aM id Mr 1% ER gr ee Te m. (u & Fe 2 x ws ES a we age Ra Pi P en EM ER ee I Q @ A o 3 & ° & En ke} v > ° & R) “ o Q o » = » u g 4 £ @ 2 x 6) « ° ° 0a ©) z * * x MARINE BIOLOGIGAL LABORATORY, oratory without the permission of the Trustees, Received....® Accession No. Given by Place,. IF NDN, EN? I = . R = Aa e 2 - Mr u e e er S hr K, N Bi ER RS s SS rn X N 63 ne, ‘ “ TEN, ER : { $: < > 28 Ä = , « Ps * . Br 0 NS, 1 2 u . Pie h ae x. > x . Y SR f Aal Br PER. D \ £ IA SA Y e : K R r BR . Z Ra N BEN RE 5 N u BT N N D j , A u, X N 3 EETT u Ir a a el N Y _ K ni I SF a Ka! I BE Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Professor der Botanik Professor der Zoologie herausgegeben o von Dr. J. Rosenthal Professor der Physiologie in Erlangen. Vierter Band. Ma16t240r Hro iz sichenirtten: Erlangen, 1885. Verlag von Edward Besold. N Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Inhaltsübersicht des vierten Bandes. Die mit * bezeichneten Artikel sind Originalmitteilungen, die mit + bezeich- neten Essays, zusammenfassende Uebersichten u. s. w., die nicht bezeichneten Artikel sind Referate, Besprechungen, Kritiken u. s. w. I. Botanik. * Julius Wortmann, Ueber die Wirkung der Wärme auf das Längenwachs- tum von Pflanzenteilen. Nr. 3 * Reess, Ueber die systematische Stellung dr Krefepikze. NE 16 * Klebs, Ueber die Organisation und die Rn Stellung der Peri- dineen. Nr. 23. Y + Arthur Meyer. Die Aophafiasten. Ne: An $ + Ludwig, Die ne, BER des Hasbennesheels naoher Bin. men. Nr. Er + Ludwig, Ueber zwei neue ianzliche Bere Nr. 7 I + Ludwig, Die verschiedenen Blütenformen an Pflanzen der nämlichen Art. Nr. 8 + Prazmowski, Ueber den chen Znsammentiangı der Milzbrand- ie Heubakterien. Nr. 13 r Fisch, Die rn Selbständigkeit und Seälldng de Heiepilzel I bsSkı OR Ser re - . : + Fisch, Die neueren botanischen Hecsellungen über Bro loplasmärerbin. dungen benachbarter Zellen. Nr. 18. Molisch, Untersuchungen über en miaisspimii ii 1 Kohl, Beitrag zur Kenntnis des Windens der Pflanzen. Nr. 7. Pick, Ueber die Bedeutung des roten Farbstoffes bei den Phanerogamen. Nr. 9 Russow, Ueber den Zusamenhane. dar Preorlenaksrnen: benächbarier Zellen. Nr. 9 Böhm, Die Pflanze und die Anosphiei ENG. 9 Wittrock, Ueber Schnee- und Eisflora. Nr. 9 Johow, Ueber westindische Hymenolichenen. Nr. 10 : Schimper, Ueber Bau und Lebensweise der Epiphyten Wessindien. Br m Bretfeld, Das Versuchswesen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie mit bezug auf die Landwirtschaft. Nr. 11 IV Inhaltsübersicht. Stahl, Zur Biologie der Myxomyceten. Nr. 12 : Zopf, Zur Kenntnis der anatomischen Anpassung der Pilzfrüchte an die Funktion der Sporenentleerung. Nr. 13 Brefeld, Botanische Untersuchungen über Hefenpilze. Heft V nd VI. Ne 14 Forssel, Studien über Cephalodien. Nr. 14 Girard, Zuckerbildung in der Zuckerrübe. Nr. 14 a Fischer, Zur Entwicklungsgeschichte der Gastromyceten. Nr. 15 Strasburger, Zur Entwicklungsgeschichte der Sporangien von Trichia Fallax. Nr. 15 . Schmankevitsch, an ennan ee en en Phanzen: Ara Tier formen. Nr. 15. : ; Seler, Weitere botanisehe kunde in a Gräbern de öken end Nr. 15 Seler, Die botanischen Ergebnisse der Rothamsteder Wiesenkulturver- suche. Nr. 15 Cieslar, Untersuchungen über an Einfluss, des Lichtes a die Keumane der Samen. Nr. 16 & Couneler, Aschengehalt der en in anni es Bäum- chen, verglichen mit demjenigen auf festem Boden erwachsener. Nr. 16 Neelsen anal Ehlers, Ueber den Rauschbrandpilz Nr. 17 - ; Schenck, Untersuchungen über die Bildung von zentrifugalen Wander diekungen an Pflanzenhaaren und Epidermen Nr. 17 Bessey, Hybridismus bei Spyrogyra. Nr. 17 S e Zacharias, Ueber den Inhalt der Siebröhren vou Gusuibite Bongs N 18 Hugo de Vries, Ueber die periodische Säurebildung der Fettpflanzen. Nr. 18 Rattke, Die Verbreitung der Pflanzen im allgemeinen und besonders in bezug auf Deutschland. Nr. 18 Wollny, Untersuchungen über den Einfluss der Blanaendb cr and = Be- schattung auf die physikalischen Eigenschaften des Bodens. Nr. 18 Marshall Ward, Bau, Entwicklung nnd Lebensweise einer blattbewohnen- den Flechte. Nr. 19 . R De Bary, Vergleichende Morphologie Bike ds Eile, Mreeicaden und Bakterien. Nr: 19... „22%. RER Frank, Ueber die Gummibildung im Holz: ea deren nhyeiolägische Be deutung. Nr. 19 $ : Strasburger, Das botanische Bra Nr- 20 Zopf, Die Pilztiere oder Schleimpilze. Nr. 20 . ; Johow, Zur Biologie der floralen und extrafloralen See Nr. 2 Fünfstück, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lichenen. Nr. 21 Hansen, Ueber peptonisierende Fermente in Sekreten der Pflanzen. Nr. 21 Pfeffer, Lokomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. Nr.22r, - : Leo Errera, Die Se Wachsnanetnde bei den en. von BR comyces. Nr. 22 Marktanner-Turneretscher, Auseewihilie Plikendi en Nr. 2 Fischer, Untersuchungen über das Siebröhrensystem. Nr 24 Hansen, Ueber das Chlorophyligrün bei Fucaceen. Nr. 24 II. Zoologie. * Bütschli, Gedanken über die morphologische Bedeutungder sogenannten Richtungskörperchen. Nr. 1 [ebı +++ r T r in r Inhaltsübersicht. Seite Peracca und Deregibus, Bemerkungen über Coelopeltis. Nr. 2 As : Bütschli, Ueber die nervösen Endorgane an den Fühlern der Chilogna- then und ihre Beziehungen zu denen gewisser Insekten. Nr. 4. , 113 : Dewitz, Ueber das Abwerfen der Scheren des Flusskrebses. Nr. 7 201 ‘ Dewitz, Ueber das durch die Foramina repugnatoria entleerte Sekret bei Glomeris. Nr 7 . : RE Al TE 7 ‘ Haacke, Pseudorhiza Einerkebs, n. sp., der Endspross des Discomedusen- stammes. Nr. 40 2 ‘ Ayers, On the structure and Be lopneni a the ai Hays in eng lura cristata. Nr. 12 ; 356 ‘ Wielowiejski, Vorläufige Een über ie Eizelle: N 12 RER ‘ Möbius, Das Sterben der einzelligen und der vielzelligen Tiere. Nr. 13 389 ‘ Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der a Nr#21 UROS22 IT SR EN, 7 Gruber, Ueber künstliche Beilang bei Iifusariene N DRS 717 ‘ Dewitz, Die Angelhaare bei Chrysopenlarven Nr. 23 er 122 ‘ Dewitz, Ein männlicher Geschleehtscharakter bei Catocala. Nr. 23 724 Weismann, Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen Nr.1 12 Wilckens, Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Palä- ontologie der Haustiere. 1. Die pferdeartigen Tiere des Tertiärs Nr. 5 undesr.ı 2 RETTEN 137183 Spengel, Ann De en Nr. 8 235 Spengel, Hermaphroditismus bei Amphibien. Nr. 9 268 Wilckens, Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete dei Palä- ontologie der Haustiere. 2 Die Pferde des Diluviums Nr. 10u.11 294, 327 Emery, Fortbewegung von Tieren an senkrechten und überhängenden glatten Flächen. Nr. 14 ae 49: V. Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkötperm Nr 18 560 Möbius, Drei Arbeiten über Foraminiferen. Nr. 21 2 645 Gruber, Ueber vielkernige Protozoen. Nr. 23. #740 Wilckens, Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläon- tologie der Haustiere. 3. Die Abstammung des Rindes und die ter- tiären Formen desselben. Nr. 24 . 749 Kräpelin, Geruchsorgane der Gliedertiere. Nr. 2. N) Koch, Die Nematoden der Schaflunge (Lungenkrankheit der Sch fe). Nr.2” 551 De Man, Die frei in der reinen Erde und im süßen Wasser lebenden Ne- matoden der niederländischen Fauna. Nr. 6 SLR Sr re 191 Hertwig, Ueber die Kernteilung bei Actinosphaerium Eichhornü. Nr. 7 203 Pol&jaeff und Vosmaer, Untersuchungen über die Kalkschwämme. Nr. 8 . 241 Drasche, Beiträge zur Entwicklung der Polychäten. Nr. 9 270 Brock, Entwicklung des Petermännchens. Nr. 9 287 Leidy, Eine Serpulide aus dem süßen Wasser. Nr. 13 413 Biehringer, Beiträge zur Anatomie und ee ger Tre- matoden. Nr. 14 422 Gaffron, Zum Nervensystem der ‚Brönatoden Nie 14 425 Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. Nr. 14 426 Latzel, Die Myriopoden der österreichischen Monarchie. Nr. 15 . 454 Zeppelin, Ueber den Bau und die Teilungsvorgänge des Ütenodrilus mono- stylus n. sp. Nr. 15. 457 Gressin und Bottard, Das Gift des Eeresnnchäne: Nr. 21 VI Inhaltsübersicht. Rippen auf dem Hinterhauptsbein von Micropterus salmoides. Nr. 21 Das zoologische Laboratorium der Chesapeakebai. Nr. 21 Wajgel, Zusammenziehung der zwei Arten von Petromyzon. Nr. 22 . L. v. Graff, Zur Kenntnis der physiologischen Funktion des Chlorophylis im Tierreiche. Nr. 24 . III, Anatomie, Anthropologie ete. * Sigmund Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. Nr. 5 * Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. Nr. 16 und 17 . . 499, * Albrecht, Ueber die Existenz oder Nichtexistenz der Rathke’schen Tasche: Nr.i23 Wat ille + Obersteiner, Das Verhalten den urchen Ari ander an abe Groß- hirnoberfläche. Nr. 3 7 Krause, Die Nervenendigung in 1 Shen “ah na en Schleimhän ten -Nr.+6und?7 08 au + Fuchs, Zur Anatomie, Piysiolosie und Eitwielunbsgeschichie der Groß- hirnrinde Nr. 7 + Bardeleben, Das Intermedium ei der ee md des Menschehl Nr7412. 5 i Exner, Die Inneration des Kehlkopfes Ne 15 Ranvier, Ueber Neuroglia Nr. Lustig, Zur Kenntnis des en ensehlichen Biickormiinii A 3 Bruns, Vergleichend-anatomische Untersuchungen über das Blutgefäßsystem der Netzhaut. Nr. 8 RE Ecker, Die Hirnwindungen des Messchan: er ob. ; a Viti, Vergleichend-morphologische Untersuchungen über den Nervus de- pressor. Nr 10 : SL: Krause, Zur Anatomie des Känincheng: Nr. 10 Sutton, Das Ligamentum teres. Nr. 10 \ eier H Pics, Das Weib in der Natur- und ölkkrkimde: Ne 10 Vossius, Beiträge zur Anatomie des Nervus optieus. Nr. 11 e Kollmann, Der Tastapparat der Hand der menschlichen Rassen und der Affen in seiner Entwicklung und Gliederung Nr. 11 Lucae, Die Sutura transversa squamae oceipitis. Eine vergleichend- Enato- mische Studie. Nr. 11 h Albrecht, Kleine Mitteilungen. Nr. 13 Romiti, Anatomische Notizen. Nr. 13 . aa Kocks, Ueber die Gartner’schen Kanäle beim Weihe Ni 13 Heiberg, Ueber die Drehungen der Hand. Nr. Valenti, Varietät des Rosenmüller’schen en Nr. 14 St Schröter, Anthropologische Studien am Becken lebender Menschen. Nr. 17 Albrecht, Vergleichend-anatomische Mitteilungen. Nr. 20 Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. Nr. 22 Pansch, Anatomische Vorlesungen für Aerzte und Studierende. Nr. 22 IV. Physiologie. 415 416 444 448 541 629 697 703 * Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. Nr. ? bis5 54,78, 116, 154 * Rosenthal, Ueber Reflexe. Nr. 8 247 Inhaltsübersicht. * Eimer, Neue und alte Mitteilungen über Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. Nr. 19 ; * Brand, Die Chylusresorption in der Din aaaschleihane Ne: er) * Seegen, Die glykogene Funktion der Leber und ihre Bedeutung für den Stoffwechsel. Nr 20 + Roux, Born, Ueber den Einfluss der Schwere au die Entwicklung ne Froscheier. Nr. 12 rt Biedermann, Einiges neuere über nen imölektmpnotogische rs cheitm. gen an Muskeln und Nerven. Nr. 12 : 7 Lehmann, Die nächsten Verdauungsprodukte der Eiweißkörper. Nr. 13 j Nasse, Ueber Synthesen im tierischen Organismus. Nr. 21 rT Nasse, Zusammenhang von Thätigkeit und Bau der Muskeln Nr. 23 r Otto, Die neueren Untersuchungen über Hämoglobin und Methämo- globin. Nr. 23 . E Bunge, Ueber das Sauerstoffbedürfnis Yet Direpkräsiten. NL 43; C. Voit, Ueber die Ursachen der Fettablagerung im Tierkörper. Nr. 3 Fredericg und Nuel, Elemente der menschlichen Physiologie. Nr. 3 Bubnow, Beitrag der Untersuchung der BE Rs Bestandteile der Schilddrüse des Menschen und des Rindes. Nr. s Hoppe-Seyler, Zur Kenntnis der indigobildenden EZ BL Zeller, Ueber die Schicksale des Jodoforms und Chloroforms im Organie mus. Nr. 7 . Schotten, Ueber die Quelle der Einen im Has Nr. 7 Tarchanoff, Ueber die Verschiedenheiten des Eiereiweißes bei Hoheden gebornen (Nestflüchtern) und bei nackt geborenen (Nesthockern) Vö- geln, und über die Verhältnisse zwischen dem Dotter und Eiereiweiß. Nr27 ner: Drechsel, Elöktröiygen und ieRkrosthonen: Nr. g Oertel, Ueber die Ernährung mit Hühnereiern. Nr. 10 . Sue: Plösz, Ueber einige Chromogene des Harns und deren Derivate. Ne 10. Landwehr, Eine neue Methode zur Darstellung und quantitativen Bestim- mung des Glykogens in tierischen Organen. Nr. 10 Hoppe-Seyler, Ueber die Einwirkung von Sauerstoff auf die Tebensthälig, keit niederer Organismen. Nr. 10 . . . . L. Brieger, Ueber Spaltungsprodukte der Bakterien Nr. 10 G. Vandevelde, Studien zur Chemie des Bacillus subtilis. Nr. 10 Weiss, Zur Physiologie der Galle. Nr. 11 . Dembo, Zur Frage über die Unabhängigkeit der Konkekrionen‘ air ee mutter von dem Cerebrospinalsystem. Nr. 11 } Bjeletzky, Se Notiz über den Riesensalamander (Orr , Japonicus). Nr. ; Mering, Ueber die a des Roniorahkalims Br Blut. Ne 12. Petri und Lehmann, Zur Bestimmung des Gesamtstickstoffs im Harn. Nr. 12 Detmer, Ueber den Einfluss der Reaktion Amylum sowie Diastase ent- haltender Flüssigkeiten auf den Verlauf des fermentativen Prozesses. Nm219r. N Christmar-Dircking- Hohnfeld: Bere eaielie ae ehnneen über die Regio olfactoria. Nr. 12 Aa Berner, Ueber die Ursachen der @echlechtabildong Nr. en Vi Seite 580 609 612 443 461 VIII Inhaltsübersicht. Seite Bucecola, Experimentell-psychologische Untersuchungen. Nr. 15 . . . . 465 Cohnstein und Zuntz, Untersuchungen über das Blut, den Kreislauf und die Atmung beim Säugetierfötus. Nr. 18 SAU 970 Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses ber der Vermehrung von Menschen, Tieren und Pflanzen. Nr. 20 rk 619 Schlechter, Ueber die Ursachen, welche das Geschlecht besehtihen, N. 20 627 Bjeletzky, Zur Physiologie der Fischblase. Nr. 0 . . 639 Hoppe-Seyler, Ueber Seifen als Blutbestandteile des Blutplasmas A Chylus: Nr:»22.. 2.8222 22 EL Me RE 702 Lehmann, Zur Bestimmung der Alkalien. im Harn: Nr. 2 er EN V. Verschiedenes. * Axel Blytt, Ueber die wahrscheinliche Ursache der periodischen Ver- änderungen in der Stärke der Meeresströmungen. Nr.2 . . ... 33 * Kellermann, Ueber das Vorkommen von Dopplerit im Fichtelgebinge NO mu A + Hallopeau, Die Rolle A nfoktionenode, bei Rn Nr. Ga 22 rt Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. Nr. 18 .... 90 r Pouchet, Die Unschädlichkeit des trichinenhaltigen nerskanischen Flei- sches. Nr.19 2. 27%. Sl N Der dritte Kongress für innere an Nr. Di el EEE une Adbreeht; ‚Offner. Brief an- W.- Krause. Nr. 3.2.72 0. 2 220 es Ausstellung des Travailleur und des Talisman. Nr. 6 . . . ..2.2.....188 Einwirkung der Kälte auf Mikroben. Nr.6. . .. . 192 Behrens, Eine Gesellschaft zur biologischen Dre sehane der Basar Küsten, Nr3Y 29% se Ten ar re TEL Fa a Seler, Essbare Insekten. Nr. 9 RE ee)! Seler, Die Wanderzüge des Lemmings und A Scharlachheher N EREHE283 Huxley, Physiographie. Für deutsche Leser frei bearbeitet von Hermann Jordan.’Nr 9.203 2 0.02% est! Meyer, Handbuch der naklarven Suse Nana Nr. EA San 10) 57. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Nr. 9 . . .. . 287 Marine Biological Association. Nr 9... . EN A EN ARE SS 225 Biologische Forschungen im Riesengebirge. Nr. 10 EN, 320 Schöyen, Ueber das Vorkommen von Insekten im menschlichen Körper N 15 475 Seler, Ueber die Bildung der Korallenriffe. Nr. 5. . .» . 2 2202020477 Zacharias, Das-Mikroskop. NL..417... 4.0.0. yeah ee ee Seler, Notiz über Regenwürmer Nr. 19 . .'.. na sr TEE Crampe, Zuchtversuche mit zahmen Wanderratten. Nr. 2 en British Association for the Advancement of Science. Nr. 22... . . 704 Kühn, Fruchtbarkeit der Gayalbastarde. Nr. 24. . . ... .....20. 0. 166 Marine: Biologieal Association. Nr. Au. nu cu. age ale 7a Bioloeisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV: Band. 1. März 1884. Nr. 1: Inhalt: Molisch, Untersuchungen über den Hydrotropismus. — Bütsehli, Gedanken über die morphologische Bedeutung der sogenannten Richtungskörperchen. — Weismann, Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. — Bunge, Ueber das Sauerstoffbedürfnis der Darmparasiten. Am Schlusse der Nummer befindet sich eine Notiz über unsere künftige Rechtschreibung. Hans Molisch, Untersuchungen über den Hydrotropismus. Aus dem 88. Bande d. Sitzb. d. k. Akad. d. Wissensch. zu Wien, I. Abt. Juli-Heft. Jahrg. 1883. (Arbeiten des pflanzenphysiologischen Institutes der k. k. Wiener Universität XXIV). 47 8. Mit einer Tafel. Unter Hydrotropismus versteht man die Eigentümlichkeit mancher Pflanzenteile, durch feuchte Körper von ihrer Wachtumsrichtung ab- gelenkt zu werden. Diese bei Wurzeln besonders auffallende Er- scheinung hatte schon im vorigen Jahrhundert die Aufmerksamkeit einzelner Forscher erregt, man war aber über ihre Ursachen bis in die neueste Zeit im unklaren geblieben. Die Thatsache des Hydro- tropismus wurde inzwischen sogar wiederholt geleugnet, und dies selbst dann noch, als bereits Männer wie Knight ihr Vorhandensein durch tadellose Versuche festgestellt hatten. Unter diesen Umständen war die Wiederaufnahme der Frage durch Sachs für ihre Weiterent- wiekelung von großer Bedeutung. Durcheine sinnreich erdachtes, höchst einfaches Experiment erhob der genannte Forscher die Thatsache des Hydrotropismus bei Wurzeln über jeden Zweifel. In ein mit Säge- spänen gefülltes Sieb, dessen Boden aus weitmaschigem Tüll bestand, während ein Zinkreifen den Rand bildete, wurden Samen verschiede- ner Pflanzen (Erbse, Bohne, Mais, Sonnenblume u. a.) eingesenkt, gehörig bewässert, und das Ganze dann in frei hängender, unter 45 ® gegen den Horizont geneigter Lage in einen dunkeln Schrank ge- bracht. War der Innenraum des letztern feucht, so wuchsen die aus . 1 2, Molisch, Untersuchungen über den Hydrotropismus. den Siebmaschen hervorkommenden Keimwürzelchen senkrecht nach abwärts. Befand sich das Sieb aber in trockener Umgebung, so hin- gen die Würzelchen nicht herab, sondern schmiegten sich der feuchten Tüllfläche an. Eine mechanische Erklärung dieses eigentümlichen Ver- haltens der Wurzeln stieß zunächst auf große Schwierigkeiten, so dass Sachs mit Grund von einem „neuen Rätsel“ sprechen konnte. Die Lösung desselben versuchte zunächst Ch. Darwin in seinem berühmten Werke „Ueber das Bewegungsvermögen der Pflanzen.“ Er stützte sich hierbei auf die von ihm ermittelte Thatsache, dass bei dem oben be- schriebenen Sachs’schen Fundamentalversuch die aus dem Sieb her- vortretenden Würzelehen nicht hydrotropisch werden, wenn man ihre Spitze auf 1—2 mm Länge mit einem aus Lampenruss und Olivenöl hergestellten Brei überzieht. Hieraus folgerte Darwin, dass die „Empfindlichkeit gegen eine Verschiedenheit in dem Feuchtigkeitsge- halte der Luft auf den beiden Seiten eines Würzelchens in der Spitze ihren Sitz habe, welche einen gewissen Reiz dem obern Teile überliefere und hierdurch ihn nach der Feuchtigkeitsquelle sich hinzubiegen veranlasse.‘“ Die mit dem Oelüberzug versehene Wurzel- spitze ist einem solchen Reiz unzugänglich, daher unterbleibt im obigen Falle die sonst eintretende hydrotropische Keimung. Obwohl die Zu- lässigkeit dieser Folgerung von Wiesner!) mit Recht bestritten wurde, so hatte Darwin dabei doch das Richtige getroffen. Dies ergab sich, wie wir weiter unten sehen werden, unzweifelhaft aus den zur Klarstellung des Sachverhaltes von Molisch eingeleiteten Versuchen. Die zahlreichen Experimente Darwin’s selbst vermochten jedoch Wiener’s Einwände nicht zu entkräften, ebensowenig als den gegen Darwin gerichteten Abhandlungen Detlefen’s?) und E. Mer’s ?) die nötige Beweiskraft zuerkannt werden kann. Mo- lisch fand diese Frage thatsächlich noch als eine offene vor. Zur Beobachtung des Hydrotropismus benützte Molisch einen oben mit durchlöchertem Ringwall versehenen soliden Thontrichter, dessen Stiel in Wasser tauchte und derart eine gleichmäßige Befeuch- tung der ganzen Trichteroberfläche dauernd vermittelte. Auf die obere ebene Fläche dieses Trichters kamen nun die Keimpflänzchen so, dass ihre Wurzelspitzen aus den Oeffnungen des Randes hervor- sahen. Hierauf erhielten die Keimlinge eine 1-2 cm starke Decke von nassem Sägemehl, und dann wurde der ganze Apparat bei einer Temperatur von 18—20 °C in einen finstern Kasten gestellt. Die aus den Löchern herauswachsenden Wurzeln krümmten sich aber bald in scharfem Bogen dem Trichter zu, um fortan an dessen geneigter 1) Das Bewegungsvermögen der Pflanzen. Eine kritische Studie über das gleichnamige Werk von Ch. Darwin nebst Untersuchungen. Wien, 1881. 8.131. 2) Arbeiten d. bot. Inst. in Würzburg, II. Band, 4. Heft. S. 646 ff. 3) Bull. d. 1. Soc. bot. de France XXVIII, Nr. 3. S. 115 ft. Molisch, Untersuchungen über den Hydrotropismus. 5 Außenwand zu verbleiben. Brachte man jedoch den mit Keimlingen beschickten, mit seinem Stiel in Wasser tauchenden Trichter in einen durchgesättigten Raum, so wuchsen die Würzelchen vertikal nach abwärts. War die Erscheinung des Hydrotropismus somit neuerdings und in höchst anschaulicher Weise außer Zweifel gestellt, so handelte es sich nun weiterhin darum, ihr Zustandekommen genauer zu prüfen. Molisch lieferte nun zunächst den bisher noch nieht geführten Nach- weis, dass die hydrotropische Krümmung eine Wachs- thumserscheinung sei. Denn sie vollzieht sich nur innerhalb der wachsenden Region und unterbleibt, wenn die Temperatur unter das für das Wachstum nötige Minimum sinkt. Dass sie nieht die unmittelbare Folge von größerem Turgor auf der konvexen Seite sein könne, lehrt das gekrümmt bleiben hydrotropisch gewachsener und in eine 15°], Salzlösung eingelegter Wurzeln. Indess darf man sich nieht vor- stellen, dass die Bedingungen, unter welchen Hydrotopismus zu stande kommt, den Turgor der Wurzelzellen unbeeinflusst ließen. Vielmehr wird der letztere an der von der fruchtbaren Luftschicht umgebenen Wurzelseite sehr häufig derart erhöht, dass hier eine Verlängerung der Wurzel und demgemäß eine Krümmung derselben eintritt, welche der erwarteten hydrotropischen entgegengesetzt ist. Die Tendenz zu dieser Krümmung muss daher erst überwunden werden, wenn der Hydrotropismus zum Ausdruck kommen soll. Um über die Funktion der Wurzelspitze beim Hydro- tropismus ins klare zu kommen, ging Molisch folgendermaßen vor. Er umwickelte vollkommen grade gewachsene Wurzeln von Maiskeimlingen längs ihrer ganzen Ausdehnung mit Ausnahme der 1 mm langen Spitze vorsichtig mit feinem Seidenpapier, hielt dieses beständig gleichmäßig feucht und stellte nun in der Umgebung der nackten Wurzelspitzen eine „psychrometrische Differenz“ her. Diese konnte natürlich nur auf die freien Enden der Wurzeln einwirken, denn die Wachstumszone der letztern war ja durch den beständig feucht gehaltenen Ueberzug vor solcher Beeinflussung geschützt. Nichtsdestoweniger trat aber auch unter diesen Umständen Hydro- tropismus ein, trotzdem die Papierhülle entsprechend der fortschrei- tenden Verlängerung der Wurzel vorgeschoben worden war. Es kann also nach Molisch keinem Zweifel unterliegen, „dass die Wur- zelspitze von der psychrometrischen Differenz gereizt wird, diesen Reiz auf die darüber liegende wachsende Region überträgt und dieselbe veranlasst, sich zu dem feuchtern Orte zu wenden.“ Das nämliche hatte auch Dar- win behauptet, allerdings ohne ausreichende experimentelle Be- gründung. Nach dem Verf. ist der Hydrotropismus nichts anderes, als ein Spezialfall der Darwin’schen Krümmung. So nannte näm- 4 Molisch, Untersuchungen über den Hydrotropismus. lich Wiesner!) eine zuerst von Darwin beobachtete Krümmung der Wurzel, welche immer eintritt, wenn die Spitze der letztern einseitig irgendwie verletzt wird, sei es durch Anschneiden, Tupfen mit Höl- lenstein u. dgl., oder durch Wassernetzung. Herrscht nun in der Umgebung einer Wurzel eine psychrometrische Differenz, so zwingt, wie Molisch sagt, die trockenere Luftschicht die angrenzende Wurzelspitze zur stärkern Transspiration, und es tritt infolge dessen die Darwin’sche Krümmung ein, welche wir, wenn sie unter solchen Umständen zu stande kommt, als Hydrotropismus bezeichnen. Der auf die Wurzel ausgeübte Reiz geht also nicht, wie bisher stets an- genommen wurde, von der feuchten, sondern von der trockenen Um- gebung aus, und die Wurzel selbst wendet sich von dem Orte des Reizes weg. „Eine einer psychrometrischen Differenz ausgesetzte Wurzel reagiert demnach nicht auf die Feuchtigkeit, sondern auf die Trockenheit, und wenn man das entgegengesetzte behauptet, so ist dies ebenso unrichtig, wie wenn jemand sagen würde, negativ helio- tropische Pflanzenteile sind nieht für das Licht, sondern für die Dun- kelheit empfindlich.“ Die biologische Bedeutung des Hydrotropismus liegt nahe genug. Er hält die Wurzel ab, sich in trockenen Medien auszubreiten, treibt sie vielmehr nach feuchten Orten und begünstigt also ihr Wachstum und ihre Funktion. Nebenwurzeln höherer Ordnung sind meistens stärker hydrotropisch als Hauptwurzeln, was Molisch auf ihre größere Biegsamkeit und geringere oder fast ganz fehlende geo- tropische Empfindlichkeit zurückführt. Nach Molisch sind auch die einzelligen Wurzelhaare (Rhi- zoiden) von Lebermoosen (Marchantiaceen) positiv hydrotropisch, während sich die Fruchtträger von Pilzen, und zwar von einzelligen (Mucor) wie von mehrzelligen (Coprinus), negativ hydrotropisch zeigen. Für die Fruchtträger der Mucorinee Phycomyces nitens war dies schon von Wortmann?) festgestellt worden. Eine Erklärung für das ent- gegengesetzte hydrotropische Verhalten einzelliger Pflanzenteile (Le- bermoosrhizoiden und Mucorfruchtträger) ist derzeit kaum möglich. Schließlich prüfte Molisch auch die Wachstumsrichtung von Hypocotylen unter dem Einfluss einer psychrometrischen Differenz. Die meisten untersuchten Hypocotyle zeigten sieh aueh dann nicht hydrotropisch, wenn die einseitige Wirkung des Lichtes und der Schwerkraft ausgeschlossen war. Im letztern Falle ließ nur das Hypocotyl von Linum uritatissimum negativen Hydrotropismus erkennen. K. Wilhelm (Wien). 1). 0.382146) 2) Arb. d. bot. Inst. in Würzburg, Bd. II, S. 209. Bütschli, Morphologische Bedeutung der Richtungskörperchen. 5 Gedanken über die morphologische Bedeutung der sogenannten Richtungskörperchen, Von ©. Bütschli. Bis jetzt fehlen uns Anhaltspunkte zur Beurteilung der morpho- logischen Bedeutsamkeit der Richtungs- oder Polkörperchen durchaus, Ja es erscheint zweifelhaft, ob diesen im Entwickelungsleben der Meta- zoen so verbreiteten Gebilden überhaupt eine morphologische Bedeu- tung im gewöhnlichen Sinne zukommt. Dagegen sind schon mehrere Ansichten über die physiologische Dignität des Vorganges, welcher zu ihrer Bildung führt, geäußert worden, eine namentlich von mir!) und in neuerer Zeit eine recht geistreiche von Minot?). Wenn nun auch anzuerkennen ist, dass die physiologische Bedeutung der frag- lichen Bildungen im Vordergrund steht, so erscheint doch, da die Riehtungskörperchen wirkliche, wenn auch vergängliche Zellen sind, welehe durch reguläre Zellteilung entstehen, die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sie sich vielleicht auch morphologisch auf ein- fachere und ursprünglichere Verhältnisse zurückführen lassen und dem- nach einer morphologischen Deutung fähig sind. Bei Gelegenheit anderweitiger Studien über die allmähliche Her- vorbildung der geschlechtlichen Fortpflanzung, wovon sich so ver- schiedene Stadien in der Gruppe der jetzt lebenden Flagellaten (in wei- terem Sinne) noch erhalten haben, gelangte ich nun zu einigen Ge- danken über eine mögliche morphologische Deutung der Richtungs- körperchen, welche ich einer Prüfung durch weitere Kreise vorzulegen nicht für unwert erachte. Um diese Ansichten entwickeln zu können, ist es nötig, ganz kurz ‚auf den Vorgang der geschlechtlichen Fortpflanzung der koloniebil- denden Volvocineen einzugehen, einer Flagellatengruppe, welche nicht nur durch ihren morphologischen Aufbau, sondern namentlich auch durch ihre geschlechtlichen Fortpflanzungsverhältnisse die nächsten Vergleichspunkte mit den Metazoen darbietet, wenn auch ihre Er- nährungsverhältnisse ganz vegetabilische sind). Der einfachste Fall geschlechtlicher Fortpflanzung findet sich hier bekamntlich bei der Gattung Pandorina, wo Pringsheim die Verhältnisse genauer er- mittelte. Hier entwickeln sich zu gewissen Zeiten die Zellen einer Kolonie 1) Studien über die ersten Entwicklungsersch. ete. Abhandl. d. Senckenberg. naturf. Gesellsch. Bd. X S 419, siehe auch entwickelungsgeschichtliche Bei- träge Ztschr. f. w. Zool. XXIX. S. 236 Anm. 2. 2) Zuerst in Proceed. Boston soc. nat. hist. XIX 1877 p. 165—171, später in Americ. naturalist 1880 p. 96—108. 3) Eine ausführliche Darstellung der Fortpflanzungserscheinungen dieser Formen, sowie der Flagellaten überhaupt, siehe in meiner Bearbeitung dieser Protozoenklasse in Bronn’s Klassen und Ordnungen, 6 Bütschli, Morphologische Bedeutung der Richtungskörperchen. durch successive Teilung zu kleinen Geschlechtskolonien, welche ganz in derselben Weise entstehen wie die gewöhnlichen, sich nur par- thenogenetisch fortpflanzenden Kolonien. Diese kleinen Geschlechts- kolonien lösen sich schließlich in die einzelnen, sie zusammensetzen- den Zellindividuen auf, welche dann je zu zweien mit einander ko- pulieren und eine ruhende Zygote erzeugen. Eine geschlechtliche Dif- ferenz der kopulierenden Einzelindividuen der Geschlechtskolonie ist bei Pandorina nicht oder kaum sicher zu konstatieren. Anders dage- gegen ist dies bei den morphologisch so nahe verwandten Gattungen Eudorina und Volvox. Bei Eudorina treten zu gewissen Zeiten Kolo- nien auf, die wir als weibliche und männliche bezeichnen dürfen, da sie die Geschlechtsprodukte in gleich zu schildernder Weise hervor- bringen. Bei den erstern funktionieren sämtliche Zellindividuen als weibliche Gameten oder Eier; bei den letztern dagegen entwickeln sich aus sämtlichen Zellindividuen der Kolonie durch successive Tei- lung kleine Tochterkolonien etwas eigentümlich gebauter Individuen, welche Zellen die männlichen Gameten oder Spermatozoen darstellen, die sich schließlich mit den Eizellen der weiblichen Kolonie kopulativ vereinigen und sie befruchten. Der Entwickelungsgang dieser Sperma- tozoenbündel oder -platten rechtfertigt es, sie den gewöhnlichen Kolo- nien morphologisch zu vergleichen und ebenso den erwähnten Ge- schlechtskolonien der Pandorina. Wir müssen daher die Spermato- tozoenplatten der Eudorina als einer besondern Folgegeneration der männlichen Kolonie entsprechend betrachten. Die gleich zu erwähnen- den Erscheinungen bei Volvox machen es aber sehr wahrscheinlich, dass wir nicht etwa die gesamte weibliche Kolonie der Eudorina als morphologisches Homologon der Spermatozoenplatte betrachten dürfen, sondern weibliche und männliche Kolonien zu homologisieren haben, so dass also die Zellindividuen oder Spermatogonien der männlichen Kolonie (wie man sie auch nach Analogie mit den Erscheinungen der Spermatogenese der Metazoen bezeichnen darf) den Eizellen der weiblichen Kolonie zu homologisieren sind. Letztere hätten sich also im Gegensatz zu den Erscheinungen bei Pandorina nicht zu weibli- chen Tochterkolonien entwickelt. Die Berechtigung zu einer derarti- gen Auffassung der Verhältnisse ergibt sich, wie bemerkt, aus den Einriehtungen bei Volvox, zpeziell dem hermaphroditischen Volvox Globator. Bei diesem finden sich, wie angedeutet, hermaphroditische Geschlechtskolonien, welche sich, wie bei Volvox überhaupt, speziell dadurch auszeichnen, dass nicht sämtliche Zellindividuen der Ko- lonie zu Geschlechtszellen werden, wie bei Pandorina und Eudorina, sondern nur gewisse Zellen der Kolonien schon sehr frühzeitig durch besonderes Wachstum und andere Eigentümlichkeiten sich zu Geschlechtszellen differenzieren. Während nun eine Anzahl dieser Geschlechtszellen durch suecessive Teilung zu Spermatozoenplatten werden, welche denen der Eudorina in jeder Beziehung entsprechen, >ütschli, Morphologische Bedeutung der Richtungskörperchen. 7 verbleiben die übrigen ungeteilt und stellen die weiblichen Geschlechts- zellen dar. Da nun in diesem Fall mit großer Sicherheit eine Homo- logie zwischen den männlichen Geschlechtszellen oder Spermatogonien (Spermatosporen Bloomfield) und den Eiern zu statuieren ist, so recht- fertigt sich wohl auch die Ausdehnung dieser Homologie auf die so ähnlichen Verhältnisse bei Eudorina. Die Verhältnisse bei Vo/vox liegen übrigens so, dass deren soge- nannte Kolonien nicht mehr recht als solche aufzufassen sind, son- dern richtiger als mehrzellige Individuen einfachster Art betrachtet werden müssen. Jedenfalls bildet Volwox die bestbekannte Ueber- leitungsstufe zu der geschlechtlichen Fortpflanzung der Metazoen. Schon frühzeitig fiel es mir auf, dass die Entwickelung der Sperma- tozoen vieler Metazoen eine Reihe Eigentümlichkeiten darbietet, wel- che sich morphologisch schwierig deuten lassen. Ich meine die durch successive Vermehrung einer Spermatogonie (Lavalette, Spermatospor Bloomfield) entstehenden Aggregate von Spermatoblasten oder Sperma- tozoen von teils mehr kugliger, teils mehr bündeliger Zusammenord- nung. Warum sich grade in der Bildungsgeschichte der Spermato- zoen ein solcher Znstand so häufig findet, ist, wie mir scheint, mor- phologisch bis jetzt nicht zu deuten versucht worden. Ich stehe nun nicht an, in diesen Zuständen noch direkte Anklänge an die Sperma- tozoenbündel oder -platten, wie sie sich bei Eudorina und Volvox finden, zu sehen. Mit andern Worten kann man meiner Ansicht nach mit Recht die Vorstellung verteidigen, dass diese Spermatosphären (Spermpolyblasten Bloomfield) ete. der Metazoen einer ehemaligen be- sondern Generation der protozootischen Vorläufer der Metazoen ent- sprechen, dass ihr Auftreten im allgemeinen noch an die Protozoenko- lonien erinnert, welche einst den Metazoen den Ursprung gaben, ja dass ihr Auftreten eben durch die Art der geschlechtlichen Fortpflan- zung jener ursprünglichen Protozoenkolonien erklärt wird. Wenn wir uns nun die geschlechtliche Fortpflanzung der Proto- zoenkolonien, von welchen die Metazoen abgeleitet werden können, auf Grundlage der von den Flagellatenkolonien gelieferten Daten etwas genauer überlegen, so ergibt sich, dass sich auch leicht ein Zustand denken lässt, wo auch die weiblichen Fortpflanzungszellen, die Eier, in einer besondern Generation der Kolonien erzeugt wurden. Wenn wir uns diese Auffassung durch die Uebertragung auf die Volvoxkugel versinnlichen, so würde also die jetzt als Eizelle fun- gierende Zelle, welche wir bei den jetztlebenden Volvox-Arten der Spermatogonzelle homolog setzen müssen, sich zunächst durch sucees- sive Teilung zu einer neuen Koloniegeneration vermehren und erst die Zellindividuen dieser die befruchtungsfähigen Eizellen repräsen- tieren. Die Möglichkeit solcher Formen ist wegen der Erscheinungen bei Pandorina und den nichtkoloniebildenden Chlamydomonadinen wohl sicher annehmbar, da eben bei den letzterwähnten Flagellaten Ss Bütschli, Morphologische Bedeutung der Richtungskörperchen. nicht nur die männliche Gamete, sondern auch die weibliche durch eine Reihe fortgesetzter Teilungen aus einer gewöhnlichen Zelle her- vorgeht. Nur zeigt sich hierbei die Tendenz, die Zahl der Teilungen, welche zu den weiblichen Gameten führen, zu verringern, so dass diese letztern allmählich eine beträchtlichere Größe darbieten, wie die männlichen. Wenn wir nun die Voraussetzung machen, dass die Metazoen von Protozoenkolonien, deren geschlechtliche Fortpflanzung dem eben aus- einandergesetzten Schema entspricht, abzuleiten seien, so glaube ich, dass sich eine Ansicht über die morphologische Bedeutung der Rich- tungskörperchen aufstellen lässt. Wenn nämlich, wie sich gleichfalls auf grund der Verhältnisse bei Volwox wohl annehmen lässt, in jenen aus weiblichen Gameten zu- sammengesetzten Kolonien eine Differenzierung der Zellindividuen eintrat, so dass nur wenige und schließlich nur eines zu Ei- zellen sich entwickelt hätten, während die übrigen Individuen kleine Nährzellen geblieben seien, so führt uns diese Vorstellung direkt auf die Vermutung, dass eben in der scheinbar zusammenhangslosen Bil- dung der Richtungskörperehen noch ein Anklang an die ehemaligen weiblichen Gametenkolonien der Metazoen und ihrer protozootischen Vorläufer zu suchen sei. Wir hätten uns daher vorzustellen, dass die Abschnürung einiger kleiner Zellen, welche teils früher, meist jedoch auf der Höhe der Entwickelung der Eizelle der Metazoen sich ereig- net, uns noch die Bildung eines dem Spermatozoenbündel entsprechen- den mehrzelligen Gametenkolonie andeutet. Wenn wir uns dieser Ansicht anschließen, so wäre es nicht un- verständlich, dass unter gewissen Verhältnissen auch die Entwicekelung von Richtungskörperchen ganz unterdrückt wurde, wie dies ja nach dem jetzigen Stand der Untersuchungen für gewisse Abteilungen der Matazoen den Anschein hat. Wir sahen, dass sich die zeitliche Ent- wiekelung der Richtungszellen mehr und mehr gegen den Endpunkt der Reifung der Eizelle verschiebt, ja dass sie, wie es scheint, bei gewissen Formen zu ihrem Zustandekommen sogar des Anstoßes durch die Befruchtung bedarf!). Hieraus lässt sich wol schließen, 1) In diesem Umstand, dass die Befruchtung zuweilen (Nematoden) Be- dingung der Richtungskörperentwickelung ist, kann ich keine Schwierigkeit für meine Spekulation finden, wie es vielleicht anfänglich scheint. Wie ich schon 1876 betonte, sehe ich in der Befruchtung wesentlich eine Anregung zu er- höhter Lebensthätigkeit und daher erscheint es natürlich, dass die Eizelle, welche nicht mehr das Vermögen besitzt, aus sich selbst zur Richtungskörperentwicke- lung zu schreiten, durch die Befruchtung zunächst zu dieser ihrer natürlichen Weiterentwickelungangeregt wird. Daraus wird manersehen, dass ich im Hinblick auf diese Verhältnisse zu einer meiner frühern entgegengesetzten Auffassung gekommen bin. Früher suchte ich die Riehtungskörperentwickelung vor der Befruchtung als eine parthenogenetische Erscheinung zu deuten, während ich Bütschli, Morphologische Bedeutung der Richtungskörperchen. 9) dass auch die Richtungskörperbildung gänzlich unterbleiben kann, indem eben die Keimzelle der weiblichen Gametenkolonie in ihrer Totalität zu der weiblichen Geschlechtszelle, dem Ei wird, mit Unter- bleiben der Koloniebildung, deren physiologische Bedeutung ja all- mählich jedenfalls eine geringere geworden ist. Immerhin will ich gleich hier betonen, dass ich grade auch wieder annehmen möchte, dass die physiologische Bedeutung der Richtungskörperbildung grade bedingend war, dass sich dieselbe als Anklang an die ehemalige Bil- dung einer weiblichen Gametenkolonie so dauernd erhalten hat. Möge man nun die physiologische Bedeutung der Richtungskörperbildung mit mir mehr in der Elimination gewisser Kernbestandteile der Ei- zelle oder mit Minot in der Elimination der männlichen Anteile der Eizelle suchen!). Den Fall völliger Unterdrückung der Bildung weib- licher Gametenkolonien sehe ich schon bei Volvox eingetreten, aus Gründen, die ich oben schon erörtert habe. Selbst eine Richtungs- körperbildung scheint sich hier nicht mehr zu finden, doch ist immer- hin zu bemerken, dass die seitherigen Beobachter der Volvoxfort- pflanzung noch keine Veranlassung hatten, speziell auf diesen Punkt zu achten. Wenn nun auch möglicherweise die Homologisierung der männ- lichen und weiblichen Kolonien der Eudorina, wie ich sie oben auf grund der Analogie mit Volvox versucht habe, nicht riehtig sein könnte, so würde dadurch nichts an meiner Vermutung bezüglich der Meta- zoen geändert, ja dann lägen die Verhältnisse eher einfacher. Dann wäre die weibliche Kolonie der Eudorina als das Homologe der Spermatozoenkolonie zu betrachten und also direkt die postulierte weibliche Gametenkolonie, welche dem Ei plus Richtungszellen der Metazoen zu vergleichen wäre. Nur fehlte hier noch eine Differen- zierung innerhalb dieser weiblichen Gametenkolonie, ihre sämtlichen Zellen sind gleichmäßig Eizellen. Mag man nun über die Gewagtheit der vorliegenden Spekula- tionen bei dem heutigen Stande unseres Wissens vielleicht mit Recht die Achseln zucken, so glaube ich doch, dass eines davon nicht ganz verwerflich erscheinen wird, nämlich der Weg, welehen ieh zur Auf- klärung der in Frage stehenden Erscheinungen einzuschlagen versucht habe. Denn dies scheint mir festzustehen: nur auf der Basis der uns es jetzt umgekehrt für wahrscheinlicher halte, dass die Entwiekelung der Rich- tungskörper nach der Befruchtung auf eine Ermattung des Entwickelungslebens der Eizelle zurückzuführen ist, welches durch die Befruchtung einen neuen Anstoß erhält. Schwieriger wäre hiermach zwar zu verstehen, dass die Rich- tungskörperentwickelung überhaupt unterbleiben kann. Möglicherweise kann dies jedoch darauf beruhen, dass die physiologische Bedeutung der Richtungs- körperbildung in diesen Fällen durch anderweitige Vorgänge kompensiert wird, wie es thatsächlich (Amphibien) den Anschein hat. 1) Siehe am Schlusse dieses Aufsatzes. 10 Bütschli, Morphologische Bedeutung der Richtungskörperchen. von den noch existierenden einfachsten Organismen dargebotenen primi- tiven Erscheinungen der geschlecehtliehen Fortpflanzung können wir uns zu einem Verständnis der entsprechenden Vorgänge in der höhern Organismenwelt erheben. Es ist leicht ersichtlich, dass meine hier dargelegte Auffas- sung der morphologischen Bedeutung der Richtungszellen und der Spermatozoenbündel der Metazoen in wesentlichen Punkten mit der Minot’schen Gonoblastentheorie übereinstimmt. Zunächst komme ich zwar auf anderem Wege wie er zu derselben Vergleichung der Richtungszellen mit dem bei der Spermatogenese zahlreicher Meta- zoen verbleibenden Rest der ursprünglichen Spermatogonie (dem so- genannten Spermblastophor Bloomfield’s oder dem Cystenkern La Va- lette’s plus zugehörigem Plasma), der nicht in die Spermatozoenbildung eingeht und bald in Gestalt einer echten kernhaltigen Zelle, bald da- gegen als ein kernloses Protoplasmagebilde erscheint. Meiner Auf- fassung der Spermatozoenbündel gemäß muss ich dieses Gebilde ähn- lich wie die Richtungskörperchen ebenfalls als eine nicht zur Sper- matozoenbildung gelangte Zelle der ursprünglichen männlichen Ga- metenkolonie betrachten. Im bezug auf die Vergleichbarkeit der Richtungskörperchen mit diesem Spermatoblastophor herrscht also Uebereinstimmung zwischen uns. Während sich aber Minot wesentlich auf physiologischen Ansichten über die Befruchtung basiert, gelangte ich durch rein morphologische Betrachtungen und auch, wie ich be- tonen möchte, ganz unabhängig zu einem ähnlichen Resultat. Was nun aber die physiologische Grundlage der Minot’schen Ableitung be- trifft, dass es nämlich die Bedeutung der Richtungszellen sei, der ur- sprünglich hermaphroditischen Eizelle die männlichen Anteile zu ent- führen, während ähnlieh die weiblichen der Spermatogonie in dem sogenannten Spermblastophor zurückbleiben, so hege ich über die allgemeine Zulässigkeit dieser Anschauung einige Zweifel. Wir könn- ten im allgemeinen bei den Metazoen diese, Anschauung wohl für zu- lässig erachten und eben in dieser physiologischen Bedeutung die Er- klärung für die dauernde Erhaltung der Richtungskörperehen- und Spermblastophorenbildung suchen. Doch dürfen wir immerhin nicht vergessen, dass der Ausdruck: hermaphroditische Zelle eine Parabel ist, bei der sich wenig oder nichts bestimmtes denken lässt. Nur bei den Infusorien mit ihren differenzierten Kernen ist dies möglich. Wenn wir jedoch einen Bliek auf die einfachern Kopulationserscheinungen der Protozoen werfen, über deren Beziehung zu dem Befruchtungs- vorgang der höhern Organismen kein Zweifel herrschen kann, so glaube ich, lässt sich da einstweilen nichts finden, was auf eine ähn- liche Eliminierung eines weiblichen resp. männlichen Anteils hinweist. Bei einer Kopulation ganz gleicher Gameten kann man sich auf grund der Minot’schen Hypothese vorstellen, dass sich die weiblichen und männlichen Teile beider wechselseitig vereinigt hätten. Wenn wir Bütschli, Morphologische Bedeutung der Richtungskörperchen. 14 jedoch sehen, dass von hier aus eine sehr allmähliche Differenzierung der Gameten eintritt, welche schließlich zu dem tiefgehenden Unter- schied zwischen Spermatozoon und Ei führt und dann weiterhin, dass grade bei den einfachsten Organismen trotz schon vorhandener Diffe- renzierung eine Andeutung einer derartigen Elimination vermisst wird, so glaube ich, dass man vorerst die allgemeine Zulässigkeit der Minot’- schen Hypothese bestreiten kann. Ich meine nämlich, die Verschieden- heit der Eizelle und der Spermatozoenzelle kann sich auch noch auf anderem Wege als durch eine derartig sichtbare Elimination verschie- denartiger Bestandteile erzeugt haben. Abgesehen davon, dass bei den einfachern Modalitäten der ge- schlechtlichen Fortpflanzung der Pflanzen, speziell der Algen, von Er- scheinungen im Bildungsgang der Geschlechtsprodukte, welche einen Eliminationsprozess, wie ihn die Minot’sche Form auch hier erfordert, nichts bekannt ist, lässt sich dieselbe auch mit den Erscheinungen der Parthenogenese wohl nicht in hinreicehenden Zusammenklang brin- gen. Die Minot’sche Hypothese erfordert, dass ein relativ sehr wesent- licher Unterschied zwischen parthenogenetisch sich entwickelnden und den der Befruchtung bedürftigen Eiern existiert. Die erstern dürfen ihre männlichen Anteile nicht eliminiert haben, da sie ja dadurch ihre Entwickelungsfähigkeit eingebüßt hätten. Die letztern dagegen be- dürfen wegen dieses Verlustes grade der Zuführung eines neuen mäÄnn- liehen Anteils. Nun wurde es jedoch gelegentlich bei Algen beobach- tet, dass die weiblichen Gameten, welche zur Kopulation bestimmt sind, sich auch parthenogenetisch zu entwickeln vermögen, und in diesem Falle ist wohl der Verdacht völlig ausgeschlossen, dass diese Gameten sich von den gewöhnlichen kopulierenden in der Art ihrer Ent- stehung irgendwie unterscheiden. Doch liegen hier noch überraschen- dere Erscheinungen vor. Nicht nur die weiblich funktionierenden Ga- meten, nein, auch die durch ihr Gesamtverhalten entschieden als männliche gekennzeichneten, sind in zwar seltenen Fällen einer par- thenogenetischen Weiterentwickelung zu einer schmächtigen Keimpflanze fähig. In diesem Falle ist demnach gegen die Forderung der Hypo- these sogar noch eine Erhaltung der Entwickelungsfähigkeit des Sper- matozoons gewahrt, trotzdem, dass dessen Eigentümlichkeiten schon deutlich ausgebildet sind. Doch auch die parthenogenetischen Er- scheinungen der Metazoen scheinen in gleicher Weise der Hypothese nicht günstig zu sein. Erinnern wir uns, dass die parthenogenetische Entwickelung der Eier bei den Insekten häufig sicher nur durch das Fehlen der befruchtenden Samenelemente veranlasst wird, so z. B. nach der allgemeinen Vorstellung doch sicher bei der Biene und ver- wandten Hymenopteren, ebenso jedoch auch bei Bombyx z. B. wo, die Parthenogenese ja nur Folge des Mangels der Männchen ist, so scheint daraus doch sicher hervorzugehen, dass es sich in diesen Fällen ge- wiss nicht um wesentlich verschiedene Eier handeln kann. Wo das 12 Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. Eintreten der Befruchtung derartig fakultativ erscheint, wie in den hervorgehobenen Fällen, sind es sicher Eier gleicher Beschaffenheit, welche das einemal unbefruchtet, das anderemal befruchtet sich entwickeln. Hier, glaube ich, ist die Annahme sehr unwahrscheinlich, dass die befruchteten Eier einen männlichen Anteil verloren hätten, den die unbefruchtet sich entwickelnden notwendig noch besitzen müssten, um überhaupt zur Entwickelung zu gelangen. Zwar ließe sich auch für diese hier beispielsweise aufgezählten Fälle eine eventuelle Erklärung im Zusammenhang mit der Minot’schen Hypothese kon- struieren. Dienämlich, dass die Elimination der männlichen, respektive weiblichen Anteile aus den Geschlechtsprodukten sich hier nicht völlig vollzogen haben, so dass noch eine wenn auch geschwächte Entwick- lungsfähigkeit der Eizelle, respektive sogar der männlichen Gameten restiere; doch häufen sich in dieser Weise die Annahmen, und die Hy- pothese wird dadurch unsicherer!). Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen?), Von August Weismann. Wenn ich in folgendem eine kurze Uebersicht der allgemeinsten Ergebnisse vorlege, zu welchen meine Untersuchungen an Hydrome- 4) Erst einige Zeit nach Vollendung dieses Aufsatzes erhielt ich Kennt- nis von der vor kurzem erschienenen interessanten Arbeit über eigentüm- liche Kernvermehrungs- und Zellenbildungsvorgänge in der Eizelle gewisser Tiere, die wir den Bemühungen von Fol, Sabatier, Roule und Balbiani verdanken. Ich bin zur Zeit noch außer stand, die von den genannten For- schern beschriebenen Vorgänge, welche im wesentlichen auf eine vor der Ent- stehung der Richtungskörper statthabende Bildung kleiner Zellen seitens der Eizelle, den Follikelzellen nämlich, hinausläuft, mit der von mir entwickelten Theorie in Einklang zu bringen. Jedenfalls müssen sich diese Erscheinungen jedoch in irgend einer Weise mit meiner Theorie vereinigen lassen, wenn dieselbe begründet sein soll. Mein Urteil über die fraglichen Prozesse wird noch dadurch erschwert, dass ich aus Untersuchungen, welche mein Assistent Herr Dr. Blochmann seit einiger Zeit vorgenommen hat, weiß, dass in den Ovarialeierın der Ameisen eine in sehr eigentümlicher Weise verlaufende Kernvermehrung stattfindet, welche jedoch sicherlich nichts mit der Bildung der Follikelzellen zu thun hat, da diese schon lange vor dem Entstehen dieser Kerne vorhanden sind und weiter das Ei sich schon längst mit einem Chorion umkleidete, bevor diese zahlreichen kleinen Kerne in bis jetzt noch unaufge- klärter Weise aus dem Ei verschwunden sind. Da die von Blochmann ge- fundenen Vorgänge im Ei der Ameisen nun sicherlich eine weitgehende Ueber- einstimmung mit denen besitzen, welche in den Eiern der 'Tunieaten und Myrio- poden gefunden wurden, so scheint mir einstweilen wenigstens deren Zusam- menhang mit der Follikelzellenbildung noch etwas unsicher. 2) „Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen, zugleich ein Beitrag zur Kenntnis des Baues und der Lebenserscheinungen dieser Gruppe“ mit 24 Tafeln. Jena 1883. Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. 13 dusen geführt haben, so geschieht dies, weil es mir scheint, dass dieselben vielleicht auch für einen weitern Kreis als den der speziellen Fachgenossen von Interesse sein könnten. Es ist bekannt, wie lange und viel hin und her gestritten wurde, ob die Geschlechtsprodukte der Hydromedusen!) aus Elementen des Ektoderms oder des Entoderms ihren Ursprung nehmen. Die besten Beobachter konnten sich darüber nicht einigen; die einen behaupteten einen allgemein ektodermalen, die andern einen allgemein entodermalen Ursprung, eine dritte Partei ließ die männlichen Keimzellen aus dem äußern, die weiblichen aus dem innern Keimblatt abstammen, ja man könnte noch eine vierte unterscheiden, welche eine völlige Regellosig- keit des Ursprungs bald in diesem, bald in jenem Keimblatt je nach Gattung oder Art beobachtet zu haben glaubte?). Wenn nun auch die allgemein gefasste Frage, welches der beiden Keimblätter die Geschlechtszellen liefere, mir wenigstens von jeher von geringerer Bedeutung erschien, indem ihre Beantwortung im besten Fall doch nur eine Thatsache zu liefern versprach, die kaum irgend welche tiefere Einsicht gestattete, so war doch die andere darin verborgene Frage von allgemeiner Bedeutung, die Frage näm- lich, ob die Keimzellen innerhalb einer großen Tierklasse überall aus dem gleichen Keimblatt hervorgehen oder nicht. Denn war dies nicht der Fall, entstanden die Sexualzellen bei verschiede- nen Arten gleicher Abstammung bald hier, bald da, bald aus Ektoderm- bald aus Entodermelementen, so folgte daraus die weitere Frage, ob etwa eine Kontinuität der die Keimzellen erzeugenden Elemente zwi- schen den successiven phyletischen Stadien überhaupt nicht stattfinde, ob etwa sprungweise bald diese, bald jene Zellgruppe des Organismus im Verlauf der Phylogenese Keimzellen liefern könne. Die Fest- stellung eines solchen Verhaltens aber würde zu weittragenden Schlüs- sen in bezug auf Vererbung und Fortpflanzung berechtigt haben. Die Frage nach der Entstehung der Sexualzellen bei den Hydro- medusen erhielt neue Anregung, als ich 1880 die Beobachtung mit- teilen konnte, dass bei manchen Hydroidpolypen die Keimzellen gar nicht — wie bisher angenommen worden war — in den Geschlechts- personen des Stockes entstehen, sondern im Parenehym (Cönosare) des Stockes selbst, näher oder ferner von den Geschlechtspersonen (Gonophoren), und dass dieselben in diese letztern sodann erst mit- tels amöboider Bewegungen einwandern, um dort nur ihre Reife zu erlangen. Aber keineswegs bei allen Arten fand sich diese „eönosareale“ Entstehung der Sexualzellen, vielmehr zeigte sich sogleich, dass bei 1) Ich fasse den Begriff der Hydromedusen enger, als es gewöhnlich ge- schieht, indem ich die höhern (acraspeden) Medusen davon ausschließe. 2) Die genauere Darlegung der historischen Entwicklung dieser Fragen findet sich a. a. 0. S. 1—12. 14 Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. andern Arten die Sexualzellen wirklich in den Geschlechtspersonen selbst entstehen. Ich bezeichnete diese beiden Bildungsweisen der Sexualzellen als die eönogone und blastogone. Diese neuen Thatsachen führten nun zu weitern Fragen, deren Be- antwortung die Arbeit versucht, über welche hier referiert werden soll. Zunächst drängte sich die Frage auf: besteht überhaupt ein genetischer Zusammenhang zwischen diesen beiden Bil- dungsweisen der Geschlechtszellen, führen Uebergänge von der einen zur andern hin, oder aber fehlen solche, und müssen wir schließen, dass der Entstehungsort der Sexualzellen im Laufe der Phylogenese je nach Bedürfnis gewechselt und sprungweise, bald hier, bald dort aufgetreten ist. Wenn aber diese zweite Möglichkeit zurückgewiesen, wenn wirklich ein Zusammenhang zwischen blastogener und ceönogenerSexualgeneseaufgezeigtwer- den konnte, welches war derselbe? war die ceönosarcale Ent- stehung das Primäre, und hat sieh daraus durch Verschiebung des Bildungsherdes in die Geschlechtspersonen erst sekundär die blasto- gone Entstehung gebildet, oder war der Entwickelungsgang der um- gekehrte? Daran sehloss sich dann die weitere Frage, wie, durch welche Mittel und Wege, und aus welehen Motiven diese Veränderungen vor sich gegangen sind. Darauf ist nun etwa folgendes zu antworten: Die Lage der „Keimstätte“, d. h. der Stelle, an welcher sich die Keimzellen aus indifferenten Zellen differenzieren, ist keine willkürliche, zufällige oder sprungweise wechselnde, sondern vielmehr bei jeder Art eine fest bestimmte, die auch im Laufe der Phylogenese nieht plötzlich anderswohin verlegt, sondern nur allmählich und in kleinsten Sehrit- ten verschoben werden kann. Wenn wir heute die Keimstätte an so verschiedenen Orten finden, so beruht dies lediglich auf allmählichen Verschiebungen derselben, welche im Laufe der Phylogenese einge- treten sind; die ursprüngliche Keimstätte aber war bei allen Arten ein und dieselbe, und diese primäre Keimstätte ist auch heute noch bei vielen Arten beibehalten, sie liegt in den Geschlechtsper- sonen, wie diese ursprünglich beschaffen waren, d. h. in den zu freiem Umherschwimmen sich lösenden Medusen, und ist erst mit der Rückbildung der Medusen zu festsitzenden Brutsäcken mehr und mehr in centripetaler Richtung, d. h. also gegen den Stamm des Po- lypenstöckehens hin verschoben worden. Wenn ich einstweilen davon absehe, dass es auch vor der ersten Entstehung von Medusen schon Hydroidpolypenstöcke gegeben hat, wenn ich also jenen phyletischen Zustand, in welchem die Geschlechts- personen der Polypenstöcke Medusen waren, als Ausgangspunkt. an- nehme, so lag die ursprüngliche Keimstätte der Sexualzellen beiderlei Geschlechts im Manubrium der Meduse, also im Klöppel des glockenförmigen Tieres, und zwar bildeten sich die Sexualzellen aus r Weismann, Entstehung der Sexualzellen hei den Hydromedusen. 15 Zellen des Ektoderms. So verhält es sich noch jetzt bei einer großen Zahl von Medusen, und bei diesen liegen auch die Geschlechtsorgane (Gonaden) selbst an dieser Stelle, oder wie ich es ausdrücke: Keim- stätte und Reifungsstätte der Geschlechtszellen sind identisch. Fig. 1 Schema einer zur Loslösung reifen Medusen- knospe im Längsschnitt. Manu- brium, inmitten der Glocke gelegen und in seinem Ekto- derm die Keimzellen (kz) ent- haltend, die hier zugleich die Man a F primäre Keimstätte und ’ die Lage der späterın Ge- schlechtsorgane bezeichnen. Die in dem Stiel der Meduse eingezeichneten Zellen ukz beziehen sich auf eine im Re- ferat nicht erwähnte Hypo- these und sind hier wegzu- denken — Erstes Stadium der Keimstättelagerung. Von diesem Ausgungspunkt führen nun phyletische Entwicklungs- bahnen nach zwei entgegengesetzten Richtungen: es trat eine Ver- schiebung in centripetaler Richtung ein, oder eine solche in centri- fugaler. Die erste allein ist von mir im genauern untersucht worden, da nur sie mit der Rückbildung der Medusen zu Brutsäcken zusam- menhängt, wie sie überhaupt auch die weit ausgiebigere und deshalb lehrreichere ist. Sie gewinnt noch mehr dadurch an Interesse, dass es nicht schwer ist, das Motiv zu erraten, welches ihr zu grunde liegt und welches nichts anderes ist, als eine Beschleunigung der Geschlechts- reife. Jedenfalls ist dies der thatsächliche Erfolg der Verschiebung. Bei der Meduse entstehen die Keimzellen im Manubrium, somit jeden- falls nicht früher, als wenn dieses bereits angelegt ist, bei solchen Polypenstöcken aber, deren Medusen sessil geworden und zu bloßen Brutsäcken herabgesunken sind, differenzieren sich die Keimzellen im Parenchym des Stockes, an oder in der Nähe von solchen Stellen, an welchen später Brutsäcke hervorknospen, somit also früher, als diese letztern überhaupt nur angelegt werden. Sie kön- nen deshalb, wenn später diese Anlage erfolgt ist, in einem bereits weit vorgeschrittenen Stadium in die jungen Brutsäcke (Gonophoren) einwandern und gelangen dort rasch zur Reife. 16 Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. Im allgemeinen hält diese Rückwärtsverschiebung der Keimstätte gleichen Schritt mit der Rückbildung der Medusen zu sessilen Brut- säcken, so dass also die Verschiebung um so weiter gediehen ist, je größer die Rückbildung der Medusen. Man kann genau alle Stadien der Verschiebung durch Beobachtung feststellen und nicht selten so- gar dieselben bei kurzen Reihen nächstverwandter Arten nebeneinan- der beobachten, ja man findet sogar bei den beiden Geschlechtern ein und derselben Art zuweilen zwei aufeinander folgende Stadien (Podocoryne, Clava). Die ersten Stadien der Verschiebung halten sich noch inner- halb der Geschlechtsknospe und kommen teils bei Brutsäcken, teils aber auch noch bei wirklichen Medusen vor (Podocoryne). Die erste Versebiebung zeigt sich darin, dass die Keimzellen sehon im „Glocken- # Fig. 2. Zweites Stadium der S SS & 2 Keimstätte-Verschiebung. R 1} Schema einer jungen Medusen- T / x knospe mit Verlegung der Keimstätte in den Glockenkern (glk), ukz, Ur- Keimzellen. kern“ auftreten, nicht erst in dem aus ihm später hervorgehenden Ektoderm des Manubriums. Als Glockenkern bezeichne ich jene, schon längere Zeit bekannte halbkuglige, zuerst solide, dann hohle Wucherung des Ektoderms, welche in der Kuppe der jungen Medusen- knospe auftritt, um sich später zum Ektoderm des Manubriums und der innern Fläche der Glocke auszugestalten. Aus dem Material die- ses Glockenkerns geht also auch bei allen Medusen die Geschlechts- anlage hervor, und der Unterschied von der ursprünglichen Lage der Keimstätte und diesem ersten Stadium ihrer Verschiebung liegt nur darin, dass bei jener das Manubrium erst vollständig hergestellt wird, überzogen von einer einzigen Schicht von Ektodermzellen, ehe ein Teil dieser letztern sich zu Keimzellen differenzirt und von den übrigen als Epithel überzogen wird, während bei der Verschiebung der Keimstätte in den Glockenkern gar niemals das Manubrium von einschichtigem Ektoderm bekleidet wird, sondern während seines Emporwachsens schon von einer dicken Schichte der Glockenkernzellen bedeckt ist: den primären Keimzellen. So verhält es sich z. B. bei den Brutsäcken von Tubularia. Ein weiteres Zurückschieben der Keimstätte in noch jün- gere Zustände des Brutsacks ist offenbar in doppelter Weise denkbar: die Keimzellen konnten sich im Ektoderm der Seitenwände der Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. 17 Knospe differenzieren, ehe noch der Glockenkern gebildet war, oder sie konnten sich im Entoderm der ganz jungen Knospe differen- zieren, falls dies aus irgend einem Grunde vorteilhafter und zugleich ausführbar war. Beides kommt vor, das letztere aber weit häufiger, so dass man also sagen kann: die weitere Rückwärtsverschiebung der Keimstätte ist meist mit einer Verlegung derselben ins Ektoderm ver- bunden. Fig 3. Drittes Sta- dium derKeimstätte- Verschiebung. Schema einer Brutsackknospe f Es RR 197722 vor aldlnyg den Glocken- R ß) BON SS Bi 02 kerns. Im Ektoderm ist RN N All) m 2 N Jederseits eineUrkeimzelle m (ukz) angegeben, weiche MM) nach Durchbrechung der Ih Stützlamelle (st) später na) \ ins Entoderm gelangt und dort sich zu Keim- zellen (kz) differenziert. Die Gründe, warum die weitere Verschiebung vorteilhafter im Entoderm geschah, sehe ich darin, dass nur auf diese Weise der me- dusoide Bau des Brutsackes beibehalten werden konnte, dass dieser aber in seiner Glockenhöhle eine passende Stätte besonders für die embryonale Entwicklung der Eier darbot. Es gibt auch in der That Arten (Campanularia flecuosa), bei welchen nur die weibliche Keim- stätte ins Entoderm verlegt ist, während die männliche zwar auch bedeutend zurückgeschoben ist, aber innerhalb des Ektoderms. Wenn nun die Verschiebung mit Verlegung ins Entoderm ver- bunden war, so ist die zweite Verschiebungsstation, wie sie z. B. bei den Eizellen von Podocoryne vorliegt, das Entoderm der Jungen Geschlechtsknospe und nun erfolgt die weitere Verschiebung im Entoderm. Im dritten Stadium differenzieren sich die Keim- zellen, noch ehe die dazu gehörige Brutsackknospe sich zu bilden be- gonnen hat und zwar im Umkreis der Stelle, an welcher sie sich bil- den wird, also im der Leibeswand des Polypen, der die Geschlechts- knospen (Gonophoren) hervorbringt. Auf diesem Stadium befinden sich z. B. beide Geschlechter von Hydractinia echinata, weibliche und männliche Keimstätte liegen im Entoderm gewisser Polypen (der Blastostyle), und zwar nur an einer sehr beschränkten Stelle. Die Gattung HAydractinia bietet in Gemeinschaft mit Podocoryne ein gutes Beispiel für den Parallelismus in dem Vorschreiten der beiden phy- letischen Prozesse: der Verschiebung der Keimstätte und der Rück- bildung der Medusen zu bloßen Brutsäcken. Die beiden Gattungen stehen sich so nahe, ja sind bis in kleinste Einzelheiten so überein- stimmend gebaut, dass es sicher niemandem eingefallen wäre, sie in 2 18 Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. zwei Gattungen zu trennen, brächte nicht Podocoryne Medusen hervor, Hydraetinia aber nur sessile Brutsäcke. Dementsprechend finden wir die Keimstätte bei ersterer noch in der Geschlechtsknospe, wenn auch schon um einiges zurückgeschoben, bei letzterer aber bereits im Blastostyl. IS a; SS = G EN | 2 as IE} | Ak . . . Et Fig. 4 Viertes Stadium der Keim- : A stätteverschiebung. Schema eines - or Vz jungen Blastostyls (eines Brutsäcke her- OR vorbringenden Polypen) von Hydractinia, ehe noch die Bildung von Brutsäcken be- gonnen hat. Tent, Tentakel, ukz Urkeim- zellen des Ektoderms, kz die Keimzellen, welche aus den Urkeimzellen sich differen- ziert haben, nachdem dieselben ins Entoderm übergewandert sind; LH Leibeshöhle. Nöd/ke> bl NT = EX) a & \ \ —_ ah geschieht besonders bei Arten mit starker baumförmiger Verzweigung des Stockes. Hier rückt sie zunächst aus dem die Geschlechtsknospe treibenden Polypen in den Ast zurück, von welchem dieser entspringt, ja in manchen Fällen (Eudendrium racemosum) sogar bis in den Stamm, von welchem dieser Ast seinen Ursprung nimmt, und in solchen Fällen differenzieren sich also die Keimzellen im Stamm früher, als der Seiten- ast hervorknospt, von welchem später der Polyp entsteht, der die Geschlechtsknospe treibt. Entsprechend dieser starken Verschiebung ist auch die Rückbildung der Meduse dann eine so weit gehende, dass man aus dem Bau des Brutsackes allein nicht mehr auf Medusen- Abstammung schließen dürfte; erst durch Herbeiziehung anderer, hier nicht zu erwähnender Verhältnisse, wird dieser Schluss gerechtfertigt. In ganz ähnlicher Weise kann nun die weitere Verschiebung der Keimstätte vom Glockenkern aus auch im Ektoderm stattfinden (z.B. bei Cordylophora), dann aber ist eine vollständige Rückbildung der Medusenform von vornherein damit verbunden, wie das auch aus mechanischen Gründen zu erwarten war. Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. 