche oder besser frei schwebend in Luft geben). Hier ist das Be- weglicherwerden der Moleküle durch die vermehrte Energie, nicht ge- steigerte Wasserbindung die Ursache des Sichtbarwerdens der Flüssig- keitsspannung.

6 E. Herzfeld и. В. Klinger:

Analog dem gewählten Beispiel sind auch manche andere elastische Stoffe tierischer oder pflanzlicher Herkunft gebaut. Der bekannteste Vertreter derselben ist der Kautschuk, der ebenfalls in vollständig reinem Zustande spröde ist und erst durch Lösen in einem geeigneten Lösungsmittel und Zugabe gewisser Füllmassen (Vulkanisieren) seine so hohe Elastizität erhält. Hierbei werden die unlöslichen Teilchen der Füllmasse mit der zähflüssigen Verbindung des Kautschuks -+ Lösungs- mittel umgeben; diese bildet die mit einer gewissen Flüssigkeitsspannung begabten Mantelzonen, die bei Zug oder Druck deformiert werden und so Quelle elastischer Kräfte werden können. Verdampft allmählich das (natürlich chemisch gebundene) Lösungsmittel, so werden diese Zonen starr und daher die ganze Masse immer weniger elastisch. Der rohe, vom Baum gewonnene Kautschuk ist schon etwas elastisch, weil hier neben Kautschuk Harze um Eiweißteilchen und andere Verunreinigungen die zähflüssigen Mäntel bilden. (Über Einfluß der Wärme auf die Elasti- zität von Kautschuk s. u. S. 11 Fußnote.)

Die Struktur der Gelatineteilchen, wie wir sie in den ab- gebildeten Schemen dargestellt haben, ist zwar hypothetisch, man dürfte uns aber bei Berücksichtigung des bekannten Ver- haltens dieses Stoffes zugeben, daß diese Vorstellungen sehr große Wahrscheinlichkeit besitzen). Dieselben Vorstellungen sind nun aber für das folgende von grundlegender Bedeutung. Wir heben deshalb aus dem Gesagten nochmals hervor, daß Teilchen, die von Eiweißabbauprodukten (oder allge- meiner von. gewissen wasserbindenden Stoffen) zu- sammen mit Wasser in Form von Mantelzonen um- geben sind, eine mit dem jeweiligen Quellungszustand (Wassergehalt) dieser Zonen wechselnde, aber sehr aus- gesprochene Flüssigkeitsspannung besitzen, derzu- folge sie nach Aufhören einer deformierenden Kraft- einwirkung in die Kugelgestalt zurückkehren.

Unter gewissen Umständen können wir derartige elastische Systeme so verändern, daß sie für eine beliebige Zeit sozusagen fixiert werden, d. h. daß keine Formveränderung stattfindet, obwohl in dem Stoff durch eine Krafteinwirkung elastische Energie gespeichert wurde. Wenn man z. B. gequollene, elasti- sche Gelatinegallerte durch ein angehängtes Gewicht in die Länge zieht und sie nun in diesem Zustande an der Luft trocknet, so erhält man ein Stück fester Gelatine, die zwar noch ein wenig Wasser enthält und daher (ähnlich wie viele

1) 8. auch unsere Mitteilung: Zur Chemie der Eiweißkörper, 78, 349.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 7

feste, nicht homogene Stoffe) eine gewisse Elastizität aufweist 1), die eben noch besgssene, leichte und doch! elastische Deformier- barkeit aber verloren hat. Auch wenn wir diese Gelatine durch Entfernung des Zuggewichtes entlasten, erfolgt keine Verkürzung mehr; obwohl alle Teilchen in die Länge gezogen sind, können sie wegen der durch die Wasserentziehung eingetretenen Starr- heit der Mantelzonen ihre Form nicht mehr verändern. Schneidet man aus solcher Gelatine ein viereckiges Stück heraus und legt daneben ein gleich großes Stück aus einer der gewöhnlichen, käuflichen Gelatinetafeln, so zeigen sie, in Wasser gebracht, ein ganz verschiedenes Verhalten. Das gewöhnliche Stück dehnt sich beim Quellen allseitig aus, das gedehnt getrocknete ver- kürzt sich rasch um ein Bedeutendes und geht dafür um so mehr in die Breite. Es nimmt eben jetzt, wo das Wasser den Teilchen wieder die für die Entfaltung ihrer Spannungskräfte nötige Konsistenz verleiht, die ihm ursprünglich (vor der Deh- nung) eigene Gestalt wieder an.

Dieser bekannte, von Bütschli angegebene Versuch zeigt, daß die gedehnt getrocknete Gelatine sich in einem Zustand latenter Elastizität befindet. Einen solchen können wir nicht einfach dadurch hervorrufen, daß wir trockene Gelatine eine Zeitlang ziehen; denn hier haben die Teilchen nur die an ihren Oberflächen angetrockneten Abbauprodukte. Wir müssen viel- mehr erst die Mantelhüllen schaffen, was durch Quellung der Gelatine erfolgt; jetzt ist dieselbe imstande, durch Zug zu elasti- schen Leistungen befähigt zu werden.

Wir wenden uns nun zum Studium eines zweiten Phäno- mens, dessen Analogien zur Muskelcontraction bereits weit auf- fälliger sind, weshalb dasselbe vielfach zum Studium der Muskel- gesetze herangezogen wurde. Es sind dies die an Binde- gewebsfasern erzielbaren Verkürzungen, die namentlich von Engelmann als Objekt seiner bekannten Untersuchungen über die Muskelcontraction benützt wurden. Während dieser

1) Eben die zuerst besprochene, auf eine gewisse Verschieblichkeit der Teilchen zurückgeführte Art von Elastizität, die ganz anders als die- jenige der gequollenen Gelatine bedingt ist. Ganz wasserfreie Gelatine ist dagegen spröde und brüchig.

8 E. Herzfeld u. R. Klinger:

Autor hauptsächlich mit Darmsaiten oder Sehnen arbeitete, haben wir Bindegewebsmembranen benützt, wie sie von der Darmserosa des Rindes leicht in großen Lamellen erhalten werden!). Derartige Membranen lassen sich, mit Nadeln auf einem Brett ausgespannt, schnell trocknen und liefern eine papierartige, aber durchscheinende und sehr feste Haut, die viel rascher und ausgesprochener auf gewisse Einwirkungen hin mit einer Verkürzung antwortet, als die relativ dicken Darm- saiten. Wir stellen nun in Übereinstimmung und Ergänzung der von Engelmann mitgeteilten Versuche an diesen Binde- gewebselementen folgendes fest:

In Wasser gebracht, wird die etwas knittrige Membran weich und schmiegsam, sie läßt sich leicht etwas ausziehen und geht elastisch in ihre frühere Länge zurück. Eine eigentliche Quellung findet im Wasser nicht statt. Werfen wir ein Stück derselben in kochendes Wasser, so schnurrt sie momentan in jeder Richtung?) zusammen, rollt sich auf und wird dabei gleichzeitig deutlich dicker und opaker. Ein z. B. vorher 5><8 cm messendes Stück mißt jetzt 3 >< 4 cm, die Dicke steigt von са. 0,015 auf 0,04 љт. Das Gewicht nimmt dabei relativ wenig zu, das vorher und nach dem Erhitzen zwischen Filterpapier leicht getrocknete Membranstück wiegt z. B. 0,12 resp. 0,15 g; die Gewichtszunahme be- trägt somit ungefähr 2021, Durch Ziehen kann man es nach dem Ab- kühlen wieder ausdehnen, worauf es im heißen Wasser sofort wieder zu- sammengeht.

Genauer lassen sich diese Längenveränderungen beobachten, wenn man einen Streifen der Membran zwischen zwei Klammern ausspannt und die Verkürzung etwas vergrößert auf ein Kymographion überträgt.

1) Diese Membranen können auch gegerbt werden und dann trocken oder in Wasser (mit etwas Antisepticum) aufbewahrt werden. Die trockenen Häute verlieren leider mit der Zeit ihre Empfindlichkeit gegen Säuren zum großen Teil, weniger diejenige gegen heißes Wasser. Auch in 70°/,igem Alkohol lassen sie sich gut konservieren, in 10°/,iger NaCl-Lösung wird native Haut für Hitze und Säurewirkung zunächst infolge Quellung viel empfindlicher, allmählich aber durch zu weit gehende Quellung un- empfindlich. Da es uns sehr wünschenswert scheint, daß die für jede Theorie der Muskelcontraction so wichtigen Versuche Engelmanns von möglichst vielen Forschern selbst nachgemacht würden, senden wir auf Verlangen Probestücke solcher Membranen (die auch für Dialysierzwecke sehr geeignet sind) zu.

2) Stärker allerdings in der Hauptfaserrichtung, die bei der Darm- serosa der Ringmuskulatur parallel ist; dies muß bei Versuchen mit solchen Membranen berücksichtigt werden, damit größere Ausschläge: erzielt werden.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 9

Zur Spannung wird еіп kleines Gewicht am Hebel angebracht. Mit dieser Versuchsanordnung läßt sich leicht feststellen: Bei einer ersten Er- hitzung in Wasser beginnt die Zusammenziehung erst bei 72 bis 75°, nimmt rasch zu (bei 80 bis 85° meist schon fast vollständig); bei stär- kerer Belastung tritt sie erst später ein, bei zu großem Gegengewicht bleibt sie aus, die Membran wird beim Erhitzen sogar etwas länger. Beim Abkühlen geht sie allmählich zurück, und zwar nicht spontan, sondern bloß durch den Zug des Gewichtes. Die frühere Länge wird nicht mehr erreicht. Eine neuerliche Erhitzung hat im Gegensatz zur ersten schon einen Effekt bei 40 bis 45°, doch ist die Verkürzung zuerst nur gering, wird erst bei 65° stärker (gleiche Beobachtungen siehe bei Engelmann). Wird die Erhitzung in einem wasserarmen Medium (10 bis 25°/, NaCl, Glycerin) vorgenommen, so erfolgt die Zusammen- ziehung der Membran erst bei höheren Temperaturen (in 20°/, NaCl, in konzentriertem Glycerin z. B. erst über 80°), sie kommt aber noch zu- stande. Nur in einem wirklich wasserfreien Milieu (absoluter bis 969/,ірег Alkohol, vorher in Alkohol entwässerte Membran) bleibt sie aus (sie- dender Alkohol 75°), obwohl dieselbe Membran hinterher in Wasser gebracht und erhitzt bei dieser Temperatur schon, wie oben geschildert, reagiert.

In Säuren, z. В. 3- bis 5°/,iger Milchsäure, ziehen sich die Binde- gewebsfasern eines vorher getrockneten und in Wasser wieder aufge- weichten Membranstückes innerhalb weniger Sekunden zusammen, ein natives (ungetrocknetes Stück) retrahiert sich noch schneller, fast ebenso momentan, wie wenn es in kochendes Wasser gehalten wird. Aus der Säure in Wasser gebracht, geht die Verkürzung (passiv) zu- rück, meist wird die mäßig gezogene Membran nach längerem Aus- wässern etwas länger wie vorher. Auch dieser Vorgang kann mit dem- selben Stück mehrmals wiederholt werden; auch nach vorheriger Hitze- contraction sind die Fasern, wenn auch etwas weniger deutlich, säure- empfindlich. Wird die Säure, ohne entfernt zu werden, neutralisiert, so geht die Verkürzung sogleich zurück. Ein Überschuß von Alkali führt dagegen neuerliche Contraction herbei. Milchsaure Salze sind somit un- wirksam, ebenso die andern Salze, selbst alkalische oder saure Salze (NaH,PO,) sind nicht deutlich aktiv. Dasselbe gilt für JK sowie Bhodan- salze. Dagegen sind alle nicht zu schwachen Säuren und Alkalien wirk- sam. Auf weitere Einzelheiten (Vergleich verschiedener Säuren, Antago- nismus der Salze usw.) hier einzugehen, verbietet uns der Raummangel. Einzelnes wird weiter unten noch nachgetragen werden.

Zusammenfassend 1856 sich somit sagen, daß Binde- gewebsfibrillen auf Erhitzen in Wasser sowie Ein- bringen in Säure- oder Alkalilösungen mit einer schnellen und beträchtlichen Verkürzung reagieren, die nach Beseitigung des ursächlichen Momentes mehr oder weniger, aber nur passiv durch Dehnung, wieder

10 E. Herzfeld u. В. Klinger:

ausgeglichen werden kann. Zur Erklärung dieser Vorgänge möchten wir annehmen, daß die die Membran zusammen- setzenden Eiweißteilchen in den Längsrichtungen der Fasern aneinander gelagerte, ultramikroskopische Teilchen sind, die aus einem mehr oder weniger kugeligen Kern aus festem Ei- weiß bestehen, „der eiförmig von einer relativ ‚großen Menge von Abbauprodukten eingehüllt ist (s. Fig. 2, a). / Die Teilchen

Fig. a Fibrilleneiweißteilchen bei ruhendem und contrahiertem Zustand des Muskels.

sind somit in der gewöhnlichen Bindegewebsfaser in die Länge gezogen, was sich auch hier durch einachsige Doppelbrechung verrät und vermutlich auf Zugwirkungen zurückzuführen ist, ‚denen die Teilchen während oder bald nach ihrer Entstehung ausgesetzt waren. Wenn wir die Faser in kaltes Wasser ein- legen, so ändert sich an derselben nichts, da wir es hier im Gegensatz zur Gelatine mit Abbauprodukten zu tun haben, die in kaltem Wasser keine stärkere Wasserbindung aufweisen. Beim Erhitzen oder nach Säurezusatz quellen diese Zonen aber, d. h. ihre Abbauprodukte ziehen nun Wasser an (in Fig. 2, b, ‚durch die Punktierung des Randes angedeutet). In diesem Zu- stand zeigt aber die Mantelzone, weil sie nun Wasser an ihre Teilchen gebunden enthält, eine „Flüssigkeitsspannung“, d. h. die Teilchen haben nun das Bestreben, in der Richtung der Pfeile die Kugelform 'anzunehmen. Bleibt der Prozeß auf die Oberfläche beschränkt, so wird die Verkürzung nicht voll aus- gebildet (Fig. 2, е). Sobald aber auch die tieferen Partien der Mantelzonen wasserbindend werden, tritt die maximale Con- traction, nämlich die Kugelform, auf (Fig. 2, d). Wird die Wasser- bindung aufgehoben, so kann die Zone durch Zug ohne größeren Kraftaufwand wieder in die Ausgangsform (Fig.2,a) zurückgeführt werden. (Ein gewisser Widerstand ist natürlich durch die Viscosität ‚der Mantelmasse gegeben.)

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 11

Der Unterschied in der Konsistenz zwischen Bindegewebe und gequollener Gelatine liegt in der Natur der beteiligten Abbauprodukte, die in der Gelatine schon in der Kälte Wasser an sich nehmen und bei mittleren Temperaturen schon so lös- lich werden, daß das ganze Gefüge auseinander geht. Wogegen im Bindegewebe Stoffe von weit geringerer Affinität zu Wasser vorhanden sind, und außerdem noch ein festerer Kern von ganz unlöslichem Eiweiß besteht, der in der Gelatine fehlt. Wir haben diesen Unterschied in den Schemen (Fig. 1 Gelatine, Fig. 2 = Eiweiß) durch die Schwarzfärbung resp. bloße Punk- tierung (bei Fig. 1) auszudrücken. versucht.

Es ist klar, daß die Erhitzung in wasserhaltigem Medium eine Contraction dadurch bewirkt, daß die die Mantelzonen bildenden Abbauprodukte bei der höheren Temperatur (um 70°) besser löslich werden, d. h. sich jetzt erst in nennenswerter . Menge mit Wasser verbinden); daß ferner Säuren und Alkalien in derselben Weise wirken, indem sie sich mit denselben Ab- bauprodukten vereinigen und dadurch deren Wasserbindungs- vermögen plötzlich stark erhöhen. (Auf die Art dieser Ver- bindung kommen wir weiter unten näher zu sprechen.) Salze sind hierzu nicht befähigt, ebenso muß diese Art von Quellung trotz Erhitzen ausbleiben, wenn kein Wasser zur Verfügung steht (Alkoholversuch). Daß sie aber selbst in konzentrierten Salzlösungen, wenn auch deutlich erschwert, eintritt, zeigt, daß’ die Wasserbindung mit großer Intensität (auf Grund chemischer Affinitäten) erfolgt.

Eiweißchemisch von Interesse ist das Verhalten von Bindegewebe, das mit Eiweißfällungsmitteln (Gerbstoffe, Metallsalze, Alkohol) vorbehandelt wurde. Ein z. B. mit Phosphor-Wolframsäure fixiertes Serosastück ist opak, weißlich, fast ganz unelastisch, gegen Säuren un- empfindlich (weil die Stellen, wo sonst die Säure herantritt, bereits be- schlagnahmt sind), hingegen gegen Erwärmung in heißem Wasser be- sonders empfindlich (Beginn der Verkürzung schon bei 66°, die sehr rasch fortschreitet, in der Kälte aber kaum zurückgeht). Dies beruht

auf der Tatsache, daß die Schwermetallsalzverbindungen der Eiweiß- abbauprodukte in der Hitze wasserbindend werden (ohne in die Lösung

1) Auch Kautschuk zeigt bei Erwärmung eine viel stärkere elastische Kraft, die darauf beruhen muß, daß die Sphären von CS,, Chloroform usw. damit verbundenen Stoffen bei höherer Temperatur flüssiger (die Stoffe in- einander löslicher) werden und daher größere Flüssigkeitsspannung erlangen.

12 E. Herzfeld и. R. Klinger:

überzugehen), in der Kälte aber unlöslich ausfallen (vgl. Sublimatgela- tine!), so daß die in der Hitze in Kugelform übergetretenen Mantelzonen beim Abkühlen ganz starr werden.

Einmal zusammengezogen, kann die Mantelmasse natürlich nicht aus eigenem Antriebe in die frühere Form zurückgehen. Es bedarf daher einer äußeren Kraft(Zug)wirkung, um die Mantelzonen wieder in die langgestreckte Form überzuführen. Sie werden in einer solchen nur dann dauernd verbleiben, wenn die vorher aufgetretene Flüssigkeitsspannung (Quellung) wieder verschwunden ist. Ist ein Teil derselben bestehen geblieben, so wird die ursprüngliche Länge nicht mehr innegehalten werden. Es besteht eben eine enge Beziehung zwischen der frei be- stehen bleibenden!) Länge der Teilchen und ihrer jeweiligen Wasserbindung, d. i. der Spannung der Mantelzonen. Daher pflegt die Rückbildung nach kürzerer Einwirkung von Säure oder Alkali viel weitgehender zu sein, weil diese Stoffe nach Neutralisation oder Herausdiffundieren die Membran in einem relativ wenig veränderten Zustand zurücklassen. Durch die Erhitzung findet dagegen eine tiefer greifende Umwandlung der Mantelabbauprodukte statt. Sie werden zum Teil in niedrigere aufgespalten, die leichter wasserlöslich sind; dies hat nicht nur zur Folge, daß sie, weil weniger fest adsorbiert, teilweise in das Wasser austreten, wo sie chemisch nachweisbar sind, sondern daß jetzt der Mantel dauernd eine stärkere Wasserbindung auf- weist und daher entsprechend stärker verkürzt bleibt. Hierin liegt auch der Grund für die oben beschriebene, nach einer erstmaligen Erhitzung auftretende Empfindlichkeit schon gegen mittlere Temperaturen; es sind jetzt tiefere Peptide vorhanden, die in der unerhitzten (nach Engelmann „jungfräulichen“) Membran infolge Auswaschens usw. gefehlt hatten und die schon bei ca. 40° besser wasserbindend werden. Auch ist verständ- lich, warum die Stärke und die Dauer der Erhitzung für den sogenannten „Verkürzungsrückstand“ maßgebend sind (Engelmann), warum nach vorhergehendem Liegen der Mem- bran in Wasser, Säuren oder Alkali die Verkürzung ebenfalls schon bei tieferen Temperaturen beginnt und stärker ist, während

1) D. h. jener Länge, die nach Aufhören einer Krafteinwirkung dauernd bestehen bleibt.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 13

entquellend wirkende Einflüsse sie in umgekehrtem Sinne be- einflussen usw.

Die mitgeteilten Maße der Verkürzung lassen eine ungefähre Be- rechnung der relativen Längenausdehnung der Mantelzonen in bezug auf ihren Querdurchmesser und den festeren Eiweißkern zu. Da sich die Membran auf etwa !/, ihrer Länge zusammenzieht, müssen die betreffen- den Ellipsoide stark in die Länge gezogen sein. Legt man der Berech- nung der Einfachheit wegen statt eines Ellipsoides einen Zylinder zu-

grunde und soll dieser in eine Kugel von halber Höhe (Фе =) umge-

wandelt werden, so muß der Radius r, dieser Kugel =2r sein (r = Ra- dius des Zylinders), ein Wert, der mit der beobachteten Verdickung der

Membran übereinstimmt. r ist außerdem = d die Schemen der Fig. 2

wurden nach diesen Proportionen gezeichnet.

Die Contraction größerer Membranstücke geht mit einer merklichen Temperaturveränderung nicht einher. Wir erhielten bei Zusatz von Milchsäure stets nur dieselbe Zunahme um einige Hundertstel Grad, welche auch ohne Bindegewebe bei Mischen gleicher Mengen von Säure mit Wasser eintrat. Eine Thermonadel stand uns nicht zur Verfügung; doch darf wohl schon auf Grund dieser Versuche behauptet werden, dass diese Milchsäurequellung von Eiweiß ohne größere thermische Energie- umsetzungen erfolgt.

Der Schritt, der uns von diesen Versuchen bis zum Ver- ständnis der Muskelcontraction selbst zu machen bleibt, ist nur noch ein geringer. Dies wird sogleich aus einem Überblick über die Gesetzmäßigkeiten hervorgehen, die für den Muskel festgestellt wurden, wenn er unter ähnliche experimentelle Be- dingungen gebracht wird wie unsere Bindegewebshäute.

Dås an Bindegewebsfasern beobachtete Verhalten ist für die Muskelphysiologie darum von besonderer Bedeutung, weil beide Objekte ihrem Ursprunge nach sehr nahe verwandt sind. Die Sehne (die sich ganz wie anderes Bindegewebe verhält) bildet ja mit dem Muskel so sehr eine anatomische und onto- genetische Einheit, daß man sie geradezu als eine Fortsetzung des Muskels ansehen könnte, in der sich wohl noch die Muskel- fibrillen, nicht mehr aber das Muskelplasma und die nervösen Bestandteile usw. (also der für die physiologische Contraction erforderliche komplizierte Apparat) befindet. Es handelt sich somit beim Vergleich von Muskel und Bindegewebe nicht um ein entferntes Objekt (etwa wie Kautschuk),

14 E. Herzfeld u. R. Klinger:

sondern um eine die Muskelcontraction ganz unmittel- bar berührende Frage.

Wir möchten noch folgende Bemerkung über die Anatomie des quergestreiften Muskels vorausschicken, wie sie sich auf

Grund der neueren Forschung darstellt.

Wichtig ist in erster Linie die Tatsache, daß die Fibrillen als lang- gestreckte Fäden oder Bänder die Muskelfaser in ihrer ganzen Länge (durch die A- und I-Schichten durchgehend) durchziehen und daß ihre Präexistenz im lebenden Muskel als sicher gelten darf (Hürthle). Diese Fibrillen sind in das Sarkoplasma eingebettet, das im wesentlichen eine kolloide Eiweißlösung mit eingelagerten Lipoiden, Glykogen usw. ist. Das ganze System: Fibrillen -- Sarkoplasma ist von einer relativ dichten Membran (Sarkolemm) eingeschlossen, die wie andere Zellmembranen für alle Krystalloide (Salz, Zucker, Aminosäuren usw.), für die im Inneren die Möglichkeit einer chemischen Bindung besteht, glatt durchgängig ist, wie umgekehrt alle kleinmolekularen Stoffe, die im Innern frei werden und daselbst geringere Affinität finden als außen, aus der Faser aus- treten werden ). Das Sarkolemm wird vom motorischen Nerven durch- bohrt, worauf die Neurofibrillen sich im „Nervenhügel“ und weiter im Sarkoplasma als feinste Fasern aufteilen. Die Muskelfaser setzt sich aus abwechselnd doppelt (A) und einfach (I) brechenden Schichten zusammen, was zweifellos auf eine jeweils andere Beschaffenheit der durchgehenden Fibrillen zurückzuführen ist. Wenn dieselben in den Abschnitten, die als die eigentlich contractilen nachgewiesen sind, doppelt brechend sind, so darf diese Eigenschaft wohl mit der Contractionsfähigkeit in Zu- sammenhang gebracht werden. Wir nehmen an, daß die die Muskel- fibrillen zusammensetzenden (ultramikroskopischen) Eiweißteilchen hier durch Spannung in die Länge gezogen und in derselben Weise deformiert sind, wie wir dies bei den Bindegewebsfasern besprochen haben. In den I-Schichten scheint dagegen diese Dehnung normalerweise zu fehlen, kann aber, wie die Beobachtungen Hürthles wahrscheinlich machen, unter gewissen Umständen auch hier auftreten („total doppelbrechende Fibrillen“). Die I-Schicht dürfte vermutlich reicher an ausgefallenem (nicht kolloid verteiltem, sondern zu Netzen und Fäden vereinigtem) Ei- weiß sein und die Hauptmasse des sog. Muskelstromas (s. u.) bilden. Sie dient dadurch der ganzen Faser als Gerüst; hier ist auch das Sarko- lemm fester angeheftet. Das Bestehen von eigentlichen Scheidewänden zwischen A- und I-Schicht scheint uns dagegen unwahrscheinlich, schon weil dieselben ein Hindernis für die Ausbreitung des Nervenstromes dar- stellen müßten. Auf andere anatomische Einzelheiten wie Kerne, Zwischen- und Nebenscheiben (die anscheinend Artefakte sind) usw. braucht hier nicht eingegangen werden. >

Aus den experimentellen Arbeiten von Schwenker’?),

1) 8. unsere Mitt. V, diese Zeitschr. 88. 2) Arch. f. d. ges. Physiol. 157.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. УП. 15

Kopyloff!) u. a. geht nun hervor, daß eine Reihe von Sub- stanzen den lebenden Muskel ganz ähnlich zu einer Contraction veranlaßt, wie wir dies bei den Bindegewebsfasern kennen ge- lernt haben. Auch hier erwiesen sich in erster Linie die Säuren, ferner Alkalien aktiv, wobei die Wirkungsintensität der ein- zelnen Stoffe nicht ihrer H. resp. OH'-Konzentration parallel befunden wurde; es bestehen vielmehr Unterschiede, die auf eine wesentliche Rolle der chemischen Natur des ver- wendeten Stoffes hinweisen. So war unter den Säuren НО und Ameisensäure am wirksamsten, auch Milch- und Essigsäure waren gut aktiv, die höheren Fettsäuren wirken viel schwächer und langsamer, dafür aber noch in Konzentrationen, die bei den stark aktiven Säuren schon unterwirksam waren; auch hält ihr Effekt länger an, wenn der Muskel hinterher in Ringer- Lösung gebracht wird; Befunde, die zur Genüge beweisen, daß zunächst eine chemische Bindung zwischen Muskelfibrillen und wirksamer Substanz eintreten muß, auf Grund deren die Ver- kürzung erfolgt. Wir werden nicht irregehen, wenn wir auch hier den aktiv befundenen Stoffen eine Steigerung des Wasser- bindungsvermögens in den Eiweißteilchen zuschreiben. Dafür spricht die chemische Natur derselben und der Umstand, daß die für den Muskel wirksam befundenen Stoffe dieselben sind, die auch z. B. die Gelatinequellung befördern. So wurde von Schwenker festgestellt, daß die meisten Salze für den Muskel indifferent sind (d. h. ihn nicht verkürzen), daß aber Jodid- und Rhodansalze, die feste Gelatine verflüssigen, auch gegen- ` über dem Muskel contractionserregend wirken".

Auf die zahlreichen und interessanten Einzelheiten im Contractions- verlauf, in der Reversibilität derselben und der Beeinflussung der Erreg- barkeit des Muskels usw., über die Schwenker berichtet hat, können wir hier nur mit einigen Worten eingehen. Wenn z. B. die Verkürzung häufig nicht kontinuierlich, sondern in zwei Phasen erfolgt, so ist (wie

1) Arch. f. d. ges. Physiol. 153.

2) Von Interesse ist hier der Befund, daß ЈК gut, JNa dagegen nur wenig aktiv ist, entsprechend der auch sonst bekannten, viel größeren chemischen Affinität der Muskeleiweißkörper für K als für Na, die ja zu der Vorstellung einer Impermeabilität des Sarkolemms für Na-Ionen geführt hat. Ein anderes Beispiel für die Bedeutung chemischer Affi- nität ist der contractionserregende Einfluß der stark aminosäure-affinen Cholsäure und der gallensauren Salze, namentlich glykocholsaurem Alkali.

16 "Е. Herzfeld u. R. Klinger:

auch Schwenker selbst vermutet hat), wahrscheinlich, daß die erste, ruckartige Zusammenziehung (in wenigen Sekunden) mit Auftreten elek- trischer Potenziale zusammenhängt, da innerhalb so kurzer Zeit ein Ein- dringen der relativ schwach konzentrierten Säure in das Innere der Fasern kaum wahrscheinlich ist!); wogegen die zweite, mehr allmähliche Verkürzung wohl auf die tatsächliche Bindung der Säure an die Fibrillen zurückgehen dürfte. Außerdem ist anzunehmen, daß Säuren und nament- lich Alkalien in den Mantelzonen neben der direkten Erhöhung der Wasserbindung noch eine allmählich fortschreitende Hydrolyse hervor- rufen, auf der vielleicht die beobachteten, erst nach einiger Dauer der Contraction einsetzenden teilweisen Rückbildungen der Verkürzungen (als ein Nachgeben des Muskels infolge zu starker Quellung) beruhen könnten. Ungleichheiten im Zuckungsverlauf können außerdem, wie aus den Unter- suchungen Zennecks hervorgeht?), durch Aufbau des Muskels aus ver- schieden schnell reagierenden Fasern (hellen und trüben) bedingt sein. Diese und ähnliche Einzelheiten bedürfen noch näherer Bearbeitung. Aus diesen Versuchen dürften.sich genügende Stützen für die Auffassung ergeben, daß auch im Muskel die Contrac- tion mit einer erhöhten Wasserbindung in den Fibrillen einhergeht und auf einen analogen chemischen und physikalischen Bau zurückzuführen ist, wie er uns ein- facher und leichter verständlich im Bindegewebe vorliegt (das freilich eben wegen dieser einfacheren Organisation zu aktiver Verkürzung usw. unfähig ist). Die dadurch bedingte Wasserverschiebung ist jedoch nur geringgradig, so daß ihret- wegen keine Volumänderung der A- und I-Schichten verlangt werden muß. Ja selbst eine Anziehung von Wasser aus dem ‚Sarkoplasma muß nicht notwendigerweise angenommen werden. Es genügt, daß das zwischen den großen Molekülen der Mantel- abbauprodukte befindliche Wasser bald an dieselben gebunden, bald (bei der Erschlaffung) als indifferenter „Fremdkörper“ vor- handen ist, um die Flüssigkeitsspannung auftreten und ver- schwinden zu machen. Wird die gebundene Milchsäure in der Mantelzone verbrannt, so tritt ja hierbei noch mehr Wasser auf. Dennoch wird dadurch die „Quellung“ nicht verstärkt, sondern aufgehoben, weil dieses Wasser eben keine Beziehung zur Fibrillensubstanz mehr hat (siehe das folgende Schema, Fig. 3). Unsere Theorie wird deshalb durch die Feststellung

1) Bei Bindegewebe, wo Nerven natürlich keine Rolle spielen können, fehlt in der Tat eine derartige Diskontinuität der Contraction. 2) Arch. f. d. ges. Physiol. 76.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 17

Hürthles, daß die doppelbrechenden Stäbchen ihr Volumen bei der Contraction nicht wesentlich ändern (eine Ungenauig- keitsgrenze von 10 bis 20°/, gibt auch der Autor zu) nicht berührt.

Im Muskel ist der von uns postulierte Bau der Eiweiß- teilchen ebenfalls durch Doppelbrechung der contractilen Teile gestützt. Diese Doppelbrechung kann durch Überdehnen noch gesteigert werden (v. Ebner), sie nimmt bei der physio- logischen Verkürzung nach v. Ebner und nach Rollet merk- lich ab, bei der Erschlaffung des Muskels wieder zu. Die Unter- suchungen Rollets mit chromatisch polarisiertem Licht scheinen uns hier wichtiger als die Befunde Hürthles, wonach die Doppelbrechung im kinematographischen Bilde während der (vielleicht nicht maximalen) Spontancontraction (Hydrophilus) nicht verschwindet. Für unsere Theorie würde auch genügen, daß die Doppelbrechung nur herabgesetzt wird. Sollten Hürthles Angaben sich bestätigen, so liegt auch darin keine Schwierig- keit, da man dieselbe dann auf die bei der Contraction be- stehen bleibenden Eiweißkerne beziehen könnte, die sehr wahr- scheinlich noch viel länger ausgezogen sein dürften (etwa wie in Fig. 2, е).

Treten wir nun an die Betrachtung der natürlichen Muskel- contraction, so stellt sich uns dieselbe physikalisch und chemisch folgendermaßen dar: Der vom Nerv in den Muskel geleitete Strom breitet sich im Sarkoplasma aus und bewirkt daselbst eine hydrolytische Aufspaltung von Kohlenhydraten (Glykogen, Zucker), als deren wichtigste Produkte niedere Fettsäuren (Milchsäure, Ameisensäure usw.) auftreten. Letztere sind, wie wir im vorhergehenden gesehen haben, stark fibrillenaktiv, d. h. sie werden von den Mantelzonen der Fibrille mit großer Affinität an sich gezogen und bewirken hier jene Quellung, die wir als die eigentliche Ursache der Verkürzung angesprochen haben. Dies geschieht dadurch, daß die auftretenden organischen Säuren an die NH,-Gruppe der Aminosäuren der Polypeptide heran- treten und dadurch deren Wasserbindungsvermögen plötzlich stark erhöhen.

Dindiese Säuren gleichzeitig „spannungsaktiv“ sind, d h. die Flüssig- keitsspannung ihrer wäßrigen Lösungen erhöhen (wir müssen diesbezüglich auf die oben angekündigte Arbeit verweisen), so wird dadurch die Ver-

Biochemische Zeitschrift Rand 94. 2

18 E. Herzfeld u. R. Klinger:

kürzung in zweifacher Weise beeinflußt: sie bewirken zunächst, daß über- haupt Wasserbindung und damit Flüssigkeitsspannung auftritt, und außer- dem, daß die letztere (infolge der besonderen Eigenschaft dieser Säuren) größer ist als in reinem Wasser.

Diese Bindung von Säuren müßte eine bleibende. Contrac- tion des Muskels zur Folge haben, wenn die Säure als solche in der Mantelzone bestehen bliebe. In der Tat dürften manche Dauercontractionen, wie wir sie im Tierreich antreffen, auf einem nur langsamen Verschwinden der betreffenden Säuren beruhen. Bei den Muskeln der höheren Tiere geht die Verkürzung für gewöhnlich sofort wieder zurück, weil der in allen Geweben vorhandene und an den Eiweiß- oder Lipoidoberflächen ad- ‚sorbierte „aktive“ O, die organischen Säuren zerstört. Er ent- reißt sie, indem er sich mit ihnen verbindet, den NH,-Gruppen der Aminosäuren und führt sie in CO, und H,O über. Diese Produkte sind hinsichtlich der Wasserbindung vollständig in- aktiv, die Flüssigkeitsspannung sinkt daher, sowie die Säure verbrannt ist, auf ihre frühere Größe zurück. Die Mantelzone wird jetzt einem Zug, z. B. der Last, nachgeben, der Muskel wird dadurch passiv in seine frühere Länge, d.i. in die Ruhe- lage, zurückgeführt. Der nächste Stromstoß des Nerven wieder- holt diesen Vorgang. Folgen sich die elektrischen Impulse so rasch aufeinander, wie es für die gewöhnliche Muskeltätigkeit charakteristisch ist, so wird dadurch eine aus zahlreichen super- ponierten Einzelzuckungen bestehende, länger dauernde Con- traction resultieren.

Schematisch ließe sich der Vorgang folgendermaßen dar- stellen (der Einfachheit halber mit Ameisensäure; R/ bedeutet die Polypeptide der Mantelzone mit den an ihnen freien NH,- Gruppen); durch die Oxydation der HCOOH wird das gebundene Wasser wieder frei.

129

SA, ТЫ? А.М, 99 ә

Fig. 3. Wasserbindung vor und nach Oxydation der Ameisensäure.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 19

Für die Ausbreitung und Wirkung des Stromes ist die Anwesenheit von Elektrolyten unerläßliche Voraussetzung. Wir möchten annehmen, daß speziell die Bicarbonate (KHCO,) eine Rolle spielen, weil sie schon durch schwache Ströme gespalten werden, wobei Alkali und CO, entsteht. Leitet man z. B. in eine wäßrige Bicarbonatlösung, die durch etwas Phenol- phthalein schwach rosa gefärbt ist, einen schwachen Strom ein, so entweicht an der Kathode CO, in Gasform, während die Lösung allmählich deutlich rot wird (Carbonatbildung). Setzt man etwas Eiweiß zu, so tritt diese Rotfärbung erst viel später und schwächer auf, weil jetzt das Alkali vom Eiweiß gebunden wird. Auch im Muskel dürfte das elektrolytisch freigemachte Alkali sich mit den COOH-Gruppen der Aminosäuren umsetzen und dadurch zunächst verschwinden. Dies scheint uns deshalb von Wichtigkeit, weil es uns eine Erklärung dafür bieten kann, wieso bei der Elektrolyse des Zuckers usw. freie Fettsäuren und nicht fettsaure Alkalien (die fibrillen-inaktiv wären) ent- stehen. Wenn nach Aufbören des Nervenstroms die entstandenen Säuren wieder verbrannt werden, liefern sie reichlich H,CO,, die nun das Alkali dem Eiweiß wieder entzieht, wodurch dem Milieu das für eine neuerliche Erregung unentbehrliche Alkalisalz restituiert wird.

Wir haben gesehen, daß die Anwesenheit des O, eine fort- währende Erschlaffung der quergestreiften Muskeln bedingt, eine Einrichtung, die natürlich nur deswegen bei so vielen Lebe- wesen angetroffen wird, weil sie für dieselben die zweckmäßigere ist. Denn die rasche Bewegung des Körpers, auf die es im Kampfe um ihre Existenz ankommt, ist nur möglich, wenn jeder Muskel nicht nur schnell verkürzt, sondern nach Not- wendigkeit ebenso schnell erschlafft werden kann. Dieser Vor- teil war aber nur um den Preis möglich, daß die Contraction jeweils nur eine momentane ist, die bloß durch immer erneut aufgebrachte Säurebildung (d. i. Anstrengung) für längere Zeit aufrecht erhalten werden kann. Eine länger dauernde Arbeit

des Muskels mit ihrer immer wieder erneuten Rückkehr їп.

den erschlafften und contrahierten Zustand (z. B. bei Marsch- leistungen usw.) ist natürlich nur denkbar, wenn alle beteiligten Stoffe stets erneuert resp. ihre Abfallsschlacken rasch entfernt

werden. Was die letzteren anbetrifft, so haben wir eben ge- Ge

20) E. Herzfeld u. В. Klinger:

sehen, wie die organischen Säuren jeweils wieder zerstört werden, wodurch die Erschlaffung ermöglicht wird. In bezug auf den Verbrauch von Stoffen ist einerseits das Alkalibicarbonat, an- dererseits der Zucker wichtig. Die bei der Verbrennung der Milchsäure usw. entstehende H,CO, ist es, die den Aminosäuren das K wieder entzieht und damit das Alkali in einer für den Strom verwertbaren Form restituiert, ein für die Dauerfunktion des Muskels, wie wir gleich sehen werden, sehr wichtiges Moment. Der Zucker wird teils von außen aus dem Zuckergehalt des Blutes ersetzt (der bekanntlich von der Leber aus auf einer bestimmten Höhe erhalten wird), teils müssen die eigenen Zucker- resp. Glykogenvorräte des Muskels den Bedarf дескеп 1). Die Dauerleistungen, wie die für jeden Naturforscher so be- wundernswerte Arbeit des Herzens, sind aber auch nur dann möglich, wenn die daran beteiligten Stoffe, speziell die Mantel- zonen der Fibrillen, nicht tiefer chemisch verändert werden. Gerade diese Forderung ist durch die Natur der chemischen Vorgänge, die wir der Contraction zugrunde legen, ziemlich weitgehend erfüllt.

Die Muskel der höheren Tiere sind aus den erwähnten Gründen an aerobe Bedingungen gebunden; fehlt der O,, so werden sie bald zu regelmäßiger Tätigkeit unfähig. Immerhin kann ein Muskel auch in einer N-Atmosphäre noch einige Zeit arbeiten, was teils darin bedingt ist, daß ein frisch aus dem Tierkörper entnommener Muskel immer noch einen kleinen Vorrat von adsorbiertem O, enthält, der erst allmählich ver- braucht wird (s. Mitt. VI); andererseits könnte eine Umwand- lung der aktiven Säuren ohne O, durch Neutralisation er- folgen und die Erschlaffung auslösen, da, wie oben erwähnt,

1) Ob auch andere Stoffe wie Lipoide und Eiweißkörper bei ihrer Aufspaltung Produkte liefern, die auf elektrolytischem Wege (Nerven- strom) fibrillenaktive Substanzen liefern, ist vorläufig noch unentschieden, scheint .aber auf Grund verschiedener Beobachtungen (Rhode, Zeitschr. f. physiol. Chem. 68 u.a.) wohl möglich zu sein. Die Frage darf hier natür- lich nicht lauten: Verbrennt der arbeitende Muskel auch Eiweiß oder Fett, sondern: liefert Eiweiß, Fett usw. bei seiner Hydrolyse im Muskel auch fibrillenaktive, leicht oxydable Spaltstücke; denn nur solche kämen als Quelle von Muskelarbeit in Betracht. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die aus Aminosäuren, Glycerin usw. sich abspaltenden Fettsäuren in dieser Weise wirken können. 2

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 21

die Lactate usw. nicht mehr fibrillenaktiv sind. Die Mantel- zonen verlieren dadurch ihre Wasserbindung, die entstandenen Salze sind nicht oder nur noch ganz locker an die Aminosäuren gebunden und diffundieren mit dem Wasser heraus. So ist zu- nächst die Erschlaffung und damit die Möglichkeit zu neuer- licher Contraction gegeben. Wenn aber diese organischen Salze infolge O,-Mangels nicht mehr verbrannt werden, ist das in ihnen befindliche Alkali verloren, da der Nervenstrom anschei- nend zu schwach ist, um es durch Elektrolyse aus diesem Salz wieder frei zu machen. Es fehlt jetzt an Alkali für den Strom und zur Neutralisation eventuell noch gebildeter Milchsäure usw. Außerdem machen die fettsauren Salze der neu entstehenden Milchsäure das Wasser strittig, so daß hiervon nur wenig für die Fibrillensubstanz übrig bleibt; denn wir wissen aus den Arbeiten M. Fischers u. а., daß Salze die Säurequellung von Fibrin, Gelatine usw. wesentlich beeinträchtigen [weil sie sich selbst mit Wassersphären umgeben]!). Alle diese Momente müssen die Fähigkeit zu weiterer Funktion aufheben. Bei anaerob leben- den und bei den in O,-freiem Milieu beweglich bleibenden Tieren (Ascariden usw.) müssen dagegen Einrichtungen vorhanden sein, durch welche die zur fortdauernden Umwandlung der aktiven Säuren nötigen Alkalien auf irgendeine anaerobe Weise restituiert werden. Wo keine Möglichkeit besteht, die entstandene Säure in inaktive Form überzuführen, oder wenn die Säureproduktion die Neutralisation überwiegt (z. B. bei der Totenstarre в. u.), muß der Muskel contrahiert bleiben. (Dauercontractionen, bei manchen niederen Tieren [Muscheln usw.], physiologischerweise vorkom- mend, bei höheren in pathologischen Zuständen [Infektions- tetanus, Katatonie?)).

Auf ganz ähnlichen Veränderungen, wie sie der O,-Mangel bewirkt, dürfte auch die gewissermaßen physiologische Er- müdung des Muskels beruhen. Bei immer erneuter und inten- siver Säurebildung wird der vorhandene O, relativ schnell ver-

1) Ebensowenig kann auch angenommen werden, daß die durch Neutralisation der organischen Säuren auftretenden Lactate usw., vom Strom wieder in Alkali und freie Säure gespalten werden und sich nun neuerdings an der Contraction beteiligen; denn dieselben würden sonst in einen Kreislauf eintreten und der Nervenstrom hätte die ganze Arbeit des Muskels aufzubringen, wozu seine Stärke bei weitem nicht ausreicht.

22 E. Herzfeld u. R. Klinger:

braucht, während neuer nicht in gleichem Maße rasch genug vom Blut aus an seine Stelle gelangt. So kommt es allmählich zu unvollständiger Verbrennung der Milchsäure, deren Folge sich bei Überanstrengungen im Auftreten von milchsauren Al- kalien im Blute und im Harn äußert; im Muskel bedingt diese Anhäufung von Lactaten dieselben Störungen der Funktion, die wir eben besprochen haben.

Aus dem Gesagten ist klar, daß die eigentliche Energie- quelle des Muskels diejenige Affinität ist, die zwischen den Abbauprodukten der Mantelzonen und den ent- stehenden organischen Säuren besteht und die energische Bindung der letzteren an die Fibrillen veranlaßt. Ebenso klar ist aber, daß dies nur eine einmalige Contraction, nicht aber die immer erneute Spannung und Entspannung der Fasern bewirken kann. Für letztere ist der O, nötig, die Energie- quelle dieses Vorganges liegt in der noch größeren Affini- tät, die zwischen den O-Atomen einerseits, der Milch- säure usw. andererseits besteht. Erst beide Prozesse zu- sammen, die Bindung der Säure und die folgende gewaltsame Wegnahme derselben geben das fortwährende Auf und Ab der normalen Funktion der quergestreiften Muskeln. Hierin scheint uns die Lösung des so viel erörterten Problems zu liegen, wie der Muskel die für seine Arbeit nötige Energie aufbringt. Nicht die durch die Spaltung des Zuckers in Milchsäure usw. frei- werdende Energie kommt hierfür in Betracht; sie wäre auch, worauf von Bernstein u.a. hingewiesen wurde, zu gering (nur 2 bis 3°/, der ganzen im Zuckermolekül latenten Energie). Ebensowenig aber ist es die durch Verbrennung der Milch- säure freiwerdende Wärme, in der wir den Ursprung der Muskelkraft suchen dürfen. Denn gerade alle Energie, die bei diesen Oxydationen als Wärme frei wird, ist eben dadurch für die Muskelarbeit verloren?) Die in der Kraftleistung des Muskels sichtbar gewordene Energie entspricht vielmehr jenem Minus an Wärme, das sich. bei der Verbrennung von Milch- säure usw. ergibt, wenn dieselbe nicht als frei gelöster Stoff, sondern als schon verbundener Stoff, also aus ihrer

1) Anders ist es bei stärkeren Temperaturerhöhungen (auf 50 bis 60°), die deutlich kausal im Sinne einer Contraction wirken (в. u. bei Wärme- starre), physiologisch aber nicht in Betracht kommen.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 23

Verbindung mit der Aminosäure oxydiert wird. Die letztere verbrennt hierbei natürlich nicht mit, sie ist hiervor durch ihre NH,-Gruppe und ihre Koppelung an andere Aminosäuren ge- schützt. Die Milchsäure wird dagegen vom Eiweiß weg ver- brannt und liefert hierbei weniger Wärme als gewöhnlich. Der Grund dürfte aus folgender Erwägung klar werden: wenn sich zwei frei bewegliche Moleküle (resp. Atome), z. B. Ameisensäure und Sauerstoff treffen, so entsteht dabei Wärme, d.h. die Ver- brennungsprodukte CO, und H,O besitzen eine bedeutend höhere kinetische Energie als die unvereinigten Stoffe; ihre gegenseitige Affinität hat sich in eine bestimmte Menge Bewegung umge- setzt. Wenn aber bei der Verbindung die eine Komponente fixiert, z. В. an Eiweiß gebunden ist, und erst aus dieser Bindung losgerissen werden muß, werden die entstehenden Produkte der Verbindung entsprechend weniger kinetische Energie (Wärme) aufweisen, weil eben ein Teil ihrer ursprüng- lichen (latenten) Energie auf die Lösung der Affinität Ameisen- säure-Eiweiß verbraucht wurde!). Es wird daher weniger Wärme meßbar sein, der Fehlbetrag sind beim Muskel die bekannten 20 bis 30°/,, die die „Muskelmaschine“ bei der Verwertung ihrer „Heizstoffe“ „in Arbeit umsetzt“. Sie setzt sie aber nicht aus Wärme um, wie manche ältere Theorien annahmen, sondern der Muskel bildet nur um diesen Betrag weniger Wärme. Hiermit dürfte das so rätselhafte Problem der Energie- umwandlung des Muskels eine einfache Lösung gefunden haben, die keine neuen Hilfshypothesen erfordert. Die wesentliche Energiequelle ist auch nach unseren Vorstellungen der Sauerstoff resp. die Oxydationsvorgänge des Mus- kels, nur daß dieselben nicht in der bisher meist angenom- menen direkten Weise und noch weniger durch Verwertung der hierbei entstehenden Wärme, sondern indirekt wirken, in- dem sie die Erschlaffung des starrgewordenen Muskels herbei- führen. Die Erschlaffung bedeutet aber noch nicht die Rück- kehr des Muskele in seine lange Form, d. i. Ruhelage. Dieser Vorgang ist nach den entwickelten Vorstellungen ein

1) Man erinnere sich z. В. daran, wieviel mehr Energie aus einer be- stimmten Menge O- und H-Atome frei wird, wenn sich dieselben als freie Gase treffen (Knallgasflamme), als wenn dieselbe Anzahl H-Atome (z. B. als Grubengas) gebunden sind und nun zu H,O oxydiert werden.

24 E. Herzfeld u. R. Klinger:

rein passiver, für den die Erschlaffung (d. i. das Aufhören der größeren Flüssigkeitsspannung im Muskel) bloß die Voraussetzung, nicht aber die Ursache ist. Denn es gibt keine chemische noch physikalische Energie in den Mantelzonen, die dieselben wieder aus der Kugelform in die langgestreckte treiben könnte. Die Mantelsphären sind jetzt wieder weiche, plastische Massen, die in einer beliebigeniLage (kurz oder lang) verharren (nur bei Überdehnung kehren sie elastisch in jene Länge zurück, die der geringen, in ihnen noch bestehenden Flüssigkeitsspannung entspricht). In der Regel wird nun der Muskel durch den Zug seiner Antagonisten oder durch die Last (Gewicht der Körper- teile usw.) wieder ausgezogen. Die geringfügige Verlängerung; die bei ganz unbelasteten, contrahierten Muskeln nach Aufhören des Reizes spontan eintritt, dürfte auf eine während der Ver- dickung bestehende Dehnung der zwischenliegenden Binde- gewebsfasern und des Sarkolemms zurückgehen. Letzteres wird ja durch die starke Breitenausdehnung der Fasern in den A-Schichten stark gespannt und ist infolge seiner Elastizität bestrebt, in die frühere Länge zurückzukehren. Die Muskel- fibrillen selbst aber verhalten sich hierbei rein passiv; jeder- mann kann ja leicht an sich feststellen, daß ein contrahierter und dann in der Verkürzung erschlaffter Muskel in dieser Lage verharrt und sich keineswegs wieder auszudehnen sucht.

Für das Verhältnis zwischen Kraftleistung und An- strengung ist wichtig, daß die maximale Verkürzung schon durch eine relativ geringe Säurebildung (d. і. Strommenge des Nerven) erreicht wird, allerdings nur am unbelasteten Muskel. Hier genügt es jedenfalls, daß die äußerste Schicht der Mantel- zone durch Säureaufnahme wasserbindend wird, um in ihr jene Flüssigkeitsspannung hervorzurufen, die die halbfeste Masse der tieferen Mantelschichten in die Kugelform zwingt. Sobald sich diesem Vorgang noch der Widerstand einer Last entgegen- stemmt, reicht dies nicht aus, es muß entsprechend mehr Säure gebildet werden (durch intensivere und längere Elektrolyse „Anstrengung“), Jetzt werden auch die tieferen Schichten stärker säurehaltig, erlangen dadurch eine hohe Flüssigkeits- spannung und steigern so wesentlich die Contraction. Es ist klar, daß die von der Fibrille aufbringbare Kraft um so größer sein wird, je dicker die Mantelzonen sind; ein Faktor, der neben

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 25

der Größe (Dicke) und Menge der Fibrillen für die Erklärung des Trainings, der durch Übung verstärkten Mehrleistung der Muskel, von Bedeutung: sein dürfte.

Die Beziehungen zwischen Fibrillen(Mantel-)sub- stanz und Wasser sind das für das Zustandekommen der Contraction wesentlichste Moment. Daß tatsächlich eine Ver- schiebung von Wasser bei derselben stattfindet, läßt sich bei gewissen niedern Tieren (Sipunculus) direkt erkennen, wo vor- her durchsichtige fibrillenhaltige Körperteile vorübergehend trüb werden. Die Durchsichtigkeit beruhte hier wie sonst auf gleicher Lichtbrechung aller Eiweißteilchen, die ihrerseits aufs engste mit dem Wassergehalt derselben zusammenhängt. Sobald wir nun die Wasserbindung durch eiweißfällende Agenzien (Metall- salze usw.) oder bloß durch einen „fibrillenaktiven“ Stoff wie Milchsäure usw. verändern, kommt eine Trübung der zwischen den Fibrillen liegenden Substanz zustande, die mit der Auf. hebung der Wasserbindung reversibel ist!). Die große Be- deutung des Wassergehaltes für die Muskelfunktion erhellt auch aus den Versuchen von Wiemeyer?), in denen eine dem Grade der Wasserentziehung parallel gehende Hemmung und schließliche Aufhebung der Contraction festgestellt wurde. Wir erinnern ferner an die Beobachtungen Hürthles, daß bei 12° getrocknete Muskel sich spontan contrahieren, wenn sie wieder in Wasser gebracht werden. Während des Trocknens kommt es vermutlich zu solchen Umsetzungen, durch die die. Wasserbindungsfähigkeit erhöht wird). Da aber das Wasser gleichzeitig entzogen wird, kann eine Verkürzung erst nach einem neuerlichen Wasserzusatz eintreten. Diese Wasserauf- nahmen sind aber stets nur geringfügige (nach den oben mit- geteilten Wägungen an Bindegewebsmembranen schätzungs- weise 20°/,); der Wasserbedarf für die Contraction könnte daher leicht aus dem unmittelbar an die Fibrillen grenzenden Teil der Faser, speziell aus dem Sarkoplasma der A-Schicht gedeckt werden, wenn dies nötig wäre. Wir haben aber schon oben

D Ähnliche Versuche an der Hornhaut bei Säurequellung oder Salz- entquellung s. Fischer, Das Ödem.

D Arch. f. d. ges. Physiol. 166.

3) Auch bei Temperaturen unter finden in Eiweiß Hydrolysen statt..

26 E. Herzfeld u. R. Klinger:

darauf hingewiesen, daß der ganze Vorgang sich vielleicht bloß im Innern der Mantelzonen abspielt und nur die Art der Bindung des vorhandenen Wassers sich während der Contraction ändert. Dafür spricht unter anderem auch die Schnelligkeit, mit der die Zuckung zustande kommt; die bloße Anwesenheit von Wasser ist dagegen’ bei gewöhnlichen Tem- peraturen belanglos, da zwischen ihm und der Fibrille das er- forderliche Bindeglied (der wasserbindende Stoff) fehlt.

Die Wärmebildung im Muskel ist ein die Funktion desselben bloß begleitendes Phänomen und hat deshalb für unsere Theorie nicht jene Bedeutung, die man ihr früher viel- fach zuerkennen wollte. Zwar ist die Wärme, die durch Oxy- dation der fibrillenaktiven (und eventueller anderer, elektro- lytisch entstehenden) Stoffe gebildet wird, für den Gesamt- organismus keineswegs wertlos und dürfte auch für die Um- setzung im Muskel selbst, speziell für die Steigerung seiner Hydrolysen eine wichtige Rolle spielen. Es kann aber kaum einem Zweifel unterliegen, daß die Verbrennung der Milchsäure und damit die hauptsächliche Wärmeproduktion der eigent- lichen Contraction nachfolgen muß. Für die so schnell ab- laufende Einzelerregung der quergestreiften Muskel läßt sich der Moment der größten Wärmebildung vorläufig nicht genau festlegen. Für die glatte Muskulatur kam Bernstein zwar zu der Ansicht, daß hier das Maximum der Wärmebildung in das „Crescente“, d.i. in die Zeit vor Erreichung des höchsten Ver- kürzungsgrades, falle!). Wir können diesen Versuchen aber nicht jene Beweiskraft zuerkennen, die ihnen Bernstein gegen die Auffassung Paulis (die in dieser Hinsicht vollständig mit der unsrigen übereinstimmt), beimessen wollte. Wenn der Frosch- magenmuskelring nach 1 Sekunde langen Stromreizung zuerst mit einer Wärmebildung und einer erst etwas nachfolgenden allmählichen Zusammenziehung reagiert, so kann dies ja auch dadurch bedingt sein, daß hier ein Teil der elektrolytisch ent- standenen Spaltprodukte sofort einer Oxydation verfällt (es braucht sich hierbei nicht nur um fibrillenaktive Stoffe zu handeln), während ein anderer an die Fibrillen sich bindet und deren Contraction auslöst, sei es, weil er weniger leicht oxydabel ist

1) Arch. f. d. ges. Physiol. 159.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 27

oder weil nach den ersten Oxydationen die Bedingungen für weitere momentan ungünstig sind (es muß erst wieder O, her- angezogen werden). Der so ganz andersartige Verlauf dieser Zuckungen läßt ja auch vermuten, daß hier nicht nur anders- gebaute Fibrillen, sondern auch andere chemische Affinitäten im Spiele sein werden. Jedenfalls könnte daraus nicht ge- schlossen werden, daß die Wärmebildung mit der Contraction kausal (als Ursache derselben) zu verknüpfen ist.

Die chemischen Beziehungen zwischen Muskel- und Zentralnervensystem sind mit der für jede einzelne Con- traction stattfindenden Stromzuleitung noch nicht erschöpft. Neben verschiedenen anderen Erscheinungen, in denen sich diese Beziehungen äußern, sind hier vor allem der Muskel- tonus und die Muskelatrophie von Interesse. Der normale Tonus, d. i. eine gewisse Elastizität und Festigkeit des Muskels, ist sehr wahrscheinlich der Ausdruck einer gewissen Wasser- bindung der Fibrillenmantelzonen, die nur eine Teilerscheinung der in der ganzen Faser bestehenden Wasserbindung ist. An den Fibrillen macht sich dies darin geltend, daß sie ähnlich wie Bindegewebsfasern eine bestimmte maximale Länge be- sitzen, in die sie nach Überdehnung wieder elastisch zurück- kehren (der „Ruhelage“ entsprechend). Diese Wasserbindung bewirkt zusammen mit jener der Sarkoplasmaeiweißteilchen jene Beschaffenheit der Zellmasse, die als „Turgor“ die physiologische Spannung der Membran und eine gewisse Konsistenz der Zelle aufrecht erhält und auch bei den meisten andern Zellen an- getroffen wird. Beim Muskel ist sie freilich besonders auf- fallend, weil er ein in dieser Hinsicht (für die Wasserbindung) besonders empfindliches Gebilde ist. Aus verschiedenen Unter- suchungen geht nun hervor, daß der Tonus der quergestreiften Muskel vom Zentralnervensystem aus reguliert wird (wobei vielleicht neben den auch sonst zur Erregung dienenden Zentren noch autonome Innervationen in Frage kommen). Es ist nahe- liegend zu vermuten, daß das Zentralnervensystem hier ähnlich wie z.B. in vielen Drüsenzellen (Schilddrüse, Niere usw.) wirkt, indem es eine langdauernde oder oft wiederholte, aber immer nur geringfügige Elektrolyse auslöst, die die Wasserbindung innerhalb bestimmter Grenzen erhält.

Eben diese nervösen Vorgänge sind es aber auch, die

28 E. Herzfeld u. R. Klinger:

іп der Muskelfaser ähnlich wie in so vielen Organzellen den normalen Stoffwechsel aufrecht erhalten. Sie dürfen keineswegs bloß als ein Moment angesehen werden, das nur zu Aufspal- tungen und daher zum Zerfall drängt; sie sind vielmehr auch die Hauptfaktoren des Aufbaues, gerade weil sie den Ein- und Austritt von Stoffen in die Zellen befördern. Alle feiner orga- nisierten Zellen sind auf diese Mitwirkung‘ des Nervensystems eingestellt, und hierin liegt gewiß der Schlüssel zum Ver- ständnis des harmonischen Zusammenhanges aller Teile des Organismusganzen.. Wenn manche Zellen, z. В. von Tumoren, unbegrenzt wachsen, so mag unter anderm der Grund dafür in ihrer Unabhängigkeit vom Nervensystem, 4. 1. in zu geringen Autolysen gelegen sein; es ist aber hierzu kein Widerspruch, sondern in den jeweiligen chemischen Verhältnissen der Zellen begründet, wenn wieder andere Zellen nach Verlust ihrer Inner- vation nicht mit gesteigerter Synthese, sondern mit Autolyse reagieren. Hierher gehören neben den vielen nicht erfolgreich transplantierbaren Organen die Muskelfasern, die ja bekannt- lich schon auf bloße längerwährende Behinderung ihrer Funktion (Dauerverbände usw.), noch schneller aber nach Zerstörung der Nervenleitung mit Atrophie antworten. Diese ist nichts anderes als ein Überwiegen der Autolyse bei zu geringer oder ganz ausbleibender Synthese. Noch ungenügend bekannt ist gegenwärtig freilich, wieso die wiederholte stärkere Anstrengung des Muskels (das „Training“) zu der vermehrten Eiweißsynthese (Hypertrophie) führt, ebenso wie uns die vikariierende Ver- größerung mancher drüsiger Organe noch zum großen Teil un- klar ist!). Eine Untersuchung, die den Mechanismus der Eiweiß- synthese zum Gegenstand hätte, dürfte jedenfalls aus der näheren Verfolgung dieser Beziehungen viele Anregungen erwarten. Auf sekundäre Erscheinungen der Muskelerregung, wie sie sich als Ruhe- und Aktionsstrom äußern, auf die Frage der Reizleitung und ihres Substrates, auf die Not- wendigkeit der Gegenwart von Elektrolyten zwischen den

1) Möglicherweise ist das Auftreten freier Säuren für die Fällung und damit für eine Synthese von Peptiden im Muskel günstig; für drüsige Organe, z. B. Schilddrüse, ist wohl das jeweilige Angebot an ge- eigneten Bausteinen seitens der Körpersäfte das wichtigste, die Hyper- plasie anregende Moment.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 29

Fasern für die Erregbarkeit (Overton) und viele ähnliche Erscheinungen kann hier nicht eingegangen werden, da sie uns auf ein neues Gebiet, die elektrochemischen Vorgänge in den Organismen, führen würden. Wir verweisen diesbezüglich auf die Arbeit Paulis, die die für den Muskel vorläufig wichtigsten Gesichtspunkte beleuchtet.

Zwischen den früheren Theorien der Muskelcontraction und der hier entwickelten bestehen gewiß manche Ähnlich- keiten und Analogien; doch dürften unsere Vorstellungen vor denselben voraus haben, daß sie eiweißchemisch entschieden besser begründet sind. Die Schwäche aller früheren Theorien beruht gerade in dem Umstand, daß sie auf unhaltbaren, oft ganz willkürlichen Vorstellungen gerade über die wichtigste Substanz des Muskels, das contractile Fibrilleneiweiß, aufgebaut sind. So wurde z.B. die „Quellung“ wiederholt als Ursache der Contraction angesprochen, das Phänomen der Quellung aber war in seinem Wesen viel zu wenig bekannt, als daß da- mit eine befriedigende Lösung des Problems gegeben gewesen wäre. Wir sehen von der „thermischen Quellung“ Engel- manns und ähnlichen Vorstellungen ab und möchten nur kurz auf die von Wo. Pauli herrührende Theorie eingehen, die sich auf neuere, kolloidchemische Begriffe stützt. Dieser Forscher nahm ebenfalls eine durch Milchsäure bedingte Quellung an, unter deren Einfluß sich die Fibrillen ähnlich wie gespannte Gelatine verkürzen; er hatte somit sehr richtig erkannt, daß die Betrachtung der gezogenen (und gleich den Fibrillen doppel- brechenden) Gelatine tiefer in das Verständnis der Muskel- funktion hineinführt. Es ist Pauli aber nicht gelungen, in den: geahnten Zusammenhang wirklich einzudringen; er über- sah, daß der Zustand einer Spannung in der Gelatine nur dann beständig (d.i. latent) ist, wenn die Teilchen durch eine schon recht weitgehende Veränderung, nämlich durch Ent- quellung fixiert werden. Im Muskel findet aber eine solche Austrocknung nicht statt, die Fibrillen müßten daher in ihrer Ruhelage stets die Neigung haben, wie feuchte gezogene Ge- latine oder wie gespannter Kautschuk sich zusammenzuziehen. Die Analogie mit der gezogenen Gelatine ist somit für den Muskel nicht

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direkt verwertbar, und damit war die Definition der Contraction als „Quellung“ nicht mehr möglich, da ja (von diesem Ausnahmefall abgesehen) alle Quellungen mit Längenzunahme verlaufen. Erst das nähere Studium an Bindegewebsfibrillen und eine klareVorstel- lung über den Bau der Fibrilleneiweißteilchen, die Annahme von deformierbaren, um einen festen Kern gelagerten Mantelzonen, die infolge und bloß während der Säurebildung eine innere Spannung erhalten, im übrigen aber plastische Massen sind, bringt hier die für das Verständnis nötigen Vorstellungen. Eine Reihe anderer Theorien nahm Oberflächenspan- nung als Ursache der Verkürzung des Muskels an; am besten sind unter den hierhergehörigen die Theorien von J. Bern- stein!) (1909) und von E. Baur?) begründet. Gegen die erstere läßt sich aber neben manchem anderen vor allem der Einwand erheben, daß die Oberflächenspannung nach der herrschenden Auffassung gerade durch jene Stoffe, die in die Oberflächen gehen (also die im Sarkoplasma entstehende Milch- säure usw.) herabgesetzt wird, die Contraction aber (als Zu- sammenziehung auf eine kleinere Oberfläche = Kugelform auf- gefaßt) im Gegenteil eine Zunahme der Oberflächenspannung verlangt. Baur ist diesem Einwand dadurch begegnet, daß er die Milchsäure nicht erst im Momente der Contraction ent- stehen läßt, sondern sie in entsprechender Konzentration schon während der Ruhezeit des Muskels an den Oberflächen vor- handen denkt. Der Nervenstrom bewirkt durch eine plötzliche Aktivierung von O, eine Verbrennung der Säure und damit eine Zunahme der Oberflächenspannung. Die Schwierigkeit liegt hier aber in der Tatsache, daß bekanntlich gerade eine Ansammlung von Säure zur Contraction führt (Versuche von Schwenker, Totenstarre usw.); auch müßte angenommen werden, daß die an den Oberflächen adsorbierten organischen Säuren da- selbst für gewöhnlich (der hohen O,-Spannung des Gewebes un- geachtet) nicht wesentlich verbrannt, noch durch das Alkali ihrer Umgebung neutralisiert werden. Beide Theorien stehen ferner gewissen Tatsachen, wie z. B. der Contraction der Bindegewebs- fasern in heißem Wasser usw. machtlos gegenüber, wofern sie nicht

!) Arch. f. d. ges. Physiol. 85. 2) Vierteljahrsschr. d. naturf. Ges. 1916. Zürich.

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ganz neue Oberflächenaktivitäten postulieren wollten. Dazu kommt, daß der Begriff der Oberflächenspannung selbst, wie schon eingangs erwähnt, in mancher Hinsicht revisionsbedürftig ist, was sich gerade bei Bearbeitung biochemischer Probleme zur Genüge zeigt. Schließ- Bech darf nicht vergessen werden, daß die Fibrillen aus Eiweiß be- stehen und daß daher alleTheorien, die sich auf diebekannten Eigen- schaften der Eiweißteilchen stützen, mehr für sich haben als jene, die fast ganz hypothetische Strukturen postulieren müssen. Unserer Ansicht nach läßt sich der Einfluß der Capillar- aktivität dahin zusammenfassen, daß die fibrillenaktiven Stoffe, welche zugleich capillaraktiv sind, die Flüssigkeitsspannung der Mantelzonen auch infolge dieser Eigenschaft steigern werden; doch kann dieses Moment nicht das ausschlaggebende sein, da auch capillarinaktive Stoffe wie НС, NaFl, 10°/, Harnstoff usw. Muskelstarre hervorbringen.

Die osmotischen Theorien der Contraction wurden schon von Bernstein widerlegt; sie können einen chemisch geschulten Biologen wohl unmöglich befriedigen. Wir erwähnen als Beispiel nur die vor kurzem von L. Wacker!) aufgestellte Theorie, nach der der Muskel als eine Unmasse kleiner Kammern vorgestellt wird, die durch den osmotischen Druck (!) enstehender CO, in die Breite gezogen werden (dazu Hilfs- hypothesen, wie die Identifizierung der anisotropen Substanz mit Bicarbonatkrystallen, Aufhebung der Contraction durch‘ die elastische Ausdehnung einer hypothetischen Mittelscheibe in der A-Scheibe usw.). Wir verweisen derartigen Vorstellungen gegenüber auf unsere Ausführungen über den osmotischen Druck in Mitteilung V, ferner auf die Unmöglichkeit, hiermit die an Bindegewebsfasern auftretenden Verkürzungen zu er- klären usw.

Die von uns entwickelten Vorstellungen gestatten, die elastischen und die Verkürzungserscheinungen nicht nur im Muskel, sondern auch an Bindegewebe und nicht organisiertem Eiweiß resp. Eiweißabbauprodukten, wie Gelatine, zu erklären. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die z.B. an Fibrin bekannte Elastizität gleichfalls auf die Anwesenheit ähnlicher wasser- bindender Sphären beruht, die die Teilchen in einem fertigen

1) Arch. f. d. ges. Physiol. 168.

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Gerinnsel allseitig als kugelige Schicht umgeben. [Nach dem in Mitteilung. V über das Fibrin Gesagten dürften diese, Sphärenteille am Fibrin aus „Thrombin“ (Ca-haltige Abbau- produkte, ähnlich wie bei Gelatine!) bestehen.] Derartiges Fibrin ist gleich wie gequollene Gelatine nur gegen Zug elastisch, nicht aber (wie Bindegewebe) durch Säuren oder Hitze spontan zur Contraction zu bringen. Daß aber auch bei Fibrin eine ungleichmäßige Anhäufung der Mantelzone in zwei Richtungen (entsprechend d, Fig. 2) vorkommen kann, dafür sprechen die spontanen Contractionserscheinungen frischer Bilutgerinnsel. Diese können wohl physik.-chemisch nicht anders erklärt werden, als daß sich bei der Ausscheidung Mantelzonen polar (in der Richtung des Fibrinfadens) dicker ausbilden und hierauf bei der folgenden Autolyse des Koagulums eine Vermehrung der Wasserbindung in diesen Zonen auftritt, derzufolge sie der Kugelformverkürzung zustreben. Diese Annahme wird gestützt durch die Tatsache, daß Fibrin sich tatsächlich meist fädig, also mit Bevorzugung gewisser Richtungen ausscheidet!) und daß der Vorgang der Retraktion des Gerinnsels zweifellos eine Autolyse bedeutet, die bei höherer Temperatur und Anwesen- heit gewisser leicht zerfallender Stoffe (wie Blutplättchen usw.) entschieden begünstigt ist. Diese Neigung zu einseitig ver- ‚stärkter (polarer) Ansammlung von Abbauprodukten ist auch {sonst bei Eiweißteilchen nicht selten, auf ihr beruhen ja die Eigenschaften der Bindegewebsfasern, die uns oben eingehend beschäftigt haben.

Es braucht ferner wohl nicht hervorgehoben zu werden, .daß unsere Vorstellungen, eben weil sie auf allgemeine Eigen- schaften der Eiweißteilchen selber gehen, auch für viele andere Bewegungs- und Contractionsvorgänge in Zellen angewendet werden können. Es dürften dadurch manche den lebenden Zellen eigentümliche Erscheinungen eine Erklärung finden und das Rätselhafte gewisser Lebensphänomene sich aufhellen. Wir schließen uns aber der von Biedermann verteidigten Tren- nung der eigentlichen Contractionsvorgänge von den bloßen

1) Es besteht somit ein kausaler Zusammenhang zwischen der fibrillären Ausscheidung des Fibrins und der Elastizität und Retraktilität “дег Gerinnsel.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 33

Plasmaströmungen an und möchten alle Bewegungserscheinungen, die nicht auf Änderung der Flüssigkeitsspannung in gestreckten Mantelzonen (Schema Fig. 2) zurückgehen, einer großen anderen Gruppe zuweisen. Diese Gruppe (die vermutlich noch sehr Verschiedenes enthält) ist zur Zeit noch wenig geklärt; die diesbezügliche Forschung dürfte vor allem bei den die Plasma- bewegung, Phagocytose usw. hemmenden Momenten (O,-Mangel, Zellgifte) Hinweise finden, die sie der Lösung dieses Problems näher bringen werden.

Für die der Muskelzuckung verwandten Bewegungen, die im allgemeinen durch ihren mehr plötzlichen, ruck- artigen Charakter ausgezeichnet sind, kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß sie mit plötzlichen Änderungen ‚der Wasserbindung zusammenhängen, die wahrscheinlich häufig unter dem Einfluß von Hydrolysen erfolgen, die wieder auf Ausgleich elektrischer Potentialdifferenzen (wenn auch oft ännercellulär) zurückgehen. Das interessanteste Beispiel ist wohl die für jeden Biologen so reizvolle Flimmerbewegung, die mit ihrem schnellen Rhythmus und der relativ großen Kraft ihres Schlages der Muskelcontraction am nächsten steht. Es ist gewiß und auch experimentell begründet'), daß ‚die Flimmerfortsätze einseitig anders gebaut sein müssen (in chemischer Hinsicht), und wir dürfen annehmen, daß auf der einen Seite bei jedem Schlag eine momentane Erhöhung der Wasserbindung und daher die Contraction stattfindet. Aus- gelöst wird dieser Vorgang anscheinend von der Basis der Cilien aus, und die Schnelligkeit und Rastlosigkeit des Vor- ganges läßt erwarten, daß hierbei elektrolytische Faktoren die wesentliche Rolle spielen. Auch hier dürfte die rasche Wieder- aufhebung der Veränderung auf Neutralisation oder oxydativer Entfernung der aktiven Stoffe beruhen. In ähnlicher Weise ist die Geißelbewegung und die Contr&ctionserscheinungen anderer Zellen aufzufassen („Reiz“bewegungen im Tier- und Pflanzenreich, vielleicht auch noch die etwas langsamer er- folgenden Zusammenziehungen im Innern von Zellen, denen fädige Strukturen zugründe liegen, z. В. Chromosomenverteilung

1) Durch die Unmöglichkeit der Umkehr der Flimmerbewegung

nach Transplantation usw. Biochemische Zeitschrift Band 94. 3

34 E. Herzfeld u. R. Klinger:

bei der Mitose (wobei wir von der Frage absehen, ob diese Strukturen nicht z. T. bloße Artefakte der Fixierung sind).

Die Maskslaiyeißkökper, denen wir hier noch kurz einige Erörterungen widmen müssen, haben das Schicksal so vieler anderer Organeiweiße geteilt; sie wurden in der ver- schiedensten Weise mit Extraktions- und Fällungsverfahren behandelt und jede neue Fraktion, wenn irgend möglich, mit einem neuen Namen belegt!) Der Wert dieser Einteilungen dürfte am besten aus folgenden Tatsachen hervorgehen: Wenn wir den frischen und den einige Zeit nach Aufhören der Blut- zirkulation liegen gelassenen, gegen Lackmus bereits sauer reagierenden Muskel (Meerschweinchen) in gleicher Weise mit Ammonchlorid (10°/,) extrahieren und den durch Zentrifugieren erhaltenen Abguß auf seinen Gehalt an „Myosin“ (bei 50° ausfallendes Eiweiß) untersuchen, so zeigt sich, daß beide Extrakte in konzentriertem Zustande bei 50° gerinnen, somit myosinhaltig sind. Sobald man sie aber mit gleichen Teilen destillierten Wassers verdünnt (wobei noch keine Fällung ein- tritt), zeigt sich ein auffallender Unterschied: der aus dem totenstarren Muskel gewonnene (schwach sauer reagierende) Extrakt gerinnt auch jetzt noch in toto nach 1 bis 2 Minuten bei 50°, der (schwach alkalische) Salzauszug aus frischem Muskel bleibt auch nach 15 bis 20 Minuten bei dieser Tem- peratur noch flüssig und ungefällt, er wäre somit als myosin- frei zu bezeichnen. Sowie wir ihm aber eine geringe Menge Säure zusetzen, die ihn an sich noch nicht ausflockt, gerinnt er wieder sehr schnell beim Erhitzen, unter Umständen stärker als der Extrakt aus totenstarrem Muskel; er ist somit wieder myosinhaltig. Extrahieren wir einen totenstarren Muskel da- gegen unter Zusatz von etwas Soda, so erhalten wir eine scheinbar myosinfreie Lösung, die erst nach Neutralisieren wieder bei 50° gerinnbar wird usw. Daraus ergibt sich, daß vergleichende Untersuchungen über den Myosin- und Myogen- gehalt der Muskel (frischer und totenstarrer, quergestreifter und glatter usw.), wie sie z. B. von Saxl ausgeführt wurden °),

2.8.2. B. Biochem. Handlexikon 4, 131 u. fl. 2) Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 9.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 35

uns eigentlich nichts Wesentliches über die Muskelchemie lehren und nur das Eine zeigen, daß je nach der Reaktion des Muskels die Fällbarkeit der aus ihm erhaltbaren, gröber dis- persen Eiweißteilchen wechselt. Wir können daher auf alle bisherigen Klassifikationen der Muskeleiweißkörper, die auf ihre verschiedene Fällbarkeit bei bestimmten Temperaturen oder Zusätzen begründet sind, verzichten; vielmehr sollten wir ähnlich wie bei der Blutflüssigkeit besser nur von verschieden grob dispersen Teilchen sprechen und bedenken, daß die Fäll- barkeit von Eiweiß, abgesehen von der Dispersität der Teilchen sehr wesentlich von der Reaktion und von der Anwesenheit von Salzen (lösend oder fällend wirkenden Salzen, Salzarmut usw.) beherrscht wird. Durch Erhitzung, Verdünnung mit Wasser (Diälyse), Säurezusatz (Neutralisation) usw. werden hier wie sonst nicht chemisch differente, sondern bloß verschieden stabile Eiweißteilchen gesondert; bei Nichtbeachtung der Reaktion, des Salzgehaltes usw. laufen wir Gefahr, dieselben Eiweißteilchen bald der einen, bald der anderen Fraktion zuzuteilen.

Auch die Begriffe „Myosinfibrin“, „Myogenfibrin“ (v. Fürth) gehen auf reine Löslichkeitsveränderungen von gefällten Eiweißteilchen und sollten besser vermieden werden, da sie mit Fibrin nichts zu tun haben. Wenn gröbere Eiweißteilchen nach geringem Säurezusatz aus- fallen, so werden sie um so unlöslicher, je länger sie in dieser Lösung liegen, weil ihre Oberfläche immer mehr ausgelaugt (der lösungsver- mittelnden Abbauprodukte beraubt) wird. Während sie daher zunächst in überschüssiger Säure wieder löslich werden, bleiben sie später un- löslich (sie sind in „Myosinfibrin“ übergegangen).

Wir möchten deshalb unsere Ansicht über die Muskel- eiweißkörper folgendermaßen zusammenfassen: Die Muskelfasern enthalten zum Teil koaguliertes, d. h. zu größeren Verbänden vereinigtes Eiweiß („Stroma“, vermutlich der Hauptbestandteil der I-Schichten), ferner das Fibrilleneiweiß, dessen Teilchen (anscheinend) bereits in konzentrierten Salzlösungen in kolloide Verteilung übergehen, aber relativ grob dispers sein dürften und daher die leichter fällbaren Fraktionen bilden (entsprechend etwa den Fibrinogenteilchen des Blutplasmas); schließlich die schon in den Muskelfasern kolloid verteilten Eiweißpartikelchen des Sarkoplasmas (die den Globulinen und Albuminen des Blutplasmas analog wären). Daß das Muskelstroma unter Um-

ständen (Totenstarre usw.) vermehrt ist, wie Saxl festgestellt EA

36 E. Herzfeld u. R. Klinger:

hat, bedeutet, daß dann viele der sonst noch extrahierbaren Teilchen in ihrer Löslichkeit so verändert wurden, daß sie jetzt durch das Salz nicht mehr kolloid verteilbar sind (z. B. bei der Totenstarre vermutlich durch die Säurewirkung).

Die Totenstarre beruht nicht etwa auf einer Gerinnung der Muskeleiweißkörper, sie ist vielmehr eine regelrechte Contraction, die dadurch hervorgerufen wird, daß nach dem ` Aussetzen der Blutzirkulation die beiden für den Muskel wichtigsten Reaktionen, die Säurebildung und die Säurever- brennung, eine Verschiebung ihrer Intensität erfahren. Die Säurebildung findet weiter statt; sie ist vielleicht im Vergleich zum ruhenden, lebenden Muskel sogar vermehrt; die zweite Reaktion, die oxydative Zerstörung der Säuren wird hingegen um so mehr .herabgesetzt, je mehr die O,-Vorräte der Muskel- faser aufgebraucht werden und kein oder nur wenig neuer O, hineindiffundiert. So kommt im Verlaufe von wenigen Stunden eine Zunahme der freien und fibrillenaktiven Säuren zustande, die sich in einer typischen, aber dauernden Contraction äußern muß. Die Säurebildung dürfte im wesentlichen auf den auto- lytischen Zerfall labiler Kohlenhydrate (vielleicht auch Amino- säuren usw.) zurückgehen, die sich ja im Muskel finden und dessen extreme physiologische Empfindlichkeit gegen elektrische und andere Reize bedingen. Wir wissen ja von anderen Erscheinungen (z. B. der eben erwähnten, ungefähr gleichzeitig mit der Toten- starre ablaufenden Retraktion des Blutkuchens usw.), daß gewisse autolytische Vorgänge tatsächlich schon kurz nach Aufhören der Zirkulation einsetzen. Die Tatsache, daß die Totenstarre in der Wärme schneller zur Ausbildung gelangt, spricht eben- falls für eine autolytische Entstehung der hierbei aktiven Stoffe. Ob neben diesen Hydrolysen noch elektrolytische Erscheinungen (durch Erregungsvorgänge in dem „absterbenden“ Nerven oder andersartigen Ausgleich evtl. auftretender Potentialdifferenzen) für die Säurebildung in Betracht kommen, ist vorläufig nicht entschieden. Die Bedeutung des O, bei der Ausbildung der Starre erhellt am besten aus den Versuchen H. Wintersteins!), die gezeigt haben, daß bei O,-Überdruck überhaupt keine Verkürzung des Muskels erfolgt resp. die beginnende Starre

1) Arch. f. d. ges. Physiol. 120, 225.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 37

aufgehalten wird, ferner aus der Tatsache, daß bessere Blut- durchströmung vor dem Tode den Eintritt der Starre ver- zögert!), ebenso aus der Tatsache, daß vorher ermüdete Muskel rascher totenstarr werden. Sie haben eben ihren O,-Vorrat (und ihr Alkali) stark vermindert und sind daher säureüber- empfindlich. Wenn andererseits der bei O,-Überdruck gehaltene Muskel auch nach Entfernung jeglichen O, nicht mehr starr wird (H. Winterstein), so beruht dies zweifellos darauf, daß er inzwischen die zur Starrebildung erforderlichen Substanzen

verbrannt hat.

Beginn und Dauer der Totenstarre sind für die einzelnen Muskel sehr verschieden. (Herz am schnellsten, auch die glatten Muskel relativ früh; unter den quergestreiften die weißen schneller als die roten®), was mit dem Gehalt an leicht aufspaltbaren Stoffen zusammenhängen dürfte. Letzterer schwankt bekanntlich nicht nur von einer Muskelart zur andern, sondern ist selbst für dieselben Muskel je nach ihrem Ernährungszustand verschieden (z. B. dreimal schnellere Contraction der Sommerfrosch- muskeln als bei Winterfröschen u. ähnl.)

Die Lösung der Starre darf wohl in erster Linie auf ein Verschwinden der fibrillenaktiven- Stoffe zurückgeführt werden, indem die Säuren teils oxydiert, teils neutralisiert werden. Nach Lösung der Starre reagiert der steril gebliebene Muskel in der Regel deutlich schwächer sauer als während derselben, Daneben mögen andere autolytische Prozesse, denen der Muskel bekanntlich rasch anheimfällt, eingreifen, sei es daß sie ihrerseits Wasser binden und es den Fibrillen dadurch ent- ziehen, oder daß sie in anderer Weise die Mantelzonen beein- flussen. Jedenfalls sind die Mantelzonen zunächst nicht tiefer- greifend beschädigt, was die meist noch nach Ablauf der Starre vorhandene chemische Erregbarkeit (z. B. durch Säure) und wofern sie sich bestätigen, jene Versuche zeigen, in denen unter geeigneten Bedingungen selbst die elektrische Erregbarkeit den Eintritt und zuweilen selbst die Lösung der Starre über- dauerten. Daß andererseits freilich der neuromuskuläre Apparat gegen die mit der fortschreitenden Autolyse immer weitergehende Veränderung der Elektrolytverteilung bald mit Störungen reagieren muß, ist bei der großen Empfindlichkeit desselben wohl verständlich.

1) E. Th. v. Brücke, Arch. f. d. ges. Physiol. 166. 2) Bierfreund, Arch. f. d. ges. Physiol. 48.

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Die von v. Fürth aufgestellte Theorie, wonach die Totenstarre auf eine Quellung, ihre Lösung aber auf eine Gerinnung der Muskeleiweiß- körper zurückgehen sollte, deckt sich insofern mit unseren Vorstellungen, als auch wir eine Art Quellung, nämlich eine vermehrte Wasserbindung in den Fibrillen durch die Säure als Ursache der Starre ansehen und diesen Vorgang bloß physikalisch und chemisch besser aufgeklärt haben, als dies für v. Fürth bei dem damaligen Stande der Eiweißchemie möglich war. Daß hingegen hinterher eine so schnelle Gerinnung (und daher Entquellung) der Sarkoplasmaeiweißkörper stattfinden sollte, ist schon darum nicht möglich, weil ja gerade die autolytischen Vorgänge im entgegengesetzten Sinne wirken, d. h. für die kolloide Verteilung von Eiweiß (infolge Entstehung vieler Lösungsvermittler) günstig sind. Es wäre nicht einzusehen, warum nunmehr eine Gerinnung eintreten sollte, wenn dieselbe während des stark sauren Stadiums des Muskels nicht eintrat, während dessen die Bedingungen hierfür doch viel bessere ge- wesen waren.

Gewiß ganz anders als die Totenstarre ist dagegen die Wärmestarre zu erklären, worauf schon H. Winterstein hingewiesen hat (dessen Auffassung der Totenstarre auch sonst fast ganz mit der hier entwickelten übereinstimmt.) Es ist für uns zweifellos, daß es sich bei der Wärmeverkürzung eben- falls um einen echten, d. h. auf erhöhter Wasserbindung der Mantelzonen zurückzuführenden Contractionsvorgang handelt, nur daß derselbe diesmal durch die erhöhte Temperatur und nicht durch Säure ausgelöst wird. Daß dies sehr wohl mög- lich ist, haben die eingangs näher studierten Versuche an Bindegewebsfasern gezeigt. Die Verkürzung tritt schneller ein als bei der Totenstarre und ist bei nur kurzer Dauer gut reversibel (Hermann u. al weil sie zunächst nicht mit inneren Veränderungen des Muskelchemismus einhergeht. Sowie die höhere Temperatur (50°) länger eingehalten wird, setzen auch hier jene Hydrolysen ein, die eine dauernd bessere Wasser- bindung der Fibrillen und daher Dauerverkürzung bedingen. Wird die Temperatur noch höher gesteigert, so kann die Con- traction bei 60 bis 70° noch weiter vermehrt werden, wobei [nachGotschlich')Jähnliche Gesetzmäßigkeiten der Reversibilität hervortreten, wie sie von Engelmann und von uns für Binde- gewebe festgestellt und oben erklärt wurden.

Daß gewisse Salze namentlich in stärkerer Konzentration auf dem Blutkreiswege in den Muskel gebracht eine schnelle

1) Gotschlich, Arch. f. d. ges. Physiol. 55.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 39

Starre desselben hervorbringen, beruht wohl ebenfalls darauf. daß sie in den Muskel eindringen und die Wasserbindung in den Mantelzonen erhöhen. So kann man mit NaFl, wie von v. Fürth gefunden wurde, die Muskel in wenigen Minuten starr machen. Injiziert man eine 5°/,ige Lösung bei einem vorher mit physiologischer NaCl-Lösung durchspülten Tier in die Aorta, so kommt es sofort beim Eindringen der Salzlösung in die Extremitäten zu einer plötzlichen und starken Con- traction, die zunächst wohl auf elektrochemischen Vorgängen (unter Mitwirkung des nervösen Apparates) beruht. Nach vorüber- gehenden Nachlassen kommt dann schnell eine vollständige, der Totenstarre gleiche Dauercontraction zustande, die jetzt wohl sicher durch vermehrte Wasserbindung der Fibrillen bedingt ist. Andere Salze wie z. B. KCI (5°/,) machen wohl die erste Contraction, die Muskel bleiben aber relativ leicht beweglich. Diese Salze haften also nicht stärker in den Mantelzonen, während z.B. Na-Salicylat oder Rhodan-K sich wieder wie FlNa verhalten und eine sehr aus- gesprochene Muskelstarre hervorrufen’). Ähnlich wirken 5 bis 10°/,ige Lösungen von Harnstoff oder Urethan, was neuerdings be- weist, daß die Capillaraktivität der Stoffe bei diesen Contractionen höchstens eine sekundäre Rolle spielt (Harnstoff ist nahezu nicht, Urethan stark aktiv). Es sind neben der Wasserlöslichkeit des Salzes chemische Affinitäten zwischen den Eiweiß- Abbauprodukten und dem Salz, d. h. Bildung von Salz- verbindungen, die Ursache der beschriebenen Wirkungen. (Siehe auch die oben referierten Untersuchungen Schwenkers an Einzelmuskeln.)

Schwieriger zu erklären sind vorläufig noch die Wirkungen der erregend wirkenden Alkaloide, da wir zur Zeit über ihre Beziehungen zum Eiweiß noch zu wenig orientiert sind. Zum Teil kommt hierbei,

wie die Versuche mit Veratrin, Koffein, Chinin usw. gezeigt haben, eine Beeinflussung der Wirkung oder Übertragung des Nervenstromes im

1) Bei v. Fürth (Probleme der physiol. Chem., 1911) findet sich die Angabe, daß Na-Salicylat und Rhodanat nicht starreerregend wirken, was nach unseren Erfahrungen (an Ratten gewonnen) nicht zu- trifft. Auch ein Gegensatz in der fällenden Wirkung auf „Muskel- plasma“, wie ihn v. Fürth zwischen diesen Salzen und den FINa an- nahm, besteht nicht, da dieselben selbst in relativ hoher Konzentration ‚die Löslichkeit von Eiweiß erhöhen.

A0 E. Herzfeld u. R. Klinger:

Muskel in Frage, wie der von Rothberger?), von v. Fürth und Schwarz?) u. a. studierte Antagonismus dieser Stoffe gegen Curare ver- muten läßt. Außerdem scheint aber noch eine direkte Wirkung auf den Muskel zu bestehen, dessen näherer chemischer Mechanismus gegen- wärtig noch unklar ist. j

Wenn man in die Bauchaorta eines frisch entbluteten

Tieres Chloroform, Äther, Xylol, Toluol oder einen ähnlichen lipoidlöslichen Nichtelektrolyt injiziert, so tritt in wenigen Sekunden die als „Chloroformstarre“ bekannte, brettharte Contraction aller Muskeln ein, die dauernd bestehen bleibt. Für die Erklärung dieses Vorganges ist wichtig, daß eine Prüfung einer frischen Schnittfläche des z. B. mit ganz neutralem Xylol injizierten Beines zunächst wohl noch alkalisch, nach kurzer Zeit aber deutlich sauer gegen Lackmuspapier reagiert, während ein nicht injiziertes Kontrollbein (z. B. der oberen Extremität) viel länger die übliche schwach alkalische Reaktion zeigt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch bei dieser Contraction nicht die injizierte Flüssigkeit selbst (die ja die Wasserbin- dung in den Fibrillen kaum sehr stark beeinflussen könnte), sondern eine plötzliche Säurebildung die eigentliche Ursache ist. Es fragt sich nunmehr, wieso. derartige lipoid- lösliche Stoffe eine so schnell eintretende Säuerung bewirken können? Injiziert man in eine frische Tierleiche eine isotonische körperwarme Zuckerlösung (z. B. Milchzucker 7°/,), so treten sofort allgemeine und sehr lebhafte Zuckungen ein, die einige Zeit andauern. Ähnliches gilt bekanntlich auch für hypo- und hypertonische Salzlösungen. Die Konzentrationsänderung der zwischen den Fibrillen befindlichen Salze bewirkt somit starke Contractionen, die durch das plötzliche Auftreten von Potential- differenzen, also durch elektrische Ströme bedingt sein müssen, welche durch den Nerven hindurch zum Ausgleich kommen. Sind die Verhältnisse im Muskel normale, so wird die dadurch elektrolytisch gebildete Milchsäure sofort wieder verbrannt, wie bei einer gewöhnlichen Erregung des Muskels vom Nerven her. Durch die lipoidaffinen, rasch in die Zellen eindringenden Stoffe wie Xylol, Chloroform usw. wird zwar auch eine ähnliche sofortige Contraction ausgelöst, gleichzeitig dürften aber die O,-Überträger,

1) Arch. f. d. ges. Physiol. 92. TI Arch. f. d. ges. Physiol. 129.

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. At

namentlich die Lipoidoberflächen, zerstört oder doch in ihrem Chemismus so verändert werden, daß keine Oxydationen mehr‘ möglich sind. Die saure Reaktion bleibt daher dauernd be- stehen. Daß die erwähnten Stoffe, welche durchgehend stark capillaraktiv sind, vielleicht auch die Flüssigkeitsspannung der Fibrillen durch Bindung an die in den Mantelzonen vorhan- denen Lipoide erhöhen könnten, darf natürlich nicht von der Hand gewiesen werden.

Es ist klar, daß die zur Contraction führenden Potentialdifferenzen bei Chloroform usw. chemisch anders bedingt sind; vermutlich kommen sie auch anders zum Ausgleich als bei bloßer Änderung der Salzkonzen- tration. So wird z. В. durch Xylolinjektion auch der einige Zeit nach Tötung des Tieres gelegene (noch nieht totenstarre) Muskel noch starr, auch wenn das Präparat durch bloße Zuckerinjektion nicht mehr erregbar- ist. Dies weist darauf hin, daß die Erregung durch Xylol doch auf eine ganz andere Ärt zustande kommt, wie die bei Zuckerdurchspülung [welch letztere anscheinend die Intaktheit der Nervenleitung verlangt?)]. Eine direkte Eiweißfällung als Ursache des Starrwerdens durch Chloroform usw. anzunehmen, geht nicht an, weil ja die wirksamen Stoffe gerade schwache Eiweißfällungsmittel sind; die Muskel werden nach Xylol- injektion zwar sofort trübe; dies dürfte aber durch die Änderung der Brechungsverhältnisse genügend erklärt sein, welche durch die feine Ver- teilung eines kaum wasserlöslichen Stoffes in dem wasserreichen Milieu,. durch die Löslichkeitsänderung der Lipoide usw. gegeben ist.

Wir hoffen, daß wir mit den vorausgehenden Ausführungen die aufgestellte Theorie der Muskelcontraction nicht nur in chemischer Hinsicht genügend begründet, sondern gleichzeitig: die Brauchbarkeit der entwickelten Vorstellungen für viele Pro- bleme der Muskelphysiologie erwiesen haben; zwei Forderungen, die unseres Erachtens von den früheren Theorien in diesem Maße kaum erfüllt wurden. Natürlich sind wir weit entfernt, anzunehmen, daß hiermit ein auch nur vorläufiger Abschluß erreicht sei; vieles, wie namentlich die elektrochemischen Vor- gänge im Muskel sind ja noch zum größten Teil unaufgeklärt. Wesentlich scheint uns aber, daß, wie wir erwarten, nunmehr die Richtung, in der die weitere Forschung sich bewegen wird,

1) S. auch die Untersuchungen Grützners, Zennecks, Bern- steins u. a. Stoffe wie Äther, Xylol (und anisotone Salzlösungen) wir- ken auch stark erregend auf die sensiblen Nerven, was isotone- Zuckerlösungen nicht tun. `

42 E. Herzfeld u. R. Klinger:

gewonnen ist, so daß das bisherige Schwanken zwischen geradezu entgegengesetzten Erklärungsarten verlassen werden könnte.

Zusammenfassung.

1. Die Elastizität mäßig wasserhaltiger Gelatine wird auf die Existenz deformierbarer Mantelzonen um die einzelnen Teilchen zurückgeführt, die infolge Wasser- bindung eine gewisse „Flüssigkeitsspannung“ besitzen und daher die Kugelform zu bewahren streben, wenn sie durch äußere Kräfte in die Länge gezogen werden.

2. Auch die Verkürzungserscheinungen, welche Binde- gewebsfasern in heißem Wasser, bei Einwirkung von Säuren und Alkalien usw. zeigen, werden durch ähnliche Zonen wasser- bindender Abbauprodukte verursacht, die den festern Kern der die Fasern aufbauenden Eiweißteilchen umgeben. Diese Zonen sind physiologischerweise in der Faserriehtung lang- ausgezogen (daher auch doppelbrechend). Unter den angegebenen Umständen erlangen sie aber infolge vermehrter Wasserbindung die Eigenschaften einer zähflüssigen Masse, speziell Flüssig- keitsspannung, sie gehen daher unter Kraftentwicklung in die Kugelform über, wodurch die Verkürzung und Verdickung der Faser zustande kommt. Р

3. Ein ganz ähnlicher chemischer Bau und Contractions- mechanismus wird auch in den Fibrillen der Muskelfasern angenommen. Auch hier erfolgt die Verkürzung dadurch, daß die vorher langgestreckten (ellipsoiden) Mantelzonen der Fibrillen- eiweißteilchen die Kugelform annehmen. Dies geschieht auch hier durch erhöhte Wasserbindung, die bei der physiologischen Contraction durch Milchsäure und andere niedere Fettsäuren hervorgerufen wird, welche durch den Nervenstrom elektrolytisch aus vorhandenen Kohlenhydraten (vielleicht auch aus anderem Material) abgespalten werden. Nach Aufhören dieser Zer- setzung (des „Nervenreizes“) werden diese fibrillenaktiven Stoffe durch den im Mantelgewebe vorhandenen, an Lipoid- und anderen Oberflächen adsorbierten Sauerstoff sofort verbrannt, die Mantelzonen verlieren daher ihre vermehrte Wasserbindung und werden wieder nachgiebige weiche Massen, die durch äußere Krafteinwirkungen leicht in die normale Länge des Muskels („Ruhelage“) gezogen werden können. Die Einzel-

Chemische Studien zur Physiologie und Pathologie. VII. 43

heiten dieser hydrolytischen und oxydativen Vorgänge werden näher erörtert und speziell die Frage nach dem Ursprung der Muskelkraft aufgeklärt.

4. Es werden ferner die wichtigsten Tatsachen der Muskelphysiologie vom Standpunkte der neuen Theorie aus analysiert und eine chemische Erklärung derselben versucht. (Ermüdung, Wärmebildung, Beziehungen der Funktion zum Wassergehalt, zum Nervensystem usw., Totenstarre, Wärme- starre usw.)

5. Die vorliegende Theorie kann auch auf eine Reihe anderer Contractionserscheinungen der organisierten Materie angewendet werden (schnelle Bewegungen, wie die der Flimmer- epithelien usw. einerseits, langsame Zusammenziehungen wie die Retraktion des Blutkoagulums andererseits).

6. Die bisher angenommenen verschiedenen Muskel- eiweißkörper (Myosin, Myogen usw.) sind nicht chemische Individualitäten; vielmehr bedingt bloß der jeweilige physi- kalisch-chemische Zustand der Teilchen eine bald größere, bald geringere Fällbarkeit, wobei namentlich die Reaktion neben

anderen Momenten (Salzgehalt usw.) von entscheidendem Ein- ВоВ ist.

Notiz zur Theorie des Muskelmotors.

Von

Emil Baur. (Eingegangen am 25. November 1918.)

Mit 1 Figur im Text.

In der vorgängigen Abhandlung von E. Herzfeld und R. Klinger wird eine Quellungstheorie der Muskelcontraction entwickelt. Bei der Ablehnung solcher Theorien in meiner Abhandlung: „Physikalische Chemie der Muskelwirkung“!) stützte ich mich auf den Befund von K. Hürthle?), wonach die con- tractilen Bauelemente, nämlich die anisotropen Schichten der Fibrillen, keine Volumänderung erleiden. Wird diese Grund- lage angefochten, so kann die Quellung als Ursache der moto- rischen Leistung des Muskels von neuem in Betracht fallen.

In der Abhandlung von Wolfg. Pauli’): „Kolloidehemie der Muskelcontraction* wurde die Quellung auf die Säuerung und die Entquellung auf die Entsäuerung des Sarkoplasmas. bezogen. Diese Theorie ist energetisch unzureichend. Ist der Quellungsdruck Funktion der Acidität, so kommt für die Energie quelle der Muskelarbeit die osmotische Arbeit des Wasserstoff- ions zwischen den Grenzen der Milchsäureaeidität und der H`- Konzentration der 'Körpersäfte im allgemeinen, also die Bi- carbonatacidität, in Betracht.

Eine 1°/,ige Milchsäurelösung ist ca. !/,, molar, ihre Disso- ziationskonstante К = 1,4.107*; ihre H'-Konzentration in sl, Lösung danach са. 4-10°®. Die Bicarbonatacidität ist etwa

1) Vierteljahrsschr. Naturforsch.-Ges. Zürich 61, 225, 1916.

?) Arch. f. d. ges. Physiol. 126, 151, 1909.

з) Steinkopff, Dresden 1912, S. 25.

Emil Baur: Theorie des Muskelmotors. 45

Сы: = 10". Demnach ist die zur Verfügung stehende freie Energie, die beim Übergang von Ср. = 4-10 auf Ср. = 107° für 1 Mol Milchsäure zur Umwandlung in Arbeit verfügbar ist.

0,239 - 0,057 - 96 500 - log'4 - 10* = 6050 cal. Dagegen ist die Verbrennungswärme der Milchsäure 329500 cal. Obiger Betrag ist 2°/, der Verbrennungswärme, während im Muskel ca. 25°/, der letzteren als Arbeit erscheinen.

Jene Quellungsarbeit kann in einer reversibel arbeitenden Quellungsmaschine gewonnen werden, die z. B. nach dem Schema der folgenden Figur eingerichtet ist, die wohl keiner weiteren Erläuterung bedarf. Eine virtuelle Verschiebung am osmotischen

Söurelösung

Fig. 1.

Stempel zieht eine ebensolche am Quellungsstempel nach sich und umgekehrt. Rückt der osmotische Stempel vor, so erhöht sich die H-Konzentration, worauf H mit Wasser in den Quell- körper einzuwandern und dessen Quellungsdruck zu erhöhen strebt.

Demgegenüber stellt die Annahme von Herzfeld und R. Klinger eine Verbesserung dar, indem hier die Quellung als Funktion nicht der H'-, sondern der Milchsäurekonzentration angesetzt wird. Die Autoren können nun die Milchsäurekon- zentration durch Verbrennung bis zum entsprechenden, zur Verbrennung gehörigen, chemischen Gleichgewicht herab ab- nehmen lassen und gewinnen so den nötigen Spielraum, um die erfahrungsmäßig gegebene Arbeitsleistung des Muskels herauszuwirtschaften.

46 Emil Baur: Theorie des Muskelmotors.

Ein gewisses Bedenken gegen die Quellungsmaschine könnte man darin erblicken, daß der energieliefernde Vorgang die Entquellung bewirkt, während bei meinem capillarchemischen Muskelmotor gerade die Spannung an den Verbrennungsvorgang gekoppelt ist. W. Pauli hebt selbst dieses Bedenken hervor, doch bemerkt er mit Recht, daß das chemodynamische Prinzip der fraglichen Maschine durch diesen mehr technischen Umstand nicht berührt wird. Immerhin vermag er die Überzeugungs- kraft der ganzen Anschauung nicht gerade zu heben. Welche Theorie der Wahrheit näher kommt, muß natürlich die künftige histologische und physiologische Forschung entscheiden.

Absolute und relative Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen.

Von

Hans Friedenthal, Berlin. (Eingegangen am 18. Januar 1919.)

Die innere chemische Verwandtschaft aller Lebewesen der Pflanzen wie der Tiere wird hell beleuchtet durch die Tatsache, daß es bisher nicht gelingen wollte, Mittel zu finden, die den Krankheitserregern das Wachstum in den höheren Lebe- wesen unmöglich machen, ohne daß letztere selber von den Mitteln beeinflußt würden. Der gemeinsame Besitz aller Lebe- wesen an Kernstoffen, Eiweißstoffen, Fetten, Kohlenhydraten, Salzen, sowie an Enzymen bewirkt, daß ein Mittel für alle

Lebewesen different sein muß, das mit einer der obigen chemi- schen Gruppen reagiert. Unsere wirksamsten Desinfektions- mittel sind Reagenzien auf Kernstoffe, erst in zweiter Linie auf Eiweißstoffe; auch enzymschädigende Mittel finden wir unter unseren Desinfektionsmitteln vertreten. Hindern wir die Fort- pflanzung eines Krankheitserregers im Tierkörper durch ein in die Blutbahn eingebrachtes chemisches Mittel, so wird die Krankheit gebrochen sein, selbst wenn keine direkte Abtötung des Erregers erfolgt, sondern nur Wachstumshemmung. Um eine Infektionskrankheit wirksam mit einem in die Säfte ein- geführten Desinfektionsmittel zu bekämpfen, müssen wir Mittel aufsuchen, die in Mengen für die höheren Lebewesen unschäd- lich sind, die genügen, verteilt auf die gesamte Säftemenge dieses Lebewesens, die Teilungsgeschwindigkeit der Infektions- erreger sehr erheblich herabzusetzen. Für einen Menschen von 60 kg Gewicht werden wir eine Säftemenge von etwa 101 Blut

48 H. Friedenthal:

und Lymphe und Gewebsflüssigkeit schätzen können, die als Wachstumsgebiet der Infektionserreger auf dem Säftewege in Betracht kommen. Die Zellen und Fibrillen des Körpers selber mit ihrem Wassergehalt kommen als Sitz der Infektionserreger nur in einigen Fällen in Betracht. Man kann die Frage auf- werfen, welches der bisher für innere Desinfektion benutzten Mittel ist imstande, in unschädlicher Menge in die Säfte- bahn eines höheren Lebewesens, wie des Menschen, eingebracht, ‚eine merkliche Wachstumshemmung in etwa 101 besten Nähr- bodens hervorzurufen? Wir müssen feststellen, ob es Nähr- böden gibt, die das Wachstum der Infektionserreger in der gleichen Weise begünstigen, wie die Säfte eines Erkrankten und dabei in gleicher Weise mit dem Desinfektionsmittel re- agieren und dessen Wirkung hemmen. Nach experimenteller Bearbeitung der allergrößten Zahl unserer gebräuchlichen Des- infektionsmittel kann die Behauptung vertreten werden, daß keines der bekannten Mittel imstande ist, in unschädlicher Menge 101 besten Nährbodens steril zu halten, gegen die ge- wöhnlichen Fäulniserreger ebensowenig wie gegen unsere be- kannten Infektionserreger, wie Diphtherie, Staphylokokken, Streptokokken, Koli, Cholera, Typhus und viele andere. Bei Zusatz reichlicher Eiweißmengen zum Nährboden sinkt die absolute Desinfektionskraft der allermeisten Desinfektionsmittel auf einen geringen Bruchteil der ohne Eiweißzusatz beobachteten Desinfektionswirkung herab. Die absolute Desinfektions- kraft eines Mittels soll in den folgenden Zeilen gemessen werden durch diejenige Flüssigkeitsmenge besten Nährbodens, die von einem Gramm der zu untersuchenden Substanz dauernd bei Körpertemperatur steril gehalten wird. Die relative Des- infektionskraft soll durch diejenige Flüssigkeitsmenge ge- . messen werden, die von der innerhalb 24 Stunden tötenden Dosis des Desinfektionsmittels dauernd bei Körpertemperatur steril gehalten wird. Es braucht wohl nur darauf hingewiesen . zu werden, daß ein brauchbarer Vergleich der absoluten und relativen Desinfektionskraft chemischer Elemente und Verbin- dungen nur bei Innehaltung gleichmäßiger Versuchsbedingungen zu gewinnen ist, so daß viele Hunderte von Versuchen bei Prüfung weniger Dutzend von Verbindungen erforderlich sind. Daß bei Arbeiten mit Lebewesen keine Exaktheit im physika-

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 49

lischen Sinne erzielt werden kann, ist wohl jedem Biochemiker geläufig. Dasjenige Mittel, das die höchste relative Desinfektions- kraft zeigt, ist das brauchbarste, nicht das Mittel mit absoluter höchster Desinfektionskraft.

Um die Preiswürdigkeit verschiedener- Desinfektions- mittel zu vergleichen, dürfen wir ebenfalls nicht die absoluten Preise verschiedener Mittel miteinander vergleichen, nicht die Preise einer Gewichtseinheit, sondern die relativen Preise, das sind die Preise für Substanzmengen von gleicher Des- infektionskraft. Teuere Substanzen mit starker Desinfektions- wirkung sind meist relativ billiger als absolut billige Substanzen von geringer Wirksamkeit. Um 10001 Nährbouillon steril zu halten, brauche ich für 10 Mark Kochsalz (Kilopreis 10 Pfennig), aber in Friedenszeiten nur für 15 Pfennig Sublimat (Kilopreis 6,50 Mark). Das teuere Sublimat ist also in diesem Falle 60 mal billiger bei gleicher Leistung als das an sich so billige Koch- salz. Die Rangordnung der untersuchten Stoffe ergibt sich aus ihren relativen Preisen.

Eine Übersicht über die Preiswürdigkeit einer ganzen Reihe von gebräuchlichen Desinfektionsmitteln gibt die folgende Ta- belle, in der die Anzahl von Litern Nährbouillon angegeben ist, die für 1 Mark von den Desinfektionsmitteln steril gehalten werden können. Die Preiswürdigkeit tritt bei dieser Angabe ebenso deutlich hervor, wie bei Angabe der relativen Preise. Für 1 Mark können steril gehalten werden: mit Formalin . . . . . 65001 Nährbouillon, Kilopr. 90 Pf.

» Nessl&ol, einem neuen kolloidalen Quecksil-

berpräparate . . . . 65001 » » 3000 » » Quecksilberamalgam,

kolloidal . . . . . . 55001 » 8000» » Sublimat . . . . „86001 D 500 » » Eisenchlorid . . . . 30001 n 160 » » Zinkchlorid. . . . . 12001 D » 56 » a Wasserstoffsuperoxyd . 1200 1 » » 2700 » » Arsenik . . . . . . 12001 D 160 » » Grotan (Chlorxylenol) . 5001 » 200» » Alaun. .,.. . . 3801 х 55 » » Natronlauge . . . . 3601 » 230 »

A3

Biochemische Zeitschrift Band 94.

50 H. Friedenthal:

mit Salzsäure . . . . . 3501 Nährbouillon, Kilopr. 11 Pf. » Creolin . . . . . . 8051 D n 350 » » Carbol. . . . . . . 1801 » » 60 » » Fluomatrium . . . . 901 » » 245 » » Aluminiumchlorid . . 801 D » 330 » » уво... ere ms 551 H H 190 » » Caleiumchlorid . . . 80] D » 40 » » Sagrotan. . . . . . 301 D 200 » : » Jodtribromid . . . . 301 D » 3800 » » Phosphorsäure . . . 201 45 » » Kochsalz. .. . . . 201 D » 10 » » Silberkolloid . . . . 181 » » 15000 » » Goldchlorid .... 0,81 » » 20000 » » Natriumjodid . . . . 0,8 1 D » 2700 » » Natrium sozojodolicum 0,31 n » 9000 » » Methyldinatriumarseniat 0,2 1 » » 8000 »

Aus der obigen Tabelle geht die Überlegenheit des Form- alins über sämtliche geprüfte Desinfektionsmittel bezüglich Preiswürdigkeit klar hervor, darüber hinaus können wir bei der synthetischen Darstellung neuer Desinfektionsmittel an der Hand dieser Tabelle feststellen, ob die Herstellung für die All- gemeinheit einen ökonomischen Vorteil bedeuten wird oder ob Spezialvorteile des neuen Mittels den Versuch seiner Einführung selbst bei höherem relativen Preise als dem des Formalins rechtfertigen müssen. Wir sehen aus der Tabelle zugleich, daß die Billigkeit eines Mittels nur bei sehr hoher Wirksamkeit einen geringen relativen Desinfektionspreis wahrscheinlich ma- chen wird. Überraschend teuer stellt sich die Desinfektion mit Creolin und Carbol. Die Desinfektion mit rohen Laugen und Säuren ist noch immer sehr viel teurer, selbst in der Großpraxis, als die mit Formalin.

Wenn irgendeine Kombination noch so billiger Salze mit geringerem relativen Preise als dem des Formalins möglich sein sollte, so erforderte dies das Auffinden eines sehr stark wirk- samen und dabei billigen negativen Salzanteiles, da festgestellt ist, daß keines der positiven Elemente dem Quecksilber an Preiswürdigkeit auch nur nahekommt. Dem organischen Syn- thetiker erwächst die Aufgabe, den preiswürdigsten negativen

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 51

Salzanteil herauszufinden, um durch Bildung des Quecksilber- salzes zu dem denkbar billigsten Desinfektionssalz zu gelangen.

Um eine feste Grundlage in der Lehre von den anorgani- schen Desinfektionsmitteln zu schaffen, ist eg zweckmäßig, die chemischen Elemente in Reihen zu prüfen, die dem periodischen System entsprechen. Ein chemisches Element wird auch für die Desinfektionslehre charakterisiert durch sein Atomgewicht (und sein Atomvolumen), das für die Stellung im periodischen System maßgebend ist. Gibt es mehrere Modifikationen eines chemischen Elementes, so können sich dieselben Krankheits- erregern gegenüber wie verschiedene Stoffe verhalten, bildet ein Element sehr verschiedene Ionen, so ist jedes Ion als ein besonderer Stoff zu prüfen. Von besonderer Wichtigkeit sind die elektrischen Ladungen der verschiedenen Ionen, denn es kann ein Element bei negativer Ladung die entgegengesetzten Eigenschaften annehmen, wie bei positiver Ladung gegenüber Krankheitserregern. So ist die Jodsäure trotz der hohen Des- infektionskraft des elementaren Jodes in ihren Alkalisalzen für Infektionserreger fast indifferent. Da innerhalb des Organismus Oxydationen und Reduktionen ablaufen, können Substanzen nach Injektionen in die Blutbahn desinfektorische Wirksamkeit erlangen, die im Reagensglas sich gegen Krankheitserreger in- different erweisen.

Verhältnismäßig einfach erscheint die Versuchsordnung zur Prüfung der absoluten Desinfektionskraft eines chemischen Stoffes. Je mehr Krankheitserreger geprüft werden auf ihre Empfindlichkeit gegen den zu untersuchenden Stoff, desto ge- sicherter das Resultat. Um die Zahl der anzustellenden Ver- suche nicht ins Ungemessene zu steigern, wird man zweckmäßig einige besonders widerstandsfähige Bakterien, wie die häufigsten Fäulniserreger zur Prüfung benutzen und mit den empfindlich- sten Krankheitserregern erst bei solchen Stoffen nachprüfen, die eine hohe Desinfektionskraft den Fäulniserregern gegenüber erwiesen haben. Die in den folgenden Tabellen mitgeteilten Zahlen der absoluten Desinfektionskraft chemischer Stoffe sind empfindlichen Krankheitserregern gegenüber um ein Vielfaches zu erhöhen, doch gibt die gemeinsame Versuchsanordnung eine gute Basis für die Vergleichung der Wirkungen.

4%

52 Н. Friedenthal:

Versuchsanordnung.

Je 2 ccm Nährboden werden versetzt mit fallenden Mengen der zu untersuchenden Lösung und mit dest. Wasser auf 7,5 ccm Flüssigkeit aufgefüllt. Je zwei Röhrchen werden für jede Konzentration benutzt. Die Nährböden werden geimpft mit einer Öse der Kulturen der Fäulnis- erreger, die mehrere Millionen Bakterien in der Öse enthielt. Durch die große Zahl der überimpften Bakterien sollten Zufallssterilisierungen mög- lichst eingeschränkt werden. Als Nährboden diente Ragitbouillon von E. Merck, Darmstadt, nach der Vorschrift von Marx mit vorgeschrie- benem Zusatz von .Sodalösung bis zur eben merklichen alkalischen Re- aktion des Nährbodens. Ohne Zusatz«von Sodalösung blieben eine Reihe von Kontroll-Ragitnährböden trotz Impfung steril. Bei genauer Inne- haltung der neutralen Reaktion wuchsen die benutzten Kulturen von Bacterium vulgare (Hauser), die sich durch Resistenz gegen Gifte als besonders geeignet erwiesen haben, mit großer Schnelligkeit, und die Bakterien zeigten lebhafteste Eigenbewegung. Bei jedem Versuch mußten zwei ungeimpfte Röhrchen als Kontrolle der Sterilität des Nährbodens dienen, ferner zwei geimpfte Röhrchen, die mit 0,5 cem dest. Wasser versetzt waren, bei denen die Konzentration des zu prüfenden Stoffes also Null war. Die zur Impfung benutzten Kulturen wurden alle acht Tage weiter geimpft und 48 Stunden nach der Anlegung bei den Des- infektionsversuchen benutzt.

Die Verdünnungen des Desinfektionsmittels werden nach dem Schema (X 0,1 х, 0,01 х, 0,001 x) hergestellt und mit einer in !/,, ccm geteilten Pipette 0,1 ccm, 0,07 com und 0,03 ccm von jeder Konzentra- tion dem Nährboden zugefügt und aledann mit sterilem, destilliertem Wasser auf 2,5 com aufgefüllt. Durch die Rücksicht auf Nährboden- mangel bei der Anstellung von Tausenden von Einzelversuchen war die Wahl von nur 2,5 com Nährboden bedingt, während die Genauigkeit beim Arbeiten mit je 12 cem Nährboden größer gewesen wäre. Schwierig- keiten bei der Ausführung der Versuche ergaben die schwächsten Kon- zentrationen der allerwirksamsten Mittel, die bei mehrfachen Wieder- holungen nicht immer die gleiche Zahl für die absolute Desinfektions- kraft ergaben, während man sich bei den schwächer wirkenden Mitteln auf genaue Übereinstimmung bei Wiederholung der Versuchsreihen ver- lassen konnte.