19 Worin bestehen nun diese Verschiebungsprozesse? Beruhen sie darauf, dass die Fähigkeit sich zu Keimzellen zu differenzieren von einer Zellgruppe auf eine andere überspringt, oder sind es stets die Zellen ein und derselben Abstammungslinie, von denen nur immer frühere Glieder die Differenzierung eingehen ? Das letztere ist der Fall, wie die schrittweise erfolgende Verschiebung und andererseits der Umstand beweist, dass, wenn die Verschiebung mit einem Wechsel des Keimblattes verbunden ist, eine wirkliche, wenn auch sehr kurze Wanderung jener Ektodermzellen eintritt, welche den Keimzellen den Ursprung geben, und welche ich als „Ur- keimzellen“ bezeicehne. Man kann zwar nicht direkt beobachten, wie diese Urkeimzellen die Stützlamelle durchbohren und ins Entoderm eindringen, um sich dort erst zu Keimzellen umzuwandeln, aber man kann diesen Vorgang aus seinen einzelnen Phasen bei einer Reihe von Arten mit aller Sicherheit erschließen, so bei Pachycordyle napolitana, bei Podocoryne, Hydraetinia, Clava, Plumularia, Cam- panularia. Während nun bei der ganzen Gruppe der Hydroiden mit rück- gebildeten Medusen die Keimstätte sich mehr oder minder weit von ihrem ursprünglichen Ort, dem Manubrium, entfernt hat, ist die „Reifungsstätte* dieselbe geblieben, oder mit andern Worten: bei allen diesen Arten wandern die Keimzellen selbständig vom Ort ihrer Differenzierung nach dem Brutsack hin, um in diesem genau den Platz einzunehmen, der dem Ektoderm des Manubriums, der uralten Lagerstätte der Geschlechtsorgane entspricht. Liegt die Keimstätte im Entoderm, so wandern die Keimzellen zunächst im Entoderm hin und durchsetzen erst die Stützlamelle, um ins Ektoderm zu gelangen, wenn sie das Manubrium des Brutsackes erreicht haben. Dieses Durch- brechen ins Ektoderm wird auch dann noch beibehalten, wenn ihm eine physiologische Bedeutung nicht mehr zukommen kann, also in solchen Fällen, in denen die Stützlamelle von so extremer Fein- heit wird, dass sie in physiologischer Hinsicht irrelevant erscheint, oder in denen die Eizelle nach ihrem Durchtritt ins Ektoderm doch wieder von Entodermzellen umwachsen wird (Hippopodius). Offenbar handelt es sich also hier lediglich um die Beibehaltung einer phyle- tischen Reminiszenz; so bei Campanularia, Clava, Plumularia, vielen Siphonophoren. Diese Wanderung wird dann am verwickeltsten, wenn die Keim- stätte im Laufe ihrer phyletischen Verschiebung zwar auch zuerst vom Glockenkern aus ins Entoderm gelangte, später aber, bei noch weiterer Verschiebung, wieder ins Ektoderm hinüberrückte. So deute ich wenigstens den Fall von Eudendrium racemosum, bei welchem die weibliche Keimstätte im Ektoderm des Stammes-Polypen liegt, und die Eizellen nun von dort zunächst im Ektoderm hinwandern bis in den Seitenast hinein, dort aber ins Entoderm durchbrechen und °F 20 Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. m nun in diesem weiterwandernd in den Seitenpolypen zweiter Ordnung (Blastostyl), und von diesem aus in die Brutsäcke eintreten, um erst dort wieder ins Ektoderm zurückzukehren. Man hat von jeher die wandernden Zellen höherer Organismen mit Amöben verglichen, und die Art ihrer Bewegung ist auch wirklich dieselbe. Bei den Hydroiden beschränkt sich aber die Aehnlichkeit mit selbständigen einzelligen Organismen nicht bloß auf die Bewegungs-Erscheinungen des Zellkörpers, vielmehr zeigen diese kriechenden Ei- und Sperma- zellen, dass sie einen fein ausgebildeten Tast- und Drucksinn besitzen müssen, und dass ihnen die Tendenz, nach einem bestimm- ten Ziele zu wandern, angeerbt ist. Wie das möglich, wie es zu erklären sei, ist eine andere Frage, die Thatsache aber lässt sich nicht bestreiten, denn die Keimzellen wandern keineswegs bloß in einer bestimmten Richtung (meist aufwärts im Stock), sondern sie treten auch an ganz bestimmten Stellen des Stockes aus dem Ekto- derm ins Entoderm, oder umgekehrt über und verfehlen diese Stellen nur sehr selten. Ebenso scheinen sie zu wissen, dass sie nicht in Hydranthen-Knospen einzurücken haben, sondern nur in Blastostyl- Knospen, d. h. in Knospen, von denen später Brutsäcke hervorwachsen werden. Bei Eudendrium lassen sich diese beiden Knospen-Arten schon ganz früh unterscheiden, indem nämlich bei den mundlosen Blastostylen die Rüssel-Anlage fehlt; obgleich nun nicht selten Knospen beiderlei Art dieht nebeneinander entspringen, verirren sich dennoch die Eizellen nur äußerst selten in eine Hydranthen-Knospe, während die Blastostyl-Knospen schon sehr früh von ihnen erfüllt worden. Dies ist um so auffallender, als später, wenn die Hydranthen- Knospe soweit herangewachsen ist, um selbst wieder Blastostylknospen zu treiben, die Eizellen regelmäßig in sie einrücken. Diese Wanderungen der Keimzellen bei den Hydroiden sind wohl der erste bekannte Fall von Zellwanderung mit ganz bestimmtem Ziel und bestimmtem, genau vorgeschriebenem Eingreifen in den Aufbau der Gewebe und Organe. Er lässt darauf zurückschließen, daß auch bei der gewöhnlichen Anordnung der Zellen in wachsenden Geweben die Druckempfindung der einzelnen Zelle und eine dadurch ausgelöste Eigenbewegung eine Rolle spielt, — dass z. B. die Anordnung der Eizellen in den Ovarien vieler Medusen zu vier radialen Längsstreifen nicht allein auf passivem Geschobenwerden der durch das Wachstum sich drängenden Zellen beruht, sondern zugleich auf aktiver Re- aktion der Eizellen selbst, auf der anererbten Tendenz der ein- zelnen Eizelle, eine Lage unter ganz bestimmten Druckverhältnissen, einzunehmen. Die Beobachtung, dass bei Podocoryne wandernde Eizellen sich zu eben solehen vier Ovarien zusammenordnen, zwingt offenbar zu diesem Schluss. In bezug auf Ererbung von Bewegungstendenzen bei einzelnen Zellen ist auch das Auskrieehen der reifen Eizellen aus dem Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. aa Brutsack interessant, welches bei Corydendrium beobachtet wurde. Hier verlassen die Eizellen selbständig den Brutsack durch eine Oeffnung an der Spitze desselben, Kriechen ein Stück weit auf der Außenfläche desselben hin und heften sich dann fest durch Ausschei- dung einer Schale, die eine regelmäßig dicht neben der andern, aber keine auf der andern. Dieses Auskriechen hat natürlich nicht die phyletische Bedeutung der vorher besprochenen Wanderungen. Ueberhaupt ist es zweifel- haft, ob die langen schlauchförmigen Brutsäcke von Corydendrium als rückgebildete Medusen betrachtet werden dürfen. Es darf nicht vergessen werden, dass Hydroid-Polypen schon zu einer Zeit gelebt haben müssen, als es noch keine Medusen gab, denn diese sind erst aus ihnen hervorgegangen. Nun stimme ich zwar vollständig mit der Ansicht derjenigen Forscher überein, welche wie Allman, Hert- wig, Claus und Gegenbaur die Medusen durch Umwandlung der gewöhnlichen Polypenform (Hydranthen) entstanden denken, dies schließt aber nicht aus, dass nicht in der vormedusoiden Zeit der Hydroid-Polypen zahlreiche Arten existiert haben könnten, welche durch Rück- und Umbildung von Polypen bereits Brutsäcke gebildet hatten, denen mit den heutigen, durch Rückbildung von Medusen entstandenen Brutsäcken nur die Funktion, nicht aber die Abstammung gemeinsam war. Und weiter steht an und für sich dem nichts im Wege, dass solche Arten sich bis in die jetzige Zeit herübergerettet haben könnten, dass es also heute noch neben den medusoiden auch noch polypoide Brutsäcke gebe. Es scheint aber doch sehr zweifelhaft, ob dem so ist. Die über- wiegende Mehrzahl aller Brutsäcke, an denen man bisher keinen me- dusoiden Bau erkennen konnte, hat sich mir bei der Untersuchung auf Schnitten dennoch als medusoid ergeben. So vor allem die Brut- säcke der Plumulariden, bei welchen dieser Nachweis um so schwerer wiegt, als es — soweit wir wissen — keine Plumulariden-Arten mehr gibt, welche freie Medusen hervorbringen. Grade hier liegt zugleich ein förmlicher Beweis dafür vor, dass, wie zuerst v. Koch ver- mutete, die phyletische Entwiekelung von der Meduse zum medusoiden Brutsack vorschritt, nicht — wie früher allgemein angenommen wurde — vom Brutsack zur Meduse. Bei diesen Plumulariden - Brutsäcken finden sich noch alle Schichten des Körpers, welche bei der voll- ständigen Meduse vorkommen, aber zu ganz feinen Häutchen redu- ziert; so ist z. B. die Glocke durch zwei dünnste Ektodermlagen repräsentiert, die eine ebenso minutiöse „Entodermlamelle“ einschließen; diese drei dicht aufeinander liegenden Häutchen können aber nur als Rückbildungen verstanden werden, als aufsteigende Bildungen hätten sie keinen Sinn, da eine einzige wohl entwickelte Zellenlage dieselben Dienste leisten würde, die komplizierte Zusammensetzung also nicht zu begreifen wäre. 2» Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. ir y Unter allen von mir untersuchten Gattungen können nur drei überhaupt in den Verdacht kommen, polypoide Brutsäcke zu besitzen. Von diesen glaube ich für Eudendrium mit Sicherheit, für Cordylo- phora mit großer Wahrscheinlichkeit die medusoide Abstammung be- haupten zu dürfen, so dass bloß die einzige Gattung Corydendrium möglicherweise als letzter Rest jener hypothetischen, mit Brutsäcken versehenen Polypen aus vormedusoider Zeit übrig bliebe; doch lassen sich auch hier Thatsachen geltend machen, die gegen diese Auffassung sprechen (siehe a. a. O. S. 252 u. 291). Dennoch gibt es auch heute noch eine Gattung mit poly- poiden Brutsäcken, nämlich die Gattung Sertularella, aber von ihnen lässt sich nachweisen, dass sie sekundäre Bildungen sind, dass sie trotzdem von Medusen abstammen, und dass die heutige Lage der Geschlechtsorgane in der Wandung eines reduzierten Polypen (Blasto- styls) darauf beruht, dass die Medusen, welche früher von diesem Polypen hervorsprossten, nicht nur zu sessilen Brutsäcken umgewan- delt, sondern schließlich gänzlich reduziert wurden und ganz in Weg- fall kamen, so dass nun die Gonaden sich in die Wand des Polypen selbst einlagern mussten. So ist also hier eine an und für sich ein- fachere Bildung aus einer weit komplizierteren hervorgegangen, und ein Zustand auf einem ungeheuern Umweg erreicht, den man sich direkt hergestellt denken könnte, und der bei jetzt ausgestor- benen Arten vielleicht direkt hergestellt wurde. Solche Nachweise sind wohl immer wertvoll, weil sie zeigen, dass gleiche Bildungen auf sehr verschiedenem Wege erreicht werden können, und dass somit die Aufeinanderfolge phyletischer Formen nicht auf dem treibenden Zwang innerer Entwiekelungskräfte beruht. Im übrigen könnte grade das vollständige oder beinahe vollstän- dige Verschwinden der vormedusoiden Polypenformen mit poly- poiden Brutsäcken den Anschein erwecken, als beruhe die phyletische Entwiekelung auf solchen innern treibenden Kräften. Dennoch lässt es sich ganz wohl begreifen, wie auch durch die bloße Anpassung an veränderte Verhältnisse Umgestaltungen in gleicher Richtung bei einer ganzen Klasse von Organismen, und nicht nur bei dieser oder jener Art eintreten können. Bei den Polypen z. B. leuchtet es ein, dass die gleichen, und gewiss außerdem noch manche andere Feinde, welche heute ihre festsitzenden Kolonien dezimieren, auch in der Vorzeit ihre Existenz bedrohten, ja dass diese sitzenden oder kriechenden Feinde in dem Maße zunahmen, als die Polypen selbst an Zahl und Ausbreitung zunahmen und dieselben immer mehr in ihrer Existenz bedrohten. Die Entstehung der Medusen aus den Ge- schlechtspolypen muss diejenigen Arten, welche sich dazu empor- schwingen konnten, erheblich in Vorteil gesetzt haben gegenüber den andern, und es ist verständlich, dass der Prozess der Medusenbildung zu dieser Zeit der höchsten Bedrängnis durch kriechende Feinde bei Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen, 25 vielen Arten nahezu gleichzeitig begonnen hat. Ebensogut lässt sich aber auch verstehen, dass in einer spätern Erdepoche, als die in- zwischen entstandenen zahllosen Arten von Medusen auch wieder eine große Zahl von vorher nicht dagewesenen, schwimmenden Fein- den großgezogen hatte, dieser Vorteil auf ein Minimum herabsank, und dass es schließlich für viele Arten wieder vorteilhafter wurde, ihre Geschlechtsprodukte am Stock selbst, unter dem Schutz von Wehrpolypen oder starken Schutzkapseln zur Reife zu bringen, statt in den großer Zerstörung ausgesetzten, weil langsam im freien Meer reifenden Medusen. So kam es bei vielen Arten zunächst nur zur Beschleunigung der Geschlechtsreife der Medusen durch frühere An- lage der Keimzellen, dann aber zum Sessilwerden der Medusen, und nun durch immer weitere Zurückverlegung der Keimstätte bis in die Zweige und Aeste des Stockes hinein zur völligen Umwandlung der Medusen zu sessilen Brutsäcken. Die bisher betrachtete Verschiebung der Keimstätte in centri- petaler Richtung ist indess nicht die einzige phyletische Lage- änderung, welche in bezug auf die Keimzellen bei den Hydromedusen stattgefunden hat. Es gibt auch eine Verschiebung in umge- kehrter Riehtung, und zwar zunächst der Geschlechtsorgane selbst. Wie bekannt liegen die Gonaden vieler Medusenfamilien, so bei der ganzen Häckel’schen Ordnung der Leptomedusen, nicht am Manubrium, sondern an der innern Wand der Glocke, im Verlauf der Radiärkanäle. Wenn nun die Annahme, von welcher ausgegangen wurde, richtig ist — wenn wirklich das Manubrium die ursprüngliche Keim- und Reifungsstätte aller Craspedoten ist, so hätte also hier eine Verschiebung der Reifungsstätte vom Manubrium nach den Ra- diärkanälen hin stattgefunden. Ob auch die Keimstätte dorthin ge- folgt ist, steht dahin, da die frühern Untersuchungen auf eine mög- licherweise vorhandene lokale Trennung des Entstehungs- und des Reifungsortes der Keimzellen noch keine Rücksicht nehmen konnten. Mir selbst war es aus Mangel an Material nicht möglich, diese Frage zu entscheiden, inzwischen aber hat Herr C. Hartlaub dieselbe an Eucopiden (Obelia) aufgenommen und war wirklich so glücklich, die Keimstätte noch an der Basis des Manubriums nachweisen zu können. Eine genauere Darlegung seiner Resultate wird demnächst erscheinen. Damit ist denn der förmliche Beweis erbracht, dass auch bei Euco- piden die ursprüngliche Lage der Gonaden die am Manubrium war. Von Siphonophoren wurden hauptsächlich Vertreter der Ca- lyeophoriden und Physophoriden untersucht, sowie der Discoideen; auch hier ergaben sich ganz ähnliche Verhältnisse, wie bei den fest- sitzenden Polypenstöcken. Auch hier liegt bei allen Arten, deren Medusen zu Brutsäcken rückgebildet sind, die Keimstätte außerhalb des Brutsackes, meist an der Basis desselben und im Entoderm; auch hier wandern dann später, wenn das Manubrium des Brutsackes 24 Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. sich bildet, die Keimzellen, und zwar die männlichen so gut als die weiblichen, im Entoderm distalwärts, durchbohren die Stützlamelle und lagern sich in das Ektoderm des Manubriums. Bei denjenigen Siphonophoren aber, welche wie Velella und Porpita noch heute freie Medusen als Geschlechtspersonen hervorbringen, enthalten die jungen Knospen derselben, auch wenn sie schon zur Lösung vom Stock reif sind, noch keine Keimzellen; diese entstehen also erst später und zwar, wie aus frühern Beobachtungen von Gegenbaur hervorgeht, aus dem Ektoderm des Manubriums. Wir hätten also bei den Siphonophoren ganz den gleichen Verschiebungsprozess der Keim- stätte, vom Ektoderm des Manubriums durch den Glockenkern in das Entoderm der jungen Geschlechtsknospe oder noch weiter zurück, wie bei den festsitzenden Polypenstöcken. Was nun die oben berührte Frage nach dem einheitlichen Ursprung der Keimzellen bei allen Hydroiden und Siphono- phoren betrifft, so muss ich dieselbe bejahen und die Abstammung aus dem Ektoderm annehmen. Zwar ist es bei den Siphonophoren vor- erst noch nicht gelungen, die im Entoderm sich differenzierenden Keim- zellen auf ektodermale „Urkeimzellen“ zurückzuführen, aber da bei ihnen dieselbe merkwürdige Wanderung der Keimzellen aus dem Entoderm der Knospe in das Ektoderm des in Bildung begriffenen Manubriums vorliegt, wie bei den Hydroiden mit entodermaler Keim- stätte, und da bei diesen die Zurückführung der Keimzellen auf ein- gewanderte ektodermale Urkeimzellen gelang, so ist der Schluss bei- nahe unabweisbar, dass auch hier in noch jüngern als den jüngsten von mir untersuchten Stadien ein ähnlicher Uebertritt stattfinden müsse. Wichtiger als diese Frage, deren nähere Beantwortung man im Original nachsehen möge, scheint mir der Nachweis einer vollkom- menen Kontinuität des Keimprotoplasmas durch die Ge- nerationen hindurch zu sein. Alle Verschiebungen der Keim- stätte geschehen nur Schritt vor Schritt, niemals sprungweise, und selbst die Verlegung der Keimstätte von der einen (ektodermalen) Seite der Stützlamelle auf die andere (die entodermale) geschieht nicht dadurch, dass die Fähigkeit sich zu Geschlechtszellen zu dif- ferenzieren von jenen Ektodermzellen auf Entodermzellen übergegangen wäre, sondern vielmehr dadurch, dass jene Ektodermzellen, welche sich früher im Ektoderm selbst zu Geschlechtszellen umwandelten, jetzt dureh die Stützlamelle ins Entoderm einwandern und dort erst zu Keimzellen werden. Dies lässt keine andere Deutung zu, als dass vom Ei her nur ganz bestimmte Zellen und Zellgenera- tionen die Bedingungen enthalten, welche zur Differen- zierung von Geschlechtszellen notwendig sind, und bildet eine starke Stütze der von mir früher schon verteidigten und neuer- dings weiter entwickelten Ansicht !), dass ein Teil des Keimplasmas N) Eine soeben erschienene Arbeit von M. Nussbaum (Arch. f. mikr. Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. 25 der sich furchenden Eizelle unverändert bleibe, um in frühern oder spätern Zellgenerationen des sich entwickelnden neuen Individuums oder seiner Nachkommen die Grundlage zur Bildung neuer Keimzellen abzugeben !). Es werden hier nicht etwa Keimzellen schon bei der Eifurehung, oder beim Aufbau des Embryo abgespalten, und ebenso- wenig Zellen, welehe schon in dem oben angegebenen Sinn als „Ur- keimzellen“ betrachtet werden könnten. An dem reich verästelten baumförmigen Stöckehen eines Medusen produzierenden Polypen, z. B. einer Bougainvillea, gibt es keine irgendwie kenntlichen Zellen, die man als Stammzellen der spätern Sexualzellen der Medusen bezeichnen könnte, und dies nicht etwa bloß deshalb, weil sie eben nicht kennt- lich sind, sondern weil sie nicht als Zellen schon vorhanden sind. Fasst man später, wenn die Medusen hervorknospen, den ersten Anfang einer solehen Knospe ins Auge, so sieht man nur völlig gleich- artige Zellen des Ektoderms und des Entoderms, und keine von diesen geht als solche in die Sexualanlage über, oder liefert etwa nur die Sexualzellen. Alle Ektodermzellen — denn nur auf diese kommt es hier an — vermehren sich vielmehr auf das vielfache, der ganze komplizierte Bau der Meduse bildet sich aus, und erst wenn derselbe fertig ist, zeigt sich die erste Spur von Keimzellenbildung. Man möchte vielleicht immer noch geneigt sein zu vermuten, dass einige kleine „embryonale“ Zellen der Beobachtung entgangen wären, und dass nun diese doch den Ausgang der Keimzellenbildung darstellten; allein dem ist nicht so, das Manubrium der jungen Meduse ist nur von einer einzigen Schicht von Ektodermzellen überzogen, und von diesen scheinbar ganz gleichen Zellen bilden sich dann einige zu Sexualzellen um. Ob man nun diese einfache Schicht von Ektoderm- zellen schon als „histologisch differenziert“ betrachten will oder nicht, darüber lässt sich streiten, da es sehr verschiedene Grade histo- logischer Differenzierung gibt und sich schwer sagen lässt, wo die- selbe anfängt. Thatsache ist aber, dass die Ektodermzellen des Stockes, aus welchen der ektodermale Teil der Medusenknospe entstand, vorher als Ektoderm funktioniert haben, sowie dass die Ektodermschicht des Manubriums der jungen Meduse bei vielen Arten (z. B. bei Oladonema) ebenfalls schon der losgelösten Meduse als Ektoderm gedient hat. Anat. Bd. XXIIL, S. 155) macht mich darauf aufmerksam, dass dieser Forscher schon in seiner frühern, auch in dem hier besprochenon Werk berücksich- tigten Arbeit („die Differenzierung des Geschlechts im Tierreich‘, dasselbe Arch. Bd. XVII) Ansichten über die Entstehung der Sexualzellen aus dem Material des Eies ausgesprochen hat, welche in wesentlichen Punkten mit den meinigen übereinstimmen. 1) Vergl. „Ueber die Dauer des Lebens“, Vortrag gehalten auf der Naturforscherversammlung zu Salzburg (1881), später als besondere Schrift bei G. Fischer in Jena erschienen (1882); femer: „Ueber die Vererbung“, Jena 1883, und „Ueber Leben und Tod“, Jena 1884. 26 Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. Uebrigens scheint es mir auf diesen Punkt weniger anzukommen, als vielmehr darauf, dass in der ersten Anlage der Meduse noch keine „Urkeimzellen“ enthalten sind, vielmehr nur Zellen, aus welchen zu- gleich andere Teile der Meduse und Urkeimzellen hervorgehen. Dies zwingt zu dem Schluss, dass, wenn überhaupt eine Kontinuität des Keimplasmas besteht, diese hier darauf beruht, dass eine Anzahl von Molekülgruppen desselben bei dem Aufbau des Embryos unverändert bleibt und, bestimmten somatischen Zellen (hier des Ektoderms) bei- gemischt, sich durch sehr zahlreiche Zellgenerationen hinzieht, um dann im Innern bestimmter Ektodermzellen in die Anlage einer Me- duse zu gelangen, schließlich in gewisse Ektodermzellen des Manu- briums dieser Meduse, um dort nun durch Vermehrung zu Urkeim- zellen zu werden und schließlich zu Keimzellen. Es lässt sich auch ganz wohl einsehen, warum hier die Abspal- tung von Geschlechtszellen nicht schon während der Embryonalent- wickelung vor sich geht. Man braucht sich nur das winzige Zell- material einer Planula-Larve vorzustellen, wie sie aus dem Ei einer Meduse entsteht, und andererseits den Polypenstock mit hunderten von Individuen, wie er aus dieser Larve allmählich hervorwächst, so wird man erkennen, dass es hier auf eine möglichst starke und allseitige Verteilung des zur spätern Bildung von Ge- schlechtszellen reservierten Keimplasmas ankam, und dass diese sich kaum anders erreichen ließ, als durch Beigabe der Molekül- gruppen des Keimplasmas an eine größere Zahl somatischer Zellen. Dazu kommt aber noch ein Umstand, den ich in dem hier referierten Buche nicht berührt habe, nämlich der späte Zeitpunkt der Dif- ferenzierung von Geschlechtszellen. Dass die Geschlechtszellen der Wirbeltiere, welche doch meist erst nach Jahren geschlechtsreif werden, schon im Embryo als solche angelegt werden, ja — wie M. Nussbaum gezeigt hat — so früh, dass sie in der jungen Larve von Rana arvalis!) noch mit Dotter- plättehen erfüllt sind, das deutet darauf hin, dass an und für sich ein Vorteil nicht darin liegt, wenn die propagatorischen Molekül- gruppen viele Zellgenerationen hindurch in somatischen Zellen verteilt bleiben. Andererseits ist aber auch nicht zu verkennen, dass die Keimzellen bei den Wirbeltieren viel später in der Embryogenese sich von den somatischen Zellen abspalten, als z. B. bei gewissen Insekten, denn bei diesen sind die ersten Zellen, welche sich bei der Furchung von der übrigen Masse des Eies trennen, die soge- nannten Polzellen nach Meeznikow und Balbiani grade eben die Geschlechtszellen. Dies ist nur von der Ordnung der Dipteren be- 4) „Ueber die Veränderungen der Geschlechtsprodukte bis zur Eifurchung ; ein Beitrag zur Lehre von der Vererbung“, Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXI, BD: Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. 2 kannt, bei Insekten also, welche sich sehr rasch entwickeln und sehr früh schon zur Fortpflanzung gelangen. Weiter können die Blatt- läuse (Aphiden) angeführt werden, bei welchen nach Meceznikow ebenfalls die Geschlechtszellen sich sehr früh im der Embryogenese abspalten und welche andererseits sich unmittelbar nach ihrer Geburt fortpflanzen. Ein weiteres Beispiel früher Trennung der Fortpflan- zungszellen von den somatischen Zellen bieten die Daphniden, von welchen Grobben gezeigt hat, dass die Anlage der spätern Ge- schlechtszellen etwa in der fünften Phase der Furchung in Gestalt einer besondern Zelle kenntlich wird. Grade die Daphniden aber pflanzen sich ebenfalls schon sehr früh fort, oft tragen sie schon am sechsten Tag nach ihrer Geburt selbst wieder Brut. Das sind freilich nur spärliehe Tatsachen, aber wenn man sie zusammenhält mit den Verhältnissen bei den Hydroiden, so scheinen sie mir doch sehr bestimmt darauf hinzudeuten, dass es wesentlich der Zeitpunkt der Geschlechtsreife ist, der die frühere oder spätere Abspaltung der propagatorischen von den somatischen Zellen mit bedingt. Wir werden erwarten müssen, dass überall da, wo das aus dem Ei entstehende Individuum sehr bald schon zur Fortpflan- zung schreitet, auch die Abspaltung der Molekülgruppen des Keim- plasmas in Gestalt besonderer Zellen schon früh in der Embryogenese eintritt, während umgekehrt überall da, wo die geschlechtliche Fort- pflanzung sehr spät erst, oder überhaupt gar nicht von dem aus dem Ei direkt entstandenen Individuum ausgeführt wird, vielmehr erst von einer der spätern Generationen ungeschlechtlich auseinander hervor- gchender Individuen, zu erwarten steht, dass es erst in diesen spä- tern Generationen zur Bildung von Propagationszellen kommt, und zwar durch Vermehrung der vorher in bestimmten somatischen Zellen zerstreuten Keimmolekülgruppen. Die Annahme solcher direkt nicht nachweisbarer Molekülgruppen in bestimmten somatischen Zellen und Zellenfolgen scheint mir aber unabweisbar nach den bei den Hydromedusen vorliegenden Thatsachen, und grade deshalb vor allem scheinen mir dieselben von großem Werte. Wäre nämlich nicht schon vom Ei her durch alle Zellgenera- tionen hindurch bis zur Medusenknospe hin Keimplasma in feinster und deshalb für uns nicht wahrnehmbarer Verteilung in gewissen somatischen Zellen enthalten, so ließe sich nicht absehen, warum die Bildung von Geschlechtszellen schließlich an ein bestimmtes Keim- blatt, an eine ganz bestimmte Stelle gebunden sein sollte, und noch weniger, warum jede kleinste phyletische Verschiebung dieser Keim- stätte von einem Keimblatt ins andere nur durch wirkliche Zellen- wanderung sich vollziehen könnte. Nur wenn bestimmte Zellfolgen allein die Träger des Keimplasmas sind, können wir verstehen, warum eine so minutiöse Verschiebung der Keimstätte, wie jene oben be- zeichnete von der einen Seite der Stützlamelle auf die andere auf I Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen keine andere Weise geschehen konnte, als durch Auswanderung der Träger des Keimplasmas. Eine lange Reihe von Zellgenerationen trennt zwei Zellen, von denen die eine auf der ektodermalen, die an- dere auf der entodermalen Seite der Stützlamelle dicht beisammen liegt; beide hängen nur an der Wurzel des ganzen Polypenstockes zusammen, d. h. ein Furchungsprozess des Eies, aus welchem der erste Polyp des Stockes hervorging. Wenn bisher die Ektodermzelle das Keimplasma in sich enthielt, welches sie befähigte, unter ge- wissen Umständen zur Keimzelle sich zu differenzieren, wie sollte es möglich werden, dass nun plötzlich die Entodermzelle diese Funktion übernähme? Sobald die Anschauung von der Kontinuität des Keim- plasmas durch die Generationen hindurch richtig ist, wäre eine solche Uebertragung eine reine Unmöglichkeit, und da nun die Thatsachen zeigen, dass sie wirklich nieht vorkommt, dass auch die kleinsten Verschiebungen der Keimstätte nur durch Zellwanderung ausführbar waren, so darf jene Anschauung wohl als begründet gelten. Sie wird danach auch auf Organismen übertragen werden dürfen, bei welchen solehe Indieien nicht beizubringen sind, so vor allem auf die höhern Pflanzen. Wie diese in ihrer Zusammensetzung aus zahlreichen Individuen eine gewisse Analogie mit einem Polypenstock zeigen, so auch darin, dass bei ihnen die Differenzierung von Keim- zellen erst sehr spät und sehr weit entfernt vom ersten, aus dem Samen entstandenen Individuum des Stockes erfolgt; hunderte oder gar tausende von Zellgenerationen werden hervorgebracht, ehe es in den letzten von ihnen zur Bildung von Sexualzellen kommt, und es unterliegt auch hier keinem Zweifel, dass diese Sexualzellen vorher noch nicht als besondere Zellen vorhanden waren, dass sie vielmehr Abkömmlinge somatischer Zellen sind. Wenn nun die Kontinuität des Keimplasmas bei den Tieren wirklich besteht und die Grundlage der Vererbungserscheinungen bildet, dann wird man nicht umhin können sie auch für die Pflanzen anzunehmen, und für diese An- nahme kann man sich auf das Verhalten der Hydromedusen stützen. Uebrigens ist bereits eine ähnliche Theorie für die Pflanzen aufgestellt in dem kürzlich erschienenen höchst bedeutenden Buch von Nägeli!). Sein „Idioplasma“ ist allerdings nieht ganz identisch mit dem „Keim- plasma“, wie ich es mir vorstelle, allein es wird doch auch als Träger der spezifischen Konstitution der Art gedacht, und verbindet in ma- terieller Kontinuität die Keimzellen der Generationen. Zum Sehluss sei auch noch die Frage berührt, ob dureh den Nachweis einer ceönosarealen Entstehung der Keimzellen etwa die Auffassung der Fortpflanzung der betreffenden Hydroiden als Generationswechsel verändert wird. — Es ist dies behauptet 1) C v. Nägeli, „Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungs- lehre“, München u. Leipzig, 1884, Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. 99 worden !), indem man sagte, die Brutsäcke seien hier gar nicht die Geschlechtspersonen, da ja die Keimzellen nicht in ihnen entstünden, sondern nur reiften. Sobald man indess die Genese der cöno- sarcalen Entstehung der Keimzellen kennt und weiß, dass sie nur auf einer Verschiebung der ursprünglichen Keimstätte beruht, dass diese aber im Innern der Geschlechtsperson selbst lag, so wird eine solche Auslegung bedeutungslos. Wollte man bei der eönosarcalen Genese der Keimzellen nieht mehr von Generationswechsel reden, so käme man überdies in die Verlegenheit, bei manchen Arten den Männchen einen Generationswechsel zuschreiben, den Weibehen ihn absprechen zu müssen, denn die männlichen Keimzellen entstehen z. B. bei Olava im Innern des Brutsackes, die weiblichen außerhalb desselben. Vom genetischen Gesichtspunkt aus wird man einfach sagen, die phyle- tische Verschiebung der Keimstätte sei bei den Weibchen etwas weiter vorgeschritten als bei den Männchen, und es es lässt sich sogar eine Erklärung für dieses öfters vorkommende Voranschreiten der Weibchen in der phyletischen Entwicklung geben (siehe a. a. ©. S. 235). Die Verschiebungsprozesse der Keimstätte bei den Hydroiden werfen auch neues Licht auf den kürzlich in seiner Berechtigung angezweifelten Generationswechsel der Salpen. Mit dem von Brooks?) erbrachten Nachweis, dass das Ovarium der Salpen nicht in den Geschleehtspersonen selbst, sondern in jenem Stiel (Stolo pro- lifer) liege, von dem dieselben hervorsprossen, glaubte man sich nicht mehr berechtigt, die Geschlechtspersonen als Zwitter zu betrachten, sondern erklärte sie für Männchen, indem man das Ovarium im Stiel der geschlechtslosen Amme zurechnete, von der der Stiel hervorwächst. Nach den Erfahrungen an Hydroiden aber liegt es weit näher, auch hier eine Verschiebung der weiblichen Keimstätte nach rückwärts anzunehmen, so also, dass das Ovarium der Kettensalpen früher in ihnen selbst gelegen hätte, allmählich aber, behufs rascherer Errei- chung der Geschlechtsreife, in den Stolo prolifer zurückgerückt wäre. Damit könnte denn auch hier noch fernerhin von Generationswechsel gesprochen werden, wenn auch von einer modifizierten Form desselben. Die Natur kümmert sich eben um unsere Schemata von Generations- wechsel, von geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Individuen nicht, sie rückt die Keimstätten je nach Bedürfnis vor oder zurück, und ich glaube nicht zu irren, wenn ich voraussage, dass solche Ver- schiebungen der Keimstätte an vielen Stellen des Tierreichs eine erhebliche Rolle gespielt haben und noch spielen. Nicht nur Rück- 4) De Varenne, „Recherches sur les Polypes Hydraires“. Arch. Zool, exper. et gener. Vol. X. Paris 1832. 2) „Ihe origin of the eggs of Salpa“ Studies from the biologieal Labora- tory. John Hopkins University, Baltimore Vol. II, 1882 30 Weismann, Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. wärtsverschiebung und imfolge dessen frühere Anlage der Keim- zellen wird vorkommen, sondern ebensowohl auch Vorwärtsbe- wegungen, denn unter Umständen kann zu frühe Anlage der Gonaden ein ganz unnützer Aufwand sein, und es wird ganz von den Lebens- bedingungen, dem allgemeinen Wachstum und tausend andern Be- dingungen abhängen, ob und in welcher Riehtung eine Verschiebung der Gonadenanlage anzustreben ist. Zum Schluss fasse ich die Hauptergebnisse in folgende kurze Sätze zusammen: 1) Die Keimzellen der Hydromedusen stammen von Ektoderm- zellen ab. 2) Die älteste, sicher nachweisbare Keimstätte ist das Ektoderm des Medusen - Manubriums. 3) In späterer Zeit ist die Keimstätte verschoben worden, und zwar teils in centrifugaler Richtung (gewisse Medusen), teils in centri- petaler. 4) Die centripetale Verschiebung bewirkt eine Beschleunigung der Geschlechtsreife und findet sich bei allen Arten mit rückgebil- deten, zu sessilen Brutsäcken umgewandelten Medusoiden. 5) Die Verschiebung der Keimstätte lässt mehrere Stadien unter- scheiden; vom Manubrium geht sie zunächst in den Glockenkern, dann in die Seitenwand der jungen Gonophoren -Knospe, und weiter in die Wand des Polypen, der die Brutsäcke hervorbringt (Blasto- styl), dann in den Seitenpolypen, der das Blastostyl hervorbringt, und bei Eudendrium noch weiter zurück bis in den Hauptpolypen, von dem der Seitenpolyp entspringt. Vom Glockenkern ab kann diese phyletische Verschiebung sowohl im Ektoderm, als im Entoderm stattfinden. 6) Die Verschiebung der Keimstätte hält im allgemeinen gleichen Schritt mit der Rückbildung der Medusen. 7) Sobald sie mit einer Verlagerung ins Entoderm verbunden ist, wird sie in jeder einzelnen Ontogenese durch Wanderung der Ur- keimzellen aus dem Ektoderm ins Entoderm vermittelt. 8) Diese Rückwärtsverschiebung der Keimstätte ist nicht verbun- den mit einer Verschiebung der Reifungsstätte, vielmehr wandern in jeder Ontogenese die Keimzellen von ihrer heutigen Keimstätte zurück nach ihrer alten Reifungsstätte, dem Ektoderm des Manubriums. 9) Diese Wanderungen der (männlichen und weiblichen) Keim- zellen müssen auf Vererbung eines Triebes zum Wandern nach be- stimmtem Ziele beruhen. 10) Die Art und Weise, wie die Keimstätte phyletisch verschoben wird, lässt darauf schließen, dass bestimmte somatische Zellen und Zellfolgen Träger von Molekülgruppen des Keimplasmas sind und die Kontinuität des Keimplasmas durch die Generationen hindurch vermitteln. Die Hydromedusen bilden somit einen Beweis Bunge, Ueber das Sauerstoffbedürfnis der Darmparasiten. 231 dieser Kontinuität auch für diejenigen Fälle, in welchen die Keim- zellen sich noch nicht während der Embryonalentwicklung von den somatischen Zellen trennen. G. Bunge, Ueber das Sauerstoffbedürfnis der Darmparasiten. Zeitschrift für physiol. Chemie, Band VII. 1 u. 2. Heft S. 48. Die früher allgemein geltende Anschauung, dass die lebendige Kraft im Tierkörper allein aus der Einwirkung des eingeatmeten Sauerstoffs auf die zugeführte Nahrung resultiere, ist in den letzten Jahren durch verschiedene Beobachtungen erschüttert worden. Neuere Forschungen weisen darauf hin, dass Spaltungsprozesse der Nahrung, welche vor der Oxydation im Tierkörper eintreten, und welche bisher bei der Besprechung der Frage wenig berücksichtigt sind, als be- trächtliche, wenn nicht als Hauptquellen der Muskelkraft angesehen werden müssen. Die Thatsache, dass der Muskel auch in sauerstoff- freien Medien sich kontrahieren kann, um dabei ohne Aufnahme von Sauerstoff Kohlensäure abzuspalten, die Erfahrung, dass einige Kalt- blüter, welche sehr viel Muskelkraft entwiekeln, zehn- bis hundertmal weniger Sauerstoff verbrauchen als Warmblüter, die schon alte Be- obachtung, dass kleine Tiere, welche bei relativ größerer Körperober- fläche mehr Wärme abgeben, mehr Sauerstoff nötig haben als ver- wandte größere Tiere — alles das scheint dafür zu sprechen, dass die Muskelkraft hauptsächlich durch die Spaltung der Nahrung, die Körperwärme vorherrschend durch die Oxydation erzeugt wird. Uebereinstimmend mit dieser Annahme müssten Tiere, welche, in warmblütigen Tieren als Parasiten lebend, keine Wärme zu entwickeln brauchen, das minimalste Sauerstoffbedürfnis haben. Die Entozoen des Darmes leben nun auch in einem fast sauerstofffreien Medium, in welchem hauptsächlich Reduktionsprozesse stattfinden, und wenn wir von dem an und für sich unwahrscheinlichen Fall absehen, dass sie, fest an die Darmwand sich anschmiegend, den aus den Geweben der Darmwand diffundierenden Sauerstoff aufnehmen, so liegt die Möglich- keit vor, dass sie mit Spuren von Sauerstoff leben oder überhaupt gar kein Sauerstoffbedürfnis haben. Um dies festzustellen hat Bunge eine Reihe interessanter Versuche mit dem im Dünndarm der Katze lebenden Spulwurm, Ascaris mystax, angestellt, dessen Beweglichkeit eine sehr große ist. Als geeignetste Flüssigkeit, in welcher die Asca- riden ohne jegliche Nahrung am längsten leben, erwies sich eine 1,1prozentige wässerige Lösung, welche 1,0 NaCl und 0,1 Na,CO, auf 100 enthielt. Die Lösungen wurden durch Auskochen (in Reagensgläsern) von absorbiertem Sauerstoff, soweit dies möglich, befreit, die Ascariden 32 Der dritte Kongress für innere Medizin. dann nach der Abkühlung des Wassers bis auf Körpertemperatur schnell hineingebracht und dann durch Quecksilber abgesperrt und in einem Brütofen bei 55—39° C aufbewahrt. Die anfangs sehr leb- haften Bewegungen wurden am dritten Tage geringer, am fünften sehr träge, am sechsten Tage trat der Tod ein. Nach ungefährer Be- rechnung stellte sich bei den Versuchstieren die Menge des in 24 Stun- den von einem Gramm Körpersubstanz verbrauchten Sauerstoffs auf weniger als 0,02 cc. Im Vergleich mit andern Tieren ist der Sauer- stoffverbrauch ein enorm niedriger, 40—8S0mal geringer als der der Fische, 1000mal geringer als der des Hundes. In einer zweiten Ver- suchsreihe wurde durch Absorptionsmittel, Pyrogallol, Eisenoxydul, - unterschwefligsaures Natrium der Kochsalzlösung, in welcher die Tiere vegetirten, möglichst aller noch absorbierter Sauerstoff entzogen. Die Lebensdauer wurde im Vergleich zu derjenigen in den frühern Versuchen etwas verkürzt, doch lebten die Tiere immerhin loch 4—5mal 24 Stunden. Kontrolversuche zeigten, dass die Ascariden bei Sauerstoffzutritt unter sonst gleichen Bedingungen S—10 Tage, ja bis 15 Tage leben. Doch wird dadurch der Schluss, den wir aus den Versuchen ziehen müssen, dass das Sauerstoftfbedürfnis der As- cariden trotz lebhafter Muskelkontraktionen ein sehr geringer ist, nicht alteriert. Es kann demnach die Oxydation nicht die ausschließ- liche Quelle der Muskelkraft sein, sondern es sind die Spaltungs- prozesse, welche bei mangelnder Nabrungszufuhr natürlich nur eine beschränkte Zeit sich geltend machen können, und mit ihnen hören dann die Bewegungen auf und es tritt der Tod ein. R. Fleischer (Erlangen). Die Rechtschreibung des Biologischen Centralblattes wird von dem heute begonnenen Bande IV ab insofern einige Veränderungen erfahren, als dieselbe nunmehr vollständig an diejen’ge Rechtschreibung sich anschliessen wird, welche in den deutschen Schulen eingeführt ist. Zwar können wir nicht in allen Punkten uns mit derselben einverstanden erklären. Aber einmal glauben wir, dass es vorteilhafter sei, mit Hintansetzung spezieller Mei- nungsverschiedenheiten Einheit in dem Punkte der Rechtschreibung anzustreben, als zu dem Zwiespalte in derselben noch mehr beizutragen, und zweitens glauben wir damit auch den Wünschen der meisten unserer Herren Mitarbeiter entgegen- zukommen. Der Titel wird nach wie vor (Biologisches Oentralblatt) mit O ge- schrieben sein. Unser Blatt ist zwar noch nicht allzu alt; aber wir hegen den- noch für die Schreibweise der ersterschienenen Nummer desselben Pietät genug, um dieselbe wenigstens äusserlich ın dem Titel beizubehalten. Die Redaktion. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 15. März 1884. Urs 2 Inhalt: Axel Blytt, Ueber die wahrscheinliche Ursache der periodischen Verände- rungen in der Stärke der Meeresströmungen. — Peracea und Deregibus, Be- merkungen über Coelopeltis. — Kräpelin, Geruchsorgane der Gliedertiere. — Koch, Nematoden der Schaflunge. — Ranvier, Ueber Neuroglia. — Rosen- thal, Die spezifischen Energien der Nerven. — Der dritte Kongress für innere Medizin. Ueber die wahrscheinliche Ursache der periodischen Veränderungen in der Stärke der Meeresströmungen. Der Gesellschaft der Wissenschaften in Christiania vorgelegt am 14. Dez. 1883. Von A. Blpytt. In mehreren Abhandlungen !) habe ich nachzuweisen gesucht, dass der warme nordatlantische Strom (wie die Meeresströmungen über- haupt) periodischen Veränderungen unterliegt, vermöge deren seine Mächtigkeit im Laufe der Jahrtausende abwechselnd ab- und zunimmt. Einige Kritiker haben mir den Vorwurf gemacht, eine derartige Annahme sei ein Verstoß gegen die von Lyell in die Geologie ein- geführten Anschauungen über den gleichmäßigen und ruhigen Ent- wickelungsgang der Natur. Ich glaube indess diese Beschuldigungen als unberechtigt zurückweisen zu dürfen und werde hier den Versuch machen darzuthun, dass die in der Gegenwart wirksamen Kräfte doch möglicherweise dazu ausreichen, um ähnliche periodische Verände- rungen ins Werk zu setzen. Wir werden uns zunächst, wenigstens annähernd, die Frage zu beantworten suchen, welche Ausdehnung wir den betreffenden Verän- derungen beilegen müssen, um die Erscheinungen erklären zu können, die wir auf diese Ursache zurückzuführen beabsichtigen. 1) Siehe u. a. meine Abhandlung über Wechsellagerung im biologischen Centralblatt Bd. III Nr. 14—15. 3 34 Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. Die von unserer Theorie berücksichtigten Thatsachen setzen, wie ich meine, keine besonders großen Umschläge des Klima voraus, und für diese meine Meinung werde ich alsbald den Beweis zu liefern versuchen. Wir wissen freilich, dass einmal eine Eiszeit bestand und dass ein andermal die Pole eines warmen Klimas sich erfreuten, — das aber sind klimatische Veränderungen, die über das Maß dessen hinaus gehen, worüber unsere Theorie Rechenschaft zu geben versucht hat. Derartige gewaltige Wandlungen des Klimas lassen sich vielleicht durch die Voraussetzung von bedeutenden Veränderungen in der Verteilung von Wasser und Land begreiflich machen. Die Eiszeit ist darum auch wahrscheinlich auf geographische Verhältnisse zurückzu- führen, infolge welcher einst der warme nordatlantische Strom von unsern Küsten ferngehalten wurde. Unter derartigen Verhältnissen konnte es geschehen, dass eine arktische Fauna und Flora sich über Mitteleuropa ausbreitete. Mit der eigentlichen Erklärung dieser großen Verbreitung arktischer Tiere und Pflanzen in alter Zeit hat unsere Theorie sich indess nicht befasst, sie macht nur darauf aufmerksam, dass die periodischen Aenderungen des Klimas auch noch auf diese Vorgänge einen Einfluss ausgeübt haben können, in der Art, dass die Ausbreitung arktischer Pflanzen und Tiere allein auf gewisse, für dieselben vorzugsweise geeigneten Gegenden sich beschränkte. Eine andere von unserer Theorie ins Auge gefasste Thatsache ist das Vorkommen der atlantischen Flora an der Küste von Bergen. Wir meinen nämlich, dass diese Flora um die Christianiafjorde herum zu einer Zeit eingewandert ist, in welcher ein milderes Klima herrschte als gegenwärtig. Die westlichen Pflanzen vertragen in unsern Tagen nicht die Winterkälte des Ostens. Die Theorie setzt demgemäß voraus, dass die Temperaturextreme in jenen Gegenden einst geringer gewesen sind. Ilex Aquifolium z. B., eine der charakteristischsten Küsten- pflanzen, erträgt nicht den Winter bei Christiania (59° 54 n. Br.); aber bereits bei Horten, welches nur einige Meilen weiter seewärts an dem Fjorde liegt (59% 25!/,‘ n. Br.), erreicht dieser Strauch, im freien angepflanzt, nach Schübeler eine Höhe von 4 m. Hier hat derselbe also eine längere Reihe von Jahren hindurch die Winterkälte ausgehalten. Esist somit klar, dass es nur einer unbedeutenden Aen- derung des Klimas bedarf, um die Wanderung von Ilex und andern ähnlichen Küstenpflanzen um die Ufer der Christianiafjorde herum zu ermöglichen. Die boreale Flora zeigt ebenfalls ein sporadisches Auftreten, wel- ches die Theorie durch die Annahme zu erklären sucht, dass das Klima der Küste einst den östlichen Arten günstiger gewesen ist und sie zur Wanderung nach den westländischen Fjorden eingeladen hat. Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. 35 Das Klima ist zur Zeit derartigen Pflanzen verhältnismäßig zusagend, und manche derselben haben sich längs des Küstensaumes, der in den letzten Jahrtausenden emporgestiegen ist, westwärts von dem Christiania- und Throndhjemsfjorde bis ganz nach Jäderen und Fosen hin vorge- drängt, an welchen letztern Orten sie bis an das offene Meer hinaus- gehen. Unter solchen Umständen ist wohl auch weiter keine große Klimaänderung vonnöten, um das Gedeihen solcher Pflanzenarten an der bergenschen Küste möglich zu machen und das Vorkommen borealer Arten in den innern Fjordengegenden von Bergensstift zu erklären. Die übrigen Indieien für vorzeitliche klimatische Wandlungen deuten gleichfalls nicht auf eine große Ausdehnung dieser Verände- rungen. Die Moore des Ostlandes sind in der Gegenwart zum größten Teil bewaldet. Es ist jedoch eine Seltenheit, die ganze Oberfläche des Moores trocken zu finden; in der Regel beschränkt sich der Baum- wuchs, der noch dazu infolge der Nässe oft genug recht dürftig aus- fällt, auf gewisse Teile des Moores, während der Rest der Moorfläche zu sumpfig ist. Aehnlich ist aber, wie die Bohrungen beweisen, das Verhältnis auch in frühern trocknen Zeiten gewesen. Wären die Wandlungen des Klimas tiefgreifender Art gewesen, so würden die trocknen Zeiten die Bewaldung der ganzen Moorfläche veranlasst haben. Dabei beruht es übrigens auch nur auf einem ganz geringen Unterschied im Grade der Feuchtigkeit, ob die Oberfläche eines Moores sich bewalden lässt, oder nicht. Es gibt ein gewisses Maximum der Nässe, welches die Bäume ertragen. Sobald dies überschritten wird, stirbt der Wald aus. Ebenso hängt das Aufhören der Torfbildung davon ab, dass die Feuchtigkeit bis unter einen gewissen Grad herab- sinkt. Bereits in den südlichen Smaalenene (Jd), wo die Regenmenge eine etwas größere, ist die Oberfläche der Moore kenntlich nässer, als im Amte Akershus, und die entsprechenden Torfschichten scheinen auch nach den angestellten Bohrungen durchschnittlich etwas mäch- tiger zu sein. Noch nässer sind wohl die Moore in den regenreichsten Teilen von Bergenstift. In Gegenden mit großer Regenmenge, z. B. in Schottland, finden sich, sogar in historischer Zeit, Belege dafür, dass Waldungen zu grunde gegangen und ihre Reste von torfbilden- den Moosen überwuchert worden sind. Nach dem Gesagten glaube ich darum auch nicht, dass weiter große klimatische Wandlungen erfor- dert werden, um die Wechsellagerung des Torfes zu erklären. Wären bedeutende Schwankungen in den klimatischen Verhält- nissen eingetreten, so wäre man ferner auch zu der Erwartung be- rechtigt, die ganze norwegische Küste mit einem System von über- einander liegenden Strandlinien umsäumt zu finden, je eine für jeden kältern Zeitraum. Ein solches Verhältnis hat jedoch keineswegs statt. Strandlinien bemerkt man vielmehr größtenteils nur in den nördlichen Teilen des Landes und im Innern der Fjorden, d. h. an 3# 36 Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. Orten, wo dieselben, wie man mit Grund annehmen darf, immer noch mehrfach sich bilden; wir erinnern z. B. an den von K. Pettersen besprochenen Punkt in Salangen. Es braucht somit auch das Klima in jenen Zeiten, wo die Strandlinien sich bildeten, nicht grade be- deutend von dem der Gegenwart sich entfernt zu haben. Ob während des Aufsteigens des Landes an einem gegebenen Orte eine Strandlinie sich bilden kann, beruht nach der Theorie auf dem Umstand, ob der Verwitterungsprozess so energisch ist, dass er in der durch das Aufsteigen gegebenen Zeit die Aussprengung der Strandlinie bewirken kann. Jerascher das Aufsteigen von statten geht, desto wirksamer muss die Verwitterung sein, um mit seinem Vorgang Schritt zu halten, und je langsamer das Aufsteigen sich ge- staltet, desto kleinere Forderungen werden an den Verwitterungspro- zess gestellt. Es liegt aber auf der Hand, dass nur kleine Schwankungen in der Intensität des Verwitterungsprozesses einzutreten brauchen, um die Bildung einer Strandlinie zu hindern oder zu ermöglichen. Ebenso, wie bei den Torfmooren, handelt es sich hier um einen Grenzpunkt, dessen Ueberschreitung entscheidend ist. Auch die stufenartigen Terrassen unserer Flussthäler lassen sich zweifelsohne wohl erklären, ohne dass man zu großartigen Aenderungen des Klimas seine Zuflucht zu nehmen braucht. Dies erhellt am leich- testen aus der Bemerkung, dass jene Terrassen auch in benachbarten Thälern oft in ungleicher Höhe liegen. Unter demselben Klima bildet ein größerer Fluss eine Terrasse, während die Kraft des kleinern dazu nicht ausreicht. Es handelt sich dabei wieder wesentlich um ein ge- wisses kleinstes Transportvermögen, an welches bei einem bestimmten Steigungsverhalten die Möglichkeit der Terrassenbildung geknüpft ist. Sobald die zuführende Kraft des Flusses unter dieses Minimum herabsinkt, hört auch die Terrassenbildung auf. Die Oszillationen des binnenländischen Eises während seiner Ab- schmelzung lassen sich ebenfalls nur durch allgemeine Aenderungen des Klimas erklären, aber an eine große klimatische Differenz braucht man auch hier nieht zu denken. Das Wachsen oder Abnehmen des Eises richtet sich danach, ob der Niederschlag die Abschmelzung er- stattet. Halten diese beiden Momente einander das Gleichgewicht, so wird der Eisrand still stehen; sobald aber eines jener Momente auch nur im geringsten das andere überwiegt, wird auch alsbald der Eisrand sich vor- oder rückwärts verschieben. Was nun endlich jene durch die ganze Reihe der geologischen Formationen hindurchlaufende Wechsellagerung betrifft, so glaube ich, dass man auch hier mit der Annahme ziemlich kleiner Schwankungen ausreicht, wenn man nur daran sich erinnert, dass die betreffenden Schichten sich in der Nähe des Landes bildeten, und dass die ver- Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen, 37 schiedenen Sedimente oft eine ziemlich lokale Verbreitung!) in den der Küste benachbarten Teilen des Meeres haben, weshalb keine großen Veränderungen in der Wassermenge der Flüsse einzutreten brauchen, um eine Wechsellagerung zu veranlassen. Wir wollen nun in Kürze die Hauptlehren der Theorie zusam- menstellen. Sie behauptet folgendes: 1) Zu allen Zeiten und unter allen Breiten ist das Klima periodischen Wandlungen unterworfen gewesen, und dieDauerdieserPeriodenrechnet nach Jahrtausenden. 2) Die Aenderungen, um welche es hier sich handelt, sind für jede einzelne Periode nicht bedeutend gewesen, siehaben aber innerhalb größerer klimatischer Provin- zen dieselbe Richtung innegehalten, und man ist darum auch genötigt, ihre Entstehung allgemein wirkenden Kräften zuzuschreiben. 3) Nach den Spuren, welche diese Periode in den norwegischen Torfmooren und andern Orts hinterlassen hat, ist man zu der Ver- mutung berechtigt, dass dieselbe nach Verlauf einer be- stimmten Zeit einigermaßen regelmäßig wiederkehrt. 4) Dagegen setzt die Theorie nicht voraus, dass die Aenderungen gleichzeitig auf der ganzen nördlichen (oder südlichen) Halbkugel die- selbe Richtung innehielten. Wir wenden uns nun der weitern Untersuchung zu, ob sich irgend- welcher annehmbare Grund für eine derartige Periode denken lässt. Da wir von Perioden des Klimas reden, werden wir naturgemäß zuerst die allgemeinen Gesetze der Klimatologie ins Auge zu fassen haben. Wir müssen dabei aber selbstverständlich von allen vorüber- gehenden Störungen innerhalb der Atmosphäre absehen und die Ver- hältnisse im großen ganzen betrachten, wie wir dieselben dargestellt finden auf den Uebersichtskarten über die mittlere Verteilung des Luftdruckes auf der Erdoberfläche für die verschiedenen Jahreszeiten. Aus diesen Karten ergibt sich folgendes: im Sommer herrscht über den Festlanden infolge der Sonnenwärme ein niedriger Luftdruck, über den Meeren dagegen in der Regel ein höherer; im Winter da- gegen ist die Abkühlung der Festlande größer, als diejenige der Meere, und hieraus ergibt sich hoher Luftdruck über dem Lande und niedri- ger über dem Meere. Der niedrige Luftdruck bei Island behauptet sich jedoch, wenn auch weniger ausgeprägt, den Sommer über. Die Ursache zur Bildung jenes hohen winterlichen Luftdruckes über den Kontinenten finden wir in der Wärmestrahlung gegen den Weltraum während der langen Nächte. Die tiefern Luftschichten werden durch den kalten Erdboden abgekühlt und verdichtet; es bil- det sich ein absteigender Luttstrom und an der Erdoberfläche ent- stehen Strömungen, welche die Luft von den Gegenden mit hohem 1) Siehe die Karten zu Delesse: Lithologie du Fonds des Mers. 38 Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen, Luftdruck wegführen. Trotz dieses beständigen Abflusses der Luft hält sich jedoch der hohe Luftdruck, so lange die Abkühlung andauert, und dies hat bekanntlich seinen Grund darin, dass in den höhern Schichten ununterbrochen neue Luft heranströmt, um den Verlust zu ersetzen, der vom absteigenden Strome herrührt. Diese Luft, welehe in den höhern Schichten den kalten Gegenden zuströmt, kommt aber aus Gebieten, wo die Abkühlung geringer ist, und Prof. Mohn hat in einer lehrreichen Abhandlung!) nachgewiesen, dass die Ab- kühlung des Landes den wesentlichsten Grund abgibt für die Erhaltung des niedrigen Luftdruckes über den Meeren, weil in dieser Weise für den fortgehenden Ablauf der auf- steigenden Luftströme der barometrischen Minima gesorgt ist. In sol- cher Weise trägt auch vielleicht die kalte Luft, welehe über dem vereisten Binnenlande Grönlands lagert, das ihrige dazu bei, den nie- drigen Luftdruck bei Island sogar den Sommer hindurch zu unter- halten. Diese Gegenden barometrischer Depression saugen nun aber an der Erdoberfläche von allen Seiten her die Luft an sich, und die so entstehenden Luftströmungen bewegen sich (nach dem bekannten Buys Ballot’schen Gesetze) in der Art, dass man auf der nördlichen Halbkugel den niedrigen Luftdruck etwas zur linken vor sich liegen hat, wenn man dem Winde den Rücken zukehrt. Dies ist einfach eine Folge der Achsendrehung der Erde. Der niedrige Luftdruck bei Island lenkt in solcher Weise die Südwestwinde über das nordatlan- tische Meer hinauf, und da jenes Minimum sich das ganze Jahr hin- durch behauptet, ist die Folge wiederum die, dass der Südwestwind in diesem Meere, sowohl im Sommer als im Winter, als der herr- schende Wind auftritt. Nun aber ist es eine Meinung, welche von den größten Autori- täten in diesem Fache geteilt wird, dass eben die Winde es sind, welche die wichtigste Ursache für die Strömungen des Meeres darbieten. Croll und Zöppritz haben die Gründe ent- wickelt, welche für diese Ansicht sprechen, und ihren Anschauungen schließen sich Meteorologen wie Mohn, Hann und Wojeikoff an. Man darf sagen, dass diese Ansicht so allgemeine Zustimmung ge- funden hat, dass dieselbe bereits in die Lehrbücher übergegangen ist. Die Erklärung der Meeresströme mit Hilfe der Winde ist jaauch eine so natürliche und ungezwungene, dass man sich nur darüber wundern muss, dass dieselbe nicht längst schon allgemein erkannt worden ist. Ein Wind, der über das Meer hinweht, setzt das Wasser in Be- wegung. Durch die Friktion teilt sich, wie Zöppritz!) nachge- wiesen, die Bewegung den tiefern Schichten mit. Von der Stärke 1) Zeitschrift der Oesterr. meteor. Gesellschaft. Wien. 1876 Nr. 2. 1) Wiedemann’s Annalen, Neue Folge III. (1878) S. 582—607. Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. 39 und Dauer des Windes hängt es ab, bis wie tief die Wirkung sich erstreckt. Der Hauptstrom geht in der Richtung des herrschenden Windes und seine Bewegung ist abhängig von der mittlern Ge- schwindigkeit der Oberfläche. Winde von kurzer Dauer sind freilich wohl im stande, vorübergehend die Stromrichtung an der Oberfläche zu alterieren, aber durch die Ueberlegenheit gewisser Winde während einer Reihe von Jahrtausenden entstehen jene gewaltigen Strömungen, deren Stärke wohl wechseln kann, deren Richtung aber von den wechselnden Winden unabhängig ist. Für das oberste Stromsystem — demjenigen, welches allein Einfluss auf das Klima hat, und wel- ches nach Mohn sich bis in eine Tiefe von mehreren hundert Faden erstreckt, — ist immer die Windrichtung und Windstärke des letzten großen Zeitabschnittes bestimmend. Eine dieser mächtigen Strömungen ist der warme nordatlantische Strom. Derselbe mildert den Winter selbst unter hohen Breiten. In dem Maß, als die Oberfläche Wärme an die Luft abgibt, wird die verlorene Wärme von den tiefern Schichten her ersetzt und, daher wird die Strömung ununterbrochen erwärmend auf die Luft wirken, so lange noch ein unaufgebrauchter Wärmefonds in der Tiefe sich vorfindet. In solcher Weise verdankt Norwegen dem warmen nordatlanti- schen Strome ein mildes Klima. Die Richtung desselben ist die der herrschenden Südwestwinde und diese Richtung hat er seit Jahrtau- senden eingehalten. So lange als das nördliche atlantische Meer nach Süden hin offen gewesen ist und Meer und Land ungefähr dieselbe Verteilung gehabt haben wie in der Gegenwart, — so lange muss nach den allgemeinen Gesetzen für Wind- und Stromverhältnisse!) der genannte Strom auch schon bestanden haben. Nachdem, was oben gesagt wurde, ist es somit klar, dass wirk- lich die Abkühlung der großen Festlande als die wesent- liche Bedingung für unser mildes Klima anzusehen ist. Ich glaube indess viele und gute Gründe für die Meinung ange- führt zu haben, dass der eben erwähnte nordatlantische Strom nicht immer gleich stark fließt, sondern dass er im Lauf der Zei- 4) In den Mooren der dem Sturm .ausgesetzten Gegenden des Fenlandes (Ostengland) liegen (nach Skertchley) die umgestürzten Stämme, sogar in den ältern Torfschichten in der Richtung SW—NE, d.h. in der Richtung des dort immer noch vorherrschenden Windes. In den geschütztern Thalmulden derselben Gegend liegen dagegen die Stämme der Torfmoore in keiner be- stimmten Richtung. In den Stürmen ausgesetzten Gegenden haben alle Bäume eine der herrschenden Windrichtung entsprechende Neigung. Sterben nun solche Stämme im Atler ab und stürzen um, so fallen sie natürlich in der Richtung, nach welcher sie bereits überhängen. Wir haben so in jenen Stäm- men der Fenmoore einen handgreiflichen Beweis dafür, dass der Südwestwind bereits vor Jahrtausenden im Fenlande der herrschende Wind gewesen ist. 40 Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d, Meeresströmungen. ten abwechselnd zunimmt und abnimmt. Es gilt nun den Versuch, einen natürlichen Grund für ein derartiges Verhalten der Stromstärke zu ermitteln. Wie bekannt ist die Erdbahn eine Ellipse. Der Abstand der Erde von der Sonne ist darum in den verschiedenen Jahreszeiten ein verschiedener. In der Sonnennähe befindet sich die Erde, während wir auf unserer nördlichen Halbkugel Winter haben. Je näher die Erde der Sonne kommt, desto rascher bewegt erstere sich in ihrer Bahn und unser Winter ist demgemäß kürzer als der Sommer. Der Unterschied beträgt 7—8 Tage. Auf der südlichen Halbkugel ist da- gegen der Winter um 7—8 Tage länger als der Sommer. Die Nachtgleichenpunkte stehen aber nicht fest, sondern voll- ziehen in ungefähr 21000 Jahren einen vollständigen Umlauf. Dieser Umstand bewirkt, dass die eben erörterten Verhältnisse vor 10500 Jahren grade das umgekehrte Bild von denjenigen der Gegenwart darboten, und ebenderselbe Fall wird in der Zukunft nach 10500 Jahren wieder eintreten. Der Winter der nördlichen Halbkugel wird dann um die Zeit der Sonnenferne eintreten und länger sein, als der Sommer, während die Verhältnisse auf der südlichen Halbkugel stets die entgegengesetzten sein werden. Nun ist aber auch die Exzentrizität der Erdbahn periodischen Schwankungen unterworfen, infolge deren die Bahn unseres Planeten zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene Abweichung von der Kreis- gestalt aufweist. Durch das Wachsen der Exzentrizität wird der Un- terschied zwischen der Sommer- und Winterlänge vermehrt und diese Differenz kann einen Wert von über 30 Tage erreichen. Der Gefälligkeit des Herrn Observator Geelmuyden verdanke ich folgende Tabelle, aus welcher man für die verschiedenen mög- lichen Werte der Exzentrizität (e) die Differenz zwischen der Anzahl der Sommer- und Wintertage in je einer Halbperiode von 10500 Jahren entnehmen kann, und zwar bezeichnet d’ den größtmöglichen Wert, den diese Differenz bei der betreffenden Exzentrizität erlangen kann, d. h. den Wert, der sich in dem Jahre einstellt, wo das Aphel und Perihel mit den Solstitien zusammenfallen, während d die mittlere Differenz von Sommer- und Winterlänge während der ganzen Halb- periode angiebt!). Multipliziert man letzteren Wert (d) mit 10500, so 4) Herr Geelmuyden hat mir gütigst folgende Mitteilung gemacht: Wenn die Linie der Nachtgleichen in bezug auf die Apsidenlinie einen Viertelumlauf ausgeführt hat, in der Art, dass der Winkel zwischen diesen beiden Linien mit 0° (Frühlingsäquinoetium im Aphel) anfängt und mit 90° endet, so ist der durehschnittliche Wert der Zeitdifferenz, um welche das Sommerhalbjahr das Winterhalbjahr übertrifft, innerhalb des zur Ausführung dieser Veränderung erforderlichen Zeitraumes zu bestimmen durch den Ausdruek: 8e e? 17e4 a tlal 7 7r2 en 18 7 co Fee) Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. 41 erhält man demgemäß die Gesamtanzahl der überschießenden Sommer- (resp. Winter-) tage in der betreffenden Halbperiode: e Öö d' 0,01 2,960 Tag 4,65 Tag 0,0168 4,973 7,81 0,02 5,921 9,3 0,03 8,882 13,9 0,04 11,843 18,6 0,05 14,805 23,2 0,06 17,767 27,9 0,07 20,729 32.5 Die Dauer von Winter und Sommer auf jeder Halb- kugel wechselt also nach Verlauf von 10500 Jahren. Während 10500 Jahren ist der Winter bei uns länger als der Sommer, und während der folgenden 10500 Jahre kehrt dies Verhältnis sich um. Der Unterschied der beiden Jahreshälften wächst aber in beiden Fällen mit der Exzentrizität. In den gesamten 10500 Jahren, während welcher der Winter den Sommer an Dauer übertrifft, ergibt sich also ein Gesamtüberschuss von vielen tausenden von Wintertagen; in der andern Halbperiode aber ein ebenso großer Aus- fall solcher Tage. Sogar bei der dermaligen geringen Exzentrizität (0.0168) beläuft sich der Ueberschuss an Winter-, resp. Sommertagen in jeder Halbperiode auf 52214 Tage, und bei der größtmöglichen Exzenirizität würde dieser Ueberschuss auf 217674 Tage (oder bei- nahe 600 Jahre) steigen. Da es nun aber die Wärmestrahlung gegen den Weltraum in den kalten Gegenden ist, welche den geringern Luftdruck über den Meeren, und dadurch auch die herrschenden Winde und die von letztern abhängigen Meeresströmungen bedingt, so müssen diese herr- schenden Winde (z. B. die Südweste des atlantischen Ozeans) im Winter am stärksten sein. Dies ist aber auch der Fall. Die Wind- verhältnisse sind nämlich im Sommer und Winter nicht die gleichen. Sind auch die südwestlichen Winde im nördlichen Atlantermeere das ganze Jahr hindurch die häufigsten, so gilt dies doch im ver- Hier bezeichnet A die Länge des Jahres, das Verhältnis zwischen der Peri- pherie und dem Diameter des Kreises und endlich e den Mittelwert der Ex- zentrizität, welcher für die 5-6000 Jahre, die ein solcher Viertelumlauf in Anspruch nimmt, anzunehmen ist. Für diejenigen Werte, welche die Exzen- trizität der Erdbahn thatsächlich erreichen kann, wird schon das zweite Glied der eingeklammerten Reihe sich erst in der 3. Dezimale geltend machen; das 3. Glied lässt sich ohne Schaden ganz vernachlässigen. Für den nächsten Viertelumlauf gilt derselbe Ausdruck nur mit einem andern Wert der Exzentrizität, wenn letztere sich mittlerweile verändert hat. Ebenso für die beiden folgenden Viertelumläufe, da aber natürlich mit verän- dertem Vorzeichen, d. h. der Ausdruck bezeichnet den Ueberschuss des Win- terhalbjahres über das Sommerhalbjahr. 42 Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. stärkten Grade vom Winter. Dasselbe ist der Fall im nördlichen stillen Ozean. In den südlichen mittelwarmen Meeren ist der Nord- west, der dort unserm Südwest entspricht, gleichfalls häufiger, wenn diese Halbkugel ihren Winter hat. Aus den Zöppritz’schen Untersuchungen geht hervor, dass die Winde, welche auf die Meeresströmungen einwirken, infolge der Friktion zwischen den Wasserschiehten einen Einfluss auf die Stromstärke ausüben, der noch lange nach dem Aufhören des Windes sich spüren lässt. Zöppritz warnt nachdrücklich vor der Auffassung, als ob die Friktion bald die Nachwirkungen eines Windes aufheben werde und spricht sogar die Meinung aus, dass die tiefern Meeresströmungen noch als Zeugnis für die Rich- tung der Winde dienen können, welche vor Jahrtausenden geweht haben. Die Wirkung der Winde summiert sich nämlich die Jahr- hunderte hindurch, und das gesammelte Resultat dieser Einwirkungen liegt in den dermaligen Meeresströmungen vor. Die hier ange- zogenen Untersuchungen sind unstreitig von großer Bedeutung für unsere Theorie und liefern vielleicht den Schlüssel zur Erklärung der angenommenen periodischen Aenderung der Meeresströmungen. Da wir nämlich nun wissen, dass die Windverhältnisse des Winters von denjenigen des Sommers sich unterscheiden, und dass die Wirkung eines Windes mit dem Aufhören des Windes nicht verschwindet, son- dern lang nachdauernde Spuren in den Meeresströmen hinterlässt, so kann es ja doch wohl kaum gleichgiltig sein, ob jene obenerwähnten überschießenden tausende von Tagen während der 10500jährigen Halbperiode auf die Seite des Sommers oder des Winters fallen. In der Halbperiode, wo der Winter das Uebergewicht hat, müssen die Südwestwinde im Verhältnis zu andern Winden sich stärker geltend machen; aber diese Herrschaft der genannten Windriehtung wird weniger hervortreten, wenn jener Ueberschuss an Tagen dem Sommer zufällt. Danach ist es aber auch nur natürlich, dass auch die Meeres- ströme je nach der jedesmaligen Lage der sich verrückenden Nacht- gleichenlinie eine Zu- und Abnahme zeigen werden. Wenn der Winter mit der Sonnenferne zusammenfällt, wird der Strom wahrscheinlich zunehmen, und wenn der Winter mit der Sonnennähe zusammenfällt, wird der Strom ein wenig einschwinden!). Für die Gegenwart und für das nord- westliche Europa müssten wir demgemäß einen verhältnismäßig schwachen Strom, weniger Regen und einen größern Unterschied zwischen Winter und Sommerwärme voraussetzen, wie dies ja auch den Anforderungen der Theorie entspricht. In andern Gegenden mit andern Windverhältnissen würde die 1) Croll kommt zum entgegengesetzten Resultat, indem er, meiner Mei- nung nach, von unrichtigen Voraussetzungen ausgeht. Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. 493 Art jener periodischen Einwirkungen sich auch anders gestalten. Das östliche Nordamerika z. B. hat Winter mit vorherrschend nordwest- lichen und Sommer mit wesentlich südwestlichen Winden. Winter in der Sonnenferne würden hier die nordwestlichen Winde verstärken, und man hätte demnach Grund zu glauben, dass diese Gegenden unter solchen Umständen ein strengeres Klima erhalten würden. Ebenso herrschen in Ostasien während des Winters nordwestliche und während des Sommers südöstliehe Windrichtungen. Auch hier würden die Verhältnisse sich anders gestalten als bei uns, wo südwestliche Winde das ganze Jahr hindurch vorwalten. Aus derartigen Betrachtungen scheint sich ergeben zu müssen, dass die Aenderungen des Klimas nicht an allen Orten der nördlichen Halbkugel zu gleicher Zeit die gleiche Richtung aufweisen werden. Dasselbe gilt natürlich auch von der südlichen Halbkugel. Kein größerer Meeresstrom kann jedoch eine Veränderung er- leiden, ohne dass dies seinen Einfluss auf den ganzen großen Kreis- lauf äußert, und es lässt sich daher kaum in Zweifel ziehen, dass die Verrückung der Nachtgleichenlinie zu allen Zeiten und an allen Orten der Erdoberfläche eine periodische Aenderung des Klimas hervorrufen wird. Wir wollen nun den Versuch machen, den Einfluss, welchen die Verrückung der Nachtgleichen auf das Klima ausübt, einer Art von Berechnung zu unterwerfen. Zu dem behuf stellen wir die Frage: welchen Zuwachs erleidet die Kraft, welche auf die Oberfläche des warmen nordatlantischen Stromes wirkt, während der Halbperiode, wo der Winter in die Sonnenferne fällt? Je größer die Exzentrizität der Erdbahn ist, desto größer wird auch jener Zuwachs an Kraft ausfallen. Ist die Exzentrizität ver- schwindend klein, so dass die Bahn fast kreisförmig wird, so wird auch die periodische Aenderung des Klimas unmerkbar werden. So verschwindend klein ist die Exzentrizität jedoch nur äußerst selten. Die Bereehnungen von Croll und Me. Farland zeigen, dass dieses Element in der Regel einen Wert hat, der 0,01 übertrifft und im all- gemeinen so groß ist, dass die klimatische Periode deutlich zum Aus- druck kommen muss. In der Halbperiode von 10—12000 Jahren, in welcher die Erde während des Winterhalbjahres durch das Perihel geht, sei die durch- schnittliche jährliche Anzahl der Sommertage ausgedrückt durch D, die Anzahl der Wintertage durch d; ferner die durchschnittliche täg- liche Windstärke, welehe antreibend auf die Oberfläche des warmen Stromes einwirkt, während der Sommerhälfte des Jahres durch k und während der Winterhälfte durch «k; so ist die jährliche Wirkung des Windes S=Dk + cadk. Hat in entsprechender Weise während der nächsten Halbperiode, 44 Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. wo die Erde im Sommerhalbjahr den sonnennahen Theil ihrer Bahn durchwandert, der Sommer durchschnittlich d‘ Tage mit der Wind- stärke k‘, und der Winter D' Tage mit der Windstärke «’k‘, so wird die jährliche Wirkung in diesem Fall Ss = dk’ —+ «e'D'k'. Ist die Exzentrizität für beide Halbperioden die gleiche, so ist D’=;D’ und d=.d',also: S—S —= D(e’k’—k) — d(ak—k‘) und Se ED dlok Sn DEezadksaan oder, wenn man der Kürze wegen = — B setzt: So Ne N) SH D-+ od ; Von den 3 Größen «, «' und $ lässt sich nur «@ aus den Be- obachtungen der Gegenwart ermitteln; wenn man aber zum Behuf eines annähernden Ueberschlages über die Wirkung, welche die wechselnde Länge der Jahreszeiten ausübt, vorläufig « = « setzt, d. h. von der Annahme ausgeht, dass das Verhältnis zwischen den mittlern Windstärken des Sommers und derjenigen des Winters in beiden Halbperioden ungefähr das gleiche ist, und außerdem k’—=k, also $ = 1 annimmt, so ergibt sich: Se MN) SE De FI2dnT Durch « bezeichneten wir das Verhältnis zwischen der mittlern Windstärke des Sommers und derjenigen des Winters. Der für das nordatlantische Meeresgebiet in der Gegenwart geltende Wert von « lässt sich aus den von Prof. Mohn entworfenen, aber noch nicht veröffentlichten Karten über die Isobaren für die verschiedenen Mo- nate des Jahres in diesem Meere ableiten. Diese Karten sind mir von Prof. Mohn in der zuvorkommendsten Weise zur Benutzung überlassen gewesen. Misst man die Unterschiede des Luftdruckes in Millimetern, so findet man dieselbe für je 5 Breitegrade !): Oktober 4 Apnl #1 November 5 Mai 1 Dezember 4 Juni 2,5 Januar 53 Juli 2 Februar 5 August 1,5 23,5 8 Da die Windstärke von den Gradienten abhängig ist, so verhält sich demgemäß die mittlere Windstärke des Winters zu der des 4) Die Monate September und März habe ich auf Prof. Mohn’s Rat bei der Rechnung ausgelassen. Das Resultat würde sich jedoch durch Mitberück- sichtigung dieser Monate nicht wesentlich ändern. Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. 45 Sommers ungefähr wie 24 zu 8, oder wie 3 zu 1, und es ist also En Setzen wir letzteren Wert in obigen Ausdruck ein, so erhalten wir: S'’—S D—d 8, Der Für die Exzentrizität der Gegenwart (0,017) ist nach der oben gegebenen Tabelle D—d — d = 5, und d — 180, also S'’—S 10 a on 0,014, d. h. die treibende Kraft, welche Jahr um Jahr während der Halb- periode, in welcher die Erde im Sommer das Perihel passiert, auf die Oberfläche des warmen Meeresstromes einwirkt, ist um 1,4 Prozent größer als die entsprechende Kraft, welche zur Wirkung kommt, wenn die Sonnennähe, wie jetzt, im Winter eintrifft. Wenn die Exzentrizität ihren größtmöglichen Wert erreicht hat, steigt die Mehrwirkung während der Zeit, wo der Winter mit der Sonnenferne zusammenfällt, sogar bis auf 5—6 Prozent der jährlichen Gesamtwirkung, welche bei sonnennahen Wintern sich geltend macht. Sollte die Exzentrizität während der beiden Halbperioden so sehr sich verändert haben, dass man auf diesen Umstand Rücksicht nehmen müsste, so wird die Ausführung der Berechnung dadurch nicht un- möglich gemacht, da die Größen D, d, D’ und d’ sich für jeden be- sondern Fall berechnen lassen. Die eben ausgeführte Rechnung berücksichtigt allein den Einfluss der verschiedenen Länge der Jahreszeiten und ruht auf der Voraus- setzung, dass die mittlere Windstärke dieselbe ist, mag die Erde sich im Perihel oder Aphel befinden. Letztere Annahme ist aber kaum genau zutreffend, und wir werden demzufolge weiter zu untersuchen haben, welche Veränderungen in dem oben erlangten Resultat sich daraus ergeben dürften, wenn wir auch den verschiedenen Abstand der Sonne mit in betracht ziehen könnten. Die Temperatur auf der Erdoberfläche ist wesentlich abhängig von den beiden Faktoren: der Abkühlung durch Strahlung gegen den Weltraum und der Erwärmung durch die Sonne. Während des Win- ters spielt die Abkühlung die größte Rolle, im Sommer behauptet die Erwärmung den Vorrang. Die winterliche Abkühlung erzeugt hohe atmosphärische Pressionen über den Kontinenten, als deren weitere Folge, wie oben genauer entwickelt wurde, der niedrige Luftdruck über den Meeren anzusehen ist. Im Sommer dagegen verursacht die Sonnenwärme einen niedri- geren Luftdruck über dem Festlande. Der aufsteigende Luftstrom breitet sich dann aber in den höheren Luftschichten nach den Seiten hin aus, was wieder zur Entwickelung höhern Luftdruckes über den weniger erwärmten Meeren Veranlassung gibt!). Da die Festlande 4) Nach Peschel-Leipoldt’s „Physische Erdkunde“ II Leipzig 1880. 46 Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. die Wärme leichter annehmen, aber auch leichter abgeben, als die Meere, wird somit während des Winters die Abkühlung, während des Sommers die Erwärmung des Festlandes der Faktor sein, welcher die wichtigste Triebkraft für die Bewegung der Luftschicehten abgibt, und aus diesem Grunde glaube ich auch, dass die Verschiebung der Nachtgleichen- linie eine klimatische Periode veranlassen muss. Die im nördlichen Atlantermeere herrschenden Südwestwinde und der von letzteren bedingte warme Meeresstrom beruhen auf dem Un- terschied zwischen dem niedrigen Luftdruck über dem Meere um Island und dem hohen Luftdruck, der auf dem Meeresgebiete zwischen etwa 20° und 40° n. Br. ruht. Ersterer hat seinen Grund in der Ab- kühlung des Festlandes und ist im Winter am stärksten, hält sich aber (wahrscheinlich infolge der Vereisung des innern Grönlands) den Sommer hindurch; letzterer ist hauptsächlich auf die Erwärmung des Meeres in den Kalmen und vielleicht auch auf die etwas höhere Erwärmung der Festlande zurückzuführen, und zeigt sich im Sommer- halbjahr etwas stärker ausgeprägt, weshalb auch die Windstärke in der warmen Jahreszeit etwas größer ist, als im Frühling und Herbst). Es ließe sich nun einwenden, dass unsere bisherigen Betrach- tungen über den Einfluss der Verschiebung der Nachtgleichenpunkte sich der Einseitigkeit schuldig gemacht hätten, weil wir von dem verschiedenen Abstand der Sonne im Perihel und Aphel abgesehen haben. Wir wollen daher noch schließlich zu ermitteln suchen, in welcher Richtung dieser Einfluss sich aller Wahrscheinlichkeit nach geltend machen wird. In unsern Formeln finden sich verschiedene unbekannte Größen. Um den Einfluss der verschiedenen Länge der Jahreszeiten berechnen zu können, hatten wir uns die willkürliche Annahme erlaubt, dass die durchschnittliche tägliche Windstärke des Winterhalbjahres die gleiche bleibe, ob der Winter in Sonnennähe oder in Sonnenferne falle. Die Abkühlung spielt im Winter die bedeutsamste Rolle, und die Winternacht hat dieselbe Länge, mag die Erde im Aphel oder Perihel sich befinden. Uebt der Abstand der Sonne einigen Einfluss aus, so muss die Abkühlung und die mittlere Windstärke sogar größer werden, wenn der Winter in die Sonnenferne fällt. Nach unserer An- nahme war «’k’ — ak; in der Wirklichkeit jedoch dürfte &’k‘ größer sein als ak. Wir haben ferner für die tägliche mittlere Windstärke des Som- S. 148 hat Prevost gemeint, dass die Verrückung der Nachtgleichenlinie eine klimatische Periode verursachen würde, da die Ausstrahlung in den langen Wintern größer sein müsse, als in den kurzen. Peschel meint dagegen, dass auch dies keinen Einfluss haben könne, da, wie er sagt, die Ausstrahlung das ganze Jahr über stattfindet. 1) Siehe die obige Mohn’sche Tabelle. Axel Blytt, Ursache d. Veränderungen in d. Stärke d. Meeresströmungen. 47 mers in Sonnennähe und Sonnenferne den gleichen Wert vorausge- setzt; aber auch diese Annahme kann nicht durchaus richtig genannt werden. Die Summe der Sonnenwärme, welche eine Halbkugel während ihres Sommerhalbjahres empfängt, ist nämlich zu allen Zeiten die- selbe, mag der Sommer mit der Sonnennähe oder Sonnenferne zu- sammenfallen. Ist es aber nun die Sonnenwärme, welche im Sommer vorzugsweise in betracht kommt, so muss die mittlere tägliche Wind- stärke etwas schwächer werden, wenn der Sommer in die Sonnen- ferne fällt und die Anzahl der Sommertage größer wird. Anstatt k‘ r i unserer Annahme: k—k‘, und —- = 8 = 1, werden wir wohl viel- ? k 2 mehr zu setzen haben: k’ >k, und = oder $ >1. Eine eigentliche Berechnung des Einflusses, den die Verschiebung der Nachtgleichen in Wirklichkeit in bezug auf das Klima ausübt, lässt sich demgemäß nicht ausführen, weil wir die Werte von «' und £ nicht kennen, dass aber der Wert dieses thatsächlich zur Geltung kommenden Einflusses größer sein muss, als der oben berechnete Wert für den Einfluss der wechselnden Länge der Jahreszeiten, erhellt aus den Relationen: KIT Ik, Ber undee'k7 ak: Welchen Einfluss die hier bezeichneten Wertverhältnisse auf das Resultat der Rechnung ausüben werden, fällt nämlich unmittelbar ins Auge, sobald wir einen Blick auf folgende Ausdrücke werfen: SE: (D-+ ed)k 7 Da'k' — Dk — dak + dk’ = ee und a Be da Seas D-+ od SE De’ — D— de + dß D-+ od \ In diesen Formeln treten die unbekannten Größen bloß in den Zählern der Brüche und bloß mit positivem Zeichen auf. Da wir nun in unserer oben angestellten Berechnung aller Wahrscheinlichkeit nach für alle diese unbekannten Größen zu niedrige Werte benutzt haben, so ist es einleuchtend, dass der Zuwachs der treibenden Kraft des warmen Stromes für den Fall, wo der Winter in die Sonnenferne fällt, in Wirklichkeit eine noch höhere Prozentzahl darstellen wird, als diejenige, welehe wir mit Benutzung der gegenwärtigen meteoro- logischen Werte erhielten. Die Wärmemenge, welche der warme Strom täglich dem Norden zuführt, beträgt nach Croll’s Angabe: 1543 959 300? 000 000! 000 000 Fußpfund. Mag nun Croll’s Berechnung auch, wie Peschel be- hauptet, vielleicht das doppelte des wirklichen Belaufes ergeben 48 Peracca und Deregibus, Bemerkungen über Coelopeltis. haben, so gibt obige Zahl doch jedenfalls eine Vorstellung von der ungeheuern Wärmemenge, die der Strom mit sieh führt. Nach allem, was hier besprochen ist, erscheint es mir demnach als eine in hohem Grade wahrscheinliche Annahme, dass die Ver- schiebung der Nachtgleichenpunkte eine periodische Veränderung des Klimas zur Folge haben muss, und dass die Amplitude dieser klimatischen Periode groß genug ist, um alle die Thatsachen zu erklären, auf welchen die Theorie der periodischen Aenderungen sich aufbaut!) Doch werde ich willig einräumen, dass die hier berührten Verhält- nisse verwickelt und schwierig sind. Wenn ich es gewagt habe, meine Betrachtungen der Oeffentlichkeit vorzulegen, so war mein Zweck wesentlich der, die Aufmerksamkeit der Meteorologen, Phy- siker und Geologen aufs neue hinzulenken auf die oft besprochene Möglichkeit einer Einwirkung astronomischer Perioden auf die irdi- schen Dinge. Die bisher gemachten Versuche zur Aufweisung eines derartigen Einflusses haben Einwendungen hervorgerufen. Die vor- liegende Zusammenstellung der einschlagenden Thatsachen ist in- dessen neu und scheint mir einer genaueren Erwägung nicht unwert zu sein. Bemerkungen über Coelopeltis insignitus Wag.?) Von G. Peracca und C. Deregibus. Coelopeltis insignitus (Grubennatter) ist eine in der Provence, Li- gurien und Dalmatien ziemlich häufig vorkommende Schlange. Da sie mit Furchenzähen bewaffnet ist, welche im hintern Teil des Oberkiefers stehen, so wurde sie seither zu den Suspecta oder Trugnattern ge- rechnet. Zahlreiche Versuche mit lebendem Material aus der Gegend von Nizza haben nun die Giftigkeit des Bisses dieser Coelopeltis- Art aufs unzweideutigste bewiesen. Die Einzelheiten der Experimente sind bereits in einer Mitteilung in Giornale della R. Accademia di Medieina di Torino. fase. 6. Juni 1883 veröffentlicht worden. Wir haben den Giftapparat dieses Reptils, i. e. den Furchenzahn und die Giftdrüse beschrieben. Jener trägt, wie bekannt, auf seiner konvexen Seite, ein wenig nach auswärts, eine so scharf ausgebildete kanalartige Rinne, dass der Zahn aus zwei Stücken zu bestehen 4) Die Exzentrizität der Erdbahn ändert sich so schnell, dass dieselbe in zwei aufeinanderfolgenden halben Perihelumläufen in der Regel nicht dieselbe bleibt. Deshalb wird die Aenderung der Stromstärke in der einen Halbperiode in der folgenden nicht ganz ausgeglichen werden. In solcher Weise dürften vielleicht sogar größere und nachhaltigere Klimaänderungen bewirkt werden. 2) Gleichbedeutend mit Coelopeltis lacertina Fitz. D. Red. Peracea und Deregibus, Bemerkungen über Coelopeltis. 49 scheint. Hinter ihm findet man noch fünf bis sechs Zahnanlagen, welche dazu dienen jenen zu ersetzen, falls er zufällig ausgebrochen werden sollte. Der Furchenzahn hat den Zweck, dem der Drüse entfließenden Gift eine bestimmte Ablaufsrichtung zu geben. Die Drüse selbst ist bei den Coelopeltis-Arten ziemlich stark entwickelt; sie ist hinter der Augenhöhle gelegen und entspricht der 5., 6. und 7. Oberlippen- schuppe. Wir behalten uns vor später, sobald uns frisches Coelopeltis- Material zur Verfügung stehen wird, ihre histologische Struktur zu studieren. Die durch den Coelopeltis-Biss verwundeten Tiere, nämlich Ei- dechsen und Vögel, (sie bilden die gewöhnliche Nahrung jener Nat- tern), desgleichen Frösche starben, wenn wir sie beißen ließen, sehr bald. Ganz kurze Zeit nach der tödlichen Verletzung bemerkt man folgende Erscheinungen: 1) Plötzlich oder nach und nach sich einstellende vollständige Aufhebung der Respirationsbewegungen (im Maximum 13 Minuten nach dem Biss). 2) Vollständige Aufhebung der Reflexbewegungen in dem ver- letzten Gliede; im übrigen Teil des Körpers gelangen sie noch kurze Zeit hindurch zur Erscheinung. 3) Unmittelbar eintretende allgemeine Lähmung, welche nur selten von konvulsivischen Zuckungen begleitet wird. Bei den Eidechsen schlägt das Herz nach dem Eintreten der allgemeinen Lähmung noch sehr langsam, indess bemerkt man stets eine beträchtliche Verminderung in der Stärke der Zusammenziehung. Das Blut hat nach dem Tod eine schwarze Farbe, aber das Spek- troskop lässt keine Veränderung in demselben erkennen. Die ver- letzten Tiere sterben an Asphyxie. Trotz des dreifachen Effektes des Coelopeltisbisses ist diese Schlange von den Menschen nicht zu fürchten, weil sie, wenn schon ihre Bewegungen äußerst lebhaft sind, nur sehr selten beißt. Außer- dem bedarf es, damit der Biss tödlich sei, zum mindesten einer Ein- wirkungsdauer von 3—4 Minuten. Auch bei kleinen Tieren muss der Giftzahn 1—2 Minuten in der Wunde haften bleiben, wenn das Gift verderbenbringend werden soll. Da sich nun niemand von einer Natter vier Minuten lang beißen lassen wird, ohne abwehrend darauf zu reagieren, so folgt, dass die Coelopeltis- Arten für den Menschen un- gefährliche Trugnattern sind. (Aus dem Laboratorium des Prof. Giacosa in Turin.) 50 Kräpelin, Geruchsorgane der Gliedertiere. Karl Kräpelin, Ueber die Geruchsorgane der Gliedertiere. Eine historisch-kritische Studie. Mit 3 Tafeln. Aus dem ÖOsterprogramm der Realschule des Johanneums. 1883. Hamburg. 48 Seiten. Obwohl es zu gunsten des Glaubens an die Existenz eines ausge- prägten Geruchssinnes für die meisten Gliedertiere der Beweisführung und logischen Begründung schon im vorigen Jahrhundert nicht mehr bedurfte, so ist dennoch die Frage nach dem Sitze dieses Sinnes bis auf den heutigen Tag noch nicht mit absoluter Sicherheit beant- wortet worden. Unzweifelhaft zwingt uns die Beobachtung der weit- reichenden, von Kadavern auf zahlreiche Insekten (Käfer, Fliegen) und Krebse ausgeübten Anziehungskraft, nötigt uns die eigentümliehe Erscheinung, dass Aasfliegen bisweilen ihre Eier in die Blüten ge- wisser Aasblumen absetzen u. a. — zur unbedingten Anerkennung eines hochentwickelten Geruchsvermögens. Auch haben zahlreiche von vielen Forschern ausgedachte und mit Erfolg ausgeführte Ex- perimente diese zur Evidenz erwiesene Thatsache wieder und wieder bestätigt. Schwieriger als der Weg der rein experimentellen Begründung der Existenz des Geruchssinnes gestaltet sich der Weg der Unter- suchung, in welchen spezifischen Organen oder Organsystemen man den Sitz dieses Sinnes zu suchen habe. Diesen langen und dunkeln Weg hat Kräpelin, von Reaumur (1734), der den Sitz des Geruchsvermögens in den Fühlern suchte, ausgehend, bis auf Voges (1882), der die Lokalisierung des Geruchs- sinnes zurückweisend ihn über den ganzen Körper verteilt ansieht, und Schiemenz (1883) skizziert und mit Angabe der ungemein zahl- reichen, von ihm benutzten (60) Quellenschriften über diesen Gegen- stand geprüft, um im Anschlusse an diese historische, die Schwierig- keit der Untersuchung illustrierende Darstellung seine kritischen Be- merkungen zu geben und seine eigne Ansicht zu begründen. Unter durch Thatsachen motivierter Zurückweisung der alten Leh- mann’schen Forderung von der notwendigen Vergesellschaftung des Geruchssinnes mit den Atmungsorganen (Cuvier), hält Kräpelin vielmehr die Vergesellschaftung des fraglichen Sinnes mit den Ge- schmacksorganen aprioristisch für geboten und glaubt ihn daher in der Nähe der Fresswerkzeuge suchen zu müssen. Es kämen hier nun folgende Möglichkeiten in betracht: Die Fühler, wie es schon Reaumur gethan, als Sitz des Geruchssinnes aufzufassen, ist sehr verführerisch; doch stößt diese Annahme insofern auf Schwierigkeit, als die Spinnentiere physiologisch echte Fühler nieht besitzen. Hin- sichtlich dieser Arthropodenklasse hält Robineau-Desvoidy den als sehr entwickelt angegebenen Geruchsinn für lokalisiert, in den Kiefern (Antennae mandibulares), dem morphologischen Aequivalent der Fühler, Perris dagegen die Unterkiefertaster (Palpen) für schwach Koch, Nematoden der Schaflunge. 51 gegen Gerüche empfindlich. — Der Inanspruchnahme der Tracheen- eingänge als Geruchsorgan, wie Cuvier es forderte, ist schon Rosenthal durch Leugnung einer spezifischen Sensibilität derselben bei freilich vorhandener eigner Irritabilität (die beide nicht ver- wechselt werden dürfen) entgegengetreten. — Die Huber-Wolff’sche Darstellung der Mundhöhle als Riechorgan scheint durch vorsich- tige und sorgfältige Experimente von Perris und Forel sehr er- schüttert. Bezüglich der Fühler (und Taster) als Geruchswerkzeuge liegen die zahlreichsten und überzeugendsten Beobachtungen und Experi- mente vor. Die schönsten hat wieder Perris angestellt; er trug da- für Sorge, dass die Versuchstiere unter normalen Lebensbedingungen belassen blieben, während die zahlreichen Experimente anderer, wie Lehmann’, Lefebvre’s unter unnatürlichen Verhältnissen nicht nur an Beweiskraft erheblich einbüßten, sondern auch gar oftmals zu entgegengesetzten Resultaten führten. Demgemäß entscheidet sich der Verfasser für die Auffassung der Fühler als Träger der Geruchsperzeption dort, wo sie als physio- logisch selbständige Organe auftreten; diese Gebilde sind außerordent- lich mannigfaltig an Gestalt und Zahl, und ihre anatomische Unter- suchung lieferte dem Verfasser eine Reihe von Sinnesorganen, die, im einzelnen vielfältig verschieden, im allgemeinen den Typus des Haares tragen, in welches die Endausstrahlung einer Ganglienzelle eintritt. Verfasser hat nicht die Absieht gehabt, sieh definitiv für bestimmte Kategorien zu entschließen, sondern er wollte nur das bisher erkannte schildern und sichten und dadurch zu neuen gründ- lichen Untersuchungen anregen. F. Karsch (Berlin). Alois Koch, Die Nematoden der Schaflunge (Lungenkrankheit der Schafe). Mit 5 zinkographischen und 1 Farbendrucktafel. Wien, 1883. 32 8. Der Verfasser liefert wichtige Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des rötlichbraunen Pallisadenwurmes, Strongylus rufescens Leuck. Er fand nämlich unter einer Herde mehrerer hundert Schafe ungari- scher Landrasse eine große Anzahl meist 4-6jähriger Tiere, deren Lungen von einem haarförmigen, mikroskopischen Parasiten und des- sen Brut bewohnt waren, einem Nematoden, den er als neu betrach- tete und unter dem Namen Pseudalius ovis pulmonalis in die Wissen- schaft einführt. Die Würmer halten sich an den obern und untern Lungenrändern und an den Lungenspitzen in großen Knoten auf, die nie im Innern der Lungen sitzen und stets mit ihrer Basis bis an 4* 529 Koch, Nematoden der Schaflunge. die Pleura pulmonalis reichen. Die männlichen Würmer stellen sich als braune Fädchen, die mit Eiern gefüllten oviparen Weibchen als milchig weiße Fädchen dar. Sie ragen in die feinsten Bronchialäste bis in die Lungenalveolen hinein und verwickeln sich in den Hohl- räumen der von ihnen eingenommenen Stelle so, dass sie, ohne zu zerreißen, sich nicht aus den eingeschnittenen Knoten abheben lassen, eine Eigentümlichkeit, welche durch den im Verhältniss zur Dicke (0,05—0,07 mm) sehr gestreckten Körper des (20—30 mm langen) Tierchens bedingt wird. Das Weibchen legt seine Eier in die fein- sten Bronchialäste und Lungenalveolen und die aus denselben sich entwickelnden Embryonen gelangen durch die größern Bronchien und die Luftröhre ins freie. Auf dem gleichen Wege wandern auch die Geschlechtstiere in die Lungen zurück; denn es finden sich die durch einen langen, spitzen, sichelförmig gekrümmten Haken am hintern Leibesende, das noch von einem feinen kurzen Spieße kaum überragt wird, von den ihnen ähnlichen Darmtrichinen unterschiedenen Em- bryonen außer in den Knoten auch im Schleime der Bronchien und der Luftröhre in großer Anzahl vor. Die Vermutungen des Verfassers bezüglich der von ihm beobach- teten Weiterentwickelung der Embryonen zum Geschlechtstiere des Wurmes, dessen Männchen das Weibchen innerhalb der feinsten Ver- ästlungen der Luftröhre mit dem hintern Dritteile seines Körpers in spiralförmigen Windungen innig umschlingend begattet, gehen nun dahin, dass die jungen Tiere im Schlamme oder Wasser, also im Freien wachsend, durch Wasser- oder Futteraufnahme im entsprechen- den Reifezustande in den Magen der Schafe eingeführt werden, da- selbst sich zu geschlechtsreifen Tieren ausbilden und dann, durch die Speiseröhre in den Kehlkopf wandernd, zum behufe der Paarung in die Luftröhre und deren feinste Verästelungen eindringen. Einen Beleg für diese Auffassung findet Koch in der keilförmigen Gestalt der großen Wurmknoten, die mit einem größern Bronchus kommunizieren, der in die letzten Endausläufer des bronchialen Kanalwerkes mündet, durch welches die Infundibula mit Luft gespeist werden und die einer Pyramide gleichen, deren Basis die Pleura pulmonalis ist, somit der Keilform der Knoten entspricht (S. 16). Die Elterntiere aber gehen, nach der Fortpflanzung hanfsamenkorngroße, gelbliche, verkalkte Knötchen bildend, in denen sie knäuelförmig zusammengerollt liegen, zu grunde. Aus Analogie der Entwicklung anderer in den Lungen der Schafe parasitierender Nematoden, des Strongylus filaria und Str. paradoxwus (Palissadenwürmer) glaubt nun Koch sich dahin entscheiden zu müssen, dass sein Pseudalius ovis pulmonalis ein verwandelter, und zwar verkleinerter Strongylus rufescens Leuck. sei. Dieser, in den Schaflungen lebende, die drei- bis vierfache Körperdicke des qu. Pseudalius haltende Wurm müsse durch das immer weitere Vordringen Ranvier, Ueber Neuroglia. 553 in die feinsten Endausläufer der Bronchien sich dem immer enger werdenden Volumen dieses Röhrenwerkes akkommodieren, was bei der großen Kompressibilität des Wurmleibes nicht auffalle und mit dieser Verringerung des Körpervolumens seien auch (nicht sehr wesent- liche) Verschiedenheiten des Schwanzendes beider Formen bedingt. F. Karsch (Berlin). L. Ranvier, Ueber Neuroglia. Archives de physiologie normale et pathologique. 1883. p. 177—185. Nach Henle und Merkel wäre die Neuroglia von den Elemen- ten des gewöhnlichen Bindegewebes gebildet; nach Gerlach wären es elastische Fasern oder wenigstens solche, die den elastischen ähn- lich sind, nach Boll, Golgi u. a. ausschließlich Deiter’sche Zellen, d. i. verästelte Zellen eigentümlicher Art; nach Schwalbe’s endlich und anderer Meinung sind die um die Nervenelemente des Gehirns, des Rückenmarks und der Sehnerven befindlichen Zellen nichts an- deres als wandernde Lymphzellen. R. selbst hat früher schon durch Ösmiumsäureinjektion in das Rückenmark erwachsener Säugetiere und darauf folgende Dissoziation die Zusammensetzung aus sich Kreu- zenden Fasern und in den Punkten ihrer Kreuzung befindlichen flachen Zellen demonstriert. Seiner ersten Methode fügt R. zwei neue hinzu: eine gröbere, wobei ein Längsschnitt aus in Müller’scher Fl. erhärtetem Mark des Ochsen oder Hundes stark durch Karmin gefärbt in Wasser gelegt und durch Auf- und Absetzen des Deckglases dissoziiert wird; eine feinere zum Studium der Sinnesorgane von B. schon empfohlene, wobei nach 24stündigem Aufenthalt in !/; Alkohol kleine Stücke des Markes in einem Reagensglas mit destilliertem Wasser geschüttelt, mit Pikro- karmin gefärbt und durch stark diluirte Osmiumsäure behandelt mit einer Pipette aufgefangen unter dem Mikroskope beobachtet werden!). Durch erstere Methode erlangt man Deiter’sche Figuren, durch die letztere aber erkennt man wie die Fasern die Zelle einfach durch- passieren ohne sich mit ihrem Protoplasma zu mischen. Wenn man dies nach Anwendung der Müller’schen Fl. nicht erkennt, so liegt es daran, dass unter Einfluss dieses Reagens Fasern und Protoplasma ungefähr das gleiche Brechungsvermögen erlangen. Manche Zellen sind übrigens einfach rund oder polyedrisch und in keiner Weise sternförmig. Membranöse Ausbreitungen (Präparate der ersteren Methoden) gehen vom Zellenprotoplasma ab und erscheinen zwischen den Fasern 4) Deiter’s Verfahren der Dissoziation nach Mazerieren in diluirter Chrom- säure liefert nur geschrumpfte Zellen. n4 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. wie eine Digitalmembran gespannt oder umwiekeln sie zylindrisch. Oefters trennen sich zwei im selben Zylinder enthaltene Fasern nach- träglich auseinander. Nirgends aber findet eine Faserteilung statt. Beim Embryo findet man ursprünglich bloß runde und polyedri- sche Neurogliazellen. Erst später erscheinen Fortsätze, die endlich zu Fasern werden. Aehnlich wird in der Retina aus einer ursprüng- lich homogenen Zelle die Müller’sche Stützfaser, welche aus einem seitlich gelegenen und mit Kern versehenen Protoplasmateil und einer einzigen die ganze Retina durchsetzenden Faser besteht. Den Basal- zellen der Netzhaut (s. R’s Lehrbuch) sind die runden und polyedri- schen Neurogliazellen gleich zu stellen. Es entstammt offenbar die Neurogliazelle ebenso wie die nervöse Ganglienzelle aus dem primitiven Neuroepithel. Dieser gemeinsame Ursprung ist an den kadaverösen Veränderungen der Fasern erkenn- bar, die ähnlich der varikösen Deformation der Primitivnervenfibrille knotig werden und sich in durch Karmin färbbare Granula auflösen. Ebenso auch wie man sich eine Nervenfibrille (transmittierendes Agens der Empfindung oder der motorischen Imitation) als einen von den übrigen Bestandteilen der Nervenzelle unabhängigen Teil vorstellt, so ist auch in der Neurogliazelle die Faser vom übrigen vollkommen individualisiert. In der Hirnrinde nach Behandlung mit !/,; Alkohol und Osmium, wie oben angegeben, löst sich die Neuroglia in kleine Klumpen, de- ren Struktur folgende ist: Im Zentrum die Zelle mit den von ihr in allen Richtungen abgehenden Fasern und im Netze zwischen densel- ben eine granulierte von Boll dem Reif verglichene Substanz, die von den meisten als der Neuroglia angehörig betrachtet wird. Das ist keine Gewebsspezies sondern hauptsächlich nur zerstörte Nervenele- mente und namentlich Myelin. Myelinfasern werden in der That bei dieser Präparationsmethode nicht gefunden, während, wie Exner bei Behandlung mit Osmiumsäure und Ammoniak gezeigt hat, solche in allen Schichten der grauen Substanz (sogar in der oberflächlichen Molekulärschicht 1. Meinert’s) sich befinden. Außer Myelin kann auch noch die granulierte Substanz Protoplasmafortsätze der Ganglien- zellen enthalten. Hierdurch wird die graue Substanz des Hirns und Rückenmarks zur selben allgemeinen Struktur zurückgeführt. Nicati (Marseille). Die spezifischen Energien der Nerven. Von J. Rosenthal. Kaum irgend ein Lehrsatz der Physiologie kann Anspruch auf allgemeinere Anerkennung erheben, als der Satz, dass die verschie- Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 55 denen Leistungen der Nerven nicht von Unterschieden ihres Baues, sondern von der Art ihrer Verbindung mit anderen Apparaten ab- hängen. Dass die Reizung sensibler Nerven keine Muskelkontraktion veranlassen könne, weil diese Nerven nicht mit den Muskelfasern in physiologische Verbindung treten, erscheint so selbstverständlich, dass dagegen wohl kein Einwand wird erhoben werden können. In der- selben Weise können wir die Wirkung der sekretorischen Nerven erklären durch die funktionelle Verbindung ihrer Fasern mit den Ele- menten der Drüsen. Diese Anschauung führt aber ohne weiteres zu der Ergänzung, dass motorische und sekretorische Nerven ihrerseits wieder nicht auf die nervösen Zentralorgane zu wirken vermögen, weil diejenigen Teile der letzteren, mit denen jene Nerven zusammen- hängen, zwar die Fähigkeit haben, in sich den Vorgang der Erregung, sei es reflektorisch, automatisch oder durch den Willensakt, zu er- zeugen, nicht aber durch zugeleitete Erregungen in sich die Akte der Empfindung mit den daraus folgenden des Bewusstseins und der Vor- stellung zu stande kommen zu lassen. Und haben wir auf diese Weise erst zugegeben, dass die Elemente des Zentralnervensystems unter sich nicht alle gleichbeschaffen seien, so ist es wiederum nur ein kleiner Schritt, unter den Elementen, welch die Empfindung ver- mitteln, noch weitere Unterschiede anzunehmen, den einen die Eigen- schalt zuzuschreiben, dass sie die Empfindung des Sehens, den andern die, dass sie die Empfindung des Hörens vermitteln u. s. w. In der That ist dieses die Ansicht, welche heutzutage wohl von allen Physiologen vertreten wird, und die man als die Lehre von den spezifischen Energien der Sinnesnerven bezeichnet, wie sie von Johannes Müller in ihren Grundzügen entwickelt und in neuerer Zeit besonders durch Helmholtz in ihren Konsequenzen weiter ent- wickelt worden ist. Indem wir aber in unsere Auseinandersetzung auch den generellen Unterschied zwischen Empfindungsnerven über- haupt und motorischen bezw. 'sekretorischen Nerven hineingezogen haben, wird die Lehre noch allgemeiner als die von den spezifi- schen Energien der Nerven überhaupt bezeichnet werden kön- nen. Und der allgemeine Ausdruck dieser Lehre würde sich dahin formuliren lassen, dass alle Unterschiede in den Wirkungen verschiedener Nerven nicht auf Unterschiede in diesen Nerven selbst, sondern auf die Verschiedenheiten der Organe, mit denen die Nerven verbunden sind, zurückzu- führen seien. In dieser allgemeinsten Form ausgesprochen enthält der Satz in sich die stillschweigende Voraussetzung, dass die Nervenfasern unter sich alle gleichartig seien, oder wenigstens dass die Verschiedenheiten welche sie bieten, unwesentlich und ohne Einfluss auf ihre physiolo- gischen Leistungen seien; ferner dass die Erregung der Nervenfasern auf welche Weise sie auch bewirkt sein möge, stets eine und dieselbe 56 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. Wirkung ausübe, und dass der schließliche Erfolg nur allein von den End- apparaten abhänge, mit welchen die betreffenden Fasern physiologisch verbunden sind, also einerseits von der Natur der Nervenzellen bei den Empfindungsnerven, andererseits von der Natur der peripherischen Endapparate (Muskeln, Drüsen) bei den motorischen und sekretori- schen Nerven. Weil bei den letzteren die Endapparate an der Peripherie, bei den ersteren in den Nervenzentren gelegen sind, also auch die nor- malen Erregungsvorgänge in der Regel bei den ersteren peripherie- wärts, bei den letzteren zentralwärts verlaufen, von den in entgegen- gesetzter Riehtung verlaufenden Erregungen aber angenommen wird, dass sie wegen Mangels passender Endapparate wirkungslos bleiben, so pflegt man sie auch als zentrifugale und zentripetale Nerven zu unter- scheiden, welche Unterscheidug jedoch nicht erschöpfend ist, insofern man bei einigen Nerven, insbesondere den sogenannten Hemmungs- nerven, anzunehmen geneigt ist, dass sie auch an der Peripherie mit Organen zentraler Natur verknüpft seien. Ich habe deshalb vorge- schlagen, diese Nerven als „interzentrale“ zu bezeichnen und sie dem- nach mit den innerhalb des Zentralnervensystems selbst verlaufenden, die einzelnen Teile desselben untereinander verbindenden Fasern zu- sammenzufassen. Die Gründe, welehe man für die Lehre von den spezifischen Energien angeführt hat, gehen also zunächst von der Annahme der Gleichheit aller Arten von Nervenfasern aus. Für die zentripetalen und zentrifugalen Fasern stützte sich diese Annahme auf die Ueber- einstimmung in allen wesentlichen Charakteren, und auch die inter- zentralen Fasern fügen sich den andern, soweit die Kenntnis derselben reicht, im allgemeinen genügend an. Diese Uebereinstimmung ist freilich keine absolute. Zwar auf Unterschiede im Durchmesser der Fasern, der geringeren Ausbil- dung oder dem gänzlichen Mangel der Markscheide ist nicht viel zu geben. Diese Unterschiede verlieren jede Bedeutung gegenüber der Thatsache, dass sie durchaus nieht mit Unterschieden im physiologi- schen Verhalten parallel gehen. Wichtiger aber würde es sein, wenn Unterschiede der Erregbarkeit zwischen den drei Fasergattungen nach- gewiesen werden könnten. Solehe Unterschiede würden zunächst in der Annahme von Deen’s (welchem sich Schiff u. a. angeschlossen haben) gefunden werden können, dass die Leitungsbahnen des Rückenmarkes, also nach unserer Bezeichnungsweise interzentrale Fasern, gegen jede Art von Reizung unerregbar seien. Aber die Zahl derer, welche dies bestreiten, ist jetzt schon so groß, dass die Thatsache wohl zugegeben werden muss, dass es sich hier nieht um einen ’eigenartigen, in seinen Eigen- schaften von anderen Nerven ganz abweichenden Teil des Nervensy- stems handle, der zwar im stande sei, Erregungen zu leiten, aber Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 57 nieht selbst durch Reize erregbar sei; sondern wir können wohl mit Fiek annehmen, dass wir nur darum stärkere Reize anwenden müs- sen, um von den Vordersträngen des Rückenmarkes aus auf die Mus- keln zu wirken als von den betreffenden peripherischen Nerven, weil im ersteren Falle die Reizung nicht auf einfachen direkten Bahnen zum Muskel gelangen kann, sondern auf verwickelten Bahnen unter Durchsetzung zelliger Elemente, wie ja schon daraus hervorgeht, dass der Erfolg der Reizung bei Anwendung gleichmäßiger tetanisierender Reize ein ganz abweichender, aus abwechselnder Kontraktion und Er- schlaffung der Beuge- und Streckmuskeln sich zusammensetzender Be- wegungsvorgang ist. Außerdem wird es immer misslich sein, einen wesentlichen Unterschied zweier Nervengebilde nur allein auf grund einer Verschiedenheit im Grade der Erregbarkeit annehmen zu wollen, da solche Unterschiede, wenngleich in geringerem Maße, auch zwi- schen verschiedenen peripherischen Nerven derselben Fasergattung, ja sogar zwischen verschiedenen Stellen eines und desselben peri- pherischen Nerven vorkommen. Der am häufigsten benutzte, in der Art seiner Wirkung am besten bekannte Reiz, der elektrische Strom, wirkt auf alle Arten von Ner- ven im wesentlichen gleich. Pflüger hat gezeigt, dass das soge- nannte Zuckungsgesetz mutatis mutandis auch für sensible Nerven gilt und dass diese gegen Stromesöffnung und -schließung sich ganz genau wie die motorischen Nerven verhalten. Ganz dasselbe giltnach den Ver- suchen von Donders am Vagus für die Hemmungsfasern dieses Ner- ven. Wenn es leichter ist, durch den konstanten elektrischen Strom sensible Nerven dauernd zu erregen als motorische, so liegt dies wahrscheinlich an der größeren Empfindlichkeit der Endapparate ge- gen schwache Einwirkungen, wie sie eben während der Stromesdauer auf den Nerven ausgeübt werden. Von den Nerven, deren Endappa- rate peripherisch liegen, welche aber vielleicht zu den interzentralen Nerven gerechnet werden müssen, werden nach Grützner!) nur die Gefäßerweiterer der Haut durch konstante Ströme erregt. Auffälliger schon sind die Unterschiede in der Einwirkung ther- mischer Reize, welche Grützner?) nachgewiesen hat. Motorische Nerven werden nach ihm durch Erwärmung nicht erregt, ebensowenig die sekretorischen und die gefäßerweiternden mit Ausnahme derjeni- gen der Haut, die sensiblen Nerven dagegen sehr heftig. Doch ist Grützner nicht geneigt, daraus auf einen Unterschied der Nerven- fasern zu schließen, sondern glaubt, dass nur deren Endorgane nicht im stande seien, auf die eigentümliche Art der Erregung, welche die Wärme hervorruft, zu reagieren. Auch die Hemmungsfasern des Va- gus werden durch die Erwärmung nicht erregt. 1) Pflüger’s Arch. XVII. 238. 1878. 2) Pflüger’s Arch. XVII. S. 215. 1878. 58 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. Also auch hier, wo verschiedenes Verhalten verschiedener Nerven wirklich gefunden wurde, begegnen wir dem, wie es scheint, unwider- stehlichen Drange, daraus nicht auf Unterschiede in den Nerven selbst zu schließen, sondern die Schuld auf die Endorgane zu schieben. So sehr ist der heutigen Generation von Physiologen die Ueberzeugung von der Gleichheit aller Nervenfasern schon eingewurzelt. Aber die Hypothese, dass auch die motorischen Nerven durch Erwärmung er- regt werden und dass nur die Muskeln nicht im stande seien, auf diese Art von Erregung zu reagieren, hätte wohl verdient, ihrerseits geprüft zu werden durch den Versuch, diese Erregung in den Nerven- fasern selbst mit Hilfe der elektrischen Vorgänge nachzuweisen, ein Versuch, der meines Wissens nicht angestellt worden ist. Schon in seinen berühmten „Untersuchungen über tierische Elektrizität“ hatte du Bois-Reymond!) die negative Schwankung des Nervenstromes an dem Stamm des N. ischiadieus nachgewiesen bei heftiger Reizung der Nervenendigungen in der Haut durch heiße Kochsalzlösung (Siede- punkt 107°) oder konzentrierte Schwefelsäure. Aber hier handelt es sich eben um Reizung der peripherischen Nervenenden sensibler Ner- ven, und der Zweck des Versuches war nur der, nachzuweisen, dass bei jeder Art von Erregung, nicht bloß der elektrischen, die negative Schwankung des Nervenstroms auftritt. Jetzt wäre es notwendig die thermische Erregung am Nervenstamm selbst anzubringen und den Versuch an motorischen Fasern allein anzustellen, was nach dem Vorgang du Bois-Reymond’s, welcher die Stromschwankung an den Rückenmarkswurzeln nachwies?), nieht unausführbar ist. Noch einer anderen Erscheinung müssen wir an dieser Stelle ge- denken, weil sie mit den Vorstellungen, wie sie über motorische und sensible Nerven und deren Verhalten zu den Muskeln und anderen Gebilden ganz allgemein gang und gäbe sind, ganz und gar unver- einbar zu sein schien. In den meisten Nervenstämmen sind sensible und motorische Fasern innig mit einander gemischt. An den Rücken- marksnerven ist diese Mischung die Regel und man muss zu den Wurzeln aufsteigen, um die beiden Fasergattungen getrennt unter- suchen zu können. Bei den Hirnnerven ist die Mischung eine weni- ger vollständige, und es gibt einzelne Nerven, welche auf weite Strecken ihres Verlaufes fast ganz rein nur motorische oder nur sen- sible Fasern enthalten. Unter diesen sind besonders die Nerven der Zunge hervorzuheben, welche zudem leicht zugänglich sind und des- halb vielfach zu Versuchen über die Eigentümlichkeiten der motori- schen und sensiblen Nerven gedient haben. 4) Untersuchungen u. 8. w. Bd. I Teil 1. 1849. S. 522. Die zugehörige Figur 132 Tafel V wurde erst 1868 mit der zweiten Abteilung des Bandes ausgegeben 2) Ebenda S. 587 ff. Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 59 Reizt man bei einem lebenden Tier den Muskelnerven der Zunge, so erhält man starke Muskelbewegungen aber niemals Zeichen von Schmerzempfindung, reizt man den Ramus lingualis vom dritten Ast des Trigeminus, so erhält man Schmerzensäußerungen, aber niemals Bewegungen in der Zunge. Dieser Satz galt als so selbstverständlich, dass es nicht geringes Aufsehen erregte, als vor 20 Jahren Philip- peaux und Vulpian eine Ausnahme von der Regel auffanden. Diese Experimentatoren!) sahen nämlich an Hunden, denen sie den N. hypoglossus samt seinen Wurzeln aus dem Schädel ausge- rissen hatten, Monate nachher, als der Nerv längst degeneriert war und keine Spur von Wirkung mehr auf die gelähmte Zungenhälfte ausübte, in eben dieser gelähmten Zungenhälfte Bewegungen auftreten, wenn sie den sonst ganz unwirksamen N. lingualis derselben Seite reizten. Der sensible Nerv war also, sozusagen, motorisch geworden. In späteren Versuchen fand Vulpian?) die ersten Zeichen dieses „Motorischwerdens“ schon 4 bis 5 Tage nach dem Ausreißen des Hypoglossus; die Wirkung erreicht aber erst nach 20 bis dreißig Ta- gen ihre größte Intensität. Nicht die eigentlich sensiblen Fasern des Lingualis kommen dabei in betracht, sondern die ihnen beigemischten Fasern der Chorda tympanica (welche die sekretorischen Fasern für die Speicheldrüsen und die vasodilatatorischen Fasern für diese und die Zunge enthält). Die ersten Angaben von Philippeaux und Vulpian wurden bestätigt von E. Cyon?), von M. Schiff?) und von Bleuler und Lehmann’). Letztere machten den Versuch an Kaninchen, während alle andern am Hunde beobachteten, aber mit gleichem Erfolg. Schon früher hatte Schiff®) beobachtet, dass nach Durchschneidung (oder Ausreißung) des Hypoglossus in der gelähmten Zungenhälfte lebhafte Flimmerbewegungen auftreten. Er gibt nun an, dass diese in der ersten Zeit nach der Durchsehneidung (zwischen dem 8. bis 19. Tage) durch die Lingualisreizung gehemmt werden; später werde jene Hem- mung schwächer und dann erst träten die Muskelkontraktionen auf Reizung ein. Diese Hemmung ist weder von Bleuler und Lehmann noch von Heidenhain wieder beobachtet worden. Diese sonderbare Erscheinung hat eine ausgezeichnete Bearbeitung gefunden durch R. Heidenhain”), und das Ergebnis derselben be- 4) Philippeaux und Vulpian, Comptes rendus LVI. 1009. 1863. 2) Ebenda LXVI. 146. 1873. 3) Cyon, Mölanges biologiques tir6s du bulletin de l’academie imp6riale de St. Petersbourg VIII. 49. 1871. 4) Schiff, Archives des sciences physiques et naturelles. LXIV. 57. 1878. 5) Bleuler und Lehmann, Pflüger’s Archiv XX. 327. 1879. 6) Schiff, Arch. f. physiol. Heilk. X. 587. 1851. Lehrbuch d. Muskel- und Nervenphysiologie S. 117. 1858— 1859. 7) Heidenhain, Arch. für Physiologie. Dem Herausgeber E. du Bois-Rey- mond gewidmeter Supplementband zum Jahrgang 1883. S. 133 ff. 60 Rosenthal, Die spezipschen Energien der Nerven. nimmt der Erscheinung jede Bedeutung, welche man ihr gegen die festbegründete Lehre von den Nerven und ihrer festen Verbindung mit den Endapparaten etwa beilegen könnte. Die Nervenfasern des Lingualis oder der Chorda tympanica treten nicht in die Funktion der gelähmten und degenerierten motorischen Fasern des N. hypo- glossus ein. Sie verbinden sich nicht funktionell mit den Muskelfasern wie die motorischen Nerven mit ihnen verbunden waren. Vielmehr ist ihre Wirkung eine indirekte. Die gelähmten Muskelfasern oder wahrscheinlich das in ihnen enthaltene Nervenende (die Nervensohle) verlieren nicht so schnell ihre Erregbarkeit wie die Nervenfasern im Stamme; ihre Erregbarkeit wird vielmehr für manche Reize gesteigert, so dass schon geringfügige Reize, wie sie durch die bloße Blutzirku- lation veranlasst werden, zu Bewegungen Veranlassung geben können. Daher die flimmernden Zuckungen, welche Schiff entdeckt hat. Und die vasodilatatorischen Nerven der Chorda, indem sie eine Erweite- rung der Gefäße und eine stärkere Blutströmung herbeiführen, ver- mehren die Gelegenheit zur Entstehung jener Reize, verstärken des- halb das Flimmern und können es sogar zu einer kräftigen, tetanus- artigen Kontraktion der Muskeln anschwellen lassen, welche in ihrem äußeren Effekt ganz der durch Reizung des normalen N. hypoglossus bewirkten Kontraktion gleicht. Auf grund seiner Versuche bezeichnet deshalb Heidenhain mit gutem Recht die Wirkung der Lingualisreizung auf die Zungenmuskeln als „pseudomotorische“. Die Beweise, welche er für seine Auffassung beibringt, sind ganz entscheidend. Die elektrischen Reize, welche die Erscheinung hervorrufen, müssen sehr viel stärker sein als diejenigen, welche auf den Hypoglossus wirken; die Bewegungen treten äußerst langsam ein, erreichen selbst bei starker Reizung erst nach Sekunden ihre volle Stärke und schwinden nach Aufhören der Reizung gleich- fails nur ganz allmählich. Daran ist nicht etwa eine Veränderung der gelähmten Muskeln schuld, denn bei direkter Reizung verhalten sich dieselben während der Zeiten, die hier in betracht kommen, ganz anders, sie reagieren schnell, wie quergestreifte Muskeln zu thun pflegen, und ihre Erschlaffung folgt ebenso schnell dem Aufhören des Reizes. Einzelne Induktionsschläge, in solchen Intervallen, die nicht tetanisierend wirken, aufeinander folgend (1—8 in der Sekunde) sum- mieren sich in ihrer Wirkung; je kürzer die Pausen sind bei gleicher Stärke oder je größer die Stärke bei gleicher Pausenlänge, desto geringer ist die Zahl der Schläge, welche eine deutliche und volle Wirkung geben. Einzelne Induktionsschläge, welche in langen Inter- vallen (1 Sekunde z. B.) aufeinander folgen und die anfänglich un- wirksam sind, werden allmählich (nach 13 Sekunden z. B.) wirksam, und die Wirkung nimmt an Stärke und Dauer zu, bis es zu einer stetigen Kontraktion kommt, welche noch nach dem Aufhören der Reizung andauert. Auch schneller folgende Reize, welche eine länger Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 61 andauernde Kontraktion bewirkten, hinterlassen die Zungenmuskeln für einige Zeit in einem Zustande erhöhter Reizbarkeit, sodass vorher unwirksame Einzelreize jetzt wirksam sind. Durch chemische Reizung des Lingualstammes konnte Heiden- hain die Wirkung auf die Zunge nicht hervorrufen. Dagegen sah er sie, unter gleichzeitiger Rötung der Zunge, während des Exzitations- stadiums nach Morphiuminjektion, mehrmals auf reflektorische Er- regung des Nerven durch sensible Reizung, nach Injektion kleiner Nikotindosen, wobei gleichfalls die Zunge sich stark rötet!. Wenn die Röte nachlässt, so ist die Lingualisreizung außer stande, auf die Zungenmuskeln zu wirken und diese Wirkung kehrt erst nach längerer Zeit wieder. Kurare in solchen Dosen, welche die Wirkung der mo- torischen Nerven auf ihre Muskeln aufheben, macht auch den Lin- gualis und das Nikotin unwirksam, lässt aber die fibrillären Kon- traktionen bestehen. In der Zeit, wo die Wirksamkeit des Lingualis anfängt, sind die Muskeln der gelähmten Seite mikroskopisch noch unverändert; ihre Erregbarkeit gegen Induktionsströme ist jedoch herabgesetzt, die gegen konstante Ströme erhöht im Vergleich zu den Muskeln der andern normalen Zungenhälfte. Die anatomische Untersuchung lehrte, dass die Nervenfasern der Chorda (welche wegen ihres sehr viel ge- ringeren Durchmessers von den Fasern des Hypoglossus leicht zu unterscheiden sind) in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit den Muskelbündeln stehen. Die Hypoglossusfasern degenerieren nach der Ausreißung vollkommen, ihre Endfasern schwinden, die Sohle dagegen, der Teil am Muskelbündel, in welches sich die Nervenendfasern ein- senken, bleibt bestehen. Aus alledem scheint hervorzugehen, dass Nikotin, welches in kleinen Dosen die Kontraktionen anregt, auf die Nervensohle wirkt, während Kurare wie auch Nikotin in dem zweiten Stadium seiner Wirkung diese Sohle lähmt. Auch die Chordareizung muss auf die Sohle wirken, da ihre Wirkung nach Kurarisierung und im zweiten Stadium der Nikotinisierung fehlt. Während aber Nikotin direkt auf die Sohle zu wirken scheint, ist diese Wirkung bei der Chorda- reizung eine mittelbare. Und die Zwischenstufe, welche erst den Reiz hervorbringt, scheint durch die Gefäßerweiterung bedingt zu sein. Gefäßerweiterung und Beschleunigung des Blutstroms in der Zunge bei Chordareizung gehen nach den vergleichenden Versuchen 1) Die gefäßerweiternde Wirkung des Nikotins wurde von mir zuerst 1863 beobachtet, aber als Lähmung der vasoconstrietorischen Nerven gedeutet (Cen- tralblatt für die medizinischen Wissenschaften 1863. S. 738). Nach Heiden- hain (Pflüger’s Archiv V. 316) und Ostroumoff (ebenda XII. 219) wirkt es jedoch durch Reizung der vasodilatatorischen Nerven. Auf die Endigungen der motorischen Nerven in den Muskeln wirkt Nikotin lähmend wie Curare; der Lähmung gehen fliimmernde Zuckungen und eigentümliche Krämpfe voraus (Rosenthal.a.a. O.). 62 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. Heidenhain’s genau parallel. Erstere folgt ganz den gleichen Ge- setzen, welche oben für die Zungenkontraktion bei Lingualisreizung angegeben wurden. Aber die Muskelkontraktion ist doch keine unmittelbare Wirkung der vermehrten Blutzufuhr. Zwar kann man dieselbe auch durch Injektion von Blut in die Zungengefäße unter hohem Druck hervor- bringen, aber andererseits ist die Nervenreizung noch nach Zuklemmung der Zungenarterie wirksam; freilich werden die Kontraktionen dann sehr schnell schwächer und hören bald ganz auf. Dementsprechend bleibt auch nach dem Tode die Wirkung noch kurze Zeit bestehen, wie schon Vulpian und Cyon angegeben haben. Heidenhain hält es für sehr wahrscheinlich, dass vermehrte Durchtränkung mit Lymphe die Reizursache für die gelähmten Muskeln ist. Aus den vorhergehenden Auseinandersetzungen geht hervor, dass motorische, vasomotorische und sensible Nerven in ihren Wirkungen scharf getrennt sind, dass nur die ersteren in funktioneller Beziehung zu der Muskelkontraktion stehen (von den sensibeln Nerven der Mus- keln, welche keine Kontraktion derselben veranlassen können, wird später die Rede sein), dass wir aber keinen zwingenden Grund haben, einen wirklichen Unterschied in den wesentlichen Eigenschaften der verschiedenen Nervenfasern anzunehmen, sondern alle Unterschiede ihres Verhaltens von der Art ihrer Verknüpfung mit andern Organen abzuleiten. Wir wenden uns jetzt zur Auseinandersetzung der posi- tiven Thatsachen, welche die Gleichheit aller Nervenfasern in ihren wesentlichen Eigenschaften zn beweisen geeignet sind. Alle Nervenfasern zeigen die gleiche mikroskopische Struktur, die gleiche chemische Beschaffenheit, die gleichen elektromotorischen Erscheinungen, die gleichen Veränderungen derselben bei Reizung und bei der Einwirkung der elektrischen Ströme (Elektrotonus), die glei- chen Veränderungen der Erregbarkeit durch solche Ströme, gleiches Verhalten gegen Reize (mit Ausnahme der oben angeführten, von Grützner hervorgehobenen Unterschiede), gleiche Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Erregung, welche in allen Nerven nach beiden Seiten hin sich fortpflanzen kann (doppelsinniges Leitungsvermögen der Nerven). Allerdings ist nicht alles, was wir hier aufgezählt haben, wirklich erwiesen. Manches wird nur aus Analogiegründen als mehr oder minder wahrscheinlich angesehen werden können, für anderes können die Beweise nur teilweise als erbracht gelten. Bei der Wichtigkeit der Frage wird eine kurze Uebersicht über das, was wirklich er- wiesen ist, nicht überflüssig sein. Wir übergehen dabei das mikros- kopische und chemische Verhalten, da aus beiden für die Funktion der Nervenfasern nichts sicheres erschlossen werden kann. Die elektromotorischen Erscheinungen an den Nervenfasern, na- mentlich der Gegensatz zwischen dem positiven Längs- und dem negativen Querschnitt hat sich bisher an allen untersuchten Nerven- Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 63 fasern immer auf gleiche Weise ergeben. Insbesondre lassen vordere und hintere Wurzeln der Rückenmarksnerven als ausgesprochene Bei- spiele rein motorischer und rein sensibler Fasergruppen in dieser Hinsicht gar keine Unterschiede erkennen. Von Sinnesnerven ist wohl nur der N. optieus daraufhin untersucht worden, hat aber ebenfalls ganz das gleiche Verhalten gezeigt. Auch am Rückenmark und Ge- hirn fand du Bois-Reymond'!) dasselbe, und so kann man wohl behaupten, dass die in den Nervenzentren vorkommenden Fasern sich nicht anders verhalten wie die peripherischen. Ganz das gleiche gilt nun auch von der negativen Sehwankung und dem Elektrotonus, welche du Bois-Reymond gleichfalls an vorderen und hinteren Rückenmarkswurzeln, am Rückenmark selbst und am N. optieus nach- gewiesen hat?) Ueber den Nachweis elektrischer Schwankungen an letzterem Nerven infolge von Liehtreizung, welche du Bois-Rey- mond, damals noch mit unzulänglichen Mitteln ausgerüstet, vergebens versucht hatte, vgl. das Referat von Steiner, Biol. Centralbl. I. S. 220. Die Untersuchung der Erregbarkeitsveränderungen im Elektrotonus hat schwankende Resultate ergeben. Insofern es sich um Versuche am Menschen handelt, wie sie von Elektrotherapeuten (Eulenburg, Erb, Runge) angestellt wurden, ist auf dieselben wenig zu geben, da die Strömungsverhältnisse an den in leitende Gewebe eingebetteten Nerven so verwickelt sind, dass die Deutung der Versuchergebnisse ganz willkürlich wird. An Froschnerven hat Zurhelle?), welcher unter Pflüger’s Leitung arbeitete, von den an motorischen Nerven bekannten abweichende Resultate gewonnen. Da jedoch Pflüger selbst *) an sensiblen Nerven das Erregungsgesetz analog dem der motorischen Nerven fand, und dieses nach allgemeiner Annahme mit den elektrotonischen Erregbarkeitsveränderungen im engsten Zusam- menhang steht, so liegt hier ein Widerspruch vor, welcher durch erneute Versuche aufgeklärt werden müsste. Was die Fortpflanzung der Erregung in den Nervenfasern an- langt, so ist es von du Bois-Reymond an der oben angeführten Stelle unzweifelhaft bewiesen worden, dass Elektrotonus und nega- tive Stromesschwankung an motorischen und sensiblen Fasern sich ganz in gleicher Weise nach beiden Richtungen fortpflanzen, und dies haben alle Physiologen mit ihm als einen vollgiltigen Beweis ange- sehen, dass auch der Erregungsvorgang in beiden Nervengattungen doppelsinnig fortzuschreiten vermöge. Direktere Beweise durch Verheilung durchschnittener motorischer und sensibler Nervenfasern 4) Untersuchungen Bd. II, Abteil. 1. S. 254. 2) Ebenda S. 568 ff. und S. 603 f. 3) Zurhelle, De nervorum sensitivorum irritabilitate in statu eleetrotoni. Inaug.-Diss. Berlin 1864. — Untersuch. a. d. physiol. Labor. zu Bonn. 1865. S. 80. 4) Pflüger, Med. Centralzsit. 1859. Nr. 69. — Untersuchungen aus dem physiol. Lab. ete. S. 144. 64 Der dritte Kongress für innere Medizin. untereinander haben nach verunglückten Versuchen von Schwann, Bidder u. a.) zuerst Philippeaux und Vulpian gegeben, indem ihnen die von Bidder versuchte Verheilung des zentralen Lingualis- mit dem peripherischen Hypoglossusstumpfe und der Nachweis der Leitung in dem so entstandenen „gemischten“ Nerven nach beiden Richtungen gelang, was dann von Rosenthal und Bidder selbst bestätigt wurde. Die Zweifel, welche später gegen die Beweiskraft dieser Versuche infolge des sogenannten „Motorischwerdens“ der Chordafasern erhoben wurden, sind durch die oben ausführlich be- sprochene Arbeit Heidenhain’s widerlegt. Andere Beweise lieferten P. Bert (durch verkehrtes Einheilen des Rattenschwanzes in eine Hautwunde am Rücken) und Kühne (durch Reizung der verzweigten motorischen Fasern im Froschsartorius). An sensorischen Fasern aber ist die doppelsinnige Leitung noch nicht erwiesen worden. Was die Geschwindigkeit der Leitung anlangt, so scheint sie in motorischen und sensiblen Nerven gleich zu sein. Von den Sinnes- nerven weiß man in dieser Beziehung nichts. (Fortsetzung folgt.) Der dritte Kongress für innere Medizin wird in diesem Jahre in Berlin, und zwar vom 21.—24. April ab- gehalten werden unter dem Vorsitze des Wirkl. Geheimen Obermedi- zinalrates Herrn Th. von Frerichs. Folgende Themata sollen zur Verhandlung kommen: Am ersten Sitzungstage: „Ueber die genuine Pneumonie* (Aetio- logie, Pathologie, Klinik, Therapie). Referent: Herr Jürgensen (Tübingen); Korreferent: Herr Alb. Fränkel (Berlin). Am zweiten Sitzungstage: „Ueber Poliomyelitis und Neuritis“, Referent: Herr Leyden (Berlin); Korreferent: Herr Schultze (Heidelberg). Am dritten Sitzungstage: „Ueber nervöse Dyspepsie“. Referent: Herr Leube (Erlangen) ; Korreferent: Herr Ewald (Berlin). Außerdem sind folgende Vorträge angemeldet: Herr Hermann Weber (London): Ueber Schulhygieine in England, be- sonders mit Rücksicht auf ansteckende Krankheiten. Herr Rosenthal (Er- langen): Ueber Reflexe. Herr Goltz (Strassburg): Ueber die Lokalisationen der Funktionen des Großhirns. Herr Pfeiffer (Weimar): Ueber Vaccination. Herr Seegen (Karlsbad): Ueber Diabetes. Herr Rossbach (Jena): Bericht über die Kommission zur Behandlung der Infektionskrankheiten. Derselbe: Ueber eine neue Heilwirkung des Naphthalins. Der Sekretär des Kongresses für innere Medizin ist Dr. med. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Wilhelmstraße 4. Berichtigungen. In Band III Nr. 24 lies Seite 760 Vioa statt Viva und ebenda Hancock statt Haucock. Seite 753 Zeile 20 v. u. Hauptskelet statt Hautskelet, ebenda Zeile 15 v. u. Plastrous statt Plastron, Seite 754 Zeile 7 v. o. Einteilung statt Einleitung, Seite 757 Zeile 16 v. o. ebenso. er = z= Aue: a a ur Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von ER N Dr. M. Reess wd Dr E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Preis des Bandes 16 Mark. IV. Band. 1. April 18$4. Nr Inhalt: Wortmann, Ueber die Wirkung der Wärme auf das Längenwachstum von Pflanzenteilen. — ®bersteiner, Das Verhalten der Furchen und Windungen an der Großhirnoberfläche. — Lustig, Zur Kenntnis des Faserverlaufes im menschlichen Rückenmarke. — Rosenthal, Die spezifischen Energien der Ner- ven (Fortsetzung). — Ü. Voit, Ueber die Ursachen der Fettablagerung im Tierkörper. — Leon Frederieg und 3. P. Nuel, Elemente der menschlichen Physiologie. — Albrecht, Offener Brief an W. Krause. Ueber die Wirkung der Wärme auf das Längenwachstum von Pflanzenteilen !). Von Julius Wortmann (Strassburg i. E.). Das Leben aller Organismen, der pflanzlichen sowohl als der tierischen, ist nur innerhalb bestimmter Temperaturgrade möglich; die Energie der Lebenserscheinungen, bei einer gewissen Temperatur ‚am größten, beginnt von hier aus sowohl mit steigender als mit fal- lender Temperatur abzunehmen, um bei Erreichung bestimmter Tem- peraturgrenzen auf Null zu sinken. Die Grenzwerte der Vegetationstemperatur, d. h. derjenigen Tem- peratur, innerhalb welcher pflanzliche Lebenserscheinungen überhaupt sich abspielen, sind jedoch nicht für alle pflanzlichen Organismen dieselben, sondern sind ziemlich beträchtlichen Schwankungen unter- worfen; auf der einen Seite in manchen Fällen bis zum Gefrierpunkt herabsinkend, können sie auf der andern Seite wiederum ebenso wohl die Gerinnungstemperatur des Eiweißes übersteigen. Abgesehen aber von solchen, als Ausnahmen anzusehenden Fällen, beginnt die Mehr- zahl der Pflanzen bei Temperaturen zu vegetieren, welche einige Grade über Null liegen, um bei etwa 50° C. ihre obere Temperaturgrenze zu erreichen. 1) Das Referat bezweckt, in freierer Form die Resultate einer von mir in Nr. 23 und 29 der bot. Ztg. 1883 publizierten Arbeit wiederzugeben. 5 66 Wortmann, Wirkung der Wärme auf das Längenwachstum. Selbstverständlich kann man, sobald es darauf ankommt, einen Eimblick in die durch Temperaturwirkungen hervorgerufenen Lebens- erscheinungen zu gewinnen, sich nicht damit begnügen, jene allge- meinen unteren und oberen Temperaturgrenzen festzustellen, sondern es müssen einzelne bestimmte Vegetationsprozesse, zunächst derselben Pflanzenart, für sich ins Auge gefasst und in bestimmte Temperatur- grenzen eingeschlossen werden. Hierbei zeigt sich nun, dass eine einzelne Pflanze nicht bloß eine untere und obere Temperaturgrenze hat, sondern dass jeder von ihr unterhaltene physiologische Prozess zwischen bestimmten aber von anderen Prozessen verschiedenen, un- teren und oberen Grenzwerten sich abspielt. Es gibt demnach für Jede Pflanze gewisse, mittlere, zwischen den Grenztemperaturen ge- legene Temperaturgrade, bei welchen alle die von ihr unterhaltenen Prozesse normal ineinander greifen, in harmonischer Weise sich voll- ziehen. Durch den Umstand, dass den verschiedenen Funktionen ver- schiedene untere und obere Nuilpunkte zukommen, kann es sieh er- eignen, dass bei einem Verweilen des pflanzlichen Organismus im der Nähe jener allgemeinen Grenztemperaturen einzelne Funktionen, weil ihre spezifischen Nullpunkte überschritten sind, nicht mehr zur Gel- tung kommen und infolge dessen eine Disharmonie, ein krankhafter Zustand der ganzen Pflanze sich einstellt. Da z. B. bei vielen Ge- wächsen die untere Temperaturgrenze für das Wachstum tiefer liegt, als die entsprechende, zur Bildung des grünen Farbstoffes notwendige, so lässt sich oft die Beobachtung machen, dass Pflanzen bei niederen Temperaturen im freien zwar wachsen, auch Blätter erzeugen, allein kein Chlorophyll bilden, infolge dessen die Produktion neuer Pflanzen- substanz unmöglich gemacht ist: Sehen wir uns den Verlauf irgend eines speziellen physiologischen Prozesses zwischen seinen beiden Grenztemperaturen etwas näher an, so machen wir die Beobachtung, dass die Energie, mit welcher der- selbe unterhalten wird, durchaus nieht in gleicher Proportion mit der Temperatur zunimmt etwa derart, dass sie vom untern Nullpunkt an allmählich steigend kurz vor oder mit Erreichung des obern Null- punktes ihren größten Wert erhielte, sondern wir haben, und das trifft ganz allgemein zu, einen mehr oder weniger in der Mitte zwi- schen beiden Nullpunkten gelegenen Temperaturgrad zu konstatieren, bei welchem die Energie des zu beobachtenden Prozesses am größten ist, um sowohl nach der obern als nach der untern Temperatur- grenze stetig abzunehmen und bei Erreichung derselben auf Null zu sinken. Diese drei, für die Individuen verschiedener Spezies sowohl, als auch für die verschiedenen Funktionen verschieden gelegenen Kar- dinalpunkte der Temperatur bezeichnen wir als das Minimum, Optimum, und Maximum. Wie alle anderen Funktionen lässt auch das Längenwachstum Wortmann, Wirkung der Wärme auf das Längenwachstum. 