Von verschiedenen Experimentatoren, namentlich Richer, ist bereits auf die Variabilität der hemmenden Dosis bei den Schwermetallsalzen aufmerksam gemacht worden. Besondere Sorgfalt und Umsicht bei der Bewertung von Resultaten er- fordern instabile Lösungen kolloidaler sowie komplexer Mi- schungen. Daß der Übergang in eine andere Modifikation selbst bei Prüfung von Elementen durch Änderung der Desinfektions-

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 53

kraft sich merklich machen wird, erscheint natürlich, doch wirken auch gelbildende und peptisierende Beimengungen bei kolloidalen Lösungen in der gleichen Richtung. Als total hem- mende Dosis wurde diejenige Konzentration eines zu prüfenden Stoffes aufgefaßt, bei der innerhalb 48 Stunden keine Vermeh- rung der Testbakterien zu bemerken war. Eine Prüfung, ob die Bakterien abgetötet waren, wurde nicht ausgeführt, sondern die dauernde Wachstumshemmung als Resultat angesehen. In ganz vereinzelten Fällen wurde ein Wachstum nach mehr als 48 Stunden Versuchszeit beobachtet und die betreffenden Ver- suche mit geringer Änderung der Konzentration wiederholt. Bei der Beurteilung der Resultate der Versuche über Fest- stellung der absoluten Desinfektionskraft verschiedener Stoffe bei äußerer und bei innerer Desinfektion ist der Reaktion der zu untersuchenden Lösung, d. h. ihrem H-Ionengehalt und einer evtl. Reaktionsverschiebung weit größere Aufmerksamkeit zu widmen, als bisher üblich war. Die Mehrzahl der Krank- heitserreger ist gegen Reaktionsverschiebung derart empfindlich, daß eine Bindung des OH-Ionenüberschusses genügt, um den Nährboden völlig steril zu halten. Bringt man eine Säure in das Blut, so gibt der Tierkörper neues Alkali ab nnd sucht seinen normalen H-Ionengehalt von 0,8-10”g H im Liter festzuhalten, ebenso bindet er das in das Blut gebrachte OH- Ion durch neugebildete Säuren und widersetzt sich einer Er- höhung seines OH-Ionengehaltes im Gegensatz zu einem Nähr- boden, dessen Widerstand gegen Reaktionsverschiebung meist unvergleichlich geringer ist. Für die Beurteilung eines Stoffes auf Wert für innere Desinfektion ist die Desinfektionskraft bei Blutreaktion, also bei 0,8-10” g H maßgebend. Es kommt im Blut nicht Salicylsäure, sondern salicylsaures Natron, nicht Jodwasserstoff, sondern Jodnatrium zur Wirkung bei genügend langsamer Einführung und bei Vermeidung übermäßiger Mengen?)

Von keinem chemischen Element und von keiner chemi- schen Verbindung wird der Wasserstoff in Ionenform als H-Ion

1) Anmerkung в. Friedenthal und van Westenrigk, Über Veränderung der Blutreaktion bei intravenöser Einführung von Säure und Alkali“. Friedenthal, Arbeiten aus dem Gebiet der experi- mentellen Physiologie I. Verlag Gustav Fischer, Jena 1908, S. 482.

54 H. Friedenthal:

an absoluter Desinfektionskraft auch nur annähernd erreicht. Es genügt 1g H-Ion, um 30 Millionen Liter besten Nährbodens dauernd steril zu halten, bei Abwesenheit von OH-Ionen lie- fernden Verbindungen, denn eine Reaktionsverschiebung von 0,8-1077 gH auf 2-10” g Å verhinderte in den Versuchen jedes Bakterienwachstum. Ob es gelingen wird, bei Septicämie durch geringe mit dem Leben verträgliche OH-Ionenbindung’ im Blut Bakterienwachstum zu verhindern, müßten Versuche lehren. Wenn die Ärzte bei Fiebernden Säure zu trinken ver- ordnen, so ist damit eine H-Ionenvermehrung im Blut natür- lich noch nicht sichergestellt, und es müßten eingehende Ver- suche über die Wirkung saurer Getränke bei verschiedenen Säugetieren den Betrag einer evtl. H-Ionenveränderung im Blut zahlenmäßig festlegen. Da das Wasserstoffion das stärkste Des- infiziens ist, spielt der negative Bestandteil bei starken Säuren nur insofern eine Rolle, als die absolute Desinfektionskraft um so geringer sein wird, je höher das Molekulargewicht der Säure ist, ganz unabhängig von einer evtl. vorhandenen Desinfektions- kraft des Anions, das dem überstark wirksamen H-Ion gegen- über nicht zur Wirkung kommt. Je schwächer die Säure, desto ‘mehr kommt дег desinfektorische Effekt des Anions zur Geltung. Wir müssen die Desinfektionskraft einer dissoziierenden Ver- bindung auffassen als Ergebnis der Desinfektionskraft der ein- zelnen Bestandteile, also der Ionen, und jedes Ion ist als ein selbständiges Desinfiziens zu betrachten. Die absolute Des- infektionskraft von Chlorwasserstoffsäure ergab sich zu 1,651 pro Gramm, von Bromwasserstoffsäure zu 0,5 1 pro Gramm, trotzdem das Bromion stärker hemmend wirkt als das Chlorion.

Die folgende Tabelle zeigt die absolute Desinfektionskraft (1 g hemmt x Liter Nährbouillon) einiger Salze im ersten Strahl des periodischen Systems der chemischen Elemente, außerdem von Ammonium. Es wurden des Vergleiches wegen, wo es anging, die Chlorverbindungen der zu untersuchenden Elemente geprüft.

Wasserstofichlorid HCl 1 g hemmt 1,7 1 Bouillon.

Litbiumchlorid LiCl ig » 0,071 » Ammoniumchlorid NH,Cl ig » 0,081 » Natriumchlorid Nal ig » 0,011 n Kaliumchlorid кс ig 0,011 n

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 55

Ganz andere Zahlen ergeben die Elemente mit kleinem Atomvolumen (Schwermetalle) des ersten Strahles im periodi- schen System.

Kupferchlorid Собі, 1g hemmt 1,61 Bouillon. Silbernitrat AgNO, ig » 17 1 » Goldchlorid AuCl, ig » 3 1 n Silber kolloidal Ag (Fulmarginn ig » 31 1 » Gold kolloidal Au lg » 0 l »

Fulmargin (Elektrosilber) übertrifft alle bisher geprüften Silberverbindungen bei weitem an absoluter Desinfektionskraft. Wie Verfasser vermutet, weil das Silber allein für den des- infektorischen Effekt der Silberverbindungen in Frage kommt und die übrigen Bestandteile nur als Ballast wirken. Erst wenn wir Silber kuppeln mit einer Gruppe, die das elementare Silberion an absoluter Desinfektionskraft übertrifft, können wir daran denken, mit einer Silberverbindung das Fulmargin an absoluter Desinfektionskraft zu übertreffen.

Die absolute Desinfektionskraft von Elementen im zweiten Strahl des periodischen Systems der chemischen Elemente zeigt leichter vergleichbare Zahlen als die von den Elementen des ersten Strahles.

Leichtmetalle.. Magnesiumchlorid MgCl, 1g hemmt 0,021

Caleiumchlorid Cal, » 0,051

Strontiumchlorid SC, ig » 0,06 1

Bariumchlorid BaCl, ig » 0,81 Schwermetalle. Zinkchlorid 206 ig » 221

Cadmiumchlorid CdCl, 1g » 15l Quecksilberchlorid HgCl, ig » 601 Quecksilber (elektro-

kolloidal) Hg ig » 801

Das elektrisch zerstäubte Quecksilber ist außer dem Wasser- stoffion das einzige Element, das das Silber an absoluter Des- infektionskraft bedeutend übertrifft. Quecksilberverbindungen, die das kolloidale Quecksilber an absoluter Desinfektionskraft übertreffen, fanden sich bisher nicht. Die Feststellung für absolute Desinfektionskraft der Quecksilberverbindungen bereitet ganz besondere Schwierigkeiten, die Verfasser auf die in den

56 H. Friedenthal:

meisten Quecksilberlösungen allmählich vor sich gehende Kom- plexbildung beziehen möchte, so daß nach einigem Stehen nicht die ursprünglichen, sondern andere Quecksilberverbindungen als die beabsichtigten untersucht werden. Nur frisch bereitete: Quecksilbersalzlösungen geben vergleichbare Resultate. Die folgende Tabelle gibt die absolute Desinfektionskraft einiger der untersuchten Quecksilberverbindungen:

Natriumhydrargoniumrhodanid Na,Hg(SCN, 1g hemmt 101

Arsenjodidhydrargoniumjodid AsJHgJ, ig » 20] Calciumhydrargoniumjodid CaHg), їр » 801 Quecksilberoxydnitrat Немо, Lg » 301 Quecksilberoxydjodid Hei, 1g » 331 Providol (Dioxydquecksilber-

phenolnatrium) . NaHgC,H,0, 1g » 8381 Nesslerol OHg,NH,J ig » 401 Rhodanol OHg,NH,(SCN) 1g » 401

Jodtribromidquecksilberchlorid JBrHgBr,C, ig » 451 Hydrargoniumjodwasserstoff -

säure H,HgJ, ig » 451 Natriumhydrargoniumchlorid Na,HgCl, ig » 701 Phosphorchloridhydrargonium-

chlorid Р.СІНЕС, ig » 70]

Als Hydrargoniumverbindungen sind die Verbindungen des. sechswertigen Quecksilbers nach dem Typus der Jodwasserstoff- Jg

ma Bei TE a Zen 3 quecksilberjodidsäure р На уН.НеЈ bezeichnet: worden. NJ

Daß das Quecksilber trotz seines hohen Äquivalentgewichtes mit Ausnahme des ionisierten Wasserstoffes an der Spitze der Elemente steht in bezug auf absolute Desinfektionskraft, bezieht Verfasser. auf die Unlöslichkeit der Nucleinsäure-Quecksilber- verbindungen, die eine Vermehrung der Keime bei Gegenwart von Quecksilber nicht zulassen. Das Quecksilber in seinen Komplexverbindungen wird in neutraler Lösung durch Eiweiß nicht gefällt und daher das Quecksilber nicht wie andere Me- talle (Schwermetalle) durch die Bindung an Eiweiß an der Nucleinsäurebindung gehindert. Da die Mikroorganismen mehr Eiweißstoffe als Kernstoffe enthalten werden (?), werden die rein

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 57

Nucleinsäure fällenden Mittel denjenigen Stoffen an absoluter Desinfektionskraft ceteris paribus überlegen sein, die zugleich mit Kernstoffen und mit Eiweißkörpern reagieren, wie z. B. das Eisenchlorid. Da die Wirkung aller Stoffe nur molekülweise zu denken ist, sollte ein hohes Molekulargewicht resp. Atom- gewicht, wie bei den Säuren festgestellt, an sich einen-un- günstigen Einfluß auf die Höhe der absoluten Desinfektions- kraft ausüben.

Beim Quecksilber wie beim Silber kann ein Fortschritt in bezug auf absolute Desinfektionskraft über das elementare elektrisch zerstäubte kolloidale Metall hinaus durch Bildung neuer Verbindungen erst dann aussichtsvoll werden, wenn ebenso stark wirkende Stoffe wie Quecksilber aufgefunden sein werden, was beim Quecksilber noch viel schwieriger sein wird als beim Silber entsprechend seiner höheren Desinfektionskraft.

Zu dem zweiten Strahl des periodischen Systems der Elemente gehört nach dem Quecksilber noch das Radium, dessen Salze vom Verfasser noch nicht auf desinfektorische Kraft geprüft werden konnten. Nach den Angaben der bis- herigen Prüfungen wird Radium das Quecksilber noch weit übertreffen, so daß wir im ersten Strahl das H-Ion als erstes Element der Reihe, im zweiten Strahl das Radiumion, als letztes Element der Reihe, als bei weitem wirksamste Glieder anführen können.

Ganz unbekannt schien bisher zu sein, daß das Kadmium dem Silber an absoluter Desinfektionskraft beinahe gleich-- kommt. Das chemische Verhalten dieses Elementes ermutigt zu Versuchen, mit Kadmiumverbindungen bei Desinfektions- versuchen; scheint es doch, als ob bei diesem Element die Kadmiumsalze der Kadmiumsäuren sich herstellen ließen, wäh- rend bei Quecksilber diese Doppelverbindungen, die Queck- silber im positiven und negativen Bestandteil des Moleküls enthalten, sich als nicht beständig erwiesen haben in Versuchen des Verfassers. Versucht man Quecksilberoxyd in Hydrar- goniumjodwasserstoffsäure zu lösen He" H,HgJ, so bildet sich Quecksilberbijodid 2HgJ, statt des gewünschten Salzes

-J Hg=Hg A Beim Kadmium und beim Zink liegen die J

58 H. Friedenthal:

Verhältnisse für Beständigkeit solcher Doppelsalze desselben -J

pe Elementen also Cd] Са = 21 günstiger. Nochmals sei hier "Sa

`J darauf hingewiesen, daß die absolute Desinfektionskraft aller Verbindungen zurückbleibt hinter der des wirksamsten Ele- mentes in elementarer Form, doch kann für Heilzwecke die Einführung mehrerer Elemente (im letzten Falle Jod) in den Tierkörper zweckmäßiger erscheinen als nur die des absolut wirksamsten Elementes.

Das kolloidale Quecksilber für sich wie in Verbindung mit dem kolloidalen Silber als kolloidales Amalgam hat noch durch- aus nicht die Anwendung in der Heilkunde gefunden, die es als denkbar stärkstes Desinfektionsmittel verdient, zumal es nicht eiweißfällend ist und nicht reizend wirkt und ohne weiteres in die Blutbahn von Tieren dë, einführen läßt. Daß die kolloidalen Quecksilber- und Amalgamlösungen wenig halt- bar sind, ist ein Übelstand, den man bei ihrer Desinfektions- und Heilwirkung überwinden oder in Kauf nehmen muß.

Im dritten Strahl des periodischen System der chemischen Elemente, der Bor und Aluminium enthält, wurden geprüft Borsäure, Borax-Aluminiumsulfat, Natronalaun, Aluminium- chlorid und essigsaure Tonerde.

Die erhaltenen Zahlen ergeben folgende Reihe:

Borsäure BO, 1g hemmt 0,271 Borax Na,B,O, ig » 0,21 Glykoborsäure B,0,+CH,.0, 18 » 1,01 Natronalaun Na,S0,AJ, (503 » 0,71 Aluminiumsulfat AI,(SO,), ig » 1,51 Essigsaure Tonerde Al,(CH,) О ig a 0,51

Aluminiumchlorid ALC,+12H,0 1g » 0,251

Keine der bisher verwandten Bor- oder Aluminiumver- bindungen ist rationell zusammengesetzt nach dem Prinzip der maximalen Wirkung aller Komponenten, sondern nach zu. fälligen Eigenschaften geprüft und benutzt. Speziell das Alu- minium als das verbreitetste Element der ganzen Gruppe ver- diente eine weit größere Beachtung und rationellere Verwen-

Desinfektioniskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 59

dung, wie sie ihm heute zuteil wird. Wir kennen desinfek- torisch ganz anders wirksame negative Bestandteile als den Rest der Ameisensäure, Essigsäure, Schwefelsäure oder Salz- säure. Kuppeln wir 2. В. den Beet der unterchlorigen Säure СО mit Aluminium nach der Formel Al (ClO), so erhalten wir ein bei der Prüfung stärker wirksames Desinfiziens als die bisherigen Aluminiumverbindungen.

Die selteneren Elemente des dritten Strahles im periodi- schen System der Elemente Scandium, Gallium, Yttrium, Indium, Lanthan und Thallium sind noch nicht vergleichend geprüft worden.

Im vierten Strahl des periodischen Systems der chemischen Elemente wurden Verbindungen von Kohlenstoff, Silicium, Zinn und Blei geprüft, während eine Prüfung von Germanium, Zirconium der neun Edelerden und des Thorium noch aussteht.

Die Kohlenstoffverbindungen sollen ihrer großen Zahl ent- sprechend ein eigenes Kapitel beanspruchen dürfen, zumal das Element Kohlenstoff noch nicht eine Andeutung von desinfek- torischer Kraft in elementarer Form äußert, während z. B. das elementare Blei zu den wirksamen Elementen zu rechnen ist. Daß das radioaktive Thorium im Vergleich mit den anderen Elementen eine überaus starke desinfektorische Kraft entfalten wird, ist nicht zweifelhaft.

Es hemmten

von kieselsaurem Natron Na,Si0O, 1g 0,151

n Wasserglas Na,Si,0, 1g 0,371 » 2іппеШогіа SnCl, 1g 0,451 » Bleichlorid PbCl, 1g 1,51 » Bleinitrat Pb(NO,), 16 151

Im vierten Strahl des periodischen Systems der Elemente nimmt die absolute desinfektorische Wirksamkeit mit steigen- dem Atomgewichte zu.

Im fünften Strahl des periodischen Systems der Elemente wurden Verbindungen der Elemente Stickstoff, Phosphor, Vana- dium, Arsen, Antimon und Wismut geprüft, während Niob and Tantal nicht zur Verfügung standen. Stickstoff in ele- mentarer Form besitzt keine desinfektorische Kraft, Stick- stoffionen sind nicht bekannt, das Ammoniak wirkt durch seinen

60 H. Friedenthal:

Gehalt an OH-Ionen, indem es in NH, OH in wäßriger Lösung übergeht. 1g NH, hemmt 0,33 1. Von den übrigen Elementen wurden die folgenden Ver- ` bindungen geprüft: Es hemmten von Phosphortrichlorid PCI, 1g 131 » рһоврћогірег Säure H,PO, 1g 0,81 » -Vanadiumtrichlorid УС}, 1g 1,01 » Arsentrichlorid AsC, 16 0,81 » Antimontrichloid 8001, 0,321 » Wismuttrichlorid BOL 1g 0,31 » Natriumvanadinat Na,VO, 0,351

Es nahm also im fünften Strahl des periodischen Systems die desinfektorische Wirksamkeit mit steigendem Atom-

gewicht ab. Es hemmten

von Arsensäure H,AsO, 1g 021 » Arseniger Säure Ав„О, 1g 1,51 » Arsentrichlorid AsCl, 1g 0,851 » Arsentrijodid Asl, 1g 0,251 Arsenjodid Hydrargoniumjodid AsJHgl, 1 g 20,01 » Methyldinatriumarseniat CH,AsNa,0, 1g 0,0051 » Natriumkakodylat C,HgAs0,Na 1g 0,0051 » Salvarsan CH1, N,O,CLAs 1 g 1,21

Die höchsten Oxydationsstufen der Elemente des fünften Strahles erwiesen sich als weit weniger wirksam als die positiv geladenen Atomgruppen dieser Elemente. Salvarsan hemmte in den Versuchen weniger als arsenige Säure die Fäulnis- erreger und erwies sich ebenso wie das Neosalvarsan als eine überaus leicht zersetzliche Arsenverbindung, deren Wirksamkeit bereits durch Spuren von Sauerstoff herabgesetzt wird, dagegen bei Gegenwart von reduzierenden Substanzen, wie ż. B. Ron- galit CH,O,SNa sich merklich besser hält.

Der sechste Strahl des periodischen Systems der chemi- schen Elemente enthält die Elemente, Sauerstoff, Schwefel, Chrom, Scandium, Molybdän, Tellur, Wolfram, Uran. Es wurden Verbindungen von Sauerstoff, Schwefel, Chrom und Uran auf ihre desinfektorische Wirksamkeit geprüft.

Elementarer Sauerstoff ist in molekularer Form (O,) nur

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 61

gegen die anaerobiontisch lebenden Mikroorganismen wirksam. Ionisiert bildet er in wäßriger Lösung die OH-Ionen, denen eine starke desinfizierende Wirkung zukommt, namentlich in der Verbindung Н,О,.

Es hemmten

von Wasserstofisuperoxyd H,O, 1g 32,01 » Natronlauge NaOH ig 0,81 » Rongalit CH,ONaS ig 011 » schwefliger Säure SO, ` ig 2,01 » Chromchlorid CrCl, Lg 0,751 » Natriumchromat NaCrO, 1g 0,451 п Uranmnitrat UO (NO, 1g 3,01 » Natriumpersulfat Na,S,O, ig 031

H

Im sechsten Strahl des periodischen Systems der Elemente kommt den Sauerstoffionen der höchste Grad von desinfek- torischer Wirksamkeit zu. Die Wirkung des Ozons beruht sehr wahrscheinlich auf der Bildung von OH-Ionen in wäßriger Lösung. Die desinfektorische Wirkung der Per-Salze ist weit geringer als die des Wasserstoffsuperoxyds. Der Erhalter alles Lebens, das Wasser, liefert in seinen Bestandteilen, mit elektrischer Ladung versehen, überaus wirksame Desinfektions- mittel, also Lebensvernichter als erneuten Hinweis auf die Wichtigkeit des elektrischen Zustandes der chemischen Stoffe innerhalb der Lebewesen und in deren Umgebung.

Der siebente Strahl des periodischen Systems der chemi- schen Elemente enthält neben den vier Halogenen: Fluor, Chlor, Brom und Jod, von Elementen mit kleinem Atomvolumen nur das Mangan. Elementares Fluor ist so reaktionsfähig, daß eine Prüfung der Desinfektionskraft auf große Schwierigkeiten stößt. Bei Chlor, Brom und Jod steigt in elementarer Form wie auch in den geprüften Verbindungen die Desinfektions- kraft mit steigendem Atomgewicht, so daß bei jeder zur Des- infektion gebrauchten Verbindung ceteris paribus durch Ersatz von Chlor durch Jod eine erhebliche Steigerung der desinfek- torischen Kraft wird erwartet werden können. Im ionisierten ` Zustand ist das Fluorion am stärksten desinfektorisch wirk- sam, dann steigt die Wirksamkeit vom Chlorion bis zum Jodion.

02 Н. Friedenthal:

Es hemmten von Chlor in Chlorwasser Сы 1g 0,2 1

» Brom Br, 1g 0,61

» Jod d 16 2,21

» Fluornatrium Na 10,181 » Chlornatrium NaCl 1 g 0,0121 » Bromnatrium NaBr 1 g 0,018 1 » Jodnatrium NaJ 1g 0,0321

Wir dürfen danach vermuten, daß vielleicht auch elemen- tares Fluor bei weitem stärker wirken wird als selbst elemen- tares Jod und daß ein Ersatz der bisher üblichen halogen- haltigen Verbindungen durch die Fluorverbindungen des Ver- suches wert sein könnte. Р

Bei den Halogensäuren verdeckt die überwiegende Kraft

des H-Ion die Halogenwirkung. Es hemmten Fluorwasserstoff HF 1g 1,51 Chlorwasserstoff НСІ 1 р 1,51

Bromwasserstoff HBr1 g 0,51 Jodwasserstoff HJ 1g 0,51

Der Gehalt an H-Ion nimmt mit steigendem Molekular- gewicht in dieser Reihe erheblich ab. Es hemmten von Chloroform CHC, ig 0,51 » Bromoform CHBr, 1g 1,01 » Јодоѓогт ChJ, 1g 15,01

Es wäre wichtig, die Desinfektionskraft von CHF, ver- gleichend zu prüfen.

Es hemmten von Natriumchlorat NaClO, 1g 0,015 1 » Natriumperchlorat NaClO, 1g 0,029 1

Beide Salze sind ohne nennenswerte desinfektorische Kraft.

Es hemmten von Jodtrichlorid JC], 1g 1,51 » Jodtribromid JBr, 1g 1,01

» Natriumsozojodolicum C,H,0,J,Na 1 g 0,091

Von Manganverbindungen wurden Manganchlorid und Natriumpermanganat geprüft.

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 63

Es hemmten von Manganchlorid MnCl, 1g 031 » ' triumpermanganat МаМпО, 1g 0,21

Im achten und letzten Strahl des periodischen Systems der chemischen Elemente finden sich neben den Edelgasen Neon, Argon, Krypton und Xenon, die keine chemische Ver- bindung mit anderen Elementen eingehen und daher auch keine desinfektorische Kraft besitzen können. Drei Reihen von je drei zusammengehörigen Elementen: Eisen, Kobalt, Nickel, ferner Palladium, Rhodium, Rhutenium und Osmium, Iridium und Platin.

In kolloidaler wäßriger Lösung zeigte keines der geprüften Elemente irgendwelche desinfektorische Kraft, dagegen war die Ionenwirkung bei Eisen und Osmium nicht unbeträchtlich.

Es hemmten von Eisenchlorid Fe,Cl, 1g 1,61

» Osmiumsäure Oe), 1g 1,51 » Ferrokakodylat ЕеС,Н,,Ав,0,1 = 0,91

Von den Platinionen ist ein desinfektorischer Effekt in der obigen Größenordnung ebenfalls bekannt, und es ist wahr- scheinlich, daß auch die übrigen nicht geprüften Elemente des achten Strahles sich ähnlich verhalten werden wie die geprüften Elemente.

Von den organischen Verbindungen wurden bisher nur die Halogenverbindungen des Methans erwähnt. Im Gegensatz zu den anorganischen Mitteln, bei denen jeder Versuch einer Systematik bisher fehlte, wurde bei den organischen Desinfek- tionsmitteln mit Erfolg versucht, durch Molekularveränderung zu möglichst wirksamen Verbindungen zu gelangen. Auf diese Weise steigerte man innerhalb einer Reihe die Wirksamkeit, gelangte aber doch nicht zu Mitteln von auch nur annähernd der gleichen Wirksamkeit wie Formalin oder Wasserstoffsuper- oxyd, ganz zu schweigen Zon den Quecksilber- und Silberver- bindungen und Lösungen.

Es hemmten von Formalin 1g 20,01 » Naphtol 1g 501

» Lysoform 1g 421

S » Grotan ig 1,01

» Kreolin 101

» Seifenspiritus 1g 0,81

64 Н. Friedenthal:

Es hemmten von Tribromnaphtoli g 0,71

» Guajakol 1g 051 » Sagrotan 1g 031 » Lysol 15 031 » Carbol ig 0,1l

Die Abkömmlinge der Carbolreihe zeigen sämtlich eine bemerkenswert geringe Desinfektionskraft, Naphtol ist nach Formalin die kräftigst wirkende der geprüften organischen Ver- bindungen.

Es hemmten von organischen Säuren:

von Ameisensäure 1g 1,51 » Essigsäure 1g 1,01 » Salicylsäure 1g 0,51 » Sulfosalicylsäure 1g 0,51 » Pikrinsäure 1g 0,51

Von Thymol, Menthol und Campher war der letztere am wirksamsten. Es hemmten Thymol 1g 051 Menthol 1g 0,551 Campher 1g 1,061 Pyramidon 1g 0,751 Aspirin 1g 0,71 Von Chininderivaten war Eucupin am wirksamsten. Es hemmten Chinin 16 0,331 Optochin 1 g 0,33 1 Eucupin 1g 1,001 Von den drei Dioxybenzolen war Hydrochinon am wirk- samsten. Es hemmten Resorcin Metadioxybenzol 1g 0,041 Brenzkatechin Orthodioxybenzol 1g 1,3 1 Hydrochinon Paradioxybenzol 1g 1,341 Pyrogallol Trioxybenzol 15 0,651 Durch Einführung von Schwermetallatomen in organische Verbindungen läßt sich zwar die desinfektorische Kraft sehr erheblich (bis auf das Zwanzigfache und mehr) steigern, aber doch nicht über das Maß der einfachen anorganischen Sub- stanzen hinaus, deren Wirksamkeit nicht einmal erreicht wird. Bei den Desinfektionsversuchen des Verfassers hat sich das Einfachste als das Wirksamste erwiesen.

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 65

Inwieweit durch Kombination verschiedener Verbindungen der Grammeffekt der Desinfektionskraft sich steigern ließe, kann nur an der Hand systematischer vergleichender Versuchs- reihen nach Art der oben mitgeteilten entschieden werden. Die Wahl nur stärkst wirksamer chemischer Elemente beim Aufbau der Mischung wird für Erreichung des Zieles maß- gebend sein. Reduzierende und oxydierende Mittel wird man ebensowenig kombinieren können, wie Säuren und Basen, deren Effekt auf H- und OH-Ionenvermehrung beruht.

Bisher wurden die Stoffe an der Hand des periodischen Systems der Elemente verglichen in möglichst gleichmäßig ge- stalteten Versuchsreihen, die über die Eignung der Stoffe zu äußerer Desinfektion Auskunft geben können. Für den Arzt erscheint noch dringender die Frage, welchen Stoffen und Ver- bindungen die größte relative Desinfektionskraft innewohnt, das bedeutet die Desinfektionskraft der erträglichen Dosis. Um einen Vergleich der relativen Giftigkeit der oben erwähn- ten chemischen Stoffe zu gewinnen, wurde die Dosis ermittelt, die 1000 g Frosch, also einen Kilofrosch, innerhalb 24 Stunden tötete. Eine große Zahl von Einzelversuchen war zur Fest- stellung der Kilofroschdosis häufig erforderlich. Die hemmende Kraft einer solehen Kilofroschdosis wurde als relative. Des- infektionskraft zu den Vergleichen benutzt. Es erübrigt sich wohl ein Hinweis, daß nur Versuche an Tieren gewonnen wer- den können und daß nur Resultate bei Arzneimitteln, die am Krankenbette geprüft worden sind, Anspruch auf Berücksich- tigung verdienen. Ein Vergleich der verschiedensten Stoffe in bezug auf Giftigkeit gegen ein und dieselbe Tierart kann trotz- dem wertvolle Hinweise .dem kritisch abwägenden Experimen- tator gewähren bei der chemischen Ähnlichkeit aller lebendigen Substanzen. Die überaus große Giftigkeit des Salvarsans und des Neosalvarsang, auch die des Optochins bei Fröschen, mahnt zur Vorsicht, bei Heilungsversuchen mit diesen Mitteln. Über- aus gering ist die Giftigkeit des Wasserstoffsuperoxyds bei Fröschen, während Warmblüter sich dagegen anders verhalten mögen, da bei diesen die Zerlegung des Peroxyds mit viel- mals größerer Geschwindigkeit abläuft. Ordnen wir die unter- suchten Stoffe nach dem Grade ihrer relativen Desinfektions-

kraft, so erhalten wir eine Reihe, die uns belehrt, welche Mittel Biochemische Zeitschrift Band 94. 5

66 H. Friedenthal:

am besten geeignet sind, bei Fröschen gegenüber den unter- suchten Mikroorganismen für innere Desinfektion verwandt zu werden. Es hemmten eine Kilofroschdosis von Wasserstoffsuperoxyd . . . . . . . . 60,01 » Liquor antilueticus (nach Verfasser) . . 22,01 » Fulmargin (Elektro-Silber). . . . . . 22,01 n Neßlerol (nach Verfasser) . . . . . . 18,01 » IBrHgC Br, (Bromsublanat) . . . . . 18,01 » Natriumquecksilberchlorid Na,HgCl, . 10,01 » Essigsaurer Tonerde . . . . . .. 8,01 br Gegen de аа с ©

» Bleinitrat . . 2.22.20. se d "Bil gn НОНЕ, äs 22 en we es l » Lysoform `, . . 2.2.2... a A im “а 1 бз. oe ala козе лё ar fe ан ә .. 411 D оез анаві Нұ(№О,)1 . . 3,91 » Uramnitrat UO (NO) ....... 3,81 ». Formelin `. жое. а а eg e б a 18,51 » Aluminiumsulfat . . . 2 2 2 2020. 3,31 » Quecksilberjodid . . . . 2 2,2... 8,81 » Berylliumchlorid . . . 2.2.2.2... 8,51 » Ferrocyanwasserstofisäure . . . . . . 2,51 Г Se тЫ был ЧУ eege ger „СОП » Silbermitrat . . 22 saes e. 2,01 » Essigsäure .......... . . 2,01 gy „Alaun. 5 Essen E AE doe pre ВЦ » фойёйош............. 1,81 » kolloidalem Silberamalgam . . . . . 1,81 » Cadmiumchlorid . . . ... . соо Tabb a Jodtrichlorid .......... . 1,31 a Zinnchlorid . . 2. 22.22.20... 131 » Natronlauge. . . . .. а pirr ЛД » Bromoform . . . EE 1,11 » Natriongusckeilbärloäht,; Kg E 1,11 a reegt "a e Ee A Ae Ser ar KEE) » Natriumpersulfat Na,8,0, . . . . . . 101 » Brenzkatechin . . . e .'... 0,91

Sulfosalieylsäure . . . 2.2.0... . 0,81

3

Desinfektionskraft von Elementen und chemischen Verbindungen. 67

von Naphtol . . . . 2... RE DE » arseniger Säure... . 22.2... 081 Brom ee лый» Ор! ы . , 0,721

n ën Zen » Goldchlorid `, 0,61 з Salzsäure . у» 2 2 2 00.0.0. 0,61

» Fluorwasserstof . . . 2. 2 22.0. 0,61 » Campher ........ A we 10,58 1 » Arsentrijodid . w 2 2 22.20.20. 0,551

» Eisenchloridd . . . . 2.2.2.0... 0,501 з Tribromnaphtol . ..... 2... 0,521 з kieselsaurem Natron. . . . . . . . 0,501 » schwefliger Säure . . . . . .. . . 0,501 » Zinkchlorid. .. 2.2.2.0... 0,451 » Phosphortrichlorid . . . . . . . . . 0421 » Hydrochinon . . ....... 0421 » Chloroform `, . . 22 2.2.2.2... 0401 a Providol ee A waren e 0401 » Вовед уе . 0,401 » Uemiumtetrachlond . . . . . . . . 0,35 1 » Ваісуівёше .......... . 0,331 9. Amilin з A ова SN age, e 0881 a Grotan ...... „Же Ei e еа ОБТ » Jodnatrium. ..... AE e, 51 N » phosphoriger Säure . . 2.2... . 0,281 » Vanadiumchlorid . . 2.2.2... 0,211 » vanadinsaurem Natron . . . . . . . 0201 » Rhongalit . s e 2.22.2200... 0191 » Bromnatrium . .. . 222.2... 0181 » Chlormatrium . . ..... ee о ОЛЯ

e (Chrome, ж e шй Mi ën ду en er р? LET » Kupfersulfat `... 0,161 » батбап............. 0,161 » Pyramidon . ... км 0131 » Natriumpermanganat. . . . . . .. 0,181 » Natriumchromat ......... 0,131 a уво ааа а алав a re аг ОЙО m Guajacol i -. 2.22 2.2.0.0... 0,0901 з Natrium sozojodolicum . . . . . . . 0,0901

» Euapin........ . . 0,0801 5* ч

68 H.Friedenthal: Desinfektionskraft v. Elementen u. chem. Verbindungen .

von Pikrinsäure. . . . 3... .. . . 0,0751 # Thymol 2 ш аа уж.» ia 00051 » Menthol . sop o з m w eoa a w 0,041 » Salvarsan ...... ware 10032 » Сафо... . 2 2222202... 0031 » Natrium salieylicum . . . . . . . . 0,021 » Natriumperchlorat . . . .. . . . 0,0151 Die obenstehende Tabelle, die sowohl die relative Des-

infektionskraft wie die relative Giftigkeit für Frösche wieder- spiegelt, zeigt unter den relativ giftigsten Desinfektionsmitteln Natrium salicylicum und Carbol, unter den ungiftigeren die Essigsäure, das Jod und Aluminiumsulfat, unter den relativ ungiftigsten das Sublimat und die Quecksilbersalze und Mi- schungen des Verfassers, namentlich den Liquor antilueticus, weit vor allen das Perhydrol.

Alle Mittel, die einen Carbol- oder Chininrest enthalten, erwiesen sich als relativ sehr giftig.

Sehen wir von dem Wasserstoffsuperoxyd ab, dessen Ver- wendung auch beim Warmblüter eingehendst geprüft werden sollte für die Zwecke der inneren Desinfektion, so würden die oben mitgeteilten Resultate dazu auffordern, neben den Elek- trosilberpräparaten die Quecksilbermischungen des Verfassers allein und in Verbindung mit Silber bei allen Tierseuchen als Heilmittel zu versuchen, bei denen eine Keimfreimachung der Säfte zur Heilung der Krankheit erforderlich ist.

Die Erfahrungen bei Tierseuchen werden uns alsdann Fingerzeige an die Hand geben, welche Mittel einer Prüfung am Menschen würdig scheinen.

Daß ganz einfache anorganische Mittel den verwickeltst gebauten organischen Heilmitteln sich bei den obigen Prüfungen überlegen gezeigt haben, weist auf die Wichtigkeit des Studiums der Mineralstoffe hin. Neue brauchbare Mischungen werden sich an der Hand obiger Versuche leicht zusammenstellen lassen, bei denen die wirksamsten Einzelelemente in einer Lösung sich zusammenfinden.

Bindung des Formaldehyds durch Enzyme.

Von

Th. Bokorny, München. (Eingegangen am 20. Januar 1919.)

Der Formaldehyd wirkt bekanntlich von gewissen Kon- zentrationen ab giftig auf Enzyme und unterbindet deren Wirkung.

Bei geringeren Konzentrationen verursacht er, wie auch andere Aldehyde, eine Steigerung enzymatischer Vorgänge, spe- ziell des Gärungsvorganges, wie C. Neuberg in seiner Arbeit „Über eine allgemeine Beziehung der Aldehyde zur alkoholi- schen Gärung“!) durch zahlreiche Experimente dargetan hat.

Welches die Grenze der Giftwirkung des Formaldehyds gegen Enzyme ist, darüber seien einige Angaben gemacht.

Es zeigen sich darin nicht bloß bei den verschiedenen Enzymen, sondern auch bei ein und demselben Enzym je nach seiner Herkunft erhebliche Unterschiede.

So hat Verf. gefunden, daß Senfmyrosin durch 10°/,igen Formaldehyd binnen 24 Stunden nicht abgetötet wird, während schon 0,5°/,iger Formaldehyd das Hefemyrosin vernichtet. Vor- ausgesetzt ist dabei in beiden Fällen die Anwendung über- schüssiger Giftmenge, so daß diese jedenfalls ausreicht, um alle Partikel des Enzyms zu ergreifen. Die enzymatische Kraft der Invertase hingegen wird sogar durch 5°/,igen Formaldehyd binnen 24 Stunden nicht vernichtet.

Bezüglich des Gärfermentes hat Neuberg festgestellt, daß 1 ccm =/ "Aldehyd, auf 10 ccm Saft + 2 ccm 5°/ ige Glucose- lösung gegeben, die Gärung derart steigert, daß nach 1 Stunde 24 mal

1) C. Neuberg, diese Zeitschr. 88, 145, 1918.

70 Th. Bokorny:

soviel CO, vorhanden ist, wie im КопёгоШуегвисһ!). Nimmt man aber 1 ccm m-Formaldehyd auf 10 ccm Saft + 2 cem 5°/ ige Glucoselösung, dann wird die Gärung verhindert (binnen 2 Stunden). ®/ „Formaldehyd übte aber bei gleichen Bedin- gungen einen stark stimulierenden Einfluß auf die Gärung aus. Auch die Mannosegärung wird durch ®/ „Formaldehyd beschleu- nigt, ja die Mannose eignet sich besonders gut zu den Versuchen, weil ihre normale Gärung langsamer einsetzt als die der Glucose. m/o Formaldehyd beschleunigt auch die Mannosegärung.

Bei den Versuchen mit m-Aldehyd befand sich der Form- aldehyd in Verdünnung zu 0,3°/,, bei den Versuchen mit Si. zu 0,03°/,, und bei т/, zu 0,003°/ Also schädigt 0,3°/, Formaldehyd die Zymase, 0,03 und 0,003°/, wirkt stimulierend.

Meine eigenen Versuche über die Wirksamkeit des Form- aldehyds auf die Zymase wurden nicht mit Preßsaft, sondern mit Hefe selbst angestellt.

Es wurden 15 g Brauereipreßhefe mit 200 сеш 0,1°/,iger Formaldehydlösung übergossen.

Nach 24 Stunden wurde (nach Umschütteln und noch- maligem 1stündigem Stehenlassen) etwa :/, der Hefe heraus- genommen, auf einem Filter mit Wasser gewaschen und dann im Gärkölbchen (Eichhornschen Saccharimeter) zur Gärung auf- gestellt mit 5°/,iger Zuckerlösung bei 20°. Es wurden 10 ccm der 5°/,igen Zuckerlösung und са. 3 g Hefe angewendet. Der Gärversuch ergab 8 cem Kohlensäure binnen 1 Stunde.

Der Rest der Hefe (*/, der während 24 Stunden in 1°/,iger Formaldehydlösung gelegenen Hefe) wurde abermals in die Form- aldehydlösung gebracht und weitere 24 Stunden darin belassen. Der Gärversuch ergab (wieder mit 3 g der Hefe) nun nur 6 ccm Kohlensäure.

Nach 72 Stunden hatte die Hefe beträchtlich an Gärkraft eingebüßt, es wurden binnen 1 Stunde kaum 2 ccm Gas ent- wickelt.

Es ist also offenbar, daß schon durch 0,1°/,ige Form- aldehydlösung eine Schädigung des Gärfermentes eintritt, wenn die Einwirkung länger dauert.

Nach den oben angeführten Versuchen Neubergs äußert

1) C. Neuberg, а. а. О. 8. 162 bis 163.

Bindung des Formaldehyds durch Enzyme. 71

sich die gärungsbeschleunigende Wirkung des Formaldehyds bei Zusatz zu Zymaselösungen noch in höherer Konzentration, während bei der von mir benutzten lebenden Hefe schon 0,2°/, Formaldehyd ausreicht, um die Zymase zu vernichten.

Ich nehme an, daß schon bei 0,1°/, Formaldehyd eine Bindung des Giftes durch die Zymase stattfindet, wenn auch langsam.

Auch scheint die Bindung zunächst nur lose zu sein; denn man kann durch Auswaschen mit Wasser die Hefe verbessern, so daß nach einigen Tagen wieder stärkere Gärkraft wahrzu- nehmen ist.

Wie schon angegeben, erträgt die Invertase 5°/, Formaldehyd. Auch vom Pepsin wird angegeben, daß von ihm Formaldehyd bis zu 5°/, ertragen wird.

Auf Trypsin hingegen wirkt Formaldehyd wiederum sehr schädlich.

Die Wirkung des Labfermentes wird durch 0,5°/, Form- aldehyd aufgehoben.

Maltase wird schon durch 0,1°/, Formaldehyd geschädigt, durch 1°/, getötet.

Wodurch die verschiedene Empfindlichkeit der Enzyme gegen Formaldehyd bedingt wird, ist vorläufig, da der Chemis- mus der Enzyme nicht genügend erforscht ist, nur vermutungs- weise und oberflächlich anzugeben.

Wie vom Verf. schon früher!) dargelegt wurde, läßt sich bei einer Anzahl von Enzymen nachweisen, daß sie die sie schädigenden oder tötenden Stoffe chemisch in bestimmter Quantität binden; bisher hat sich das bei Säuren und Basen sowie auch bei Schwermetallsalzen nachweisen lassen. Bei Form- aldehyd wird der quantitative Nachweis weiter unten erbracht werden. |

Wenn nun eine chemische Bindung zwischen Enzym und Gift stattfindet, dann ist einigermaßen einzusehen, warum das eine Enzym durch Formaldehyd leichter attackiert wird wie das andere. Es ist eben der Chemismus der Enzymmoleküle das eine Mal mehr, das andere Mal weniger auf Bindung von Formaldehyd eingerichtet.

1) Th. Bokorny, diese Zeitschr. 70, 218, 1915.

72 Th. Bokorny:

Nach О. Loew sind in den Enzymmolekülen labile Amido- gruppen enthalten. Je nach dem Grade der Labilität wird die Bindung des Formaldehyds mehr oder weniger leicht erfolgen; die labilsten Amidogruppen binden den Formaldehyd am leich- testen. Enzyme mit sehr labilen Amidogruppen werden dem- nach den Formaldehyd noch aus hochverdünnten Lösungen binden und somit schon durch 0,1 bis 0,5°/,ige Formaldehyd- lösungen unwirksam gemacht (vergiftet) werden.

Um es kurz zu sagen: wenn die Einwirkung des Form- aldehyds auf die Enzyme eine chemische Reaktion ist, dann läßt sich im allgemeinen begreifen, warum sie bei verschiedenen Enzymen nicht immer bei gleicher Formaldehydkonzentration erfolg. Denn in der Chemie gibt es zahlreiche Beispiele, in denen die Einwirkung eines Reagens auf verschiedene Stoffe bei größerer oder erst bei geringerer Verdünnung erfolgt. Silberlösungen werden durch die einen organischen Stoffe bei großer, durch andere erst bei geringer Verdünnung reduziert. Daß bei organischen Stoffen von Aldehydcharakter die Labilität der Aldehydgruppe, die ja einen verschiedenen Grad durch benachbarte Atomgruppen erreichen kann, für die Reaktionsfähigkeit z. B. gegen alkalische Silberlösungen aus- schlaggebend ist, dürfte nach früheren Ausführungen O. Loews keinem Zweifel unterliegen. In den Enzymen sollen übrigens nicht Aldehydgruppen, sondern Ketongruppen vorhanden sein. Für die Bindung des Formaldehyds kommen nicht diese, sondern die Amidogruppen in Betracht. Letztere sind in allen Eiweiß- stoffen enthalten. Zu ihnen gehören allem Anschein nach viele Enzyme.

In folgendem soll der Frage nachgegangen werden, inwie- weit sich eine Bindung des Formaldehyds bei Einwirkung wäßriger Formaldehydlösungen auf Enzyme vollzieht.

Zur quantitativen Bestimmung der Formaldehydbindung durch Enzyme benutzte ich zunächst folgende Methode.

Formaldehydlösungen können titrimetrisch bestimmt werden, indem man zu denselben n-Ammoniak und hierauf n-Schwefelsäure hinzufügt!. Das Ammoniak, das nicht zur Bildung von Hexamethylentetramin verwendet wurde, ergibt sich aus der Titration mittels Schwefelsäure.

1) Legler, Ber. 16, 1333, 1883.

Bindung des Formaldehyds durch Enzyme. 73-

Ein Vorversuch ergab, daß 1 1 meiner са. 0,1°/,igen Form- aldehydlösung, die ich mir durch Verdünnen der käuflichen (angeblich 33°/,igen) Lösung hergestellt hatte, 0,35 g NH, zu binden vermochte.

Es wurden nun 10 g feingepulvertes Emulsin (Kahlbaum) mit 11 obiger 0,1°/ igen Formaldehydlösung gemischt und 2 Tage stehen gelassen.

Das Filtrat wurde dann mit 30 ccm n-Ammoniak versetzt und nach weiteren 24 Stunden mit n-Schwefelsäure titriert.

Es waren 0,49 g NH, verschwunden (0,51 g waren ins- gesamt in den 30 ccm n-Ammoniak enthalten, 0,35 g konnten höchstenfalls von dem ganzen ursprünglich vorhandenen Form- aldehyd gebunden werden).

Es mußte also in dem Filtrat noch ein anderer Stoff ent-. halten gewesen sein, der Ammoniak zu binden vermochte.

Das Ferment hatte sich in der großen Wassermenge zum großen Teil aufgelöst, darum fand eine ausgiebige Bindung des Ammoniaks durch das Ferment selbst statt. 10 g trockenes Emulsin vermögen nach meiner früheren Untersuchung!) 0,425 g NH, zu binden, d. і. 4,25°/,.

Da die Menge Emulsin, die gelöst war, nicht genau be- kannt war, verzichtete ich auf eine weitere Berechnung und Verwertung des Versuchs.

Zur weiteren Ermittlung der durch Emulsin zu bindenden Formaldehydmenge wendete ich kleinere Flüssigkeitsmengen, somit stärkere Formaldehydlösungen an, wodurch die Auflösung des Emulsins selbst verhindert und auch die Bindung des Form- aldehyds durch das Ferment sicherer erreicht wurde; denn 0,1°/,ige Formaldehydlösungen wirken auf viele Enzyme nicht ein wegen zu großer Verdünnung des Formaldehyds, und es wird dann aus ihnen der Formaldehyd durch das Enzym nicht gebunden. Auch wurde diesmal das Hexamethylentetramin durch Wägen bestimmt.

Der nun verwendete Formaldehyd war са. 1°/,ig, er wurde wiederum durch Verdünnen aus käuflichem (als 35 bis 40°/,ig bezeichnetem) Formaldehyd hergestellt. Der genaue Gehalt der verdünnten Lösung war 0,925°/, CH,O, er wurde bestimmt

1) Diese Zeitschr. 70, 238, 1915.

74 Th. Bokorny:

durch Wägen des durch Zusatz von n-Ammoniak ent- standenen Hexamethylentetramins.

6 HCOH + 4NH = 6H0 -+ GRO, 6 mol. Form- -+ 4 mol. Am- = 6 mol. Wasser -+ 1 mol. Hexa- aldehyd moniak methylentetramin 190 68 108 140

1 g Emulsinpulver wurde mit 50 ccm einer 0,925°/,igen Formaldehydlösung vermischt und 3 Tage stehen gelassen, dann nach dem Filtrieren mit 50 ccm n-Ammoniak versetzt. Die Flüssigkeit wurde nach weiterem 24stündigem Stehen ein- gedampft. Es ergab sich nur 0,245 g Hexamethylentetramin. Ein Kontrollversuch mit 19 g Emulsin und 50 ccm reinem Wasser ergab nach dem Eindampfen des Filtrats unter noch- maligem Filtrieren der Flüssigkeit wegen des entstandenen geringen Koagulates eine sehr geringe kaum wägbare Kruste.

Da 0,462 g Formaldehyd (іп 50 ccm meiner 0,925°/,igen CH,O-Lösung enthalten) mit überschüssigem n-Ammoniak 0,3588 g Hexamethylentetramin ergeben müßte, so sind 0,1138 g Formaldehyd von dem 1 g Emulsin gebunden worden.

Also bindet das Emulsin 11,38%, seines Trocken- gewichts an Formaldehyd.

Ein zum Vergleich herangezogenes Blutalbuminpräparat band nur 5,1°/, Formaldehyd.

Gleiche Versuche wie mit Emulsin wurden auch mit Dia- stase und mit Trypsin angestellt unter Wägung des Hexa- methylentetramins.

Dieselben mißglückten.

Ich erhielt viel zu große Mengen Rückstand wegen der Löslichkeit des Enzyms bzw. seiner Beimengungen; derselbe war nicht weiß, sondern gelbbräunlich gefärbt.

Es kann also vorläufig von dem Emulsin behauptet werden, daß es den Formaldehyd bindet und zwar zu 11,38°/,.

Das ist eine recht beträchtliche Menge. Von Ammoniak kann nach einer früheren Bestimmung nur 4,25°/, durch Emulsin gebunden werden.

Wenn die Bindung ähnlich erfolgt wie die zwischen Am- moniak und Formaldehyd, würde die Zahl 0,1138 g für Form- aldehyd auf ca. 0,04 g NH, іп 1g Emulsin, d. i. auf 4°/, re- ‚agierfähigen NH,-Gehalt im Emulsin schließen lassen.

Bindung des Formaldehyds durch Enzyme. 75

Ein Versuch mit Blutalbumin ergab ebenfalls eine Bindung des Formaldehyds, doch wesentlich wenigeralsder Versuch mit Emulsin.

Was die Menge von reagierfähigem NH, im Emulsin an- langt, so mag hier auch ein früherer Befund über die Schwefel- säurebindung durch Emulsin angeführt sein, der ebenfalls auf die reagierfähige NH. Menge schließen läßt. Ich fand damals’), daß 1 g Emulsin 1,9 com n-Schwefelsäure zu binden vermag, d. i. 0,0931 g Schwefelsäure oder 9,31°/,. Die stöchiometrische Berechnung ergibt hier ca. 0,03g NH, pro 1 g Emulsin, oder 8°/„ ҸН,. Die Abweichung mag auf verschiedenen Reinheits- grad zurückzuführen sein; die beiden Präparate waren von zwei verschiedenen Firmen geliefert worden.

Wieviel NH, würde im Emulsin enthalten sein, wenn es so konstituiert wäre, wie О. Loew von dem aktiven Albumin annimmt?)? In demselben sind 6 Gruppen von folgender Struktur enthalten: CHOH—

Folglich beträgt derGehaltanNH, im aktiven Albumin 17,8°/,.

Das ist 4- bis 5mal soviel, als im Emulsin reagierfähiges NH, gefunden wurde.

Auch die Berechnung von NH, aus der Formel des Eier- albumins (Lieberkühn) ergibt eine ähnliche große Zahl, nämlich 18,12°/, NH,, wenn aller Stickstoff des Moleküls C.H, NB

1) Diese Zeitschr. 1915, 218. 2) О. Loew, Chemische Kraftquelle. Theoretischer Teil, S. 27.

76 Th. Bokorny:

als NH, berechnet wird. Daß der Eiweißstickstoff hauptsäch- lich als Amidogruppe anwesend ist, ist ja durch die Chemie bereits entschieden worden. Das ergibt die direkte Untersuchung des Eiweißes ebenso, wie die Spaltung des Eiweißes in Amino- körper bei der fermentativen und chemischen Zerlegung, ferner auch der Aufbau und Zerfall des Reserveeiweißes im Pflanzen- körper, wobei Aminosäuren auftreten.

Die Tatsache, daß sich aus der Bindung von Formaldehyd und von Schwefelsäure durch Enzyme (und auch durch zweifel- loses Eiweiß) viel weniger NH, herausrechnet, wird darauf zu- rückzuführen sein, daß nicht alle Amidogruppen der Enzym- und Eiweißmoleküle reaktionsfähig sind.

Bisher wurde vom Verf. an der Auffassung festgehalten, daß das Emulsin Eiweißnatur habe.

Gründe dafür sind: Vom Emulsin werden Säuren und Basen gebunden. Bei Anwendung von n-Ammoniak ist eine Bindung von 4,25°/, NH, titrimetrisch nachzuweisen, bei n-Schwefel- säure eine Bindung von 7,35°/, Н,80,. Das ist sogar zum Teil mehr, als von gewöhnlichem Eiweiß gebunden wird. Blutalbumin bindet 3,74°/, Ammoniak und 6,37°/, Schwefelsäure. Muskel- eiweiß bindet 2,559, NH, und 4,9°/, H,SO,; Hühnereiweiß 4,25°/, Ammoniak und 6,37°/, Schwefelsäure; Casein 3,9%, Ammoniak und 10,78°/, Schwefelsäure. Die Eiweißstoffe haben amphotere Natur, ebenso das Emulsin. Das Emulsin löst sich in reinem Wasser oder in formaldehydhaltigem Wasser ein wenig auf; die Lösung gerinnt beim Erhitzen. In ammoniakhaltigem Wasser löst sich das Emulsin teilweise auf; beim Neutralisieren mit Schwefelsäure fällt das Emulsin in dem Moment aus, wo der Umschlag des zugesetzten Lackmusfarbstoffs in Rot eintritt. Die Lösung des Emulsins ist kolloidal usw.

Dagegen wird eingewendet, daß möglicherweise eiweißartige Verunreinigungen da sind.

In Anbetracht der großen Mengen von Base und Säure, die gebunden werden, fällt ев aber doch schwer, die Eiweiß- natur auf eine Verunreinigung zu schieben.

Wie schon in meiner letzten Arbeit über Enzyme!) erwähnt wurde (im Nachtrag), findet sich in der Literatur eine Angabe

1) 1. е.

Bindung des Formaldehyds durch Enzyme. 77

über eiweißfreies Emulsin‘,, Leider bin ich nicht im Besitz solchen Emulsins, kann also die Säure- und Basenbindung daran nicht prüfen.

Noch wahrscheinlicher als bei Emulsin ist die Eiweißnatur bei anderen Enzymen. So vermag die Diastase 10°/, Ammoniak und von Natriumhydroxyd 77°/, zu binden. Eine Säurebindung freilich ließ sich nicht feststellen. Durch Pepsin wird die Diastase unter etwas Salzsäurezusatz anscheinend verdaut. Beim Erhitzen gibt die Diastase Geruch nach verbranntem Horn. Methylviolett wird davon in starkem Maße absorbiert.

Wenn diese Erscheinungen auf beigemengtes gewöhnliches Eiweiß bezogen werden sollen, so ist doch dagegen einzuwenden, daß bis jetzt kein Eiweiß gefunden wurde, das so starke Am- moniakbindung aufweist. Blutalbumin bindet nur 3,74°/, Am- moniak, Muskeleiweiß 2,55°/,, Hühnereiweiß 4,25°/,, Casein 3,9°/, seines Trockengewichts an Ammoniak.

Leider fehlt bis jetzt jedes Kriterium für die Reinheit ` eines Fermentes. Auch die Steigerung der Fermentwirkung bis zum höchstmöglichen Maß dürfte noch kein sicheres Zeichen der Reinheit sein, da man immer noch sagen kann, daß gewisse Eiweiße oder sonstige Beimengungen trotz aller Reinigung nicht wegzubringen sind. Auch leidet das Ferment durch die Reini- gungsmethode, so daß hiermit eine Grenze gezogen ist. Am ehesten dürften noch Fermente, die sehr widerstandsfähig gegen Chemikalien sind, Aussicht auf Erfolg bieten. So erträgt die Invertase der Hefe sogar 20stündige Einwirkung absoluten Alko- hols, ohne vernichtet zu werden. Der so häufig zur Reinigung der Fermente dienende Alkohol dürfte also hier keinen Schaden stiften. Formaldehyd zerstört selbst bei 24stündiger Einwirkung in der Konzentration 5°/, das Inversionsvermögen der Hefe nicht. Für Katalase ist absoluter Alkohol unschädlich, während Hefemal- tase schon durch 5°/,igen Alkohol etwas geschädigt wird. Zu den empfindlichen Enzymen gehört die Zymase; sie wird durch 50°/,igen Alkohol binnen 24 Stunden vernichtet, während 20°/,- iger Alkohol binnen 24 Stunden nicht vernichtet.

Man wird auf diese Dinge bei der Reindarstellung von Enzymen Rücksicht nehmen müssen.

1) K. Ohta, diese Zeitschr. 1913.

Weitere Beiträge zur organischen Ernährung der grünen Pflanzen mit Ausblicken auf die Praxis.

Von

Th. Bokorny.

(Eingegangen am 20. Januar 1919.)

Die merkwürdige, bis jetzt unerklärte Wirkung des Humus auf die Pflanzen lenkt immer mehr die Aufmerksamkeit auf die organische Ernährung grüner Pflanzen. Es findet in Humus- böden offenbar eine solche statt. Auch die Gründüngung und die Wirkung des Stallmistes weist darauf hin. Die organischen Substanzen können entweder direkt ernähren oder zuerst durch Bodenorganismen in Kohlensäure übergehen und als solche in den Pflanzenkörper eindringen. Die mangelhafte Kohlenstoff- ernährung aus der Luftkohlensäure kann damit um einen er- heblichen Betrag vermehrt werden.

Die bisherigen Versuche über organische Ernährung grüner Pflanzen ermuntern zu weiteren Arbeiten.

Verfasser hat Topfpflanzen (Kohl und andere) während mehrerer Wochen und sogar Monate mit Lösungen von Glycerin, Methylalkohol usw. begossen und-damit sehr günstige Resultate erzielt.

Es wurde z. B. gefunden, daß Kohlpflanzen (Wirsing) mit Methylalkoholernährung über zweimal so schwer wurden binnen 3 Monaten als solche ohne Methylalkohol ceteris paribus. Desgleichen Roggenpflanzen. Hierbei wurde mit 0,2°/,igem Methylalkohol begossen. Die Gesamtmenge des zugeführten . Methylalkohols betrug bei Kohl ca. 20 g; 164 g Gesamtgewicht erhielt ich gegen 74 g im Kontrollversuch, d. і. ca. 40 g Тг.-8. gegen 18 g Tr.-S. Die Methylalkohol-Roggenpflanzen hatten

Th. Bokorny: Weitere Beiträge zur organ. Ernährung grüner Pflanzen. 79:

binnen 3 Monaten und 10 Tagen bereits Ähren gebildet und. nach dem Verblühen Früchte angesetzt; das Gesamtgewicht betrug 24 g gegen 11,2 g beim Kontrollversuch. Bohnen, die mit 29 1рет Methylalkohol begossen wurden, überholten binnen 14 Tagen die Kontrollpflanzen bei weitem. Bei anderen Pflanzen- arten (Gurkenkeimlingen, Möhrenkeimlingen) bemerkte ich, daß schon 0,5%, Methylalkohol etwas schädlich wirkte, freilich wurden die Keimlinge hier direkt in die Lösung gesetzt, während bei obigen Versuchen die Methylalkohollösung in die Topferde gegossen wurde.

Mit 0,25°/ ‚iger Glycerinlösung begossen erreichte eine- Kohlpflanze binnen 3 Monaten ein Gewicht von 138,1 g, während die Kontrollpflanze am Schluß nur 74,4 р wog!).

Es ist offenbar, daß Kulturpflanzen durch organische Er- nährung bedeutend gefördert werden können. Daß Zucker eine уогіге ісһе Kohlenstoffnahrung auch für grüne Pflanzen ist, dürfte längst bekannt sein.

Ich faßte nun eine Abfallauge als Nahrung ins Auge, nämlich die in den Cellulosefabriken, welche nach dem Sulfitver- fahren arbeiten, in großer Menge abfallende Sulfitablauge. Dieselbe ist, so wie sie gegenwärtig in den Handel kommt, meist schon „entzuckert“, da aus ihr Spiritus gewonnen wurde. Aber auch diese entzuckerte Lauge enthält noch ca. 1°/, Zucker und außerdem 9°/, andere organische Substanzen. Sie verpilzt, wenn man sie uneingedickt und ohne Konservierungsmittel stehen läßt, sehr rasch, ein Zeichen, daß sie Nährstoffe ent- hält. Freilich der Gehalt an Kali und Phosphorsäure ist gering. = Nach einer von der K. landw. Z. V. St. München ausgeführten Analyse enthält die „entzuckerte“ Lauge aus Redenfelden (Bayern) 88,48%, Wasser + 11,52°/, Trockensubstanz; davon 9,60°/, Glühverlust, 1°/, Glührückstand, 1 bis 1,1°/, Zucker (auf Dextrose berechnet). Die ursprüngliche, nicht entzuckerte Lauge enthält 3,54°/, Zucker.

Der in der entzuckerten Lauge noch enthaltene Zucker ist naturgemäß großenteils nicht gärfähiger Zucker, der aber .zur Pflanzenernährung direkt oder indirekt beitragen kann.

Gelangt er in den Kulturboden, so suchen sich seiner die

1) Näheres diese Zeitschr. 1915, 322 bis 364.

80 Th. Bokorny:

Mikroorganismen des Bodens zu bemächtigen, wodurch er früher oder später in Kohlensäure übergeführt wird. Dadurch wird der Kohlensäuregehalt in der Bodenluft wie auch in den über der Erde gelagerten unteren Luftschichten vermehrt, was natürlich auf die Kohlenstoffversorgung der Pflanzen günstig wirkt.

Ein Teil des Zuckers wird direkt in die Pflanzen gelangen und wenn tauglich, zum Aufbau von Kohlenhydrat und Eiweiß des Pflanzenkörpers "dienen,

Was die übrigen organischen Bestandteile der Sulfitlauge betrifft, so sind dieselben zu wenig bekannt, als daß man Schlüsse darauf bauen könnte. Jedenfalls wird ein Teil der- selben Nutzen stiften. Denn läßt man die Lauge an der Luft stehen, so tritt eine derart intensive Verpilzung (besonders bei Zusatz von Kali und Phosphorsäure) ein, daß daran auch andere ‚Stoffe als der Zucker beteiligt sein müssen.

Von Kali finden sich nur geringe Mengen vor.

Phosphorsäure ist in der entzuckerten Lauge mehr vor- handen, weil bei der Vergärung des Zuckers durch Hefe auch phosphorsaures Salz zugesetzt wird, um das Gedeihen der Hefe zu ermöglichen.

Kurz, mir schien die entzuckerteSulfitablauge eines Düngungs- versuches wert.

In dem landwirtschaftlichen Versuchsgarten der technischen Hochschule München sowie anderwärts ausgeführte Versuche haben tatsächlich ergeben, daß die Düngung mit Sulfitlauge den Ertrag an Körnern und Stroh steigert?)

Es wurden 1. Topfversuche unter Konstanthaltung des Gewichtes mit täglichem Wasserzusatz bis zu gleichem Gewicht (zur Ausschaltung 'klimatischer Verschiedenheit), 2. Vegetations- kastenversuche, beide mit abgewogenen Düngermengen angestellt. Alle hatten genügende Stickstoff-, Kali- und Phosphormengen er- halten, die Hälfte der Versuche außerdem noch Sulfitablauge. Es stellte sich in beiden Fällen ein deutlicher Vorzug der ‚Sulfitlaugenversuche ein. Die Pflanzen wurden höher, reiften etwas früher, das Erntegewicht war größer.

Was die Reife und das Erntegewicht anlangt, so stellte sich bei den Vegetationskastenversuchen ein noch größerer

1) B. in Mitteilungen d D. L. G. Jan. 1919.

Weitere Beiträge zur organischen Ernährung grüner Pflanzen. 81

Unterschied ein, alsich Harndüngung und Ammoniakdüngung ver- glich. Am günstigsten von allen Pflanzen waren die in den Vegetationskästen mit Harn + Sulfitlauge entwickelt (siehe unten).

Die Sulfitlaugendüngung wurde so gegeben, daß auf 1 qm 11 Lauge traf.

Da der Transport größerer Laugenmengen beschwerlich ist, stellte ich mir auf '/, eingedickte Lauge oder völlig getrocknete und gepulverte Lauge her.

Das Trocknen der Lauge geschieht am besten nach dem Krause-Verfahren, wobei man, da die Trocknung durch feine Verstäubung ohne Erhitzen erfolgt, die Bestandteile völlig un- verändert erhält.

Eine weitere organische Nährstoffquelle, die ich zu Düngungs- versuchen ins Auge faßte, ist der menschliche Harn, der immer noch in großen Quantitäten verloren gehen gelassen wird. Er enthält neben ca. 2°/, Harnstoff auch са. 0,2°/, Kali und fast ebensoviel Phosphorsäure. Der Harnstoff ist eine gute Kohlenstoff- und Stickstoffnahrung zugleich; das Kali und die Phosphorsäure reichen bei reichlicher Harndüngung aus.

Faktisch konnte ich bei ausschließlicher Harndüngung, wobei der gesamte nötige Stickstoff, ja eine mehr als aus- reichende Menge, als Harn, ebenso das Kali und die Phosphor- säure nur als Harn gegeben wurde, sehr günstige Ernten erzielen.

Zur besseren Handhabung ist auch hier eine Trocknung des Düngemittels erwünscht. Dieselbe kann, wie mir Herr Prof. Dr. C. Oppenheimer mitteilte, ebenfalls nach dem Krause- Verfahren geschehen, nach welchem schon viele andere orga- nische Flüssigkeiten, wie Milch, Blut, in günstigster Weise ge- trocknet wurden.

Eine größere Arbeit über Stickstoffdüngung ist 1916 in den „Arbeiten der D. Landw. Ges.“ erschienen. Sie befaßt sich auch mit dem Harnstoff als Stickstoffdünger, verglichen mit anderen N-Düngern (Schneidewind).

Hiernach zeigten Harnstoff und salpetersaurer Harnstoff (gleiche N-Mengen vorausgesetzt) 81 bis 86 °/, der Chilisalpeter- wirkung. Das Zurückbleiben ist aber vorwiegend durch den ungünstigen Ausfall des Haferversuches bedingt, der wiederum auf Kosten der ungewöhnlichen Trockenheit in jenem Jahre

zur Zeit der Hauptentwicklung des Hafers zu setzen ist. Bei Biochemische Zeitschrift Band 94. 6

82 Th. Bokorny:

Ausschluß des Haferversuches errechnete sich 95 bis 103°/, der Chilisalpeterwirkung. Die Versuche wurden an Kartoffeln, Zuckerrüben, (Hafer), Roggen, Weizen gemacht.

„Harnstoff und salpetersaurer Harnstoff (wie auch salpeter- saures Ammoniak) zeigen durchschnittlich die gleiche Wirkung wie das schwefelsaure Ammoniak, unter Umständen wie der Chilisalpeter“ 1).

Schneidewind verwandte zu den Harnstoffversuchen nicht Harn, sondern Harnstoff, den Hauptbestandteil des Harns, weil er lediglich die Stickstoffwirkung des Harnstoffes nachweisen wollte. Die übrigen Stickstoffverbindungen des Harns fallen also weg; ebenso die wertvollen Kali- und Phosphorbeigaben des Harns.

Von einer Wirkung des Harns als Kohlenstoffdünger ist nirgends die Rede.

Der im Herbst gegebene organische Stickstoffdünger (wie auch sonstige N-Düngung) versagte auf den leichteh Sand- böden völlig (durch Auswaschung). Für die mittleren Böden, wie sie in Deutschland vorherrschen, gibt man dem Winter- getreide oft zweckmäßig die Stickstoffdüngung in der Weise, daß man '/, im Herbst, ?/, im Frühjahr anwendet.

„Roggen lohnte auf einem feuchten produktionsfähigen Sandboden und auf besserem Boden nach nicht in Stalldünger gebauter Vorfrucht eine Stickstoffgabe von 60 kg Stickstoff pro 1 ha, auf ganz leichtem durchlässigem Sandboden höchstens 30 kg Stickstoff pro 1 ha.“

Über organische Kohlenstoffernährung der Kulturpflanzen ist den Versuchen fast nichts zu entnehmen. Nur an einer Stelle finde ich ein Resultat, das vielleicht auf organische Kohlenstoffernährung zu deuten ist, nämlich bei Melasseschlempe- dünger (8. 148), welcher Versuch eine unverhältnismäßig große Mehrernte an Kraut und auch eine große Ernte an Knollen ergab, zusammen eine größere Ernte als bei den sämtlichen Parallelversuchen ohne organischen Dünger.

Die Hippursäure, die im Harn der Haustiere das haupt- sächliche N-Ausscheidungsprodukt darstellt, ist eine minder gute Stickstoffquelle für Pflanzen als der Harnstoff, wie ich bei Versuchen mit Pilzen sah; als Kohlenstofiquelle ist sie

1) A. а. O., S. 197.

Weitere Beiträge zur organischen Ernährung grüner Pflanzen. 83

jedenfalls noch weit weniger brauchbar. Denn der Benzolkern ist nicht verwendbar, ја Die freiwerdende Benzoösäure wirkt sogar giftig; es bleibt nur der Kohlenstoff des Glykokolls übrig, der allerdings zur C-Ernährung tauglich ist. Versuche an Kulturpflanzen mit Hippursäure als einziger N-Nahrung neben solchen mit Harnstoff wären von großem Interesse. Ich vermute, daß auch die leichtere Abspaltung des Ammoniaks aus Harnstoff zugunsten des letzteren entscheidet. Harnstoff- lösungen gehen bekanntlich sehr bald in Zersetzung über, während Hippursäurelösungen größeren Widerstand leisten, so daß die Gefahr eines direkten Eindringens in die Kultur- pflanzen und damit der Benzo&säureausscheidung in deren Ge- weben besteht. Große Verdünnung ist daher nötig, damit die Benzoösäure keinen Schaden tut. Nach meinen Erfahrungen wirkt schon weniger als 0,1°/, Benzoesäure vergiftend.

6*

Beiträge zur Kenntnis des Nichtproteinstickstoffs des menschlichen Blutes. Materialien zur allgemeinen chemischen Pathologie des Gesamitgebietes.

Von Joh. Feigl.

(Aus dem Chemischen Laboratorium des Allgem. Krankenhauses Ham- burg-Barmbeck.)

(Eingegangen am 22. Januar 1919.)

Indem wir an die speziell in der VII. Mitteilung!) zu- sammengezogenen Schlußfolgerungen niedergelegten Auffassungen über die Einzelerscheinungen und Verkettungen des gesamten normalphysiologischen R.-N-Gebietes im Zustande der Nüchtern- heit anknüpfen, treten wir nunmehr den folgenden Aufgaben näher. Wir bezeichnen die zur Darstellung gebrachte Stufe als die der allgemeinen chemischen Pathologie des R.-N- Gebietes und sehen sie als Unterlagen für die klinische Be- wertung an. Demnach überwiegt das beschreibende Moment. Die Richtlinien für die Erörterung sind nach dem normalphysio- logischen Verhältnisse beim Menschen (mit Einschluß der Diffe- renzierung nach Altersstufen) vorgezeichnet.

Stellen wir uns auf den Boden der Nüchternwerte im Gefolge bestimmt charakterisierter Ernährungsverhältnisse mit einiger Konstanz, so darf eine Voraussetzung zunächst als nicht streng angesehen werden. Es fehlt bisher an Darlegungen über die dynamischen Verhältnisse des R.-N-Gebietes. Das heißt, es sind bisher vorliegende, z. T. widersprechende Be- funde und Spekulationen über die Wandlungen der Fraktionen des R.-N-Gebietes im Blute gesunder Menschen unter den ver-

1) J. Feigl (R.-N.), Arch. für exp. Pathol. u. Pharm. 1918.

Joh. Feigl: Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 85

schiedensten alimentären Vorbedingungen nachzuprüfen, zu er- weitern und auf die verschiedensten Möglichkeiten der Auf- nahme von Nährstoffen, speziell von N-Körpern, von Wasser, von Salzen, von „anregenden Stoffen“ allein oder in Kombina- tionen, sowie unter den Formen gewisser Ernährungsgewohn- heiten endlich mit Einschluß von Ruhe und Bewegung zu be- ziehen. Die von Bang gehandhabte Methodik erlaubt die Prüfung in kurzen Zeitabständen.

Als zweite Voraussetzung sehen wir die folgende an. Die Verteilung der R.-N-Fraktion auf die Elemente der Blutflüssig- keit ist in der Norm im großen und ganzen festgelegt. Unter pathologischen Verhältnissen können die Erscheinungen alteriert werden, indem es Stoffe des R.-N-Gebietes gibt, die dem Plasma allein oder fast allein angehören und in die Körperchen nicht eindringen. Wieder andere teilen sich beiden Elementen mit und gleichen sich in etwa aus. Danach sind die Befunde im Vollblut die Resultanten zweier Äußerungen und streifen als Reflexgebilde von dem Typischen meist die Extreme ab. Auch dieser Abschnitt ist als selbständige Aufgabe an normal- physiologischen und pathologischen Beispielen zu behandeln.

Endlich ist eine Grundbedingung in den methodischen Unterlagen gegeben. Diese werden hier nicht diskutiert. Es wird, wie bisher, die Absicht vertreten, nach den besten Ver- fahren des R.-N-Komplexes Befunde zu gewinnen. Die Me- thodenkritik bleibt als Sonderaufgabe zurück. Unabhängig von dieser Einschränkung ist aber eine Diskussion über die Änderungen des Milieus von Blut und Plasma, der Träger der R.-N-Körper, im Gesamtbereiche der Pathologie am Platze. Damit würden die Aufgaben der Methodik dann ein vielsei- tigeres Gesicht gewinnen, als ihnen die allgemeine Norm ver- leiht. Obenan steht die Rolle, die der R.-N im Gesamt-N spielt, bzw. das Verhältnis des Eiweiß-(Albumin -+ Globulin-)N zu Nicht- eiweiß-N. Wir haben es mit hohen Abweichungen der Eiweiß- konzentration häufiger zu tun, ohne daß gleichzeitig die Menge wenigstens eines Teiles der R.-N-Körper ebenfalls der Verdün- nung zu folgen brauchte. Es wird also die Beziehung zwischen Eiweiß-N und Nichteiweiß-N Gesichtspunkte aufklären, die die einfache Bestimmung der „Hydrämie“ nicht zu bieten vermag. Auf diesem Wege wird das chemische Blutbild der R.-N-Körper

86 Joh. Feigl:

dann in anderem Lichte erscheinen. Von einigen Seiten, be- sonders der früher genannten amerikanischen Forscher (Myers) ist der Weg gelegentlich beschritten worden, und bereits Hohlweg hat Anläufe gemacht, in dieser Richtung den R.-N auszudeuten. Das ist über Anfangsstadien nicht hinausgekommen und heute um so wichtiger, weil wohl kaum anzunehmen sein dürfte, daß die sämtlichen Glieder des R.-N-Komplexes, bei denen 2. Т. doch von sekundären Bindungen an höhere Gebilde und ferner von kolloiden, nur teilweise diffusiblen Molekularformen gesprochen wird, in gleicher Proportion untereinander sich er- halten, wobei durch Hydrämie die Konzentration des Plasmas sinkt. Auch die Grenzfraktionen des kolloiden N gegen den krystalloiden N bringen sich in der Pathologie zur Geltung in . Graden, die auf die Werte der Norm ohne entscheidenden Ein- druck verbleiben. Dahin gehören die nicht genug geklärten Albu- mosenpeptide, die Proteinsäuren, die Harnsäurekomplexe u. a. Es ist ersichtlich, daß die Verhältnisse, die das Gebiet

des „Zuckers“ und den Lipämiekomplex umfassen, besondere me- thodische Konsequenzen nahelegen oder analytische Speziali- sierungen veranlassen. Das physikalisch-chemische wie chemische Gefüge des Plasmas ist ein anderes und muß die Bedingungen der Scheidung zwischen Eiweiß-N und Nichteiweiß-N in Mit- leidenschaft ziehen, wobei die „Grenzfraktionen“ zwischen ersterem (kolloidem N) und letzterem (krystalloidem N) zu Ge- wicht kommen. Sie werden also, nachdem ihnen größere Be- deutung zuwächst, zu Problemen für die Trennung und damit die Beurteilung. Auch untereinander greifen die Erkenntnis- mittel des R.-N-Gebietes in Kreise über, die außerhalb des Individuums, der Fraktion, des Begriffes liegen, denen be- stimmte Methoden der Darstellung und Aufarbeitung gewidmet sind jedenfalls, abgesehen von der absoluten Höhe des R.-N-Spiegels und seiner relativen Stellung gegen das Gesamt- protein durch die pathologischen Sondereigenschaften der Plasmen. Auch das Gebiet des „Blutzuckers“ ist in der Pa- thologie erheblich mit Abschnitten des R.-N-Komplexes verwoben, wie Feigl für die Restreduktion durch Kreatinin, Kreatin, Harnsäure zeigte. Hier interferieren Hyper- und Hypoglykämie mit Beträgen für nicht von Zuckern eingebrachte Reduktion, so daß Bilder entstehen, die einmal „scheinbare Hyperglyk-

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 87

ämien“, ein andermal „Restreduktionen“ geben, die den wahren Zucker noch hinter sich lassen. Die Verdienste für Aufklärungen dieser Art fallen bisher (nach Feigl) ganz auf das Gebiet des Nichteiweißstickstoffs, das für sich Detailarbeit in Anspruch nimmt undseine Grenzfraktionen gegenüber der Reduktion herauszustellen gehalten ist. Feigl und Luce haben im gleichen Sinne gearbeitet. Ammoniak ist das Bindeglied zu den Individuen der Acidose, Ace- tonkörpern. Besonders geartet ist auch die Stellung der Purine, ebenfalls die der Kreatinkörper, die das Myoplasma erfassen.

In der Analyse gewinnt Interesse die variierte Möglichkeit der Trennung der Hauptfraktionen und Individuen innerhalb des R.-N-Komplexes. Bekanntlich hat die Führung immer die grobschematische Zergliederung in Harnstofi-N und Nichtharn- stoff-N, die nach Bang als Ur-N und Amino-N erscheint. Daß diese, die schon Ausblicke auf die Deutung und manchen Ein- blick in das Wesen der N-Retention bietet, keineswegs aus- reicht, ist durch Feigl und Luce dargetan worden, die den „summarischen Amino-N“ in den berechneten überführen, indem die Summe N (+) (Feigl) aus Kreatinin, Kreatin, Harnsäure zu ihrem Rechte kommt. Allfällige Abweichungen des „berech- neten Amino-N“ (Feigl-Luce) gegen den direkt bestimmten müssen sie sind schon in der Norm nicht immer einfach durch Methodenkritik auszudeuten hier zu besonderer Wich- tigkeit erwachsen, und bei rein analytischer Aufklärung dazu angetan sein, den Differenzwert (einen „Reststickstoff* im echten Sinne) unter weitergehende Betrachtungen zu rücken. Er kann im Hinblick auf solche Stoffe zunächst als formale Größe . konventionell zu Interesse kommen.

Fügen wir diejenigen Angelegenheiten des gesamten N- Bestandes ein, die in den vorgängigen Arbeiten nicht erörtert werden, so werden wir unsere Vorarbeiten für die allgemeine Pathologie des R.-N-Gebietes erweitert haben. Wir meinen die Eiweiß-N-Zahlen, ihre Umrechnung und Einteilung, schließlich ihre Relativierung zu dem krystalloiden Nichteiweiß-N. Setzen wir die erwähnten Zahlen voraus, so gewinnt die Darstellung der allgemein pathologischen Chemie des R.-N-Gebietes im ganzen folgendes Gefüge, das sich im übrigen eng an die Dar- stellung vorhergehender Abschnitte der normalphysiologischen Nüchternwerte anlehnt.

88 Joh. Feigl:

Wir betrachten den Gesamtreststickstoff nach seinen patho- logischen Abartungen unter typischen Verhältnissen mit Einschluß derjenigen Gesichtspunkte, die Sonderfragen betreffen und dabei die Forderung stellen, die Befunde für diese mit der komplexen Größe vereint zu betrachten, um Durchsichtigkeit in das wechsel- seitige Verhalten zu bringen. An diese Stufe schließt sich der Harnstoff-N bzw. die Harnstofffraktion und ihre Beziehungen zur Gesamtgröße. Es folgt der Aminosäurestickstoff in der von Bang gewählten Form als summarische Größe, dann der be- rechnete Aminosäure-N nach Feigl und Luce. Letzterer fußt auf der Beurteilung der Kreatinin-Kreatingruppe einerseits und der Puringruppe andererseits. Die Summe dieser Glieder tritt dem Begriffe von Bang gegenüber und zweigt den von Feigl und Luce für Aminosäuren ab. Als Parallelgröße erscheint die direkt bestimmte Fraktion des wahren Aminosäure-N. So- weit die absoluten Größen der einzelnen Bausteine! Ungleich wichtiger als Bestimmungsstücke sind die Relationen, die den Gesamt-R.-N aufteilen. Die Gliederung nach Bang: Amino-N zu Harnstofi-N steht voran; ihr rückt zur Seite die Formulie- rung nach Harnstoffprozenten für den Gesamt-R.-N. Dann folgt die Aufteilung des summarischen Aminosäure-N gegenüber dem berechneten und direkt bestimmten, zugleich die Einrech- nung des N -+ und die Proportionierung von Kreatinin, Kreatin, Harnsäure zu den obigen Gliedern. Endlich erscheint der Am- moniak-N für sich und in seinen Relationen.

Stellt man ferner die Voraussetzung auf, die Bang 1916 ` für die Verteilung der Hauptgruppen des R.-N auf die Elemente der Blutflüssigkeit ausgearbeitet hat, so gewinnt die allgemeine Betrachtung festere Grundlagen.

Bang hat für die Verhältnisse der Norm mit Einschluß des Ab- laufes alimentärer Umsetzungen belegt, daß die Verteilung des R.-N, spez. des Harnstoffes im ganzen parallel auf Körperchen und auf Plasma fällt. Die Übereinstimmung der Gesamtwerte ist sehr gut und der permeable Harnstoff verteilt sich ohne weiteres. Bang argumentiert weiterhin, daß die physiologischen Aminosäuren eine selbständige Doppelrolle spielen. Nach der Resorption ins Blut gelangende Aminosäuren finden sich so gut wie ausschließlich im Plasma. Daraus wird die Folgerung gezogen, daß die Aminosäuren der Blutkörperchen (vorwiegend, wo nicht überhaupt) nicht vom Plasma, mithin vom Darm (direkt) herstammen. Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach am Ort der Existenz selbst gebildet worden.

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 89:

Anders in der Pathologie! Dort fehlt es an Vergleichs--

untersuchungen.

Unter Zugrundelegung der Theorie von Bang muß die Bedeutung der Zweiteilung des Haushaltes der Aminosäuren einleuchten. Wir haben hier in gewisser Abschattierung, aber prinzipiell ähnlich orientiert, ein Bild vor uns, das dem Verhalten des lipämischen Komplexes ent- spricht. Dort hat man je nach dem Ort (Blutkrankheiten der Erythro- cyten) für die pathologischen Züge des Lipämiegebietes dem fast alle- Lipämien (Diabetes, Cholämie usw.) angehören die scharfe Trennung der fraglichen Produkte. Hoppe-Seyler und spätere Forscher haben dargetan, daß der chemische Bau der Erythrocyten weitgehend unab- hängig von der sonstigen chemischen Struktur der Blutflüssigkeit, be- sonders in Hinsicht der Fette und Lipoide, ist. So muß die Sache auch hier liegen. Nur fehlen bisher Anhalte. Feigl sowie Feigl und Luce haben jedoch speziell die Gruppe der formalen oder tatsächlichen Größen des Aminosäure-N hier betrachtet.

Jedenfalls muß also die Pathochemie des R.-N-Gebietes an Fragen der geschilderten Art herantreten, vielleicht sogar manche der diagnostischen Möglichkeiten auf die beschreibende Voruntersuchung über die Verteilung von R.-N-Stoffen auf Körperchen und Plasma gründen oder eingeleitete nachprüfen und erhärten. Es kann kaum ein Zweifel sein, daß in manchen Fällen nach der einen oder der anderen Richtung weiterzukom- men sein dürfte. Die schon gestreifte Harnsäurefrage hat in der geschilderten Unterlage gleichfalls Anknüpfungspunkte, be- sonders der Bestand an Kreatinin und Kreatin.

Stellt man die Leitlinien voran, nach denen Bang seine Untersuchungen gruppierte, so hätte das Gebiet die zwei Quellen in den spezifischen Organfunktionen der Niere und der Leber vor sich.

Hier greift die Beurteilung ein, mit der man an die Vorstellungen von Ort und Art der Harnstoffbildung im menschlichen Körper heran- tritt. Diese Funktion ist in den letzten Jahren mehrfach zum Gegen- stande gründlicher Überprüfung gemacht worden, wobei die modernen Methoden für Glieder des R.-N-Gebietes den Weg abgaben. U. a. haben Taylor und Lewis (1915) dargetan, daß die Harnstoffbildung eine Funktion aller Organe ist. Diese neu belegte Auffassung muß im R.-N- Gebiete, soweit eigentliche Krankheiten einerseits, Grenzzustände zur Norm andererseits in Rede stehen, besonders berücksichtigt werden. Ferner haben Untersuchungen über Blutverlust und experimentellen Ersatz, der auch therapeutisch in Betracht kommt, als Extrem Interesse. Eben- falls Taylor und Lewis waren es, die (unter ähnlichen Befunden) nach- wiesen, daß u. a. der R.-N ansteigen könnte, und daß der Ersatz von

90 Joh. Feigl:

Stoffen, die die Blutung mit sich entfernt bat, nicht ausschließlich durch Gewebsentmischung zustande komme. Die fallende Dichte des Blutes und Einzelheiten hat auch Richet (1918) dargetan. Immerhin fehlen hier noch Angaben; doch darf der prinzipielle Zug als klargestellt gelten. Die alimentären Einflüsse auf die Nüchternwerte dürfen nicht gering ge- schätzt werden. So ist bei mäßiger Arbeitsleistung, fallendem N in der Nahrung mit niederen R.-N-Werten, in ihnen besonders auch niederere Ur zu rechnen (Feigl). Werte solcher Art will Zondek (1918) bei der Kriegspolyurie gesehen haben. Hohe N-Quoten in der Ernährung halten zumeist ein höheres Niveau als begrenzte. Ruhe und Arbeit modifizieren die Grundtatsachen, Wasseraufnahme, Salzstoffwechsel gleichfalls. Die Qualität der N-Körper gibt im Verlaufe des Resorptionsvorganges dem R.-N-Bilde Schattierungen, indem Alanin und Glykokoll beim Menschen Hyperaminacidämie, Leucin u. a. diese nicht erzeugen, indem Casein, besonders Fleisch, nur den Harnstoff in die Höhe setzen. Körperliche Anstrengungen können den Rest-N (Ur-N) heraufsetzen; meist handelt es sich um ein Zusammenspiel. Die physiologischen Vorgänge und ihre Spiegelbilderscheinungen im R.-N-Gefüge behandeln wir für sich; hier ist zu betonen, wie physiologische Grundtatsachen in die Pathologie hinein- wachsen und sie in ihren Formen steuern können. Es darf an Studien von Feigl über Marschanstrengungen von Nierenrekonvaleszenten er- innert werden.

Außer den (eigentlichen) Krankheiten der Leber und der Niere sind es folgende Anlässe, die teils nach andersseitigen, teils bereits nach eigenen Ergebnissen in das R.-N-Gebiet hin- einspielen. Fieber irgendwelcher Ätiologie, Infektionskrank- heiten (Tuberkulose, Lues, Pneumonie, Septicämie, Meningitis), Diabetes (im Koma, Basedow, Anämien, Myxödem, Muskel- pathologie, Arthritis, Neubildungen, Epiphyse) können fast stets, häufig oder gelegentlich im R.-N-Gebiete mit Erhöhungen auf- treten. Rechnen wir noch die Arteriosklerose, die eigentlichen Avitaminosen, avitaminosoide Zustände, Ödemerkrankungen hinzu, manche Vergiftungen, die Kriegsödemkrankheit u. a., so haben wir einen großen Umkreis vor uns, über den besonders von Schwarz und Mac Gill (1916), von Feigl (1915 bis 1918), von Folin (1914), von Myers, auch von Zondek u.a. reich- liche bis vereinzelte Materialien vorliegen, die auf den ersten Blick umfangreich und unentwirrbar scheinen.

Geht man näher auf die Sache ein, so lassen sich Fragen methoden- kritisch ihres Gewichtes teilweise entkleiden. Andere lassen die Zurück- führung auf gesteigerten Eiweißzerfall zu, andere tragen latente Nieren- schäden, Nierenveränderung, ferner Leberbeeinträchtigung an sich. So ‚spielt im Kreise der Avitaminosen anfänglich (Lewis und Carr, Feigl)

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 91

eine nicht anderweitig (als durch Abbau) klärbare gesteigerte Harnstoff- retention mit, die über mittlere Bilder in solche übergeht, die Feigl und Luce als nahestehende Erscheinungen der Leberatrophie ansprechen. Diese finden sich bei manchen Vergiftungen (P, Pilze, jüngst Kampfgase, Pick, 1918), bei Morbus Weill. Danach verengert sich der Kreis be- deutend. Diese Lage zwingt zu Versuchen, in den Grenzbereichen nach Vorstellungen zu suchen, die atypische Erscheinungen von typischen trennen lassen. Hier setzt die kritische Vorarbeit im Interesse der Dia- gnostik an, die durch Gegenüberstellung einzelner Faktoren und Glieder manches abwegige Vorkommnis noch benützen kann. Interessant sind die Sprünge zwischen streng reduziertem N-Haushalt (niedere R.-N-Zahlen) und Aufflammen von plötzlichen toxischen usw. Einflüssen, die erhöhten Zerfall einleiten und ebenfalls im R.-N (erhöht) sich darbieten.

Chemische Orientierung bringen die Sondergebiete der Hyperammoniakämie, Hyperuricämie, Hyperkreatinämie usw. Die terminale Azotämie haben Dumitrescu und Popescu herangezogen (1914). Fast alle, die an dauernder Krankheit starben, zeigen einen terminal erhöhten R.-N mit viel Ür-N. Dagegen Personen, die eines raschen Todes starben, keine Azotämie.

Die Vielgestaltigkeit der Erscheinungen im R.-N-Gebiete bei Gruppen bestimmter Erkrankungen wird uns noch (Morbus Brightii) besonders beschäftigen.

Den Nierenerkrankungen gehören u. a. das System Volhard-Fahr an, in dem der R.-N eine bestimmende Rolle spielt. Angelo Conevale Arello berichtete 1913 in dem (bisher nieht weiter nachgeprüften) Sinne, daß die N-Ausscheidung bei Nephritis „in toto kaum Veränderung er- leide“, „doch passieren das kranke Nierenfilter leichter die Zwischen- produkte als die Endprodukte“. Spezialisierende Auffassungen treffen auf die keinesfalls engen Beobachtungen über die Retention von Aminosäure-N (pathologisch-anatomisch nicht genügend abgegrenzt) bei gewissen Formen des Morbus Brightii. Hier haben Neuberg und Strauß, Myers, Feigl, Bock u.a. beschreibend und differenzierend gearbeitet in dem Sinne, daß die Aminosäuren Bedeutung erlangen. Feigl (mit Luce) und Bock haben hohe Grade rechnerisch als Teilerscheinung des Gesamt- R.-N und selbständig analytisch fixiert. Besonders die alte „chronische Nephritis“, die in Fahrs Studien als Sklerose erscheint, ist hier in den Mittelpunkt gerückt worden. Feigl hat auch hier zu Zeiten Verknüpfung mit teilweiser Leberschädigung anzunehmen versucht.

In allerjüngster Zeit haben sich Beobachtungen darüber gezeigt, daß der R.-N nicht im ursprünglich vorausgesetzten Sinne ein Maßstab sein könne. Mosenthal hat (1915) einen Fall studiert, aus dem er ab- leitet, daß die N-Retention nicht als absoluter Ausdruck für die gestörte Eliminationsleistung der Niere angesehen werden dürfe. Myers, auch

92 Joh. Feigl:

Verf. haben R.-N des Blutes und die N-Elimination in Beziehung ge- setzt und sind dadurch den Wegen von Ambard und Weill, von Mac Lean und Selling nähergerückt, die jüngst: umfassend und kritisch von Addis und Watanabe durchforscht wurden!). Die Forschung über den R.-N bei Nierenleiden zielt immer wieder auf die Enthüllung der- Gliederung und die Kritik der Einzelstoffe des Komplexes nach Vor- kommen und Verknüpfung.

Von größtem Werte ist die als „Depot“frage diskutierte Organbeteiligung in der Bildung, der Retention, der Abgabe und dem Ausgleiche mit dem Blute (und Liquor). Ihr wird noch viel Aufmerksamkeit zu widmen sein.

Bang, Marshall und Davis (1914), später Feigl (mit Knack) sowie Lichtwitz knüpften an die Depotfrage an. Gutmann und Wolf zeigten, daß Aderlässe keineswegs eine wirksame Entlastung des R.-N seien, da er sofort energisch nachgeschoben würde. Plehn hat (1918) nur über Aderlaß bei schwerer Nephritis gearbeitet.

Von hohem Interesse für die R.-N-Frage ist die Theorie von Myers, Fine, Lough (1915) über Herausbildung der Retention in (anatomischen und chemischen) Etappen.

Bei initialen Formen von Nephritis soll das chemische Blutbild durch R.-N, Ür-N, Kreatinin und Ur dem der Gicht stark ähneln. Die Herabsetzung der Permeabilität des Nierengewebes dokumentiert sich ein- leitend in der Dichte gegen От; dann folgt Ür, und den Beschluß bildet das Kreatinin, das so schnell wie Ammoniak diffundiert (Folin). Chemisch und physikalisch-chemisch durchaus anschaulich, hat das Bild durch die Autoren Beleuchtung erfahren. Es fehlen kritische Stimmen. Möglich. ist, daß es für die „chronische Form“ Geltung hat. Die typischen akuten Glomerulonephritiden zeigen bereits früh die hohe Quote an Ür, ebenso: toxische Fälle (Bang u. а.).

Immer wieder kehrt die Diskussion der Verhältnisse zu dem Punkte zurück, methodisch und vergleichend mit den Einzelgliedern des R.-N-Komplexes ins reine zu kommen, um sie bildgemäß und in Relationen diskutieren zu können. Jede R.-N-Forschung ist über die summarische Größe heute längst

hinausgewachsen.

Die Leberpathologie unter dem Gesichtswinkel des R.-N- Gebietes ist durch Feigl und Luce (für Atrophie) beschrieben worden. Auf diese können wir spezialistisch eingehen. Die Arthritis ist unter Herrschaft des R.-N-Problems; Folin und Denis verlangen (1915) vergleichende Auswertung von Ur und

1) Diese Autoren lehnen den Koeffizienten ab. Albert versucht (1919) mit ihm diagnostisch weiterzukommen.

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. І. 93

R.-N als differentialdiagnostische Züge der Aufgabe. Das Problem der Blutpurine ist ein solches sui generis, kehrt aber, wie Arbeiten von Myers (s. ol und von Feigl zeigen, zum großen Rahmen des R.-N-Gesamtgebietes zurück. Die Kreatin- Kreatininfrage hat Folin, dem Myers und Feigl u. a. folgten, geschaffen. Sie ist keineswegs erschöpft, wie die neuen Studien zur Muskelpathologie zeigen. Auch sie ist als Untergebiet zu behandeln und demnächst mit dem Gesamt-R.-N usw. in Kon- kurrenz zu diskutieren. Spezielle diagnostische Ziele hatte Myers vor Augen. Der Kontroverse um die Realität der Werte (Mae Crudden, Hunter, Folin, Feigl, Gettler) ist hier besonders zu gedenken, ferner neuer Angaben von Hunter und von Greenwald.

In nächster Linie haben wir einen Überblick über die Hauptetappen der R.-N-Forschung, die uns methodologisch be- sonders interessieren wird, einzuordnen.

Chauffard hatte gewisse Erscheinungen durch Hypercholesterin- ämie zu erklären begonnen, Onfrey und Balavoine folgten mit der Diskussion der Viscositätswerte. Widal setzte (1912) die Anschauungen des ersteren in Beziehung zu Größen des R.-N-Komplexes; Lipoide stehen in ihrer Retention umgekehrt proportional zum Harnstoff. Die klinische R.N-Forschung beginnt mit v. Jacksch (1893). Strauß (1902) ging eingehender auf die Voraussetzungen ein. Er betonte, daß die normale Gliederung (в. u.) 75°, Ür, 9,40/, От, 59%, Ammoniak auch im Bilde absolut erhöhter Zahlen erhalten bleibe. Hohlweg (1911) rechnet mit rd. 60°, Ur-N, 21° Aminosäure-N, 11,7°/, Albumose (Tanninfällung). Letztere sei gewissermaßen eine von der Höhe der Werte des Gesamt- R.-N an sich unabhängige Konstante, die ihren Wert behält, wenn die übrigen ansteigen. Hier setzt die Kritik an. Spezialfragen (Kreatin als Urämiegift, Jaccoud) wurden später eingefügt. Obermeyer und Popper traten (1911) mit Ergebnissen nach wenig zureichenden Methoden hervor. Ihr höchster RN ist 658 mg. Sie finden nur 66°), ÜUr-N. Philipp (1911) leitete erste methodische Versuche ein. Oszacki hatte die Uranylmethode durchgearbeitet. Die Schule Folin arbeitete seit 1912 an den ersten Methoden mikrochemischer Art. Beschreibende klinische und pathologische Ergebnisse erschienen in den Jahren 1912 bis 1915; es wurde erst Harnsäure, dann Ür, dann das ganze Bild aus ` R.-N, Ur-N, Ur, Kreatin, Kreatinin (1914) beschrieben. Unmittelbar an. die Arbeiten Folins schließen verschiedene Autoren an, die die Patho- logie des R.-N-Gebietes im Auge haben; Agnew (1914); Sey mour (1914), der sich mit der Gliederung beschäftigt, auf die auch Folin (1915) noch einmal (siehe z. B. Ur bei Arthritis) eingeht. Auch Foster bekräftigt Folins Ergebnisse. Der Anteil der Schule Myers ist gewürdigt worden.

94 Joh. Feigl:

Umfangreiche Analysen stammen aus 1915. Die Kreatininforschung führte Myers zur Formulierung von „Normalbildern“ bei typischen R.-N- Konstellationen im gesunden und kranken Organismus. Wolf, Taylor und Hulton gingen andere Wege der Methoden. Die größte Etappe in der Forschung ist das Werk Bangs (1915 bis 1917) mit dem eigenen System, das zu großen Ergebnissen heranreifte. An den Methoden kriti- sierte und weiterte Bang selbst nach Einwürfen von Sjollema und Hettersky. Feigl hat Reihen nech diesem beschrieben. 1915 und 1918 trat Greenwald von anderer Seite an die alte Folinsche Methodik heran. Ergebnisse haben Feigl sowie Bock gebracht.

Der Aminosäure-N geht als analytische Methode durch Arbeiten der Schule Abderhalden, die im größten Maße präparativ sowie ana- lytisch durch die Ninhydrinprobe ausgeführt wurden, über die von van Slyke (Gasometrie), an der dieser Autor ausgedehnt, sowie später Rosenberg, Bock, Feigl arbeiteten. Harnstoff trat besonders durch französische Autoren (Fosse, Moriquaud u. а.), durch amerikanische (Ureasemethode, Marshall, van Slyke u. a.) in neue Perspektiven, die Marshall und Davis alsbald für die Verbreitung in Organen nutz- bar machten. Harnsäure ging als pathochemisches Gebiet von Folin über Steinitz, Benedict, Höst in Arbeiten von Feigl ein. Die Forschung über Ammoniak lag in Händen von Folin, Bang, bis sie durch Henriques und Christiansen ihre heutige Vollendung erfuhr. Die Erforschung extremer Erscheinungen der Leberpathologie geht über präparative Versuche von Neuberg und Richter zu umfassenden systematischen Arbeiten von Feigl und Luce. Avitaminosen und ähn- liche Zustände beschrieben Feigl, Lewis und Carr. Die rechnerische Verknüpfung der Hauptglieder des komplexen R.-N geht über oben ge- nannte ältere Stimmen zu Bang, zu Feigl und Luce und zu Myers. Die R.-N-Verhältnisse des Liquors behandeln wir gesondert.

Sehr wichtig ist eine Gegenwertung von N-retinierenden Faktoren in Konkurrenz zu dem allgemeinen alimentären Status,

bzw. zu den in Bewegung befindlichen N-Stoffen.

Hier ist es Bang gewesen, der N-Retention im Hungerzustande darlegte. Nach ihm ist es „eine wichtige Frage, wie sich die Organismen nach eingetretener Nephritis bei Nahrungsaufnahme verhalten. Man kann a priori erwarten, daß das Nahrungseiweiß, das doch rasch in От umgesetzt wird, eine Steigerung der schon existierenden Retention be- dingen müsse. Wird schon im Hunger der in geringer Menge gebildete Harnstoff unvollständig ausgeschieden, um so mehr dürfte dann bei reich- licher Ur-Produktion die Ausscheidung zurückbleiben, die Retention (sichtbar in R.-N-Zahlen) steigen. Andererseits bilden die Nahrungs- N-Stoffe das Material für Zellregenerationen der geschädigten Niere“. Es zeigte sich, daß zwar (bei reichlicher N-Gabe) momentan durch große Ür-Fluten Steigerungen eintreten, daß diese jedoch schwinden, wenn die Verabreichung fortgesetzt wird, auch dann, wenn die Niere schwer ge- schädigt bleibt. „Die Nahrungszufuhr (und ihre Verarbeitung) muß u. a.

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 95

eine spezifische Nierenwirkung haben, die in der Herbeiführung größerer Durchlässigkeit für От beruhen darf. Es ist mit N-Gaben eine gewisse kurative Wirkung verbunden. Im Hunger geht unter sonst gleichen Ver- hältnissen die Überladung des Blutes schnell voran bis zur Krise. Das Sinken der Retentionskurve hängt keineswegs vom Wasser allein ab. „In den kurativen Erscheinungen ist kein Raum für die Verknüpfung mit den Aminosäuren des Rest-N enthalten.“ Doch darf auf obige Notiz über die Durchlässigkeit kranker Nieren für Zwischenprodukte hinge- wiesen werden. Dieselben Erscheinungen spielen mutatis mutandis in die Leberschäden hinein. Dort entstand (Bang, P-Vergiftung) die große Hyperaminacidämie, auch bei Karenz. Feigl und Luce beschreiben ihre zahlreichen Fälle von Leberatrophie unter gleichen Gesichtspunkten.

Ohne Frage es existiert trotz Bangs treffender Experi- mente und Kombinationen im klinischen Lager kaum Über- einstimmung ist die Wechselbeziehung zwischen N-Gabe, N-Resorption und ihren Erscheinungen durch kranke Nieren andererseits von höchster Wichtigkeit auch angesichts des Pro- blems des Zwischenspiels der allgemeinen Wasserbewegung und der Hungerhypercarbamidämie, die meist an sich Retentionen einleiten kann. Möglich ist aber, daß man hier vorbedingende Verhältnisse annehmen muß, die der Hungerlipämie ähneln. Dort hat man (u. a. besonders Bloor) nachgewiesen, daß Lip- ämien durch Karenz (in kurzem Verlaufe) besonders dann augen- fällig sind, wenn der Ernährungszustand des Organismus danach ist, d. h. wenn er Depotfett hat, дав in Bewegung geraten kann. So hat Feigl betont, daß sie gar nicht in die Erscheinung treten, wenn das Reservefett im „Feuer der Kohlenhydrate“ schrittweise durch geringe oder mäßige Unterernährung verzehrt wird. Man darf aber doch daran denken, daß beschleunigende, auslösende Faktoren dritter und genetisch-heterogener Art dabei mit eingreifen (z. B. Alkohol, Pharmaka, Arbeitsanspruch gegen- über der „Ruhe“, Wasser usw.). So oder ähnlich kann es auch bei der „Hungerhypercarbamidämie“ liegen. Sie fehlt nach Erfahrungen des Verf. bei Organismen (nicht so scharf scheidbar wie die Lipämie gleicher Versuche), die bereits stark ihrer Vor- räte an labilem Eiweiß beraubt sind. Sie gelangt kaum in die Erscheinung bei N-sparender, N-armer Ernährung. Dabei sind, auch im Zustande mäßiger Arbeitsansprüche, die R.-N-Zahlen (und noch ersichtlicher die Ur-N-Werte) durchgehend abnorm 'niedrig, um ihrerseits erst durch plötzliche Einflüsse toxischer usw. Art (auf Arbeitsanspruch), die wie die auslösenden Mecha-

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nismen gegen einen Regulator wirken, sichtlich aufzuschnellen. "Wir erinnern uns eines von Abderhalden in seinen Dar- legungen über N-Stoffwechsel usw. gegebenen Beispiels, das lehrt, wie ein gesichertes Gleichgewicht durch leichten Nasen- katarrh (z. B.) plötzlich empfindlich gestört werden kann. Die Rolle des Wassers hat Bang charakterisiert. Toxische Einflüsse (im weitesten Sinne) hat Verf. in Tierexperimenten und Selbst- versuchen wiederkehrend in dem erweiterten Sinne wirken sehen. So sind also wohl die Grundtendenzen der Retentionsvorgänge prinzipiell fixiert, aber Einwirkungen unspezifischer, akziden- teller Art können die Bilder modifizieren (erhöhen) und von gesetzmäßigen Formen ablenken. Mit solchen Vorbedenken darf man also sie sind vielfältiger, auch nach den Beständen and Formwechseln des cytologischen Blutbildes wie in den zu möglichen Störungen (die die richtige Erfassung des R.-N-Kom- plexes nach Größe und Form ausschließen; Vallery, Radot, Forderung der vorgängigen Dechloriuration, 1914), als man anfangs anzunehmen geneigt schien, an die Beurteilung von Größen und Beziehungen herantreten.

Kompliziert wird das Bild noch dadurch, daß die „Reten- tion“ ein Komplex ist, der manche Einzelwirkung zu betätigen imstande ist. Im idealen Falle ist der Ur-N das Hauptjglied. Andererseits sind Kreatin ung Kreatinin, sind Purin und Amino- säuren für sich oder in Relationen durch Schädigung des Nieren- filters Produkte „azotämischer Bilder“. Kreatinin und Kreatin folgen eigenen Gesetzen (Folin, Rose, 8. R. Benedict u.a.) und sind auf den Gesamtstoffwechsel, auf das Myoplasma, auf die Leber bezogen worden. Sie können immerhin andere Durch- lässigkeitsbeziehungen in Anspruch nehmen. Purin steht ganz für sich. Bei den Aminosäuren hat man andersartige Über- legungen vorzunehmen. Neuberg und Richter, Feigl und Luce, Alan C. Woods, Bock haben sie bei Nephritiden des „ehronischen“ Typus häufiger und relativ beträchtlichen Grades gesehen. Es gibt nephrogene Retentionen, die in den Amino- säuren erhebliche Unterschiede machen. Man kann nun viel- leicht mit der Auffassung auskommen, daß man die rd. 2 bis 4°/, Aminosäure-N des normalen Harnstickstofis (also ein er- heblicher Abstand in der Größe zwischen Ur und Aminosäure- fraktion!) der Retention unterworfen sich vorstellt. Es bleibt

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aber (für manche Beispiele jedenfalls) unerfindlich, wie denn die hohe Quote des Aminosäure-N im Gesamt-R.-N zustande käme, die viele Nephritiden zeigen, um so mehr, als tatsächlich manches dafür spricht, daß kranke Nieren u. U. Zwischenpro- dukte eher durchlassen als die wirklichen Endprodukte. Werte wie die von Feigl und Luce und von Bock bis hinauf zu 50,0 mg (und dgl.) für 100 ccm Blut (!) können auf solchen Wegen nicht wohl erklärt werden. Diese Zahlen sind nicht weit entfernt von denen, die Neuberg, Bang, Feigl bei typischen Leberkrankheiten gesehen haben. Man darf also nebenher eine vorgängige Störung der Leberfunktion mit an- nehmen oder müßte sich allenfalls denken, daß die Retention mit großem Übergewichte (gewissermaßen elektiv) den relativ sehr begrenzten, zur Ausscheidung bestimmten Bestand an Aminosäure-N des Stoffwechselendmaterials erfaßt. Letzteres scheint in der notwendigen Ausdehnung gekünstelter, als daß es als zulässig gelten könnte.

Wir kommen also auf die Alternative zwischen Retention oder vergleichsweise hohem Angebot (kombiniert mit Herab- setzung der auf die normalphysiologische Abwicklung einge- stellten Faktoren), welch letzteres unabhängig vom ersten für sich bestehen kann oder mit erstem vereint den Erscheinungen ihren Weg zu weisen vermag. Betrachten wir die nephrogene Retention des Aminosäure-N an den Beispielen mit absolut und relativ hohen Vorkommnissen, so wird der Erklärungsversuch am besten gedeihen, wenn man die typischen Formen der pathologischen Aminacidurie und Aminacidämie ins Auge faßt.

Wir dürfen die Vorstellungen von Bang vorausschicken. Bang sagt, die Krankheiten, die a priori charakteristische Ver- änderungen des R.-N darbieten, sind solche der Niere und der Leber. Beide dürften einen vermehrten Gehalt des Blutes an R.-N aufweisen, erstere den Ür-N, letztere den Amino-N. „Er- steres sei oft als charakteristisch nachzuweisen.“ Andererseits haben unzureichende Methoden die Vorstellung konstanter Vor- kommnisse des Nichtharnstoff-N nachgewiesen, was heute ver- lassen ist. Da aber, so fährt Bang fort, bei gewissen Leber- krankheiten Aminosäuren ausgeschieden werden, und da eine solche Ausscheidung nur statthat, wenn der Gehalt des Blutes

eine gewisse, gut nachweisbare Grenze übersteigt, so darf man Biochemische Zeitschrift Band 94. 7

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mit Wahrscheinlichkeit auch hier vermehrten Aminosäure-N im R.-N voraussetzen. Wie sich der Ur-N bei den meisten Leber- schäden verhält, ist zur Zeit unbekannt (Bang). Doch haben wir jüngst von klinischer Seite, besonders den französischen Autoren, Versuche gesehen, zwischen R.-N-Zahlen mit hohem ©т-М und Leberschäden eine Brücke zu schlagen. Sie sind bei Feigl und Luce besprochen und im übrigen bei Nachprüfungen bisher resultatlos verlaufen. Nun kann, wie das Extrem die Leberautolyse bei P-Vergiftung oder akuter gelber Atrophie zeigt, der Amino-N ganz gewaltig steigen, und gar auch über ein annehmbares Verhältnis zum Amino-N des Harns hinaus, Man hat in einzelnen Fällen von Leberatrophie auf gleichzeitige Nierenstörung schließen wollen und in dem ersten (präparativ, terminal) nach dem Amino-N des Blutes untersuchten Falles mit in Rechnung gestellt. Feigl und Luce haben ihre aufs genaueste blut- und harnchemisch. durchgeprüften Fälle auf Grund anatomischer Diagnosen des spezialistischen Nieren- forschers als frei von Brightschen Prozessen nachweisen können. Mithin darf der hohe Aminosäurebestand auch ohne solche Einflüsse entstehen und gehalten werden, was durch die R.-N-Bilder (Ür-N) zugunsten der Flut heterolytischer Stoffe er- wiesen sein muß. Über andere Leberschäden haben wir noch nicht berichtet, doch sind uns Materialien unter den Händen, die bei schwerem Icterus cat. (bisher unaufgeklärten Vor- stufen der Atrophie) u. a. hohe Aminacidurie und mindestens zweifelsfrei erweisliche erhöhte Aminacidämie dartun. Nun lassen sich manchmal Fälle von „chronischer Nephritis* gleichzeitig in gewissen Graden als lebergeschädigt (leichter Ikterus: usw.) erweisen. Wir glauben in einem Teile der Fälle von Nephri- tiden mit hohem (relativ) Amino-N und Gesamt-R.-N gleich- zeitig mehr oder minder lebhafte Leberschädigung annehmen zu müssen, eine Vorstellung, die der Erklärung relativ hoher einschlägiger Befunde angepaßt wäre. Bei den akuten Formen mit stark vorwiegendem Ür-N hat sich diese Verkettung bisher nicht dargeboten. Auch sonst kennt man pathologische Vor- kommnisse, in denen erhöhtes R.-N seine (normale) Proportion unter den Gliedern beibehält (oft terminale Azotämie, Avit- aminosen in gewissen Stadien, Avitaminosoide u. dgl.) ohne erweisliche Nierenschädigung —; das zeigt unseres Erachtens eben-

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. І. 99

falls auf Leberbeteiligung. Die verschiedenen beschriebenen Ana- lysen gewisser Krankheitsgruppen dürfen auf temporäre Nieren- veränderung und Leberbeeinträchtigung (vielleicht sogar weiter- gehende Schäden) bezogen werden. Hier ist unseres Erachtens noch viel Arbeit notwendig, die parallel Amino-N und R.-N bei sonstigen Erhebungen zu bedenken hat. Jedenfalls meinen wir, daß da, wo bei gesicherten Nierenschäden ein unverhältnis- mäßiger Amino-N (absolut und relativ an R.-N) ins Spiel kommt, gewisse Grade von Leberbeteiligung erweislich seien. Alle Auf- gaben der geschilderten Art werden größere Aussicht finden durch die Differentialprüfung von Erythrocyten gegenüber dem Plasma (nach gegebenen Darlegungen), während das Vollblut verwischend wirken kann, und bei Aminosäuren, Purin geradezu ausgleichend wirken muß.

Sieht man die ältere Literatur (klinische Bemühungen bis zum Eingreifen Folins und anderen methodologischen und kritischen Untersuchungen) an sich vorbeiziehen, so könnte man glauben (nach den einseitigen Fragestellungen, Anwendungs- gebieten, abgesehen von schlechtem Erkenntnismitteln), die R.-N- Pathologie der Steigerungen ausschließlich auf die Nierenkrank- heiten verwiesen zu sehen. Hier räumten die beschreibenden Ergebnisse der methodischen und pathologischen Experimental- untersuchungen auf. Volhard und Fahr gliederten das Gebiet des Morbus Brightii und trugen den R.-N als Kriterium der einen Funktion (N-Ausscheidung) hinein. Dort hat es zunächst ungeschmälert geherrscht, bis die Kriterien gewisse Modifika- tionen in der Bewertung heraufführten, die den R.-N in andere Beleuchtung setzten. Entscheidend waren die weiter aus- greifenden R.-N-Studien des Chemikers. Die experimentellen Nephritiden lehrten Differentiationen der R.-N-Bilder (Uran, Chromat, Sublimat, Tartrat u. a.) nach Entwicklung, Gliederung, Graden beurteilen. Hierin ist Bangs Verdienst hervorzuheben, Myers und Feigl schlossen sich an. Bang betont, daß die R.-N-Befunde im Beihalt der Ausscheidung und der bestimmen- den alimentären Faktoren beide Formen nicht vollständig (nach oben genannten Kriterien) übereingehen. Das lehren auch die Versuche von Folin, Myers, Feigl. Also sind schon bei grobchemischen Noxen die Nephritiden in Hinsicht ihrer R.-N-Verhältnisse variierbar. Nun ergab sich aber, daß zahl-

7*

100 Joh. Feigl:

reiche Zustände und Krankheiten R.-N-Befunde darboten, die gar nicht typisch oder gar exorbitant sind, die aber doch häufig und weit genug in Maße hineinwachsen, die früher das Reich nierendiagnostischer Anhaltspunkte umgrenzten. Das erste, was damit in grellster Beleuchtung, wenn man zunächst noch davon absieht, eine Kritik der Erkenntnismittel in diese Diskussion hineinzuwerfen, die Bedenklichkeit und Irrationalität offenbarte, war das über Grenzzahlenschemata und typische Bereiche zu- sammengelesene (zumeist deskriptiv auch noch spärliche) Material gewisser Kliniker.

Man denke u.a. an die von Hohlweg noch 1915 vorgebrachten Normalzahlen (41,0 bis 61,0 mg; Mittel 51,0 mg für 100 eem Blut, Ge- sunde, nüchtern) gegen Nephritis (63,0 bis 93,0 mg desgl.) oder gar die scharf gedachte Grenze für evtl. operative Eingriffe bei doppelseitiger Nierenschädigung! Man denke ferner an ähnliche, aber doch besser ab- gewogene Urteile der französischen Forscher über Harnstoffzahlen, deren Unterlagen wir nach Detailanalysen zu prüfen haben werden. Hinzu kommen die Spekulationen über Gicht und erhöhte Blutharnsäure, bei der später dargelegt wird, daß sie nicht immer parallel gehen, die als ganz erschüttert erwiesene, auf leichtestem Fundament (beschreibender wie methodischer Art) stehende Annahme von Rosenberg über Krea- tinin u. a. m.

Wie war nun angesichts gerade dieser Frage die Weiterarbeit zu orientieren?