67 pflanzlicher Organe in seiner Abhängigkeit von der Temperatur und unter sonst gleich bleibenden äußeren Bedingungen, Licht, Feuchtig- keit ete. jene drei Kardinalpunkte deutlich erkennen: von einer un- tern 'Temperaturgrenze, dem Minimum, anfangend, steigert sich die Energie eines im Längenwachstum befindlichen Organes bis zum Op- timum, um bei noch stärkerer Wärmezufuhr wieder abzunehmen und bei Erreichung der obern Teimperaturgrenze, dem Maximum, zu er- löschen. Die Lage des Optimums fällt nieht genau in die Mitte zwi- schen derjenigen des Minimums und des Maximums, sondern sie ist in den meisten Fällen und speziell bei hoch gelegenem Minimum näher an das Maximum gerückt. Einige Beispiele mögen uns das zuletzt Gesagte veranschaulichen. Am meisten sind wohl in bezug auf Abhängigkeit des Wachstums von der Temperatur die Keimpflan- zen untersucht, bei welchen man als Minimum denjenigen Temperatur- grad festsetzte, bei welchem die Keimung unterblieb. Für Triticum vnlgare 2. B. liegt das Minimum bei — 5°C., das Optimum bei 23,7 C. und das Maximum bei 42,5°C. Die entsprechenden Kardinalpunkte für Phaseolus multiflorus liegen bei 9,5% C., 33,7°C., und 46,2°C. und für Cucurbita Pepo bei 13,7% C., 33,7% C. und 46,2° C. Zur bessern Veranschaulichung dieser Beziehungen zwischen Temperatur und Län- genwachstum kann man auch die graphische Darstellungsweise zu Hilfe nehmen, indem man auf einer Abszissenachse in gleichen Ab- ständen die Temperaturgrade aufträgt und die den betreffenden Tem- peraturen entsprechenden in gleicher Zeit erreichten Längenzuwachse als Ordinaten errichtet. Verbindet man dann die Enden dieser Or- dinaten durch eine zusammenhängende Linie, so erhält man eine (Wachstums-) Kurve, welche, beim Minimum von der Abszissenachse sich erhebend, beim Optimum den höchsten Punkt trifit, um von da an steiler gegen die Abszissenachse zu sinken, welche beim Maximum wieder erreicht wird. Denken wir uns nun etwa für Tritieum diese Wachstumskurve errichtet, so erkennen wir, dass die Wachstums- energie dieser Pflanze bei gewissen zwischen Minimum und Optimum gelegenen Temperaturen und anderen, zwischen Optimum und Maxi- mum gelegenen, die gleiche sein muss. In einer bestimmten Zeit wird z. B. ein solches Keimpflänzchen bei 20°C. grade so schnell wachsen als in derselben Zeit bei einer Temperatur von etwa 32° C. Was aber wird geschehen, wenn wir die eine Seite unserer Keim- pflanze auf das Optimum erwärmen, die andere Seite aber auf einen zwischen Optimum und Minimum gelegenen Temperaturgrad? Wird jetzt die stärker erwärmte Seite der minder erwärmten im Wachstum voraneilen? Trifft das zu, dann muss notgedrungen an der Keim- pflanze eine Krümmung entstehen derart, dass die stärker erwärmte Seite die konvexe wird. Wie aber, wenn wir den Versuch so ein- richteten, dass die eine Seite zwar wieder auf das Optimum, die an- dere dagegen tiber dasselbe hinaus, auf einen zwischen Optimum und Ne H* 68 Wortmann, Wirkung der Wärme auf das Längenwachstum. Maximum gelegenen Temperaturgrad oder gar auf das Maximum selbst erwärmt würde? In diesem Falle könnte man sich wiederum eine Krümmung entstehen denken, bei welcher aber im Gegensatz zu der frühern nunmehr die schwächer erwärmte Seite der Versuchs- pflanze die konvexe wurde. So hätte man es demnach ganz in der Hand, durch ungleiche Erwärmung zweier antagonistischer Seiten einer Pflanze, die letztere zu Krümmungen zu veranlassen, deren Konvexität bald auf der wärmern bald auf der kältern Seite der Versuchspflanze liegen würde. Geht man daran, die hier angedeuteten Erscheinungen experimen- tell zu prüfen, so erkennt man sehr bald, dass in der That den pflanz- lichen Organen die Fähigkeit innewohnt, unter dem Einfluss verschie- dener Erwärmung Krümmungen auszuführen; allein ein Zusammen- hang mit der durch verschiedene Temperatur hervorgerufenen Wachs- tumskurve lässt sich dabei in keinem Falle konstatieren, sondern die ungleich erwärmten Organe krümmen sich konstant in demselben Sinne entweder so, dass die der Wärmequelle zugekehrte Seite stets die konvexe oder aber bei anderen Versuchsobjekten stets die konkave wird, gleichgiltig, (falls überhaupt Krümmungen auftreten) wie die Temperaturen variieren. Die Versuche, die ich zur Prüfung der angeregten Frage anstellte, waren so eingerichtet, dass in der Mitte eines geräumigen, auf an- nähernd konstanter Temperatur erhaltenen Zimmers eine große, vom berußte Eisenblechplatte aufgestellt wurde, welche durch ihr genäherte Gasbrenner in beliebiger Weise erhitzt werden konnte. Vor dieser Platte wurden dann in bestimmter wünschenswerter Entfernung die Versuchsobjekte aufgestellt, welche entweder unter dem einseitigen Einfluss der Schwerkraft belassen oder aber durch Rotation um hori- zontale, zur Fläche der Eisenblechplatte senkrechte Achse von dem- selben befreit wurden. In unmittelbarer Nähe der Versuchspflanzen befanden sich Thermometer. Setzt man nun z. B. Keimpflanzen von Lepidium sativum auf diese Weise der Wirkung der von der erhitzten Platte ausgehenden strahlenden Wärme aus, so beobachtet man in allen Fällen, in denen überhaupt eine Reaktion eintritt, eine Krüm- mung der Pflänzehen, welche so gerichtet ist, dass allemal die kon- vexe Seite der Krümmung die der Wärmequelle zugekehrte ist, mit anderen Worten: die Versuchspflanzen wachsen stets von der erwärm- ten Platte fort. Für Lepidium sativum liegt das Wachstumsminimum bei + 1,8°C., das Optimum bei 27,4°C. und das Maximum bei 37,2 U. Wenn man nun, um ein Beispiel anzuführen, bei einer Zimmer- temperatur von 10° C. auf die Versuchspflanzen einseitig Wärme- strahlen von 37° C. auffallen lässt, so beobachtet man ebenfalls eine, und zwar energische Krümmung im angedeuteten Sinne. Unter der Voraussetzung, dass diese Krümmungen in Beziehung ständen zu den von der Temperaturkurve hervorgerufenen Differenzen in der Energie Wortmann, Wirkung der Wärme auf das Längenwachstum, Hy $) oO oO des Längenwachstums, hätte man in dem oben erwähnten Falle eine schwache, aber grade entgegengesetzte Krümmung zu erwarten ge- habt. Lässt man ferner unter gleich bleibender Zimmertemperatur Wärmestrahlen von 43° C. auf die Versuchspflanzen fallen, so treten ebenfalls die erwähnten Krümmungen auf. Da eime Temperatur von 3° C. eine über dem Wachstumsmaximum gelegene ist, so würde man in diesem Falle, von unserer Voraussetzung ausgehend, auf der der Wärmequelle zugekehrten Seite der Versuchspflanze zum mindesten ein gänzliches Unterbleiben des Wachstums erwarten; statt dessen wächst nicht allein diese Seite, sondern sie wächst sogar stärker als die gegenüberliegende. Schon aus diesen beiden angedeuteten Ver- suchen resultiert mit Sicherheit, dass es zur Hervorrufung dieser „thermotropischen“ Krümmungen überhaupt nur darauf ankommt, dass Wärmestrahlen von genügender Intensität einseitig die Versuchspflanze treffen. Hierbei muss jedoch vorausgesetzt werden, dass die Zimmer- temperatur 20° nicht übersteigt, da bei allen Versuchen, in denen die- ses eintraf, die Krümmungen überhaupt unterblieben, gleichgiltig, wie hoch die Temperatur der auffallenden Wärmestrahlen war. Die Erfahrung, dass diese thermotropischen Krümmungen in gar keinem Zusammenhang mit den durch ungleiche, aber allseitige Er- wärmung erzielten Wachstumsbeschleunigungen respektive Verlang- samungen stehen, wird nun noch erhärtet durch das Verhalten einer andern untersuchten Pflanze (Zea Mays), bei welcher zwar ebenfalls Krümmungen eintreten, allein konstant im entgegengesetzten Sinne, wie bei Lepidium, also immer so, dass die der Wärmequelle zuge- kehrte Seite die konkave wird. Die Maispflanze wächst also stets nach der erwärmten Platte hin. Bei Ze« Mays liegt das Wachstums- minimum bei —- 9,5° C., das Optimum bei 33,7°C. und das Maximum bei 46,2° C. Bringt man nun z. B. Maispflänzchen bei einer Zimmer- temperatur von 11° ©. der erwärmten Platte so nahe, dass die Tem- peratur in unmittelbarer Nähe der Pflanzen 35° (also etwas mehr als das Optimum) beträgt, so erhält man zwar eine Krümmung, bei wel- cher aber die erwärmtere Seite die konkave wird. Diese Versuche kann man nun in beliebiger Weise variieren; immer findet man eine im analogen Sinne eintretende Krümmung. In seinem „Traite de Botanique“ vertritt van Tieghem die ein- gangs angegebene Anschauungsweise, dass Pflanzen durch ungleiche Erwärmung zweier antagonistischer Seiten zu Krümmungen veranlasst werden könnten, deren Konkavität bei derselben Pflanze bald auf der wärmern bald auf der kältern Seite liegen würde; er nennt diese postulierte, übrigens von ihm experimentell nicht zu beweisen ver- suchte Eigenschaft „Thermotropismus“. Hiernach hätte man es ganz in der Hand, eine beliebige Pflanze bald positiv (der Wärmequelle zu-) bald negativ (der Wärmequelle abgewendet) thermotropisch sich krümmen zu lassen. Damit stehen nun unsere Versuchsergebnisse in 7) Wortmann, Wirkung der Wärme auf das Längenwachstum. direktem Widerspruch, insofern sie zeigen, dass zwar durch einseitig auffallende Wärmestrahlen Krümmungen ausgelöst werden können, die aber, und das ist der Schwerpunkt, stets in demselben Sinne er- folgen. Wie ist nun diese Erscheinung zu erklären? Wir wissen, dass durch den einseitigen Einfluss gewisser uns bekannter Kräfte oder Agentien (Schwerkraft, Licht, elektrische Ströme ete.) Krümmungen an wachsenden Pflanzenteilen hervorgerufen werden können, die da- hin streben, den betreffenden krümmungsfähigen Pflanzenteil in eine zur Richtung des einwirkenden Agens ganz bestimmte Lage, seine Gleichgewichtslage, zu bringen. Wenn wir einen heliotropisch krüm- mungsfähigen und noch im Wachstum begriffenen Pflanzenteil einseitig beleuchten, d. h. von einer Seite her Lichtstrahlen in bestimmter hiehtung auf denselben fallen lassen, so tritt eine Krümmung ein, welche, falls keine anderen Kräfte gleichzeitig und einseitig auf den Pflanzenteil einwirken, schließlich dahin führt, dass derselbe in der Richtung, in welcher die Lichtstrahlen ihn treffen, weiter wächst; mit anderen Worten ein einseitig beleuchteter Pflanzenteil krümmt sich, indem er auf der beleuchteten Seite konkav wird, der Lichtquelle zu. Da nun gewöhnlich solche positiv heliotropischen Pflanzenteile im dunkeln schneller wachsen als im Licht, so glaubte man lange Zeit dieses heliotropische Verhalten hierdurch erklären zu können, und man sagte, durch die Differenz der Intensität des Lichtes auf der be- leuchteten und beschatteten Seite wird ein ungleiches Wachstum der- selben hervorgerufen, welches notwendig zu der oben beschriebenen Krümmung führen muss. Es istnun ein großes Verdienst von Sachs, die Unrichtigkeit dieser Anschauungsweise schlagend dargelegt zu haben, indem er zeigte, dass es bei der heliotropischen Krümmung gar nicht auf eine Differenz in der Intensität des Lichtes ankommt, sondern nur auf die Richtung, in welcher der betreffende Pflanzenteil von den als Reiz wirkenden Liehtstrahlen getroffen wird. Ohne hier auf eine nähere Darlegung der Erwägungen, welche Sachs zur Auf- stellung seiner Heliotropismustheorie veranlassten, näher eingehen zu können, mag nur auf ein Hauptargument hingewiesen sein, welehes allein schon genügt, die Unhaltbarkeit der frühern Theorie zu be- weisen. Außer den eben geschilderten positiv heliotropischen Organen kennt man auch negativ heliotropische, d. h. solehe Organe, welche grade ein umgekehrtes Verhalten an den Tag legen, indem sie, auf der beleuchteten Seite stärker wachsend, sich von der Lichtquelle hinwegkrümmen. Die Richtigkeit der frühern Theorie vorausgesetzt, sollte man erwarten, dass solche Organe im dunkeln langsameres Wachstum zeigten als im Licht. Das ist aber, wie Versuche von Schmitz, Müller-Thurgau und Fr. Darwin lehren, nicht der Fall, sondern auch die negativ heliotropischen Organe zeigen grade so wie die positiv heliotropischen im finstern ein beschleunigtes Obersteiner, Verhalten der Furchen an der Großhirnoberfläche. 71 Wachstum. Hieraus geht mit Evidenz hervor, dass die dureh allsei- tige Beleuchtung hervorgerufene Wachstumsverzögerung mit dem Heliotropismus in gar keinen Zusammenhang gebracht werden darf. Wenn wir nun von diesem Gesichtspunkte aus die angestellten thermo- tropischen Versuche betrachten, so ergibt sich sofort eine auffallende Analogie zwischen den heliotropischen und thermotropischen Erschei- nungen zu erkennen. Ein ähnliches Verhalten wie bei den negativ heliotropischen Organen ließ sich auch bezüglich des Thermotropismus bei der Kresse konstatieren: obwohl die Keimpflänzchen von einer Seite her über das Optimum und sogar über das Maximum hinaus erwärmt wurden, zeigten sie doch grade an dieser Seite das inten- sivste Wachstum. Dass die thermotropischen Krümmungen mit der durch allseitige Erwärmung hervorgerufenen Beschleunigung bezw. Verlangsamung des Längenwachstums nichts zu thun haben, wurde schon wiederholt hervorgehoben. Nach alledem kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass wir es beim Thermotropismus mit einer dem Heliotropismus durchaus analogen Reizerscheinung zu thun haben, und dass es daher, um thermotropische Krümmungen hervorzurufen, sich ebenfalls nur darum handeln kann, in welcher Riehtung Wärme- strahlen (von genügend hoher Intensität) den betreffenden Pflanzen- teil treffen. Das Verhalten der Furchen und Windungen an der Großhirn- oberfläche. Broca, Description el&mentaire des circonvolutions ceerebrales de V’homme. Revue d’Anthropologie 1883. 1. 2. 3. H. u. 1884. 1.H. — Zuckerkandl, E, Beiträge zur Anatomie des menschlichen Körpers (Medizin. Jahrb. der k. k. Ges. der Aerzte in. Wien 1883. 3. u. 4. H.). — Rogner, V., Ueber das Va- riieren der Großhirnfurchen bei Lepus, Ovis und Sus.. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 39. B. Das Thema, welches in den drei oben genannten jüngst erschie- nenen Arbeiten behandelt wird — das Verhalten der Furchen und Windungen an der Großhirnoberfläche — ist derart, dass eine refe- rierende Besprechung schon dureh den Mangel an Abbildungen in hohem Grade erschwert wird. Ferner handelt es sich dabei auch immer um eine so große Reihe von Detailfragen, dass durch ein Ein- gehen in dieselben das Referat wenig kürzer ausfallen würde, als die Originalarbeit selbst. — Ich werde mich daher darauf beschränken müssen, mit wenigen Worten jene allgemeineren Sätze, die sich aus den in Rede stehenden Arbeiten ergeben, darzulegen. — Broca hat bei seinem Tode ein ziemlich umfangreiches Manu- skript hinterlassen, welches zu vollenden ihm aber nicht vergönnt war; 2 Obersteiner, Verhalten der Furehen an der Großhirnoberfläche. ne , es hat daher sein Schüler Pozzi im Geiste des Meisters diese Arbeit einigermaßen zum Abschluss gebracht, ohne sie gänzlich auszuführen. Aehnlich wie dies schon seit langem in Deutschland nach dem Vorgange Ecker's der Fall ist, konstruiert auch Broca ein schema- tisches Gehirn, welches die einfachsten Verhältnisse der Hirnwin- dungen und Furchen wiedergibt, aber in dieser Einfachheit und Durehsichtigkeit der Anordnung in Wirklichkeit nicht angetroffen wird. Dass das schematische Gehirn Broca’s in manchen wichtigen Punkten von den Typen anderer Forscher abweicht, darf nieht wunder nehmen; auf diese Differenzen hier näher einzugehen, würde aber viel zu weit führen. Während man gegenwärtig in Deutschland bei dem Studium der Großhirnoberfläche mit Recht sein Hauptaugenmerk auf die Furchen richtet, vorzüglich aus genetischen Gründen, stellt sich Broca noch auf den alten entgegengesetzten Standpunkt und bringt zur Begrün- dung seiner Anschauung die zwar unanfechtbare, aber in diesem Falle doch nicht stichhaltige Bemerkung, es handle sich schließlich um die Kenntnis der Windungen, — denn diese sind Organe — und nicht um die Kenntnis der Furchen, die nichts sind als Intervalle. In sehr eingehender Weise werden — soweit eben das Fragment reicht — die einzelnen Teile der Großhirnoberfläche mit Einschluss der wichtigsten Varietäten besprochen; bei aller Hochschätzung der großartigen Leistungen des verstorbenen Autors macht sich doch die vollständige Außerachtlassung aller fremden Arbeiten mitunter in unangenehmer Weise geltend. Von verschiedenen Seiten wurde der Nachweis geführt, dass zwischen der Form der Hirmschale und der Richtung der Gehirn- windungen gewisse Beziehungen bestehen, und zwar insofern, als die Windungen am dolichoeephalen Gehirn eine mehr sagittale, am brachy- cephalen eine mehr frontale Verlaufsrichtung einhalten. Wenn dieser Nachweis richtig ist, dann muss die Richtung der Windungen eine von dem gewöhnlichen Verlaufe abweichende werden, sobald durch äußere Einflüsse, z.B. durch eine frühzeitig acquirierte Nahtsynostose die Hirnschale gezwungen wird, in einer andern als der gewöhnlichen Richtung fortzuwachsen; in gleicher Weise würden auch künstliche Bandagierung oder Druck von seiten der Gebärmutter den Typus der Gehirnoberfläche modifizieren müssen. Zuckerkandl hat, von obiger Erwägung ausgehend, sechs Ge- hirne synostotischer Schädel untersucht, sowie einen Fall, in welchem der Schädel durch den Uterus, da nur eine geringe Menge amnio- tischer Flüssigkeit eingeschaltet war, in abnormer Weise gedrückt wurde. — Entsprechend seimer Voraussetzung fand Zuekerkandl mehr oder minder ausgeprägte Veränderungen an den Hirnwindungen, welche den betreffenden Missgestaltungen des Schädels entsprachen. — Wenn Ecker in seiner Abhandlung über die Skoliopädie des Schä- Obersteiner, Verhalten der Furchen an der Großhimoberfläche. Tas dels zu anderen Schlüssen gekommen war, so ist dieser Widerspruch wohl auf den Umstand zurückzuführen, dass letzterem nicht die Ge- hirne selbst, sondern lediglich die Ausgüsse des Schädels zur Ver- fügung standen, von welchen wohl angenommen werden darf, dass sie nur ein mangelhaftes Bild von der Gehirnoberfläche zu entwerfen vermögen. Man kann sogar noch weiter gehen und nachweisen, dass auch unter normalen Verhältnissen ein Einfluss der Nähte auf die Win- dungsform erkennbar ist. Ein Beispiel wird genügen, um dieses Ver- hältnis zu illustrieren. Die drei Stirnwindungen besitzen beim Menschen nicht überall die gleiche Form, Breite, Dieke und Richtung. Ganz vorne sind sie gewöhnlich schmal, reichlich geschlängelt und durch frontale Win- dungszüge in Zusammenhang gebracht; da wo sie in die vordere Zentralwindung übergehen, sind sie aber breit, diek, wenig geschlängelt, nicht selten sogar gestreckt. Diese ungleiche Beschaffenheit der Stirm- windungen im vordern und rückwärtigen Anteile lässt sich nun leicht auf ihre Lage zur Coronalnaht zurückführen. Zur Zeit der energischesten Wachstumsperiode des Schädels wer- den sich nämlich die Windungen an der Stelle, wo der Schädel in die Länge wächst, strecken und eine sagittale Verlaufsrichtung ein- nehmen müssen; es verlaufen daher die in die Projektion der Kranz- naht fallenden Anteile der Stirnwindungen mehr grade und sagittal; sie werden aber auch breiter, weil die Coronalnaht den größten Quer- bogen des Stirnbeins repräsentiert und dem entsprechend hier das Wachstum der Gyri auch in frontaler Riehtung am stärksten ist, — Ganz anders verhält es sich am vordern Teil des Stirnlappens, wo keine Naht dem Gehirne das Wachstum bequem macht. Hier werden die Windungen genötigt sich mehr aneinander zu pressen, und wir finden sie nicht bloß reichlich geschlängelt, dureh Querbrücken miteinander verbunden, sondern auch schmäler, da sie einem kürzern Querbogen des Stirnbeins anliegen. In einem weitern Aufsatze bespricht Zuckerkandl zunächst die normalen Verhältnisse der untern Stirnwindung des Menschen und bringt dann eine Reihe von Defektbildungen, welche diese Windung betreffen und meist an Kretinengehirnen gefunden wurden. Von besonderem Interesse erscheint aber das Gehirn einer 35jähri- gen Dienstmagd: die rechte Hemisphäre ist normal; linkerseits ist ein großer Defekt an der Sprachwindung. Dieser hat die Form eines Vierecks, ist 40 mm lang, 34 mm breit und ungefähr 20 mm tief; der Grund wird durch die frei zutage liegende Insel gebildet. Der größte Teil der untern Stirnwindung fehlt, nur ihr vorderer orbitaler Teil ist vorhanden. Die vordere Zentralwindung ist um 3 em, die hintere um 1,5 em verkürzt. — Der Schläfenlappen ist kürzer und schmächtiger als der der andern Seite, besonders erscheint die obere 74 Lustig, Zur Kenntnis des Faserverlaufes im Rückenmarke. Schläfenwindung hochgradig verkleinert. Ebenso ist auch die Reil’sche Insel kleiner und schwächer gefurcht. Aus diesen anatomischen Angaben geht hervor, dass der linken Hemisphäre das Organ der Sprache fehlt; da nieht anzunehmen ist, es hätte die Trägerin des defekten Gehirns bei Mangel der Sprache als Dienstmagd beschäftigt werden können, so wird wohl die Ansicht, die Person sei rechtshirnig gewesen, keinen Widerspruch erfahren. Die zuletzt zu erwähnende Arbeit, welche in dem anatomischen Institute Zuckerkandl’s von Rogner ausgeführt wurde, beschäftigt sich mit dem Variieren der Großhirnfurchen bei gewissen Säugetieren. Am Gehirne des Feldhasen fehlt die Furche, welche parallel der Mantelkante an der konvexen Oberfläche zu verlaufen pflegt in manchen Fällen (3mal in 60 Fällen) vollständig; an der medialen Fläche tritt zuweilen (in 13°/,) eine Furche auf, welche als das Rudiment einer bei andern Tieren konstant auftretenden Furche (Fissura splenica) aufzufassen ist. Bei Sus scrofa sowohl wie bei Ovis aries können die Großhirn- furchen mannigfach variieren, und zwar finden sich solche Varia- tionen beim Schaf in 40°%,, beim Schwein nur in 20°/,. Beim Schwein ist vollständige Symmetrie der Furchen beider Hemisphären in 250], vorhanden; beim Schaf, dessen Gehirnwindungen stärker geschlängelt und häufiger mit sekundären Furchen besetzt erscheinen, war eine solche Symmetrie in keinem Falle aufzufinden. Unter den Varietäten beanspruchen am meisten Interesse die Konfluenzen der Hauptfurchen, weil es sich bei einigen derselben um eine Nachahmung von Bildungen handelt, welehe bei einer andern Tierfamilie zur Norm gehören. — Den Furchenvariationen kommt demnach eine tiefere Bedentung als die einer gewöhnlichen Anomalie zu, sie vermitteln augenscheinlich Uebergänge von einer Win- dungsform zu dem einem andern Tiere eigentümlichen Windungstypus. Obersteiner (Wien). A, Lustig, Zur Kenntnis des Faserverlaufes im menschlichen Rückenmarke. Aus dem LXXXVIIU. Bd. d. Sitzb. d. k. Akad. d. Wissensch. III. Abt. Juli-Heft. 1883. Es ist das Bestreben dieser Untersuchung, den Faserverlauf an dem am allerwenigsten durchforschten menschlichen Rückenmarke zu studieren, und zwar mit einer zu diesem Zwecke wohlgeeigneten, von Sig. Exner!) zum Studium der Großhirnrinde angewendeten Methode. 1) S. Exner, Zur Kenntnis vom feinern Baue der Großhirnrinde. Sitzb. d. k. Akad, d. Wissensch, Bd. LXXXIIL IH. Abt. Lustig, Zur Kenntnis des Faserverlaufes im Rückenmarke, 5) 0) Ü Nach Exner's Anleitung legte ich möglichst frische, ein bis zwei Zentimeter große Abschnitte der Hals- und Lendenanschwellung des menschlichen Rückenmarkes in eine einprozentige Osmiumsäurelösung, und zwar so, dass das Volumen der Osmiumsäure das des Präparates um wenigstens das Zehnfache übertraf. Die einzelnen Rückenmarks- abschnitte waren am dritten oder vierten Tage durchgefärbt. Nachher wurde ein solches Stück oberflächlich nm Wasser ab- gespült, auf einige Sekunden in Alkohol gelegt und in einem Mikro- tom, in Oelwachsmasse eingebettet, mit einem in Alkohol befeuch- teten Messer geschnitten, dann in Glyzerin gelegt und auf einen Ob- jektträger gebracht, auf dem sich ein Tropfen Ammoniakwasser befand. Das Glyzerin, das am Schnitte haftet, genügt, ihn durchsichtig zu erhalten. Das Wesentliche an dieser Methode ist, wie Exner in seiner Arbeit hervorhebt, die Verwendung des Ammoniaks, indem sich das Neurokeratin durch die Ammoniakwirkung in eine fast homogen aus- sehende Masse verwandelt. Durch dieses Verfahren werden die mark- haltigen Nervenfasern isoliert und treten deutlicher hervor, was für das Studium des Faserverlaufes von großem Vorteile ist. Es ist nicht angezeigt, an dieser Stelle auf die Besprechung der Methode näher einzugehen, ich möchte nur hervorheben, dass ich die entsprechenden Abschnitte des Rückenmarks auch nach an- deren Methoden behandelte und sah, dass bei der Exner’schen Me- thode die Anzahl der markhaltigen Nervenfasern eine größere ist, als allgemein angenommen wird. Es seien mir einige Worte erlaubt über den Bau der grauen Sub- stanz des menschlichen Rückenmarks. Aus meinen Untersuchungen über die Substantia spongiosa ist ersichtlich, dass die Menge der markhaltigen Nervenfasern in dieser Substanz gewiss unterschätzt wurde, indem viele der feinsten Nervenfasern, die durch diese Be- handlung mit ihren schönen Varikositäten zutage treten, zu einer andern histologischen Substanz zugerechnet wurden. Ja, die granu- lierte Grundsubstanz anderer ist an meinen Präparaten ein deutliches Gewirre markhaltiger Nervenfasern der verschiedensten Dieke. Auch für die graue Substanz der Hinterhörner und besonders die Sub- stantia gelatinosa derselben scheint mir, dass die Zahl der mark- haltigen Nervenfasern unterschätzt wurde. Sowohl an Schnittpräparaten als an Mazerationspräparaten (in Ammoniak) habe ich nach Teilungen markhaltiger Nervenfasern des Rückenmarks gesucht, doch ist mir niemals eine solche zur Ansicht gekommen. Die Kommissuren wurden an Querschnitten der Hals- und Lendenanschwellung studiert. Es wäre angezeigt — der Klarheit wegen — die markhaltigen Nervenfasern der vordern Kommissur, die 76 Lustig, Zur Kenntnis des Faserverlaufes im Rückenmarke. zu Bündeln vereinigt in verschiedenen Richtungen verlaufen, in vor- dere und hintere Faserbündel zu trennen. Aus meinen Untersuchungen geht hervor, dass ein Teil der vor- deren Faserbündel der vordern Kommissur, nämlich diejenigen, welche der Fissura longitudinalis anterior zunächst liegen, in den medialen Teil beider Vorderstränge eingehen, dort umbiegen, um, wie man sich am Längsschnitte überzeugen kann, Längsfasern der Vorder- stränge zu werden. Es ist bekannt, dass die am Querschnitte des Rückenmarks trans- versal verlaufenden vorderen Faserbündel der vordern Kommissur sich unter verschiedenen Winkeln in den einzelnen Rückenmarks- abschnitten kreuzen; diese Kreuzung entsteht also durch jene Fasern, die von dem Vorderstrang einer Seitenhälfte durch die Kommissur in den Vorderstrang der andern Seitenhälfte eintreten. Die hinteren Fasern des vordern Bündels breiten sich, indem sie beiderseits in dem grauen Vorderhorn verlaufen, nicht weit von dem lateralen Gebiete des entsprechenden Vorderstranges angelangt, in der grauen Substanz des Vorderhormes selbst beinahe höckerförmig aus. Ein Teil derselben entzieht sich in dem entsprechenden Vorder- horn der weitern Beobachtung; die übrigen Fasern treten in die ent- sprechenden Septa der Vorderstränge ein. Das hintere Faserbündel der vordern Kommissur verliert sich in dem Fasergewirre der grauen Masse. Die hintere Kommissur ist aus markhaltigen Nervenfasern ver- schiedener Dicke zusammengesetzt. Zum Studium derselben wurde hauptsächlich der Conus me- dullaris untersucht, wo die Kommissur stark entwickelt ist. Es geht aus den Beobachtungen hervor, dass in der hintern Kommissur eine Kreuzung der Fasern, welche die Mittelebene passieren, stattfindet. Diejenigen Fasern, die mehr nach vorne liegen, also der Substantia gelatinosa centralis näher, treten gradlinig verlaufend im den seit- lichen Anteil der grauen Substanz ein und gelangen bis an die innere Grenze der Seitenstränge. Die mittleren Fasern der grauen Kommissur erreichen im bogen- förmigen Verlaufe die grauen Hinterhörner, biegen, dort angelangt, um und werden — wie die entsprechenden Längsschnitte zeigen — längsverlaufende Fasern des Hinterhornes. Endlich tritt ein Teil der hintersten Fasern der hintern Kom- missur, beiderseits parallel mit der medialen Grenze des Hinterhornes verlaufend, direkt in den Hinterstrang der entsprechenden Seite ein; ein anderer Teil dieser hintersten Kommissurfasern verliert sich, nach- dem er einen ähnlichen Weg zurückgelegt hat, in den bindegewebigen Septis der Hinterstränge. Nach dieser kurzgefassten Darstellung des Faserverlaufes inner- Lustig, Zur Kenntnis des Faserverlaufes im Rückenmarke. ar halb der Kommissur gehe ich zu den vorderen Wurzeln der Spinal- nerven über. Es ist bekannt, dass die motorischen Wurzeln sich pinselförmig in der grauen Substanz der Vorderhörmer ausbreiten und da erst verschiedene Wege einschlagen. Das Studium des Verlaufes einzelner vorderer Wurzelbündel bietet große Schwierigkeiten; und nur Untersuchungen zahlreicher Präparate, indem das eine das andere ergänzt, können eine richtige Uebersicht ihres Verhaltens geben. Auch zu diesem Zwecke nahm ich die Hals- und Lendenan- schwellung. Die Angabe Schwalbe’s, dass die vorderen Wurzelbündel ihre Fasern innerhalb der grauen Substanz lateralwärts, grade nach hinten und medianwärts entsenden, wurde von mir bestätigt. Ein Teil der lateralen vorderen Wurzelfasern, in die graue Substanz des Vorderhornes eingetreten, verschwindet zwischen den Nervenzellen, indem er in das hier liegende Geflecht eindringt. Ein anderer Teil der lateralen vorderen Wurzelfasern geht dureh das Vorderhorn, ohne den Verlauf zu unterbrechen und einen schwa- chen Bogen beschreibend, in den Seitenstrang derselben Seite über, biegt hier rechtwinklig ab und wird so zu Längsfasern des Seitenstranges. Diese Beobachtung wurde an verschiedenen Präparaten gemacht, an welchen eine bestimmte Faser auf dem geschilderten Wege in ihrer Kontinuität verfolgt werden Konnte. Die meisten Autoren, die sich mit solehen Untersuchungen be- schäftigt haben, sind der Meinung, dass ein direkter Eintritt der vor- deren Wurzelfasern in die Seitenstränge derselben Seite nicht statt- findet, sondern dass in die Seitenstränge jene Fasern eintreten, die aus der hintern grauen Substanz des Vorderhornes kommen und aus dem Fasergeflecht des entsprechenden Vorderhornes stammen. Es sei erwähnt, dass ich auch letztgenannte Fasern an meinen Präparaten sah, doch ohne dass es mir möglich gewesen wäre, einen Zusammenhang dieser Fasern mit den vorderen Wurzelfasern zu ent- decken. Die verschiedenen Ansichten der Autoren über die von mir hier geschilderten Fragen kann ich in diesem kurzen Referate nicht erwähnen. Ich will noch ganz kurz den Verlauf der hinteren Wurzelfasern besprechen, den ich besonders an den zwei bekannten Rückenmarks- anschwellungen studierte. Der seitlichste Anteil der lateralen hinteren Wurzelfasern tritt durch das Hinterhorn ein, biegt in den hinteren Teil des Seitenstranges ein, um zu längsverlaufenden Seitenstrangfasern zu werden; die weniger seitlich gelegenen Bündel der lateralen hin- teren Wurzelfasern ziehen horizontal gegen den vordern Teil der Substantia gelatinosa Rolandi hin und, dort angelangt, biegen sie teil- weise in senkrechter Richtung um; ein anderer Teil dieser Bündel 1 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. entzieht sich nach seinem Eintritt in das Hinterhorn jeder Beobach- tung, andere Fasern dieses Bündels können bis an die hintere Grenze der grauen Substanz verfolgt werden. Die Frage des Zusammen- hanges der Wurzelfasern mit Ganglienzellen habe ich nicht unter- sucht, indem meine Untersuchungsmethode zur Entscheidung der- artiger Fragen ungeeignet war. A. Lustig (Innsbruck). Die spezifischen Energien der Nerven. Von J. Rosenthal. (Fortsetzung ) Indem wir uns jetzt zu den Empfindungsnerven wenden, kommen wir zu der Lehre von den spezifischen Energien in dem engern Sinne, wie sie von Joh. Müller ausgesprochen und später hauptsächlich von Helmholtz weitergebildet wurde. Diese Lehre besagt also, dass die verschiedenen Empfindungen, welche dureh die einzelnen Sinnes- nerven in uns hervorgerufen werden, ihren Grund nieht in Unterschie- den der Nerven, auch nicht in den verschiedenen physikalischen oder chemischen Einwirkungen auf diese Nerven, sondern in Unterschieden der nervösen Zentralapparate haben, in denen jene Nerven endigen. Indem die Nerven durch irgend welche Ursache in Erregung geraten und diese ihre Erregung auf die Zentralorgane übertragen, entsteht eine Empfindung; die Art dieser Empfindung aber hängt von der Na- tur des nervösen Zentralorgans ab, welches erregt worden ist. Da die Verknüpfung einer jeden zentripetalen Nervenfaser mit einem bestimmten Teil des nervösen Zentralorgans eine anatomisch gegebene ist und normaler Weise ein Wechsel dieser Verbindungen nicht stattfinden kann, so folgt, dass auch jede Nervenfaser, wenn sie erregt wird, immer nur eine ganz bestimmte, unveränderliche Art von Empfindung veranlassen kann. Wodurch sie erregt wird, muss dabei ganz und gar gleichgiltig sein. Wohl können wir die Fiktion machen, dass zwei verschiedene Arten von Nervenfasern nach der Durchschneidung kreuzweis miteinander verheilt werden könnten, z. B. das periphere Ende des Hörnerven mit dem zentralen des Seh- nerven und umgekehrt. Nach der vorgetragenen Theorie müssten dann Töne, welche den Hörnerven erregen, durch den Sehnerven zu den diesem angehörigen Nervenzentren geleitet werden und demge- mäß Gesiehtsempfindungen hervorrufen; wenn dagegen Licht ins Auge fiele und die Sehnerven erregte, so wlirde eine Nervenerregung entstehen, welche zu den Nervenapparaten des Hörnerven geleitet und darum die Vorstellung von Tönen hervorrufen müsste. Da jedoch ein derartiger Versuch in Wirklichkeit nieht ausgeführt werden kann, Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven, 79 so haben wir keine Aussicht, einen unmittelbaren Beweis für die aus- gesprochene Annahme zu finden; wir sehen uns vielmehr darauf be- schränkt, durch sorgfältige Sammlung und Sichtung aller 'Thatsachen die mehr oder minder große Wahrscheinlichkeit der Hypothese mittel- bar darzuthun. Wenn wir den Nachdruck auf die nervösen Zentralorgane legen, in denen die Nerven enden, so ist dabei zu bemerken, dass diese Un- terscheidung zwischen den Nerven und ihren Zentren erst im Laufe der Zeit allmählich sich schärfer herausgebildet hat. Bei Joh. Mül- ler tritt dieselbe noch kaum hervor; bei ihm handelt es sich immer um eine „Sinnessubstanz“, unter welcher man sich den Nerven von seinem peripherischen Endapparat bis zu seiner zentralen Endigung im Gehirn mit Einschluss dieser letzteren zu denken hat. Erst die Erkenntnis, dass die Sinnesnerven selbst, soweit sie der Untersuchung zugänglich sind, von einander und von anderen Nerven sich nicht ge- nügend unterscheiden, um in ihnen selbst den Grund der verschieden- artigen Wirkung suchen zu können, hat allmählich dazu geführt, den Ort der Verschiedenheit auf die Nervenzentren zu verschieben. Nun ist es ja ganz gewiss richtig, dass wir von diesen sehr wenig wissen und dass wir eben deshalb ihnen alles mögliche zuschreiben können. Ein Einwand gegen unsere Lehre kann aber aus unserer Unwissenheit über das Wesen der Vorgänge in den Nervenzentren nicht hergeleitet werden, so lange wir nichts weiter behaupten, als dass die Unter- schiede unserer Empfindungen dureh Unterschiede in den peripheri- schen Nerven und ihren peripherischen Endigungen nicht erklärt wer- den können, dass wir deshalb hypothetisch die Ursache in die Ner- venzentren verlegen. Uebrigens kann hierfür auch als wichtiger that- sächlicher Grund der jetzt wohl zweifellose Nachweis der Lokalisation der verschiedenen Sinnesfunktionen in verschiedenen Teilen der Hirn- rinde angetührt werden!). Dieser Gleichheit aller Nerven entsprechend muss daher auch der Zustand der Erregung in allen Nerven derselbe sein und zwar unabhängig davon, welcher Art der Reiz war, der die Erregung her- vergerufen hat. Demgemäß also können verschiedene Arten von Ein- wirkungen, wenn sie auf denselben Nerven wirken, immer nur eine und dieselbe Art von Empfindung hervorrufen, andererseits aber müs- sen dieselben Einwirkungen, wenn sie auf verschiedene Nerven wir- ken, verschiedene Empfindungen hervorrufen. Die genauere Prüfung dieser Behauptungen an der Hand aller Erfahrungen über die Sinnes- nerven soll uns eben die Thatsachen liefern zur Kritik der vorge- tragenen Lehre. Im Gegensatz zu dieser nahm, wie Joh. Müller?) richtig be- 1) Vgl. die Artikel von Exner, Centralblatt I. 27. 29. 627 und von Munk 12312.989.7339, 2) Handbuch der Physiol, des Menschen, 1. Teil. 4. Aufl. S. 667. S0 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. merkt, die ältere Physiologie an, dass die Nerven bloß passive Leiter für die Qualitäten der äußeren Dinge seien, so dass also der Sehnerv die Schwingungen des Lichts dem Bewusstsein als solche übermittle, der Hörnerv die Schallschwingungen u. s. f. Diese Auffassung aber hält nicht Stich gegenüber der eben angedeuteten Erfahrung, dass der Sehnerv, auch wenn er elektrisch oder mechanisch gereizt wird, immer nur eine Lichtempfindung vermittelt, während dieselben Ursachen, wenn sie auf den Hörnerven wirken, Anlass zu einer Gehörsempfindung geben. So kommt denn Müller zu dem Schluss, „dass jeder eigentümliche Sinnesnerv auch gewisse unveräußerliche Kräfte oder Qualitäten hat, welche durch die Empfindungsursachen nur angeregt und zur Er- scheinung gebracht werden. Die Empfindung ist also nicht die Leitung einer Qualität oder eines Zustandes der äußeren Körper zum Bewusstsein, sondern die Leitung einer Qualität, eines Zustandes unserer Nerven zum Bewusst- sein, veranlasst durch eine äußere Ursache. Wir empfinden nicht das Messer, das uns Schmerz verursacht, sondern den Zustand unseres Nerven schmerzhaft; die vielleicht mechanische Oszillation des Lichtes ist an sich keine Lichtempfindung; auch wenn sie zum Bewusstsein kommen könnte, würde sie das Bewusstsein einer Oszil- lation sein; erst dass sie auf den Sehnerven als den Vermittler zwi- schen der Ursache und dem Bewusstsein wirkt, wird sie als leuchtend empfunden; die Schwingung der Körper ist an sich kein Ton; der Ton entsteht erst bei der Empfindung durch die Qualität des Gehör- nerven, und der Gefühlsnerv empfindet dieselbe Schwingung des scheinbar tönenden Körpers als Gefühl der Erzitterung. Wir stehen also bloß durch die Zustände, welche äußere Ursachen in unsern Ner- ven erregen, mit der Außenwelt empfindend in Wechselwirkung“. Dass die gegenteilige Ansicht trotzdem auch nach Joh. Müller noch Vertreter gefunden hat, liegt vorzugsweise an der eingewurzelten Auffassung von der vermeintlichen Uebereinstimmung unserer Empfin- dungen mit den Vorgängen der Außenwelt, welche wir empfinden. Der leuchtende Körper bewirkt die Empfindung des Lichts, der Kör- per, welcher tönt, die Empfindung des Tons. Trotzdem ist es leicht zu erkennen, dass hierbei nichts als eine Täuschung vorliegt durch die Anwendung der gleichen Sprachbezeichnung für unsere Empfin- dungen einerseits und die äußeren Ursachen andererseits, durch wel- che jene in der Regel hervorgerufen werden. Daraus darf also auf eine Gleichheit oder auch nur Aehnliehkeit der einen und der andern Reihe von Vorgängen nicht geschlossen werden, und nichts berechtigt uns z. B. zu der Annahme, dass der Vorgang des Tönens bei einer Stimmgabel irgend welehe Aehnlichkeit mit der Tonempfindung hat, welche sie in uns hervorruft. Wie denn auch diese selbe schwingende Stimmgabel, wenn wir sie leise mit dem Finger berühren, eine ganz andere Empfindung veranlasst, welche natürlich ebensowenig mit dem Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. s1 Schwingungsvorgang identisch oder ihm auch nur überhaupt ähn- lich ist. Sind unsere Empfindungen also von der Beschaffenheit unserer Nervenzentren abhängig, so muss es so viele verschiedene Empfin- dungen geben, als es verschiedene Nervenapparate in unserm Gehirn gibt, deren gesonderte Erregung möglich ist und zum Bewusstsein kommen kann. Wir wollen, nur der Kürze halber und ohne etwas bestimmtes über die anatomische Natur der Nervenapparate, in denen der Vorgang der bewussten Empfindung zu stande kommt, damit aus- sagen zu wollen, eine jede solehe physiologische Einheit eine Nerven- zelle) nennen. Dann kann es also so viele unterscheidbare Empfin- dungen geben, als Nervenzellen vorhanden sind, vorausgesetzt, dass Jeder Zelle eine zu ihr führende, gesondert erregbare Nervenfaser entspricht. Nehmen wir jedoch an, dass die Nervenzellen zu Gruppen vereinigt seien und untereinander zusammenhängen, und dass in eine solche Gruppe nur eine Nervenfaser eintrete, so würde eine sol- che Gruppe auch nur eine Art von Empfindung vermitteln können und müsste physiologisch als eine Einheit aufgefasst werden. Erregungen, welche durch eine und dieselbe Nervenfaser zuge- leitet werden, können nach dieser Auffassung nur dem Grade nach, nicht qualitativ verschieden sein. Denn der Vorgang der Erregung in der Nervenfaser hängt nicht von der Natur des Vorgangs ab, wei- cher die Erregung veranlasst hat, und ist, wie wir angenommen ha- ben, in allen Nervenfasern ganz der gleiche. Wäre es möglich, dass in einer und derselben Nervenfaser qualitativ verschiedene Erregungen sich fortpflanzen und dass diese Qualität als solche vom Bewusstsein aufgenommen werde, so müssten verschiedene Arten von Erregungen, wenn sie auf denselben Nerven wirken, in uns verschiedene Empfin- dungen, dieselben Erregungen aber, wenn sie auf verschiedene Ner- ven wirken, in uns gleiche Empfindungen hervorrufen, was ja eben den Erfahrungen widerspricht?). Dazu kommt noch, dass die Leitung solcher qualitativ verschiedener Erregungen durch eine Nervenfaser mit den Vorstellungen, welche wir von der Mechanik der Nervener- regung aus unserer Kenntnis der letzteren abgeleitet haben, nicht gut vereinbar ist. Die Stärke der Erregung einer und derselben Nervenfaser kann zeitlich schwanken. Erfolgen solche Schwankungen nach einem ge- wissen Gesetz, so kann dadurch scheinbar eine neue Qualität der 4) Der Ausdruck Nervenzelle wird hier einfach nur als Gegensatz zu Nervenfaser gebraucht. Die Faser wird durch irgend einen Anlass erregt und leitet die Erregung zur Zelle, die dann ihrerseits in Erregung gerät und dadurch den Bewusstseinsvorgang vermittelt. 2) Daraus würde u. a. folgen, dass wir für Temperatur- und Druckempfin- dungen verschiedene Nervenbahnen annehmen müssen, worüber später ausführ- lich gehandelt werden soll. 6 89 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. Empfindung entstehen. Ein dauernder Druck, ein plötzlicher Stoß und ein regelmäßig schwankender Druck (wie er bei Berührung einer schwingenden Stimmgabel entsteht) sind nur als Empfindungen der- selben Qualität aufzufassen, nur verschieden durch den Grad des Drucks und den zeitlichen Verlauf der Veränderungen dieses Grades. Wenn sie von manchen als qualitativ verschieden angesehen werden, so beruht dies nach meiner Meinung auf emer Täuschung. Ebenso können wir das Knattern eines Pelotonfeuers nicht für qualitativ ver- schieden erachten von dem Gehörseindruck, welchen der einzelne Knall eines Büchsenschusses veranlasst. Wir werden später sehen, wodurch es bedingt ist, dass man derartige Eindrücke zuweilen als qualitativ verschieden angesehen hat. Die Zahl der unterscheidbaren, qualitativ verschiedenen Empfin- dungen muss bedingt sein durch die Zahl der empfindungsfähigen Zellen. Diese ist nun freilich eine endliche, aber immerhin doch, wie uns die Anatomie lehrt, eine so ungeheuer große, dass wir nicht in Verlegenheit geraten, wenn wir die ungeheure Mamnigfaltigkeit un- serer Empfindungen durch sie erklären wollen. Auch selbst wenn wir annehmen, dass selten oder niemals eine einzelne Zelle allein in Er- regung gerät, sondern immer nur Gruppen, so reicht ihre Zahl noch zur Erklärung vollkommen aus. Wir müssen es jedoch als sehr wahr- scheinlich hinstellen, dass solehe Grundempfindungen, wie sie durch £rregung einer einzelnen Zelle oder Zellgruppe entstehen, selten vor- kommen; viel häufiger vielmehr gemischte Empfindungen durch gleich- zeitige oder schnell aufeinander folgende Erregung verschiedener Zel- len. Bei den verschiedenen Kombinationen, welche auf diese Art möglich sind, muss aber die Qualität unserer Empfindung jedesmal verschieden ausfallen, und es entsteht so die Möglichkeit, dass die Zahl der verschiedenen Empfindungen eine viel größere Mannigfaltig- keit aufweist, als die Zahl der Zellen. Aus drei Elementen z. B., welche wir als Grundempfindungen irgend welcher Art annehmen wollen, können dureh Kombination von je zweien drei neue Arten von Empfindungen und durch Kombination aller drei noch eine, im ganzen also sieben Qualitäten von Empfindungen entstehen. Und wenn wir noch Zwischenstufen annehmen, bei denen die Komponenten dem Grade nach von einander verschieden sind, so genügen jene drei Grundem- pfindungen schon, um eine unendliche Mannigfaltigkeit von möglichen Empfindungen zu erklären. Dies ist bekamntlich der Grundgedanke der Young-Helmholtz’schen Farbentheorie, welche so wesentlich zur Weiterbildung der ursprünglichen Lehre von den spezifischen Energien der Sinnesnerven beigetragen hat!). Aehnliche Betrachtungen 4) Ueber die Farbentheorie vgl. den Aufsatz des Herrn v. Fleischl, Biol, Centralbl. I, 499. Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 83 haben dann Helmholtz zu seiner Theorie der Tonempfindungen ver- anlasst. Dass jedes Zellindividuum (oder jede zusammenhängende Zell- gruppe) eine eigenartige, von denen der andern Individuen im Be- wusstsein unterschiedene Empfindung hervorzurufen im stande sein muss, bedarf keiner weiteren Erklärung. Wir können es allenfalls mit Ad. Fiek!) durch das Gleichnis zweier vollkommen gleicher Menschen erläutern, auf welche derselbe Vorgang einwirkt. Der Er- folg wird in beiden derselbe sein, aber in jedem Individuum wird der Bewusstseinszustand getrennt auftreten und die Bewusstseinszustände werden nicht verschmelzen. Wenn also die Zellindividuen des Gehirns einzeln für sich fähig sind, im sich den Bewusstseinszustand zu er- regen, so müssen die Bewusstseinszustände der einzelnen Zellen unter sich different sein einzig und allein aus dem Grunde, weil es ver- schiedene Zellindividuen sind. Auf die Frage, was der Bewusstseins- zustand eigentlich sei, brauchen wir uns weiter nicht einzulassen, denn diese Frage ist keine physiologische sondern eine metaphysische. Dieser Unterschied der Bewusstseinszustände zweier Zellindivi- duen ist ein absoluter, durch nichts zu verwischender. Das schließt aber nicht aus, dass die Unterschiede zweier bestimmter Zellen größer sein können als die zweier andern. In diesem Falle werden wir also zwischen den Empfindungen, welche die weniger unterschiedenen Zel- len in uns hervorrufen, einen gewissen Grad von Verwandtschaft zu erkennen glauben. Hierauf beruht es, dass wir die unendliche Man- nigfaltigkeit der Empfindungen, deren wir fähig sind, in Gruppen zu- sammenfassen, und diejenigen, welehe unter sich ähnlich erscheinen, als eine „Modalität“, wie es Helmholtz?) genannt hat, von an- dern Modalitäten unterscheiden. Innerhalb einer und derselben Mo- dalität aber nehmen wir wieder kleinere Unterschiede wahr, die wir als „Qualität“ bezeichnen. Die Empfindungen Blau und Süß z. B. gehören verschiedenen Modalitäten der Empfindung an; Blau und Rot dagegen derselben Modalität, sie sind nur qualitativ verschieden. Das Kriterium für das letztere ist darin gegeben, dass wir uns allmähliche Uebergänge aus der einen Empfindung in die andere denken können durch so kleine Unterschiede der Empfindung, dass sie sich der Wahr- nehmung entziehen. Es gibt einen allmählichen Uebergang von Blau durch Violet und Purpur zu Rot; aber keine Brücke führt von der Empfindung Blau zu der Empfindung Süß. Wie viele Modalitäten der Empfindung zu unterscheiden seien, ist zweifelhaft. Die übliche Eimteilung in fünf Sinne hält nicht vollkom- men stand. Wir können z. B. mit Recht bestreiten, ob die Tempe- 4) Hermann’s Handb. d. Physiol. Bd. III. 1. Teil S. 165. 2) Die Thatsachen in der Wahrnehmung. Rektoratsrede. Berlin 1879. 8. 8. G* 84 tosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. raturempfindung und die Druckempfindung einer und derselben Moda- lität angehören, eine Frage, auf welche wir noch zurückkommen werden. Mit den Unterschieden der Modalität und Qualität sind jedoch noch nicht alle möglichen Unterschiede der Empfindungen erschöpft. Es gibt noch eine dritte Art von Unterscheidung. Zwei an sich gleiche Druckempfindungen z. B. werden als verschieden wahrgenommen, wenn die eine am dritten, die andere am vierten Finger derselben Hand einwirkt. Dass diese Unterscheidung des Orts daher rührt, dass die beiden Erregungen durch verschiedene Nervenbahnen dem Gehirn zugeleitet auf verschiedene Zellindividuen einwirken, ist am ehesten zu verstehen. Und so bildet diese Ortsunterscheidung eine der wesent- lichsten Stützen unserer Lehre von den spezifischen Energien, indem sie uns lehrt, dass dieselben Eindrücke, in verschiedenen Nervenzellen entstanden, individuelle Eigentümlichkeiten annehmen, welche sie in Bewusstsein unterscheidbar macht. Wir wollen diese Eigentümlichkeit, welche der Erregung des einzelnen Zeilindividuums anhaftet, mit Lotze das „Lokalzeiehen“ nennen. Sonach ist also jede Erregung eines Zellimdividuums in unserm Bewusstseinszustand behaftet mit der Erkennung ihrer Modalität bezw. Qualität, des Lokalzeichens und der Stärke, und diese letztere kann außerdem schwanken und dadurch qualitative Unterschiede vortäuschen. Für die weitere Beurteilung der thatsächlichen Unterlagen unserer Lehre wird es nötig sein, zunächst die Erregungsmittel oder Reize kennen zu lernen, durch welche in den einzelnen Nerven der Erre- gungszustand hervorgerufen werden kann. Sofern es sich um die Nervenfasern handelt, d. h. denjenigen Abschnitt, welcher zwischen den zentralen Nervenzellen und den peripherischen Endigungen liegt, so kennen wir die Wirkungsweise der verschiedenen Reize vorzugs- weise von den motorischen Fasern; mit diesen vergleichen wir dann die übrigen Nerven. Wir haben jedoch schon im vorigen Abschnitt gesehen, dass diese Vergleichung nicht immer zu unzweideutigen Schlüssen führt, weil da, wo irgend eine Art der Reizung bei ge- wissen Nervenfasern wirksam ist, bei andern aber nicht, wir zweifel- haft sein können, ob nicht das Ausbleiben des Erfolgs nur von der Unfähigkeit des betreffenden Endapparats (Muskel u. s. w.) auf den entstandenen Reiz zu reagieren, zurückzuführen ist. Der am besten bekannte Reiz, der elektrische, gibt am motori- schen Nerven vorzugsweise Wirkungen bei Schwankungen seiner In- tensität; doch sind schwächere Wirkungen, während der Strom in unveränderter Stärke verharrt, nicht zu verkennen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen motorischen und sensibeln Nerven ist daher auf srund der oben angeführten von Grützner gefundenen Ergebnisse nicht anzunehmen. Auf die Nerven der einzelnen Sinnesorgane scheint der elektrische Strom, soweit dies aus den zum Teil sehr schwierigen Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nervee. s5 Untersuchungen geschlossen werden kann, im wesentlichen ganz ebenso zu wirken. Die Schwierigkeit beruht aber hauptsächlich darin, dass die Einwirkung elektrischer Ströme nicht immer auf den Nerven- stamm, die eigentliche Faser, beschränkt werden kann, sondern häufig die Endapparate, sowohl die peripherischen als die zentralen mittrifft. Da Untersuchungen über die Reizung sensorischer Nerven nur am Menschen angestellt werden können, so kommt für die Frage, wie sich die Nervenfasern verhalten, neben dem /elektrischen Reiz fast nur noch der mechanische in betracht, und auch dieser kann nur auf wenige der Sinnesnerven wirklich angewendet werden. Vor dem elektrischen Reiz hat er da, wo er anwendbar ist, den Vorzug voraus, dass er genau lokalisiert werden kann. Gegenüber den Nervenfasern zeichnen sich die peripherischen Endapparate der sensorischen Nerven, die Sinnesorgane, vorzugsweise durch ihre ungemein große Empfindlichkeit aus, durch welehe sie von Reizen erregt werden, welche viel zu schwach sind, um auf die Ner- venfasern direkt zu wirken. Das hängt aber in der That nur von ihrer geringen Stärke und nicht davon ab, dass die Nervenfasern sich absolut anders gegen Reize verhalten als ihre Endigungen in den Sinnesorganen. Denn die Reize, welche auf die Sinnesorgane wirken, sind, mit einziger Ausnahme des Lichts, m der That alle auch im stande, auf die Nervenfasern zu wirken, wenn sie nur hin- reichend stark sind; und selbst vom Licht können wir nicht mit ab- soluter Bestimmtheit sagen, dass es nicht auf die Nervenfaser wirkt, da Lieht und Wärme physikalisch identisch sind, letztere aber die Nervenfasern zu erregen vermag. Nun sind aber die Nervenendapparate oder Sinnesorgane nicht für alle Arten von Reizen empfindlich, und dadurch entstehen Unter- schiede, welche zum Teil sehr leicht zu verstehen sind, zum Teil aber jeder Erklärung trotzen, da wir den Mechanismus nicht kennen, der in den Endapparaten die Erregung zu stande bringt. So verstehen wir z. B. sehr leicht, warum Licht nur auf die Endigungen der Seh- nerven wirken kann, da diese allein so durchsichtig und derart mit durchsichtigen Medien bedeckt sind, dass Liehtwirkungen zu ihnen gelangen können. Aber dieselben Endigungen sind auch für mecha- nische und wahrscheinlich auch für elektrische Reizung empfindlich; ob auch für andere, muss unentschieden bleiben, da sie nicht auf das Organ anwendbar sind. Dass der mechanische Reiz auf den Seh- nerven wirken kann, ist durch die Erfahrungen bei Durchschneidung desselben in Fällen von Augenexstirpation genugsam erwiesen. Und die Thatsache, dass die Patienten dabei Licht sehen, ist ja eine der hauptsächlichsten und bekanntesten Stützen der Lehre von den spe- zifischen Energien geworden. Auch der Lichtschein, welcher im dunkeln gesehen wird, wenn man das Auge plötzlich mit einem Ruck nach innen (nasenwärts) wendet, rührt wohl von einer Zerrung, also Ss Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. mechanischen Reizung des Sehnerven her. Dagegen ist der bekannte Lichtring, der durch Druck auf den Bulbus entsteht und das soge- nannte „Akkommodationsphosphen“ von Purkinje und Czermak, d. i. ein feuriger Ring, welcher gesehen wird, wenn man im dunkeln von starker Akkommodationsanstrengung für die Nähe plötzlich zur Ruhestellung des Auges zurückgeht, offenbar nieht durch mechanische teizung der in der Netzhaut enthaltenen Nervenfasern, sondern durch Reizung der Nervenendigung, d. h. der Stäbchen, zu erklären, da die Lichterscheinungen sonst nicht so scharf lokalisiert auftreten könnten. Dass der Sehnerv sich gegen den elektrischen Strom ähnlich wie andere Nerven verhalte, kann man aus dem das ganze Gesichtsfeld erfüllenden Lichtschein schließen, welcher bei Schließung und Oeff- nung eines elektrischen Stroms empfunden wird. Dagegen bleibt es zweifelhaft, wie die Liehterscheinungen während des Durchgangs eines dauernden Stroms zu erklären sind, welche J. W. Ritter, Purkinje u. a. beschrieben haben. Es treten dabei verschiedene Erscheinungen auf je nach der Richtung des Stroms. Nach der Uebersicht, welche Helmholtz!) nach fremden und eigenen Beobachtungen gibt, ist der Schließungsblitz stärker bei Anlegung der Kathode, der Oefinungs- blitz stärker bei Anlegung der Anode ans Auge, während die zweite Elektrode an einer indifferenten Stelle des Körpers anliegt. Dies ist vollkommen in Uebereinstimmung mit dem Verhalten aller andern Nerven. Während der Dauer des Stroms tritt bei aufsteigender Stromrichtung eine Erhellung des dunkeln Gesichtsfelds mit weißlich violettem Licht ein, in welchem die Eintrittsstelle des Sehnerven als dunkle Scheibe sich abhebt; bei absteigender Stromrichtung dagegen wird das nur mit dem Eigenlicht der Netzhaut erfüllte dunkle Ge- sichtsfeld des geschlossenen Auges noch dunkler und nimmt eine rötliche Farbe an, während die Eintrittsstelle des Sehnerven als helle, blaue Scheibe erscheint. Bei der Oeffnung des Stroms kehren sich die Erscheinungen um. Diese Erscheinungen suchte Helmholtz durch die Annahme zu erklären, dass das Eigenlicht auf einer dauernden Erregung am Hirnende des Sehnerven zu stande komme, und dass diese Erregung bei der aufsteigenden Stromriehtung katelektrotonisch vermehrt, bei der absteigenden Richtung anelektrotoniseh vermindert werde. Eine daneben hergehende unmittelbar erregende Wirkung des Stroms auf die Nervenfasern hält er für möglich. In den Nachträgen ?) ändert Helmholtz jedoch seine Erklärung aufgrund weiterer Ver- suche dahin ab, dass es der elektrotonische Zustand der Radialfasern der Netzhaut (nicht also der Sehnervenfasern) sei, welcher zur Wahr- nehmung komme, unter der Voraussetzung, dass eine konstante Er- regung derselben an der hintern Fläche der Netzhaut stattfinde. Es 4) Physiolog. Optik. S. 203 ft. 2) Ebenda S. 839. Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 87 scheint mir jedoch weder bei der einen noch bei der andern Er- klärung recht klar, warum die Eintrittsstelle des Sehnerven von der Umgebung unterscheidbar sein soll. Wenn alle Netzhautelemente oder alle Nervenfasern gleichmäßig erregt oder gleichmäßig in ihrer Erregbarkeit verändert werden, wie es bei Anlegung der einen nicht sehr kleinen Elektrode an das Auge der Fall ist, wie sollte dadurch jene Stelle uns zum Bewusstsein kommen, da sie doch bei der gleich- mäßigen Erregung durch Licht nicht unterschieden wird? Dieses Bedenken wird nicht gehoben durch die Bemerkung von Helmholtz, dass der Sehnerv wahrscheinlich als schlecht leitende Masse wirke und den Strom nahe seiner Eintrittsstelle abschwäche, weshalb diese sich durch entgegengesetzte Beleuchtung vor ihrem Grunde auszeichnen soll. Denn die Eintrittsstelle des Sehnerven ist ja in unserm Ge- sichtsfeld eben nicht als eine besondre Stelle vertreten; sie fehlt in unserm Bewusstsein. Ich will versuchen, eme andere Erklärung, wenngleich mit aller Reserve, hier zu geben, die vielleicht besser geeignet ist, die Schwierig- keit zu beseitigen. Wenngleich die einzelnen Gewebe sich nur sehr wenig von eimander in bezug auf ihr Leitungsvermögen unterscheiden, so ist doch das Fettgewebe wohl ein etwas schlechterer Leiter als die Gewebe und Flüssigkeiten des Auges. Das Auge ist daher von seiner Umgebung einigermaßen isoliert, und wenn eine Elektrode, z. B. die positive, an das Auge selbst, die andere an den Nacken, Rumpf oder sonstwo angelegt wird, so werden die Ströme haupt- sächlich da austreten, wo die Radialfasern der Netzhaut in die Pa- pille übergehen. In dieser aber wird die Stromdichte in den zentral gelegenen Fasern geringer sein müssen als in den peripherischen. Wenn nun die Ausbreitung der Fasern in der Netzhaut derart ist, dass die zentralen Fasern auch an zentralen Stellen der Netzhaut endigen, so muss bei der aufsteigenden Stromriehtung diese dunkler, bei der entgegengesetzten Stromrichtung diese heller erscheinen als ihre Umgebung. Ist die an das Auge gelegete Elektrode sehr klein, so wird die Durchströmung des Auges nicht symmetrisch erfolgen; die eine Augenhälfte und somit auch die eine Hälfte der Radial- fasern wird etwas größere Stromdichte haben, und somit die ent- sprechende (entgegengesetzte) Hälfte des Gesichtsfelds stärker ver- ändert sein. Im übrigen ist alles wie in der zweiten Erklärung von Helmholtz. Der am hintern Augenpol auftretende Anelektrotonus vermindert, der Katelekrotonus vermehrt das Eigenlicht. (Fortsetzung folgt.) ss Voit, Fettablagerung im Tierkörper. ©. Voit, Ueber die Ursachen der Fettablagerung im Tierkörper. Vortrag gehalten im ärztlichen Verein zu Miinchen. München. Rieger. 23 S. Die Frage, aus welchen Stoffen bildet sich im Tierkörper Fett? ist vielfach diskutiert worden und ein Blick auf die Literatur zeigt, wie sehr im Verlauf der letzten Dezennien die Anschauungen über dieses wichtige Kapitel des tierischen Haushaltes gewechselt haben. Nachdem der französische Chemiker Chevreul nachgewiesen hatte, dass die pflanzlichen und tierischen Fette meist die gleiche Konstitution besitzen, machte sich die Ansicht geltend, dass das im Tierkörper aufgespeicherte Fett den mit der Nahrung zugerührten Fettkörpern seinen Ursprung verdanke. Allein die Pflanze, aus wel- cher jenes Fett stamme, habe die Fähigkeit, Fett und Eiweiß wirklich zu bilden, eine Qualität, welche dem tierischen Organismus vollstän- dig fehle. Dieses Dogma wurde lange von der französischen Schule festgehalten. Ganz im Gegensatz zu demselben wurde später von einzelnen behauptet, dass das Feit im Tierkörper deswegen nicht aus dem Nahrungsfett stamme, weil letzteres niemals angesetzt werde. So änderten sich die Ansichten. In der folgenden Zeit hat sich Lie- big eingehend mit der Frage beschäftigt und er war es, der in den genossenen Kohlehydraten die hauptsächliche, wenn nieht die alleinige Quelle des im Tierkörper angesammelten Fettes gefunden zu haben glaubte. Für diese Hypothese führte er jene Beobachtungen ins Feld, welche darthun, dass die tierischen Fette, welche bei den einzelnen Tierklassen sich finden (Butter, Fett, Rindstalg, Schweinefett) in der aufgenommenen Nahrung nicht enthalten seien und ferner die That- sache, dass Tiere, welche hauptsächlich von Kohlehydraten leben, viel mehr Fett in sich aufzuspeichern bezw. mit ihren Sekreten ab- zugeben vermögen, als ihnen mit der Nahrung gereicht werde. Der erste Punkt spricht gegen eine einfache Ablagerung des Fettes, der zweite für die Bildung desselben aus den Kohlehydraten, welche durch Austreten von Sauerstoff sich in Fett umwandeln sollen. Angenommen, dieser letzte Satz Liebig’s sei unanfechtbar, so wäre doch noch festzustellen, eb die Kohlehydrate wirklich die ein- zige Quelle des Fettes darstellen. Nun ist durch die bekannten Ver- suche von Pettenkofer und Voit, welche an Hunden angestellt wurden, zur Evidenz nachgewiesen worden, dass auch bei dem Zer- fall von Eiweiß im Tierkörper Fett oder diesem chemisch sehr nahe stehende Stoffe abgespalten werden, die entweder unter bestimmten Bedingungen angesetzt oder weiter zersetzt werden. Denn während bei fast reiner Eiweißfütterung der ganze zugeführte Stickstoff in den Exkreten wieder erscheinen kann, bleibt bei der Berechnung ein Kohlenstoffdefizit, welches dureh Bildung und Ansatz von Fett zwang- los erklärt werden kann. Aber auch andere Erfahrungen sprechen Voit, Fettablagerung im Tierkörper. 59 für jene Auffassung, welche Voit in seinem Vortrag lebhaft vertritt. Wir wollen uns hier darauf beschränken, von den dort angeführten Beobachtungen jene hervorzuheben, welche zeigt, dass mit fettarmem Blut gefütterte Fliegenmaden viel mehr Fett zu bilden vermögen, als in dem verbrauchten Blut enthalten war. Als ganz besonders bewei- send erscheinen ferner jene so häufig gesehenen Vorgänge fettiger De- generation in lebenswiehtigen Organen bei verschiedenen Krankheiten, welche von jeher das besondere Interesse der Aerzte in Anspruch genommen haben. Ist somit die Möglichkeit einer Abspaltung von Fett aus Eiweiß sicher gestellt, so wäre noch zu entscheiden, ob die- ses abgespaltene Fett zusammen mit dem aus der Nahrung resorbier- ten Fett den Bedarf des Körpers nicht allein zu decken, sondern auch noch darüber hinaus sich anzusetzen vermag. Sehr wichtig für die Lösung dieser Frage ist der in Voit’s Laboratorium von F. Hoff- mann ausgeführte Versuch, bei welchem es gelang, bei einem durch langes Hungern entfetteten Hund durch Fütterung von viel Speck und wenig Fleisch viel Fett zum Ansatz zu bringen. Dem Eimwand, dass ja die Nahrungsfette vielfach anders zusammengesetzt seien, als die- jenigen des Tierkörpers, begegnet Voit durch die Erklärung, dass nur ein kleiner Teil des resorbierten Fettes angesetzt, der größere Teil verbrannt wird, somit seien hierbei die Komponenten der Fette, Stearin, Palmitin und Olein in ausreichender Menge vorhanden, um das an einer Körperstelle zurückbleibende Fett von bestimmter Zusammen- setzung zu bilden. Bei Zufuhr fremder Fette werden meist diese zer- stört, oder es kann sogar bei reichlicher Darreichung, wie Lebedeff gefunden haben will, ein fremdes Fett zum Ansatz kommen. Genügen demnach auch die genannten Quellen für die Fettbildung in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, so scheint doch auch unter ganz besonderen Bedingungen die früher erörterte Ansicht von Liebig zu Recht zu bestehen, die aus den Kohlehydraten die Fette sich bil- den lässt. Darauf deuten die Resultate von Experimenten, die Sox- hlet, Meissl und Strohmer, B. Schulze und Rubner angestellt haben, hin, welche bei überreichlicher Fütterung mit Kohlehydraten Fettansatz beobachteten. Aber sie stehen immerhin den beiden an- deren Quellen gegenüber in dritter Linie. Indirekt aber haben sie dadurch einen großen Einfluss auf die Fettbildung, dass sie als leich- ter zersetzbare Stoffe die Fette vor der Verbrennung schützen. Im engen Zusammenhang mit diesen Fragen steht die folgende, welche Voit aufwirft. Unter welchen Umständen findet ein Fettan- satz im Tierkörper statt? Die Lösung derselben gestaltet sich nach den jetzt geltenden Anschauungen einfach genug. Für gewöhnlich halten sich die Einnahmen und Ausgaben des Körpers das Gleichgewicht. Das aufgenommene und das abgespaltene Fett wird vollständig zu Wasser und Kohlensäure verbrannt und ab- gegeben, und nur unter besondern Bedingungen kommt es zur Auf- 90 Voit, Fettablagerung im 'Tierkörper. speicherung des Fettes. Die Stoffzersetzung findet in den Zellen statt, und es richtet sich das Mehr oder Weniger der chemischen Zersetz- ungen nach der Menge der vorhandenen Zellen und nach Einflüssen, welche auf die Zellen schwächend oder stärkend einwirken. Unter den letztgenannten Faktoren sollen hier nur Temperaturschwankungen, Muskelthätigkeit, Ueberschuss von Nahrungszufuhr genannt werden. Ferner ist die Zersetzlichkeit der verschiedenen Nahrungsbestand- teile eine wechselnde, von welchen das Eiweiß am leichtesten, das Fett am schwersten zerlegt wird. Bei reiner Eiweißfütterung wird auch das Eiweiß, dann das daraus abspaltbare Fett zerlegt. Je nach der Menge der letzteren ist die Zerlegung des gebildeten Fettes eine totale, hier kann, wenn die Quantität derselben nicht genügt, auch noch Körperfett mitverbrannt werden, oder es findet bei Veberschuss von gebildetem Fett noch zeitweilige Erschöpfung der Zellenthätigkeit, ein Ansatz von Fett statt. In gleicher Weise gestalten sich die Ver- hältnisse bei Zufuhr von Eiweiß, Fett und Kohlehydraten, deren leich- tere und schwerere Zersetzlichkeit bei der Rechnung stets mit ins Gewicht fällt. Am leichtesten und häufigsten wird unter diesen Bedingungen Fettansatz, Mästung eintreten, wenn mit der Nahrung ein Ueberschuss von Fett zugeführt wird. Aber die Qualität der Nahrung ist es nicht allein, welche das Fettwerden veranlasst. Erschöpft sich durch irgend eine Ursache die Fähigkeit der Zelle, die Stoffe zu zersetzen, abnorm früh, so wird es auch leichter und schneller zum Fettansatz kommen müssen. Unter dem Einfluss von Alkohol, geringer Körperbewegung, hoher Außentemperatur, eiweißarmer Nahrung und dadurch bedingter Verminderung der Zellenmasse und der Verminderung der Blutmenge kommt es zu stärkerer Fettablagerung. Meist liegt aber in einem Uebermaß der fettbildenden Nahrungsstoffe die Hauptursache des Fettwerdens. Diejenigen Beobachtungen, welehe darauf hinzudeuten scheinen, dass gewisse Leute trotz fettarmer Nahrung dick werden, sind bis jetzt nicht exakt wissenschaftlich begründet. Aber neben der Qualität der Fütterung kommt als unterstützendes Moment der Mangel an Muskelarbeit in betracht, wie wir das bei dem Diekwerden ver- schiedener Individuen genau verfolgen können. Eine dritte besonders für den Praktiker wichtige Frage ist die folgende, von Voit angeregte. Wie kann man das im Tierkörper abgelagerte Fett zum Verschwinden bringen? Es kommt vor allem darauf an, den Ueberschuss gewisser Nah- rungsstoffe zu beseitigen. Ferner zerstört der fettreiche Organismus mehr stickstofffreie Stoffe als ein magerer, während er unter dem Einfluss des Fettes mehr Eiweiß ansetzt. Werden dem fetten Orga- nismus reichlich Eiweiß, dagegen wenig stickstofffreie Stoffe geboten, so gelangt Eiweiß zur Ablagerung, dagegen wird Fett durch die in ihrer Thätigkeit noch nicht erschöpften Zellen angegriffen. Es findet Frederieg und Nuel, Elemente der menschlichen Physiologie. 9 eine Zellenvermehrung und dadurch eine Steigerung des Fettansatzes statt. Folglich sind fetten Individuen vor allem Eiweißstoffe und dazu geringere Mengen von Fett und Kohlehydraten zu reichen. Aber man darf bei einer solchen Behandlung nichtnach diesen Grundsätzen allein schematisieren, sondern man muss individualisieren und die wechselnde Zusammensetzung der Körpergewebe zu verschiedenen Zeiten berück- sichtigen. Vor allem sind nach den früher erörterten Erfahrungen Kohlehydrate reichlich zuzuführen, die selbst bei Ueberschuss lange nicht so schaden können als vermehrte Fettzufuhr. Wenig Schlaf, kalte Bäder und nicht zu starke Körperbewegung unterstützen die Kur. Zum Schluss geht Voit noch auf die bisher gegen die Fettleibig- keit angewandten Kurmethoden ein und besprieht zuerst die berühmt sewordene Bantingkur, bei welcher viel Eiweiß und nur sehr wenig Fett und Kohlehydrate zugeführt werden. Diese Methode hat, da sie, vielfach zu schablonenmäßig geübt, Nachteile mit sich brachte, in neuester Zeit viele Gegner gefunden und es hat Ebstein derselben ein anderes Verfahren gegenübergestellt, welches nach Voit von zum Teil falschen Prämissen ausgeht. So ist z. B. die Annahme Ebstein’s, es werde aus dem Fett der Nahrung kein Fett angesetzt, wie früher auseinandergesetzt ist, nicht richtig. Ebensowenig ist die Ansicht von Ebstein, dass das Körperfett nur aus dem zersetzten Eiweiß ent- stehe, nach den vorliegenden Untersuchungen haltbar. Von diesen unrichtigen Voraussetzungen ausgehend schlägt Ebstein vor, den Fett- leibigen Fett zuzuführen, dagegen die Kohlehydrate möglichst zu ent- ziehen. Ebstein gibt Fette, um das Hungergefühl zu beschränken. Aber das thun die Kohlehydrate, die er vermeiden lässt, bekanntlich auch. Nach dem kegime, welches Ebstein angibt, wird der Körper ebenso wie bei der Bantingkur Fett verlieren, und es besteht im Prin- zip zwischen den beiden Methoden keine andere Differenz, als dass die Entziehung des Fettes nach dem Ebstein’schen Verfahren eine langsamere ist. Ist somit der letzteren Methode ein praktischer Wert nicht abzusprechen, so steht die Erklärung der erzielten Resultate doch nicht mit den wissenschaftlichen Beobachtungen im Einklang. R. Fleischer (Erlangen). Leon Fredericq, (prolesseur ordinaire aA l’universite de Liege) et J. P. Nuel, (professeur ordinaire a l’universit€ de Gand). Elements de physiologie humaine, a l’usage des etudiants en medeeine. Avec des nombreuses figures intercalees dans le texte. Gand, A. Hoste. Paris, G. Masson. 1883. 2 Teile in einem Bande, 263 und 370 Seiten gr. 8. Neben der großen Zahl von Hand- und Lehrbüchern und Grund- rissen der Physiologie, welche in Deutschland erschienen sind, haben 92 Frederieq und Nuel, Elemente der menschlichen Physiologie. die andern Nationen eine verhältnismäßig geringe Produktion auf- zuweisen. Und dieser Unterschied ist um so auffälliger, da in diesem Gebiet der Export keine Ausgleichung herbeizuführen vermag, da sicherlich die Kenntnis der deutschen Sprache unter den Studierenden anderer Nationalitäten nicht verbreitet genug ist, so dass sie unsere Lehr- bücher benutzen können. Wir glauben deshalb gern, dass die Herren Verfasser des vorliegenden Lehrbuchs einem wirklich vorhandenen Be- dürfnis entgegengekommen sind, indem sie sich zur Abfassung des- selben entschlossen. In der kurzen Vorrede geben die Herren Verff. an, dass dieses Buch sich ausdrücklich an ihre Schüler wende. Ich glaube jedoch, dass es auch in Frankreich bald Verbreitung finden wird, da es dort neben dem großen, aus drei dieken Bänden bestehenden Werke von Beaunis durch seine kürzere Fassung einen bedeutenden Vorsprung zu gewinnen im stande ist. Und wir dürften uns nur darüber freuen, wenn dies eintreten sollte, denn das Buch ist wohl geeignet, eine bes- sere Einsicht in die Leistungen der deutschen Physiologie im Auslande zu verbreiten, als bis jetzt vorhanden ist. Die Herren Verfasser ken- nen offenbar die Arbeiten unseres Landes, wenn auch nicht immer aus den Quellen, so doch aus den besseren Sammelwerken und haben sie fleißig benutzt, so dass man im allgemeinen ihre Darstellung als gerecht und zutreffend bezeichnen kann. Die Arbeit ist keine gemeinsame im eigentlichen Sinne des Worts, sondern jeder der beiden Herren hat einen Teil des Werks selbstän- dig ausgearbeitet und beide Leistungen sind also nur äußerlich zu einem Ganzen vereinigt. Das hat allerdings einige Ungleichartigkeiten in der Abfassung zur Folge gehabt. So vermisst man z. B. in den von Herrn Nuel verfassten Abschnitten den Hinweis auf die benutzten Quellen und die Literaturangaben, welche Herr Frederieq am An- fang jedes Kapitels und hier und da im Text gibt. Dagegen sind mir Wiederholungen oder gar Widersprüche zwischen den Verfassern, wie sie bei soleher Teilung der Arbeit leicht mitunterlaufen, nicht grade in auffälliger ‚Weise entgegengetreten. Der erste, mit Ausnahme der Lehre von der Innervation des Her- zens und der Gefäße, ganz von Herrn Frederieq bearbeitete Teil bringt zunächst eine Einleitung über die Grundbegriffe und dann ein Kapitel: le Protoplasme ou matiere vivante primitive.“ Wenn hier dem Protoplasma „Automatismus, Kontraktilität und Irritabilität“ (neben Atmung, Ernährung u. s. w.) zugeschrieben werden, so fehlt es an einer klaren und genügenden Unterscheidung dieser drei Grund- begriffe; auch die in einer Anmerkung des Eingangsparagraphen kurz erwähnte Brown’sche Molekularbewegung hätte wohl etwas schärfer charakterisiert, und es hätte etwas über ihre Ursachen gesagt werden sollen, um sie von den eigentlichen Protoplasmabewegungen besser zu trennen. Der Schluss dieses Kapitels bringt kurze Bemerkungen Frederieg und Nuel, Elemente der menschlichen Physiologie. 95 über die Fermente nebst der von Hoppe-Seyler aufgestellten Ueber- sicht über die Arten ihrer Wirkung. Das zweite Kapitel handelt vom Blut, das dritte vom Kreislauf. Hierbei wird zunächst eime allgemeine Erläuterung der graphischen Methode gegeben und der Methoden zur Uebertragung von Bewegungen überhaupt, vorzugsweise in Anlehnung an Marey unter Benutzung vieler Figuren aus den Arbeiten dieses Gelehrten, welche dann auch in den folgenden Abschnitten noch vielfach wiederkehren — meines Erach- tens sogar zu viel, denn die künstlichen Apparate zum graphischen Registrieren des Durchgangs einer Welle durch einen elastischen Schlauch (Fig. 49 und 50) und gar das Marey’sche Kreislaufsschema (Fig. 52) sind für den Unterricht wenig wert, da sie viel verwickelter sind, als das, was sie erläutern sollen, jedenfalls zu verwickelt, um leicht verstanden zu werden. Die verwickelten physiologischen Verhältnisse durch schematische Nachbildungen dem Verständnis nahe zu bringen, ist nützlich, ist sogar ein unentbehrliches Hilfsmittel des physiologi- schen Unterrichts. Seim Nutzen geht aber verloren, wenn das Schema nicht einfach und übersichtlich ist. Man soll daher an einem solchen nicht zuviel auf einmal demonstrieren wollen, sondern nur einen oder wenige Hauptpunkte. Lieber soll man, wenn nötig, mehrere Schemata gebrauchen, von welchen das eine diesen, das andere jenen Punkt klar und einfach darstellt. Und ganz dasselbe gilt von den Unter- suchungsapparaten. Manche Bewegungsvorgänge sind durch den bloßen Anblick leichter zu übersehen als m den graphischen Kurven, welche zu ihrer Darstellung gebraucht werden. Auch sonst lässt sich gegen die Darstellung der Zirkulationslehre manches einwenden; man vermisst eine klare Herausarbeitung der Grundprinzipien. An dieses Kapitel schließt sich eine von Herrn Nuel verfasste Uebersicht über die Innervation des Herzens und der Gefäße. Den Grund dieser Einschaltung bei der sonst einfachen Trennung der Ar- beiten der beiden Verfasser habe ich nicht eingesehen. Herr Nuel ist fortwährend genötigt, auf seine späteren Auseinandersetzungen über Muskeln und Nerven zu verweisen. Ebenso wird auch der Lehrer handeln müssen, wenn er im Vortrag sich darauf steift, über diesen Gegenstand an dieser Stelle zu reden. Warum also nicht denselben dahin verweisen, wohin er gehört, nämlich zum Nervensystem? Ge- gen die Darstellung selbst hätte ich wohl hier und da einzelnes ein- zuwenden, insbesondere gegen die ungenügende, ja sogar unrichtige Be- merkung über die Stannius’schen Versuche (S. 112), deren Bedeutung Herr Nuel sicher unterschätzt. Auch im vierten Kapitel, Atmung, fehlt es an einer klaren, wis- senschaftlichen Gliederung des Stoffs. Von Einzelnheiten, die mir aufgefallen sind, sei einiges hier erwähnt. In seiner Figur 88 {S. 133) kopiert Herr F. meine Figur 3 aus Hermann’s Handbuch (Bd. IV, 94 Frederieq und Nuel, Elemente der menschlichen Physiologie. Teil 1. S. 179) mit dem Zusatz: „nach Henle“. Ich habe jedoch ausdrücklich bemerkt, dass nur die Umrisszeichnung von Henle ent- lehnt, die Darstellung der verschiedenen Zwerehfellstellungen aber von mir willkürlich in jene eingetragen sei, so dass Henle keinenfalls dafür verantwortlich gemacht werden kann. Auf derselben Seite unten findet sich eine Angabe über den Seitendruck in der Trachea bei der In- und Exspiration; dieselbe hat aber keinen Sinn, da sie von der Weite der Respirationsöffnung, der Tiefe und Geschwindigkeit des Atem- zugs u.8. w. abhängt. Vgl. meine Auseinandersetzung a. a. 0. S. 218 ff. An dieses Kapitel schließt sich ein Abschnitt über die Innervation der Atembewegungen an, auf welches dieselben Bemerkungen passen, die wir oben bei der Innervation der Herzbewegungen gemacht haben. Das fünfte Kapitel, tierische Wärme, enthält einige Bemerkungen über Wärmeregulierung aus eignen Arbeiten des Herrn Verfassers von allgemeinerem Interesse, welche noch wenig bekannt bei uns sind. Es würde uns zu weit führen, wollte ich die folgenden Kapitel gleichfalls im einzelnen durchgehen; sie behandeln die Verdauung, Assimilation und Desassimilation, Harnabsonderung. Der zweite, ganz von Herrn Nuel bearbeitete Band führt den Untertitel: Fone- tions de relation et foncetions de generations. Letztere sind freilich nur auf 7 Seiten am Schluss ziemlich dürftig abgehandelt, einschließ- lich der Absonderung des Sperma und der Milch. (Die Schweiß- absonderung ist im Kapitel „Tierische Wärme“ erwähnt, die Abson- derung der übrigen Hautdrüsen, wie es scheint, gar nicht). Der übrige Inhalt des Bandes gliedert sich in eine kurze Einleitung (all- gemeine Betrachtungen und Technik der Elektrophysiologie) und die Kapitel: Allgemeime Muskelphysiologie, spezielle Muskelphysiologie (darunter als zweite Abteilung die Lehre von der Stimme und Sprache), allgemeine Physiologie der Nerven, Physiologie der Nervenzentren, spezielle Physiologie der einzelnen Nerven, Physiologie der Sinnes- organe. Das Buch ist mit einer großen Zahl von Abbildungen ausgestattet, welche zum größten Teil Originale, zum kleinern aus den Werken von Marey und Francois Franck, Bizzozero und Landois entlehnt sind. Erstere fallen durch die primitive Art ihrer Herstellung auf. Wir sind gewöhnt, andere Anforderungen an die Illustrationen wissenschaftlicher Bücher zu stellen. Ein Vergleich der Figuren 45 bis 49 und 51, 52 im zweiten Teil z. B. (welehe entlehnt sind) mit den übrigen lässt den Unterschied um so auffälliger erscheinen, und dabei sind auch jene noch grade nicht mustergiltig. Nun geben wir gern zu, dass auch sehr einfache, billig herzustellende Figuren ebenso nützlich sein können, vielleicht sogar unter Umständen nützlicher als künstlerisch vollendetere. Aber etwas mehr Sorgfalt hätte den Zeich- nungen nicht geschadet. Die Art z. B., wie der N. ischiadieus sich in allen betreffenden Figuren an den M. gastroenemius ansetzt, wirkt Albrecht, Offener Brief an W, Krause, 95 gradezu komisch, und die große Tafel, welche das Corti’sche Organ darstellen soll (eingeschaltet bei $. 328 des zweiten Teils) wird wohl niemanden etwas lehren. Dass in der Wiedergabe Marey’scher Fi- guren des Guten etwas zuviel gethan ist, habe ich schon oben erwäbnt. Alles in allem genommen aber kann ich nur wiederholen, dass mir das Buch einen guten Eindruck gemacht hat, und dass ich glaube, diejenigen, für welehe es zunächst bestimmt ist, die Studierenden fran- zösischer Zunge, werden aus ihm viel lernen können. Für uns Deutsche ist es von Interesse zu sehen, wie sich die Wissen- schaft und ihre Lehre in dem Lande gestaltet, welches am besten geeignet ist, die Vermittlung zwischen uns und den Franzosen zu fördern. Haben wir es auch stets für unsere Pflicht gehalten, das wissenschaftliche Leben in Frankreich aufmerksam zu verfolgen, so war dies doch dort in bezug auf unsere Bestrebungen und Leistungen nur in sehr geringem Grade der Fall. Die Wissenschaft ist ja nur in sehr beschränkter Weise national. Auf ihrem Boden kann der friedliche Wettstreit der besten Leistungen am ehesten zu einträch- tigem Zusammenarbeiten an den gemeinsamen Aufgaben führen. J. Rosenthal (Erlangen). Offener Brief an Herrn Professor W. Krause in Göttingen. Brüssel, den 23. Februar 1884. Hochgeehrter Herr Professor! Ihre Kritik in Nummer 22 des Biologischen Centralblattes vom 15. Januar d. J. über meine beiden m Rede stehenden Schriften !) hat mich ganz außerordentlich interessiert. Dürfte ich mir infolge dessen die Freiheit nehmen, einige Bemerkungen an dieselbe zu knüpfen? Sie werden gütiger Weise in diesem Verfahren nichts an- deres erkennen, als das lebhafteste Verlangen meinerseits, mich mit Ihnen in Uebereinstimmung zu setzen. Ich erlaube mir daher fol- gendes zu bemerken: 1) Die Hasenscharte geht stets zwischen Schneidezähnen hin- durch, nie zwischen einem Schneidezahn und dem Eekzahn. Nach außen von der Kieferspalte steht also stets der Praecaninus. Nach innen beim Menschen entweder nur der Parasymphysius allein, oder der Parasymphysius mit einem Proparasymphysius gemeinschaftlich. 1) Sur les quatre os intermaxillaires, le bec de lievre et la valeur mor- phologique des dents ineisives sup6erieures de ’homme. Bruxelles. Manceaux 1883. — Sur le cräne remarquable d’une idiote de 21 ans avec des observa- tions sur le Basiotique, le Squamosal, le Quadratum, le Quadrato-jugal, le Ju- gal, le Postfrontal posterieur et le Postfrontal antörieur de ’homme, Bruxelles, Manceaux 1883. STE Albrecht, Offener Brief an W. Krause, Je nachdem, ob jederseits der Proparasymphysius fehlt oder vorhan- den ist, haben wir eine tetraprotodonte, oder eine hexaprotodonte Kieferspalte. Im normalen (tetraprotodonten) Gebiss des Menschen haben wir also den ersten Schneidezahn (Parasymphysius) und den dritten Schneidezahn (Praecaninus), während bei der hexaprotodonten Kieferspalte des Menschen noch der dem normalen Gebiss desselben verloren gegangene wirkliche zweite Schneidezahn hinzukommt. Der Praecaninus steht immer im lateralen Zwischenkiefer, immer also lateral von der Kieferspalte; Parasymphysius und Proparasymphysius immer medial von der Spalte im medialen Zwischenkiefer. 2) Was das Kaninchen anbetrifft, so ist nach meiner Ansicht der vordere große Schneidezahn der Parasymphysius; der hin- tere kleine: der Praecaninus; der f. Cuvier’sche: der Propara- sympbhysius. 3) Der von mir abgebildete Pferdeschädel mit doppelter Kiefer- spalte hat nieht 7 Schneidezähne, wie Sie S. 702 bemerken, sondern S; nämlich jederseits den Praecaninus im lateralen Zwischenkiefer, und jederseits den Parasymphysius, den Proparasympbysius und einen Proproparasymphysius im medialen Zwischenkiefer. 4) Sie sagen, ich nähme 6 Wirbelkörper im Schädel an. Ver- zeihen Sie, dies ist nicht meine Ansicht. Zunächst wären es über- haupt Wirbelzentren, denn um einen Wirbelkörper zu formieren be- dürfte es noch der Centroidstücke der Neurapophysen. Aber nach meiner Ansicht sind eigentliches Basioceipitale, Basioticum, Basipost- sphenoid, Basipraesphenoid, Mesethmoid und Craniostyl auch keine Wirbelzentren, sondern Wirbelzentrenkomplexe. Jeder dieser Kom- plexe repräsentiert eine bis jetzt nicht näher zu bestimmende Anzahl von einzelnen Wirbelzentren. So z. B. repräsentiert der im eigent- lichen Basioecipitale uns entgegentretende Wirbelzentrenkomplex des Menschen mindestens 9 Wirbelzentren. In ebenderselben Weise wären die Felsenbeine auch nicht als Neurapophysen, sondern als Neura- pophysenkomplexe aufzufassen, Parasphenoid und Vomer nicht als Hypapophysen-, sondern als Hypapophysenkomplexe. Professor Dr. P. Albrecht. Da Herr Prof. Albrecht so freundlich war, mir den vorstehen- den offenen Brief vor dem Druck zu senden, so beeile ich mich hin- zuzufügen, dass die Reklamation Nr. 4 vollkommen begründet ist. Es handelt sich nicht um Wirbel, sondern um Wirbelkomplexe. In betreff von Nr. 2 verweise ich auf die eben erschienene zweite Auf- lage meiner Anatomie des Kaninchens. Göttingen, den 25. Februar 1884. W. Krause. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen, Biologeisches Gentralblatt unter Mitwirkung von a Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 15. April 1884. Nr. 4. Inhalt: Meyer, Die Trophoplasten. — Bütsehli, Ueber die nervösen Endorgane an den Fühlern der Chilognathen und ihre Beziehungen zu denen gewisser Insekten. — Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven (Fortsetzung). — Bubnow, Beitrag zu der Untersuchung der chemischen Bestandteile der Schilddrüse des Menschen und des Rindes. Die Trophoplasten. Zusammenfassung der Resultate der neueren Arbeiten über die Chloro- phylikörner. Von Arthur Meyer. Verzeichnis der besprochenen Abhandlungen. 4) A. F. W. Sehimper, Untersuchungen über die Entstehung der Stärke- körner. Botanische Zeitung 1880, $. 83%. — 2) Dr. A. Tschirch, Beiträge zur Hypochlorinfrage. Separatabdruck aus den Abhandlungen des Botanischen Vereins der Provinz Brandenburg XXIV, 1882, 8. 124. — 3) Arthur Meyer, Ueber die Natur der Hypochlorinkrystalle Pringsheim’s. Botanische Zeitung 1882, Nr. 32. — 4) Th. W. Engelmann, Neue Methode zur Untersuchung der Sauerstoffausscheidung pflanzlicher und tierischer Organismen. Botanische Zeitung 1881, Nr. 28, S. 441. — 5) Th. W. Engelmann, Ueber Assimilation von Hämatococeus. Botanische Zeitung 1882, Nr. 39. — 6) Th. W. Engel- mann, Zur Biologie der Schizomyceten. Botanische Zeitung 1881, Nr. 20 und 21. — 7) Th.W. Engelmann, Farbe und Assimilation. Botanische Zei- tung 1883, Nr. 1. — 8) Fr. Schmitz, Die Chromatophoren der Algen. Ver- handlungen des naturwissenschaftlichen Vereins der preuß. Rheinlande und Westfalens 1883, 40. Jahrg. — 9) A. F. W. Schimper, Ueber die Entwicke- lung der Chlorophylikörner und Farbkörper. Botanische Zeitung 1883, Nr. 7 bis Nr. 10. — 10) Arthur Meyer, Das Chlorophylikorn. Leipzig 1885, bei Arthur Felix. — 11) A. Tschireh, Zur Morphologie der Chlorophylikörner. Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft 1883, 8. 202 — 12) A. Tsehirch, Vorläufige Mitteilung. Separatabzug aus dem Sitzungsberichte des botanischen Vereins der Provinz Brandenburg XXIV, Sitzung vom 28. Apr. 1882. — 15) A. Tschireh, Untersuchungen über das Chlorophyll. Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft zu Berlin 1883, 23. März. — 14) E, ( 98 Meyer, Die Trophoplasten. Zacharias, Ueber Eiweiß, Nuclein und Plastin. Botanische Zeitung 1885, Nr. 13. — 15) A Tschireh, Die Reindarstellung des Chlorophylifarbstoffes. Separatabdruck aus den Berichten der deutschen botanischen Gesellschaft, Jahrgang 1883, Bd. 1. Heft 11. — 16) J. Borodin, Ueber krystallinische Neben- pigmente des Chlorophylls. Bulletin de P’Academie imp6riale des sciences, Tome XXVII, p. 323—552. — 17) A. Hansen, Ueber die Farbstoffe des Chlorophylilkorns. Sitzungsberichte der Würzburger physikalisch-medizinischen Gesellschaft, 1833. Separatabzug. — 18) Dr. Karl Brandt, Ueber die mor- phologische und physiologische Bedeutung des Chlorophylis bei Tieren. Arch. für Anatomie und Physiologie, Abt. f. Physiol. 1882, S. 125—151. — 19) Dr. Karl Brandt, Ueber die morphologische und physiologische Bedeutung des Chlorophylis bei Tieren. Mitteilungen aus der Zoologischen Station zu Nea- pel 1885, Heft II. — 20) Th. W. Engelmann, Ueber tierisches Chlorophyll. Separatabdruck aus Pflüger’s Archiv für gesamte Physiologie, Bd. 52. — 21) Th. W. Engelmann, Ueber Sauerstoffausscheidung von Pflanzenzellen im Mikrospektrum. Botanische Zeitung 1882, Nr. 26, S. 419. — 22) J. Reinke, Untersuchungen über die Einwirkung des Lichtes auf die Sauerstoffausschei- dung der Pflanzen. I. Mitteilung. Botanische Zeitung 1883, Nr. 42, 43 u. 44. — 23) J. Reinke, Die optischen Figenschaften der grünen Gewebe und ihre Beziehungen zur Assimilation des Kohlenstoftes. Separatabdruck aus den Be- richten der deutschen botanischen Gesellschaft, 1883, 8. 395 bis 425. — 24) A. Tschirch, Untersuchungen über das Chlorophyll (V). Berichte der deut- schen botanischen Gesellschaft 1883, S. 462 (Nov.). — 25) Arthur Meyer, Ueber Krystalloide der Trophoplasten und über die Chromoplasten der Angio- spermen. Botanische Zeitung 1883, Nr. 30—32. — %6) Ed. Tangl, Zur Mor- phologie der Cyanophyceen. Denkschriften der mathem.-naturw. Klasse der Wiener Akademie der Wissenschaften. Bd. 48, 1883. — 27) J. Reinke, Untersuchungen über die Einwirkung des Lichtes auf die Sauerstoffausschei- dung der Pflanzen. II. Mitteilung. Botanische Zeitung 1884, Nr. 1—4. [2] N. Pringsheim’s Arbeit, über welche in Nr. 3 des ersten Jahr- gangs dieser Zeitschrift referiert wurde, der bekannte Aufsatz „Ueber Liehtwirkung und Chlorophylifunktion“, und eine Publikation A. F. W. Schimper’s (1)'!) sind die Ausgangspunkte und Fermente gewesen, denen wir die Entstehung eines großen Teiles der in obigem Literaturver- zeichnis zusammengestellten Abhandlungen verdanken. Ueber Schim- per’s Publikation brauche ich mich nicht zu verbreiten, da dieselbe durch eine andere Arbeit desselben Autors, soweit sie uns hier in- teressiert, überholt ist. Ueber Pringsheim’s Arbeit möchte ich nur einige kurze Bemerkungen machen, damit der Leser dieser Zeitschrift, welcher die Hauptresultate der Abhandlung aus dem erwähnten Re- ferate kennt, über dieselbe aufs neue orientiert ist. Manche wichtige Thatsache, welche Pringsheim in derselben mitteilt, besteht noch zu Recht und verleiht der Arbeit dauernden Wert; die hauptsäch- lichsten Schlüsse, die Pringsheim aus den Thatsachen zog, haben sich als falsch herausgestellt. 1) Die eingeklammerten Zahlen beziehen sich auf die Nummern des Lite- yaturverzeichnisses, Meyer, Die Trophoplasten. 97 So haben Engelmann’s und Reinke’s (22) Untersuchung That- sachen zutage gefördert, welche zeigen, dass die Hypothese Prings- heim’s: „die nützliche Wirkung der grünen Farbe für die Pflanze liegt darin, dass sie die Atmungsgröße im Lichte herabsetzt“ unzu- lässig ist, während der von Tschirch (2) und mir (3) auf verschie- denen Wegen erbrachte Nachweis, dass Hypochlorin mit dem von Hoppe-Seyler (siehe diese Zeitschrift 1881, Nr. 3) untersuchten Chlorophyllan identisch ist, alle Folgerungen zunichte macht, welche Pringsheim auf die Hypothese gründete, das Hypochlorin sei das erste Assimilationsprodukt. Das Referat über die neuen Arbeiten kann ich wohl am besten durch die Mitteilung des Resultates einer Engelmann’schen Abhand- lung einleiten, welches die Wichtigkeit des Organes, mit dem wir uns hier beschäftigen wollen, in das rechte Licht stelit. Der Nach- weis, dass die Chlorophylikörner die Orte der Sauerstoffausscheidung und deshalb wohl auch die Organe seien, in welchen sich der Prozess der Kohlensäurespaltung und der Kohlenstoffassimilation abspiele, war mit Sicherheit bisher nicht geführt; obgleich man wusste, dass nur grüne Zellen Sauerstoff ausscheiden, dass farblose keine Kohlen- säure zu zersetzen vermögen. Engelmann ist es nun durch eine sehr sinnreiche Methode gelungen, den in Rede stehenden Nachweis zu liefern. Er zeigte (4 und 6), dass sich die Bakterien, namentlich die kleineren beweglichen Formen (Bacterium termo Cohn) infolge ihres großen Sauerstoffbedürfnisses als empfindliches Reagens auf Sauerstoff benutzen lassen. Er brachte einen Tropfen bakterienhalti- ges Wasser auf den Objektträger unter ein Deckglas und sah, dass die Organismen sich stets dort ansammelten, wo ihnen Sauerstoff ge- boten wurde, wie z. B. am Rande des Deckglases, dass ihre Bewe- gung erlahmte, wenn dieses Gas mangelte, dass sie lebhafter wurde, wenn auf irgend eine Weise freier Sauerstoff zugeführt wurde. Legte er z. B. ein Stückchen einer grünen Alge in die Bakterienflüssigkeit und beleuchtete es, so häuften sich in kurzer Zeit lebhaft schwärmende Bakterien um dasselbe an; verdunkelte er die grüne Zelle, so erloschen die Bewegungen der Spaltpilze, und die Organismen zerstreuten sich allmählich in dem Wasser. Diese Bakterienmethode wendete Engel- mann nun in geistreicher Weise zur Entscheidung der verschiedensten Fragen an. Schon in den ersten Mitteilungen (5, 6, 7) über seine Versuche findet sich viel interessantes. Dass es ihm gelingen musste, auch für rote, blaue und braune Algen den Nachweis zu liefern, dass dieselben im Lichte Sauerstoff ausscheiden, war vorauszusehen, da die Bakterienmethode diesen Nachweis für einzelne grüne Zellen gestattete. Interessanter ist die von Engelmann eruierte Thatsache, dass auch etiolierte Zellen des Blattparenehyms im Lichte sofort Sauerstoff ausgeben, ohne die Farbe wesentlich zu ändern. Sonder- bar und bemerkenswert erscheint es dem Ref., dass im Gegensatze Pa se 7° 100 Meyer, Die Trophoplasten. hierzu albinotische Blätter (7, S. 4) keine Sauerstoffausscheidung zeigten, obgleich diese stets mehr oder weniger gelbe Chlorophyll- körner enthalten. Den oben erwähnten Beweis, dass nur die Chlorophylikörner in kohlensäurehaltiger Luft unter dem Einflusse des Lichtes Sauerstoff ausgeben, führte Engelmann folgendermaßen. Das Präparat, welches die zum Experimente nötige grüne Pflan- zenzelle enthielt, wurde auf den Objekttisch gelegt und samt dem Mikroskope in Engelmann’s dunkeln Mikroskopierkasten (Pflüger’s Archiv, 18350, XXI, 8. 577) gebracht. Zwischen eine Gasflamme und das Mikroskop wurde eine Blende mit zwei kreisförmigen Oeff- nungen eingeschaltet, von welchen unter Anwendung eines total re- flektierenden Prismas und der Kondensatorlinse des Abbe’schen Be- leuchtungsapparates ein stark verkleinertes Bild im Niveau des Tropfens entworfen (6, S. 322) wurde, so dass der eine Lichtkreis ein Chloro- phylikorn, der andere eine farblose Plasmastelle traf. „Während an den erleuchteten farbstoffhaltigen Stellen sich alsbald die Bakterien in lebhaftem diehtem Gewimmel zusammendrängen, bleibt an den nicht farbigen Stellen im Lichte alles ausnahmslos so öde und unbe- weglich wie im Dunkeln“ (7, 5.5). Das farblose Plasma schied also im Lichte keinen Sauerstoff aus, während das Chlorophylikorn unter dem Einflusse des Lichtes sofort dieses Gas entwickelte. Die so gewonnene physiologische Thatsache, welche die An- nahme nahe legt, dass die Chlorophylikörner die Apparate sind, in welchen die Zerlegung der Kohlensäure und die Assimilation des Kohlenstoffes stattfindet, ist sehr geeignet, auch das Interesse für die Morphologie dieser Apparate zu steigern. Denn ohne die genaue Kenntnis des Baues nnd der Chemie der Chlorophylikörner kann es wohl nie gelingen, Einblick in den Verlauf der Vorgänge zu erlangen, deren Vorhandensein eine der wichtigsten Bedingungen für die Exi- stenz eines jeden organischen Wesens der Erde ist. Dieser Gesichtspunkt mag es begründen, dass wir vorerst das besprechen, was die neuen Arbeiten über die Morphologie und Chemie der Chlorophylikörner lehren, und dann die physiologischen Errungen- schaften neueren Datums vorführen. Bisher hatte man vielfach angenommen, dass der grüne Farbstoff, das Chlorophyll, in sehr vielen Fällen bei niederen Pflanzen und in manchen Fällen auch bei höheren Gewächsen?) im Protoplasma der 4) Ich will hier besonders darauf aufmerksam machen, dass bei höheren Gewächsen niemals durch Chlorophyll gefärbte „Plasmawolken* oder durch das „ganze Plasma der Zellen verteiltes Chlorophyll“ vorzukommen scheint. In neuester Zeit ist dies wieder für Cuscuta behauptet und auch sonst von manchen Autoren ausgesprochen worden. Alle bis zum Erscheinen meiner Abhandlung über das Chlorophylikorn in der zugänglichen Literatur beschrie- benen Fälle der Art habe ich geprüft. Die Angaben schienen sämtlich auf Meyer, Die Trophoplasten. 101 Zelle verteilt sei, hatte also geglaubt, dass vielen Pflanzenzellen dis- tinkte Chlorophylikörner fehlten; von den scharf begrenzten Chloro- phylikörnern aber, wie sie leicht bei höheren und niederen Gewächsen in erwachsenen Zellen beobachtet werden konnten, meinte man, dass sie in jeder Zelle neu entständen, dass sie gleichsam aus dem ur- sprünglich homogenen Plasma herauskrystallisierten. Diese Anschau- ungen sind durch die neuen Untersuchungen von Schmitz (8), Schimper (9) und mir (10) wohl durch riehtigere ersetzt. Die gleichzeitig von Schmitz an Algen und von mir an Angio- spermen gemachten Untersuchungen führten zu dem Resultate, dass sich die Chlorophylikörner nur durch Teilung fortpflanzen, niemals neu entstehen, und dass die Chlorophylikörner bei allen höheren Pflan- zen und den meisten niederen, in gleicher Weise wie die Zellkerne, be- sondere scharf begrenzte Organe desZellleibes sind. Die, mfolge der von Schmitz erhaltenen Resultate, von Schimper unternommenen Unter- suchungen haben gleichfalls Thatsachen zutage gefördert, welche die in Rede stehende Anschauung als richtig erscheinen lassen und des weiteren stützen. Alle Pflanzen, mit Ausnahme der Pilze und der Cyanophyceen, be- sitzen solche den Zellkernen analoge eigenartige Organe. Für die letztere Gruppe, deren Gliedern die Fähigkeit der Kohlenstoffassimilation zu- kommt, hält Schmitz das Fehlen geformter Organe fest und glaubt, dass das Gesamtplasma dieser Organismen zugleich die Funktion der Zellkerne und Chlorophylikörner versieht. Dagegen hat Tangl (26) auch bei einer Cyanophycee, welche er genau untersucht, einen scharf begrenzten Farbstoffträger auffinden können. Wie aus dem Folgenden ohne weiteres hervorgehen wird, hat die erweiterte Erkenntnis der in Rede stehenden Organe der Pflanzenzelle einen neuen Namen für den neuen Begriff nötig gemacht; leider hat jeder der Autoren für die Organe eine eigene Bezeichnung gewählt, auch Schimper, welcher die Arbeit von Schmitz kannte. Schmitz nennt die Organe Chromato- phoren, Schimper Plastiden, ich habe sie Trophoplasten (Nahrungs- bildner) getauft. Weshalb ich jetzt nicht mehr im Interesse der Ein- fachheit die Bezeichnungsweise von Schmitz adoptiere, sondern die meinige beibehalte, will ich weiter unten begründen. Zuerst mag den drei zitierten Arbeiten nur das entnommen sein, was die Vermehrungs- weise der Trophoplasten betrifft. In vielen Fällen, z. B. bei den vegetativen Fadenzellen von Algen, wie Spirogyra (8, S. 106), Mesocarpus, Conferva, Ulothrix, bei gefärb- ungenauer Beobachtung zu beruhen, da ich überall scharf begrenzte Tropho- plasten als Träger des Chlorophylis fand. Cuscuta habe ich nieht untersucht, doch wird das Chlorophyll dort höchst wahrscheinlich ebenso wie bei anderen Schmarotzern an Trophoplasten gebunden sein. Ebenso verhält es sich nach Schmitz (8, S.5) bei den Algen, welche niemals „formloses Chlorophyll“ enthalten. 102 Meyer, Die 'Trophoplasten. ten vegetativen Thalluszellen von Ulva, Coleochaete ete. ist es leicht zu sehen, dass die vorhandenen Trophoplasten sich während oder nach der Teilung der Zellen teilen und so den neuen Trophoplasten- individuen der Tochterzellen ihren Ursprung geben. Schwieriger lässt sich die Vermehrung der Trophoplasten durch Teilung an den kleinen Meristemzellen mancher Algen beobachten, relativ leicht noch bei solehen, deren Meristem durch grünliche Trophoplasten gefärbt ist, wie bei Batrachospermum, Callithamnion (8, S. 108), sehr schwer bei Algen mit farblosem Meristem. Die größten Schwierigkeiten bereite- ten Schmitz die Characeen (8, S. 109); aber schließlich gelang es ihm doch, im Innern der Scheitelzellen selbst wohl abgegrenzte, sehr kleine, fast farblose, scheibenförmige Organe zu erkennen, als deren Teilprodukte alle im übrigen Gewebe der Alge vorkommenden 'Tropho- plasten anzusprechen sind. Die Trophoplasten in den Meristemen der Phanerogamen sind meist farblos oder sehr wenig gefärbt. Bei dieser Pfianzengruppe tritt deshalb die Schwierigkeit, welche Schmitz bei den Characeen zu überwinden hatte, fast überall auf. Dennoch gelingt es auch hier, wie ich gezeigt habe (10, S. 79), in den Meristemzellen der Vegeta- tionspunkte die im Gegensatze zu dem Zellkerne äußerst kleinen Trophoplasten nachzuweisen. Schimper führt als gutes Material für den Nachweis der Trophoplasten im Meristeme Dahlia an. Ihm istes auch gelungen, schon in der achtzelligen Embryokugel von Linum austriacum grüne Trophoplasten zu beobachten (9, 5. 110). Aus den kleinen, meist farblosen Trophoplasten der Meristemzellen der Phanero- gamen entstehen nun nicht allein die grünen Trophoplasten, die Chloro- phylikörner, sondern es können daraus auch Trophoplasten entstehen, welche im völlig entwickelten Zustande farblos bleiben und solche, welche gelb oder gelbrot werden. Wo z.B. das Produkt der Teilung einer Meristemzelle mit zum Aufbaue einer unterirdischen Wurzel oder eines Rhizomes dient, entwickeln sich aus den jungen Trophoplasten keine Chlorophylikörner, sondern den Chlorophylikörnern homologe, farb- lose Organe, die ich Anaplasten nannte. Der Name geht auf ihre Fähig- keit, von den Chlorophylikörnern erzeugte Assimilationsprodukte um- zubilden. Schimper bezeichnete diese Form der Trophoplasten zu- erst als Stärkebildner, dann als Leukoplastiden (9). Wo im andern Falle aus dem farblosen Meristeme ein gefärbtes Blütenblatt oder ein im reifen Zustande gefärbtes Karpell hervorgeht, tritt häufig der Fall ein, dass die Trophoplasten eine gelbe oder orangegelbe Farbe annehmen und zu Gebilden werden, welche wesent- lich nur die Erzeugung eines intensiv gefärbten Stoffes, des Xanthophylis, zur Aufgabe zu haben scheinen, und denen ich deshalb den Namen Chromoplasten beigelegt habe (Schimper nennt sie Chromoplastiden). Ganz ähnlich, wie ich es für die Trophoplasten der Angiospermen dargestellt, verhält sich die Sache nach Sehmitz auch bei den Algen. Meyer, Die Trophoplasten. 105 Farblose Trophoplasten, Anaplasten, finden sich ziemlich häufig in den Rhizoiden (8, S. 88) der Algen; dagegen scheinen Chromoplasten bei dieser Pflanzengruppe sehr selten zu sein. Als prägnantestes Beispiel führt Schmitz die roten Chromoplasten der Antheridienwan- dungen der Characeen auf. Die Autoplasten vieler Algen sind be- kanntermaßen ebenso durch Chlorophyll grün gefärbt wie die ana- logen Organe der Phanerogamen; bei großen Gruppen der Algen be- sitzen dagegen die Trophoplasten, welche .als Assimilationsorgane fungieren, eine rote oder auch braune Farbe, indem bei ihnen das Chlorophyll gegenüber ähnlichen roten und braunen Farbstoffen zu- rücktritt. Die Schwierigkeit, die hier für die Nomenklatur von Schmitz und Schimper bei einem Versuch einer zweckmäßigen Be- zeichnung dieser Organe erwächst, ist der oben erwähnte Grund da- für, dass ich meine Bezeichnungsweise beibehalten habe und für die zweckmäßigere halte. Schmitz, welcher die Trophoplasten Chro- matophoren nennt, will die roten und braunen Trophoplasten als Ery- throphoren und Phaeophoren bezeichnen. Nach demselben Prinzip lässt sich aber dann kaum ein passendes Wort für die Anaplasten, noch weniger ein solches für die ebenfalls roten Chromatoplasten der Algen bilden. Schimper’s Bezeichnung der Autoplasten, Chloroplasti- den, lässt sich nicht für die roten und braunen Autoplasten der Algen verwenden. Um dem Leser eine leichtere Orientierung über die ver- schiedenen Bezeichnungen der Trophoplasten zu ermöglichen, sei hier noch eine kleine Tabelle eingefügt. Trophoplasten. Gesamtbezeichnung für alle hierher gehörenden, den Zellkernen analogen Or- gane der Pflanzenzelle auch für deren indifferente Jugendzustände in den Meri- stemzellen der Pflanzen. Synonyme: Chromatophoren (Schmitz), Plastiden (Schimper). Autoplasten. Anaptasten. Chromoplasten. Gefärbte, assimilierende | Farblose oder schwach | Rotgelbe od. gelbe Farb- Trophoplasten. gelbliche, chlorophylifreie | stoffe (Xanthophylle) in Trophoplasten, welche | reichlicher Menge erzeu- nicht assimilieren und | gende Trophoplasten, wel- meist in wnbeleuchteten | che in Fruktifikationsor- Pflanzenteilenvorkommen. | ganen der Pflanzen auf- treten und die biologische Funktion erfüllen, die Auf- fälligkeit der Fruktifika- tionsorgane zu erhöhen. Hieher gehören die| Ihnen entsprechen die) Ihnen entsprechen die Chlorophyllkörsner BHeukeoplastiden meisten der früher als der grünenPfianzen,welche |Schimper’s. Farbstoffkörger be- Schmitz Chioropheo- ı zeichneten Bestandteile ren, Schimper Chhloro- der Zellen und die Chro- plastiden nennt, ferner moplinastiden Schim- die Chlorophylikörner der per’s. roten und braunen Algen, welche Schmitz als Eıry- throphoren und | Phaeophoren be- zeichnet, 104 Meyer, Die 'Trophoplasten. Wie ich schon oben sagte, finden sich wahrschemlich bei allen höheren und den meisten niederen Pflanzen Trophoplasten, und zwar behalten alle Zellen dieser Organismen in allen Stadien ihres Lebens in der Regel die Trophoplasten bei. Es gleichen auch darin die Trophoplasten den Zellkernen; nur werden die ersteren viel leichter rudimentär als die letzteren. Bei den Pilzen hat man noch keine Trophoplasten beobachtet; doch ist es immerhin möglich, dass auch bei dieser Pflanzengruppe solche Organe oder deren Rudimente auf- gefunden werden. Bei phanerogamen Schmarotzergewächsen, auch bei farblosen, schwinden die Trophoplasten nicht, sondern sind sogar häufig recht gut ausgebildet. Bezüglich der in tierischen Zellen vor- kommenden Trophoplasten hat sich in neuerer Zeit durch eine Reihe von Arbeiten, von denen nur die von Brandt (18 und 19) erwähnt sein mögen, die Ansicht Bahn gebrochen, dass Trophoplasten den Zellen der Tiere fehlen. In der That haben es diese neueren For- schungen höchst wahrscheinlich gemacht, dass alle durch Chlorophyll oder Xanthophyll gefärbten Zellen, welche in Tieren gefunden wer- den, Algenzellen sind, die sich dort eingemietet haben. Da aber völlig zwingende Beweise für die entwickelte Anschauung noch fehlen, so ist dieselbe auch noch mit Vorbehalt aufzunehmen. Keinesfalls darf man zugeben, dass der Ausspruch von Brandt „Selbstgebildetes Chlorophyll fehlt den Tieren vollständig“ zweckmäßig ist. Zwischen dem Tier- und Pflanzenreiche gibt es ja überhaupt keine scharfe Grenze und im weiten Grenzgebiete finden sich Gruppen von Orga- nismen, wie die Euglenaceen, welche gut ausgebildete Autoplasten besitzen. Es ist deshalb wohl denkbar, dass sich auch bei denjeni- gen dieser niederen Organismen, welche man hergebrachter und zweck- mäßiger Weise zu den Tieren rechnet, Trophoplasten oder deren Ru- dimente finden können; z. B. wäre dieses für die Vortieellen nicht auffallend. Bei letzteren soll nach Engelmann (20) hie und da dif- fuses Chlorophyll vorkommen. Für höhere Tiere dagegen ist es kaum anzunehmen, dass sie Autoplasten inihren Zellen ausbilden. Es wäre, selbst wenn die Stammeltern der Tiere Trophoplasten besessen hätten, höchst merkwürdig, wenn sich diese Organe, welche schon bei den Pilzen so weit reduziert sind, dass sie niemals auffällig werden, bei den viel kompliziertere Nahrung zu sich nehmenden Tieren durch so lange phylogenetische Perioden hindurch in so ausgebildeter Form erhalten haben sollten, insbesondere da bei dem sporadischen Vor- kommen in vereinzelten Spezies verschiedener Gruppen nieht ange- nommen werden kann, dass die Trophoplasten während der ganzen Zeit der phylogenetischen Entwickelung hindurch eine wichtige physiolo- gische Rolle gespielt haben sollten. Ueber die Autoplasten. Ueber den Bau und die Mikrochemie der Trophoplasten haben uns die drei vorhin erwähnten Arbeiten (8, 9, 10) mancherlei neues gebracht. In sehr eingehender Weise hat Meyer, Die Trophoplasten. 105 Schmitz die Autoplasten der Algen studiert. Ueber die äußere Form der bei den Algen so mamnigfaltig gestalteten Organe handelt das zweite Kapitel der interessanten Arbeit (8) von Schmitz ziemlich ausführlich. Ueber die Gestaltung der Autoplasten der Angiospermen ist wenig zu sagen und nur über die Faktoren, welche die Formver- änderungen derselben in der lebenden Zelle bedingen, finden sich in meiner Abhandlung (10) einige neue Details. Dass auch die Auto- plasten der Algen, wie man es für die der Phanerogamen wohl all- gemein annahm, stets rings von dem farblosen Protoplasma der Zelle umschlossen sind, niemals direkt an Zellmembran oder Zentralvakuole grenzen, hat Schmitz genau untersucht und im vierten Kapitel seiner Arbeit besprochen. Die alte Frage, ob die Autoplasten eine eigne Membran besitzen, hat Schmitz keiner erneuten Prüfung unterzogen. Ich habe bei den Trophoplasten der Angiospermen vergeblich nach einer Membran gesucht; es ist von einer solchen absolut nichts zu sehen, weder an gehärtetem, noch an frischem Materiale — weder in Schnitten, noch in intakten Zellkomplexen, wie sie in den Blättern von Elodea canadensis vorliegen, die ich sorgfältig untersucht habe. A. Tschirch dagegen hat eine solche Hyaloplasmahaut, die zum Korn gehört (11, S. 205) „besonders bei Wasserpflanzen sehr deutlich, aber auch sonst ohne Schwierigkeiten“ (12, 5. 3) nachgewiesen. Die feinere Struktur der Autoplasten wurde bekamntlich durch Pringsheim besonders genau untersucht. Pringsheim schloss aus seinen Beobachtungen, dass der Autoplast aus einem schwammförmigen Plasmagerüste bestehe, welches im normalen Zustande von dem öl- artig flüssigen Träger des Chlorophylifarbstoffes, dem Lipochlor und von dem Hypochlorin durchtränkt sei. Hypochlorin ist, wie ich schon oben erwähnt habe, Chlorophyllan; Lipochlor ist ein hypothetischer Körper, für dessen Vorhandensein durchaus keine Thatsache spricht (10 5. 16). Zur Annahme einer Schwammstruktur des Plasmagerüstes ist Pringsheim hauptsächlich dureh die Bilder gelangt, welche er nach Behandlung der Autoplasten mit Salzsäure, Alkohol ete. erhielt. Ich (10, S. 23) habe dagegen durch Beobachtung der intakten Organe eine andere Anschauung gewonnen. Es scheint mir sicher, dass in allen den Fällen, in welchen man durch Behandlung der Autoplasten mit Lösungsmitteln des Chlorophylis, die zugleich das Plasma schnell härten, ein so regelmäßig vakuoliges Gerüste erhält, wie es Prings- heim z. B. für Vallisneria abbildet, keine eigentliche Schwammstruk- tur vorliegt. Die Autoplasten, welche ein solches Gerüste liefern, bestehen vielmehr im lebenden Zustande aus einer fast oder ganz farblosen Grundmasse, in welche mehr oder weniger zahlreiche dun- kelgrüne Kugeln eingebettet sind. Letztere sind, wenigstens der Hauptmasse nach, Chlorophyll. Das Chlorophyll ist vielleicht an einen festen quellbaren Körper gebunden; dafür, dass es in einem fetten oder ätherischen Oele gelöst sei, spricht keine Thatsache. Diese 106 Meyer, Die Trophoplasten. Kugeln, die ich zum Unterschiede von ähnlichen Kugeln oder Körnern, welche sich zuweilen in den Autoplasten finden, Grana nannte, lassen sich übrigens durchaus nicht in allen Autoplasten oder in allen Ent- wickelungsstadien dieser Organe sehen. Die Frage nach ihrer Natur bedarf noch eines genauen Studiums, da grade über die Entwicke- lungsgeschichte und über den Chemismus der verschiedenen Alters- stadien der Autoplasten noch jede eingehende Untersuchung fehlt. Tschirch (13, S. 2 und 24, S. 468), weleher sich ebenfalls mit der feineren Struktur der Autoplasten der Angiospermen beschäf- tigt hat, hält noch an der Pringsheim’schen Auffassung fest, „dass der Chlorophylifarbstoff, in einer Flüssigkeit der Art der ätherischen Oele gelöst, den Plasmaschwamm durchtränkt, aber durchaus nicht als homogene Masse das ganze Korn erfüllt, sondern etwa als dich- ter Wandbeleg die Wandungen der Maschen auskleidet“. Tschirch stützt sieh dabei nur noch auf eine Differenz, welche zwischen dem Absorptionsspektrum des Chlorophylis der lebenden grünen Blätter und des von ihm dargestellten sogenannten Reinchloro- phylis (24, Taf. XIV) besteht. Diese Differenz könnte allerdings er- klärt werden, wenn man annähme, das Reinchlorophyll Tschirch’s sei völlig identisch mit dem Chlorophyll der lebenden Blätter, und das Chlorophyll der lebenden Blätter sei in einem ätherischen Oele von bestimmten physikalischen Eigenschaften gelöst. Der Beweis für die vollkommene Identität des Reinchlorophylis und des Chlorophylis der lebenden Blätter ist aber vorläufig noch nicht geführt, und schon deshalb ist diese Stütze der Pringsheim’schen Anschauung nicht zwingend. Die Darstellung, welche Schmitz (5, Kap. V) von der Struktur der Algenautoplasten gibt, stimmt recht gut mit meinen Anschauungen überein. .Im lebenden Zustande erscheinen die meisten Autoplasten, mögen sie grün, rot oder braun gefärbt sein, durchaus homogen; doch ist ihre Substanz niemals vollkommen klar durchsichtig. Zuweilen jedoch lässt sich bereits am lebenden Materiale eine feine innere Struktur wahrnehmen. Z. B. sah Schmitz bei Spirogyra majuscula die lebenden Autoplasten in ihrer ganzen Masse sehr deutlich derb punktiert, in der Weise, dass zahlreiche dunklere Punkte die heller grüne Autoplastensubstanz durehsetzten. Schmitz führt übrigens die schwammig poröse Struktur der Autoplasten, welche Pringsheim beobachtete, auf die zerstörende Wirkung der Reagentien zurück, was durchaus nicht für alle Fälle zutrifft. Was die Stoffe anbelangt, welche die Trophoplasten zusammen- setzen, sei zuerst das über die Autoplasten Bekannte erwähnt, und zwar möge hier im Anschlusse an das Obige zuerst folgen, was Schmitz (8, 8. 35 und 36) über die Autoplasten der Algen sagt. Wir können nach ihm eine Grundsubstanz der Autoplasten annehmen, welche ihrer chemischen Natur nach dem Protoplasma der Zelle sehr Meyer, Die Trophoplasten. 10% nahe steht. In dieser Protoplasmagrundlage finden sich Hohlräume, die von einer gefärbten Substanz erfüllt sind, welche vielleicht flüssig, vielleicht fest ist. Eine bestimmte Entscheidung lässt sich über letz- teren Punkt nicht treffen. In der That kannten wir, wie ich in meiner Abhandlung (10) auseinandergesetzt habe, bisher mit Sicherheit keine anderen Bestandteile der Autoplasten als das Chlorophyll und das Plasma. Das Plasma enthält Stoffe, welche sich nach ihrem mikro- chemischen Verhalten mit dem von Reinke eingeführten Namen „Plastin“ bezeichnen lassen. Diese gegen Lösungsmittel, starke Säure ete., schr widerstandsfähigen Körper bilden das, was ich als Gerüste bezeichne. Außer diesen Stoffen kommt, wie Zacharias (14, 5. 221) zeigte, wahrscheinlich Eiweiß in den Autoplasten vor. Ueber das Chlorophyll, den Stoff, welchem die Autoplasten die grüne Farbe verdanken, haben uns die Untersuchungen der letzten Jahre in chemischer Beziehung wenig positives gebracht. Allerdings hat Tsehirch eine ganze Reihe von sehr beachtenswerten Abhand- lungen publiziert, welche die chemische Untersuchung des Chloro- phylis betreffen und in manche Fragen Licht gebracht haben; doch sind die von Tschirch erhaltenen Stoffe alle noch zu wenig von ihm untersucht und definiert worden. Als das hauptsächlichste und in- teressanteste Resultat der Arbeiten ist die Darstellung eines Körpers zu bezeichnen, welcher fast genau dasselbe Spektrum zeigt wie die lebenden grünen Blätter. Dieses schon erwähnte „Reinchlorophyll“ Tsehirch’s wurde aus krystallisiertem Chlorophyllan durch Reduktion mittelst Zinkstaub erhalten, (15) wartet aber auch noch der Rein- darstellung und der genauern Untersuchung. Die Möglichkeit, aus dem Chlorophyllan durch Reduktionsmittel einen dem Chlorophyll ähnlichen Körper herzustellen, macht die auch schon früher (10, S. 21) von mir vertretene Anschauung höchst wahrscheinlich, dass das Chloro- phyllan ein Produkt der Einwirkung von Sauerstoff und Säuren auf das Chlorophyll ist. Es ist dann auch zu vermuten, dass Tschirch’s Reinchlorophyll im reinen Zustande dem Chlorophyllan in seinen phy- sikalischen Eigenschaften (mit Ausnahme einiger optischen) sehr nahe stehen wird. Es ist hier der Ort, einer von Borodin ausgeführten mikro- chemischen Untersuehung zu gedenken. Borodin (16) ließ in einem geschlossenen Glase grüne Pflanzenteile mit wenig Alkohol übergossen 24 Stunden lang stehen und erhielt dann nicht nur sogenannte Chloro- phylikrystalle (welche, wie auch Tschirch annimmt (15, 8. 22) wahrscheinlich Chlorophyllankrystalle waren), sondern hauptsächlich noch zwei andere Arten von Kıystallen, gelbe und rote. Die roten Krystalle hat auch Frank (13, 5.20) unabhängig von Borodin aus Autoplasten durch Einwirkung verdünnter Säuren erzeugt. Nach Borodin gehören die roten Krystalle wahrscheinlich dem Erythro- phyll Hoppe-Seyler’s an, die gelben dem Xanthophyll. Diese An- 408 Meyer, Die Trophoplasten. nahmen halte ich für höchst wahrschemlich, und ich glaube, dass man das Erythrophyll und das Xanthophyll als in geringer Menge vorkommende normale Begleiter des Chlorophylis auffassen darf, die vielleicht in engerer chemischer Beziehung zu dem Chlorophyll stehen. Hansen (17) hat eine vorläufige Mitteilung über den gelben Farb- stoff des Chlorophylis gemacht, welchen er krystallisiert erhalten hat. Obgleich Hansen die Kühne’sche Methode anwendete, also den Al- koholauszug der Blätter mit Natron verseifte, soll nach ihm der er- haltene Farbstoff doch im intakten Chlorophylikorne vorkommen. Auch Tschirch glaubt, dass dasChlorophyll im lebenden Korne von Xanthophyll begleitet wird (12, S. 18), dagegen will er das Erythro- phyll Bougarel’s als Spaltungsprodukt des Chlorophylis betrachtet wissen (11, $. 20). Mir scheint nach den vorhandenen Thatsachen kein Grund gegen die Annahme vorzuliegen, dass auch das Erythro- phyll als normaler Begleiter des Chlorophylis auftritt, wodurch nicht ausgeschlossen ist, dafs es zugleich als ein Zersetzungsprodukt des Chlorophylis selbst aufzufassen ist. Ueber die Anaplasten und Chromoplasten. Ueber die Morphologie und Chemie der Anaplasten habe ich allein (10, Kap. HI) etwas eingehendere Studien gemacht, welche ergaben, dass man die Anaplasten nicht ohne weiteres als die farblose Grundlage der Autoplasten ansehen darf, wie es Schmitz und Sehimper wollen, sondern dass diese Organe der Zelle außer dem etwas schwächer als bei den Autoplasten ausgebildeten Plastingerüste noch eine Reihe anderer, farbloser Stoffe enthalten können, deren Vorkommen bei den Autoplasten nicht zu konstatieren ist. Auch die Chromoplasten besitzen stets ein Plastingerüste, also auch eine protoplasmatische Grundlage. Die typischen Chromoplasten, wie sie in den Blüten und Früchten vorkommen, sind rotgelb oder gelb gefärbt. Diese Farbe verdanken sie Körpern, welche dem Chlorophyll in manchen Eigenschaften ähnlich sind, welche ich in mikroskopischen Krystallen darstellte und vorläufig ebenfalls als Xanthophylle bezeichnet habe. Ich habe (10, 8.43 u. 25) gezeigt, dass die gelben und gelbroten Xantho- phylle nieht das gleiche mikrochemische Verhalten aufweisen, und es scheint mir, dass auch in den Chromoplasten hauptsächlich zwei Farbstoffe vorkommen, ein gelber (ein Xanthophyli) und ein roter (ein Erythrophyli), welche vielleicht mit dem Erythrophyll und Xantho- phyll der Autoplasten identisch sind. Ich möchte dann die Sache so auffassen, dass in den Trophoplasten der Angiospermen hauptsächlich drei Farbstoffe erzeugt werden können. In den Autoplasten findet sieh Chlorophyll in relativ großer Menge, begleitet von wenig Xantho- phyll und Erythrophyll. Entwickelt sich ein Trophoplast zu einem Chromoplasten, so bildet sich wenig oder kein Chlorophyll, und Xanthophyll und Erythrophyll in größerer Menge und in wechselndem Verhältnis. Der gelbe und rote Farbstoff können dabei immerhin Meyer, Die Trophoplasten. 109 Derivate des Chlorophylis selbst sein. Hie und da scheint in älteren Zuständen der Chromoplasten auch Chlorophyllan vorzukommen, wel- ches aus dem Chlorophyll entstanden ist. Ueber die besprochenen Fragen kann nur eine makrochemische Untersuchung den endlichen Aufschluss geben. Wie gesagt, hat Hansen dieselbe begonnen und auch die Blütenfarbstoffe in Angriff genommen. Es ist ihm gelungen, das Xanthophyll aus Ranuneulus, Oytisus, Rosa u. a. krystallisiert zu erhalten, wozu bemerkt sei, dass Hartsen schon 1875 den Farbstoff aus den Früchten einer Solanum- Art makrochemisch in Krystallen erhalten hat, wäbrend er aus den Blüten von Ranunculus keinen krystallisierten Farbstoff darstellen konnte. Von den Einschlüssen der Trophoplasten will ich nur die Pyrenoide erwähnen. Diese interessanten Gebilde hat Schmitz in seiner Abhandlung sehr ausführlich besprochen. Sie sind den Auto- plasten der Algen eingelagert und finden sich sehr häufig bei den Chlorophyceen (8, S. 41), seltener bei den Rhodophyceen, während sie den Phaeophyceen völlig zu fehlen scheinen. Sie bestehen aus einer homogenen, farblosen (8, S. 47) Substanz, welche je nach der Alge, der das Pyrenoid angehört, etwas verschiedene physikalische und mikrochemische Eigenschaften zeigt, aber überall Reaktionen gibt, die auf die Zugehörigkeit der Pyrenoidsubstanz zu den Proteinstoffen schließen lassen. Entweder in der Nähe der Pyrenoide (Euglena, Helminthocladia) oder dicht um dieselben lagern sich die Paramylon- oder Amylumkörner der Algen, und Pyrenoid und Stärkekörner zu- sammen bilden dann die sogenannten Stärkeherde. Gewöhnlich findet man also die Pyrenoide von Stärkekörnern umlagert. Werden die letzteren gelöst, so bleiben die nackten Pyrenoide in den Auto- plasten zurück. Aber nicht nur bei den erwähnten Algengruppen, sondern auch bei einer Gruppe der Moose, den Anthoceroteen, kommen Pyrenoide vor (8, 8.41). Auch bei den Monokotyledonen finden sich Gebilde, welche wahrscheinlich mit den Pyrenoiden der Algen homo- log (25) und, wie die letzteren, wahrscheinlich als in, fester Form ab- gelagerte stickstoffhaltige Reservestoffe zu betrachten sind. Bei den Dikotyledonen scheinen Pyrenoide nicht mehr aufzutreten. Die Physiologie der Autoplasten hat in erster Linie durch Engelmann eine bedeutende Förderung erhalten. — Obgleich es aus mancherlei theoretischen Gründen von vorneherein wahrscheinlich erschien, dass diejenigen Strahlengattungen des Sonnenlichtes, welche von dem lebenden Autoplasten hauptsächlich absorbiert werden, auch diejenigen seien, welche die Zerlegung der Kohlensäure bewirken; obgleich ferner diese Annahme durch N. J. C. Müller’s Unter- suchungen aus dem Jahre 1872 höchst wahrscheinlich gemacht wor- den sind, war doch durch die Untersuchungen Pfeffer’s zuletzt die Anschauung herrschend geworden, das erwähnte Verhältnis habe 110 Meyer, Die Trophoplasten. nicht statt. Pfeffer’s Untersuchung schien zu zeigen, dass die- jenigen Strahlen, welehe durch Vermittelung unseres Auges die größte Helligkeitsempfindung hervorrufen, also diejenigen, deren Wellenlänge etwa 0,000058 mm ist, auch die bei der Kohlenstoffassimilation wirk- samsten seien. Engelmann hat nun durch die sogleich zu beschrei- benden Untersuchungen gezeigt, dass diese Ansicht unrichtig ist. Er brachte (21) einen grünen Algenfaden unter das Mikroskop, fügte bakterienhaltiges Wasser zu der Pflanze und entwarf mittels eines von ihm angegebenen, von Zeiss gebauten Apparates ein mikros- kopisch kleines Spektrum in der Ebene des Algenfadens und zwar so, dass die Frauenhofer’schen Linien senkrecht auf der Längs- richtung des Fadens standen. Nun beobachtete Engelmann, in welchen Strahlengattungen des Sonnenspektrums die Autoplasten des Algenfadens die stärkste Sauerstoffausscheidung, also auch die kräf- tigste Wirkung auf die Bakterien zeigten. Es trat hauptsächlich an den Teilen des Fadens eine starke Ansammlung der Bakterien auf, welche von den roten Strallen der Region zwischen B und C des Sonnenspektrums getroffen wurden und ferner an den Teilen, welche in der Region der blauen Strahlen, etwa bei F lagen. Aus diesen Versuchen ergab sich also, dass nieht den gelben Strahlen, welche in unserem Auge die größte Helligkeitsempfindung hervorrufen, sondern den roten Strahlen die stärkste Wirkung bei der Zersetzung der Kohlensäure zukommt, dass aber den blauen Strahlen. eine nur wenig geringere Wirkung zuzusprechen ist als den roten. Nun sind diese Strahlengattungen, welche die grünen Autoplasten am kräftigsten zur Sauerstoffausscheidung veranlassen, auch diejenigen, welche am reich- liehsten von dem Chlorophyll der lebenden Pflanze absorbiert werden, und man kann deshalb auch sagen, dass diejenigen Strahlengattungen die kräftigste assimilatorische Wirkung hervorbringen, welche am besten von dem Autoplasten absorbiert werden. Von höchstem Interesse war die Entdeckung Engelmann’s, dass sich der letzte Satz auch direkt auf die braunen, blaugrünen und roten Autoplasten der Algen übertragen lässt. Bei der Prüfung der letzteren mittels der Bakterien- methode im mikroskopischen Spektrum fand er nämlich, dass auch bei ihnen Maxima der Sauerstoffausscheidung zusammenfielen mit Maximis der Absorption, Minima mit Minimis. Bei den Algenzellen, welehe rote Autoplasten besitzen, tiben also z. B. die grünen Strahlen die maximale assimilatorische Wirkung aus, während den roten Strahlen, welche die grünen Autoplasten am kräftigsten erregen, eine minimale Wirkung zukommt. Es geht also, um es nochmals zu wie- derholen, aus diesen Versuchen hervor, was vom theoretischen Stand- punkte das Einleuchtendste und Einfachste schien, „dass Lichtstrahlen im allgemeinen um so stärker assimilierend wirken, je mehr sie ab- sorbiert werden“ (7, S. 12). Die Methode, durch welche das eben besprochene Resultat ge- Meyer, Die Trophoplasten. 111 wonnen wurde, erscheint als eine so eigentümliche und subtile, dass eine sorgfältige makrophysikalische Untersuchung der in Rede stehen- den Verhältnisse, wie sie Reinke (27) in letzter Zeit ausgeführt hat, von Bedeutung ist, und diese Untersuchung wird um so in- teressanter, als sie Engelmann’s Ansichten im wesentlichen be- stätigt. Ich will deshalb auf die Arbeit Reinke’s ebenfalls etwas näher eingehen. Reinke benutzte die schon oft zu demselben Zwecke angewendeten Sprosse von Zlode« . als Versuchsobjekt und einen neuen, von ihm konstruierten Apparat, den er Spektrophor nennt, zu seinen Experimenten. Die letzteren beschreibt Reinke mit folgenden Worten. Durch einen vertikalen Spalt in der Wand des Dunkel- zimmers wird mittels des Heliostaten ein horizontales Strahlenbündel gesandt, welches auf ein Steinheil’sches Fernrohrobjektiv fällt, das in geeigneter Entfernung hinter dem Spalt genau vertikal aufgestellt ist. Das durch das Fernrohrobjektiv gegangene Licht fällt auf ein hinreichend großes, in der Stellung minimaler Ablenkung befindliches Prisma von 60° brechender Kante, und die durch dasselbe disper- gierten Lichtstrahlen liefern auf einem in der zum Spalt konjugiert gelegenen Ebene aufgestellten Schirm ein scharfes und reines objek- tives Spektrum. Dieser Schirm, der als Diaphragma bezeichnet wer- den kann, besteht aus zwei vertikal stehenden ebenen Brettern von hinreichenden Dimensionen, die auf einem Schlitten derart verschieb- bar sind, dass ihre Ränder einander vollständig genähert oder in einen gewissen Abstand gebracht werden können, durch welchen dann ein beliebiger Teil der Strahlen des Spektrums hindurehfällt. Unmittelbar hinter dem Diaphragma befindet sich eine ebenfalls vertikal aufrecht stehende große Konvexlinse, der Kollektor, auf welche die durch das Diaphragma gegangenen Strahlen fallen, um im Focus dieser Linse zu einem kleinen Lichtbilde von 1—2 Qua- drateentimeter Größe gesammelt zu werden. Das Diaphragma in dieser Form gestattet nun, von beiden Enden des Spektrums aus- gehend, beliebige Bezirke desselben abzublenden und die nicht ab- sorbierten Strahlen zu farbigen Bildern im Focus des Kollektors zu vereinigen. „Handelt es sich darum, einzelne mittlere Bezirke aus dem Spektrum auszuschalten, so werden die beiden Hälften des Dia- phragmas weit auseinander gezogen und an der Stelle, wo die Ab- sorption stattfinden soll, wird ein schmales Brettehen eingestellt, welches grade so breit ist wie der Spektralbezirk, den man zu ab- sorbieren beabsichtigt.“ In den Focus des Kollektors brachte Reinke einen Spross von Elodea, welcher im einem großen Glasgefäß mit Wasser stand. Er blendete dann suceessive die verschiedenen Partien des Spektrums ab, so dass stets nur kleine Bezirke des letzteren ihr Licht auf die Pflanze sandten, und verglich die assimilatorische Wir- kung der verschiedenen Lichtstrahlen, indem er die Energie der Gas- blasenausscheidung des Zlodea-Sprosses als Maß der Assimilations- 4149 Meyer, Die Trophoplasten. energie benutzte. Er kam so zu dem Resultate, dass das Maximum der assimilatorischen Wirkung von denjenigen Strahlen des Sonnen- spektrums hervorgebracht wird, welche der Stelle des Absorptions- bandes I des Chlorophylis der lebenden Pflanze entsprechen. Dagegen entsprechen den sekundären Absorptionsmaximis des Chlorophylis, den Bändern II und III keine sekundären Maxima der Ausscheidung der Gasblasen, ebensowenig dem in der Nähe von F liegenden Spek- tralbezirke, für welchen, wie. wir oben sahen, Engelmann die Existenz eines zweiten Assimilationsmaximums gefunden hatte. Reinke erweiterte außerdem unsere physiologische Kenntnis der Autoplasten durch eine andere, sehr interessante Untersuchung (22), in welcher er zeigt, dass folgender Zusammenhang zwischen der In- tensität des Lichtes, welches die Autoplasten trifft, und der Aus- giebigkeit der Assimilation besteht. Beleuchtet man ein in Wasser befindliches Stückchen einer Elodea-Pflanze durch Sonnenlicht, dem die Wärmestrahlen entzogen sind, so beginnt die Gasblasenausschei- dung, also die Assimilation, bei mittlerer Beleuchtungsstärke und steigert sich gleichsinnig mit der wachsenden Lichtintensität bis zu einem Maximum; jede weitere Vermehrung der Lichtintensität hat keine weitere Beschleunigung, aber auch keine erhebliche Abnahme der Gasblasenausscheidung zur Folge. Die Gasblasenausscheidung erlischt sofort, wenn das Chlorophyll gebleicht wird; dies erfolgt aber erst bei einer Lichtintensität, welche etwa 800mal stärker als die des direkten Sonnenlichtes ist. Es sei nun noch auf die Beziehungen aufmerksam gemacht, welche Engelmann (7, S. 24) zwischen der Farbe und dem Vor- kommen der roten, grünen und braunen Algen in verschiedener Meeres- tiefe zu finden glaubt, weil sie vielleicht für das Verständnis der phylogenetischen Entwicklung der Farbe der Autoplasten einen ge- wissen Wert haben könnte. Am leichtesten wird Engelmann’s An- schauung an dem Beispiele der roten Algen klar. Diese herrschen in den größeren Meerestiefen vor, in welchen das eingedrungene Licht reicher an grünen Strahlen, ärmer an roten ist. In diesen Meeres- regionen werden sich die roten Algen gegenüber den grünen im Vor- teile befinden, weil dort die roten Algen bei noch schwächeren Licht- intensitäten assimilieren können, als die grünen. Die roten Algen wer- den also im Kampfe um das Dasein obsiegen und die grünen ver- drängen. Es ist von diesem Gesichtspunkt aus die Entstehung der roten Färbung der Autoplasten allerdings erklärlich, wenn genauere Untersuchungen die Richtigkeit der Voraussetzung beweisen, und in diesem Falle könnte man für die grüne Farbe der Autoplasten viel- leicht nach einer ähnlichen Erklärung suchen. Damit sei dieses heferat geschlossen, obgleich in den letzten Tagen wiederum einige neue Abhandlungen über die Trophoplasten eingelaufen sind, welche eine Erwähnung an dieser Stelle beanspruchen Bütschli, Endorgane an den Fühlern der Chilognathen. 113 können!). Mögen ihnen bis zum Beginn des nächsten Jahres, wo ich diese Zusammenfassung fortzusetzen gedenke, noch recht viele Ar- beiten folgen. Strassburg, Anfang März 1884. Ueber die nervösen Endorgane an den Fühlern der Chilognathen und ihre Beziehungen zu denen gewisser Insekten. Mitgeteilt von ©. Bütschli. In den Jahren 1882 auf 1883 stellte Herr Dr. B. Sacepine aus Russland in dem zoologischen Institut hiesiger Universität eine Reihe von Untersuchungen über die in der Ueberschrift dieses Aufsatzes ge- nannten Organe der Fühler der chilognathen Myriopoden und zum Vergleich noch der Fühler von Vespa crabro an. Derselbe legte die nicht uninteressanten Resultate seiner Beobachtungen in einer Dissertation nieder, welche zum behufe der Promotion der philosophi- schen Fakultät vorgelegt und von dieser auch acceptirt, jedoch nicht gedruckt wurde, da der Verfasser nach seiner Heimat abreiste und bis jetzt nichts von sich hören ließ. Da ich nun glaube, dass die Resultate dieser Untersuchung, an deren Zustandekommen ich per- sönlich lebhaft beteiligt war, einiges Interesse beanspruchen dürfen und ich bis jetzt keinerlei Kenntnis erhalten konnte, ob der Verfasser dieselben veröffentlichen wird, so erlaube ich mir, in nachfolgenden Zeilen das Wichtigste derselben mitzuteilen, soweit ich es aus der Erinnerung vermag. Auch die beiden Holzschnitte, welche ich zum bessern Verständnis beifüge, sind nach der Erinnerung entworfen, kön- nen daher nur den Anspruch erheben, ein ungefähres Bild der vor- liegenden Verhältnisse zu geben. Es war mir aus früheren Beobachtungen bekannt, dass bei den Chilognathen auf den Enden der Fühler gewöhnlich vier ansehnliche zapfenartige Organe vorkommen, die, wie sich von vornherein ver- muten ließ, den sogenannten Geruchskegeln der Insektenfühler ent- sprechen dürften. Da letztere Organe in neuerer Zeit einer eingehen- deren Untersuchung durch Hauser (s. Zeitschr. für wiss. Zoologie Bd. 34, 1880) unterworfen wurden und mir mancherlei in den Resul- taten desselben nicht recht annehmbar erschien, hielt ich eine Unter- suchung der betreffenden Organe der Chilognathenfühler um so mehr für angezeigt, als dieselben wegen ihrer Größe genauere histologische 1) Insbesondere während des Druckes dieser Arbeit eine neue Mitteilung von Hansen in Arb. d. Bot. Inst. Würzburg II. 1. 1884. 5 4114 3ütschli, Endorgane an den Fühlern der Chilognathen. Feststellungen zu erlauben schienen. Diese Vermutung hat sich denn auch bestätigt, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird. Untersucht man das Ende der Chilognathenfühler (verwendet wurden speziell Glomeris und Polydesmus) in seiner Gesamtheit oder auf Längsschnitten, so bemerkt man leicht, dass unter jedem der vier zZ Zapfen, die sich auf der Spitze des End- ; sliedes frei erheben, ein langgestreckt spindelförmiges Gebilde liegt, welches bis in den Anfang des vorletzten Fühlergliedes hineinragt (s. Fig. 1). Diese vier Gebilde sind die nervösen Endorgane, welche mit ihren distalen Enden (k) in die vier Zapfen (z) hineinragen. Bei genauerer Unter- suchung dieser Gebilde zeigt sich zunächst, dass zu dem Hinterende jedes derselben ein Nerv (n) hinzutritt, der, soweit ich mich erinnere, als Zweig aus dem den vier Organen gemeinsamen Nerv entspringt. Der zutretende Nerv verteilt sich in etwas strahlenförmig auseinandertretenden Zügen in dem hintern Abschnitt (g‘) des End- organs, der etwa die Hälfte des gesamten Organs bildet und den vordern Abschnitt an Dicke ein wenig übertrifft. Außer den eintretenden Nervenfasern nehmen an der Zusammensetzung dieses hintern Ab- schnittes nun noch eine beträchtliche Menge Ganglienzellen teil. Dieselben sind ver- hältnismäßig ansehnlich, namentlich über- treffen sie die gleich zu erwähnenden Zellen des vordern Abschnittes an Größe sehr. Mit diesen Ganglienzellen stehen die zutretenden Nervenfasern in Verbindung und schicken an- dererseits Fasern distalwärts aus, welche in reichlicher Zahl in die vordere Hälfte des Endorgans eintreten. Auch diese vordere Hälfte (g) des Organs umschließt jedoch, wie erwähnt, eine sehr bedeutende Anzahl kleinerer Zellen, welche auch als die eigentlichen Sinneszellen bezeichnet werden dürfen, da die von ihnen distalwärts ausgehenden Fasern den Endkegel des ganzen Or- ganes bilden. Mit diesen kleinen Sinneszellen setzen sich nun ohne Zweifel wiederum die aus den hinteren Ganglienzellen kommenden Nervenfasern in Verbindung, und distalwärts gehen von ihnen Fasern in bedeutender Zahl ab, welche, wie gesagt, den Endzapfen (k) des ganzen Organs bilden. Die sehr zarten Fasern, welche diesen letz- tern, der in den Chitinkegel auf der Spitze des Fühlers eingelagert ist, zusammensetzen, haben eine von den gewöhnlichen Nervenfibrillen Bütschli, Endorgane an den Fühlern der Chilognathen. 