Sie mußte zunächst einmal den methodischen Verhältnissen kritisch und neuschöpfend entgegentreten. In welcher Form und in welchem Grade das versucht und gelungen ist, haben Stichworte jetzt und früher angedeutet, die einer Erörterung vorhergehen. Das zweite Eingreifen war durch den Schritt gegeben, die gesamte R.-N-Frage in die Felder der allgemeinen Pathochemie zu verlegen, um ihnen die systematische Arbeit des beschreibenden Selbstzweckes zuzuwenden, dem die übrigen Hilfsmittel von vornherein gegeben waren. Es wurde die normale Physiologie durchforscht und pathologische Vorkommnisse heran- gezogen. °

Als erste Frucht zeigte sich, daß mit der Größe des R.-N allein nur bescheidene Ziele erreichbar sind. Es folgte die Detailforschung, mit zur Zeit gewissen Ergebnissen und Anhalts- punkten und für die Zukunft. Das R.-N-Gebiet, nach den Haupt- fraktionen, Untergruppen und Einzelgliedern aufgelöst, bietet in selbständigen speziellen Analysenverfahren bei mannigfaltigen

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 101

Verknüpfungen Variationen genug dar, die noch aussichtsreicher zu werden versprechen, als sie heute sind und die den patho- logischen Fragestellungen angepaßt werden müssen. Daher wird sich die Vieldeutigkeit summarischer Gesamt-R.-N-Zahlen wieder einschränken lassen, was allerdings Sammelarbeit und vorberei- tende Tätigkeit erfordert. Um bzw. über die zwei Pole der Grundtatsachen, die das R.-N-Gebiet umfassen, kommen wir trotzdem nicht hinaus; sie sind gegeben mit der Umstimmung des Faktors der Retentiom (an sich) und dem Auftreten schub- weiser, nicht bewältigter Angebote. Auf diese beiden müssen schließlich alle Erscheinungen, die ja auch verwoben sein können (z. B. „chronische“ Nephritis mit gleichzeitiger Leberschädigung sichtbar im R.-N, der Ür-N anreichert und der auch Amino- säure-N sammelt), zurückgeführt werden. So kann z. B. auch in einseitiger Retention ein Überschuß bestehen, was wir nach Bangs Verfahren alimentär für gewisse Aminosäuren (Glycin) wissen, was die Purin(Gicht)frage, die Kreatingruppe bei Schäden des Myoplasmas, was die Hg-Nephritis für Ur lehrt; sie können Gruppen oder das ganze Feld umfassen, wie uns die Bilder nephritischer Reststickstoffe belegen. Auch die Einsicht dieser Beziehungen zwingt zur Detailuntersuchung und zu der ihr an- gegliederten Ausdeutung der Relationen (z. B. Myers). Auch spielen Sonderprodukte: Indican, Urobilinkörper, Melanogen eine Rolle. Die Erscheinungen hat man durch Belastungen (Feigl und Knack, Neubauer) plastischer zu gestalten versucht und sie durch Retention und Ausscheidung in höherer Verknüpfung erleuchtet.

Gehen wir ins einzelne, so ist die Frage nach den patho- chemischen Erscheinungsformen und ihrer Tragweite von uns aufgerollt. Befassen wir uns mit den sehr spärlichen Beob- achtungen über subnormale Werte, so ist zu sagen, daß Feigl solche beschrieben hat. Er denkt sich dieselben so, daß besonders bei Ruhe und begrenzter N-Zufuhr die täglich pas- sierende Menge sehr gering werden kann, so daß, evtl. im Verein mit der Durchspülung durch viel Wasser die Zahlen unter den Fußpunkt der mittleren Norm sinken können. Wir sehen sie gelegentlich bei langsamer Unterernährung, in gewissen Stadien der Ödemkrankheit. Zondek hat sie für Kriegspolyurie be- schrieben. Man wird diese wiederum bisher als unspezifisch

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ansehen müssen. Feigl hat dargetan, daß ihre Absenkung auf den spärlichen Ur-N zurückgeht, da der stabile Amino-N der Körperchen auf seiner Schwelle bleibt. Bei sinkender Erythro- cytenzahl (Blutungsanämien, s. auch Richet) fällt dieser auch, doch macht sich dann unter Umständen das Gegenspiel der höheren Auswaschung des Organ-Ur geltend. Vergleichsbeob- achtungen an Erythrocyten und Plasma lehren hier Näheres (s. später). Nicht unerwähnt sei, daß bei sehr beengter Er- nährung im stabilen Zustand und bei Ruhe auch Kreatin, Kreatinin, Purin fallen. Wir haben an dieser Stelle die Gliede- rung mit erwähnt, die von allen übrigen Punkten der Gesamt- R.-N-Frage zurückzustellen ist.

Über hohe bzw. höchste Befunde an Gesamt-R.-N im Blute enthält die Literatur manche Angaben. Aus kritischen Gründen sehen wir von der Zahl Obermeyers (в. о.) ab und fügen bei, daß wir Parallelfälle zu denen von Folin, Myers, Woods nach Methoden prüften, die den Fehler der Folinschen nicht an sich tragen und daß wir dabei höhere Befunde ‚erhalten.

Bang führt uns in die Voraussetzungen der analytischen Aufgaben folgendes Zahlenbeispiel für die oberen Grenzen an.

Wenn man bei dem Gesamt-N, d. i. für Eiweiß-N-Bestimmung, an- nimmt, daß dieser von 100,0 g Blut rd. 2000 bis 3000 mg ausmacht, so ist klar, daß der vom „Extraktionsstickstoff* (R.-N) her verursachte Fehler nur rd. 1°/, beträgt und man ihn vernachlässigen kann. Bei experimen- teller Nephritis des Kaninchens sind aber R.-N-Werte bis zu mehr als 400,0 mg für 100 ccm Blut gefunden worden, und da gleichzeitig Anämie und Hydrämie vorliegen, so kann der R.-N bis zu 33°/, des Eiweiß-N ausmachen. Damit sind seine auswärtigen Beziehungen nach oben hin gegeben. i

1. Nun ist die moderne Literatur reich an Zahlen für Ge- samt-R.-N, die nur relativ um ein weniges über 300,0 mg liegen. Folin, Myers, Woods, Callen und Ellis, Feigl u. a. haben solche beschrieben. In der Methodologie werden wir sehen, daß Zahlen nach Folin, die rd. 300,0 mg betragen, nach anderen Methoden oft noch rd. 10 bis 25°/, darüber hin- ausgehen, man hat also de facto als klinisches Extrem nur rd. 350,0 mg vor sich.

Feigl hat einmal eine schnell verlaufende Sublimatnephritis nach Zahlen beschrieben, die bis 440,0 mg (Trichloressigsäure) reichten, und

die noch gut 14 Stunden vor dem Tode schon 363,0 mg führte. Bei Folin findet sich „Herznierenfall, Dekompensation* mit 326,0 mg; Ur-

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 103

ämien sind mit Zahlen hart an 300,0 mg vertreten. Bei Myers und Fine hebt sich ein Hg-Fall über 3 Wochen mit Zahlen, die entschieden über 300,0 mg liegen und bis 368,0 mg reichen. Bei tierexperimenteller Nephritis fand Bang Zahlen über 300,0 mg bis gegen 400,0 mg.

Geht man die Literatur durch und sucht die obere Grenze derjenigen Befunde auf, die bei erwiesener Nierengesundheit markierte Leberschädigung darstellen. Bis heute ist das Extrem in dem Falle I der Reihen von Feigl und Luce über akute. gelbe Leberatrophie gegeben.

Er schließt aber 12 Stunden vor dem Tode mit 122,0 mg R.-N (Blut) ab und hebt sich noch mal auf 256,0 mg, einem Wert, der (auch im Serum, wo er cet. par. höher sein muß, s. u.) bisher nicht über- schritten wurde. Dagegen suchen wir intra vitam die Grenze der (leid- lich reinen Fälle, im Vollblute) noch mit Sicherheit über 200,0 mg, höchst- wahrscheinlich über 150,0 mg.

Wir müssen uns also über den Bereich zwischen letzterer Zahl und den nephritischen Extremen ein Urteil bilden und kommen zu dem Schlusse, das Intervall von 150,0 mg auf- wärts bis zum tatsächlichen Extrem außerhalb der Nieren- pathologie nicht gesehen zu haben. Er umfaßt jedoch schon die verschiedensten Formen und R.-N-Bilder, die die Detail- prüfung betrachten lehrt. Andererseits reichen nun die R.-N- Befunde bei Nephriten weit in das Gebiet unterhalb genannter Schwelle hinein, sind von Volhard und Fahr, später von letz- terem, von anderen Autoren (в. о.) systematisiert worden im Schema der anatomischen Formen. Sie stoßen sich aber an zweifelhafte Vorkommnisse ausgesprochener nichtbrightischer Krankheitsbilder, die nun nur abwärts von 150,0 mg reichlich vertreten sein können. Es darf auf die Reihen genannter Untersucher, zudem auf Myers und auf Feigl hingewiesen werden. Zwischen rd. 100,0 mg und der Schwelle außernormaler Verhältnisse ist das strittigste Gebiet; dem wir nur durch Be- schreibung Boden abgewinnen.

Im allgemeinen ist auch bei den Nierenkrankheiten keine Rede davon, daß zwischen der Höhe der R.-N-Werte und der Schwere direkte Beziehungen bestehen. Das kann man kaum voraussetzen, da die R.-N-Verhältnisse nur eine (isolierte) Funk- tion betreffen, die selbst im Komplex der Erscheinungen fallweise variabel ist. In gewissen Vorkommnissen trifft es allerdings zu, so daß (relative) Steigerung und Senkung mit Verschärfung

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oder Abheilung parallel einhergehen. Das muß ja letzten Endes so sein, weil wir aus der Wiederherstellung normaler R.-N- Zahlen die restitutio ad integrum ableiten. Unbeschadet dieser Einsicht sind Befunde von Feigl und Knack, die auf inkonstante Kurven während oder selbst nach scheinbarer Ab- heilung hinzeigen und durch dynamische Mittel aufzuklären sind. Über die prämortalen Anstiege haben wir wie folgt zu sprechen.

Nach Dumitrescu und Popescu und nach eigenen Erhebungen sehen wir in den meisten Fällen prämortal den Gesamt-R.-N anwachsen. Das kann geschehen wie bei Feigl und Luce (Leberatrophie Fall Г), von rd. 180,0 mg in kaum 20 Stunden auf 250,0 mg, und zwar wächst dabei der sonst mäßige Harnstoff relativ bedeutend an (von 64,0 mg auf 120,0 mg). Er wird fast verdoppelt und modifiziert die Struktur beträchtlich. Auch in unsern nephritischen Fällen kommt das zum Aus- druck. Mehrere chemische Nephritiden mit rd. 50 bis 60°/, summarischem Amino-N im Gesamt-R.-N (von 200,0 bis 250,0 mg) nehmen in 12 bis 4 Stun- den vor dem Tode bis zu diesem um 20 bis 25°/, ihres Gesamtwertes zu, wobei die Zunahme fast nur vom Ür-N bestritten wird, so daß auch hier die Struktur durch Absinken der Amino-N-Prozente sich modifiziert. In den schönen Rachenuntersuchungen von Myers finden sich gleich- falle Anhalte, so z. B. bei schwerer Hg-Vergiftung ein Gesamt-R.-N, der von 337,0 bis 368,0 mg ansteigt und dabei einen Harnstoffzuwachs von 240,0 mg auf 308,0 mg zeigt, d. i. von 71°/, gegenüber 81°/,. In anderen Arbeiten kann man, z. B. bei Woods, ähnliches finden. Man sieht also, daß die prämortalen Befunde durch die terminale Azotämie modifiziert sind, und zwar derart, daß auch typische Züge von R.-N-Bildern ver- wischt werden. Ungeklärt ist, ob die terminale Azotämie besonders durch die Verhältnisse bei sonstigen Retentionen modifiziert wird, etwa durch Nierenermüdung. Es sind also viele Zahlen qualitativ mit Vorsicht, auszudeuten, in quantitativer Hinsicht bedürfen wir der Überarbeitung eigener Beobachtungen.

Wenn man nun die Zahlen für den normalen R.-N zu- grunde legt großes Mittel um 27,0 mg, höchste obere Grenze bei Gesunden mittlerer Jahre 40,0 mg, so sieht man, daß der RN auf das 10fache bis allenfalls auf das 15 fache steigen kann, und daß selbst die Verzehnfachung des großen Mittels nicht selten ist, wie denn Zahlen von 150,0 bis 250,0 mg zu breitem Vorkommen gehören. Die Steigerungen über die Norm werden uns bei den Komponenten interessieren, und wir werden individuelle Ausschläge finden.

2. Der Harnstoff-N (als Individuum) wird beschrieben bei Folin mit Zahlen von 222,0 mg, 228,0 mg, 266,0 mg, bei Myers mit soichen bis zu 308,0 mg, bei Feigl auch solchen

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 105

von 320,0 mg, 336,0 mg und einer Höchstzahl von 370,0 mg. Ähnlich wie“ die genannten, zumeist zwischen 250,0 mg und 300,0 mg, sind sonstige Angaben der Literatur. Bei den Fran- zosen findet man Werte bis zu 300,0 mg. Es ist ersichtlich, daß Befunde von und um 300,0 mg und der von 370,0 mg bisher die äußerste Grenze darstellen. Zumeist findet man solche von und um 100,0 bis 200,0 mg bei Nephritiden. Bei Leberatrophie bleibt er gering und steigt: bis 50,0 mg. Mäßige R.-N-Zahlen unter 100,0 mg für 100 ccm Blut zeigen zumeist solche für Ur-N von 60,0 bis 80,0 mg. Die Verteilung auf Blutkörperchen und Plasma beschäftigt uns später. Experi- mentelle Befunde von Bang bei Nephritis kennen Ur-N von und um 300,0 mg.

Berechnet man die relative Steigerung gegen die Norm (Mittel 13;0 mg, obere Extreme um 20,0 mg), so sieht man, daß der Ur-N gegen ersteres auf das 40 fache, gegen letzteres auf das 30 fache (schematisiert) steigen kann, und daß Anstiege auf das 20fache nicht selten sind. Allerdings sind dies Ausdrücke einseitiger Vorgänge. Dabei sieht man ein Aus- einanderlaufen der Tendenzen zwischen R.-N und Ur-N , letzteres gewinnt relativ.

3. Fassen wir nun den summmarischen Aminosäure-N (Bang) ins Auge: Feigl und Luce haben Zahlen von 200,0 mg bei Leberatrophie gesehen, und aus der Nierenpathologie’solche von 65,0 mg, 72,0 mg, 88,0 mg beschrieben, und Feigl hat selbst 125,0 mg einmal beobachtet, solche zwischen 66,0 mg und 85,0 mg häufiger zu Gesicht bekommen. Bei Folin und Denis (1914) findet sich einmal 80,0 mg, mehrfach noch über 50,0 mg, bei Myers und Fine 97,0 mg über 100,0 mg (fast 120,0 mg), jedenfalls solche von nahezu 100,0 mg. Rechnet man noch die Angaben von Feigl und Luce über Avitaminosen dahinein, so werden Werte von 50,0 bis 75,0 mg in Frage stehen. Das waren die oberen Grenzbereiche (ausschließlich für Vollblut). Hier gewinnt die Verteilung auf Plasma und Körperchen Bedeutung, wie aus den präparativen Arbeiten von Neuberg, Strauß, Richter, von Feigl und Luce und aus den Detailanalysen der letzteren hervorgeht. Dabei kommen für Plasma fast 50°/, Mehrertrag in Ansatz. Solche von rd. 30,0 bis 40,0 mg gehören nicht zu den Seltenheiten.

106 Joh. Feigl:

Man darf also den summarischen Aminosäure-N des Voll- blutes bis hinauf zu rd. 200,0 mg (für. 100 ccm) ansetzen und hat mit Zahlen von und an 100,0 mg häufiger zu rechnen. Diese Maximalbereiche gehören der „chronischen Nephritis“, besonders der „Leberatrophie* an, aber auch noch schweren Zuständen von Avitaminosen, von Morb. Weill u. a.

Wendet man sich zu einer Verrechnung gegen die Nor- malien (Mittel rd. 12,0 mg, oberes Extrem um wohl noch über 20,0 mg), so kann man mit Verzehnfachung bzw. mit etwa der Steigung auf das 15fache rechnen (Grenzextrem). Veracht- fachung und Verfünffachung gegen die häufigeren Befunde der Erfahrungen gehören nicht zu den Seltenheiten.

Der Aminosäure-N in der summarischen Form nach Bang bleibt hinsichtlich der möglichen Anstiege gegenüber den Nor- malien hinter dem Ur-N zurück, aber auch noch gegen den Gesamtreststickstoff. Auch ist die Verkettung keinesfalls häufig, indem wir bisher nur die „chronische Nephritis“, die Leber- atrophie, gewisse Stadien und Formen von Avitaminosen als starke Einflüsse kennen lernten. Alle anderen Ätiologien von seiten des summarischen Aminosäure-N sind weniger bedeutungs- voll. Letzteres findet also evtl. praktisches Interesse nur in einem kleinen Kreise.

Niedere R.-N-Zahlen gehören in der Regel mit niederem Ur-N (в. о.) zusammen. Da der „Aminosäure-N“ in den Ery- throcyten den des Plasmas normalerweise überragt, muß es (anämische, auch anderweitig kompliziertere) Zustände geben, in denen sowohl diese Größe, wie mittelbar der R.-N durch sie, erniedrigt sind. Die Pathologie solcher Kombinationen werden wir besprechen.

Bevor wir nun in die weiteren Stufen des R.-N-Problems durch Aufteilung der Hauptfraktionen eintreten, dürfen wir in Rücksicht auf klinische usw. Gebräuche die Umrechnung der N-Zahlen des Ur vornehmen. Hat man es in der Norm in runder Zahl mit 28,0 mg Ur als großem Mittel zu tun (14 mg N rund gleich 30,0 mg Un), in den obersten Bereichen fast 45,0 mg Ur vor sich, so würden rd. 300,0 mg От-№ an „650,0 mg Ur in 100 cem Vollblut“ entsprechen und Extreme, wie das von Feigl gesehene (в. о.) auf 800,0 mg Ur steigen

(

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 107

können, das heißt, in den Höchstvorkommnissen enthält das Blut ап und um 0,75°/, Ur, während Zahlen wie 600,0 mg mehrfach und wie 500,0 mg und,400,0 mg häufiger gesehen und beurteilt werden. Solche von 0,2 bis 0,3 g Ur in 100 ccm Vollblut sind häufiger. Die Zahlen gewinnen durch die Ein- rechnung der Hydrämie und der übrigen Komponenten, die wir noch in Serien vorführen wollen, weit mehr an Bedeutung als sonstige pathologische Kennzeichen.

4. Auf die schematische Struktur des Gesamt-R.-N, soweit die des Ur-N sie zu erschließen gestattet (в. о.) und soweit sie nach früherer Darlegung durch Ur-N als Prozente des R.-N, die Relation Amino-N: Ur-N wiederzugeben ist, kommen wir nunmehr. Das Mittel der Norm ist so gebreitet, daß Amino- N: Ur-N wie 1:1 stehen, d.h. daß der R.-N rd. 50°), Ur-N ent- hält, Zahlen, die in mittleren Abweichungen bezüglich 33°/, 40°/, Ur-N und 67°, 60°/, Ur-N bzw. Amino-N zu R.-N 2,0—1,4:1 und reziprok. Die seltenen Extreme, nur durch benutzte Methodik vermutlich eingeengt, bringen im Ur-N die Variationen hervor, die an 25°/, liegen, d. h. 3:1 entsprechen.

An diesem Punkte scheidet sich der R.-N nach Strukturen ganz bedeutend. Es gibt Urämieformen und Befunde bei schwerem, typischen (Hg), akuten Wirkungen sowie die akute Glomerulonephritis (Fahr), die den Ur-N in den Vordergrund stellen. Morel und Moriquaud sagen einmal mit gewissem Überschwange, daß es R.-N-Ergebnisse gäbe, in denen die komplexe Größe fast ganz aus Ur-N bestanden habe. Wir sehen uns unter fremden und eigenen Befunden um.

Folin gibt als R.-N und Ür-N zusammengezogen u. a. folgende Zahlen: 7m : 88,0: 70,0; 83£: 186,0: 110; 76f : 228,0 : 180,0; 97 m : 284,0 : 228,0; 78m : 326,0 : 266,0. Myers nennt I. Dg 5:368,0:308,0; П. Dg 20 : 180,0 : 143; II. zu 4 297,0 : 208; ferner 4: 207,0 : 182,0; 5 : 155,0 : 120,0 131,0 : 109,0 u. a. Größere Extreme nennt Woods. Die Prozente der Zahlen von Folin fallen zwischen 79,0 bis 81,0, Mittel rd. 80°/,, die von Myers 70,0 und 88,0, Mittel 80°/,; viele andere liegen im gleichen Intervall. Die Relation läßt sich entsprechend fassen Ur-N : Amino-N wie 9— 7:1; Mittel 8:1. BeiBang(V) findet man u. a. 184,0: 159,0; 92,0:76,0; 150,0:129,0; 280,0: 226,0; 353,0:300,0; 160,0:143,0; 114,0:102,0; 188,0 : 187,0: 150,0 : 130,0; 166,0: 156,0 ои. а. т. Prozente zwischen 82,0 und 94,0, Mittel um 87°/,. Relationen zwischen 9,5 8,1, Mittel 8,7: 1 (0г-№ :Amino-N). Unter unseren eigenen Fällen waren solche von

108 Joh. Feigl:

362 : 320; 380,0 : 390,0; 275,0 : 250,0; 400,0 : 375,0; 150,0 : 140,0; 100: 92,0. Prozente 88,3 bis 94; Mittel rd. 90°,. Relationen um 9:1 wie oben. Vorstehende Reihen dürften aus den beschriebenen An- + lässen die relativen Maxima für den Ur-N-Gehalt des R.-N darbieten.

Sogenannte „chronische Nephritiden“ seien nach folgenden Einzelergebnissen, wiederum bezüglich R.-N-Ur-N zitiert und verrechnet.

Folin 48b, 219,0:132; 77m 200,0:140; 111f 200,0:160; 102m 80,0: 56,0. Prozente zwischen 62 und 80,0, Mittel um 70°/,. Relationen Ür-N: Amino-N wie 6—8:1, Mittel 7:1. Myers 3, 59,0: 30; 140,0 : 100,0 2; 244,0 : 151,0; 199: 134,0; 1, 337,0 : 240,0; 219,0 : 100,0; 337,0 :219,0 4; 292,0:200,0; 6, 169,0: 81,0; 129,0 :80,0; 124,0: 77,0. Unsere Reihen bieten in Einzelwerten 165,0:100,0; 162,0:90,0; 280,0: 155,0; 141,0 : 74,0; 325,0 : 160,0; 90,0; 47,0. Prozente zwischen 49,0 und 67,0, Mittel 529. Relationen 5——>6:1, Mittel 5,2: 1.

Es ist richtig, daß man bei Nephritiden R.-N-Zahlen findet, die ein Vorwiegen an Ur zeigen und daß dies zumeist die akuten Glomerulonephritiden sind. Ebenso sicher ist, daß die zweite Reihe von Ergebnissen (s. о.) einen Bau des R.-N bietet, der nur zur Hälfte Ur zeigt. Übergänge sind da, aber das beweist nichts gegen die Tatsache der hohen Verbreitung typi- scher Fälle, deren sonstige Bedingungen wir oben kurz prüften, so daß wir bei Erörterung der speziellen Pathochemie der Ne- phritiden hier ansetzen können. Es wäre im übrigen unge- recht, zu vermuten, daß man es hierbei mit „Amino-N“ schlecht- hin zu tun habe. Sehr wirksam sind die heterologen Glieder des (N JA die eine weit größere Rolle in der „chronischen Nephritis“ spielen (Myers, Feigl). In der Besprechung werden wir versuchen, Material zu beschaffen, das zu der un- gemeinen Leberschädigung gewisser Fälle Stellung zu nehmen gestattet und evtl. in der Lage ist, auch darüber Anhaltspunkte zu schaffen, ob Noxen in Betracht kommen, die den Ort der Ausscheidung von Amino-N in dem Organ selbst betreffen. Es darf hier vorweggenommen werden, daß das Myerssche Ent- wicklungsschema für nephrogene Azotämien (s. о.) nur in „chro- nischen“ Formen Sinn findet. Wir sahen es typisch bei der Bleiniere. Dagegen bildet sich bei „akuten“ Erkrankungen ein Verlauf heraus, der keineswegs diese Etappen in geschil-

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 109

derter Richtung zu verfolgen erlaubt. Dabei sehen wir zuerst und überwiegend Ur auftreten, dem die übrigen Glieder zunächst Amino-N folgen.

Bei Lebererkrankungen spez. der Atrophie hat Feigl Komplexe beschrieben, in denen 80,0 mg R.-N auf 22,0 mg Ur-N bezüglich 122,0 mg auf 24,0 mg bzw. 182,0 mg auf 32,0 mg (Vollblut, Fall 1) treffen mit Prozenten an Ur-N im Gesamt-R.-N von 27, 20, 18 usw. Ähnliche Prozentzahlen von 28,0 bis 20,0, selbst bis 12 enthalten die späteren Reihen bei R.-N-Zahlen (Serum) 80,0 bis 130,0 mg. Auch im Anfangsstadium (R.-N um 60,0 bis 50,0 mg) ist diese Abweichung im Plasma sehr deut- lich. Den Prozentzahlen entsprechen Relationen Amino-N: Ur-N in 4— 6:1, die allenfalls (selbst 9 seither gesehen) 8:1 er- reichen können’).

Auch hinab in niedere Grade bis an die Schwelle patho- logischer Vorkommnisse können die azotämischen Gesamtbilder ihre spezifische Natur (im chemischen Sinne) zur Schau tragen. Man kommt, wie erörtert, bei allen Fragen des Amino-N mit getrennter Untersuchung von Erythrocyten und Plasma weiter als im Vollblute.

Zusammenfassend dürfen wir sagen, daß die aus R.-N und Ur-N resultierende schematische Aufteilung tiefgehenden Ein- blick über 3 Teilfraktionen bietet, sie bereits im Groben diffe- renziert. Die Breite geht von fast 95°/, UN im RN zu fast 10°/,. Die Relation Amino-N:Ur-N von 1:10 einerseits bis zu 9 (oder 10):1. Andererseits gibt es (Folin, Myers, Bang, Feigl) azotämische Bilder, die Ur-N und Amino-N in Relation der mittleren Norm unabhängig von der absoluten Größe des Gesamt-R.-N führen. Hier sind die übrigen Glieder (N +) dann von Interesse. Befassen wir uns nunmehr mit der Auflösung des summarischen Amino-N und der Über- leitung dieser Größen zum berechneten Amino-N von

1) Im Laufe des Sommers 1918 hatten wir (Feigl und Luce) Ge- legenheit, eine merkwürdige Häufung luischer und auch ungeklärter Fälle von akuter gelber Leberatrophie zu beforschen, wobei weiter aus- greifend kritische Fälle und Stadien von Lebererkrankungen einbezogen wurden. Erstere sind ca. 12 genau durchuntersuchte Einzelvrorkommnisse.

110 Joh. Feigl:

Feigl und Luce, so haben wir zunächst nach früherer Dis- position

5. die Kreatininämie vor uns. Aus den Arbeiten von Folin, Myers (mit Schülern) und Feigl entnehmen 'wir fol- gendes. Verknüpft mit gesteigerten Azotämien hat Kreatinin den Hauptteil seiner Bedeutung erlangt. Feigl hat dargetan, daß es schwer ist, feste Beziehungen zu schaffen.

Bei Folin kommen Zahlen von 32,0 mg, 31,0 mg, 36,0 mg als Extrem, solche zwischen 20,0 mg und 10,0 mg häufiger vor. Feigl hat mehrere hohe Zahlen gleichen Bereiches bei Nephritis beschrieben. Myers hat in einem subakuten Falle von Hg-Vergiftung fast vier Wochen lang bei schwankendem R.-N (219,0 bis 368,0 mg) Zahlen von 21,4 bis 33,0 mg gesehen, deren Höhepunkt in der 3. Woche (338,0 mg R.-N) lag und die auf 14,0 mg abfallen. Zahlen um 15,0 mg sind häufiger, solche über 5,0 mg nicht selten. Es handelt sich stets um Vollblut. Myers hat dann die Kreatininämie als diagnostisches und prognostisches Hilfsmittel entwickelt, Rosenberg ist ihm gefolgt!) (s. später). Auch bei mäßigem R.-N kann Kreatinin relativ hoch sein (Myers, Fall 10, RN 42,0 mg, Kreatinin 4,6 mg u. a., „interstitielle und vasculäre* Nephritis).

Folin hat zahlreiche pathologische Fälle in Detailanalysen be- schrieben, Rosenberg eine Gesamtzahl (ohne Inhalt) genannt, Feigl rd. 400 Fälle von Nierengesunden statistisch, rd. 300 Fälle schwerer Krankheiten detailliert beschrieben. Werte bis 3,0 mg kommen vor und sind als solche Anknüpfungspunkte methodenkritischer Erwägung. Myers hat eine reichhaltige Zahl Nierengesunder mitgeteilt und als erster eine Schranke zwischen nichtnephritischen und nephritischen Vorkommnissen im allgemeinen gezogen. Befunde über Kreatininämie sind nach allem sehr wichtig. Die grundsätzliche Frage nach „isolierten“ Hyper- kreatininämien hat Feigl angeschnitten und bei Muskeldegenerationen Wellen höherer Basis gesehen. Ohne nephritische Verknüpfung stehen da die Zahlen von Feigl und Luce, die in ihren Berichten über Leber- atrophie, die wahrscheinlich schwere Autolysenerscheinungen auch für das Muskelsystem mit sich bringt, Zahlen von rd. 5,0 mg (zeitweilig mehr) gesehen haben.

Hält man sich an Grenzwerte und Mittel der Norm nach Feigl (2,0 mg, 1,5 mg), so würde Kreatinin im Höchstfalle die 20 fache bzw. die fast 30 fache Höhe erreichen können, Zahlen, die nach Annahmen von Gettler und Baker in die nächste Größenordnung fallen müßten, was unwahrscheinlich ist und gegen die jetzige Norm sprechen würde, da an der richtigen Er-

1) Einzelheiten der Kreatininfrage bei Joh. Feigl, Kreatinin I, diese Zeitschr. 1917, 81, 1 und weitere Mitteilungen.

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 111

fassung hoher Kreatininämien (mit weniger als 8°/, Breite!) nicht zu zweifeln sein darf. Niedere Kreatininämien hat Verf. in der Kriegszeit gesehen, d. i. ein breites Vorkommen der in der Gesamtstatistik fast spärlich vertretenen Grade unter 1,0 mg Kreatinin für 100,0 eem Vollblut. Körperchen und Serum haben nach Verf. nur geringe bis mäßige Differenzen aufzu- weisen; в. а. Hunter und Campbell.

6. Die pathologische Kreatinämie läßt sich nicht so einfach zur Darstellung bringen. Der Umfang des Normal- vorkommens ist hoch;, außerdem hat man an die Möglichkeit sekundärer Bindung (eines Teiles) gedacht. Beide Stoffwechsel- gebiete sind am ehesten vom Harn aus zugänglich. Sicher ist jedoch nach Zahlen von Folin, Myers, Feigl u.a., daß die nephritischen Erkrankungen das Hauptkonfingent stellen. Feigl suchte es besonders in „chronischen“ Fällen, und so ist denn dort die Möglichkeit der Verknüpfung mit anderen Störungen (Kreatindiabetes, S. R. Benedict; Leberleiden?) in den Bereich des Denkbaren gerückt.

Bei Folin erscheinen Zahlen von 20,0 bis 25,0 mg, häufiger von über 10,0 mg, bei Myers solche über 20,0 mg selten, doch bis zu 31,0 mg. Feigl hat solche bis 33,0 mg bei Nephritiden beobachtet. Feigl und Luce haben bei Leberatrophie Befunde von und um 20,0 bis 45,0 mg gesehen (terminal). Folin, Myers, Feigl legten Analysen über verschiedene Krankheitszustände vor, aus denen hervorgeht, daß es mäßig oder gering erhöht ohne Beziehung zum R.-N vorkommen kann. Bei schweren Avit- aminosen, Intoxikationen, Muskelerkrankungen sah Feigl mäßige Er- höhung, an 15,0 mg, die also sicher die Norm überschreiten.

Kreatin kommt bei nephrogener Azotämie im Extrem nach Werten vor, die die obere Norm (rd. 10,0.mg) und die mittlere Norm (rd. 6 bis 7 mg) auf das 3fache bis 6 fache überhöhen. Mäßige Anstiege aller Art sind höchstens solche mit Zuschüssen von 50 bis 30°/,, mittlere (verbreitet) solche aufs Doppelte. Kreatinin und Kreatin stehen sich also etwa im Sinn von Ur und Aminosäuren gegenüber, letzteres ist auch in den Körper- chen vorhanden.

A. Anschließend wollen wir versuchen, Beziehungen zwischen Kreatinin und Kreatin aufzustellen. Bleiben wir zunächst bei nephritischen Azotämien, so sehen wir alle mög- lichen Einzelbilder und Entwicklungstatsachen.

Bei Folin stehen (absolute Zahlen) z. B. 1,4 mg : rd. 7,0 mg;

112 Joh. Feigl:

26,0 mg : rd. 23,0 mg; 32,0 mg:rd. 5,0 mg; rd. 4,0 mg:18,0 mg. Bei Myers sieht man (Fall 1, Hg) einen Verlauf, in dem Kreatinin schnell steigt (33,3 mg), dann auf 14,0 mg und 17,0 mg fällt, während parallel Kreatin von 19,4 mg langsam ansteigt. Trotzdem beide in unabhängigen Verhältnissen und erhöht sind, so ist doch ein entgegengesetztes Ver- halten Tatsache. Fall 2 bringt eine kontinuierliche Kreatininsteigerung von 4,8 bis 20,0 mg. Kreatin steigt in raschem Verlaufe von 1,0 (!!) bis 31,0 mg absolut und relativ schneller. In Fall 3 bleibt Kreatinin dreimal auf rd. 4,0 mg, steigt prämortal auf 5,3 mg, Kreatin zugleich auf 7,0 mg bis 8,0 mg und steigt urplötzlich gewaltig auf 20,3 mg. In Fall 5 steht Kreatinin dauernd auf 10,0 bis 14,0 mg, Kreatin auf 7,0 mg, 8,0 mg, dann 15,0 mg. Eine annehmbare Parallelität zeigt Fall 8 (7,8; 10,0; 8,9; 8,7; 11,0; gegen4,2; 10,3; 5,2; 4,1; 5,6). Das schönste Bei- spiel für die Unabhängigkeit ist Fall 9. Kreatinin steigt kontinuierlich langsam von 1,2 auf 7,0; Kreatin hält dauernd Normalwerie mit ge- ringen Schwankungen. Unsere eigenen Zahlenreihen unterstreichen das- selbe. Auffällig ist darin, daß Kreatinin tatsächlich ganz unabhängig von Kreatin in kurzem Verlaufe steigen kann.

Aus der Beziehung wird man bisher diagnostische Schlüsse kaum ableiten dürfen. Diese Beispiele (im Extrem) zeigen die Richtung an, in der die Kreatinämie verläuft, wenn die Kreatin- ämie nicht die hervorstehende Erscheinung ist, Die Forschung muß also von kreatinämischen Zuständen ausgehen.

7. Die Uricämie hatinder Pathologie eine Wandlung durch- gemacht, die bei der Gicht anfing, die dann in die Retentions- azotämie abschwenkte, deren Werte heute an der Spitze stehen.

Folin, Steinitz, Myers, Feigl fanden, daß Gicht und Hyper- uricämie keine Parallelerscheinungen zu sein brauchen. Myers sah in 6 Fällen Zahlen von 3,8 bis 5,8 mg Ur in 100 com Vollblut. Steinitz sah in seinen auf den endogenen Wert bezogenen Untersuchungen Zahlen von 4,0 bis 7,0 mg, die also cet. par. bei purinhaltiger Nahrung weit höher sein müssen. Bei „atypischer“ Gicht steigt der endogene Wert an bis und um 6,0 mg (Goldscheider; Befunde von Steinitz). Von Folin stammen Befunde an Leukämikern, Pneumonikern, Infektionen, Typhus, bei freier Diät, von Steinitz bei Pyorrhose, bei gonorrhoischer Arthritis, von Myers bei andern Zuständen. Erstere Befunde, die wir erweitern (später), sind in breiter Ausdehnung erhöht. Steinitz zitiert einen Fall von Arthrit. deform. chron. mit niedriger Ur (1,5 mg). Denis brachte (1915) Material bei Diätkuren und fand in Krankheiten viel größere Ausschläge in den Zahlen nach beiden Formen als bei Gesunden, wo die Abstände an sich gering blieben. Man ist dabei versucht, an die Vorstellung von Myers über die Genese nephritischer Azotämien zu denken. Feigl bringt allgemeine Reihen. Bleigicht zeigt einmal 14,0 mg.

Über diese Ergebnisse, die durch die inzwischen ausge- ‚staltete Methodik und durch theoretische Fragen, zu denen

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 113

auch die Purinverteilung (Schittenhelm, Wiener, Bass, Wiechowski u.a.) gehört, sehr an Bedeutung als selbständige Probleme gewinnen, hinaus gehen die schon die relative Stellung des Ur im R.-N-Komplex betreffenden Urteile. Folin und Denis (1915) bestreiten, daß eine Differentialdiagnose zwischen Gicht und Arthritiden aus Ur-N-Zahlen allein herzuleiten sei. Dazu gehöre der Beihalt des Gesamt-R.-N. Liefmann fand bei Allgemeinstörungen der Säuglinge, besonders im Fieber, hohe Ur-Zahlen, ebenso sollen infektiöse Dermatosen und andere Zustände in gewisser Abgrenzung sich zeigen. Die Salicylate und Atophan sowie andere Pharmaka (Denis, Myers u.a.) tragen zur Frage erheblich bei.

Man findet also ohne Erhöhung des Gesamt-R.-N nur bei gewissen Krankheiten isolierte Hyperuricämien, die bei freier Er- nährung bis an 9,0 mg steigen können. Das würde die Verdrei- fachung des normalen Mittels sein und eine einseitige Ver- zerrung der R.-N-Struktur, die sich auch ohne dynamische Ver- suche finden läßt. Solche müssen aber an den Punkten ein- greifen, wo die statische Prüfung an sich versagt. Die Ver- schleppung aller Wandlungen, das starke Nachhinken der Zahlen gegenüber der Aufnahme sind gleichfalls Züge der meisten Krankheiten. Ferner findet man bei leichten und mäßigen R.-N-Alterationen Hyperuricämien, die zur Überschau der Re- lationen drängen.

Ganz für sich steht die Uricämie bei Azotämie da. Zahlen von 5,0 bis 10,0 mg sind häufig (bei hohen Azotämien). Bei Myers fanden sich solche über 10,0 mg häufiger, um 15,0 mg noch verbreitet. Ein Maximum von rd. 27,0 mg berichtet. Wir haben gleichfalls Zahlen bis um 20,0 mg bei „chronischer“ Nephritis häufig gesehen, doch bei akuten Formen in dieser Höhe vermißt. Die Masse ist hier von Einfluß, um so mehr als die Aufteilung des Gesamtpurins, nicht nur das Sondergebiet des Ur angeht, vielmehr ein wichtiges, der letzten Glieder des Gesamt-R.-N, darstellen dürfte. Unabhängig von der Nephritis kann bei schwerster Leberschädigung eine Uricämie erscheinen, die im Komplex ganz andere Beziehungen als bei nephrogener Retention vorfindet.

Fassen wir die Anstiege dieser Gruppe gegen die Norm

ins Auge, so sind tatsächliche Extreme das 10 fache des Mittels, Biochemische Zeitschrift Band 94. 8

114 Joh. Feigl:

das 7- bis 8fache der oberen Schwelle, während Verfünf- fachungen nicht durchaus selten sind. Die Beziehungen der Uricämie folgen unten.

8. Wir treten in Nachbildung der normalphysiologischen Darstellung nun ап den N (+ в. d.) der heterologen Glieder des summarischen Amino-N heran, um über diese Größe für sich wie für die Auflösung des letzteren Material zu be- schaffen. Einleitend ist zu bemerken, daß diese Frage mittel- bare Bedeutung hat auf den Einfluß der Summe N (+), auf Gestalt des Amino-N und des Gesamt-R.-N (s. u. und später), daß sie aber unmittelbares Interesse hat zur rechnerischen Auf- lösung des summarischen Amino-N und damit zur Gewinnung des berechneten Amino-N als Nebenfrucht einfacher Detailanalysen. Es kann im ersten Falle u. a. №) = 60 mg auftreten, selbst bei R.-N-Zahlen von und um 20,0 mg, d.h. die Beteiligung ist von vornherein hoch.

In letzterem kommt шап noch Zahlen von Myers zu N (+)-Be- funden von 20,0 bis 22,0 mg, nach Folin zu solchen von 15,0 mg, nach Feigl auch zu solchen von 20,0 mg in hohen Extremen. Solche von und um 10,0 mg sind nicht selten. Natürlich sind sie Komplexe dreier Größen, die nicht immer gleich gerichtet in die Höhe, sondern unter Umständen auch zu Ausgleichen streben. Bei Leberatrophie haben Feigl und Luce solche bis 26,0 mg, oft noch über 10,0 mg gesehen.

Gemessen an der Norm hat man 3fache bis 6fache An- stiege vor sich, die in den Relationen besonders zu beleuchten sind. Die methodischen Erwägungen sollen hier nicht zum Gegenstande der Diskussion erhoben werden‘).

9. Dep berechnete Aminosäure-N (Feigl und Luce) läßt sich nach seinen absoluten Zahlen beschreiben, wobei auf die Angaben über den summarischen A. N. zurückzugreifen ist.

In den ersten Reihen mit hohem Ur-N (Folin, Myers, Feigl) kommen nach der obigen Folge zur (abgerundeten) Berechnung 14,0; 15,0; 33,0; 38,0; 56,0 mg Amino-N für 100,0 сот Blut in Ansatz. Weiter lauten die entsprechenden 43,0; 32,0; 60,0; 14,0; 27,0; ferner 33,0, 26,0; 18,0; 20,0; 5,0; 5,0. Die zweite Serie dagegen umfaßt absolute Zahlen von 73,0; 53,0; 32,0; 20,0; ferner von 23,0; 24,0; 75,0; 52,0; 75,0; 103,0; 96,0; 81,0; 77,0; 42,0; ferner von 140,0 bis 36,0.

Sehen wir das vorgebrachte Zahlenmaterial an, für das

1) Die Methodologie des Blutkreatins und -kreatinins gehört den Studien über diese Stoffe (Serien in dieser Zeitschr.) an, die Blutharn- säure wird uns in einer späteren Mitteilung in dieser Zeitschr. beschäftigen.

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 115

ferner rechnerische Annahmen notwendig sind, so ergibt sich, daß der berechnete Aminosäure-N in den Ganzbildern von Retentionsazotämien mit großen, wie es scheint, prinzipiellen Abweichungen auftreten kann. Einmal macht er Beträge aus, die von der Schwelle der Norm (im Vollblute bestimmt von der Zahl und Wertigkeit der Erythrocyten, im Plasma als dem gegebenen Felde) bis zu rd. 50,0 mg steigen und ein grobes Mittel von rd. 20,0 mg halten; im anderen kann er selbst auf 70,0 mg, über 100,0 mg steigen.

Bei Leberatrophie, die das eine Extrem darstellt, finden Feigl und Luce Zahlen bis über 100,0 mg, einmal rd. 175,0 mg, im Plasma rd. 250,0 mg.

10. Wird der Aminosäurestickstoff direkt bestimmt, so erhält man Zahlen der gleichen Größenordnung und nimmt (teils methodische, teils essentielle, s. u.) Abweichungen gegen- über der Rechengröße in den Kauft). Jedenfalls hat man Zahlen vor sich, die im Prinzip dasselbe dartun und die grund- sätzliche Abweichung objektiv bestätigen, dabei für weitere Schlußfolgerungen Unterlagen schaffen.

11. Über einen Vergleich zwischen beiden Formen der Wiedergabe des Aminosäure-N ist folgendes zu sagen. Der berechnete Modus trägt die Fehler der Einzelanalysen für Ur, Kreatinin, Kreatin, sowie die Zusammenfassung und Um- rechnung an sich und hat also jedenfalls kritische Überlegungen vor sich. Gleiches gilt für die direkte Analyse der Amino- säuren, in der hauptsächlich die methodischen Vorbedingungen zu Gewicht kommen. Веі der Wichtigkeit der Fragen ist als nächster Abschnitt die spezielle Pathologie des Amino-N vor- gesehen. Man hat in der Literatur und in eigenen Befunden den festen Anhalt für Vorkommnisse, daß ein Restbetrag (в. u.) bleibt, der oft durch beide Verfahren gleichzeitig erfaßt wird.

Gleichgültig ist die Situation der speziellen Fragen des

1) Hier darf, was später spezialistisch erörtert werden soll, auf die jüngsten methodischen Erfahrungen von Bock hingewiesen werden, nach denen eine interferierende Beteiligung von NH, und von Ur an den gasometrischen N-Zahlen für Amino-N denkbar ist. In pathologischen Azotämien hat man Anlässe genug, die nach unseren Beobachtungen lehren, daß man die Entfernung beider Fehlerquellen nach Bock oft geradezu eine große Förderung der Befunde bedeutet.

8*

116 Joh. Feigl:

Aminosäure-N vor der objektiv bestätigten Auffassung, daß die Rechnung in fast allen Fällen ausreicht, um mittelbar den Aminosäure-N, frei von den heterologen Gliedern des N (+) und den Individuen des endgültigen Restbetrages, wiederzugeben, so daß er absolut und relativ zur beliebigen Wertung vorliegt.

Mißt man die pathologischen Ausschläge für den Amino- säure-N an den Befunden der Norm, Mittel, Extrem, so hat man für Vollblut im Extrem die Steigerung auf das rd. 20 fache und auf das rd. 12fache vor sich, während solche von und um das 6- bis 10 fache nicht zu Seltenheiten gehören.

B. Betrachtet man nebeneinander die relativen Anstiege, die der berechnete Aminosäure-N (und glei- chermaßen der direkt bestimmte) gegenüber dem sum- marischen erreichen kann, so fällt auf, daß letzterer zu- rückbleiben kann. Das hat seinen Grund in den Erscheinungen des N (+) (dessen einzelne Stücke aufschwellen können, die aber als Summe oft genug durch gegenseitige Kompensationen (в. о.) relativ geringer ausfallen). Fällt die Variabilität des N (+), so muß cet. par. die des wahren Aminosäure-N steigen. So ist es nun durch Befunde erweislich, daß man mit dem summarischen Amino-N oft durch Verschleierung nicht zum scharfen Schlusse kommt.

Naturgemäß ist die Frage von Bedeutung für die Er- kenntnis von azotämischen Umstimmungen bei mäßigen Leber- schäden, deren 'Spiegelbilder heute noch so überaus mager wiederzugeben sind, wie weit in niedere Gesamt-R.-N-Werte hinab die Auflösung im geschilderten Gange von tatsächlichem Erfolge sein kann. Wir stehen, besonders durch Aufnahme der Detailuntersuchung von Plasma und Körperchen, der Auf- gabe immerhin optimistisch gegenüber.

C. Besonderes Interesse für die Frage, wie weit man durch relative Verknüpfung von Gliedern der R.-N-Größen miteinander und zum Komplex in diagnostischer Hinsicht vordringen kann, bietet die Verrechnung des wahren Aminsäure-N mit dem gesamten R.-N!), Feigl und Luce beschrieben bei Leber-

1) Die eingefügten Buchstaben (A, В, C) sind Zeichen für Ab- sohnitte, die in der Zusammenfassung der Norm fehlen, deren Gliederung im übrigen aus Gründen der Anschaulichkeit punktweise nachgebildet wird.

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 117

atrophie Zahlen von 60 bis 70 °/,, die nicht einmal selten sind und die durch die Prozente der heterologen Summe (N +) über 10 bis fast 20 °/, des RN sowie durch die des Ür-N.— се. par. von 30 °/„ noch mehr wirken. Die- selben Autoren zeigten für schwere Avitaminosen ähnliche Werte und beschäftigten sich mit dem Überschlag des Amino-N gegenR.-N bei „chronischen“ Nephritiden. Dort haben sie einschlägige Befunde genannt, die an und um 40 °/, lagen. Kehren wir zu unseren Zahlenreihen und zu denen von Folin und von Myers zurück, so sind rund 30, fast 40 °/ usw. vorhanden, während Myers einmal fast 50 °/, verzeichnet, und Feigl auch solche Ergebnisse unter den Händen hatte, die den „be- rechneten“ oder den „bestimmten“ (jedenfalls den „wahren“) Amin-N bis zu 66 °/, des RN darboten. Das Mittel liegt nur 40 °/, bei den sog. „chronischen“ Nephritiden.

Bei akuten Formen sieht man die Prozente auf 20,0, auf 15,0 auf 10, und im Extrem auf 5 und 3 fallen. Das Mittel liegt hier an und um 10 °/,.

Hält man diese Prozentberechnungen der Norm gegen- über (Mittel zwischen 30 und 40 °/,), so siebt man besonders die Ausschläge der Azotämien mit Ur-Anrechnung eindring- lich vor sich und kann u.a. auch die von Feigl beschriebenen Retentionen nachprüfen, die in erhöhten Gesamtbeträgen Struk- turen erkennen lassen, die mehr oder minder scharf der Norm entsprechen. Ins Pathologisch-Anatomische übersetzt könnte das unter Umständen heißen, daß spezifische Schädigungen in den ausscheidenden Organen fehlen, und daß die (в. о.) Lehre von der auswählenden Retention nur einen engen Spezial- bereich erfaßt. Besonders interessant wäre dann, daß eben die alten sogenannten „chronischen“ Formen diesen Verhält- nissen entsprechen. Wo andererseits die Schwelle für eine Leberschädigung liegt, das ist bisher nicht abzusehen; jeden- falls kann und muß bei steigendem Gesamt-R.-N eine solche vor- ausgesetzt werden, da das zur Ausscheidung kommende An- gebot von Amino-N der Höhe des Ur-N nur folgen kann, wenn es hinaufgesetzt wird über die ungefähren Schranken der Norm. Auch solche Spekulationen, gleichgültig, ob derzeit aktuell oder nicht, zwingen zur Beschäftigung mit den Auf- gaben der Aminacidurie und der Aminacidämie in der Patho-

118 Joh. Feigl:

logie. Den Fingerzeig bietet das einschlägige Extrem der Leberatrophie (P; Pilzvergiftung; Morb, Weill, Avitaminose).

12. Beziehungen zwischen dem N(+) der hetero- logen Glieder des summarischen Amino-N und dem Ges.-R.-N liegen in der Norm zwischen 10 und 20°/, des ersteren im letzteren, wobei das Mittel rund 14 °/, beträgt.

Ähnlich sind selbst die Zahlen bei Leberatrophie, immerhin im ganzen relativ fast an 20 °/, gelagert. Die innere Kompensation durch die Einzelglieder des NL bringt es mit sich, daß die Verhältnisse in der Pathologie wirklich entschieden nur nach unten wandern. Sie halten sich im Umkreise nephritischer Azotämien, da die alten „chronischen“ Formen im Spiele bleiben, noch am höchsten. Z. B. hat man in einer Zahlenreihe von Myers auf rund 337,0 mg rund 23,0 mg N(+), in einer anderen desselben Autors bezüglich 267,0 mg und rund 22,0 mg. Feigl hat 200,0 mg und rund 20,0 mg, ferner 147,0 mg und 23,0 mg gesehen.

Das sind alles gegen die Norm schon gesenkte Werte.. Das Extrem ist bei akuten Formen mit 362,0 mg R.-N und 5,0 mg N(+), bezüglich mit 380,0 mg und 4,0 mg gegeben. Das heißt, hier nähern sich die Zahlen stark solchen an 5 °/,, 30/5 1 %,. Befunde der Art sind charakteristisch und unter Umständen durch Analysen des Gesamtwertes einer und der Substanz gemeinsam leichter zu fassen. Der lenkende Faktor ist hier ein relativ hoher Ur im Gesamt-R.-N. Beim Sinken der absoluten Höhe des letzteren verwischen sich diese Erschei- nungen mehr und mehr, so daß sie in die der Aufklärung bedürftigen Bereiche kaum hineinreichen.

D. Die Verrechnung des N(+) zum Ur-N gibt cet, par. gewaltige Ausschläge gegenüber der Norm bei den ge- nannten akuten Formen. Die mittlere Norm ist rund 20 °/, (mäßige Abweichungen sind rund 10°/, und rund 207,

Bei Leberatrophie können Zahlen wie 100 9, und 80 °/, heraus- kommen (z. B. R.-N 80,0 mg Ur-N 8,0 mg N(-+-) 8,2 mg), was ein Extrem darstellt. Das andere findet sich z. B. (s. о.) bei RN 380,0 mg Ür-N 350,0 mg, N(+) 4,0 mg.

Bei mittleren chronischen Nephritiden (s. u.) kann sich die Norm wiederherstellen, was meistens nicht ganz aus- reicht. Beide Verrechnungen (12, D) reichen kaum in die Mög- lichkeit, bei isolierten Uricämien und Kreatinämien mit ihren Ergebnissen weiterzukommen, hinein.

13. Die Beziehungen zwischen wahrem Amino-N

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 119

und NCL) sind in der Norm mit dem Mittel von rd. 38 °/, (engerer Umkreis 28 bis 45 °/,) gegeben. Doch kann der Fuß- punkt 15 °/,, die obere Schwelle 100 °/, erreichen, so daß die (bisher für Vollblut ermittelten) Verhältnisse einer großen Varia- bilität entsprechen, an der auch die methodologischen und kritischen Erwägungen Anteil haben.

Das Extrem bei schweren akuten Azotaemien ist nach unseren Materialien mit 10,0 mg Amino-N gegen 5,0 mg N(+) und mit selbst bezüglich 5,0 mg zu 5,0 mg gegeben zeigen; hier hat man fast 15, selbst 20 und andererseits 5 °/, so daß also jedenfalls die Abartungen ein- seitig und in größeren Reihen direkt deutlich zu nennen ist. Bei chroni- schen Formen steigt gar das Verhältnis, da (s. о.) N(+) mit Einzel- gliedern (bes. Ur, Kreatin) erheblich retiniert zu werden pflegt, aber auch der wahre Amino-N. Man sieht Zahlen wie 147,0 mg R.-N, 67,0 mg Ur-N, 80,0 mg summarischem Amino-N, 23,0 mg N(+) und 57,0 mg wahrem Annio-N.

Es kann also zu Reihen von 40 °/, kommen, meist bleiben auch sie darunter. Die Aussichten für prägnante Aufklärungen im Bereich wichtiger R.-N-Zahlen mit ihren besonderen Auf- gaben sind meines Erachtens gering, was endlich auch von mäßigen Leberstörungen gelten muß. Bei Leberatrophie lagen die Verhältnisse nicht viel anders, z. В. 30, 20°), u. a. m. Ausschläge bei arthritischer Hyperuricämien können größer sein. Z. B. wahrer Amino-N 5,0 mg, N(+) 6,0 bis 8,0 mg, so daß also hier ein Überwiegen herauskommt, das wir später zu diskutieren haben.

14. Dersummarische Amino-N tritt dem N(-+-) in der Norm in Zahlen zwischen 60 und 20 °/, (Mittel 30 °/,) gegenüber.

Bei akuten Nephriten kann 70 und 50 °/, in die Erscheinung treten, bei chronischen bleiben ähnliche Zahlen nach obigen Voraus- setzungen bestehen, bei Leberatrophie ändert sich das Bild auch nur wenig, so daß einstweilen besondere Folgerungen ausgeschlossen scheinen.

15. Ür-N und Kreatinin stehen in interessanten Be- ziehungen, wie teilweise schon aus Angaben von Feigl über pathologische Kreatininämie hervorgeht. In der Norm um das Mittlere, rd. 45 °/, gelagert (enger Umkreis) haben wir in der Pathologie bei extremen Azotämien akuten Typs folgendes zu erwähnen.

Feigl R.-N 362,0 mg, Ur-N 320,0 mg, Kreatinin 1,0 mg. Folin bezüglich 326,0 mg, 266,0mg, 4,4 mg, Myers bezüglich 219,0 mg, 100,0 mg, 21,4 mg. Bei chronischen Typen Myers bezüglich 297,0 mg, 208,0 mg,

120 Joh. Feigl:

20,0 mg, bezüglich 59,0 mg, 83,0 mg, 4,1 mg, Folin bezüglich 200,0 mg, 140,0 mg, 7,5 mg. Ein Extrem dürfte die Zahl von Feigl sein bezüglich 150,0 mg, 70,0 mg, 30,0 mg und andererseits die von F olin bezüglich 228,0 mg, 180,0 mg, 32,0 mg. Verrechnen wir, во ist der Fußpunkt etwa 0,3 %/,, die obere Schwelle fast 40 °/, mit Beteiligung der chronischen Formen nach oben, der akuten nach unten. Das entspricht allerdings weit entfernt vom Gesetzmäßigen der Lehre von Myers und ihrer Reproduktion durch Rosenberg. Bei Leberatrophie haben wir 20 9. zuweilen auch etwas mehr gesehen.

Die Produktion von Kreatinin und Kreatin in der Azotämie ebenso wie die zellchemische Nierenschädigung und chemisch individualisierte Einzelheiten der Grenzbereiche bedürfen weiterer Arbeit, zu der Folin, Myers, Feigl in systematischen Ana- lysen die Unterlagen geliefert haben.

16. Ur-N zu Harnsäure-N stehen in der Norm im Mittel wie 15:1 (20:1 bis 7:1).

In der Pathologie kann bei akuten Azotämien (Feigl) 330,0 mg DN zu 1,0 mg Ur-N herauskommen, bei chronischen z. B. bezüglich 50,0 mg zu 5,0 mg, bei Leberatrophie bezüglich 80,0 mg : 8,0 mg, so daß hier die Extreme sich nach der Lehre von Myers [1917) und dem Reziprok dieser von Feigl (1916) scheiden, wobei sie mittlere und ge- mäßigte Beziehungen trennen. Arthritis urica hat Feigl einmal mit Zahlen von Ur-N zu Ur-N wie 6,0 mg zu 3,0 mg (bei freier Kostordnung) und sonst normalen R.-N-Bildern gesehen. Die Initialformen der „chronischen“ Nephritis (Myers) können sich nach Feigl (wiederum bei freier Kost) zu 66 9, Ur-N gegen Ur-N erheben. Bleigicht (Feigl, einmal) 9,0 mg Ur-N zu 5,0 mg Ur-N, dsgl. (Preti) 14,0 mg: 8,0 mg. ~ E. Der gesamte BN ist in seinen Beziehungen zum Ur-N prinzipiell gleich orientiert, so daß er nur in der Verknüpfung der beiden einfachen Analysen von Bedeutung wird. Folin und Denis (1915) haben differentialdiagnostisch die Parallelstellung für Gicht usw. (в. о.) gefördert.

F. Über die Beziehungen zwischen den Darstel- lungsformen des Aminosäure-N und dem Ur-N; läßt sich auf Grund großen Materiales vorführen, daß sie meistens parallel gehen, soweit die Azotämie an sich wächst. Das gilt von der Leberatrophie, der „chronischen“ Nephritis und selbst den akuten Formen. Die Zahlen laufen auseinander bei Ar- thritis und den Myersschen Frühstadien. In gewissen Ver- hältnissen sind Aminosäure und Ur-N (wie weiterhin Gesamt- purin mit Einzelgliedern) Zeugen heterolytischer Abbauvorgänge.

G. Die Gliederung des Gesamtpurins nach der Ог ist

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. І. 121

bisher trotz der neuesten Studien führender Spezialforscher- (в. о) nicht als fester Teil ins System der R.-N-Verhältnisse hereingewachsen. Doch sind hier mit Sicherheit große Aus- sichten geboten, wie aus mikrochemisch präparativen Bemühungen von Feigl hervorgeht. Das Verhältnis hat pathologische Unterlagen.

H. Die Beziehungen zwischen Kreatin und Ur sind, wie die extremen nephrogenen und autolytischen Azotämien er- wiesen, ziemlich fest und ähnlich denen der Aminosäuren. Auch in Frühstadien finden sich Anknüpfungen. Speziell für- Kreatin entscheidet die Pathochemie des Myoplasmas.

18. Die Beziehungen des Kreatins werden bisher nicht abgehandelt. In der Norm sind sie ziemlich fest gegeben. Obenan steht für die Pathologie die des Kreatinins zu Kreatin. Aus der Literatur, die ganz auf die Urologie gegründet ist und dort bis heute entscheidend gepflegt wird, geht die Bedeutung hervor, die theoretische Fragen hier vor- finden. Spezielles kann an dieser Stelle nicht ausgeführt werden; doch sei betont, daß Feigl und Neumann erneut die Überzeugung gewannen, daß der Harn die weit vor- herrschende Möglichkeit zu Erkenntnissen gegenüber dem Blute bilde. Dort müssen noch andere Faktoren als rein chemische eingestellt werden.

Kreatin kann bis 45,0 mg steigen und in den seltsamsten Propor- tionen zum Kreatinin stehen. Fieber, u. versch. a. zeigen wenig er- höhtes Blutkreatin, doch höhere Harnausscheidung, во daß die Be- ziehungen auseinanderlaufen. Nephrogene Retentionen bringen die selt- samsten Verhältnisse mit sich. Kreatinin zu Kreatin erscheinen bei Folin wie bezüglich 26,0 zu 23,0 mg, wie bezüglich 7,0 mg: 6,0 mg; wie 20,8 mg zu rd. 5,0 mg; bei Myers wie 32,0 mg zu 20,0 mg, wie 14,0 zu 20,0 mg; wie 4,0 zu 1,0 mg (!); wie 20,0 mg : 31,0 mg wie 4,1 mg zu 7,7 mg und wie 5,3 mg:21,3 mg u. а.; bei Feigl wie 8,0 mg zu 34,0 mg und u. a. wie 4,0 mg zu 27,0 mg. Noch bunter wird das Bild, wenn man (s. u.) an die Tatsache denkt, daß die widersprechendsten Wechsel in kurzen Fristen desselben Falles auftreten (Folin, Myers, Feigl).

Sicher scheint nur zu sein, daß zwischen R.-N und Kreatin nur selten Beziehungen bestehen, z. B. bei autolytischen Azot- ämien und gelegentlich bei chronischer Nephritis. Das auch nur durch den Amino-N, nicht durch den scheinbar völlig un- abhängigen Ur-N, von dem so viel gesagt werden kann, daß

122 Joh. Feigl:

er als Urämie mit einer Kreatinämie (pathologischen Charakters) überhaupt einmal zusammentreffien kann. Verdichtet findet man die Beziehungen Aminosäuren und Kreatin, die in der Norm 1:1 stehen und ziemlich oft das Verhältnis, bei un- komplizierten Retentionen z. B. einhalten. Auch Ur und Kreatin haben Fühlung in azotämischen Bildern. Gänzlich ungebunden scheinen also Kreatinin und Kreatin. Danach ist meines Erachtens bisher wohl nur mit absoluten Zahlen weiterzukommen, bis die urologische Pathochemie tiefer in die geheimen Gänge eingedrungen sein wird.

19. Die Ammoniakämie hat große pathologische Be- deutung und ist im Blute für sich wie als Teilerscheinung des RN und Úr-N (s. u.) interessant, obschon viele Fragen im Harn zugänglich sind. Die neuen Forschungen von Henri- ques und Christiansen haben der Frage Impuls und gute Grundlagen verliehen. Unsere Zahlen sind zur Zeit älteren Datums. Das Mittel der Norm suchten wir bei rund 0,15 mg Ammoniak-N mit Grenzen zwischen 0,1 mg und (allenfalls) 0,2 mg, bei Folin (und Meyers) sind es meist 0,1 mg.

Die pathologische Ammoniakämie ist von zwei Faktoren ‚abhängig, die man theoretisch trennen kann, die aber in praxi wohl zumeist (abgesehen von den wirklichen Extremen) zu- sammenlaufen. Man kann an eine zellchemische Retentions- ammoniakämie denken und ihr die erwiesene acidotische gegen- überstellen. Das viel umstrittene Problem der Urämie als Säurevergiftung schränkt diese erstere Auffassung stark ein, wenn sich nicht andere Anhalte bieten sollten.

Folin findet sichere Zahlen bei einer Krampfurämie, die in der Tat besonders interessant wäre. Zahlen wie 1,0 mg sind nicht selten; wir haben solche von 5,0 mg bei Nephritiden gesehen, auch bei Leberatrophie sahen wir erhöhte Werte dieser Größe. Acidosen bei Diabetes können schließlich zu fast 8,0 mg Ammoniak-N vordringen.

20. Feste Beziehungen, die am ersten für От und für Kreatinin pathogenetischen Sinn hätten, haben wir bisher nicht aufzudecken vermocht.

Die Entscheidung über wirklich letzte, wunauflösbare „Restanteile“ ist für die Norm und sicher auch für einen großen Teil der Pathochemie Sache der analytischen Kritik.

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 123

Doch tritt hier ein Kreis von Tatsachen und Überlegungen hinzu, der den kritischen Überlegungen eine wesentlich geringere Rolle zuschiebt, da es sich um belegte Vorstellungen handelt.

I. Die Indicanämie ist durch Tscherkoff, Obermeyer und Popper, Haas, auch Rosenberg und Machwitz in die Systematik der Azotämie eingeführt und durch Jolles auf neue Basis für spezielle Untersuchungen versetzt worden.

Indican kommt nach Haas und nach eigenen Ergebnissen (Feigl und Knack) bis zu 2,7 und bis 5 mg für 100 ccm Blut vor. Es geht bei den meisten Einzelanalysen und der anschließenden Ur-N-Isolierung bzw. derselben Beziehung in den Nicht-Ur als Anhängsel des Amino-N über. Mittlere Befunde sind solche um 1,0 mg.

Sein absoluter Anstieg über die Norm kann nach Haas deren 80faches betragen. Daher hat man ihm große diffe- rentialdiagnostische und prognostische Bedeutung zuerteilt. Gegen eine solche an sich plausible Auffassung hat man konse- quenterweise einzuwenden, daß die Retention eine Folge der Produktion ist, die in weitesten Grenzen variiert und ersterer Charakter und Grad vorschreibt.

K. Aus der Erwähnung der dem Indican zugedachten prognostischen Bedeutung kann man ersehen, daß es in ge- wissen Beziehungen und zeitlichen Verknüpfungen erscheinen sollte. Dafür kämen Kreatinin (Myers, Rosenberg) und Kreatin (Feigl) sowie Ur (ders.), sowie Aminosäuren in Frage. Doch sind wir weit entfernt davon, einigermaßen klar zu sehen.

L. Urobilinogen (bzw. die Urobilinkörper) haben Feigl und Querner im Blute systematisch untersucht. Feigl ist der Ansicht, daß es für das Retentionsproblem eine doppelte Bedeutung haben kann, indem es zellchemisch (wie Ur usw.) in die Azotämie eingehen kann und ferner indem es ein weiteres Symptom für Komplikationen ist, das mit Leberschädigung u.a. tatsächlich verknüpft sein kann, und daher für die Auf- klärung aminacidämischer Azotämien von höchstem Interesse zu werden verspricht. Freilich gehört auch hierher die Schei- dung der Vorstellungen über Retention einerseits, über Bildung andererseits. Ob es eine Retention nephrogenen Ursprungs gibt, ist nicht geklärt; ebenso fehlen die noch von Feigl und Querner durchgeprüften Unterlagen für Normalien, für nieren- gesunde Anlässe u. a. in der Literatur. Sicher ist mir nur eines,

124 Joh. Feigl:

daß es bei „chronischer“ Nephritis mit Leberstauung einmal zu über 5,0 mg (als Urobilinogen ber.) für 100 ccm Plasma ge- funden wurde.

M. Entcarboxylierte Basen spielen nach alten und neuen Untersuchungen eine keineswegs sehr beengte Rolle; sie müssen also cet. par. u. U. zu Gliedern des R.-N-Komplexes werden können. Befunde existieren einstweilen nicht.

N. Cholin hat pathochemische Bedeutung und ist durch pharmakologische Prüfungen zugänglich, so daß an seiner Ver- wertung als Glied gewisser R.-N-Bilder nicht mehr zu zweifeln sein wird. Adrenalin ist zu nennen.

O. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß niedere Aminosäurekomplexe im R.-N auftreten könnten. Ihre Er- kennung und Einstellung in das rechnerische Gefüge wird je- doch im gleichen Grade, obzwar methodisch individuell orien- tiert, zum Problem des analytischen Erkenntnismittels, wie es für höhere Formen (Albumine, kolloide Peptide, ander- weitige Komplexe) zutrifft. Man hat sich früher mit solchen biuretgebenden Stoffen viel beschäftigt und die Oxyprotein- körper für sich untersucht. Anhaltspunkte für ihre Beteiligung an unseren Aufgaben liegen kaum vor und sind auf besonderen Wegen durch präparative Aufarbeit der Schaffung zugänglich.

P. Gleichfalls eine Aufgabe der Methodologie sind die Bemühungen, Klarheit in die kolloiden, nichtproteinartigen usw. Stoffe mit N-Gehalt zu bringen. Hierhin gehören die Be- obachtungen über die Interferenz der R.-N-Zahlen durch Lipoid-N (Greenwald, Feigl), das sich ganz erheblich in ge- wissen Isolierungstechniken zu Gewicht bringen kann. Auch Lipo- proteine pathologischen Ursprungs hat man dabei u. U. in Rech- nung zu stellen.

Q. Aminokomplexe der Kohlenhydrate sind in kolloiden Gebilden gefunden worden; es ist aber heute nicht mehr zweifel- haft, daß sie u. U. krystalloid, also der R.-N-Isolierung zu- gänglich, erscheinen können. Diese Frage kann daher u. U. ebenfalls auf analytisch beschreibendem oder kritischem Wege auch daher in Angriff genommen werden, wie sich Fraktionen aus Gruppen und Individuen in den Werten gänzlich differenter Voraussetzungen und Verfahren darbieten.

Eine andere, aber gleichfalls methodische Sache ist die, wieviel

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 125

Individuen des R.-N-Gebietes ganz oder teilweise durch die be- zügliche Isolierung aus ihrer Rolle herausgedrängt und dem Protein-N zugeschoben worden. Diese Grenzfragen erfassen (mit Bangs erster Darlegung) Purine, evtl. Harnsäurekomplexe chemische und kolloidchemische), Oxyproteinkörper, nach Feigl gelegentlich selbst die höheren Aminosäuren. Das Gegenstück würde in der unter pathologischen Vorbedingungen vielleicht chemisch oder pathologisch erleichterten Absprengung von Teilen der nicht zum Stoffgebiete des R.-N gehörigen Substanzen sein. Auch das ist eine Aufgabe der Methodologie. Endlich sehen wir ein großes Feld vor uns, auf das durch die ergiebigen Arbeiten Abderhaldens der Ausblick eröffnet wurde. Es ist die Diskussion über sekundäre Bindungen unter den Gliedern des R.-N-Komplexes, die wir bereits anführten (Uraminsäure).

Wie dem auch letzten Endes sei, sieht man den „Rest- anteil“ zunächst als eine Fraktion an und legt man ihr die zulässige Bedeutung bei, so kann es nicht gering veranschlagt werden, daß frei von der Diskussion und Verrechnung der Einzelfehler zu deren Gesamtsumme bei mittleren und höheren R.-N-Zahlen häufig genug, allerdings pathologisch in gewisse Richtungen gewiesen, ungedeckte und im einzelnen ungeklärte Restbeträge bleiben, die zwischen 3,0 und 12,0 mg ausmachen. Diese auszufüllen, ist eine Arbeit, die nach obigen Darlegungen über allererste Anfänge nicht herausgekommen ist und die nur von den vermuteten Verbindungen aus in der Durcharbeitung ihres einschlägigen Verhaltens zu lösen sein wird.

Q. Gehen wir nun zur Erörterung der Beziehungen zwischen „Protein-N“ und „Nicht-Protein-N“ über, so legen wir für Vollblut Normalzahlen nach Myers und nach Gettler und Baker zugrunde, die wir gleichfalls im selben Grade ermittelten. Wir rechnen mit Zahlen von 3,0 bis 3,7], Gesamt-N und ziehen nach Bangs Darlegung in der Norm den R.-N nicht von dieser Größe ab. Gleichzeitig setzen wir den „gesamten Trockenrückstand“ zu 20 bis 24°/, (Myers, Gettler) ein. Wir nähern uns in unseren Arbeiten mehr dem niederen Werte von Myers (20°/,). Im Blute stehen also rd. 3000,0 bis 3700,0 mg den Normalien des R.-N-Gebietes gegenüber. Dabei setzen wir den R.-N zu rd. 27,0 mg ein, den Ur-N zu 12,0 mg usw. Diesen Zahlen gegenüber haben

126 Joh. Feigl:

wir Befunde von Myers zu verrechnen. Bei fallendem Rück- stand und fallendem Albumin (17,0 bis 13,0 mg und rd. 2,5 bis fast 2,00 g) steigt der R.-N auf 140,0 mg. Ein andermal sind 13,7 g Rückstand und 1,92 g Albumin mit rd. 300,0 mg R.-N verknüpft. Myers hat auch Zahlen, die wie unsere aus großer Sammlung schließlich auf fast 10°/, Rückstand und fast nur 1,2°/, Albumin-N fallen bei immerhin ca. 300,0 g R.-N. Haben wir in der Norm die N-Relation 1000 :5—» 15, Mittel rd. 9,0 im Schema stehen, so kann auch 1000: 300 vorkommen, d. h. durch doppelt ablenkende Wirkung die Verdreihundert- fachung, während Zahlen wie 1000:50 häufig sind und im Gebiete der nephrogenen Azotämie eine breite Rolle spielen.

Für Ur-N und für summarischen Amino-N würde das normale Schema der Hälfte entsprechen, also rd. 1000: 5, für faktischen Amino-N 1000:3; in der Pathologie kann bei Leber- atrophie 1000: 200 (Feigl) für letztere herauskommen. Vereint mit der Pathologie des Zellbildes (siehe bei Erörterung der R.-N-Verteilung auf Blutkörperchen und Plasma) werden wir ganz unglaubliche Formen des chemischen Komplexes er- kennen. Bei Plasma müssen weitere Veränderungen zutreffen, da die Norm den Gesamt-N (Gettler, Feigl) zu 1,1 bis 1,4°/, beziffert und die weitaus meisten R.-N-Abartungen plasma- tischer Natur zu sein pflegen. Endlich gehört die Relation Albumin zu Globulin in die Aufstellung der N-Verteilung hinein (s. u.).

Bisher haben wir die statischen Verhältnisse bei leidlich konstanter Ernährung und Nüchternheit verhandelt. Wir haben noch in Obigem abzurechnen, was mit der Bestimmung des Gesamt-R.-N allein, sowie mit derselben im Beihalt des zur rechnerischen Auflösung führenden Ur-N zu beantworten ist. Wir sehen ferner den Sinn der übrigen Einzelfraktionen ein, da sie im schematischen Gefüge ungleich besseren Einblick vermitteln. Trotzdem sind die Grenzen für die Verwendung nicht so weit gezogen, wie uns frühere Beobachter darzulegen hatten. Manchen Zweifel kann die Detailanalyse beheben, z. B. ein R.-N 80,0 mg sei fälschlich als Symptom für Nephritis ge- deutet worden. Hat man Kreatinin und Kreatin, sowie Ur zur Hand, so ist noch viel aus der Sache zu machen.

Ebenso wie die absoluten Zahlen haben die verschiedenen

Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I. 127

Relationen Antworten in sich bereit, wenn man aus mehreren statischen Prüfungen den Übergang entwicklungsgemäß kon- struiert. Die Abheilung. nephritischer Leiden wird mit gutem Rechte am Wandel des R.-N gemessen. Feigl und Knack haben nicht selten unstabile Vorgänge zu Gesicht bekommen, die zweifellos nicht nur in vorübergehender Verschlimmerung beruhen, sondern die ohne speziell pathologische Kausalität bei kontinuierlicher Abheilung darauf hinaus gehen, daß die nicht völlig restituierte Niere bei wechselnden N-, Wasser-, Salz- usw. Mengen unkonstant arbeiten kann. Auch vorüber- gehende mechanische Arbeit kann Störungen hervorrufen, die zwar durch Glückszufall von einmaliger Probe zu fassen wäre, aber dem Kliniker ohne ihre Auffindung ein falsches Bild zu geben vermöchte. Darin greift nach Feigl und Knack eine N-Belastung ein, die dynamisch meistens Aufklärungen ver- mittelt. Albert will mit dem Koeffizienten von Ambard weiter- kommen. У

Was im übrigen die Entwicklungsvorgänge, gemessen mit statischen Beobachtungen, angeht, so sei nachdrücklich auf die Kreatininämie und Kreatinämie hingewiesen. Verf. kennt in der Literatur nur einen streng-kontinuierlichen Fall von wachsender Hyperkreutininämie (Myers, 8). Die buntesten Bilder bekommt man zu Gesicht und sieht die Notwendigkeit weiterer Beschreibungen ein. Leberatrophie, „chronische“ Nephritis, Avitaminosen, Arthritis, Infektion, Fieber, kommen zum Ver- ständnis wohl nur durch Serienbeobachtung. Wir hatten den ali- mentär genügend fixierten Nüchternwert vor uns. Aufgabe fernerer Untersuchungen ist, die Entwicklungsschemen unter dem Drucke verschiedenster alimentärer Umstimmungen zu stu- deren, Es sei an Bangs Anhalte für „kurative“ Wirkung von N-Belastungen bei gewissen Nierenschäden erinnert. Hier ist auch die Lehre von Myers über die pathochemische Ent- wicklung „chronischer“ Zustände der Prüfung zugänglich. Von ihr scheidet sich die vom Verf. entworfene Auffassung über den Chemismus der azotämischen Retention bei akuten Vor- gängen. Hier setzt offenbar der Ur ein. Wenn sich ein Teil in den.Analysenbildern zum Ausdruck bringen kann, daß es in kurzer Frist an den nötigen Angeboten mangelt (Krea- tinin), so ist dann das fast ausschließlich urämische (chemisch

128 Joh. Feigl: Nichtproteine N des menschlichen Blutes. I.

gesprochen) Bild oft Tatsache. Faßt man die ganz erheb- lichen Wirkungen alimentärer Beschränkung ins Auge (Avitämie), so heben sich die Zahlen noch mehr ab. Dabei ergibt sich dann von selbst die Aufgabe, über die Verteilung der frag- lichen Stoffe auf die Elemente der Blutflüssigkeit und auf Organkomplexe etwas auszusagen. Diese Frage der „Depots“ ist nach wie vor eins der dunkelsten Kapitel, das die ver- schiedensten chemischen Erscheinungen enthalten muß, und das mit schematischer Deutung nicht abgetan sein kann. Auch in diese Angelegenheit spielt der zeitliche Verlauf der latenten und im Blute sichtbaren Entwicklung ein, sowie die Einsicht, daß die Glieder des R.-N Zeugen und Produkte der ver- schiedensten, sogar z. T. grundsätzlich geschiedener Stoffwechsel- gebiete sind, daß vor der sichtbaren und meßbaren Retention die Produktion steht, die ihrerseits in weiten Grenzen schwanken kann und muß. So sind die verschiedenen allgemeinen Vor- bedingungen pathologischer Resonanzbilder, die die Azotämie in verschiedener Klangtiefe und Klangfarbe lenken. Wir dürfen von den Altersbefunden sprechen, die ganz gewichtige Um- stimmungen in sich tragen, vom allgemeinen Kräfte-Ernährungs- zustand und der Stärke und Intaktheit einzelner Prozesse mit Einschluß besonderer Ablenkungen. Die Azotämien stehen letzten Endes zwischen zwei getrennten ursächlichen Extremen, die an den schwersten Vorkommnissen zu beschreiben sind überreichem Angebot durch Zerfall und Verlegung des Nieren- filters bei sonst normalen Funktionen. Die Grenzzustände ver- mischen sich und ihre Äußerungen fließen ineinander über; so entstehen komplexe Bilder. Außerdem gibt es einseitige Stö- rungen bestimmter Funktion, z. B. die Gicht. Wo aus sum- marischen Urteilen die großen pathochemischen Richtungs- änderungen nach ihren greifbaren Dokumenten feststeher, hat die spezielle Pathologie im einzelnen den Ursächlichkeiten nach- zugehen und hat die Methodologie ihre Leistungen іп den Dienst der Einzelerklärung zu stellen.

Literatur: teils in früheren Mitteilungen, teils in den nächsten Abschnitten.

Das Retentionsvermögen der Nieren für Glucose. Kann in der Durchströmungsflüssigkeit das Ca durch Sr, Ba oder Mg vertreten werden?

Von H. J. Hamburger und C.L. Alons, Groningen.

(Eingegangen am 21. Januar 1919.)

Wie früher mitgeteilt wurde, ist bei Durchströmung der Froschnieren mit einer Ringerflüssigkeit von zweckmäßiger Zu- sammensetzung die Glomerulusmembran imstande, die in der Flüssigkeit aufgelöste freie Glucose zurückzuhalten. Die Zu- sammensetzung war folgende): NaCl 0,5°/,, NaHCN, 0,2859/,, KO 0,01°/,, CaCl, 0,02°7,.

Nun hatte es sich vor einigen Jahren bei Untersuchungen über die Phagocytose herausgestellt?), daß für diese Tätigkeit Calcium unentbehrlich ist und nicht durch die verwandten Metalle Strontium und Barium ersetzt werden konnte, auch nicht durch das ebenfalls zweiwertige Magnesium. Es handelte sich also bei der Phagocytose nicht um den Einfluß der elek- trischen Ladung, sondern um eine spezifische Wirkung des Са).

Bei anderen Lebenstätigkeiten dagegen kann, insoweit diese darauf untersucht worden sind, Sr und Ba wohl an die Stelle des Ca treten. Auch ereignet es sich zuweilen, daß Mg oder selbst zweiwertige Schwermetalle für die Vertretung von Ca in Betracht kommen. Man vergleiche hierzu die Zusammenstellung, die Höber in seinem bekannten Buche gegeben hat‘).

1) Hamburger und Brinkman, Kon. Akad. у. Wetenschapen, Sitzung vom September: 1917.

2) Hamburger und Brinkman, diese Zeitschr. 88, 97, 1918.

з) Hamburger und De Haan, diese Zeitschr. 24, 470, 1910.

1) Höber, Physikalische Chemie der Zelle und Gewebe. 4. Aufl. 1914. „Die gegenseitige Vertretbarkeit der Anionen in den Gemischen“, S. 537 ff. ,

Biochemische Zeitschrift Band 94. 9

130 H.J.Hamburgeru.C.L.Alons: Retentionsvermögen.d.Nieren f.Glucose.

Es war nun nicht überflüssig, diese Angelegenheit auch für die Funktionstätigkeit der Glomerulusmembran zu unter- suchen.

Es wurde also eine Ringerflüssigkeit mit 0,06°/, Glucose bereitet, in der statt 0,02°/, CaCl, 0,724°/, SrCl, oder 0,11°/, BaCl,.2 aq vorkam. Der Harn zeigte sich zuckerfrei, und auch bei Anwendung einer schwach hyperglucämischen Glucosemenge (0,1°/,) in der Durchströmungsflüssigkeit ging in allen Fällen eine gleiche Menge Glucose in den „Harn“ über. Wurde aber statt 0,02°/, CaCl, die äquivalente 0,043°/, MgCl,-Menge ge- braucht, so wurde absolut kein Zucker zurückgehalten. Eben- sowenig schien dies der Fall zu sein, als sicherheitshalber weder Ca noch Ba und®Sr in der Ringerflüssigkeit anwesend war.

Man darf also schließen, daß das Retentionsver- mögen der Froschnieren für freie Glucose unverändert bleibt, wenn das Ca durch eine äquivalente Menge Sr oder Ba ersetzt wird.

Hyperglucämie und Glucosurie. Die Toleranz der Nieren für Glucose.

Von H. J. Hamburger und R. Brinkman.

(Auā dem physiologischen Institut der Universität Groningen.) (Eingegangen am 21. Januar 1919.)

In der in dieser Zeitschrift erschienenen Arbeit: Reten- tionsvermögen der Nieren für Glucose‘), legten wir uns in erster Linie die Frage vor: Weshalb ist bei normaleï Indi- viduen der Urin ganz oder nahezu zuckerfrei, während doch das Blut immer etwa 0,1°/, Zucker enthält? Es wurde diese Frage beantwortet mit dem Nachweis, daß die Glomerulus- membran impermeabel für freie Glucose ist. Hierdurch ist die Annahme einer kolloidalen Verbindung zwischen Zucker und einer anderen Serumsubstanz (Lépines sucre virtuel) über- flüssig geworden.

Die zweite Frage, die wir uns damals vorlegten, nämlich: weshalb tritt Glucosurie auf, wenn der Zuckergehalt des Blutes einen gewissen Grad übersteigt, blieb un- gelöst. Die folgenden Untersuchungen suchen, die Antwort auf letztere Frage zu geben.

Anfänglich schien uns diese Antwort dahin lauten zu müssen, daß auch bei Hyperglucämie die Glomerulusmembran für Glucose impermeabel bleibt, daß aber das Übermaß von Zucker durch das Tubulusepithelium entfernt wird; also eine vikariierende Wirkung des Tubulusepitheliums. Über die Richtig- keit dieser Hypothese konnten wieder Versuche am Frosch Entscheidung bringen, da man bei diesem Tier imstande ist, die Glomerulusmembran separat zu untersuchen.

1) Diese Zeitschr. 88, 97, 1918. gn

132 H. J. Hamburger u. R. Brinkman:

Der Plan war sehr einfach. Wir hatten nur zu erforschen, ob trotz Steigerung des Gluocosegehaltes der Durchströmungs- flüssigkeit, der „Harn“ (d. h. das Glomerulusprodukt) ganz oder nahezu glucosefrei bleiben würde.

Bevor wir an die Beschreibung der Versuche herangehen, erlauben wir uns eine nicht überflüssige Bemerkung voran- gehen zu lassen. Diese betrifft die Bezeichnung Hyper- glucämie.

Die Bezeichnung Hyperglucämie.

Bekanntlich pflegt man unter diesem Namen den Zustand zu verstehen, in dem das Blut einen größeren als normalen prozentischen Zuckergehalt enthält. Nun leuchtet es aber ein, daß es beim Studium der Beziehung zwischen Hyperglucämie und Glucosurie nicht auf den prozentischen Zuckergehalt des Blutes, sondern auf den des entsprechenden Plasmas an- kommt. Man pflegt aber meist die beiden Worte ohne weiteres aneinänder gleichzustellen und stillschweigend anzunehmen, daß, wenn das Blut eines Patienten a°/, Glucose enthält, das gleiche auch für das Plasma der Fall ist. Es ist das aber nur dann richtig, wenn der Zucker, wie etwa das Ureum, gleich- mäßig über Blutkörperchen und Plasma verteilt ist. Im all- gemeinen ist das aber nicht der Fall, selbst nicht beim Menschen, bei dem die roten Blutkörperchen wohl am meisten permeabel für Glucose zu sein scheinen.

Über die gewöhnlich vernachlässigte Differenz zwischen dem Zuckergehalt des Gesamtblutes und dem des Plasmas bei Warmblütern besitzen wir Angaben von E. Frank und von Rona und Döblin, die in den Blutkörperchen mehr und von Rolly und Oppermann, die in denselben weniger Zucker als im entsprechenden Plasma fanden). Auch im hiesigen Laboratorium sind bereits vor mehr als einem Jahre zahlreiche Unter- suchungen über die Verteilung des Blutzuckers im Blute beim Menschen, Kaninchen und Frosch angestellt worden. Sie be- zweckten, die Faktoren ausfindig zu machen, die die Verteilung beherrschen. Bei dieser Gelegenheit stellte sich bei Anwendung

1) Man vergleiche für die weitere Literatur über diesen Gegen- stand: Bang, Der Blutzucker, 1913, 8. 4ff.; Höber, Physik. Chemie d. Zellen u. d. Gewebe, 1914, S. 366 ff.

Hyperglucämie und Glucosurie. 133

verschiedener Zuckerbestimmungsmethoden u. a. heraus, daß von einer gleichmäßigen Verteilung nicht die Rede war. Es wurde dies noch bestätigt durch Berechnungen aus Versuchen anderer Autoren‘). Beim Frosch fand der eine von uns (Brinkman) den Zucker ausschließlich im Plasma?).

Hat man also, wie man das beim Menschen zu tun pflegt, bei der Entscheidung, ob und in welchem Grade Hyperglucämie vorliegt, den Zuckergehalt des Gesamtblutes ermittelt, so macht man wohl einen großen Fehler, wenn man denselben ohne weiteres auf das Plasma überträgt. Es ist aber leicht, den prozentischen Glucosegehalt des Plasmas zu berechnen, wenn man nur das relative Volum von Blutkörperchen und Plasma kennt. Es ist dieses Verhältnis mit genügender Genauigkeit durch Zentrifugierung im Hämatokrit zu ermitteln. Denken wir uns, daß im Froschblute 30 Volumprozent Blutkörperchen vorhanden sind, und 70 Volumprozent Plasma, so würde der

Glucosegehalt des Plasmas Deet Glucose betragen.

An dieser Stelle sei mitgeteilt, daß der Glucosegehalt des Froschplasmas zwischen 0,045 und 0,075°/, schwankt, während die Zahlen für das Gesamtfroschblut zwischen 0,03 und 0,05°/, sich bewegen. Die letzteren Zahlen stimmen mit den von Bang gegebenen überein.

Aus den beiden ersten Zahlen geht hervor, daß es nicht erlaubt ist, eine mit 0,06°/, Glucose beschickte Durchströmungs- flüssigkeit ohne weiteres als hyperglucämisch zu bezeichnen; denn, wie gesagt, gibt es Frösche, deren Plasma unter nor- malen Bedingungen bis zu 0,075°/, Glucose enthält. Es be- stehen in dieser Beziehung große individuelle Unterschiede, und auch die Jahreszeit hat, wie früher konstatiert wurde, auf den Zuckergehalt des Plasmas großen Einfluß. Wohl aber

1) Nach Abfassung der vorliegenden Arbeit kam uns noch ein Aufsatz von Stepp (Arch. f. klin. Med. 124, 199, 1918) zu Gesicht. Dieser Verfasser untersuchte 9 Diabetiker und fand den Prozentgehalt des Zuckers im Plasma etwas höher als im Gesamtblut; einmal doppelt so hoch. Bei experimentellem Pankreasdiabetes war der Plasmazucker relativ am stärksten gesteigert.

з) Beim Defibrinieren des Froschblutes geht, wie er fand, Zucker aus der Blutflüssigkeit in die Blutkörperchen über. Über die betreffen- den Untersuchungen wird noch weiter berichtet werden.

134 H. J. Hamburger u. R. Brinkman:

darf man sagen, daß beim Frosch eine 0,19, Glucose ent- haltende Ringerflüssigkeit als hyperglucämisch betrachtet wer- den darf.

Da es sich nun aus unsern früheren Untersuchungen heraus- gestellt hat, daß bei Durchströmung mit dieser Zuckerkonzen- tration in den meisten Fällen ein Teil der Glucose in den Harn überging, so erfolgt schon aus dieser Überlegung, daß die Glomerulusmembran nicht impermeabel für Zucker bleibt, wenn die Durchströmungsflüssigkeit hyper- glucämisch wird; es konnte somit die soeben genannte Hypo- these nicht richtig sein.

Es erhob sich nun weiter die Frage, wie sich die Glo- merulusmembran verhalten würde, wenn man den Glucosegehalt oberhalb 0,1°/, steigern ließ.

Das Verhalten der Glomerulusmembran gegenüber hyper- glucämischen (hyperglucoplastischen) Zuckermengen'). Die folgende übersichtliche Zusammenstellung gibt die Antwort auf diese Frage. In diese sind auch Versuche mit weniger als 0,1°/, Glucose aufgenommen. Die erste Spalte enthält die Versuchsnummer, die zweite den Gehalt der Durchströmungsflüssigkeit an Glucose. In der dritten Spalte wird mit Al die linke Niere, mit Ar die rechte Niere von Frosch A angegeben, mit Bl und Br die linke und rechte Niere von Frosch BB Um Raum zu er- sparen, ist nicht bei allen Experimenten das Resultat von Al und Ar separat erwähnt und ist bei einem Teile der Versuche nur der Mittelwert verzeichnet worden. Spalte IV bringt die a in des Harns in den verschiedenen Fällen. Spalte V gibt die Retentionswerte an, berechnet aus den entsprechenden Zahlen von II und IV. Endlich findet man in Spalte VI, ein wie großer Teil des

1) Unter hyperglucämisch können wir in den vorliegenden Ver- suchsreihen den Zustand verstehen, in dem die Ringerflüssigkeit mehr als die physiologische Glucosemenge enthält. Wäre die Durchströmungs- flüssigkeit Blut, so müßte das Plasma mehr als die physiologische Glucosemenge enthalten; es sollte, was man nennen könnte, eine Hyper- glucoplasmie bestehen.

Hyperglucämie und Glucosurie, 135

Prozentgehalt der zurückgehaltenen Glucose. Versuche vom 2. bis 10. Okt. 1917; 8. bis 20. Okt. 1918; 22. bis 30. Nov. 1918.

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Vena porta rena- lis unterbunden

Vena porta rena- lis unterbunden

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136 H. J. Hamburger u. R. Brinkman:

in der Durchströmungsflüssigkeit vorhandenen Zuckers retiniert worden ist. Die Berechnung erfolgte aus II und V.

Was lehrt nun diese Tabelle?! In der Hauptsache folgendes:

Je stärker hyperglucämisch die Flüssigkeit ist, desto mehr wird von dem durchströmenden Zucker durchgelassen, absolut und prozentisch (Spalte V und VI). In den Versuchen 11 bis 15, wo der Glucosegehalt der Durchströmungsflüssigkeit 0,25 bis 0,30°/, beträgt, geht aller oder nahezu aller Zucker in den Harn über, m. a. W. die Glomerulusmembran ist so gut wie vollkommen permeabel für Zucker geworden; sie ist krank. Es wird dies noch illustriert durch die erhebliche Verlangsamung der Harnabscheidung.

Wir haben uns nun weiter die Frage vorgelegt: ist die Änderung der Membran bleibender Natur? Um dies zu untersuchen, wurde mit einer hyperglucämischen Ringer- lösung (0,3°/, Glucose) durchströmt. Nachdem eine genügende Harnmenge abgeschieden war, wurde diese mittels eines feinen Capillarrohres aus dem in den Ureter gebundenen Glasröhrchen entfernt. Dann wurde eine 0,06°/, Glucose enthaltende, also physiologische Ringerlösung durch die Nieren geleitet. Auch dieser Harn wurde mittels eines capillaren Röhrchens entfernt. Natürlich zeigte sich der sich nunmehr abscheidende Harn noch zuckerhaltig. War ja in den Abfuhrwegen noch Glucose aus der ersten Durchströmungsperiode vorhanden. Aber nach- her war und blieb der Zuckergehalt des Harns 0,06°/,. Hieraus geht hervor, daß das normale Retentionsvermögen sich nicht, oder jedenfalls höchstens nach längerer Zeit, wieder her- stellen läßt.

Da auch im Zusammenhang mit der Tatsache, daß bei Durch- strömung mit 0,3°/, Glucose die Harnbildung langsam vor sich ging, der Versuch im ganzen viel Zeit erforderte, haben wir nachher, um die Harnabscheidung zu beschleunigen, zu der Ringerflüssigkeit 0,1°/, Ureum hinzugefügt, nachdem wir in speziell dafür angestellten Experimenten uns davon überzeugt hatten, daß die Permeabilität für Glucose nicht im mindesten dadurch beeinflußt wurde. Die Resultate der vorliegenden Versuche waren denn auch ganz dieselben wie die oben erwähnten, wo kein Ureum hinzugefügt war. Nach fünfstündiger Durchströmung mit Glucose 0,06°/, mußten die Experimente abgebrochen werden. Ob bei längerer Versuchsdauer das normale Retentionsvermögen sich wieder hergestellt hätte, wissen wir nicht. Vielleicht würde das der Fall ge-

Hyperglucämie und Glucosurie. 1%

wesen sein. Es bestehen wertvolle Anweisungen in dieser Richtung. Teilt ja v. Noorden?) die folgende Tabelle mit.

Brotmenge Blutzucker Tag e Harnzucker mg 1 100 0 128 2 100 0 3 100 0 118 4 125 0 5 125 0 117 6 125 0 7 150 0 125 8 150 0 9 150 0 138 10 175 2,2 11 175 0 186 12 175 0 142 18 200 2,8 14 200 5,6 160

Aus dieser Tabelle geht hervor, daß wenn die Versuchsperson am zehnten Tage eine Brotmenge von 175 g empfangen hat, der Harnzucker 2,2°/, beträgt; ап den zwei folgenden Tagen ist bei derselben Brotration der Harn zuckerfrei geworden, obgleich der Blutzuckergehalt nahezu un- verändert geblieben ist (136), sogar etwas gestiegen (142).

Absolute und relative Toleranz der Nieren für Zucker.

Im Lichte der obengenannten Tatsachen ist man berechtigt, den Begriff Toleranz zu erweitern, oder besser gesagt, zu präzisieren. Bekanntlich spricht der Arzt von Toleranz des Patienten für Kohlenhydrate und versteht darunter die Menge dieser Stoffe, die man dem Patienten höchstens geben kann, ohne daß Glucosurie auftritt. Bei näherer Betrachtung ist dieses Quantum nicht nur von der Funktionsfähigkeit der Leber und anderer damit zusammenarbeitender Organe wie der Pankreas, sondern auch von der der Nieren abhängig.

Nun wir das Verhalten der Glomerulusmembran bei der Zuckerausscheidung näher kennen gelernt haben, erscheint es also angewiesen, einen Unterschied zu machen zwischen Toleranz eines Individuums für Kohlenhydrate und Toleranz der Nieren für Zucker. Die letzte Toleranz wäre noch zu unterscheiden in, wie wir esnennen wollen: die absolute und die relative Toleranz der Nieren für Zucker. Unter absoluter Toleranz würde zu verstehen sein der maximale Glucosegehalt des Plasmas, den die Nieren ertragen, ohne

1) v. Noorden, Die Zuokerkrankheit und ihre Behandlung, 7. Aufl. 1917, 8. 129.

198 H. J. Hamburger u. R. Brinkman: Hyperglucämie und Glucosurie.

Glucose in den Harn übergehen zu lassen; unter relativer Toleranz der Nieren die Glucosemenge, die die Nieren ober- halb des normalen Blutzuckerspiegels ertragen können.

Nach vielfachen Versuchen des Herrn Assistenten C.L. Alons, auch an hyperglucoplasmatisch gemachten Fröschen, hat es sich gezeigt, daß die relative Toleranz bei dieser Tier- spezies nicht groß ist. Sie beträgt etwa 0,02°/, Glucose. Seine Bestimmungen wurden teilweise nach der neuesten Bangschen Zuckerbestimmungsmethode (1918) ausgeführt.

Weitere Untersuchungen in dieser Richtung sind noch im Gange.

Zusammenfassung.

1. Für die Beurteilung des Zusammenhanges zwischen Hyperglucämie und Glucosurie kommt es nicht auf den Zucker- gehalt des Gesamtblutes, sondern auf den des Plasmas an.

2. Man könnte meinen, daß bei Hyperglucämie, oder besser Hyperglucoplasmie, die Glomerulusmembran impermeabel für Glucose bleibt, wie das bei normalem Zuckergehalt des Plasmas der Fall ist, daß aber bei Übermaß von Zucker das Tubulus- epithelium in Tätigkeit tritt. Dies ist aber nicht der Fall; denn durch Steigerung der Glucosemenge in der Durch- strömungsflüssigkeit oberhalb des Normalen wird die Glu- cosemembran permeabel für Glucose, und zwar in desto stärkerem Maße, je höher die Zuckerkonzen- tration ist, so daß bei einer Zuckerkonzentration von 0,25°/, das Retentionsvermögen der Glomerulusmembran vollständig verloren geht; m. а. W. die Membran wird krank.

4. Die durch Hyperglucämie (besser Hyperglucoplasmie) verursachte Permeabilität der Glomerulusmembran macht es erwünscht, den Toleranzbegriff zu erweitern.

Sprach man bis jetzt nur über die Toleranz eines Indi- viduums für Kohlenhydrate und wies damit an, wieviel von dieser Nahrungssubstanz ertragen werden kann, ohne daß Glucosurie auftritt, so berechtigen die vorliegenden Unter- suchungen, weiter zu differenzieren und zu sprechen über die Toleranz der Nieren (Glomerulusmembran) für Glucose.

Über die Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers „Guanol“.

Von Alfred Koch und Alice Oelsner.

(Aus dem landwirtschaftlich-bakteriologischen Institut der Universität Göttingen.)

(Eingegangen am 23. Januar 1919.)

Die als Betaine bezeichneten methylierten Aminosäuren sind im Pflanzen- und Tierreich weit verbreitet. Die Gruppe erhielt ihren Namen von der Trimethylaminoessigsäure, die in der Runkelrübe (Beta vulgaris) vorkommt. Dieses Betain ist dann aber auch in zahlreichen anderen Pflanzen nachgewiesen worden.

Nachdem diese weite Verbreitung der Betaine im Tier- und Pflanzenreich erkannt war, drängte sich der Gedanke auf, was für eine physiologische Bedeutung das Betain und seine Verwandten für den erzeugenden Organismus habe und in welcher Weise das Betain aufgespalten wird, wenn pflanzliche oder tierische Reste sich z. B. im Boden zersetzen oder betainhaltiges Material zu Fütterungszwecken verbraucht wird. Letztere Frage spielt vor allem mit Rücksicht auf die Verwendung der betain- reichen Rübenmelasse zur Fütterung eine große praktische Rolle.

Aber auch wissenschaftlich bietet diese Frage großes Interesse, z. B. deshalb, weil gegenüber chemischen Agenzien das Betain sehr widerstandsfähig ist. So spaltet es zwar beim Kochen mit Kalilauge Trimethylamin ab, aber gegen Säuren ist es sehr unempfindlich und wird durch Erhitzen mit konzentrierter Schwefelsäure auf 140° und längeres Kochen mit Königswasser nicht verändert. Dementsprechend ist das Betain physiologisch ziemlich indifferent und wird vom Menschen und vielen Tieren wenig als Nährstoff verwendet. Die Pflanzenfresser vermögen das Betain stärker aufzuspalten als die Fleischfresser. Auch

140 A. Koch u. A. Oelsner:

der Umstand, daß in jungen Tieren und Pflanzen weit mehr Betain ge- funden wird als in erwachsenen, deutet darauf hin, daß im erzeugenden Organismus selbst Betain aufgespalten und anderweitig verwendet wird. So fanden Kutscher in Embryonen von Acanthias vulg. 12°/,,, in er- wachsenen Tieren 0,7%, Scheibler in jungen Runkelrüben 2,5°/,, in alten 1°/, Betain.

Über die Spaltung des Betains im Tier ist zu bemerken, daß nach Arnt Kohlrausch!) im Harn des Kaninchens Trimethylamin auftritt, wenn Betain verfüttert wurde. Wichtig ist weiter die Kenntnis der Zersetzung des Betains durch niedere Organismen, weil diese bei der Zersetzung betainhaltiger pflanzlicher und tierischer Reste die Haupt- rolle spielen, vielleicht auch bei der Verdauung der Betaine im Tier- körper beteiligt sind, und endlich benutzt werden können, um die Be- standteile des Betains, die daraus mit rein chemischen Hilfsmitteln schwierig zu gewinnen sind, technisch zu verwerten. Fäulnisversuche mit Betain, die Ackermann?) anstellte, sind in dieser Beziehung zuerst zu erwähnen. Er impfte eine Lösung, die Pepton, Traubenzucker und Betainchlorid enthielt und sodaalkalisch gemacht war, und etwas MgSO, und Na,HPO, enthielt, mit fauler Leimlösung, und erhielt beträchtliche Mengen NH, und Trimethylamin aus einem Teil des Betains, während der Rest unzersetzt geblieben war. Später bestätigte 1914 Ackermann diese Versuche in bezug auf das Glykokollbetain der Rübe, während er andere Betaine vergeblich den Bakterien faulenden Pankreasgewebes darbot. Stanek und Miskovsky?) hatten auch schon 1907 gefunden, daß vereinzelte Schimmelpilze und Bakterien Betain angreifen, Kultur- hefen aber nicht. Dies bestätigten F. Ehrlich und Lange‘) 1914 durch Untersuchungen mit weiteren Mikroorganismen. Dagegen fanden die zuletzt genannten Verf., daß die meisten hautbildenden Hefen, näm- lich Kahmhefen, Willia anomala, Pichia membranaefaciens und farinosa und die Mimbobierhefe kräftig auf Betainlösungen wachsen. Von Schim- melpilzen, wie Aspergillus niger, Penicillium glaucum und Citromyces Pfefferianus wurde der Betainstickstoff zu 57 bis 65°/, ausgenutzt, wäh- rend Mucorarten und Vertreter der Gattung Oidium schwächer gediehen. Dabei bildeten die hautbildenden Hefen erhebliche Mengen freier Säure. Ammoniak hatten die Hefen und einige Schimmelpilze nicht gebildet. Aspergillus niger und Penicillium glaucum bildeten dagegen viel Am- moniak, Penicillium album, Aspergillus Oryzae und Mucor Mucedo we- niger. Trimethylamin konnte nirgends nachgewiesen werden.

Intermediär auftretende Spaltungsprodukte des Betains konnten nur bei Willia anomala in Form der Glykolsäure nachgewiesen werden,

1) Arnt Kohlrausch, Zeitschr. f. Biol. 57, 1911. 2) Siehe Arnt Kohlrausch.

D Zeitschr. f. ges. Brauwesen 30, 556; Zeitschr. f. Zuckerindustrie in Böhmen 32, 583.

| 4) Zeitschr. d. Vereins deutscher Zuckerindustrie 64, Heft 697.

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 141

aber nur, wenn statt Zucker Alkohol als Kohlenstoffquelle gegeben war. Die Entstehung der Glykolsäure denken sich die Verf. in folgender Weise: (CH, NCH,C00 + H,0 = CH,(OH)COOH + N(CH,), , na

so daß das Betain hier ebenso wie rein chemisch mit NaOH gespalten würde. Trimethylamin konnte aber in den Kulturen nie nachgewiesen werden, so daß es wohl im Entstehungszustand unter Wasseranlagerung zu Ammoniak und Methylalkohol abgebaut wird: (CH,),N + 3H,0 = NH, + 3CH,OH.

Aber auch das so entstehende Ammoniak war in den Hefekulturen nie nachzuweisen, sondern wurde wohl wie bei der Assimilation der Amino- säuren sofort zum Körpereiweißaufbau verwendet, wobei vielleicht auch der nach obiger Gleichung entstandene Methylalkohol in Form irgend- welcher Oxydationsprodukte verbraucht wird. In Kulturen von Asper- gillus niger und Penicillium glaucum entstand Ammoniak in so großer Menge, daß es quantitativ nachgewiesen werden konnte. Auf Lösungen von Trimethylaminphosphat mit Zucker oder Alkohol wuchsen Willia anomala und Penicillium glaucum sehr üppig, wodurch bewiesen wird, daß Trimethylamin selbst als Stickstoffquelle für Mikroorganismen in Betracht kommt. Willia anomala wuchs selbst dann noch schwach, wenn neben Trimethylaminphosphat Methylalkohol als einzige Kohlen- stoffquelle gegeben wurde.

Als Rohmaterial für technische Verwertung von Betain kommt Melasse und die Melasseschlempe, die nach Vergärung von Melasse und Abdestillieren des Alkohols verbleibende Flüssig- keit, in Betracht.

Die durchschnittliche deutsche Melasseproduktion beträgt jährlich 430000 t. Nach Stanek entfallen 65%, des Schlempestickstoffs auf Betain. Die Verwertung der Schlempe wird nach Foth!) für Melasse- brennereien manchmal zu einer Kalamität, und vielfach läßt man die Schlempe daher einfach weglaufen, oder früher verbrannte man sie, um aus der Schlempekohle kohlensaures Kali zu gewinnen, während die organischen Bestandteile und vor allem die wertvolleren stickstoffhal- tigen bei diesem barbarischen Verfahren verloren gingen. Diese Schlempe- verbrennung wurde immer weniger angewandt, weil man Pottasche billiger aus Kalisalzen herstellte, und bei der Schlempeverbrennung ent- stehende üble Gerüche das Einschreiten der Polizei veranlaßten. Ver- bessert wurde dann die Schlempeverwertung wesentlich nach einem von Vincent in Frankreich vorgeschlagenen, von Bueb und Reichard in Deutschland ausgearbeiteten Verfahren, bei dem die Melasseschlempe zuerst in geschlossenen Apparaten der trockenen Destillation unter- worfen wird, wobei sich außer Kohlenwasserstoffen Kohlensäure, Kohlen- oxyd und Wasserstoff auch flüchtige stickstoffhaltige Verbindungen wie Ammoniak, Methylamin und Trimethylamin bilden. Der Destillations-

1) Zeitschr. f. Spiritusindustrie 1917, 5. Juli.

142 : A. Koch u. A. Oelsner:

rückstand, die Schlempekohle, wird auch hier auf Pottasche verarbeitet, die bei der trockenen Destillation gebildeten flüchtigen Produkte aber auf 1000 bis 1100° erhitzt, wobei sich außer Ammoniak auch Cyan- wasserstoff bildet, der in Cyannatrium übergeführt wird. Auch bei diesem Verfahren, das mit anderen Wegen Cyannatrium zu gewinnen in immer schärferen Wettbewerb treten muß, gehen immer noch 40°], des Schlempestickstoffs verloren.

Alt schon sind Versuche, die Schlempe durch Herstellung von Düngemitteln zu verwerten.

Bei Verfütterung der Melasse wird, wie oben bemerkt, ein Teil des Betains im Tierkörper verwertet. Der das Tier ynzersetzt ver- lassende Teil des Betains und ein Teil seiner Abbauprodukte gelangt mit dem Dünger in den Boden und unterliegt dort der Zersetzung durch Bakterien und andere niedere Organismen. Die so entstehenden stickstoffhaltigen Produkte können zur Pflanzenernährung dienen, also düngend wirken. In der Melasseschlempe ist noch viel Betain ent- halten, weil, wie bemerkt, die Hefe Betain nicht verwerten kann. Wird Schlempe zum Düngen verwendet, so wird dieses Betain im Boden durch niedere Organismen in der soeben angedeuteten Weise umgewandelt werden. Von sonstigen düngenden Bestandteilen enthält die Schlempe besonders Kali. Tatsächlich ist die Schlempe ein beliebtes Düngemittel. Nach uns von Herrn Dr. v. Wahl von der Großherzogl. Badischen land- wirtschaftlichen Versuchsanstalt Augustenberg freundlichst besorgten An- gaben wird z. B. die Schlempe der Melassebrennerei Schwetzingen be- sonders für Tabak, Spargel, Runkelrüben und Kartoffeln im Sandboden sehr gern verwendet. Der Wunsch lag daher nahe, diese Schlempe in einen versandfähigen und streubaren Dünger verwandeln zu können, weil die Schlempe wegen ihres Wasserreichtums nicht versandt werden kann. Früher schon sind zahlreiche Vorschläge in dieser Richtung ge- macht worden. Vor allem handelt es sich hierbei aber um die Vermei- dung der Schwierigkeit, daß Betain in Gegenwart von Zersetzungspro- dukten, auch organischen Säuren!) hygroskopisch ist und deshalb Melasse- .schlempedünger klebrig und nicht maschinenstreufätig sind, wenn man die erwähnte Hygroskopizität nicht bekämpft. Dies erreicht Stolzen- berg durch Zusatz von Superphosphat zur Schlempe, weil nach Andrlik das saure phosphorsaure Betain nicht mehr hygroskopisch ist. Die durch die Phosphorsäure in Freiheit gesetzten flüchtigen organischen Säuren können als Nebenprodukt gewonnen werden.

Wilkening in Hannover machte die Beobachtung, daß mit Melasseschlempe wiederholt beschickter Kompost sich bis auf 70° erwärmte und dadurch trocken wurde und neue Schlempe aufnehmen konnte, auch nach schließlicher künst- licher Trocknung ein nicht mehr hygroskopisches Material lie-

1) Stolzenberg, Zeitschr. f. physiol. Chem. 92, 1914.

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 143

ferte. Danach schienen Kompostbakterien das Betain zu zer-

setzen.

Wilkening arbeitete daher ein Verfahren aus, wonach mit Schlempe getränktes Torfmehl mit betainzersetzenden Kompostbakterien geimpft und nachher noch einige Male mit Schlempe von 20° Bé. angefeuchtet wird. Nach diesem Verfahren wird in der großen Melassebrennerei von Kraul & Wilkening G. m. b. H.. in Misburg bei Hannover, die täglich 1000 Zentner Melasse verarbeiten kann, der Schlempedünger Go pol hergestellt, der durch Patente geschützt ist. Diese Fabrikation wird in dem oben zitierten sehr hübschen Artikel von Foth näher beschrieben.

Foth macht folgende nähere Angaben über die Guanolherstellung. Torfmehl wird in Beeten von 30 qm Grundfläche und 1,5 m Höhe auf- geschichtet, mit Schlempe durchtränkt und mit Guanolbakterien in Form von Brühe, die aus einem älteren, reifen Guanolhaufen austrat, geimpft. Die Temperatur in dem Haufen steigt durch die Lebenstätigkeit der Bakterien und wird auf 40 bis 50° gehalten. Eine Berieselung der Haufen mit Schlempe erfolgt nach Einsetzen der Gärung etwa alle 12 Stunden. Das fertige Produkt enthält in der Trockensubstanz 4 bis 41,9%, Stickstoff, höher läßt sich der Stickstoffgehalt nicht steigern, wahrscheinlich weil Stickstoffverluste durch Verdampfung von kohlen- saurem Ammoniak und flüchtigen Aminbasen aus dem Guanolhaufen ein- treten, die auch bei künstlicher Trocknung des Guanols bemerkbar sind und deren möglichste Vermeidung anzustreben ist. Über die wirtschaft- liche Bedeutung der in der Melasse enthaltenen Mengen von Stickstoff und Kali bemerkt Foth, daß in Friedenszeiten in deutschen Melasse- brennereien etwa 8,5°/, der von den Zuckerfabriken erzeugten Melasse == 1 Million Zentner mit 1,6 bis 1,7°/, N und 5°/, K verarbeitet werden, während 53 bis 54°/, Melasse in die Entzuokerungsanstalten gehen, deren Schlempe ebenfalls wie Brennereischlempe zur Guanolherstellung ver- wertet werden kann. Letzterer Punkt bestimmt nach Foth in erster Linie die wirtschaftliche Bedeutung des Guanolverfahrens.

Wenn hiernach im Guanol eine beachtenswerte Erfindung vorliegt und nachdem eine Reihe von Versuchen eine gute Düngewirkung des Guanols ergeben hatten, entstand der Wunsch, die Lebenstätigkeit der Guanolbakterien, besonders hinsichtlich der Betainaufspaltung näher kennen zu lernen. Auch für die oben skizzierten physiologischen und medizinischen Fragen, die sich an die Betaine knüpfen, schien eine solche Untersuchung Interesse zu bieten. Wir haben sie daher in Angriff ge- nommen und berichten im folgenden über die bisherigen Er-

gebnisse.

Zur Gewinnung von Reinkulturen der in der Guanol- fabrikation tätigen Bakterien gingen wir von der Flüssigkeit

144 A. Koch u. А, Oelsner:

aus, die, wie oben bemerkt, aus gärenden Guanolhaufen unten austritt und die wir im folgenden als Guanolextrakt kurz be- zeichnen. Als Nährsubstrat wurde Hefewasser mit 1°/, Betain sowie die von Ehrlich bei seinen Untersuchungen über betain- zersetzende Mikroorganismen verwendete Lösung benutzt, die auf 11 Wasser р

2,0 g Ве{аїп

0,3 g КН,РО,

0,1 g MgSO,

0,1 g NaCl

Spur FeSO, enthält.

Wenn diese Substrate mit Gelatine versetzt waren, wuchsen bei Impfung mit Guanolextrakt darauf meist nur strahlige Kahm-Kolonien, deren Befähigung zur Betainverwertung schon Ehrlich nachwies. Später wuchsen auch Bakterienkolonien aus winzigen Stäbchen bestehend. In Röhrchen gaben beide Organismen in den genannten betainhaltigen Nährlösungen kein Ammoniak. In Kölbchenkulturen mit mehr Luftzutritt in Betainhefewasser setzte Kahm einen kleinen Teil des Betains unter Ammoniakbildung um, die in den Bakterienkulturen mit Betainhefewasser nicht beobachtet wurde. Nun wurden betain- haltende künstliche Nährlösungen nach Ehrlich mit Guanol- extrakt geimpft und geprüft, ob Betain verschwand und Am- moniak auftrat. Zur qualitativen Prüfung auf Betain wurde Dragendorffs Reagens (Wismut-Kaliumjodid) benutzt, das mit den meisten Alkaloiden einen rotgelben flockigen Nieder- schlag gibt.

In Röhrchenversuchen wurde auch hier wieder kein Ver- schwinden des Betains beobachtet. Da aus der Guanolfabri- kation bekannt ist, daß reichlicher Luftzutritt der Betainver- gärung zuträglich ist, wurde Betain zu Erde zugesetzt (0,2 g auf 10 g Erde) und schon nach 6 Tagen mit Dragendorffs Reagens das Verschwinden des Betains festgestellt. Daher wurden nun weitere Kulturen in der Weise angestellt, daß 50 ccm Ehrlichscher Nährlösung in 250 ccm fassende Erlenmeyersche Kolben gebracht und mit Guanolextrakt geimpft wurden; auf ‚diese Weise erhielt die Flüssigkeit große Oberfläche und reich- lichen Luftzutritt. In diesen Kulturen trat nach 14 Tagen

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 145

unter Verminderung des Betains schwach alkalische Reaktion auf, und nach weiteren 14 Tagen war die Betainreaktion ver- schwunden. Sukzessive wurde nun in dieser Weise noch einige Male obige Lösung, in der Betain allein als C- und N-Quelle fungierte und kein Zucker oder Alkohol zugegen war, aus der beschriebenen ersten Rohkultur geimpft, um so die Kultur mit den gesuchten betainspaltenden Bakterien allmählich anzureichern. Mikroskopisch zeigten sich stäbchenförmige Bakterien und Kahm- hefen, erstere herrschten in den sukzessiven Kulturen mehr und mehr vor. Die mit Hilfe von Ehrlichs Lösung und Gelatine hieraus gewonnenen Reinkulturen zersetzten aber weder jede für sich noch gemischt Betain. Dagegen wurde das gewünschte Ziel mit jener Nährlösung und Agar erreicht, worauf der Kahm kaum wuchs. Von diesen Agarplatten wurde eine kleine Stäbchen- form gewonnen, die Betain zersetzt und Ammoniak erzeugt. Trotzdem blieb die Reaktion der Lösung manchmal neutral, die Gegenwart von Ammoniak ließ sich aber doch mit Neßlers Reagens nachweisen. Es muß also gleichzeitig eine das Am- moniak bindende Säure entstehen. Diese Betainbakterien, die wir Betainobacter o nennen, verleihen der Lösung oft eine grün- fluorescierende, mitunter auch eine rötlich gelbe, oft aber nur weißlich trübe Färbung. Es hängt dies mit der Reaktion der Nährlösung zusammen. Zusatz von Säure macht die Kultur gelblichweiß, Zusatz von Lauge macht sie wieder grün. Kolonien auf Ehrlich-Agar erscheinen weiß, umgeben sich aber mit einer grünen Zone und der Farbstoff diffundiert in den Agar hinein. Manchmal kommen unter Parallelkulturen einzelne vor, die weiß bleiben und langsamer Betain zersetzen. Dies ist ja ganz erklärlich, weil dann auch langsamer Ammoniak entsteht und langsamer alkalische Reaktion des Substrates auftritt. Rötliche Kolonien zeigten einzelne Stäbchen etwas länger entwickelt, was vielleicht auch darauf deutet, daß in solchen Kolonien die Bakterien morphologisch nicht normal entwickelt sind, während die grünen Farbstoff produzierenden Kulturen durch die kräftige Betainspaltung zeigen, daß sie physiologisch gut entwickelt sind. Diese betainspaltenden Bakterien sind lebhaft beweg- liche kleine Stäbchen, die zäh zusammenkleben, Gelatine nicht verflüssigen, Milch nicht sauer machen oder in anderer Weise

zur Gerinnung bringen, auf EE gut wachsen, Biochemische Zeitschrift Band 94. 10

146 A. Koch u. A. Oelsner:

` Nitrat zu Nitrit reduzieren. Wird, wie gewöhnlich, der Nitrat- lösung Citronensäure als Energiequelle bei diesen Reduktions- versuchen zugesetzt, so wird unter der Einwirkung unserer Bakterienform die Lösung durch Bildung von Alkalicarbonat stark alkalisch und es scheiden sich deshalb nadelförmige Krystalle von MgHPO, + 3H,O aus. In dieser Richtung unter- scheidet sich also unsere Bakterienform nicht von vielen ande- ren salpeterreduzierenden Bakterien. In Ehrlichs Nährlösung reduziert dagegen bei Gegenwart von Betain unsere Bakterien- form Nitrat nicht.