115 etwas abweichende Beschaffenheit, namentlich färben sich ihre äußer- sten Enden, also die Endspitze des gesamten Kegels, gewöhnlich et- was intensiver, so dass man sie auch als eine Art Sinneshaare bean- spruchen kann. Die Chitinzapfen, in welche die Endkegel einge- lagert sind, haben am Distalende eine feine Oeffnung, so dass äußere Einflüsse direkt auf die Sinneskegel wirken können. Aus diesen kurzen Angaben über den Bau der besagten Organe ergibt sich, dass dieselben ziemlich komplizierter Beschaffenheit sind. Abgesehen von dem Interesse, welches diese Organe der Myrio- poden an und für sich besitzen, nehmen sie nun unsere Aufmerksam- keit namentlich deshalb in Anspruch, weil sie ohne Zweifel direkt mit den sogenannten Geruchskegeln der Insekten verglichen werden müssen und daher auch über deren Bau Aufklärung geben können. Diese Vermutung hat sich denn auch durch die Untersuchung der Ge- ruchskegel von Vespa crabro direkt bestätigen lassen. Die betreffen- den Organe dieser Wespe bildeten auch ein Hauptuntersuchungs- objekt von Hauser; bevor wir jedoch dessen Ansichten über ihren Bau besprechen, wird es sich empfehlen, dasjenige kurz zu schildern, was unsere Untersuchungen in dieser Hinsicht ergeben haben. Es zeigte sich nun, dass der histologische Bau dieser nervösen Endorgane des Hornissenfühlers und zwar sowohl der sogenannten Geruchskegel wie -gruben im wesentlichen ganz derselbe ist, wie der der geschil- derten Myriopodenorgane, nur ist die Zahl der in den Aufbau ein- gehenden Zellen in Zusammenhang mit der Kleinheit der Organe eine viel geringere. Als proximalen Teil des Organs finden wir wieder eine spindel- förmige Gruppe ansehnlicher Ganglienzellen (g' auf Holzschnitt 2), mit welchen der zu- tretende Nerv (n) in entsprechender Weise in Verbindung tritt. Die distale Hälfte des Or- gans (g) dagegen bilden kleinere Sinneszellen, welche durch Nervenfibrillen mit den eben ge- schilderte großen Zellen in Verbindung stehen, und distalwärts den Endkegel feiner Fasern oder Sinneshaare entsenden (k). Letzterer liegt ebenso in einem vorspringenden, an sei- nem Ende geöffneten Chitinzapfen einge- schlossen. Von unsern Befunden weichen nun die => 1 REe Hauser’s sehr wesentlich ab; an Stelle N der proximalen Ganglienzellengruppe beschreibt derselbe einen einzigen großen Zellkern mit einer größeren Anzahl Nucleoli, indem er ohne Zweifel die Zellkerne für Nucleoli gehalten und die Zellgrenzen nieht wahrgenommen hat. Die di- stale Gruppe kleiner Sinneszellen erkannte er gar nicht deutlich, sondern 446 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. sah nur einige wenige Kerne in dieser Region. Er kommt daher auch zu der unrichtigen Vorstellung, dass das nervöse Endorgan aus einer einzigen Zelle hervorgegangen sei, während es thatsächlich einer verhältnismäßig großen Zahl von Zellen seinen Ursprung verdankt. Es dürfte nun gewiss recht wahrscheinlich sein, dass die ent- sprechenden Organe der übrigen Insekten einen ähnlich komplizierten Bau besitzen. Ferner ist jedenfalls sehr interessant und möge deshalb hier beson- ders erwähnt werden, dass bei Peripatus, sowohl nach den Unter- suchungen Gaffron’s wie Balfour’s, auf dem ganzen Körper, na- mentlich aber auf den Füßchen und den Antennen zahlreiche warzen- artig vorspringende und mit einem Kutikularstachel gekrönte Sinnes- organe vorkommen, welche nach der Darstellung Gaffron’s die größte Aehnlichkeit mit denen der Chilognathenfühler besitzen. Gaffron deutet sie denn auch als Sinnesorgane, während Balfour weniger sicher über ihre Funktion wurde und noch an die Möglichkeit denkt, sie als drüsige Gebilde auffassen zu können. Wie bemerkt, hege ich keinen Zweifel, dass diese Organe des Peripatus den beschriebenen der Myriopoden und Insekten entsprechen und es erscheint recht in- teressant, dass die bei den Protracheaten über die gesamte Körper- oberfläche verbreiteten Organe sich bei den höheren Tracheaten spe- ziell auf die Antennen lokalisierten, soweit wir es wenigstens heutzu- tage wissen. Zum Schlusse erwähne ich noch, dass eine Reihe Versuche, welche angestellt wurden, um ein eventuelles Geruchsvermögen der untersuchten Myriopoden nachzuweisen, ein negatives Resultat ergeben haben. Heidelberg, den 14. Februar 1884. Die spezifischen Energien der Nerven. Von J. Rosenthal. (Fortsetzung ) Aus den mitgeteilten Thatsachen geht mit Sicherheit hervor, dass der Nervus opticus mechanisch und elektrisch durch Stromschwan- kungen und dass die lichtperzipierenden Endapparate desselben in der Netzhaut mechanisch durch Druck oder Zerrung gereizt werden können, und dass alle diese Reizungen als Liehtempfindungen in un- ser Bewusstsein treten. Von den dauernden elektrischen Strömen muss es zweifelhaft bleiben, ob sie reizend wirken oder nur die Er- regbarkeit verändern, und ob sie auf die Nervenfasern oder auf ihre Endapparate einwirken. Wenden wir uns jetzt zum Gehörorgan, so kann es kaum einem Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 117 Zweifel unterliegen, dass die normale Erregung durch Schallschwing- ungen auf mechanischem Wege zu stande komme, und dass der wun- derbare Endapparat, mit welchem die Hörnerven ausgestattet sind, geeignet sei, schon durch äußerst schwache mechanische Einwirkungen in Erregung versetzt zu werden. Dass dieser Apparat zugleich nach der Hypothese von Helmholtz dazu dient, dass je nach der Natur der zugeleiteten Schwingungen nicht alle Nervenfasern gleichzeitig, sondern immer nur einzelne in Erregung geraten, ist so bekannt, dass ich nicht des näheren darauf einzugehen brauche. Diese Helmholtz’sche Hypothese hat aber für uns besondere Bedeutung dadurch, dass sie die Lehre von den spezifischen Energien erst zu ihrer vollen Ent- wickelung brachte, indem sie auch die qualitativen Unterschiede inner- halb einer und derselben Modalität auf individuelle Unterschiede der Nervenfasern und der Zellen, in denen diese endigen, zurückführte. Angebahnt durch die Young-Helmholtz’sche Farbentheorie hat diese Helmholtz’sche Theorie der Tonempfindungen, indem sie zu- gleich die Klangunterschiede als Summen einzelner Empfindungen, welche in ihrer Zusammensetzung uns als neue Qualitäten erscheinen, erklärte, erst die ganze Fruchtbarkeit des Gedankens, welche der Müller’schen Energielehre zu grunde hegt, aufgedeckt und ihr zu allgemeiner Anerkennung verholfen. Die ungeheure Empfindlichkeit des Hörnervenendapparats gilt zunächst nur für Druckschwankungen. Eine dauernde gleichmäßige Erhöhung oder Verminderung des Drucks im innern Ohr kann auf verschiedene Weise erzeugt werden. Man hört dabei allerlei Geräusche und Klänge. Es ist jedoch unmöglich zu sagen, ob diese Empfindun- gen die Folge unmittelbarer Reizung der Nervenenden oder Nerven- fasern durch den Druck seien. Direkte mechanische, chemische oder thermische Reizung der Nerven oder ihrer Endigungen ist bei der Lage derselben im Innern des knöchernen Felsenbeins unmöglich. Pathologische Fälle, bei de- nen eine solche Reizung möglich gewesen wäre, sind nicht zu meiner Kenntnis gekommen. So kommt für die weitere Prüfung der Lehre hier nur noch der elektrische Reiz in betracht, denn dieser kann auch zu den tiefliegenden Gebilden vordringen. Dabei ist es aber, da die Teile von ihren Umgebungen nicht isoliert sind, sehr schwer zu sagen, welche Richtung die Ströme in den erregbaren Gebilden nehmen, wo sie dieselben treffen, insbesondere ob es sich dabei um eine Reizung des N. acusticus selbst oder seiner Endapparate handelt. Das erstere erscheint mir wahrscheinlicher. Um elektrisch auf den Hörnerven einzuwirken, verfährt man am zweckmäßigsten so, dass man die eine Elektrode (die indifferente) irgendwo in größerer Entfernung von den Ohren (z. B. am Hinterkopf, der Brust, der Hand) aufsetzt, die andere Elektrode aber, deren Wir- kung man untersuchen will (wir wollen sie die wirksame nennen), 118 tosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. entweder in Gestalt eines dünnen Drahts in den mit Wasser gefüllten Gehörgang einsenkt oder in Gestalt eines kleinen, mit angefeuchtetem Flanell überzogenen Knopfes neben dem Gehörgang auf die Haut an- drückt. Man kann auch zwei soleher kleiner Elektroden an beide Ohren anlegen und erhält dann die Wirkungen einer jeden an je einem Ohr; doch ist das erstere Verfahren vorzuziehen. Durch Ein- schaltung eines Stromwenders in den Stromkreis kann man nach Be- lieben die Anode oder Kathode zur wirksamen machen. Das be- schriebene Verfahren ist von Brenner!) zu systematischen Unter- suchungen angewandt worden, und die von ihm erhaltenen Ergebnisse haben sich trotz der Einwendungen einzelner vollkommen bewährt. Die Erfolge, welche man bei derartigen Untersuchungen erhält, lassen sich dahin zusammenfassen, dass der Hörnerv sich gegen elek- trische Reizung genau so verhält, wie jeder andere Nerv, und dass jede solche Erregung von uns als eine Gehörsempfindung wahrgenom- men wird. Die klarsten Ergebnisse erhält man durch konstante elek- trische Ströme von mäßiger Stärke. Ist die wirksame Elektrode die Kathode, so hört man einen Klang bei der Schließung, weleher bei Fortdauer des Stroms sich allmählich verliert; bei der Stromöffnung hört man nichts. Arbeitet man mit der Anode, so tritt keine Erre- gung bei Schließung und während der Stromdauer ein, wohl aber bei der Stromöffnung; dieselbe ist schwächer als die bei der Katho- denschließung. Es ist, wie schon erwähnt, sehr schwer zu sagen, ob es sich hierbei um eine Erregung des Nervenstammes oder seiner Endigungen handelt. Wenn ersteres der Fall ist, so sollte man erwarten, dass der dem Hörnerven benachbarte N. facialis stets gleichzeitig gereizt werden müsste; doch können geringe Unterschiede in dem Gang der Stromschleifen und in der Erregbarkeit der beiden Nerven schon er- hebliche Verschiedenheiten des Erfolges bedingen. Werden die fein- sten Fasern innerhalb des innern Ohrs oder gar die Endigungen er- regt, so können dadurch Unterschiede in der Art der Empfindung veranlasst werden; an solchen fehlt es auch nicht, denn dieselben werden öfters als Summen, Brausen, Zischen, Pfeifen, Rauschen u.s.w. beschrieben. Bei ganz guten Versuchen mit schwachen Strömen hört man Jedoch immer einen echten musikalischen Klang. Herr Dr. Kies- selbach, Oberarzt der otiatrischen Klinik hierselbst, findet, dass die Höhe dieses Klanges stets mit der des Eigentons seines Ohres über- einstimmt. Da dies auch für die Höhe des subjektiven Klanges gilt, welchen man beim sogenannten Ohrenklingen hört, so habe ich die Vermutung, dass man bei gleichzeitiger schwacher Erregung sämtli- cher Hörnervenfasern stets diesen Ton aus der Gesamtzahl der Er- 1) Brenner, Untersuchungen und Beobachtungen auf dem Gebiete der Elektrotherapie. Leipzig 1868—1869. tosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 119 regungen heraushört, weil man sozusagen an ihn am meisten gewöhnt ist!). Man kann diesen Eigenton wohl einigermaßen mit dem Eigen- licht der Netzhaut vergleichen, welches auch nicht frei von Farbe ist, obgleich dabei sicherlich alle empfindenden Netzhautelemente gleich- zeitig mitwirken. Ich stehe also nicht an, die Klangempfindungen bei Reizung durch konstante elektrische Ströme als Wirkungen unmittelbarer elektrischer Nervenreizungen zu betrachten, und in ihnen einen vollgiltigen Beweis dafür zu sehen, dass der Hörnerv, wenn er elektrisch gereizt wird, mit seiner spezifischen Empfindungsenergie darauf reagiert. Weniger sicher kann ieh mich nach dieser Richtung über die Erfolge der Rei- zung durch Induktionsströme aussprechen, denn dabei mischen sich wahrscheinlich Zuekungen der Binnenmuskeln des Ohres ein, welche ihrer- seits Druckschwankungen im innern Ohr und damit Gehörsempfindun- gen ganz anderer Art erzeugen können. Vielleicht gelingt es noch, durch wiederholte Versuche diese Zweifel zu beseitigen. Denn an und für sich ist es nicht unwahrschemlich, dass ein Induktionsstrom den Hörnerven grade so gut erregen muss, wie irgend einen andern Nerv, da jener sich gegen Schließung und Oefinung von Kettenströmen den anderen Nerven gleich verhält. Ueber elektrische und mechanische Reizung der Geruchsnerven ist niehts sicheres bekannt. Manche Beobachter aus der ersten Zeit des Galvanismus (Volta, A. v. Humboldt, Pfaff, Ritter u. A.) haben Versuche über die elektrische Erregung des Geruchsnerven an- gestellt mit wechselndem Erfolg. Ich selbst?) konnte bei Durchleitung eines Stromes, wenn die eine Elektrode in Gestalt einer mit feuchtem Schwamm überzogenen Platte an der Stirn anlag, die andere in Form eines Drahtes in das mit Wasser angefüllte Nasenloch tauchte, keinen Geruch wahrnehmen; vielleicht wurde die Wahrnehmung durch den ziemlich heftigen Schmerz verhindert. In einem Falle vollkommener Trigeminuslähmung, über welchen Althaus?) berichtet, soll bei Ap- 1) Abgesehen von dem eigentlichen Ohrenklingen, bei welchem der sub- jektive Ton ja sehr stark empfunden werden kann, höre ich diesen Eigenton jederzeit, freilich nur schwach, sobald ich in stiller Nacht die Aufmerksamkeit darauf lenke und zwar immer in dem Ohr, auf welches ich achte. Das gleiche berichtet Goldscheider (Die Lehre von den spezifischen Energien der Sin- nesnerven. Berlin 1881. S. 11) von sich, doch gibt er an, der Ton sei „von mittlerer Höhe“. Ich muss bei dieser Gelegenheit bemerken, dass ich Gold- scheider’s Schriftehen schon längst in diesem Blatte zu besprechen vorhatte, mich aber schließlich zu einer selbständigen Bearbeitung der ganzen Lehre entschlossen habe, weil mir trotz wiederholten Studiums vieles von dem, was G. sagt, nicht hinlänglich klar geworden ist. 2) Arch. f. Anat. und Physiol. 1860. S. 217. Die weitere Literatur ist zu- sammengestellt bei du Bois-Reymond, Untersuchungen 1.8. 343 und v. Vintsch- gau in Hermann’s Handbuch III. 2. 8. 153. 3) Deutsch. Arch, f, klin. Med, VII. 563. 120 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. plikation des elektrischen Stromes ein phosphoriger Geruch wahrge- nommen worden sein. Dass bei Durchleitung eines elektrischen Stroms durch die Zunge Geschmacksempfindung auftritt, ist unzweifelhaft. Die erste bekannte Beobachtung rührt von dem Aesthetiker Sulzer her, auf dessen aus dem Jahre 1752 stammende Beobachtung du Bois-Reymond!) auf- merksam gemacht hat als auf den ersten Versuch galvanischer Ein- wirkung auf Nerven. Sulzer empfand einen Geschmack, welchen er dem des Eisenvitriols vergleicht, wenn er eine Silber- und eine Kupfermünze, die sich berührten, gleichzeitig an die Zunge anlegte. Volta entdeckte dies von neuem und gab die Erklärung, dass es sich dabei um den Durchgang eines galvanischen Stromes durch die Zunge handelte, fand die Geschmacksempfindung auch bei Anwendung seiner Säule und zugleich die von uns schon besprochene Lichtempfin- dung. Seitdem ist der Versuch unzählige male wiederholt worden, trotzdem aber herrscht über seine wahre Bedeutung noch heute keine vollkommene Uebereinstimmung unter den Physiologen. Die meisten Autoren geben an, dass die Geschmacksempfindung verschieden ausfalle, je nachdem die Anode oder die Kathode der Zunge anliegt, und weitaus die meisten bezeichnen den Geschmack im erstern Falle als sauer, während im andern Falle derselbe als laugenhaft, alkalisch, brennend, aromatisch, bitterlich, kurz mit ziem- lich unbestimmten Ausdrücken bezeichnet wird. Ritter und einiger- maßen auch v. Vintschgau?) geben auch an, dass der Geschmack beim Oeffnen des Stromes in sein Gegenteil umschlage. Die Auffas- sung der Geschmacksempfindung leidet sehr unter der immer neben- hergehenden Schmerzempfindung, und Bezeichnungen wie zusammen- ziehend, stechend u. dgl. sind sicherlich durch diese gemischten Em- pfindungen veranlasst. So nahe es auch liegt, die Geschmacksempfindung als unmittel- bare Folge des durch die Geschmacksnerven gehenden elektrischen Stroms aufzufassen, so ist doch zu wiederholten malen dagegen ein- gewendet worden, dass sie ebensosehr durch die elektrolytische Zer- setzung der die Gewebe durchtränkenden Flüssigkeiten, also durch das Auftreten wirklich schmeekbarer freier Säuren bezw. Alkalien veranlasst sein könne. Legt man die Anode oder Kathode in Gestalt metallischer Platten oder Drähte direkt an die Zunge, so ist unzwei- felhaft eine solehe Elektrolyse vorhanden. Nun haben zwar schon Volta und nach ihm andere, zuletzt ich selbst?), die Versuche in der Weise angeordnet, dass der Strom der Zunge durch andere Elek- 1) Untersuchungen über tierische Elektrizität I 8. 339. Dort ist auch die weitere Literatur mitgeteilt; ebenso bei v. Vintschgau a. a. ©. 8. 181. 2) Arch. f. d. ges. Physiol. XX. 81. — Hermann’s Handbuch III. 2. 8. 183. 3) Ueber den elektrischen Geschmack. Arch. für Anat. u. Physiol. 1860. 8. 217. | Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 121 trolyte zugeleitet wurde. Seitdem man aber durch du Bois-Rey- mond weiß, dass auch an der Grenze ungleichartiger Elektrolyte Po- larisation auftritt, wurde die Beweiskraft jener Versuche wieder an- gezweifelt, so z. B. von L. Hermann, der darauf hinweist, dass auch an der Grenze von Nerveninhalt und Nervenhülle Polarisation auftrete!). Ich kann dem Einwande Hermann’s jedoch keine tiefere Be- deutung zuschreiben. Schiebt man zwischen die Zunge und den strom- zuleitenden Körper ein blaues Lakmuspapier, so sieht man keine Rö- tung desselben während des Auftretens des sauern Geschmacks, und doch ist einigermaßen gutes Lakmuspapier ein viel empfindlicheres Reagens gegen freie Säure als unsere Zunge. Wenn also in diesem Falle an der Grenze des Lakmuspapiers und der Zunge nicht so viel freie Säure abgeschieden wird, um dasselbe zu röten, so kann es nicht die freie Säure sein, welche wir schmecken. Und was die et- waige Polarisation an der Grenze von Nervenhülle und Nervenfaser anlangt, so glaube ich kaum, dass Hermann annimmt, der Nerv könne etwaige an seinem Längsschnitt auftretende freie Säuren oder Alkalien als solche schmecken. Um seiner Aeußerung überhaupt einen Sinn beizulegen, muss ich sie künstlich interpretieren. Ich denke, Hermann wollte etwa folgendes sagen: Wenn an der Grenze von Nerveninhalt und Nervenhülle Polarisation stattfinden kann, so ist diese Möglichkeit auch für die Endorgane der Geschmacksnerven (die „Geschmacksknospen“) zuzugeben. An diesen könnte also etwa freie Säure oder freies Alkali auftreten und dieses könnte geschmeckt wer- den. Wenn ich Hermann’s Gedankengang richtig erraten habe, so würde aber zu erklären sein, warum bei der einen Stromriehtung im- mer nur freie Säure, bei der andern immer nur freies Alkali an den Geschmacksknospen auftreten sollte. Der Strom wird die im andern Zungengewebe liegenden Geschmacksknospen durchsetzen, an den ent- gegengesetzten Grenzen jeder derselben werden immer beide elektro- lytische Ausscheidungen, falls sie überhaupt möglich sein sollten, platzgreifen, und es ist auf keine Weise einzusehen, warum die eine oder die andere, je nach der Stromriehtung, besser geeignet sein sollte, eine Geschmacksempfindung zu veranlassen. Ich bin also auch heute noch der Ansicht, dass es eine wahre Erregung der Geschmacksnerven durch den elektrischen Strom sei, welche die Geschmaeksempfindung veranlasst, und stehe nicht an, in derselben einen weitern Beweis für die spezifischen Energien der Sinnesnerven (welche übrigens Hermann gar nicht leugnet), zu sehen, grade so wie in der elektrischen Erregung der Sehnerven und der Gehörnerven. Aber damit ist freilich die Erscheinung noch nicht vollständig erklärt. Warum wir bei Anlegung der Anode einen 1) Handb. d. Physiol. II. S. 54. 129 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven, sauern, bei Anlegung der Kathode einen andern Geschmack empfin- den, bleibt ebenso rätselhaft, als dass bei Einwirkung auf das Auge in dem einen Falle das Eigenlicht weißlich violett, das anderemal rötlich- gelb erscheint. Insofern beim Auge zugleich eine Helligkeitsverände- rung eintritt, hat man, wie wir gesehen haben, auf eine elektrotoni- sche Zu- bezw. Abnahme der stets vorhandenen Nervenerregung ge- schlossen. Man müsste dann aber noch die Annahme machen, dass die blau empfindenden Fasern (im Sinne der Helmholtz’schen Far- bentheorie) von dem Strom stärker beeinflusst werden als die beiden andern Fasergattungen, so dass die von ihnen ausgehende Empfindung im Katelektrotonus überwiegt, im Anelektrotonus dagegen hinter den andern zurücktritt. Für die Geschmacksempfindungen haben wir noch keine so durchgearbeitete, alle Erscheinungen vollkommen umfassende Theorie wie für die Farbenempfindungen. Der neueste Bearbeiter, v. Vintsehgau!), ist der Meinung, dass vier Grundempfindungen: sauer, süß, bitter und salzig anzunehmen wären, und dass aus diesen alle Geschmacksempfindungen sich zusammensetzen, wie die Farben- empfindungen aus den drei Grundfarbenempfindungen nach Helm- holtz. Ebenso bleibt es ungewiss, ob wir, analog dem Eigenlicht, einen „Eigengeschmack“, d. h. eine dauernde Empfindung des Ruhe- zustands der Geschmacksnerven anzunehmen berechtigt sind. Ist dem so und nimmt man noch an, dass die sauer empfindenden Nerven- elemente gegen den elektrischen Strom empfindlicher sind als die an- deren, so würde sich erklären, warum bei Anlegung der Anode an die Zunge (wobei die zentralen Nerventeile in Katelektrotonus geraten) sauer geschmeckt wird, bei Anlegung der Kathode aber ein unbestimm- ter Geschmack empfunden wird; denn dieser würde dann aus den Empfindungen süß, bitter und salzig zusammengesetzt sein. Ob durch mechanische Reizung der Geschmacksnerven Geschmacks- empfindungen veranlasst werden können, halte ich für unentschieden. Die Angaben der Autoren darüber sind nieht eindeutig, und ich selbst habe mir kein sicheres Urteil darüber bilden können. Sehr häufig glaube ich durch leises Streichen oder Klopfen der Zungenoberfläche an der Spitze mit einer stumpfen, nicht schmeckbaren Metallspitze einen deutlichen Geschmack hervorgerufen zu haben; zu anderen Zeiten aber wollte mir der Versuch nicht gelingen. Macht man den Versuch am Zungengrunde, so entsteht sehr leicht Ekelgefühl. Ob dieses aber als eine wahre Geschmacksempfindung angesehen werden darf, be- zweifle ich. Das Ekelgefühl ist meiner Meinung nach, zum größten Teil wenigstens, ein Muskelgefühl, wie schon Stich ?) richtig erkannt hat. Die betreffenden Muskelzusammenziehungen können reflektorisch durch Geschmacksempfindungen (aber auch durch Gefühls-, Geruchs-, 4) Hermann’s Handb. III. 2. S. 208. 2) Charit&- Annalen VIII. 2. S. 22. Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 125 Gesichtsempfindungen) hervorgerufen werden; die Empfindung der- selben ist aber von der Geschmacksempfindung ganz verschieden. Zu den Stützen der Lehre von den spezifischen Energien sind auch stets die subjektiven Empfindungen gerechnet worden. Wir ver- stehen unter diesen alle diejenigen Empfindungen, welche nicht durch äußere Reize veranlasst werden, sondern durch Zustände des Orga- nismus selbst, z. B. durch die Beschaffenheit des Bluts. Ob solche Reize im stande sind, die Nervenfasern zu erregen, halte ich für zweifelhaft. Die Nervenendapparate dagegen, sowohl die peripheren als die zentralen, werden auf diese Weise häufig erregt z. B. bei ge- wissen Vergiftungen. Wenn nun in solchen Fällen Empfindungen entstehen, welche die Charaktere der spezifischen Sinnesempfindungen haben, so muss dies nach unserer Lehre so gedeutet werden, dass die Erregung der Nervenzellen, auf welche Weise sie auch enstanden sein mögen, stets als die der betreffenden Nervenzelle eigne Em- pfindung ins Bewusstsein treten muss. Da diese Empfindungen dann zugleich nach dem sogenannten „Gesetz der exzentrischen Empfin- dungen“ nach außen projiziert werden und auf äußere Erregungs- ursachen bezogen werden, geben sie Anlass zu Halluzinationen, wenn wir diesen Ausdruck ganz allgemein als scheinbare Wahrnehmung nicht wirklich vorhandener äußerer Erregungsursachen definieren. Zu diesen müssen wir dann auch die Träume rechnen, insoweit es sich dabei um Empfindungen handelt, welche aus inneren Vorgängen des Organismus entstehen. Denn häufig haben wir im Traum auch Em- pfindungen infolge wirklich vorhandener äußerer Nervenreize, wie z. B. durch Druck auf einen Körperteil. Insofern diese durch die Traumphantasie auf das wunderbarste gedeutet werden, gehören sie in das Gebiet der Illusionen, die im wachen Zustande ebenfalls vor- kommen und hier das große Gebiet der Sinnestäuschungen ausfüllen. Wenn wir z. B. in dem Rankenmuster einer Tapete Gesichter von Menschen oder Tiergestalten zu sehen vermeinen, so deuten wir nur wirklich vorhandene Netzhautreizungen falsch. Wenn ich aber bei geschlossenen und mit der Hand bedeckten Augen allerlei geome- trische Figuren, allerlei Farben oder gar Gesichter bekannter Per- sonen zu sehen glaube, so ist dies die Wirkung innerer Erregungen. Das erste stellt also eine einfache Form einer Illusion, das zweite die einer Halluzination vor. Zu den subjektiven Empfindungen im uneigentlichen Sinne möchte ich diejenigen rechnen, welche durch Reizung eines Nervenstammes, z. B. durch Druck entstehen, wie die Empfindung des Ameisenkrie- chens infolge von Druck auf den N. ulnaris am Elnbogengelenk. Die Empfindung hat ja in diesem Falle eine ganz reale, objektive Ur- sache. Hierher gehören die von uns schon besprochenen Sehempfin- dungen durch mechanische Reizung des Sehnerven, Wird der Druck 124 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. durch eine Geschwulst verursacht, so ist das physiologische Verhältnis offenbar das gleiche. Dennoch hat man sich gewöhnt, grade diese Fälle als typische für die subjektiven Empfindungen anzusehen. Die subjektiven Empfindungen sind im Gebiet des Gesichts, des Gehörs und des Gefühls so häufig, dass wohl jeder sie aus eigner Erfahrung kennt. Seltner treten sie im Gebiet des Geschmacks und Geruchs auf. Die Verteidiger der Lehre von den spezifischen Ener- gien haben sich aber bemüht, auch für diese Sinne gutbeglaubigte Beispiele festzustellen, um sie als Stützen der Lehre zu verwenden. Bei Geisteskranken scheinen Geruchshalluzinationen nicht selten zu sein; bei Epileptikern sind sie als Aura beobachtet worden. Einen Fall von subjektivem Geruch bei Zerstörung des einen Tractus olfac- torius durch ein Careinom ist von Lockemann mitgeteilt worden. Gerucehsträume sind nicht so selten, als gewöhnlich angegeben wird. Herr du Bois-Reymond hat dies mehrere male an sich selbst beobachtet !), und dasselbe kann ich von mir selbst sagen. Als ich anfıng zu mikroskopieren, träumte ich zuweilen davon und roch deut- lich die Essigsäure, welche ich als Reagens benutzte. Auch im wachen Zustande sind subjektive Geruchsempfindungen grade nicht selten, z. B. beim Schnupfen. Freilich ist es in diesen Fällen schwer zu entscheiden, ob nicht irgend eine objektive riechbare Substanz dabei im Nasenschleim vorhanden sei. Ganz das Gleiche gilt von den subjektiven Empfindungen des Geschmacks. Sie sind im Traum wie im wachen Zustand nicht so selten, als man gewöhnlich behauptet, doch ist der Einwand, dass irgend etwas schmeckbares im Munde gewesen, eben niemals zu widerlegen. In dieser Hinsicht scheint mir eine Erfahrung, welche ich erst ganz kürzlich machte, der Mitteilung wert. Ich träumte, dass ich von einem mit irgend einer Substanz getränkten Papier kleine Stückchen abschnitt und kaute. Die Sache schien mir etwas ganz gewöhnliches zu sein, etwa als wenn ein Schnupfer eine Prise nehmen würde. Ich hatte dabei eine deutliche Geschmacksempfin- dung, die ich als aromatisch - bitterlieh bezeichnen möchte. Ich er- wachte und fühlte den Geschmack noch deutlich, als ich schon wach war, doch verschwand er sofort. Ich schlief bald wieder ein und nun wiederholte sich der Traum ganz genau in der gleichen Weise, worauf ich wieder erwachte und abermals die kurzdauernde Nach- empfindung hatte. Wäre hier eine objektive, schmeckbare Substanz im Spiele gewesen, so hätte, meine ich, die Empfindung in dem wachen Intervall zwischen den beiden Traumempfindungen nicht ver- schwinden können, sondern eher deutlicher zum Bewusstsein kommen sollen, da ich meine Aufmerksamkeit auf die Empfindung lenkte. 1) Vgl. meine Dissertation: De energiis nervorum specifiecis. Berlin 1859. S. 21 und Goldscheider a. a. 0. S. 15. Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 125 Ich glaube deshalb, dass es sich um eine echte subjektive Empfin- dung handelte, durch innere Ursachen veranlasst, die eben deshalb, weil der Schlaf unruhig und unterbrochen war, in den wachen Zu- stand hineinreichte und darum im Gedächtnis haften bleiben konnte. Wahrscheinlich riechen und schmecken wir im Traum öfter. Aber da wir diesen Sinnesempfindungen auch im wachen grade nicht all- zuviel Aufmerksamkeit zuwenden, so spielen sie auch in unseren Traumerinnerungen eine untergeordnete Rolle. Ich habe absichtlich bei den vorstehenden Erörterungen die eigentlichen Gefühlsempfindungen außer acht gelassen und mich auf die vier anderen Sinne beschränkt. Indem ich mich nun zu diesem sogenannten fünften Sinne wende, muss ich zunächst die Frage auf- werfen, ob wir denselben wirklich, dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend, als einen Sinn den vier anderen gleichstellen dürfen, oder ob nicht hier ganz verschiedene Modalitäten der Empfindung fälschlich als die eines Sinnes aufgefasst werden. Entgegen diesem allgemeinen Sprachgebrauch benutzen die Phy- siologen wieder die Ausdrücke: Tastsinn, Temperatursinn, Muskel- sinn u. $. w., ohne grade damit sagen zu wollen, dass sie diese als verschiedene Sinne, wie z.B. Gehör und Geruch, unterscheiden wollen. Auch die Ausdrücke Raumsinn und Zeitsinn werden ja in etwas ab- weichender Bedeutung gebraucht; denn wir sprechen von einem Raum- sinn der Haut und von einem Raumsinn der Netzhaut als von der Fähigkeit, mittels der Tastempfindungen oder der Lichtempfindungen Ortsunterscheidungen vorzunehmen, nicht aber in der Bedeutung, dass dadurch besondere Arten von Empfindungen ausgedrückt werden sollen. Gehen wir von der früher gegebenen Definition aus, dass alle diejenigen Empfindungen zu einer und derselben Modalität zu rechnen sind, zwischen denen allmähliche Uebergänge wahrgenommen werden können, so ist jedenfalls der Temperatursinn vom Tastsinn zu trennen. Schwieriger ist die Abgrenzung des Tastsinns von den sogenannten Gemeingefühlen. Wenn man zu diesen letzteren auch die Muskel- gefühle zu rechnen pflegt, so kann ich auch dem nicht zustimmen; ich bin vielmehr geneigt, in Uebereinstimmung mit Funke!) auch einen besondern Muskelsinn anzunehmen. Gewiss würde niemand daran gedacht haben, die Temperatur- und die Druckempfindungen für die Aeußerungen eines und desselben Sinnes zu halten, wenn sie durch verschiedene, örtlich getrennte Sinnesorgane vermittelt würden. Nur der Umstand, dass überall an der äußern Haut und an den Anfängen der Schleimhautbekleidungen der von außen zugänglichen Höhlen beide Empfindungen stets neben- 4) Hermann’s Handb. III, 2. 291. 1926 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. einander auftreten, kann das Verhältnis zweifelhaft erscheinen lassen. Nun gibt es ja grade an diesen Schleimhäuten, in Mund und Nase, noch je eine dritte Sinnesempfindung, die wir eben, weil sie dort neu hinzutritt, von den beiden andern zu unterscheiden vermögen. Bei den Geruchsempfindungen wird dies noch erleichtert dadurch, dass die geringen Stofimengen, deren Eindringen in die Nase hinreicht, die Geruchsorgane merklich zu erregen, gar keine merkbare Gefühls- oder Wärmeempfindung hervorzurufen brauchen. Aber obgleich an der Zunge niemals Geschmacksempfindung allein auftritt, sondern stets gemischt mit Gefühls- und Wärmeempfindungen, so vermögen wir erstere gesondert wahrzunehmen, eben weil sie als neues Element zu den beiden anderen Empfindungen hinzutritt, als ein Element, wel- ches nicht empfunden wird, wenn die gleichen Objekte auf die äußere Haut wirken. Sind aber Gefühls- und Wärmeempfindungen verschiedene Mo- dalitäten, so müssen sie nach der Lehre von den spezifischen Ener- gien durch verschiedene Nervenfasern verschiedenen Nervenzellen zugeleitet werden. Der Nachweis, dass dem so sei, ist aber nicht zu führen; ebensowenig freilich auch der vom Gegenteil. Ich verweise in bezug auf diese Frage auf die Erörterungen Funke’s in Hermann’s Handbuch III. 2. S. 316 ff. Anatomie und Histologie lassen uns im Stich, wenn es sich darum handelt zu entscheiden, ob ein und der- selbe empfindende Punkt durch mehr als eine Nervenbahn mit den Organen des Sensoriums in Verbindung steht, wie dies am auffal- lendsten bei der Frage nach den anatomischen Grundlagen der Young-Helmholtz’schen Farbentheorie sich zeigt, weniger auffällig beim Geruch - und Gescehmackssinn. Nur allein das Gehörorgan zeigt eine gute anatomische Grundlage für die Helmholtz’sche Theorie. Denn da bei diesem die Ortsunterscheidung ganz fortfällt, so sind wir berechtigt, ohne weiteres die ganze Anzahl der vorhandenen Nervenfasern für die verschiedenen Qualitäten der Empfindung in Anspruch zu nehmen. Beim Auge aber, wo jedes kleinste Element, ein Stäbehen oder ein Zapfen, eine gesonderte und von der seines Nachbars durch das Lokalzeichen unterschiedene Empfindung zu ver- anlassen vermag, diese Empfindungen aber noch mindestens in drei- facher Weise qualitativ differenziert sein können, müssten wir also von jedem dieser Elemente aus drei gesonderte Bahnen zum Sen- sorium voraussetzen. Ganz ebenso aber verhält es sich mit den Empfindungen der Haut. Da jeder Punkt derselben gleichzeitig Druck und Temperatur empfinden kann, so müssten also von jedem Punkte aus mindestens zwei gesonderte Nervenbahnen ausgehen. Da Nervenfasern, auch wenn sie verschiedene Funktionen haben, nicht voneinander ver- schieden sind, so würde es wiehtig sein, Unterschiede der Endorgane auffinden zu können, welche die Funktionsverschiedenheiten erklären Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 127 konnten. Dies ist aber leider aueh nicht der Fall. Zwar kennen wir eine große Zahl unterscheidbarer Formen der Endigungen sensibler Nerven; dieselben gehen jedoch so allmählich eine in die andere über, dass eine Trennung in Tastorgane und Temperaturorgane kaum mög- lich erscheint. Eine zusammenfassende Uebersicht über diesen in- teressanten Gegenstand aus der Feder des Herrn W. Krause wird die Nummer 6 unseres Blattes bringen. Es fragt sich übrigens, ob wir mit der Annahme zweier Leitungsbahnen von jedem sensibeln Punkte der Haut ausreichen. Zwar ob innerhalb der eigentlichen Gefühlsempfindungen!) noch qualitative Unterschiede im eigentlichen Sinne vorkommen, wollen wir vorläufig dahingestellt sein lassen; ich werde später zu zeigen versuchen, dass dies wahrscheinlich nicht der Fall ist. Aber die Temperaturempfindungen selbst sind schon doppelter Art, und wenn das Kältegefühl und das Wärmegefühl, wie es der unmittelbaren Auf- fassung unserer Empfindungen allerdings zu sein scheint, qualitativ verschieden sind, etwa so wie gelb und blau, dann müssen wir für sie allein zwei gesonderte Leitungsbahnen annehmen, um den An- forderungen der Lehre zu genügen. Hier bietet sich nun allerdings ein scheinbarer Ausweg in der Theorie von Hering, welcher bei jeder Erregung zwei entgegen- gesetzte Formen annimmt, die der Dissimilation und der Assimilation, welcher zwei verschiedene Empfindungen, in unserem Falle also die der Wärme und Kälte entsprechen ?). In der Annahme, dass diese beiden entgegengesetzten Zustände, wenn sie in den peripheren End- apparaten Platz greifen, als solche durch die Nervenfasern fortge- leitet werden können, liegt ein Widerspruch gegen den Grundgedanken der Lehre von den spezifischen Energien, welcher ja von der Voraus- setzung ausgeht, dass der Nerv nur auf eine Weise verändert werden könne, und dass diese Veränderung, die sogenannte Erregung, nur dem Grade nach, nicht qualitativ verschieden sein könne. Die He- ring’sche Theorie der Wärmeempfindung, eine Uebertragung der von diesem Forscher aufgestellten Farbentheorie, ist daher mit der Lehre von den spezifischen Energien meiner Meinung nach nicht vereinbar. Was wir durch die Annahme nur einer Fasergattung für die beiden Arten der Temperaturempfindung gewinnen, kann vom Standpunkt unsrer Lehre aus den Verlust durch Aufgabe des Grund- prinzips nicht ausgleichen. 1) Wir können für diese Empfindungen das bei den Psychologen gebräuch- lich gewordene Wort „Getast“ benutzen, doch sollten darunter nur die wahren Tastempfindungen mit Ausschluss der Temperaturempfindungen verstanden sein, 2) Wiener Akad. Sitzungsber. 3. Abteil. Bd. LXXXV. S. 104. (Schluss folgt.) 128 Bubnow, Chemische Bestandteile der Schilddrüse. Beitrag zu der Untersuchung der chemischen Bestandteile der Schilddrüse des Menschen und des Rindes. Von Dr. N. A. Bubnow aus St. Petersburg. Aus dem physiologisch-chemischen Laboratorium zu Strassburg. Zeitschrift für physiol. Chemie VIIL H. I. S. 1—47. Die Unzulänglichkeit unserer Kenntnisse von der chemischen Zu- sammensetzung der Schilddrüse hat den Verfasser veranlasst, die chemischen Bestandteile, besonders die Colloidsubstanz oder im wei- tern Sinne die unter diesen Begriff fallenden verschiedenen Eiweiß- stoffe der Glandula thyreoidea genauer zu untersuchen. Aus der sehr ausführlich referierten Literatur über den gleichen Gegenstand erhellt zur Evidenz, wie entgegengesetzt die Angaben früherer Forscher, wie oft die Resultate einer Arbeit durch diejenigen einer spätern illusorisch gemacht sind. Jedenfalls ist aus der Durchsicht derselben eine klare Vorstellung über den Begriff Colloidsubstanz zu gewinnen. Nach den Beobachtungen Bubnow’s ist dieselbe kein bestimmter chemischer Körper; man hat bisher mit Unrecht diesen Namen für den In- halt ganz differenter Geschwülste und Cysten gebracht, und es haben jedenfalls die früheren Untersucher ganz verschiedene Körper unter den Händen gehabt. B. hat nach seiner (m der Arbeit genau mitge- teilten) Methode aus der Schilddrüse des Menschen und des Rindes drei voneinander verschiedene Eiweißkörper rein dargestellt, welche erals Thyreoprotine bezeichnet. Beigleichem Gehalt an Schwefel und Wasserstoff zeigen dieselben eine Differenz in bezug auf ihren Kohlen- stoff und Stickstoffgehalt. Die aus der Schilddrüse des Menschen und derjenigen des Rindes gewonnenen drei verschiedenen Thyreo- protine sind identisch. Alle drei Substanzen geben beim Kochen mit 1 °/, Schwefelsäurelösung keine Kupfer in alkalischer Lösung redu- zierende Substanz. Die Schilddrüsen wurden zuerst mit verdünnter Kochsalzlösung ausgelaugt und aus der letztern durch Essigsäure Thyreoprotin I ge- fällt. Andere Schilddrüsen wurden mit einer Lösung von Kalihydrat (1:1000 extrahiert) und aus dem Extrakt Thyreoprotin II durch Essig- säure abgeschieden und schließlich aus denselben Schilddrüsen durch abermaliges Ausziehen mit verdünnter Kalilauge und Fällen mit Essig- säure Thyreoprotin III gewonnen. ' Guanin konnte in den Schilddrüsen nieht nachgewiesen werden, dagegen war Milchsäure, Xanthin und Hypoxanthin in denselben ent- halten. R. Fleischer (Erlangen). Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 1. Mai 1884. Nr. 5. Inhalt: Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. — Wilckens, Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. — Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven (Schluss). Zur Histologie des quergestreiften Muskels. Weiterer Beitrag zur Lehre von den Transformationsprozessen in un- versehrten Geweben. Von Professor Dr. Sigmund Mayer, Vorstand des histologischen Instituts an der k. k. deutschen Universität zu Prag. Schon lange ist die Thatsache bekannt, dass in dem Muskel zwi- schen den denselben konstituierenden Fasern beträchtliche Verschie- denheiten bestehen. Es beziehen sich dieselben auf ihre Dimensionen, Aussehen und Quantität der interstitiellen Körnchen, Zahl und Aus- sehen der Kerne u. s. w. Grützner!) hat neuerdings bezüglich der Auffassung dieser Ver- hältnisse einen neuen Standpunkt eingenommen. Er vertritt die Mei- nung, dass in den Muskeln zweierlei Fasern vorkommen, die sich nicht allein in Aussehen und chemischen Reaktionen, sondern auch in ihrem physiologischen Verhalten voneinander unterscheiden sollen. Nach Grützner’s Meinung trete der Gegensatz zwischen sogenannten roten und blassen Muskeln, wie er sich an dem Muskel in toto aus- präge, in vielen Muskeln an den denselben zusammensetzenden Fasern hervor. Diese Mitteilungen von Grützner veranlassen mich, hier einen kurzen Bericht über die Resultate von Untersuchungen zu geben, die ich schon früher mehrfach begonnen und im Laufe des Wintersemesters 1) Grützner, Zur Physiologie und Histologie der Skelettmuskeln. Breslauer ärztliche Zeitschrift Nr. 24. 1883. y 130 Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. neuerdings wieder aufgenommen habe. Es nahmen dieselben ihren Ausgangspunkt von dem Bestreben, eine Aufklärung darüber zu ge- winnen, in wie weit die schon seit längerer Zeit bekannten Thatsachen über das Vorkommen verschiedenartiger Fasern in den Muskeln auf Vorgänge der Degeneration und Regeneration innerhalb des querge- streiften Muskelgewebes zu schieben seien. Bekanntlich ist das Vorkommen eines Untergangs und einer kon- sekutiven Neubildung von Muskelfasern auch beim bereits erwachsenen Tiere (Frosch: Budge, Weismann, v. Wittich und viele andere; Kaninchen: G. R. Wagener) mehrfach behauptet und von anderer Seite in Abrede gestellt worden. Ueber die Modalitäten, unter denen sich dieser Prozess abspielen soll, sind die Meinungen ebenso sehr auseinander gegangen, wie über den Vorgang der Regeneration nach Kontinuitätstrennung am quergestreiften Muskelgewebe. Ausgehend von den Erfahrungen, die ich bei meinen Untersuch- ungen über Vorgänge der Degeneration und Regeneration im Bereiche des peripberischen Nervensystems und des Blutgefäßsystems gesam- melt hatte, schien es mir vor allem geboten, genauer und sorgfältiger, als dies bisher geschehen war, nachzusehen, inwieweit im Muskel Fasern vorkommen, die sich von dem Typus der normalen Faser mehr oder weniger entfernen. Bei der nachfolgenden Schilderung sehe ich zunächst ab von den- jenigen Bildungen, welche in der Literatur bereits vielfach erwähnt worden sind; so von den sogenannten Muskelspindeln, der mehr oder weniger stark ausgebildeten Körncheninfiltration, dem Vorkommen von Kernsäulen innerhalb der Muskelfasern u. s. w. Ich wende mich vielmehr zur näheren Schilderung eines Befundes, über den zuerst Kölliker!) berichtet hat, und auf den er in den verschiedenen Auflagen seines Handbuches der Gewebelehre zurück- gekommen ist, der aber von anderer Seite, so weit ich finde, keine weitere Beachtung gefunden hat. Kölliker sagt a. a. O. S. 315 Anmerkung: „Bei dieser Gelegenheit will ich eine, so viel mir be- kannt, noch nieht gemachte Beobachtung mitteilen. In diesem Früh- jahre fand ich bei jedem Frosche in diesen oder jenen Muskeln eigentümliche mit Zellen gefüllte Schläuche (Fig. 9). Dieselben wa- ren meist etwas schmäler, als die stärkeren Muskelfasern, besaßen eine dem Sarkolemm ganz gleiche Hülle, und im Innern neben fein- körniger Substanz schöne runde Zellen mit hübschen bläschenförmigen Kernen und 1—2 Nucleolis und dunkleren und feineren und größeren Inhaltsportionen, die meist etwas blasser waren als Fett, doch dem- selben ähnlich sahen. Ich kann nieht umbin, diese Schläuche für eigentümlich metamorphosierte Muskelfasern zu halten, doch erlaube 1) Kölliker, einige Bemerkungen über die Endigungen der Hautnerven und den Bau der Muskeln, in Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie, Bd. VIII, S. 311, 1857. Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. 131 ich mir vorläufig über ihre Bedeutung und die Art der Bildung der Zellen in ihnen keinen weiteren Schluss, nur erinnere ich an die von mir beim Krebs in Muskelfasern gefundenen Zellen“ (Handbuch, 2. Aufl. Ss. 211). Bei der Erläuterung der einschlägigen Abbildung sagt Kölliker: „Ein mit Zellen gefüllter Schlauch aus einem Froschmuskel, wahr- scheinlich ein degeneriertes Muskelbündel.“ In der fünften Auflage seines Handbuches (1867) erwähnt Kölli- ker diese Gebilde (8. 178) mit dem Zusatze: „Ich habe mir die Frage vorgelegt, ob nicht diese endogenen Zellen zur Bildung neuer Muskel- fasern verwendet werden, und die kürzeren einkernigen Faserzellen v. Wittich’s vielleicht Abkömmlinge derselben seien. Es ist mir jedoch bis jetzt noch nicht gelungen, diese Vermutung durch ganz bestimmte Thatsachen zu erhärten, und ist alles, was ich bisher ge- sehen habe, das, dass die fraglichen endogenen Zellen in einzelnen Fällen auch länglichrund gefunden werden“. Wenn nun auch diese Schilderung von Kölliker auf viele zur Beobachtung kommende veränderte Muskelfasern passt, so ist dieselbe doch nicht erschöpfend. Es zeigt sich nämlich, bei sorgfälti- gem Nachsuchen, dass eine sehr große Mannigfaltigkeit von Bildungen neben den normalen Muskelfasern vor- kommt, die insgesamt dadurch charakterisiert sind, dass derSarkolemmaschlauch seinennormalen quergestreiften Inhalt verloren hat und an seine Stelle eine andersartige mit Zellen durchsetzte Substanz getreten ist. Diese beiden Constituentia — Zellen und nicht mehr quergestreifte Substanz — aber können bezüglich ihres qualitativen und quantitativen Verhältnisses zu einander außerordentlich variieren, so dass hiedurch auch ein sehr wechselndes Aussehen der veränderten Muskelfasern bedingt wird. Die von Kölliker hauptsächlich hervorgehobene Infiltration des Sarkolemmas mit Zellen tritt nur sehr wenig in den Vordergrund der Beobachtung an solehen Fasern, welche einen Zustand scholliger und feinkörniger Zerklüftung zeigen, der schon von vielen Autoren an Mus- keln nach traumatischen Eingriffen und nach Erkrankungen (Trichi nosis, Typhus) geschildert wurde. Wenn man auch bei der Betrachtung dieser Bilder sofort daran erinnert wird, dass bei der Präparation überlebender Muskelfasern vom Schnittende aus sich ähnliche Bilder entwickeln können und demgemäß die gebotene Skepsis walten lässt, so wird man doch einem solehen Argwohn keine Bedeutung mehr beilegen, wenn man neben dem schollig oder feinkörnig zerklüfteten Inhalte innerhalb des Sarkolemmas auch kernhaltige Zellen vorfindet, deren Eigenschaften später noch näher besprochen werden sollen. Diese Zellen sind nur spärlich vorhanden, wenn der Inhalt des Sarkolemmas schollig zerklüftet ist. Je mehr die Zerklüftung in Schol- len einer solehen in eine feinkörnige Masse Platz macht, desto mehr 9 % 132 Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. nimmt die Zahl der Zellen zu, bis endlich dievon Kölliker geschil- derten zellengefüllten Sarkolemmaschläuche entstehen, welche später als sogenannte Muskelzellenschläuche (Waldeyer) in der Lehre von der Veränderung der Muskelfasern bei Verletzungen und Krankheiten so vielfach besprochen worden sind. Die Muskelzellenschläuche in normalen Muskeln besitzen gewöhnlich ein normales Sarkolemma, und es haben die Grenzlinien derselben einen parallelen Verlauf. In anderen Fällen zeigen die Konturen un- regelmäßige Ausbuchtungen und Einkerbungen, so dass auch hiedurch die veränderten Fasern sich von den normalen unterscheiden. Die zellig metamorphosierten Fasern wird man in sehr vielen Präparaten vermissen, wenn man sein Augenmerk nur auf diejenigen Gebilde richtete, welche zu der Gattung der breiten oder mittelbreiten Fasern gehören. Bei eingehenderem Studium aber bemerkt man bald, dass inden Muskeln normaler Tiere Gebilde vorkommen, welchenichtsanderesdarstellen, als Muskelzellschläuche von äußerster Reduktion des Kalibers. Solche Gebilde sind charakterisiert durch der Länge nach nebeneinander aufgereihte Zellen, welche, zwischen normalen quergestreiften Muskelfasern ge- lagert, unmittelbar von streifigem faserigem Gewebe, eventuell auch von Blutgefäßen und Nerven umgeben werden. Ueber die Bedeutung dieser Gebilde könnte man kein bestimmtes Urteil sich bilden, so lange dieselben nur in der unbestimmten, eben erwähnten Erschei- nungsweise sich darstellen. Zu einer richtigen Auffassung derselben wird man gelangen, wenn man im stande ist, ihren Zusammenhang mit verbreiterten, zelleninfiltrirten Zellenschläuchen nachzuweisen, de- ren Entstehung aus typischen quergestreiften Muskelfasern nicht wohl zweifelhaft sein kann. Wenn sich diese dünnen, unansehnlichen zel- lenhaltigen Schläuche der Oberfläche normaler quergestreifter Muskel- fasern anschmiegen, dann erhält man zuweilen den Eindruck, als seien letztere von einem epithelartigen Zellenbeleg überkleidet. Wie bekannt, ist von verschiedenen Seiten die Behauptung auf- gestellt worden (Zenker, v. Wittich u. a.), dass für die Neubil- dung von quergestreiftem Muskelgewebe Zellen des Perimysium in- ternum verwendet werden sollen. Dieser Behauptung ist ein vielfacher und, nach unserer Ansicht, berechtigter Widerspruch entgegengesetzt worden. Ohne an dieser Stelle in eine eingehende Diskussion dieser vielbesprochenen Frage einzutreten, soll nur bemerkt werden, dass durch den eben erörterten Befund äußerst unansehnlicher Reste umgewandelter Muskelfasern innerhalb des als Perimysium internum bezeichneten Bindegewebes, auf die Behauptung von der Entstehung neuer Muskelfasern aus Elementen des Bindegewebes ein neues Licht geworfen wird. Die Zellen, die sich in den Muskelzellenschläuchen unversehrter Tiere vorfinden, zeigen ebenfalls eine große Mannigfaltigkeit in bezug Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. 135 auf Form, Größe, Ausdehnung des Substanzhofes um den Kern herum, und Menge der dieselben durchsetzenden, feinen, dunkeln, fettglänzen- den Körnchen. Was jedoch diesen Zellen ein besonderes Interesse verleiht, ist eine Eigenschaft derselben, welcher Kölliker nicht Erwähnung ge- than hat. Es sind nämlich die in Frage stehenden Zellen weitaus in der Mehrzahl der Fälle in ausgezeichneter Weise mit dem Vermögen begabt, amöboide Bewegungen auszuführen. Wenn man Zupfpräparate aus unversehrten, überlebenden Frosch- muskeln in !/, °/,iger Kochsalzlösung anfertigt, so sind im dem aus den ausgeschnittenen Blutgefäßen sich ergießenden Blute und den Wanderzellen des Perimysium internum Quellen des Auftretens amö- boider Zellen gegeben. Für gewöhnlich aber findet man in den in der angegebenen Weise angefertigten Präparaten amöboide Zellen nur in spärlicher Weise vor. Man ist daher einigermaßen überrascht, bei der Untersuchung un- versehrter Froschmuskeln nicht gar selten auf Präparate zu stoßen, die von amöboiden Zellen wimmeln. Die Zellen liegen hierbei einzeln oder in größeren oder kleineren Gruppen vereinigt. Beim ersten An- blick dieser zahlreichen, mit ausgesprochener amöboider Beweglichkeit begabten Zellen kann man sich des Gedankens nicht erwehren, dass man es mit den Produkten einer wie immer hervorgerufenen, entzünd- lichen, mit starker Emigration farbloser Blutzellen einhergehenden Affektion zu thun habe. Bei näherem Zusehen kann man für eine solche Vermutung jedoch keine zureichenden Anhaltspunkte finden. Wohl aber trifft man bald auf Stellen, an denen man direkt sieht, dass jedenfalls weitaus die Mehrzahl der amöboiden Zellen aus den dureh die PräparationinihrerKontinuität vielfach verletzten Muskelschläuchen stammt. Man sieht die freien amöboiden Zellen sich in die Zellschläuche hinein fortsetzen; wenn die Zellen innerhalb der letzteren nicht sehr diehtgedrängt liegen, dann kann man auch an diesen das Spiel des Entstehens und Ver- gehens von Fortsätzen beobachten. Mit Rücksieht auf diese den Muskelschlauchzellen zukommende Eigenschaft der selbständigen Kontraktilität wird man daher auch der von Kölliker (l. e.) hervorgehobenen länglich runden Form der- selben keine besondere Bedeutung beimessen. Das Suchen nach den in sehr wechselnder Zahl in den Muskeln vorkommenden Zellschläuchen ist eine sehr zeitraubende und bei ihrer Einförmigkeit ermüdende Beschäftigung. Man kann sich hierbei die eben erörterte Erfahrung zu nutze machen, dass ein im Präparate auffällig hervortretender Reichtum an amöboiden Zellen oder noch sicherer das gruppenweise Auftreten derselben auf das Vorhandensein von Muskelzellschläuchen hindeuten. 134 Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. Außer beim Frosche habe ich auch in den unversehrten Muskeln vom Land- und Wassersalamander Schläuche, mit amöboiden Zellen erfüllt, aufgefunden. In den Muskeln des Hundes, der Maus, des Sper- lings und der Ratte stieß ich auf Muskelfasern mit zelliger Metamorphose des Inhalts derselben. Bei Zimmertemperatur konnte ich amöboide Bewegungen an den Zellen der Schläuche der Säugetiere und Vögel nicht beobachten, die Untersuchung mit Hilfe eines erwärmten Ob- jekttisches habe ich noch nicht vorgenommen. Ueber die Entstehungsgeschichte der Muskelzellschläuche in den Muskeln unversehrter Tiere ist eine ganz bestimmte Ansicht vorerst nicht auszusprechen. Bezüglich der Erklärung des Ursprungs der amöboiden Zellen sind nur zwei Fälle möglich, nämlich die Einwan- derung oder die Entstehung an Ort und Stelle aus dem normalen In- halte des Sarkolemmas. Während an verletzten oder an durch Krank- heitsprozesse affiızierten Muskeln die Bedingungen für eine Einwande- rung massenhaft zur Verfügung stehender, dem Blute entstammender amöboider Körper in die lädierten Sarkolemmaschläuche günstig er- scheinen, kann man das Vorhandensein von der Invasion der unver- sehrten Muskelfasern besonders förderlichen Einrichtungen nicht leicht absehen. So lange letztere hier nicht mit hinlänglicher Sicherheit dargethan sein werden, halte ich es für wahrscheinlich, dass die kon- traktile Substanz eine Umwandlung erleiden kann, als deren Produkt auch amöboide Zellen auftreten können. Diese Anschauung hat auch Kölliker!) vertreten, allerdings zu einer Zeit, da die Emigration der Blutkörperchen noch gar nicht und die Ausgiebigkeit der Wan- derung amöboider weißer Blutkörperchen noch nicht in dem Maße ge- würdigt wurden, wie dies heutzutage der Fall ist. Die beschriebenen Zellschläuche in den Muskeln dürften noch ein weiteres Interesse durch die Beobachtung beanspruchen, dass dieselben gewisse Beziehungen zeigen zu denjenigen Gebilden, die unter dem Namen der Miescher’schen oder Rainey’schen Schläuche aus den Muskeln vieler Tiere beschrieben worden sind. Auch beim Frosche findet man nicht gar zu selten die Muskeln durchsetzt von mattweißen Knötchen und Streifen; wenn diese Einlagerungen in die Muskelfasern sehr zahlreich sind, dann sieht die Muskulatur wie gekocht aus. In die nähere Schilderung des feinern Baus dieser Miescher’schen Schläuche und der von ihnen besetzten Muskelfasern soll hier nicht eingegangen werden, da dieser Gegenstand in meinem Laboratorium im Augen- blicke einer besondern Untersuchung unterzogen wird. Was unsere Aufmerksamkeit an dieser Stelle besonders auf sich lenkt, ist die Thatsache, dass der Inhalt der Schläuche beim Frosche ebenfalls aus Zellen zusammengesetzt ist, die in ausgesprochener Weise amöboid sind. Diese Zellen sind die Trägerinnen der bekannten Inhaltskörper- 1) Kölliker, Handbuch d. Gewebelehre V. Aufl. 1857. S. 26. Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. 135 chen, die beim Frosche nicht wie bei den von mir untersuchten Mie- scher’schen Schläuchen anderer Tiere (Ratte, Maus) sichelförmig, son- dern eiförmig gestaltet sind. Die Miescher’schen Schläuche sind bis zur Stunde rätselhafte Gebilde. Man führt sie gewöhnlich heutzutage als zu den Sporozoen gehörige Formen an. Da jedoch alle Bemühungen, ihre Entwickelung festzustellen, bis jetzt gescheitert sind, so herrscht über ihre eigent- liche Bedeutung nichts weniger als Klarheit. Was bei ihrer Un- tersuchung besonders auffällt, ist der Umstand, den schon v. Hess- ling u.a. hervorgehoben haben, dass die Schläuche, wenn sie einmal vorhanden sind, sich auch immer gleich als Gebilde von ansehnlicher Größe präsentieren. Es gelingt nicht, innerhalb der Muskelfasern etwas zu schen, was man als ersten Anfang ihrer Ausbildung ansehen könnte. Ebensowenig kann man Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass die innerhalb der Muskelfasern vorhandenen Konglomerate von mit Inhaltskörperchen infiltrierten Zellen als solche in den Sarcolemma- schlauch eingewandert sind. Bei der großen Aehnlichkeit, die sich zwischen den Muskelzell- schläuchen und den mit den sogenannten Miescher’schen Schläuchen besetzten Muskelfasern herausstellt, kann ich nicht umhin die Ver- mutung auszusprechen, dass die vorherige zellige Metamorphose der Muskelfaser die Grundlage für die spätere gelegentliche Ansiedelung parasitärer Bildungen abgeben möge. Bei der Betrachtung der im Muskel vorkommenden, von dem Typus der normalen Fasern sich unterscheidenden Formen muss man sich auch des eben erörterten, nicht grade seltenen Vorkommens dieser Miescher’schen Schläuche erinnern. Dies dürfte umsomehr geboten sein, da die parasitäre Invasion den nicht von ihr betroffenen Teil der Muskelfaser nichts weniger als intakt lässt, die benachbarten Teile der Fasern sich vielmehr verändert zeigen, über welchen Punkt, wie bereits bemerkt, in meinem Laboratorium weitere Untersuchungen angestellt werden. Wenn wir nun von den Veränderungen in den Muskelfasern ab- sehen, welche nachweislich mit einer äußern, (parasitären) Veran- lassung in Zusammenhang gebracht werden, so bleibt uns immer noch eine Reihe von Erscheinungen übrig, welche als direkt durch von außen kommende Einwirkungen bedingt oder gradezu als durch Krankheit hervorgerufene Prozesse nicht bezeichnet werden können. Man wird vielmehr eher der Meinung zuneigen, dass auch im Muskel Vorgänge sich abspielen, durch welche, innerhalb der Grenzen der Norm, vereinzelt Muskelfasern in ihrer normalen Form und Zusam- mensetzung zeitweilig eingeschmolzen werden, um dann in der Folge wieder einem Neubildungsprozesse anheimzufallen. Für den quergestreiften Muskel wird man das Vorkommen eines derartigen Prozesses nicht schwer begreiflich finden, wenn man sich 136 Mayer, Zur Histologie des quergestreiften Muskels. der interessanten Ergebnisse erinnert, welche Miescher-Rüsch bei seinen Studien über die Physiologie des Stoffwechsels beim Rhein- lachse erzielt hat. Wenn wir aus diesen Untersuchungen erfahren, dass dieses Tier ohne Nahrungsaufnahme seine Geschlechtsprodukte aus den „liquidierten“ Bestandteilen des Rumpfseitenmuskels aufbaut, so ist es a priori nicht unwahrscheinlich, dass sehr eingreifende chemische Umwandlungen der Muskelsubstanz schließlich auch zu einer Auflösung der normalen Form führen können, und dass derartige Prozesse in der Reihe der Tiere eine weitere Verbreitung haben mögen. Das ausgeprägte Vorkommen derselben grade beim Frosche, in dessen Lebensäußerungen doch eine ausgesprochene Periodizität zu konstatieren ist, dürfte daher nicht auffallend erscheinen. Von besonderer Bedeutung erachten wir aber den Nachweis, dass sich im Muskel unversehrter Tiere eine Reihe von Formationen vorfindet, die man bis jetzt hauptsächlich aus den Muskeln kranker und verletzter Tiere beschrieben hat. Die Analogie zwischen den von mir am Nerven aufgedeckten Erscheinungen und den am Muskel nachweisbaren springt leicht in die Augen. Während es jedoch am Nerven gelingt, die Formen, die auf Zerfall und diejenigen, die auf konsekutive Neubildung hindeuten, ziemlich sicher in ihrem Zusammenhange miteinander aufzuzeigen, bin ich rücksichtlich dieses Punktes an den Muskeln nicht glücklicher gewesen, als meine Vorgänger. In den unversehrten Muskeln stößt man nicht schwer auf die- jenigen Veränderungen der Fasern, welehe von der großen Anzahl von Beobachtern als die Auflösung der normalen Muskelstruktur charakterisierend beschrieben werden, wie schollige und feinkörnige Zerklüftung, Muskelzellenschläuche u. s. w. Ueber die große Un- sicherheit aber in der Auffassung der die Neubildung von Muskel- fasern einleitenden Prozesse und die auf dieselben zu beziehenden Bilder, die sich in den zahlreichen Untersuchungen über die Regene- ration verletzter und erkrankter Muskeln kund gibt, bin ich bis jetzt bei meinen Nachforschungen am normalen Muskel noch nicht hinaus- gekommen. Ich glaube zwar innerhalb der feinkörnigen Substanz, die nebst den amöboiden Zellen die Muskelzellenschläuche erfüllt, hie und da feinste Fäserchen mit Querstreifen gesehen zu haben; doch kann ich aus dieser Thatsache, als noch nicht hinlänglich sicher gestellt, keine weiteren Schlüsse ziehen. So häufig mir in den normalen Muskeln die ganz schmalen, gut quergestreiften Fäserchen entweder vereinzelt oder in Convoluten und dann in der eigentümlichen, die sogenannten Muskelspindeln charak- terisierenden Verbindung mit markhaltigen Nervenfasern vorgekommen sind, so konnte ich doch über das Verhältnis, in welchem diese von vielen Autoren als neugebildete Elemente aufgefassten Fäserchen mit Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 137 den alten und umgebildeten Fasern stehen, noch nicht ganz ins reine kommen. Aufklärung hierüber erwarte ich von weiteren Untersuchungen, und ich werde in einer spätern Mitteilung auf meine Befunde und deren Diskussion, unter Vorlegung von Abbildungen und Berücksichtigung der großen Literatur, ausführlicher zurückkommen. Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläonto- logie der Haustiere. 1. Die pferdeartigen Tiere des Tertiärs. Die Abgrenzung der „Paläontologie der Haustiere“ auf dem Ge- samtgebiete der Paläontologie bedarf einer Rechtfertigung. Wir verstehen unter „Haustiere“ diejenigen Tiere, welche der künst- lichen Züchtung des Menschen unterworfen sind und sich unter seinem Einflusse — in seinem Hausstande — fortpflanzen. Die Geschichte der Haustiere beginnt demnach im allgemeinen mit der Geschichte des Menschen. Wenn wir uns streng an den Begriff „Haustier“ halten wollten, dann hätten wir die ältesten Ueberreste der Haustiere keines- falls in früheren Schichten der Erde zu suchen als die Ueberreste des Menschen, denn vor dem Menschen existierte kein Haustier. Aber die Beziehungen der Haustiere zum Menschen können uns nur Auf- schluss geben über die Frage: wann, und allenfalls wo sind die Haustiere entstanden, bezw. zu welchen Zeiten und an welchen Orten haben die Menschen die verschiedenen Arten von Haustieren gezähmt; jene Beziehungen geben uns jedoch keine Antwort auf die Frage: aus welchen Formen sind die Haustiere entstanden. Dass die Haustiere durch Zähmung wilder Tiere entstanden sind, ist von vornherein klar, wenn wir nicbt etwa der Ansicht von Herm. von Nathusius!) beipflichten wollen: „dass eben das Haustier so gut zum Haustier geschaffen ist, wie die Schwimmtiere für das Was- ser und die Klettertiere für das Klettern, das Landtier für das Land“ eine Annahme, welche jede Forschung zu Boden schlägt. In Wahr- heit können wir über die Entstehung der Haustiere gar keinen an- dern Gedanken fassen, als dass der Mensch sie durch Zähmung wil- der Tiere erworben habe. Wann und wo dies geschehen ist, das wissen wir nicht, denn innerhalb der geschichtlich beglaubig- ten Zeit ist kein Haustier neu entstanden. In die Kulturge- schichte des Menschen sind zwar einige Haustiere neu eingetreten, wie das Llama, die Alpaka, das Truthuhn und die Cochenille, aber diese Tiere sind thatsächlich den Kulturvölkern erst mit der Ent- deckung Amerika’s bekannt geworden, während sie der Urbevölke- 1) Vorträge über Viehzucht und Rassenkenntnis. 1. Teil. Berlin 1872. S. 11. 138 Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. rung dieses Welttheiles in geschichtlich nicht ermessbarer Zeit schon als Haustiere gedient hatten. Ebensowenig wie über Zeit und Ort der Zähmung der ersten Haustiere wissen wir etwas über die Art und Weise der Zähmung, ja wir kennen von einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Haustieren nicht einmal mehr die wilden Formen, aus denen sie hervorgegangen sind. Dies gilt insbesondere von den Vorfahren unseres Hauspferdes Hausrindes, Hausschafes, Haushundes, des indischen Hausschweines, der Hausziege und des Haushuhnes, welche gegenwärtig im wilden Zustande nirgends mehr existieren. Was gegenwärtig noch lebt von Wildpferden, Wildrindern, Wildschafen u.s. w. unterscheidet sich in der Form so sehr von den gleichartigen Haustieren, dass der un- mittelbare genealogische Zusammenhang zwischen diesen und jenen durchaus zweifelhaft erscheinen würde, wenn uns nicht bekannt wäre, welche eingreifende Umgestaltung der ursprünglichen Körperform der Hausstand der Tiere auszuüben vermag, und wie groß der Einfluss der künstlichen Züchtung ist auf die Abänderung fast sämtlicher Or- gane des Tierkörpers. Die Frage: aus welchen Formen — im Zustande der Wildheit — sind die Haustiere entstanden, kann uns also die Geschichte nicht beantworten, wohl aber die Paläontologie; ja diese vermag sogar noch mehr zu leisten, sie kann die Bedingungen feststellen für den Uebergang gewisser Formen aus dem Zustande der Wildheit in den Hausstand des Menschen. Diese Bedingungen sind — wie wir er- kennen werden — abhängig von dem Einflusse der natürlichen Züchtung, welehe Form und Leistung der wilden Vorfahren unserer Haustiere vorbereitet hat für die künstliche Züchtung unter dem Einflusse des Menschen. Da nur solche Tiere zur künstlichen Züchtung sich eignen, welche ausgezeichnet sind durch große Verän- derlichkeit ihrer Körperform und hohes Anpassungsvermögen an die von dem Menschen ihnen aufgedrungene Lebensweise, so können wir den Begriff der Haustiere wie folgt erweitern: es sind solche Tiere, welche die eben genannten Eigenschaften durch natürliche Züchtung in vorgeschichtlicher Zeit erworben haben. Die Grenzen der Paläontologie der Haustiere sind nun gegeben: sie umschließen alle diejenigen vorgeschichtlichen Tierformen, welche in den Haustieren der Gegenwart gipfeln. Leider sind bisher nur wenige dieser Tierformen paläontologisch erforscht worden; ein- gchendere Forschungen besitzen wir nur über die Formen des Pfer- des, des Rindes, des Schweines und des Hundes, über welche allein hier berichtet werden soll. Von allen Haustieren ist das Pferd paläontologisch am besten bekannt. Wir vermögen das Werden seiner Form nach abwärts zu verfolgen bis zu den eocänen Schichten der Tertiärbildungen unserer Erde. Die gegenwärtig lebende Familie Eguus ist das jüngste Glied Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 139 einer langen Ahnenreihe, von welcher in Europa bisher nur die Kno- chen und Zähne der miocänen Hipparien und Anchitherien, sowie die der eoeänen Paläotherien zutage gefördert sind. Der genealogische Zusammenhang dieser eocänen und miocänen Formen mit der Form unseres heutigen Pferdes ist noch Georg Cuvier verborgen geblieben. In seinen „Recherches sur les ossemens fossiles“ behandelt er (im 3. Bande Seite 212 der 4. Auflage vom Jahre 1834) auch die fossilen Pferde. Aber er findet keinen Unterschied zwischen den fossilen Knochen der Pferde und denen der lebenden. Er erklärt (daselbst Seite 219): „On peut done assurer qu’une espece du genre du cheval servait de compagnon fidele aux elephans et aux autres animaux de la möme &poque, dont les debris remplissent nos grandes couches meubles; que cette espece ne differait pas beaucoup pour la taille de nos chevaux domestiques de grandeur moyenne; que ses os des membres n’offraient point de differences sensibles; mais on doit re- marquer en m&me temps que ces rapports ne suffisent point pour faire affirmer que cette espeee füt Yune de celles qui vivent aujourd’hui plütot qw'un des animaux dont la race a et6 detruite par les revolu- tions du globe.“ Die erste wissenschaftliche Mitteilung über fossile, von den leben- den verschiedene Pferde gab Herm. v. Meyer, welcher in einem Briefe vom 2. Februar 1829 (Zeitschr. f. Mineralogie von Leonhard, Jahrg. 1829. 1. Bd. S. 280) die bei Eppelsheim in Hessen-Darmstadt gefundenen Pferdezähne zwei Arten, dem Equus primigenius und E. angustidens zuschrieb, ohne jedoch ihre Unterschiede von den lebenden Pferden genauer anzugeben. Dieses geschah erst im Jahre 1833 in den am 26. Januar 1832 bei der Leopold. Akademie eingegangenen Beiträgen zur Petrefaktenkunde (Nova Acta Acad. Caes. Leopold. Carol. Vol. XVI. P. II. p. 425). In ‘diesen werden die Pferde von Eppelsheim durch den abweichenden Bau ihrer Backenzähne von den diluvialen und lebenden Pferden unterschieden und in die Arten ge- teilt: Equus caballus primigenius, E. mulus primigenius und E. asinus primigenius. Fast gleichzeitig, im Februar 1832, wurde von de Christol die Entdeckung fossiler Pferde zu Cucuron im Dep. Vaucluse mitge- teilt (Annales des sciences et de industrie du midi de la France, Tom. I. p. 180) und für dieselben die Gattung Hipparion aufge- stellt, welche sich von Eguus nur durch die Form ihrer Backenzähne unterscheiden sollte. Später, im Jahre 1834, hat dann Kaup (Nova Acta Acad. Caes. Leop. Vol. XVII. P. I. p. 173) die erste genaue Beschreibung der Zähne und Knochen der fossilen Pferde von Ep- pelsheim gegeben und sie einer „Untergattung“ Höppotherium zuge- schrieben, nachdem die „Gattung“ Hipparion bereits in der Literatur Eingang gefunden hatte. Aus den Untersuchungen Kaup’s ergab sich, dass die fossilen Pferde von Eppelsheim, wenigstens an den 140 Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. Hinterbeinen, Griffelbeine (seitliche Mittelfußknochen neben dem mitt- lern, d. i. dritten Metacarpus und Metatarsus) besaßen, welche am untern Ende mit einer konvexen Gelenkfläche versehen waren und also jedenfalls Zehenglieder getragen haben müssen. Die Zehen des Hippotherium unterschieden sich nach Kaup durch ihre wunderbar verzogenen Schmelzfältchen von denen der Gattung Eguus. Genauer noch wurden diese Unterschiede im Jahre 1850 von Quenstedt (Würtembergische naturw. Jahreshefte, IH. Jahrg. S. 165) festgestellt, der zugleich eine Analyse des Pferdebackenzahnes gab. Den For- schungen von A. Wagner (Abhandlungen der Kgl. Bayr. Akademie der Wissenschaften Cl. II Bd. IH, Abt. I S. 166; Bd. V Abt. I, S. 335; Bd. VII Abt. II S. 438t); Bd. VIII Abt. I S. 111) verdanken wir die Kenntnis des Schädels, des Hufes und der drei Zehenglieder selbst, welche sich an den Griffelbeinen aller Füße befinden. Die gründlichste Arbeit über das Hipparion aber hat Rob. Hen- sel (Abhandlungen der Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1860 Seite 27—120, Taf. I—IV) geliefert, dem auch die vorstehenden Literaturnachweise über das Hipparion entnommen sind. Die Sendung fossiler, noch im Gestein steckender Knochen von Pikermi bei Athen, welche durch Dr. Kruper an das Berliner palä- ontologische Museum gelangte, gab Hensel Gelegenheit, eine Reihe wichtiger Skeletteile der Hipparien zutage zu fördern und zu ver- gleichen mit denen von Cucuron und von Eppelsheim. Hensel beschrieb die Arm- und Beinknochen, sowie das Gebiss der Hipparien und verglich deren Skeletteile mit denen des heutigen Pferdes. Das Gebiss von Hipparion unterscheidet sich nach Hensel von dem des heutigen Pferdes durch eine zusammengesetztere Falten- bildung an den Halbmonden der oberen Backenzähne, namentlich an ihren einander gegenüberstehenden Seiten, sowie durch die (nur bei sehr hohem Grade der Abkauung verschwindende) Isolierung des Pfeilers an der Innenseite der oberen Backenzähne. Der Bau der Glieder ist im allgemeinen wie bei Eguus, das heißt, die dritte Zehe hat sich vorzugsweise entwickelt und sie berührt allein den Boden. Am untern Ende des Mittelfußknochens besitzt sie an allen Füßen die zwei Sesambeine und an der Hinterseite des Hufgliedes das Strahl- bein der Pferde. Dagegen ist die Ulna in ihrem mittlern Teile nicht unterbrochen, sondern vollständig entwickelt, ein dünner Knochen, welcher mit dem Radius verwächst. Dasselbe setzt Hensel von der 4) Diese Abhandlung erschien als Sonderabdruck unter dem Titel: „Die fossilen Knochenüberreste von Pikermi in Griechenland von Joh. Roth und Andreas Wagner. München 1854. In derselben ist das Hipparion als Hippo- therium gracile var. mediterraneum auf Seite 68 bis 74 behandelt, sowie des- sen Gebiss und die Mittelfußknochen eines Gliedes auf Taf. XI und XII ab- gebildet. Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 141 (in jener Knochensendung fehlenden) Fibula voraus. Die Mittelfuß- knochen der zweiten und vierten Zehe haben keine griffelförmige Ge- stalt, sondern sie sind vollständig entwickelt und tragen drei Zehen- glieder, erreichen jedoch nicht das untere Ende des Mittelfußknochens der dritten Zehe. Auf der hintern Seite ihres untern Gelenkes befin- det sich dicht über der Verbindung desselben mit dem ersten Zehen- gliede ein kleines Sesambein. Die Zehenglieder und das untere Ende sind an der zweiten Zehe stärker entwickelt als an der vierten. An den Vorderfüßen ist die fünfte Zehe durch einen verkümmerten Meta- carpus vertreten, welcher mit dem obern Ende des Metacarpus der vierten Zehe an dessen Außenseite gelenkt. Auf der Innenseite des obern Endes des Metacarpus der zweiten Zehe befindet sich eine Ge- lenkfläche für einen verkümmerten Metacarpus der ersten Zehe, so dass also an den Vorderfüßen die Zahl der Zehen fünf beträgt. An den Hinterfüßen fehlen die erste und fünfte Zehe gänzlich. — Von der Gattung Hipparion unterscheidet Hensel zwei Arten Hipp. me- diterraneum aus dem südlichen Europa (Pikermi, Cuceuron, Concud) und Hipp. gracile (Hippotherium gracile Kaup.) aus Mitteleuropa (Ep- pelsheim, Bohnerze). Die Körpergröße der Hipparien erreicht nicht die eines mäßig großen Pferdes. Das Gebiss von Hipparion wurde einer sehr eingehenden Unter- suchung unterworfen von L. Rütimeyer („Beiträge zur Kenntnis der fossilen Pferde und zur vergleichenden Odontographie der Huf- tiere überhaupt“ in Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft in Basel. 3. Teil 1863. Seite 646). Derselbe hat insbesondere die große Verschiedenheit der Milchprämolaren des Unterkiefers bei Hip- parion in Vergleich zu Eguus hervorgehoben. Während das Gebiss des Oberkiefers von Hipparion den so auffälligen Gattungscharakter sowohl im Milchgebiss wie im Ersatzgebiss an sich trägt, weicht das Milchgebiss der Prämolaren des Unterkiefers so sehr von dem pferde- ähnlichen Ersatzgebiss ab, dass die zuerst entdeckten Milchzähne mit Prämolaren neuer Arten verwechselt wurden, eine Abweichung, wel- che um so auffallender ist, als der Zuthat — nämlich der Basalsäu- len an der Außenwand — welche ihnen über das Ersatzgebiss hinaus zukommt, keine Bildung in dem Gebiss des Oberkiefers zu entsprechen scheint. Rütimeyer meint, dass man dadurch auf die Vermutung geführt werden könnte, dass die Gattung Aöpparion uns bereits einen Ueber- gang von einer noch ältern und uns noch unbekannten Form von pferdeartigen Tieren zu Hipparion und selbst zu Eguus vor Augen stellte, eine Form, welche auch im bleibenden Gebiss die sonderbare Zuthat der vorübergehenden Zähne von Hipparion besessen hätte, denn letzteres scheint nur in der Jugend Hipparion zu sein, später aber schon zu Eguus heranzuwachsen. Von pferdeartigen Tieren, welche als unmittelbare Vorgänger des 142 Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. Hipparion angesehen werden können, haben die paläontologischen Forschungen in Europa allein das Anchitherium zutage gefördert. Ein Kaufmann und naturwissenschaftlicher Dilettant, Defay zu Orleans, hat die Ueberreste dieses Tieres zuerst aufgefunden im ter- tiären Süßwasserkalk der Steinbrüche zu Montabusard bei Orleans und sie beschrieben in seinem Werke „La nature consideree dans plusieurs de ses operations“, Paris 1783. Ein Teil der Knochen wurde von George Cuvier untersucht, welcher darüber berichtet (Ossem. foss. III, p- 407) „Dans cette carriere de Montabusard se sont trouves aussi deux fragmens d’humerus, que je represente pl. 81. J’avais eru d’abord, d’apres leur grandeur, devoir les rapporter a une espece de veritable Palaeotherium retiree des m&mes banes, et que jai nommee Palaeotherium Aurelianense“. Später erhielt Cuvier auch Gebisse dieses Tieres, welche er im 5. Bande S. 439 des ge- nannten Werkes kurz beschreibt und zu dem Schluss kommt: „Toutes ces mächelieres sont done de la m&me espece, et tout semble prouver que cette espece est du genre Palaeotherium.“ Im Jahre 1829 fand Herm. v. Meyer in den tertiären Kalksteinen und Mergelmassen von Georgensmünd in Mittelfranken zahlreiche Zähne!) und Kieferstücke von Palaeotherium Aurelianense, welche er in seiner Schrift: „Die fossilen Zähne und Knochen und ihre Ablage- rung in der Gegend von Georgensmünd in Bayern“ Frankfurt a. M. 1834 Seite 80 ff. eingehend beschrieb. Nach Meyer zeichnet sich dieses Palaeotherium besonders aus durch die doppelte Spitze seines mittlern Hügels an der Innenseite der unteren Backenzähne, während diese Spitze bei den übrigen Gattungen einfach ist. Später trennte Meyer dieses Tier von der Gattung Palaeotherium und nannte es Anchitherium Aurelianense. Christol, der in den Comptes Rendus vol. XXIV eine kurze Notiz über das Anchitherium veröffentlichte, hatte — auf grund von dessen Aehnlichkeit mit dem Pferde — den Namen Hipparitherium vorgeschlagen. Die Benennung von Meyer ist indess die allgemein übliche geblieben. Nach der Aufdeckung der fossilen Lager von Georgensmünd wurden die Zähne und Knochen von Anchitherium noch an mehreren Orten gefunden und als fossile für das mittlere Tertiär erkannt; so von Ezquerra am Cerro de San Isidro bei Madrid, von Lartet im Hügel von Sansan (Dep. Gers), ferner zu St. Genies bei Mont- pellier und bei Issel in Languedoc. Die Funde zu Sansan veranlass- ten Lartet?) zu einer kurzen Notiz, worin er das Palaeotherium Aurelianense Cuviers Palaeotherium hippoides benennt; er kenn- zeichnete es als ein Huftier mit drei Zehen, von denen aber nur die 1) Unter denselben befand sich nur ein einziger Schneidezahn, an dem sich die den Pferden eigentümliche Grube (Marke) nicht erkennen ließ, 2) Notice sur la colline de Sansan. Auch 1851 p. 30. ne Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 143 Mittelzehe auf einen, dem der Einhufer ähnlichen Huf den Boden be- rührt. Die schmalen Seitenzehen sind ohne Funktion beim Gange des Tieres; die Mittelzehen, die Mittelfuß- und Fußwurzelknochen sind sehr ähnlich denen des Pferdes. Aber die oberen Gliederknochen wie- derholen die Form der Paläotherien. Im übrigen kündigen die Ge- radheit, Scehlankheit und Stellung der Glieder ein Tier an, das min- destens so elegant ist wie das Pferd. Weitaus das vollständigste Material jedoch lieferte Steinheim bei Heidenheim in Würtemberg, „eine tertiäre Oase im weiten Jura- feld“ — wie Oskar Fraas sie nennt, der in seiner „Fauna von Stein- heim“ (in den Jahresheften des Vereins für vater]. Naturkunde in Würtemberg XXVI. 1870. Seite 216—230) sehr eingehende Unter- suchungen über Anchitherium Aurelianense mitteilt. Nach Fraas stehen die Backenzähne von Anchitherium, namentlich des Oberkiefers, denen vom Tapir am nächsten. Palaeotherium, das unbestritten dem reinen Eocän angehört, steht nicht bloß als chronologisch älter, son- dern nach seinem ganzen Zahnbau, der auf die Molaren den Prämo- laren gegenüber den Nachdruck legt, entschieden ferner. Der Haupt- unterschied zwischen Hipparion und Equus einerseits und Tapir und Anchitherium anderseits bleibt freilich — wie Fraas meint — stets unerklärt; er beruht auf dem Vorhandensein des Zementes bei jenen, welche alle Verbindungen zwischen den Schmelzhöckern und den Schmelzjochen erfüllt und sich in alle Fugen und Winkel des Schmelz- bleches hineinzieht, das selbst wieder durch die reichste Fältelung aufs innigste mit der Zementsubstanz sich verbindet. Ueber die Kopfform von Anchitherium ist durch Funde von Schä- deln damals nichts direkt bekannt geworden. Wir werden, meint Fraas, der Wahrheit näher treten, wenn wir mehr an Tapir an- knüpfen, als an Hipparion. Bei den niederen Zahnkronen und breit auseinandergehenden Zahnwurzeln des Anchitheriums ist kein hohes und steiles Os maxillare vorauszusetzen, welches Auge und Jochbogen nach hinten rückt; der starke Eekzahn verlangt gleichfalls eine starke Entwickelung der vordern Partie der Gesichtsknochen. Ob das Tier ein Rüsselträger war oder nicht, darüber fehltes an allem und jedem Anhaltspunkt. Von den Gliederknochen sind Tibia und Fibula zwar innig ver- wachsen, aber der ganze Verlauf der letzteren ist ebenso an der Ge- lenkfläche angezeigt, wie auf der Außenseite der Schiene. Der äußere Knöchel oder das Unterende der Fibula fasst die äußere Astragalus- rolle von außen, verschmälert sich aber gegen die Mitte der Tibia mehr und mehr, um in einer scharfen Crista, wie sie kein Pferd und kein Hipparion hat, zum Caput tibiae hinaufzusteigen. Der Unterschied des Anchitherium-Fußes von dem echter Paläo- therien tritt in der Rolle des Astragalus am schärfsten zutage. Das Kreissegment derselben ist ein viel größeres als das der Paläotherien 144 Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere, und Rhinocerosse, aber doch noch nicht so groß wie bei Hipparion und Equus. Die Rolle, die einer außen anlaufenden und nach innen aufsteigenden Schraube gleicht, ist bei Eguus am tiefsten eingeschnit- ten, am seichtesten bei Palaeotherium. Zwischen Hipparion und Eguus findet Fraas so wenig wie Hensel hierin einen Unterschied, wäh- rend man den Astragalus des Anchitherium zwischen beide stellen muss. Diese Schraube ist steiler als bei Palaeotherium, dagegen nicht so steil wie bei AHöpparion. Den Hauptunterschied findet Fraas je- doch im Unterende der innern Rolle, die oberhalb der Scaphoidal- fläche (d. h. der Gelenkfläche für das os tarsi centrale) aufhört, so dass der Sinus tarsi sich noch zwischen der innern und äußern Fossa dorsalis hindurchzieht. Von einem Hinterfuße war in den Steinheimer Funden ein Meta- tarsus medius mit seinem äußern rechten Metatarsus erhalten, der nur um 21 mm kürzer war als jener. Von Zehengliedern war das 1. und 3. der mittlern Zehe und das dritte einer seitlichen Zehe vorhanden. Die tiefe Furche, welche die obere Gelenkfläche des ersten Zehengliedes bei Zguus und Hipparion halbiert, und außen und innen einen Einschnitt in den Körper des Zehengliedes hinterlässt, waren bei Anchitherium nur auf der Hinter- seite der Fläche vorhanden; auf der Vorderseite fand sich nicht nur kein Ausschnitt, sondern der Knochenrand des Zehengliedes schlägt sich sogar zur Fläche des Mittelfußes hinauf. Das 3. mittlere Zehenglied — der Huf — machte von außen ge- sehen den Eindruck von zwei verwachsenen Hufgliedern, indem sich eine deutliche Medianlinie, sogar mit einer kleinen Mittelbucht im Hufe beobachten ließ. Die Knochenstruktur des Hufgliedes der seitlichen Zehen war genau dieselbe wie die der Mittelzehe, aber im ganzen erschien jenes um 3 cm kürzer als das mittlere. Zwischen Vorder- und Hinterfuß beobachtete Fraas den Unter- schied, dass sich die seitlichen Metacarpen tiefer hinab an den mitt- leren anlegen. Die Spur an beiden Knochen reicht bis zu °/, der Länge des Metacarpus, dann erst greift der seitliche Knochen schwach nach hinten. Somit erscheint der Vorderfuß etwas geschlossener als der Hinterfuß, an beiden aber scheinen die hinteren 2 Zehen den Bo- den — als Stützen des mittlern Hauptbufes — wenigstens noch be- rührt und nicht bloß als Afterklauen figuriert zu haben. Die umfassendste Untersuchung über Anchitherium verdanken wir W. Kowalewsky (Memoires l’Acad. imp. des sciences de St. Peters- bourg, VII. Serie, Tome XX Nr. 5. Lu le 5 septembre 1872). Er untersuchte die paläontologischen Sammlungen des Pariser Pflanzen- gartens, wo er zahlreiche Knochen der Sansan’schen Funde kennen lernte. In dieser ersten, im Jahre 1873 erschienenen Abhandlung be- schreibt Kowalewsky die Gliederknochen; eine zweite Abhandlung Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere, 145 soll den Schädel, das Gebiss, allgemeine Betrachtungen (über die paläontologische Geschichte der Pferde) und einen Versuch der Wie- derherstellung des Skelets bringen; sie ist aber bisher noch nicht er- schienen. Doch enthält die Tafel III zu jener Abhandlung die Ab- bildung zweier Schädel, welche zwar zusammengedrückt sind, aber noch ein vollständiges Gebiss enthalten; an den ersten Unterkiefer- Schneidezähnen des einen (erwachsenen) Schädels erkennt man die den Pferden eigentümlichen Gruben (Marken), die aber den zweiten und dritten Schneidezähnen fehlen. Kowalewsky hält das Anchitherium für eine Mittelform zwi- schen Palaeotherium medium und Hipparion: „Cependant, rien n’est plus loin de moi que Yidee qu’un animal que nous nommons Palaeoth. med. a donne direetement naissance aA un Anchitherium, celui-ci a un Hipparion (peut-&tre Merychippus Leidy) et ainsi de suite, mais, dans lassemblage d’individus que nous denominons Palaeoth. med. il ya toujours quelques formes qui sont plus Anchitheroides que les autres; de meme j’ai pu constater que parmi les Anchitheriums il y a des individus qui, se trouvant encore dans les limites de l’espece, presen- tent quelques petits caracteres qui les rapprochent ou du cheval ou des Paleotheriums. Quelques petits facettes, quelques partieularites d’artieulation, qui sont presentes chez quelques individus, manquent aux autres. — Ni les caracteres nouveaux n’apparaissent, ni les ca- racteres anciens ne disparaissent subitement, d’un animal a un autre; apparition comme la disposition des caracteres se fait d’une maniere lente, pour ainsi dire hesitante. Un earactere qui &tait normal com- mence A manquer quelquefois, puis il devient indifferent, e’est-A-dire aussi souvent present qwabsent, puis il devient rare et disparait com- pletement.“ Beispielsweise erinnert K. an den kleinen vordern Prämolarzahn der Paläotherien; er wird verhältnismäßig noch kleiner bei Anchi- therium, obgleich er noch beständig ist; bei Hipparion fehlt er ebenso oft, wie er vorkommt, und er wird schr selten bei den gegenwärtigen Pferden. Sämtliche Verschiedenheiten der Gliederknochen des Anchitheriums von denen der Paläotherien zeigen unverkennbar eine Richtung nach dem Typus des Pferdes. Die zweiten und vierten Zehen, welche — neben den dritten Hauptzehen — noch bei den Paläotherien ganz den Boden berühren und eine vollkommene Stütze des Fußes bilden, ver- kürzen ‘sich bei Anchitherium derart, dass nur noch die Spitzen der beiden Nebenhufen den Boden erreichen. Dementsprechend verküm- mern alle diejenigen Gliederknochen, welche den genannten Neben- zehen als Träger dienen: so die zweiten und vierten Mittelfußknochen (Metacarpi et Metatarsi II et IV); die medialen und lateralen Fuß- wurzelknochen und zwar am Carpus: die ossa carpalia II (Trape- zoideum) et IV (Uneiforme), am Tarsus: die ossa tarsalia II (Cunei- 10 446 Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. forme II!) et IV (Cuboideum); die Ulna nebst dem mit ihr gelenken- den os earpi ulnare (Pyramidale s. Triquetrum); die Fibula, nebst dem mit ihr gelenkenden os tarsi fibulare (Caleaneus). Dagegen werden alle Knochen stärker und breiter, welehe mit den mittleren (dritten) Zehen in Verbindung stehen: so der Metacarpus III mit dem os carpale III (Magnum) der Metatarsus III mit dem os tarsale III (Cuneiforme III s. magnum)?) und os tarsi centrale (Navieulare); der Radius mit dem os carpi radiale et intermedium (Scaphoideum et lunatum), die Tibia mit dem os tarsi tibiale (Astragalus). Bevor wir den Ursachen dieser Erscheinungen näher treten, wol- len wir — der Beschreibung Kowalewsky’s folgend — die Ergeb- nisse derselben an den einzelnen Gliederknochen feststellen. Das Scehulterblatt von Anchitherium nähert sich dem des Pfer- des in betreff der Schmalheit des Halses (des vordern untern Gelenk- winkels) und der beträchtlichen Entfernung zwischen dem Gelenk- rande und dem Anfange der Schultergräte; der vordere und hintere tand des Schulterblatthalses ist jedoch bei ersterem mehr abgerundet und dieker als beim Pferde. Die Gelenkgrube ist runder als bei den Paläotherien, aber weniger rund als bei den Pferden. Der Oberarmknochen gleicht an seinem untern Ende ganz und gar dem Humerus des Pferdes, aber der obere Teil ist sehr verschie- den und seine Form erinnert an die der Wiederkäuer und Tapire; übrigens ist der Humerus des Anchitheriums an seiner obern Hälfte weniger viereckig, an seiner untern Hälfte stärker gekrümmt als der des Pferdes. Beim Tapir (wahrscheinlich auch beim Palaeotherium, was K. wegen Mangel an Material nicht feststellen konnte) trägt der laterale Rand des Humerus das Tubereulum majus, der mediale Rand das Tubereulum minus — wie beim Pferde; aber beim Pferde findet sich außerdem ein Höcker in einer Grube der Knorpelrolle vom Muse. bieeps, welchen Kowalewsky „tubereule bieipital“ nennt; dem Ta- pir und den Paläotherien fehlt dieses Tubereulum bieipitale, beim Anchitherium aber besteht dasselbe als leichte abgerundete Erhaben- heit wie bei einem neugebornen Pferde. Die Speiche ist ganz verschieden von der der Paläotherien und sie nähert sich sehr dem Radius der Pferde; sie ist weniger gekrümmt als bei Palaeotherium und ihre Breite von oben nach unten ist sehr viel gleichmäßiger; zugleich ist sie von vorn nach hinten abgeplattet, was beim Pferde noch mehr der Fall ist. Die obere Gelenkfläche 4) Bei den Tapiren, Rhinoceronten und den Paläotherien sind die ossa tarsalia I—III (Cuneiformia I—III) getrennt; beim Anchitherium, Hipparion und Pferde ist das Tarsale I mit dem II verwachsen zum Mesotarsale (Meso- cuneiforme). 2) Die drei einzigen Exemplare dieses Knochens, welche K. von Ancht- therium untersuchte, waren mit dem Mesotarsale verwachsen, was er für „une anomalie assez partieuliere* erklärt. Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere, 147 des Radius vom Anchitherium ist durch eine Hervorragung (welche K. „eminence intertrochl&eenne“ nennt) in zwei Gruben geteilt, deren äußere vertieft ist durch eine große Furche zur Aufnahme des Vor- sprungs der äußern Rolle des Humerus, welche Furche beim Pferde noch tiefer ist als bei Anchitherium. Die untere Gelenkfläche unter- scheidet sich vollkommen von der der Paläotherien und gleicht durch- aus der eines Esels. Diese karpale Gelenkfläche des Radius ist in hohem Grade charakteristisch für die pferdeartigen Tiere, was, da das Anchitherium eine gleichförmige zeigt, sehr zu gunsten seiner di- rekten Verwandtschaft mit den Pferden spricht; „la etait la grande diffieult& du passage entre les Pal&otheriums et les chevaux, et je eonsidere cette modification comme une des plus importantes et des plus eloquentes du squelette de l’Anchitherium.“ Das Ellenbogenbein ist dem der Hipparien und der gegen- wärtigen Pferde sehr ähnlich, namentlich in Rücksicht auf die be- trächtliche Verkürzung. Am untern Drittel ihres Verlaufes ist die Ulna mit dem Radius lose verwachsen. Vom Becken war nur das Acetabulum erhalten, welches dem des Pferdes sehr ähnlich war; nur der Ausschnitt für das runde Band war nicht so breit. Eine Eigentümlichkeit des Anchitheriums ist oberhalb der Crista ischii eine tiefe Furche für die Sehne des Obturator internus. Das Oberschenkelbein hat einen weniger runden Gelenkkopf als bei Tapiren und Paläotherien, und ähnelt dem mehr ovalen Ge- lenkkopfe des Pferdes; der Hals des Gelenkkopfes ist viel kürzer und dicker als bei jenen Tieren, wodurch — in Verbindung mit dem mehr ovalen Gelenkkopfe — die rotierenden Bewegungen des Oberschenkels beschränkt werden, wie bei den Pferden. Der dritte Trochanter des Anchitheriums hat einen verhältnismäßig viel höhern Platz als bei den Paläotherien; seine Lage wie seine Form stimmt vollkommen mit dem des Pferdes überein, eine Uebereinstimmung, welehe noch um so auffallender erscheint durch die Thatsache, dass bei den Pa- läotherien und den Tapiren sich der dritte Trochanter mit dem äußern Rande des Femur mittels eines breiten Kammes verbindet, während er bei Anchitherium und den Pferden einen schroffen Vorsprung bildet am äußern Rande des Femur. Unterhalb des großen Trochanters be- findet sich auf dem hintern und äußern Umfange des Femur eine große Grube (zum Ansatze des Muse. flexor perforatus), welche den Paläotherien fehlt und durch eine Rauhigkeit ersetzt ist. — Das un- tere Ende des Femur hat zwei tibiale Rollen, deren mediale ein wenig größer ist als die laterale, während die Größenverschiedenheit beider Rollen bei den Paläotherien ziemlich gering ist. — Die Gelenkknor- ren stehen einander näher bei Anchitherium und dem Pferde als bei den Paläotherien und den Tapiren, so dass die Grube zwischen den Gelenkknorren bei ersteren schmäler ist. 448 Wilcekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. Am Schienbein reicht der vordere Kamm etwas weiter abwärts als beim Pferde, aber die Bandgrube an seiner vordern Fläche ist bei Anchitherium sehr tief — wie beim Pferde. Auch die Furche (für den Extensor anterior) am lateralen Rande des Kammes ist stärker markiert und tiefer als bei den Paläotherien und den Tapiren, voll- kommen übereinstimmend mit der des Pferdes. — Der mediale Knö- chel ist verhältnismäßig viel stärker und länger als bei den Paläo- therien und den Tapiren; sein vorderer Teil passt in eine große Grube hinein am innern Rande des Astragalus; vorn trägt er eine kleine Gelenkfläche, mittels welcher er die vordere Wand dieser Grube be- rührt. Kowalewsky meint, dass, wenn das Tier liegt, der mediale Knöchel der Tibia in die Grube des Astragalus eintritt und es so ermöglicht, dass die einwärts gezogenen langen Metatarsen einen spitzen Winkel mit der Tibia bilden, was dem Anchitherium die gleiche Ruhelage gestattet wie den Pferden und den Wiederkäuern, während bei den Rhinoceronten, den Tapiren und wahrscheinlich auch den Paläotherien, die Metatarsen in der Ruhelage mit der Tibia einen sehr stumpfen Winkel bilden. Das Wadenbein ist außerordentlich verkümmert, obgleich es in seiner ganzen Länge erhalten und an der untern Hälfte mit der Tibia verwachsen ist. Die Fibula bildet den lateralen Knöchel, der sich an die äußere Rolle des Astragalus anlehnt. Die laterale Rolle der beiden verwachsenen Unterschenkelknochen ist im Verhältnis zur Querachse der Tibia schiefer gestellt als bei den Paläotherien, und sie nähert sich der Stellung wie beim Pferde. Auch die Furchen zur Aufnahme der Rollen des Astragalus sind tiefer als bei den Paläo- therien. Kowalewsky behandelt dann sehr eingehend die Knochen des Carpus und des Tarsus, welche er zu den wichtigsten Teilen des Skelets der Huftiere rechnet; diese Knochen bilden stets außerordent- lich beständige Formen und sie sind von großem Werte für die Un- tersuchungen über die natürlichen Verwandtschaften. — Es würde viel zu weit führen, der die Fußwurzelknochen betreffenden ausgedehnten Beschreibung Kowalewsky’s zu folgen. Das Ergebnis der Abän- derungen an allen Knochen sowohl der Vorder- wie der Hinterfüße habe ich bereits oben (S. 145) mitgeteilt. Es ist unverkennbar, dass die Abänderungen an den Fußknochen von Anchitherium — im Ver- gleiche zu den Formen derselben bei den Paläotherien und den Ta- piren — die Tendenz zeigen; die mittleren (dritten) Zehenglieder atıf kosten der beiden seitlichen zu vergrößern, bis die Form erreicht ist, welche die gegenwärtigen Pferde kennzeichnet. Von den Knochen des Fußes unterscheiden sich bloß die ersten Glieder der mittlern (dritten) Zehe in ihrer Form vollkommen von denen des Pferdes und des Hipparion und sie nähern sich mehr der Form der Paläotherien; es fehlt ihnen die so beträchtliche, den pferdeartigen Tieren eigen- Wilkens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 149 tümliche Verschmälerung; es besteht jedoch ein Unterschied zwischen Paläotherien und Anchitherium an der obern Gelenkfläche, welche bei letzterem eine Aushöhlung mit scharfen Rändern zeigt; außerdem trägt der hintere Rand eine tiefe Furche für den Gelenkvorsprung des Mittelfußknochens. Die mittlern Hufbeine von Anchitherium sind platter und sie besitzen nicht die große Aushöhlung an der Sohlen- fläche, welche die Hufbeine der Pferde auszeichnet. Die Form der ersten Glieder der seitlichen Zehen ist nicht symmetrisch; die laterale wie die mediale zeigt eine gegen die Achse des Fußes gerichtete Krümmung. Außerdem ist die gegen die mittlere Zehe gerichtete Fläche viel flacher als die äußere konvexe Fläche. Die zweiten seitlichen Zehenglieder sind fast würfelförmig. Die dritten sind sehr klein und sie haben die Form eines rechtwinkligen Dreiecks, deren Hypothenuse den hinteren unteren Rand bildet und dessen rechter Winkel oben vorn gelegen ist. Sie unterscheiden sich nicht in bestimmbarer Weise von den gleichen Zehengliedern des FHipparion. Von den Wirbelm hat Kowalevsky einen Atlas von Anchi- therium untersucht, der sich durchaus nicht unterschied von dem eines Esels, doch fehlen jenem die lateralen Apophysen. Der zweite Hals- wirbel glich vollkommen dem des Pferdes. Die Rauhigkeiten für den Ansatz der Sehnen und Muskeln waren an den beiden ersten Hals- wirbeln minder ausgesprochen, als bei den entsprechenden Wirbeln der Pferde. In einem späteren Werke („Monographie der Gattung Anthraco- therium Cuv. und Versuch einer natürlichen Klassifikation der fossilen Huftiere“ in Palaeontographiea N.F. II. 3) untersucht Kowalevsky die Ursachen der Abänderungen, durch welche das dreizehige An- chitherium in das einzehige Pferd umgewandelt wird. Er beantwortet die Frage: „Wie konnte das dreizehige Anchitherium in das mono- dactyle Pferd sich verwandeln“ (Seite 161) wie folgt: „Vielleicht durch Verkürzung der Seitenzehen, — das ist aber unmöglich, weil wir keinen Prozess im Organismus kennen, infolge dessen die unteren Enden der Seitenmetacarpalien ihren Platz an beiden Seiten des Unterendes des Hauptmetacarpale (III) verlassen würden, um sich von unten nach oben zu verkürzen. Sie sind in ihrer ganzen Länge durch Bänder an das Mittelmetacarpale ange- heftet und können überhaupt bis zu ihrem völligen Verschwinden nieht von der Stelle weichen. Außerdem ist es gar nicht zweifelhaft, dass die Reduktion der langen Knochen immer durch Verdünnung und endlich Unterbrechung in ihrer Mitte geschieht, was wir an der Ulna, der Fibula des Hipparions und an den Seitenmetacarpalien vieler Hirsche sehen können. Auf dem Stadium der Reduktion, auf welchem wir das Anchitherium antreffen, vollzieht sich offenbar im Organismus ein Kampf zwischen zwei sich widersprechenden Prin- zipien. Einerseits sind die Seitenfinger, indem sie sich auf den Boden 450 Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. stützen und eine größere Stabilität der Extremität verleihen, dem Organismus nützlich, folglich wird ihr Verlust für den Organismus nachteilig sein. Anderseits ist es für den Organismus unvorteilhaft, eine große Menge von Nahrungsstoffen und Kräften auf die Blutbe- wegung in den Gefäßen dieser dünnen Seitenzehen zu verwenden, während eine auch ganz unbedeutende weitere Verdiekung des Mittel- fingers die Seitenzehen entbehrlich machen kann. Mit dem Ver- schwinden der Seitenzehen aber verschwinden auch ihre Muskeln und Sehnen, sowie die sie versorgenden Gefäße und Nerven und der Ge- winn in der Oekonomie der Ermährung wird dabei ein ganz bedeu- tender sein. Wie zieht sich nun der Organismus aus diesem Dilemma? Die Aufgabe der Uebertragung der ganzen Last des Körpers von drei auf nur einen einzigen Mittelfinger ist fast gelöst, es bleibt nur noch ein Schritt weiter zu thun in derselben Richtung, welche der Organismus so entschieden von dem obern Eocän bis ins mitt- lere Miocän verfolgt hat. Um diesen weiteren Schritt zu thun, d. h. um die Seitenzehen gänzlich abzuwerfen, muss man sie vorher unnütz machen, anders wird es keinen Grund zu ihrem Verschwinden geben, unnütz aber können die Seitenzehen nur im einem Falle werden wenn sie den Boden nicht mehr berühren werden, folglich re- duziert sich die nächste Aufgabe darauf, die Seitenzehen vom Boden abzuheben. Wir haben aber gesehen, dass die Seitenzehen sich nicht selbständig verkürzen können, es muss daher zu anderen Mitteln gegriffen werden, um dieselben vom Boden abzuheben, — nur ein einziges solches Mittel gibt es, um dieses Resultat zu erzielen, und der Organismus nimmt es auch in Anspruch.“ Dieses Mittel erkennt K. im der Verlängerung der ersten Pha- lange der Mittelzehe, wodurch notwendigerweise alles, was oberhalb dieser Phalange liegt, vom Boden entfernt, d. h. die Seitenzehen vom Boden abgehoben und auf diese Weise unnütz gemacht werden. „Als Resultat dieser Verlängerung der ersten Phalange beim Hipparion, wodurch die Seitenzehen von dem Boden abgehoben wer- den, kam ein anatomisch tridaktyler, praktisch aber monodaktyler Fuß zu stande; die Seitenzehen, die den Boden nicht mehr berührten, wurden zu nutzlosen Rudimenten, die nach und nach gänzlich schwin- den.“ Um aber den einzehigen Fuß fester zu machen und gegen Ver- renkungen zu schützen, entwickelt sich auf dem distalen Ende des Mittelmetacarpale ein hoher scharfer Vorsprung oder eine Rolle, welche tief in eine entsprechende Rinne der proximalen Fläche der ersten Phalange sich einkeilt, und nach vollendeter Abhebung der Seitenzehen vom Boden, beim Hipparion, ist das distale Ende des Mittelmetacarpale mittels der neu entwickelten Rolle so stark mit der ersten Phalange gelenkt, dass jede Gefahr einer Verrenkung dieses Gelenkes vorüber ist, Diese Rolle entwickelt sich aus einem Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 151 Vorsprunge, der bei sämtlichen Säugetieren auf der Palmarseite aller Mittelfußknochen besteht; mit dem Schwinden der Seitenzehen wird dieser Vorsprung bedeutend stärker, biegt sich über das Unterende des Mittelfußes auf die Vorderseite über und passt sehr tief in eine entsprechende tiefe Rinne auf der proximalen Fläche des ersten Ziehengliedes. „Wir kommen somit“, sagt Kowalewsky, „von den dreizehigen Paläotherien ausgehend, durch eine ganze Reihe ailmählicher Ueber- gänge bis an die monodaktylen Pferde. Von Formen, die sieh mit drei fast durch und durch festen (da die Medullarhöhle in den Meta- carpalien der Paläotherien nur sehr unbedeutend ist) Knochenzylin- dern auf den Boden stützen, gehen wir zu Formen über, bei denen, zusammen mit einer bedeutenden Vergrößerung der Masse und Schwere des Körpers, diese drei festen dünnen Zylinder durch eine innen hohle Röhre ersetzt werden, d. h. durch eine möglichst zweck- mäßige Einrichtung, welche die größte Festigkeit mit der billigsten Ernährungsweise vereinigt. Alle Veränderungen, denen die Extremi- täten unterworfen sind, werden freilich nur durch die mechanischen Verhältnisse der Lokomotion bedingt und wir sehen in der That, dass alle dem Organismus vorgelegten Aufgaben von ihm ganz analog wie in der theoretischen Mechanik gelöst werden.“ Mit der Vereinfachung des Fußes geht Hand in Hand eine me- chanisch bessere Verbindung des Mittelfußes mit den Fußwurzel-- knochen. Der mittlere Mittelfußknochen des Pferdes, welcher die mittlere Zehe trägt, verbindet sich nicht nur mit dem im Verlaufe der paläontologischen Entwickelung breiter gewordenen mittlern Fußwur- zelknochen der distalen Reihe (dem Magnum am Vorderfuße, dem Cuneiforme III am Hinterfuße), sondern auch mit dem lateralen Fuß- wurzelknochen derselben Reihe. Da die Verbreiterung der Achsen- knochen des Fußes der mittlern Fußwurzel-, Mittelfuß- und Zehen- knochen in der Geschlechtsfolge von Anchitherium bis zum Pferde der Gegenwart sich auch auf die Arm- und Schenkelknochen erstreckt, so sind die günstigsten mechanischen Verhältnisse für die Sicherheit des Ganges hergestellt. In Europa waren Anchitherium und Hipparion die einzigen ter- tiären Formen der pferdeartigen Tiere. Der uns bekannte Vorfahre des europäischen Anchitherium — Palaeotherium medium — steht mit den übrigen Paläotherien der Familie der Tapire viel näher als der Gattung Eqwus. Wir müssen daher in Europa die uns bisher bekannte Ahnenreihe mit Anchitherium beginnen. Aber in Nordamerika ist die Zahl der — namentlich in den ter- tiären Schichten der Felsengebirge aufgefundenen — Formen pferde- artiger Tiere viel größer und die Ahnenreihe der Familie Pferd viel länger. Die ersten Arbeiten über die untergegangenen pferdeartigen Tiere Nordamerikas verdanken wir Joseph Leidy, Professor an 152 Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere, der Universität Pennsylvanien, der seine Forschungen unter dem Titel „The extinet mammalian Fauna of Dakota and Nebrasca“ im Journal of the Academy of Natural Seience of Philadelphia vol. VII. ser. II im Jahre 1869 veröffentlicht hat. Leidy trennt die pferdeartigen Tiere (daselbst S. 257) in zwei Familien: in die Egwidae oder eigentlichen Pferde und in die Anchi- theridae, welche dureh nicht weniger als acht Gattungen, die das Gebiet der Vereinigten Staaten bewohnten, vertreten waren. Von den acht Gattungen Leidy’s sind bisher nur drei — einschließlich der einen gegenwärtig lebenden — in Europa und Asien beobachtet wor- den, nämlich Eguus, Hipparion und Anchitherium. Die übrigen sind Protohippus, Merychippus, Hypohippus, Anchippus und Parahippus be- nannt worden. Die jüngste tertiäre Form ist Protohippus, von welcher Gat- tung Leidy drei Arten beschreibt: Protohippus perditus, placidus und supremus. Die Ueberreste der beiden ersten Arten sind gefunden im Plioeän des Niobrara River, Nebraska, und des Little White River, Dakota; die letztgenannte Art gehört nur dem Plioeän des Little White River an. Vom nordamerikanischen Hipparion beschreibt Leidy 5 Arten: Hipparion venustum, oceidentale, speciosum, affine, gratum; Fundstellen sind die plioeänen Schichten der Mauvaises Terres des White River, des Little White River, des Bijou Hill, Dakota, und des Niobrara River, Nebraska; nur die erstgenannte Art ist bei Charleston in Süd-Carolina gefunden worden. Sowohl von Protohippus wie von Hipparion besehreibt Leidy bloß Zähne; andere als Kiefer- knochen scheinen ihm nicht vorgelegen zu haben. Die Gattung Merychippus (mit den Arten insignis und mirabilis) aus dem Pliocän vom Bijou Hill, Dakota, und Niobrara River, Ne- brasca, war zuerst in den Proceedings of the Academy of Natural Sciences of Philadelphia 1856 p. 311 in Anspruch genommen für ein kleines Bruchstück eines Oberkiefers, zwei Zähne enthaltend. Von beiden Arten werden nur Zähne beschrieben und von letzterer auch das Bruchstück eines Oberkiefers von einem jungen Tiere, den zweiten und dritten Milch-Prämolarzahn enthaltend mit ihren im Kiefer ver- borgenen beständigen Nachfolgern; an diesem, auch abgebildeten Bruchstücke ist auffallend eine Einsenkung, beziehungsweise eine seichte Grube, oberhalb der Wangenleiste, unter dem Vorderrande der Augenhöhle. Eine Einsenkung von augenscheinlich derselben Natur findet sich nach Leidy gleichfalls bei Hipparion mediterra- neum und Anchitherium Bairdi vom White River. Leidy meint: der Vorderteil der Oberkieferhöhle, wie er vorkommt beim Pferde und Protohippus, scheine gänzlich ersetzt zu sein durch die Oberkie- fer-Einsenkung bei Merychippus. Die Familie der Anchytheridae charakterisiert Leidy auch nur durch die Form der Mahlzähne. Wilekens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 155 Von der Gattung Anchitherium beschreibt er nur eine Art: A. Bairdi*), deren Ueberreste aus der miocänen Schicht der Mau- vaises Terres of White River, Dakota, stammen. Nach dem aufge- fundenen Exemplar urteilt Leidy: dass diese Art etwa °/, der Kör- pergröße besaß von dem europäischen Anchitherium Aurelianense. Der Schädel von A. Bairdi war dem des Pferdes und Esels sehr ähnlich. Das Gesicht erschien kurz in Vergleich zu dem des Pferdes, haupt- sächlich infolge des verhältnismäßig großen Umfanges und der vor- gerückten Stellung der Augenhöhlen; es ist verhältnismäßig niedriger infolge des geringen Entwicklungsgrades des Alveolarteiles, in Ueber- einstimmung mit den vergleichungsweise kurzen Kronen der Backen- zähne. Die verhältnismäßige Breite des Gesichtes ist etwas größer. Die Stirn hat dieselbe Form wie beim Pferde, aber sie ragt etwas weniger vor. Zwischen den Augenhöhlen ist sie ziemlich flach, seit- wärts etwas erhöht und in der Mitte schwach eingesenkt, aber weiter hinten, zwischen den stark divergierenden Schläfenlinien, ist sie etwas konvex. Die Oeffnung der Augenhöhle ist verhältnismäßig größer als beim Pferde und nimmt eine mehr vorgerückte Stellung im Ge- sichte ein; sie erscheint nahezu kreisförmig, aber sie ist hinten durch einen weiten Zwischenraum unterbrochen, der sie mit der Oberschlä- fengrube verbindet. Anstatt des starken postorbitalen Bogens des Pferdes besitzt A. Bairdi bloß einen langen, gekrümmten, pyramiden- förmigen, postorbitalen Fortsatz, zum Stirnbeine gehörig. Das Gesicht vor den Augenhöhlen ist verhältnismäßig schmäler und es spitzt sich rascher zu als beim Pferde. Eine Thränengrube, ungefähr wie beim Schafe, nimmt die unteren zwei Drittel der Ge- sichtsfläche des Thränenbeines ein und erstreckt sich nach vorn auf das Oberkieferbein zwischen den Nasenbeinen und der Oeffnung des Unteraugenhöhlenkanales. Eine ähnliche, aber tiefere Grube befindet sich auf der Seitenfläche des Oberkieferbeines vor dem Thränenbeine auch bei Hipparion gracile. Die Gesichtsfläche des Thränenbeines ist von mehr gleichmäßiger Breite und verhältnismäßig schmäler als beim Pferde. Die Gaumenplatte der Gaumenbeine hat vorm und hinten eine verhältnismäßig größere Breite als beim Pferde. Der Unterkiefer hat ebenso wie der Oberkiefer eine verhältnismäßig geringere Höhe als beim Pferde, in Uebereinstimmung mit der schwächern Entwicke- lung der Zahnhöhlen. Das Gebiss von Anchitherium besteht aus 44 Zähnen, nämlich in beiden Kiefern jederseits aus 3 Schneidezähnen, 1 Eekzahn (caninus), 4 Prämolaren und 3 Molaren. Die Form der Backenzähne stimmt vollkommen überein mit denen von Anchitherium Aurelianense. Die Backenzähne von Anchitherium zeigen eine so große Ver- 4) Leidy hat diese Art zuerst beschrieben in „The ancient Fauna of Nebraska“ Seite 67. 154 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. schiedenheit von denen des Pferdes und vergleichungsweise eine so große Aehnlichkeit mit denen von Palaeotherium, dass es nicht über- raschen kann, dass seine Ueberreste anfangs der letztgenannten Gattung zugeschrieben wurden. Trotz ihrer Verschiedenheit ist ein pferdeartiger Charakter in den Zähnen von Anchitherium deutlich erkennbar. Sie besitzen kurze Kronen ohne Zement und sie sind in den Kiefern — während der ganzen Zeit ihres funktionellen Bestan- des — mittels getrennter Wurzeln eingefugt. Beim Pferde haben die entsprechenden Zähne lange säulenförmige Kronen, welche als wich- tigen Bestandteil Zement besitzen. (Schluss folgt.) Die spezifischen Energien der Nerven. Von J. Rosenthal. (Schluss.) Müssen wir für Tast- und Temperaturempfindungen verschiedene Nervenfasern annehmen, so ist es auch sehr wahrscheinlich,, dass diesen verschiedene Endapparate angehören, welche wie die übrigen Sinnesorgane die Aufgabe haben, durch die schwachen Eindrücke er- regt zu werden, welche auf die unversehrte Oberhaut zu wirken ver- mögen, aber auf die Nervenstämme selbst nicht, und deshalb, wie E. H. Weber gezeigt hat, entweder gar nicht empfunden werden oder doch nicht die spezifischen Empfindungen veranlassen wie von der Haut. Nach den neueren histologischen Untersuchungen lassen sich die mannigfaltigen Endorgane der sensibeln Nerven (Tastkörper- chen u. s. w.) auf einen und denselben Grundtypus, die sogenannten Tastzellen zurückführen. Ob es daneben noch freie Nervenendi- gungen gibt, Nervenenden, welche zwischen die Zellen des Epithel- belags hineinreichen, ohne mit Nervenendzellen verbunden zu sein, bleibt freilich zweifelhaft. Doch fehlt es an jedem Anhalt, die eine oder die andere Form dieser Nervenendigungen für die eine oder die andere Art der Empfindung in Anspruch zu nehmen. Die Versuche, welche von histologischer Seite nach dieser Richtung hin nnternommen wurden, sind meines Erachtens noch nicht als abgeschlossen zu be- trachten. =» Bei der Wichtigkeit der Frage, ob es möglich sei, dass Tempe- yatur- und Tastempfindungen dureh dieselben Nervenbahnen vermittelt werden, ist es sehr bedauerlich, dass auch die pathologischen Er- fahrungen nicht ausreichend klar sind, um eine Stütze für die eine oder die andere Ansicht zu gewähren. Verlust der einen Empfindung ohne die andere ist freilich wiederholt beobachtet worden, doch wa- ven die Umstände nicht eindeutig genug zur Entscheidung der Frage, Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 155 h l 5 Bei der Seltenheit solcher Fälle und bei dem Umstand, dass auch der kleinste Beitrag in diesem Gebiete willkommen sein muss, erlaube ich mir deshalb, eine an mir selbst gemachte Beobachtung hier ein- zuschalten. Durch das Zerbrechen einer Glasröhre erlitt ich Ende Dezember v. J. eine Verletzung des N. volaris radialis des rechten Zeigefingers dieht am Metacarpo-Phalangealgelenk. Die kleine Wunde heilte in- nerhalb kurzer Zeit unter einem einfachen Okklusivverband ohne alle Eiterung, und jetzt ist an der Stelle nur eine Iimienförmige etwa 4 mm lange Narbe sichtbar. In den ersten Tagen herrschte im ganzen Gebiet des kleinen Nervenastes d. h. etwa an einem Viertel der ganzen Fin- geroberfläche vollkommene Gefühllosigkeit. Schon nach wenigen Ta- gen kehrte jedoch die Empfindlichkeit wieder, und seitdem kann ieh mit der betreffenden Hautpartie Berührung, Druck u. s. w. rühlen, wäh- rend die ganze Stelle absolut unempfindlich gegen Tempe- ratureindrücke ist. Auch die Tastempfindung ist nieht normal, denn ganz leise Berührungen werden schlecht empfunden, während etwas stärkere, aber immer noch schwache Berührungen, ein schmerz- haftes Jucken veranlassen, welches scheinbar über einen größern Teil des betreffenden Hautgebiets sich erstreckt. Ich will nicht auf die Einzelheiten dieser Selbstbeobachtung näher eingehen, über die ich an einer andern Stelle ausführlicher zu berichten gedenke. Was uns hier angeht, ist die Frage, wie ist der Verlust aller Temperaturempfindung bei erhaltener Tastempfindung zu deuten? Es wird schwer sein anzunehmen, dass die Temperaturnerven (wenn ich mich dieses kurzen Ausdrucks bedienen darf) durehsehnitten seien, die eigentlichen Gefühlsnerven aber nicht. Es ist kaum denk- bar, dass in dem kleinen Nervenstämmchen alle Temperaturnerven für die ganze Hautpartie so zusammen und von den Gefühlsnerven getrennt gelagert sein sollten, dass ein schneidendes Werkzeug die einen sämtlich treffen und die anderen unversehrt lassen sollte. Man könnte anderseits auch annehmen, der kleine Nerv sei über- haupt gar nieht durchschnitten, sondern nur gequetscht worden und die Leitung in seinen Fasern sei deshalb erschwert. Ich war anfangs geneigt, die Sache so aufzufassen. Ich sagte mir, die Temperatur- eindrücke und die durch leise Berührung verursachten Erregungen sind sicherlich sehr schwach. Dass sie überhaupt empfunden werden, ist nur ein Beweis der großen Empfindlichkeit der betreffenden End- organe. Wenn aber die Leitung in den Nervenfasern durch die Quetschung erschwert ist, so können diese schwachen Erregungen die verletzte Stelle nicht passieren, während stärkere Eindrücke noch zum Bewusstsein kommen. Ich habe jedoch diese Auffassung in der Folge wieder fallen lassen. Bekanntlich ist von den verschiedensten Seiten beobachtet worden, dass durchschnittene Nerven nach dem 156 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. Zusammennähen sehr schnell ihre Leitungsfähigkeit wieder erlangen. Es kann aber wohl ohne Zweifel die Nervennaht dabei entbehrt wer- den, wenn auch ohne dieselbe die Nervenenden nahe zusammen bleiben. In diesen. Fällen wird also die Leitung durch die frische Nervennarbe erfolgen. Eine solche Narbe besteht aber anfangs nicht aus normalen Fasern, welche die oberen und unteren Fasern miteinander verbinden. Es ist daher zu erwarten, dass die Leitung diffus erfolgen wird. Und dieser Fall scheint bei mir eingetreten zu sein. Streiche ich sanft die Haut an irgend einer Stelle innerhalb des Verbreitungsgebiets des verletzten Nerven unterhalb der Narbe, so empfinde ich einen Kitzel in dem ganzen Bereich der Nervenausbreitung. Jede Stelle des Ge- biets steht also in leitender Verbindung mit allen Fasern des Stämm- chens oberhalb der Narbe; die Leitung durch letztere hindurch er- folgt diffus. Wenn nun Wärme und Kälte an der Stelle überhaupt nicht empfunden werden, so kann man daraus weder für noch gegen die Existenz besonderer Temperaturmerven einen sicheren Schluss ziehen ?). Bei dem sogenannten Muskelgefühl ist es wohl unzweifelhaft, dass dasselbe durch besondere Nerven, die sensibeln Nerven der Muskeln, vermittelt wird, und die Empfindungen, welche diese vermitteln, sind sicher von den eigentlichen Tastempfindungen vollkommen verschie- den. Von der Schärfe, deren das Muskelgefühl fähig ist, geben die Sprachbewegungen der Taubstummen Zeugnis, welche ohne Kontrole dureh das Gehör im stande sind, ihre Sprachorgane richtig gebrauchen zu lernen. Beim Lernen selbst dient ihnen ja der Gesichtssinn, indem sie dem Lehrer die Bewegungen „am Munde absehen“. Haben sie aber einmal sprechen gelernt, so kann ihnen nur ihr eigenes Muskel- gefühl dazu verhelfen, die erlernte Bewegung willkürlich zu reprodu- zieren. Dasselbe gilt natürlich von allen andern Muskelempfindungen, die wir erhalten, wenn wir irgend eine Bewegung ohne Kontrole durch andere Sinne ausführen. Auch ist kein durehsehlagender Grund vor- handen, die Muskelgefühle mit den sogenannten Gemeingefühlen zu- sammenzuwerfen, mit denen sie nur das gemeinsam haben, dass sie von innern Vorgängen in unserem Organismus veranlasst werden. Letztere sind aber durch die Unbestimmtheit ihrer Charaktere von den eigentlichen Sinnesempfindungen unterschieden. Die Unbestimmt- heit bezieht sich sowohl auf die Lokalisierung als auf die Art der Wahrnehmung. Vom Standpunkte der empiristischen Theorie aus, welche die Wahrnehmungen aus den Empfindungen durch eine Art von Schlussfolgerungen abgeleitet sein lässt, hat es keine Schwierig- keit zu erklären, warum Empfindungen, welche von innern Organen 4) In den letzten Tagen (Ende März, also 3 Monate nach der Verletzung) schien es mir zuweilen, als ob die Temperaturempfindung unvollkommen wie- derkehre, indem bei Berührung eines kalten Körpers in größerer Ausdehnung der unempfindlichen Stelle ein schwaches Kältegefühl eintritt. Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 157 oder von diffusen Reizungen z. B. der Berührung der Kleider veran- lasst werden, unbestimmter ausfallen müssen als solche, die von gut kontrolierbaren, scharf begrenzten Objekten veranlasst werden, nament- lich solehen, die auf verschiedene Sinnesorgane wirken, so dass die verschiedenen Empfindungen zu gegenseitigen Aufklärungen dienen können. Zu den Gemeingefühlen werden einige Arten von Empfindungen gerechnet, welche meines Erachtens fälschlieh als besondere Quali- täten angesehen werden, z. B. der Kitzel. Kitzel entsteht immer, wenn eine Empfindung schnelle Schwankungen des Grades erleidet z. B. bei Berührung einer schwingenden Stimmgabel oder beim Wechsel des Orts der Berührung. Die Empfindung ist dabei eine sehr heftige, weil die Ermüdung und Erholung mitspielt, gradeso wie beim Auge und beim Ohr schnell schwankende Eindrücke gleichfalls viel energi- scher einwirken als gleichmäßig andauernde. Die Stärke der Em- pfindung kann unter diesen Umständen eine so hohe bei schwachen Einwirkungen werden, dass sie unangenehm und schmerzhaft wird. Es ist aber kein Grund einzusehen, warum die Empfindung schnell aufeinanderfolgender schwacher Stöße sich qualitativ von der Empfin- dung eines einzelnen solchen Stoßes unterscheiden sollte. Dasselbe gilt von den Empfindungen des Schauders, der Wollust u. dgl. Diese Empfindungen veranlassen also für die Lehre von den spezifischen Energien weiter keine Schwierigkeiten. Eine besondere Betrachtung verdienen noch die gemischten Em- pfindungen, welche durch gleichzeitige Erregung verschiedener Ner- ven zu stande kommen. Als allgemeine Regel kann gelten, dass sol- che gemischte Empfindungen, welche oft oder gar immer in derselben Verbindung wiederkehren, als einfache Empfindungen angesehen wer- den, so dass es uns sehr schwer oder sogar unmöglich ist, uns der Empfindungselemente bewusst zu werden, aus denen die zusammen- gesetzte Empfindung besteht. Einfaches spektrales Gelb und das durch abwechselnde Einwirkung von Rot und Grün erzeugte Gelb erscheinen uns gleich einfach, und niemand kann in letzterem die Entstehungs- farben herauserkennen. Anders, wenn die Elemente wechseln; dann kann unter Umständen auch in der gemischten Empfindung einiger- maßen jedes der zusammengesetzten Elemente gesondert wahrgenom- men werden. Und, diese Sonderung ist um so leichter, wenn die Ele- mente der gemischten Empfindung recht different sind, also leichter, wenn sie verschiedenen Modalitäten angehören, als wenn sie nur qua- litativ unterschieden sind. Solche aus den Gebieten verschiedener Sinne gemischte Empfindungen kommen besonders da vor, wo die peripherischen Gebiete nicht gesondert sind, also auf den Schleim- häuten der Nase, des Mundes und der Haut. Ein und derselbe Körper kann auf der Zunge Geschmacks-, Ge- fühls- und Temperaturempfindungen veranlassen. Dass wir diese 158 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven, Empfindungen dennoch getrennt wahrnehmen, liegt nur daran, dass die Kombinationen der Eindrücke wechseln. Doch kommen Fälle vor, wo die Empfindungen verwechselt werden. Ein Stück Kartoffel „schmeckt“ ganz verschieden, wenn es mit der Gabel gebrochen, als wenn es mit dem Messer abgeschnitten ist. Da die Kartoffel an und für sich nur einen geringen Geschmack hat, so handelt es sich haupt- sächlich um Tastempfindungen, die natürlich ganz verschieden aus- fallen je nach der größeren oder geringeren Rauhigkeit der Bruchfläche, welche mit der Zunge in Berührung kommt. Aber diese Tastempfin- dung wird fälschlich für eine Geschmacksempfindung genommen, eben weil sie mit der Zunge und mit Geschmacksempfindungen gemischt wahrgenommen wird. Interferenzen von Geschmacks- und Tempera- turempfindungen sind ebenso bekannt. Wein, besonders roter, schmeckt anders, wenn er warm, als wenn er kalt ist. Unter diesen Umstän- den kann es uns nicht wundern, dass auch Tast- und Temperatur- empfindungen interferieren. Am bekanntesten ist die von E. H. Weber entdeckte Erscheinung, dass warme Körper leichter erscheinen als gleiche, aber kalte. Man hat daraus auf die Einerleiheit der Tem- peratur- und der Tastnerven schließen wollen, aber mit Unrecht, wie aus den angeführten Beispielen anderer Interferenzen ganz verschie- dener Sinnesempfindungen hervorgeht. Es muss vielmehr auffallend erscheinen, dass die Temperaturempfindungen, welche doch immer nur in Begleitung von Tastempfindungen auftreten, überhaupt so ge- sondert neben letzteren wahrgenommen werden, und ich sehe in dieser Thatsache vielmehr einen um so größeren Beweis für die große Ver- schiedenheit der Bewusstseinszustände, welehe durch diese Empfin- dungen hervorgerufen werden. In der That ist die Empfindung der Wärme und Kälte von der des Drucks so verschieden, wie nur zwei andere verschiedenartige Empfindungsmodalitäten sein können. Von der Empfindung schwer zu der Empfindung kalt führt ebensowenig eine Brücke wie von der Empfindung rot zu der Empfindung süß. Auch zwischen den Tastempfindungen und denen des Muskel- sinnes gibt es Interferenzen und diese führen uns zu den Vorstel- lungen der Härte und derartigen Wahrnehmungen über die Natur der äußeren Körper, welche oft sehr schwer zu analysieren sind. Trotz- dem sind diese Empfindungen ihrer Natur nach durchaus verschieden. Nur weil die Elemente, aus denen sie sich zusammensetzen, selten getrennt auftreten, sind sie uns weniger geläufig als z. B. die Ge- sichts- und Gehörsempfindungen. Die Interferenzen zwischen Geschmacks- und Geruchsempfin- dungen sind allgemein bekannt. Da sie für die uns beschäftigende Frage nichts neues lehren, so genügt ihre kurze Erwähnung. Zu einer vollständigen Theorie der Empfindungen würde noch eine Erörterung über die Vorgänge gehören, welche in den peripheri- schen Sinnesorganen stattfinden. In der Regel unterscheidet man die _ Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. 459 Organe des Geruchs und des Geschmacks, in welchen die Wirkung wahrscheinlich auf chemischen Prozessen beruht, von den andern, bei denen die Erregung durch physikalische Prozesse zu stande kommt. In Wahrheit aber kann man sich nur von den Vorgängen im Gehör- organ eine Vorstellung machen, welche einigermaßen unsern Kennt- nissen von Erregungsvorgängen in den Nervenfasern entspricht. Bei den Tastnerven ist es absolut unerklärbar, wieso ein gleichmäßiger Druck im stande sein soll, eine anhaltende Erregung zu bewirken, und noch weniger wissen wir zu sagen, weshalb eine geringe Tem- peraturveränderung unserer Haut eine solche Erregung zu bewirken vermag. Auch die Kenntnis der chemischen Unbeständigkeit ein- zelner Bestandteile der Netzhaut hat zu einer Theorie der Netzhaut- erregung durch Licht noch nicht geführt. Unter diesen Umständen ist eine Erklärung der Verschiedenheit unserer Empfindungen, welche von den Erregungsursachen ausgeht, ganz und gar unmöglich. In den vorstehenden Auseinandersetzungen habe ich mich be- strebt, die bekannten Thatsachen im Lichte der Lehre von den spe- zifischen Energien zusammenzustellen, um zu zeigen, wie weit sie mit derselben in Uebereinstimmung sind. Ich war dabei bemüht, alle Lücken unserer Kenntnis aufzudecken, und wie sich gezeigt hät, sind deren noch gar viele vorhanden. Fassen wir alles zusammen, so müssen wir sagen, dass die Lehre weit davon entfernt ist, eine gut begründete Theorie zu sein. Sie lässt vieles noch unaufgeklärt; viele der Konsequenzen, welche man aus ihr ziehen muss, sind noch un- bewiesen; eine ganz große Zahl von Hilfshypothesen ist notwendig, um die Lehre auf die einzelnen Fälle anwendbar zu machen. Auf der andern Seite aber sind wir doch keiner einzigen Thatsache be- gegnet, welche mit der Lehre unvereinbar gewesen wäre. Und da auf andere Weise die Erscheinungen nicht besser erklärt werden können; da vor allen Dingen uns jeder Anhalt fehlt zu verstehen, wie es möglich sein könnte, dass dureh eine nnd dieselbe Nerven- faser verschiedene Arten von Erregungen fortgeflanzt werden und diesen entsprechende verschiedene Arten von Bewusstseinszuständen in denselben Nervenzentren erregen, so glaube ich, dass wir vorder- hand bei der Lehre von den spezifischen Energien stehen bleiben müssen, als derjenigen, welche nur eine einfache, sozusagen mecha- ‚nische Auffassung der Erregungsvorgänge voraussetzt und mit dem, was von der Nervenerregung wirklich bekannt ist, noch am leich- testen vereinbar ist. Es würde noch erübrigen, auf die entgegenstehenden Theorien einzugehen und dieselben kritisch zu beleuchten. Ich verspare mir dies aber, da der Aufsatz schon gar zu lang geworden ist, auf eine andere Gelegenheit. Dies war schon geschrieben, als mir durch die Güte des Herrn 160 Rosenthal, Die spezifischen Energien der Nerven. Donders ein kleiner Artikel zuging, welcher auf denselben Gegenstand 3ezug hat!). In einer gegen Herrn Giraud-Teulon gerichteten Antikritik kommt Herr Donders nochmals auf die Frage zurück, ob die drei Grundempfindungen, welche man zur Erklärung der Far- benerscheinungen anzunehmen genötigt ist, auf drei verschiedene mor- phologische Elemente der Netzhaut wirken, oder in verschiedener Weise auf dieselben Elemente. Dies ist, wie wir wissen, die Prin- zipienfrage, um welche es sich bei allen unsern Auseinandersetzungen gehandelt hat, angewandt auf den besondern Fall der Farbenempfin- dungen. Herr Donders hatte sich aus denselben Gründen, welche wir entwickelt haben, für die zweite Annahme erklärt. Denn, sagt er, „admettre plus d’un processus dans Ja m&me forme, ce serait supposer plus d’un processus de transmission dans la fibre nerveuse correspondante, hypothese contre laquelle la physiologie desire main- tenir son veto.“ Herr Donders zeigt nun, dass diese allerdings sehr vorsichtige Darstellung der physiologischen Lehre von den spezifischen Energien durchaus dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse entspricht. Er ver- weist auf die doppelsinnige Leitung in den Nerven, die Ueberein- stimmung der Eigenschaften bei allen Gattungen von Nerven, die Gleichartigkeit des Erregungsvorganges in denselben. Er verhehlt aber auch nicht, dass diese Gründe unzureichend sind, einen wirklich bindenden Beweis zu liefern, und dass vieles noch unerklärt bleiben muss. Daher jene vorsichtige Fassung des Satzes, welcher die Lehre nur soweit anerkennt, als es bis jetzt noch nicht möglich ist, von der entgegengesetzten eine durch physiologische Thatsachen gestützte und begründete Vorstellung zu entwickeln. Und so ist der Standpunkt des Herrn Donders im wesentlichen derselbe, auf welchen wir durch die kritische Analyse der Thatsachen gelangten, und welcher, soviel ich sehen kann, auch wohl von allen heutigen Physiologen geteilt wird. 1) F. C. Donders, Explication sur les syst&mes chromatiques. Annales d’oculistique. ir semestre 1832. Extrait. Dieser Nummer liegt eine Ankündigung von C. W. Kreidel’s Verlag in Wiesbaden bei. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. Zoolorisches Taschenbuch für Studirende. Zweite Auflage. 12°, in Leinwandband. Preis 3 Mark. Dieses Taschenbuch, sagt im Vorworte der Herausgeber, Professor Dr. E.Selenka, hat den Zweck, den Zuhörern während der Vorlesungen sowie auch bei den praktischen Uebungen, zur Eintragung von anatomischen und em- bıyologischen Skizzen, morphologischen Schematen, paläontologischen Stamm- bäumen und Notizen zu dienen. Gleichzeitig soll es die systematische Uebersicht erleichtern und das Niederschreiben von Namen und Diagnosen vereinfachen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 15. Mai 188%. Nr. 6. Inhalt: Krause, Die Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. — Wiickens, Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläonto- logie der Haustiere (Schluss). — Ausstellung des Travailleur und des Talisman. — De Man, Die frei in der reinen Erde und im süßen Wasser lebenden Nema- toden der niederländischen Fauna. — Einwirkung der Kälte auf Mikroben, Die Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Von W. Krause. Professor in Göttingen. Am besten bekannt sind die Endigungen der einfach sensibeln Nerven bei den Amnioten und unter diesen wiederum bei den Vögeln. Die Verhältnisse bei den Anamnioten werden in einem besondern Ab- schnitte Berücksichtigung finden. In betreff der Amnioten unter- scheiden wir die Endigung in terminalen Körperchen und die freie Nervenendigung im Epithel. Außerdem gibt es eine Anzahl zweifel- hafter Formen. I. Nervenendigungen bei Amnioten. I. Terminale Körperchen. Das Vorkommen der Terminalkörperchen ist ein sehr allgemeines, und es ist heutzutage vollkommen sicher, dass die ungeheure Mehr- zahl aller doppeltkonturierten Empfindungsnervenfasern mit solchen aufhört. Das allgemeine Prinzip ist sehr einfach: die Nervenfaser wird blass und endigt mit einem kleinen Knöpfehen. Man kann die Einrichtung mit einer kleinen chirurgischen Sonde vergleichen. Zu- erst erkannt wurde dieselbe in den Vater’schen Körperehen durch Henle und Kölliker (1844). In diesem durchsichtigen bequem zu handhabenden Untersuchungsobjekt liegt „a natural disseetion“ nach Todd’s Ausdruck vor. 11 462 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Jene ehirurgische Sonde wird nun von einer Anzahl von Hüllen umgeben, die ein sehr manmnigfaltiges Aussehen gewinnen können. Man hat danach eine große Anzahl von terminalen Körperchen zu un- terscheiden und Dinge, die anatomisch oder mikroskopisch verschie- denartig aussehen, dabei gut charakterisiert sind, kann man im In- teresse der Verständigung nicht umhin mittels besonderer Namen zu bezeichnen. Die Anzahl solcher besonderer Endigungsformen ist schon jetzt sehr groß; sie beträgt etwa ein Dutzend und damit ist keines- wegs ein Abschluss erreicht, wie vielleicht eine nahe Zukunft lehren wird. Das Prinzip bleibt aber immer dasselbe, jene chirurgische Sonde, die wir Terminalfaser nennen, wird von mehr oder weni- ger vervielfachten, öfters durch Flüssigkeiten, die in Lymphräumen suspendiert sind, getrennten Hüllen umgeben. Alle diese Hüllen ver- danken der Entfaltung und vermehrten Schichtung jener beiden Ner- venscheiden ihre Entstehung, die wir als Neurilem der Nervenfaser und deren Adventitia bezeichnen. Ersterer Ausdruck rührt von Th. Engelmann her; statt dessen hat Ranvier den Ausdruck: „Schwann’sche Scheide“ eingeführt und die Adventitia als „Henle’- sche Scheide“ bezeichnet. Das Unzweckmäßige und Verwirrende einer solehen persönlichen, noch dazu historisch meistens sehr zweifelhaften Nomenklatur ist schon zu oft hervorgehoben, als dass es nötig wäre hier dabei zu verweilen. Man könnte das Neurilem auch die Endo- thelscheide nennen, falls sich die neueste Entdeckung Grün- hagen’s (Arch. f. mikrosk. Anat. 1834 Bd. XXIII S. 380) bestätigt. Ebenso wenig wie auf das Historische können wir hier auf die zuweilen vorkommenden Uebergangsformen und Varietäten verschiedener terminaler Körperchen eingehen. Sie sind von hohem theoretischem Interesse gewesen, um den morphologischen Zusammenhang der man- nigfaltigen Terminalkörperehen untereinander, namentlich der angeb- lich rätselhaften Vater’schen Körperchen z. B. mit den Tastkörperchen darzuthun. Da der betreffende Zusammenhang heute wohl von niemand mehr bezweifelt wird, so ist es wiederum überflüssig hierbei zu verweilen. Die doppeltkonturierte Nervenfaser kann sich innerhalb des ter- minalen Körperchens teilen, also mehrere Terminalfasern liefern. Die nächste Umhüllung der letzteren wird von einem Zellenkomplex ge- bildet, der im irischen Zustande hell und feinkörnig aussieht; ich habe diese Masse als Innenkolben bezeichnet. Je nach dem Ver- lauf der Terminalfasern liegen die abgeplatteten, nicht selten kern- haltigen, länglich polygonalen, an ihren Enden meist etwas zugespitz- ten Zellen, aus welchen die Innenkolben sich zusammensetzen, haupt- sächlich der Längsachse oder der Querachse der im allgemeinen oder doch sehr häufig ellipsoidischen terminalen Körperchen parallel. Die betreffenden Zellen können am besten mit Endothelzellen verglichen werden; sie heißen Kolbenzellen und wir unterscheiden nach der Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 163 angedeuteten Differenz Innenkolben, die aus Längskolbenzellen und solche, die aus Querkolbenzellen bestehen. Da von ihrer Anord- nung das mikroskopische Aussehen der Terminalkörperehen wesent- lich mitbedingt wird, so können wir die Differenz als weiteres Ein- teilungsprinzip benutzen. Vielleicht gehen damit physiologische Dif- ferenzen in betreff der Funktion Hand in Hand. A. Terminale Körperchen mit Längskolbenzellen. 