Der chemische Gang der durch diese Bakterien ausgeübten Betainspaltung wurde nun eingehend mit Hilfe der gewonnenen Reinkulturen untersucht und dabei im besonderen ermittelt, in welcher Form der N des Betains wieder erscheint und was aus dem N-freien Rest wird.

Die benutzte Nährlösung wurde nach Ehrlichs Rezept, aber ohne Zucker und Alkohol, hergestellt, so daß С und N nur durch Betain geliefert wurde und also neben Betain nur anorganische Bestandteile gegenwärtig waren. Alle auftretenden organischen und N-haltigen Spaltungsprodukte können also nur aus dem Betain herrühren.

Das Betain wurde als Betainhydrochlorid zugesetzt und die Lösung mit NaOH neutralisiert. In dieser Flüssigkeit wuchsen unsere Bakterien sehr gut. Die Konzentration des Betains wurde von 0,2 wie sie Ehrlich anwendete, auf 1°/, gesteigert, um größere Mengen von Umsetzungsprodukten zu erhalten. Auch ist 0,2°/, Betain gerade die Grenze, die Dragendorfis Reagens noch anzeigt.

Die sonst übliche Methode, Betain mit Hilfe seines Gold- salzes!) zu bestimmen, wendeten wir nicht an, weil dieses Salz nicht sehr schwerlöslich ist, so daß beim Auswaschen Verluste möglich sind.

Ehrlich hat in seiner Arbeit das Betain überhaupt nicht direkt bestimmt, sondern nur aus der Menge des in die be- teiligten Organismen übergegangenen N berechnet, wieviel Betain zerstört war. Dabei bleibt aber die Frage offen, ob

1) Kutscher in Abderhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden 3, 866/67.

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 147

nicht ein Teil des Betain-N in andere Form übergegangen ist, was bei unseren Versuchen stets der Fall war, in denen sich die Hauptmenge des N als NH, wiederfand. Bei den Ehrlich-Versuchen mit Sproßpilzen wurde dagegen kein Am- moniak gefunden, wohl aber in Kulturen von Aspergillus niger und Penicillium glaucum. In Fällen, wo nicht der ganze Betain-N als NH, oder Bakterien-N in unseren Versuchen wiedererschien, mußte es wünschenswert erscheinen, zu prüfen, ob noch unzersetztes Betain vorhanden war. Wegen der Un- zuverlässigkeit der Goldsalzmethode versuchten wir das Betain angenähert quantitativ mit Hilfe von Dragendorffs Reagens zu bestimmen. In 1 ccm 0,29/,ірег Betainlösung gab 1 Tropfen des Reagens noch Niederschlag, in 1 сет 0,1°/,iger Lösung nur noch rotgelbe Färbung. Eine Betainlösung unbekannten Gehaltes wird nun so weit verdünnt, bis 1 ccm mit 1 Tropfen Dragendorfis Reagens keinen Niederschlag mehr gibt. Dann war die Konzentration 0,1°/, erreicht und daraus läßt sich die ursprüngliche Konzentration berechnen. Auf diese Weise konnten wir in unseren Versuchen den Gang der Betainzersetzung er- mitteln. War das Betain ganz zersetzt, so wurde in einem Teil der Kulturflüssigkeit die Bakterienernte nach Rubner!) gefällt. Das Verfahren besteht darin, daß äquivalente Mengen von Natriumacetat und Eisenchlorid gemischt zu der Kultur- flüssigkeit gesetzt werden. Beim darauffolgenden Sieden fällt Fe(OH), aus und reißt die Bakterien mit zu Boden. Der Niederschlag wird gesammelt und sein N-Gehalt nach Kjeldahl bestimmt. Angewendet wurden hierbei gleiche Mengen einer 8,2°/ igen Lösung von Natriumacetat (1 Mol=82 g) und einer 16,25°/,igen Lösung von Eisenchlorid (1 Mol = 162,5 g).

Dann wurde ein gleiches Volum der Kulturflüssigkeit mit MgO alkalisch gemacht und im Vakuum bei etwa 40° das NH, in titrierte Schwefelsäure übergetrieben. Der verbleibende Rest-N wird nach Kjeldahl bestimmt. Auf diese Weise wird ermittelt, wieviel Betain-N in die Bakterien übergeht und wieviel als NH, erscheint.

Tabelle I bezieht sich auf Bakterien, die durch wieder- holtes Impfen von Guanolextrakt in Nährlösung gewonnen, aber noch nicht rein kultiviert waren.

1) Arch. f. Hygiene 48. 10*

148 A. Koch u. A. Oelsner: Tabelle I.

Hefewasser ohne Betain || Hefewasser mit Betain enthält enthält in 50 com 11,25 mg N in 50 com 68,8 mg N

Ein Parallelversuch war mit einem durch Schwefelsäure gesperrten Gärverschluß verschlossen, um die Ammoniakverdunstung zu ver- hindern. Der Versuch zeigt, daß die befürchtete Ammoniakverdunstung unwesentlich blieb, denn es wurde auch ohne Gärverschluß etwa die ganze N-Menge wiedergefunden, die in der Nährlösung ursprünglich ent- halten war. Andererseits hemmt der durch den Gärverschluß bedingte Luftabschluß die Betainzersetzung sehr stark.

Der Versuch war am 24. V. geimpft und am 19. VI. untersucht. Aus 57,6 mg Betain-N waren also 48,1 mg NH,-N, nur 0,4 mg Bakterien-N entstanden und nur 3,4 mg in der Kulturflüssigkeit in anderer Form zurückgeblieben. Charakteristisch für diese Art der Betainvergärung zum Unterschied von der durch Ehrlich untersuchten Sproßpilzgärung ist also, daß der Betain-N fast vollkommen in Ammoniakform erscheint, während Ehrlich kein Ammoniak findet und annimmt, daß der Betain-N fast vollkommen von den Organismen zum Aufbau ihrer

` Leibessubstanz verbraucht wird.

Weitere Versuche dieser Art wurden mit den von uns rein kulti- vierten betainzersetzenden Bakterien gemacht. In einem Versuch, der annähernd 0,5 g Betain, entsprechend 60 mg N, enthielt, wurden nach fast vollständiger Zersetzung des Betains 42,7 mg NH,-N und 5,6 mg N in der Bakterienernte bestimmt, also ein ähnliches Überwiegen der Ammoniakproduktion wie in den eben erwähnten unreinen Kulturen.

In einer weiteren Versuchsreihe mit unserer Reinkultur, die aus 2 Kulturen zu je 100 ccm bestand, die 12 bzw. 15 Tage nach Aussaat untersucht wurden, fanden wir auch beträchtliche Mengen N in Form von NH,. Die Betainreaktion war bei Abbruch der Versuche schwach, die Farbe der Lösung grün.

Tabelle II. Betain N N als NH, |Ameisensäure mg mg mg mg 735 ` 88 60,2 183,4

735 88 58,1 127,1

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 149

Eine ähnliche Reihe wurde in 2 l-Erlenmeyerkolben mit je 250 com angestellt, so daß die Flüssigkeit große Oberfläche hatte und den Bak- terien also viel Luft zur Verfügung stand. Diese Kolben waren wie alle vorhergehenden nur mit Watte verschlossen. Alle 9 Tage wurde einer dieser Versuche untersucht und zuerst ein Anwachsen der NH,- Menge gefunden, dem nachher ein Sinken des Ammoniakwertes folgt, das nur auf Verdunstung des kohlensauren Ammoniaks zurückgeführt werden kann.

Tabelle Ш.

x Betain Nr. i am Schluß

Genauere Versuche über die Stickstoffbilanz der Betain- gärung, in denen mit Hilfe von Durchlüftungsvorrichtungen das etwa entweichende Ammoniak und Kohlensäure quantitativ aufgefangen wurden, sollen später beschrieben werden. Zu- nächst mögen zu deren Verständnis eine Reihe von Versuchen beschrieben werden, die den Verbleib der sonstigen Kompo- nenten des Betains außer N bei der Vergärung durch Guanol- bakterien feststellen sollten. Zunächst wurde in Versuch 2 der Tabelle II auf Bildung eines Alkohols geprüft, aber ohne Er- folg, denn das Destillat zeigte das spez. Gewicht = 1. Die Erfahrung, daß gelegentlich in den Versuchen die Flüssigkeit neutral reagierte und doch mit Neßlers Reagens Ammoniak- bildung nachgewiesen wurde, zeigte, daß eine oder mehrere Säuren entstanden sein mußten. Nichtflüchtige organische Säuren wurden aber nur in Spuren gefunden, wenn nach Ab- treibung des Ammoniaks die Rückstände mit Äther ausge- schüttelt wurden (Versuche. der Tabellen II und П). Es war also keine Glykolsäure vorhanden, die nach Ehrlich durch Willia anomala aus Betain entsteht.

"Dagegen ließen sich beträchtliche Mengen flüchtiger organischer Säuren durch Wasserdampf aus unseren Kul- turen übertreiben. Die Destillate wurden mit Ba(OH), neu- tralisiert eingedampft und der Rückstand dann in BaSO, über-

150 A. Koch u. A. Oelsner:

geführt und gewogen. Daraus ergab sich ein Ba-Gehalt des organischen Salzes der etwas unter dem der Ameisensäure (60,35 DA lag. Versuch 2 der Tabelle III ergab bei der Destillation:

1. Fraktion 500 ccm Ba-Gehalt 57,9 9,

a e 500 » » 586%,

3. nm 1000 » » 59,08 5

Ähnliche Werte wurden in Versuch 2 der Tabelle III er- halten. Wahrscheinlich ist hiernach, daß neben Ameisen- säure etwas Essigsäure entsteht, die in ihrem Bariumsalz 53,72 °/„ Ba enthält und dadurch den Ba-Gehalt des ge- mischten durch Destillation erhaltenen Salzes etwas drückt.

Qualitativ war mit der Silberreaktion Ameisensäure in dem er- wähnten Salzgemisch deutlich nachzuweisen. Die Essigsäurereaktion mit Eisenchlorid versagte dagegen, und es trat nur eine rote Farbe und keine Fällung beim Kochen auf. Wahrscheinlich sind hiernach aber doch kleine Mengen Essigsäure vorhanden und nur die Konzentration für den typischen Ausfall der qualitativen Reaktion zu gering. Wir fanden z. B., daß 0,2 ccm einer 2°/,igen Lösung von Natriumacetat mit 0,5 ccm einer 10°/,ige Lösung von FeCl, in der Wärme zwar eine Rot- färbung, aber keine Fällung gibt.

In der Hauptsache entsteht jedenfalls Ameisensäure viel- leicht aus Trimethylamin, das Ammoniak und Methylalkohol bildet, woraus durch Oxydation Ameisensäure entstehen würde.

(CH,),N -+ 3 H,O = NH, + 3CH,OH СН,ОН + 20 = HCOOH + H,0

Trimethylamin ist zwar bei unseren Versuchen nie nach- zuweisen gewesen, ebensowenig wie in denjenigen Ehrlichs, während Ackermann bei Fäulnis von Betain Trimethylamin und Ammoniak fand und auch Frl. Dr. Hövermann in unserem Institut bei Impfung von Betainhefewasser mit Kom- posterde Trimethylamin entstehen sah. Aus Guanolextrakt konnten wir auch Trimethylamin abdestillieren, und das Guanol riecht überhaupt stark nach diesem Körper. Es gibt also jedenfalls von unserer Bakterienform zu unterscheidende Arten, die Trimethylamin in größerer Menge aus Betain bilden.

Den Methylalkohol als Vorstufe der Ameisensäure konnten wir in jungen, 3 Tage alten, noch ameisensäurefreien Kulturen nach Pendler und Mannich!) nachweisen.

1) Apoth.-Zeitg. 25, 369.

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 151

Diese Methode beruht darauf, daß Methylalkohol in saurer Lösung durch Kaliumpermanganat oxydiert und als Formaldehyd durch Blau- färbung von Morphinschwefelsäure nachgewiesen wird. Die nicht mit Permanganat oxydierte Kultur gibt die Reaktion nicht, das Form- aldehydstadium wird also ‚bei der Bildung von Ameisensäure schnell durchlaufen.

Zur Prüfung dieser Schlußfolgerungen wurden noch die verschiedenen mutmaßlichen C- und N-haltigen Abbauprodukte des Betains neben den nötigen anorganischen Salzen unseren Bakterien dargeboten, nämlich:

1. Ammoniumformiat -+ Trimethylamin

2. -+ Methylalkohol 3. » 4. Trimethylaminacetat В. -+ Ammoniumformiat 6. Ammoniumacetat 1. H —- Methylalkohol 8. n + Trimethylamin 9. Trimethylamin + Lävulose 10. Methylalkohol -+ Ammonphosphat

Wachstum trat nur in 1 und 2 und besser noch in 10 ein. Von den Ammoniumsalzen war 1g, von Trimethylamin und Methylalkohol 1 ccm auf 100 ccm Lösung gegeben.

Trimethylamin, Methylalkohol und Ameisensäure sind dem- nach Verbindungen, die im Chemismus der Betainspaltung durch unsere Bakterienform eine Rolle spielen, Essigsäure da- gegen nicht; vielleicht sind Acetate auch giftig für unsere Bakterienart.

Da nun aber bei weitem nicht der gesamte C des zer- setzten Betains als Ameisensäure wieder erscheint (Tabelle II), entstand der Verdacht, daß beträchtliche Mengen C als CO, aus der Kultur entweichen. Vielleicht könnte auch etwas N als NH, verloren gehen. Deshalb wurden Durchlüftungs- versuche angestellt, die diese Produkte aufzufangen gestatteten.

Als Kulturgefäß wurde ein Kolben gewählt, der eine aufgeschliffene Kappe mit Gasableitungsrohren trug. Vorgelegt wurde eine Wasch- flasche mit titrierter Schwefelsäure zur Absorption des entweichenden Ammoniaks, dann ein Pettenkofer-Rohr mit Barytwasser, um die ent- weichende CO, aufzufangen. Tag und Nacht wurde ein langsamer, CO,-freier Luftstrom durchgesaugt. Der Versuch stand in einem gut

152 A. Koch u. A. Oelsner:

geheizten Zimmer. Das Kulturgefäß enthielt 100 cem Ehrlich-Lösung und 1°/, Betain, entsprechend 119,6 mg N und 2,649 g H,CO,.

Schon am Tage nach der Impfung (14. II.) entwickelt die Kultur Kohlensäure, sichtbar an der Trübung des Barytwassers im Pettenkofer- Rohr, und diese Kohlensäurebildung bleibt eine längere Zeit etwa 7 Tage sehr rege, um dann noch längere Zeit langsam weiterzu- geben, wie die unten folgende Tabelle zeigt. Die anfangs schwach- alkalische Kultur wird sauer in einem undurchlüfteten Parallelversuch, und erst am 4. III. wieder schwachalkalisch und das ist wohl der Grund, warum nur sehr wenig NH, entweicht, nämlich nur 10 mg NH,-N.

Kohlensäureproduktion aus Betain. Stunden- mg Н,С0, ше Н,С0,

Datum zahl pro Stunde 14. u. 15. П. 55,8 1 16. 26 235,0 9 17. 24 245,1 10 18. 8 123,6 15 18. bis 19. 18 175,8 10 19. bis 20. 21 , 216,8 10 20. bis 21. 24 138,6 6 21. bis 22. 24 96,8 4 22. bis 23. 24 131,1 5 23. bis 24. 26 97,5 4 24. bis 25. 24 57,6 2,5 25. bis 26. 30 53,0 2 26. bis 28. 48 54,0 1 28. II. bis 6. III. 144 100,5 11, 6. Ш. bis 11. III. 144 43,65 1, 1824,8

Die Untersuchung des ungelüfteten Parallelversuchs ergab eine geringe bis negative Betainreaktion mit Dragendorfis Reagens. Die Wasserdampfdestillation ergab in der ersten Fraktion ein Salz von 58,38 °/), Ba, in der zweiten Fraktion ein Salz von 58,15 °/, Ba, so daß auch hier Ameisensäure mit ein wenig Essigsäure vorlag. Im ganzen wurden 0,2032 g Bariumsalz erhalten. Die Ammoniakdestillation mit MgO im Vakuum ergab

89,3 mg NH,-N, Rest-N der Kultur 28,6 „, Summe 117,9

Das angewandte Betain enthielt dagegen 119,6 mg N.

Die Untersuchung des gelüfteten Versuchs ergab mit Dragen- dorfis Reagens nur eine Reaktion entsprechend 0,1 bis 0,29, Betain; die Flüssigkeit war alkalisch gegen Lackmus.

1) Die Magnesia schließt bei der Ammoniakdestillation etwas N ein und darf daher nicht abfiltriert, sondern muß bei der Kjeldahl-Be- stimmung des Reststiokstoffs in Schwefelsäure gelöst werden.

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 153

Die Wasserdampfdestillation ergab іп der 1. Fraktion 56,86°/, Ba. AN е s 57,6°/, Ba.,

so daß auch hier Ameisensäure mit etwas Essigsäure vorliegt. Im ganzen wurden 0,1779 g organisches Salz gefunden 97 mg Н,С0,, wenn das Salz als Formiat gerechnet wird. Als H,CO, sind aufgefangen 1,825 g, also zusammen 1,922 g, während der gesamte C des Betains 2,649 g er- geben müßte. Der Rest ist zum Teil in den Bakterien festgelegt, zum Teil in noch unzersetztem Betain enthalten.

Die N-Bilanz des Versuchs ergab, daß

10 mg NH,-N in der vorgelegten Säure aufgefangen waren, 78,5 mg NH,-N durch Vakuumdestillation erhalten, 32,7 mg Rest-N in der Kultur gefunden wurde. Sa. 121,2 statt 119,6 mg im Betain.

Wieviel N in den Bakterien festgelegt wird, wurde schon oben in Versuch 4 der Tabelle III bestimmt und golche Versuche jetzt noch- mals wiederholt. 2 Versuche mit je 100 com Ehrlich-Lösung mit 1g Betain = 119,6 mg N wurden nach 17 Tagen nach der oben angegebenen Methode, d. h. Fällung der Bakterien nach Rubner und Untersuchung des Niederschlages nach Kjeldahl geprüft und in

Versuch 1 26,3 mg Bakterien-N n 2 252 n n

gefunden, während der oben angeführte frühere Versuch 21,8 mg Bak- terien-N aus 176 mg Betain-N, also eine ähnliche Zahl ergab. Wir können daher 26 mg für Bakterien-N in den soeben beschriebenen Durchlüftungs- versuchen als wahrscheinlichen Wert einsetzen und finden dann, daß der analytisch ermittelte Rest-N größtenteils Bakterieneiweiß-N ist. Von 119,6 mg Betain-N waren also 26mg in Bakterienkörpersubstanz fest- gelegt, der gesamte Rest aber als Ammoniak ausgewiesen. Unsere Bakterienform spaltet demnach quantitativ das Ammoniak von der Aminosäure Betain ab, denn der kleine zum Bakterienaufbau verwendete Stickstoffanteil erscheint wahrscheinlich auch zunächst als Ammoniak und wird dann in dieser Form von den Bakterien assimiliert. In dieser Hinsicht schließt sich .diese Betaingärung anderen, z. B. von Fäulnis- bakterien durchgeführten Vergärungen von Aminosäuren an.

Da wir Kohlensäure in großen, Methylalkohol und Ameisensäure in kleinen. Mengen bei unserer Betaingärung nachgewiesen hatten, prüften wir, ob Methylalkohol, beziehungsweise Ameisensäure weiter zu Kohlen- säure von unseren Bakterien verbrannt wird.

Oxydation von Methylalkohol.

100 eem Ehrlichs Nährlösung ohne Betain wurde mit 1 com reinem, wasserfreiem Methylalkohol und 1 g Ammonphosphat als Stick- stoffquelle versetzt, mit Natronlauge neutralisiert und mit unseren Bak- terien geimpft. Wachstum tritt am 2. Tage kräftig ein, die Lösung färbt sich grünlich.

154 A. Koch u. A. Oelsner:

Nachdem dieser Vorversuch gelungen war, wurde ein ebensolcher Versuch als Durchlüftungsversuch unter Benutzung der oben beschriebenen Apparatur und Vorlage eines mit Barytwasser gefüllten Pettenkofer- Rohres angesetzt. Am 3. Tage bei Zimmertemperatur beginnt die Kohlen- säurebildung, am 5. Tage färbt sich die Kulturflüssigkeit durch Bakterien- wachstum grünlich. Nach 14 Tagen schien keine Kohlensäure mehr zu entstehen, der Versuch wurde daher abgebrochen.

Zeit der Durchlüftung Produzierte H,CO,

30. У. bis 6. VI. 172,0 mg

6. VI. » 11. VI. 65,0 »

11. VI. » 13. VI. 32,6 » 269,6 mg

Da 1 ccm Methylalkohol 0,797 g wiegt, so müßte daraus im Höchstfall 1,546 g H,CO, entstehen; da wir nur 269,6 mg fanden, war also nur ein Teil des Methylalkohols zu Kohlensäure oxydiert. Weiter wurde die Kulturflüssigkeit auf etwa entstandene Ameisensäure untersucht.

Zunächst wurde ein undurchlüfteter Parallelversuch ohne Erfolg auf Ameisensäure geprüft, in dem mit Wasserdampf übergetriebenen Destillat des gelüfteten Versuches aber trat nach Neutralisation und Eindampfung auf Zusatz von salpetersaurem Silber nach kurzer Zeit deutliche Braunfärbung auf, so daß geringe Mengen von Ameisensäure entstanden waren. Das Destillat reagierte gegen Lackmus nicht, wohl aber gegen Methylrot schwach sauer.

Es wurde nun versucht, ob unsere Bakterien auf Nährlösungen mit Ameisensäurezusatz als Kohlenstoffquelle wachsen.

Zunächst wurde in Anlehnung an einen von Omelianski') be- schriebenen Versuch mit anderen ameisensäureverzehrenden Bakterien eine Lösung aus 50 com Leitungswasser, 2°/, ameisensaurem Kalk und 0,2%, Pepton mit unseren Bakterien geimpft. Sie wuchsen äußerst schwach, bildeten aber doch die von Omelianski beschriebenen, Sphäro- krystalle von kohlensaurem Kalk, die sich unter dem Mikroskop in Essigsäure unter Gasentwicklung lösten. Ein entsprechender Versuch mit Ehrlich-Lösung ohne Betain mit 19%, Ammonphosphat und 2°, ameisensaurem Kalk ergab dagegen keine Bakterienentwicklung.

100 eem Ehrlich-Lösung ohne Betain mit 1 oder 0,5 oder 0,1 g ameisensaurem Ammon ebenso wie die folgenden mit NaOH neutralisiert oder 50 ccm Ehrlich-Lösung ohne Betain mit 1°/, Ammonphosphat mit 1%, oder 0,1°/, ameisensaurem Natrium, geben nach Beimpfung mit unseren Bakterien kein Wachstum. Ameisensäure kann also unseren betain- zersetzenden Bakterien nicht als C-Quelle dienen. Um zu sehen, ob Ameisensäure vielleicht als Gift wirkt, wurde zu der Nährlösung mit 1°/, Betain ein Zusatz von 0,1°/,, bzw. 0,05°/,, bzw. 0,01°/, Ameisen- säure neutralisiert mit NaOH gegeben. Wachstum ergab sich nur bei Gegenwart von 0,05°/, und 0,01°/, Ameisensäure, während die Konzen-

1) Centralbl. f. Bakt. II, 11.

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 155

tration von 0,1°/, das Wachstum in der sonst so günstigen betainhaltigen Nährlösung verhindert. Ameisensäure ist also in Mengen über 0,05°/, giftig für unsere Bakterien. Aber auch bei Gegenwart kleinerer Mengen wachsen diese nur bei Gegenwart von Betain, so daß also Ameisensäure als Kohlenstoffquelle hier untauglich ist.

Die Ameisensäure wirkt dabei vorzugsweise schädlich auf die Bakterienvermehrung, weniger auf die sonstige Lebenstätigkeit fertiger Bakterien, denn als in Ehrlich-Lösung mit 1°/, Betain nach 2 Tagen kräftige Bakterienvermehrung eingetreten, aber Betain noch vorhanden war, wurde nachträglich 0,1°/, Ameisensäure neutralisiert mit NaOH zu- gesetzt und beobachtet, daß die Bakterien am Leben blieben und das Betain restlos innerhalb von 14 Tagen verschwand.

Nach dem Ergebnis dieser Vorversuche mußten wir darauf ver- zichten, die vermutete Bildung von Kohlensäure aus Ameisensäure durch unsere Bakterien experimentell zu beweisen, weil unsere Bakterien nur dann bei Gegenwart von Ameisensäure wuchsen, wenn noch außerdem Betain oder Pepton gegeben wurde, aus denen etwa entstehende Kohlen- säure ebensogut wie aus Ameisensäure stammen konnte. Ein scharfer Nachweis, daß aus Ameisensäure Kohlensäure entstände, war daher nicht möglich. Im übrigen ist die Fähigkeit zur Ameisensäurevergärung schon bei zahlreichen Bakterienarten nachgewiesen, worüber die ältere Literatur bei Omelianski'), die neuere in den Arbeiten von Franzen und seinen Mitarbeitern nachzusehen ist. In mehreren dieser Arbeiten, so bei Omelianski, Hoppe-Seyler, Pakes und Jollyman, handelt es sich um die Spaltung der Ameisensäure in CO, und H,, also dieselbe, die auch bei Anwendung von metallischen Katalysatoren, wie Rhodium, Quecksilberoxyd oder Silberoxyd auftritt. Unsere Bakterien müssen Ameisensäure wenn überhaupt in anderer Weise zersetzen, weil in der nach Omelianski eingerichteten Kultur, wo aus ameisensaurem Kalk kohlensaurer entstand, keine Gasbildung zu erkennen war. Deshalb muß unser Betainobacter von Omelianskis B. formieicum verschieden sein, das zum Unterschied von Betainobacter auch die Nährlösung nicht grün färbt und nicht in Gegenwart von Methylalkohol wächst. Milch wird von B. formicicum koaguliert, von Betainobacter nicht.

Die Umsetzung des Betains durch unseren Betainobacter o ergibt nach unseren Untersuchungen Ammoniak, Ameisensäure und Kohlensäure, außerdem intermediär Methylalkohol; dem- nach kann man sich ihren Verlauf vielleicht wie folgt vor- stellen:

1) Omelianski, Centralbl. f. Bakt. II, 11, 177. Franzen und Greve, Zeitschr. f. physiol. Chem. 70, 19. Kahlenberg, Bildung und Vergärung von Ameisensäure durch B. coli commune. Diss. Heidel- berg 1911. Franzen und Egger, Zeitschr. f. physiol. Chem. 79, 177; 83, 226; 88, 73; 90, 311.

156 A. Koch u. A. Oelsner: 1) (СН,),СН,СОО +- H,O = (CH,),N + CHOH + СО,. | |

Aus dem Trimethylamin entsteht Methylalkohol und Am- moniak:

2) (CH,),N + 3H,0 = 3CH,0H + NH,-

Da Trimethylamin nicht nachweisbar ist, kann man Glei- chung 1) und 2) zusammenfassen und auch annehmen, daß die Spaltung direkt nach diesem Schema verläuft:

3) (CH,),NCH,COO + 4H,0 = NH, -+ 4CH,OH LOGO. ech

Der Methylalkohol wird zu Ameisensäure oxydiert: 4) 4CH,OH +80 = 4 HCOOH + 4H,0. Zusammengefaßt ergeben diese Gleichungen folgende: 5) (CH,), NCH,COO + 4H,0 +80 =4HCOOH + NH,

SS -++ CO, + 4Н,0. Die 4 Wassermoleküle wechseln sozusagen nur ihren Platz; läßt man sie fort, so ergibt sich folgende Gleichung: 6) ICH EE -+ 80 = 4 НСООН -+ NH, + СО,.

Die entstehende Ameisensäure wird weiter zu CO, und H,O oxydiert: 7) 4 HCOOH + 40 = 4 H,0 + 4 C0,- Vereinigt man diese Gleichung mit Nr. 6), so ergibt sich: 8) (CH,),NCH,C00 -+ 120 = 4 H0 -++ NH, + 5С0,.

Nach dieser endgültigen Gleichung für die von uns unter- suchte Betainersetzung handelt es sich um eine reine Oxy- dation, wofür auch das große Luftbedürfnis des Betainobacter o spricht, das wir oben hervorgehoben haben.

Die von uns untersuchte Spaltung des Betains verläuft also anders als die von Willia anomala bewirkte, die Ehrlich studierte. In unserem Falle werden die 4 Methylgruppen der quaternären Ammoniumbase sämtlich von dem Betainobacter in Methylalkohol übergeführt, nur mit dem Unterschied, daß die drei im Betainmolekül zusammenstehenden Methylgruppen zuerst vielleicht vorübergehend Trimethylamin geben. Der Umstand, daß die eine Methylgruppe am Wasserstoff substituiert ist, bedingt in der Umsetzung durch Betainobacoter keinen wesentlichen Unterschied, wohl aber in der von Ehrlich untersuchten, wo aus dieser Gruppe Glykolsäure entsteht. Zu erklären bleibt noch, wie die von uns beobachteten geringen Mengen Essigsäure entstehen. Sie verdanken ihre Bildung vielleicht einem Vorgange, den folgende Gleichung veran-

schaulicht: (CH,),NCH,C00 + H, = (CH,),N + CH,COOH. [> ad wi)

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 157

Der nötige Wasserstoff könnte vielleicht in der von Omeliansky bei B. formicicum studierten Weise aus Ameisensäure entstehen, aber in so kleiner Menge, daß keine Gasblasen in den Kulturen sichtbar werden.

Wir haben auch nachgeforscht, ob wir die in den reinen Betaingärungen gefundenen Umsetzungsprodukte auch in der Guanolflüssigkeit, die in der Guanolfabrikation aus den Guanol- beeten austritt und die eine durch Betainbakterien vergorene Melasseschlempe darstellt, nachweisen könnten.

Ammoniak war durch Vakuumdestillation bei 40° unter Zusatz von MgO leicht in Guanolflüssigkeit nachzuweisen, z. B. in 100 ccm 0,753 g Gesamt-N und davon 0,296 g Ammoniak-N, in anderen Fällen weniger. Außerdem ist im Guanol ein reichlicher Ammoniakgehalt schon durch den Geruch festzustellen.

Auch Trimethylamin konnte durch Vakuumdestillation von Guanol- flüssigkeit nachgewiesen werden. Im Destillat traten auf Zusatz von Goldchlorid schnell die charakteristischen sohwerlöslichen Krystalle auf.

Wir lassen es einstweilen dahingestellt, ob unser Betainobacter & dieses als Zwischenprodukt der Betainzersetzung vermutete Trimethyl- amin in der Schlempe tatsächlich bildet oder ob andere Bakterien der Guanolfabrikation dies besorgen. Derartige Formen sind ja, wie oben bemerkt, schon von Ackermann und auch in unserem Institut von Frl. Dr. Hövermann in unreinen Kulturen gefunden. Ameisensäure war ebenfalls in Guanolflüssigkeit nachzuweisen. Durch Wasserdampfdestil- lation unter Zusatz von Schwefelsäure fanden wir ein Säuregemisch, das nach Neutralisation mit Ba(OH), ein Salz von

64,4°/), Ba: 1. Fraktion 63,0%, n 2. n 62,8%, n 3. n

gab, während Bariumformiat 60,35%, Ba enthält. Demnach dürfte vor- zugsweise Bariumformiat vielleicht mit etwas Bariumcarbonat vorgelegen haben. Destilliert man Guanolflüssigkeit im Vakuum bei 40° mit Zusatz von etwas Schwefelsäure, so tritt auch Trübung von vorgelegtem Baryt- wasser auf, wodurch ebenfalls Kohlensäure nachgewiesen wird. Rechnet man die ganze übergegangene Säure als Ameisensäure, so fanden wir in 100 cem Guanolflüssigkeit 659 mg Ameisensäure. Dieser Säure standen 77,6 mg Ammoniak-N gegenüber, so daß ein beträchtlicher Überschuß schon an flüchtiger Säure allein vorhanden war.

Die hier gefundene Ameisensäure braucht nun aber nicht durch Bakterien aus Betain entstanden zu sein, da Melasse und auch Melasse- schlempe beträchtliche Mengen Ameisensäure enthalten. Dünnschlempe ergab mit Wasserdampf destilliert ein Destillat, das mit Baryt neutrali- siert in der

158 A. Koch u. A. Oelsner:

1. Fraktion 60,6%, Ва 22 n 622% » 3. » 64,0%, » 4. n 62,9%, » 5. n 62,19, »

ergab, so daß auch hier vorzugsweise Ameisensäure, und zwar 375,8 mg aus 100 eem Dünnschlempe übergegangen sind. Dieser Nachweis von Ameisensäure in der Guanolflüssigkeit zeigt, daß die vermutete Fähigkeit der Guanolbakterien und speziell des Betainobacter a Ameisensäure durch Oxydation zu zerstören, jedenfalls nicht sehr groß ist.

Wir haben auch versucht, Betainobacter & in Schlempe zu kulti- vieren. Diese Dickschlempe enthielt 2,85 g N in 100 eem: also da nach Stanek 65°/, des Schlempestickstoffs auf Betain entfallen, enthielt diese Schlempe 15,5°/, Betain. Betainobacter x wuchs in dieser Schlempe, wenn sie mindestens 10fach verdünnt wurde; 5fache Verdünnung ge- nügte nicht. Auch in Ehrlich-Lösung liegt die Wachstumsgrenze unserer Bakterien zwischen 1 und 5°/, Betain. Während Ehrlich-Lösung mit 1°], Betain starkes Wachstum zeigt, blieben Versuche mit 59, bzw. 10°/, Betain, die mit unseren Bakterien geimpft waren, steril.

Die Unmöglichkeit, in zu konzentrierter Dickschlempe zu wachsen, beruht aber wohl nicht nur auf zu hohem Gehalt an Betain allein, son- dern auch andere Salze werden hierbei hindernd wirken.

Neutralisation der Dickschlempe mit CaCO, genügt nicht, um dies Wachstum des Betainobacters zu ermöglichen. Der Säuregehalt der Schlempe hindert also nicht das Wachstum der Bakterien. Wenn bei genügender Verdünnung Betainobacter in Schlempe wächst, so tritt alkalische Reaktion auf.

Über den landwirtschaftlichen Wert des Guanols als stick- stoff- und kalihaltiger Dünger wollen wir hier nicht näher reden, sondern in dieser Hinsicht auf die Mitteilung von Koch!) ver- weisen, in der auch Versuche über die Umsetzung des Guanol- stickstoffs durch Bodenbakterien und seine Überführung in salpetersaure Salze, als die für die Pflanzen praktisch wich- tigste Stickstoffform beschrieben sind. Hier sei zu der zitierten Arbeit nur nachgetragen, wie Guanol als Dünger auf die Ernte in Versuchen gewirkt hat, die in jener früheren Arbeit nur nach dem Ergebnis des Jahres 1915 aufgeführt, seither aber fortgesetzt wurden.

Es handelt sich hierbei um drei verschiedene Gaben von Guanol,

gegeben in Blechtöpfe mit је 15,95 kg trockenen Gemisches von 2 lehmigem Ackerboden mit !/„ Buntsandsteinsand. Zum Vergleich wurde

1) Fühlings landw. Ztg. 1916.

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 159

eine Guanolprobe sterilisiert dem Boden zugesetzt, um zu prüfen, ob die Guanolbakterien günstig auf den Boden und damit auf die Pflanzenernte wirken. Weiter wurden Vergleichsversuche mit der gleichen Menge N wie im Guanol, aber in Form von salpetersaurem Natron, also einem vorzüglichen Düngemittel, angestellt. Das verwendete Guanol enthielt 48,3°/, Trockensubstanz und in dieser 3,77°/, Stickstoff. Kali enthält das Guanol gewöhnlich etwa 14°],.

Zum Vergleich wurden auch einige Versuche mit Torf angestellt, um den Einfluß dieses Bestandteiles des Guanols auf die Pflanzenent- wicklung zu ermitteln.

Die Zahlen der Tabelle bedeuten Gramm lufttrockene oberirdische Erntesubstanz. Nur bei der Zuckerrübe wurde auch die unterirdische Ernte ermittelt. ‚In jeder Reihe sind 5 Parallelversuche aufgeführt, in 1917 wurden die Töpfe nicht bepflanzt, infolgedessen blieb der im Boden entstehende Salpeter in diesem Jahre unverbraucht und die Ernte in 1918 war verhältnismäßig hoch.

Die Erntesumme aus den 3 Versuchsjahren zeigt ein deutliches An- steigen mit zunehmender Guanolgabe. Die Ernte wurde wenig beein- flußt, wenn gleiche Mengen Stickstoff einmal als Guanol, im anderen Falle als Chilesalpeter gegeben wurden. Im ersteren Falle kommt in- dessen die düngende Wirkung des Kalis zu der des Stickstoffs hinzu.

Da sterilisiertes Guanol ebenso wirkt wie unsterilisiertes, tritt eine die Pflanzenentwicklung begünstigende Wirkung der Guanolbakterien hier nicht hervor. Vielleicht waren die fraglichen Bakterien auch im un- sterilisierten Guanol schon abgestorben. Auf weitere Einzelheiten soll hier nicht eingegangen werden und in dieser Hinsicht nur auf die zitierte Arbeit von Koch verwiesen werden. In dieser Arbeit ist auch erwähnt, daß Guanol giftig auf Bodenbakterien und bei allzu starker Gabe auch auf höhere Pflanzen wirken kann. Eine Gabe von 30 g Guanol auf mit Sellerie nachher bepflanzte Blumentöpfe, die je 5 kg Erde enthielten, ließ die gedüngte Pflanze anfänglich deutlich schwächer wachsen. Nach- her wurde diese Schädigung aber überwunden, und die gedüngten Pflanzen übertrafen schließlich die ungedüngten sehr erheblich.

Giftig wirkt Guanol auch auf Schnecken, die nach Beobachtung eines praktischen Landwirtes sich dadurch von Roggensaaten abhalten lassen. Von uns zur Nachprüfung dieser Angabe eingefangene und mit Guanol bestreute Nacktschnecken bildeten stark Schleim und ver- endeten bald.

Weiter schien uns mit Guanol gedüngter Spinat regelmäßiger auf- zugehen wie ungedüngter. Da nun aus einem Flugblatt der Kaiserlichen biologischen Anstalt in Dahlem bekannt war, daß Spinatkeimpflanzen auch bei feldmäßigem Anbau oft durch Pythium debaryanum zum Um- fallen und Absterben gebracht werden und da Frau Dr. Kyropoulos sich in unserem Institut mit einem anderen Pilz beschäftigte, der Kohl- sämlinge!) zum Umfallen bringt, so lag nahe, zu vermuten, daß Guanol-

1) Centralbl. f. Bakteriol. II, 45, 1916.

160 ' А. Koch п. A. Oelsner:

3 g Guanol 1916

Ohne Guanol | 1916 | 1918

1918

97,35 | 19,3 6,3 29,05 | 18,5 40,6

24,8 | 16,8 7,6 29,7 | 17,8 50,9

274 | 13,6 6,5 26,9 | 146 6,5 39,8

29,4 | 20,0 5,0 27,5 11,8 6,3 46,4

27,9 | 181 6,6 30,6 | 112 | 10,6 37,0

Sa.:136,85 | 80,8 | 32,0 143,75 | 68,9 | 864 | 214,7 Sa. der 3 Jahre: 438,6 463,75

5 g Guanol 10 g Guanol 1915 | 1916 | 1918 | 1915 | 1916 | 1918

29,9 28,9 30,5 31,7 81,8

Sa.:152,3 За. der 3 Jahre: 481,3

5 g steriles Guanol 5 g Torf 1915 1916 1918 1915 | 1916 1918 Buchw.

Sa. der 3 Jahre: 478,7 404,3

Stickstoff = 5 g Guanol in Form von Chilesalpeter

1915 1916 1918 Buchw.

10 g Torf

1916 | 1918

Sa. der 3 Jahre: 442,3

Betainspaltung durch die Bakterien des Melasseschlempedüngers. 161

Fortsetzung der Tabelle von S. 160.

Stickstoff = 10 g Guanol in Form von Chilesalpeter

1915 | 1916 | 1918

Buchw. Rüben | Blätter | Buchw. 43 | aal 72 aen

411 14,1 7,0 44,1 36,4 | 17,8 5,1 38,8 32,3 15,9 6,1 87,2 40,8 16,6 52 45,0

Sa.:194,9 | 86,1 Sa. der 3 Jahre: 514,2

düngung Pythium debaryanum schädigt und deshalb den Spinat regel- mäßiger aufgehen läßt. Diese Vermutung wurde durch Versuche an Kohlsämlingen bestätigt. Töpfe von 12 ccm Durchmesser wurden mit steigenden Mengen Guanol gedüngt und bemerkt, daß bei 10 g Guanol pro Topf die Sämlinge noch umfielen, der Pilz also am Leben blieb; bei 20 und 30 g Guanol wurde der Pilz dagegen geschädigt und die Säm- linge fielen deshalb nicht um, Bei noch stärkerer Guanoldüngung wirkte das Gift des Guanols auch auf die Sämlinge selbst, so daß diese in der Entwicklung zurückblieben. Welcher Art dieses hiernach auf Schnecken, höhere Pflanzen, Pilze und Bakterien wirkende Gift im Guanol ist, muß noch unentschieden bleiben. In bezug auf Spinatkeimung wirken auch die Nährstoffe des Guanols günstig. Wir ersetzten den Stickstoff einer Guanoldüngung von 10 g auf 5 kg Erde durch entsprechende Mengen schwefelsauren Ammons oder Chilesalpeters und säten Ende Oktober im kalten Mistbeet diese Versuchstöpfe mit Spinat an. Anfang Dezember waren die Guanoltöpfe am besten entwickelt, am schlechtesten die un- gedüngten, in der Mitte standen die mit schwefelsaurem Ammon oder Chilesalpeter gedüngten. Um zu sehen, ob die hiernach hervortretende Überlegenheit des Guanols auf seinem Gehalt an Kali oder auf dem die Keimlingspilze schädigenden Giftstoffe beruhe, wurden Anfang Januar im Zimmer wieder je 300 Korn Spinatsamen іп drei je 5 kg Erde fassende Biumentöpfe gelegt. Eine Serie erhielt 10 g Guanol pro Topf, eine andere die entsprechende Gabe Stickstoff als Chilesalpeter und ebenso Kali als kohlensaures Kali, eine andere nur Kali. Es gingen von je 300 Samen auf in:

ungedüngt . . .. 2... 161 Kali allein ....... . 164 Kali und Stickstoff . . . . 18 Guanol. . a as a 2220. 188

Demnach wirken auch die Nährstoffe des Guanols zusammen günstig auf den Aufgang des Spinats; Stickstoff und Kali wirken jeder für sich allein weniger günstig.

Biochemische Zeitschrift Band 94. 11

162 A Roch u.A.Oelsner: Betainsp.d.d. Bakt.d. Melasseschlempedüngers.

Der beschriebene Versuch mit Kohlsämlingen scheint uns aber zu der Annahme zu berechtigen, daß außerdem ein die Keimlingspilze schädigender Giftstoff die normale Entwicklung der Sämlinge bei rich- tiger Bemessung der Guanolgabe begünstigt und sicherstellt. Vielleicht ist dieses Gift die von uns im Guanol nachgewiesene Ameisensäure, deren Giftwirkung auf niedere Organismen ja bekannt ist und Veranlassung zur Verwendung der Ameisensäure als Konservierungsmittel gab. Zu er- innern ist auch daran, daß Betain selbst eine gewisse schädliche Wirkung zeigt, da, wie Arnt Kohlrausch mitteilt und bestätigt, Waller und Plimmer Blutdrucksenkung bei Katzen, und Waller und Sowton ` Nervenlähmung beim Frosch durch Betain fanden. Es könnten also auch im Guanol vorhandene unzersetzte Betainreste die beschriebenen Giftwirkungen veranlassen. Jedenfalls kann von dieser Giftwirkung des Guanols in der Praxis zur Abwehr der Schnecken und Keimlingspilze Nutzen gezogen werden.

Zusammenfassung.

In der Guanolfabrikation wird das Betain der Melasse- schlempe durch niedere, aus Komposterde stammende Orga- nismen zersetzt. Unter diesen haben wir Kahmpilze nachge- wiesen, die nach Ehrlich Betain angreifen, zweitens Trimethyl- amin bildende Organismen, die auch von Ackermann und anderen schon gefunden wurden. Drittens haben wir im Guanol die von uns Betainobacter « genannte Bakterienform gefunden und genauer untersucht, die den gesamten Stickstoff des Betains als Ammoniak abspaltet und von diesem nur einen kleinen Teil für sich verwendet. Außerdem bildet sie durch Oxydation beträchtliche Mengen Kohlensäure aus Betain. Als Zwischenprodukte treten Methylalkohol, Ameisensäure und in kleinen Mengen Essigsäure auf.

Die quantitative Ausscheidung der Kieselsäure durch den menschlichen Harn.

Von М. боппегтапп.

(Aus dem Institut für Pharmakologie und physiolog. Chemie der Universität Rostock.)

(Eingegangen am 27: Januar 1919.)

Unter derselben Überschrift veröffentlichte Hugo Schulz eine umfangreiche Abhandlung in Pflügers Archiv!), bezieht sich auf seine frühere Arbeit: Über das Verhalten und die Bedeutung der Kieselsäure im Organismus?) und verarbeitete jedesmal seinen, innerhalb 24 Stunden entleerten Harn.

Von diesem wurden in einer Platinschale 500 com auf dem Wasser- bad nach und nach eingedampft, bis schließlich unter Rühren bei offenem Feuer eine schwarze, kohlige Masse erhalten wurde: ein Ge- misch von Kohle und Salzen. Der Glührückstand wurde mit verdünnter Salzsäure versetzt, erwärmt, völlig ausgesüßt, die Lösung filtriert, in der Platinschale eingedampft, ausgetrocknet und geglüht, unter Zugabe etwas starker Salzsäure die Asche bei 110 bis 115° zwei Stunden getrocknet.

Bei dieser Arbeitsmethode mußte nun Schulz die un- angenehme Beobachtung machen, daß das Filtrat stets wieder trübe durch das Filter lief nicht aus durchgehender feiner Kieselsäure bestehend, sondern aus weiter sich ausscheidender Kieselsäure beim Erkalten bestand. Schulz kam schließlich auf den Grund dieser, viel Arbeit und Zeit bedingenden Methode: es war die Verwendung verdünnter Salzsäure, denn wenn er die Asche mit konzentrierter Säure löste und dann mit Wasser verdünnte, bekam er stets sofort absolut klares

1) Arch. f. d. ges. Physiol. 144, 350, 1912. 2?) Ebenda 84, 67; 89, 112; 131, 447. 11*

164 M. Gonnermann:

Filtrat. Der weitere Verlauf des Verfahrens ist allgemein und als üblich bekannt; die genaue Bestimmung der Kieselsäure wurde durch den Verlust beim Schmelzen mit Ammonium- fluorid ausgeführt.

Bei meinen Versuchen verwendete ich gleich, wie auch gebräuchlich, konzentrierte Salzsäure, trocknete bis zur staubigen Trockne dreimal ein, nahm mit verdünnter Salz- säure auf, gab Salpetersäure hinzu, um auch Eisenphosphat zu lösen, verdünnte mit heißem Wasser, ließ noch eine Stunde auf dem Wasserbad stehen, filtrierte, wusch das Ungelöste vollständig aus, trocknete den Rückstand und vertrieb die Kieselsäure durch Schmelzen und Glühen mit Fluorammonium.

Schulz hat 14 Harnproben untersucht und hierbei fol- gende Resultate erzielt: er fand als Durchschnitt an Kiesel- säure im Liter 0,192 р; in 24 Stunden 0,480 g.

Hier muß ich gleich bemerken, daß Schulz bei normaler Lebensweise im Jahr 1912 seinen Harn untersuchte sein Schwarzbrot enthielt in 100 g schon 0,0332 Kieselsäure —, während ich den meinigen in der Kriegszeit bei bedeutend eingeschränkter und vereinfachter Nahrung untersuchte. Meine Nahrungsaufnahme bestand am Morgen aus drei Tassen Kriegs- kaffeeaufguß; Mittags einem Teller Suppe, Kartoffeln und Ge- müse; Abends wieder Gemüse und Kartoffeln, sowie zwei Tassen Bouillon aus zwei Maggiwürfeln und später einer Flasche Bier. Für die Woche wurden städtischerseits 120 g Fleisch, 4 Pfund Brot und 70 р Butter geliefert, Fische nur wenn es solche gab, für die Person 250 g einmal binnen 4 bis 5 Wochen.

Salkowski veröffentlichte im Jahr 1913 in der Zeit- schrift f. physiol. Chem.!) eine Arbeit über den Nachweis der Kieselsäure im Harn und nimmt gleichfalls Bezug auf Schulz. Er verfuhr folgendermaßen:

500 ccm wurden eingedampft und mit Alkohol gefällt, das Ganze in einen Zylinder gebracht. Von der klebrigen Fällung, die sich am nächsten Tag am Boden abgesetzt fand, wurde die Lösung abgegossen, der Niederschlag mit Äther durchgerührt, auf einem aschefreien Filter gesammelt, mit Alkohol ausgewaschen, schließlich mit Äther getrocknet.

Der Inhalt des Filters wurde nun in das Glas zurück- und mit etwa 50 сеш verdünnter (1 + 3) Salzsäure durch vielfaches Rühren in Lösung

1) Salkowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 88, 2, 144, 1913.

Quantitative Ausscheidung d. Kieselsäure durch d menschl. Harn. 165

gebracht, dann durch dasselbe Filter filtriert, das noch im Zylinder Ge- bliebene mit Wasser völlig ausgewaschen. Die Veraschung des Filters lieferte an reiner Kieselsäure 0,0218 g für 500 ccm = 0,0436 g im Liter, während ich im Liter meines Harns nach dieser Vorschrift nur 0,026 g erhielt bei Kriegskost.

Salkowski erwähnt auch eine Beobachtung von A. Zelleri) der bei innerlich verabreichter Kieselsäure nicht selten einen heilenden Einfluß auf Geschwülste, besonders Krebs, beobachtete und meint, „daß es nicht außerhalb des Bereiches der Möglichkeit liegt, daß die Kieselsäure im Organismus eine gewisse allgemeine Rolle spielt“. Daß sie diese Rolle wirklich spielt, beweisen meine Unter- suchungen menschlicher und tierischer Organe?), sowie auch die heilkräftigen Wirkungen, besonders bei Lungenkrankheiten, auf die ich bei Besprechung des Glashäger Mineral- wassers näher zurückkommen werde. Auch ist daselbst meine allgemeine Arbeitsmethode ausführlich mitgeteilt.

Nach diesen mehrseitigen Veröffentlichungen über den Gehalt des menschlichen Harns an Kieselsäure, die ausnahmslos einen solchen sogar zum Teil bedeutenden feststellen, findet sich nach einer Mitteilung Koberts bei S. Fränkel in Neubergs „Der Harn“ eine Literatur- angabe, die besagt: „daß im normalen Harn sich überhaupt keine wägbare Menge Kieselsäure findet, wenn nicht solche durch Gefäße oder Reagentien eingeführt ist, oder nur Por- zellantiegel mit säurefester Glasur, besser Platingeräte ver- wendet worden sind.“

Wenn nun besonders darauf hingewiesen wird, daß Platingefäße besser sind, um eben keine Kieselsäure einzuführen, so liegen neuere nicht anfechtbare Resultate von Schulz und Salkowski vor, die nur allein mit Platinschalen gearbeitet haben.

Zur Biologie des Glashäger Kieselwassers.

Die Mineralquelle auf dem Gute Glashagen bei Doberan in Mecklenburg wurde durch auffällige natürliche Wünschelruten in Form merkwürdig abgebogener Bäume: alle in der Richtung der jetzt erschlossenen Mineralquelle zeigend entdeckt. Diese Wachstums- erscheinungen der Bäume veranlaßten tiefere Bohrungen, die bei 17 m eine Quelle lieferten, die 6,7 m über Talsohle stieg, bei 31 m gleichfalls vorzügliches Mineralwasser arterischen Ursprungs gab. Die Analyse des Herrn Dr. Carl Kobert ergab einen Gehalt an 43 mg Meta-Kiesel-

1) Münch. med. Wochenschr. 1912, 34. з) Zeitschr. f. physiol. Chem. 99, 256ff., 1917; diese Zeitschr. 88, Heft 5 und 6, 1918.

166 M. Gonnermann:

säure im Liter, und er bezeichnete dasselbe als kieselsäurereiches alkalisches Wasser; es hat dadurch die Bezeichnung Silicium-Heil- quelle und Kieselbrunnen erhalten.

Dieses Mineralwasser hat sich wegen seines reichen Gehaltes an Alkali- salzen und Kohlensäure auch als Genußwasser einen großen Ruf er- worben, so daß der Verbrauch als Erfrischungsgetränk alljährlich steigt. Als Kieselwasser wurde dasselbe bereits seit Jahren klinisch ver- abreicht und hat besonders Simi Schwarz eine umfangreiche klinische Dissertation veröffentlicht‘), darin die Wirkung auf die weißen Blut- körperchen Leukocyten bei einer großen Anzahl von Krankheiten (vergl. später) aufgeführt und die steigende Wirkung binnen weniger Tage in Kurven veranschaulicht. Die Wirkung auf die Leukocyten be- steht nämlich darin, daß diese mehrzellig werden, an Anzahl bedeutend wachsen und, da sie energische „Bacillenfresser“ sind, somit auch eine bedeutende Abnahme dieser Krankheitserreger bewirkend, eine Besserung im Krankheitsbild im Gefolge haben müssen.

Schwarz hat in 174 Tagen dreißig Fälle verschiedener Krank- heitsformen beobachtet und zwar besonders Lungentuberkulose; ferner Ischias, Plexuslähmung, Neurasthenie, Darmtuberkulose, Typhus, Ne- phritis, Lebereirrhose, Magenkrebs. Hierbei stieg die Zahl der Leuko- cyten in

3 Fällen 0 °/, des ursprünglichen Maximums, 10 „auf 409%, n 10 „auf 200 9, » à £

Er nimmt als erwiesen an, „daß das Glashäger Mineralwasser die biologischen Vorgänge, als deren Resultat die jeweilige Leukocyten- zahl erscheint, zu beeinflussen imstande ist. Von allen Methoden, die man angewandt hat, um eine heilsame Hyperleukooytose herbeizuführen, dürfte die Darreichung des Glashäger Kieselwassers die einfachste, ahgenehmste und unschädlichste sein“.

Es sind nun eine große Anzahl Mineralbrunnen bekannt, von Kobert in eine Tabelle gefaßt und in der Zeitschrift Tuberkulosis Nr. 11 und 12 wiedergegeben®), aus der ich nur eine kleine Anzahl herausnehme; die Zahlen bedeuten die Milligramme im Liter Mineral- wasser.

Wildungen . 21,02 Marienbad . 43,40 Elster . . . 44,00 Friedrichroda 11,24 Kissingen . 12,90 Salzbrunn . 30,70 Nauheim . . 12,10 Ems . . . . 16,60 Franzensbad 63,8 © . . 15,01 e "éiere 2 348,50 Vichy . . . 70,6 D .. 18,5 a ee 50 Karlsbad . . 70,0 Homburg . 12,86 Neuenahr. . 19,50 e .. 71,8 S . . 96,85 Levico . . . 22,90 Franzensbad 88,3 Marienbad . 12,60 Elster . . . 21,90 Brückenau . 509,6

1) Simi Schwarz, Dissert. Rostock 1911: Die Einwirkung eines kieselsäurehaltigen Mineralwassers auf die Zahl der Leukooyten im menschlichen Blut.

1) Kobert, Über kieselsäurehaltige Heilmittel, insonderheit bei Tuberkulose.

Quantitative Ausscheidung d Kieselsäure durch d. menschl. Harn. 167

Es wäre sehr wertvoll, wenn auch mit diesen Mineralwässern ähn- liche Versuche wie die meinen angestellt würden.

A. Winkler!) schreibt über die Nesselquelle, die 70 mg Kiesel- säure enthält: „Ich fühle mich berechtigt zu der Annahme, daß die auffallend rasche Verbesserung des Kräftezustandes herabgekommener Patienten bei Trinkkuren mit Mineral- wasser teilweise der Einverleibung geeigneter Mengen ge- löster Kieselsäure zu verdanken ist.“

Winkler bespricht auch die Steinbildung der Patienten, „und findet die Erklärung in dem Übergang der Kieselsäure aus den Brunnen- wässern in den Harn, wodurch beträchtliche Diurese zustande kommt“. Ich selbst habe diese Beobachtung bei meiner Trinkkur des Glas- häger Mineralwassers voll bestätigen können.

Nun sind es jedoch nicht nur die Mineralbrunnen, die die steigen- den Mengen Kieselsäure enthalten, und als Heilmittel Verwendung finden; sondern die Volksmedizin hat sich derselben, besonders bei Lungenkrankheiten bemächtigt, und ist dies wohl zunächst der längst- bekannte Blankenheimer Tee, sog. Liebersche Kräuter, den die Galeopsis ochroleuca (grandiflora) liefert. Pfarrer Kneipp ließ den Scheuertee (Zinnkraut), die sterilen Wedel des Acker-Schachtelhalms (Equisetum arvense) als Tee trinken. Puhlmann bringt eine Galeopsis- art in den Handel, die auf vulkanischem Boden gewachsen und daher wirksamer sein soll. Der allgemein in Rußland gebrauchte sog. Homeraniatee ist unser wohlbekanntes Wegunkraut Vogelknöterich (Polygonum aviculare). Diese Teearten habe ich auf ihren Gehalt an Kieselsäure untersucht?) und fand für

Puhlmanntee . . . 0,288 mg °/, Blankenheimertee . 0,892 mg °/, Scheuertee (Kneipp) 1,815 mg °/,

А (Stolle) 0,732 mg °/, Homeraniate . . 0,350 mg °/, Vogelknöterich . . 1,407 mg 9,

Es ist somit das „Wegunkraut“ das billigste Heilmittel für Lungen- kranke, da sich das Kraut jedermann überall selbst sammeln kann.

Wenn nun drei Tassen einer täglichen Abkochung von је 5 р Tee, die einer Flasche Glashäger Wasser entsprechen, getrunken werden, d. h. 750 cem Flüssigkeit, so erhält man folgende Reihenfolge für den Gehalt an Kieselsäure:

1 Flasche Glashäger . . . . . 40 mg Kieselsäure

3 Tassen Puhlmanntee . . . . 43 Homeranistee . . . . 52 Scheuertee (Kneipp) . 110 Galeopris . . . . . . 134 Vogelknöterich . . . 211 Schachtelhalmtee . . 272

33333 3 33030933

Со оо www 2 a aa a

1) A. Winkler, Über die Nesselquelle. Breslau 1917, 8. 9. 1) М. Gonnermann, Zeitschr. f. physiol. Chem. 99, 290, 1917.

168 M. Gonnermann:

Kobert!) sagt nach diesem Ergebnis: „Angesichts dieser Tatsache haben wir kein Recht mehr über die Volksbehandlungsmethode der Schwindsucht mittels dieser vom Volk in verschiedenen Ländern Europas instinktiv herausgefundenen Teearten zu spotten, und ich habe früher gar nicht begreifen können, wodurch dieser Liebersche Tee in den Ruf eines Specificums bei chronischen Lungenleiden hat kommen können; die Analysen Gonnermanns haben mir aber darüber Klarheit ver- schafft.“

In neuester Zeit hat sich Prof. Dr. Kühn in Rostock auch der Kieselsäurebehandlung zugewandt; er behandelte bereits 300 Fälle Lungen- kranker und verordnete ein Gemisch aus

Scheuerte . . . 75,0 р Vogelknöterich . 150,0 g Lieber Kräuter . 50,0g

Dreimal täglich einen EBlöffel voll mit 2 Tassen Wasser anzusetzen und auf die Hälfte einzuko&hen.

In dem Tagesharn, der mir zur Untersuchung eingeliefert wurde, fand ich 70 mg, sogar auch 180 mg Kieselsäure. Bei den Fällen, die neben den allgemeinen klinischen Maßnahmen auch noch den Tee tranken, bemerkte Kühn, war der Verlauf ganz deutlich ein anderer, als wenn der Tee weggelassen wurde. Leichte Fälle verloren ihren Spitzenkatarrh völlig, das Allgemeinbefinden besserte sich, der Appetit und das Gewicht stieg, und er bezeichnete solche Fälle „als die Domäne der Kieselbehandlung“. Aber auch in einigen prognostisch absolut

. ungünstigen Fällen konnte durch energische Teebehandlung schon inner- halb 8 Tagen eine ganz auffallende Besserung erzielt werden.

Durch meinen Nachweis vermehrter Kieselsäure im Harn bei der Trinkkur des Glashäger Kieselwassers ist unzweifel- haft bewiesen, daß die in gelöster Form genossene Kieselsäure resorbiert und z. T. durch den Harn wieder ausgeschieden wird, somit also den ganzen Organismus dauernd durchspült, und überall Wirkungen entfalten kann, wo sich geeignete Angriffs- punkte, wie bei den Tuberkulösen, finden; die Versuche Kühns haben diese Tatsache schlagend bestätigt.

Es kam nun darauf an, zu erfahren, wieviel beim Trinken des Wassers nach einer gewissen Zeit und einer bestimmten „Anzahl Flaschen wirklich Kieselsäure vom Organismus auf- genommen, im Harn wiedergefunden wird. Ebenso kam auch die Untersuchung meines Normalharnes in Betracht, der bei der mangelhaften und einförmigen Kriegskost entleert wird.

1) Kobert, Zeitschr. Tuberculosis Nr. 11 u. 12, S. 200.

Quantitative Ausscheidung d. Kieselsäure durch d. mensch), Harn. 169

Die Kost bestand zumeist aus Gemüse, und für die Woche städtischerseits: 3500 g Kartoffeln, 2000 g Brot, 160 g Fleisch (knochenfrei), 70 g Butter und wenn Fische vorhanden sind, 250 g für 4 bis 5 Wochen. An Flüssigkeiten genoß ich morgens: drei Tassen Kriegskaffeeaufguß, mittags: einen Teller Suppe, abends: zwei Tassen Maggibouillon und später eine Flasche Bier. Zunächst war jedoch notwendig, zu erfahren, wieviel Kiesel- säure mein Harn an sich enthalten könnte, und es wurden vier Proben untersucht, die mit dem Versuchsharn abwechselten. Ich verdampfte nach und nach 21 Harn nach Möglichkeit auf dem Wasserbade, dann jedoch auf einer Asbestplatte bis zur Salztrockne, der ganz trockne Rückstand wurde dann ver- brannt. Der immer wieder benutzte Meißner Porzellantiegel, der stets dasselbe Gewicht behielt oder nur minimale Schwan- kungen ergab, hatte mit zwei anderen Tiegeln von 40, 25 und 10 ccm Inhalt nach dem Auskochen mit konzentrierter Salz- säure im ganzen nur ein Milligramm an Gewicht ver- loren, für den einzelnen Tiegel also nur einen Bruchteil da- von, der weiterhin nicht von Bedeutung war. Der Inhalt des Tiegels die Rohasche wurde dann 3mal bis zur staubigen Trockne mit konzentrierter Salzsäure eingetrocknet; das er- haltene Pulver nunmehr mit verdünnter Salzsäure unter Zu- gabe von Salpetersäure, um vorhandenes Eisenphosphat zu lösen, auf dem Wasserbade unter öfterem Erneuern der Säuren, und dann mit heißem Wasser zur Lösung gebracht, das Ungelöste auf dem Filter heiß ausgewaschen, völlig ausgetrocknet, im gewogenen Platintiegel geglüht, der erkaltete Rückstand mit überschüssigem Fluorammonium vermischt, vorsichtig erwärmt, schließlich der Rückstand geglüht und die Kieselsäure aus dem Verlust bestimmt. Auf diese Weise gelangten die Normal- und Versuchsproben zur Ausführung. | Nach Schulz beträgt der Durchschnitt an Kieselsäure seines Harnes aus 14 Versuchstagen, auf Tagesmenge von 2,51

170 M. Gonnermann:

umgerechnet, 0,191 g, d. h. für 11 75 mg, während Ham- marsten für den Tag 750 mg, für den Liter 300 mg fand.

Die Versuchsmethode war nun folgende:

An vier Tagen wurde je eine Flasche Glashäger Wasser getrunken, ohne die Harnmenge zu sammeln; erst dann ist der Harn gesammelt und sind 750 ccm, einer Flasche Wasser ent- sprechend, davon eingedampft, verbrannt und der kohlefreie Rückstand auf die Gesamtmenge umgerechnet worden. Es war dieses Verfahren notwendig, um nicht die große Menge Tageskarn eindampfen zu müssen, sowie die Verbrennung zu vereinfachen, ohne an Genauigkeit einzubüßen. Bei Beginn der Versuche entsprachen 750 ccm Harn dem dritten Teil der Tagesmenge von 2250 ccm; die folgenden Versuche wurden mit den jeweiligen Tagesmengen ausgeführt und dadurch eine größere Genauigkeit erzielt.

I. Reihe der Versuche,

A. Normalharn.

An drei Tagen wurde derselbe gemessen; ein Durchschnitt von 2250 ccm ergab an Kieselsäure 69,7 mg.

B. Versuchsharn.

Aus den neun Versuchen wurde gleichfalls ein Durchschnitt von 2250 сощ angenommen.

А 5 SiO, des Differenz im Datum Tagesmenge | Kieselsäure Normalharns Versuchsharn ccm mg mg mg 66,3 69,7 84 87,0 69,7 + 11,3 107,0 69,7 + 37,3 108,0 69,7 + 38,3 138,0 69,7 + 68,3 84,0 69,7 +14,3 78,0 69,7 + 83 72,0 69,7 + 2,3 75,0 69,7 + 5,8 90,0 69,7 + 23,2 U. Reihe.

Vor den neuen Versuchen dieser Reihe wurde eine Pause von drei Tagen gemacht, um den Normalharn: dann von sechs

Quantitative Ausscheidung d. Kieselsäure durch d. mensch), Harn. 171

Tagen zu untersuchen, weil möglicherweise eine Änderung in dem Kieselsäuregehalt eingetreten sein konnte durch eine wech- . selnde Kost infolge der Zusammensetzung weiter fortwachsen- der Gemüse und lagernder Kartoffeln, wie es denn auch die Versuche zeigten. Die Tagesmenge betrug im Durchschnitt 2360 ccm, der Gehalt an Kieselsäure 95,51 mg im Normalharn.

A. Normalharn.

SiO, d Datum Togenmenge Mäe 7 ccm mg

10. 2250 102,0 Durchschnitt 2360 95,51

B. Versuchsharn. ·

In der Zwischenperiode wurde wiederum an drei Tagen eine Flasche Wasser getrunken, jedoch der Harn nicht ge- sammelt; dann jedoch die tägliche Menge gesammelt, gemessen und auch notiert. In der Tabelle ist für Kieselsäure des Normalharnes gleichfalls die Tagesmenge eingezeichnet.

SiO, im Differenz im Datum ee Kisselsäure = Bormalbarn CTS mg

14. X. 86,6 46 15. n 108,0 +12,0 16. » 106,2 + 97 17.о» 117,0 +33,7 18°» 130,0 + 63,7 20. » 138,0 + 36,0 Er 171,0 + 75,5 я 191,0 + 95,5

Durchschnitt 3312 127,0 + 46,1

III. Reihe. Nach achttägigen Versuchen mit dem Mineralwasser wurde wiederum eine Periode mit Normalharn eingeleitet, und zwar setzte ich einen Tag völlig aus, ohne den Harn zu messen,

172 M. Gonnermann:

und begann dann erst wieder die Bestimmung der Kieselsäure

in demselben. A. Normalharn.

SiO, in Datum Tagesmenge Tagesmenge com “omg

Durchschnitt 2842 | 104,0

В. Versuchsharn. Ehe ich die eigentlichen Versuche mit Mineralwasser еїп- leitete und Harn sammelte, trank ich erst an drei Tagen je eine Flasche, ohne die Harnmenge zu sammeln.

Kieselsäure | Differenz im

Tagesmenge | Kieselsäure im Normalharn| Versuchsharn

Datum

ccm mg mg mg 3 43,3 A n 138,0 104,0 + 82,0 In 120,0 104,0 + 16,0 6.n 118,0 104,0 + 14,0 T. n 112,0 104,0 + 8,0 8B. » 150,0 104,0 +46, 10. » 145,0 + 11. » 160,0 + Durchschnitt 124,3 +2 IV. Reihe.

Das Verfahren war das gleiche wie bisher.

A. Normalharn.

SiO, der Datum Tagesmenge Menge сеш mg

Durchschnitt

Quantitative Ausscheidung d. Kieselsäure durch d. menschl. Harn. 173

In den 20 Versuchstagen konnte ich im Durchschnitt von 357 ccm 93 mg Kieselsäure feststellen, d.h. im Liter 26 mg.

B. Versuchsharn.

ae SiO, im | Differenz im Datum Tagssmenge | Kieselsäure N ormalharn Versuchsharn ccm mg mg mg

durchschnitt

Wie bereits hervorgehoben, trat während der Versuche mit dem Glashäger Mineralwasser Diurese ein, die besonders während der Nacht sehr störend wirkte und auch noch einen Tag anhielt.

Es ist wohl nunmehr unzweifelhaft durch meine ausge- dehnten Versuche bewiesen, daß im Normalharn Kiesel- säure vorhanden ist.

Die Oberflächenspannung des Mageninhalts, sowie ihre Veränderung bei natürlichen und künstlichen Verdauungsversuchen.

Von

Felix Boenheim. (Aus der Poliklinik der Universität Rostock.)

(Eingegangen am 29. Januar 1919.)

Bei Untersuchungen über den zeitlichen (chemischen) Ab- bau von Eiweiß im menschlichen Magen unter physiologischen und pathologischen Zuständen, worüber ich an anderer Stelle berichte‘), achtete ich auch auf einige physikalische Eigen- schaften, besonders auf die Oberflächenspannung, da man auf Grund der Traubeschen Theorie annehmen muß, daß mit dem Fortschreiten der Proteolyse eine Änderung des Haftdrucks in- folge der fortschreitenden Peptonisierung einträte.

Die einfachste Methode zur Feststellung der Oberflächen- spannung ist die stalagmometrische. Bei allen Untersuchungen bediente ich mich desselben Stalagmometers, das bei 20° eine Tropfenzahl von 18,25 hat. Dieser kleine Apparat hat gegen- über größeren den Vorteil, daß man zur Untersuchung nur einer kleinen Flüssigkeitsmenge bedarf, nämlich etwa 10 ccm. Die zu untersuchende Flüssigkeit wurde stets durch vorsich- tiges Erwärmen auf 20° gebracht. Dabei ist zu beachten, daß diese Temperatur nicht etwa anfangs überschritten wird; denn Temperaturerhöhung bringt eine längere Zeit anhaltende Ver- änderung mit sich, wie folgende Versuche beweisen:

1) Boenheim, Boas’ Arch. 1919.

F. Boenheim: Oberflächenspannung des Mageninhalts usw. 175

Tabelle I. Oberflächenspannung von Serum bei 20° 21,13 (in Tropfen angegeben) » n D n 40° ss 21,75 n » n » 20° 20,95 Tabelle II. Oberflächengp. eines Plasmonfiltrats bei 200 27,26 (angegeben in Tropfen) n D n » 40°=28,14 D H H r 60°= 28,7 n H n n 40°=27,4 Р » я » 209 26,53.

Diese beiden Beispiele sind aus einer größeren Zahl gleichsinnig ausgefallener Versuche herausgegriffen.

Durch langsames Aufsaugen der Flüssigkeit mit Hilfe einer Wasserpumpe gelingt es am leichtesten, störende Luft- blasen zu vermeiden. Die das erstemal aufgesaugte Flüssig- keit wird zur Bestimmung nicht verwandt, da die Tropfenzahl immer etwa ein viertel Tropfen größer war als bei späteren Bestimmungen. Offenbar hängt dies mit der Reibung der Flüssigkeit an der Glaswand zusammen. Bei Beachtung dieser Vorsichtsmaßregeln gelingt es, bei Kontrolluntersuchungen Diffe- renzen ganz zu vermeiden oder doch in sehr engen Grenzen zu halten. Der größte Unterschied betrug 0,05 Tropfen, d.h. der Fehler kommt erst in der zweiten Dezimale zum Ausdruck.

Aus der Relation der abfließenden Tropfenzahl zu der für

reines Wasser ergibt sich die Oberflächenspannung y 7,30 = d,

wobei d das spezifische Gewicht angibt. Dieser Faktor ist aber so klein, daß man ihn vernachlässigen kann. Er beträgt für Blut 1028, für exprimierten Mageninhalt nach Plasmon-Probe- kost im Höchstfalle 1013.

Nach der Traubeschen Theorie geht nun ein Strom zwischen zwei Medien, die durch eine Membran getrennt sind, von dem mit niedriger Oberflächenspannung zu dem mit höherer. Da nun für gewöhnlich, so führt Traube aus, „das Blut weder in den Magen, noch in den Darm übertritt, so können wir a priori schließen, daß die Oberflächenspannung von Magen- und Darminhalt kleiner ist als die betreffende Größe für das Blut“. Es gilt diese Voraussetzung meines Erachtens aber nur, wenn man das Blut als Einheit betrachtet, nicht aber für seine Bestandteile. Denn seine Bestandteile treten unter physiologi-

176 F. Boenheim:

schen Bedingungen dauernd in den Magen über in Form des Magensaftes, dessen Chlor aus dem Blute stammt, wenn auch der Modus des Übertrittes noch unklar ist. Ferner kann man gegen den zitierten Satz Traubes noch anführen, daß шай hiernach annehmen müßte, daß nach Einführung einer Flüssig- keit mit niedrigerer Oberflächenspannung als die des Blutes, etwa eines Plasmonfrühstückes, eine Magensaftabsonderung fehlen müßte, daß es dann vielmehr gleich zur Resorption käme. Diese Behauptung träfe aber nicht zu.

Es ist ferner behauptet worden, daß das Wesen der Ver- dauung nicht in der chemischen Lösung bestände, sondern in der physikalischen Herabsetzung der Oberflächenspannung, wo- durch die Resorption erleichtert werde, eine Behauptung, deren Richtigkeit allerdings von Török!) und Buglia°) bestritten wird. Török stellte nämlich fest, daß durch Verminderung der Oberflächenspannung keine beschleunigte Resorption ,iso- und hypisotonischer Lösungen zustande kommt. Zu demselben Resultat kam Buglia für die Resorption* einer physiologischen Kochsalzlösung, sowie für Peptonlösungen. Da nun genuine Eiweißkörper nach Rona und Michaelis®) (und ähnlich Traube) die Oberflächenspannung nicht erniedrigen oder nur unwesent- lich im Gegensatz zu den höheren Spaltprodukten, so wäre die Peptonisierung gleichbedeutend mit Erniedrigung der Ober- flächenspannung. Allerdings sind die Voraussetzungen dieser Theorie, die Unveränderlichkeit der Oberflächenspannung durch Zusatz von genuinem Eiweiß, nicht unbestritten. So gibt Isco- vesco*) abweichend von den genannten Autoren eine Erhöhung an, und Botazzi°) gibt sogar eine Erniedrigung an. Er schließt aus seinen Versuchen, „daß die Proteine im Zustand vollkom- mener Lösung die Oberflächenspannung des Wassers erniedrigen und daß die Erniedrigung in gewisser Weise ihrer Konzentra- tion proportional ist“. Vielleicht besteht eine Abhängigkeit der Oberflächenspannung von der Art des Eiweißes. Für das Blut-

1) Török, Zentralbl. f. Physiol. 20, 1906.

D Buglia, diese Zeitschr. 22.

3) Rona und Michaelis, diese Zeitschr. 41.

4) Iscovesco, Compt. rend. Soc. Biol. 70.

H Botazzi, In Neuberg „Der Harn“, 2; ferner Centralbl. f. Physiol. 1918.

Oberflächenspan. d. Mageninhalts b.natürl.u. künstl. Verdauungsvers. 177

serum scheint mir wenigstens die Behauptung Botazzis nicht zu Recht zu bestehen, während ich sie für Plasmon bestätigen kann. Löst man 15 g Plasmon in 400 ccm Wasser und filtriert, so findet man eine Oberflächenspannung von y 5,1. Über den Einfluß des Bluteiweißes s. u.

Konstatiert man im exprimierten Mageninhalt eine niedrige Oberflächenspannung, so muß man zunächst feststellen, ob diese nicht durch regurgitierte Galle oder durch organische Säuren bedingt ist. Ist dies nicht der Fall, so soll die Erniedrigung der Oberflächenspannung durch ein schwereres organisches Leiden verursacht sein (Traube).

Hierzu ist zu bemerken: ganz abgesehen davon, daß eine Regurgitation von Darminhalt in den Magen zu den normalen Vorkommnissen gehört, wie wir auf Grund der Arbeiten von Boldyreff, sowie der Beobachtungen am Menschen wissen, so daß wir mit Hilfe der Oberflächenbestimmung des expri- mierten Mageninhaltses nur in den seltensten Fällen weiter- kämen, entsprechen auch die Versuchsergebnisse nicht dieser Voraussetzung.

Die Oberflächenspannung des exprimierten Mageninhaltes hängt offenbar von drei Faktoren ab: von der Oberflächen- spannung des Blutes, von der der eingeführten Nahrung, so- wie der des nüchternen Rückstandes. Was den reinen Magen- saft anbelangt, so hat er nach Versuchen von S. Кавсһег!) beim Hunde eine Oberflächenspannung von 6,6, während dem Blute bei dem untersuchten Tiere nur eine solche von 6,3 zukam. Er war also deutlich erhöht. Während der Fütterung des Tieres, dem ein Magenblindsack angelegt worden war, schwankte der Magensaft in bezug auf seine Oberflächenspannung nur in kleinen Grenzen. Es fand eine Verminderung statt auf 5,2 bis 5,99. Nahm die Verfasserin eine Scheinfütttrung nach Pawlow vor, so stellte sie у 6,02 fest. Bei einem Mädchen, bei dem das untere Ende der Speiseröhre vernäht war, betrug die Oberflächenspannung des Blutserums 6,02, die des reinen Magensaftes 5,7. In einem Falle von Reichmannscher Krank-

1) 8. Kascher, Diss. Berlin 1907. Biochemische Zeitschrift Band 9. 12

178 F. Boenheim:

heit konstatierte sie für den nüchternen Mageninhalt 5,9 bis 6,1. Ich selbst verfüge ebenfalls über einen Fall von Reichmann- scher Sekretionsstörung. In 2 Versuchen fand ich eine Tropfen- zahl von 21,57 bzw. 20,2. Das Blutserum hatte eine Tropfen- zahl von 20,4. Es besteht also ein fast völliger Ausgleich zwischen den Oberflächenspannungen des Blutserums und des Mageninhaltes bei Reichmannscher Anomalie. Dies gilt jedoch nicht für den nüchternen Rückstand bei gesunden oder kran- ken Menschen, wobei es gleich ist, ob eine Erkrankung des Verdauungstraotus vorliegt oder eines andern Organs.

Über die Oberflächenspannung des Blutserums liegt bereits eine Reihe von Angaben vor. Wenn ich trotzdem darauf etwas aus- führlicher eingehe und die von mir eruierten Werte mitteile, so geschieht es, weil einige Autoren ihre Angaben auf ganz wenige Versuche auf- bauen, mitunter sogar nur auf zwei Beobachtungen. Über größere Ver- suchsreihen berichten, soweit mir die Literatur bekannt ist, nur Kisch und Remertz') sowie Traube?) (in einer neueren Arbeit). Die ersteren bekamen das Blut aus einer psychiatrischen Anstalt. Daraus ergibt sich, an welchen Fällen sie ihre Beobachtungen machten. Als normal sehen sie Kranke mit Epilepsie außerhalb des Anfalls, Alkoholiker usw. an. Bei den Angaben von Traube liegt schließlich, wie er selbst angibt, die Gefahr vor, daß das eine oder andere Serum auf dem Transport gelitten haben könnte oder daß es nicht mehr ganz frisch war, wenn es zur Untersuchung kam. Dies rechtfertigt wohl eine ausführlichere Wieder- gabe der von mir erhaltenen Werte.

Traube gibt als normal einen Wert von у = 6,42 an, Kascher 6,43 bis 6,5, der Wert von Iscovesco mit 69,97 bzw. 70,12 Dyn/cm entspricht diesen Zahlen. Wenig höher liegt der Wert von Kunoff?) mit 6,6. Kisch und Remertz’ Angaben bewegen sich zwischen 6,4 und 6,5. Die von mir bei ganz Gesunden notierten Zahlen schwanken in einer etwas größeren Breite, nämlich zwischen 6,4 und 6,7, weichen also nach oben nicht wesentlich von den übrigen Autoren ab, während die untere Grenze mit den Angaben, wıe sie in der Literatur niedergelegt sind, überein- stimmen.

Ich komme nunmehr zu den Werten, die ich bezüglich der Oberflächenspannung des Blutserums unter patho- logischen Umständen eruierte, wobei ich zunächst von Er- krankungen des Verdauungstraktus absehe (s. Tabelle III).

1) Kisch und Remertz, Intern. Zeitschr. f. physik.-chem. Biol. 1. 2) Traube, Intern. Zeitschr. f. physik.-chem. Biol. 1. з) Kunoff, Diss. Berlin 1907.

Oberflächenspan.d.Mageninhalts b. natürl.u. künstl. Verdauungsvers. 179

Tabelle III. Oberflächenspannung des Blutes bei Erkrankungen mit Ausschluß von solchen des Magen-

Darmtraktus. : Eiweiß №. [рабат Name Diagnose (0) | y| R D a Bemerkungen 0

Erkrankung der Blutdrüsen:

1 | 6.11. Laatz Diabetes insipidus]21,62| 6,1 |62,77| 1,35123 | 8,8 216. » | Deuerling 2) л 21,26! 6,25 |60,45 1,85088 | 8,4 316.» Hansen Addison 20,6 |6,5 155,43] 1,34852 | 8,12 jSerum ist gelbrot оо. ge grün 4 |15. IV.| Dibbel Pluriglanduläre |20,16) 6,6 Serum ist gelb und Insuffizienz klar, 516.1. Baas Milzerkrankung |20,11 6,6 ]57,79| 1,34939 | 7,8 619.» Colberg Chlorose 21,44| 6,3 [64,82 1,35199 | 9,3 7 |15. ТУ] Beholz » 20,161 6,6 |59,3 Serum ist milchig. 813.» | Anna Maaß n 20,11| 6,7 164,8 | 1,35198 9,307 Borum iet hellgelb 9 | 9. » |Schlottmann]| Klimakterische |20,31 6,6 Boas Рг. Fr.: 89:477) Neurose Peps. 01.7. О = 93: | | Lo Serum ist

Erkrankung des Blutes:

10 | 6. III. Ким |Perniziöse Anämie]20,28| 6,55 [59,85| 1,34997 | 8,15

11 |16. » Harder D » [20,0 |6,7 155,75| 1,34864 | 7,362

12 | 6. » Neide Leukämie 20,30| 6,55 |57,2 | 1,34920 | 7,7

13 |18. » Wozinak Aleukämische [|20,31| 6,6 [61,7 | 1,85084 | 8,644 | Pr. Fr.: 40 ccm gut

verdaute feinbro- Lymphadenose ckige Masse. 44:78;

« Pepsin GI. 7, Tryp- sin Gl. 5. Dia-

stase 0,

14 |20. IV.| Richard |ТЬ. Lymphocytosel19,32| 6,9 Serum ist hellgelb

Schaffer | und klar. Erkrankung der Lunge:

15 |17. IV.| Friedrich Herzschwäche |19,79| 6,8 Serum ist hellgelb. Schmidt ` be III. Stadium

16 |20. » August Tbe. 19,83] 6,75 Pr. Fr.: 30 ccm gut Ulbrich verdaute Masse, da-

von 20 cem Boden- satz. O = 26,48;

у = 5,1. Serum ist 17 |18.011] Willert Tbo. П. bis |20,5 |6,6 [62,35 1,35108 | 8,703 | hell und klar. III. Stadium j 18 |10. IV.| Franz Lüth Tbc. 20,68| 6,5 Serum ist blutig. 19 |11. III. Ebert Tbc. I. Stadium 64,45| 1,85184 | 9,2 20 |11. » Kirchner | Pleuritis exsud. {20,26| 6,6 [61,72| 1,35085 | 8,7 Exsudat: О = 21,5; y = 6,2; Alb.: 21 |15.» | Schuft | Bronchitis; Uleus| ° 54,65 1,34822 | 7,124 | Tv 22 |18. » Philipp Pneumonie 19,87| 6,7 [48,6 | 1,84597 | 5,815

Erkrankung des Herzens: 23 |29. ІУ] Niemann Dekomp. Herz- [21,05] 6,3 |

klappenfehler 24 |15. У. Frieda Mitralstenose +- |20,5 | 6,5 Serum ist hellgelb Brückenhauer| Insuffizienz und klar. 25 |18. UL Sandell do. 20,68 6,7 160,8 | 1,85051 | 8,451 26 |16. IV.|Bertha Meye do. 20,27| 6,6 | do.

1) Die erste Zahl gibt die freie НСІ an (mit Dimethylamidoazobenzol als Indicator durch Titration bestimmt), die zeeite den Wert für die Gesamtacidität (mit Phenolphthalein als Indicator).

12*

180 F. Boenheim:

Tabelle lII (Fortsetzung).

scha Name | Diagnose | О 7 E D Sal Bemerkungen H

Erkrankung der Nieren:

27 |15. IIL] Sternberg Nephritis 19,85] 6,8 Serum ist klar. 28 |18. » Koch r 19,35| 6,9

unkl. ү 29 |18. Laarz 20,52] 6,5 [56,0 |1, 34873 7, 42 Serum ist blutig. 30 127. » Lau Chron. Nephritia 21,5 6,3 67,8 1,35309 9,944 Serum ist hellgelb

(Sklerose) und klar. Erkrankung der Knochen und Muskel: 31 |26. IV.|AnnaWendler| Muskelrheumatis- |20,31| 6,6 Serum ist hellgelb. mus 32 |22. » Klevenow Jackson Ері. 120,0 | 6,7 Serum ist leicht Fract. cost. X blutig.

Erkrankung der Nerven:

33 |18. П1] Schuldt Raynaud 20,42] 6,6 | 34 | 5. IV.| Nienkirchen Hysterie 20,21| 6,6 | Serum ist hellgelb. 35 | 9.IIL] Petersen Neurose 20,46| 6,6 [56,28 1,34883 | 7,5 |Serum ist trübe mit

36 |il. » | Hohn $ | Vasomotor. Stö- [20,46| 6,5 [64,3 | 1,35180 | 9,2 тоон, Seene, rung, Kopfschmerz Allgemeine Körperschwäche:

Blohm Asthenie 21,71] 6, 18 64,95] 1,35203 | 9,3 8 |18. n Siems » 21,42| 6,2 [63,8 | 1,85162 | 9,098

Von Fällen mit Ikterus abgesehen, fand ich die niedrig- sten Werte bei Diabetes insipidus, mib 6,1 bzw. 6,25. In einem Falle von Addison, bzw. bei einer Frau mit Myxödem waren die gefundenen ‘Werte normal, und dasselbe gilt von einer klimakterischen Neurose, sowie von einigen Fällen von Chlorose, während in einem andern Fall dieser Blutdrüsen- erkrankung eine deutliche Herabsetzung gegenüber der Norm (auf 6,3) bestand. Bei Neurosen und vasomotorischen Störungen (Raynaud, Hysterie) fand ich ebenfalls normale Werte, während bei Epilepsie (nur ein Fall!) die Oberflächenspannung gleich 6,7 war, also an der oberen Grenze lag. Bei Bluterkran- kungen wurden im allgemeinen normale Werte notiert (An- ämie, aleukämische Lymphadenose, Leukämie), nur bei einer perniziösen Anämie war der Wert deutlich erhöht: 6,9. Bei Tuberkulösen waren die notierten Zahlen normal bis erhöht. Andere Lungenerkrankungen (Pneumonie und Pleuritis ex- sudativa) ergaben ebenfalls keine Abweichungen. Was die Herz-

Oberflächenspan.d.Mageninhalts b. natürl.u. künstl. Verdauungsvers. 181

erkrankungen anbelangt, so scheint die Oberflächenspannung des Blutserums bei kompensierten Herzfehlern normal zu sein, während dekompensierte erniedrigte Werte gaben. Bei Nephri- tiden sind die Oberflächenspannungen bei der chronischen interstitiellen Form niedrig, bei der akuten parenchymatösen erhöht. Es gibt aber auch Formen mit normalen Werten. (Ohne hier näher darauf einzugehen, möchte ich darauf hin- weisen, daß die Untersuchungen von C. Hirsch über die Vis- cosität des Blutes bei Nephritis hiermit übereinstimmen +). Was nun die Oberflächenspannung des Blutserums bei Erkrankungen des Verdauungstraktus anbelangt (s. Tab. IV), so habe ich in einigen wenigen (4) Fällen hohe Tropfenzahlen gefunden, d. h. niedrige Oberflächenspannung. Dabei bestand in 2 Fällen ein sehr starker Ikterus, das eine Mal infolge eines malignen Neoplasmas der Gallenblase, das andere Mal post injektionem von Salvarsan. Einen Wert von 6,3 fand ich bei einem Carcinoma ventriculi, während in den übrigen Carcinomfällen die Oberflächenspannung um 6,6 betrug. Wahrscheinlich hängt die Oberflächenspannung des Blutes hierbei von dem Grade der Kachexie ab. Einmal fand ich bei einer Subacidität einen sehr niedrigen Wert: 6,2. Im übrigen fand ich bei Gastritiden verschiedener Art, anaciden, subaciden und superaciden, ferner bei einfachen Sekretionsanomalien, ins- besondere bei Supersekretion, wie wir sie zur Zeit?) in Rostock sehr häufig beobachten, bei Reichmannscher Anomalie und bei Ulcus normale Werte, die sich untereinander nicht charak- teristisch unterschieden. Allerdings scheinen die Werte bei Superacidität an der oberen Grenze des Normalen zu liegen. Es muß an dieser Stelle noch auf die Frage eingegangen werden, wodurch die Erniedrigung der Oberflächenspannung des Blutserums zustande kommt. Es genügt nicht, sie auf die im Serum enthaltenen Eiweißkörper zurückzuführen. In den Tabellen III und IV habe ich auch den refrakto- metrisch festgestellten Eiweißgehalt aufgenommen. Man er- sieht dort, daß bei gleicher Oberflächenspannung beträchtliche Differenzen im prozentualen Eiweißgehalt vorkommen. So habe 1) Arch. f. klin. Med. 97 bis 99. 2) Die Untersuchungen sind im Sommer 1918 abgeschlossen worden.

182

F. Boenheim:

Tabelle IV. Я Oberflächenspannung des Blutes bei Magen-Darmerkrankungen.

Sen] Name | Diagnose | d 7 | Е | D

Richard Carlsson

Peters `

Grothopp

Elly Voy

Schyroki Lau

Komp

Löwe

Hall

Sievert Meyer Schoof

Schack Wiegert

Schultz Klafack

Martha Boy

Erna Moll

Rußmann |Ca. abdominal.

Reichmannsche]20,4 Krankheit

Postinf. Magen-]20,28

beschwerden

Gastritis ana- cida

Subaciditas

Superaciditas Superaciditas (Uleus)

Superaciditas Appendicitis

Superaciditas

Superaciditas (Ulcus?) Superaciditas (Ulcus)

Ulcus

Ulcus Ulcus

Ulcus ventriculi et duodeni Ulcus

.

Magen Са.

(ventriculi?)

Ca. fundi Ca. fundi

20,39 20,11

6,55

(nüchtern)

6,55

6,7

67,4 |

63,9

| 60,2 61,4

1,35294

1,35028

1,35377

1,34480 1,35364

Se Bemerkungen H

5,9 10,262

9,209 8,18

NüchternerMageninhalt: Pepsin Glas 7. Trypsin Glas 4. Acidität: 29:38; О = 21,57; у = 6,2.

NüchternerMageninhalt: Diastase O. Pepsin Gl. 7 ъв 8. Trypsin GI. 9. Acidität: 54:66; О = 21,72; y=6,2. Magen- inhalt р, с. О = 22,61; у = 6,1 (gereichtZucker- wasser spez. Gew. 1005); О = 18,22,

Boas-Ewaldsches Probe- frühstück: 9:36; Diastase ; Trypsin—+; О = 26,46; у = 5,0. Se- rum sieht goldgelb aus.

Boas-Ewaldsches Probe- frühstück 6:17; O = 21,83; y=6,1. Serum sieht goldgelb und klar aus,

Boas-Ewaldsches Probe-

frühstück: О = 26,43; = 5,1, Serum ist

heigeib und klar. Boas-Ewaldsches Probe- frühstück ; 24:45; О = 25,98; y=5,2. Serum ist etwas blutig.

Boas-Ewaldsches Probe- frühstück : 48 - 55; О = 94,15; у = 5,5, Serum ist goldgelb.

Serum ist goldgelb.

Boas-Ewaldsehes Probe- frühstück: 56:66; Pa- tient hatte früher Ma- genblutungen.

Boas-Ewaldsches Probe- frühstück; 25:26; О = 26,24; у = 5,1. Se- rum ist goldgelb.

Serum ist hellgelb und

klar. Serum ist hellgelb und klar.

Boas-Ewaldsches Probe- frühstück: 36: 54. Keine Milchsäure. Se- rum ist goldgelb mit bläulichem Schimmer.

Serum ist hellgelb und klar. Serum ist etwas blutig.

Oberflächenspan.d.Mageninhalts b. natürl.u. künstl. Verdauungsvers. 183

Tabelle IV (Fortsetzung).

Nr. [patan] Name | Diagnose |o Y | R D Е Bemerkungen о

8,06 |Serum ist etwas blutig

ca. 6,6

1,85194) 9,286

1,35292) 9,848

ich bei einer Oberflächenspannung von 6,7 bei einem Magen- carcinom nur 5,9°/, Eiweiß gefunden, bei einer Chlorose da- gegen 9,3°/,. Dies eine Beispiel, dem man aus den Tabellen leicht andere zufügen kann, mag genügen. Daß das Eiweiß aber für die Erniedrigung des Blutserums in Frage kommt, beweisen die Versuche von Botazzi am dialysierten Eiweiß- Ich selbst verfüge über ähnliche Untersuchungen. So fand ich bei einem einige Tage ausdialysierten Serum eine Oberflächen- spannung entsprechend einer Tropfenzahl von 20,48, während der Wert vorher 21,61 war. Hieraus geht hervor, daß das Eiweiß an der Erniedrigung der Oberflächenspannung des Blut- serums beteiligt ist, daß daneben aber auch andere Stoffe, die nicht dialysierbar sind, mitwirken. i

Die dritte Komponente, die von Einfluß auf die Ober- flächenspannung des exprimierten Mageninhalts ist, ist die des eingeführten Probefrühstücks. Für den von uns gereichten Tee beträgt der Wert 7,5. Schon nach wenigen Minuten ist der‘ Wert im Magen auf 5,7 gesunken, woran allerdings allem Anschein nach ein starker Rückfluß aus dem Darme beteiligt ist, der anfangs besonders lebhaft zustande kommt. Lediglich durch Mischung, nicht durch Spaltung kommt es zum Sinken des Wertes der Oberflächenspannung. Etwas ganz Analoges kann man auch für eine Eiweißkost feststellen. Vermengt man ein filtriertes Plasmonfrühstück mit dem nüchtern ausgeheberten Magenrückstand, der makroskopisch frei von Galle ist, so kommt es ebenfalls zum Sinken der Werte. Eine Verdauung ist hierbei ganz ausgeschlossen, da man die Untersuchung gleich vornehmen kann.

1) Nicht deutlich ablesbar.

184 F. Boenheim:

Traube gibt an, daß das 1 St. post coenam exprimierte Boas-Ewaldsche Probefrühstück im Filtrat eine Oberflächen- spannung von 5,7 bis 6,04 habe. Läge der Wert tiefer und könne man die Anwesenheit von Galle ausschließen, so müsse man eine schwerere Form der Erkrankung annehmen. Diesen Satz kann ich auf Grund meiner Untersuchungen nicht be- stätigen. In Tabelle V gebe ich die gefundenen Werte wieder.

Tabelle V. Oberflächenspannung des exprimierten Mageninhalts.

Nr. Krankheit Tropfenzahl 7

1 Тһе. incipiens ... 25,16 5,3 2 Chlorose viril. . .. 24,65 5,4 3 Anämie....... 21,53 6,2 4 Neurasthenie. . .. 22,94 5,8 5 Nevrasthenie..... 21,57 6,2 6 Subaeidität...... 22,33 5,9 7 Subaeidität..... 23,31 5,7 8 Subacidität..... 21,88 6,05 9 Dyspepsia ..... 22,45 5,9 10 DUleus........ 24,37 5,5 P Hioeng: ie 4%; 23,33 5,7 12: - Ale, „хуш еа? 23,31 5,7 13 Ca. ventriculi ... 24,4 5,5

Wenn in dieser Tabelle auch nur ein Fall von malignem Tumor enthalten ist!), so daß aus ihr keine direkte Widerlegung der Traubeschen Theorie folgt, so kann man, wie ich glaube, trotzdem diese Resultate gegen die Traubesche These ver- werten. Wir sehen nämlich, daß sowohl bei Ulcus als auch bei gewöhnlicher Subacidität der Wert unterhalb des von Traube angegebenen Schwellenwertes liegen kann, also auch beim Fehlen einer ernsteren Erkrankung. ` Das Interessanteste aber ist, daß die niedrigsten Werte bei Erkrankungen, die nicht den Magen betrafen, gefunden wurden, wo es also erst zu sekundären Magenbeschwerden kam: in den beiden ersten Fällen, in denen es sich um zwei schwächliche Jugendliche handelte,

| 1) In einer demnächst aus der Poliklinik Rostock erscheinenden Arbeit wird speziell hierauf näher eingegangen werden.

Oberflächenspan.d. Mageninhalts b. natürl.u. künstl. Verdauungsvers. 185

bei denen aber keine irgendwie ‚schwerere Erkrankung irgend- welcher Art vorlag.

Ich bin nun zu künstlichen Verdauungsversuchen über- gegangen, um festzustellen, ob mit fortschreitender Peptoni- sierung eine Änderung іп der Okerflächenspannung einträte. Diese Experimente habe ich derart angestellt, daß ich eine gewisse Menge von Plasmon, also von einem Caseinpräparat, mit einer kleinen, in den einzelnen Versuchen wechselnden Menge von verdauungstüchtigem Ferment (Pepsin bzw. Trypsin) versetzte und dann in 600 ccm ?/ -NaOH bzw. in den Pepsin- versuchen in HCl von verschiedener Konzentration löste. Hierauf wurde in einer Probe sofort das spezifische Gewicht, die Ober- flächenspannung und der durch Formol titrierbare Stickstoff bestimmt, in einer Reihe von Versuchen auch der Gesamtstick- stoff nach Kjeldahl und der durch Gerbsäure Ё аге. Der Rest der Mischung kam in den Thermostaten, der auf eine Tem- peratur von 37 bis 38° eingestellt war. Nach einer bestimmten Anzahl von Stunden wurden Proben abgenommen, die dann wieder in derselben Weise untersucht wurden. Die Einzel- heiten ergeben sich aus den Tabellen VI bis XIV.

In Versuch 6 wurden 33 g Plasmon und 0,25 g Pepsin in 1000 ccm "/o- Salzsäure gelöst. Die Oberflächenspannung sinkt zunächst im Laufe der ersten 24 Stunden von 5,25 auf 5,12. Bis zum 8. Tage findet dann ein Steigen der Oberflächenspannung statt. Hingegen verläuft die Kurve

für die durch Gerbsäure fällbaren Stoffe sowohl, als auch für die formol- titrierbaren insofern regelrecht, als beide kontinuierlich zunehmen. Eine

Tabelle VI. 33 g Plasmon -+ 0,25 g Pepsin gelöst in 1000 cem */,,-НСІ.

Durch er ч Gesamt-N | Gerbsäure Formoltitrierung in 50 сет in fällbarer 5 ccm N Ing“ SCH Тө) E E in 20ccem| 1. | 2. | 3. | 4. | K | Np|1—(4—E) 5,0 x 1,4| 1,7 ><1,4| 5,25| 5,95| 6,45| 7,85/0,3 |20,5 1,84 4,5 >< 1,4| 3,1 ><1,4| 6,0 | 6,85| 7,35 8,05/0,25|22,6 1,3 2,9 >< 1,4| 8,75 >< 1,4] 7,45| 7,95| 9,3 | 9,6 |0,85|27,0 1,24 2,65 >< 1,4| 9,15 >x< 1,4] 8,5 | 9,2 |12,7 113,2 |0,2 |36,5 1,52 2,5 >< 1,4 9,45110,1 |14,65/15,4510,3 |42,5 1,6 2,0 ><1,4112,1 >x< 1,4|12,5 |15,0520,2 |20,55|0,3 |57,0 1,62 1,9 >< 1,4|18,9 >< 1,4[18,15[15,9 |20,15|20,75|0,25|58,0 1,55

186 F. Boenheim:

Abhängigkeit besteht also nicht. Auch darauf möchte ich die Aufmerk- samkeit lenken, daß die Werte für das spezifische Gewicht langsam im Laufe von 3 Tagen zunehmen, so daß also eine Parallelität der Ober- flächenspannung und des spezifischen Gewichtes hier nicht besteht. (Vgl. das gegenteilige Verhalten im Urin.)

Sehr ähnlich ist der Versuch 7 ausgefallen. Auch hier, wo auf etwa °/, der Plasmonmenge dieselbe Pepsinmenge, aber nur 600 сот einer ?/,„-HCl-Lösung einwirken, kommt es zu einer Abnahme der Ober- flächenspannung, die anfangs recht beträchtlich ist, später aber sich ein wenig hebt, ohne jedoch den Ausgangswert zu erreichen. Das spezifische Gewicht nimmt langsam, aber kontinuierlich zu. Die durch Formol- titrierung nachweisbaren Körper wachsen, ebenso auch die durch Gerb- säure fällbaren, was ja selbstverständlich ist. Die Zunahme geht aber nicht der Zeit proportional, sondern zu Beginn der Untersuchung ist die Zunahme schneller als später. Р

Tabelle VII. 20 g Plasmon -{- 0,25 g Pepsin gelöst in 600 cem "/,-HCl.

fällbarer

Durch Gerbsäure Formoltitrierung in 50 ccm о |? |

Da die Versuche 8 und 9 ebenso аџвбе]еп, so kann von einer Be- sprechung derselben abgesehen werden. Es genügt, die Tabellen wieder- zugeben.

Tabelle VIII. 20 e Plasmon + 0,5 g Pepsin gelöst in 600 ccm sl, HOL

Durch

Gerbsäure Nach) Spez. fällbarer

Formoltitrierung in 50 ccm

Oberflächenspan.d. Mageninhalts b. natürl. u. künstl. Verdauungsvers. 187

Tabelle IX. 20 e Plasmon + 1 g Pepsin gelöst in 600 cem °/,-НОІ.

Wise Formoltitri in 50 А ormolititrierung Іп ccm masel | ,| е : У | in 5 eem zor

1. | 2 | 3. Е |z |m,lı-«-n

`

3

5,0 2 |0 6,9 ‚8 10,9 [25,5 8,1 1

8,3

9,9

‚35[0,25128,4 ‚9510,4 |110,85/11,45|0,3 |31,1 94 |1011,5/25,7 (2)[5,20)[11,0 ><1,4|13,5 >< 1,4|11,0 |11,65/11,9 |12,3 |0,25/33,8 In Versuch 10, der mit dem ersten künstlichen Verdauungsversuch (Tabelle VI) übereinstimmt, sehen wir, daß die Oberflächenspannung sich nach 48 Stunden zur alten Höhe erhebt, um dann noch weiter zu wachsen. Ähnlich fällt der nächste Versuch 11 aus. Diesen 3 Versuchen ist ge- meinsam, daß als Lösungsmittel sl, Bëäure gebraucht wurde, während in den Versuchen 7 bis 9 si, HO verwand wurde.

Tabelle X. 33 д Plasmon -+ 0,5 g Pepsin gelöst in 1000 cem ^/,„-НС1.

Durch FRE ; Gerbsäure Formoltitrierung in 50 cem

fällbarer

2.18

><1,4 6,75| 1,15 11

>< 1,4 7,45) 7,95 1,1

>< 1,4 8,5 | 9,85 1,2

>< 1,4 11,5 [15,95 1,55

x1,4 11,95 15,35 1,4

>< 1,4 14,55119,65 20,3510,35|56,2] 1,74

zi LA 15,0519,95/20,45|0,25|57,01 1,72

Tabelle XI. 33 g Plasmon + 1 g Pepsin gelöst in 1000 eem ”/,ọ- HCl. Durch ER d N Gerbsäure Formoltitrierung in 50 ccm ба Soo е Ge in 20 cem| 1. e K | Np- 4- E) чы ны!

0,3 |23,1 1,88 0,25|94,2 1,24 0,85|85,0 1,5@ 0,2 |48,6 1,5 0,3 |49,9 1,4 0,3 |58,5

188 F. Boenheim:

Die hier mitgeteilten Resultate sind insofern recht merk- würdig, als im Versuch in vitro die Bedingungen für eine kon- tinuierliche Abnahme der Oberflächenspannung die denkbar günstigsten sind, wenn die Behauptungen von Traube zu Recht bestehen. Denn während im Magen die vorgeschrittenen Ab- bauprodukte des Eiweißes, die die Erniedigung der Oberflächen- spannung des Mageninhalts ja ausmachen sollen, im Gegensatz zu den noch nicht abgebauten Produkten den Magen schnell verlassen, sei es durch Resorption, sei es, daß sie in den Darm geschafft werden, bleiben sie im künstlichen Verdauungsversuch im Reagensglase liegen. Wenn man dies Moment vielleicht auch für die Proben, die nach längerer Zeit zur Untersuchung genommen wurden, nicht gelten lassen mag, da möglicherweise tieferen Spaltprodukten eine höhere Oberflächenspannung zukommt, wie man auf Grund der später zu beobachtenden Zunahme der Oberflächenspannung folgern könnte, so ist doch auf Grund der übereinstimmend ausgefallenen 6 Versuche mit peptischer

Tabelle XII. 33 g Plasmon + 0,25 g Trypsin gelöst in 1000 ccm °/,,- NaOH.

Formoltitrierung in 50 ccm

о [24,73 7,95 | 8,45 | 8,8 1,06 24 | 27,13 10,0 | 12,75 | 13,3 1,4 48 | 27,65 12,5 | 15,25 | 15,75 1,39 132 | 27,98 12,45 | 15,8 | 16,45 1,37 228 | 27,36 14,4 |18,4 | 18,7 1,35 336 | 27,59 16,25 | 20,05 | 20,55 1,81 480 | 25,73 18,65 | 21,7 | 22,95 1,3

Tabelle XIII. 83 g Plasmon + 0,5 g Trypsin gelöst іп 1000 cem Si, NaOH.

Formoltitrierung in 50 ccm

87 |10,2 [110 |0,3 24 12,0 |14,75 | 154 |0,3 |49,3 1,4 48 139 |171 |17,6 |04 |482 1,87 132 14,1 117,75 | 18,75 |04 |51,5 14 228 13,4 (2) 17,35 | 17,9 2) 0,4 |49,00) 1,4 336 15,5 |18,6 | 19,45 | 0,45 |53,3 1,25 480 19,05 |22,75| 24,0 |0,45 | 66,0 1,8

$ Oberflächenspan.d.Mageninhalts b. natürl.u. künstl. Verdauungsvers. 189

Verdauung klar, daß die peptischen Verdauungsprodukte nicht eine große Erniedrigung hervorrufen, wenngleich die Verdauung weiter fortschreitet.

Ich komme nunmehr zu 3 tryptischen Verdauungsversuchen. (Tabelle XII bis XIV.) In diesen Fällen ist nur der formol- titrierbare Stickstoff neben der Oberflächenspannung bestimmt

Tabelle XIV. 33 g Plasmon + 1 g Trypsin gelöst in 1000 cem "/,„-МаОН.

Formoltitrierung in 50 ccm

0 5,8 1,26 15 4,8 А 1,87 39 4,75 42,84 1,37 87 4,75 108 43,82 1,52 127 4,7 51,24 1,35 211 4,9 63,0 1,38 307 4,9 | 62,72 1,28

worden. Die Versuchsdauer ist in diesen Versuchen eine viel längere als in den Pepsinversuchen. Im einzelnen unterschie- den sich die 3 Trypsinversuche nur durch die angewandte Menge Trypsin, während die Menge des Lösungsmittels unver- ändert geblieben ist. Daß der formoltitrierbare N nicht stärker zunimmt, hängt wohl mit dem wenig wirksamen benutzten Prä- parat zusammen. Versuche mit verschiedenen Präparaten er- gaben keinen großen Unterschied. Die im Kriege hergestellten Trypsinpräparate zeichnen sich alle durch die gleiche geringe Wirksamkeit aus. Daß das Verhältnis 1 (4 К) sich nicht mehr der Zahl 2 nähert, habe ich an anderer Stelle!) erörtert.

Ganz anders als in den Pepsinversuchen verhält sich hier die Oberflächenspannung. Wir haben es hier mit einem fast dauernd zunehmenden Fallen derselben zu tun, wenn wir von der Beobachtung nach 20 Tagen in Versuch 12 absehen. Die kleinen Schwankungen in Versuch 14 bei den beiden letzten Beob- achtungen sprechen kaum mit. Hier haben wir also ein Ver- halten beobachtet, wie wir es nach Traube in allen Ver- dauungsversuchen hätten erwarten müssen. Diese Versuche in vitro stimmen mit den Ergebnissen der Beobachtungen am

1) Boenheim, Boas’ Arch. 1919.

190 F. Boenheim:

Menschen insofern überein, als wir nur dann eine starke Er- niedrigung der Oberflächenspannung, im exprimierten Magen- inhalt fanden, wenn wir einen starken Rückfluß aus dem Darme konstatiert hatten, wenn wir es also nicht mit einer reinen peptischen Verdauung zu tun hatten.

Ich gehe nun dazu über, über einige Versuche am Menschen zu berichten. Es wurde ein Plasmonfrühstück gegeben, das am ersten Tage nach 15 Minuten, jedes weitere Mal 15 Minuten später ausgehebert wurde. Ausführlich habe ich an anderer Stelle (в. о.) über die allgemeine Versuchsanordnung, ‚sowie über die gewonnenen chemischen Resultate berichtet. Das Wesent- liche ist, daß man hier fortlaufende Untersuchungen am selben Menschen vornimmt, so daß man einen Einblick in den zeit-

Tabelle XV. | Weir. Hysterie. P. F.: 44: 5932).

Nach Min. o ; че Eiweiß SSES 2)

e Die lo 15 26,26 | 51 40 24 30 2414 | 54 43 26 45 2529 | 58 3 26 60 2434 | 55 40 58 75 25,0 5,35 25 82 90 23,0 5,8 28 58

Tabelle ХУТ.

Carls. Reichmannsche Sekretionsanomalie. P. F.: 47:68.

Gelöstes Eiweiß] Peptone °% ho

15 25,25 5,3 30 26,46 5,0 60 24,4 5,5 75 26,71 5,0 90 27,86 4,8 120 24,94 5,4

1) P. F. = ?/, Stunden nach gewöhnlichem (Boas-Ewaldschen) Probe- frühstück untersuchter Mageninhalt (nicht filtriert) ergab freie Salz- säure 44 bei einer Gesamtacidität von 59. Indicator für freie НС] Di- methylamidoazobenzol, für die Gesamtacidität Phenolphthalein.

з) Prozentualer Peptongehalt im gelösten Eiweiß.

Oberflächenspan. d Mageninhalts b: natürl.u. künstl. Verdauungsvers. 191

lichen Ablauf gewinnt. Die Versuche 15 bis 21, die darüber berichten, bedürfen wohl kaum einer ausführlichen, gesonderten Besprechung.

Eine stärkere Herabsetzung der Oberflächenspannung findet nur bei Brüggm. statt (Tabelle XXI), während sonst nur kleine Schwankungen beobachtet wurden, die gar nicht selten in einer Erhöhung der gefundenen Werte bestanden. Eine Abhängigkeit von der Zeit besteht keineswegs. Die kleinen Schwankungen brauchendurchaus nichtauf die peptischeVerdauung zurückgeführt zu werden. Sie können zwanglos durch Regurgitation von Darm- inhalt erklärt werden. Versuche von Ehrenreich, die ich be- stätigen kann, zeigen, daß man im Mageninhalt immer Trypsin findet, zu verschiedenen Zeiten aber in verschiedener Menge. Sicher ist, daß die Oberflächenspannung im Darme eine be- deutend niedrigere ist als im Magen. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, geht bei Brüggm. im Magen eine Darmver- dauung vor sich infolge der regurgitierten Darmfermente. Des- halb werden hier auch Werte bis herab zu 4,3 gefunden. Das entspricht auch den oben mitgeteilten Versuchen in vitro, wo wir ebenfalls fanden, daß die Oberflächenspannung bei trypti- scher Verdauung niedriger ist als bei peptischer. Während die

Tabelle XVII. Rohde. Superacid. nervos. P. F.: 52:77.

Gelöstes se Peptone

°%

Tabelle ХУШ. Peter. Gastrit. postinfectiosa. P. F.: 55:73.

Gelöstes Eiweiß] Peptone

192 F. Boenheim:

Tabelle XIX. Nilz. Asthen. univers. P. F.: 31:35. Nach Min. o ў ТҮҮ Eiweiß N 0 0

Tabelle ХХ. Buhs. Gastritis subacid. Р. F.: 6:21.

Nach Min. o y Peptone 15 25,2 5,2 16 30 25,53 5,2 21 45 25,2 5,2 45 60 26,79 4,9 47 75 26,73 4,9 34 90 26,26 5,0 44

120 26,0 5,1 46 Tabelle XXI.

Brüggm. Achyl. gastric. P. F.: 0:20.

Werte bei der peptischen künstlichen Verdauung zwischen 5,1 und 5,5 schwanken, findet man bei der künstlichen tryptischen Verdauung Werte bis 4,5. Daß die Werte für den exprimierten Mageninhalt beim Menschen nach Plasmonfrühstück so bedeu- tend kleiner sind, als sie Traube angibt, ergibt sich aus dem gereichten Probefrühstück (s. ol Aus der Oberflächen- spannung läßt sich also kein Schluß auf den Grad der Verdauung ziehen, mit der einen Ausnahme, daß man bei sehr tiefen Werten annehmen kann, daß eine tryp- tische Wirkung vorliegt.

1) Der Mageninhalt ist auffallend grün gefärbt.

Oberflächenspan. d. Mageninhalts b. natürl.u. künstl. Verdauungsvers. 193

Nebenbei sei bemerkt, daß das spezifische Gewicht (wie beim Verdauungsversuch in vitro) langsam, aber kontinuierlich ansteigt.

Zusammenfassung.

1. Das Blutserum des gesunden Menschen hat eine Ober- flächenspannung von 6,4 bis 6,7.

2. Unter pathologischen Umständen kann der Wert bis auf 6,1 sinken. Dies ist der Fall bei Diabetes insipidus und bei Erkrankungen, die mit Ikterus einhergehen. Der höchste Wert von 6,9 wurde in einem Falle von perniziöser Anämie und in einem Falle von Nephritis gefunden. Charakteristische Veränderungen in der Oberflächenspannung des Blutserums bei verschiedenen Krankheiten bestehen nicht.

3. Die Erniedrigung der Oberflächenspannung des Blut- serums ist zum Teil durch die Eiweißkörper, zum Teil durch nicht dialysierbare Stoffe bedingt.

4. Die Oberflächenspannung des exprimierten Mageninhaltes hängt ab von der des Blutes, der des Magenrückstandes und der des gereichten Probefrühstücks.

5. Es gibt keine charakteristischen Veränderungen der Ober- flächenspannung des Mageninhaltes abhängig von Krankheiten des Magens oder anderer Organe.

6. Nimmt man eine peptische Verdauung von Plasmon in vitro vor, so kommt es anfangs zum Sinken, später zum Steigen der Oberflächenspannung.

7. Das spezifische Gewicht steigt dabei kontinuierlich.

8. Bei der tryptischen Verdauung von Plasmon in vitro sinkt die Oberflächenspannung dauernd. Die erreichten Werte sind viel tiefere als bei der peptischen Verdauung.

9. Fortlaufende Untersuchungen nach Plasmonfrühstück beim selben Menschen ergeben, daß es keine Relation zwischen der Oberflächenspannung und dem erreichten Grade der (chemi- schen) Verdauung gibt. Ebensowenig besteht ein Zusammen- hang mit der Zeit.

Biochemische Zeitschrift Band 94. 13

Über die biologische Wertigkeit der Stickstoffsubstanzen des Leims und einiger Knochenpräparate und Extrakte.

Von H. Boruttau.

(Aus der physiologisch-chemischen Abteilung des städtischen Kranken- hauses im Friedrichshain in Berlin.)

(Eingegangen am 3. Februar 1919.)

Die Verwertung tierischen „eiweißähnlichen“!) Materials zur menschlichen Ernährung, insbesondere die Verwendung der Knochen bzw. des „Leims“ hat von jeher bei Ernährungs- schwierigkeiten durch Völkerkatastrophen den erfinderischen Geist beschäftigt. C. у. Voits klassische Arbeit über die Bedeutung des Leims bei der Ernährung?) enthält als Einleitung eine noch heute lesenswerte historische Darstellung dieser Frage von Papin bis auf Liebigs Zeiten. Auch in den durch die feind- liche Blockade des Weltkriegs für Deutschland entstandenen Schwierigkeiten ist auf die Verwertung der Knochen zu Er- nährungszwecken zurückgegriffen worden, und zwar der herr- schenden, die Fertigpräparate und „Ersatzmittel“ begünstigen- den Richtung entsprechend, in Form der Knochenbrühwürfel und der „Extrakte“, denen wesentlich die Aufgabe der im Frieden so viel benutzten und auch schon viel durch andere Grundstoffe (Hefe usw.) „ersetzten“ Fleischextrakte zufiel. Das heißt: sie sind vor allem berufen gewesen, als geschmackver-

1) Man nennt Leim, Keratin usw. wohl „Albuminoide“; „Protein- oide“ wäre wohl richtiger, ebenso wie die (jetzt überflüssig gewordene) Bezeichnung einer Klasse von Verdauungsprodukten als „Proteosen“ (davon die „Albumosen“ eine Unterklasse).

®) Zeitschr. f. Biol. 8, 297, 1872.

H.Boruttau: Biolog.Wertigk.d. N-Subst.v.Leimu.Knochenpräparaten. 195

bessernde und „appetitreizende“!), bzw. nach den Arbeitsergeb- nissen der Pawlowschen Schule die Absonderung der Ver- dauungsdrüsen anregende Mittel zu wirken und so die Ernäh- rung mit früher ungewohnter, ballastreicher Nahrung (kleie- reichem Brot, Gemüse usw.) zu erleichtern. Ein „Nährwert“ echter Fleischbrühe bzw. reinen Fleischextraktes schien nach den Arbeiten der Voitschen Schule gegenüber der ursprüng- lichen Annahme Liebigs so gut wie gar nicht in Frage zu kommen, wogegen der Leim ja seit jenen Arbeiten in ihrem Sinne als „eiweißsparend“, bzw. im Sinne des Rubnerschen Isodynamiegesetzes als nach seiner Verbrennungswärme, ver- mindert um diejenige seiner N-haltigen Stoffwechselendprodukte vollwertiger „Nährstoff“ allgemein anerkannt ist. Anders steht es mit den Fragen, wie weit Fleischextrakt einerseits, Leim anderseits mit ihrem Stickstoffgehalt für zersetztes Körpereiweiß eintreten können, und wie weit sie Einfluß auf die Ausnützung und Verwertung anderer Nährstoffe als Bestandteile einer ge- mischten Nahrung ausüben. Haben hier Knochenextrakte vor Fleischextrakt Vorzüge, ja kommen sie ihm nur gleich, so sind sie berufen, als heimische Industrieprodukte ihn dauernd zu verdrängen, der vorwiegend Importartikel aus viehreichen Län- dern ist, wo die Qualität des Fleisches so minderwertig ist, daß die Verarbeitung auf Extraktivstoffe im Vordergrunde steht.

Der Fleischextrakt ist ein Gemisch von Mineralstoffen und wasser- löslichen‘ Abbauprodukten der Muskelsubstanz, dessen Zusammensetzung trotz höchst dankenswerter Fortschritte in den letzten Jahrzehnten immer noch nicht restlos anzugeben ist; jedenfalls sind darunter als „Eiweiß- bausteine“ ansprechbare Körper in verhältnismäßig geringem Anteil vor- handen. Der Leim zeigt in der Zahl und dem relativen Verhältnis seiner Bausteine sehr wesentlichen Unterschied von den Eiweißkörpern: viel Glykokoll, wenig Glutaminsäure, völliges Fehlen von Tyrosin, Tryptophan und Сузып. Es ist danach verständlich, wenn іп den Versuchen von Voit?), Oerum?), Kluge*®), I Munk’), Kirchmann®) und anderen sich herausstellte, daß das Nahrungseiweiß nur zu einem Teil durch Leim vertretbar ist, dessen Überschreitung Verlust von Körpereiweiß

1) Etwa im Sinne von W. Sternberg. 2) А. а. О. з) Nordiskt Med. Arkiv, 11, 1879. 4) Arch. f. d. ges. Physiol. 48, 100, 1891. 5) Ebenda 58, 309, 1894. 6%) Zeitschr. f. Biol. 40, 54, 1900. 13*

196 H. Boruttau:

zur Folge hat; letzterer tritt mit Notwendigkeit ein, wenn versucht wird, statt Eiweiß nur Leim zu reichen, auch bei beliebig großer Calorien- zufuhr. Schon 1876 hatten Hermann und Escher!) es versucht, Leim durch Zusatz von Tyrosin dem Eiweiß gleichwertig zu machen, und bei Schweinen günstige Ergebnisse erhalten, während K. B. Lehmann später das nämliche bei Ratten mißlang?). Völligen Ersatz des Eiweiß in der Nahrung nicht nur beim Hunde, sondern auch beim Menschen hat dann in neuerer Zeit M. Kaufmann?) dadurch erreicht, daß er Leim mit Tyrosin, Tryptophan und Cystin kombiniert verfütterte. ` In vielen der erwähnten Arbeiten finden sich Zahlen an-

gegeben, dahingehend, bis zu welchem Prozentsatz Eiweiß durch Leim vertretbar ist, Zahlen, die zum Teil miteinander des- wegen nicht vergleichbar sind, weil in den Vor- und Nach- perioden ganz verschiedene Ernährungszustände (Hunger, reine Fleischkost, gemischte Kost verschiedener Zusammensetzung, stickstofffreie calorienreiche Kost) eingehalten wurden und da- her dasjenige Eiweiß, das durch Leim „vertreten“ oder nicht vertreten wurde, etwas ganz Verschiedenes darstellt. Ich habe in dem ersten meiner Beiträge zu der Frage, wie pflanzliches Eiweiß im Tierkörper verwertet wird), die bisherigen Versuche, zahlenmäßig auszudrücken, wie weit eine Stickstoffsubstanz der Nahrung für zersetztes Körpereiweiß eintritt, kurz besprochen und meine eigenen Versuche an die in Rubners Institut von Thomas ausgeführte Arbeit?) angeknüpft, deren Grundlage darin besteht, in der Vorperiode durch N-freie und calorien- reiche Kost eine dem Eiweißminimum im Sinne der „physio- logischen Erhaltung“ entsprechende N-Ausscheidung festzustellen, deren Wert ganz oder teilweise entsprechend dann in der Hauptperiode von dem Versuchsnährstoff zugelegt wird. Aus der nun sich ergebenden Bilanz und der N-Ausscheidung in der N-freien Periode wird die „biologische Wertigkeit“ der untersuchten Stickstoffsubstanz berechnet nach Formeln, die hinsichtlich der Berücksichtigung des Kot-N verschieden ge- wählt werden, je nach der Güte der Ausnützung der Substanz.

Solche Versuche dürfen nicht von zu kurzer Dauer sein; anderseits ergibt eine einfache Überlegung, daß bei Stickstoff-

1) Vierteljahrsschr. d. naturf. Ges. in Zürich 1876, 36.

з) Sitzungsber. der morphol.-physiol. Ges. München, 10. März 1885.

3) Arch. f. d. ges. Physiol. 109, 440, 1905.

4) Diese Zeitschr. 69, 225, 1915.

5) Arch. f. Physiol. 1909, 219.

Biolog Wertigkeit d N-Substanzen v. Leim u. Knochenpräparaten. 197

substanzen, bei denen es sich nicht nur um ein vom Körper- eiweiß abweichendes gegenseitiges Verhältnis der Bausteine am Aufbau des Moleküls handelt, sondern um Stoffe, wie Leim, Gliadin, Zein, bei denen bestimmte Eiweißbausteine ganz fehlen, die „Vertretungszahl“ oder „biologische Wertigkeit“ nach Thomas in einer längeren Versuchsperiode abnehmen muß, in dem Maße, als aus zersetztem Körpereiweiß etwa „eingesparte“ und zunächst gewissermaßen regenerativ verwendete Bausteine (zyklische Kerne und Schwefel) weiterhin mit dem Harn ver- loren gehen: die betreffenden Stoffe geben ja ohne Zusatz der fehlenden Bausteine trotz beliebig hoher Calorienzufuhr immer negative N-Bilanzen. Wenn also den durch die Thomassche Methode zu gewinnenden Wertigkeitszahlen auch nur eine rela- tive Bedeutung zukommt, so schien mir diese doch der ge- wiesene Weg zur vergleichenden Beurteilung einiger Knochen- nährpräparate und von echtem Fleischextrakt, zumal da die dabei zu notierenden Mengen der Trockensubstanz und des Stickstoffes des Kotes einen Rückschluß darauf gestatten, in- wie weit die Präparate ausgenutzt werden: allerdings nicht auch wieweit sie die Ausnützung der N-freien Nahrung beeinflussen. In Hinsicht‘ auf die Frage solcher Beeinflussung liegen für den Fleischextrakt Arbeiten vor von Effront!), der fand, daß die Resorption des Stickstoffs von vegetabilischem Futter durch Zulage von Fleischextrakt- wesentlich verbessert wurde, von Voeltz und Baudrexel?), die eine solche Erhöhung der Re- sorption weder für die N-haltigen noch für die N-freien Nähr- stoffe konstatieren konnten, endlich von H. Wolff, der wiederum, und zwar beim Menschen wie beim Tier, einen günstigen Einfluß des Fleischextrakts auf die Ausnützung des vegetabilischen Nahrungsstickstoffs fand?).

Als Material für die zu berichtenden Bestimmungen der biologischen Wertigkeit dienten mir zwei als solche deklarierte Knochenextraktpräparate, nämlich einerseits das von v. Noor- den auf Grund klinischer Versuche warm empfohlene‘) „Ossosan“

1) Bericht IV des fünften internat. Kongresses für angewandte Chemie 1904, 97.

2) Arch. f. d. ges. Physiol. 139, 275, 1911.

3) Zeitschr. f. klin. Med. 74, 303; 76, 66, 1912.

*) Therapeutische Monatshefte, Maiheft 1918.

198 H: Boruttau:

der Soyamawerke Dr. Engelhardt in Frankfurt a. M., auf dessen hervorragende Eigenschaften ich gleich zurückkommen werde, anderseits „Knochenbrühextrakt“ des Kriegsausschusses für tierische und pflanzliche Öle und Fette in Berlin. Endlich wurde noch das als aus pflanzlichen und tierischen Ersatzstoffen hergestellt deklarierte Würzextrakt „Plantox“ der Paraguay- Fleischextrakt G. m. b. H. in Hamburg zu einigen Versuchen benutzt. Zum Vergleich herangezogen wurde einerseits Gelatine in Tafeln, deren im Kriege erhältliche Qualität freilich zu wünschen übrig läßt, anderseits echter Fleischextrakt. Auch wurde, gie unten berichtet wird, ein Kontrollversuch hinsicht- lich der „biologischen Wertigkeit“ des Stickstoffs von Fleisch und von frischen Knochen an je einem der Versuchshunde ausgeführt.

Bevor auf die Versuche selbst eingegangen wird, scheint es mir wichtig, auf grundsätzlich bedeutungsvolle Unterschiede in der Zusammensetzung der untersuchten Leimpräparate und Extrakte hinzuweisen, die die chemische Analyse aufdeckte:

Während die Gelatine in lufttrockenem Zustande den (etwas unter dem Durchschnitt guter Friedensware stehenden) Stickstoffgehalt von 13,1°/, aufwies, war derjenige der Knochenextrakte und des Fleisch- extraktes unter sich sehr ähnlich, nämlich 7,90%, Gesamt-N für den echten Fleischextrakt (für Liebig-Extrakt werden 8,5 angegeben), 7,890), für den Knochenbrühextrakt des Kriegsausschusses. Vom „Ossosan“ lagen zwei Präparate vor mit fast gleichem N-Gehalt, aber verschiedenem Gehalt an Wasser und Salzen: das „ältere“ zeigte bei 32°), Wasser, 68°/, Trockensubstanz, 8,64°/, Gesamt-N und 13,59°/, Gesamtasche, da- von 10,9°/, NaCl, 0,255°/, СаО; das „neuere“ zeigte bei 15°/, Wasser 85°/, Trockensubstanz, 8,45°/, Gesamt-N und 29,45°/, Gesamtasche, da- von 27,07°/, NaCl und 0,24°/, СаО; es ist unter Ersatz des verdunsteten Wassers durch entsprechende Mengen Kochsalz zu festerer Konsistenz eingedickt und hat außerdem größeren Gehalt an Würzstoffen. In der Mitte zwischen beiden stehend nach seinem Salzgehalt fand ich den Knochenbrühextrakt des Kriegsausschusses mit 19,04°/, Gesamtasche, davon 14,43°/, NaCl und 0,54°/, СаО; „Plantox“ enthielt nicht weniger als 57,05°/, Gesamtasche, davon 27,749, NaCl und 1,339, СаО, dabei nur 3,5°/, Gesamtstickstoff, also kaum mehr als ein Drittel der übrigen drei Extrakte und ein Viertel vom lufttrockenen Leim. Weder der Kriegsausschußextrakt noch „Plantox“ können sich nach appetitlichem Aussehen und Wohlgeschmack mit dem „Ossosan“ messen, das auch offen stehen gelassen sich unverändert hält, wogegen der Knochenbrüh- extrakt des Kriegsausschusses in diesem Falle zu einer harten glasigen Masse wird, die nach Aussehen und Farbe gewöhnlichem Tischlerleim

Biolog. Wertigkeit d. N-Substanzen v. Leim u. Knochenpräparaten. 199

nahesteht; auch Geruch und Geschmack im frischen Zustande verraten deutlich, daß es sich um eine mindestens nicht sehr abgebaute bzw. vor- verdaute Leimlösung handelt, also kurz gesagt um ein Produkt, aus dem „Gelatine“ erst durch weitere Reinigungsarbeit erhalten würde: mit dieser ist dem Präparate die Eigenschaft gemeinsam, durch Gerbsäure in weitgehendem Maße gefällt zu werden, so daß das Filtrat nur noch ganz geringe Mengen Stickstoff enthält. Dagegen fand ich, daß von den 8,64°/, Gesamtstickstoff des Ossosans (siehe oben) nur 0,46°/, mit Tannin fällbar waren, alles übrige ging ins Filtrat: Leim und etwaige Eiweißsubstanz dieses Präparats ist also ganz vorwiegend abgebaut: daß dieser Abbau noch weit über die Stufen der „Proteosen“ bzw. „Gelatosen“ und „Peptone“ (Leimpeptone) hinaus bewirkt ist, zeigt der äußerst schwache Ausfall der Biuretprobe! Er war viel, viel schwächer als bei dem zum Vergleich herangezogenen Fleischextrakt, von dessen "7 991, Gesamtstickstoff auch 1,74%, durch Tannin ausgefällt wurden. Auch Plantox gab wenig Tanninfällung und ganz schwache Biuretprobe. Da- nach wäre „Ossosan“ ein weitgehend abgebautes Produkt der organischen Grundsubstanz der Knochen, das sich in dieser Beziehung, und wie schon Ausnützungsvorversuche an Tier und Mensch ergaben, in bezug auf leichte und vollständige Resorption mit dem Fleischabbauprodukt „Erepton“ (Höchster Farbwerke) messen kann, dieses aber an Appetit- lichkeit weit übertrifft. Allerdings ist es eben kein eigentliches Eiweiß- abbauprodukt, wie aus den Wertigkeitsbestimmungen hervorgeht, zu deren Besprechung ich nunmehr übergehen kann.

Sie wurden an zwei kleineren Schäferhanden von 11,5 und 12 kg Körpergewicht vorgenommen, denen nach mehreren vorausgeschickten Hungertagen jedesmal zunächst eine Kost in Vorperiode gereicht wurde, die als calorisch zulänglich und möglichst stickstofffrei beabsichtigt war, infolge der Unmöglichkeit, reine Stärke in genügender Menge zu be- schaffen, die zweite Forderung nicht vollkommen erfüllte; sie bestand aus täglich 50 g praktisch stickstofffreien Fettes und 200 g Kartoffel- walzmehl, dem durch Schlämmen die N-haltigen Bestandteile wenigstens so weit entzogen waren, daß es statt ursprünglich 0,9 bis 1,0 nur noch 0,259, Gesamt-N enthielt. Es kamen dadurch freilich in die „Grund- kost“ außer rund 100 Cal pro Kilogramm Körpergewicht täglich 0,5 g N in Gestalt von Stickstoffsubstanzen der Kartoffel, deren biologische Wertigkeit bekanntlich recht hoch (nach Thomas nahezu 80°/,) ist und von denen denkbar wäre, daß sie ähnlich, wie ich es für grüne Pflanzen- teile und Getreideeiweiß seiner Zeit nachgewiesen habe, auch als kleiner Zusatz gegeben die zu ermittelnde biologische Wertigkeit der tierischen Nährpräparate verbessernd beeinflussen könnten. Die zu berichtenden Ergebnisse machen das allerdings nicht sehr wahrscheinlich, und das Verhältnis der untersuchten Präparate zueinander hinsichtlich der Wertig- keit der Stickstoffsubstanz dürfte jedenfalls kaum verändert worden sein. Sobald es die Materialbeschaffung gestattet, soll durch Wieder- holung einiger Hauptversuche mit reiner Stärke in der Grundkost er- mittelt werden, ob eine Beeinflussung überhaupt vorlag. Vorläufig be-

200 H. Boruttau:

ziehen sich die erhaltenen Wertigkeitsziffern also auf die Stickstoff- substanz des betreffenden Präparats plus einer kleinen Beimischung von Kartoffelstickstoff. In der eigentlichen Versuchsperiode wurde der Grund- kost eine Menge des betreffenden Präparats hinzugefügt, die beim Leim und Fleisch etwa soviel Stickstoff enthielt, wie in der Vorperiode täglich ausgeschieden worden war; bei den Extrakten wurde nicht über 20 g hinausgegangen, weil eine zu starke Beeinflussung des Umsatzes durch den Mineralgehalt vermieden werden sollte und dies im allgemeinen auch die Höchstmenge ist, die gewöhnlich ein Mensch täglich davon zu sich nimmt.

Auf diese Weise angestellt,‘ verliefen die Versuche mit Gelatine folgendermaßen:

Hund 1 schied an den letzten 3 Tagen der Vorperiode aus: 2,64, 2,87 und 2,72 g, im Mittel also 2,74g N im Harn bei einer Kost, die allerdings nicht streng N-frei war, sondern die erwähnten 0,5 g Kartoffel-N täglich enthielt. In denselben 3 Tagen wurden 1,186 g N, also täglich 0,395 g N mit dem Kot entleert.

In darauf folgenden 4 Tagen wurden täglich 30 g Gelatine zu 13,19, gleich täglich 3,93 р N zugelegt, wozu noch obige 0,5 g Kartoffelstickstoff zu addieren sind, um die Gesamtein- fuhr von 4,4g N zu erhalten. Ausgeschieden wurden im Harn: 2,83, 5,10, 3,74 und 5,03 g, im Mittel also 4,18 g N täglich, dazu 0,797 g N täglich im Kot. (Hiervon würden also 0,4g Mehr der Zulage von 3,93 g Leim-N entsprechen, was einer Ausnutzung von nahezu 90°/, entspricht, soweit nach den “neuen Ermittelungen von Rubner u. a. noch solche einfache Berechnung zulässig ist.) Die Gesamtausgabe war also 4,977 g, so daß bei obigen 4,4 g Gesamteinfuhr eine negative Bilanz von 0,577 g N statthat.

Es ergibt sich somit die „biologische Wertigkeit der Stickstoffsubstanz der Gelatine“ nach der I. Thomasschen Formel zu 2,74 0,577

4,4 und nach der II. Formel, die den Verlust im Kot als tatsächlich einrechnet:

100 x = 49,1%),

2,74 + 0,797 0,577 4,4 Als Mittel wären also 58,2°/, einzusetzen. Der entsprechend

100 x = 61,39/,.

Biolog. Wertigkeit d. N-Substanzen v. Leim u. Knochenpräparaten. 201

durchgeführte Versuch an dem anderen Tier, dessen Werte wenig abweichen und der Raumersparnis wegen nicht genauer mitgeteilt werden, ergab als Mittel 59,0°/,.

Mit dem

Knochenextrakt Ossosan

wurden mehrere Versuche angestellt; ein wesentlicher Unter- schied zwischen dem kochsalzärmeren und kochsalzreicheren Präparat ergab sich dabei nicht. Mit dem letztgenannten ver- lief ein Versuch an Hund 2 folgendermaßen: In der Vorperiode wurde an 2 Tagen zusammen 4,19 g N, weiterhin 3,12 und 2,18 g im Harn ausgeschieden, als Mittel der Tage, an denen nur die 0,5 g Kartoffelstickstoff aufgenommen wurden, also 2,34 g Stickstoff, dazu 0,516 g als Tagesmittel im Kot.

Bei Zulage von 20 g Ossosan mit 1,70 g Stickstoff wurden an 4 Tagen ausgeschieden: 2,65, 3,36, 2,99, 4,69, im Mittel also 3,42 g Harnstickstoffl, dazu im Mittel 0,860 g N im Kot (die Mehrausscheidung von 0,344 g täglich würde einem „Ver- lust“ von etwa 20°/, entsprechen), ergab eine Gesamtausgabe von 4,28 g, der eine Einnahme obiger 1,70 plus 0,5 g Kar- toffel-N gegenüberstehen, also eine Minusbilanz gleich 2,08 g. Da der N-Verlust im Kote der Gesamteinnahme gegenüber verhältnismäßig hoch ist, kommt in erster Linie die Thomas- sche Formel II in Betracht, die als „biologische Wertigkeit der N-Substanz“ ergibt:

2,38 + 0,86 2,08 2,2

Formel I würde nur 22,7°/, ergeben, Formel III dagegen 88,3°/,, so daß als Mittel wieder 51,5°/, resultieren, also eine Größenordnung, die wenig unter der für Gelatine gefundenen liegt. Der Versuch mit dem nämlichen Präparat an Hund 1 ergab als Mittel genau 52°/,, derjenige mit dem kochsalzärmeren Präparat 61,1°/,.

Mit dem

{ 100 x

= 52,79/,.

Knochenbrühextrakt des Kriegsausschusses

wurden 2 Versuche angestellt: Bei Hund 2 wurden an 3 Tagen der Vorperiode 2,24 g, 1,80 g und 2,12 g, im Mittel also 2,05 g N im Harn ausgeschieden, dazu im Tagesmittel 0,39 g N im Kot. Bei Zulage von 20 g Extrakt mit 1,58 g N wurden an 3 Tagen

202 H. Boruttau:

im Harn ausgeschieden 2,7, 2,96 und 2,52 g N, im Mittel 2,73 g, dazu im Kot 0,79 р N (es würde also ein Mehr von 0,4 g einem „Verlust“ von etwa 25°/, entsprechen): Die Gesamt- ausgabe von 3,52 g bewirkt gegenüber der Einnahme von 1,58 g Extrakt plus 0,5 g Kartoffelstickstoff gleich 2,08 g N eine negative Bilanz von 1,44 g, und die hier wieder nach der Formel II berechnete biologische Wertigkeit der Stickstoff- substanz ist

2,05 -+ 0,79 1,44

2,08

Berechnung nach der Formel I gibt nur 29,3 g, nach der Formel III 81,3, das Mittel ist mit 59,3°/, der mit dem koch- salzärmeren Ossosan gefundenen Zahl äußerst ähnlich. Веі Hund 1 wurde als Mittel 61,8°/,, also dieser fast gleichlautend berechnet.

Mit anderen Worten: Für reinen Leim, für den wesentlich aus solchem bestehenden Knochenbrüh- extrakt und für das ein gereinigtes Abbaugemisch aus der organischen Grundsubstanz der Knochen dar- stellende Ossosan wurde gefunden, daß (nach Einstellung des Eiweißminimums auf mehrere Tage stickstofffreie Er- nährung) 100 Teile für 50 bis 60 Teile zerfallendes Körpereiweiß eintreten können; es ist bemerkenswert, daß bereits in seinen 1872 veröffentlichten Untersuchungen über den Nährwert des Leims C. v. Voit am Hunde berechnet hat, daß 168 Gewichtsteile trocknen Leims 84 Gewichtsteile trocknes Fleisch ersetzt haben'), also just 50 v. Н.

Wesentlich geringer erwies sich die Wertigkeit des „Plantox- extraktes“, nämlich 33 und 35°/, als Mittelzahlen der beiden Versuche. Rechnet man dazu den oben erwähnten niedrigeren Stickstoffgehalt, so wird man auf alle Fälle schließen müssen, daß dieses Präparat wohl als Würze, aber kaum als N-haltiges Nährpräparat in Frage kommt. Interessant ist nun jedenfalls der Ausfall der mit echtem

Fleischextrakt

100 x = 67,3? h.

angestellten Versuche. Hund 2 schied in 4 Tagen Vorperiode 2,09 g, 2,03 g,

1) Zeitschr. f. Biol. 8, 345, 1872.

Biolog. Wertigkeit d. N-Substanzen v. Leim u. Knochenpräparaten. 203

1,63 g und 1,23 g, durchschnittlich also 1,75 g N täglich aus, nachdem aus anderen Gründen mehrere Hungertage voraus- gegangen waren. Als zu der nur die 0,5 g Kartoffelstickstoff enthaltenden Kost 20 g Fleischextrakt mit 1,58 g N zugelegt wurden, schied er in den nächsten Tagen 1,04 g, 1,84 g, 2,98 g und 1,56 g, im Mittel also 1,86 g Stickstoff täglich aus im Harn, dazu 0,99 g im Kot (gegen 0,70 g in der Vorperiode, so daß das Mehr also mit 0,29 g zu berechnen und die Re- sorption des Extraktes gleich 81,7°/, war); im ganzen also 2,85 g verausgabter gegen 2,08 g vereinnahmter N, also eine negative Bilanz von 0,77 g. Die biologische Wertigkeit des Stickstoffs nach der Formel I ergibt sich zu 1,75 0,77

2,08

Soll auch die Formel II herangezogen werden, so darf hier m. E. bei dem auffällig hohen N-Gehalt des Kotes der Vorperiode und der verhältnismäßig guten Resorption des Extraktstickstoffes nur die Differenz des N-Gehalts beider Kote eingesetzt werden, und es ergibt sich: 1,75 +0,29 0,77

2,08

Das Mittel aus beiden Werten beträgt 52,1°/,. Im Ver- suche an Hund 1 wurde bei entsprechender Berechnung nach Formel I 31,7°/,, nach Formel II 45,7°/, gefunden; das Mittel beträgt 38,7 v. H. Danach wäre die biologische Wertig- keit der N-Substanz des Fleischextraktes vielleicht etwas kleiner als diejenige der Leimpräparate, von ihr aber nicht allzuweit entfernt, und wenigstens für kurze Versuchsperioden geht sie wesentlich über den Befund von Voeltz und Baudrexel!) hinaus, daß der Fleischextrakt- stickstoff „die Verluste des tierischen Organismus an N infolge ungenügender Nahrung um einen Wert verringern konnte, der zum mindesten 11°/, der N-Menge betrug, die in Form von eiweißfreien Extraktivstoffen verabreicht worden war“. Jeden- falls enthält der Fleischextrakt Stoffe, die bei Eiweißmangel in der Nahrung einige Zeit lang als Eiweißbaumaterial in be- scheidenem Umfange mit verwendet werden können, wenn

100 x —=47,1%,.

100 x

= 61,1%],-

1) A. а. О.

204 H.Boruttau: Biolog Wertiek d N-Subst. e Lem u.Knochenpräparaten.

auch nicht in dem Maße, wie es für den Leim der Fall ist. Besser scheint die Verwertbarkeit des Kohlenstoffs und Wasser- stoffs der Fleischextraktbestandteile zu sein; denn Baudrexel und Voeltz fanden ebenso wie schon vorher Frentzel und Toriyama den Nutzwert derselben zu 65°/, des Energie- gehaltes.

Vergleichenderweise wurde, wie schon früher angedeutet, noch ein Versuch angestellt und in gleicher Art wie die ge- schilderten durchgeführt, bei dem Hund 1 in der Hauptperiode eine Zulage von täglich 100g frischem Kaninchenfleisch mit 3,84 g N, Hund 2 desgleichen von 100 g trockenen Knochen mit 3,92 g N erhielt. Das Ergebnis berechnet sich für das (fast vollkommen ausgenützte) Fleisch zu einer biologischen Wertigkeit des Stickstoffs nach Formel I zu 76,0 und nach Formel II zu 90,1 v. H., im Mittel also 83 v. H. Dabei ist die Artverschiedenheit und der verhältnismäßige Reichtum des verabreichten Fleisches an Sehnen usw., also leimgebender Sub- stanz, offenbar heranzuziehen, wenn der Wert unter 100 blieb. Für den N der Knochen wurden als Mittel aller drei Formeln 51,6 у. Н. erhalten, also wieder dem am reinen Leim gefundenen Werte entsprechend. Diese Ergebnisse der Vergleichsversuche stützen die Richtigkeit bzw. ernährungsphysiologische Verwend- barkeit der mitgeteilten Zahlen beim Leim und den vier unter- suchten Extrakten.

Wie weit ein Zusatz der letzteren die Resorption anderer Nährstoffe verbessert, darüber erhellt aus ihnen nichts Be- stimmtes. Indessen ergab sich eine geringfügige Verbesserung der N-Resorption in zwei Selbstversuchen mit Ossosan. Sie ist wohl auf die Anregung der Absonderung der Verdauungssäfte zurückzuführen, die den untersuchten Stoffen sämtlich zukommt. Ich habe dies in einigen Versuchen an einem Magenblindsack- hunde feststellen können. Darüber soll später gesondert be- richtet werden, ebenso wie über das Verhalten der Knochen- extrakte in klinischen Ernährungsversuchen.

Bemerkungen zu der Arbeit von Hans Aron „Über den Nährwert“ in dieser Zeitschrift Bd. 92 S. 211.

Von

E. Salkowski. S (Eingegangen am 4. Februar 1919.)

In der in der Überschrift genannten interessanten Arbeit ist Aron u.a. durch Versuche an Ratten zu dem Resultat ge- langt, daß die Zufuhr von Fett für das Leben notwendig ist, demselben Funktionen zukommen, die wir noch nicht genau kennen, daß die Fette durch Kohlenhydrate nicht ersetzbar sind, sowie weiterhin, daß dem Butterfett vor allen anderen Fetten ein Vorrang gebührt, eine Folgerung, die schon ver- schiedene amerikanische Forscher aus ihren Versuchen gezogen haben. So beweisend die Versuche zunächst erscheinen, so ist doch ein Bedenken gegen dieselben nicht abzuweisen, das Be- denken nämlich, ob die Ratten die ihnen gebotene fettfreie Nahrung auch in zu ihrer Ernährung bzw. Wachstum ausreichen- den Menge aufgenommen haben. Dieses Bedenken steht nicht so in der Luft, wie es vielleicht scheint. Wir unterschätzen in der Regel den Umstand, daß die Tiere wählerisch'!) sind, vielfach wählerischer als der Mensch. „Hunger tut weh“, und der Mensch gewinnt es unter diesen Umständen über sich, Nahrungsmittel zu genießen, die ihm nicht zusagen?), das Tier nicht: es frißt nichts, was ihm nicht behagt.

Ich habe hierüber in meinem langen Leben die sonder-

!) Soeben sehe ich, daß Abderhalden bezüglich der Hunde die- selbe Beobachtung gemacht hat. Zeitschr. f. physiol. Chem. 96, 66.

*) In Zeiten von Hungersnot wird bekanntlich auch manches ver- zehrt, was kaum einen Nährwert hat, lediglich zur Füllung des Magens.

206 E. Salkowski: i

barsten Erfahrungen gemacht. Es gibt Hunde, die nur rohes Fleisch fressen, andere, die solches verschmähen und nur ge- kochtes zu sich nehmen. Diese Beobachtung hat übrigens schon C. Voit?) gemacht. Daß viele Hunde Brot nur fressen, wenn es mit Fett oder Butter bestrichen ist, ist allgemein bekannt. Aber auch das Umgekehrte kommt vor: ich erinnere mich eines großen Hundes, der in Butter gebratene äußerst appetit- liche Weißbrotschnitte nicht mochte. Wenn man ihn durch strenge Blicke zur Aufnahme einer Schnitte bewegte, so behielt er sie in der Mundhöhle und legte sie, wenn er sich unbeob- achtet glaubte, in irgendeinen Winkel wieder nieder. Man könnte da beinahe von einer Perversität der Geschmacks- empfindung sprechen. Noch mehr vielleicht in einem anderen Falle. Ich hatte einen kleinen Hund, der Fleisch mit Speck weder roh noch gekocht fraß, es aber gierig verzehrte, als ich in das Futter etwas wäßrige Indollösung gegossen hatte. Sehr auffällig ist auch die Abneigung mancher Hunde gegen Blut- präparate, sie hat mir bei meiner Arbeit über Fleischersatz- mittel?) große Schwierigkeiten gemacht. Eine ganze Anzahl von Versuchen mußte aufgegeben werden, weil die Hunde sich weigerten, die äußerst appetitlich riechende, aus Speck, Reis und Blutkoagulum zusammengekochte Nahrung aufzunehmen.

Über Ratten habe ich keine Erfahrungen, wohl aber über ein anderes Nagetier, das Kaninchen, das allerdings an seine Nahrung ganz andere Ansprüche stellt als die Ratten. Füttert man Kaninchen mit rohen Kartoffeln geschälten oder un- geschälten —, so fressen sie dieselben anfangs gierig, bald aber sinkt die Freßlust und wird schließlich Null. Auch gekochte Kartoffeln fressen sie nicht lange, wenigstens nicht als einzige Nahrung, manche Tiere überhaupt nicht. Man könnte vielleicht denken, daß sie sich instinktiv im Sinne der Bungeschen Theorie vor dem hohen Kaligehalt scheuen, aber sie rühren ihnen als Korrigens dafür vorgesetzte physiologische Kochsalz- lösung, wie zu erwarten, nicht an. Ich habe ihnen sogar Koch- salzlösung mit der Schlundsonde in den Magen gebracht ohne Erfolg: sie fraßen die Kartoffeln doch nicht. Die Nah-

1) Forster, Zeitschr. f. Biol. 9, 302. 2) Diese Zeitschr. 19, 83, 1909.

Über den „Nährwert“. 207

rungsverweigerung liegt auch nicht daran, daß sie des -Einerlei’s der Nahrung überdrüssig werden, denn Kohl (Weißkohl) nehmen sie als einzige Nahrung mindestens viele Wochen lang auf, Mohrrüben schon weniger.

Nach meinen Erfahrungen muß ich ganz allgemein sagen: Hunde und Kaninchen verhungern lieber, als daß sie etwas fressen, was ihnen nicht zusagt. Kann dieses Verhalten nicht auch in den Versuchen Arons eine Rolle ge- spielt haben? Sicher ist jedenfalls, daß die fettfreie Nahrung den Ratten weniger zusagt als die fetthaltigee Ratten und Mäuse sind bekanntlich besondere Fettliebhaber. Nicht ohne Grund heißt es im Sprichwort: „Mit Speck fängt man Mäuse“.

Es genügt meiner Meinung nach nicht, daß man den Tieren eine Nahrung vorsetzt, man muß sich auch davon über- zeugen, wieviel von derselben gefressen wird. Inwieweit dieser Punkt in den zahlreichen ich möchte beinahe sagen zahl- losen Versuchen der amerikanischen Autoren berücksichtigt ist, kann ich im Augenblick nicht übersehen. Ratten sind ja zu Fütterungsversuchen in der hier interessierenden Richtung sehr bequem, weil sie bei ihrer Kleinheit wenig Versuchs- material erfordern, aber sie haben doch den Nachteil, daß man die Nahrungsaufnahme nicht genügend kontrollieren kann. Weit besser brauchbar sind in dieser Beziehung Tauben und Hühner vielfach von englischen und amerikanischen Forschern be- nutzt —, bei denen man mit Leichtigkeit eine Zwangsfütterung durchführen kann, so daß man über die Nahrungsaufnahme nicht im Zweifel 1861). Freilich läßt sich dagegen wieder der Einwand erheben, daß sie dem Organismus des Menschen, auf den es in letzter Instanz doch ankommt auch Aron verall- gemeinert seine Befunde für den Menschen doch weit ent- fernter stehen wie Säugetiere. Hunde sind deswegen wenig brauchbar, weil sie, wie erwähnt, sehr wählerisch sind, relativ große Mengen von Versuchsmaterial erfordern und bei Zwangs- fütterung leicht erbrechen.

Nun steht das Ergebnis der Versuche von Aron in Wider- spruch mit dem Resultat, zu dem Stepp?) in seinen an Mäusen

1) Vor längerer Zeit habe ich derartige Versuche an Hühnern über

den Nährwert der Amidalbumose angestellt. Zeitschr. f. Biol. 34, 190. 2?) Stepp, Zeitschr. f. Biol. 62, 415.

208 E. Salkowski:

ausgeführten Versuchen gelangt ist. Stepp sagt: „Die Ver- suche bringen den einwandfreien Beweis dafür, daß Fett ein für die Ernährung von Mäusen vollkommen entbehrlicher Nah- rungsstoff ist.“ Es steht also, da man einen Unterschied zwi- schen Ratten und Mäusen nach dieser Richtung doch nicht annehmen kann, Meinung gegen Meinung. Erwägt man nun das Für und Wider, so läßt sich allerdings nicht verkennen, daß der Versuch von Stepp nur 49 Tage dauerte, während nach Aron sich Gewichtsabnahmen oft erst nach 100 Tagen und noch später einstellten, so daß Aron selbst, wenn er sich auf eine Versuchsdauer von 50 Tagen beschränkt hätte, zu dem Resultat gelangt wäre, daß Fett in der Nahrung entbehrlich sei. Immerhin ist es auffallend, daß in dem von Stepp an 10 Mäusen angestellten Versuch sich sogar eine, wenn auch nur geringe, Gewichtszunahme einstellte Das Gesamtgewicht der Mäuse berechnet sich am Anfang des Versuchs zu 223,3 g, am Ende zu 233,6 g. Freilich ist gegen die Beurteilung allein nach dem Körpergewicht auch wieder ein Einwand zu erheben. Es ist meines Wissens zuerst von Voit darauf hingewiesen worden, daß Hunde bei unzureichender Ernährung nicht not- wendig eine Abnahme des Körpergewichts zu zeigen brauchen, das Körpergewicht vielmehr durch Zurückhaltung von Wasser auf derselben Höhe gehalten werden kann. Bei darauf ein- setzender guter Ernährung beobachtete er reichliche Harnent- lehrung und zumeist keine Zunahme des Körpergewichts. Die Unterernährung im Kriege hat vielfach in Form des Hunger- ödems einen traurigen Beweis für die Richtigkeit dieser An- gaben auch beim Menschen gebracht.

Was den Menschen betrifft, so habe ich die Frage, ob die Zufuhr von Fett zur Erhaltung des Lebens notwendig sei, ein- mal in einem populären Artikel in Nr. 516 des Berliner Tage- blatts vom 3. Oktober 1916 kurz behandelt, angeregt durch die vielfach geäußerte Befürchtung, daß die Fettknappheit bei der rationierten Nahrung eine Lebensgefahr bringen möchte. Ich beantwortete damals die Frage: „Können wir überhaupt auf die Dauer ohne Fett leben?“ folgendermaßen: „Diese Frage kann die Wissenschaft unbedenklich bejahen, wenigstens insoweit, als es sich um die Hinzufügung von Fett zur Nahrung handelt. Man darf nicht vergessen, daß unsere Nahrung auch bei ab-

Über den „Nährwert“. 209

sichtlicher tunlichster AusschlieBung von Fett immer noch kleine Mengen von Fett enthält, die wir also zu uns nehmen, ohne daß es uns zum Bewußtsein kommt. Ob ein Leben unter Ausschließung auch dieser kleinen Quantitäten von Fett möglich ist, ist eine Frage von lediglich theoretischem Interesse. Sie ist nicht genügend untersucht, wahrscheinlich aber zu bejahen. Darum handelt es sich hier aber nicht, sondern nur darum, ob eine dauernde Lebenshaltung ohne Beifügung von Fett möglich ist. Diese Frage ist unbedenklich zu bejahen.“,

Was den ersten Teil des Satzes, den über die Fettzufuhr als solche, betrifft, so glaube ich ihn auch heute noch aufrecht erhalten zu können; bezüglich des zweiten Teiles wird man sich nach den Versuchen von Aron nicht mehr so sicher äußern können. Die Begründung für den ersten Teil des Satzes findet sich in dem erwähnten Artikel nicht, weil sie von der Redaktion gestrichen ist; ich hole sie hier nach.

Der bekannte physiologische Chemiker Kumagawa!) in Tokio hat seinerzeit in meinem Laboratorium Stoffwechsel- versuche mit japanischer Kost an sich selbst gemacht. Seine auch heute noch sehr lesenswerte Arbeit beschäftigt sich aller- dings hauptsächlich mit der Frage, wie hoch die tägliche Eiweiß- zufuhr sein müsse; nebenher ist aber auch die Fettmenge be- rücksichtigt worden. Sein Versuch umfaßt 4 unmittelbar an- einander anschließende Perioden, vom 13. V. bis 5. IX., also zusammen 32 Tage. Die tägliche Fettaufnahme in den Nah- rungsmitteln betrug nach den Angaben von Kumagawa in Periode I?) 5,55 g, Periode II 2,403 g, Periode III 1,935 g, Periode IV 2,52 р. Im ganzen sind also in 32 Tagen aufge- nommen:

13 x 5,55 + 5 >< 2,403 + 5 >< 1,935 + 9 >< 2,52 = 116,52 g, auf den Tag also 3,64 g. Eine Gesundheitsschädigung trat nicht ein. Soviel ich aus der Arbeit ersehen kann, und soweit ich mich erinnere, sind allerdings die Angaben über den Fett- gehalt der Nahrungsmittel der Literatur entnommen. Tat-

1) Virchows Archiv 116, 370, 1889. 6 з) Die Bezeichnung дег Perioden mit Zahlen stimmt nicht mit dem Original überein, weil Versuchsperiode I mit unzureichender Ernährung hier fortgelassen ist. Biochemische Zeitschrift Band 9. Д 14

210 E. Salkowski:

sächlich mögen die Fettmengen etwas größer gewesen sein. Nun sind 32 Tage für einen derartigen Stoffwechselversuch ja nicht viel, ich stützte mich bei meinen Angaben auf die Ver- sicherung von Kumagawa, daß viele Japaner, namentlich der unteren Stände, sich dauernd so ernähren, wie er in seinen Versuchen.

Ein Einwand gegen die Annahme der Unentbehrlichkeit von Fett in der Nahrung ist auch nach dem Verhalten der Pflanzenfresser zu erheben. Das Vermögen dieser, aus Kohlen- hydraten Fett zu bilden, steht außer Zweifel. Um nur einige Forscher anzuführen, ist dieses von Meissl und Stohmer') -sowie von Rubner?) mit Bestimmtheit erwiesen. Diese Fähigkeit ist bekanntlich bei bestimmten Tierarten und unter diesen wieder bei bestimmten herangezüchteten Rassen, so bei den York-Shire-Schweinen und den Southdown- Schafen ganz besonders ausgebildet. Ein Schaf der genannten Rasse fand sich zu 45,8°/, aus Fett bestehend. Dieses Fett war doch ganz gewiß nicht als solches aufgenommen, sondern aus Kohlenhydraten gebildet, ja es ist sogar fraglich, ob in der Nahrung dieser Schafe überhaupt eine irgend ins Gewicht fallende Quantität Fett vorhanden war. Warum sollte dem Menschen als Omnivoren oder wem diese Bezeichnung zu unästhetisch ist, Amphovoren die Fähigkeit der Fettbildung aus Kohlenhydraten ganz abgehen? Ist es nicht eine allgemein bekannte Erfahrung, daß im Brauereigewerbe beschäftigte und infolgedessen in der Regel viel Bier trinkende Personen sich eines erheblichen Fettreichtums erfreuen? Und wie steht es mit dem Fettherzen der Biertrinker, das doch direkt als „Bier- herz“ bezeichnet wird? Man kann freilich dagegen immer noch sagen: es ist nicht bekannt, wieviel Fett diese Personen außer- dem noch genießen. Voll bewiesen ist danach die Abstammung des Fettes aus den Kohlenhydraten des Bieres nicht, aber sie ist doch höchstwahrscheinlich. Wenn nun in der Tat dem Fett auch bisher unbekannte lebenswichtige Funktionen zukommen, sollte es dann bei Mangel in der Nahrung nicht auch beim

1) Meissl und Stohmer, Sitzungsber. d. Wien. Akad. 88, 31. Okt: Juliheft 1883, zitiert nach Malys Jahresb. f. 1883, 13, 39. D Rubner, Zeitschr. f. Biol. 22, 273, 1888.

Über den „Nährwert“. 211

Menschen aus Kohlenhydraten gebildet werden können? Das sind doch immerhin nicht abzuweisende Argumente gegen die von Aron aus seinem Versuche an Ratten erschlossene absolute Unentbehrlichkeit des Fettes auch beim Menschen.

Auf die Möglichkeit der Fettbildung aus Eiweiß im Orga- nismus will ich nicht näher eingehen, nur einige Bemerkungen hierüber seien mir gestattet. Wenn man auch zugeben muß, daß die Versuche von Pettenkofer und Voit, aus denen sie Fett- bildung aus Eiweiß beim Hunde unter normalen Verhältnissen erschlossen hatten, nach der Kritik, die Pflüger an denselben geübt hat, nicht mehr als voll beweisend angesehen werden können, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daß sich bei der Lactation Fett aus Eiweiß bildet. Übereinstimmend ist von verschiedenen Seiten festgestellt, daß der Fettreichtum der Milch von der Größe der Eiweißzufuhr abhängt. Es ist auch daran zu erinnern, daß Grosse und Vorpahl!) in einer interessanten Arbeit nachgewiesen haben, daß die Nierenzellen bei Durchströmung der Niere mit Ringerscher Lösung, also bei unzureichender Ernährung, imstande sind, Fett aus Eiweiß zu bilden. Anderen Zellen wird dieses Vermögen nicht ab- gehen. Wenn dem Fett in der Tat lebenswichtige Funktionen zukommen, warum sollte dann der Organismus bei Mangel an Fett nicht auf diesem Wege Abhilfe schaffen können?

Der Hauptwert des Fettes liegt meiner Ansicht nach, ab- gesehen von seinem Brennwert, wohl darin, daß es die Schmack- haftigkeit der Nahrung in hohem Grade steigert und dadurch die Aufnahme einer zur Ernährung ausreichenden Quantität Nahrung, sofern dieselbe in normalen Zeiten zur Verfügung steht, gewährleistet. Eine fettfreie Nahrung fettfrei in dem Sinne des mangelnden Zusatzes von Fett kann selbst bei einem Menschen, der sich zu überwinden versteht, all- mählich einen solchen Widerwillen erregen, daß er keine ge- nügende Quantität Nahrung zu sich nimmt. Diese Erscheinung tritt bekanntlich nicht selten in Gefängnissen, in Form des sogenannten „Abgegessenseins“ auf. Diese „psychische“ Wirkung des Fettes, um sie so zu nennen, ist nicht zu unterschätzen. Es ist kein Zweifel, daß die Knappheit des Fettes in der

1) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 77, 315, 1914. 14*

212 E. Salkowksi: Über den „Nährwert“.

rationierten Nahrung dasjenige ist, was in qualitativer Beziehung am drückendsten empfunden wird.

Wenn ich, wie aus meinen Ausführungen hervorgeht, von der Notwendigkeit der Fettzufuhr durch die Arbeit von Aron auch nicht ganz überzeugt bin, so bin ich doch weit entfernt, ihre Bedeutung, namentlich wegen des sonstigen Inhalts, zu unterschätzen. '

Über neue Theorien der Diastasebildung und Diastase- wirkung.

Von J. Wohlgemuth.

(Aus der chemischen Abteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses zu Berlin.)

(Eingegangen am 22. Februar 1919.)

I.

Bisher galt es als feststehende Tatsache, daß Fermente aufzufassen sind als Produkte des Zellstoffwechsels, d. h. daß die Entstehung und Bildung von Fermenten geknüpft ist an die Tätigkeit des lebendigen Zellprotoplasmas. Ohne lebende Zellen keine Fermentbildung.

Es soll hier ganz außer Betracht bleiben, ob das lebende Protoplasma für die Wirkung einiger Fermente in Frage kommt, und ob man noch heute berechtigt ist, einen Unter- schied zu machen zwischen geformten Fermenten, d.h. nur in der lebenden Zelle wirksamen, und ungeformten Fermenten, also solchen, die losgelöst von der Zelle ihre Wirkung entfalten können. Sondern nur die Frage soll uns hier beschäftigen: entstammen alle Fermente lebenden Zellen, oder ist auch die Entstehung eines Fermentes aus einer toten Materie möglich? Wie gesagt, war man auf Grund der gesamten Forschungs- ergebnisse noch bis vor kurzem ganz allgemein der Überzeugung, daß ohne die Tätigkeit lebender Zellen auch keine Fermente gebildet werden können.

Um so mehr mußte die Mitteilung von Biedermann!)

1) W. Biedermann, Fermentforschung, 1, 474, 1916.

214 J. Wohlgemuth:

überraschen, daß es ihm gelungen ist, eine Autolyse gelöster Stärke nachzuweisen, d. h. daß gelöste Stärke imstande ist, ohne besonderes Zutun aus sich selbst eine Diastase neu zu bilden, die die Stärke in ihre einzelnen Spaltprodukte zerlegt. War das der Fall, so war damit zum ersten Male der Beweis erbracht, daß ein Ferment sich auch aus einer toten Materie bilden kann.

Bei der allgemeinen Bedeutung, die dieser Befund für die Auffassung von der Entstehung der Fermente überhaupt haben mußte, schien es mir interessant, die Versuche Biedermanns einer Nachprüfung zu unterziehen.

Zu meinen Versuchen, die ich im Sommer 1917 anstellte, verwandte ich Kartoffelstärke, die ich unter den Beständen meines Laboratoriums fand. Es war sicherlich ein älteres Prä- parat, aber doch von tadelloser Reinheit und mit all den Eigen- schaften, die man von ihr zu erwarten hatte. Lösliche Stärke (Kahlbaum) für die Versuche zu verwenden, schien mir zu- nächst nicht ratsam, und die Beschaffung von Weizenstärke, wie Biedermann sie in seinen Versuchen gebraucht hatte, war mir damals nicht möglich.

Ich stellte die Versuche in genau der gleichen Weise an, wie Biedermann auf Seite 480 angibt.

1 g Kartoffelstärke wurde mit Wasser (са. 100 ccm) 1 Stunde lang auf freiem Feuer unter ständigem Rühren und unter ständigem Ersatz des verdampfenden Wassers erhitzt, alsdann in einen sorgfältig sterilisierten Glaszylinder übertragen und unter Watteverschluß bis zum nächsten Tage im Eisschrank gehalten. In der Zwischenzeit hatten sich die ungelösten Par- tikelchen zu Boden gesenkt und die darüberstehende Flüssig- keit sich teilweise geklärt. Von der opalescierenden Flüssigkeit wurden mit steriler Pipette 5 Proben entnommen und in sorg- fältig sterilisierte Gefäße übertragen und zwar

1 und 2 je 10,0 ccm der unverdünnten Stärkelösung ohne jeden Zusatz,

3 bis 5 je 10,0 cem destilliertes, unmittelbar vorher steri- lisiertes Wasser und је 3,0 cem Stärkelösung.

Danach kamen sämtliche Proben, sorgfältig verschlossen, in ein Wasserbad von 40°, blieben zunächst dort mehrere Stunden und wurden dann in einen Brutschrank von 35° über- tragen. Von Tag zu Tag wurden unter allen Kautelen der

Neue Theorien der Diastasebildung und Diasfasewirkung. 215

Asepsis Proben entnommen, um festzustellen, ob ein durch Zusatz von Jod erkennbarer Abbau der Stärke begonnen hat. Aber selbst nach Verlauf von 8 Tagen und noch länger konnte keine Änderung in ihrem Verhalten gegenüber Jod festgestellt werden; sie färbten sich sämtlich wie zu Beginn des Versuchs mit Jod blau.

Nach Biedermann hätte man erwarten müssen, daß in den verdünnten Proben bereits nach 2 Tagen die Stärke so weit abgebaut war, daß auf Zusatz von Jod nur noch eine Gelbfärbung eintrat, und in den unverdünnten Proben nach 3 Tagen der achromische Punkt erreicht war. Niemals habe ich einen Stärkeabbau beobachten können, so oft ich auch den Versuch in der obigen Weise ausführte, selbst wenn ich die Beobachtungszeit auch über 14 Tage ausdehnte.

Mein Assistent, Herr Dr. S. Gutmann, hat gleichfalls der- artige Versuche ausgeführt und ist ebenso wie ich stets zu negativen Resultaten gekommen.

Man konnte nun daran denken, daß bei nicht so starkem vorherigen Erhitzen der Stärkelösung vielleicht eher ein positives Resultat zu erzielen war. Deshalb wurde die Stärkelösung nach einer anderen Vorschrift von Biedermann (S. 479) so dar- gestellt, daß 1 g Stärke mit Wasser (150 ccm) auf dem Wasser- bad 2 Stunden lang erhitzt, wobei die Temperatur stets um 80° sich hielt und auf 100 ccm gebracht wurde. Dann wurde sie in einen sterilisierten Zylinder übertragen und bis zum nächsten Tage im Eisschrank gehalten, und nun wurden von der überstehenden opalescierenden Flüssigkeit in der gleichen Weise 5 Proben angesetzt wie im obigen Versuch. Aber auch hier zeigten noch nach Verlauf von 8 Tagen sämtliche Proben keine Spur eines Stärkeabbaues.

Sodann stellte ich Versuche mit löslicher Stärke (Kahl- baum) in der gleichen Weise an, in der Hoffnung, mit diesem Produkt zu einem positiven Resultat zu kommen. Aber soviel ich auch die Versuchsanordnung modifizierte und so sehr ich auch die Versuchsdauer ausdehnte, stets war das Ergebnis ein vollkommen negatives.

Es lag nun der Gedanke nahe, daß doch vielleicht die Beschaffenheit des Ausgangsmaterials an dem negativen Aus- fall der Versuche schuld war. Ich wandte mich deshalb an

216 J. Wohlgemuth:

Herrn Biedermann mit der Bitte, mir eine kleine Probe seiner Weizenstärke zu überlassen. Mit dem mir bereitwilligst übersandten Präparat stellte ich dann die gleichen Versuche an wie oben, genau nach der Vorschrift von Biedermann. Aber auch hier hatte ich in jedem Falle ein völlig negatives Resultat.

Es ist mir also in keinem einzigen Falle gelungen, eine Autolyse derStärke, wieBiedermann sie beschreibt, trotz Verwendung von drei verschiedenen Stärkepräpa- raten zu konstatieren, und es muß deshalb die spon- tane Entstehung von Diastase aus gekochter Stärke- lösung bezweifelt werden. Solange diese aber nicht einwandfreibewiesenist,bleibtderoben ausgesprochene Grundsatz: ohne lebende Zelle keine Fermentbil- dung! nach wie vor zu Recht bestehen.

Dieser Grundsatz ist aber noch durch andere Versuche in Frage gestellt, die Biedermann!) mit gekochtem Speichel und mit Speichelasche und Stärke angestellt hat und über die er in seiner I. Mitteilung (Das Speichelferment) berichtet. In diesen Versuchen gibt er an, gefunden zu haben, daß Speichel selbst bei langem Kochen einen Teil seiner diastatischen Kraft be- hält, und daß vor allem Zusatz von Stärkelösung zum erhitzten Speichel die Fermentmenge wesentlich steigert, ja daß bei immer weiterem Hinzufügen von Stärkelösung die Diastasemenge ständig weiter zunimmt. Desgleichen will er festgestellt haben, daß Speichelasche, mit Stärkelösung versetzt, zu einem Abbau der Stärke führt, ganz im Sinne eines fermentativen diastatischen Prozesses, und schließt daraus auf eine Neubildung von Ferment unter Vermittlung der anorganischen Bestandteile des Speichels (8. 426).

Also auch aus diesen Versuchen wäre man gezwungen, zu schließen, daß sich die Diastase ohne Mitwirkung lebender Zellen aus totem Material neu bilden kann.

Was nun zunächst die Behauptung Biedermanns an- betrifft, daß der Speichel trotz langen Kochens einen Teil seines Fermentes in wirksamer Form behält, so muß ich ihr widersprechen. Mir wenigstens ist es niemals gelungen, im

1) W. Biedermann, Fermentforschung, 1, 385, 1915.

Neue Theorien der Diastasebildung und Diastasewirkung. 217

Speichel, den ich nach Vorschrift von Biedermann mit der gleichen Menge Wasser verdünnte und 15 oder gar 30 Minuten in einer Porzellanschale auf freiem Feuer natürlich unter ständigem Ersatz des verdampfenden Wassers erhitzte, noch Spuren von Diastase nachzuweisen, ganz gleichgültig, ob ich die erhitzte Probe unmittelbar nach dem Kochen oder nach 1- oder 2tägigem Stehen, wie Biedermann es tat, auf Diastase in der üblichen Weise prüfte. Der Speichel war und. blieb wir- kungslos.. Auch wenn ich, wie Biedermann besonders empfiehlt, ganz unverdünnten Speichel 15 Minuten kochte, blieb das Resultat ein völlig negatives.

Ich habe dann untersucht, wie gekochter Speichel sich verhält, wenn man ihm unmittelbar nach dem Erhitzen Stärke- lösung zusetzt. Biedermann gibt an, daß man in solchen Gemischen schon nach 1- bis 2stündigem Stehen stets Diastase in nicht unerheblicher Menge nachweisen kann, und daß bei weiterem Zusatz von Stärke die diastatische Kraft ständig zu- nimmt (8. 425).

Genau nach der Vorschrift von Biedermann wurden 10 ccm Speichel mit 10 ccm Wasser 15 Minuten unter Ersatz des verdampften Wassers gekocht und 10 ccm der Lösung mit 2 сеш 1°/,iger Stärkelösung versetzt. Nach Ablauf von 1 Stunde wurde eine kleine Probe entnommen und ihr Verhalten gegen Jod geprüft, desgleichen nach 2, 3 und 4 Stunden, ohne daß sich die Spur eines Abbaues der Stärke zeigte. Dann kam die Probe in den Brutschrank, wurde nach 24 Stunden wieder auf ihr Verhalten gegen Jod geprüft, nach 2 Tagen abermals und ebenso nach 3 und 4 Tagen, ohne daß sich während der ganzen Zeit eine Änderung zeigte. Eine Probe dieses Versuchs gab noch nach 8tägigem Stehen mit Jod genau den gleichen blauen Farbenton wie eine kleine Probe der nur aus 10 ccm Wasser und 2 ccm Stärkelösung bestehenden Kontrolle.

Ich habe diesen Versuch zu wiederholten Malen angestellt; stets unter Aufstellung von Doppelversuchen und Kontrollen, ohne daß ich auch nur in einem einzigen Falle ein positives Resultat beobachtet hätte. Weder habe ich einen Abbau der Stärke durch gekochten Speichel noch eine Steigerung der diastatischen Kraft durch weiteren Zusatz von Stärke zum gekochten Speichel feststellen können.

218 J. Wohlgemuth:

Bei diesen Versuchen mit gekochtem Speichel und gelöster Stärke hätte man im günstigsten Falle, d. h. bei einem positiven Ausfall derselben außer an eine Fermentneubildung auch an eine Reaktivierung des durch Kochen inaktiv gewordenen Fer- mentes denken können. Eine solche Fermentregeneration war aber bei den nun folgenden Versuchen mit Speichelasche und Stärkelösung gänzlich ausgeschlossen. Hier war bei positivem Ausfall derselben nur die eine Erklärung möglich, daß in der vorher vollkommen fermentfreien Lösung aus dem Zusammen- wirken von Speichelasche und gelöster Stärke sich Diastase neu gebildet haben müsse. Denn Biedermann war so vor- gegangen (S. 427), daß er 10 ccm Speichel veraschte, die Asche in 10 ccm Wasser löste und diese Lösung mit 3 ccm einer 1°/ igen Stärkelösung versetzte. Schon nach 4stündigem Stehen in einem Wasserbad von 40° hatte die Lösung den achromi- schen Punkt erreicht, d. h. sämtliche Stärke in ihr war min- destens bis zu Dextrin abgebaut. Allerdings berichtet Bieder- mann, daß die Zeiten der Umsetzung an verschiedenen Tagen keineswegs gleich ausfielen, sondern beträchtlichen Schwankungen unterworfen waren, die sich unter Umständen über mehrere Stunden erstreckten.

Ich habe auch diese Versuche, nachdem die anderen ein völlig negatives Resultat ergeben hatten, einer Nachprüfung unterzogen und den Speichel von drei verschiedenen Personen hierzu verwandt. Bei der Versuchsanordnung folgte ich genau der Vorschrift von Biedermann.

10 ccm Speichel wurden in einer Platinschale verascht, die Asche іп 10 ccm destilliertem Wasser aufgenommen und mit 3,0 com einer 1°/,igen Stärkelösung versetzt. Dieser Versuch wurde stets doppelt ausgeführt und außerdem zur Kontrolle 3 ccm Stärkelösung mit 10 ccm destilliertem Wasser angesetzt. Als- dann kamen die Gemische in ein Wasserbad von 40°, blieben darin mehrere Stunden, und es wurden dann von Zeit zu Zeit Proben entnommen und auf ihr Verhalten gegen Jod geprüft. Von einem Abbau der Stärke konnte ich in allen Portionen niemals etwas beobachten, selbst wenn ich die Versuche über 3, 5, 7 Tage und noch länger ausdehnte. So oft ich auch die Versuche wiederholte, ich habe niemals einen Unterschied zwischen der mit Speichelasche versetzten Lösung und der

`

Neue Theorien der Diastasebildung und Diastasewirkung. 219

Kontrolle feststellen können. Allerdings habe ich in all diesen Versuchen auf strengste Asepsis geachtet, um jede Bakterien- wirkung auszuschließen.

Es haben somit durchgehends alle Versuche, so- wohl die mit gelöster Stärke allein, wie die in Kom- bination mit gekochtem Speichel und mit Speichelasche ein vollkommen negatives Ergebnis gehabt, und es sind deshalb alle von Biedermann an seine positiven Resul- tate geknüpften Schlußfolgerungen hinfällig. Eine autochthone Entstehung von Fermenten aus einer leb- losen Substanz gibt es nicht, wenigstens ist sie bisher noch nicht bewiesen.

п.

Fast zu gleicher Zeit mit den Veröffentlichungen von Biedermann erschien in den Chemischen Berichten eine Arbeit von Frl. Dr. Gertrud Woker!), die sich mit der Wirkungs- weise der Diastase beschäftigt. Sie hatte in Bestätigung früherer Angaben von V. Syniewski?°) festgestellt, daß, wenn man nach der von mir angegebenen Methode?) einen Reihenversuch mit 1°j iger Stärkelösung anstellt unter Verwendung von Formalde- hyd an Stelle von Speichel oder irgendeiner anderen Diastase- lösung und die Reihe 1. Stunde im Wasserbad von 38° be- läßt, man dann bei Zusatz von Jod zu den einzelnen Gläs- chen dasselbe Farbenspiel von gelb bis violett bzw. blau beobachtet wie bei einem mit Diastase angestellten Versuch. Hieraus und noch aus einigen anderen Momenten hatte G. Woker geschlossen, daß die Stärke durch Formaldehyd in der gleichen Weise abgebaut wird wie durch Diastase, und weitgehende Schlußfolgerungen für die Fermentwirkung überhaupt gezogen.

Ohne auf diese näher eingehen zu wollen, soll hier nur untersucht werden, ob der Formaldehyd wirklich im stande ist, die Stärke in der Weise abzubauen, wie wir das bisher nur von der Diastase kennen.

Wenn man einen Versuch in der von G. Woker angegebenen Weise ausführt, indem man eine Reihe Reagensgläser mit ab-

1) G. Woker, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 1916, II, 2311. 2) V.Syniewski, Ann. 324, 201, 1902. 3) J. Wohlgemuth, diese Zeitschr. 9, 1, 1908.

220 J. Wohlgemuth:

steigenden Mengen Formaldehyd beschickt, zu jedem Gläschen 5 ccm 1°/,iger Stärkelösung zufügt, dann die ganze Reihe 30 Minuten in einem Wasserbad von 38° hält und nun nach dem Auffüllen der Gläschen mit Wasser überall Jod tropfen- weise zusetzt, so kann man sich in der Tat ohne weiteres davon überzeugen, daß die ersten Gläschen eine gelbe bzw. braune Farbe annehmen, wie wenn die Stärke in ihnen ver- daut wäre. Auffallend dabei ist nur, daß selbst in den Gläs- chen, die bei Jodzusatz eine hellgelbe Farbe zeigen, in denen also die Stärke weit abgebaut sein müßte, eine Reduktion nicht nachzuweisen ist, während man sich in einem Parallelversuch mit Diastase mit Leichtigkeit davon überzeugen kann, daß in den auf Jodzusatz gelb bleibenden Gläschen große Mengen reduzierenden Zuckers gebildet sind.

Nun hat bereits W. v. Kaufmann!) in verschiedener Weise gezeigt, daß die Behauptung von Woker, die Stärke werde durch Formaldehyd abgebaut, nicht zutrifft, sondern daß sie mit dem Formaldehyd nur eine lockere Bindung eingeht, so zwar, daß durch den Aldehyd die jodbindenden Gruppen in der Stärke besetzt und so eine Reaktion der Stärke mit Jod nicht möglich ist. Denn durch Entfernung des Formaldehyds aus der Lösung oder durch Überführen desselben mittels Ammoniaks in Hexamethylentetramin gelingt es leicht, das Vorhandensein von unveränderter, sich mit Jod blau färbender Stärke nachzuweisen.

Gegen diese Einwände hat nun С. Woker?) zwar energisch, aber nicht überzeugend Front gemacht. Ohne mich weiter an dieser Polemik beteiligen zu wollen, möchte ich nur durch eine Versuchsanordnung, die meines Erachtens keinen Grund zu einem Widerspruch geben dürfte, zeigen, daß G. Woker mit ihrer Behauptung im Unrecht, W. v. Kaufmann aber völlig im Recht ist.

Bei der Anstellung des Versuches ging ich von folgender Überlegung aus: Traf die Annahme zu, daß der Formaldehyd mit Stärke nur eine lockere Verbindung eingeht, ohne die Stärke weiter zu verändern, so mußte der Formaldehyd beim Zusammentreffen mit einer Substanz, zu der er eine weit größere

1) W. v. Kaufmann, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 1917, I, 198. 2) G. Woker, Ber. d Deutsch. chem. Ges. 1917, I, 679.

Neue Theorien der Diastasebildung und Diastasewirkung. 221

Affinität hat, mit dieser sofort in Bindung gehen und die un- veränderte Stärke wieder in Freiheit gesetzt werden. Wir wissen nun, daß Formaldehyd beim Zusammentreffen mit Phenylhydrazin mit diesem sofort in Bindung geht unter Bildung eines in Alhohol leicht löslichen Phenylhydrazons. Es war demnach zu erwarten, daß auf Zusatz von Phenyl- hydrazin in alkoholischer Lösung zu einer mit Formalde- hyd bei Brutschranktemperatur vorbehandelten Stärkelösung der gesamte Aldehyd sich mit dem Phenylhydrazin verbinden und daß bei einem gleichzeitig reichlichen Überschuß von Al- kohol die wieder in Freiheit gesetzte Stärke ausgefällt würde.

Dementsprechend gestaltete sich die Versuchsanordnung folgendermaßen:

50 com einer са. 3°/ igen Stärkelösung, hergestellt aus Kahl- baumslöslioher Stärke, wurden versetzt mit 20 ccm 40°/ iger Formaldehydlösung und zur Kontrolle 50 ccm derselben Stärke- lösung mit 20 ccm destilliertem Wasser. Beide Portionen kamen alsdann auf 24 Stunden in den Brutschrank (38°). Nach Ab- lauf der Frist gab eine Probe der Formaldehydmischung mit Jod eine Gelbfärbung, während die Kontrollösung sich mit Jod intensiv blau färbte.

Es wurden nun genau 10,0 ccm der Hauptprobe in einem Becherglas versetzt mit der dem Formaldehydgehalt ent- sprechenden Menge Phenylhydrazin, das zuvor in absolutem Alkohol gelöst war. Sodann wurde weiter absoluter Alkohol so lange eingetragen, bis die Stärke sich in groben weißen Flocken absetzte und eine weitere Trübung nicht mehr ent- stand. Gleichzeitig wurden der Kontrolle ebenfalls genau 10,0 ccm entnommen und in einem Becherglas mit absolutem Alkohol im Überschuß versetzt. Beide Portionen blieben bis zum nächsten Tage im Eisschrank stehen, und es hatte sich in beiden die Stärke gut abgesetzt, während die überstehen- den Lösungen vollkommen klar geworden waren. Danach wurden die Niederschläge quantitativ auf vorher gewogene Filter gebracht und gründlichst mit absolutem Alkohol ge- waschen; das war besonders notwendig im Hauptversuch, da hier dem Rückstand die letzten gelblichen Spuren vom Phenyl- hydrazin sehr zäh anhafteten. Alsdann Trocknen im Dampf- trockenschrank bis zur Gewichtskonstanz. Es wurden in diesem

222 J. Wohlgemuth:

Versuch wie in allen andern stets Doppelanalysen ausgeführt.

Das Resultat war folgendes * 7 der Formaldehyd- der Kontroll- Gewicht des Niederschlages Stärkelösung Stärkelösung

von 10,0 cem а) 02721g а) 0,2697 g desgl. b) 0,2781 g b) 0,2768 g

Der Versuch ergibt somit eine gute Übereinstimmung der Niederschlagsmengen aus beiden Stärkelösungen.

Daß der aus dem Formaldehydversuch stammende Nieder- schlag unveränderte Stärke war, davon konnte ich mich leicht überzeugen; in Wasser gelöst gab sie mit Jod eine Blaufär- bung und reduzierte Fehlingsche Lösung nicht stärker als die aus dem Kontrollversuch wiedergewonnene Stärke. Allerdings sei bemerkt, daß dieser Stärke noch ganz geringe Spuren von Formaldehyd anhafteten. Denn eine Lösung von ihr gab zwar keine Fuchsin-Schwefligsäureprobe mehr, aber noch eine schwache positive Reaktion nach Salkowski'!) beim Erhitzen mit Pepton, Eisenchlorid und Salzsäure. Diese Reaktion auf Formaldehyd ist nach den Angaben des Autors eine äußerst empfindliche; sie tritt intensiv bei einer Konzentration von 1:50000 und noch weniger ein; dagegen versagt sie bei stärkerer Konzentration. Die Gegenwart geringer Mengen Formaldehyd möchte ich darauf zurückführen, daß ich un- mittelbar nach dem Zusatz von Phenylhydrazin durch weiteres Hinzufügen eines Überschusses von absolutem Alkohol die Stärke vollkommen zur Ausfällung brachte und so das Phenyl- hydrazin zu kurze Zeit auf den Formaldehyd einwirken ließ. In der sich schnell zusammenballenden Stärke blieben auf diese Weise Spuren von Formaldehyd bzw. Paraformaldehyd eingeschlossen und wurden der Reaktion mit Phenylhydrazin entzogen. Es war zu vermuten und es hat sich als zu- treffend erwiesen —, daß sich das vermeiden lassen würde, wenn man das Phenylhydrazin einige Zeit auf den Form- aldehyd einwirken ließe, bevor man die Stärke zur Ausfällung bringt.

Deshalb wurde in einem zweiten Versuch folgendermaßen vorgegangen:

Ausgehend von einer ca. 5°/ igen Stärkelösung, hergestellt

1) Е. Salkowski, diese Zeitschr. 87, 146, 1918.

Neue Theorien der Diastasebildung und Diastasewirkung. 223

aus Kahlbaums löslicher Stärke, wurden 50,0 ccm dieser Lösung mit 20,0 ccm 40°/,igem Formaldehyd versetzt, des- gleichen zur Kontrolle 50,0 ccm Stärkelösung mit 20,0 сет destilliertem Wasser. Beide Portionen kamen auf 24 Stunden in den Brutschrank (38° С.). Nach Ablauf der Frist überzeugte ich mich durch Zusatz von Jod zu einer Probe, daß im Hauptversuch eine Gelbfärbung, in der Kontrolle dagegen eine schöne Blaufärbung eintrat. Nun wurden der Formaldehyd- mischung je genau 10,0 com entnommen, in zwei Bechergläsern mit der entsprechenden Menge Phenylhydrazin, gelöst in ca. 30 cem absol. Alkohol, versetzt And eine halbe Stunde unter häufigem Umschwenken stehen gelassen. Danach Zusatz von absolutem Alkohol im Überschuß. Von dem Kontrollversuch wurden ebenso je genau 10,0 ccm der Lösung mit absolutem Alkohol im Über- schuß versetzt und alle 4 Portionen bis zum nächsten Tage stehen gelassen. Alsdann wurden die Niederschläge auf vorher genau gewogene Filter gebracht, mit absol. Alkohol nachge- waschen und bis zur Gewichtskonstanz im Dampftrockenschrank getrocknet. Das Resultat war folgendes:

r 2 der Formaldehyd- der Kontroll- Gewicht des Niederschlages Stärkelösung Stärkelösung

von 10,0 ccm a) 0,4821 g а) 0,4830 g desgl. b) 0,4832 g b) 0,4818 g

Auch hier finden wir eine gute Übereinstimmung der Niederschlagsmengen zwischen Hauptversuch und Kontroll- versuch. Es hat sich also aus der Formaldehyd-Stärkelösung die gleiche Menge Stärke wiedergewinnen lassen wie aus der wäßrigen Stärkelösung. Ein Abbau der Stärke kann demnach nicht stattgefunden haben. Dieses Mal fiel die Salkowskische Reaktion auf Formaldehyd mit Rückstand a sowohl wie mit b völlig negativ aus; es war somit sämtlicher Aldehyd mit Phenylhydrazin in Bindung gegangen.

Zum Schluß führe ich noch einen dritten Versuch mit einer ca. 1°/,igen Stärkelösung an, die ich zum Unterschied von der vorhergehenden nicht aus löslicher Stärke sondern aus Kartoffelstärke herstellte. Sonst war die Versuchsanord- nung die gleiche wie im zweiten Versuch.

50,0 ccm der Stärkelösung wurden mit 20,0 ccm 40°/,igem Formaldehyd bis zum nächsten Tage im Brutschrank (38°)

224 J.Wohlgemuth: Neue Theorien d. Diastasebildung u. Diastasewirkung.

stehen gelassen, desgleichen zur Kontrolle 50,0 eem Stärke- lösung + 20,0 cem destill. Wasser. Danach wurden 2 Por- tionen zu genau 10,0 ccm der Formaldehydlösung entnommen, mit der entsprechenden Menge Phenylhydrazin, in etwas Alko- hol gelöst, versetzt, eine halbe Stunde bei Zimmertemperatur stehen gelassen und endlich absol. Alkohol im Überschuß zu- gegeben. Dabei schied sich die Stärke in schönen weißen Flocken ab. Von. der Kontrollösung wurden gleichfalls 2 Portionen von genau 10,0 ccm mit absol. Alkohol im Über- schuß versetzt, wobei die Stärke sofort sehr schön ausflockte, und nun alle 4 Portionen bis zum nächsten Tage stehen ge- lassen. Danach Überführen des Niederschlages auf gewogene Filter, gründliches Waschen mit absol. Alkohol, Trocknen bis zur Gewichtskonstanz. Resultat:

А der Formaldehyd- der Kontroll- Gewicht des Niederschlages Stärkelösung' Stärkelösung

von 10,0 ccm a) 0,0981 g а) 0,0990 g деве]. b) 0,0992 g b) 0,0983 g

Auch in diesem Versuch vollkommene Übereinstimmung der Niederschlagsmengen aus beiden Stärkelösungen, voll- ständig gleiches Verhalten der Niederschläge gegenüber Jod und gegenüber Fehlingscher Lösung. Und ebenso war die aus der Formaldehydlösung wiedergewonnene Stärke völlig frei von Formaldehyd. . i

Es hat sich somit entgegen der Behauptung von G. Woker in allen 3 Versuchen übereinstimmend er- geben, daß trotz 24stündiger Einwirkung des Form- aldehyds auf Stärkelösung und trotz Verschwindens der Jodreaktion ein Stärkeabbau nicht stattfindet. Denn aus allen derartig vorbehandelten Stärke- lösungen ließ sich mit Hilfe von Phenylhydrazin und absolut. Alkohol in der Kälte die gleiche Menge un- veränderter Stärke wiedergewinnen wie aus einer wäßrigen Stärkelösung von gleicher Konzentration. Es kann demnach von einer fermentartigen Wirkung des Formaldehyds auf Stärke im Sinne einer Diastase keine Rede sein, und es sind damit alle Betrachtungen über die Theorie der Diastasewirkung, die G. Woker angestellt hat, hinfällig.

Erweiterung der Theorie des isoelektrischen Punktes. Die Konkurrenz der anderen Ionen mit den H`- und OH’- Ionen bei der Fällung des denaturierten Albumins.

Von

Leonor Michaelis und Peter Rona. (Aus dem biologischen Laboratorium des städt. Krankenhauses am Urban in Berlin.)

(Eingegangen am 25. März 1919.) Mit 4 Figuren im Text.

1. Die Verschiebung der optimal flockenden [H'] durch fremde Elektrolyte.

Die Theorie des isoelektrischen Punktes der amphoteren Elektrolyte und Kolloide, die von uns und unseren Mitarbeitern in früheren Arbeiten entwickelt und experimentell geprüft wurde 1), wurde mit vollem Bewußtsein auf einer vereinfachten und gewissermaßen beschränkt einseitigen Voraussetzung auf- gebaut. Nachdem diese Untersuchungen einen gewissen Ab- schluß erreicht haben, ist es an der Zeit, "diese vereinfachenden Annahmen fallen zu lassen und die Theorie schrittweise der Mannigfaltigkeit der wirklichen Verhältnisse mehr und mehr anzupassen, ein Gang, den jede Theorie durchmachen muß, die der Erforschung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten dient.

Die Vereinfachung der bisherigen Theorie, die Einseitig- keit ihrer Auffassung bestand darin, daß wir die Dissoziations- verhältnisse und somit auch den isoelektrischen Punkt der

1) L. Michaelis und B.Mostynski, diese Zeitschr. 24, 79, 1910.— L. Michaelis und P. Rona, ibid. 27, 38; 28, 193, 1910. L. Micha- elis und H. Davidsohn, ibid. 30, 143, 1910 und 83, 456, 1911. L.Michaelis, ibid. 33, 182, 1911; 47, 250, 1912, sowie „Die Wasser- stoffionenkonzentration“, Jul. Springer, Berlin 1914. Biochemische Zeitschrift Band 94. 15

226 L. Michaelis u. P. Rona:

Ampholyte als eine eindeutige Funktion der [H'] darstellten und alle anderen Ionenarten der Lösung außer Betracht ließen. Die Berechtigung dieser Auffassung liegt darin, daß in der Tat unter vielen, leicht erreichbaren Bedingungen die [Н] oder [OH’] das einzige bestimmende Moment für den isoelektrischen Zustand eines Ampholyten ist. So wurde gezeigt, daß der iso- elektrische Punkt des Albumins, Hämoglobins, Caseins, der kry- stallisierenden Aminosäuren, bezogen auf die [H], nicht beein- flußt wird durch die Gegenwart von Nichtelektrolyten in so- gar recht hohen Konzentrationen, ja nicht einmal durch die Gegenwart vieler Ionen, wie Na, OH, Acetat’, Propionat’; Lä- vulinat’, Phosphat, sogar in Konzentrationen, die die der H- Ionen um viele Zehnerpotenzen übertrafen: bei ziemlich weit- gehender Variation dieser Ionensorten in Art und Konzen- tration erwies sich der isoelektrische Punkt immer nur von der [H] abhängig'). Aber schon in unseren ersten Mitteilungen

1) Es bedarf vielleicht der Erörterung, wie diese Tatsache zu ver- einbaren ist mit dem Befunde von Manabe und Matula aus W. Paulis Laboratorium (diese Zeitschr. 52, 369, 1913), daß Serumalbumin, mit HCI versetzt, nicht nur H-Ionen, sondern, wenn auch in geringem Maße, auch CY-Ionen bindet. Man darf daher auch vermuten, daß Albumin von Essigsäure beide Ionenarten binden wird, und daher die Bindung der Acetationen für die elektrische Ladung des Albumins mitbestimmend sein müßte. Wir glauben, diesen scheinbaren Widerspruch folgender- maßen erklären zu können:

1. Aus derselben Arbeit von M. und M. ergibt sich, daß Eiweiß von KCI beide Ionen ein wenig bindet; also wird Eiweiß wohl aus dem Acetat-Puffergemisch nicht nur Acktat-, sondern auch Na-Ionen binden. Dadurch wird der Einfluß der Acetat’- Bindung auf die Ladung gemildert, vielleicht gar beinahe aufgehoben, und dies muß ganz besonders für das isoelektrische Eiweiß gelten, das vermutlich gleichviel Na- und Acetationen bindet.

2. Dazu kommt, daß nach M. und M. gerade bei sehr niederen [H'] die Bindung des Cl-Ions verschwindend klein gegenüber der der H-Ionen wird.

Jedenfalls besteht die Tatsache, daß das Flockungsoptimum innerhalb einer Reihe mit konstantem Gehalt an Natrium- acetat in weiten Grenzen von diesem Gehalt unabhängig und nur von der [Н`] abhängig ist, und daß das Flockungsoptimum wirklich der iso- elektrische Punkt ist, so genau sich das durch Kataphorese irgend nach- weisen läßt.

Wir betonen aber nochmals ausdrücklich folgendes: Die verhältnis- mäßig große Unabhängigkeit von der [H`] bezieht sich nur auf die Lage

] Erweiterung der Theorie des isoelektrischen Punktes. 227

wiesen wir darauf hin, daß diese Unabhängigkeit nicht für alle Ionenarten zutrifft; so wurde die isoelektrische TH) für de- naturiertes Albumin bei Gegenwart von Citrat ganz anders (2,8-10°°) als sonst (0,5-10”°) gefunden. Und niemals waren wir darüber im Zweifel, daß der Dissoziationszustand des Albu- mins 2. B. in Gegenwart von Cu”-Ionen sich wiederum ganz anders gestalten wird. Während wir aber in den früheren Arbeiten nach Möglichkeit alle Ionenarten mit eigener Wirk- samkeit im Experiment zu vermeiden suchten, um die reine Wirkung der Н- und OH’-Ionen zu erforschen, erweitern wir nunmehr unsere Aufgabe dahin, die Wirkung der anderen Ionenarten auch zu untersuchen. Diese Untersuchung soll sich zu- nächst auf die Lage des Flockungsoptimums von hitzedenatu- riertem Serumalbumin erstrecken, indem wir auf Grund unserer mannigfach variierten früheren Versuche es für erwiesen halten, daß dieses Flockungsoptimum der elektrischen Ent- ladung entspricht. |

Entsprechend unserer früheren Versuchsbedingung konnten wir den isoelektrischen Punkt, der doch sinngemäß der Zustand der maximalen Entladung der Moleküle oder Mikronen ist, als eine ganz bestimmte Wasserstoffzahl definieren, für mole- kular gelöste Ampholyte war nämlich der isoelektrische Punkt J diejenige Wasserstoffzahl, die der Bedingung entsprach:

k CW ek

b

des isoelektrischen Punktes. Inwieweit die Ladung des Eiweißes außer- halb des isoelektrischen Punktes durch Salze der Größe nach verändert wird, darüber lehren diese Versuche nichts. Eine frühere Beobachtung läßt es nicht unwahrscheinlich erscheinen, daß die Ladung durch Salze ver- kleinert wird. Michaelis und Davidsohn (diese Zeitschr. 41, 102, 1912) beobachteten nämlich bei Kataphoreseversuchen mit Hämoglobin, daß in Phosphatgemischen verschiedener absoluter Konzentration die isoelektrische [Н`] sich nicht sicher nachweislich mit der Phosphatkon- zentration ändert, daß aber bei höherem Phosphatgehalt die „isoelek- trische Zone“ viel breiter wird, oder mit anderen Worten, daß die abso- lute Größe der Ladung etwas oberhalb und etwas unterhalb des iso- elektrischen Punktes mit zunehmendem Salzgehalt kleiner wird. Ebenso ist auch bei Fällungsversuchen mit denaturiertem Albumin das Flookungs- optimum in salzarmer Lösung meist schärfer ausgeprägt und sicherer zu bestimmen als in salzreioherer Lösung.

15*

228 L. Michaelis u. P. Rona:

Sobald wir aber außer den H'-Ionen und OH’-Ionen noch andere Ionenarten in Lösung haben, die einen Einfluß auf die Ladung des Ampholyten haben, kann J überhaupt nicht mehr eindeutig durch eine Wasserstoffzahl definiert werden.

Wie kommt es, daß unsere frühere Darstellungsweise sich so oft gut bewährt hat? Wir haben in Lösung einen Ampho- lyten, der sowohl mit Kationen wie mit Anionen Salze bilden kann. Bringen wir nun den Ampholyten in die Lösung, die mehrere Ionenarten enthält, wie das ja bei unseren Puffer- lösungen unvermeidlich ist, so wird der Ampholyt mit allen vorhandenen Inonenarten reagieren, und zwar nach Maßgabe ihrer spezifischen Affinität zudem Ampholyten und ihrer Konzen- tration. Der Kunstgriff unserer früheren Versuchsanordnung war nun, daß wir nur solche Kationen zuließen, die zu dem Ampho- lyten eine viel geringere Affinität hatten als die H’-Ionen, und nur solche Anionen, die eine viel geringere Affinität hatten als die OH’-Ionen. Wenn die Konzentration der fremden Ionenarten eine gewisse Grenze nicht überschritt, so kam nur die Wirkung der H`- und OH’-Ionen zum Ausdruck.

Wir sind nun den Beweis schuldig, daß die früher ange- wandten Ionenarten der von uns gewählten Puffer diese Be- dingung wirklich erfüllten. Nehmen wir ein Beispiel. Wir untersuchten das Fällungsoptimum des denaturierten Serum- albumins in Acetatgemischen. Wir fanden dasselbe in weiten Grenzen unabhängig von der Menge des Natriumacetats und nur abhängig von [Н]. Hieraus können wir schließen, daß die Wirksamkeit der Na. und der Acetat-Ionen auf die Ladung des Albumins in dem angewandten Konzentrationsbereich gegen- über der Wirksamkeit der H'’-Ionen verschwindet. Hätten diese Ionen auf die Ladung des Eiweißes eine Wirkung, die der Größenordnung nach mit der der H-Ionen vergleichbar wäre, so hätte diese Wirkung mit steigender Konzentration sich steigern müssen. Es war aber belanglos, ob die Na- und Acetat-Ionen die H-Ionen an Menge um das 100fache oder um das 1000fache, und beinahe ganz belanglos, wenn sie sie um das 10000fache und mehr übertrafen: immer war allein die [H] für das Flockungsoptimum maßgebend, wenigstens inner- halb einer Reihe, die in bezug auf Na'- und Acetat-Ionen von konstantem Gehalt war. Die Versuchsbedingungen waren also

Erweiterung der Theorie des isoelektrischen Punktes. 229

richtig gewählt, unsere Voraussetzung war zum mindesten mit brauchbarer Annäherung zutreffend.

Anders steht es, wenn wir Jod- oder Aluminium-Ionen in die Lösung bringen (Diagramm 1 bis5, 41 bis 44). Wir finden dann, daß das Flockungsoptimum nicht nur von den H-Ionen, sondern auch von den Jod-Ionen abhängt, und zwar entfernt sich die zur besten Ausfällung des Albumins notwendige [H] von der ursprünglichen um so mehr, je mehr Jod-Ionen zu- gegen sind. Noch augenfälliger wird diese Verschiebung z.B. bei Gegenwart von Rhodaniden oder Sulfosalicylaten, oder von Kupfersalzen. Hier treten offenbar diese Ionenarten in Kon- kurrenz mit dem H-Ion, das Eiweiß bindet nicht mehr allein H- und OH-Ionen, sondern auch Jod-, Rhodanid-, Sulfosalieylat- und Kupfer-Ionen. Statt „bindet“ kann man auch nach heuti- gem Sprachgebrauch sagen: „adsorbiert“, nur muß man sich klar sein, daß diese „Adsorption“ im Wesen ganz etwas anderes ist als die Adsorption oberflächenaktiver, unelektrischer Mole- küle (wie Aceton) durch Kohle. Schon vor langem haben wir auf diesen grundlegenden Unterschied dieser zwei Arten der „Adsorption“ ausdrücklich hingewiesen !).

Unsere Versuchsanordnung geht also zunächst darauf hin- aus, die Verschiebung der zur Flockung günstigsten [H'] durch fremde Ionenarten nachzuweisen. Dies wurde folgendermaßen erreicht: Durch eine Reihe von Essigsäure - Natriumacetat- gemischen in verschiedenen Mischungsverhältnissen und sehr niederer, konstanter Natriumacetatkonzentration wurde eine Reihe von steigenden [H] hergestellt, diese Lösungen dann mit Salzen verschiedener Konzentration versetzt und denaturiertes Albumin zugesetzt. Dann wurde beobachtet, bei welcher [H] die optimale Flockung eintrat. Jedes einzelne Röhrchen der Reihe enthielt immer doppelt so viel H-Ionen wie das vorangehende. Natürlich ändern diese Salze die ursprüngliche [Н] der Acetat- gemische ein wenig. Diese Änderung ist aber bei den ge- wählten Versuchsbedingungen relativ sehr geringfügig. So fan- den wir z.B. bei dem Acetatgemisch gleicher Mengen Essig-

1) І, Michaelis und M. Ehrenreich, diese Zeitschr. 10, 283, 1908. L. Michaelis und P. Rona, ibid. 15, 196, 1908. L. Michaelis, Physikal. Chemie der Kolloide in Richter-Koranyis Handbuch: Physikal. Chemie und Medizin, Leipzig 1908.

230 L. Michaelis u. P. Rona:

säure und Acetat, in dem rund py = 4,6 zu erwarten wart), nach Zugabe a) von KJ in einer Menge wie in Versuch 18 py= 4,61

b) » 2801, » D nn 24 P= 4,57 с) D Сабо, doppelter 2 9 nm 26 Ри = 4,45 d) » AlCl, entsprechend. . . . . n 40 Pp= 4,60 e) ohne Zusatz...» 2 2 2220000 Pr>466

in einem anderen Acetatgemisch unserer Versuchsreihen, in dem erwartet wurde py rund = 5,3, nach Zusatz von 1 ccm 0,1 mol ZnCl, zu 10 ccm Lösung рь = 5,33.

Da nun py in unseren Versuchsreihen sich von einem Röhrchen zum nächsten stets um 0,3 unterscheidet, so erkennen wir, daß selbst unter den ungünstigsten Verhältnissen die durch den Salzzusatz bewirkte Änderung von py gar nicht in Betracht kommt.

Es zeigte sich nun durchweg, daß alle Anionen, die überhaupt wirksam sind, die zur Flockung günstigte [H] nach der sauren Seite zu verschieben, und alle Kationen, die überhaupt wirksam sind, nach der alkalischen Seite zu. Kombiniert man ein Salz aus einem wirksamen Anion und einem wirksamen Kation, z. B. CdJ,, so wird die optimale [H] gewissermaßen nach beiden Seiten hin verbreitert und ver- schoben, d.h. die Fällung des Eiweiß durch CdJ, ist so gut wie unabhängig von der [Н`], wenn man etwas höhere Konzentra- tionen von CdJ, nimmt.

Ordnen wir nun die Anionen in eine Reihe nach Maßgabe ihrer verschiebenden Eigenschaft auf die zur Fällung günstigste [H], bei gleicher Konzentration dieses Anions und bei gleichem

1) Genauer: In dem Röhrchen ist zu erwarten nach der Formel k-freie Essigsäure

oe Natriumacetat’

wo o дег Dissoziationsgrad des Natriumacetats ist (für das 0,01n Lö- sungen = 0,87),

[8]

a ВВ E? [H]= 55710 == 2,14-10-®, Py = 467. Die Messung e) stimmt in der Tat völlig damit überein. Die im

Text durchgeführte rohere Berechnung setzt einfach t= 2:

Erweiterung der Theorie des isoelektrischen Punktes. 281

Kation (z. B. Na oder K), so ergibt sich folgende aufsteigende Reihe der Anionen: OH, Вг Ј CNS’, Sulfosalicylsäure’ 010, d NO,’ d Es ist die bekannte Anionenreihe von Arrhenius!), Posternak®), Pauli?) und Höber‘). Ordnen wir nach dem-

selben Gesichtspunkt die Kationen, so ergibt sich: S Zn Na Ln) Cd т! ме, Al р Ni Cu

Die Reihen bedürfen noch der Vervollständigung; wir werden nachher auseinandersetzen, was uns veranlaßte, es bei diesen Befunden zunächst bewenden zu lassen.

2. Die flockungshemmende und -befördernde Wirkung der fremden Elektrolyte.

Nun zeigt sich aber außer der die optimale [Н] ver- schiebenden Eigenschaft noch eine zweite Eigenschaft der fremden Elektrolyte. Verglichen mit der praktisch an fremden Ionen freien Lösung ist nämlich die Flockung, bei der jeweilig günstigsten [H], betrachtet, entweder gehemmt oder be- fördert. Ordnen wir die Anionen nach steigender Förderung der Flockung, so erhalten wir die Reihe:

КО», OH, Вг, || 3, CNS, Sulfosalicyls. Re Ei so,”

Der Trennungsstrich scheidet die hemmenden von den fördernden; links die hemmenden, rechts die fördernden, und zwar gilt dieser Trennungsstrich, wenn diese Ionen als Alkali- salze angewendet werden. Ordnen wir ebenso die Kationen, so ergibt sich die Reihe:

Zn o Na) Cd SET ET

Cu

1) Arrhenius, Zeitschr. f. physikal. Chem. 1, 110, 1887.

2) Posternak, Annales de l’Inst. Pasteur 15, 85 1901.

3) W, Pauli, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 5, 27, 1903. *) R. Höber, Beitr. z. chem. Physiol. u. Pathol. 11, 35, 1907.

232 L. Michaelis u. P. Rona:

Die ersten beiden Gruppen hemmen (als Chloride) die Flockung, die erste viel stärker als die zweite, die dritte ver- stärkt sie. Eine große Menge dieser Tatsachen, betreffend die Hemmung und Begünstigung der Eiweißfällung, sind auch schon lange bekannt, aber unter dem Gesichtspunkt, daß diese Іопепагќеп in Konkurrenz mit den H-Ionen gegenüber dem Eiweiß treten können, noch nicht oder jedenfalls noch nicht systematisch erforscht worden; überdies bezieht sich die Mehr- zahl der vorliegenden Untersuchungen auf die Fällung des genuinen Albumins, die bekanntlich mit seiner Entladung keinen erkennbaren Zusammenhang hat.

3. Experimenteller Teil.

Es wurden folgende Acetatmischungen vorrätig gehalten: je 2 ccm n-Natriumacetat wurden mit wechselnden Mengen n-Essigsäure versetzt und auf 200 ccm mit dest. Wasser auf- gefüllt. Die Menge der n-Essigsäure und die sich daraus in runden Zahlen ergebende [Н] war folgende:

Lösung 1 0,0625 0,6-10-® 6,2 2 0,125 1,2-10-® 5,9 3 0,25 2,5-107® 5,6 4 0,5 5-.10-® 5,8 5 1,0 1.10-5 5,0 6 2,0 2.10-5 4,7 7 4,0 4.1078 4,4 8 8,0 8-10-78 4,1 9 16,0 16.10-5 3,8 10 32,0 32.10-5 3,5

Jede Versuchsreihe besteht darin, daß 10 Reagensgläser mit je 10 ccm dieser 10 verschiedenen Lösungen versetzt wurden. Dazu wurde je 1 ccm der fremden Salzlösung (bzw. zur Kontrolle dest. Wasser) und je 1 ccm Eiweißlösung gegeben. Das Eiweiß wurde durch 10tägige Dialyse von Hundeserum’) bereitet, unter Toluol aufbewahrt und vor dem Versuch eine Portion entnommen, mit der 5fachen Menge dest. Wassers ver- dünnt und einige Zeit in das siedende Wasserbad gestellt, bis

1) In Wirklichkeit wurden die Mengen unter 1 eem durch größere Mengen einer entsprechend verdünnten Essigsäurelösung ersetzt.

?) Eine Versuchsreihe (Diagramm 86—44) wurde mit Hammelserum ausgeführt.

Erweiterung der Theorie des isoelektrischen Punktes. 233

eine diekmilchige, aber homogene Trübung entstanden war. Die Protokolle sind graphisch wiedergegeben. Die Abscisse bedeutet den Wasserstoffexponenten; 6,2 entspricht dem 1. Röhr- chen jeder 10gliedrigen Versuchsreihe; 5,9 dem zweiten usf. Die Höhe der Ordinate gibt schätzungsweise die Intensität der Flockung an. Der Nullpunkt der Ordinate für jedes Salz ist die Zeile, auf der der Name des Salzes steht. Dies ist be- sonders bei den Schwermetallsalzen wohl zu beachten, wo die Kurve meist oberhalb des Nullpunktes der Ordinate beginnt. Die angegebene Konzentration bezieht sich auf den zugegebenen 1 ccm, ist also im endgültigen Versuch um das Zwölffache ver- dünnt gegenüber dieser Angabe. Die höchsten endgültigen Kon- zentrationen sind also nicht molar, sondern m/12. Die Flock- ungsoptima sind durch je einen Kreis bezeichnet. Bei den meisten Schwermetallsalzen und beim Natriumsulfosalieylat ist dieser Kreis an den Anfang bzw. an das Ende der Kurve gesetzt, obwohl das Optimum innerhalb der Reihe wahrschein- lich noch nicht erreicht oder überhaupt kaum anzugeben ist. Kurven, die vor dem Ende abbrechen, zeigen an, daß die Versuchsreihe aus entsprechend weniger Röhrchen zusammen- gesetzt war.

Das Ergebnis im einzelnen ist:

Kurve 1 bis 5 zeigt, wie die verschiebende Wirkung des JK mit steigender Konzentration desselben steigt, und daß die Stärke der Flockung nicht durch JK verringert wird.

Kurve 1 ist für sämtliche anderen Kurven der Kontroll- versuch ohne Salzzusatz. Kurve 6 bis 8 zeigt, daß Na,SO, das Optimum verschiebt, die Flockung hemmt und schließlich (8) ganz unterdrückt. | a

Kurve 9 bis 11 zeigt dasselbe für Mel.

Kurve 12 bis 15 vergleicht Cl, Br, J, CNS als Natriumsalze: in der angegebenen Reihenfolge Verschiebung des Optimums nach rechts; С1 und Br verringern die Flockung, J und CNS nicht. "

Kurve 16 bis 18 vergleicht die Haloide als K-Salze; das- selbe Resultat.

Kurve 19: (10, hat etwa die gleiche Wirkung wie Br.

Kurve 20: NaNO, hemmt die Flockung bedeutend und ver- schiebt sie ein wenig nach rechts.

234 L. Michaelis u. P. Rona:

19 #@0,

20 Va NO;

21 Ма sulfo- зайсу m

Fig. 1.

Kurve 21: Sulfosalicylsäure-Ion verschiebt die Flockung gewaltig nach rechts und verstärkt sie,

Kurve 22 bis 27 vergleicht verschiedene Sulfate; keine Ver- schiebung [bei Na und Mg, bedeutende Verschiebung nach links bei Zn, Cd, Ni, Cu. MgSO, hemmt die Flockung.

Kurve 28 zeigt, daß Cu schon in —— 7 S 00 mol Konzentra-

tion die gleiche Wirkung hat. Kurve 29 bis 31 vergleicht verschiedene Nickelsalze; die

Erweiterung der Theorie des isoelektrischen Punktes. 235

Röhrchen Ae, N a! Py 62_53

* D "82 JE Si 10

М50, Tho

ма, ho

nans

Fig. 2.

Wirkung des Ni ist so ausschlaggebend, daß die Wirkung der drei Anionen zurücktritt.

Kurve 32 zeigt, daß die Fällung durch CdJ,, als ein Salz aus einem wirksamen Kation mit einem wirksamen Anion, in höherer Konzentration fast unabhängig von der [Н] wird.

236 L. Michaelis u. P. Rona:

Kurve 33 zeigt, daß in niederen Konzentra- tionen dieses Salzes die Wirkung des J erlischt, die desCd bestehen bleibt.

Kurve 34 zeigt, daß Thallo-Ion sich ganz wie das eines Alkalimetalls verhält.

Kurve 35 zeigt eine stark nach links ver- schiebende Wirkung des- Lanthan.

Kurve 36 bis 44 zeigt einige Versuche mit dialy-

о we siertem Hammelserum bei glei- cher Versuchsanordnung; das- selbe Resultat. Neu ist hier

Sim, hinzugefügt das Aluminium: DES) starke Verschiebung nach links ДУЛ und Hemmung der Flockung.

Das Röhrchen „O“ in Dia- 410, Д gramm 41 bis 44 enthält пиг Na- Fig. 4 Diagramm 41 bis 44. triumacetat, keine Essigsäure.

4. Beziehungen zu früheren Untersuchungen.

Vergleichen wir nun diese Versuche mit den-zahlreichen in der Literatur vorhandenen ausführlichen Untersuchungen über die Wirkung der Salze auf Eiweiß, besonders von Hof- meister, Pauli, Hardy, Höber, so müssen wir zu- nächst alle diejenigen Arbeiten ausscheiden, die sich mit der Fällung des genuinen Eiweißes beschäftigen, und das sind die meisten. Hier sind zunächst, wenigstens bei den Alkalisalzen, viel höhere Konzentrationen der Salze zur Fällung erforder- lich. Der Vorgang dieser „Aussalzung“ ist offenbar, wie schon Pauli mit Recht betont hat, etwas anderes als die nur durch Entladung bewirkte Salzfällung des denaturierten Eiweißes, das einen suspensoiden Charakter hat. Zweitens haben die Salze auf das genuine Eiweiß z. T. eine doppelte Wirkung, erstens

Erweiterung der Theorie des isoelektrischen Punktes. 237

die fällende und zweitens die denaturierende, die zu einer irreversiblen Fällung des Eiweißes führt. Diese Komplikation haben wir in unserer Arbeit mit denaturiertem Eiweiß nicht. Aus diesem Grund ist von den vorhandenen Arbeiten über Eiweiß- fällung der unsrigen am meisten vergleichbar die von Hardy). Er arbeitete mit hitzedenaturiertem Eiweiß und unterscheidet scharf zwischen den Salzfällungen des durch Säure positiv aufge- ladenen und des durch Laugen negativ aufgeladenen Eiweiß, wie er es ja auch ist, der diese Umladung des Eiweißes zuerst studiert und den Begriff des „isoelektrischen Punktes“ aufge- stellt hat, wenn er ihn allerdings auch von der neutralen Reaktion noch nicht scharf zu unterscheiden gewußt hat. Hardy fand nun, daß positives Eiweiß nur von solchen Salzen gefällt wird, die ein negatives mehrwertiges Ion besitzen, und daß das positive Ion des Salzes belanglos ist; und bei nega- tivem Eiweiß war es umgekehrt. Diese Regel enthält viel Richtiges, trifft aber doch nicht ganz zu. Z. В. erklärt sie nicht die starke Fällung der einwertigen Jod- und besonders der Rhodan- Ionen bei stark saurer Reaktion. Es ist eben doch nicht allein die Wertigkeit, die den Ausschlag gibt, sondern die „Adsorbierbarkeit“?), und in dieser Eigenschaft sind die mehr- wertigen Ionen den einwertigen oft überlegen, aber doch nicht immer, denn z.B. das Н- oder Ae Jon sind viel leichter ad- sorbierbar als Ca” oder selbst AI”.

5. Schlußfolgerung und Ausblick.

Wir haben somit gezeigt, daß gegenüber dem denaturier- ten Eiweiß und seinem Flockungsoptimum und somit auch gegenüber seiner elektrischen Ladung andere Ionenarten mit den Н` und OH-Ionen in Konkurrenz treten können. Nun ist es nach allem, was wir aus der reichen Literatur über die Wirkung besonders der Schwermetallsalze auf Eiweiß wissen, sicher, daß diese Salze vom Eiweiß gebunden, oder wie man heute sagt, „adsorbiert“ werden. Die bloße Tatsache, daß der durch ein Cu-Salz erzeugte Eiweißniederschlag grün gefärbt ist, beweist das zur Genüge. Mehrere Autoren, insbesondere

1) Zeitschr. f. physikal. Chem. 88, 385, 1900. 2) Wir greifen hier dem Abschnitt 5 und besonders der folgenden Arbeit über Adsorption der Salze etwas vor.

238 L. Michaelis u. P. Rona:

W. Paulit), haben diese Adsorption ausführlich studiert. Nun können wir aber auch die reine Wirkung der H- und OH- Ionen auf das Eiweiß als eine „Adsorption“ derselben auf- fassen. Bei einem molekulardispersen Ampholyten würde man von einer chemischen Bindung der Ionen sprechen, bei einem kolloidalen Ampholyten nennt man den analogen Vorgang heute” „Adsorption“, weil sich stöchiometrische Verhältnisse dem Nach- weis entziehen. Nun ist aber zweifellos diese Art der Adsorp- tion, die auf elektrischen Gegensätzen beruht, etwas ganz anderes als die mechanische Adsorption z. B. des Acetons durch Kohle. Wohl aber läßt sich nicht von der Hand weisen, daß diese Adsorption der Adsorption von Neutralsalzen, Schwer- metalisalzen, Säuren und Basen durch Kohle nahesteht.

Die klare Erkenntnis aller dieser Vorgänge steht und fällt mit unseren Kenntnissen von dieser noch wenig erforschten Form der Adsorption, und wir brechen deshalb die Versuche mit dem Eiweiß hier ab, um uns zunächst durch Versuche mit leichter zu handhabenden Adsorbentien wie Kohle und anderen pulvrigen Substanzen in Fortsetzung unserer früheren Arbeiten über Adsorption eine klarere Vorstellung von dieser bisher fast vernachlässigten Form der „Adsorption“ zu ver- schaffen. Erst dann können wir zu dem hier gestellten Pro- blem zurückkehren. Diese klarere Vorstellung von der Adsorp- tion der Salze soll die umstehende Arbeit anbahnen helfen.

Zum Schluß möchten wir noch, ohne jetzt schon darauf näher einzugehen, einen Ausblick auf ein Problem geben, das uns für die Zukunft von großer Tragweite zu sein scheint: wir sind durch diese Untersuchung auf denselben Standpunkt gerückt, wie er bei der Frage nach dem Zusammenhang der Oberflächenspannung und elektrischen Ladung des Quecksilbers besteht; die von uns beschriebene Asymmetrie der Flockung’?) zu beiden Seiten des Flockungsoptimums bei Kolloiden steht offenbar in demselben Zusammenhang mit der Adsorption von verschiedenartigen Ionen, wie die Asymmetrie der Oberflächen- spannung-Potentialkurve des Quecksilbers; man vergleiche die

1) W. Pauli, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 6, 233, 1905, und Manabe und Matula, Le ?) L. Michaelis u. H. Pechstein, diese Zeitschr. 47, 260, 1912.

Erweiterung der Theorie des isoelektrischen Punktes. 239

Darstellung von Freundlich (Capillarchemie, 1909, 8. 184#.). Hier wie dort sind es die Salze, die die Asymmetrie erzeugen, hier wie dort müssen die Anschauungen der „klassischen“ Elektrochemie durch die Berücksichtigung der Adsorption der früher für belanglos erachteten Ionenarten korrigiert werden.

Zusammenfassung.

Die Flockung des denaturierten Albumins hängt von der [H] ab, aber andere Ionen treten mit den H-Ionen in Kon- kurrenz. Die Wirkung der Salze ist eine doppelte:

1. Verschiebung der zur Flockung günstigsten [Н]; alle Anionen, die überhaupt verschieben, verschieben zur sauren Seite, alle Kationen zur alkalischen. Die Reihenfolge, in der die verschiebende Wirkung der Ionen wächst, ist die bekannte Anionenreihe vom Cl zum Rhodan aufsteigend; und für die Kationen ist es die elektrolytische Spannungsreihe der zuge- hörigen Metalle.

2. Hemmung oder Verstärkung der überhaupt maximalen Flockung im Vergleich zu der maximalen Flockung ohne Salze im isoelektrischen Punkt. ` Ат stärksten hemmen die Erden, weniger die Alkalien, und es verstärken die Schwermetalle; von Anionen hemmt Cl und Br, es hemmt nicht oder ver- stärkt J und CNS. Diese Wirkungen beruhen auf einer Kon- kurrenz der anderen Ionen mit den H- und OH-Ionen gegen- über dem Eiweiß, das sie in verschiedenem Maße binden oder adsorbieren kann. Das Verständnis der Erscheinungen basiert demnach auf einer systematischen Untersuchung der Ionen- adsorption an einfachen Adsorbentien, die in Aussicht ge- stellt wird.

Über Adsorption von Elektrolyten durch Kohle.

Von Peter Rona und Leonor Michaelis.

(Aus dem biologischen Laboratorium des städt. Krankenhauses am Urban in Berlin.)

(Eingegangen am 25. März 1919.)

Mit 4 Figuren im Text.

Trotz der großen Reihe von Arbeiten über Adsorption aus dem letzten Jahrzehnt ist unsere Kenntnis von der Adsorption der Elektrolyte sehr lückenhaft. Eine systematische Unter- suchung über die Adsorption von Salzen liegt, abgesehen von den Arbeiten von van Bemmelen!), die sich aber nicht auf die Kohle erstrecken, noch nicht vor, während doch die Ad- sorption von oberflächenaktiven Stoffen, die in der Regel keine oder nur schwache Elektrolyte sind, ferner die Adsorption einiger anderer Nichtelektrolyte, wie die Zuckerarten, ausführlich stu- diert worden ist. Diese Lücke ist sehr empfindlich.

Nach zwei Richtungen hin kann die Adsorption der Elektro- lyte ein besonderes Interesse beanspruchen. Einmal ist folgen- des zu beachten: Die Zurückführung der Adsorption auf die Oberflächenspannung als einziges wirksames Prinzip hat sich nicht bewährt; sie gilt nicht für alle adsorbierbaren Stoffe. Blektrische Erscheinungen mußten für andere Fälle der Ad- sorption herangezogen werden. Namentlich die Verknüpfung der Adsorption und der Fällung der Suspensionskolloide ‚wies zwingend auf elektrische Ursachen der Adsorption hin. So liegt es nahe, die Gesetze der Adsorption an den Trägern der elek-

1) J. M. van Bemmelen, Die Adsorption. Herausgegeben von Wo. Ostwald. Dresden 1910.

Р. Копа u. L Michaelis: Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. 241

trischen Ladung, den Ionen, systematisch unter möglichst ein- fachen Versuchsbedingungen zu verfolgen. Das Interesse richtet sich auf die theoretische Grundlage der Adsorptions- erscheinungen.

Ferner wird die Wechselwirkung zwischen Kolloiden und Elektrolyten als wichtiger Faktor aller Lebenserscheinungen mehr und mehr erkannt. Die sogenannten „Adsorptions- verbindungen“ der Kolloide mit Elektrolyten, die man in einen mehr oder weniger strengen Gegensatz zu den chemischen Ver- bindungen stellt und die man meist ohne weiteres den Ad- sorptionsverbindungen von Kohle mit oberflächenaktiven Sub- stanzen gleichstellt, stehen im Mittelpunkt des biologischen Interesses. Auch aus diesem Gesichtspunkt liegt es nahe, die Adsorption der Elektrolyte systematisch an einfachen Modellen zu studieren.

Zu diesem Zwecke untersuchten wir zunächst die Ad- sorption einer größeren Reihe von Elektrolyten, und zwar Säuren, Basen und Salzen durch Tierkohle.

Gegenüber der Adsorption der Nichtelektrolyte (oder sehr schwachen Elektrolyte) ist die Adsorption der Salze dadurch kompliziert, daß die Frage- der Adsorbierbarkeit an den ge- trennten Ionen geprüft werden muß. Es müssen daher Unter- suchungsreihen angestellt werden mit einer Reihe von Salzen mit gleichem Kation und verschiedenen Anionen und um- gekehrt. Durch verschiedene derartige Reihen wird zuerst zu erweisen sein, ob die adsorptive Eigenschaft eines Salzes ad- ditiv aus denen der Ionen erklärt werden kann. Stellt sich das als zutreffend heraus, so werden wir in der Lage sein, Schlüsse ‘über die Adsorbierbarkeit der einzelnen Ionen zu machen.

Als ein wichtiges Problem drängt sich die Frage auf, ob die beiden Ionen eines binären Elektrolyten in äquivalenten Mengen adsorbiert werden oder nicht. Nach dem Gesetz дег. Elektroneutralität ist natürlich nicht zu erwarten, daß schlecht- weg vom Anion eine analytisch nachweisbare andere Menge adsorbiert würde als vom Kation; die für die Entstehung eines etwaigen Adsorptionspotentials anzunehmende Nichtäquivalenz in der Adsorption des Anions und des Kations kann niemals

die Schwelle des analytisch Nachweisbaren erreichen, Aber die Biochemische Zeitschrift Band 9. 16

242 P. Rona u. L. Michaelis:

Nichtäquivalenz könnte in dem Sinne vorhanden sein, daß eine Hydrolyse stattfindet, also z. B. aus КС] CIH mehr adsorbiert würde als KOH. Einige Angaben in der Literatur weisen auf solche Möglichkeit hin. Bekannt ist der von van Bem- melen!) untersuchte Fall der Adsorption von Kaliumsulfat durch rotes Mangandioxydhydrat, wobei freie Schwefelsäure in der Lösung zurückbleibt; neben Kaliumsulfat ist Kalium- hydroxyd adsorbiert worden. Ferner konnte Masius?) für die stark hydrolysierten Anilinsalze zeigen, daß Base und Säure nicht in äquivalenten Mengen von Kohle adsorbiert werden, sondern daß meist ein Überschuß von Anilin an der Grenz- fläche vorhanden ist. Lachs und Michaelis glaubten be- obachtet zu haben, daß aus KCl-Lösung nur НСІ durch Ad- sorption an Kohle verschwinde. Wie wir vorwegnehmen wollen, wird diese Annahme durch eine besser gewählte Versuchs- anordnung widerlegt?). `

Wir werden zunächst das Verhalten der einzelnen Ionen erörtern und dann uns mit der Frage der Äquivalenz be- schäftigen.

In methodischer Hinsicht sei bemerkt, daß wir stets Mercksche Tierkohle „für medizinische Zwecke“ von größter Reinheit benutzt haben. Eine Reihe wurde stets mit derselben Tierkohle ausgeführt. Alle Versuche mit einer und derselben Lieferung an Kohle durchzuführen war nicht möglich; es er- gab sich jedoch, daß die Resultate der zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Proben derselben Kohlensorte angestellten Untersuchungen durchaus vergleichbar waren, ja sich in vielen Fällen vollständig deckten. Geschüttelt wurde stets 100 ccm der Salzlösung von der Stärke von 0,05 bis 2 molar mit 15 g Kohle‘) eine halbe Stunde. Dann wurde filtriert, das Filtrat analysiert. Ein Vergleich der analytischen Daten vor und nach dem Schütteln mit der Kohle ergab die von der

1) Van Bemmelen, Journ f. prakt. Chem. 23, 342, 1881.

2?) Masius, Über die Adsorption von Gemischen. Diss., Leipzig 1908. Siehe auch Freundlich und Losew, Zeitschr. f. physikal. Chem. 59, 284, 1907 und Freundlich, Capillarchemie, 1909, 168.

2) Vgl. hierzu auch Н. R. Kruyt.und C. Е. van Duin. Kolloid- chem. Beihefte 5, 269, 1914.

4) Also einer viel größeren Menge als sie für Versuche mit ober- flächenaktiven Stoffen nützlich ist.

Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. 243

Kohle adsorbierte Menge. Die 2- bis 6fachen Kontrollbestim- mungen ergaben stets untereinander gut stimmende Werte. Benutzt wurden stets reinste Präparate von Kahlbaum.

Der Übersicht halber wollen wir gleich jetzt die allgemeinen Ergebnisse in einzelnen Leitsätzen angeben und diese im einzelnen durch die Versuche belegen.

1. Die Anionen sämtlicher untersuchten Elektro- lyte werden von der Kohle adsorbiert.

Dies konnten wir zeigen an folgenden Salzen: an Chloriden [NaCl, КОСІ, NH,Cl, CaCl,, MgCl,, CuCl,, ZnCl, KOL. AlCl, ТІСІ,, FeOl,], Rhodaniden [NaCSN, KCSN, NH,CSN, Ca(CSN),, AICSN),], Sulfaten [Ха,50,, K,SO,, (NH,),SO,, MgSO,, Сабо, 'CuSO,, Fe,(SO,),], ferner an NH,J, NH. Pr.

Bei allen diesen Salzen verschwindet bei Berührung mit Kohle ein Teil des Anions aus der Lösung. Die Menge der adsorbierten Substanz ist im Vergleich zu der Adsorption vieler oberflächenaktiver Stoffe (Essigsäure, Aceton) recht gering. Während wir bei den früheren Untersuchungen mit oberflächen- aktiven Stoffen gewöhnlich mit 1 g Kohle auf 100 ccm Lösung arbeiteten, mußten wir hier 15 g Kohle auf 100 cem Lösung nehmen, um genügende Ausschläge für eine zuverlässige chemische Analyse zu bekommen.

Betrachten wir die Adsorption des Anions eines Salzes in verschiedenen Konzentrationen, so finden wir die Grundgesetze der Adsorption oberflächenaktiver Stoffe in den Grundzügen wieder: aus einer geringeren Konzentration wird ein größerer prozentischer Anteil adsorbiert als aus einer höheren Konzen- tration. Die Adsorptionsisotherme hat dieselbe Grundform wie bei den oberflächenaktiven Stoffen (vgl. Tab... Die genauere Formulierung der Isotherme haben wir nicht zum Gegenstand der Untersuchung gemacht.

2. Der Adsorptionsgrad irgendeines Anions bei gegebener Konzentration desselben und unter sonst gleichen Bedingungen hängt ab von der Natur des Kations, mit dem es den Elektrolyten bildet. Dies konnten wir namentlich zeigen für СЇ, SO,” und CNS.

So untersuchten wir die Chloride mehrerer Basen und fanden folgendes. (Die Zahlen bedeuten Normalität an C.)

Die Bestimmung des Chlors erfolgte nach Volhard. 16*

244 P. Rona u. L. Michaelis:

Anion

vor der Adsorption nach der Adsorption adsorbiert

1. NaCl . . . . 0,0493 n 0,0422 n 0,0071 n 2. NaCl . . . . 0,0504 0,0434 0,0070 3. NaCl . . . . 0,1013 0,0915 0,0098 4. NaCl . . . . 0,2011 0,1877 0,0134 5. NaCl . . . . 0,2020 0,1887 0,0133 6. ROL уре e 0,0505 0,0452 0,0053 7. КО... » . 0,1007 0,0917 0,0090 ВКО ау 0,2015 0,1880 0,0135 9. КО... . . 0,2005 0,1873 0,0132

10. NH,Cl. . . . 0,0483 0,0414 0,0069 : 11. NH,Cl, . , . 0,1020 0,0925 0,0095 12. NH,CI. . . . 0,1005 0,0903 0,0102 13. NH,ClI. . . . 0,2010 0,1855 0,0155 14. Cal, . . . . 0,0999 . 0,0838 0,0161 15. CaCl, . . . . 0,2018 0,1809 . 0,0209 16. MgCl, . . . . 0,0984 0,0820 0,0164 17. NiC, . . . . 0,1000 0,0780 0,0220 18. NiC, . . . . 0,2000 0,1700 0,0300 19. ZnCl, .... 0,1017 0,0770 0,0247 20. CuCl, . . . . 0,1020 0,0610 0,0410 21. CuCl, . . . . 0,2020 0,1489 0,0531 22. AIC, . . . . 0,0500 0,0250 0,0250 23. AlCl, . . . . 0,1025 0,0701 0,0324 24. АІС, . . . . 0,1017 0,0720 0,0297 25. АІС, . . . . 0,2018 0,1630 0,0388 26. АІС, . . . . 0,2033 0,1637 0,0396 27. FeCl, . . . . 0,2060 0,1545 0,0515 28. TIC, . . . . 0,0520 0,0205 0,0315 29. ТІСІ, . . . . 0,0965 0,0225 0,0740 30. НО. . . . . 0,1000 0,0383 0,0617 31. НСІ. . , . . 0,2000 0,1270 0,0730 32. НСІ, . . . . 0,3000 0,2145 0,0855

Bei деп Sulfaten wurden folgende Werte gefunden. (Die Zahlen bedeuten Mole H,SO, für 1 Liter) Das SO,”-Ion wurde als BaSO, bestimmt.

Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. 245

Anion

vor.der Adsorption nach der Adsorption adsorbiert 1. Na,SO, . . . 0,0508 Mol/Liter 0,0495 0,0013 2. М№а,80, . . . 0,1000 0,0970 0,0030

3. Na,SO, , . . 0,1000 0,0970 0,0030 | 3. K,SO, . . . . 0,0508 0,0492 0,0016 4. К,80, . . . . 0,1015 0,0990 0,0025 5. (NH,),SO, , . 0,0490 0,0467 0,0023 6. (NH, ),SO, . . 0,0533 0,0513 0,0020 7. (МН,),80, . . 0,0458 0,0438 0,0020 8. MgSO, “=... 0,0252 0,0203 0,0049 9. MgSO, . . . . 0,0500 0,0453 0,0047 10. MgSO, . . . . 0,0996 0,0945 0,0051 11. Саво, . . . . 0,0252 0,0193 0,0059 12. Саво, а... 0,1000 0,0930 0,0070 13. CuSO, . . . . 0,1012 0,0760 0,0252 14. H,SO, . ` . . 0,0482 0,0130 0,0352 15. H,SO, . . . . 0,0940 0,0465 0,0475

Die Befunde bei den Rhodaniden waren die folgenden (Die Zahlen bedeuten Normalität in bezug auf CNS) Die Be- stimmung des CNS’ geschah nach Volhard.

Anion

vor der Adsorption nach der Adsorption adsorbiert 1. NH,CNS . . . 0,1000 n 0,0605 n 0,0395 n 2. NH,CNS . . . 0,1000 0,0613 0,0387 3. KCNS . . . . 0,0510 0,0317 0,0193 4. KCNS . . . . 0,1015 0,0695 0,0320 5. KCNS . . . . 0,1050 0,0715 0,0335 6. KCNS . . . . 0,2035 0,1495 0,0540 7. KCNS . . . . 0,2058 0,1537 0,0521 8. Ca(CNS), . . . 0,0510 0,0217 0,0293 9. Ca(CNS), . . . 0,1015 0,0500 0,0515 10. Ca(CNS), . . . 0,2015 0,1210 0,0805 11. Ca{(CNS), . . . 0,2050 0,1249 0,0801 12. AUCNS), . . . 0,0520 0,0123 0,0397 13. AUCNS), . . . 0,1060 0,0360 0,0700 14. AKCNS), . . . 0,2077 0,0953 0,1124

246 P. Rona u. L. Michaelis:

Die Verhältnisse sind erläutert durch die Diagramme 1, 2, 3.

0 05 7! Onorreite

Fig. 1. Adsorption des Cl aus verschiedenen Chloriden, Abszisse: Nor-

malität der ursprünglichen Lösung an Cl’. Ordinate: Die adsorbierte

Menge CI’, dargestellt durch die Differenz der Normalität der Lösung

vor und nach der Adsorption. Ein Punkt für NH,CNS zum Vergleich mit dem NH,CI-Wert.

Wir können die Kationen in eine Reihe ordnen nach ihrer steigenden Fähigkeit, die Adsorbierbarkeit eines Anions zu be- "günstigen. Diese Reihe ist dieselbe, ob wir sie der Ver- suchsreihe mit den Chloriden, den Sulfaten oder den Rhoda- naten entnehmen.

Bei den Chloriden fanden wir = } NH, (Ca, Mg(Zn(Al(Cu(H.

Bei den Sulfaten Na, K, МН, (Мұ (Са (Со (Н.

Bei den Rhodanaten K, NH, { Са (АІ.

Die kombinierte Reihe wäre

K, Na, NH, (Са, Mg(Zn(Al(Cu(H.

Die stärkere Wirkung des NH, gegenüber K und Na konnten wir "beim Chlorid und nur in sehr geringfügigem Maße finden. Es ist wohl angebracht, die Wirkung von K, Na und NH, gleichzusetzen. Besonders weisen wir ausdrücklich darauf hin, daß das H-Ion die Adsorption eines Anions (bei den von uns untersuchten Salzen) bei weitem am stärksten begünstigt. Im allgemeinen ist die Reihenfolge der gut trennbaren Gruppen

Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. 247

die folgende: 1. Alkalimetalle; 2. Alkalische Erden bis Schwer- metalle; 3. Wasserstoff.

gre

AUCHS),

07

00

008

Fig. 3. Adsorption des SO,” aus verschiedenen Sulfaten. Abszisse: Konzentration der ursprünglichen Sulfat- lösung in Gramm-Mol pro

2 ER Z0 Liter. Ordinate: Die ad- ЕЁ sorbierte Menge SO,”, dar-

Fig. 2. Adsorption des Rhodans aus gestellt durch die Differenz

: : А des molaren Gehalts vor verschiedenen ‚Rhodaniden. Bezeich- und nach der Adsorption. nungen wie in Diagramm 1.

Innerhalb der Gruppe 2 finden wir eine größere Breite der Adsorbierbarkeit. Die Reihenfolge innerhalb dieser Gruppe ist weder durch die Stellung im periodischen System, noch durch die Wertigkeit, noch die elektrolytische Spannungsreihe allein vollständig bestimmt. Die elektrolytische Spannungsreihe macht sich noch am stärksten bemerkbar; sie wird aber haupt- sächlich durch das Al gestört, das viel zu weit nach rechts "steht; die Wertigkeit scheint im Sinne einer stärkeren Ad- sorptionswirkung in Betracht zu kommen. Ganz einzig ist die hohe Wirkung des H-Ions.

3. Die verschiedenen Anionen bei gleichem Kation

248 P. Rona u. L. Michaelis:

werden verschieden stark adsorbiert. Nehmen wir als Beispiel KO und KCNS oder AlCl, und AI(CNS),, so sehen wir in der Tabelle 244 und 245 und Figur 1 und 3 den gewaltigen Unterschied. Während aus KOL (alle Salze in rund 0,2 normal in bezug auf Cl) rund 0,0130 n-Chlor adsorbiert wird, wird bei KCNS rund 0,0530 normal adsorbiert. Die entsprechenden Zahlen sind bei AlCl, und AI(CNS), 0,0400 n-Cl und 0,1120 n-Rhodan.

Am vollständigsten haben wir die Reihe bei den Ammonium- salzen untersucht. Die Reihenfolge der Anionen nach steigender Adsorbierbarkeit war: SO, (CI(Br(J<CNS(OH.

Dies ist, wie man sieht, die wohlbekannte Anionenreihe, die bei so vielen Gelegenheiten wiedergefunden wurde. Das einzige, was zu den sonst in der Physiologie gewöhnlich auf- gezählten Gliedern hinzukommt, ist das OH-Ion, das von den von uns untersuchten das am stärksten adsorbierbare Anion ist.

Von einer 0,100 n-NaOH (100ccm) wurden beim Beben mit 15g Kohle adsorbiert 0,0415 n-NaOH.

Von einer 0,050 n-NaOH wurden adsorbiert 0,0355 n-NaOH. Von einer 0,200 п-МаОН wurden adsorbiert 0,0510 n-NaOH. Von einer 0,300 п-МаОН wurden adsorbiert 0,0675 n-NaOH.

Während aus einer 0,100 n-KCNS-Lösung 0,0335 n-CNS’ adsorbiert wurden, wurde aus einer 0,100 n-KOH-Lösung 0,0475 n-OH’ adsorbiert. 4. Bringt man ein Anion in Form zweier Salze mit ver- schiedenen Kationen in die Lösung, so zeigt sich folgende auf- fällige Erscheinung. Nehmen wir z.B. ein Gemisch, das 0,1 n

an NaCl und 0,1п an 20, enthält, also im ganzen 0,2 n

an СЇ, so wird so viel Cl’ adsorbiert, als ob die Lösung 0,2 n

AIC),

an e allein wäre; maßgebend für die Adsorption des Cl

ist also hier das Al, obgleich es nicht in einer dem Cl äqui- valenten Menge zugegen ist.

Ersetzen wir in einer in der Konzentration an Cl konstant gehaltenen NaCl 1 AlCl -Lösung das Al in immer steigendem Maße durch Na, so sehen wir, daß wir mit der AL Menge weit heruntergehen können, ohne andere Resultate zu bekommen als mit reinem AlCl,. So sehen wir z. B. in der Tabelle S. 248, daß aus einer Lösung von der Zusammensetzung 35 ccm 0,2 n- AlCl, + 65 ccm 0,2 n-NaCl ebensoviel Cl adsorbiert wird, als

Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. 249

wenn die Lösung aus 100 ccm 0,2 m SE bestünde, d. h. es wird

etwa 4mal soviel Cl adsorbiert als aus NaCl. Gehen wir mit der relativen AU Menge noch weiter zurück, so sinkt die Adsorbierbarkeit des Cl’ nur allmählich; selbst 25°/, Al” sind immer noch sehr wirksam. Bei Lösungen von im ganzen absolut geringerer Konzentration an Cl (0,1 n, 0,05 n) finden wir die- selben Verhältnisse; die relative Wirksamkeit des Al ist hier etwas schwächer (vgl. Fig. 4).

Im einzelnen waren die beobachteten Werte die folgenden:

Adsorbierte Cl-Menge

Zusammensetzung der Lösung. (normal). 1. 100cem 0,2 n-Al(l, . ......... 0,0388 2. 100 sw OänRa .. . 2222000000 0,0134 3. 50 » 0,2 п-АІСІ, -|– 50 сет 0,2n-NaCl ... 0,0878 4. 35 » 0,2 п-АІСІ, +65 сот 0,2 п-МаСі . . . 0,0390 5. 25 » 0,2 п-АІСІ, -- 75 ссш 0,2 п-МаіС . . . 0,0840 6. 100 » O1ln-Alll,..... г. 0,0357 Te 300: a" ОЛМАС... Aer ae e ne жс» 0,0098 8 75 » O,1n-AlC,-+25ccm O,1n-NaCl . . . 0,0352 9. 50 » 0,1n-AlCl,—+50ccm 0,1 n-NaCi . .. 0,0314 10. 85 » 0,1n-AlCl,+65cem 0,1 n-NaCl . . . 0,0240 11. 25 » 0,1 0-АІСІ, 4-75 сет 0,1 n-NaCl ... 0,0198 12. 100 » 0,05 п-АІСІ, ............ 0,0271 18. 100 » 0,05 n-NaCl ............ 0,0066 14. 75 » 0,05 n-AlCl, +25 ccm 0,05 n-NaCl . . 0,0243 15. 50 » 0,05 n-AlCl, + 50 ccm 0,05 n-NaCl . . 0,0170 16. 35 » 0,05 р-А1СІ, -+ 65 сою 0,05 n-NaCl . . 0,0145 17. 25 » 0,05 n-AlCl,+75cem 0,05 n-NaCl . . 0,0115

Auf die Ursache dieser Erscheinung können wir erst weiter unten bei der Besprechung der Adsorption der Kationen eingehen.

5. Mischt man die stärker adsorbierbaren Rhodanide mit den schwächer adsorbierbaren Chloriden (von gleicher Normalität), so verhalten sich die Lösungen bei der Adsorption, als wenn sie (fast) nur aus dem Rhodansalz bestünden, d.h. das Chlor’ wird vom CNS’ verdrängt, ja, es wird unter Umständen etwas mehr CNS’ adsorbiert als ohne Cl.

Dies zeigen folgende Versuche. (Die Zahlen bedeuten CI’ bzw. CNS’ in Normalmengen.)

250 P. Rona u. L. Michaelis:

0 005 or 02 Fig. 4. Adsorption іп Gemischen von AlCl, + NaCl. Abszisse: Gesamt- Cl’-Konzentration der ursprünglichen Lösung in Normalität. Ordinate: Die adsorbierte Menge Cl, dargestellt als Differenz der Normalität der Lösung vor und nach der Adsorption. Die ausgezogenen Linien bedeuten die Adsorption in reiner Lösung von NaCl bzw. AICl,. Die gestrichelten Linien stellen die Adsorption in Gemischen dar, und zwar bedeutet „25 9%“, daß das Cl zu 25°/, als AlCl, zu 75°/, als NaCl vorhanden war, usw.

Zusammensetzung der Lösungen

І 50 com KO +50 cem KONS П 50 » CaCl,+50 Ca(CNS), ПІ 50 » AIC,+50 » AICNS),

Vor der Adsorption Nach der Adsorption

I KCI 0,098 п KCNS 0,108 n KO 0,100 n KCNS 0,041 n II CaCl, 0,098 n Ca(CNS), 0,105 п CaCl, 0,094 n Ca(CNS), 0,054 n III AICI, 0,0975 п АҚСМ8), 0,104n AlCl, 0,0922 n АСМ), 0,066 n

Aus 100 сот 0,1015 n-KCNS allein wurden adsorbiert 0,0320 n-CNS’ n 100 » 0,1015 n-Ca(CNS), » D » 0,0515 n-CNS’ a 100 » 0,1060 n-Al(CNS), » л n 0,0700 n-CNS’

6. Die bisher mitgeteilten Beobachtungen der Adsorption sind reversibel, und zwar konnte die Rever- sibilität sowohl bei den Konzentrationsänderungen eines Salzes als auch bei den Verdrängungsvorgängen beobachtet werden.

а) 1. Wurden 50 eem 0,2 п-КСІ ?/, Stunde geschüttelt, dann 50 ccm dest. Wasser zugefügt und wieder 1/, Stunde geschüttelt, so wurden ad-

I Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. . 251

sorbiert 0,0075 n-Cl’. Wurden 100 ccm 0,1 n-KCl 1/„ Stunde geschüttelt, so wurden adsorbiert 0,0078 п-С1”.

2. Wurden 50 ccm 0,2 n-AlCl, !/, Stunde geschüttelt, dann 50 ccm dest. Wasser zugefügt, wieder :/, Stunde geschüttelt, so wurden adsor- biert 0,0320 n-Cl; wurden 100 eem 0,1 n-AlCl, ?/, Stunde geschüttelt, so wurden adsorbiert 0,0300 n-Cl.

b) 1. Wurden 50 ccm 0,2 п-КС1 !/, Stunde geschüttelt, dann 50 cem 0,2 n-Kaliumrhodanid zugefügt und weiter !/, Stunde geschüttelt, во wurden adsorbiert 0,0040 n-Cl und 0,0350 n-Rhodan.

Wurden 0,2-Rhodankalium "1. Stunde geschüttelt, dann 50 cem 0,2 n-KCl zugefügt, weiter 1/, Stunde geschüttelt, so wurden adsorbiert: 0,0030 n-Cl und 0,0350 n-Rhodan.

2. Wurden 50 сет 0,2 п-А1С1„ !/, Stunde geschüttelt, dann 50 сеш 0,2 n-Aluminiumrhodanid zugefügt, weiter 1/, Stunde geschüttelt, so wurden adsorbiert: 0,0110 n-Cl und 0,0650 n-Rhodan.

Wurden 50 сеш 0,2 n-Aluminiumrhodanid ?/, Stunde geschüttelt, dann 50 ccm 0,2 n-AlCl, zugefügt und weiter !/, Stunde geschüttelt, so wurden adsorbiert: 0,0097 n-Cl und 0,0657 n-Rhodan.

Der definitive Zustand bei der Adsorption ist ein dyna- misches Gleichgewicht, von derselben Seite her mit derselben Leichtigkeit erreichbar.

6. Zur Prüfung der Frage, ob und wie weit Nichtelektro- lyte die Elektrolyte von der Kohlenoberfläche zu verdrängen vermögen, verglichen wir die Adsorption von AlCl, und von AI(CNS), in der reinen wäßrigen Lösung mit der Adsorption in Flüssigkeiten, die wie folgt zusammengesetzt waren:

1. Eine Lösung, die 8,4 g Äthylalkohol in 100 ccm dest. Wasser enthielt.

2. Eine Lösung, die 11,6 g Aceton in 100 cem dest. Wasser enthielt.

3. Eine Lösung, die 4,7 g Phenol in 100 ccm dest. Wasser enthielt.

Die Ergebnisse waren die folgenden. Die Zahlen bedeuten OH bzw. CNS’ in Normal in bezug auf diese Anionen.

е 1. Versuche mit AIC],. Vor der Nach der A Adsorption Adsorption Adsorbiert Wäßrige Lösung . . 0,1010 0,0695 0,0325 Lösung 1 ..... 0,1010 0,0770 0,0240 Lösung 2 . .. . . 0,1000 0,0855 0,0145

Lösung 3 . . . . . 0,1000 0,0760 0,0240

{ 259... Р. Копа u. L. Michaelis:

2. Versuche mit AIU(CNS),.

Wäßrige Lösung . . 0,1000 0,0320 0,0680 Lösung 1 ..... 0,1010 0,0440 0,0570 Lösung 2 ..... 0,1000 0,0515 0,0485 Lösung 3 ..... 0,1020 0,0455 0,0565

Bei dieser Versuchsanordnung sehen wir, daß Elektrolyte durch oberflächenaktive Stoffe bei der Adsorption wohl ver- drängt werden und daß die frühere Angabe, daß hierbei eine Verdrängung nicht stattfindet, nicht aufrecht erhalten werden kann? Freilich ist die Verdrängung gering. Bei einem Gemisch zweier oberflächenaktiver Stoffe würde der besser adsorbierbare, zumal wenn er in einem bis zu 10fachem molaren Überschuß zugegen wäre, die Verdrängung sicher total machen. Hier ver- drängt der sehr große Überschuß des außerordentlich viel besser adsorbierbaren Acetons usw. die sehr kleine Menge des ad- sorbierten Elektrolyten nur zum kleinen Teil. Der Unterschied ist daher nur graduell, aber doch auffällig. Die Reihenfolge, in der Nichtelektrolyte verdrängend wirkten, war bei den unter- suchten Elektrolyten dieselbe wie die Reihenfolge ihrer eigenen Adsorbierbarkeit und stieg von Alkohol über Aceton nach Phenol.

Wir können demnach das Gesetz etwa so formulieren: Adsorbierbare Nichtelektrolyte verdrängen Elektrolyte bei der Adsorption in viel geringerem Maße, als sie unter ähnlichen Bedingungen Nichtelektrolyte verdrängen.

Umgekehrt verdrängen auch Elektrolyte Nichtelektrolyte nur in geringem Maß. So fanden wir in früheren Versuchen, daß Traubenzucker von der Kohle durch НСІ viel schlechter verdrängt wird als durch Aceton oder die schwach elektro- lytische aber stark oberflächenaktive Essigsäure °).

Bis hierher besprachen wir immer nur die Adsorption des Anions. Jetzt wollen wir uns der Adsorption des K@tions zu- wenden. Hier fanden sich folgende Gesetzmäßigkeiten.

1) Auch H. R. Kruyt und C. F. von Duin konnten zeigen, daß Phenol Elektrolyte von der Kohlenoberfläche verdrängt. Kolloidchem. Beihefte 5, 269, 1914.

2) Vgl. P. Rona und L. Michaelis, diese Zeitschr. 16, 489, 1909; P. Rona und K. v. Toth, diese Zeitschr. 64, 288, 1914.

Adsorption von Elektrolyien durch Kohle. 253

7. Die Kationen werden von der Kohle adsorbiert Dies konnten wir an folgenden Kationen zeigen: K, NH,, Ca, Cu, Al.

Dies ergibt sich aus den folgenden Versuchen. Die Zahlen bedeuten Milliäquivalente für 1 ccm. Kalium wurde als К,80,, NH, nach der Mikro-Kjeldahl-Methode in der Anordnung von Bang Calcium als СаО, Kupfer als СаО, Aluminium als Al,O, nach Stock bestimmt!).

Kation Vor der Ad- Nach der Ad-

Salz sorption sorption Adsorbiert Ammoniumchlorid . . 0,1039 0,0935 0,0104 Ammoniumbromid . . 0,1005 0,0862 0,0143 Ammonsulfat . . . . 0,1007 0,0914 0,0093 Ammonsulfat . . . . 0,1076 0,0972 0,0104 Ammoniumrhodanid . 0,0986 0,0675 0,0311 Ammoniumrhodanid . 0,0985 0,0684 0,0301 Ammoniumrhodanid . 0,0985 0,0684 0,0301 Ammoniumjodid , . . 0,1028 0,0767 0,0261 Ammonjodid . . . . 0,0997 0,0743 0,0254 Ammonnitrat . 0,0992 0,0801 0,0191 `

1) Um möglichst große Ausschläge zu bekommen, wurden stets größere Mengen der betreffenden Lösungen verarbeitet, so daß mindestens 100 mg, oft das Vielfache dieser Menge zur Wägung kam. Namentlich war bei der Bestimmung des K als K,SO, auf diesen Punkt zu achten, da eine von der Kohle an die Lösung abgegebene Elektrolytmenge das endgültige Resultat trüben konnte. Wurden 15 g der von uns angewandten Kohle mit 100 eem destilliertem Wasser geschüttelt, so fanden wir in 30 ccm beim Abrauchen mit H,SO, höchstens 4 mg Glührückstand, wäh- rend die von uns in demselben Volumen bestimmte K,SO,-Menge 200 bis 500 mg betrug. Es ist freilich hiermit nicht erwiesen, daß diese Kohle auch gegen eine K,SO,-Lösung nur 4 mg Glührückstand abgibt; durch Austausch oder Verdrängung könnte immerhin gegen eine К,80,- Lösung mehr Aschensubstanz abgegeben werden als gegen reines Wasser. Aber immerhin können es nur wenige Milligramme sein, die im Ver- hältnis zu den insgesamt erhaltenen K,SO,-Mengen von 200 bis 500 mg nur wenig ausmachen können. Im übrigen würde der dadurch hervor- gerufene Fehler in dem Sinne wirken, daß wir eine etwas geringere Adsorption des K finden, als der Wirklichkeit entspricht. Der Beweis, daß das K adsorbiert wird, wird also durch diesen Fehler nicht ab- geschwächt.

254 Р. Rona u. L. Michaelis:

Kation Vor der Ad- Nach der Ad-

Salz sorption sorption Adsorbiert Ammonphosphat . . . 0,0978 0,0876 0,0102 Kaliumchlorid . . . . 0,0980 0,0932 0,0048 Kaliumchlorid . . . . 0,2040 0,1922 0,0118 Kaliumrhodanid . . . 0,2044 0,1480 0,0564 Caleiumrhodanid . . . 0,2050 0,1350 0,0700 Caleiumchlorid . . . 0,2364 0,2166 0,0198 Kupfersulfat . . . . 0,0946 0,0736 0,0210 Kupfersulfat . . . . 0,1038 0,0783 0,0255 Aluminiumchlorid . . 0,2122 0,1670 0,0452 Aluminiumchlorid . . 0,1050 0,0667 0,0383 Aluminiumrhodanid . 0,2370 0,0882 0,1488 Aluminiumrhodanid . 0,2320 0,0790 0,1530 Aluminiumrhodanid . 0,1190 0,0210 0,0980 Kupferchlorid . . . . 0,0956 0,0634 0,0322

Stellen wir auf Grund der vorliegenden Befunde die Reihe der Kationen in bezug auf ihre zunehmende Adsorbierbarkeit auf, so finden wir

K<(NH, (Са (Со (АІ.

Die Reihe ist dieselbe, in der die Kationen die Ad- sorbierbarkeit eines Anions begünstigen. Fassen wir die Be- deutung dieser Reihe an der früheren und an der jetzigen Stelle zusammen, so können wir sagen, ein Kation begünstigt die Adsorption eines gegebenen Anions um so mehr, je stärker dieses Kation selbst adsorbiert wird!). Über das H-Ion siehe S. 246,

Die besonders starke Adsorbierbarkeit des H-Ions ver- anlaßt uns zu folgender Überlegung:

Nehmen wir ein Anion, z. B. das Acetat-Ion. Stellen wir uns dieses als ein „Adsorbens“ für Kationen vor und fragen, in welcher Reihenfolge adsorbiert es die verschiedenen Arten von Kationen? So wissen wir zunächst: die Alkali-Ionen „ad-

1) Eine kleine Abweichung von dieser Regel besteht in folgendem. Al” ist ein klein wenig stärker adsorbierbar als Cu”. Demnach sollte diese Regel ergeben, daß aus AlCl, mehr Cl adsorbiert würde als aus Col, Das Umgekehrte ist aber der Fall. Die Ursache hierfür wird weiter unten bei der Besprechung der Äquivalenz der Adsorption und Kation erkannt werden.

Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. 255

sorbiert“ es sehr wenig, oder in der gangbaren Sprache: Na- Acetat ist weitgehendst elektrolytisch dissoziiert. Ca oder Mg-Ion „adsorbiert“ das Acetat-Ion schon besser, d. h. Ca-Acetat ist nicht so stark dissoziiert wie das Na-Salz. Das Ca-Acetat ist noch weniger dissoziiert, und am allermeisten wird das H-Ion „adsorbiert“, d. h. Essigsäure ist weniger dissoziiert als irgend- ein Acetat. Hier ist die Brücke von der „Adsorptions- verbindung“ zur chemischen Verbindung. Begnügen wir uns vorläufig mit diesen Andeutungen!).

8. Wie bei den Anionen, so kann man auch bei den Kat- ionen eine gegenseitige Verdrängung beobachten. Dies zeigen folgende Versuche.

1. Wurden је 50 ccm 0,2 n-AlCl, und 0,2 n-NaCl (Normalität in bezug auf Cl) mit 15 g Tierkohle geschüttelt, so wurden 0,048 Milli- äquivalent pro Kubikzentimeter Al adsorbiert gegenüber 40 Milliäqui- valent СІ. Während ап 100 ccm 0,2 n-AlC], allein unter denselben Bedingungen 0,045 Milliäquivalent Al adsorbiert werden. Das Gemisch verhält sich, als ob Na gar nicht zugegen wäre.

2. Wurden je 50 eem AlCl, und НСІ 0,2n mit 15 g Tierkohle ge- schüttelt, so wurden gefunden: vor dem Schütteln 0,1223 Milliäquivalent Al pro ccm, nach dem Schütteln 0,1225 Milliäquivalent Al pro Kubik- zentimeter. Es wurde also nichts vom Al adsorbiert.

3. Wurden 100 ccm 0,1 n-CuCl, (Normalität in bezug auf CI) mit 15g Kohle geschüttelt, so wurde eine 0,032 Milliäquivalent entsprechende Cu-Menge adsorbiert. Wurden je 50 ccm 0,2 n-CuCl, + 0,2 n-HCl mit 15 g Tierkohle fgeschüttelt, so wurden nur eine 0,0084 Milliäquivalent Cu pro ccm adsorbiert. Es wurde alse im zweiten Falle eine viel ge- ringere Menge adsorbiert.

Das stärker adsorbierbare Ion verdrängt demnach das schwächer adsorbierbare.

Wir hatten oben beschrieben, daß in einem Gemisch von AlCl, + NaCl das Cl so stark adsorbiert werden kann, als ob alles Cl in Form von AlCl], vorhanden wäre. Die Adsorbier-

1) Die Auswahl der Kationen geschah so, daß erstens eine chemische Beeinflussung (Oxydation, Reduktion) auszuschließen war. Dies ver- anlaßte uns z. В. zunächst die Ag-Salze auszuschalten. Zweitens haben wir auch oben einige Versuche mit Ferri- und Thallisalzen zunächst nicht eingereiht, die ergaben, daß diese Salze ganz außerordentlich stark adsorbiert werden. Diese bilden nämlich eine Gruppe von Ionen, die überhaupt elektrochemisch eine Sonderstellung einnehmen. Wie weit diese Eigenschaft mit ihrer hohen Adsorbierbarkeit zusammenhängt, be- darf einer besonderen weiteren Untersuchung.

256 Р. Rona и. L. Michaelis:

barkeit eines gut adsorbierbaren Kations wurde hier ge- wissermaßen als Gegenstück des sonstigen Verdrängungsge- setzes durch die Anwesenheit eines schlechter adsorbier- baren Kations erhöht!) Die Deutung dieser Erscheinung ist jetzt, wo wir die verschiedene Adsorbierbarkeit der Ka- tionen kennen, leicht zu geben: Al wird stark adsorbiert, Cl weniger. Aus reiner AICl,-Lösung zieht also das Al das Cl gleichsam aus der Lösung mit; das kann es aber nur so weit, als der „Ablösungstension* des Cl das Gleichgewicht gehalten wird. Diese Tension muß natürlich (wie die elektro- lytische) von der Konzentration des gelösten Cl abhängen und mit steigender Cl-Konzentration abnehmen. Erhöhen wir daher in einer AlCl -Lösung die Cl-Konzentration, so kann das Al mehr Cl mitnehmen. Wir können aus Gründen der Elektro- neutralität das Cl-Ion nur in Form eines Chlorids erhöhen. Enthält dieses Chlorid ein wenig adsorbierbares Kation, so wird es vom Al verdrängt, und die Lösung verhält sich bei der Ad- sorption fast so, als ob bei gegebenem Gehalt an Al nur die С1-Іопеп vermehrt worden wären.

9. Bezüglich der Frage, ob die Adsorption eines Salzes das Anion und das Kation in äquivalentem Maß betrifft, oder ob eine hydrolytische Spaltung stattfindet, untersuchten wir folgende Fälle:

Ammoniumsalze, KOL KCNS, CaCl,, Ca(CNS),, CuSO,, АІСІ,, AI(CNB),.

Am besten übersieht man die Verhältnisse, wenn man die Werte für das Anion und das Kation, die man nach dem Schütteln in der Lösung findet, in Milliäquivalenten pro Kubik- zentimeter einander gegenüberstellt.

Milligramm-Äquivalente in 1 com

Salz Anion Kation 1. Ammonchlorid . . . . . 0,0925 0,0935 2. Ammonrhodanid . . . , 0,0613 0,0675 З. Ammoniumrhodanid . . . 0,0605 0,0684 4. Ammonbromid . . . . . 0,0845 0,0862

1) Etwas Ähnliches liegt vielleicht nach Untersuchungen von Abder- halden und Fodor (Fermentforschung 2, 74, 1917) in Gemischen von verschieden adsorbierbaren Aminosäuren und Dipeptiden vor.

Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. 257

Milligramm-Äquivalente in 1 com

Salz Anion Kation 5. Ammonsulfat. . . . . . 0,0935 0,0933 6. Ammonsulfat. . . . . . 0,1005 0,0972 7. Ammoniumjodid!) . . . . 0,0690 0,0767 8. Ammoniumjodid!). . . . 0,0673 0,0743 ROL ..,. 0... 0.0.0. 0,0973 Р 0,0980 , 10.KCNS. . . . . ... . 0,1480 0,1440 11. CuSO, ........ 0,0760 0,0783 12. CaCl, ........ . 0,1809 0,1900 13. Са(ОМ8), ....... 0,1249 0,1350 14. AlCl ........ E 0,16709) 15. AKCNS), > . 2 22... 0,0920 0,0882

Wir sehen somit, daß bei den untersuchten Salzen?) in einer Reihe von Fällen die Äquivalenz in der Adsorption des Anions und Kations innerhalb der analytischen Fehlergrenzen sicher ist. Zu diesen gehören NH,Cl, NH,Br, (NH,),SO,, КО, KCOS. In anderen Fällen, wie bei CaCl, ist der Unterschied so, daß wir bezweifeln müssen, daß: er allein auf analytischen Fehlern beruht. Schließlich gibt es Fälle, in denen der Unter- schied der Adsorption von Kation und Anion zweifellos außer- halb des Bereichs der analytischen Fehler fällt. Ein Fall, wo eine vollkommene Aufspaltung stattgefunden hätte, so daß die Kohle aus einem Salz nur die Säure oder nur die Base an sich gerissen hätte, wurde nicht beobachtet.

Beispiele für nicht vollkommene Äquivalenz sind zunächst NH,J, NH,CNS, Ca(CNS),. Bei NH,J sind die Verhältnisse nicht eindeutig, weil möglicherweise eine Oxydation zu J an der Kohle eingetreten sein könnte. Beim Ca(CNS), finden wir, daß 10°/, mehr CNS’ adsorbiert worden ist, als Ca und beim

1) Das Filtrat ist gegen Phenolphthalein alkalisch.

2) Die Werte vor der Adsorption für Cl 0,2003, für Al 0,2122. Es wurden von Chlor 0,0360, von Al 0,0452 Äquivalente adsorbiert. Bei den übrigen Salzen war die Zusammensetzung der Salze die theoretische.

з) Die untersuchten Salze sind absichtlich lauter Neutralsalze. Basische und sauere Salze sind aufzufassen wie Mischungen des Neutral- salzes mit Säure (bzw. Base) und unterliegen daher zweifellos den Ge- setzen der Adsorption von Elektrolytgemischen. Hierüber wird noch später berichtet werden.

Biochemische Zeitschrift Band 94. 17

258 P. Rona u. L. Michaelis:

NH,CNS in zwei Parallelversuchen 23 bzw. 30°/, Überschuß an Rhodan. Das übersteigt die Analysenfehler. Wir sind also bei den Rhodaniden in der Lage, die theoretisch vorausgesetzte Spaltung auch analytisch nachzuweisen und zwar in dem er- warteten Sinne: das sehr leicht adsorbierbare Anion СМ zieht bei der Adsorption von den ihm zur Verfügung stehenden Kat- ionen ХН’, und Н, das H-Ion, weil es leichter adsorbierbar ist als ND, in größerer Menge mit, als seinem relativen Mengenverhältnis zu NH, entspricht. Dasselbe würde bei Al (CNS), gelten. Mit Bestimmtheit können wir allerdings eine chemische Veränderung des labilen CNS-Ions durch die Kohle ebensowenig wie beim Jod ausschließen. Auch beim AlCl, scheint auf den ersten Blick die Inäquivalenz der Ionenad- sorption deutlich. Bedenken wir aber, daß das angewendete AlCl, etwas basisches Salz enthielt, so wird die ohnehin ge- ringe Inäquivalenz durch eine größere Adsorbierbarkeit des basischen Salzes hinreichend erklärt.

Die Äquivalenz in der Adsorption von Anion und Kation kann wohl bei den meisten Salzen jedenfalls als praktisch vorhanden angenommen werden. (Wir wollen aber, ohne sonst unseren in Gang befindlichen Arbeiten vorzugreifen, betonen, daß diese Aussage vorerst nur für die Kohle gilt.) Dies setzt uns in die Lage, die Stellung des NO,’ und des HPO,” in der Anionenreihe auf Grund der Versuchsreihe 8. 253 nachzu- holen. Vergleichen wir nämlich die Reihe der Ammonium- salze, bei der wir die Adsorption des NH, durchweg be- stimmt haben, so finden wir, daß das Ammoniumnitrat zwischen dem Bromid und Jodid, das Phosphat zwischen dem Sulfat und Chlorid steht.

Demnach ist die vervollständigte Reihe der Anionen: SO,<HPO,, СІ‹Вг (МО, «СМ (ОН.

Zum Schluß weisen wir nochmals darauf hin, daß unter unseren Versuchsbedingungen, d. h. aus verdünnten wäßrigen Lösungen irgendeines Salzes, in jedem Falle ohne Ausnahme eine Adsorption beobachtet wurde und zwar in dem gewöhn- lichen „positiven“ Sinne. Eine „negative“ Adsorption, die von Lagergreen für Salze behauptet wurde, konnten wir niemals finden.

Adsorption von Elektrolyten durch Kohle. 259

Biologische Anwendungen der hier gewonnenen Erkennt- nisse sind naheliegend. Zweifellos liegen viele zerstreute Angaben in der biologischen Literatur vor, die mit Hilfe dieser gedeutet werden können. Nur zwei Beispiele der neuesten Literatur wollen wir anführen. С. №. Н. van Oijen?) wies auf den großen Parallelismus von Giftigkeit und Adsorp- tionsvermögen hin. Aus dem „physiologisch äquilibrierten“ ungiftigen Salzgemisch aus NaCl, KOL CaCl, wurde viel weniger Cl adsorbiert?) als aus der reinen NaCl-Lösung, oder aus der Lösung von Nal LEO L. Richet und H. Cardot?) geben bei ihren Untersuchungen über die Wirkung von Mischungen einiger Salze auf die Milchsäuregärung Befunde an, die zweifellos mit Adsorptionsverhältnissen zusammen- hängen, so z. B. die Tatsache, daß das stärker antiseptisch wirkende CuSO, nach Zusatz von CdSO, sich so verhält, ‚als wäre letzteres gar nicht vorhanden. Auch unsere voran- gehende Arbeit‘) stellt ein Anwendungsgebiet der Salzadsorp- tion dar, und die gewonnenen Tatsachen müssen von diesem Ge- sichtspunkt aus betrachtet werden. Das Adsorbens ist dort das Eiweiß; die auf die dort definierte „Verschiebung des iso- elektrischen Punktes in bezug auf die Н-Іопеп“ wirksamen Ionen gehören sämtlich zu den gut adsorbierbaren. Das Maß ihrer verschiebenden Wirkung wächst in derselben Reihen- folge wie ihre Adsorbierbarkeit an Kohle Auch hier müssen wir, sobald wir von einer Adsorption der Schwer- metallionen sprechen wollen, konsequenterweise auch die Auf- nahme des H'- und OH’-Ions als „Adsorption“ bezeichnen, wenn wir nicht dieses Wort für alle diese Bindungen fallen lassen wollen. Auch hier sind die H- und OH-Ionen die wirk- samsten. Auf dieses Anwendungsgebiet der Untersuchung der Ionenadsorption werden wir im Verlauf der weiteren Arbeiten in dieser Richtung, die im Gange sind, zurückkommen.

D Diese Zeitschr. 87, 422, 1918. Seine Befunde über den Einfluß des Ca” auf die C}’-Adsorption stehen zunächst mit den unseren nicht in Einklang und werden von uns weiter verfolgt.

2) Welche Adsorptionsmittel angewendet wurden, ist nicht an- gegeben.

3) Compt. rend. Soc. Biol. 81, 751, 1918.

4) Vgl. S. 225. i

17*

360 Р. Rona vu. L. Michaelis: Adsorption von Elektrolyten durch Kohl

Zusammenfassung.

1. Alle Salze, Säuren und Laugen werden von der Kohle adsorbiert, und zwar Anion und Kation in äquivalenter Menge. Bei Jodiden, Rhodaniden und AlCl, fanden wir eine leichte Verschiedenheit in der Adsorption von Anion und Kation, die aber wahrscheinlich nicht auf Vorgänge der eigentlichen Adsorption zurückzuführen ist.

2. Die Adsorbierkeit eines Salzes wird bedingt durch die Adsorbierbarkeit des Anions und Kations.

Die Anionen werden adsorbiert in der Reihe:

SO, (НРО,, ClI(Br(NO,<J<CNS(OH.

Die Kationen werden adsorbiert in der Reihe:

K, Na, NH, (Ca, Mg(Zn(Cu<(Al(H.

3. Ein stärker adsorbierbares Anion verdrängt ein schwächer adsorbierbares; ebenso gilt der Satz für Kationen.

4. Zusatz von NaCl erhöht die Adsorption von AICl,. Es wird eine Erklärung dieser grundlegenden Erscheinung ge- geben.

5. Nichtelektrolyte und Elektrolyte verdrängen sich gegen- seitig, aber in viel geringerem Grade, als es bei der Ver-

drängung innerhalb der Gruppe der Nichtelektrolyte und inner- halb der Gruppe der Elektrolyte .der Fall ist.

Über die Ambardsche Harnstoffkonstante.

Von

Werner Wolff.

(Aus der chemischphysiologischen Abteilung des Krankenhauses St. Georg in Hamburg.)

(Eingegangen am 8. Februar 1919.)

Angeregt durch die Lektüre der Arbeit von Ambard und Weill über die constante d’exer&tion ureique, beauftragte Dr. Bornstein mich mit der Nachprüfung der von den französi- schen Autoren gefundenen Nierenformel. Ich nahm diese An- regung dankbar und um so bereitwilliger an, als ich in der deutschen Literatur bis dahin nur kurze Hinweise auf die

Ambardsche Zahl fand. [Strauß?), Р. Е. Richter?).]

Im Journal de physiologie et de Pathologie generale 1912 haben Ambard und Weill in einer Arbeit „Les lois numériques de la sécré- tion rénale de l’ur6e et du chlorure de sodium“ zahlenmäßig die Be- ziehungen festzulegen versucht, die bestehen zwischen der Harnstoff- bzw. Kochsalzausscheidung im Urin und dem gleichzeitigen Gehalte des Serums an Harnstoff bzw. Kochsalz. Nach manchen Vorarbeiten und auf Grund einer großen Anzahl von Versuchen haben sie die folgenden auf den Harnstoff bezüglichen Gesetze aufgestellt:

1 Die Harnstoffausscheidung durch die Niere bei konstanter Kon- zentration ist proportional dem Quadrat der Konzentration des Harn- stoffs im Blute.

2. Bei konstanter Konzentration des Harnstofis im Blute und bei wechselnder Konzentration des Harnstoffs im ausgeschiedenen Urin ver- hält sich die Harnstoffausscheidung umgekehrt proportional der Quadrat- wurzel aus der Konzentration des Harnstoffs im Urin.

3. Веі schwankender Konzentration des Harnstofis im Blute und

1) Strauß, Nephritiden, 1916. з) Р. F. Richter, Spez. Patholog. u. Ther. innerer Krankheiten. Kraus und Brugsch, 1916. Biochemische Zeitschrift Band 94. 18

262 W. Wolff:

des Harnstoffs im ausgeschiedenen Urin ist die Harnstoffausscheidung direkt proportional dem Quadrat aus der Konzentration des Harnstoffs im Blute, und umgekehrt proportional der Quadratwurzel aus der Kon- zentration des Harnstoffs im Urin. \

Die Technik der Versuche ist die folgende: es wird der Urin einer bestimmten Zeit aus besonderem Grunde nahmen Ambard und Weill die Zeit von 36 Minuten gewonnen, und zwar во, daß der | Urin vor dem Versuch völlig aus der Blase entleert wird, und ebenso nach Ablauf der Zeit. Dieser letzte wird auf seinen Harnstofigehalt geprüft (Hypobromit-Methode in dem Apparat von Yvon). Genau in der Mitte des Versuches, also nach 18 Minuten, wird durch Venen- punktion Blut entnommen und in diesem ebenfalls der Harnstoff quan- titativ festgestellt. Aus vielen in dieser Weise angestellten Versuchen haben sie die folgende Formel aufgestellt:

Ur

K=

wo Ur die Harnstoffkonzentration im Blute, D die von der Niere in der bestimmten Zeit und auf 24 Stunden umgerechnete Harnstoffmenge und C die Harnstoffkonzentration im Urin bedeutet und eine Standard- konzentration des Harnstoffs im Urin von 25°/,, zugrunde gelegt ist. Diese Zahl K beträgt bei Gesunden etwa 0,07.

Soweit mir die Literatur zugänglich war, schien es mir, als wenn nur Franzosen diese Konstante akzeptiert hätten. Erst nach Abschluß unserer Nachprüfungen, am Ende des Jahres 1918, fand ich eine Arbeit von Monakow!), die sich genauer mit der Ambardschen Konstante beschäftigte. Ehe ich in eine Besprechung der Resultate eintrete, will ich unsere Methodik kurz darstellen: die Versuchsanordnung selbst haben wir fast genau wie Ambard getroffen, d.h. wir haben die genau abgegrenzte Menge Urin von 36 Minuten (manchmal, von 40 bis 60 Minuten) aufgefangen und jeweils in der Mitte der Versuchsdauer durch Venenpunktion Blut entnommen. Die Fälle wurden sorgfältig herausgesucht: es wurden nur junge nierengesunde Personen männlichen Geschlechtes, die keine Zeichen irgendeiner nervösen Störung aufwiesen, unter der ereten Serie auch einzelne Fälle von Rekonvaleszenten nach leichter Nephritis, gewählt. Während Ambard seine Versuche an kräftigen, etwa 70 kg schweren Leuten anstellte, konnten

1) v. Monakow, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 122, 1917.

Ambardsche Harnstoffkonstante. 263

wir bei der bestehenden Hungerblockade nur Männer von etwa 60 kg herausfinden.

In einer ersten Serie von Versuchen haben wir den Rest-N nach Eiweißfällung mit Eisenhydroxyd, nach der Makro-Kjel- dahlmethode (Michaelis und Rona) bestimmt. Bei weiteren Versuchen haben wir sowohl den Rest-N mit der Makro-Kjel- dahl- als mit der Mikro-Kjeldahlmethode nach Bang und auch den Harnstickstoff nach der Mikromethode von Bang und zwar immer mit Doppelbestimmungen ermittelt. Der Eiweiß- gehalt des Serums wurde refraktometrisch bestimmt.

Bei der ersten Reihe von Versuchen konnten wir fest- stellen, daß die Zahl für K immer höher war als die, die Ambard gefunden hatte, d.h. sie war im Mittel höher als 0,07. Meistens lag sie um 0,09 bis 0,1, wobei aber zu sagen ist, daß wir den N-, und nicht den Ur-Gehalt geprüft haben. Außerdem aber variieıte sie über die kleinen Schwankungen hinaus, die man auf Grund von Fehlerquelleu bei der Analyse konzedieren kann, und zwar auch dann noch, als wir mit der Methodik eingearbeitet waren. Um Raum zu sparen, will ich von der Aufführung dieser ersten Tabelle Abstand nehmen und nur sagen, daß ihre Zahlen einen so wenig regelmäßigen Eindruck machten, daß Zweifel über die Konstanz der Am- bardschen Zahl entstanden.

In einer weiteren Serie haben wir dann die Versuchsan- ordnung so getroffen, daß wir die erste Blut- und Urinent- nahme bei möglichst nüchternem Zu<tande der Versuchsperson- die zweite Entnahıne nach einer Fiüssigkeitszufuhr von 1'/, 1 Wasser, und zwar 1!/„ bis 2 Stunden danach, also auf der Höhe der Wasserausscheidung vornahmen. War die Ambarde sche Zahl wirklich beständ'g, so mußte sie es auch bei dieser Anordnung bleiben, war sie es aber nicht, so mußte nun ein, Abweichung regelmäßig wiederkehren.

Die Resultate sind auf Tabelle I sichtbar. Wir haben hier K1 die „Konstante“ bei Zugrundelegung der Rest-N-Be- stimmung im Blut nach der Makro-Kjeldahlmethode, K2 die bei der Mikro-Kjeldahl-, und КЗ endlich die bei der Harn- stoff-Sticketoffbestimmung im Blut und im Harn nach der Mikro- Kjeldahlmethode bezeichnet. Aus dieser Tabe!le geht unzwei- deutig hervor, daß die Konstante im Wasserversuch in allen

18*

Name

Streuffert

Niemeier

Harms .

264 W. Wolff:

Fällen steigt, während gleichzeitig der Eiweißgehalt des Serums fällt. Nur im Falle Wolff sind die Werte gleichgeblieben, hier lagen besondere Verhältnisse vor.

Tabelle I.

Datum Versuchsart

18. IX. 18 | ziemlich nüchtern

n n Wasserversuch n

13. IX. 18

n

25. IX. 18

2. Х. 18

n

1. X. 18

n

25. IX. 18 n 11. ХП. 18 гіет]. halb nüchtern

n Wasserversuch n

ziemlich nüchtern Wasserversuch

ziemlich nüchtern Wasserversuch

ziemlich nüchtern Wasserversuch

ziemlich nüchtern Wasserversuch

ziemlich nüchtern Wasserversuch

n

NB. Bei allen drei Konstanten ist nicht auf Harnstoff, sondern auf Rest-N (und Urin-N) bzw. Harnstoffistickstoff im Blut und im Urin be- rechnet worden.

Tabelle II. 14. XII. 18 | ziemlich nüchtern 0,158 0,149 » nach 20 g Ur BE 0,115 0,093 23. X. 18 | ziemlich nüchtern 0,127 0,072 D nach 20 g Ur 0,095 0,081 24. X. 18 | ziemlich nüchtern | 0,056 0,057 0,060 n nach 20 g Ur 0,075 0,072 0,070

Die Versuchsperson war unmittelbar vor dem Beginne des Versuches angestrengt Rad gefahren bei warmer Außentem- peratur; sie hatte dabei durch Verdunstung viel Wasser ab- gegeben, so die Gewebe für Aufnahme neuen Wassers beson- ders geeignet gemacht. Bei dem nun folgenden Trinkversuch ist zwar reichlich Wasser nach etwa 1!/, Stunden ausgeschie- den worden, indessen trat keine Verdünnung des Serums ein.

Eiweißre-

Ambardsche Harnstoffkonstante. 265

Der Rest-N-Gehalt im Blute vor und nach dem Versuch war bei beiden Bestimmungen, zufällig bis auf die dritte Dezimale, genau derselbe, nämlich 0,227, ebenso wie der Eiweißgehalt derselbe blieb, nämlich 8,6°/. Bemerken möchte ich noch, daß Wolff der einzige Fall in dieser Tabelle ist, der einen erniedrigten Blutdruck (unter 100 mm Quecksilber) aufwies, während alle übrigen Versuchspersonen über 120 mm Queck- silber hatten.

Bei den übrigen Fällen also kam sicher eine Blutverdün- nung zustande, wie die refraktometrischen Werte und das Sin- ken des Rest-N im Blute beweisen. Und bei ihnen allen ist die Abweichung der Konstante im Wasserversuch so regel- mäßig, und zwar nach allen drei Methoden, daß von einem Zufall nicht die Rede sein kann, daß vielmehr eine Beein- flussung des Verhältnisses zwischen der Harnstofikonzentration im Blute und im Urin mit Sicherheit hervorgeht.

In einer dritten Reihe von Versuchen haben wir zuerst die Konstante im nüchternen Zustande, dann nach Verabreichung von 20 р Harnstoff berechnet.

Wir fügen die zweite Tabelle bei. Aus ihr geht hervor, daß diese Resultate nicht eindeutig sind. In den beiden ersten Fällen fällt die Konstante, im dritten Falle steigt sie. Bei einem weiteren Falle sind die Ergebnisse durch Wasserretention der Versuchsperson gar nicht zu gebrauchen. Immerhin wird auch hier eine Konstanz der Werte für K vermißt.

Anmerkung: Bei den Harnstofiversuchen von Monakow findet sich überall ein Steigen der Konstante.

Auf Grund der vorstehenden Versuche kommen wir zu der Überzeugung, daß die Ambardsche Zahl nicht unter allen Umständen, ja nicht einmal beim gleichen Menschen konstant ist, und daß ihr deswegen die Bedeutung, die ihr Ambard und seine Schüler zulegen, nicht zukommt. Daran ändert auch nichts, wenn man die Formel dadurch zu vervollkommnen sucht, daß man das Körpergewicht des Individuums (P) auf das Durch- schnittsgewicht von 70 kg bezieht und die Formel schreibt:

Ur

266 W. Wolff:

Hiermit an sich sind schon Zweifel über die Verwertbar- keit der Ambardschen Formel für die Erkennung bzw. Beur- teilung von kranken Nieren entstanden. Während nun von einer Reihe von französischen Autoren die Ambardsche Kon- stante anerkannt wird, teilen schon Charles und Noël Fies- singer!) Fälle von Nephritis mit, bei denen die Konstante normal war, wo also die Formel versagte. Vor allem aber kommt Widal?) zu dem Schluß, daß die Ambardsche Kon- stante weniger leiste als die einfache Bestimmung des Stick- stoffes im Blute. Völlig versage die Konstante bei allen renalen Stauungen. Monakow (l. c.) bemängelte, daß in der Ambard- schen Formel zwei inkommensurable Größen miteinander in Beziehungen gebracht werden: einmal das Verhältnis Harn- stoff: Wasser im Blute und Harnstoff: Zeit im Urin. Unberück- sichtigt bliebe die absolute Menge Ur, die in der Zeiteinheit der Niere angeboten werde und die sich zusammensetze aus dem relativen Ur-Gehalte des Blutes und der Blutmenge, die in der Zeiteinheit die Niere passiert. Die Blutmenge aber sei abhängig von dem Fassungsvermögen der Nierengefäße und der Durchströmungsgeschwindigkeit. Aber sowohl Fassungs- vermögen wie Durchblutungsgeschwindigkeit seien variable und nicht meßbare Größen.

Zum Schluß wollen wir noch einer Arbeit von Albert?) Erwähnung tun, der angibt, daß es mit der Bestimmung der Konstante möglich sei, „die Größe des funktionsfähigen Nieren- restes“ zahlenmäßig auszudrücken. Er stellt sich vor, daß bei einem Wert für K von 0,07 alles Nierengewebe funktioniere, bei einem Wert von 0,14 dagegen die Hälfte des Nierenge- webes ausfalle, oder, wie er sich ausdrückt, daß das funktionelle Defizit der kranken Niere 50°), betrage, Aus unseren Aus- führungen geht nun hervor, daß wir in Übereinstimmung mit den oben erwähnten Autoren die theoretische Richtigkeit der Konstante bezweifeln. Daß nun gar eine Berechtigung zur praktischen Anwendung bestünde, vermögen wir nicht anzu- erkennen. Albert nimmt die Konstante als zu Recht bestehend

1) Charles und Noël Fiessinger, Compt. rend. Soc. Biol. 2, 1913. 2) Albert, diese Zeitschr. 93, 1919. з) Zit. nach Р. F. Richter, Le

Ambardsche Harnstoffkonstante. 267

hin. Aber selbst dann erscheint der Schluß, den er zieht, ziem- lich gewagt. Denn theoretisch könnte man sagen: es ist be- kannt, daß gesunde Nierenteile für kranke vikariierend ein- treten, so daß funktionell keine Herabsetzung des Gesamter- gebnisses der Nierenarbeit eintritt. Wir erinnern an die Ex- stirpation der einen Niere, wo die andere die Funktionen der exstirpierten mit übernimmt. In diesem Falle tritt unter Um- ständen keine Erhöhung des Rest-N im Blute ein, der Gefrier- punkt bleibt normal, die Ausscheidungsvorgänge sind ebenfalls nicht verändert. Der Beweis, daß in diesem Falle, wo nur 50°/, funktionsfähiger Nierenrest bleibt, die Konstante auf das Doppelte anstiege, ist bisher nicht erbracht.

Zusammenfassung.

1. Die Ambardsche Konstante beträgt bei unseren Nach- prüfungen im Mittel 0,09 bis 0,1 auf Harnstoff-N berechnet, gegen 0,06 bis 0,08 bei Ambard auf Harnstoff berechnet.

2. Bei Nierengesunden ist eine die Grenzen kleiner, auf die Analyse zu beziehender Schwankungen überschreitende Differenz zu beobachten, die ihren Grund also in anderen Ur- sachen zu suchen hat.

3. Im Wasserversuch steigt die Konstante regelmäßig an.

4. Im Harnstoffversuch treten Schwankungen ein, die aber nicht eindeutig sind.

5. Durch diese Befunde wird die praktische Anwendbar- keit der Konstante insbesondere für die Klinik erschwert bzw. unmöglich gemacht.

Über den Einfluß der Temperatur auf Cytozym-') (Thrombokynase-)lösungen.

Von Julius Freund.

(Assistent am Hygienischen Institut der Budapester Universität.)

(Eingegangen am 12. Februar 1919.)

Nachdem ich mich davon überzeugte, daß die Hirschfeld- Klingersche Gerinnungsreaktion?) ein verläßliches Luesdiagno- stikum?) ist, und die Eignung besitzt, als Ausgangspunkt zu theoretischen Untersuchungen über luetisches Blutserum zu dienen, tauchte in Verbindung mit einem anderen Gegenstand die Frage auf, ob die Wirksamkeit einer verdünnten Cytozym- lösung durch Erwärmen auf 50 bis 60° eine Änderung erfährt.

Die bei meinen Versuchen gebrauchten Cytozympräparate (bei der Hirschfeld-Klingerschen Reaktion als Cytozym, bei

1) Ich übernehme die Nomenklatur von Herzfeld und Klinger

(diese Zeitschr. 1916/17): Serozym -Ca-Ionen Cytozym RS Ce

Ce

Fibrinogen Thrombin Br Fibrin

2) Das Wesen der Reaktion: Ein luetisches Blutserum digeriert mit dem Aktivator des Serozyms, dem Cytozym, schwächt dieses in seiner Wirksamkeit. Diese Schwächung wird in der Weise nachgewiesen, daß wir zur Mischung des Blutserums und Cytozyms aktivierendes Serozym (und CaCl,) zugeben und nach 15 Minuten eine Fibrinogenlösung.

D Hirschfeld-Klinger, Über eine Gerinnungsreaktion bei Lues. Deutsche med. Wochenschr. 1914, Nr. 32. Freund, Über die Hirsch- feld-Klingersche Gerinnungsreaktion bei Lues. Deutsche med. Wochen- schr. 1918, Nr. 39.

J. Freund: Einfluß der Temperatur auf Cytozymlösungen. 269

der Wassermannschen Reaktion als Antigen benützt) sind alko- holische Extrakte aus Ochsenherzen mit 98 bis 99°/, Alkohol. Es wurden zum Teile die ursprünglichen alkoholischen Extrakte, zum Teile die mit physiologischer Kochsalzlösung oder Alkohol verdünnten untersucht. Der Gang der einzelnen Versuche war folgender: Eine gewisse Menge der alkoholischen Cytozymlösung, resp. ihrer Verdünnungen wurde in Phiolen gegossen, die Phiolen zugeschmolzen und in ein vorbereitetes Wasserbad von 90 resp. 60° gelegt, resp. bei Zimmertemperatur gehalten. Nach einer Stunde wurden die Phiolen aus dem Wasserbade genommen. Nachdem sie die Zimmertemperatur angenommen hatten, wurden sie geöffnet und mit dem Messen der Wirksamkeit des Cytozyms begonnen. Dies geschah immer bei Zimmertemperatur. Das Messen der Wirkung weicht kaum von der Methode ab, die für die Hirschfeld-Klinger-Reaktion vorgeschrieben ist. Die zu vergleichenden Cytozymlösungen resp. Verdünnungen ver- dünnte ich mit einer 0,85°/,igen NaCl-Lösung im Verhältnis von 1:200, 1:300, 1:400, 1:600, 1:800, 1:1200, 1:1600. Eine gleiche Menge (0,05 ccm) wurde aus jeder verdünnten Lösung in ein Reagensglas gebracht. Dann versetzte ich sie mit 0,75 ccm Serozymlösung vermischt mit CaCl,-Lösung (die Serozymlösung wurde nach der Vorschrift von Herzfeld-Klinger aus Hammel- p:2sma hergestellt [Verdünnung 1:10] und war höchstens 48 Stun- den alt). Nach 15 Minuten wurden 0,75 ccm einer zur Ver- hinderung der Thrombinbildung mit Natriumoxalat vermischten Fibrinogenlösung (aus Hammelplasma hergestellt) hinzugefügt, und der Zeitpunkt des Gerinnens in den Reagensgläsern beob- achtet. Je wirksamer das Cytozym, desto mehr Thrombin bildet sich aus dem Prothrombin, und um so rascher tritt das Ge- rinnen ein. So gibt die zum Gerinnen notwendige Zeit einen Maßstab für die Wirkung des Cytozyms. Meine ersten Versuche machte ich mit Cytozymlösungen, die mit 0,85°/,iger NaCl- Lösung stark verdünnt waren; später benutzte ich konzen- triertere resp. unverdünnte Lösungen, zuletzt Cytozymlösungen mit Alkohol verdünnt.

270 J. Freund:

Versuche.

Cytozymlösungen mitKochsalzlösung verdünnt und zwar 1:200, 1:300, 1:400, 1: 600, 1: 800, 1:1200, 1:1600.

Von jeder dieser verdünnten Lösungen kamen einige Zehntel ccm in 3 Phiolen (inegesamt 21 Phiolen). Eine Phiole blieb bei Zimmertemperatur, eine andere kam in ein Wasserbad von 60° und die dritte in ein solches von 90°, wo sie eine Stunde blieben.

Das Messen der Wirkung des verdünnten Cytozyms geschah unmittelbar mit den erwähnten verdünnten Lösungen ohne neuere Verdünnungen. ?

Tabelle I.

SERIEN ei Gerinnungszeit in Minuten

Verdünnung 1:| 200 | 800 | 400 | 600 | 800 | 1200 | 1600

Die Zahlen der ersten Kolumne zeigen den Wärmegrad an, dem die Cytozymverdünnungen 1 Stunde hindurch aus- gesetzt waren. Die Zahlen der untersten horizontalen Reihe bedeuten die Verdünnungen, die beim Messen der Wirkung benutzt werden. Die übrigen Zahlen bedeuten die zum voll- ständigen Gerinnen notwendige Zeit. Die Zeit bis zu einem nicht vollständigen Gerinnen wurde mit einem + Zeichen ver- sehen. Aus der Tabelle ist zu ersehen, welchen Verdünnungen gleiche Gerinnungszeiten entsprechen.

Sie zeigt ferner, daß mit Kochsalz verdünntes und 1 Stunde hindurch auf 60° erwärmtes Cytozym, gegen alle Erwartung (da das Cytozym meist für ein Enzym gehalten wird) wirkungs- voller ist als nicht erwärmtes. Hingegen ist ein auf 90° erwärmtes weniger wirksam als ein bei 60°, ja sogar bei 18° gehaltenes.. Von 35 bei denselben Bedingungen ausgeführten Versuchen ergaben 32 dasselbe Ergebnis, bei dreien war in der Wirkung der verschiedenen Temperaturen ausgesetzten Cytozymverdünnungen nur eine kleine Abweichung, ja in einem Falle sogar entgegengesetzte Wirkung mit dem obigen fest-

Einfluß der Temperatur auf Cytozymlösungen. 271

zustellen. Ich hielt es für wichtig, eine große Anzahl von Versuchen auszuführen, weil zwei von den Reagenzien, nämlich das Serozym und die Fibrinogenlösung täglich wechselten und vollkommen übereinstimmend nicht wieder erzeugt werden konnten. Ich bemerke, daß in meinen Versuchen fünf ver- schiedene Cytozympräparate verwendet wurden. Die Präparate verhielten sich gleichartig gegenüber der Wirkung der Temperatur.

Tabelle II.

H

Erwärmen an Gerinnungszeit in Minuten

Verdünnung 1:| 200 | 300 | 400 | 600 | 800 | 1200 | 1600

Die Tabelle II zeigt ebenfalls, daß die einer Temperatur von 60° ausgesetzten Cytozymverdünnungen eine stärkere Wir- kung besitzen -als die bei 18° gehaltenen, und daß eine Lösung, die einer Temperatur von 90° ausgesetzt war, das Serozym weniger gut aktiviert als die auf 60° erwärmte Lösung. Je- doch ist in dem Resultat der zwei Versuche ein Unterschied. Nach der Tabelle I ist die Lösung bei 90° weniger wirksam als bei 18°. Nach Tabelle II jedoch wirksamer. Der letztere Unterschied zieht sich durch unsere Experimente regellos, der erste, gemeinsame, Zug regelmäßig.

Den Grund dieser bei beiden Versuchsreihen beobachteten Abweichung kann ich nicht mit Sicherheit angeben, sie hängt aber sicherlich mit der immer frisch bereiteten Serozymlösung zusammen.

Auch das hängt von dem Unterschiede der Serozymlösungen ab, daß bei diesen Gerinnungsversuchen (z. B. bei der Hirsch- feld-Klingerschen Reaktion) die beobaöhteten Gerinnungs- zeiten je nach den Versuchen resp. Serozymlösungen sich ändern und nicht als absolute Zahlen, sondern nur als relative ver- wertbar sind. Daß bei meinen Versuchen nur die Verschieden- heit der Serozymlösungen eine Rolle spielt und daß man von den verschiedenen Cytozympräparaten und Verdünnungen kein

272 J. Freund:

gleichartiges Verhalten voraussetzen kann, geht aus folgenden Versuchen hervor:

In die Phiolen füllte ich soviel von den Cytozymverdünnungen, wie zu 4 Versuchen genügte. Die verschiedenen Temperaturen ausgesetzten Verdünnungen untersuchte ich auf ihr Verhalten gegen Serozym und Fibrinogenlösungen, die aus vier verschiedenen Schafplasmen erzeugt wurden.

Tabelle III. Versuchsanordnung wie bei Tabelle I und II. Cytozymlösung mit Plasma.

ärmen auf Gerinnungszeit in Minuten

90 18 45+ | 45+ | 60+ | 60+ 90 = 50+ | 60+ | 60+ | 60 7 105 | 12+ | 12+ | 12+ 60 1 19+ | 19+ | 19+ | 19+ 18 18+ | 18+ | 18+ | 18+ | 18+ 18 18+ | 18+ | 18+ | 18+ | 18+ Verdünnung1:| 200 | 300 | 400 | 600 | 800 | 1200 | 1600

Tabelle IV. Dieselbe Cytozymlösung mit Plasma 2.

Erwärmen auf

Е Gerinnungszeit in Minuten

30+ | 30+ 30+ | 30+ 30 | 30 17 | 30 30 | 30 30 | 30

|

Verdünnung 1:| 200 | 300 | 400 | Tabelle V. Dieselbe Cytozymlösung mit Plasma 3. RER SI Gerinnungszeit in Minuten 20 20 20 30 20 20 20 30 5 5 10 5 5 6 10 5 15 8 10 20

Verdünnung1:| 200 | 300 | 400 | 600 | 800 | 1200 | 1600

Einfluß der Temperatur auf Cytozymlösungen. 273

Tabelle VI Dieselbe Cytozymlösung mit Plasma 4.

Erwärmen auf | 0

Gerinnungszeit in Minuten

90 15 20 20+ 20 20 20 20 90 15 20 20+ 20 20 20 20 60 5 5 20 20 20 20 20 60 10 20 20 20 20 20 18 10 20 20 20 20 20 20 18 10 10 | 20 20 20 20 20

Verdünnung 1:| 200 | soo | 400 | 600 | 800 | 1200 | 1600

Die Tabellen III, IV, V und VI zeigen also jedesmal die stärkste aktivierende Wirkung bei der Erwärmung auf 60°, eine geringere bei 90°.

Versuche über die Wirkung des Erwärmens konzen- trierterer Cytozym-Kochsalzlösungen.

Zur Beurteilung dessen, welche Rolle die Verdünnung bei der Wirkung des Erwärmens auf das verdünnte Cytozym spielt, machte ich Versuche mit verschieden verdünnten Cytozym- lösungen. Außer den ursprünglichen, unverdünnten Cytozym- lösungen, von denen später die Rede sein wird, wurden folgende Verdünnungen 1:100, 1:50, 1:40, 1:30, 1:20, 1:10, 1:5, 1:4, 1:3, 1:2, auf die entsprechenden Temperaturen erwärmt und dann zu den Gerinnungsversuchen auf die auch schon in die vorher mitgeteilten Verdünnungen gebracht. Das Resultat vieler übereinstimmender Versuche war, daß sich alle Verdünnungen zwischen 1:100, 1:3 in gleicher Weise verhielten. Eine über- raschende Ausnahme zeigte jedoch die Verdünnung von 1:2. Das Verhalten dieser Verdünnung war bei den verschiedenen Versuchen sehr verschieden. In der kleineren Zahl (3) der Fälle verhielt sie sich wie die anderen Verdünnungen (60° Opti- mum), in der größeren Zahl der Fälle jedoch (7) war 60° die ungünstigste Temperatur, wie aus folgender Tabelle VII er- sichtlich.

Das eigentümliche und unregelmäßige Verhalten der Ver- dünnung 1:2 hängt gewiß mit dem Umstande zusammen, daß während die anderen Verdünnungen je nach dem Grade der Verdünnung fürs freie Auge entweder ganz klare oder leicht

274 J. Freund:

Tabelle VII.

Cytozym-Verdünnung mit 0,85°/,iger NaCl-Lösung. Im Verhältnisse von 1: 2.

Erwärmen auf Gerinnungszeit in Minuten

Verdünnung 1:| 200 | 300 | 400 | 600 | 800 | 1200 | 1600

opalisierende Lösungen sind, diese Verdünnung scharf von- einander geschiedene Fettpünktchen enthält, also eine nicht sehr feine Fettemulsion darstellt.

“Unverdünnte alkoholische Cytozymlösungen.

Die auf 60° erwärmten Gytozymlösungen sind allerdings auch oft wirksamer als die nicht erwärmten, doch besteht hier keine Regelmäßigkeit, denn es können sowohl höher erwärmte als auch bei Zimmertemperatur gehaltene wirksamer gefunden werden, wie z. B. folgende Tabelle VIII zeigt:

e Tabelle VIII.

Einwirkung der Temperatur auf konzentrierte Cytozymlösung.

кешең = Gerinnungszeit in Minuten

Verdünnung1:| 200 | 300 | 400 | 600 | 800 | 1200 | 1600

Diese Resultate machen es wahrscheinlich, daß zu der Wirkung des Cytozyms, wie sie in den Tabellen I bis IV ver- zeichnet ist, eine Verdünnung mit Wasser in dem Verhältnis von mindestens 1:3 vonnöten ist. Um aber sicher zu eein, daß es nicht eine Konzentrationsänderung des wirksamen Stoffes ist, der dieses Verhalten zuzuschreiben wäre, habe ich noch

Einfluß der Temperatur auf Cytozymlösungen. 275

Versuche mit Alkoholverdünnungen (statt NaCl-Lösung aus- geführt.

Das Resultat (s. folgende zum Beispiel angeführte Tabelle IX) war, daß ein Erwärmen der mit 99°/ 1рет Alkohol verdünnten Cytozymlösungen auf diese keinen nennenswerten Einfluß aus- übt, doch wurden häufig Unregelmäßigkeiten beobachtet, der- art, daß Proben mit verdünnten Cytozymlösungen rascher ge- rannen als mit konzentrierteren.

Tabelle IX.

Erwärmen auf Gerinnungszeit in Minuten

90 5 10 5 10 A 90 5 10 5 10 5 60 5 Б] 5 5 10 60 5 5 5 5 10 18 5+ 10 5 10+ 10 18 5+ 10 5 - 10+ 10

Verdünnung 1:| 200 | 300 | 400 | 600 | 800 | 1200 | 1600

Diese Versuche machen es wahrscheinlich, daß eine gewisse Quantität Wasser notwendig sei, damit die Wirkung des Er- wärmens auf Cytozymlösungen deutlich hervortrete. Eine Ver- dünnung mit desti.liertem Wasser wirkt wie phys. NaCl-Lösung.

Hier wollen wir noch folgende Beobachtungen erwähnen: 1. Die Wärme muß mindestens 40 Minuten lang wirken, damit die in Rede stehende Wirkung erfolge. 2. Die erfolgte Wirkung ändert sich nicht innerhalb 48 Stunden. 3. Wie einige Ver- suche gezeigt haben, erfolgt entweder keine Wirkung bei 37°, oder doch nur eine geringere wie bei 60°. Die Wirkung von 50° weicht kaum von der Wirkung bei 60°, und die von 80° kaum von 90° ab. 4. Die komplementbindende Fähigkeit einer mit phys. Kochsalzlösung 1:5 verdünnter Cytozymlösung bleibt nach der Einwirkung der Temperatur von 60° durch 1 Stunde unverändert und wird durch die Einwirkung der Temperatur von 90° durch 1 Stunde etwas geschwächt.

Zur Erläuterung der wahrgenommenen Erscheinung wäre es wünschenswert, ähnliche Versuche mit solchen cytozymartig , wirkenden Stoffen auszuführen, die kein Lipoid enthalten. Zu diesem Zwecke bereitete ich mir ein mit Alkohol und Äther gereinigtes Kaninchenserum-Nucleoproteid, von dem man be-

276 J. Freund: Einfluß der Temperatur auf Cytozymlösungen.

hauptet, daß es imstande sei, Prothrombin zu aktivieren. Zwei solche Präparate waren infolge ihrer geringen Wirkungskraft zu solchen Versuchen nicht geeignet. Im Interesse der Er- klärung der Erscheinung schien es wünschenswert, die physi- kalisch-chemischen Konstanten der fraglichen Verdünnungen vor und nach dem Wärmen zu untersuchen. Ich fand: Das Erwärmen verändert die Oberflächenspannung, deren Verände- rung am ehesten zu erwarten wäre, in keiner Weise.

Infolge äußerer Umstände mußte ich von sonstigen Unter- suchungen absehen. Ich glaube nicht, daß man aus meinen Daten, die in mehreren Richtungen der Ergänzung bedürfen, auf die Natur des Cytozyms endgültig schließen dürfte, aber die beobachtete Erscheinung legt es nahe, daß im Cytozym außer den Lipoiden auch etwas anderes, Wirksames vorhanden ist, vielleicht die alkohollöslichen Spaltungsprodukte des Eiweißes. Dafür spricht auch die Beobachtung von Bordet und Delange!t), laut der die alkoholische Cytozymlösung an Wirksamkeit ein- büßt, wenn sie durch wiederholtes Eindampfen und Lösen ge- reinigt wird.

1) Bordet et Delange, Annales de l’Inst. Pasteur. 1912/13.

Beitrag zur Frage der Wirkungsweise des Atophans auf den Purinstoffwechsel'). Von W. Griesbach und G. Samson.

(Aus dem pharmakologischen Institut der Hamburgischen Universität. Krankenhaus St. Georg.)

' (Eingegangen am 19. Februar 1919.)

Mit 2 Figuren im Text.

Die Entdeckung der harnsäureausscheidenden Wirkung der 2-Phenylchinolin-4-Carbonsäure durch Nicolaier und Dohrn und die Einführung dieses Präparats in die Klinik durch W. Weintraud hat nicht nur überaus anregend auf unsere Therapie gewirkt, sondern auch der theoretischen Bearbeitung des normalen und pathologischen Purinstoffwechsels neue Wege eröffnet. . Vor allem ist aber auch eine Fülle von Arbeiten über den Wirkungsmechanismus des Atophans selbst auf den Stoff- wechsel entstanden, was um so begreiflicher ist, als kaum ein anderes Pharmakon derartig eingreifende Ausschläge im Stoff- wechsel zu vollbringen vermag. Daß trotzdem die Auffassungen über den Angriffspunkt des Atophans im Organismus noch weit auseinander gehen, liegt zum guten Teil in der chemischen Methodik begründet, die den Nachweis der Harnsäure im Blut und dieser muß bei allen derartigen Fragen unbedingt gefordert werden als sehr problematisch erscheinen ließ. Erst die Verwendung des colorimetrischen Harnsäurenachweises mittels der Maschkeschen Reaktion mit Phosphorwolframsäure durch

1) Die in der folgenden Arbeit niedergelegten Versuche wurden auf Anregung von Prof. Weintraud im Städtischen Krankenhause Wiesbaden im Jahre 1914 von dem einen von uns begonnen, erlitten aber durch den

„Krieg eine mehrjährige Unterbrechung. Biochemische Zeitschrift Band 9. 19

278 W. Griesbach u. G. Samson:

Folin und Denis!) hat es ermöglicht, die geringen Mengen von Harnsäure, besonders auch in kleineren Blutmengen einiger- maßen befriedigend quantitativ nachzuweisen. Alle Theorien, die sich auf die früheren Methoden des Harnsäurenachweises im Blute stützen, können nicht mehr als experimentell be- gründet angesehen werden, wenn auch ihre hypothetische Basis zum Teil bestehen bleiben mag. Es kommen daher für unsere Auffassung über die Wirkungsweise des Atophans nur solche Arbeiten in Betracht, die seit der allgemeineren Anwendung dieser Methode erschienen sind.

E. Steinitz?) hat als erster größere Untersuchungsreihen über die Blutharnsäure, unter Anwendung der Methode von Folin und Denis, veröffentlicht, und berichtet dabei, wie auch 1913 R. Baß°) und E. Frank‘) mit noch unvollkommenerer Technik, daß schon kurze Zeit nach Einnahme des Atophans eine Erniedrigung des Blutharnsäurewertes gegenüber dem endogenen Wert des betreffenden Individuums festzustellen ist. So schien auch nach den Diskussionen des Kongresses für innere Medizin 1914 die Weintraudsche Hypothese, daß primär durch Atophan eine elektive Wirkung auf die harnsäureausscheidende Partiarfunktion der Niere zustande kommt, eine sichere Stütze erhalten zu haben, wenn auch zugegeben werden mußte, daß dann sekundär ein Nachströmen von Harnsäure aus irgend- welchen Vorräten ins Blut erfolgen muß.

Verschiedene theoretische Erwägungen, unter anderen auch die Ablsche Hypothese des primären Angreifens am Zellstoff- wechsel des Darmes, veranlaßten uns, von neuem Untersuchungen über die Verhältnisse des Blutharnsäurespiegels unter dem Ein- fluß von Atophanderivaten anzustellen, die in der folgenden Arbeit niedergelegt sind. Nachdem unsere durch den Krieg unterbrochenen Versuche im März 1918 wieder aufgenommen waren, ist eine Arbeit von F. Gudzent, C. Maase und H. Zon- dek°) erschienen, die sich u. a. mit derselben Fragestellung wie

1) Folin und Denis, Journ. of Biolog. Chem. 13 u. 14, 1913.

2) E. Steinitz, Zeitschr. f. physiolog. Chem. 90, 108 u. Kongr. f. inn. Med. 1914.

з) К. Вав, Kongr. f. inn. Med. 1913.

1) E. Frank, ebenda.

5) F. Gudzent, С. Maase, Н. Zondek, Zeitschr. f. klin. Med.

86, 35, 1918.

Wirkungsweise des Atophans auf den Purinstoffwechsel. 279

wir beschäftigt haben. Auf diese Arbeit wird weiter unten einzugehen sein. .

Methodik: Nach vergeblichen Versuchen, die Enteiweißungs- methode nach Baß-Wiechowsky mit der colorimetrischen Bestimmung nach Folin und Denis zu kombinieren, sind wir zu der von Authenrieth und Funk!) angegebenen Methodik übergegangen, die sich uns im ganzen gut: bewährt hat. Die von Maase und Zondek?) angegebene Vereinfachung der Me- thode haben wir nicht nachgeprüft, sondern haben stets die Isolierung mit der Silberfällung eingeschaltet. In nahezu allen Fällen wurden Doppelbestimmungen mit je 10 ccm Oxalatblut ausgeführt, deren Werte sehr gut miteinander übereinstimmten. Der Colorimeterkeil wurde von Zeit zu Zeit nachgeprüft. Die Harnsäurebestimmung im Urin wurde nach Folin und Shaffer

ausgeführt.

Wir kommen nunmehr zur Besprechung unserer Versuche. Diese lassen sich folgendermaßen einteilen:

I. Versuchel bis 4: Es zeigt sich anfängliche Vermehrung der Blut- harnsäure, die, wie aus den Reihenversuchen hervorgeht, später abfällt, dabei gleichzeitig starke Mehrausscheidung von Harnsäure im Urin.

II. Versuche 5 bis 9: Während die Vermehrung der Harnsäureaus- scheidung im Urin deutlich nachweisbar ist, findet sich eineErniedrigung des Blutharnsäurespiegels.

III. Versuche 10 bis 15: Unter dem Einfluß der Kriegsernährung in den Jahren 1918/19 angestellt, zeigen diese Versuche keine Mehrauscheidung der Urinharnsäure, während im Blut teilweise eine geringe Zunahme teilweise eine Abnahme, einmal ein Gleichbleiben. des Harnsäurespiegels gefunden wird.

Von den Versuchen der ersten Kategorie war Versuch 1 derjenige, der uns über die Wichtigkeit der zeitlichen Verhältnisse für den Blut- harnsäurewert nach Einnahme von Atophanpräparaten zuerst Aufklärung verschafft hat. Es handelte sich um einen nahezu gesunden, vor dem Versuch noch durchaus friedensmäßig ernährten Mann. Es zeigte sich, daß der Blutharnsäurespiegel mehrere Stunden (81/, bis 101/2) nach der Eingabe eines Atophanpräparates dem normalen Werte gegenüber er- niedrigt war, während 2 та] nach 1 Stunde der Wert den normalen um mehr als 50°/, übertraf und auch nach 1!/, Stunden noch deutlich er- höht war. Die Harnsäureausscheidung war dabei in allen Fällen stark vermehrt. In 3 Versuchen haben wir Teilportionen des Urins untersucht und die Ausscheidung pro Stunde berechnet. Dabei zeigt sich am 25. II.

1) W. Authenrieth und A. Funk, Münch. med. Wochenschr. 1914, 459. | 9) C. Maase und H.Zondek, Münch. med. Wochenschr. 1915, Nr.33. 19*

280 W. Griesbach u. G. Samson: Versuch 1. P. N., 30 Jahre. 3 Tage fleischfrei vor Beginn. Blut- EA harnsäure gg Datum Medikation Femme 8.5 Bemerkungen auch (aen So kation 5.3 ES 20. П.16 21. IL16 fast nüchtern 2 g Iriphan \ 99. 11.16 10% 2 р Iriphan [ ЗЕ 6:/,2 р. m. Blutentnahn.e 23. П. 16 UI en Stundendurchschnitt 8: 2 р Iriphan 8— 12: 0,044 g 25. П.16 10% 2 g Iriphan 12— 8* 0,067 g 11?/,® Blutentnahme 8— 8% р. m. 0,039 g 26. II. 16 27. 1.16 _ 28. II. 16 Angina. Fieber 29. П. 16 2. ITI. 16 . Stundendurchschnitt 83 2 р Artamin 8—12* 0,049 g 3. III. 16 9% Blutentnahme 12— 8% 0,080 g Ah 2 g Artamin 8— p.m.0,061g 4. III. 16 = = 5. III. 16 6. III. 16 7. III. 16 9b 2 р Artamin 8.11.16 10!/,P Blutentnahme 4b 2 g Artamin 9. ITI. 16 чыз 10. III. 16 _ = 11. III. 16 = 12. III. 16 _ e 9% 2 р Hexophan Stundendurchschnitt 13. III. 16 10% Blutentnahme 8—12* 0,119 g 4b 2 g Hexophan 12— 8% а. т. 0,021 g 14. III. 16 Ze 15. III. 16 кез

31/, Stunden nach der Iriphangabe der

während der Anstieg im Urin erst nach

Blutwert bereits subnormal, den ersten 4 Stunden seinen

Höhepunkt erreicht. Im ganzen wies dieser Versuch darauf hin, daß es gelingen mußte, durch Variationen der Zeiten nach Eingabe eines Atophan- präparates sowohl erhöhte wie normale, wie auch erniedrigte Werte zu

finden.

Versuch 2, gleichfalls aus dem Jahre 1916, zeigt eine Vermehrung des Rlut-U-Wertes nach 1 Stunde bei starker Harnsäureausschwemmung. In Versuch 4 findet sich eine Verminderung nach 1 Stunde, am

Wirkungsweise des Atophans auf den Purinstoffwechsel. 281

Versuch 2. B. H.

Blut- harnsäure Harnsäure- Tagesmenge im Urin in g

Datum Medikation

Stunden mg-°/ Medi- 8- lo

fast nüchtern

9% 2 g Hexophan 10. III. 16 | 108 Blutentnahme | 0,866 Ah 2 g Hexophan 11. III. 16 0,453 12. III. 16 0,556

Versuch 3a. Dr. G., 30 Jahre, gesund. Nach reichlicher Fleischnahrung am 27. XII. 18.

Blut-

harnsäure Harn- Re- ЖЕУ, 7 [Rest-N NaCl | frakt. Medikation Рета stoff Eiweiß Bemerkungen Medi- | 08" kation mg-"o mei, g'h | Daf

10° fast nüchterne Blutentnahme . 3,65 | 30,1 | 17,2 | 0,592 | 8,81 Urin wird trübe

101/3 g Atophan | «| H tleert, Trüb 19% Stutentnahmer 1 9.65.1 20,9 | 153 | 0572] 9,02 E mach Bee

11% Blutentnahme 3 4.80 kalten stark zu.

> = —, = (Uratsediment.) 6*/,® Blutentnahme 8 | 4,70 8,60

H

[1

| о л а Er

nächsten Tage nach nochmaliger Hexophangabe eine Vermehrung nach 6 Stunden. Die Ausschwemmung ist sehr gering (25°/,); der Fall stammt aus dem Jahre 1918, ist also bereits als unterernährt anzusehen. Die Versuche 3a und 3b sind an dem einen von uns angestellt, der unmittelbar nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst jedenfalls bezüglich der Purinernährung mit Friedensverhältnissen verglichen werden konnte. Versuch 3a ist angestellt nach reichlicher Fleischnahrung, des- halb ohne Urinwerte, mehr aus informatorischen Gründen. Die Harn- säure im Blut zeigt 11/„ Stunden nach 3 g Atophan eine sehr starke Er- | höhung, ist nach 3 Stunden und ebenfalls nach 8 Stunden noch hoch. | Der nach 11/„ Stunden frisch entleerte Urin enthielt bereits ausgefallene | Urate. Versuch 3b zeigt die Wiederholung des Versuches nach 3 purin- | freien Tagen. Im Blut wurden außer der Harnsäure Beet N und Harn-

stoff sowie Kochsalz nach den Mikromethoden von Bang, Hämoglobin | nach Authenrieth, sowie die Refraktion bestimmt, worauf weiter unten | einzugehen sein wird. Von einem hohen Nüchternwert ausgehend, findet |

282

Versuch 3b. Dr. Gr., 30 Jahre, gesund. Vorher,3 Tage purinfrei.

W. Griesbach u. G. Samson:

Hämoglobin Authenrieth

Blut- harnsäure

3835 o) Ж oc ari | E ech ei 5 E mn © © an Ca N © 5 SARA | < Ka оо о о g ʻO NN N m N ч > u с CO NNN © Du 53 оо о соб = wa | SS e sos =) = _———— = е д wj ss ж | | | Фе ei о | = aN t Dei о аг E © а sl 5 = < | | | Z NaN ~ © CA ER оосо a mann ес E Fo Nana со 5 5 с TER =. у ee ei siche © | EEE АЕРЫ Е a a a a 2 “аак EN ә 1905 | © Ф E Ee ET A E N ; Zaar > | ACA E T 69 - о © со ш]

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24

5. ә о = "en A .до 8 g eg = EZ £8.5 S EI Ф 2.5 a а 2.03 ә m 2 aA SA я [=] Seada 2 ng ЕЕ ы Ф E ә о 5 A Ed а = 387.8 SCH Pa a ona Em ER © © сч EC о = сч

sich nach 1!/, Stun- den eine deutliche Zu- nahme, nach 8 Stun- den eine Abnahme um mehr als die Hälfte des Nüchternwertes, nach 24 Stunden ein Wiederansteigen des Blutharnsäurespiegels, der jedoch den Nor- malwert noch nicht er- reicht. Im Urin wur- den in mehreren Ein- zelportionen Harn-

.säure und bis zum

Mittagsmahl Koch- salz und Stickstoff be- stimmt und pro !, Stunde berechnet. Die Harnsäurewerte stie- gen 11/, Stunden nach 3 g Atophan stark an, blieben 8 Stunden auf der gleichen Höhe, um dann langsam herun- terzugehen und 24 Stunden später unter den Nüchternwert des Vortages zu sinken.

Die Kochsalz- und Stiokstoffausscheidun- gen scheinen nach

Atophan abzusinken, wie dies bereits von Skorczewski und Sohn!) für das Koch- salz nachgewiesen wor- den ist; doch reicht unsere Versuchsanord- nung nicht zu einer sicheren Feststellung aus.

1)W.Skorezewski und I. Sohn, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therap. 11.

Wirkungsweise des Atophans auf den Purinstoffwechsel. 283

Versuch 4. B. Sch., 48 Jahre.

Blut- harnsäure Harnsäure- Datum Medikation Stunden Tagesmenge Medi- | ERT kation 27. VI. 18 0,416 28. VI. 18 fast nüchtern 2,5 2 g Hexophan 0,512 28. VI. 18 108 Blutentnahme } 1 1,9 9b Hexophan 29. VL18 { Blutentnahme } 6 31 0,447 30. VI. 18 0,486

Die Versuche 5 bis 9 stammen sämtlich aus der Kriegszeit, die Harnsäureausschwemmung erreicht nur in einem Fall (Versuch 7) die Werte, wie sie aus der früheren Literatur geläufig sind. Versuch 5 und 6 zeigen eine Vermehrung der Harnsäureausscheidung; in Versuch 5 fand sich nach 24 Stunden ein Absinken des Blutwertes, in Versuch 6 ein Gleichbleiben des Blutwertes (innerhalb der Fehlergrenzen) nach 1 Stunde bei deutlicher Ausschwemmung. Fall 7, der stark ausschwemmte, zeigt nach 1?/, Stunden bereits einen unternormalen Wert, nach 24 Stunden ist der Nüchternwert wieder erreicht.

Die Versuche 8 und 9 wurd@n zu gleicher Zeit an zwei Personen mit annähernd der gleichen Ernährung ausgeführt. In beiden Fällen steigt der Harnsäurewert im Urin am Versuchstage ziemlich gleichmäßig an (0,219 g in Versuch 8, 0,285 g in Versuch 9). Der Nüchternwert im Blut war in beiden Fällen auffallend hoch (5,8 bzw. 5,6 mg, keine Gicht!), ist 1 Stunde nach 3 g Atophan deutlich vermindert, um nach 25 Stunden ein noch niedrigeres Niveau zu erreichen.

Versuch 5. Н. В., 52 Jahre. Arthritis chronica.

Blut- harnsäure Harnsäure-

Tagesmenge im Urin in g

Datum

Fast nüchtern; Blutentnah- me, dann 3mal 1 g Hexo-

рап...... 0,255 8. VI.18 |9®a. m. Blutentnahme. 0,428 9. VI. 18 0,836 10. VI. 18 0,333

284 W. Griesbach u. G. Samson:

Versuch 6. A.V., 50 Jahre. Arthritis chronica.

Harnsäure- Datum ikati Stunden Tagesmenge nach im Urin in g Medi- kation 15. VIL 18 Fast nüchtern 0,380 9b 4 g Hexophan 16. VIL 18 { 10% Blutentnahme 0,591 17. УП. 18 0,338 Versuch 7. М. R., 21 Jahre. Grippe- „Rekonvaleszentin. 3 Tage purinfrei. Blut

Blu е; р | Harnsäure-Tages- at < д УР, Re- | Hämo- | menge im Urin Medikation j_bemsäure | Incl frakt. | globin |6 Stunden Eiweiß | Authen- CH юр] o | „| zo, | "eh | Datum | g _ kation go | 8-9, ES = == = 21.1.19 | 0,868 SS 26 => SE = 22. 1.19 | 0,342 = жы = 5 23. 1.19 | 0,194

24. 1.19

|

93/,® fast nüchtern | Blutentnahme . . 8,2 27,5 |%,617 | 8,92 | 62,25 | 24.1.19 Bin

|

10® 3 g Atophan 110/4 Blatentnahme} 13/4] 23 | 39,4 | 0,605 | 8,28 | 62,20

10% LER , 124 3,0 | 31,1 | 0,561 | 8,92 | 60,00 | 25. 1.19 | 0,364 Versuch 8. і М. В. Herzfehler, Hysterie. 47 kg. 3 Tage purinfrei. j Blut Blut- j Medikation > un] Р - (mg,

mei ei

| |

7. П. 19

8% 20 Blutentnahme 9020 Atophan s| | 58 | 242 | 0,548 10220 Blutentnahme 1 2,95 | 26,4 | 0,569 8. II. 19

1020 Blutentnahme 25 2,65 | 36,97 | 0,541

Wirkungsweise des Atophans auf den Purinstoffwechsel. 285

Versuch 9. E. B., 22 Jahre. 56 kg. Plattfüße. 3 Tage purinfrei.

Blut кетсен ааа = ———| Harnsäure-Tager- ut- a menge im Urin A = Re- | Hämo- g Medikation . harnsäure Rest-N| Nacı | frakt. | globin а а Р Eiweiß | Authen- Medi- | mg-"/ А rieth Datum g eier S mei, 8-9 | gät i = Є === Е = 4. 11.19 | 0,356 25. = = Sat 25 5. П. 19 | 0,353 = = = == 6. П.19 | 0,488 7.2.19 | 8315 Blutentnahme 2 Er А 92103 g Atophan J| | 56 | 253 |0573 | 807 | 570 | 7.1.19 |0118 10210 Blutentnahme 1 3,9 26,1 | 0,573 | 7,63 52,5 8. II. 19 10%10 Blutentnahme 25 | 2,15 | 28,3 | 0,564 | 8,28 57,0 8. II. 19. | 0,345

Ein sehr merkwürdiges Verhalten zeigen nun die Fälle der 3. Gruppe, die im Frühjahr 1918 unter besonders schlechten Ernährungsbedingungen ausgeführt sind. Es fand sich nämlich in keinem Fall die bekannte Atophanwirkung auf die U-Werte im Urin. Diese Tatsache machte uns so stutzig, daß wir unsere Methodik durch die nach Krüger-Schmidt und Wie von Authenrieth angegebene colorimetrische Jodsäuremethode kontrollierten, ohne daß sich, abgesehen von etwas anderen absoluten Werten, an dem Gesamtbild etwas änderte. Dabei sind die gesamten endogenen Werte nur im Versuch 11 besonders niedrig und zeigen im übrigen die bekannten individuellen Verschiedenheiten. Die Blutharn- säure verhält sich in den 5 Versuchen nicht einheitlich. In Versuch 10 zeigt sich nach 1 Stunde eine deutliche Vermehrung, nach 6 Stunden etwa der gleiche erhöhte Wert. In Versuch 11, dessen überaus niedrige

Versuch 10. B.N., 74 Jahre. Alte Lues. Arteriosklerose. i Blut- harnsäure Harnsäure- Datum Medikation Stunden Tagesmenge | пасһ о | im Urin ing Medi- | m8-°/o _Кайоп ` 9. VII. 18 0,308 10. VII. 18 fast nüchtern 2,4 0,283 h Шча CR а 31 0.281 9b 2 р Hexophan 12. VIL 18 { 3h Blutentnahme } 6 3,2 0,238

286 W. Griesbach u. G. Samson:

endogene Werte die täglichen Schwankungen um etwa 0,12 g bereits hoch erscheinen lassen, ohne daß wir_sie als positive Versuche gelten lassen möchten, zeigt sich nach 6 Stunden eine deutliche Erhöhung des Blutharn- säurewertes. In Versuch 12 ist bei annähernd gleichen Blutharnsäure- werten nach 2 Stunden die Ausscheidung am Versuchstage sogar geringer. Leider konnte der Wert des Nachtages nicht bestimmt werden. Eine gleiche Verminderung des Urinharnsäurewertes am Atophantage scheint auch aus den Versuchen 13 und 14 hervorzugehen, in denen die Blut- harnsäure gleichfalls absinkt, ein Befund, dessen Deutung erhebliche Schwierigkeiten machen dürfte. In Versuch 15 zeigt die Blutharnsäure nach 1’/, Stunden eine angedeutete Verminderung, die aber nach 24 Stun- den sehr ausgesprochen ist. Am Versuchstage selbst zeigt sich keine Ausschwemmung, erst am Nachtage tritt eine ganz leichte Vermehrung ein. Die 2-Stundenwerte der Harnsäure im Urin zeigen den bekannten Einfluß der Verdauungsarbeit nach purinfreiem Frühstück und Mittag- essen, ohne eine Wirkung der beträchtlichen Atophangabe sicher erkennen zu lassen.

Versuch 11. А. ВІ., 20 Jahre. Geheilte Pneumonie.

Harnsäure-

Datum Medikation Tagesmenge

23. ТУ. 18 0,222 24. IV. 18 fast nüchtern 0,120 2g Hexophan 25. IV. 18 d 9% Blutentnahme } 0,240 8! a. m. 2 g Hexophan 26. IV. 18 { Dh Blutentnahme } 0,180 27. IV. 18 0,240 Versuch 12. H. Sch., 27 Jahre. Blut- harnsäure Harnsäure- Datum Stunden Tagesmenge

nach im Urin in g Medi-

kation

25. XI. 18 fast nüchtern 0,537 8% 2 р Hexophan

26. ХІ. 18 9b 2 р Hexophan 0,428 10° Blutentnahme

Wirkungsweise des Atophans auf den Purinstoffwechsel. 287

Versuch 13. = Fr. S., 16 Jahre. Geheilte Grippe. Blut- harnsäure Harnsäure- Datum Medikation Stunden ‚Tagesmenge мы. (een) Orin in g kation

21. XI. 18 fast nüchtern

ar 2 g Hexophan 9b 2 g Hexophan 22. XT. 18 10% Blutentnahme 0,464 Blutentnahme 23. XI. 18 0,519 Versuch 14. C. W., 25 Jahre. Arthritis chron. Harnsäure- Datum Medikation Stunden Tagesmenge nach im Urin in g Medi- kation 4. УІ. 18 fast nüchtern 0,399 9% 4g Hexophan 5. VL18 |{ jo» Blutentnahme } 0,872 6. VI. 18 0,369

In den Versuchen 3a, 3b, 7, 8, 9 und 15, wurden außer der Harn- säure im Gesamtblut der Gehalt des Serums an Rest-N und Kochsalz (Mikrobestimmung nach Bang) sowie die Refraktion und größtenteils Hämoglobin nach Authenrieth bestimmt. In Versuch 3a nach reich- licher Fleischnahrung zeigt sich bei gleichzeitiger Erhöhung der Harn- säure nach 1!/, Stunden der Rest-N (und Harnstoff) deutlich erniedrigt, auch das Kochsalz ist etwas abgesunken, während der Refraktionswert angestiegen ist. In Versuch 3b ist leider die Stickstoffbestimmung nach 14, Stunden mißglückt; die Harnsäure war erhöht, während die Refrak- tion herunterging und das Hämoglobin anstieg; nach 8 Stunden, wo die Harnsäure einen sehr niedrigen Wert erreicht, ist aber der Rest-N und Harnstoff deutlich erhöht, die Refraktion hat ihren alten Wert erreicht. Auch nach 24 Stunden besteht noch eine Erhöhung der Stickstoffkompo- nente bei abgesunkenem Kochsalzwert und normaler Refraktion, während das Hämoglobin gegenüber dem Vortage auf eine deutliche Eindickung des Blutes hinweist. Versuch 7, der ebenso wie Versuch 3b eine starke Ausschwemmung im Harn zeigt, hat nach 1?/, Stunden bei niedriger Harn- säure eine starke Vermehrung des Rest-N: (der mit 39,4 mg über dem bei jetziger Ernährung durchschnittlichen Normalwert liegt) bei herunter- gehender Refraktion und gleichbleibendem Hämoglobingehalt aufzuweisen.

W. Griesbach u. G. Samson

288

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Wirkungsweise des Atophans auf den Durinstoffeechsel. 289

Auch nach 24 Stunden findet sich noch eine Erhöhung des Reststick- stoffs, während Kochsalz erniedrigt, Refraktion wieder normal und Hämo- globin annähernd gleich geblieben ist. In den Versuchen 8 und 9, die noch eine Ausschwemmung im Urin zeigen, ist bei erniedrigtem Harn- eäurewert nach 1 Stunde eine geringe Vermehrung des Rest-N nach- zuweisen, die aber tatsächlich wohl noch größer ist, da sowohl Refrak- tion wie Hämoglobin auf eine Verdünnung des Blutes hinweisen. Nach 24 Stunden jet in Versuch 8 der Rest-N ganz bedeutend angestiegen, während die Harnsäure wieder gefallen ist und das Blut verdünnt zu sein scheint. Auch in Versuch 9 ist nach 24 Stunden der Rest-N weiter angestiegen, Refraktion aber gleichzeitig hinaufgegangen, während Hämo- globin seinen alten Wert behält. Im Versuch 15, der keine Mehrausscheidung im Urin zeigte, ist nach 1!/, Stunden bei gleichbleibender Harnsäure der Rest-N nahezu unverändert, nach 24 Stunden identisch mit dem Nüchtern- wert des Vortages; die Refraktion scheint auf eine Verdünnung des Blutes hinzuweisen.

Aus diesen Versuchen, die noch fortgesetzt werden, scheint uns zu folgern, daß bei zunehmender Harnsäure im Blut der Stickstoff abnimmt, bei abnehmender Harnsäure der Stickstoff zunimmt, während er bei gleich- bleibender Harnsäure und fehlender Atophanwirkung gleichfalls unver- ändert ist. Es sieht so aus, als ob ein Antagonismus in der Ausscheidung der übrigen N-haltigen Körper und der Harnsäure unter dem Einfluß von Atophan zustande kommt, doch muß dieser Befund weiterhin nach- geprüft werden.

Zusammengefaßt scheint uns aus unseren Versuchen folgen- des hervorzugehen: Es ist zweifellos, daß es gelingt, in geeigneten Fällen einen Zeitpunkt zu finden, in dem nach Eingabe von Atophan bzw. einem seiner Derivate der Blutharnsäurespiegel gegenüber dem endogenen Wert erhöht ist. Diese Erhöhung kann sich bei dem nicht purinfrei Ernährten (Versuch 3a) über eine ganze Zahl von Stunden erstrecken, wobei sie jedoch eine fallende Tendenz zeigt. Bei dem kurze Zeit purinfrei Ernährten ist im allgemeinen der primäre Anstieg von einem sehr raschen

|25% Atophangobe Versuch 1.

50

©

Bluthornsöure Ze ©

mg ©

290 W. Griesbach u. G. Samson:

Abfall gefolgt. Nach 24 Stunden scheint der Wert zwar häufig noch erniedrigt, aber gegenüber dem tiefsten Niveau (nach etwa 8 bis 12 Stunden) bereits wieder erhöht. Nachstehende Kurven der Versuche 1 (aus mehreren Tagen konstruiert) und 3b mögen dies veranschaulichen.

Unter den jetzigen Ernährungsbedingungen (seit vielen Monaten wöchentlich 150 g Fleisch) zeigt die Kurve besonders bei hohen Anfangswerten (Versuch 8 und 9), sowie in einem

39 Afophan Versuch 3b.

in diesem Zusammenhange nicht veröffentlichten Falle von Nephri- tis bereits nach 1 Stunde eine Verminderung gegenüber der Norm, die nach 25 Stunden (Versuch 8 und 9) noch ausgeprägter sein kann. Über noch längere Zeit haben wir die Bestimmung der Blutwerte nicht ausgedehnt.

Unsere Versuche bilden demnach gewissermaßen eine Zu- sammenfassung der bisher entgegengesetzten Anschauung: Es tritt eben sowohl eine Vermehrung wie eine Verminderung auf, und zwar in der Regel bei dem normal Ernährten zunächst, und das sehr schnell, eine Vermehrung. (Nur in einem Falle [Versuch 4] zeigt sich nach 6 Stunden ein höherer Wert als nach 1 Stunde, doch wurden die Zahlen nicht am gleichen Versuchstage ermittelt.)

Neuerdings haben nun F.Gudzent, C. Maase und Н. Zon- dek)in ausführlichen Untersuchungen des Harnsäurestoffwechsels unter dem Einfluß verschiedener Medikamente bei der Prüfung des Atophans, gleichfalls an Versuchspersonen aus der Zeit nor- maler Ernährung, in allen Fällen eine Vermehrung der Blut-

1) F. Gudzent, С. Maase, Н. Zondek, Zeitschr. f. klin. Med. 86, 35, 1918.

Wirkungsweise des Atophans auf der Purinstoffwechsel. 291

harnsäure gefunden, wobei sie sich die theoretischen Folgerungen aus ihren Befunden vorbehalten haben. Wir möchten aber schon jetzt feststellen, daß ihre Befunde bezüglich der zeitlichen Ver- hältnisse in den Schwankungen der Blutharnsäure von den unseren, aber auch, wie uns scheint, bezüglich der Urinharn- säure von denen der meisten Autoren abweichen. Wir haben nach dem Erscheinen der betreffenden Arbeit regelmäßig den Wert nach 24 Stunden bestimmt und zu dieser Zeit fast stets eine Erniedrigung gefunden, niemals aber eine Erhöhung. Ebenso steht das langsame Ansteigen der Urinharnsäurekurve, die zum Teil erst am dritten Tage ihren Gipfel erreicht, im Widerspruch zu den meisten Angaben der Literatur. U. a. betont Wein- traud!), daß bei Gabe von 3 bis 5g pro Tag die Wirkung kaum noch auf den nächsten Tag übergreift, vielmehr die Werte an diesem Tage bereits wieder normal oder gar unternormal sind. Dasselbe geht aus den Tabellen von Dohrn?) und auch aus unseren eigenen hervor. Eine Erklärung für die abweichen- den Resultate vermögen wir nicht zu geben.

Ohne uns auf dem noch stark hypothetischen Gebiete des Purinstoffwechsels in allzuviele Theorien einlassen zu wollen, möchten wir betonen, daß uns die Weintraudsche Hypothese der Nierenwirkung des Atophans sowohl durch die mit moderner Methodik ausgeführten Versuche von R. Baß, E. Frank, so- wie besonders von E. Steinitz, als auch durch unsere eigenen Resultate einwandfrei bewiesen zu sein scheint. Es hat aber andererseits auch den Anschein und dieses müßte an normal ernährten Menschen weiterhin verfolgt werden —, als ob der harnsäureausschwemmenden Funktion der Niere eine zweite, davon unabhängige, also nicht durch Wegschaffung des Stoff- wechselendproduktes bedingte Eınschwemmung von Harn- säure ins Blut уогаџвріпре Ob nun diese Harnsäure aus Purindepots außerhalb der Blutbahn hervorgeht oder nucleosid- artigen Körpern des Blutes selbst entstammt, vermögen wir nicht zu sagen. Für die erstere Auffassung spricht die größere Wahrscheinlichkeit, fernerhin auch Durchblutungsversuche von H. Rosenberg?) an der überlebenden Hundeleber, dem es ge-

1) W. Weintraud, Ther. d. Седеп. 1911. DM Dohrn, Zeitschr. f. klin. Med. 74, 445, 1912. 3) H. Rosenberg, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therap. 14, 245.

292W.Griesbach u.G.Samson: Wirkungsw.d.Atophansa.d.Purinstoffwechsel.

lang, nach Atophanzusatz zum Durchströmungsblut eine erheb- liche Vermehrung von Harnsäure und Purinbasen nach der Durchblutung nachzuweisen. Selbstverständlich könnte die Harn- säure auch durch den von Abl!) vermuteten Mechanismus sympathicotroper Darmreizung ins Blut gelangen; wahrschein- lich, und in dieser Auffassung haben uns gerade die Versuche an Kriegsernährten bestärkt, gehen beide Wirkungen des Ato- phans, Einschwemmung ins Blut und vermehrte Nierenfunktion unabhängig voneinander, bzw. die eine ohne die andere vor sich. Es steigt in Versuch 10 und 11 die Blutharnsäure etwas an ohne nachweisbare Ausschwemmung im Harn, während es uns in den technisch besonders gut gelungenen Versuchen 8 und 9 nioht gelang, eine Vermehrung im Blute bei gleichzeitiger Aus- scheidung nachzuweisen.

Wichtig für die Frage der Harnsäuredepots erschienen uns die unter besonders ungünstigen Ernährungsbedingungen im Frühjahr 1918 erhobenen Befunde, in denen eine Harnsäure- ausschwemmung im Urin nicht nachweisbar war. Die endogenen Werte stellen hier wirklich einen Maximalwert dar, der durch Atophan nicht gesteigert werden kann. Dies schien uns zu beweisen, daß die Theorien über vermehrten Nucleinzerfall unter dem Einfluß von Atophan, wie auch die Auffassung, daß der purinolytische Abbau von Nuclein durch Atophan in die Rich- tung der Harnsäure gedrängt wird, ebenso wie die Ablsche Auf- fassung vermehrten Darmzellstoffwechsels nicht zu Recht be- stehen, sondern daß das Atophan primär lediglich irgendwie und irgendwo vorhandene Depots ausschwemmt, die endogene Kurve also nicht beeinflußt. Sekundär würde dann die Aus- schwemmung ins Blut durch eine Reizung der Nierenfunktion zur Ausschwemmung in den Harn werden. Damit würde die Atophantherapie der Gicht eine neue innere Berechtigung er- fahren.

1) R. Abl, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 74 und Kongr. f. inn. Med. 1913.

2 e !

Über das Vorkommen von Phosphaten im menschlichen Blutserum. УШ.

Weiteres über die Systematik der P-Verteilung, mit besonderer Be-

rücksichtigung der bisher als Pin proteinartiger Bindung geführten Fraktion.

Von

Joh. Feigl.

\

(Aus dem Chemischen Laboratorium des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Barmbeck.)

(Eingegangen am 20. Februar 1919.)

In den früheren Mitteilungen über die vorliegende Frage, speziell in der Nr. VII der Untersuchungsreihe ist ein Überblick über die Bindungsformen des Phosphors gegeben worden. Die bisher festgestellten Hauptgruppen sind folgende:

An erster Stelle steht der „säurelösliche Phosphor (I)“ mit dem, wenigstens in der Norm und auch in vielen patho- logischen Zuständen weit vorwaltenden anorganischen (Ortho- phosphat-) Phosphor (a) und- einem als Restphosphor (b) bezeichneten Anteile, der als komplex angesehen und der auf wasserlösliche Phosphoryle bezogen und bei Krankheitszuständen - in weiten Grenzen absolut und relativ (im gesamten säurelös- lichen P, І sowie in Beziehung zum organischen а) schwankend erkannt wurde.

Dieser Gruppe, deren analytisches Charakteristikum die methodische Grundlage und zugleich wohl der Weg, auf dem die fraglichen Formen, zum Teil wenigstens, als solche in die Erscheinung treten die Löslichkeit in Wasser sowie in Medien schwacher Acidität sind, tritt eine zweite gegenüber,

die mit den Proteinen gemeinsam koaguliert, unlöslich wird Biochemische Zeitschrift Band 94. 20

294 Joh. Feigl:

und die (im Sinne der Methode) als „fällbarer Phosphor (П)“ bezeichnet worden ist. Diese wiederum wird beherrscht von, dem „lipoidischen Phosphor (a)“, der in wasserfreien Solven- tien löslich, in diesen gegenüber dem „nicht löslichen“ (oft kurz als „proteinoider Phosphor (DI bezeichnet), isolierbar und analytisch bestimmbar ist. Letzteres ist relativ und ab- solut ein kleiner Faktor.

Diese Verhältnisse treffen nur für Plasma bzw. für Serum zu, im Vollblute lagen, wie anschließend zu erörtern sein wird, die Dinge, mindestens quantitativ, bedeutend anders; die Ver- " teilung der aufgeführten Fraktionen bietet ein abweichendes Bild, das einem Ausgleich zwischen den Zuständen in Körperchen und Plasma entspricht. Erstere sind auch in dieser Hinsicht Träger spezifischer Verhältnisse.

Die obige Einteilung basiert ganz auf den methodischen Vorbedingungen, deren Grundzüge mehrfach beschrieben wurden. Sie erleidet eine für normale Plasmen und nahestehende Zusammensetzungen in untergeordneter Breite belangliche Einschränkung, insofern es zweifellos Stoffe gibt, die, auch auf der Basis eines und desselben Trennungsprinzipes, nicht streng typisch reagieren und demnach nicht eindeutig subsummiert werden. Zu diesen gehören Gruppen und ev. Individuen des Begriffes „Lecithin“, das richtiger als „Gesamtphospha- tid“ geführt wird.

Wir haben besprochen, daß man im Blute, speziell aller- dings in den Erythrocyten, die Existenz wasserlöslicher Phos- phatide mit in Rechnung stellen dürfe, wennschon solche in geringen Mengen vorkommen. Ferner haben wir, was zweifel- los für den Moment wichtiger ist, darauf hingewiesen, daß in dem Anteile der weder wasserlöslichen 'noch säurelöslichen Phosphorkomplexe insofern eine besondere Aufgabe methodischer und theoretischer Art begründet liege, als diese an sich zwar geringe Größe unter abweichenden Zuständen der Plasma- beschaffenheit weitere Variationen zeigen kann. Dieser Befund erhob sich darum über einen zufälligen, analytischen hinaus, weil es ein Kreis pathologischer Seren ist, in denen diese Rest- größe, die Greenwald kurz als den proteinoiden Phosphor bezeichnet hat, häufig genug ihre sonstigen Beziehungen ver- läßt und zu deutlichen Ausschlägen wird.

Phosphate im menschlichen Blutserum. VIII. 295

Man wird bei der Schwierigkeit der Isolierungsbedingungen, was auch Verf. mehrfach betonte, nicht umhin können, die Rest- größen in beiden Reihen der Phosphorverteilung (Ib; IIb) äußerst vorsichtig zu deuten. Erstere, der säurelösliche „Restphosphor“ ist, nachdem er als analytische Differenz figurierte, später in geeigneten Seren objektiv dargestellt worden; überdies sprechen methodenkritische Gründe trotz der verwickelten Vorbedingungen zweier getrennter Analysengrundlagen, die sich in einem Ziele schneiden sollen, zu seinen Gunsten, so wie dies auch seine vielen Variationen im Bereiche der Pathochemie tun.

Wenn man dieses nach wie vor als analytisches Problem auffaßt, so sind dafür methodische und beschreibende Gründe maßgebend. Erstere sind es insofern, als die Frage nicht end- gültig geklärt ist, wie weit der Rest-P ein Residuum ist, das bei hydrolytischen Eindrücken auf labile Komplexe nuch be- stehen bleibt. Ob er das grundsätzlich, teilweise, in wechseln- der Proportion oder in Abhängigkeit von gröberen oder feineren Erscheinungen der Bestimmungsvorgänge ist, kann zur Zeit als unentschiedın gelten.

Anders liegt die Sache bei der Restgröße des „nichtlös- lichen“ „fällbaren“ Phosphors im Gange der Säureextraktion bei gleichzeitiger Eiweißfällung. Er wird als „proteinoider“ P aufgefaßt und ist bisher nur indirekt (nach obiger Angabe in früheren Untersuchungsreihen) der Diskussion zugänglich ge- macht worden. Bisher kommt noch mehr das Bedenken zur Geltung: ob man es mit einer fiktiven Größe, einem metho- dischen und rechnerischen Fehlerprodukt künstlicher Ausdeutung zu tun haben kann.

Wir stellten nun die zwei grundsätzlichen Arbeits- weisen in ihrer Wirkung auf die genannten Fraktionen einander gegenüber). |

Die indifferente, quantitative Extraktion nimmt den „lipoidischen P“ in Lösung auf und hinterläßt, zweifellos der Hauptsache nach, den anorganischen Phosphor, der im anderen Verfahren wasserlöslich werden kann?), den proteinoiden

1) Die Verfahren sind im einzelnen mehrfach beschrieben worden. ®) Nach Bloor sowie nach Verf., siehe Lit. (1918). 20*

296 Joh. Feigl:

Phosphor und ist bisher zu einer strengen Entscheidung über den löslichen Restphosphor nicht gelangt).

Die Fällung mit wäßriger. saurer Lösung überführt in den Niederschlag den „lipoidischen Р“ und löst den „säure- löslichen P“ (organischen und restlichen, komplexen); sie hinter- läßt in der Fällung, wie angenommen wird, den „proteinoiden Р“.

Arbeiten mit Parallelstellung beider Verfahren und Extrapolation ihrer jeweiligen Ausschläge auf den Flügeln des Bereiches können, wie nach oben ge- gebenem Schema ersichtlich, die kritischen Fragen nicht genügend aufklären?) Es wird daher ein kombi- niertes Verfahren zur Anwendung gebracht. Es zielt bewußter- maßen auf den Restanteil der unlöslichen Gruppe, auf den „proteinoiden“ Phosphor und muß störende Faktoren aus be- streitbaren Einflüssen auf Grenzfraktionen ausschließen.

Es wird mit der Fällung nach Greenwald begonnen. Sie überführt in Lösung den säurelöslichen P und den zugehörigen restlichen P. Die Fällung wird noch einmal in kürzerer Form nach gleichem Prinzip extrahiert. Dann wird sie der alkoho- lischen Behandlung nach Bloor unterworfen, und zwar wird auf erschöpfende Extraktion hingearbeitet. Der Rückstand wird auf Phosphor analysiert 3).

Ausführungen dieses Arbeitsganges sind, soweit sie für die Förderung der prinzipiellen Frage in Rede stehen, nachfolgend im einzelnen beschrieben und nach ihren Ergebnissen verwertet.

Versuchsmaterial. Reihe A. Methodik und Norm.

Versuch 1. a) Normales Serum‘) 50,0 сет. Fällung nach Green- wald 1:10; Absaugen, erneutes Zerreiben der Fällung mit wenig Quarz-

D Noch nicht abgeschlossene Versuche mit Phosphorylkomplexen (Verf.). a

2) Ausgesprochen vom Verf. in der VII. Mitteilung. Angaben und Orientierung über besonderes Verhalten des „proteinoiden P“ s. dort.

3) Einzelheiten der Arbeitsmethoden, auch ihrem Übergange auf präparative Verhältnisse sind, soweit solche bisher vorliegen, in den ein- schlägigen Arbeiten des Verfs. beschrieben worden.

4) Frisches Mischserum, Anteile eines großen Eingangs. Physikalisch- chemische Daten sowie chemische Analyse о. В.

Phosphate im menschlichen Blutserum. VIII. 297

sand und Behandlung mit dem Pikrinsäurereagens in Mengen 1:5; Ab- saugen bis zum fast trocknen Aussehen der Fällung; dann folgt Extraktion nach Bloor in vierfacher Wiederholung bei Mengen 1:50; dann 1:25; dann 1:10, zwischendurch kein Absaugen, sondern weitgehendes Dekan- tieren. Hiernach einmaliges Absaugen und nochmalige Extraktion in geschlossenem Gefäß (bei 45°, während 24%. Absaugen. Veraschung nach Neumann-Greenwald!).

b) Parallelversuch, identisch.

c) Parallelversuch, modifizierte Stufenbehandlung nach Greenwald.

d) Parallelversuch, modifizierte Stufenbehandlung nach Bloor.

e) Parallelversuch, identisch; Rückstand trocken verascht.

Versuch 2. Normales Serum’). a) 20,0 eem. Fällung nach Green- wald 1: 5; Nachbehandlung wie 1. Extraktion 2mal 1: 50 nach jeweiligem Absaugen, 1 ша] 1:10. Analyse.

b) wie а). Extraktion 4mal 1:50, nach Absaugen 4 ша] 1:10.

c) wie а), b). Extraktion 1 mal 1:50, dann fortlaufend 3%.

d) wie а), b), с). Extraktion Imal1:150, dann fortlaufend 24».

e) wie a). Nach Fällung 1:5 und Nachbehandlung wie 1. Ab- saugen, leichtes Alkalisieren durch Zerreiben mit MgCO,, dann genau wie а).

f) dgl., aber wie b).

g) dgl. wie c).

h) dgl. wie d).

Versuch 3, Normales Serum ?), 25,0 сеш. a) wie 2а); Schlußbehand- lung 2% mit 0,5°%,igem НСІ im Brutschrank, dann Detailanalyse.

b) wie 2а), wie a); Behandlung mit 0,5°/, 12%.

о) wie 2d), wie a), b); Schlußbehandlung wie a).

d) genau wie c); Schlußbehandlung wie b).

Versuch 4. Normales Serum‘). a) wie За); НСІ ist 0,5°/,ig. b) wie За); НСІ ist 5,0°/,ig. с) HCI ist 1091р.

Versuch 5. Normales Serum I. Vorbereitung wie 2d); aber a) wie За), 0,5°/,ige HCl, ferner wie За), НСІ ist 10°/,ig.

1) Einzelheiten in früheren Mitteilungen.

Т) Befunde о. В.

з раї.

*) Dgl, Die Seren kamen nicht, wie Verf. früher als selbstverständ- lich in der heiklen Frage der Analyse der Restsubstanzen betonte, ganz frisch zur Verwendung. Als beschreibende Versuche von statistischer Beweis- kraft gelten sie nicht. I, П, III, IV, V, VI, VII, VIII, IX, X waren klinisch, funktionell, cytologisch und chemisch eingehend untersucht und lieferten in den fraglichen Gebieten die typischen Befunde. Solche sind in den Mitteilungen des Verfs. über Lipämie, RN. Phosphorverteilung usw. ge- geben. Die Globulinfraktion ist noch zu beschreiben. Alle Fälle sind Wa. + (Dr. Graetz).

298 Joh. Feigl:

Reihe B. Pathologische Seren.

Versuch 6. Icterus cat. II, schwer. a) wie 2a.

b) wie 2b, aber dann nach Versuch 5b) bearbeitet.

с) 10° ig.

Versuch 7. Dgl., ähnlicher Fall III; genau wie 6 bearbeitet. Versuch 8. Diabetes, Lipämie IV; genau wie 6 bearbeitet. Versuch 9. Dgl., genau wie 8 bearbeitet.

Versuch 10. Sog. chron. Nephritis VI. a) wie 6a) bearbeitet. b) wie a), dazu aber Behandlung wie 0,5°/%ige НС].

d) wie 5b).

Versuch 11. Dgl. VII; genau wie 10 bearbeitet.

Versuch 12. Schwere Leukämie VIII. a) genau wie b) bearbeitet. b) wie 4b).

Versuch 18. Del IX, wie 12 bearbeitet.

Versuch 14. Arthritis urica X. a) wie 6 bearbeitet.

b) wie 13b).

Methodik.

Über die Methodik, die in diesen Versuchen noch in der Ausgestaltung begriffen ist und daher auf ein festes Schema zur analytischen Bearbeitung der Fragen noch nicht bezogen werden konnte, ist kurz folgendes zu bemerken. Es handelt sich zumeist um technisch und reaktiv komplizierte Analysen- gänge. Diese werden soweit wie möglich präzisiert. Die Arbeits- räume waren stets dieselben; die Transportgefäße und Ent- nahmegefäße, erst recht die analytischen Geräte, wurden sorgfältig ausgewählt. Es kamen nur beste Qualitäten zur Verwendung. Es wurden Glasnutschen verwandt. Das Absaugen geschah so, daß die Filtrate nicht aus Saugflaschen zurückgewonnen werden mußten. Absaugen und Gewinnung der wasserfreien Ex- trakte geschah unter Glasglocken derart, daß die klaren Filtrate in die Jenaer Veraschungskolben direkt aufgenommen werden konnten. Da es sich um ein Abdestillieren der Solventien handelte, wurden zu diesem Zwecke Glasschliffkolben benutzt, die direkt an den in allen ‚Teilen mit geschliffenen Elementen ausgestatteten Apparat angehängt werden konnten. Als Siede- erleichterung diente ausgekochtes Quarzpulver. Die Schliffe waren besonders fein, nicht rauh, sondern „klar“ und ätherdicht. Sehr sorgfältig wurde bei Auswahl der Reagenzien aller Arten und bei der Kritik der Filtrierpapiere verfahren. Es wurden

Phosphate im menschlichen Blutserum. VIII. 299

Tabelle.

Analytische Beobachtungen über Phosphorteilung mit Berücksichtigung der Restanteile in den Hauptfraktionen der Aufteilung, speziell den sog. „proteinoiden“ R-Phosphor betreffend.

Material, Arbeitsdisposition, Grr ppentrennung, Terminologie siehe Text. Berechnung auf Orthophosphorsäure (H,PO,) für 100 com Serum. Reihe A: Normale Seren. Reihe B: Pathologische Seren.

с. А. в. р. Versuch LS 3 4 5 Art des Serums der бе р 3+5 Reihe | samt |Säure- 31 Pro- | ° 1бз1, Anorg.| Rest |Lipoid оа Norm. Misch. a) 34,3 | 12,1 | 10,1 2,0 20,1 2,2 4,2 b) bis e) | {34,9 | y11,9 9,9 {18 20,0 1,8 {86 рны. ==” E 134,2 [412,2 |01 2,1 2,4 | 12,2 4,3 Norm. Mischserum. | a) 32,6 | 102 | 81| 21 | 20,2 | 22 | 43 Cytologie und Chemie b) 32,7 | 10,2 8,0 | 21 20,6 | 2,2 4,3 von Blut und Plasma в) 32,3 | 10,1 7,8 2,3 19,7 2,4 4,7 o. B. d) 32,4 | 10,4 8,0 | 24 | 202 | 21 4,3 e) bis h) {9% ‚0 10, l if 79 | 2,0 19,6| 42,2 [4,4 148% 32,6 [11,5 |1 8,1 | 124 [120,2 | 126 | 15,0 Norm. Mischserum a). 40,8 13,2 10,2 2,0 24,1 3,5 5,5 wie 2; b) 41,0 | 13,5 | 10,3 | 2,2 | 24,2 |. 2,8 4,6 nicht frisch nach Ent- с) 40,4 | 13,0 | 11,0 2,0 22,9 3,8 5,8 nahme. а). | 40,1 _18,6 11,2 |- 24 | 234 | 20 4A Normales Serum |a) 36,8 | 10,5 | 81| 24 | 22,0 | 44 6,8 wie 3. b) 36,6 | 10,7 801 2,7 1 992,2 1 80 5,7 Se o ` 36,3 | 10,6 | 84 | 22 225| 10 | 32 5 Normales Serum а) 97,4 6,4 5,5 0,9 18,0 | 4,3 5,3 wie 3. b) . - 2,1 3,3 с) 27,6 Т 6 5,7 | 11,7 18,4 | 02 | 18 Ict. cat., schwer II |a) 49,7 | 16,5 | 10,0 | 55 | 30,2 | 60 | 11,5 typische Befunde, Feigl)| b) ` 49,6 | 16,7 | 11,0 | 5,7 | 30,6 | 3,0 8,7 Del. П. a) 44,2 Be 10,0 | {28 е 5,2 7,8 _ (mäßige Befunde, { b) | 44,0 [112,8 |1103 | 12,5 [126,4 | 1,8 4,3 8 Diabetes I | 55,8 { 9,4 4,2 e In 6,2 11,0 _ _|Qipämisch, typisch, Feigl) | _ | 56,0 9,6 |t 4,0 | 15,0 [1405 | 22 7,2 Diabetes II Ge и ‚10,2 |, 8,0 | 22 | 37,2 | 47 | 69 1 (mäßig, typisch, Feigl) | b) [151,4 110,4 7,9 | 12,4 | 375 | 37 | 61 Nephr. chron. I a) 4 ф 4 4 { 6,2 | 121 oh.Azotämie,bs.Amino-N)| b) 77,91 12,2 6,0 5,9 51,7 2,2 EN (typ. Lipämiezahlın ив.) | с) ^ Ф Eh ^ 1,4 7,3 1 Dei, П a) 4 d ЕТ { $ 7,8 | 10,8 (mittlere Befunde) b) 56,4 | 10,1 7,0 | 5,0 | 485 | 2,0 5.0 ei 4 CES? + | 10 | 40 12| Leukämiel ` ` a) 4 4 4 4 | 4 6,0 1,6 (typische Befunde, Feigl) | b) 53,3 | 10,2 5,0 5,0 | 36,2 1,0 6,0 с) ^ 4 4 4 | 4 0,8 5,8

300 Joh. Feigl:

Tabelle (Fortsetzung von 8. 299).

E Versuch Š Art des Serums der Ge- 5 Reihe | samt |Säure- 13 Leukämie II a) П (typische Befunde, Feigl) b) 69, _| с) 4 14 Arthritis urica a) | (typische Befunde) | b) du c)

nur speziell geprüfte Präparate benutzt und der Gesamtertrag an P über diese Frage ist später zu berichten in Blind- versuchen erfaßt und abgesetzt. Es ist nicht zweifelhaft, daß sich mit der Fortsetzung der bisher beschriebenen und weiterer schon fertig vorliegender Versuche, über die später zu disku- tieren ist, schließlich ein Gang, der den typischen Fragen ge- recht ist, ergeben wird.

Berechnung.

Die Werte erscheinen als H,PO, und könnten durch Division mit 3,2 zu P reduziert werden. Lecithin wird verrechnet, wie beschrieben, durch Multiplikation mit 81). Gesamtphosphor- säure ist getrennt bestimmt. Aus den einzelnen Querreihen fallende Extremzahlen sind geklammert. Der mit HCI auf- geschlossene P ist nicht direkt mit‘angegeben, sondern nur dessen Restanteil, der als proteinoider P bestehen bleibt. Daher keine durchgehende Korrespondenz.

Besprechung der Versuche: Beurteilung der Frage.

Vorweg darf betont werden, daß nicht beschreibende Er- gebnisse von unmittelbarer Brauchbarkeit angestrebt wurden; demnach ist, namentlich in den Normalien, das Bild der ab- soluten Werte und damit hier auch ihrer Relationen keine Wiedergabe der tatsächlichen Verhältnisse zur freien Diskussion aus diagnostischen Voraussetzungen.

Es erscheinen der „säurelösliche Rest-P“ mit 0,9 bis

1) Vgl. Feigl, Lipämie I bis VI, Erörterung der Methoden und Rechnungen nach W. R. Bloor.

Phosphate im menschlichen Blutserum. VIII. - 801

2,7 mg im Extremen von Einzelanalysen, d. h. praktisch ge- nommen mit 1,0 bis 2,5 mg, als H,PO, berechnet, wie die übrigen Werte. Ebenso liegen der säurelösliche Gesamt-P bzw. der anorganische P (in H,PO, ausgedrückt) zwischen 6,5 und 13,5 mg bzw. zwischen 5,5 und 11 mg; die Fraktion „säure- löslicher Rest-P“ macht also in obigen Beispielen 15 bis 25], des säurelöslichen aus, dessen anderen Anteil der organische stell. Bezogen auf den gesamten P-Bestand (selbständige Ana- lysen für diese Größe; Rubr. С = Rubr. A -+ Rubr. В) ist die beschriebene lösliche Restgröße mit rd. 5°/,, die organische Fraktion mit rd. 25°/,, die säurelösliche Fraktion mit rd. 30 bis 35°), vertreten. In obigen Beispielen muß der säurelös- liche Rest-P (Phosphoryle) als objektiv nachweisbare, reale, wenn- schon relativ stark analytischen Fehlern zugängliche Größe gelten. Sie kann hier an und über 10°/, (bei Angabe als H,PO,) ausmachen. Bei organischem P schränken sie sich auf 2 bis 1°/, ein, bei säurelöslichem um nicht weniger.

Anders ist zu urteilen über die nichtsäurelösliche Fraktion. In ihr erscheint P, als proteinoide H,PO, eingesetzt, mit ab- soluten Zahlen von meist 1,0 bis 4,0 mg, relativ auf Lipoid ge- rechnet, als rd. 20°/, dieser Größe, und auf die Gesamt-H,PO, (eigene Werte, C) zurückgeführt, als rd. 15°/,, oft mehr.

Ein solcher Rest findet sich immer und ist nur in unter- geordnetem Grade stabil. Er mag tatsächlich ein letztes Residu- um nicht extrahierter Anteile sein, die „Reste“ der Säure- extraktion und der Alkoholäthererschöpfung sein können, es aber nicht ohne weiteres sein müssen. Um dieser Sache näher- zutreten, wurden die beschriebenen weiten Extraktionsmöglich- keiten so eingehend wie denkbar ausgenutzt. Diese Residuen, naturgemäß mit hohen prozentischen Fehlern umgeben, sind trotzdem auch in nicht ganz nativen, sekundär etwa veränderten Seren, eine Größe, die gewisser Konstanz zu sein vorgibt. Es wurden daher Versuche zu ihrer näheren Erklärung angeordnet. Es wurde zuerst‘ gefunden, daß bloße Verlängerung, äußere Änderung, technische Vervollkommnung der Alkoholätherextrak- tion geringe (wenn überhaupt solche) essentielle Abärtungen der Zahlen mitbrachte. Anders die milde chemische Hydrolyse. Dabei zeigte sich, daß 0,5°/,ige Salzsäure zwar wenig in kurzer, mehr schon in langer Frist von 12 Stunden bei Brutschrank-

`

302 Joh. Feigl:

temperatur eine Minderung der Restgröße zuwege brachte. Vor- läufig sind nur die Reste, nicht die saueren Extrakte aufgeführt. Letztere entsprechen weitgehend den Defizits auf seiten des proteinoiden P. Mehr noch kommt das zum Ausdruck bei Be- handlung mit stärkerer Salzsäure. Wie die Versuche zeigten, haben solche (in weiteren Stufen) größeren Einfluß mit erkenn- barer Abschattierung nach der Zeit. Diese Befunde scheinen für die Natur des proteinoiden P von Interesse zu sein, wenn man nicht annehmen will, es seien, nach wie vor, Extraktionsreste. Eingefügte, noch nicht beschriebene Fermentversuche (bei denen Pepsin und Trypsin selbst auf P-Extrakt zu analysieren waren) ergaben das Gleiche.

Nach Ausweis der Befunde an typischen pathologiechen Seris ergibt sich nun ein Bild, das für diese Fragen von Inter- esse sein muß. Der „proteinoide“ P (als analytischer Begriff) ist vorhanden und kann viel höhere Grade erreichen, so daß er prozentisch im Gesamtkomplex mehr zur Geltung kommt. Gleichzeitig aber kann man den Eindruck gewinnen, daß er sich in methodischen und speziell hydrolytischen Verfahren individualisieren läßt. Er gewinnt also gegenüber der Norm eine Bedeutung, die qualitativ und quantitativ bedeutend wächst und sich spezialisiert, je nach dem Charakter der Seren. Halten wir an der „proteinoiden“ Annahme fest, so ist kein Grund da, anzunehmen, daß für „Eiweiß-P“ in der Pathologie bestimmende, steigernde Einflüsse fehlen. Zweifellos aber scheint, daß hier komplexe Ursachen anzunehmen sein werden, wie sich daraus ergibt, daß gerade urikämische Seren an relativer Erhöhung und besonderem Verhalten im Wechselspiel zwischen Alkohol- ätherextraktion und Säureextraktion beteiligt sind. Auf sekun- däre Umformungen durch die einleitende Technik darf auch hingewiesen werden.

Fernere Normalseren lassen den „säurelöslichen“ Rest-P und den proteinoiden P zusammen (vgl. oben Rubrik D, Mittel rd. 4,5 mg H,PO, = rd. 1,5 mg Р) niedriger, d. h. um rd. 2,5 mg erscheinen. Pathologische Bilder haben sich auf 10,0 mg und auf selbst 12,0 mg H,PO, = rd. 3,0 bis rd. 4,0 mg P erhoben, aller- dings bei gesteigerten Lecithinämien und Hyperphosphatämien und auch sonst komplizierten Serumzusammensetzungen.

Diesen Verhältnissen im Plasma bzw. im Serum gegenüber

Phosphate im menschlichen Blutserum. VIII. 803

sei festgestellt, daß in den Erythrocyten: das Bild der P-Ver- teilung ganz andere Gestalt annimmt. Gesamtzahlen für H,PO, liegen zwischen 150,0 und 300,0 mg; für säurelösliche bzw. an- organische bzw. restliche Gruppe um 120,0 bis 230,0 mg, bzw. um 15,0 bis 30,0 mg, bzw. um 100,0 bis 200,0 mg. Die lipoide Н,РО, ist von Bloor (1916) und vom Verf. (1916 bis 1918) beschrieben, mit Zahlen zwischen 40,0 bis fast 70,0 mg. Die bei obiger Tabelle gegebene Größe D nimmt breitere und die anorganische wie die lipoide Gruppe weit überschreitende Stel- lung ein. Über diese Befunde, die mir bereits reichlich zur Hand sind, ist in Bälde zu berichten.

Leider bin ich bis heute nicht im Besitze etwaiger Arbeiten der führenden amerikanischen Forscher, denen wir die Fortschritte dieser Gebiete verdanken. Ich habe kein Urteil, ob unter den Händen von Bloor oder von Greenwald die Frage der Phosphorverteilung inzwischen neue Ergebnisse gezeitigt hat.

Literatur.

> “Joh. Feigl (Phosphate VII usw.), diese Zeitschr. 92, 1—84, 1918; das. ältere Lit.

Über das Vorkommen von Phosphaten im menschlichen Blute. IX.

Zur Frage der Methodik, der Verteilung des Phosphors und der Beziehungen beider mit besonderer Berücksichtigung ‚der Verhält- nisse in normalen Erythrocyien.

. Von

Joh. Feigl.

(Aus dem Chemischen Laboratorium des Allgem. Krankenhauses Hamburg-Barmbeck.)

(Eingegangen am 22. Februar 1919.)

In den bisherigen Studien zur Frage der Phosphorverteilung in der Blutflüssigkeit bei gesunden und kranken Menschen ist im wesentlichen das Gesamtbild im Plasma bzw. im Serum zur Erörterung gelangt. Es hat sich bereits in Gestalt mehrerer Größen des Komplexes als theoretisch interessant und wert- voll, ja als aussichtsreich, z. T. direkt als nutzbringend für die Praxis der Diagnose, erwiesen. Mehrfach hat Verf. auf die Frage hingewiesen, daß die Verhältnisse im Serum zwar an sich gesonderte gegenüber denjenigen der cellulären Elemente seien, daß aber unter pathologischen Vorbedingungen u. U. die Aufgabe zu berücksichtigen ist, wie weit die cellulären Be- standteile mittelbar, d. h. durch Abgabe irgendwie gearteter Formen sich zur Geltung bringen. Das führte zu methodischen Einstellungen bestimmter Richtung und drängt, auch im Ver- folg älterer Studien (Jolles; Forbes und Keith), die Blut- zellen in die Untersuchung mit einzubeziehen. Es haben sich denn auch bald interessante Anknüpfungen ergeben, die aus Zuständen hervorgingen, bei denen schwerer Zerfall der Erythro- суфеп, besonders in Schüben, Tatsache ist. Jedenfalls darf man, wie aus vielen neueren Untersuchungen hervorgeht, auch für die Phosphate annehmen, daß sie, wenigstens zum Teil, in adialysabler Form dem Bestande der roten Zellen angehören. Für Kalk ist hier genügend Kenntnis vorhanden.

Joh. Feigl: Phosphate im menschlichen Blute. IX. 305

Naturgemäß kommt es darauf an, zunächst einmal die roten Blutkörperchen im gesunden Zustande kennen zu lernen und deren Verhältnisse im groben aufzuklären. In zweiter Reihe ist ein Problem, das dem Verf. nach früheren ander- weitigen und verwandten Studien nahelag, die Phosphorver- teilung der Erythrocyten, als Kriterium für deren Vollwerbig- keit heranzuziehen, um dann im Verein mit Wassergehalt, Trockengehalt, Aschenrückstand, Lipoidbestand u. U. die che- mische Tätigkeit der Zellen näher zu beschreiben. Anlässe und lohnende Aufgaben liegen genugsam vor.

Verf. hat bereits früher und kürzlich noch eingehender darüber berichtet, daß ihm Materialien zu Gebote stehen, die Verhältnisse der Phosphorverteilung gegensätzlich zu der des Plasmas zu beschreiben. Die Grundzüge dieser Angaben setzen in Kürze die Beschreibung der Begriffe der Phosphorverteilung voraus; sie ruhen auf den methodischen Grundlagen, die erst- malig Greenwald, später Feigl, dann Marriott (und Mit- arbeiter), ferner Bloor bearbeitet haben.

Die Prinzipien des Trennungsganges sind gegeben in zwei gegensätzlichen Verfahren. Die sachgemäße Extraktion mit Alkoholäther (Bloor) erfaßt den lipoiden DP und hinterläßt den alipoiden Р. Ihm gehören, fast gänzlich abgetrennt durch das Solvens, die Phosphate organischer Form an, die im Nieder- schlage bleiben (Bloor). Zweifelhaft ist die Rolle pathologisch wichtiger Phosphoryle, die in der Norm kaum zu Gewicht kommen (Feigl). Nicht gelöst bleibt ein Anteil, den man (mit Greenwald) kurz als proteinoiden P kennzeichnet, der aber (nach Feigls Angaben) komplex aufzufassen ist und nicht nur von kolloiden Proteinen, von Proteiden, Nucleingebilden verschiedener Stufen abhängt. Für die Norm und im Ana- lysenschema hat Feigl Anhalte gebracht, die seine geringe, 2. Т. bestreitbare Bedeutung belegen, während andererseits besondere Eingriffe dartun, daß man auf eine Form schließen kann, die bei einer Hydrolyse richtiger Art den P z.T. ab- spaltet. Allenfalls wichtig wird diese Fraktion in gewissen . pathologischen Formen der Serumzusammensetzung.

Anders verläuft die schonende Fällung bzw. Extraktion in mäßig saurer Lösung (Greenwald). Sie eignet sich zunächst den „säurelöslichen“ P an, dem „organischer Р“ und „Кевё-Р“ zu-

306 Joh. Feigl:

gehören; sie fällt mit dem Proteinniederschlag quantitativ den „lipoiden P“ und den „proteinoiden P“. Beide Verfahren hat Feigl methodisch zu einem Gange kombiniert, der aber als expeditives Verfahren bisher kaum Bedeutung haben dürfte.

Einen dritten Weg gehen Feigl sowie Marriott (mit Haeßler und Howland). Sie suchten aus nativem Serum quantitativ durch Magnesiamixtur des anorganischen P habhaft zu werden, was in einem zugleich den Ca fällenden Nieder- schlage zureichend gelingt. Weitere Arbeit an den Filtraten ist dann, obwohl nicht einfach, angängig.

Fernere Wege versuchten Greenwald sowie Feigl, in primären sauren, eiweißfreien Extrakten die Orthophosphat- fällung oder Molybdänfällung quantitativ zu erzielen. Feigl hat auf diese Weise in extrem günstigen Seren den sog. Rest-P der Extraktion selbständig, neben dessen rechnerischen Diffe- renzwerten, festlegen können.

Jedenfalls hat das sehr raubere und sichere Verfahren der Anwendung von Pikrinessigsäure als Extraktionsmittel große Vorzüge; es ist das erste und dasjenige, dem wir die maß- gebenden bisherigen Befunde, unabhängig von diesen über krystalloidem P (nebst dessen Gliederung), eine wundervolle und zu Kontrollen der anderen Methoden wertvolle Isolierung des plasmatischen Gesamtphorphatids, verdanken. Doch hat die Weiterarbeit mit diesem Reagens, das im übrigen: in die Maß- nahmen des Aufschlusses der Extrakte und in die Bestimmungs- formen ausgezeichnet und sicher cowie weitgehend flexibel ein- gepaßt worden ist, Überlegungen zutage gefördert, die anregen, unter anderen Möglichkeiten Umschau zu halten. Die Anlässe sind gegeben worden von seiten der Studien über Isolierung von o-Phosphat aus den primären Extrakten mit ihren. kom- plexen Beständen. Dabei fand man, daß zwar im Prinzip gegen die Fällung des Ammoniummagnesiumphosphates wenig oder gar nichts einzuwenden sei, daß aber eine nicht unbelang- liche, (Mitfällung von Ammoniumpikrat) ents’andene Belastung in den Kauf zu nehmen war, mit der man sich weiterhin auseinanderzusetzen hatte. Ebenso fand Greenwald sogar, daß gegen die endliche Leistung der Ammoniummo!ybdat- methode keine schwerwiegenden Bedenken zu erheben seien. Doch habe er eine Fällung unter den Händen gehabt, der

Phosphate im menschlichen Blute. IX. 307

durch die Pikrinsäure spezifischer Charakter verliehen worden sei. Sie sei offenbar anders konstituiert und enthalte Pikrin- säure oder deren Salze; auch habe sie andere physikalische Eigenschaften, die zwar nicht in gssteigerter Wasserlöslichkeit zum Ausdrucke kämen, wohl aber darin, daß das Produkt alkohollöslich sei. Wie dem auch sei, die Weiterarbeit hätte entweder Unsicherheiten an sich gehabt oder besondere Auf- klärungsmaßnahmen verursacht.

In dieser Lage wurde es dann wichtig, die Fällungs- bedingungen beider Reagenzien genauer in Hinsicht auf Be- gleitstoffe im Serum zu untersuchen, auch angesichts der Tat- sache, daß mit der primären Fällung nichts weiter als die grobe, aber doch quantitative Isolierung gemeint war, die Be- stimmung selbst aus dieser auf anderen Wegen erfolgte. H. Kleinmann hat in breiteren Versuchen die Magnesiafällung studiert und von Behinderung durch Harnstoff, verschiedene reine Aminosäuren und einzelne Gemische, von Zucker usw. nichts beobachtet, dabei sich ganz auf die quantitative Benutzung der primären Fällung gestützt, was also die Resultate noch hebt.

Auch neue urologische Studien über anorganischen, ge- samten und. organischen P sind hier von Nutzen gewesen für Arbeiten in Organpreßsäften.

Es lag nichts näher, als die Enteiweißungskomponente des Reagens zu variieren. Dabei mußte von vornherein den For- derungen der Bestimmungsmethoden Rechnung getragen werden. Aus der großen Reihe möglicher Verfahren, die von Kleinmann in wertvollen und kritischen Studien überarbeitet und gewertet sowie erweitert wurden, hat sich für vurliegende Arbeit die Strychninphosphormolybdatmethodik herausgeschält. Auf ihre Verbesserung durch Kleinmann ist hingewiesen. Bei diesen Prüfungen kam ein neues Nephelometer (Feigl-Kleinmann) zur Ausarbeitung. Sicher ist, daß die Komponente des Re- agens, welche die Acidität herstellt, festzuhalten war; iet doch von ihr die Umformung der nativen Phosphorkomplexe in die „säurelösliche* Erscheinung abhängig. Die Enteiweißung konnte, wie wir fanden, von Trichloressigsäure und von Sulfo- salicylsäure u. a. gestellt werden. Doch sind gewisse Schwierig- keiten bei der Veraschung nun einmal mitgegeben. Endlich konnte zur Salzfällung geschritten werden. Wir kennen Bangs

308 Joh. Feigl:

Kaliumchloridextraktionsmittel mit den ergänzenden Zusätzen; Magnesiumsulfat hat Larsson für die Gewinnung der Chloride zur Analyse benutzt. Daher konnten auch andere Sulfate be- nutzt werden, 2. B. Ammoniumsulfat. Die Säuerung konnte auch anders als durch Essigsäure bewirkt werden, z. B. durch Bernsteinsäure, Weinsäure, Ameisensäure. Alle diese Versuche liegen schon länger zurück und sind (seit 1916) häufig aus- geführt worden. E Bei der Analyse der Körperchen muß eine Sicherung ein- geschaltet werden. Vor der Fällung muß eine Hämolyse ein- treten. Es genügt hierbei ein Quantum Wasser, das der je- weiligen Blut- oder Körperchenvolumenmenge etwa gleich ist. Es muß in ca. 20 Min. zur Auswirkung kommen. Unter Um- gehung dieser Maßnahme findet nun bei der Salzfällung unter saurer Reaktion ein Niederschlagen der Erythrocyten in toto statt; der Bestand an den gesuchten Salzen geht nicht in die freie Lösung über. Es darf hier daran erinnert werden, daß Steinitz bei der Bestimmung der Blutharnsäure zuerst diese Forderung stellte und daß sie später von Feigl bei Kreatinin und speziell beim Kreatin, deren großer Teil körpercheneigen ist, nachdrücklich wiederholt wurde. Es ist darauf Bedacht zu nehmen, daß die Enteiweißung komplett geschehe. Es soll hiermit nicht gesagt sein, daß Bildung der massenhaften Fällung ein Defizit auf seiten des proteinoiden P (erheblicher oder nur ablenkender Art) auf diesem Wege erzielen könnte. Der Fehler würde dagegen den restlichen P der Lösung in erster Reihe, den anorganischen Р ebendort, а. h. deren Summe, den säurelöslichen P, beeinflussen. Die Quelle dieser Störung läge allein in dem lipoidischen P, der unbedingt in die Fällung und aus der eiweißfreien Lösung herausgehört. Soweit Serum in Betracht kommt, ist diese Diskussion einfach, da die tat- sächlichen Verhältnisse an sich unverwickelt, die beschreibenden Angaben über sie bereits reichhaltig und methodisch fest be- gründet sind. Anders liegt die Frage, sobald die Verhältnisse der Körperchen in Arbeit zu nehmen sind. Wie Verf. früher und kürzlich darlegte, ist in diesen das Bild der P-Verteilung durchweg anders geartet. Höher sind der „lipoidische P“, um fast das Doppelte (gegenüber Serum), der anorganische P ähnlich, der säurelösliche steigt gar auf das 20fache, soweit

Phosphate im menschlichen Blute. IX. 309

grobe und genäherte Schätzungen hier anzuführen sind. Daraus resultiert nun ein ganz anderes Gefüge der Fraktionen. Die- jenige, die in früherer Arbeit als Summe D (restlicher P der Lösung -+ proteinoiddr Р der Fällung) geführt worden ist, bildet sich zur Hauptfraktion heraus.

Macht man nun auch die Annahme, daß es in dem kom- binierten Analysengange Säureextraktion bzw. Fällung einer- seits, Alkoholätherextrakt usw. möglich ist, die lipoidische Fraktion richtig abzugrenzen, so ist hier die neue Schwierigkeit gegenüber dem Serum in folgender Tatsache begründet. Im Plasma oder Serum genügt die Kälteextraktion (Säureverfahren), um die Gruppentrennung prinzipiell richtig zu vollziehen, d.h. säurelöslicher P und säurefällbarer P erscheinen richtig orientiert, jeder mit seiner Restgröße belastet, die man ihrer Bedeutung wegen für sich erörtern kann (Rest-P-Frage, Protein-P-Frage, Feigl) und muß, die man aber auch zusammengezogen als Fehlerquote diskutieren kann (Summe D). Anders liegt die Sache, und zwar weit kritischer, in den Körperchen. Sicher ist dort die Kälteextraktion ebenso zulässig, aber zwingend mit Sicherheit für die säurelösliche Gruppe mit dem anorganischen P. Würde man Körpertemperaturen (A) oder gar, wenn auch kurzes Kochen (B) [wir arbeiteten mit Fristen für A von 20 Minuten (Wasserbad) bis 6 Stunden (Brutschrank), für B mit solchen von 1 Minute bis 10 Minuten] einführen, so würden Bedenken auftreten müssen. Haben die Körperchen in ihrem Bestande kolloide Komplexe mit P-Skeletten und endständigen Gruppen, evtl. sogar Substanzen des Grenzverhaltens oder gar krystalloide, labilere Gebilde in ihrem Aufbau, so ist deren unbeschadeter Fortbestand gefährdet. Die Einwirkung doku- mentiert sich in der Zunahme der säurelöslichen Fraktion, be- sonders aber der anorganischen.

Geht man nun so vor, daß man einesteils den Gesamt-P bestimmt, so hat man einen festen Standard, der durch keine irgendwie geartete Detailarbeit die die Wechselbeziehungen unter den Fraktionen verschiebt und selbst entstellt, daß man andererseits den lipoidischen und den anorganischen P in schonender Weise (als präformiert zu betrachten) festlegt, so hinterbleibt ein Rest großen Ausmaßes, über den nun in be-

liebig orientierten Einzeltechniken entschieden werden kann. Biochemische Zeitschrift Band 94. 21

310 Joh. Feigl:

Wir setzen einige Beispiele voran und rechnen auf H,PO, für 100,0 cem Körperchen:

1. Gesamt-Ps (normale Körperchen aus dem Blute von Gesunden) mit Einzelwerten von 221,0 mg 232,0 mg; 256,0 mg; 280,0 mg; 320,0 mg. Diesem korrespondiert (nach Ermittelung durch Kältemethode) die

„2. Anorganischer Ps 18,0 mg; 24,0 mg; 21,0 mg; 17,0 mg; 28,0 mg. Beiden gegenüber rangiert mit folgenden (kalt ge- fundenen) Zahlen

3. Phosphatidischer (Lipoid-) Ps 60,0 mg; 57,0 mg; 49,0 mg; 64,0 mg; 67,0 mg. Zieht man nun die beiden als wirklich objektiv anzusehenden Größen (2 + 3) zusammen, so resultiert die Summe der

4. definierbaren, objektiv präformierten Komplexe der Ps mit folgenden Zahlen: 78,0 mg; 81,0 mg; 80,0 mg; 81,0 mg; 95,0 mg. Dabei fällt vielleicht rein äußerlich oder zufällig zu begutachten die relative Konstanz auf. Ab- gesetzt von der oben gewonnenen Summe erhalten wir für un- spezifizierte Reste (Summe D, F) folgende hohen Werte, die näher zu detaillieren sein werden.

5. Restliche Ps (nicht aufgeteilt) 139,0 mg; 153,0 mg 176,0 mg; 199,0 mg; 225,0 mg.

Detaillieren wir die Gesamt-Ps prozentisch, so resultiert eine Breite

für anorganische Ps mit rd. 6°/, bis 10°/,, Mittel rd. 8°/,, » lipoide Ps » » 199% » 28%), » » 259/0; » restliche Ps » » GO, » 750, » » 669/0.

Es ist nun klar, daß eine komplexe Fraktion, die rund 66°/, des Gesamtbestandes ausmacht, besonders angesichts der Tatsache, daß ihre Gruppenzugehörigkeit (в. о.) dunkel ist und bleibt, durch die geschilderten methodischen Maßnahmen auf- geklärt werden muß.

Es ergab sich nun folgendes. Bei der Absicht, im Sinne- der Fraktionierung von Serumphosphorkomplexen diesen großen „Rest“ auf seine Zugehörigkeit zum säurelöslichen, zum säure- fällbaren Teil andererseits zu verlegen, gelang das in wirklich genügender Weise nicht. Es wurden abgestufte Einwirkungen, wie erörtert, zur Anwendung gebracht. Es wurden saure Salzfällungen erzeugt und diese der spaltenden Wirkung unter Beschleunigung

Phosphate im menschlichen Blute. IX. 811

unterworfen. Dabei kam heraus, daß die Absprengung dieser Anteile und ihr Übergang in säurelösliche kontinuierlich, ohne scharfen Endpunkt vor sich ging, daß also bisher keine klare Grenze zu fassen war. Ergebnisse der Trennungen sind stets methodischer Natur, nicht essentieller; d.h. es sind künstliche Grenzen gezogen, die noch nicht einmal zu einem Schema mit konventionellen Werten gedeihen.

Absprengung, d h. Vergrößerung des säurelöslichen Anteils aus dem weder organischen noch lipoidischen Rest, setzt bei Brutschranktemperatur ein. Verweilen durch 1 Stunde im Bade von 45° zeigt deutliche Zunahme des anorganischen P; diese steigt in den nächsten 24 Stunden. Die Einwirkung dokumentiert sich am stärksten in den ersten 12 bis 18 Stunden und scheint dann träger zu verlaufen. In ca. 8 Stunden sind 66°/, des Restanteiles so aufgespalten, daß sie in „säurelöslichen P“ übergegangen sind, ohne deshalb zur organischen Fraktion ge- hören zu müssen; d h. im Mittel sind 100,0 bis 120,0 mg säurelöslicher Ps entstanden, die neben die mittlere Summe aus lipoidischer und organischer Ps treten. Nur ca. 6 bis 8°/, des Gesamtrestes sind relativ (vielleicht auch nur scheinbar) resistent, d. h. also rund 15,0 mg Ps. Nun wurde durch kurze Temperatursteigerung das gleiche Ziel angestrebt, um kurze Einwirkungen vollziehen und momentan durch Abkühlen unter- suchen zu können. Es zeigte sich, daß ein Verweilen im Wasserbade bei 1/, Minute Dauer schon 50°/, des angenommenen Restes zersetzt, daß in 1 Minute rund 66°j,, in 3 Minuten meistens alles „säurelöslich“ geworden ist; d. h. also, man kann bei Temperaturen um 100° aus dem Bestande der Erythro- су{еп rund 180,0 mg Ps (im Mittel) wasserlöslich machen. Die Bedeutung dieses Eingriffes, dessen Handhabung also nur eine grobe, man kann sagen beabsichtigte ist, liegt darin, daß man neben der nach gegebenen Vorbedingungen als präformiert anzusehenden .anorganischen Ps und der lipoidischen Ps gegen- über der gesamten Ps einen undefinierbaren Rest erhält, der durch stärkere Einwirkung gänzlich in wasserlösliche Form übergeführt wird. Eine klare Scheidung ist bisher nach Ge- sagtem nicht möglich, Schranken wären willkürlich und Über- gänge sind fließend, wennschon ein gewisser geringer Abschnitt von rund 15,0 mg Ps, d.h. са. 5,0 mg P relativ resistent er-

21*

312 Joh. Feigl: Phosphate im menschlichen Blute. IX.

scheinen. Bisher ging die Arbeit nur mit Salzfällung bei leicht saurer Reaktion.

Über das Gesamtbild der P-Verteilung in normalen Ery- throcytenanschwemmungen ist nach Ausweis von 18 Versuchen an männlichen Individuen zu sagen, daß die gesamte Ps zwischen rund 150,0 und 330,0 mg liegt, die organische zwischen rund 10,0 und 30,0 mg, die lipoidische zwischen rund 40,0 und 70,0 mg, die säurelösliche zwischen rund 120,0 und 265,0 mg und der undifferenzierte Rest zwischen rund 110,0 und 250,0 mg. Weitere Normalien, deren Durchschnitte also um rund 240,0 mg bzw. 20,0 mg bzw. rund 50,0 mg bzw. rund 180,0 mg bzw. rund 175,0 mg liegen, sind zu beschaffen. Es darf darauf hin- gewiesen werden, daß pathologische Befunde ein abweichendes Bild geben können, was für die Wertigkeit der Erythrocyten sehr interessant zu werden verspricht. Hierüber ist zu berichten. Auf Analysen von Vollblut wird man gemeinhin keinen großen Wert legen dürfen, wie nach Gesagtem einleuchtet.

Hinsichtlich der bisherigen Ergebnisse darf berichtet wer- den, daß einer festen Methodik, die also den großen strittigen Teil auflösen könnte und müßte, bisher nicht das Wort geredet werden kann. Es sind, will man dem letzteren Teil gerecht werden, differenzierte Eingriffe vonnöten im Gegensatz zu dem einheitlichen Gange bei Plasmafragen dieser Art. In die Dis- kussion der für den Restanteil belanglichen P-Bindungen ein- zutreten, hat daher einstweilen nur dann Zweck, wenn es sich um Beurteilung des Charakters, der Reichwerte, der Einflüsse von Methoden handeln sollte. Wir wissen aus den älteren und den neuesten Forschungen Abderhaldens, daß die Ver- arbeitung von Vollblut durch dessen Erythrocytenbestand weit größere Schwierigkeiten macht als Plasma, wenn Enteiweißungen in Rede stehen. Es bilden sich Stoffe der Grenzfraktionen; Purinkomplexe dürfen vorausgesetzt werden.

1) Aus Anlaß von sportphysiologischen Untersuchungen an Soldaten, Jungmannen u. a. gewonnen. Literatur: Joh. Feigl, Über Phosphate im Serum usw. V bis VI. Diese Zeitschr. 86, 87, 1918.— Derselbe, VII. Ebenda 92, 1918. Derselbe, Über Rest-N. In Abderhaldens Hand- buch der biolog. Arbeitsmethoden. Berlin-Wien 1918. Daselbst Literatur. Е. Abderhalden, Amino-N im Blut. Zeitschr. f. physiol. Chem. 89, 1913. H. Kleinmann, Mikrochemie der Phosphorsäure usw. Diss., Berlin 1919.

Über die biologische Wirkung des Thoriums').

Von H. Jastrowitz.

(Aus der Med. Poliklinik zu Halle a. 8.)

(Eingegangen am 22. Februar 1919.)

I. Einleitung.

Praktische Erfolge und biologische Begründung der Radio- therapie.

Die Untersuchungen über die anatomische Wirkung radio- aktiver Substanz auf die Gewebe, namentlich auf -pathologische, sind relativ zahlreich; weit lückenhafter sind in vieler Hinsicht unsere Kenntnisse über die funktionelle Wirkung dieser Sub- stanzen. Seitdem man praktische Radiumtherapie treibt, wird über eine große Reihe objektiver und eine noch größere rein subjektiver Heilerfolge bei den verschiedensten Leiden berichtet. Für die internen Erkrankungen kommt weniger die Bestrah- lungs- als die Emanationstherapie in Betracht. Praktisch wird die Emanation in den verschiedensten Formen (Bade-, Trink-, Inhalations-, Injektionskuren) angewandt, die zum Teil mit- einander kombiniert werden. Anerkannten Erfolgen, z. B. bei der Gicht, stehen mehr oder minder der Kritik unterworfene günstige Resultate bei den verschiedensten anderen Erkran- kungen gegenüber. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, kann man wohl sagen, daß wesentlich drei Organsysteme für die Therapie durch radioaktive Elemente in Betracht kommen: Blut-, Gelenk- und Nervensystem, letzteres mehr insoweit, als

1) Diese Arbeit ist im Sommer 1914 fertiggestellt; infolge des Krieges konnte erst jetzt die Publikation erfolgen.

314 H. Jastrowitz:

es sich dabei um Linderung subjektiver Empfindungen, meist Schmerzgefühle neuralgischen Charakters, handelt, als um Be- einflussung eines anatomischen Krankheitsprozesses.

Um kurz die Beeinflussung des Nervensystems zu erörtern, so er- gibt sich schon aus der letztgenannten Indikation, die sich in der Praxis herausgebildet bat, daß die experimentellen Grundlagen für eine solche Wirkungsweise kaum gegeben werden können. Die einzigen Tatsachen, die festzustehen scheinen, sind die Veränderung von Ganglienzellen unter Einfluß emanationsreicher Atmosphären, wie dies Obersteiner!) an Ratten beobachtete, ein Befund, den London?) in ganz analoger Weise an Kaninchen bestätigen konnte. Wenn die rein suggestive Wirkung demnach hier übergangen wird, so bleibt im wesentlichen die Ischias übrig, bei der wir zahlreiche Erfolge verzeichnet finden, wie dies z. B. die Statistik von Sommer?) sowie die Berichte anderer Autoren über günstige Beeinflussung bei analogen Prozessen, wie neuralgischen Schmerzen bei Tabikern und Diabetikern [von Noorden und Falta‘) und Strasser und 8501ка 5)] ziemlich eindeutig zu beweisen scheinen.

Wichtig ist weiterhin der Einfluß radioaktiver Substanzen auf die Gelenkaffektionen, besonders der im gewissen Sinne auch hierher zu rechnenden Gicht, die heute das Dominium der internen Radiotherapie geworden ist. Auf die hierher- gehörenden klinischen Tatsachen wird, soweit sie für die vor- liegenden Untersuchungen in Betracht kommen, später ein- gegangen werden.

In ähnlicher günstiger Weise wird mitunter die chronische sowie auch die akute Polyarthritis durch Emanation beeinflußt [Falta und Е. Freund?®)].

Eine dritte Indikation stellen endlich die Blutkrankheiten dar. Während hier, das Radium eine sehr ausgesprochene Wirkung in therapeutischer Dosis nicht ausübt, tritt uns ein anderer Körper entgegen, der eine ganz exquisite hämato- logische Wirkung entfaltet. Es ist dies das Thorium X, das in seinen physikalischen Eigenschaften insoweit der Radium- emanation gleicht, als es wie diese die Eigenschaft besitzt, «-Strahlen zu emittieren.

1) Obersteiner, Wiener klin. Wochenschr. 1904, 1049.

®) London, Berl. klin. Wochenschr. 1904, 1336.

з) Sommer, Zeitschr. f. diät. u. physikal. Ther. 15, 321.

1) von Noorden und Falta, Med. Klin. 1911, Nr. 39.

5) Strasser und Solka, Med. Klin. 1908, Nr. 28.

6) Falta und E. Freund, Münch. med. Wochenschr. 1902, 724.

Biologische Wirkung des Thoriums. 315

Was die Einwirkung des Radiums selbst auf das Blutbild anlangt, so konnten, neben einer geringen morphologischen Schädigung der Ery- throcyten, Brill und Zehner') feststellen, daß eine Reizwirkung auf die Leukocyten ausgeübt wird, eine Beobachtung, die von v. Noorden und Falta?) bestätigt werden konnte. Interessant ist, daß hierbei schon beim Radium eine relative Vermehrung der mononucleären Zellen im Blute zustande kommt Te Noorden und Falta?°)]. Weit intensiver als die Radiumemanation wirkt das Thorium X, das als ein exquisites Blutgift aufgefaßt werden kann. Schon die Radiumemanation zeigt hierzu eine gewisse Tendenz, wie dies oben bereits erwähnt ist [Brill und Zehnert)]. Auch experimentell fand у. Knaffl-Lenz°) eine Hämo- lyse der Meerschweinchen-, jedoch nicht der resistenteren Kaninchen- erythrocyten durch Radiumemanation. Viel eklatanter ist die Wirkung des Thoriums. Bei schwachen Dosen zeigt es zunächst eine Reizwirkung auf die Blutbildung [Plesch und Кагсғар®)]. Plesch hat dann die Reizwirkung bei Anämien und stärkere Dosen bei Leukämien mit tem- porärem Erfolge verwandt”). Derselbe Autor konnte dann experimentell gemeinsam mit Pappenheim®) feststellen, daß bei toxischen Dosen aus dem Blute die Leukocyten völlig verschwanden, während hingegen die roten Blutkörperchen keine stärkere morphologische Degeneration zeigen. Daneben fand sich in den parenchymatösen Organen allgemein starke Hyperämie mit Schädigung besonders des Knochenmarkes, der Leber, Niere und des Darmes. Vergegenwärtigt man sich diesen Befund, so erscheinen eine Reihe anderer Tatsachen plausibel. Gemeint sind hier vor allen Dingen die Vergiftungen, wie sie bei den ersten klinischen Anwendungen des Thoriums beim Menschen beobachtet wurden [Gud- zent®)]. Die toxischen Erscheinungen sind daraufhin an Tieren ein- gehend untersucht worden. So konnten Hirschfeld und Meidner*) die relative Giftigkeit des Thorinms auch an Kaninchen dartun. Weiter- hin hat dann Löhe!) an Hunden sowohl wie an einem Menschen, der unter den Erscheinungen der Thoriumvergiftung zugrunde gegangen war, Blutungen und Parenchymschädigungen in Darm und Nieren anatomisch beobachtet. In ihrer Ursache ungeklärt ist die verschiedene Empfäng-

2

1) Brill und Zehner, Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 27, 1261.

2) у. Noorden und Falta, Med. Klin, 1911, Nr. 39.

3) v. Noorden und Falta, in Lazarus’ Handb. usw. S. 324.

t) Brill und Zehner, 1. с.

5) Knaffl-Lenz, Zeitschr. f. Balneol. 15, 403, 1912/13.

6%) Plesch und Karczag, Berl. klin. Wochenschr. 409, 1442, 1912.

7) Plesch, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 12.

$) Pappenheim, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 12, 95.

э) Gudzent, Berl. klin. Wochenschr. 1912, 933.

10) Meidner, Verhandl. d. Berliner med. Gesellsch. v. 26. 6. 12. Berl. klin. Wochenschr. 1912, 1343.

п) Löhe, Virchows Archiv 209, 156.

-316 H. Jastrowitz:

lichkeit der einzelnen Tierarten, z. B. die starke der Hunde, die geringe des Kaninchens.

Im Zusammenhang mit der hämorrhagischen Diathese, die das Thorium X verursacht, steht die Verlangsamung der Blutgerinnung, wie sie v. Domarus und Ballet) haben nachweisen können. Jedoch steht diese Behauptung bereits nicht unbestritten da; z. B. beobachtete Gri- neff?) eine vermehrte Gerinnungsfähigkeit des Hundeblutes nach Thorium- wirkung. Ganz ähnlich bedingt die Radiumemanation Beschleunigung der Gerinnungszeit des Blutes, eine Beobachtung, die von den Velden’) mit Erfolg bei der Hämophilie praktisch verwertet hat.

Die hier lediglich als Beispiele kurz skizzierten Daten zeigen einmal, daß die Wirkungsweise der radioaktiven Sub- stanz eine an Intensität verschiedene, ja sogar gelegentlich entgegengesetzte sein kann, und daß einige Gewebe eine bis zu einem gewissen Grade elektive Empfindlichkeit für bestimmte radioaktive Körper besitzen, wie z. B. der leukocytäre Apparat gegen das Thorium. Neben diesen klinischen und anatomischen Befunden ist in Hinsicht auf die allgemein therapeutische Be- einflussung von besonderem Interesse das Verhalten radioaktiver Stoffe gegenüber dem Stoffwechsel, namentlich dem inter- mediären: daß so ausgesprochene Veränderungen im klinischen und anatomischen Bilde, wie die oben erwähnten, ihr physio- logisches Korrelat haben müssen, kann als sicher unterstellt werden. Gerade aus diesen biologischen Vorgängen könnte man dann ein gewisses Verständnis zu gewinnen hoffen, sowohl im allgemeinen für die therapeutische Wirkungsweise der Ema- nation als namentlich für die praktisch wichtigste Indikation, die harnsaure Diathese.

Man kann sich vorstellen, daß diese Substanzen an den Stoffwechselvorgängen teilnehmen können, entweder indem sie direkt auf einen chemischen Vorgang einwirken, oder indem sie indirekt auf die organischen Katalysatoren, die Fermente, einen sei es fördernden, sei ep hemmenden Einfluß ausüben.

Die erstere Möglichkeit der direkten Einwirkung auf che- mische Prozesse liegt selbstverständlich vor. Sie ist aber nicht so erheblich, wie man anfangs anzunehmen geneigt war. Dies erhellt schon aus der Natur der Reaktionen, bei denen radio-

ә 1) Domarus und Salle, Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 48, 3035. 2) Grineff, Strahlentherapie 3, Heft 1, S. 94, 1913. 3) von den Velden, Arch. f. klin. Med. 108, 377, 1912.

Biologische Wirkung des Thoriums. 317

aktive Substanzen ein auslösendes Moment bilden, und aus den Mengenverhältnissen, in denen dieselben vorhanden sein müssen, um handgreifliche Umsetzungen zu bewirken. Es sind dies einerseits die bekannten Wirkungen auf Silbersalze (photo- graphische Platte), andererseits physiologisch wichtigere Pro- zesse, wie die Zerlegung des Wassers in H, und O, [W. Ram- say!)], Entstehung von Ozon [Р. und S. Curie?°)], die Bildung und Zerlegung von Ammoniak in seine Komponenten, wie dies Ramsay und Cameron?) sahen, ein Vorgang, den sie in ganz analoger Weise auch bei der Kohlensäure sowie beim Ozon beobachten konnten. Wenn derartigen, rein experimentellen chemischen Befunden ein physiologisches Analogon entspräche, so wäre zweifellos der Einfluß dieser Stoffe ein ganz radikaler. Es sei aber hier gleich bemerkt, und das gilt als Kriterium für alle derartigen experimentellen Versuche und ihre Über- tragung auf physiologische und pathologische Verhältnisse über- haupt, daß die therapeutischen Dosen im Verhältnis zu den bei diesen Versuchen verwandten minimale sind. Hierin liegt schon eine Hauptschwierigkeit für alle therapeutischen Er- klärungsversuche. Die Einwirkungen chemischer Art auf die eigentlichen organischen Körper, namentlich auf biologisch wichtige Reaktionen, sind gering und vielfach umstritten.

So will Orloff*) eine Zerstörung von Fettsäuren in geringem Grade nachgewiesen haben.

Was die Harnsäure anlangt, so scheint auch hier eine Einwirkung nicht zu bestehen. Auf die Kontroverse, die sich an diese Streitfrage knüp‘t, wird an geeigneter Stelle noch eingegangen werden. Ebenso problematisch wie die Einwirkung auf die Harnsäure und chemisch völlig unbewiesen ist diejenige des Radiums auf das Lecithin. Diese Behauptung ist zuerst von Schwarz?) auf Grund einer Verfärbung des Dotters, Erstarren und Trimethylamingeruch desselben aufgestellt wor- den. Derselbe Autor ist mit dieser Hypothese später wieder hervor- getreten [Schwarz und Zehner®)], nur mit dem Unterschiede, daß er

1) Ramsay, Journ. Amer. Soc. 91, 931; zit. nach Neuberg in Lazarus’ Handb. S. 91.

2?) P. und S. Curie, Compt. rend. de l’Acad. d. Sc. 129, 832, 1899.

з) Ramsay und Cameron, Proc. chem. Soc.; zit. nach Neu- berg, Le

4) Orloff, Ber. d. russ. phys.-chem. Ges. 1909; zit. nach Neu- berg, Le

5) Schwarz, Arch. f. d. ges. Physiol. 100, 532, 1903.

6) Schwarz und Zehner, Deutsche med. Wochenschr. 1912, 1776.

318 H. Jastrowitz:

diesmal Thorium X verwandt habe. Im Gegensatz hierzu stehen die Ver- suchsergebnisse von Wohlgemuth'), von Neuberg?) sowie Neuberg und Karczag’), die auf chemischem Wege keinerlei Veränderung des Lecithins durch Radium oder Thorium nachweisen konnten. Trotz jener sehr angreifbaren Basis ist versucht worden, auf die Experimente hin die Wirkung der radioaktiven Substanzen auf das Blut als eine direkt das Lecithin schädigende anzusprechen [Werner‘), Schwarz und Zehner°)]. Letztere Autoren wollen so durch Thorium X aus Eidotter- lecithin Zerfallsprodukte erhalten haben, die auf Hammelblutkörperchen hämolytisch einwirken, eine Erscheinung, die von den Verfassern gleich- falls auf Lecithinzersetzung bezogen wird. Wenn wirklich das Thorium hier hämolytisch dadurch wirkt, daß die Lipoidhülle der Erythrocyten gesprengt wird, so ist nicht einzusehen, warum im Gegensatz zu den Erythrocyten des Hammels und des Kaninchens Emanation auf die- jenigen des Meerschweinchens nicht Iytisch einwirkt Te Knaffl-Lenz®)].

Da für ihre Anschauungen Schwarz und Zehner keine beweis- kräftigen Argumente haben, die Versuche der übrigen Autoren direkt dagegen sprechen, so kann von einer chemischen Einwirkung radioaktiver Substanzen auf Lecithin kaum die Rede sein.

Ebenso schlecht bestellt ist es mit dem Nachweis der Zersetzung der Eiweißkörper und ihrer Bausteine durch diese Substanzen. An dieser Stelle sei nur kurz darauf hingewiesen, daß bereits 1904 Wohlgemuth’) die Unzersetzlichkeit von Eiweißlösungen und Pepton durch Radiumbestrahlung nach- gewiesen hat. Ebensowenig konnten Caspari und Neuberg?) eine chemische Veränderung der genannten Substanzen weder durch Radium noch durch Zerfallsprodukte bei steriler Arbeit erzielen.

Falta und Zehner®) haben neuerdings diese Frage wieder an- geschnitten und auf ihre Zersetzlichkeit durch Thorium die verschie- densten Körper geprüft. Hierbei zeigte sich, daß große Mengen Thorium Farbstofflösungen (Carmin, Methylenblau, Indigo, ebenso Jodstärke) ent- färbten, bei anderen Körpern wurden Verfärbunsen erzielt (Atropin, Antipyrin, Morphin usw., Adrenalin). Auch auf Ovalbumin wollen Ver-

1) Wohlgemuth, Berl. klin. Wochenschr. 1904, 704.

2?) Neuberg, in Lazarus’ Handb. d Radiother., S. 97.

3) Neuberg und Karczag, Radium in Biol. u. Heilkunde 2, 166, 1913.

4) Werner, Münch. med. Wochenschr. 1910, Nr. 37, 1967.

5) Schwarz und Zehner, 1. с.

®) v. Knaffl-Lenz, Zeitschr. f. Balneol. 5, 12/13, 408.

7) Wohlgemuth, Berl. klin. Wochenschr. 1904, 704.

®) Caspari und Neuberg, Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 11.

э) Falta und Zehner, Berl. klin. Wochenschr. 1912, 1905.

Biologische Wirkung des Thoriums. 319

fasser eine Wirkung gesehen haben, ebenso auf Stärke und auf Harn- säure. Wie dem auch sei, die für diese Ausschläge verwandten Mengen Thorium (bis zu 15000 e.s. E.) waren derartige, wie wir sie in vivo auch nicht entfernt anwenden können, weil sie bei weitem die toxische Dosis überschreiten. Wenn einerseits eine zweifellose Einwirkung radio- aktiver Substanzen auf die Zelle, ihre morphotischen Bestandteile, ihre Entwicklung [Furchungsprozesse, Oskar Levy!) und О. Hertwig‘®)] und ihren Untergang (Krebszelle) vorhanden ist und sich diese anderer- seits uns in der internen Pathologie auch in therapeutischer Beziehung offenbart, so muß, da die Wirkung dieser Substanzen auf die chemischen Individuen selbst keine übermäßig große und gesicherte ist, die Ursache für die biologischen Wirkungen in etwas anderem zu suchen sein. Bei dem Gedankengange, dem unsere Zeit zu folgen gewohnt ist, wurde auch sofort an die Einwirkung auf fermentative Prozesse gedacht. Bezüglich des Radiums liegen auch bereits eine Reihe derartiger Versuche vor. Schon 1905 wiesen Bergell und Braunstein’) darauf hin, daß Radium auf die Wirkung des Trypsins auf Seidenpepton, namentlich in Form der Emanation, fördernd einwirke im Gegensatz zu den negativen Resultaten auf lipolytische Fermente, Invertase und Pepsin. Biekel*) konnte durch Bestrahlung mit Mesothorium eine ge- ringe Steigerung der Pepsinwirkung erzielen. Im Gegensatz hierzu konnte London?) der Bestrahlung mit f- und y-Strahlen eine solche Wirkung nicht zusprechen. Bezüglich des Trypsins hatte Bickel®) mit Meso- thorium divergente Resultate, teils überhaupt keine Einwirkung, teils eine leichte Beschleunigung durch Mesothoriumbestrahlung erhalten. Bezüglich der Emanation konnte bereits Neuberg’) eine Beschleunigung des autolytischen Fermentes wahrnehmen, eine Beobachtung, die von Löwenthal und Edelstein?) bestätigt und im Hinblick der intensiv beschleunigten Wirkung namentlich auf pathologische Organe ergänzt wurde. Ähnliches hat Wohlgemuth?) für die tuberkulöse Lunge ge- sehen. Bei dem diastatischen Ferment konnte Biokel!‘) mit Meso- thorium eine geringe Hemmung feststellen. Löwenthal und Wohl- gemuth'!) fanden hingegen bei der Radiumemanation einen zunächst hemmenden, dann beschleunigten Einfluß auf die Diastase. Bezüglich

1) Levy, Arch. f. Entw. 21, 130, 1906.

2) О. Hertwig, Ber. d. preuß. Akad. f. Wiss.

3) Bergell und Braunstein, Med. Klin. 1905, 310.

4) Bickel, Handb. d. Radiumbiol. u. -ther. v. Lazarus, S. 111.

5) London, Berl. klin. Wochenschr. 1903, Nr. 23.

©) Bickel, Lazarus’ Handb. Le

7) Neuberg, Zeitschr. f. Krebsf. 2, 175, 1904; zit. nach Neuberg in Lazarus’ Handb., S. 99.

8) Löwenthal und Edelstein, diese Zeitschr. 14, 448, 1908.

9) Wohlgemuth, Berl. klin. Wochenschr. 1904, 704.

10) Bickel, 1. о.

п) Wohlgemuth, diese Zeitschr. 21, 476.

320 H. Jastrowitz:

der Lipase geben Marshall und Rowntree!) eine Hemmung durch Radiumemanation an. Auf eine eigentümliche Tatsache muß in Ver- bindung mit diesen Versuchen hingewiesen werden, nämlich die Ver- stärkung der Radiumwirkung auf die tryptische Verdauung, wenn das Radium an Kohle gebunden ist, wie dies Sticker und Falk?) bei der Verdauung von Casein, Fibrin und Seidenpepton beobachten konnten. Hinsichtlich des Thoriums sind unsere Kenntnisse bezüglich der Einwirkung auf fermentative Vorgänge noch geringer. Es liegen eigentlich bisher, abgesehen von einem mit divergentem Resultate verlaufenen Versuche von Kahn?) über die tryptische Verdauung von Serumplatten, nur zwei Arbeiten vor. Minami‘) fand zunächst eine Hemmung, dann eine Verstärkung, später eine unregelmäßige Wirkung bezüglich der Diastase. Pepsin wurde etwas verstärkt, der Einfluß auf das tryptische Ferment war nicht einheitlich; das autolytische wurde zuerst verstärkt, dann gehemmt. Dem gegenüber stehen die Untersuchungen von Plesch?). Seine Versuche, durch Thorium auf Trypsin, auf die Gärung von Rohr- zucker, Traubenzucker und Galaktose einzuwirken, blieben ohne Erfolg. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß auch die unter- nommenen Experimente über die Fermentwirkung für das Thorium noch gar keine, für das Radium nur eine unvoll- ständige Klärung gebracht haben. Es drängt sich unter diesen Umständen die Frage auf, woran der Mangel eines genügenden Versuchserfolges gelegen ist. Nun ist, wie schon hervorgehoben, die Möglichkeit der Beeinflussung vitaler Prozesse durch eine körperfremde Substanz eine sehr verschiedene: einmal kann dieser Körper direkt auf das Substrat einwirken; hierfür haben sich für die radioaktiven Elemente bisher Anhaltspunkte nicht ergeben. Er kann ferner direkt günstig oder ungünstig auf fermentative Prozesse einwirken, wofür oben Beispiele angeführt sind. Hierbei ist es für die praktische Frage dieser Wirkung zunächst gleichgültig, ob es sich z. B. um eine Aktivierung im eigentlichen Sinne, eine physikalische Beeinflussung des Sub- strates oder eine Änderung der Reaktionsgeschwindigkeit han- delt. Bei den bisherigen, nicht übereinstimmenden Versuchs-

1) Marshall und Rowntree, Journ. of Biolog. Chem. 16, Nr. 3, 373, 1913; zit. nach Centralbl. f. inn. Med. 9, 193.

2) Sticker und Falk, Berl. klin. Wochenschr. 1910, 1049.

3) Kahn, Strahlentherapie 2, 480, 1914; zit. nach Centralbl. f. inn. Med. 7, 678.

4) Minami, Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 17.

5) Plesch, Karczag, Keetman, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 12, Heft 1, 20, 1912.

Biologische Wirkung des Thoriums. 321

resultaten erscheint an sich hier schon eine Ergänzung not- wendig. Endlich besteht aber die Möglichkeit, daß gar nicht der fermentative Vorgang an sich beeinflußt wird, sondern daß die Produktion des Fermentes eine Steigerung durch Ein- verleibung der wirksamen Substanz erfährt, oder daß hemmende Einflüsse durch sie in Wegfall kommen. Ein Analogon hierzu haben wir in der Aufhebung des hemmenden Einflusses der Kochsalzthermen auf die peptische Eiweißverdauung durch . Radiumemanation kennen gelernt [Bergell und Віске1!)]. Versuche bezüglich der Produktion von Organfermenten scheinen bisher nicht vorgenommen zu sein, zum Teil, weil sie mit nicht unerheblichen technischen Schwierigkeiten verknüpft sind. Eine erst später zu lösende Frage ist es, ob die radioaktiven Substanzen direkt auf die Parenchymzellen einwirken, oder ob man sich diesen Vorgang als einen indirekten, durch Nerven- wirkung vermittelten zu denken hat.

Der Prüfung der hier angeschnittenen Themata steht eine erhebliche praktische Schwierigkeit entgegen; dies ist die Be- Schafung genügender Emanationsmengen. Versuche, Radium- präparate, die eine einigermaßen brauchbare Menge Emanation lieferten, zu erhalten, scheiterten an der zur Zeit bestehenden außerordentlich starken Nachfrage. Schon dieser äußere Um- stand lenkt auf das leichter zu beschaffende Thorium hin. Aber vor allem schien auch ein theoretischer Grund für letztere Substanz zu sprechen. Es ist schon oben hervorgehoben wor- den, daß die allermeisten, in sich noch wenig systematisch ausgebauten Experimente über biologische Beeinflussung durch radioaktive Substanzen vorgenommen sind in vitro und nicht in vivo, und doch ist es wohl sehr denkbar, daß die radio- aktive Substanz, ohne etwa direkt im Sinne eines Hormons oder Katalysators zu wirken, d. h. ohne den fermentativen Prozeß an sich irgendwie zu beeinflussen, doch, wie oben be- reits erwähnt, direkt oder indirekt eine vermehrte Ferment- produktion bewirkt. Hierbei ist aber gerade eine intensive Entwicklung von Emanation im Organismus selbst notwendig. Selbst wenn die funktionelle Beeinflussung, wie gelegentlich beim Thorium, die Grenze der Toxizität überschreitet, so ist,

1) Bergell und Bickel, Zeitschr. f. klin. Med. 58, 235, 1906.

322 H. Jastrowitz:

soweit hierdurch praktische Erfolge plausibel erscheinen, ein Rückschluß auf die biologischen Vorgänge, wie sie sich unter- halb der toxischen Dosis abspielen, bis zu einem gewissen Grade gestattet. Hierfür kann das Radium nicht in Betracht kommen, da die Emanation sehr rasch den Organismus verläßt [Straßburger'), Engelmann?) Im Gegensatz hierzu wird beim Thorium die Produktion der Emanation selbst in ganz anderem Maße in das zu untersuchende Substrat (Ferment- lösung, Organismus) hineinverlegt, als dies beim Radium der Fall ist. Es ist dies ein Gedankengang, wie ihm v. Noorden?) bereits gefolgt ist in der Begründung der Verwendung des Thoriums zu therapeutischen Zwecken. Der Hauptvorteil des Thoriums ist neben der Möglichkeit der Zuführung einer größeren Energiemenge im wesentlichen der, daß es im Gegen- satz zur Radiumemanation im Körper selbst vollständig zerfällt.

Hiermit sind natürlich die Schwierigkeiten, die der Be- antwortung der Frage nach der Beeinflussung biologischer Prozesse entgegenstehen, noch lange nicht erschöpft. Es ist versucht worden, dieselben so gut wie möglich zu umgehen, völlig eindeutige Antworten durch Eliminieren aller hindernden Momente zu geben war schlechterdings nicht möglich. Dies erhellt sofort, wenn man sich die Natur der Hindernisse vor Augen führt. Hier kommt zunächst die Dosierung in Betracht. Wir hatten schon oben gesehen, daß z. B. Radiumemanation auf Diastase zunächst hemmend, dann beschleunigend wirkt [Löwenthal] und Wohlgemuth*®)]. Ebenso kann man sich denken, daß wie die Zeit, so auch die Dosis variabel wirkt. Es können kleine Dosen positive, größere gar keine, ganz große hingegen negative Wirkungen enthalten. Es ergibt sich hieraus schon eine außerordentlich große Zahl von Variationen derselben Versuchsreihen, lediglich am toten Substrat. Hierzu kämen noch diejenigen am Versuchstier; auch hier ergibt sich eine weitere Schwierigkeit in der verschiedenen Empfänglich- keit der einzelnen Laboratoriumstiere; bekanntlich ist das Ka- ninchen gegen Thorium viel weniger empfindlich als der Hund

1) Straßburger, Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 9, 387. 2) Engelmann, Berl. klin. Wochenschr. 1912, Nr. 92, 1036. 2) у. Noorden, Therap. Monatsh. 28, Heft 1, 23. 1914.

4) Löwenthal und Wohlgemuth, 1. е.

Biologische Wirkung des Thoriums. 323

und der Mensch. Es gestatten also Tierversuche nur immer bedingte Rückschlüsse auf die Begründung der Therapie am Menschen. Hierzu tritt die verschiedene Bedeutung der einzel- nen fermentativen Prozesse bei den verschiedenen Tierspezies, wie vor allem die verschiedene Rolle, die die Purinkörper im Stoffwechsel beim Hunde und dem Menschen einnehmen. Ganz unberücksichtigt gelassen wurde die für den Menschen be- kannte und auch für Versuchstiere wahrscheinlich individuelle Verschiedenheit des toxischen Einflusses des Thoriums sowie die durch verschiedene Stärke der käuflichen Präparate mög- licherweise hervorgerufene Ungleicheit der Wirkung, die für eine solche Prüfung wesentlich erscheint. Von vornherein ist es klar, daß es unmöglich ist, alle Organfermente heranzuziehen; verzichtet mußte naturgemäß auch darauf werden, Versuchs- reihen mit allen möglichen Variationen bezüglich Zeitdauer, Menge des Thoriums, verschiedene Konzentration und Mengen der bei den Umsetzungen in Betracht kommenden Substanzen anzustellen. Es konnten hier nur Stichproben all derjenigen Untersuchungen geboten werden, die einer solchen Prüfung vom theoretischen und vielleicht auch vom praktischen Standpunkte aus wert erscheinen mögen. Es beschränkt sich demgemäß die Prüfung auf Fermentgruppen, die bisher nicht geprüft worden sind, solche die hypothetisch für die Genese der Gicht in Be- tracht kommen, sowie solche, die infolge ihrer allgemeinen Verbreitung und der Wichtigkeit, die sie in letzter Zeit erlangt haben, von Interesse erscheinen (peptolytische Gruppe, Per- oxydase).

Da nach Plesch!) die Vergärung der verschiedensten Zucker durch Thorium unbeeinflußt bleibt, vor allem praktisch aber die Radiumtherapie beim Diabetes eine wesentliche Be- deutung nicht erlangt hat, so sind die Kohlenhydratfermente übergangen worden. In ähnlicher Weise hätte die Beeinflussung

` der Fettspaltung nur ein rein theoretisches Interesse. Im Hin- blick auf die Gicht sind dann noch einige Versuche über die Beeinflussung des Verhaltens der Harnsäure im Serum ange- stellt worden, um hieraus vielleicht, wenn eine Erklärung der Thoriumwirkung auf chemischem Wege nicht möglich war, neue

Anhaltspunkte zu gewinnen. 1) Plesch, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Pharmokol. 12, 22, 1912.

324 H. Jastrowitz:

Bei der Natur des Thorium X war es nicht möglich, die einzelnen Arten von Strahlen auf ihre Reaktionsfähigkeit auf die oben genannten Prozesse im einzelnen zu prüfen. Um wirklich wissenschaftlich eindeutige Resultate zu erhalten, wäre es ja erwünscht, alle biologischen Reaktionen der Ein- wirkung jeder einzelnen Strahlengattung zu unterwerfen. Oben sind ja schon bei der Besprechung der Fermentwirkung die Unterschiede kurz gestreift worden; so verhält sich z. B. gegen- über dem autolytischen Ferment die Radiumbestrahlung indiffe- rent [Bickel!)], während durch die Emanation eine Beschleu- nigung zustande kommt [Edelstein und Löwenthal?)]. Im allgemeinen scheint ja den «-Strahlen emittierenden Modifi- kationen die intensive Wirkung bei biologischen Vorgängen zuzukommen, ein Moment, das des weiteren für die Verwen- dung des Thoriums, das ein kräftiger «-Strahler ist, gegenüber der Radinmemanation sprach. Jedenfalls gestatten die hier zu schildernden Versuche eine große Anzahl von Variationen, von denen nur die wenigsten ausgeführt werden konnten.

II. Versuche über die Wirkung des Thorium X auf die Purin- körper im Hinblick auf die Gichttherapie.

Unter den internen Erkrankungen ist die Gicht das ganz besondere Anwendungsgebiet für radioaktive Substanzen ge- worden. Zunächst dachte man an eine dırekte Beeinflussung der Purinsubstanzen durch die emanationshaltige Flüssigkeit.

Gudzent?) war zuerst mit dieser Behauptung hervorgetreten, und zwar schrieb er, da die Emanation bekanntlich sehr rasch den Organis- mus verläßt, dem Radium D, und zwar davon /-Strahlen, eine spezifische Wirkung zu. Es soll das Radium D die Harnsäure sogar bis zu Kohlen- säure und Ammoniak oxydieren [Gudzent*), sowie derselbe und Löwen- thal’). Zu einem ähnlichen Schlusse gelangte Mesernitzky°), der durch Radiumemanation einen vermehrten Gehalt an wasserlöslichen N in einer Suspension von Natriumurat erzielt zu haben glaubte. Wie wir wissen, trifft leider diese so einfache Erklärung nicht zu: selbst sehr hohe Mengen

1) Bickel, Lazarus’ Handb. 111.

2) Edelstein und Löwenthal, 1. с.

3) Gudzent, Deutsch. med. Wochenschr. 1910, Nr. 29 ref., Verhandl. d. Vereins f. inn. Med. v. 20. VI. 1910.

4) Gudzent, Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med., Wiesbaden 1910.

5) Löwenthal, Zeitschr. f. klin. Med. 71, 304, 1910.

6) Mesernitzky, Deutsche med. Wochenschr. 1912, 1238.

Biologische Wirkung des Thoriums. 325

Radiumemanationen hatten keinen Einfluß auf die Zersetzung oder Lös- lichkeit der Harnsäure, ebensowenig das Radium D, sobald bei den Ver- suchen steril gearbeitet wurde [Kerb und Lazarus), von Knaffl- Lenz und Wiechowski?)).

Für das Thorium liegt von Falta und Zehner?) eine Angabe be- züglich der Einwirkung sehr hoher Aktivitätsmengen auf Harnsäure in der Richtung einer weitgehenden chemischen Veränderung derselben vor.

Zu diesen Versuchen ist zu bemerken, daß, ihre Richtigkeit voraus- gesetzt, die hier angewandten Mengen 15000 s. s. E. derartig hohe sind, wie sie praktisch unmöglich ins Gewicht fallen können. Für die ganze Frage der Wirkung radioaktiver Substanzen und namentlich für die- jenige bei der Gicht, fällt dieser Faktor ja außerordentlich stark ins Gewicht. Wenn wirklich durch sehr hohe Emanationsmengen in der Tat 0,25 bis 0,5 g Harnsäure zu einem kleinen Teil oxydiert werden, so ist nicht ohne weiteres anzunehmen, daß die viel größeren im Körper des Gichtikers vorhandenen Mengen Harnsäure bzw. Purinkörper durch weitaus geringere Mengen Thorium abgebaut werden können. Endlich ist mit der Annahme der Oxydationsfähigkeit nicht die reaktive Wirkung des Thoriums und Radiums beim Gichtiker verträglich, wie sie sich uns durch den als Reaktion bekannten, dem eigentlichen Gichtanfall klinisch durchaus entsprechenden Zustand dokumentiert.

Wenn so für die Erklärung der radioaktiven Substanz eine Beein- flussung der Purinkörper, speziell der Harnsäure, im Sinne einer direkten Oxydation nicht in Frage kommt, so müssen, die praktischen Erfolge immer vorausgesetzt, andere Kräfte durch diese Stoffe beeinflußt werden. Es fragt sich nun, welches die Vorgänge sind, auf die wir durch die Radiotherapie einwirken. |

Nun ist die Natur der gichtischen Stoffwechselstörung uns trotz aller Arbeiten und Theorien, die eine Klärung der Frage herbeiführen sollten, im Grunde ebenso dunkel wie im Beginne. Ursprünglich hatte Garrod’) an eine mangelhafte Ausscheidung derselben durch die Nieren gedacht. Nun wissen wir aber, daß die übrigen harnfähigen Stoffe bei unkomplizierter Gicht genau so ausgeschieden werden wie beim Gesunden, es ist daher nicht einzusehen, warum infolge sich anderweit gar nicht funktionell dokumentierender krankhafter Beschaffenheit der Nieren der Gichtiker Harnsäure retinieren, die übrigen festen Bestandteile jedoch normalerweise ausschwemmen soll.

Ebensowenig kann von einer Harnsäuresynthese beim Menschen und Säugetieren die Rede sein, eine Anschauung, die Wiener) sich im Anschluß an die Synthese von Harnsäure aus Harnstoff und zwei- basischen Fettsäuren mit 3 C Atomen bei Vögeln gebildet hat.

1) Kerb und Lazarus, diese Zeitschr. 42, 82, 1912. 2) v. Knaffl-Lenz, Wiechowski, Zeitschr. f. physiol. Chem. 77, 303, 1912. 3) Falta und Zehner, Berl. klin. Wochenschr. 49, 2444, 1912. 4) Garrod, Die Gicht, zit. n. v. Noorden Handb. 2, 159, 1907. 5) Wiener, Beiträge z. chem, Physiol. u. Pathol. 2, 42, 1902. Biochemische Zeitschrift Band 94. 99 Р

326 H. Jastrowitz:

Burian!) konnte im Organversuch beim Rinde demgegenüber eine solche Synthese nicht nachweisen und später hat W. Pfeifer?) durch Untersuchungen an Affen und Menschen, denen die obengenannten Substanzen bzw. deren Amide gegeben worden waren, die Wiener- sche Anschauung endgültig widerlegt. In dieser Richtung vom thera- peutischen Standpunkte aus weitere Versuche anzustellen, erscheint so- mit nicht zu lohnen. Mit Ablehnung des Gedankens an eine renale Retention und einen abnormen Aufbau der Purinkörper kommt natur- gemäß die Erwägung, daß es sich um einen verminderten Abbau han- deln könne, besonders dann, wenn man sich einiger hierher gehöriger physiologischer Tatsachen erinnert: der Spaltung der Nucleine durch Milzextrakte [Horbaczewski?)], der fermentativen Oxydation von Hy- poxanthin im arbeitenden Muskel [Burian‘)j, Befunde, die den Anstoß für eine Reihe Arbeiten Schittenhelms°) gaben, die die Harnsäure- bildung aus Purinbasen und nucleinsaurem Natron mit Hilfe der Organe verschiedener Tierspezies behandelten, [Schittenhelm®)], und weiterhin die desamidierenden und oxydierenden Fermente voneinander differen- zierten [Schittenhelm und J. Schmid”). Es lag nun nahe, die Lehre von der Gicht mit diesen Befunden zu verknüpfen, wie dies Brugsch und Schittenhelm*) auf Grund der verschleppten Ausscheidung ver- fütterter Purinsubstanzen, des Vorhandenseins von Harnsäure im Blute und des subnormalen endogenen Harnsäurewertes bei Gichtkranken in ihrer Fermenttheorie getan haben.

Nun stehen der Fermenttheorie allerdings gewisse Bedenken ent- gegen. Sie beruhen einmal auf der Verschiedenheit der fermentativen Wirksamkeit der Organe bei den einzelnen Tierspezies. So ist im Organ- versuch die Uricolyse beim Menschen überhaupt noch nicht erwiesen [J. R. Müller und W. Јопев?), Schittenhelm?!°)]. Zwar ist eine Des- amidierung von Aminosäuren, aber keine Oxydation zu Harnsäure beim Menschen bisher erzielt worden. Weiterhin ist überhaupt die Oxy-

1) Burian, Zeitschr. f. physikal. Chem. 43, 497, 1905.

2) Pfeifer, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 10, 324, 1907.

3) Horbaczewski, Monath. f. Chem. 10, 624, 1889; 12, 211, 1891.

+) Burian, Zeitschr. f. physikal. Chem. 43, 497, sowie ibidem 532, 1905.

5) Schittenhelm, Zeitschr. f. physikal. Chem. 42, 1904, 251; ibi- dem 48, 228, 1904.

6) Schittenhelm, Zeitschr. f. physikal. Chem. 45, 121, 1905 und 46, 354, 1905. .

”) Schittenhelm und J. Schmidt, Zeitschr. f. phisikal. Chem. 50, 30, und ibidem 46, 854.

®) Brugsch und Schittenhelm, Der Nucleinstoffwechsel, Jena 1910, 146.

9) Ј. R. Müller und W. Jones, Zeitschr. f. physikal. Chem. 61, 395, 1909. 10) Schittenhelm, Zeitschr. f. physikal. Chem. 63, 222, 1909.

ғ ~

Biologische Wirkung des Thoriums. 327

dationsfähigkeit des menschlichen Organismus für Harnsäure noch nicht einmal völlig sichergestellt: namentlich bei parenteraler Einverleibung wird ein solcher Abbau in Frage gestellt [Soetbeer und Ibrahim’), sowie Wiechowski?)]. Im Gegensatz hierzu sahen Burian und Schur®), sowie Frank und Sohittenhelm*) eine komplette Oxy- dation beim Menschen. Wenn nun Normale, wie dies aus den eben er- wähnten Befunden hervorzugehen scheint, in einem Falle Harnsäure verbrennen, im anderen Falle aber nicht, eine Oxydation der Harnsäure selbst auch im Organversuch nicht eintritt, so ist es schwer, sich auf Grund der vorliegenden Tatsachen ein Bild von der Rolle der fermen- tativen Prozesse bei der Gicht zu machen.

Wenn die Fermenttheorie der Gicht wirklich die Bedeutung hat, die Brugsch und Schittenhelm ihr zuschreiben und andererseits die radioaktiven Substanzen ein kausales Mittel darstellen, so müßte sich höchstwahrscheinlich eine Beeinflussung des fermentativen Abbaus der Nucleinsubstanzen in vitro zeigen. Nachdem, wie dies oben auseinander- gesetzt wurde, nicht anzunehm.n ist, daß direkt die Purinkörper durch radioaktive Substanzen in nicht toxischen Dosen zerstört werden, ist diese Prüfung des fermentativen Purinabbaus auch deshalb wichtig, weil in Fällen unzweifelhafter Gicht mit ausgesprochener Uricämie die Harnsäure aus dem Blute durch Emanation angeblich zum Schwinden gebracht wird [Gudzent?)). Einen Vorstoß in dieser Richtung hat, auf Veranlassung Jakobis, bereits Schulz-Briesenitz®) unternommen. Derselbe konnte unter dem Einfluss der Radiumemanation zwar keine Beschleunigung der Uricolyse der Hundeleber, wohl aber eine Erhöhung der Harnsäurebildung bei der Digestion eines Purinbasengemisches mit Milzpulpa konstatieren.

Wenn man an die Prüfung dieser Frage herantritt, so muß man sich klar sein, daß eine Beurteilung der Versuchs- resultate durchaus nicht leicht ist. Die ungleiche Wirksamkeit der Extrakte, ungleicher Ausfall selbst der einzelnen Parallel- versuche, die völlig aseptisch doch nicht vorgenommen werden können, sind schwer ins Gewicht fallende Faktoren. Hierzu kommt, daß es sich ja nicht um ein Ferment handelt, sondern, daß die ganze Reihe der desamidierenden und oxydierenden

Fermente des Purinstoffwechsels hier in Frage kommen. Nun

1) Soetbeer und Ibrahim, Zeitschr. f. physikal. Chem. 35, 1, 1902.

2) Wiechowski, Lo

3) Burian und Schur, Arch. f. d. ges. Physiol. 80, 241, 1900, und ibidem 87, 239, 1901.

4) Frank und Schittenhelm, Zeitschr. f. physikal. Chem. 68, 243, 1909.

5) Gudzent, Zeitschr. f. klin. Med. 78, 266, 1913.

©) Schulz-Briesenitz, diese Zeitschr. 48, 86, 1913.

22*

328 H. Jastrowitz:

wissen wir z. В., daß, wie Künzel und Schittenhelm!) fest- stellen, ein stark harnsäurebildender, Rindermilzextrakt die Uricolyse der Rinderniere hemmt, und umgekehrt die Harn- säurebildung der Milz durch die Niere im antagonistischen Sinne beeinflußt wird. Hierzu kommt ein weiteres Moment. das ist die Differenz in dem Auftreten der Fermente bei den verschiedenen Tierspezies (Mensch und Rind).

Das Thorium bildet für diese Versuchsreihen ein an sich geeigneteres Objekt als die Radiumemanation, die besondere Vorsichtsmaßregeln infolge der Möglichkeit des Entweichens bei der Hantierung erfordert; außerdem gestattet Thorium X die Anwendung weit höherer Aktivitäten.

So hat z. B. Schulz-Briesenitz 10 M.E. pro Kubik- zentimeter angewandt; die von mir verwandten Mengen Thorium übertreffen dieses Quantum um das .Vielfache. Allerdings muß man zugeben, daß bei so hohen Mengen Thorium man sich уоп den Bedingungen des eigentlichen therapeutischen Vor- gangs entfernt. Indessen ist z. B. bei vierwöchentlichen Kuren dafür die Dauer der Einwirkung der radioaktiven Substanz eine weit längere und vielleicht auch auf die Funktion der lebenden Zellen eine intensivere als auf die im physiologischen Sinne gewissermaßen nekrobiotischen Vorgänge bei der Di- gestion toter Organe. Es ist dann hier weiter zum ersten Male in vivo die. Veränderung festgestellt worden, die die urico- lytische Eigenschaft von Tierorganen unter Einfluß des Thoriums erleidet. Nicht nur für das Thorium, sondern über- haupt für die eigentlichen intermediären Stoffwechselfermente fehlt es bisher m. W. fast überhaupt an derartigen Unter- suchungen. Es stehen naturgemäß große praktische Schwierig- keiten derartigen Versuchen entgegen. So z. B. ist die erste Bedingung, die individuelle Verschiedenheit auszuschalten, wenn man nicht an großen Serien von Tieren die Versuche anstellen will, um den durch die individuelle Empfänglichkeit bedingten Fehler auf ein Minimum zu reduzieren. Hierzu tritt eine weitere Komplikation der Versuchsanordnung, wenn es sich um intermediäre Organenzyme handelt. An demselben Tier

1) Künzel und Schittenhelm, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 5, 1908.

Biologische Wirkung des Thoriums. 329

ist es nicht leicht, z. B. einen Lungen- oder Leberlappen zu entfernen und die Entfernung eines solchen Lappens ist noch nicht einmal, streng genommen, theoretisch insofern einwand- frei, als ja gar nicht die einzelnen Lappen eine gleich inten- sive Fermentproduktion in den zu vergleichenden Zeiten zu besitzen brauchen. Bei unpaarigen Organen, z.B. Milz, ist ein solches Vorgehen überhaupt unmöglich. Am besten und einwand- freisten ist es bei der Niere, bei der man ja vollkommen gleiche Funktionen und fast gleiche Größe des einzelnen Or- ganes voraussetzen darf. Aus diesen Gründen, auf die deshalb hier etwas näher eingegangen wurde, sind für die folgenden, auf die Uricolyse sich beziehenden Versuche Nieren verwandt worden.

Aus den vorgelegten Gründen war es nicht möglich, jedes einzelne Ferment des Purinstoffwechsels in bezug auf seine etwaige Beeinflussung durch das Thorium zu prüfen, und es wurden die Versuche daher an den Anfangs- und Endpunkt des intermediären Nucleinabbaus verlegt, d. h. sie beschränken sich auf die Spaltung der Nucleinsäure und der Uricolyse durch Organfermente.

A. Beeinflussung der Nuclease durch Thorium.

Nach Aufspaltung der Nucleoproteide ist das erste An- griffsprojekt für Fermente jenseits des Magendarmkanals die Nucleinsäure. Hierbei wird gegenwärtig angenommen, daß zu- nächst die Phosphorsäure und dann das Kohlenhydrat in den Nucleinsäuren von der Base freigemacht wird. Für die prak- tische Frage der Beeinflussung ist es zunächst gleichgültig, ob hier mehrere oder nur ein Ferment vorhanden ist. Die erste Kenntnis dieser Enzymgruppe geht auf Salomon!) zurück und ist dann von Biondi?) und Araki’) bestätigt worden, während der Name Nuclease selbst von Iwanoff*) stammt. Das Studium derselben hat dann besonders Sachs) durch Abtrennung von den tryptischen Fermenten gefördert und es als Endoenzym

1) Salomon, Arch. f. Anat. u. Physiol. Abt, 81, 361. 2) Biondi, Virchows Arch. 144, 373, 1896.

3) Araki, Zeitschr. f. physiol. Chem. 38, 84, 1903.

1) Iwanoff, Zeitschr. f. physiol. Chem. 39, 31, 1903. 5) Sachs, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 337, 1905.

330 H. Jastrowitz:

der Gewebe charakterisiert. Die folgenden Versuche haben sich lediglich in vitro mit derselben befaßt und dabei den Einfluß mittlerer Dosen mit Thorium X auf die Spaltung der Nucleinsäuren zum Zwecke gehabt.

Betrefis des Nachweises der Nuclease sei bemerkt, daß es mir nicht möglich war, thymonucleinsaures Natron zu erhalten, somit die Prüfungauf Gelatinierungsfähigkeit, wiesieAbderhaldenundSchitten- helm!) vorgeschlagen haben, von selbst fortfiel. Die optische Methode?) erfordert absolut klare Fermentlösung, die aus gewöhnlichen Preßsäften kaum zu erhalten ist.

Es wurde daher hier, in Anlehnung an die Sachsschen Versuche, Pankreas fein zerrieben und mit den gleichen Teilen physiologischer Kochsalzlösung und gereinigten Seesandes vermengt, im Schüttelapparat 2 Stunden geschüttelt, das Ganze mangels einer hydraulischen, durch eine Handpresse energisch ausgepreßt, koliert, durch Glaswolle filtriert und mit der gleichen Extraktmenge Versuch und Kontrolle angestellt. Es entfallen so auf je 50 сот physiologischer Kochsalzlösung 50 g Pankreasbrei. Die Kolatur wurde dann jeweils so aufgefüllt, daß 50 g Pankreas 50 ccm Extrakt entsprachen.

Nach der Digestion wurde filtriert, mit Schwefelsäure angesäuert, die ausgefällte Nucleinsäure abfiltriert, mit Quecksilber-Sulfatlösung ge- fällt, der suspendierte Niederschlag durch Schwefelwasserstoff zerlegt, nach Entfernung desselben durch Luftdurchleitung, mit ammoniakalischer Silberlösung gefällt und der Niederschlag durch Salzsäure zersetzt, aus dem Filtrat nach Verdampfen der Salzsäure die salzsauren Purinbasen nach nochmaliger Umkfystallisation gewonnen und im Goochtiegel zur Gewichtskonstanz getrocknet.

Versuch 1.

100 g Schweine-Pankreas mit 100 р Seesand und 100 ccm physio- logischer Kochsalzlösung 2 Stunden geschüttelt, ausgepreßt und filtriert.

а) 50 сот Extrakt und 50 сеш 4°),ige Lösung von hefenuclein- saurem Natron (Böhringer) 72 Stunden im Brutschrank digeriert. Ge- funden: 0,2166 д Krystalle. ;

b) Derselbe Versuch + 1000 е. s. E. Thorium X. Gefunden: 0,2270 g Krystalle.

Bei der geringen Differenz zwischen dem eigentlichen Versuch und der Kontrolle wurde noch ein weiterer angestellt, um eine Klärung dieser Frage herbeizuführen. Um die bei diesen Organversuchen immer sich ergebenden Differenzen möglichst auszuschalten, wurden hier 1 Ver- such und 2 Kontrollen mit demselben Extrakt angestellt.

1) Abderhalden und Schittenhelm, Zeitschr. f. physiol. Chem. 47, 452, 1906.

я) Pighini, Zeitschr. f. physiol. Chem. 70, 85, 1910; Neuberg, diese Zeitschr. 30, 505, 1910/1911.

Biologische Wirkung des Thoriums. 331

Versuch 2.

200 g Schweine-Pankreas mit 200 р Seesand und 200 com physio- logischer Kochsalzlösung 2 Stunden geschüttelt, ausgepreßt und filtriert.

a) 50 ccm Pankreasextrakt und 50 ccm 4°/,ige Lösung von hefe- nucleinsaurem Natron ohne Zusatz von Thorium 72 Stunden bei 38° im Brutschrank digeriert. Gefunden: 0,1135 g Krystalle.

b) Derselbe Versuch gleichfalls ohne Thorium X. Gefunden: 0,1270 g Krystalle.

c) Derselbe Versuch mit 1000 е. s. E. Thorium X. Gefunden: 0,1922 g Krystalle. ?

Es ergibt sich bei den ziemlich gut übereinstimmenden Parallelen im Mittel für die Kontrollen 0,1203 g, für den Versuch selbst 0,1970 g Krystalle, somit bei letzterem einen um ca. 50°/, höheren Wert als bei dem blinden Versuch.

Trotzdem wird man in der Deutung dieser Versuche zu- rückhaltend sein, wenn man einerseits erwähnt, daß der erste hier vorgenommene Versuch eine wesentliche Differenz nicht zeigte, der zweite zwar eine wesentliche Differenz ergab, die jedoch in Hinsicht auf die großen Schwankungen, die auch F.Sachs!) verzeichnen konnte, nur mit Vorsicht zu verwerten ist. Dies lehrt ein weiterer Versuch, der in ganz analoger Weise angestellt wurde, es wurde nur statt Pankreas Kalbs- thymus verwandt.

Versuch 3.

150 g Kalbsthymus mit gleichen Teilen physiologisoher Kochsalz- lösung wie oben behandelt.

a) 50 eem Extrakt und 50 com 4°/,ige Lösung von hefenuclein- saurem Natron -+ 1000 e. s. E. Thorium 48 Stunden im Brutschrank digeriert. Gefunden 0,0398 g Krystalle.

b) Derselbe Versuch. Gefunden: 0,0410 g Krystalle.

о) Kontrolle desgleichen ohne Thorium. Gefunden: 0,0629 р Kry- stalle.

Dieser Versuch zeigt aber ein dem Versuch 2 völlig ent- gegengesetztes Resultat. Wenn man erwägt, daß es sich bei der Nuclease um Komplexe verschiedener, in ihrer Wirksam- keit durchaus nicht identischer Fermente handelt, so wird man allgemeine Schlüsse über das Verhalten ganzer Fermentgruppen auf Grund des Verhaltens einer einzigen derselben oder dem entgegengesetzten Verhalten analoger Fermente zweier Organe verschiedener Tierspezies nicht ziehen. In diesem Sinne er-

1) Sachs, Le

332 H. Jastrowitz:

scheint die Annahme von Gudzent!), der neuerdings jeden Einfluß des Thorium X, sowie der radioaktiven Substanzen auf Fermente überhaupt, speziell auf Nuclease geleugnet hat, zu weitgehend. Wenn die vorliegenden Versuche zu keinem ein- deutigen Resultate geführt haben, muß man doch zugeben, daß eine günstige Beeinflussung der Nucleinspaltung durch Thorium mit einigen früher erwähnten Versuchsergebnissen im Einklang steht, z. B. in Versuchen von Schulz-Briesenitz?) über die Entstehung der Harnsäuren aus Purinbasengemischen. Das gleiche gilt von dem bekannten Leukocytenzerfall durch Thorium und dem damit verbundenen Freiwerden von Nucleoproteiden, die in größerer Menge dem intermediären Abbau verfallen. Auch die Steigerung der Ausfällung von Purinkörpern, wie sie mehrfach beobachtet wurde, ein Punkt, auf den später noch eingegangen wird, kann mit der Beschleunigung der Nucleinzersetzung in Zusammenhang gebracht werden.

B. Uricolyse und Thoriumwirkung.

Weit wichtiger für die Gichtpathologie ist die Frage der Harnsäurezersetzung, wobei naturgemäß die still-chweigende Voraussetzung gemacht wird, daß eine solche wirklich beim Menschen ein integrierender Bestandteil des normalen Stoff- wechsels ist.

Alles was für die Beurteilung der Versuche in Frage kam, ist bereits oben dargetan worden, und es erübrigt sich, nur kurz noch auf die spezielle Versuchsanordnung und die Wahl der hierzu verwandten Organe einzugehen.

Für die Organversuche nahm ich Rindernieren, deren starke urico- lytische Eigenschaft Schittenhelm®), Batelli und Stern‘) sowie schon früher Wiechowski und Wiener’) nachgewiesen hatten. Um zu sehen, wie das uricolytische Ferment durch Thoriumbehandlung in vivo beeinflußt wird, habe ich Hundenieren angewandt. Dieselben besitzen zweifellos eine gewisse uricolytische Fähigkeit, obwohl Wiener dies

1) Gudzent, Die Strahlentherapie 4, 666, 1914.

2) Schulz-Briesenitz, Lo

з) Schittenhelm, Zeitschr. f. physiol. Chem. 45, 12, 1905.

1) Batelli und Stern, diese Zeitschr. 19, 219, 1909.

5) Wiechowski und Wiener, Beiträge z. chem. Physiol. u. Pathol. 9, 247, 1907.

6) Wiener, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 42, 373, 1899.

Biologische Wirkung des 'Thoriums. 333

als fraglich bzw. nicht vorhanden hingestellt hat. Demgegenüber steht der Befund von Batelli und Stern'), welche die Hundeniere als urico- lytisch wirksam fanden. Auch ich selbst habe dieses Ergebnis von Batelli und Stern?) schon früher bestätigen können. Es zersetzten nach meinen Versuchen im Durchschnitt 100g Hundeniere in 1 Stunde 0,0105 g U. Wenn man die beiden 4stündigen Wienerschen Versuche entsprechend auf 100 р berechnet, so erhält man eine Zersetzung von im Mittel 0,0078 g pro Stunde, also durchaus einen dem obigen analogen Wert. Indessen darf nicht verschwiegen werden und dies fällt für die Beurteilung der vorliegenden Versuche wesentlich ins Gewicht —, daß selbst zwischen ‚den Versuchen mit den Organen verschiedener Individuen derselben Spezies sehr große Differenzen vorliegen. Es geht aber aus diesen Darlegungen hervor, daß Nieren des Hundes für Ver- suche über Uricolyse an sich bei genügender Dauer der Versuche nicht ungeeignet sind. Schlügse zu ziehen, wird man nur unter Innehaltung völlig gleicher Bedingungen und bei regulär eklatanter Beeinflussung im gleichen Sinne berechtigt sein. Die nur bei der Niere zu realisierende Möglichkeit, dieses operativ leicht zugängliche, paarige Organ vor und nach der Beeinflussung durch Thorium zu untersuchen, mußte trotzdem für die Wahl der Nieren als Versuchsobjekt maßgebend sein.

Zunächst einige Versuche über die Wirkung des Thoriums auf die Uricolyse selbst. Bezüglich der Methodik derselben sei bemerkt, daß dieselben nach den Schittenhelmschen An- gaben ausgeführt wurden, von der Luftdurchleitung wurde, um nicht dauernd Thoriumemanation zu entfernen, abgesehen. Es sollte vermieden werden, einen weiteren komplizierenden Faktor einzuführen, dessen Einfluß experimentell nicht klar war. Es wurde deshalb auf dieselbe Anordnung zurückgegriffen, wie sie Schulz-Briesenitz?) bereits für die Radiumemanation verwandt hat. Die in der gerade notwendigen Menge Natron- lauge gelöste Harnsäuremenge‘) wurde zu der Kolatur des

1) Batelli und Stern, diese Zeitschr. 28, 34.

2) Batelli und Stern, Le

з) Schulz-Briesenitz 1. с.

t) Zwecks Herstellung der Harnsäurelösung wurde die annähernd gewünschte Harnsäuremenge unter Erwärmen in Wasser bei tropfen- weisem Zusatz der nötigen Normal-Natronlauge gelöst. Die Lösung wurde auf 50ccm annähernd aufgefüllt, filtriert, dann genau auf 50 ccm ge- bracht, іп je 5cem nach Ansäuern mit Salzsäure durch N-Bestimmung der ausgeschiedenen Harnsäure, der wahre Gehalt an U der Lösung ermittelt. Auf diesen berechneten Wert beziehen sich die Zahlen in den Versuchen über Organ-Uricolyse. Für jeden Versuch wurde eine frische derart hergestellte Lösung verwandt.

334 H. Jastrowitz:

Nierenextraktes hinzugefügt, die einzelnen gleichmäßigen Por- tionen im Vakuumkolben ausgepumpt, durch den Luftdruck vorsichtig zu den eigentlichen Versuchsportionen das Thorium zufließen gelassen, dann aus einem Gasometer unter Überdruck Sauerstoff in alle Kolben geleitet. Es wurden endlich die so gefüllten Kolben unter häufigem Umschütteln im Brutschrank belassen. s

Versuch 1.

325 р Rindernieren mit den gleichen Teilen Seesand und 1500 cem physiologischer Kochsalzlösung 2 Stunden lang geschüttelt, die Kolatur wiederum auf 1500 сот aufgefüllt und auf 3 Portionen verteilt, von denen jede nach dem Versuch auf 1000 ccm aufgefüllt wurde, von denen dann je 500 zur Bestimmung verwandt wurden.

a) 500 ccm ohne Zusatz 12 Stunden digeriert, verbraucht pro 250ccm 0,2 und 0,3, im Mittel 0,3 ccm /,-Schwefelsäure entsprechend 0,00084g N, hieraus berechnet 0,0060g Harnsäure, somit vorhanden 0,0120 g О präformiert in 500 ccm des ursprünglichen Extraktes.

b) Ebenfalls 500 сеш Extrakt + 0,3236 g U in Normal- Natronlauge gelöst, nach 12 stündiger Digestion verbraucht pro 250 ccm 9,8 und 0,9, entsprechend 0,0277 g N. Gefunden 0,0866 g U, somit noch vorhanden 0,1732 g U in 500 com Extrakt.

с) Der gleiche Versuch wie b) unter Zusatz von 1000 е. в. E. Tho- rium X, verbraucht pro 250ccm 9,4 und 9,3, im Mittel 9,2 cem */,- Schwefelsäure, entsprechend 0,0258 g N, hieraus berechnet Harnsäure 0,0809 g, somit noch vorhanden 0,1618 g U.

Es ergibt sich also mit Thorium eine Zersetzung von 0,1738 g U, ohne Thorium eine solche von 0,1624, somit eine für derartige Organ- versuche in die Fehlerquelle fallende Differenz von 0,0106 g 0 zu- gunsten des Thoriums.

Ein ganz ähnliches Resultat hatte der zweite Versuch. Hier wurd von der Bestimmung der präformierten Harnsäure der minimalen Menge derselben wegen, die für die vorliegenden Versuche nicht ins Gewicht fällt, abgesehen.

Versuch 2.

198,8 g Rinderniere wie oben 2 Stunden lang mit den gleichen Teilen Seesand und 1000 eem physiologischer Kochsalzlösung geschüttelt. Die Kolatur auf 1000 aufgefüllt, zu jeder Portion wie oben 0,281 g U hinzu- gesetzt, 12 Stunden digeriert und danach jede Portion wieder auf 1000 ccm aufgefüllt.

a) 500 com ohne Thoriumzusatz digeriert. Infolge eines kleinen Verlustes konnten nach Auffüllen auf 1000 com nur је 493,3 statt 500 com verwandt werden. Verbraucht 7,0 und 7,2, im Mittel 7,1 com a/ „Schwefelsäure, entsprechend 0,0199 g N, gefunden 0,0632 g U; dem

Biologische Wirkung des Thoriums. 335

würden entsprechen in 500 ccm 0,0641 g U, somit insgesamt vorhanden 0,1282 g U. З

b) 500 ccm Kolatur mit 0,281 g U und 1000 е. в. Е. Thorium X digeriert, je 500 ccm verbrauchten 8,1 und 8,3, im Mittel 8,3 cem ®/,- Schwefelsäure, entsprechend 0,0725 g Harnsäure. Somit vorhanden 0,145 g U, somit waren zersetzt unter Thoriumzusatz 0,1360 р U gegen- über 1529 g ohne Thorium.

Hier findet sich also ein geringes an U weniger zersetzt beim Thorium, und zwar 0,0169 g. Auch diese Differenz dürfte in die Fehlerquelle fallen. Da diese beiden Versuche bezüglich der Beeinflussung der Uricolyse durch Thorium X gar keine Beeinflussung ergaben, sondern vollkommen identische Resultate, da ferner bereits Schulz-Briesenitz die gleiche Erfahrung mit der Radiumemanation gemacht hatte, so stand ich von weiteren Versuchen in dieser Richtung ab.

Die hier verwandten Aktivitätsmengen von 1000 e.s. E. pro 500 ccm, also 2 pro Kubikzentimeter, übertreffen um das 200 fache die von Schulz-Briesenitz verwandte Menge von 10 M.E. pro Kubikmeter. Es lag also auch kein Anlaß vor, die Aktivitätsmengen noch zu steigern. Man kann also wohl zusammenfassend sagen, daß auf die Uricolyse in vitro die Emanation in keinerlei Form (Thorium, Radium) und in keinerlei Menge einen Einfluß ausübt.

Es bleibt somit noch übrig die Beeinflussung auf die Urico- lyse in vivo, d.h. die Beeinflussung der uricolytischen Fähig- keit des Parenchyms unter Einfluß von Thorium zu prüfen. Ich hatte schon oben auseinandergesetzt, warum ich für diese Versuche die Nieren gewählt hatte und das pro und contra dieser Versuchsanordnung gegeneinander abgewogen. Es er- übrigt sich nunmehr, lediglich die Versuche selbst anzuführen.

Versuch 3.

Hund operiert am 22. VIII. 1913. Es wurde die rechte Niere exstirpiert. Nachdem sich das Tier er- holt hatte und die Wunde fast verheilt war, erhielt es am 29. VIII. 13, 1000 в. е. E. Thorium X, und da es diese anscheinend gut vertrug, noch- mal dieselbe Dosis. Hierauf traten am 5. und 6. IX. starke Durchfälle ein, am 6. war das Tier moribund und wurde durch Verbluten getötet. Die Nierenzeichnung war verwaschen, auf der Oberfläche zeigten sich einzelne Blutungen. Zu Versuch A wurde die exstirpierte, zu Versuch B die nach dem Tode entnommene Niere verwandt. .

336 H. Jastrowitz:

A. Gewicht der frischen Niere 21,5 g, der zerhackten Niere 18,0 g, zugesetzt 0,1797 g U. 24 Stunden unter Luftdurchleitung bei 38° dige- riert. Nach der Digestion wurde wie in früheren Versuchen auf 11 auf- gefüllt und je 500 ccm zur Bestimmung verwandt. Verbraucht 1,6 und 1,8cem, im Mittel 1,7 ccm */,-Schwefelsäure, entsprechend 0,0048g N, gefunden somit 0,0179 g U in 500 eem, somit vorhanden 0,0358 р 0.

B. Niere roh Gewicht 23,2, nach Zerkleinern 21,9 g, zugesetzt wie oben 0,1797 д О. Es wurde genau wie bei A. verfahren, verbraucht 4,7 und 4,8ccm "/,-Schwefelsäure, entsprechend 0,0135 р N, somit gefunden 0,0440 g ©. Vorhanden 0,0880 g О.

Es wurden also von der Niere desselben zersetzt vor der Thorium- behandlung 0,1439, nach derselben 0,0917 g U in 24 Stunden. Auf 100g Niere berechnet würde diese in 1stündiger Digestion zersetzte Harnsäure- menge 0,0332 g Ü normalerweise, gegen 0,0175g Ū nach Thoriumintoxi- kation betragen.

Da hier ein starker toxischer Effekt durch das Thorium ausgelöst war, erhielt der zweite Hund eine geringere Menge Thorium.

Versuch 4.

Hund operiert am 3. IX. 1913.

Linke Niere exstirpiert. Am 10. IX. erhielt das Tier 500 е. в. E. Thorium X, am 15. IX. wieder unter Durchfällen schwer erkrankt, die Niere des kleineren Tieres bot fast das gleiche Bild wie die des ersten. Die Versuchsanordnung war die gleiche wie in Versuch 3.

a) Linke Niere Rohgewicht 14,2, zermahlen 12,40 g mit 200 сет physiologischer Kochsalzlösung geschüttelt und zugesetzt 0,1814 g U ver- braucht je 2,7 eem "/,-Schwefelsäure, entsprechend 0,0076 р N, gefunden somit 0,0263 р U, somit noch vorhanden 0,0532 g О.

b) Rechte Niere nach dem Tode entnommen Rohgewicht 17,85, zermahlen 16,75 р, zugesetzt 0,1804 et. Nach einer Digestion ver- braucht 2,6 und 2,5 сеш, im Mittel 2,6 ccm "/,-Schwefelsäure, entsprechend 0,0073 р N, berechnet 0,0154g О, somit vorhanden 0,0508 р 0, vor der Thoriumwirkung waren zersetzt 0,1282, nach derselben 0,1296 g U. Auf 100 р Niere berechnet ergibt sich vor der Injektion 0,0431 pro Stunde, nach derselben 0,0323 g zersetzte U, somit die geringe Differenz von 0,0108 g О zuungunsten der Thoriumperiode. |

Da diese beiden Versuche, wenn überhaupt, höchstens eine Beeinflussung der Uricolyse im ungünstigen Sinne durch das Thorium nahe zu liegen schien, so wurde ein dritter Versuch mit einer ganz geringen Menge Thorium unternommen, näm- lich 250 e. s. E.

\ Versuch 5.

Hund operiert am 7. XI. 13. Rechte Niere exstirpierf. Am 14. XI. 250 e.s. E. Thorium X subcutan, am 21. XI., ohne Krank- heitserscheinungen zu zeigen, getötet. Versuchsanordnungen wie oben.

Biologische Wirkung des Thoriume. 337

a) Rechte Niere Rohgewicht 25,8, zerkleinert 22,8 ccm mit 500 ccm Kochsalzlösung geschüttelt, zur Kolatur zugesetzt 0,2440g U. Nach der Digestion auf 500 ccm aufgefüllt, je 250 ccm verbrauchten 1,7 und 1,5ccm */,-Schwefelsäure, entsprechend 0,0046g N, berechnet hieraus 0,0173 g О, somit vorhanden 0,0346 g U.

b) Linke Niere nach Thoriumbeeinflussung Rohgewicht 2425 g, zer- kleinert 2250 g, wie oben behandelt, zur Kolatur zugesetzt 0,1325 g U, 250 com verbrauchten 13,2 und 13,0 com, im Mittel 13,1 ccm ?/,-Schwefel- säure, 0,0368g N und 0,1139g U. Vorhanden somit 0,2278g U. Es waren zersetzt vor der Thoriumbeeinflussung 0,2094 g, nach derselben 0,0978 g U, auf 100 g pro Stunde berechnet ergibt sich 0,0883 g zersetzt vor und 0,0181 g U nach der Thoriuminjektion.

Hier wäre also ebenfalls wie bei den vorangehenden Ver- suchen rechnerisch ein ungünstiger Einfluß des Thoriums auf die uricolytische Fähigkeit zu konstatieren. Wenn man die großen Verschiedenheiten in der uricolytischen Fähigkeit der einzelnen Organe, wie sie aus den hier gegebenen Zahlen und den oben angeführten erhellt, ins Auge faßt, wenn man weiter die durch Einwirkung des Alkalis während des 24 stündigen Versuches nicht völlig zu vermeidende Harnsäurezersetzung in ihrer Tragweite abwägt, so wird man sich trotzdem nicht ent- schließen können, aus diesen Versuchen einen allgemein negativen Einfluß des Thoriums zu konstruieren. Allenfalls könnte aus ihnen ein hemmender Einfluß als toxischer Effekt hergeleitet werden, der therapeutisch höchstens als hinderndes Moment in Betracht käme. Wenn also die radioaktiven Substanzen bei der Gicht wirklich wirksam sind, die Uricolyse weder im Tierkörper noch im Reagensglase, wie hier gezeigt wurde, weder durch Thorium noch durch Radiumemanation (Schulz-Briesenitz) in posi- tivem Sinne beeinflußt wird, so kann die therapeutische Wir- kung dieser Substanzen nicht auf einer vermehrten Harnsäure- zersetzung durch Organfermente beruhen.

Eigentümlich ist dagegen, daß Mittel, die zu therapeuti- schen Zwecken bei der Gicht verwandt werden, genau so wie das Thorium und in geringerem Maße das Radium, Reizmittel für den Darm darstellen (Colchicum), und daß Abführmittel allgemein die Harnsäureausfuhr steigern; einen Parallelismus zwischen Verdauungsdrüsen und Harnsäureausschwemmung, auf die Abt!) im Anschluß an eine früher von Магвев?) aufgestellte

1) Abt, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 74, 119, 1913. 2) Marses, Arch. f. d. ges. Physiol. 184, 59, 1910.

338 H. Jastrowitz:

Theorie hingewiesen hat. Es fallen also ebenso wie die übrigen pharmakologischen Mittel die radioaktiven Substanzen außer- halb der Brugsch-Schittenhelmschen Gichttheorie, sicher insofern, als es sich um irgendwelche Beschleunigung der Urico- lyse handelt.

C. Experimentelle Beeinflussung des Purinstoffwechsels beim Hunde durch Thorium.

Wenn so die Fermenttheorie vom Standpunkte der Radio- therapie aus einem Versagen in bezug auf das Hauptmoment derselben, die Harnsäurezerstörung, bietet, so mußte die Frage aufgeworfen werden, inwieweit losgelöst von allen theoretischen Betrachtungen über das kausale Moment der Purinstoffwechsel durch das Thorium beeinflußt wird Ganz so klar wie die Dinge bei oberflächlicher Betrachtung zu liegen scheinen, ist die Sachlage nicht. Es muß daher ganz kurz auf die ein- schlägigen Beobachtungen eingegangen werden. Zunächst liegen in dieser Hinsicht eine Reihe klinischer Daten vor.

Gudzent und Löwenthal’) konnten bei Gichtkranken konsta- tieren, daß diese nach einer Emanationskur früher verschleppten aus- geschiedenen Purinkörper nunmehr glatt ausschwemmten und der U-Gehalt des Blutes verschwand. Eine eindeutige Steigerung hatten in einzelnen Fällen Kikkoji?) sowie Wilke?) und endlich Kriege‘) beobachten können. Endlich haben Zehner und Kiazim?°) sogar bis 100°/, Steige- rung der Harnsäureausscheidung beobachtet Für das Thorium konnte Plesch®) bei der Gicht unter dem Einfluß von 560 e.s. E. eine bedeutende Steigerung der U-Ausscheidung feststellen. Ferner fand Plesch bei Leukämie eine erhebliche Steigerung der Harnsäureausscheidung, die er wohl mit Recht auf den Leukocytenzerfall und die hieraus resultierende Harnsäurebildung bezieht.

Wenn man dieses Kapitel indessen kritisch sichtet, so finden sich auch gegenteilige Anschauungen, во z. В. gibt Mandel”) an, daß bei

1) Gudzent und Löwenthal, Zeitschr. f. klin. Med. 71, 304.

2) Kikkoji, Das Radium in Biologie und Heilkunde, Bd. 1, Heft 2, S. 46.

з) Wilke, Zeitschr. f. diät. u. рћһуғіка]. Ther. 12, 430, 1909.

t) Krieg, Med. Klin. 1910, Nr. 29.

6) Zehner und Kiazim, zit. nach Falta und von Noorden in Laz.-Handbuch S. 32.

©) Plesch, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 12, 1. e

”) Mandel, Radium in der Biologie 1, 369, 1911, zit. nach v. Fürth, Probleme der phys. Chem. 1, 187.

Biologische Wirkung des Thoriums. 339

der Gicht trotz Radiumemanationsbehandlung die Harnsäureausscheidung im ganzen unbeeinflußt blieb, zu einem gleichen Resultat kam Skor- cezewski?).

Auffällig ist die Tatsache, die auch aus der Gudzent-Löwenthal- schen Versuchsreihe hervorgeht, daß nämlich die Harnsäureausscheidung des Normalen nicht im entferntesten beeinflußt wird. Auch von anderer Seite, von Noorden und Falta?), wird auf die große individuelle Ver- schiedenheit in dieser Richtung hingewiesen. Da im allgemeinen also bezüglich der physiologischen Fälle das Resultat ein negatives war, be- züglich der pathologischen eine völlige Übereinstimmung der Resultate von den verschiedenen Autoren nicht erzielt werden konnte, so wurde diese Frage erneut zur Diskussion gestellt.

Es handelt sich zunächst darum, unter möglichst gleich- bleibenden Bedingungen die Einwirkung des Thoriums einmal auf den endogenen, zum anderen auf den exogenen Harnsäure- wert festzustellen, wobei sonst eine absolut strikte Innehaltung paralleler Versuchsbedingungen als Basis dienen mußte, denn wenn die bisherigen Versuche nicht eindeutig waren, so liegt das zum Teil an dem praktischen Bestreben, von vornherein möglichst rasche Heilerfolge zu erzielen, wodurch zu viele Varianten als Nebenfaktoren sich geltend machen. Ich habe mich daher noch einmal entschlossen, experimentell an diese Frage heranzutreten und mußte bei der Schwierigkeit, geeignete Individuen zu den Versuchen heranzuziehen, Experimente an Hunden anstellen. Ich bin mir natürlich dabei vollkommen bewußt, daß ein tiefgreifender Unterschied zwischen Hund und Mensch vorhanden ist, speziell, daß die Rolle der Harnsäure und Purinbasen im Stoffwechsel dieses Tieres gegenüber dem des Menschen minimal ist, wie es Wiechowski?) in über- zeugender Weise dargetan hat. Da der Hund kein sehr ge- eignetes Versuchstier für diese Zwecke ist, wird man umgekehrt zugeben, daß, wenn beim Hund ein Einfluß auf die Harnsäure bzw. Basenausscheidung zu konstatieren ist, mit Sicherheit an- zunehmen sein wird, daß derselbe in weit eklatanterer Weise beim Menschen in Erscheinung treten wird.

Was die Versuchsanordnung selbst anlangt, so wurde die eigentliche Untersuchungsperiode eingeleitet durch eine Karenz-

1) Skorczewski, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Ther. 14, 116 bis 134, 1913.

2) von Noorden und Falta, 1. с.

3) Wiechowski, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 41, 374.

340 H. Jastrowitz:

zeit von 8 Tagen, während der die Tiere nur Wasser ohne jedwede andere Nahrung erhielten, um etwa retinierte Purin- körper aus dem Körper auszuschwemmen. Nach dieser Hunger- periode erhielten die Tiere in beliebiger Menge Milch und Reis, bis das Anfangsgewicht erreicht war und konstant blieb. Erst dann wurde mit dem eigentlichen Versuche begonnen.’ In der Regel wurde täglich Gesamt-N, Harnsäure-Purinbasen N in zwei Parallelen bestimmt. Es wurde demnächst der Einfluß einer mittleren Dose Thorium X, die für derartige Hunde nach meinen Erfahrungen noch allenfalls nicht toxisch ist (250 e.s. E.), der endogene Purinwert während einer Woche ermittelt, in einer zweiten Woche wurde dann eine Zwischenperiode ein- geschaltet, um die Thoriumwirkung völlig auszuschalten, da eine solche sich nach Plesch!) beim Gichtiker bis zum letzten Tage desselben nachweisen ließ. Hierauf wurde den Tieren nucleinsaures Natron verabfolgt. Ich zog die subcutane Appli- kation der oralen vor, weil hierbei, eine gute Resorption voraus- gesetzt, kein Verlust von im Darm nicht resorbierter oder bakteriell zersetzter Purinsubstanz eintreten kann. Als gut lös- liches Präparat wurde das hefe-nucleinsaure Natron verwandt. Aus verschiedenen Gründen ist die Menge nicht sehr hoch gewählt worden. Einmal ist das Thorium für Hunde an sich sehr giftig, und zwar besteht bekanntlich eine Komponente dieser Giftwirkung in einer Blutdrucksenkung [Р1евеһҺ!)], die durch das 'nucleinsaure Natron noch verstärkt wurde.

Weiterhin konnte eine sehr starke Überschwemmung des Organismus nicht zu einem Resultate führen, denn je größer die verabfolgte Purinmenge ist, um so stärker wird die zweifel- los vorhandene individuelle Verschiedenheit, die beim Abbau dieser Substanzen zutage tritt; gerade dies mußte, um einen möglichst gleichsinnigen Ausfall des Versuches zu erzielen, ver- mieden werden, die Purinzulage über mehrere Tage zu ver- schleppen, wie dies bei Verabfolgung großer Mengen Nuclein- säure, namentlich bei verlangsamter Resorption vom Unterhaut- zellgewebe aus möglicherweise wohl hätte eintreten können. Diese Faktoren fallen bei den an sich schon niederen Purin-

1) Plesch, Le

Biologische Wirkung des Thoriums. 341

werten mit relativ nicht unerheblichen Tagesdifferenzen beim Hunde besonders schwer ins Gewicht.

Andererseits mußte eine zweite Klippe, umgangen werden, nämlich die, nicht gar zu geringe Mengen Purinsubstanz zu wählen, wodurch bei der geringen Rolle, welche die Purine im Stoffwechsel des Hundes spielen, ein deutlicher Ausschlag nicht zu erzielen gewesen wäre. Wie wir weiter unten sehen werden, ist es nicht gelungen, dies völlig zu erreichen.

Gleichzeitig die Allantoinausscheidung zu verfolgen, wäre an sich sehr interessant gewesen, mußte aber mit Rücksicht auf die für die übrigen Untersuchungen benötigten Urinmengen verzichtet werden. Bezüglich des Versuches selbst sei noch bemerkt, daß die Tiere !/, bis 11 Milch mit 200 g Reis ver- kocht täglich des Nachmittags in den Käfig gestellt bekamen. Was nicht sofort gefressen wurde, wurde sogleich entfernt, um ein Verschütten der Nahrungsreste und Verunreinigung des Urins zu vermeiden. Es ist weniger auf völlige Gleichheit der täg- lichen Nahrungsmenge, als darauf gesehen worden, den Tieren überhaupt soviel Nahrung zuzuführen, als nötig war, um eine Gewichtsabnahme zu vermeiden. Um eine möglichste Abgren- zung der einzelnen Tage zu erzielen, wurde den Tieren vor Beginn der ganzen Versuchsreihe die Vulva gespalten, so daß die gelassene Urinmenge durch den Katheterurin vervollständigt werden konnte. Während der Zwischenperiode wurde täglich der Harn, wie auch sonst in der Regel, auf 1000 eem auf- gefüllt und ?/,, der Tagesmenge als Mischurin 9 Tage lang ge- sammelt und eine Durchschnittsanalyse vorgenommen. Der Urin wurde unter Chloroformzusatz nach Passieren eines Filters von Glaswolle aufgefangen und unter Zusatz einiger Tropfen Essigsäure und Chloroform aufbewahrt. Leider war es nicht möglich, die wirklich täglich ausgeschiedene Wassermenge zu bestimmen, da in den im Winter stark überheizten Räumen, in denen sich die Stoffwechselkäfige befanden, eine Verdunstung der Wassermenge in sehr erheblichem Umfange stattfand.

Eine weitere Schwierigkeit liegt endlich bei diesen Ver- suchen in der Abgrenzung der Harnmenge überhaupt. Selbst bei gleichartigen Bedingungen in der Fütterung waren die täg- lichen Urinmengen und die N-Ausscheidung nicht stets die

gleichen; immerhin zeigt sich an den Tagen der Nucleinfütterung Biochemische Zeitschrift Band 94. 23

342 Н. Jastrowitz:

ein Ansteigen des Purin-N über die gewöhnlichen Werte hinaus, so daß man wohl annehmen muß, daß trotzdem in dieser Richtung eine im allgemeinen exakte Abgrenzung erfolgt ist.

Der Versuch ist bei beiden Tieren völlig gleichmäßig durchgeführt worden. Das Gewicht betrug bei der Dogge 12,0 kg, beim Fox 10,1 kg und war nur leichten Schwankungen unterworfen. Die Tiere bekamen täglich die oben erwähnte Nahrung aus Milch und Reis bestehend, da- neben nur Wasser.

Zunächst (cf. die Tabellen) wurde in 2 Vortagen der endogene Ü- und Purinwert festgestellt, hierauf erfolgte am 3. Tage des eigentlichen Versuches die Injektion von 250 e. s. E. Thorium X. Die Ausscheidung der Purinkörper ist dann 6 Tage lang noch weiter verfolgt worden; auf diese 6 Tage folgt dann eine Zwischenperiode von 9 Tagen, um die Wirkung des Thoriums völlig abklingen zu lassen. Es wurde dann den Tieren 2,00 g nucleinsaures Natron subcutan verabfolgt (23. І.). Nach 3 Tagen war, wie aus den Tabellen ersichtlich, die Purin-N-Ausscheidung sicher nicht mehr abnorm gesteigert. Darauf erfolgte dann am 28. I. die Gabe von nucleinsaurem Natron und Thorium. Dieser Versuch wurde dann noch 5 Tage lang fortgeführt. Die Analysen wurden nach der üblichen Methode gemacht, N nach Kjeldahl, О und Basen-N nach Krüger und Schmidt, zu ersteren Bestimmungen wurden je 5, zur zweiten je 300 ccm verwandt.

Dogge.

IT déi S DN. Gesamt-

Datum N | Ü DN |Вавеп-Мь a Purin N

asen-N 0

D | lo

5.— 6.1. 2,662 | 0,0314 | 0,0105 | 0,0066 | 1,6:1 | 0,0171 | 0,64 6.— 1.1. 1,654 | 0,0250 | 0,083 | 0,0023 | 3,6:1 | 0,0106 | 0,63 7.— 81 2,640 | 0,0257 | 0,0056 | 0,0080 1,1:1 | 0.0166 | 0,63 8.— 9.1. 2,696 | 0,0229 | 0,076 | 0,1070 | 1,1:1 | 0,0146 | 0,5% 9.—10. 1. 2,640 | 0,0271 | 0,090 | 0,0051 1,7:1 | 0,0141 | 0,53 10.—12. 1. 1,853 | 0,0122 | 0,0041 | 0,0028 | 1,5:1 | 0,0069 | 0,37 12.—13. I. | 2,976 | 0,0215 | 0,0072 | 0,0051 | 1,4:1 | 0,0:23 | 0,41 13.—14. I. 3,223 | 0,0300 | 0,0100 | 0,0085, | 1,2:1 | 0,0185 | 0,57 14.—28. І. 3,0^8 | 0,0201 | 0,0067 | 0,0070 | 1,1:1 | 0,0137 | 0.44 23.—24. I. 2,976 | 0,0342 | 0,0114 | 0,0117 | 1,1:1 | 0,231 0,79 24.—26. I. 1,994 | 0,0150 | 0,0050 | 0,0040 | 1,3:1 | 0,0090 | 0,45 26.—28. I. 1,488 | 0,0117 | 0,0059 | 0,0076 | 0,8:1 | 0,0135 | 0,91 28.—29. I. 2,640 | 0,0333 | 0,0111 | 0,0145 | 0,8:1 | 0.0256 | 0,97 29.—30. 1. 1,454 | 0,0228 | 0,0016 | 0,0153 | 0,5:1 | 0,0127 | 0,69 30.—31. I. 1,682 | 0,0356 | 0,0117 | 0,0074 | 1,6:1 | 0,191 | 0,35 81.I.—2.II. | 2,433 | 0,0184 | 0,0062 | 0,0061 | 1,1:1 | 0,0123 | 0,51

Bei Betrachtung der Versuche, die durch keinerlei Übelbefinden der Tiere gestört wurde, fällt zunächst auf, daß die Harnsäurewerte an sich bei beiden Tieren außerordentlichen Schwankungen unterworfen sind, so daß es schwer ist, bindende Schlüsse zu ziehen. Wenn man zunächst die Einzelwerte betrachtet, so zeigt sich, daß beide Hunde am

Biologische Wirkung des Thoriums. 343

Fox. e Ergo, ae Datum N U UN |Basen-N Basen-N geg , 0

5.— 6. I. | 2,808 | 0,0285 | 0,0095 | 0,0047 | 2,0:1 | 0,0142 | 0,50

6.— 7.1 3,302 | 0,0243 | 0,0081 | 0,0023 | 3,5:1 | 0,0104 | 0,45

7.— 8.1. 2,134 | 0,0440 | 0,0147 | 0,0075 | 2,0:1 | 0,0222 | 1,04

8.— 9. I. 1,854 | 0,0215 | 0,0072 | 0,0028 | 1,6:1 | 0,0100 | 0,54

9.—10. I. 2,752 | 0,0243 | 0,0081 | 0,0075 | 1,1:1 | 0,0156 | 0,57 10.—12. I. | 2,606 | 0,0223 | 0,0077 | 0,0044 | 1,8:1 | 0,0121 | 0,46 12.—13. I. | 2,528 | 0,0342 | 0,0114 | 0,0056 | 2,0:1 | 0,0170 | 0,67 13.—14. I. | 2,596 | 0,0262 | 0,0087 | 0,0072 | 1,2:1 | 0,0159 | 0,61 13.— 14. I. 2,596 | 0,0262 | 0,0087 | 0,0072 | 1,2:1 | 0,0159 | 0,61 14.—23. I. | 2,388 | 0,0243 | 0,0081 | 0,0079 | 1,0:1 | 0,0160 | 0,68 23.—24. I. | 2,246 | 0,0388 | 0,0129 | 0,0056 | 2,3:1 | 0,0185 | 0.80 24.—26. І. 1,896 | 0,0218 | 0,0073 | 0,0060 | 1,2:1 | 0,0.33 | 0,70 2—28. I. | 2,078 | 0,0145 | 0,0049 | 0,0042 | 1,2:1 | 0,0091 | 0,44 28.—29. I. | 2,976 | 0,0278 | 0,126 | 0,0162 | 0,8:1 | 0,0288 | 0,97 29.—30. I. | 2,134 | 0,1228 | 0,0076 | 0,0033 | 2,3:1 | 0,0109 | 0,50 30.—31. 14 | 0,808 | 0,0160 | 0,0053 | 0,0043 | 1,2:1 | 0,0096 | 0,34 31.1.—2.IR| 2,302 | 0,181 | 0,0060 | 0,0072 | 1,0:1 | 0,0132 | 0,57

Tage der Thoriuminjektion selbst, der einen normalen Harnsäure- wert (0,0257), der andere einen erhöhten (0,0140) aufweist. Dagegen er- scheint der Basen-N kaum erhöht, wohl aber liegt der U-Ausscheidung entsprechend, der Gesamt-Purin-N mit 0,0222 д beim Fox an der oberen Grenze der Norm. Die nun folgende 7 tägige. Periode zeigt bei der Dogge keinen deutlich erhöhten ‚Harnsäurewert, auch beim Fox ist dies nur an einem Tage (12. bis 13.) der Fall. Auf dieThoriumperiode folgteeineZwischen- periode, worauf dann am 23. I. 2 gnucleinsaures Natron den Tieren verabfolgt wurde. Über die Höhe der Dosis, die gewählt wurde, ist schon gesprochen worden. Es war natürlich ein gewisses Risiko mit der Injektion einer relativ geringen Menge verknüpft, wenn man bedenkt, daß Minkowski!) nach Fütterung von 19g Nucleinsäure nur eine Steigerung der Harnsäure- ausscheidung von 0,0158 auf 0,0945 g erzielen konnte, was ja, wie er- örtert, darin liegt, daß der Hund Purinkörper im wesentlichen zum Allantoin oxydiert. Dementsprechend findet sich an diesem Tage eine hohe (0,0342 р bei der Dogge, 0,0388 g beim Fox betragende) U- und eine dementsprechende Basen-N-Ausscheidung (0,011 g) bei der Dogge, jedoch nicht beim Fox (mit 0,0056 g).

In den nächsten Tagen treten außergewöhnliche Werte bei den Tieren nicht mehr auf. Am 28. І. wurde dann derselbe Versuch unter gleichzeitiger Injektion von 250 е. в. E. Thorium X wiederholt. Am In- jektionstage zeigte sich bei beiden Tieren gegenüber dem reinen Nuclein- versuch ein Unterschied nur іп der gesteigerten Ausscheidung des ` Basen-N beim Fox wieder weit deutlicher (+ 0,0106 g N) als bei der Dogge (+ 0,0028 g).

1) Minkowski, Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. 41, 375. 23*

ar

344 H. Jastrowitz:

Da neben der Betrachtung der Werte der einzelnen Tage diejenige der ganzen Periode für die Beurteilung der gesamten Frage von Wert erscheint, so lasse ich hier eine Zusammenstellung folgen. Als Normal- periode ist hier zusammengefaßt die Zeit vom 5. bis 7. und 14. bis 31. I., da auch in dieser Zwischenperiode sicher eine erhebliche Einwirkung des Thoriums nicht vorhanden war.

Dogge. Fox.

0,0216 0,0217 | 0,0056 | 0,0130 0,0175

0,0257

0,0065 | 0,0153 0,0278 | 0,0056 | 0,0150 0,0223 | 0,0052 | 0,0125

0,0246 0,0076 | 0,0151

Normalperiode . . 0,0247 | Thoriumperiode Nucleinperiode . Nuclein- Thorium-

periode . .

Aus dieser Zusammenstellung ist ersichtlich, daß sich alle Unterschiede bei der Zusammenfassung der Versuche in Perioden verwischen. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Thoriuminjektion eine Steigerung des endogenen Purinwertes beim Fox am Injektionstage selbst hervorgerufen hat, daß dagegen im übrigen eine eklatante Beeinflussung des Purin- stoffwechsels unter den hier gegebenen Bedingungen nicht statt- gefunden hat,

Es zeigt sich also auch hier die individuelle Verschiedenheit bezüg- lich der Empfänglichkeit für das Thorium, wie dies für den Menschen ja bekannt ist. Allein durch die geringe Gewichtedifferenz beider Ver- suchstiere ist dies nicht zu erklären, auch in dieser Hinsicht dürften eben die radioaktiven Substanzen genau so individuell verschieden wirken wie unsere pharmakologischen Präparate. Trotzdem kann man wohl annehmen, daß sich auch beim Hunde, wo der Purinwechsel eine geringe Rolle spielt, unter dem Einfluß des Thoriums sich im allgemeinen eine Tendenz zur vermehrten Anschwemmung der Purinkörper geltend macht. Diese vermehrte Anschwemmung erklärt uns z. T. die Wirkung des Thoriums bzw. der radioaktiven Substanzen beim Gichtiker. Die Ursache dieser Erscheinung könnte man in einer Reizwirkung des Tho- riums auf die Nieren erblicken: dieselbe dokumentiert sich durch paren- chymatöse Degeneration und Blutungen, wie sie von Löhe, Plesch') und auch gelegentlich im Verlauf der vorliegenden Untersuchungen beobachtet wurde.

1) Plesch, Le

Biologische Wirkung des Thoriums. 345

П. Versuche über die Beeinflussung von Harnsäure- Pseudolösungen durch Thorium X.

Die bisherige Diskussion über die Thoriumwirkung war von der Prämisse der rein chemischen Wirksamkeit dieses Mittels ausgegangen, speziell war bei Prüfung des Nucleinstoffwechsels und der Gichtfrage die Untersuchung nur unter diesem Ge-

sichtspunkte vorgenommen worden.

Nun wissen wir durch Gudzent?!) daß zwei isomere Formen des Mononatriumurats in Serum denkbar sind, von denen die Lactimform die unlöslichere darstellt. Indem Gudzent?) die Löslichkeitsbedingungen des Mononatriumurats einfach auf die physiologischen Verhältnisse über- trägt, ist er der Meinung, daß nach Art einer übersättigten Lösung beim Gichtanfall das Natriumurat an den hierfür prädisponierten Stellen aus- füllt. Seine Auffassung ist nicht ohne Widerspruch geblieben, speziell hat Gudzent die kolloidale Natur des Serums bei Aufstellung seiner Daten nicht berücksichtigt. Nun haben Bechhold und Ziegler?) nach- weisen können, daß die praktischen Löslichkeitsbedingungen der Harn- säure bzw. des Urates im Serum sehr erheblich abweichen von den Gudzentschen Angaben. Bei ihren Studien konnten weiterhin diese Au- toren die bemerkenswerte Tatsache registrieren, daß die Radiumemanation auf die Beständigkeit kolloidaler Harnsäure- bzw. Uratlösung (überfüllter Harnsäurelösung der Verf.) fördernd einwirke. Neuerdings haben dann Schade uud Boden) die Frage der kolloidalen Harnsäurelösung von neuem wieder aufgegriffen und konnten zeigen, daß durch Alkali Harn- säurelösungen zustande kommen, aus welchen sich die Harnsäure zunächst gallertig ausscheidet und dann erst in die krystallinische Form übergeht. Ohne auf die physikalische Natur des Thoriums einzugehen oder be- haupten zu wollen, daß vollkommene Analoga dieser physikalischen Zu- stände bei der Gicht existieren, so kenn doch nicht verkannt werden, daß diese Tatsachen uns die Vermutung näherbringen müssen, daß vielleicht ähnliche physikalische Erscheinungen bei der Harnsäureüber- sättigung des Gichtikerblutes eine Rolle spielen, und es schien daher von Interesse, diese Auffassungen vom Standpunkte der Thoriumwirkung aus nachzuprüfen.

Bezüglich der Gelatinierungsfähigkeit der Harnsäure wurden im Anschluß an die Schadeschen Untersuchungen folgende Versuche angestellt.

0,5g U Kahlbaum, 2mal mit Schwefelsäure gereinigt, wurde mit Hilfe von 29 ccm ®/,„-Natronlauge nach der Schadeschen Vorschrift

1) Gudzent, Zeitschr. f. physikal. Chem. 60, 36.

2) Gudzent, Zeitschr. f. physikal. Chem. 60, 38.

3) Bechhold und Ziegler, diese Zeitschr. 20, 189, 1909. t) Schade und Boden, Zeitschr. f. physikal. Chem. 81.

346 H. Jastrowitz:

in Lösung gebracht. Es trat sofort nach Zusatz des gleichen Vo- umens konzentrierter Kochsalzlösung zu 1 eem dieser warmen, ge- sättigten Lösung Gelatinierung ein. Es wurde dann eine so hergestellte Harnsäurelösung bis auf Zimmertemparatur abkühlen lassen, filtriert und der gleiche Versuch mit dem gleichen Resultat angestellt. Hierauf wurde aus je 0,5 g Harnsäure dieselbe Lösung bereitet, nur wurde das ursprüngliche Volumen von 10 ест Flüssigkeit aus 9 ccm dest. Wasser und 1 сет Thorium X-Lösung A 250 bzw. 500 е. в. E. gebildet. Die mit diesen Lösungen angestellten Versuche zeigten keine Veränderung des Gelatinierungsvermögens.. Das Thorium selbst besitzt nicht die Eigen- schaft, eine solche Gelatinierung zu erzeugen; eine auf Zimmertemperatur abgekühlte filtrierte Harnsäurelösung nach Schade wurde mit steigenden Mengen Thorium X versetzt. Hierbei zeigte sich, daß 500, 250, 150 und 100 в. е. E. ohne Einfluß blieben; die Lösung aus 0,5 g О mit 1 ccm à 1000 e. s. E. Thorium X versetzt erkalten gelassen und von dem ca. 17 com betragenden Filtrat 1 ccm mit dem gleichen Volumen gesättigter Kochsalzlösung versetzt; auch hier trat prompte Gelatinierung ein. Das gleiche war der Fall, wenn eine solche Lösung kalt, aber noch über- sättigt, kurz nach der Filtration mit Thorium versetzt wurde. Zu diesem Zwecke wurde ein ca. 20 ccm betragendes Filtrat mit 500 e. s. E. Tho- rium X versetzt, so daß auf den Kubikzen’ meter 25 e. s. E. entfielen und die Verdünnung der Harnsäurelösung wie bei dem vorigen Versuch eine minimale war.

Auch hier zeigte sich kein Einfluß auf die Gallertbildung. Man darf somit wohl sicher annehmen, daß das Thorium auf die Gelatinierungsfähigkeit derartiger Harnsäurelösungen in

keiner Weise im Sinne einer stärkeren Stabilität derselben be- einflußt.

Eine zweite bisher gemachte Beobachtung, die, wie schon oben ausgeführt, für unsere Anschauung vom Wesen der Gicht eine Rolle spielen, nämlich die Harnsäureüberfüllung des Blut- serums von Bechhold und Ziegler‘) erschien mit Rücksicht auf die günstigen Ergebnisse dieser Autoren bei Einwirkung der Radiumemanation von Wichtigkeit. Es wurde zunächst aktives und nicht inaktiviertes Serum für diese Versuche ver- wendet, um sich nicht zu sehr von den physiologischen Be- dingungen zu entfernen, trotzdem nach den Angaben der vorgenannten Autoren gerade die überfüllten Lösungen in in- aktiviertem Serum stabiler sind.

Es wurde ein Reihenversuch mit 2 Kontrollen vorgenommen. Für jeden Versuch wurden 75 cem frischen, zentrifugierten und filtrierten

1) Bechhold und Ziegler, Le

Biologische Wirkung des Thoriums. 347

Rinderblutserums verwandt. Zu 4 Portionen wurden je 1 сеш à 200 e s. E. Thorium X gegeben. Um die Konzentration und die Alkalescenz bei dem ganzen Versuch möglichst nicht zu ändern, wurden auf die 4 cem Thoriumlösung 2 Tropfen "/ Natronlauge hinzugefügt, so daß Phenol- phthalein gerade gerötet wurde. Dementsprechend wurde zu den Kontrollen је Leem destillierten Wassers auf die zusammen ein Tropfen */,„-Natron- lauge entfiel, zugesetzt. Bei der relativ großen Menge der Flüssigkeit (76 cem) dürfte die Konzentrationsänderung der Flüssigkeit, sowie diejenige der Al- kalescenz nicht ins Gewicht fallen. In diese 6 Versuchsportionen wurde je 0,5 g Harnsäure (Kahlbaum) getan und dieselben unter Umschütteln eine Stunde lang im Brutschrank bei 38° belassen. Hierauf wuude bei 38° in Spitzgläser filtriert und die Flüssigkeit in Thermostaten unter Über- schichtung mit Toluol weiterhin stehen gelassen. Während am nächsten Tage die Kontrollen einen dicken Bodensatz bereits aufwiesen, zeigten die mit Thorium beschickten Gläser nur eine an der Oberfläche be- ginnende Trübung. Am 2. Tage waren auch die Thoriumgläsch:n ge- trübt, es hatte sich ein in den Thoriumgläsern bereits geringer Boden- satz abgeschieden. Am 3. Tage war die Erscheinung der Ausfällung noch weiter in den Thoriumgefäßen vorgeschritten; jedoch auch hier zeigte sich noch eine Differenz in der Größe der wieder ausgefallenen Harn- säure. Der Vollständigkeit halber wurde der Versuch mit bei 58° 1 Stunde lang inaktiviertem Serum wiederholt. Die Versuchsanordnung war die gleiche wie oben: nur waren diesmal 6 Portionen A 25 ccm Serum ver- wandt. Die Lösung wurde 3 mal 24 Stunden im Brutschrank gelassen; nach 24 Stunden zeigte sich keine Trübung, nach 48 Stunden eine in den Kontrollen geringe, nach 72 Stunden eine stärkere Bodensatzbildung sowohl in den Kontrollen, wie in den Thoriumgläschen, doch war auch hier noch ein Unterschied zwischen dem Thorium und der Kontrolle in der Höhe der Bodenschicht sichtbar.

Jedenfalls ist die Tatsache, daß das Thorium wie die Radiumemanation (Bechhold und Ziegler) die Ausfällung der Harnsäure bzw. des Natriumurats, um das es sich hier wohl handeln dürfte, aus überfülltem Serum stark verzögert, für die Deutung der Radiotherapie von Wichtigkeit. Welche Rolle hiegbei dem Komplement zufällt, läßt sich vor der Hand nicht entscheiden. Auffallend ist, daß am inaktivierten Serum diese Erscheinung stärker zutage tritt.

Eine weitere physikalische Tatsache, die der Nachprüfung unter dem Einfluß der radioaktiven Substanz Wert gewesen wäre, nämlich die Umwandlung der Lactamform des Urats in die Lactimform, ist wohl schwer der Prüfung zugänglich, weil ja radioaktive Substanzen das Leitungsvermögen im hohen Maße beeinflussen.

348 H. Jastrowitz:

IV. Peptolytische Fermente.

Unter den großen Enzymgruppen, die bezüglich ihrer Be- einflussung durch radioaktive Substanzen von besonderem In- teresse schien, seien zunächst die peptolytischen Fermente er- wähnt. Es sei nur an ihre Rolle bei der Resorption der Nahrung, bei Krankheitszuständen z. В. der Lysis der Pneumonie, an die Steigerung des antitryptischen Titers des Blutserums in kachektischen Zuständen und endlich an die Lehren Abder- haldens erinnert, die diese Fermentgruppe in den Vorder- grund der Tagesdiskussion gedrängt haben. Zunächst sind eine Reihe Versuche über das peptolytische Ferment in vitro an- gestellt worden, um überhaupt Klarheit in einfachen Versuchen über eine etwaige Beeinflussung durch das Thorium zu er-

langen. 4

Eindeutige Ergebnisse sind noch nicht erreicht worden, trotzdem über diesen Gegenstand bereits eine Reihe von Untersuchungen vor- liegen, auf die hier kurz eingegangen werden muß. Bezüglich der Ein- wirkung des Radiums konnten Bergell und Braunstein’) feststellen, daß Radiumsalz und Emanation die Wirkung des Pankreatins verstärke, die Bestrahlung dagegen im negativen Sinne wirke. Die in dieser Rich- tung weiter unternommenen Versuche sind durchaus nicht eindeutig und widersprechen sich im gewissen Sinne. Minami?) berichtet über eine Hemmung bei der Einwirkung des Thoriums auf das tryptische Ferment im Gegensatz zur Radiumemanation.

Bickel?) konnte im Gegensatz zur schwachen Wirksamkeit des Mesothoriums eine Einwirkung des Thoriums in positivem Sinne auf tryp- tische Verdauung gelegentlich in vitro beobachten. Demgegenüber steht der mit Wittepepton unter Anwendung der optischen Methode angeführte Versuch von Plesch*), der keinerlei Beeinflussung nach 5 tägiger Dauer zeitigte. Es war also in dieser Richtung eine Aufklärung erwünscht, sowohl hinsichtlich des Widerspruches der einzelnen Autoren, wie auch hinsichtlich der Dauer und Art der etwaigen Beeinflussung durch das Thorium. -

Ich lasse zunächst einige Versuchsprotokolle folgen:

Die Versuche sind mit dem Seidenpepton nach Abderhalden (von Hoffmann, La Roche) angestellt; dasselbe wurde in 25 bis 30 %/,iger Konzentration angewandt, als Fermentpräparat diente Trypsin (Grübler, Leipzig) und Pankreatin (Rhenania). Zunächst hier ein Versuch über

1) Bergell und Braunstein, Med. Klin. 1905, 310. ?) Minami, Berl. klin. Wochenschr. 1912, 781.

3) Bickel, Berl. klin. Wochenschr. 1912, 779.

4) Plesch, 1. с.

Biologische Wirkung des Thoriums. 349

die kurzdauernde Einwirkung des Thoriums auf Seidenpepton. Es sind große Mengen 900 e s. E. und kleine 12,5 e. в. E. angewandt worden.

Versuch 1. Digestionsdauer 24 Stunden.

a) 10 ccm 30°/,ige Seidenpeptonlösung -+ 10 ccm 5°/,ige Pankreatin- lösung -+ 5 ccm physiologischer Kochsalzlösung. Gesamtvolumen 25 сеш.

Gefunden: 0,0836 g Tyrosin.

b) Derselbe Versuch +900 e.s. E. Thorium X. Gesamtvolumen 26 ccm.

Gefunden: 0,0843 g Tyrosin.

с) Derselbe Versuch + 25 е. s. E. Thorium X.

Gefunden: 0,0903 Tyrosin. Gesamtvolumen 26 ccm.

d) Derselbe Versuch + 12,50 е. в. E. Thorium X. Gesamtvolumen 26 com.

Gefunden: 0,0825 g Tyrosin.

Es läßt sich hier irgendein eklatanter Erfolg nicht fest- stellen. Es folgen hier 2 Versuche mit längerer Digestionsdauer (72 Stunden).

Versuch II.

Digestionsdauer 72 Stunden.

Zu jedem Versuch 20 cem 25°/,iger Seidenpeptonlösung und 5 ccm ige Pankreatinlösung. a) И 1000 e. s. E. Thorium X, gefunden: 0,1348 g Tyrosin.

b) +1000 » » » 0,1077g » с) + 500 e D D 0,1313 g n d) 4 250 n n n 0,1065 g n

Kontrollversuch: Gefunden 0,0901 g Tyrosin.

Versuch III. Digestionsdauer 72 Stunden.

Zu jedem Versuch 20 сет 25°/,iger Seidenpeptonlösung und 5ccm 4°/,iger Pankreatinlösung. а) + 250 е. в. E. Thorium X, gefunden: 0,0742 g

b) + 100 n n n 0,0727 g. с) + 100 n n n 0,0962 g а) + 50 » n n 0,0934g e) + 50 H n n 0,1046 g

Kontrolle a) Gefunden: 0,1038 g Tyrosin. nm b) n 0,1137 g nm

Diese Versuche zeigen sehr deutlich, wie unter Innehaltung genau derselben Versuchsbedingungen die Resultate schwanken können und daß auf geringe Differenzen in dem einen oder dem anderen Sinn nicht viel zu geben ist. Ich habe die Ver-

350 H. Jastrowitz:

suchsdauer noch weiter ausgedehnt, jedoch ohne einen nennens- werten Erfolg, wie Versuch IV zeigt.

Versuch IV.

10 сеш 30°/,ige Seidenpeptonlösung -+ 10 eem 10°/,ige Trypsin- lösung. Digestionszeit 96 Stunden.

Gefunden: 0,2016 g.

10 cem 30°], ige Lösung + 10 сот 10°/,ige Trypsinlösung + 50 e. в. E. Thorium X bei 96 Stunden.

Gefunden: 0,1773 g Trypsin.

10 cem 30°/j,ige Seidenpeptonlösung 4 10 cem 10°/, ige Trypsin- lösung 25 e. s. E. Thorium X.

Gefunden: 0,1685 g Tyrosin.

10 cem 30°/,ige Seidenpeptonlösung 4 10 сеш 10°/,ige Trypsin- lösung + 10 e. s. E. Thorium X.

Gefunden: 0,1940 g Tyrosin.

Es sind noch eine Reihe weiterer Versuche angestellt worden, aber auch diese verliefen ohne eindeutige Resultate. Ich glaube daher, daß von einem wesentlichen Einflusse des Thoriums in vitro auf die tryptische Verdauung zu sprechen nicht angebracht ist.

Wie oben ausgeführt, interessierte aber vor allem die Ein- wirkung auf die peptolytischen Organfermente, sowohl wegen ihrer oben skizzierten wichtigen Eigenschaften in der mensch- lichen Pathologie, als auch deshalb, weil es festzustellen galt, ob ihre Produktion geknüpft ist an die Intaktheit der als in hohem Maße peptolytisch wirksamen Leukocyten, oder ob die inneren Organe ihre Hauptbildungsstätten sind. -Man kann im wesent- lichen auf Grund der Abderhaldenschen Forschungsresultate 3 Gruppen derselben unterscheiden. Erstens sind hierher zu rechnen die auf künstliche Einverleibung artfremder Eiweiß- körper und Peptone entstehenden Fermente, ferner diejenigen, die normalerweise in den Organen vorhanden sind (Abder- halden!), und endlich diejenigen, die klinisch ja das Haupt- interesse bieten, nämlich die Abwehrfermente bei destruktiven Krankheitsprozessen. Leider ist gerade diese letzte Gruppe, deren Erforschung noch nicht abgeschlossen ist, schon aus diesem Grunde einer experimentellen Prüfung kaum zugänglich.

1) Abderhalden, Zeitschr. f. physiolog. Chem. 66, 132.

Biologische Wirkung des Thoriums. 351

Es blieben somit die beiden ersten Gruppen übrig, die hier daher einer Prüfung unterzogen worden sind.

Was zunächst die experimentelle Peptonspaltung anlangt, so wurde dieselbe in typischer Weise nach Abderhalden vor- genommen.

Die Versuchstiere waren zwei Kaninchen, ein weißes von 2200 g und ein graues von 3000 g.

Am 5. І. 14 erste Blutentnahme durch Herzpunktion, es trat kein Abbau ein, beide Tiere erhielten je 10 ccm 10°/,iges mit Methylalkohol gereinigtes Seidenpepton in physiologischer Kochsalzlösung subeutan. Am 6. I. 14 zweite Blutentnahme, das weiße Kaninchen baute ab, jedoch nicht das graue. Am 9. І. 14 erhielt das graue Kaninchen 10 ccm Seiden- peptonlösung subcutan. Am 11. I. 14 daher nochmalige Blutentnahme bei demselben Tier. Nunmehr spaltete auch dieses Serum.

Am 1. П. 14 nach 3 wöchentlichem Warten erneute Blutentnahme bei beiden Tieren. Es trat keine Spaltung mehr еіп. Am 7. 2. erhielt das graue Kaninchen 10com Seidenpeptonlösung und gleichzeitig 3000 e.s. E. Thorium X subeutan. Am 10. II. waren Leukocyten im Ausstrichpräparat nicht mehr nachweisbar; dem Tiere, das kränkelte, wurde erneut Blut aus dem Herzen entzogen, wobei es zugrunde ging. Das weiße Kanin- chen erhielt am 8. II. die gleiche Menge Seidenpepton und Thorium wie das graue, der Versuch wurde in derselben Weise ausgeführt; auch die Erscheinungen, die das Tier bot, wichen nicht von denen beim grauen ab. Nach der Herzpunktion wurde das Tier getötet. А

Beide Sera spalteten Seidenpepton ganz wie іп dem ersten Versuch. Aus beiliegenden Kurven ist die Peptonspaltung im Detail ersichtlich).

Analog von Pincussohn?) angestellte Untersuchungen verliefen ebenfalls resultatlos.

Es erübrigt sich somit, noch auf einige Versuche einzu- gehen hinsichtlich der etwaigen Beeinflussung der normalen peptolytischen Fähigkeit der Organe durch Thorium. Auch hier wurden, wie bei den Versuchen über die Uricolyse, die Nieren untersucht. Die Methodik war hier die von Abderhalden an- gegebene. Bezüglich der speziellen Technik des Versuches sei hinzugefügt, daß erst die eine Niere exstirpiert und deren pep-

1) Die Versuche sind im Institut des Herrn Prof. Dr. Abder- halden vorgenommen; für die freundliche Unterstützung, die mir durch ibn sowie Herrn Dr. Wildermuth, zuteil wurde, spreche ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus.

2) Pincussohn, Steg d Ver. f. inn. Med. v. 17. XI. 13, ref. i. Münch. med. Wochenschr. 1913, 2650.

352 H. Jastrowitz:

tolytische Fähigkeit geprüft, hierauf nach Ausheilung der Wunde Thorium injiziert und endlich nach Tötung des Tieres durch Verbluten die zweite Niere geprüft wurde.

Um einigermaßen Kontrollen bei den einzelnen Versuchen zu haben, wurden die Nieren in 4 möglichst gleich große Quadranten geteilt unter Zuhilfenahme des Längenmaßes. Jedes Nierenviertel wurde dann in möglichst parallelen Schnitten in 3 Segmente zerlegt, 2 bis 3 davon wurden mit 30 ccm 25°/,iger Seidenpeptonlösung und Toluol überschichtet und ‚60 Stunden im Brutschrank digeriert. Das übrigbleibende Viertel (nur im ersten Versuche 2 Vierteile) wurde in physiologischer Kochsalz- lösung bei gleicher Digestionsdauer in den Brutschrank gebracht; diese letzteren Kölbchen dienten als Kontrolle, d h. sie sollten zeigen, ob Fäulnis aufgetreten war oder die Niere durch Autolyse in stärkerem Maße während des Versuches zerfallen war. Beides trat nie ein, wohl aber war die physiologische Kochsalzlösung leicht milchig getrübt und zeigte einige Gewebsflöckchen am Boden.

Als Kriterium der peptolytischen Wirkung wurde die durch Wägung bestimmte Tyrosinmenge betrachtet. Die Schwierig- keiten, die sich hier geltend machen, sind nicht unerheblich und von Abderhalden bereits gewürdigt worden. Ein Teil des Tyrosins scheidet sich frei in der Peptonlösung ab, ein anderer sehr fest anhaftender Teil wurde mit Glasnädelchen von der Niere abgekratzt, zum Schlusse wurden die Nieren- stückchen zerkleinert und mit verdünntem Ammoniak digeriert. Hierbei ging der größte Teil des restlichen Tyrosins in Lösung. Kleine Partikelchen hafteten den Nieren noch immer an. Durch diese Lösungsversuche war das Tyrosin erheblich verunreinigt worden, einmal durch die bei dem mechanischen Lostrennen der Tyrosinkrystalle mitgerissenen Organpartikel, weiterhin durch die Verunreinigungen die durch das Ammoniak aus der Niere herausgelaugt wurden. Es wurde daher das so gesammelte Tyrosin nochmals in Ammoniak gelöst, die warme Lösung fil- triert, das Ammoniak verjagt und dann aus dem ursprünglichen Volumen (30 ccm) Wasser in der Kälte auskrystallisiert. Na- türlich ist dieses Verfahren umständlich, und es haften ihm begreiflicherweise mancherlei Fehlerquellen an; einmal hängt die abgeschiedene Tyrosinmenge von der Größe der Kontakt- fläche der Organschnitte ab, die in den Paralellversuchen nicht völlig gleich gestaltet werden können, die Unmöglichkeit der Lösung aller Krystalle, die Verluste durch die Löslichkeit des Tyrosins in Wasser (1:2654) bedingen weitere Unregelmäßig-

Biologische Wirkung des Thoriums. 353

keiten. Andererseits schien mir auf anderem Wege eine Taxierung der peptolytischen Wirkung nicht möglich.

Versuch VII.

Brauner Hund, operiert дер 17. XII. 13. Länge der Niere 5 om, be- handelt wie oben beschrieben.

a) 0,1128 g |. d

b) 0,1008 g hi M. 0,1068 g Tyrosin.

c) und d) dienten als Kontrollen.

Am ô. I. 14 е. в. E. Thorium X, am 13. I. 13 schwer erkrankt auf- gefunden, Durchfälle, getötet, Niere 5 om lang, Zeichnung verwaschen, Blutungen an der Oberfläche.

a) 0,1079 g

b) 0,0868 g | i. М. 0,0922 g Tyrosin.

с) 0,0818 g

d) Kontrolle.

Ich lasse hier gleich den zweiten gleichartigen Versuch folgen.

Schwarzer Hund, operiert am 18. XII. 12. Rechte Niere exstirpiert, Länge 6 cm, behandelt wie oben.

a) 0,1559 g

b) 0,1558 g | i. M. 0,1615 g Tyrosin,

с) 0,1729 g

d) Kontrolle.

Am 6.1. 14 ebenfalls 1000 e.s. Е. Thorium X, das Tier war eben- falls leidend und hatte starke Diarrhöe. Getötet, Nierenrinde von heller gelblicher Farbe mit Blutungen an der Oberfläche. Länge 6 cm.

a) 0,1247 g

b) 0,1130 g | i. М. 0,1189 g Tyrosin. ·

с) 0.1089 g

а) Kontrolle.

Ein dritter Versuch befaßt sich mit der Verabreichung nicht toxischer Mengen Thorium.

Die Versuchsanordnung war im übrigen wie früher. Hund (Pudel) operiert am 9. XII. 13. Nierenlänge 7 cm.

a) 0,1378 g

b) 0,1209 g | i. М. 0,1294 д Tyrosin.

с) 0,1294 g

d) Kontrolle.

Am 20.1. 14 erhielt das Tier 150 e. в. E. Thorium X, am 28.1. wurde es getötet, ohne Krankheitserscheinungen zu zeigen.

а) 0,1748 е}. e

b) 0,1845 g } і. М. 1797 р Tyrosin.

с) Verloren.

а) Kontrolle,

354 | H. Jastrowitz:

Was nun die Resultate der Versuche selbst anlangt, so ergibt sich rein zahlenmäßig betrachtet beim schwarzen Hund eine Herabsetzung der peptolytischen Fähigkeit der Nieren, die ` das Tier trotz gleicher Schwere der Krankheitserscheinungen vermissen läßt, wogegen das dritto nicht mit toxischer Dosis behandelte klinisch als gesund zu betrachtende Tier eine Er- höhung der peptolytischen Fähigkeit der Niere aufwies. Man wird indessen, wenn man alle hier ins Gewicht fallenden Fak- toren abwägt, aus diesen Versuchen lediglich schließen dürfen, daß das Thorium, sobald es toxisch wirkt, die peptolytische Eigenschaft der parenchymatösen Organe, welche ihnen nor- malerweise zukommt, herabsetzen kann. Im übrigen aber übt es eine Beeinflussung dieser Vorgänge im Organismus nicht aus, wie dies die anfangs erwähnten, zum Teil untereinander divergierenden, zum Teil auch durchaus negativ verlaufenden Versuche bereits bis zu einem gewissen Grade wahrscheinlich machten.

V. Beeinflussung der Peroxydase durch Thorium.

Eine weitere große Gruppe von Fermenten lud zur Unter- suchung in bezug auf die Thoriumwirkung ein: dies sind die oxydierenden Enzyme. Hierzu ermunterte die gelegentlich nach Emanationsbehandlung eintretende Steigerung des Grundum- satzes, fernerhin veranlaßte hierzu folgender Gedankengang:

Wie aus den Untersuchungen von Plesch und Pappenheim?) bekannt ist, schwinden unter Einwirkung hoher Thoriumdosen die Leu- kocyten aus dem Blut, eine Eigenschaft, die dem Thorium seine Ver- wendung als therapeutischer Faktor bei der Leukämie eingetragen haben. Bekanntlich sind die Leukocyten und im weitesten Sinne die lympha- tischen Organe die Quelle der Nucleine und ihrer Spaltungsprodukte, во daß bei Erkrankungen, die mit einem Zerfall Iymphoiden Gewebes einhergehen, die Purinproduktion und Exkretion im Körper gesteigert ist (Leukämie).

Es findet sich also hier ein Verknüpfungspunkt zwischen der mor- phologischen Wirkung (Zerfall) der kernreichen weißen Blutkörperchen einerseits und der supponierten chemischen (Purinstoffwechsel) anderer- seits. Wenn man nun im Kern das Sauerstoffreservoir erblickt [Unna®)], so erschien es von Interesse zu untersuchen, ob die oxydierenden Fer- mente im weitesten Sinne durch Thorium X beeinflußt würden. Nun

1) Plesch und Pappenheim, 1. с. *) Unna, Arch. f. mikroskop. Anat. 78, 1911.

Biologische Wirkung des Thoriums. 355

wissen wir, daß durch diese Enzyme in pflanzlichen wie tierischen Zellen Peroxyde zersetzt und aus ihnen Sauerstoff freigemacht wird, wobei es für die vorliegenden Untersuchungen gleichgültig ist, ob es sich dabei um freigewordenen aktiven Sauerstoff (Peroxydase) oder inaktive Ka- talase handelt.

Unter den oxydierenden Fermenten ist einer leichten und recht exakten Prüfung die Peroxydase vermittels der Bachschen Methodik (Pyrogallolreaktion) zugänglich. Zu di:sen Versuchen wurde ich er- muntert, da einmal schon zahlreichere Untersuchungen über die Wirkung der Strahlung auf Peroxydase vorhanden sind. So hat Karamitsas!) im Anschluß an Untersuchungen von Jodlbauer?) die Hemmung durch Belichtung namentlich mittels ultravioletter Strahlen nachweisen können. Im Gegensatz hierzu konnte Wolfgang Ostwald?) erst eine Hemmung, dann eine Beschleunigung der Wirkung nachweisen. Ferner haben auch Bering und Meyer‘) eine Hemmung beobachtet. Um so interessanter mußte die Beeinflussung dieses Enzyms auf radioaktive Substanzen sein, dessen allgemeine Verbreitung Unna) und Juchtschenke°) geprüft haben. Unna hat nun auf Grund seiner Untersuchungen gemeinsam mit Gollodetz?) die Theorie von dem Peroxydgehalt in den Kernen und in den basophilen Granula geprägt. Gerade mit Rücksicht auf den Kernzerfall durch Thorium gewinnt die Untersuchung der Peroxydase eine wesentliche Bedeutung.

Die Versuche selbst wurden in der Weise angestellt, daß pflanzliche Peroxydase aus den Meerrettichwurzeln durch Ex- traktion mit wäßrigem Alkohol nach Entfetten derselben her- gestellt wurde. Die Versuche wurden genau nach der Bach- Chodatschen®) Vorschrift angestellt und bedürfen wohl keiner weiteren Erklärung.

Versuch 1.

10 ccm 1°/,iger H,O, + 10°/,iger Pyrogallol + 10 ccm 1°/ iger Per- oxydase 24 Stunden. Gefunden: a) 0,0305 g Purpurogallin. b) 0,0333 g n id. -+ 1000 e. в. E. Thorium X 24 Stunden. Gefunden: 0,0176 g Purpurogallin.

1) Karamitsas, In.-Diss. München 1907.

*) Jodlbauer, diese Zeitschr. 8, 62, 1908.

D Ostwald, disse Zeitschr. 10, 1.

© Behring und Meyer, Fortschr. d Röntgenstrahlen 17, 33, 1911. 5) Unna, Derm. Zeitschr. 1912, 1.

©) Juchtschenke, Archiv. des Sciences. biol. 16, 51.

") Gollodetz, Arch. f. mikroskop. Anat. 78, 1911.

*) Bach-Chodat, Ber. d. Deutsch. chem. Ges. 87, 1342, 1904.

356 H. Jastrowitz:

Versuch П.

10 com 10°/,iger Pyrogallol-+ 10 cem H,O, сеш + 10 ccm 1°/,iger Peroxydase + 500 e. s. P. Thorium X.

Gefunden: 0,0726 g Purpurogallin.

id. + 200 е. в. е. Thorium X.

Gefunden: 0,0705 Purpurogallin.

id. + 100 е. в. E. Thorium X.

Gefunden: 0,1081.

Desgleichen ohne Thorium gefunden 0,1276 g Purpurogallin.

Diese Versuche zeigen in ganz eindeutiger Weise, daß mit steigender Menge Thorium die Fähigkeit der Peroxydase nachläßt.

Ein dritter Versuch behandelt die Frage, ob die Peroxydase nur gehemmt wird während der Versuchsdauer oder ob die Peroxydase an sich durch Thorium zerstört wird. Diesem Zwecke dient der folgende Versuch.

Versuch III.

0,4 g Peroxydase wurden in 40 com Wasser gelöst, hiervon wurden 20 com 12 Tage lang steril im Eisschrank unter Einwirkung von 1000 e. s. E. Thorium X aufbewahrt, die 20 com der Kontrolle blieben die gleiche Zeit unter denselben Bedingungen; es ergab sich bei der Thoriumportion unter der üblichen Versuchsanordnung.

а) 0,0954 el, ? b) 0,0987 g } i. М. 0,0946 g Purpurogallin.

Bei den Kontrollproben:

a) 0,0895 6 \ . b) 0,0895 g | 1. М. 0,0850 g Purpurogallol.

Dieser Versuch zeigt also, daß das Thorium nur wirksam ist, wenn es während des Versuches selbst einwirkt, nicht aber wenn seine Wirkung auf das gelöste Ferment bereits abge- klungen ist.

Es ist an sich nicht erstaunlich, weil die Peroxydase über- haupt in mancher Richtung sehr resistent, z. B. auch kokto- stabil ist. Bemerkt sei hier noch endlich, daß durch Thorium X selbst in 24 Stunden wesentliche Mengen H,O, nicht zersetzt werden. In zwei blinden Versuchen wurden 10 ccm 10°/,igen Pyrogallols +10 сеш 1°/,iger H,O, + 1000 e. s. E. Thorium X 24 Stunden bei Zimmertemperatur belassen. Nie wurde eine Purpurogallinabscheidung bemerkt, obgleich sofort nach Zugabe des Thoriums eine deutliche Verfärbung der Flüssigkeit ein- trat. Spielt das Thorium in dieser Richtung überhaupt eine Rolle, so fällt dieselbe hier jedenfalls nicht ins Gewicht.

Die vorliegenden Versuche illustrieren die Hemmung der

Biologische Wirkung des Thoriums. 357

Peroxydasewirkung durch das Thorium in einheitlicher Weise. Theoretisch interessant ist am Thorium gerade diese Tatsache in Verbindung mit dem toxischen Einfluß radioaktiver Stoffe auf die Kernsubstanzen im allgemeinen, besonders die Leuko- cyten, wie das Chromatin der Embryonalzellen einerseits, an- dererseits der vermehrten Anschwemmung von Purinkörpern aus dem Organismus. Gerade dies rückt die Unnasche Theorie von dem Kern als Sauerstofforgan der Zelle trotz mancher hiergegen geäußerter Bedenken [Оррепћеітег!)] bemerkenswert in das Licht.

VI. Zusammenfassung.

Aus den vorliegenden Untersuchungen ergibt sich tatsäch- lich folgendes:

1. Auf die Uricolyse hat das Thorium weder im Organ noch im Tierexperiment einen Einfluß, auch ein solcher auf Nu- clease konnte nicht festgestellt werden.

2. Hunde zeigen trotz der geringen Rolle der Purinkörper in ihrem Stoffwechsel unmittelbar nach Thoriuminjektion eine Tendenz zu übernormaler Ausschwemmung der Harnsäure.

3. In überfüllter Harnsäurelösung (Bechhold und Ziegler) verlangsamt Thorium X den Ausfall des Urates.

4. Die peptolytischen Fermente beeinflußt es in vitro nicht, auch nicht das peptolytische Spaltungsvermögen des tierischen Serums nach Peptoninjektion. Die experimentelle peptolytische Fähigkeit des Organismus ist somit nicht an den Leukocyten- apparat gebunden. Die normale peptolytische Tätigkeit der Niere wird durch toxische Dosen Thorium ungünstig beeinflußt.

5. Die Peroxydase wird in vitro durch das Thorium ge- hemmt.

Theoretisch ergibt sich im Verein mit den oben im ein- zelnen angeführten Versuchsergebnissen anderer Autoren für die Wirkungsweise des Thoriums bei der Gicht, daß dieselbe sich höchstwahrscheinlich zusammensetzt aus mehreren Komponenten: Einmal in einer vermehrten Ausschwemmung der Purinsubstanzen, wohl zum Teilinfolge Nierenreizung, auf welche die toxische Wirkung des Thoriums auf die Niere hinweist, weiterhin zum Teil infolge

1) Oppenheimer, Die Fermente, Leipzig 1913, 2, 812. Biochemische Zeitschrift Band 94. 24

358 H. Jastrowitz: Biologische. Wirkung des Thoriums.

Steigerung des gesamten Grundumsatzes, endlich einer größeren Stabilität in Lösung der Harnsäure bzw. des Urates. Die zumeist häufig auftretende sogenannte Reaktion unter dem Einflusse radioaktiver Substanzen kann man sich durch das plötzliche Zugrundegehen der Zellkerne im Körper, der des radioaktiven Reizes nicht gewohnt ist, erklären, man muß dann annehmen, daß erst hierauf die oben geschilderten starken Ausschwem- mungen der Purinkörper die erhöhte Bildung kompensiert.

Zum Schlusse sei auf den allgemeinen biologischen Zu- sammenhang hingewiesen, der besteht zwischen dem Zugrunde- gehen der nucleinreichen Zellen (Leukocyten, Drüsentumoren) einerseits, wie der vermehrten Purinanschwemmung und Hem- mung der Peroxydase andererseits.

Es ist diese Anschauung eine biologische Stütze für die von Spitzer!) zuerst geäußerte und später von Jacques Loeb °) experimentell an Algen und Infusorien fundierte Anschauung von dem Kern als Aktivationsapparat des Sauerstoffes, einer Theorie, die, wie oben erwähnt, auch Unna zur Zeit vertritt.

1) Spitzer, Arch. f. d. ges. Physiol. 67, 617, 1897. D Loeb, Arch. d. Entwickl. 8, 689, 1899.

Die diabetische Lipoidämie.

Von Ivar Bang t.

(Aus dem medizinisch-chemischen Institut der Universität Lund.)

(Eingegangen am 8. März 1919.)

Die höchst sonderbare Erscheinung, daß das Blut von ex- trem abgemagerten Individuen, vor allem von Diabetespatienten, einen großen Fettreichtum aufweisen kann, hat die Veranlassung zu zahlreichen Untersuchungen gegeben, und da diese keine zu- friedenstellende Erklärung geliefert haben, viele Hypothesen über dieses Problem zur Folge gehabt. Gegenwärtig hat man als Ursache der Lipoidämie drei Möglichkeiten herangezogen: Die Lipoidämie kann eine alimentäre sein; sie kann durch eine mangelhafte Fettaufnahme der Gewebe verursacht sein, oder sie ist durch eine unzureichende Lipolyse des Blutes bedingt. Gegen diese Erklärungsversuche lassen sich aber schwerwiegende Argumente anführen. Es ist nicht erwiesen und auch unwahrscheinlich, daß eine herabgesetzte Lipolyse des Blutes existiert und daß eine solche Lipolyse überhaupt von Bedeutung für die Er- klärung der Lipämie ist. Es ist ganz unwahrscheinlich, daß die Lipämie eine rein alimentäre sein soll; unter anderen Verhältnissen tritt doch keine annähernd gleich große Lipämie auf. Die dritte Möglichkeit, eine herabgesetzte Aufnahme von seiten der Gewebe, ist wahrscheinlicher. Es kommt aber Lipämie vor, wo nur wenig Fett zur Resorption gelangt. Hier könnte man zwar annehmen, daß die Fettdepots ihr Fett abgegeben haben. Aber auch diese Eventualität kann die Erscheinung nicht vollständig erklären. Die sog. diabetische Lipämie entspricht nicht allein dem Auftreten von Fett im

24*

360 Ivar Bang:

Blute, auch die anderen Lipoide, besonders Cholesterin und Phosphatide, kommen öfters in großer Menge vor. Und be- kanntlich enthalten die Fettdepots nur wenig Cholesterin und ebenfalls wenig Phosphatide.. Das Problem der diabetischen Lipoidämie läßt sich folglich nicht durch die obigen Hypo- thesen zufriedenstellend erklären. Es ist überhaupt nicht un- wahrscheinlich, daß mehrere Ursachen hier zusammenwirken können, wodurch das Überwiegen der einzelnen Lipoidstoffe in dem gegebenen Falle bedingt ist. Wir haben vielleicht nicht ein, sondern mehrere Fragestellungen zu berücksichtigen. Hier- über wissen wir jetzt so gut wie nichts. Sicherlich liegen aber diese Probleme tiefer. Sie sind aller Wahrscheinlichkeit nach mit Anomalien des Zellstoffwechsels verknüpft, die noch nicht von der Forschung in Angriff genommen sind.

Was man am meisten betreffe der diabetischen Lipoidämie entbehrt, sind die Tatsachen. Vereinzelte Analysen liegen zwar vor, sie haben uns aber recht wenig gegeben. Systematische Ana- lysen der Lipoidstoffe bei Diabetespatienten während längerer Zeit und unter verschiedenen Versuchsbedingungen müssen hier- für wie für die übrigen Verhältnisse des Fett- sowie des Zucker- und Eiweißstoffwechsels den Weg zur Vertiefung bilden. Mit Hilfe der in meinen früheren Mitteilungen publizierten Methoden war es möglich, diesen Weg auch hier zu betreten.

Im Laufe der zwei letzten Jahre sind von mir systematische Analysen von Blutfett an 23 Diabetikern angestellt worden. Außerdem wurden an sämtlichen Patienten in der Klinik täg- liche Bestimmungen des Blutzuckers, des Harnzuckers und des Acetons ausgeführt. Weiter wurden die täglichen mit der Nah- rung eingeführten Mengen von Fett, Kohlenhydraten und Eiweiß festgestellt. Dadurch wurde es ermöglicht, die eventuellen Relationen der Lipoidämie zu den verschiedenen übrigen patho- logischen Faktoren beim Diabetes zu studieren. Für die Über- lassung des Untersuchungsmaterials bin ich meinem Freunde, Prof. K. Petren, zu großem Dank verpflichtet. Trotzdem die Untersuchungen an zahlreichen Individuen angestellt worden sind und bei den meisten Patienten während einer längeren Zeit bis zu 3 Monaten täglich ausgeführt wurden; ist es nicht möglich gewesen, die Bedeutung der Lipoidämie exakt festzustellen. Da diese Frage aber sicher am besten von Klini-

Die diabetische Lipoidämie. 361,

kern aufgenommen werden kann, stelle ich dieselbe in den Hintergrund und führe im folgenden nur an, was für eine evtl. künftige Forschung zu Nutzen kommen kann. Dagegen habe ich mir vor allem die Aufgabe gestellt, die Bedingungen für das Auftreten der Lipoidämie sowie die nähere Analyse der- selben zu studieren. Es sei gleich bemerkt, daß eine Lösung dieses Problems nicht gelungen ist; dagegen glaube ich, gewisse Beiträge zur Erklärung liefern zu können.

In einer Beziehung sind meine Untersuchungen wesentlich beschränkt worden: Sämtliche Diabetiker bekamen im großen und ganzen dieselbe Diät, die zudem recht einförmig war. Infolgedessen sind die Versuchsbedingungen nicht genügend variiert worden, was wahrscheinlich die Ergebnisse beeinträchtigt. Es wäre sicher wünschenswert, wenn analoge Versuche an anderen Orten, an Kliniken mit abweichender Ernährung der Diabetiker, angestellt würden. Aus therapeutischen Gründen wurde die Diät nicht experimenti causa verändert. , Zum evtl. Vergleich führe ich in den folgenden Tabellen die täglichen Rationen von Fett, Eiweiß und Kohlenhydraten an. Wie aus diesen ersichtlich, bekamen die Patienten nur sehr beschränkte Mengen von Fleisch und Kohlenhydraten (und von den letzteren nur ausnahmsweise in Form von Brot), dagegen große Mengen Fett. Das Fett war zum Teil Speck, was von Bedeutung ist, da Tristearin an Hunden keine alimentäre Lipämie bewirkt.

Sowohl schwere wie leichte Fälle von Diabetes wurden untersucht. Aus dem angeführten Werte für Blutzucker, Harn- zucker und Aceton kann man sich über die Fälle. orientieren. Leider habe ich nur Gelegenheit gehabt, einen Fall von Coma diabeticum zu prüfen. Da dieser Patient vorher während einer längeren Zeit untersucht war, hat der Fall eine gewisse Bedeu- tung, obgleich leider die Untersuchung der Lipämie unmittel- bar vor Anfang des Komas nicht möglich war.

Gewöhnlich wurden Proben morgens vor dem Frühstück, vormittags vor der Mittagsmahlzeit etwa um 12 Uhr und abends um 6 Uhr, vor dem Abendessen, genommen. Man bekam also erstens die Nüchternwerte und zweitens eine eventuelle Steigerung nach der Fettaufnahme. Es ist aber nicht so sicher, daß man immer das Zeitmoment der höchsten täglichen Steige- rung getroffen hat. Da man bisweilen die größte Steigerung

-862

Ivar Bang:

Nr. I. E. W., 13 Jahre.

Nahrungszufuhr

Blut Harn ч | 5 Phos- | Harn- | Blut- | Ace- | Ei- | | Kohlen- Chol; |A. TE phor [zucker zucker, ton | weiß Fest hydrate 0/ 0/ о 0/ OI lo | °l lo | De a Ы, D ву. [1] | | 038 | 018 | озо [ 302] aal 20] -la| o 2.| 0,07 | 0,07 | 0,35 | 0,18 | 0,30 | (21) 3.1 0,09 | 0,09 | 0,39 | 0,16 | 0,35 ge Al 9. V. | 1. 0,04 | 0,12 | 0,31 | 0,16 | 0,23 | 45,1 | 0,25 | 2,82 8,5 | 8 13 2.| 0,08 | 0,10 | 0,27 | 0,16 | 0,18 | (42) 3.| 0,04 | 0,13 | 0,31 | 0,18 | 0,20 | 10. V. | 1.| 0,05 | 0,10 027 | 018 | 0,14 | 203 | 023 | 2,76 | 5,4 | 107 22 2.| 0,06 | 0,07 | 0,33 | 0,18 | 0,22 | (71) 3.| 0,06 | 0,08 | 0,32 | 0,15 | 0,25 | 11: V. | 1.| 0,02 | 0,08 | 0,21 | 0,16 | 0,08 0 0,24 | 1,79,] 5,4 114 24 2.| 0,08 | 0,12 | 0,24 | 0,16 | 0,12 | (60) 3.| 0,03 | 0,08 | 0,22 | 0,12 | 0,15 | 12. V. | 1.| 0,02 | 0,07 | 0,28 | 0,11 | 0,26 0 0,24 | 0,91 6,6 92 17 2.| 0,07 | 0,07 | 0,25 | 0,14 | 0,17 (30) 3.| 0,04 | 0,07 | 0,22 | 0,12 | 0,15 | 18. У. I 1.| 0,06 | 0,07 | 0,21 | 0,13 | 0,12 0 0,23 | 0,76 4,9 93 18 2.| 0,08 | 0,08 | 0,23 | 0,13 | 0,15 (26) 3.1011! | 0,24 | 0,13 | 0,20 14. V. | 1.| 0,04 | 0,07 | 0,21 | 0,07 | 0,21 0 0,20 5,6 109 39 2.| 0,06 | 0,10 | 0,29 | 0,13 | 0,24 | (55) 3.| 0,05 | 0,07 | 0,29 | 0,11 | 0,27 | 15. V. | 1.| 0,02 | 0,07 | 0,24 | 0,07 | 0,26 0 0,19 0 21 0 2.| 0,04 | 0,05 | 0,26 | 0,11 | 0,23 | (21)

von

Die Werte in Parenthese Butter und Sahne.

. VI.

8. У.

а я 5535 ah EE eg

692696969164

0,04 0,13 0,11 0,03 0,02 0,03 0,01 0,08 0,13 0,22

0,07 0,05 0,11 0,07 0,10 0,08 0,11 0,05 0,14 0,08 0,08 0,09 0,08 0,12 0,15 0,12

0,08 0,06 0,07 0,08 0,09 0,12

0,28

0,30 |

0,34 0,29 0,27 0,24 0,33

0,23 0,27 0,20 0,21 0,21 0,18 0,19 0,19

0,29 0,29 0,26 0,39 0,35 0,42

STESS SSH н e Ф со OO 0

оооооооо

0,25 0,29 0,34 0,14 0,20 0,21 0,34

0,18 0,23 0,16 0,13 0,18 0,11 0,12 0,15

0,30

0,30 0,26

0,22 0,25

0,27

. G. W., 24 Jahre.

46,3

39,9

0,29

0,81

0,27

0,07 0,09

0,19 0,93

0,62

2,56

41 | 247 (92,5) 0 0 о 27 | 957 (92,5) 23 | 937 (92,5) 36 | 259 (92,5) т9 | 226 (125) 4 | 214 (125)

die täglichen Mengen

70

75

Die diabetische Lipoidämie. 363 Nr. III. G. W., 24 Jahre. (Fortsetzung.) Blut Harn Nahrungszufuhr Datum o Phos- | Harn- | Blut- | Ace- | Ei- | Kohlen- A. fr. | Ester phor [zucker |zucker| ton | weiß | Fett | hydrate 0/0 | o D, g D, g l | 9. V 1. =). 0,1221 = 54,0 | 0,36 | 7,48 39 218 47 2. 0,31 | 0,12 | 0,28 (125) 3. 0,29 | 0,11 | 0,27 | 10. У. |1. | 0,28 | 0,11 | 0,25 | 38,0 | 0,41 | 8,04 24 201 60 2. 0,32 | 0,04 | 0,42 (117) 3. | 0,31 | 0,05 | 0,39 AL NL 0,24 | 0,11 | 0,20 | 17,8 | 0,36 | 4,02 0 0 0 З. | 0,23 | 0,12 | 0,17 WS 1.1. 0,25 | 0,12 | 0,20 | 18,9 | 0,31 | 2,15 0 0 0 3. 0.23 | 0,09 | 0,26 18. V. | 1. 0,28 | 0,11 | 0,18 | 154 | 0,29 | 2,15 0 56 0 3. | 0,29 | 0,09 | 0,30 (0) 14. V % 0,21 | 0,07 | 0,21 92 | 0,26 20 171 95 2. 0.29 | 0,13 | 0.24 | (92,5) 3. 0,29 | 0,11 | 0,27 15. V X: 0,24 | 0,07 | 0,26 95 | 0,23 31 173 108 3. 0,26 | 0,11 | 0,23 | | (92,5) Nr. IV. A. R., 33 Jahre. 25. У. [1. 0,20 0,38 | 0,15 | 0,35 | 61,8 | 0,31 | 1,22 0 0 | 0 3.1 0,08 | 0,10 | 0,40 | 0,15 | 0,87 | 26. 1.] 0,08 | 0,07 | 0,82 | 0,16 | 0,24 | 22,1 ! 0,80 | 0,99 0 о, о 3.] 0,07 | 0,07 | 0,39 | 0,23 | 0,24 27. 1.{ 0,11 0,40 | 0,30 | 0,15 | 30,8 | 0,32 | 0,62] 26 182 | 88 2.| 0,15 | 0,12 | 0,41 | 0,82 | 0,14 (92,5) | 3.| 0,21 | 0,05 | 0,44 | 0,34 | 0,15 | 28. V. | 1.| 0,10 | 0,06 | 0,44 | 0,20 | 0,36 | 46,6 | 0,31 | 0,65 | 33 177 94 2.| 0,12 | 0,08 | 0,49 | 0,23 | 0,39 (92,5) | 3.1 0,15 | 0,05 | 0,47 | 0,26 | 0,32 | 29. V. |1.[ 0,11 | 0,22 | 0,85 | 0,16 | 0,29 | 72,2 | 0,30 | 1,35 | 34 175 | 119 2.1 0184 0,48 | 0,16 | 0,40 (92,5) | 3.1 0,09 | 0,21 | 0,47 | 0,15 | 0,48 30. У. | 1.[ 0,11 | 0,06 | 0,45 | 0,20 | 0,37 | 63,0 | 0,28 | 1,21 24 15 68 2.| 0,39 _ 0,40 | 0,13 | 0,40 (92,5) | 3.| 0,44 | 0,12 | 0,44 | 0,20 | 0,33 | 31. V. I1.| 0,13 | 0,13 | 0,34 | 0,16 | 0,27 | 56,4 | 0,28 | 1,16 | 24 175 68 2.1 0,32 | 0,15 | 0,42 | 0,10 | 0,48 (92,5) 3.] 0,32 | 0,15 | 0,48 | 0,11 | 0,56 1. VL] 1.] 0,23 | 0,09 | 0,40 | 0,23 | 0,26 | 92,5 | 0,27 | 0,58 | 24 175. 171 2.1 0,21 | 0,08 | 0,51 | 0,21 | 0,45 (92,5) 3.1 0,28 | 0,10 | 0,51 | 0,21 | 0,45 2. V1.| 1.] 0,30 | 0,12 | 0,40 | 0,14 | 0,41 | 76,7 | 0,27 | 0,44 | 36 170 79 2.1 0,32 | 0,10 | 042 | 0,16 | 0,44 (92,5) 3.1 0,26 | 0,10 | 0,56 | 0,21 | 0,44 3. VI.| 1.| 0,20 | 0,07 | 0,43 | 0,20 | 0,35 | 36,6 | 0,28 | 0,40 0 0 0 3. 0,20 0,36 | 0,11 | 0,38 4. VI. | 1. 0,20 0,87 |118,9 | 0,27 | 0,14 0 0. 0 3.1 0,10 | 0,07 | 0,44 | 0,20 | 0,36 | 5.'VI.| 1.| 0,06 | 0,15 | 0,46 | 0,32 | 0,21 | 14,0 | 0,27 | 0,19 | 38 176 | 10 2.| 0,14 | 0,08 | 0,37 _ (92,5) 3.1 0,19 | 0,07 | 0,87 | 0,23 | 0,21

364 Ivar Bang:

am Mittag, öfters aber am Abend gefunden hat, so wäre es denk- bar, daß z. B. in gewissen Fällen die maximale Steigerung früher oder später eingetroffen ist. Aus äußeren Gründen war es jedoch unmöglich, mehr als drei Proben täglich zu nehmen. In den Tabellen bedeutet 1. die Nüchternprobe morgens, 2. die Probe um 12 Uhr und 3. die Probe um 6 Uhr abends; während der Hungertage wurden Proben nur morgens und abends ge- nommen. Schließlich möchte/ ich bemerken, daß die Proben im Krankenhaus von einer anderen Person genommen wurden. Da aber dieselbe sehr geübt war, kann man davon ausgehen, daß in der Regel kein Fehler aus diesem Grunde unterlaufen ist.

Meine Untersuchungen können in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die erste Gruppe umfaßt nur Untersuchungen an 4 Diabetikern, wobei aber sämtliche Lipoidstoffe während einer kurzen Zeit bestimmt wurden. Den Untersuchungen der zweiten Gruppe entsprechen sämtliche übrigen Diabetiker. Hier wurde nur die Petrolätherfraktion bestimmt, bisweilen Fett und Chol- esterin für sich, meistens aber beide zusammen. Dafür wurden diese Versuche während längerer Zeit fortgesetzt.

Gruppe L

Sämtliche Diabetiker waren schwere Fälle, was ganz über- zeugend aus dem Alter der Patienten, den hohen Blutzucker- werten und aus der Acetonausscheidung hervorgeht.

Was zuerst den Fettgehalt betrifft, liegen die Nüchtern- werte gewöhnlich höher als bei normalen Menschen, wo der Durchschnittswert 0,02 °/ war. Dieser oder ein noch geringerer Wert wurde 3mal in 8 Tagen bei G.W. gefunden. E.W. zeigte normale Nüchternwerte 4mal von 9 Tagen, EA бта] von 6 Tagen (davon 3mal in einem Tage), AR dagegen kein- mal in 12 Tagen. Die Nüchternwerte wurden außerdem an drei anderen schweren Diabetikern festgestellt: Keinmal in 7 Tagen bei G. N; keinmal in 5 Tagen bei M. K. und keinmal in 5 Tagen bei J. A!) Die Nüchternwerte liegen also beim schweren Diabetiker gewöhnlich höher als beim Normalen. Die absolute Höhe ist variabel. Werte höher als 0,10°/, wurden nur selten gefunden. Aus-

1) Siehe Gruppe II, S. 369.

Die diabetische Lipoidämie. 365

nahmsweise (bei А. R) findet man jedoch Werte bis zu 0,30 °/,. In einem Falle von Koma wurde 0,54°/, (Fett und Choleste- rin zusammen) als Nüchternwert erhalten. Im Laufe des Tages nach Einnahme von fettreicher Nahrung steigt die Lipämie etwas weniger stark an. Diese Steigerung ist eben- falls sehr variabel. Bei E. W., wo allerdings verhältnismäßig wenig Fett verabfolgt wurde, war die maximale Steigerung nur 0,11°/,. Веі E. A., der jedoch viel mehr Fett bekam, nur 0,15 °/. G.W. zeigte dagegen 0,33 %/, und А. R. 0,44 9/0 (G. N. 0,15 °/,, М. K. 0,17°/, und J. A. 0,59 °/,). Diese Steige- rung entspricht unzweifelhaft einer alimentären Lipämie. Die Zunahme des Blutfettes ist jedoch beinahe überall größer, oft sogar viel größer als bei Normalen. Hier wurde nach Einnahme von 150g Fett (als Butter und Sahne) nur 2mal eine Steigerung von Fett und Cholesterin, zusammen bis 0,24 °/,, gefunden. Den Fettwert kann man dem- zufolge auf ca. 0,12°/, schätzen. In den meisten Fällen (10 von 12) war dagegen die Steigerung sehr unbedeutend. Man kann demgemäß aus diesen und vielen anderen Versuchen (Gruppe II) folgern, daß der diabetische Organismus die Fähigkeit des normalen Organismus entbehrt oder in geringerem Maßstabe besitzt, das Fett aus dem Blut parallel der Resorption aufzunehmen und zu depo- nieren. Da diese Fähigkeit in erster Linie der Leber zukommt, ist die Erscheinung als ein Symptom einer Leberinsuffi- zienz zu betrachten. ` Inwieweit aber diese Leberinsuffi- zienz für Diabetes charakteristisch ist oder nicht, bleibt noch zu untersuchen. Experimentell kann man die Erscheinung durch Vergiftung mit Narkotica hervorrufen (siehe frühere Mit- teilung über Lipämie Nr. 18). Der Fettgehalt des Blutes steigt schon in den nächsten Stunden nach der Fettaufnahme. Meistens findet man das Maximum der Steigerung abends, bisweilen aber schon um 12 Uhr. So gut wie immer sinkt der Fett- gehalt später während der Nacht wieder stark zurück und liegt am folgenden Morgen nur verhältnismäßig unbedeutend über dem normalen Nüchternwert. Man darf also mit großer Wahr- scheinlichkeit folgern, daß dieser übernormale Nüchternwert ebenfalls von einer herabgesetzten Ablagerung des Fettes in den Depots bedingt ist. Hierfür spricht die Tatsache, daß

366 Ivar Bang:

der Fettgehalt während der Hungertage noch weiter bis zum normalen Wert herabsinkt. Auch der hypernormale Nüchternwert der Diabetiker ist folglich als eine alimentäre Hyperlipämie zu betrachten.

Gehen wir zu der wichtigen Frage über, wodurch diese alimentäre Hyperlipämie bedingt ist, so hat man, wie gesagt, vor allem an eine Leberinsuffizienz zu denken, da in den früheren Mitteilungen über Lipämie die vorherrschende Be- deutung dieses Organs für die Fettassimilation erwiesen worden ist. Als eine besonders wichtige Tatsache müssen die früheren Versuche mit Zufuhr von Fett-Eiweiß und Fett-Zucker her- vorgehoben werden. Der Zufuhr von Zucker wirkt das Auf- treten der Hyperlipämie entgegen. Und bekanntlich ist eben beim Diabetes die Glykogenbildung der Leber herabgesetzt oder sogar bisweilen aufgehoben. Eine nähere Analyse dieser Verhältnisse bei den vier Diabetikern zeigt folgende Er- gebnisse. E. A. ist unzweifelhaft ein schwerer Fall von Dia- betes. Der Blutzuckerwert liegt hoch (0,26°/, bis 0,30 °/,). Die Kohlenhydrattoleranz ist jedoch nicht ganz unbedeutend, indem 40 bis 60 g Kohlenhydrate täglich ohne erhebliche Glykos- urie resorbiert werden. Die Fettwerte liegen mit einer Aus- nahme (7 VI Nr. 2) nicht viel höher als normal, trotzdem eine recht bedeutende Fettmenge resorbiert wird. Bei E. W., der auch ein schwerer Diabetesfall ist, liegen die Werte für Blutfett auch verhältnismäßig wenig über den Normalwerten. Hier wurden anfangs 20 g bis 45 g Zucker ausgeschieden, oder noch mehr als der zugeführten Kohlenhydratmenge ent- spricht. Später wurden 17 g bis 39 g Zucker täglich ohne Glykosurie resorbiert. Man könnte demgemäß hier eine be- deutende Lipämie erwarten. Wenn dies aber nicht der Fall war, hat man doch auf die verhältnismäßig geringe Fettmenge der Nahrung zu verweisen. Besonders ist der Gehalt des Fettes an Sahne und Butter, die allein eine alimentäre Hyperlipämie bewirken, recht gering. Der Fall G. W. ist wahrscheinlich ein noch schwererer Fall als die vorher genannten. Hier findet man Blutzuckerwerte von 0,23°/, bis 0,41°/, und eine bedeutende Zuckerausscheidung. In den ersten 4 Tagen wird mehr Zucker ausgeschieden als der Einfuhr entspricht. Weiter werden recht große Fettmengen auch als Butter und

Die diabetische Lipoidämie. 367

Sahne zugeführt. Dementsprechend findet man auch während dieser Zeit große Steigerungen des Blutfettes bis zu 0,46 °/,. In den letzten 2 Tagen findet man nach drei Hungertagen, wo die Fettwerte gering sind, ein Sinken des Blutzuckers und eine bedeutende Steigerung der Kohlenhydrat- toleranz (von 80 g bis 90 g). Hiermit parallel geht ein Sinken der Fettwerte des Blutes, obgleich dieselbe Fettmenge wie früher gegeben wurde. Dieser Fall spricht also unzweideutig für den Konnex zwischen Kohlenhydrattoleranz und Lipämie. А. R. ist auch ein schwerer Diabetesfall. Der Blutzucker liegt zwischen 0,27 °/, und 0,31°/,, Die Kohlenhydrattoleranz ist gering, indem oft dieselbe Zuckermenge oder mehr aus- geschieden wie aufgenommen wird. Die Fettmenge der Nah- rung ist nicht gering. Schließlich ist die alimentäre Lipämie überall hoch und steigt sogar Біз 0,44°/, am 30. V. Damit übereinstimmend findet man auch die Nüchternwerte bedeutend höher als normal.

Die Tatsachen sprechen also bei sämtlichen 4 Fällen für einen Konnex zwischen Kohlenhydrattoleranz und Lipämie. Wo die Toleranz groß ist, vermißt man die Hyper- lipämie und umgekehrt. Doch kann man unmöglich aus den wenigen Fällen allein bindende Folgerungen für die Erklärung derartig schwieriger Verhältnisse ziehen, und um so weniger, da das Vergleichsobjekt das Verhalten der Kohlenhydrate selbst sehr kompliziert ist. Ein recht großes Material zur Be- urteilung dieses Konnexes bietet die folgende Gruppe II dar. Ehe diese Ergebnisse besprochen werden, sollen jedoch zuerst die übrigen Lipoidstoffe der Gruppe I behandelt werden.

Das Cholesterin kommt normal in einer Menge von 0,07 °/, bis 0,12 9, vor. Wie ersichtlich, bewegen sich die Ziffern für Cholesterin bei den 4 Diabetesfällen meistens innerhalb dieser physiologischen Grenzen. Nur bei A. R. findet man ein paarmal etwas größere Werte. Außerdem wurde das Cholesterin bei den Fällen С. N., М. К. und J. A. (siehe Gruppe II) bestimmt. Während G.N. und M.K. so gut wie immer normale Cholesterinwerte zeigten, kam beim Falle J. A. immer eine be- trächtliche Hypercholesterinämie vor. Bekanntlich findet man in der Literatur mehrere Angaben über einen vermehrten Cholesteringehalt beim Diabetesblut. Nach meinen Analysen

368 Ivar Bang:

zu urteilen, scheint dies jedoch viel seltener als bei Hyper- lipämie vorzukommen. Anderseits ist interessant, konstatieren zu können, daß eine Hypercholesterinämie während ‘etwas längerer Zeit (3 Tagen) vorkommen kann. Aus den Analysen kann man mit Wahrscheinlichkeit folgern, daß die Hyper- cholesterinämie auch einen alimentären Ursprung hat. Schließ- lich findet man beim J. A. überraschenderweise, daß die Hyper- cholesterinämie in eine Hypocholesterinämie übergeht. Es ist zu bedauern, daß der interessante Diabetesfall nicht wäh- rend einer längeren Zeit untersucht worden ist.

Die Alkoholfraktion ist normal durchschnittlich 0,30 /,. Bei den Diabetikern liegen mit Ausnahme von E. A., wo die Werte eher unternormal sind, die Ziffern höher, bisweilen sogar bedeutend höher als normal. Die Werte zeigen unter den ver- schiedenen Fällen große Variationen, die jedoch nicht mit der Assimilation der Nahrungslipoide in Verbindung gesetzt werden können. Unter den Lipoidstoffen der Alkoholfraktion findet man ebenfalls recht große Unterschiede von den Normal- werten. Am wenigsten sind diese Unterschiede bei den Cho- lesterinestern zu finden. Bisweilen kommen zwar übernormale Werte vor, meistens bewegen sich die Werte innerhalb der normalen Variationsbreite. Doch bietet der Fall G. W. eine Ausnahme, indem hier überwiegend subnormale Werte für Cholesterinester vorkommen. Um so mehr variieren die Phos- phatide, die bei sämtlichen 4 Fällen übernormale Werte aufweisen, obwohl nicht konstant. Bei A.R. und G. W. findet man bis 100°/, über das Maximum der normalen Phosphatid- werte, Nun ist aber daran zu erinnern, daß die Phosphatid- gruppe auch die Seifen umfaßt. Möglicherweise entsprechen die Steigerungen eben diesen Seifen. In jedem Falle ist aber wichtig, konstatieren zu können, daß der Gehalt an Seifen und Phosphatiden mit wenigen Ausnahmen nicht von der Nahrungs- aufnahme beeinflußt wird und keinen Parallelismus mit der Lipämie aufweist. Es scheint nicht unwahrscheinlich, daß das Verhalten der Phosphatidfraktion mit den großen Stoffwechsel- anomalien beim Diabetes in Verbindung steht und besonders von den Umsetzungen der Körperzellen selbst abhängt.

Die Untersuchungen über die Lipoide bei den 4 Diabetesfällen haben also große Anomalien der

Die diabetische Lipoidämie. 369

Fettfraktion und der Phosphatidfraktion erwiesen, wovon die erste Anomalie alimentären Ursprungs ist, während die zweite nicht mit den Nahrungslipoiden in Verbindung steht.

Gruppe II.

Diese Gruppe umfaßt 19 Fälle von Diabetes, wo aller- dings nur die Petrolätherfraktion in einigen Fällen jedoch Fett und Cholesterin für sich ermittelt wurde. Dafür aber wurden die Bestimmungen 3mal täglich, oder bei Hunger- pausen nur 2mal täglich während längerer Zeit fort- gesetzt. Außerdem verfüge ich über die Werte für Blut- zucker, Harnzucker, Acetonausscheidung sowie die aufge- nommene Menge von Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten. Da der Cholesteringehalt recht konstant ist, bedeuten evtl. vor- kommende Variationen der Petrolätherfraktion aller Wahr- scheinlichkeit nach ähnliche Veränderungen des Blutfettspiegels. Man hat also die Bedingungen zum Studium der Lipämie in ihrer Beziehung zu den genannten Faktoren. Unter den 19 Diabetesfällen kommen sowohl leichte wie mittelschwere und schwere Fälle vor. Zur Beurteilung der Lipämie ist es wichtig, eine möglichst exakte Klassifikation der Fälle aufzu- stellen. Nach К. Petrén, der mir gütigst das Kranken- material zur Verfügung gestellt hat und der eine sehr große Erfahrung über Diabetes besitzt, kann man den Diabetes nach dem Blutzucker beurteilen: 0,12 °/, bis 0,16 °/, Blutzucker ent- sr “echen leichte Fälle von Diabetes, 0,19 9/, bis 0,23 °/, mittel- schwere Fälle, 0,27°/, bis 0,29°/, schwere Fälle, 0,30 °/, bis 0,32 °/, sehr schwere Fälle, 0,34 °/, und mehr bedeuten Fälle mit akuter Lebensgefahr. Die Blutzuckerwerte entsprechen den unbehandelten Fällen von Diabetes. Dieser Klassifikation folgend waren 4 von meinen Fällen leichter Diabetes, 7 Fälle sehr schwerer Diabetes und 8 Fälle mittelschwere und schwere Fälle. Unterabteilung I leichte Fälle Nr. I bis IV Tabelle II.

Nr. 1, B. D., besitzt unzweifelhaft eine leichte Hyperlipämie im Nüchternwert, wie besonders die Fettanalysen am 26. X., 28. X. und 30. X. beweisen. Die täglichen Steigerungen der Fettwerte sind jedoch

mit einer Ausnahme (21. X.) recht unbedeutend und liegen nicht viel höher als bei normalen Individuen gefunden wurde. Der Kohlen-

370 Ivar Bang:

Datum |

15. X.

Nr. I. B. D., 41 Jahre.

Harn- | Blut-

Fett + Chol. | zucker |zucker o

D lo 0,12 8,9 | 0,22 | 0,32 | 62 | 280 | 52 0,16 4 0,14 0,14 144 | 0,22 | 0,25 58 288 60 011 0,19 0,12 0,22 | 0,25 44 229 48 0,11 0,17 0,13 0,20 | "0,17 0 0 0 0.16 0,12 _ 0,13 | 0,32 0 0 0 0,20 0,18 0,10 | 0,58 11 125 38

16. X.

17. X.

18. X. 19.

x

20. X.

21. X. 0,21 | 0o15 | 0,24 | 14 | 165 | 47

011 | 014 | 0,22 | 13 | 148 | 46 0,11 | 015 | 019 | 15 | 195 A 012 | 014 | 0,29 6 | 180 | 9

0,28 | 013 | 0,24 0 0 0 0,121) | 0,18 | 0,09 0 0 0 0,12 |01|024| 17 |15 | 4

D mm: мре м

0,09 d _ 0,14 | 0,11 15 176 47 0,13 = 0,15 | 0,10 18 204 43 0,11%) | 0,13 | 0,30 16 206 50 0,15 0,16 | 0,19 20 228 66 0,14 0,14 | 0,18 21 239 77

2. XI. 0,14 = 0,15 | 0,06 27 298 86

DO кот ро во т ро вте ро о не о по ро вое бо о бо е со 4 СО ПО на рО il DO на DO ВО СО ВО га ДО Hin GI ГЭ СО ТО не бо TOi GONO i © m

1) Fett allein, 15, X. Blutzucker 0,19°/, Diabetesbehandlung angefangen,

Die diabetische Lipoidämie. 371

Nr. II. M. K., 25 Jahre.

1. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 26. I. 0,16°/, Blutzucker. Diabetesbehandlung angefangen. Nr. IIl. M. G., 39 Jahre. —— 14. III. |1. 0,16 0,12 | 0,55 54 339 63 2. 0,14 3. 0,15 15. IV. |— 0,13 | 0,53 66 409 61 16. ІУ. [— 0,12 | 0,62 56 341 58 17. TV. |1. 0,14 0,10 | 0,43 65 393 63 2. 0,16 3. 0,15 18. IV. |1. 0,17 0,10 | 0,35 60 417 68 2. 0,15 3. 0,15 19. IV. |1. 0,18 0,12 H 63 379 60 2. 0,17 3. 0,17 30. IV. |1. 0,10 | 0,14 | 0,08 25 | 358 56 „|| 0% 3. 0,13 1. V. |1. 0,12 0,15 H 22 285 59 2. 0,13 8. 0,13 2. У. |1. 0,10 0,17 | 0,10 22 317 57 2. 0,11 8. 0,16 3. V. |1. 0,08 | 0,16 | 0,06 18 | 308 40 2. 0,12 3. 0,12 4. У. |1. 0,11 0,15 | 0,06 0 0 0 8. 0,09 |

12. Ш. 0,119, Blutzucker. Diabetesbehandlung angefangen.

372 Ivar Bang:

Nr. IV. W. B., 49 Jahre.

1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. ‚|1. 2. 0,11 3. 0,13 1. 0,09 45 2. 0,11 8. уа 1. 0,84 60 9. 0,31 8. 0,28 1. 0,08 0 8. 0,09 1. 0,13 55 д 0,18 3. 0,25 ‚|1. 0,15 35 2; 0,19 3. 0,13 1. 0,14 50 2. 0,14 3. 0.16 1. 0,11 50 2. 0,11 3. 0,11

17. III. 0,20°/, Blutzucker. Diabetesbehandlung angefangen.

Nr. V. J. A., 29 Jahre.

9. I.|1.] 0,10 | 0,06 9,4 | 0,26 | 0,56 19,5 | 202 74 2.| 0,47 | 0,21 3.| 0,59 | 0,14 10. 1.|1.| 0,08 | 0,08 | 34,0 | 0,22 | 0,49 31 281 183 2.| 0,33 | 0,19 3.1 0,20 | 0,21 11. 1.|1.| 0,13 | 0,19 | 50,6 | 0,20 | 0,35 26 206 95 2. 0,15 | SE 3. 0,25

Die diabetische Lipoidämie. 373

Nr.V. J. A., 29 Jahre (Fortsetzung).

Fett | Chol. | Hern-

zucker |zucker Aceton |Eiweiß| Fott

Datum

I. Blutzucker 0,31°/,. Diabetesbehandlung angefangen. Nr. VI. A. L., 15 Jahre. 7,2 | 0,33 | 1,48 20 250 41

Kopewe

0,13 5,0 | 0,34 | 0,98 20 245 29

0,12 0,80 | 1,57 26 214 45

0,11 5,1 | 0,32 | 1,07 21 246 35

0,14 _ 0,32 | 0,90 19 190 30

0,13 0,17 | 0,12 38 259 78

23. П.

о | форт фо pO m gO m DO pt | ро pO p фо DO m фо pi GO m бо DO mt фо DO jt бого ге SO DO m фо DO mt © Na, © bo со E E p“ © © ©

Biochemische Zeitschrift Band 94. 25

374 Ivar Bang:

Nr. VI. A. L., 15 Jahre (Fortsetzung).

Harn- | Blut- 265 Маат здк АЕ Aoeton |Eiweiß| Fett

1 0,12 32,1 | 0,21 | 193 | 27 | 234 | 61 2 0,32

8 0,18

1 0,15 149 | 019 | 0,56 | 25 | 228 | 46 2 0,39

8 0,17

1 0,11 14,6 | 0,20 | 0,73 0 oj 0 3 0.14

1 0,14 !oıs | 043 | 29 | 193 | 46 2 0,16

3 0,16

1 0,10 ов | 021 | 015 | 28 | 210 | 50 2 0,24

8 0,12

1 0,10 | 019 | 06 | 26 | 204 | 32 2 0,17 ; 3 0,12

1 0,18 | 0,17 | 089 | 26 | 232 | a 2 0,14

3 0,16 |

1 0,14 | 0o18 | 0,54 | 31 | 218 | 32 2. 0,21

3. 0,12

1 0,12 | %20 | 011 | 27 | 176 | 25 2 0,16

8 0,20

1 0,11 | 0,91 | 0,28 0 0 0 3 0,18

1 0,11 | 016 | 0,66 | 24 | 110 | 19 2 0,13

3 0,11

1 0,10 | 021 | 0,81 | 27 | 150 | 36 2 0,14

3 0,22

1 0,14 28,2 | 0,23 | 1,01 | 31 | 134 | 33 2 0,13

3 0,13

1 0,15 429 | 0,26 | 1,45 | 30 | 154 | 38 2 0,16

3 0,16

1 0,13 7,6 | 031 | 042 | 15 64 | 17 2 0,12

3 0,14

1. 0,15 | 0,32 0 0 0 0 2. 0,15

I

3. IV.

4. IV.

Nr. ҮП. K. J., 48 Jahre.

8. II. | 0,11 3,4 | 0,11 | 2,52

1 53 262 40 2. 8.

Die diabetische Lipoidämie. 375

Nr. VII. K. J., 48 Jahre (Fortsetzung).

Kohlen- Harn- | Blut- ARE Fett -+ Chol. Aceton | Eiweiß | Fett | hy- Datum zucker | zucker datz °lo g ИС g g g g 9. IIL |1. 0,14 9,8 | 0,18 | 1,42 22 96 26 2. 0,16 8. 0,24 10. П. |1. 0,13 23,9 | 0,20 | 2,04 20 175 41 2. 0,11 3. 0,22 11. II. |1. 0,12 31,5 | 0,20 | 1,06 18 172 60 2. 0,13 3. 0,27 12. II. |1. 0,11 31,1 | 0,23 | 1,04 22 251 69 2. 0,14 3. 0,26 13. П. |1. 0,17 16,7 | 0,21 | 0,98 28 220 34 2. 0,14 3. 0,18 14. П. |1. 0,11 124 | 0,19 | 0,67 22 248 52 2. 0,16 3. 0,19 15. П. |1. 0,11 0,20 | 0,36 0 0 0 8. 0,12 16. П. |1. 0,15 _ 0,18 | 0,46 0 0 0 3. 0,14 3. II. Blutzucker 0,30°/,. Diabetesbehandlung angefangen. Nr. VIII. A. S., 25 Jahre. 60 kg. 28. I. |1. 0,12 144 | 0,28 | 0,20 0 0 0 3. 0,06 29. I. |1. 0,09 0,19 | 0,13 0 0 0 3. 0,11 30. I. |1. 0,12 | 0,17 | 0,10 39 411 91 2. 0,15 3. 0,88 31.1. |1. 0,17 0,18 | 1,36 26 241 70 2. 0,87 8. 0,23 1. П. (1. 0,14 | 0,20 | 0,37 45 333 45 2. 0,19 3. 0,22 : 2. II. |1. 0,12 0,22 | 0,09 34 354 83 2. 0,16 3. 0,19 3. П. |1. 0,09 | 0,20 | 0,28 54 466 114 2. 0,15 3. 0,27 4. IV. 11. 0,13 0,20 | 0,88 55 517 114 2. 0,17 3. 0,14 5. IV. |1. 0,14 _ 0,23 | 0,16 48 354 102 2. 0,23 3. 0,26

376 Ivar Bang:

Nr. VIII. A.S., 25 Jahre. 60 kg. (Fortsetzung).

1. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 8. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. L 2. 3. 1. 2. 3.

Nahm vom 28. I. bis 28. VI. 15 kg ab (von 63 kg bis 48 kg). 27. I. Blutzucker 0,35°/,. Diabetesbehandlung angefangen.

hydratgehalt der Nahrung ist recht gering, die Fettmengen aber groß. Nr. II, M. K., ist dem Blutzucker nach ein leichter Diabetes. Da der Patient jedoch nur 25 Jahre ist, dürfte die Prognose etwas zweifelhaft sein. Die Fettwerte liegen überall höher als normal. Die täglichen Steigerungen sind doch nach Einnahme von großen Fettmengen

Die diabetische Lipoidämie. 377

recht unbedeutend. Die Kohlenhydrattoleranz ist groß, indem 130 bis 190 g Kohlenhydrate ohne Glykosurie vertragen wurden. Nr. III, М. G., ist ein sehr leichter Diabetiker. Sehr große Fettmengen werden ohne größere Steigerung der Fettwerte des Blutes vertragen. Die Lipämie ist überall durchaus normal. Nr. IV, W. B., gehört vielleicht dem Blut- zucker nach zu den mittelschweren Formen, ist aber jedenfalls ein Grenzfall. Hier findet man vom 1. IV. bis 7. IV. sehr niedrige Werte für Blutfett, dann steigen die Werte plötzlich in die Höhe, um nach einem Tage wieder zu sinken. Besonders merkwürdig ist die Tatsache, daß der Nüchternwert am 7. IV. so außerordentlich hoch liegt. Viel- leicht steht diese Steigerung damit in Verbindung, daß der Patient am 6. IV. Urlaub nach der Stadt bekam. Hier konnte er zwar kein Brot und ebensowenig Butter oder Speck bekommen, dagegen erscheint es nicht unwahrscheinlich, daß etwas Alkohol getrunken wurde. Der Verdacht hat mir die Veranlassung zu der Untersuchung über das Verhalten des Alkohols zur-Lipämie gegeben (siehe Lipämie IV). Tatsächlich wurde auch experimentell gefunden, daß Zufuhr von Alkohol an Kaninchen nicht aber an Hunden eine Hyperlipämie bewirkte. Es erscheint nicht unwahrscheinlich, daß der diabetische Organismus noch stärker auf Alkohol reagiert.

Die Untersuchungen an den leichten Diabetesfällen haben das Er- gebnis geliefert, daß eine Hyperlipämie in 2 Fällen nachgewiesen wurde, während sie an 2 anderen Fällen fehlte. Für den einen dieser Fälle ist jedoch zu bemerken, daß die chemische Untersuchung erst anfing, nach- dem der Patient 14 Tage die Diabetesdiät innegehalten hatte.

Unterabteilung 2, sehr schwere Fälle V bis XI.

Nr. V. J. A. Die Untersuchung fing erst an, nachdem der Patient beinahe 3 Wochen behandelt worden war. Der Blutzuckergehalt ist etwas gesunken, und eine nicht unerhebliche Kohlenhydratmenge wird täg- lich verbrannt. Nichtsdestoweniger findet man anfangs eine höchst bedeutende alimentäre Lipämie; ebenso liegt der Nüchernwert recht hoch. Im Laufe der folgenden Woche, wo die Diät unverändert geblieben ist, sinkt die Hyperlipämie sehr deutlich ab, bleibt aber die ganze Zeit über- normal. Während dieser Zeit ist die Kohlenhydrattoleranz nicht ge- stiegen.

Nr. VI, A. L., ist unzweifelhaft ein sehr schwerer Fall von Diabetes. Aber trotz der reichlichen Fettzufuhr in Verbindung mit der geringen Kohlenhydratmenge der Nahrung sind die ‚Werte für Fett nebst Chole- sterin schon eine Woche nach Anfang der Behandlung nicht wesentlich höher als bei normalen Individuen. In der folgenden Zeit kommen zwar einige Steigerungen vor, im großen und ganzen ist die Hyper- lipämie unbedeutend. Der Blutzuckergehalt und die meistens vor- kommende Aglykosurie (z. B. in der Zwischenzeit, die hier nicht mit aufgenommen ist) deutet eine Besserung an. Daß diese aber nur vorüber- gehend ist, zeigen die Blutzuckerwerte vom 2. bis 4. April.

378 Ivar Bang: Nr. IX. G. N., 31 Jahre.

[Kohlen- Aceton |Eiweiß| Fett | hy-

Datum

9. XI. 10. XI. 11. XI.

12. XI.

13. XI.

14. XI.

15. XI.

16. XI.

17. XI.

18. XI.

19. XI.

© © Ф ооо БООКЕ ЕРЕК RETIE НЕМЕ

20. XI.

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21. ХІ.

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22. XI.

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28. ХІ. 0,09 | 0,08 | 12,6 | 0,20 | 0,52 33 84

24. XI.

CO DI Баео PDO ea TOE OE сова ооо ES DE OS DIN SID ADDIEREN © E E?

0,05 | 0,06 | 20,8 | 0,23 | 0,23 30 111

8. XI. Blutzucker 0,30°/,. Diabetesbehandlung angefangen.

Nr. X. Н. N., 24 Jahre.

2. IV.I1. 0,22 125,9 | 0,30 | 3,02 2. 0,22 3. 0,32

28 | “u 67

18.

19.

20.

IV.

IV.

1. 3. 1

3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 8. 1. 3. 1. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 3, 1. 2. 3.

Мт. Х. H.N., 24 Jahre (Fortsetzung).

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Die diabetische Lipoidämie.

Blut- Aceton |Eiweiß| Fett

zucker |zucker

0,15

0,16

0,17

0,29

0,41

0,15

12

11

12

18

18

240

288

251

39

36

37

380

Ivar Bang:

Nr. X. H.N., 24 Jahre (Fortsetzung).

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22. IX.

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5

46

0,54 0 0,50 0,44

0,32 0

X. Koma tritt ein. 8. X. gestorben. ‚Пп

Kohlen- hy- drate

36 63

I. Blutzucker 0.229, Diabetesbehandlung angefangen.

Nr. ХІ. А, S., 53 Jahre. 0,14 0,19 | 0,59 20 0,17 10,20 0,10 0,19 | 0,88 20 0,12 0,17 0,13 0,20 | 0,27 21 0,16 0,28 0,11 0,22 | 0,28 20 0,14 0,27 0,08 0,21 | 0,21 22 0,18 0,27 0,10 0,18 | 0,50 22 0,14 0,27 0,18 0,20 | 0,18 26 0,18 0,14 0,14 0,22 | 0,81 27 0,16 0,17 0,09 0,18 | 0,41 26 0,15 0,15 0,13 -— 0,17 | 0,54 32 0,12 0,15

209

218

203

167

45

61

43

Die diabetische Lipoidämie. 881

Nr. XI. А. S., 53 Jahre (Fortsetzung).

Harn-

Fett + Chol. nt (e

Datum

E EES SE

23. VIII. Blutzucker 0,32°/,. Diabetesbehandlung angefangen.

Nr. VII, K. J., hat zwar anfangs eine starke Hyperglykämie, die jedoch rasch unter der Behandlung absinkt. Die große Glykosurie zeigt aber eine geringe Kohlenhydrattoleranz an. Nichtsdestoweniger findet man auch Werte für Cholesterin und Fett zusammen, die nur wenig über den Normalwerten liegen. Der Fettgehalt der Nahrung ist recht groß.

Nr. VIII, A.S., kommt mit drohender Gefahr des Komas in die Klinik ein. Während der zwei Hungertage sinkt der Blutzucker stark ab. Die Werte für Fett und Cholesterin sind in dieser Zeit normal. Dann findet man am 30. І. nach Einnahme von mehr als 400 g Fett eine außerordentlich große Hyperlipämie von 0,88°/, abends. Im Ver- laufe der Nacht sinkt jedoch der Wert bis zur Norm hinab, um am fol- genden Tage wieder in die Höhe zu gehen. In der folgenden Zeit findet man zwar vereinzelte, recht bedeutende Steigerungen des Fettgehaltes (auch in der Zwischenzeit, die hier nicht berücksichtigt ist). Abgesehen davon sind die Werte normal oder unwesentlich erhöht. Nennenswerte Besserungen hat die Behandlung, wie aus der Tabelle ersichtlich, nicht gegeben. Die Kohlenhydrattoleranz ist jedoch nicht ganz unbedeutend.

Nr. IX, G. N. An diesem schweren Diabetiker, wo das Fett für sich bestimmt wurde, findet man die ersten Tage nach dem Anfang der Be- handlung eine bedeutende Hyperlipämie. Die Kohlenhydrattoleranz ist nur unbedeutend. Schon in der zweiten Woche sinken die Fettwerte be- deutend herab, bleiben aber während der ganzen Zeit der Beobachtung hypernormal. Bemerkenswert ist der geringe Unterschied zwischen den Nüchternwerten und den Werten nach der Fettaufnahme. Da der Blut- zuckergehalt während dieser Zeit sinkt und die Kohlenhydrattoleranz steigt, kann man von einer Korrespondenz zwischen diesen und den Fettwerten sprechen.

Nr. X, AN Nach einer initialen bedeutenden Hyperlipämie zwei Tage nach dem Anfang der Behandlung bleiben die Fettwerte die folgende Zeit durchaus normal, was um so bemerkenswerter ist» da der Patient eine negative Kohlenhydrattoleranz aufweist. Nach und

382 Ivar Bang:

nach bessert sich der Zustand und der Patient verträgt schließlich nach einem Monat etwa 40 g Kohlenhydrate. Ein halbes Jahr später wird der Patient wieder mit beginnendem Koma eingeliefert. Den 7. X., wo keine Nahrung aufgenommen wurde, bleibt trotzdem die Hyper- lipämie recht konstant und ziemlich hoch. Ebenfalls den 8. X., wo der Patient starb. Es scheint, als ob der komatöse Zustand sich u. a. da- durch auszeichnet, daß das Blutfett während längerer Zeit unverändert im Blute zirkuliert, ohne deponiert zu werden. Die Leber hat folglich diese Fähigkeit mehr oder weniger vollständig verloren. Dies bildet das Extrem des Zustandes, den man auch sonst beim Diabetes in geringerem Grade beobachten kann.

Nr. XI, A. S., ist wohl kaum als ein sehr schwerer Fall anzusehen, da die Patientin 53 Jahre alt ist. Der Blutzucker ist nach drei Wochen 0,20°/, oder weniger. Aglykosurie. Die Fettwerte sind meistens normal, nur ein paarmal findet man Steigerungen, die jedoch keine 0,30 °/, er- reichen.

Ein Vergleich zwischen den Fettwerten bei sehr schweren und eichten Diabetesformen zeigt keine ausgeprägten Unterschiede, obwohl man überall etwas größere Werte bei den schweren Formen findet. Jedoch kann man keine nachweisbare Übereinstimmung zwischen der Hyperlipämie und den Werten für Blutzucker, Glykosurie und Aceton entdecken. Auch tritt keine nachweisbare Beziehung zwischen Blut- fett und Kohlenhydrattoleranz vor.

Unterabteilung 3. Mittelschwere bis schwere Fälle, XII bis XIX.

Nr. ХП, С. B. Hier liegt zwar der Blutzucker bei etwa 0,20 °/,; doch ist die Glykosurie und ebenso die Acetonurie во bedeutend, daß man wohl den Fall als einen schweren Diabetes bezeichnen darf. Die Fettwerte sind etwas übernormal, doch kommen größere Steigerungen selten vor.

Nr. XIII, K. P., ist wahrscheinlich ein etwas schwererer Fall als Nr. XII. Der Blutzucker liegt etwas höher und bleibt während der Be- handlung unverändert. Die Kohlenhydrattoleranz ist gering, bisweilen negativ. Hier findet man vereinzelt höchst: bedeutende Fettwerte. Da- zwischen kommen aber längere Perioden mit recht normalen Fettwerten vor. Es ist aus den übrigen Daten unmöglich, eine Erklärung für die großen Steigerungen der Lipämie zu finden.

Nr. XIV, M. S., ist für die Beurteilung der diabetischen Lipämie ein sehr interessanter Fall. Der Blutzucker liegt meistens unter 0,20 °/,. Glykosurie kommt nicht vor. (Allerdings sind die Kohlenhydratmengen der Nahrung recht gering) Da die Patientin 58 Jahre alt ist, darf man wohl den Fall als einen weniger schweren Diabetes als die vorher besprochenen bezeichnen. Trotzdem aber die täglichen Fettmengen der Nahrung verhältnismäßig gering sind, ist die Hyperlipämie bedeutend und bleibt die ganze Zeit der Beobachtung unveränderlich hoch, wäh- rend man sonst nach und nach ein Sinken der Hyperlipämie beobachten kann. Wir haben hier die vielleicht größte Hyperlipämie bei einem verhältnismäßig leichten Diabetesfall.

Die diabetische Lipoidämie. 383

Nr. ХП. C. B., 26 Jahre.

0,20 46,5 | 0,23 | 1,47 82 294 125

0,13 9,1 | 0,24 | 1,55 0 0 0 0,15 107,5 | 0,24 | 3,06 55 265 158

0,11 25,3 | 0,25 | 1,21 0 0 0 0,11 0,22 | 0,23 0 0 0 0,11 41,4 | 0,16 | 1,25 51 64 117

0,18 76,0 | 0,22 | 2,13 64 64 148 0,09 87,6 | 0,26 | 0,87 62 64 182:

0,15 106,7 | 0,25 | 0,90 64 64 188 0,20 0,17 0,15 81,8 | 0,26 | 0,57 79 64 166 0,15 0,14 92,5 | 0,24 | 0,70 75 64 123 0,15 ke 0,14 1) Fett allein.

15. X, Blutzucker 0,23 9%/,. Diabetesbehandlung angefangen.

22. XI. 23. XI.

фо б< DO m Со DO ке CO DO Ime OO DO mi OO DO pmt CO pt СО pmi CO HD CO DO Hmi DO Mi СО DO pi 0 DO Pt СО DO pi СО DO а CO а CO а CO DO Mmi © GG fern

384

Ivar Bang:

Nr. XIII. K. P., 38 Jahre.

Datum

17. 18.

19.

20.

21.

22.

23. 24. 25.

26.

27.

28.

25.

26.

27.

28.

IV.

IV.

Со DO ҥе ©2 DO ке ÇO DO Hi ppm nm GO pt GO DO pt CO DO mw DO та GO DO те GO DO pt GO pmt GO pt

1. 2. 3. 1, 2. 3. 1. 2. 3. 1. 2. 8.

Kohlen- Fett -+ Chol. | Harn- | Blat- |A ceton | Eiwei8| Fett | hy- zucker | zucker drato

g %o g g g g

0 0 0

0 0 0

29 329 71

29 357 70

29 363 67

31 343 85

38 436 85

0 0 0

0 0 0

29 371 40

29 448 60

30 369 69

30 447 76

Nr. XIV. M. S., 58 Jahre.

0,15 1,6 0,18 | 0,30 35 122 30 0,12 0,25

0,11 0,20 | 0,22 40 157 25 0,15 0,39

0,18 019 | 0,81 44 169 22 0,14 0,85

0,08 0,19 | 0,71 47 173 16 0,24

385

Die diabetische Lipoidämie.

Nr. XIV. M. S., 58 Jahre (Fortsetzung.)

Harn- | Blut- zucker | zucker

Fett + Chol.

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386

Nr. ХІУ. M. S., 58 Jahre (Fortsetzung).

Ivar Bang:

15. 16.

1 2 3 1 2 3 1 2 3 1. 2. 3. 1 2 3 1 2 3 1 2 3

0,15

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Harn- | Blut- zucker |zucker

22. IV. Blutzucker 0,22°/,.

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0,16 0,16 0,16 0,18 0,17 0,19

0,18

Aceton | Eiweiß | Fett

g 34

38

38

D

189

173

81

Diabetesbehandlung angefangen.

. E.L., 43 Jahre. 0,16 | 2,11 0,20 1,89 0,22 | 1,08 0,20 | 0,53 0,19 | 0,87 0,20 | 0,69 0,17 | 0,54 0,18 | 0,33 0,25 | 0,22

13

218

242

38

Die diabetische Lipoidämie. 387

Nr. XV. E. L., 43 Jahre (Fortsetzung).

фо DO i со DO к о DO ка OO DO ji OO DO pi Со DO H OO ji GO i

0,16 Blutzucker 0,27%/,. Behandlung angefangen. Nr. XVI. J. N., 19 Jahre.

28. I. |1. 0,17 | 0,14 | 0,13 | са. 20| 363 | 30 fe. 0,18 (167)!) 8. 0,27 29. 1. |1. = |012 | 017 | 0 0 `0 3. 0,08 30. I 1 0,13 | 010 [ 013 | 0 0 0 31. 1. |1. 0,17 | 011 | 2,51 | са. 20| 257 | 58 2. 0,15 (104) 8. 0,19 1. IE |1. 0,17 | 012 | 1,51 | са. 20| 226 | во 2. 0,29 (86) 3. 0,18 2. IL |1. 0,19 | 013 | 0,61 | са. 50| 224 | 76 2. 0,17 (84) 3. 0,21 з.п. |1. 0,12 | 013 | 2,35 | са. 40| 242 | 108 2. 0,12 (104) 3. 0,21 ып. |1. 0,19 | 015 | 2,78 | са. 40| 208 | 123 2. 0,16 (98) 8. 0,20 Б.П. |1. 0,11 | 0,12 | 2,37 | са. 40| 222 | 70 2. 0,15 (117) 8. 0,16

1) Die Werte in Parenthese entsprechen dem Fett von Sahne und Butter.

388

Ivar Bang:

Nr. XVI. J. N., 19 Jahre (Fortsetzung).

15. V. [1 2. 8. 16. V. |1. 2. 8. 17. V. |1. 2. 8. 18. V. |1. 2. 3. 19. V. |1. 2. 3. 20. V. |1. 2. 3. 21. V. |1. 2. 8. 22. V. |1. 2. 8. 28. V. |1. 2. 3. 0,16 6. XI. Blutzucker 0,28°/,. Nr. XVII. 13. IX. |1. 0,12 10,3 3. 0,18 14. IX. |1. 0,11 6,4 3. 0,13 15. IX. |1. 0,11 4,7 2. 0,12 3. 0,16 16. IX. |1. 0,12 5,5 2. 0,15 3. 0,13 17. IX. |1. 0,14 17,5 2. 0,15 3. 0,15 18. IX. |1. 0,11 11,9 2. 0,14 3. 0,14 19. 1Х. |1. 0,15 ? 2. 0,20 3. 0,14

3. IX. Blutzucker 0,29°/,.

Harn- | Blut- ER: Fett + Chol. Aceton | Eiweiß Datum zucker | zucker lo g °% g g . V. |1. 33

35

22

Behandlung angefangen.

H. H., 57 Jahre. 0,25 | 0,50 0,22 | 0,24 0,23 | 0,18 0,23 | 0,12 0,24 | 0,16 0,22 | 0,59 023 | ?

Behandlung angefangen.

95 90 70

80

100

125 138 260

155

88

178

111

Die diabetische Lipoidämie. 389

Nr. ХҮШ. C., 37 Jahre.

0,14 0,11 0,19 | 0,12 18 257 70 0,18 0,34 0,14 0,17 | 0,20 0 0 0 0,15 0,12 0,17 | 0,09 0 0 0 0,12 0,11 0,16 | 0,63 21 268 73 0,17 0,16 0,11 0,16 20 244 72 0,16 0,12 0,08 0,15 17 269 49 0,17 0,12 0,13 0,15 | 0,38 15 219 38 0,16 Blutzucker 0,29°/,. Behandlung angefangen. Nr. XIX. A. H., 51 Jahre 28. I. |1. 0,18 0,10 | 0,98 | ca. 25] 225 54 2. 0,12 [1842)] 8. 0,25 29. I. |1. 0,14 0,14 ? ca. 251 368 | 220 2. 0,20 (258) 8. 0,81 30. I. |1. 0,12 0,13 ? ca. 30| 148 38 2. 0,16 (101) 3. 0,21 31. I. |1. 0,09 0,18 | 0,57 | са. 20| 164 89 2. 0,17 (118) 3. 0,23 1. П. |1. 0,14 0,15 ? ca. 25| 181 27 2. 0,17 (118) 3. 0,20

1) Die Werte in Parenthese entsprechen dem Fett aus Sahne und Butter. Biochemische Zeitschrift Band 94. 26

390 Ivar Bang:

Nr. ХІХ. А. H., 51 Jahre (Fortsetzung).

Kohlen- Harn- | Blut- ету? Fett + Chol. Aceton | Eiweiß Datum ат. zucker| zucker o g | % 2.11. |1. 0,12 0,14 2. 0,17 3. 0,23 3. I. |1. 0,14 0,14 2, 0,17 8. 0,16 4. II. |1. 0,09 0,14 9: 0,18 3. 0,15 5. Ш. |1. 0,14 0,16 3. 0,09 6. II. |1. 0,14 1,5 0,16 2. 0,17 3. 0,17 7. I. |1. 0,12 0,17 2. 0,15 3. 0,16 8. Ш. |1. 0,16 0,15 2. 0,12 3. 0,14 9. II. |— 0,17 10. Ш. |— 0,18 ? ? H ? 11. IIL |1. 0,12 0,17 ? ca. 30| 176 | 280 2. 0,14 (84) з] ou |

6. XII. Blutzucker 0.299, Behandlung angefangen.

Nr. XV, E. L., ist ein mittelschwerer Fall. Die Fettwerte liegen aur unbedeutend über der Norm, obwohl größere Fettmengen als im Falle XIV gegeben wurden.

Nr. XVI, J. N., kommt erst 2 Monate nach dem Anfang der Be- handlung zur Untersuchung auf Lipämie. Der Blutzucker ist jetzt bei- nahe normal ohne Glycosurie. Die Kohlenhydrattoleranz ist recht groß. Dementsprechend findet man auch für das Blutfett durchaus normale Werte.

Nr. XVII, H. H., ist ein schwerer Fall; jedoch sind die Werte für Blutfett fast überall normal.

Nr. XVII, C., auch ein schwerer Fall, wo die Blutzuckerwerte je- doch bedeutend absinken. Aglycosurie mit nicht geringer Kohlenhydrat- toleranz. Die Werte für Blutfett sind mit zwei Ausnahmen normal.

Nr. XIX, A. H., wurde erst 6 Wochen nach Anfang der Behand- lung auf Lipämie untersucht. Die Blutzuckerwerte sind jetzt nur un- bedeutend erhöht, und es wird kein Zucker ausgeschieden. Dement- sprechend sind die Fettwerte mit ein paar Ausnahmen normal oder unbedeutend erhöht, obgleich große Fettmengen mit der Nahrung ge- geben wurden.

Die diabetische Lipoidämie. 391

Aus den Analysen der dritten Unterabteilung geht hervor, daß sowohl große als geringe oder keine Hyperlipämien hier festzustellen sind. Jedoch kann man nur Normalwerte nach der Behandlung finden, wenn die sonstigen Symptome wesent- lich gebessert sind. Umgekehrt kann große Hyperlipämie dort vorkommen, wo die anderen Symptome zurücktreten.

Aus sämtlichen obigen Untersuchungen ergibt sich, daß der anfangs vermutete Konnex zwischen Kohlenhydrattoleranz und Lipämie tatsächlich keine konstante Erscheinung darstellt; es sprechen im Gegenteil mehrere Versuche gegen eine solche. Weiter kann aus den Versuchen gefolgert werden, daß die diabetische Lipämie einen alimentären Ursprung besitzt. Überall findet man im nüchternen Zustande morgens und während der Hungertage die niedrigsten Werte. Eine Ausnahme bildet der eine Fall von Koma. Dagegen ist die Hyperlipämie keine rein alimentäre, da die Steigerungen meistens viel größer sind als normal. Dem diabetischen Organismus fehlt also die Fähig- keit, mehr oder weniger das resorbierte Nahrungsfett schnell und vollständig zu deponieren. Durch meine früheren Untersuchungen ist wahrscheinlich gemacht, daß diese Fähigkeit vor allem der Leber zukommt. Diese Leberinsuffizienz kann nicht mit der Acidose oder Hyperglykämie in Verbindung gebracht werden. Sie steht also recht isoliert; doch tritt sie vorzugsweise bei den schweren Diabetesformen stärker hervor. Bei den leichten Fällen und nach eingetretener Besserung bei den schweren geht diese Insuffizienz meistens zurück; bisweilen bleibt sie jedoch in unveränderter Höhe bestehen. Auch kann eine recht bedeutende Hyperlipämie bei leichten Formen von Diabetes vorkommen.

Unter solchen Umständen ist es schwer, die Bedeutung der Lipämie festzustellen. Fortgesetzte Untersuchungen sind hier notwendig. Was vor allem festzulegen wichtig wäre, ist die eventuelle prognostische Bedeutung der Lipämie. Ist sie ein gutes oder böses prognostisches Symptom? Weiter wäre es wichtig, das Verhalten der Lipämie bei anderer Diät zu stu- dieren. Schließlich bietet das Studium der Lipämie während des Komas oder vor einem solchen Anfall ein großes In- teresse dar.

26*

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