1. Zylindrische Endkolben. Die einfachste Form bieten die genannten Endkolben dar. Sie bestehen aus einer bindegewebigen, kernhaltigen, häufig doppelten Hülle, einem feingranulierten, etwas längsstreifigen Innenkolben und einer einzigen, in dessen Achse verlaufenden marklosen Terminalfaser. Die Form des zylindrischen Endkolbens ist langgestreckt, mit abge- rundetem peripherischem Ende und mehr oder weniger zugespitztem zentralen Ende, in welches die doppeltkonturierte von den nervösen Zentralorganen herkommende Nervenfaser eintritt. Die Adventitia derselben geht in die bindegewebige Hülle des Endkolbens über; das Neurilem der Nervenfaser verdiekt und entfaltet sich zu dem aus Längskolbenzellen bestehenden Innenkolben. Letzteres gilt, wie hier im voraus bemerkt wird, für alle aus Längskolbenzellen bestehenden Innenkolben in gleicher Weise. Eine direkte Aufblätterung des letz- tern in isolierbare Kolbenzellen ist bisher noch nicht erzielt worden, weil hierauf wirklich sehr wenig ankommt. Denn zufolge der Homo- logie mit den Vater’schen Körperehen und der optischen Längsstreifung, welche die Innenkolben der zylindrischen Endkolben in der Längs- ansicht darbieten, kann man nicht im Ernste bezweifeln, dass sie aus Längskolbenzellen sich zusammensetzen. Bewiesen wird die Richtig- keit dieser Deutung durch den bekannten (vgl. W. Krause, 1881) Um- stand, dass der optische Querschnitt dieser Innenkolben nach Behand- lung mit Ueberosmiumsäure konzentrisch gestreift erscheint. Was das Vorkommen betrifft, so finden sich wahrscheinlich bei allen Säugetieren in der äußern Haut und den Schleimhäuten als re- gelmäßige Art der Nervenendigung zylindrische Endkolben; solche sind bis jetzt aufgefunden in der Konjunktiva beim Rind, Schaf, Schwein, Elephanten und Pferd; im Rüssel und in der Lippe des Maul- wurfes, in der Lippe beim Rind, Pferd und bei der Katze; in der Unterzungenschleimhaut bei der Katze, dem Kaninchen, dem Eich- hörnchen, der Ratte, der Maus; in der Backenschleimhaut des Igels; in der des harten Gaumens beim Kaninchen; in der Zunge beim Rind, Schwein, Elephanten und der Ratte; in der Glans penis beim Rind, Igel, Maulwurf, Kaninchen; in der Glans clitoridis beim Rind, Schaf, Schwein, Kaninchen; bei letzterem auch in der Vaginalschleim- haut. Ferner in der Haut der Volarfläche der Zehen der vordern und hintern Extremität beim Meerschweinchen, beim Maulwurf und 1® 164 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. bei der Katze, in den Ballen der Vola manus beim Eichhörnchen; in der äußern Haut des Ohres bei der Maus, des Rumpfes bei der Maus, Fig. 1. Fig..2. Zwei länglich-zylindrische Endkolben aus der Einfacher Endkolben aus der Konjunktiva bulbi des Kalbes. Frisch, ohne Konjunktiva des Kalbes. Nach Zusatz. V. 300. A Mehr gestreckt, B gewun- Key und Retzius. V. 450. den verlaufend. a Terminalfaser. d Ende 1Bindegewebshülle mitKernen. derselben. c Kern der Bindegewebshülle. 2 Innenkolben. 3 Blasse Termi- nalfaser. 4 Endknöpfchen. 5 Doppeltkonturierte Nerven- faser, welche in die blasse Terminalfaser übergeht. 6 Kern ihrer Adventitia. dem Kaninchen und Wiesel. Von Wichtigkeit ist es, dass zylindrische Endkolben auch in der Flughaut der Fledermaus (Vespertilio auritus, Arnstein, 1876; Rossi, W.Krause) vorhanden sind. Denn an die seit Spallanzani bekannte Tastempfindlichkeit dieser Haut hatten sich später allerlei fabelhafte Angaben über die Nervenendigung an diesem Orte geknüpft. Da die zylindrischen Endkolben wie beim Menschen und sämtlichen Affen durch kuglige ersetzt werden, so ist Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 165 es ferner von Interesse, dass die morphologisch vergleichsweise hoch organisierte Fledermaus sich in bezug auf ihre einfach sensibeln Ner- ven und deren Endkolben den übrigen Säugetieren anschließt. Der Bau der Endkolben ist an allen diesen Orten durchaus der- selbe, wenn man von unbedeutenderen Differenzen, z. B. in der Größe, absieht, aber der Nervenverlauf ist an verschiedenen Orten ein sehr verschiedener und nicht überall gleich deutlich zu übersehen. Am besten gelingt dieses in der Conjunetiva bulbi vermöge ihrer Zartheit, ihrer dünnen Epitbelialschicht, ihrem Freisein von Pigment, Haaren, Drüsen, stärkeren elastischen Fasern und sonstigen hindern- den Elementen, so dass es nur Gefäße und Epithelien sind, die irgend- wie der Verfolgung der Nerven im frischen Zustande in den Weg treten. Wenn mandurch verdünnte Natronlauge jene erblassen, sowie dasGewebe der Schleimhaut selbst durchsichtig macht, so kann man in horizontal ab- getrennten Stücken auf mehrere (5—8) mm einzelnen Nervenstämmehen in ihrer Verbreitung nachgehen und an diesem unübertroffen günstigen Objekt folgendes Verhalten wahrnehmen. In der Conjunetiva bulbi bilden die aus dem subeonjunetivalen Bindegewebe kommenden mikroskopischen Nervenstämmchen durch fortgesetzte Teilungen, Anastomosen und Faseraustausch einen reich- haltigen Plexus, dessen einzelne konstituierende Stämmehen nach und nach immer weniger Fasern enthalten, während die Maschen enger werden und mehr oberflächlich liegen. An den kleinsten Stämmcehen von zwei bis drei Nervenfasern be- obachtet man bereits vielfache, der großen Majorität nach dichotomi- sche Teilungen der letzteren selbst; die einzelnen Fasern biegen end- lich entweder einfach von einem kleinsten Stämmceben ab, um unmit- telbar nachher, nicht selten ganz dieht daneben zu endigen; oder sie verlaufen einzeln und fortwährend Aeste abgebend, die teilweise noch an andere Fasern oder deren Aeste eine Strecke weit sich anlegen, oder aber nach kurzem Verlaufe aufhören. Die meisten Nervenfasern teilen sich vor ihrem Ende noch einmal dichotomisch, seltener tricho- tomisch und zwar in unter spitzem Winkel weiter verlaufende Fasern; nicht selten aber biegen sich letztere ankerförmig um und endigen bald nach dieser Umbiegung. Wie immer eine Nervenfaser dahin gelangt sein mag, sie endigt stets, wo man ihr Ende deutlich sehen kann, in einem mattglänzen- den Endkolben, in den das zugespitzte Ende der doppeltkonturierten Faser eintritt, entweder in gestreektem Verlaufe oder in anderen Fäl- len (beim Menschen), nachdem mehrere knäuelförmige Windungen der doppeltkonturierten Nervenfaser, die im Endkolben gelegen sind, statt- gefunden haben. In einzelnen Präparaten lässt sich der Nervenverlauf in der Con- junetiva so klar übersehen, dass nachzuweisen ist, wie eine von einem Nervenstämmcehen abbiegende Faser durch vielfach wiederholte dicho- 166 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. tomische und trichotomische Teilungen in eine große Anzahl isolierter Endäste ausstrahlt, die nicht mit anderen Fasern anastomosieren und einen abgegrenzten Raum der Schleimhautoberfläche mit sensibeln Endpunkten versorgen. An solchen Präparaten ist es ganz unzweifel- haft, dass jede einzeln verlaufende Nervenfaser in einem Endkolben endigt und dass hier also diese Art der Endigung als die einzig und allein vorkommende betrachtet werden muss. Es sind auf ein Qua- dratmillimeter Conjunctiva beim Kalbe 2—3 Endkolben zu rechnen, wo letztere dieht stehen. Was den Nervenverlauf an den anderen aufgeführten Haut- und Schleimhautstellen von Säugetieren betrifft, so liegt der Unterschied von der Conjunetiva in der größern Dieke und Ausstattung der Schleim- hautpartien mit Papillen. Im wesentlichen sind aber die übrigen Verhältnisse dieselben wie in der Conjunetiva. 2. Kuglige Endkolben. Was das Vorkommen derselben betrifft, so sind sie bis jetzt auf- sefunden beim Menschen in der Nasenschleimhaut, in der Conjunetiva, den Papillen des roten Lippenrandes, unter denselben, sowie in der Backenschleimhaut und derjenigen des weichen Gaumens, ferner in den Schleimhautfalten unterhalb der Zunge, an der Zunge in den Pa- pillae fungiformes, conicae und vallatae, unter der Basis der filiformes und in den Fimbriae linguae; in der Schleimhaut der Epiglottis und der Columnae Morgagni des Rectum, endlich der Glans penis et eli- toridis. Beim Affen in der Conjunetiva, in dem innern Teile der Lippe und in der Unterzungenschleimhaut. Sowie derselbe das ein- 2 Aus der Conjunetiva des Menschen. Mit Wasser. V. 300. Nervenknäuel mit einer an der einen Seite mittels einer Teilung » in den Knäuel eintretenden Faser; an der andern Seite verlaufen die beiden daraus hervorge- gangenen Nervenfasern zur Peripherie. Fig. 3. zige Tier ist, bei dem bis jetzt terminale Körperchen beobachtet sind, die den Tastkörperchen des Menschen vollkommen gleichen, so be- sitzt auch nur der Affe merkwürdigerweise rundliche Endkolben, die mit den menschlichen ganz und gar übereinstimmen. Was ihren Bau betrifft, so sind die Endkolben des Menschen und Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 167 Affen rundliche, oft beinahe kugelförmige Körperchen oder die große Achse des Ellipsoides ist nur wenig länger als die kleine. Die Binde- gewebshülle mit ihren Kernen und der von derselben umschlossene feingranulierte Innenkolben verhalten sich wie bei den zylindrischen Endkolben der übrigen Säugetiere; der letztere besteht aus Längs- kolbenzellen (Fig. 4). Anstatt der einen in eine blasse Terminalfaser Fig. 4. Endkolben der Conjunetiva bulbi Endkolben aus der Conjunetiva des Men- vom Menschen, mit 3 °/,iger Es- schen nach Key und Retzius. V. 450. sigsäure und 1 iger Ueberos- 1 Bindegewebshülle mit Kernen. 2 Kern miumsäure. V. 500. Der Innen- der Adventitia der doppeltkonturierten kolben mit vielen längsgestellten Nervenfaser. 3 Schrägschnitt einer Ter- Kernen versehen. minalfaser von granulierter Substanz um- geben. sich fortsetzenden Nervenfaser treten aber in diese Endkolben oft zwei aus einer dichotomischen Teilung hervorgegangene Fasern ein, und häufig bilden die eine oder die beiden eintretenden Nervenfasern im Anfangsteil des Endkolben gelegene, dicht gewundene Knäuel (Fig. 5), aus denen ebenfalls gewundene marklose, im Innern endi- gende Terminalfasern hervorgehen. Mit diesen Knäueln sind nicht zu verwechseln die beim Menschen im Verlauf einzelner doppeltkon- turierter Nervenfasern eingeschaltet vorkommenden Nervenknäuel (Fig. 3). Sie bestehen aus vielfachen Durchschlingungen einzelner oder mehrerer doppeltkonturierter Nervenfasern, liegen mitten im Ge- webe, und nicht selten kann man eine oder zwei Nervenfasern, Aeste einer in oder vor dem Knäuel sich geteilt habenden Faser nach der Peripherie zu verfolgen. Im ganzen sind sie selten, indess findet man bei sorgfältigem Nachsuchen fast an jeder Leiche einen oder mehrere. Sie messen durchsehnittlich 0,11 mm Länge, 0,09 mm Breite, sind manchmal fast sphärisch und lassen in anderen Fällen einzelne Sehlin- gen an ihrer Oberfläche mehr hervortreten. 168 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Am leichtesten zu untersuchen sind die Endkolben der Conjune- tiva bulbi des Menschen, unmittelbar am Cornealrande. Auf 2,5 qmm Schleimhaut kommt durchschnittlich ein Endkolben (W. Krause, 1860); sie sind aber gruppenförmig verteilt. 3. Kolbenkörperchen. Bei Reptilien: Tropidonotus natrix, Lacerta agilis, Anguis fragilis endigen viele Hautnerven in modifizierten zylindrischen Endkolben. Sie finden sich bei Tropidonotus und Anguwis in der Umgebung der Zähne und an den Lippen, bei Zacerta am zahlreichsten an den Lippenrän- dern und außerdem über die ganze Hautoberfläche verbreitet. Fig. 6. Kolbenkörperchen aus 4 der Öberlippe einer aus- Fig. 7. gewachsenen Lacerta Stark Sförmig gebogen verlaufende Endkapsel aus agilisnachEinlegen des der Haut der Glans penis des Igels nach mehrtägiger ganz frischen Präpara- Mazeration des frischen Penis in 3 P/‚iger Essig- tesin3P/,igeEssigsäure, säure. V. 600. % Kern der Hülle. & in der Achse ver- nach12Stunden in1P/,ige laufende Terminalfaser. » doppeltkonturierte Nerven- Ueberosmiumsäure. faser. Alaunkarmin, Alkohol, Nelkenöl, Kanadabal- sam. V. 600. i Termi- nalfaser. Die Kolbenkörperchen (Fig. 6) haben eine langgestreckt ellipsoi- dische, am peripherischen Pol abgerundete, daher keulen- oder kol- benförmige Gestalt. Sie werden von einer einzigen doppeltkonturier- ten Nervenfaser versorgt, bestehen aus einem Innenkolben, einer in der Achse verlaufenden Terminalfaser und einer sehr dünnen, ein- fachen, kernhaltigen Bindegewebshülle. Sie haben in der Lippe von Lacerta z. B. 0,07 mm Länge auf 0,013 mm Dicke. Der Unterschied von Endkolben liegt darin, dass der ohne Zweifel aus Längskolben- zellen bestehende Innenkolben nicht dem ganzen zylindrischen Innen- Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 169 kolben anderer terminaler Körperchen, sondern nur dem achsialen Teil desselben homolog zu sein scheint. Letzterer die Terminalfaser zunächst umgebende Teil ist in den Vater’schen Körperchen mehr homogen, feinkörnig, nicht gestreift oder geschichtet, offenbar mehr protoplasmatischer Natur. Indess kommen mehrere Modifikationen vor. Eine kleinere, wie es scheint mehr eiförmige Form (Leydig, 1872) findet sich in den Gaumenfalten bei Tropidonotus; andere größere und mit konzentrisch gestreiften Innenkolben versehene Körperchen sah Merkel (1880) in den oben erwähnten Verbreitungsbezirken. 4. Endkapseln. Diese terminalen Körperchen stellen eine Uebergangsform zwischen Vater’schen Körperchen und zylindrischen Endkolben dar. Es sind gleichsam sehr kleine Vater’sche Körperchen: sie bestehen aus einer Nervenfaser, einem aus Längskolbenzellen zusammengesetzten Innen- kolben und sehr wenigen konzentrisch geschichteten Lamellen (Fig. 7). Sie finden sich in der Schleimhaut des Mundes, namentlich in der Backendrüse, sowie in der Glans penis des Igels; an letzterem Orte sind sie gruppenförmig angeordnet und häufig Sförmig gebogen. Ihre Form ist m der Backendrüse ellipsoidisch: 0,04—0,11 mm lang, 0,03 —0,04 mm dick. Auch in der Zunge des Elephanten und zwar in den größeren Papillen ungefähr in der Mitte von deren Länge, welche am Seitenrande des vordern Teils der Zunge sitzen, werden sie an- getroffen. In ihrem Bau entsprechen sie den Endkapseln des Igels, sind jedoch etwas größer. In der Achse der Endkapseln verläuft der schon oben beschrie- bene Innenkolben, welcher eine einfache Terminalfaser enthält. Am zentralen Pole hängt letztere mit der eintretenden doppeltkonturierten Nervenfaser zusammen, am peripherischen hört sie mit einem End- knöpfehen auf. Es fehlt, wie das äußere Lamellensystem, so auch der Stiel und Stielfortsatz des Vater’schen Körperchens. Die kern- haltigen Lamellen oder Kapselmembranen (3—8) liegen sehr nahe an- einander und wegen ihrer schlanken Form gleichen die Endkapseln meistens zylindrischen Endkolben, deren Wandung sich verdickt hat. Die Vater’schen Körperchen des Igels haben etwa achtmal größere Durehmesser: die Endkolben desselben Tiers in der Backenschleim- haut und Glans penis sind etwa halb so groß als die Endkapseln und noch schlanker. 5. Gelenknervenkörperchen. In der Synovialmembran der menschlichen Fingergelenke endigen die sensibeln Nervenfasern mit eigentümlichen Terminalkörperehen, die als Gelenknervenkörperchen (Fig. 8) bezeichnet werden. Eine bis vier doppeltkonturierte Nervenfasern treten, meist unter wiederholten 170 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. diehotomischen Teilungen und Verknäuelungen in ein 0,15—0,23 mm langes, 0,09—0,15 mm breites, rundlich-ovales Terminalkörperchen (Gelenknervenkörperchen von der Dorsalseite eines Gelenks zwischen Grund- und Mittelphalanx eines menschlichen Fingers nach 24stündigem Einlegen in 2 ige Essigsäure. Flächenschnitt, der nur die Synovialmembran enthält. V. 300. n zwei zu- tretende doppeltkonturierte Nervenfasern, dazwi- schen Kerne. Die aus den Fasern hervorgehenden blassen Terminalfasern erscheinen bei dieser Ver- größerung als feingranulierte Masse. PiruB. ein, von denen die größeren daher dem freien Auge sichtbar sein kön- nen. Das Gelenknervenkörperchen ist meist um die Hälfte länger als breit, etwas abgeplattet, in der eigentlichen Synovialis selbst gelegen ; es besteht aus einer längsstreifigen Bindegewebshülle, die ovale Kerne bezw. endothelähnliche platte Inoblasten (Bindegewebszellen) enthält; in seinem Innern finden sich zahlreiche, längliche und rundlich-ellipsoi- dische Kerne, feingranulierte Substanz, wie die der Innenkolben in den Endkolben, und eine Anzahl markloser verästelter Terminalfasern. Es ist nicht zu bezweifeln, dass der Innenkolben aus Längskolben- zellen besteht. Abgesehen von den unten zu erwähnenden Vater’schen stellen diese Körperchen die einzige Endigung der sensibeln Gelenk- nerven dar: wie an günstigen Präparaten der Conjunetiva bulbi lässt sich jede doppeltkonturierte Nervenfaser zu einem Gelenknervenkör- perchen verfolgen, und es können vier der letztern an successiv ab- gegebenen Aesten einer Stammfaser sitzen. Ganz ähnliche Gelenknervenkörperchen kommen bei Säugetieren vor: sie haben beim Kaninchen 0,06—0,2 mm Länge und z. B. 0,13 mm Breite auf 0,17 mm Länge; bei der Ratte 0,06—0,08 mm Länge auf 0,04—0,05 mm Breite, beim Hunde scheinen sie mehr rundlich zu sein, von 0,11 mm Durehmesser. — Der Unterschied von Endkol- ben liegt in ihrer Größe, ihrer abgeplatteten Form, ihren zahlreichen Kernen und vor allem darin, dass sie wie beim Menschen auch bei Tieren vorkommen, die sonst nur schlanke zylindrische Endkolben haben. ce Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 171 6. Genitalnervenkörperchen. Am bequemsten ist die Olitoris des Menschen, wegen ihres großen Nervenreichtums, zu untersuchen. Hier und auch in der Glans penis verhält sich der Nervenverlauf im wesentlichen wie in anderen Schleim- häuten, z. B. der Lippe. An beiden Stellen der Geschlechtsorgane finden sich stärkere Windungen und Schlängelungen der einzeln ver- laufenden Nervenfasern als an anderen Schleimhautpartien, was mit der Volumsänderung der betreffenden Organe bei der Erektion zu- sammenhängen dürfte. Einige wenige Nervenfasern endigen in der Glans elitoridis mit quergestreiften, in der Spitze der Papillen gelege- nen Tastkörperchen, andere mit Endkolben, welche sich im Gewebe der Schleimhaut selbst, unterhalb der Papillenbasis, befinden; bei weitem die meisten aber mit Genitalnervenkörperehen oder Wollust- körperchen (Fig. 9). Sie liegen im Gewebe der Schleimhaut unter- Genitalnervenkörperchen aus der Schleimhaut der Clitoris des Menschen von maulbeerförmiger Gestalt mit fünf Einschnürungen und mit zahlreichen Kernen der Bindegewebshülle. Nach Mazeration in 3 %/,iger Essigsäure. V. 300. halb der Basis der Papillen. Ihre Form ist sehr verschieden; cha- rakteristisch ist es, dass sie an der Oberfläche Einsehnürungen zeigen, wodurch sie eine maulbeerförmige Beschaffenheit erlangen. Kleinere sehen bohnenförmig, bisquitförmig aus, oder zeigen eine kleeblatt-, resp. herzähnliche Gestalt. Die Zahl der Einschnürungen beträgt 1—5; die Grundform der primären, als Endkolben aufzufassenden Abteilun- gen, in welche die Körperchen hierdurch zerfallen, ist kuglig oder ellipsoidisch. Sie bestehen aus einer sehr festen kernreichen Binde- gewebshülle und einem weichen feinkörnigen Innenkolben. Ob die Substanz des letztern durch das ganze Körperchen hindurch zusam- menhängt, oder ob, analog wie bei den Zwillingstastkörperchen, binde- gewebige Scheidewände die einzelnen Abteilungen von einander son- dern, ist im Einzelfalle nicht immer zu unterscheiden (vergl. unten). Jedenfalls kommt letzteres Verhalten vor. Meist treten 12, seltener 3—4 doppeltkonturierte Nervenfasern in die Genitalnervenkörperchen. Aus denselben gehen in auffallend großer Anzahl sehr feine blasse Terminalfasern von nur 0,00005 mm Dicke hevor. Diese Vorrichtung dürfte die Intensität der Gefühlseindrücke zu steigern geeignet sein. Die Größe der Körperchen schwankt; einzelne sind kaum größer, als die oben erwähnten Endkolben, von denen sie sich durch ihre Ein- schnürungen unterscheiden; andere haben bis zu 0,15—0,2 mm Dicke und Länge. Die größeren Genitalnervenkörperchen erscheinen in so 72 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Ä 9 8 fe) komplizierten und mamnigfaltigen Gestaltungen, dass es schwer wer- den kann, die einfachen Grundformen darin wieder zn erkennen. Im Penis des Menschen sind die Körperchen von derselben Be- schaffenheit. Sie finden sich bis zur Harnröhrenmündung in der Schleimhaut der Glans. Außerdem kommen Endkolben vor und Va- ter’sche Körperchen sowohl in den männlichen als in den weiblichen Geschlechtsorganen. Was die übrige Schleimhaut der weiblichen Geni- talien betrifft, so kommen in den Labia minora unterhalb der Papillen Endkolben vor: die Genitalnervenkörperchen aber fehlen sonst gänzlich. Hiernach ist es keinem Zweifel unterworfen, dass die Geschlechts- empfindung an die Genitalnervenkörperchen gebunden ist. Die wenig feine Orts-, bezw. Tas‘empfindung überhaupt dürfte an den Geschlechts- organen von den Endkolben bezw. Tastkörperchen vermittelt werden. Auch bei Säugetieren sind Genitalnervenkörperchen bekannt. Sie finden sich in der Clitoris des Kaninchens und Schweines, im Penis des Igels, Maulwurfes, Eichhörnehens, Kaninchens, der Maus und des Katers. Die Genitalnervenkörperchen sind als Gruppen engverbundener, teilweise mit ihren Innenkolben verschmolzener, kugliger Endkolben beim Menschen, oder Endkapseln beim Igel, oder zylindrischer End- kolben z. B. beim Kaninchen anzusehen. Es kommen häufig große Genitalnervenkörperchen vor, die nur von einer doppeltkonturierten Nervenfaser versorgt werden. 7. Vatersche Körperchen. Die Vater’schen oder Paeini’schen Körperehen wurden im Jahre 1741 von dem Wittenberger Anatomen, dessen Namen sie tragen, ent- deckt. Mit bloßem Auge gesehen erscheinen sie als 2 mm große, längliche, halbdurchsichtig glänzende Körperchen, die in ganz frischem Zustande einen weißen achsialen Streifen erkennen lassen. Es ist ein zentraler und eiu peripherischer Pol an ihnen zu unterscheiden; im oder neben dem ersteren tritt die Nervenfaser samt dem Stiele in das Körperehen ein: der peripherische ist der Regel nach frei und abgerundet (Fig. 10). Was das Vorkommen der Vater’schen Körperchen betrifft, so fin- den sie sieh beim Menschen an vielen Nervenstämmchen: an Haut- nerven, besonders zahlreich im Unterhautbindegewebe der Finger und Zehen, der Handfläche und Fußsoble. Ferner an den sympathischen Geflechten der Bauchhöhle, an Knochen- und Gelenknerven; an Nerven der Brustwarze, Brustdrüse, des Penis und der Olitoris, sowie neben der Gl. eoceygea; selten an Muskelnerven. Es sind offenbar Organe des Drucksinnes. Bei vielen Säugetieren finden sich die Vater’schen Körperchen in größeren Haufen, Konglomeraten von 20—80 Stück, zu- sammengeballt im Fett des Ballens von Fuß und Zehen, namentlich auch in den Interstitien zwischen Radius und Ulna, Tibia und Fibula Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 173 oder an den entsprechenden Stellen; beim Schaf auch in die Muskel- substanz eines Bündels des M. flexor digit. man. profundus sich er- streckend (Herbst, 1849; W.Krause, 1861). Sehr zahlreich sind sie bei der Katze im Mesenterium (20—160 Stück), wo sie vonLacauchie (1843) zuerst gesehen wurden; ferner bei der wilden Katze (W. Krause, 1860); auch im Mesocolon der Hauskatze (2—79 Stück), Pankreas IS Fig. 10. Vater’sches Körperchen aus dem Mesenterium der Katze nach Schwalbe, V. 45. 1 Eintretende markhaltige Nervenfaser. 2 Stiel des Körperchens. 3 Be- ginn der blassen achsialen Terminalfaser (4). 5 Endknopf derselben. 6 Innen- kolben. 7 Innere Lamellen. $ Aeußere Lamellen, 9 Ligamentum interlamellare. 474 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. der Katze am Ductus pancreaticus und seinen Aesten (W. Krause 1869). Von anderen Fundstellen sind noch zu erwähnen: Submucosa der Vagina des Kaninchens (W. Krause, 1865); in der Glans elitori- dis beim Schwein (Nylander und Kölliker, 1852; W. Krause 1861); in der Zunge des Elephanten unterhalb der Papillen (W. Krause). Ihrer größten Masse nach bestehen die Körperchen aus konzen- trischen, homogenen Lamellen oder Kapseln, in deren Zwischenräumen eine durchsichtige Flüssigkeit enthalten ist. Auf optischen Längsdurch- schnitten erscheinen zahlreiche, elliptische dunkle Längslinien, von denen die äußeren dem äußern konvex gebogenen Rande ziemlich pa- rallel, die inneren nach und nach mehr in grader Riehtung zum Teil leicht geschlängelt verlaufen. Die erstern werden als System der äußeren Lamellen von den letzteren, dem System der inneren Lamellen unterschieden. Die Lamellen des äußern Systems unterscheiden sich dadurch von denen des innern, dass sie durch größere mit Flüssigkeit, Inter- lamellarflüssigkeit, gefüllte Räume, Spatia interlamellaria, von einan- der getrennt sind. Diese sind zwischen den äußersten Lamellen am breitesten und nehmen nach innen zu nach und nach ab, indem sie immer weniger Flüssigkeit zwischen sich enthalten, ohne dass jedoch eine scharfe Abgrenzung von dem System der inneren Lamellen, wel- ches wenig oder gar keine Flüssigkeit führt, stattfände. Das System der inneren Lamellen verhält sich in den meisten Be- ziehungen ebenso, nur sind die hellen Zwischenräume schmaler, die Lamellen regelmäßiger konzentrisch, mehr zylindrisch und da sie weniger prall gespannt, so zeigen sie mitunter etwas geschlängelte Konturen, was auf eine wellenförmige Oberfläche schließen lässt. Von außen nach innen ist das Auftreten schmalerer Spatia interlamellaria statt der breiteren gewöhnlich ein allmähliches. Die Lamellen bestehen aus einer Membran, in der große, längs- gestellte, stark abgeplattet ellipsoidische Kerne liegen, die im Innern noch mehrere feine Körncehen enthalten; sie sitzen meistens an der Innenfläche der Membran und springen in die Interlamellarräume vor. Es zeigt sich nämlich bei Anwendung stärkerer Vergrößerungen, dass jede Lamelle auf dem scheinbaren Querschnitt aus zwei Schichten zusammengesetzt ist, die wenigstens bei denen des äußern Systems deutlich erkennbar sind. Die äußere Schicht erscheint auf dem Dureh- schnitt als eine longitudinale, ziemlich gleichbreite, glänzende Linie: der Ausdruck einer homogenen Membran, von der auf der Flächen- ansicht nichts wahrzunehmen ist — die innere als eine Reihe von feinen Pünktchen, welche außen auf der zugehörigen Längslinie (so- genannten eigentlichen Kapsel) liegen. Dieselben sind nichts anderes als optische Querschnitte von Bindegewebsfibrillen. Manche sehr feine Fibrillen durchziehen auch, sich schräg überkreuzend, den mit Flüssigkeit gefüllten Raum zwischen je zwei Lamellen. Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 175 Versilbert man ein frisches Vater’sches Körperchen, so ergibt sich die Zusammensetzung jener scheinbar strukturlosen Lamellen aus polygonalen Endothelialzellen wie die der serösen Häute, deren Kerne sich mit Anilin oder Hämatoxylin färben lassen. Die erwähnten Kerne der Lamellen gehören diesen Zellen an, und die Interlamellarräume sind niehts weiter als konzentrisch das Nervenende umgebende Lymph- spalten. Da die Kerne nach innen vorspringen, so muss man annehmen, dass auch die zunächst nach innen angrenzende Schicht querverlaufender Bindegewebsfibrillen (s. oben) zu den endothelialen Zellen gehört: jede Lamelle besteht aus einer dünnen Lage fibrillären, mit Lymphe durehtränkten Bindegewebes, das an seiner Außenfläche von Endothel bekleidet wird. Strahl (1848), Will (1850), Key nebst Retzius (1872), sowie Schäfer (1875) und Przewoski (1875) nehmen an, dass die hellen Zwischenräume als optische Durchschnitte breiter Lamellen, die dunkeln Linien dagegen als Lücken zwischen diesen Lamellen zu betrachten seien, was durch Zerfasern schon am frischen Präparat widerlegt wird. Die letztgenannten Autoren lassen, dem Gesagten entsprechend, jede (wirkliche) Lamelle aus zwei Endothellagen zu- sammengesetzt sein. Für diese Annahme ist jedoch die Zahl der Kerne in den Lamellen bei weitem zu gering. In der Längsachse des Vater’schen Körperchens verlaufen nun drei in die Länge sich erstreckende Gebilde, die mit besonderen Namen unterschieden werden. Vom zentralen Pol begibt sich als eine Fort- setzung des schon erwähnten Stieles der Stielfortsatz in das Innere; der letztere geht in den verhältnismäßig kürzeren oder längeren In- nenkolben über, von dessen abgerundetem peripherischem Ende zuweilen noch das Ligamentum interlamellare nach dem peripherischen Pol des ganzen Körperchens hin sich erstreckt. Dies ist ein diekerer oder dünnerer blasser längsgestreifter Strang, mit dem die peripherischen Enden der Lamellen verwachsen sind, zum Teil auch so, dass zwei Lamellen mit einem umgebogenen ab- gerundeten Rande in einander übergehen. Der Stiel, Pedunculus, ist ein aus longitudinalen Bindegewebs- schichten bestehender, annähernd zylinderförmiger Strang, der von dem Neurilem eines kleinen Nervenstämmehens seinen Ursprung nimmt, und durch den das Körperehen mit dem letztern in Verbindung steht, indem in der Achse des Stieles eine doppeltkonturierte Nervenfaser verläuft und sich durch den Stielfortsatz hindurch in den Innenkolben fortsetzt. Der Stiel besteht aus longitudinalen Bindegewebslagen mit zahlreichen längsgestellten Kernen. Diese Hüllen sind verdicktes Perineurium; indem sie nach dem Innenkolben zu an Zahl abnehmen und mit einigen Lamellen in Verbindung treten, entsteht eine konisch sich zuspitzende Figur, der Stielfortsatz, Processus pedunculi. Sein optischer Längsdurchschnitt ist mit dem Bilde einer Federfahne ver- glichen worden, deren Schaft durch den Stielfortsatz gebildet wird. Die doppeltkonturierte Nervenfaser des Stieles verhält sich ganz 476 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. wie gewöhnliche andere sensible Nervenfasern. Sie erscheint frisch untersucht völlig glashell, homogen mit zarten dunkeln Rändern. Die Nervenfaser verläuft im Stiel leicht geschlängelt und ist zunächst von ihrem eignen Neurilem umgeben. Vom Ende der doppeltkonturierten Nervenfaser beginnt der In- nenkolben, ein zylindrischer Strang von fein granulierter homogener Beschaffenheit, durch dessen Achse eine feine Terminalfaser läuft. Das peripherische Ende des Innenkolbens ist abgerundet und grenzt unmittelbar an das Ligamentum interlamellare, falls dieses vorhanden ist. Nach außen wird der Innenkolben von der innersten Lamelle oder Kapsel umgeben, die ganz wie die übrigen des innern Lamellen- systems sich verhält. Dieselbe steht am Ende des Stielfortsatzes mit dem Neurilem der Nervenfaser in unmittelbarer Verbindung. Im frischen Zustande erscheint die Substanz des Innenkolbens als ein fein granuliertes Gewebe, in dem nur undeutlich an der Peri- pherie eine feine Längsstreifung und eingelagerte, blasse, längsgestellte Kerne zu erkennen sind. Nach Zusatz von Wasser werden die Längs- streifen deutlicher, gehen bis nahe an die Terminalfaser, und in ihnen erscheinen zahlreichere, besonders nach Zusatz von Essigsäure deut- lich werdende, länglich-ovale Kerne. Sie gehören Längskolbenzellen an, die als verdicktes Neurilem zu betrachten sind. In der Achse des Innenkolbens verläuft, gewöhnlich gestreckt oder doch nur sanft geschlängelt, die Terminalfaser. Es ist eine feine, stark abgeplattete blasse Nervenfaser, die unmittelbar aus dem Ende der doppeltkonturierten Nervenfaser des Stielfortsatzes hervorgeht. Die letztere wird regelmäßig bei ihrem Eintritt in den Innenkolben zugespitzt, verliert ihre breiten doppelten Konturen, in seltenen Fällen erhalten sich letztere noch eine ganz kleine Strecke im Innern, und zuweilen sieht man, dass die Terminalfaser im Verlauf durch den In- nenkolben eine kleine Strecke weit wieder breit und doppeltkonturiert wurde, was aus einer stellenweisen Verdickung und Wiederauftreten der zylindrischen Form sich erklärt. Auf den ersten Blick spricht das Verhalten sehr für die Deutung der Terminalfaser als eines Achsenzylinders, indem, wenn das Mark der dunkelrandigen Faser geronnen ist, die Terminalfaser aus dem Innenraum dieses Markes herauszutreten scheint. Untersucht man aber ganz frische Präparate nach Abstreifung des äußern Lamellensystems ohne Zusatz, so sieht man das zugespitzte Ende der Nervenfaser des Stieles allmählich in die sehr nahe zusammenrückenden doppelten Konturen der Terminal- faser übergehen. Dieser doppelte Kontur ist noch deutlicher, obgleich der Innenraum viel schmaler ist, wenn die Terminalfaser zufällig von ihrer schmalen Seite betrachtet wird. Sie erhält sich nach Zusatz sehr verdünnten Natrons. Als Ausdruck ihrer Zusammensetzung aus marklosen Pr‘mitivfibrillen zeigt sich die Faser im überlebenden Zu- stande zart längsgestreift: sie besteht aus einem Bündel von Fibrillen. Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 177 Die Terminalfaser verläuft nun durch den anfangs dünneren, dann zylindrischen Innenkolben bis in dessen peripherisches abgerundetes Ende und endigt regelmäßig eine kleine Strecke vor der Begrenzung desselben mit einer fein granulierten knopfförmigen Anschwellung: Endknöpfehen (Fig. 10, 5); selten liegt dieses fast ganz dieht an der Begrenzung des Innenkolbens. Sehr häufig teilt die Terminalfaser sich kurz vor dem Ende in zwei oder drei ganz kurze Aeste, und je- der der letzteren trägt ebenfalls ein Endknöpfehen. Nicht immer ist das letztere deutlich: oft hört die Terminalfaser scheinbar fein zuge- spitzt auf; zuweilen gehen von dem knopfiörmigen Ende noch ein oder mehrere ganz feine Fäden aus. Die marklosen Nervenfibrillen, welche wie erwähnt die Terminal- faser zusammensetzen, laufen jede für sich innerhalb des Endknöpf- chens wiederum in eine oder mehrere knopfförmige Endverdiekungen, die Terminalnoduli (von 0,0003—0,0005 mm Durchmesser) aus, mit welchen sie aufhören. 8. Herbst’sche Körperchen. Auch die größten derselben sind weit kleiner, als die Vater’schen Körperchen der Säuger. Sie bestehen aus einer äußern Längs- und innern Querfaserschicht (Fig. 11), haben also keine Lamellen; ihre Mittlerer Teil der Längsansicht eines Herbst’- schen Körperchens aus dem Konglomerat von solchen im Unterschenkel des Sperlings Nach 24stündiger Behandlung des ganz frischen Kon- glomerates mit 10/,igerUeberosmiumsäure. Alko- hol,Nelkenöl,Kanadabalsam. V 500 häußereHülle. r Ringsfaserschicht, die Punkte sind optische Durchschnitte der Fibrillen. © Innenkolben mit ——— Nut, HR Ku PR) jn \\ zwei Reihen von Kernen; die dunkleren liegen Wir ; ER = Nee. = = vom Beschauer entfernter, in den helleren Ker- (MH HE = . . - = Wen BB ISIN nen zeigen sich mehrere Kernkörperchen (Para- a se: nucleolen). £ Terminalfaser. Ra Fig, 11. Innenkolben und Terminalfasern verhalten sich wie bei den Säugern. Nur sind die Kerne der Innenkolben meist quergestellt und erinnern mitunter an die Ringfaserhaut kleiner Arterien. Die äußere Längs- faserschicht besteht aus fibrillärem Bindegewebe, die innere Querfaser- schicht aus unregelmäßig — wie Werg um den Stempel einer Spritze — um den Innenkolben gewickelten, bräunlichen Fasern (Fig. 11). Längs des etwas abgeplatteten Innenkolbens ziehen sich zwei Kernreihen hin. Querdurehschnitte der Körperchen zeigen den Innenkolben kon- zentrisch geschichtet, die konzentrischen Linien sind der Ausdruck von Kantenansichten platter Längskolbenzellen, denen jene Kerne an- gehören. Letztere nehmen die Stelle der sogenannten Raphe in den 12 178 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Grandry’schen Körperchen ein, insofern sie den Kanten der stärker ab- geplatteten Terminalfaser entsprechen. 9. Key-Retzius’sche Körperchen. Dies ist eine bisher nur aus der Schnabelhaut einiger Wasser- vögel (Lamellirostres, Entenvögel: Schwan, Gans, Ente) bekannte Form terminaler Körperchen, die insofern merkwürdig ist, als sie einen Uebergang zwischen Vater’schen und Herbst’schen Körperchen bildet und dadurch die sichere Homologisierung der einzelnen Be- standteile der letzteren ermöglicht. Sie unterscheiden sich von den Herbst’schen Körperchen, denen sie im übrigen sehr ähnlich sehen, ver- möge des Umstandes, dass die Querfaserschieht nicht bräunlich, son- dern hell ist. Sie zeigt auf dem Längsschnitt (Fig. 12), wie auf dem Längsansicht eines Key-Retzius’schen Kör- perchens aus dem weißen Schnabelrande des Unterschnabels der Ente, nach mehr- tägigem Einlegen des frischen Hautstück- chens in H. Müller’sche Flüssigkeit. Mit Glyzerin. V.400. öinnere Lamellen. eäußere Lamellen. A} äußere Hülle rn Nervenfaser. Querschnitt statt der unregelmäßig durcheinander gewirrten Querfasern deutliche Lamellen und auch die äußere Längsfaserschicht nicht punkt- förmige Faserdurchschnitte, sondern eine unregelmäßige konzentrische Schichtung auf dem (optischen) Querdurchschnitt. Auswendig sind in die Lamellen des innern Systems — wie Rippen in ein Pflanzenblatt — Fasern eingelassen, welche den Querfasern der Herbst’schen Körper- chen genau entsprechen; auf dem Längsschnitt (Fig 12) verleihen sie den inneren Lamellen ein rauhes Ansehen. Hiernach ist die Längsfaserschicht der Herbst’schen und Key- Retzius’schen Körperchen jener lockern Bindegewebshülle oder Adven- titia zu homologisieren, welche die äußerste Lamelle des Vater’schen Körperehens umhüllt. Die Lamellen einschl. der Querfasern der Key- N EN ER Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 179 Retzius’schen Körperchen entsprechen den Lamellensystemen der Va- ter’schen nebst den Querfasern der letzteren, welehe jede Lamelle an deren Außenfläche überziehen. Dieselben Querfasern bilden für sich allein die Querfaserschicht der Herbst’schen Körperchen, woselbst die aus Endothelien zusammengesetzten Lamellen und die Interlamellar- flüssigkeit fehlen. Die Herbst’schen Körperchen sind gleichsam trock- ner. Letzteres mag in physiologischer Beziehung damit zusammen- hängen, dass sie die einzigen Nervenendigungsapparate in der ganzen Haut des Vogelkörpers darstellen, mithin auch Temperaturschwan- kungen ausgesetzt sind, von welchen die meist in der Tiefe der Höhlen oder Extremitäten geborgenen Vater’schen Körperchen niemals be- troffen werden können. 10. Grandry’sche Körperchen, Sie sind nur aus der Schnabelhaut von sogenannten Entenvögeln (Schwan, Gans, Ente) bekannt, woselbst zusammengesetzte und ein- fache Grandry’sche Körperchen vorkommen. Letztere schließen sich, was ihren Bau betrifft, den Endkolben in auffallender Weise an; sie bestehen aus einer Bindegewebshülle, einem Innenkolben und einer Terminalfaser. Ihre Durchmesser betragen bei der Hausente durch- schnittlich 0,067 mm Länge, 0,053 mm Breite, 0,0945 mm Dicke. Sie unterscheiden sich aber von den Endkolben zunächst dadurch, dass der Innenkolben aus nur zwei Kolbenzellen mit großen kugeligen hel- len Kernen mit einem bis zwei Kernkörperchen besteht (Fig. 14). Mit It Fig. 13. Er Grandry’sches Körperchen in Flächen- Fig. 14. ansicht nach 24stündigem Einlegen des Grandry’sches Körperchen aus der ganz frischen Randes des Unterschna- bels der Ente in 1 °/,ige Ueberosmium- säure; Alkohol, Nelkenöl,Kanadabalsam. V. 500. Die Terminalscheibe körnig und streifig im Zentrum der Figur. n Nervenfaser. Entenzunge nach Key und Retzius. V. 500. 1 doppeltkonturierte Nerven- faser. 2 Terminalscheibe. 3 Bindege- webshülle mit Kernen. 4 Raphe. Jede der beiden großen Kolbenzellen ent- hält einen großen runden Kern. 12* 1S0 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Ausnahme der Stelle des Nervenfasereintritts werden diese Zellen durch eine fast ringförmige bindegewebige Raphe zusammengehalten, welche mit der äußern Bindegewebshülle zusammenhängt. Die dop- peltkonturierte Nervenfaser verliert ihr Nervenmark gewöhnlich an der Eintrittsstelle: ihre Adventitia geht im die Bindegewebshülle, ihr Neurilem aber in die innerste Schicht der letztern über, so dass die Kolbenzellen innerhalb des Neurilems gelegen sind. Da die Terminal- faser sich längs des größten Durchmessers der Kolbenzellen hinzieht (Fig. 14, 2), so sind letztere als Längskolbenzellen zu bezeichnen. Man kann an dem einfachen Grandry’schen Körperchen eine Flächenansicht (Fig. 13), eine Seitenansicht (Fig. 14), in welcher der Nervenfasereintritt sichtbar ist, und zwei Polansichten unterscheiden. Die Terminalfaser verbreitert sich sehr rasch zu einer großen, (0,02 mm) körnigen (Fig. 13) in der Flächenansicht längsgestreiften und mithin aus marklosen Nervenfibrillen zusammengesetzten Terminal- scheibe. Dieselbe stellt ein kolossal verbreitertes Endknöpfchen der übrigen terminalen Körperchen dar. In ihrer Achse ist die Terminal- scheibe dieker und körnig, an ihren Rändern ist sie fein zugeschärft und nur an einer feinen Punktierung zu erkennen, welche sich bei der betreffenden Focuseinstellung zwischen den beiden Konturlinien der Raphe hinzieht, letztere Linien von einander trennend. Zusammengesetzte Grandry’sche Körperchen sind solche, in denen mehr als zwei Kolbenzellen vorhanden sind. Zwischen je zwei der letzteren ist eine Terminalscheibe eingeschlossen. Die Formel von Ranvier für die Anzahl der letzteren lautet: —k—1, worin £ die Anzahl der Terminalscheiben und % diejenige der Kolbenzellen aus- drückt. Mit Rücksicht auf die Längsausdehnung dieser Körperchen sind ihre Zeilen als Querkolbenzellen zu bezeichnen. — Unregelmäßige oder kleinere Kolbenzellen erscheinen häufig am Rande der zusammen- gesetzten Grandry’schen Körperchen. B. Terminale Körperchen, deren Innenkolben aus Quer- kolbenzellen bestehen. 11. Tastkolben. Die Tastkolben bestehen aus einer dünnen Bindegewebshülle und zahlreicheren Querkolbenzellen, die den Innenkolben zusammensetzen (Fig. 15); sie schließen sich unmittelbar den zusammengesetzten Grandry’schen Körperchen an. Die Kolbenzellen sind aber abgeplat- tet und ebenso ihre Kerne; sie werden durch eine bindegewebige Zwischensubstanz, die teilweise der Raphe entspricht, von den beiden nächstbenachbarten Kolbenzellen getrennt. Die Terminalfasern ver- laufen der Quere, nicht der Länge nach; es ist zweifelhaft, ob die obige Formel auch für die Anzahl dieser Terminalfasern gilt, da für gewöhnlich nur einige wenige in den Tastkolben zu sehen sind (Fig. 15). Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 181 12. Tastkörperchen. Die Tastkörperchen oder Meissner’schen Körperchen finden sich in der äußern Haut an Händen und Füßen, auch im Nagelbett; in der Brustwarze bei beiden Geschlechtern; am Tarsalrande der Augen- lider; einzeln in der äußern Haut der Extremitäten, zuweilen in der Schleim- haut des roten Lippenrandes und der Glans elitoridis. Es sind ellipsoidi- sche, bald mehr rundliche, bald mehr längliche Körperehen, die aus einer Hülle von Bindegewebe mit Kernen, einem aus Querkolbenzellen zusam- mengesetzten im frischen Zustande granuliert aussehenden Innenkolben und 1—4 doppeltkonturierten, in das Körperchen eintretenden und sich darin verästelnden Nervenfasern bestehen. Die Aeste derselben sind mattglänzende, einfach konturierte Terminalfasern, welche im allge- Fig. 16. Gefäß- und Nervenpapillen der Haut des Zeigefingers vom Menschen; Blut- gefäße injizierte V. 200. a Gefäß- papillen. 5 Nervenpapillen mit Tast- körperchen. Fig. 15: Tastkolben aus einer Papille am Seiten- rande des vordern Teiles der Zunge vom Sperling nach 24stündigem Ein- legenin 0,2 /sigeUeberosmiumsäure. Al- kohol ; Nelkenöl, Kanadabalsam V. 800. meinen von einer Seite des Tastkörperchens quer zur andern hinüber- laufen und mit Endknöpfehen, wie es scheint auch mit Terminal- scheiben wie in den Grandry’schen Körperchen endigen. Die Kör- perehen liegen innerhalb der Papillen, und zwar fast ohne Ausnahme in deren äußerster Spitze. Man unterscheidet Gefäßpapillen und Nervenpapillen (Fig. 16); die ersteren enthalten weder doppeltkonturierte noch blasse Nerven- fasern. An den Fingern und Zehen ist durchschnittlich je ein Tast- körperchen auf je 3 Gefäßpapillen zu rechnen (Meissner, 1853). Da- selbst ist die Verteilung eine mehr gruppenweise als gleichmäßige, und es sitzen auf einem Quadratmillimeter Haut am dritten Gliede des Zeigefingers etwa 21, am zweiten Gliede 8, am ersten 3, am Me- tacarpus digiti V. i bis 2, an der Plantarfläche des letzten Gliedes der großen Zehe 7, in der Mitte der Fußsohle 1 bis 2 Tastkörperchen (Meissner). 182 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Fig. 17. Tastkörperchen der menschlichen Fingerhaut mit Ueber- osmiwasäure nach E. Fischer und Flemming. 1 dop- . peltkonturierte Nervenfaser. 2 Markhaltige Stellen der im Innern des Körperchens sich windenden Terminal- fasern, beiderseits von hellen Säumen oder Höfen (3) um- geben, welche Schwalbe als streifige, dem Innenkolben der zylindrischen Endkolben homologe Hülle auffassen will. 4 Kerne der Querkolbenzellen. Die in das Tastkörperchen eintretenden dop- peltkonturierten Nervenfasern winden sich häufig spiralig um dasselbe, und dieses trifft meistens mit anscheinenden Einschnürungen des Tastkör- perchens zusammen, durch welche ein längliches Körperchen in zwei oder mehrere rundliche, bezw. an einander abgeplattete Abteilungen zerfällt. In Wahrheit sind solche eingeschnürte Gebilde manch- mal zusammengesetzt: es sind zwei oder drei derselben, die zusammengesetzte Tastkörperchen, Zwillings- resp. Drillingstastkörperchen genannt werden, in der Längsachse der Papille überein- ander gelagert. Berücksichtigt man dies, so er- gibt sich, dass die einfachen Tastkörperchen in der That nur eine oder zwei doppeltkonturierte Nervenfasern erhalten. Zufolge ihrer innern Verwandtschaft unter einander lassen sich die bis jetzt bekannten Formen terminaler Körperchen in eime Art von Stammbaum einordnen, der hier nur den Zweck hat, die Ueber- sicht zu erleichtern. Terminale Körperchen. Kolbenkörperchen (Reptilien) En Ks BLEI EEE. GERD OA ET mar Te 07 Vu FREE) EREIGNETE EEE EEE (GE TEEE ann Endkolben Grandry’sche Körper- (Säuger) chen (Vögel) AOL? mBEarENG SCHEN erCLEOPTOrBeREaEn 2» a mc EZ EEE SER ESSEN EOS. ELBE RESTE Zylindrische Endkolben Kuglige Endkolben Tast- Leydig- (Säugetiere) (Primaten) kolben sche —— [1 ae ren ur on mn en ( Vögel) Körper- Key-Retzius- Endkapseln Genital- Genital- Gelenk- | chen scheKörperch. (Säugetiere) nerven- nerven- nerven- Tastkör- (Anuren, ( Vögel) körper- körper- körper- perchen Reptilien) Vater’sche Genital- chen chen chen (Prima- Herbst’sche Körper- nerven- (Säuge- (Mensch) (Säuger) ten) Körperchen chen körperch. tere) (Vögel) (Säuger) (Igel) Zu diessr Tabelle muss noch bemerkt werden, dass die Genital- nervenkörperchen mehrmals darin erscheinen, weil sie bei verschie- denen Tieren von differenten Grundformen terminaler Körperchen ab- zuleiten sind. (Schluss folgt.) Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 183 Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläonto- logie der Haustiere. (Schluss.) Die sechs großen !) oberen Backenzähne sind, wie bei allen an- deren pferdeartigen Tieren, gleich an Form und Größe. Sie besitzen viereckige Kronen, deren Breite beträchtlich größer ist als deren Länge. Sie sind durch vier Wurzeln befestigt, von denen die äußeren senkrecht und weiter voneinander stehen, während die inneren zu- sammenhängen und von den anderen getrennt sind. Die sechs großen Backenzähne des Unterkiefers haben länglich viereckige Kronen, und jeder Zahn hat zwei Wurzeln, von welchen die hintere des letzten Molaren ein Zwillingspaar ist. Die Gattung Hypohippus (mit der Art affinis) wird aufge- stellt nach einem einzigen Backenzahne des Oberkiefers, der im plio- cänen Sande des Niobrara River, Nebraska, gefunden wurde. Auch die Gattung Anchippus (mit der Art Texanus) stützt sich nur auf ein Bruchstück eines obern Backenzahnes, „from the tertiary of Washington Co., Texas. Miocene?“ — ohne weitere Angabe. Beide Zahnformen haben Aehnlichkeit mit den entsprechenden von Anchitherium. Endlich beschreibt Leidy noch drei Backenzähne vom Oberkiefer und einen vom Unterkiefer, welche er der Gattung Parahippus (Art cognatus) zuschreibt, ebenfalls aus dem pliocänen Sande des Niobrara River, Nebraska. Wenn man die ins kleinste eingehenden Beschreibungen der spär- lichen Ueberreste in dem umfangreichen Werke von Leidy durch- liest, so kann man sich nicht der Bedenken entschlagen, dass es ein sehr gewagtes Unternehmen ist: auf grund so geringer Verschieden- heiten an den Faltungen der Schmelzbleche von Zähnen, welche in denselben Horizonten gefunden wurden, so zahlreiche Gattungen und Arten pferdeartiger Tiere zu unterscheiden. Viel vollständiger war das Material, welches den umfassenden Untersuchungen von Marsh?) über die untergegangenen pferde- 1) Leidy versteht darunter die 3 Molaren und die ersten bis dritten Prämolaren; der vierte (vorderste) Prämolarzahn ist wesentlich kleiner. 2) Die paläontologischen Arbeiten über die pferdeartigen Tiere von O.C. Marsh, Prof. am Yale College zu New-Haven, Connecticut, sind veröffent- licht im American Journal of Science and Arts, third Series vol. II. p. 35, IV. 202, V.407, VU. 247, IX. 239, XU. 401, XIV. 337, XVID. 499. Der Artikel im XIV. Bande führt die Ueberschrift „Introduetion and Succession of Verte- brate Life in America“ und gibt in der Form eines Vortrages („Adress be- fore the American Association for the Advancement of Science, at Nashville, Tenn., August 30, 1877“) eine Uebersicht über die bisher in Nordamerika gefundenen fossilen Wirbeltiere; die Mitteilungen, welche sich auf die pferde- 1S4 Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. arftigen Tiere Nordamerikas gedient hat. Marsh selbst gibt uns eine kurze Uebersicht über seine Forschungen — welche bisher dreißig verschiedene Arten von untergegangenen Pferdeformen zu tage ge- fördert haben — in seiner Abhandlung „Polydaetyle Horses, Recent and Extinet* (in „The American Journal of Seience and Arts 1879. XVII. p. 499), die ich hier in Uebersetzung folgen lasse. Amerika ist die ursprüngliche Heimat des Pferdes; während der ganzen Tertiärzeit war dieser Kontinent besetzt mit pferdeartigen Säugern von zahlreichen und verschiedenen Formen. Obgleich diese alle ausgestorben waren vor der Entdeckung dieses Weltteiles, so kennzeichnen ihre reichlichen Ueberreste die Geschlechtsfolge des Pferdes durch eine fast ununterbrochene Folge von Formen. Wenn wir die Ueberreste der ältesten Vertreter des Pferdege- schlechtes in diesem Lande untersuchen, so finden wir, dass diese Tiere alle vielzehig und von geringer Größe waren. Als die Stamm- linie sich fortsetzte bis zur gegenwärtigen Aera, trat ein allmählicher Zuwachs an Körpergröße und eine Verminderung in der Zahl der Zehen ein, bis die moderne Form des Pferdes hervorgebracht war. Angesichts der früher erwähnten Thatsachen (das gelegentliche Vor- kommen von mehrzehigen Pferden in der Gegenwart betreffend) em- pfiehlt es sich, die Hauptstammlinie dieser Gruppe von Huftieren von deren erstem Erscheinen bis zur gegenwärtigen Zeit zu skizzieren und dabei besonders Kenntnis zu nehmen von dem Wechsel in der Zahl der Zehen. Der ursprüngliche Vorfahr des Pferdes, der noch nicht entdeckt ist, hatte unzweifelhaft fünf Zehen an jedem Fuße. Die älteste bis jetzt bekannte Form dieser Gruppe ist der Kohippus, der vier gut entwickelte Zehen und den Ansatz (rudiment) einer fünften an jedem Vorderfuße und drei Zehen hinten hatte. Dieses Tier war ungefähr so groß wie ein Fuchs; seine Ueberreste stammen aus den Corypho- artigen Tiere beziehen, habe ich in deutscher Uebersetzung wiedergegeben in meinem Buche „Grundzüge der Naturgeschichte der Haustiere*., Dresden 1880. S. 36—38. In dieser „Address“ teilt Marsh auch mit, was ihn zu seinen Forschungen über die pferdeartigen Tiere in Amerika veranlasst hat: „When a student in Germany some twelve years ago, J heard a world-renowned Professor of Zoology gravely inform his pupils that the Horse was a gift of the Old World to the New, and was entirely unknown in America until intro- duced by the Spaniards. After the lecture, I asked him whether no earlier remains of horses had been found on this Continent, and was told in reply that the reports to that effect were too unsatisfactory to be presented as facts in science. This remark led me, on my return, to examine the subjeet myself, and I have since unearthed, with my own hands, not less than thirty distinet species of the horse tribe, in the Tertiary deposits of the West alone; and it is now, I think generally admitted that America is, after all, the true home of the Horse.“ Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 185 donlagern, nahe der Basis des Eocäns. In der nächst höhern Schicht des Eoeäns erschien eine andere Pferdegattung: Orohippus. Dieses Tier war seinem Vorgänger ähnlich an Größe, aber es besaß nur vier Zehen vorn und drei hinten. Im obern Eocän wurde eine dritte verwandte Gattung gefunden: Epihippus, welcher mit Orohippus genau übereinstimmt in seinen Zehen, aber sich unterschied im Gebiss. Nahe der Basis der nächsten Formation, dem Mioeän, treffen wir einen andern pferdeartigen Säuger: Mesohippus. Dieses Tier war ungefähr so groß wie ein Schaf; es hatte drei brauchbare Zehen und den Knochensplitter einer vierten an jedem Vorderfuße, aber nur drei Zehen hinten. In einem etwas höhern Horizont wurde eine nahe ver- wandte Gattung gefunden: Miohippus'!), dessen Knochensplitter der äußern oder fünften Zehe zu einem kurzen Ueberreste zurückgebildet war. In dem höher gelegenen Pliocän war ein dreizehiges Pferd (Protohippus Leidy’s), ungefähr so groß wie ein Esel, reichlich ver- treten; noch höher hinauf erscheint ein naher Verwandter des gegen- wärtigen Pferdes: Pliohippus, mit nur einer Zehe an jedem Fuße. Ein echter Eguus, so groß wie das heutige Pferd, erscheint nahe über dem Horizont des vorigen, die Reihe schließend. Die auffallendsten Veränderungen, welche im Verlaufe der palä- ontologischen Entwicklung der pferdeartigen Tiere Nordamerikas statt- fanden, waren 1) die Zunahme an Körpergröße (von der Größe des Fuchses bis zu der des modernen Pferdes); 2) die Zunahme an Schnel- ligkeit infolge der Vereinfachung der Gliederknochen; 3) die Ver- längerung von Kopf und Hals, sowie Abänderungen am Schädel. Diese Veränderungen hat Marsh in seiner „Notice of New Equine Mammals from the Tertiary Formation“ (Am. Journ. of Se. and Arts VII. 255) in betracht gezogen. Die Zunahme an Schnellig- keit ergibt sich nach ihm aus der Rückbildung (Reduetion) der seit- lichen und der Vergrößerung der Achsenknochen, wodurch die von jedem Gliede ausgeübte Kraft direkt durch seine Achse, in der Rich- tung der Bewegung, zur Wirkung kam. Marsh erläutert dies an dem Vordergliede. Es geschah erstens eine Abänderung am Schulter- blatt und am Oberarmknochen, insbesondere an letzterem, wodurch die Bewegung in nur einer Riehtung erleichtert wurde; zweitens eine Ausdehnung des Radius und eine Reduktion der Ulna, bis der erstere allein vollständig und gebrauchsfähig übrigblieb; drittens eine Ver- kürzung aller Knochen des Carpus und Vergrößerung des einen mitt- leren (Os magnum s. carpale III), wodurch die Handwurzel fester wurde; viertens eine Größenzunahme des dritten Fingers auf kosten der beiden seitlichen, bis jener allein das Glied stützte. Die Verlängerung des Kopfes und Halses mag nach Marsh 1) Miohippus stimmt in der Form seiner Glieder, Knochen und Zähne überein mit dem Anchitherium Europas. 186 Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. bereits mit Orohippus (im obern Eocän) begonnen haben. Das „Diastema“ (der zahnfreie Raum zwischen den Eckzähnen und den vorderen Prämolaren, welchen die deutschen Veterinäre gewöhnlich die „Lade“ nennen) war bei jenem Tiere gut entwickelt, aber es ver- größerte sich wesentlich bei den folgenden Gattungen. Die Zahl der Zähne blieb dieselbe !) bis zum Pliocän, wo der vorderste untere Prämolarzahn verloren ging, infolge dessen auch der entsprechende obere Zahn aufhörte sich funktionsfähig zu entwickeln. Der nächste obere Prämolarzalın ?), welcher bei Orohippus der kleinste unter den Backenzähnen war, nahm rasch an Größe zu, und er wurde bald, wie beim Pferde, der größte in der Reihe der Backenzähne. Die Mahl- zähne hatten anfangs sehr kurze Kronen, ohne Zement, und sie waren eingefugt mittels getrennter Wurzeln. In den pliocänen Arten wur- den die Molaren länger und waren mehr oder weniger mit Zement bedeckt. Das heutige Pferd hat außergewöhnlich lange Mahlzähne ohne eigentliche Wurzeln, bedeckt mit einer dicken äußern Schicht von Zement. Die Eckzähne (canini) waren sehr groß bei Orohippus; in dieser Gattung, ebenso wie bei denen des Mitteltertiärs, scheinen sie bei beiden Geschlechtern entwickelt gewesen zu sein. In spä- teren Formen nehmen diese Zähne an Größe ab, insbesondere als die Abänderungen an den Gliedern andere Vorteile schufen für die Ver- teidigung oder für das Entrinnen aus der Gefahr. Die Schneidezähne der frühen Formen waren klein und ohne die charakteristische Grube (Marke oder Kunde) des modernen Pferdes. In den Gattungen des amerikanischen Eocäns und Miocäns war die Augenhöhle hinten durch eine vollständige Knochenbrücke nicht geschlossen, was erst in den plioeänen Formen Amerikas in Erscheinung trat. Die Einsenkung vorn an der Augenhöhle, so charakteristisch für Anchitherium und einige der pliocänen Gattungen, ist merkwürdigerweise nicht zu sehen bei Orohippus oder dem spätern Miohippus, auch fehlt sie ebenfalls bei den gegenwärtigen Pferden. Es ist eine interessante Thatsache, dass der eigentümliche Körperbau des Pferdes, erworben durch Oro- hippus, sich beständig erhielt durch die ganze Reihenfolge der fol- genden Formen. Solcher Art ist z. B. die Form des Symphysenteiles am Unterkiefer, und auch das charakteristische Sprungbein (Astra- galus) mit seinen schmalen, schiefen Rollen an der Gelenkverbindung mit der Tibia, und seiner kleinen Gelenkfläche für das Würfelbein (Ouboideum s. os tarsale IV.). Das ist in Kürze eine übersichtliche Skizze der bemerkenswer- testen Abänderungen, wodurch in Amerika das hoch spezialisierte 1) Die eocänen und miocänen pferdeartigen Tiere besaßen ein vollstän- diges Gebiss von 44 Zähnen, nämlich in jedem Kiefer jederseits 3 ineisivi, 1 caninus, 4 praemolares und 3 molares. 2) Der dritte, nach der Zählung von Hensel. Wilckens, Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere. 157 moderne Pferd aus seinem kleimen vierzehigen Vorfahr, dem eoeänen Orohippus, entstanden ist. Die Stammlinie scheint grade verlaufen zu sein, und die bis jetzt bekannten Ueberreste ergänzen jede wich- tige Zwischenform. Es ist natürlicherweise unmöglich mit Gewissheit festzustellen, durch welche der dreizehigen Gattungen des Pliocäns, die gleichzeitig lebten, die Nachfolge (bis zum modernen Pferde) zu stande kam. Marsh hält es nicht für unmöglich, dass die späteren Arten, welche generisch identisch erscheinen, die Nachkommen ver- schiedener pliocäner Formen sind, da der Beharrungstrieb in allen früheren Formen sich in gleicher Richtung geltend machte. In an- betracht der außerordentlichen Entwieklung der pferdeartigen Tiere durch die ganze Tertiärperiode hindurch erscheint es sehr merk- würdig, dass keime ihrer Arten am Leben geblieben ist, und dass Amerika sein gegenwärtiges Pferd der alten Welt verdankt. Bekanntlich haben die Spanier nach der Entdeckung Amerikas Pferde aus Europa eingeführt, deren Form der eingebornen ameri- kanischen Bevölkerung gänzlich unbekannt war; sie hielten bei dem ersten Erscheinen der spanischen Reiter Mann und Pferd für ein- heitliche Wesen. In Europa endet die Reihe der mehrzehigen Pferde mit Hip- parion, dessen Knochen bisher nur in den oberen mioceänen und un- teren pliocänen Schiehten des Tertiärs gefunden wurden. Die un- mittelbaren Nachkommen des Hipparion im Pliocän und in den Qua- ternärschichten Europas führen sämtlich den Gattungsnamen Eguus und unterscheiden sich von Hipparion hauptsächlich durch den Mangel der zweiten und vierten Zehen an allen Füßen. Die Rück- bildung dieser Zehen hat wahrscheinlich allmählich stattgefunden, aber wir kennen nicht die Uebergangsformen zwischen Hipparion und Equus fossilis; das letztere besitzt nunmehr eine einzige — die dritte — Zehe, beziehungsweise: das pferdeartige Tier mit einer einzigen Zehe an jedem Fuße führt den Gattungsnamen Eguus. Die nahe Verwandtschaft zwischen Hipparion und Equus ergibt sich nicht bloß aus der großen Uebereinstimmung des Skeletes und des Gebisses, sondern auch aus dem gelegentlichen Wiedererscheinen der seit dem Untergange des Hipparion verschwundenen Nebenzehen, selbst noch bei unseren heutigen Pferden. Auf diese Erscheinung — als Atavismus — hat schon Hensel aufmerksam gemacht. Man findet fast in jeder größern Sammlung von Pferdeskeleten, nament- lich in Tierarzneischulen, Vorderfüße mit verkiümmerter medialer (zweiter) Nebenzehe. Es sind aber auch mehrfach lebende Pferde beschrieben mit je zwei Nebenzehen an jedem Fuße; einen solchen Fall hat €. v. Siebold unter dem Titel: „Das Hipparion auf Jahr- märkten“ im Archiv für Anthropologie 1881. XII. S. 427 veröffent- licht; auch hat er daselbst eine Abbildung mitgeteilt aus einer Ab- handlung „Ein Pferd mit acht Beinen“ aus dem Jahre 1679; die vier 188 Ausstellung des „Travailleur* und des „Talisman“. überzähligen Beine bestanden in der That nur aus Afterzehen, deren jeder Fuß eine trug. Einen ähnlichen Fall beschrieb kürzlich Marsh (Am. Journ. of Se. a. Arts 1879. XVII. p. 499); er sagt darüber: „Since the attention of the writer was called to the- subject, a few years since, he has ascertained that these supernumerary digits are much more common in the horse than has been supposed, and in many cases they appear to indicate a reversion to an early ancestral type.“ Marsh führt auch mehrere Fälle von mehrzehigen Pferden aus der Literatur an (den ältesten aus dem Werke „de re equaria“, Nuremberg 1703 von Georg Simon Winter), und er beschreibt dann aus eigner Anschauung ein Pferd mit je einer medialen Neben- zehe an jedem Fuße (welches im Frühjahr 1873 in New-Orleans und New-Haven ausgestellt war) wie folgt: „The four main hoofs are of the ordinary form and size. The extra digits are all on the inside, and correspond to the index finger of the human hand. They are less tban half the size of the prineipal toes, and none of them reach the ground. An external examination indicates that the metapodial bone of each extra digit is entire, and at its lower end, at least, is not coössified with the main cannon bone.“ Marsh fügt dem noch hinzu: dass ihm von solehen, welche es gesehen, noch zwei neuere Fälle von mehrzehigen Pferden beschrieben seien. Der eine derselben betraf ein Fohlen mit drei Zehen an einem, und zwei an dem an- dern Vorderfuße. Der andere betraf eine in Indiana aufgezogene Stute, welche an jedem Vorderfuße drei Zehen und an jedem Hinter- fuße eine kleine Nebenzehe hatte. M. Wilckens (Wien). L’exposition du ‚„Travailleur‘“ et du „Talisman‘“. Revue seientifigue 1884, Nr. 8. In der Sitzung der französischen Akademie vom 17. Dezember 1883 versprach A. Milne Edwards als Präsident der wissen- schaftlichen Kommission zur Erforschung der Meere in nächster Zeit eine Ausstellung alles dessen veranstalten zu wollen, was dureh die Expedition der Schiffe „Travailleur“ und „Talisman“ von 1830—1883 ans Tageslicht gefördert war. Dies Versprechen ist erfüllt und die reichhaltige Sammlung im Museum für das große Publikum ausge- stellt worden. Zu Eingang des Saales bemerkt man Foraminiferen- schlamm aus Tiefen von 200—6000 m; 400 mikroskopische Präparate mit 150 verschiedenen Arten legen Zeugnis ab für den außerordent- lichen Formenreichtum dieser Tierklasse. In den größten Tiefen des atlantischen Ozeans und des Golfes von Gascogne ist der Boden ausschließlich und in dieken Lagen von Ueberresten und lebenskräf- Ausstellung des „Trävailleur“ und des „Talisman“. 189 tigen Individuen dieser Protozoen bedeckt. Die Miliolidae, welche an der Küste so sehr gemein sind, verschwinden in der Tiefe nach und nach. Im Golf von Gascogne findet man von 1500—2000 m nur noch etwa zehn verschiedene Spezies, und von 4—6000 m sind sie gar auf 3 oder 4 beschränkt. Dagegen besitzen Cristellaria und Dentalina, welche an der Küste geringe Größe haben und sehr selten vorkommen, in einer Tiefe von 200 m eine beträchtliche Größe und kommen in stattlicher Anzahl vor. Eine der interessantesten Foraminiferen aus ebendenselben Meeresschichten ist der Orbitolites tenwissimus (Carp.); er bildet eine glatte Scheibe von Papierdicke und der Größe eines Markstücks und besteht aus zahlreichen konzentrischen Windungen, welche noch wieder in Kammern eingeteilt sind. Mit diesen zugleich wurden viele Foraminiferen (Psammosphaera fusca, Rhabdammina abys- sorum) emporgehoben, deren Schale ausschließlich aus Sandkörnchen, Spongiennadeln oder kleineren Foraminiferenresten aufgebaut ist. 4—6000 m tief besteht die größte Masse der Rhizopoden aus zahl- losen Individuen von Orbulina universa und mehreren Globigerinen- arten. Mit ihnen zugleich findet man Lagena und Entosolenia, von denen man bisher glaubte, dass sie sich nur an der Küste aufhielten. Die eleganteste von diesen Arten, die Lagena seminiformis, wurde von Schwager als fossil beschrieben. Höchst überraschend ist die Thatsache, dass sich in den Tiefen der durchforschten Ozeane von 2000— 2500 m außerordentlich zahlreich wun- derhübsche Schwämme mit krystallhellem Kieselgerüst finden. Es sind dies Spezies aus den Gattungen Hyalonema, Holtenia und Asconema; die bekannten Euplectella-Arten, welche viele Aehnliehkeit mit letz- teren haben, leben in einer weit geringern Tiefe als diese. Von den übrigen zahlreichen Schwammarten, welche durch diese Expedition erbeutet wurden, wollen wir nur noch die reizenden und das allge- meine Interesse erweekenden ÜUladorhiza und Aphrocalistes hervor- heben. — Während man früherhin die Meinung hegte, dass sich Ko- rallen kaum noch 200 m unter der Oberfläche des Meeres finden, hat namentlich der Talisman verschiedene elegant gebaute und ge- färbte Exemplare aus 4000—5000 m Tiefe ans Tageslicht gefördert, von denen einzelne ein schöneres Rot zeigen, als die Edelkoralle des mittelländischen Meeres. Amphihelia und Lophohelia bilden in Tiefen von 1500—1800 m dicke Bänke, während wieder Stephanotrochus und Flabellum ganz isoliert leben. Die nordische, ziemlich seltene Crypto- helia pudica gehört ebenfalls zu den erbeuteten Tieren. Prachtvolle Actinien oder Seeanemonen wurden bis zu 5000 m hinab gefangen. Darunter befinden sich Chitonactis, Actinotheca, Pennatula aculeata, P. phosphorea, Umbellaria und andere. Isis- und Mospea-Arten aus dem Gascognergolf (1500 m) gleichen den fossilen I/sis-Arten aus dem Tertiär ungemein. Ferner sind wundervolle Pentacrinus Wyville- Thomsonii ausgestellt, welche nur fossil bekannt waren, bis vor 190 Ausstellung des „Travailleur“ und des „Talisman*. wenigen Jahren in den Antillen ein erstes lebendes Exemplar gefischt wurde. Sie stammen aus der Nähe von Rochefort (1500 m) und der Marokkanischen Küste. Außerordentlich zahlreich, sowohl was die Arten- als auch die Individuenzahl anbelangt, sind in der Sammlung die Seesterne vertreten. Unter anderen sind neue Arten von Pentagonaster, Hymenaster, der nordischen Drisinga, von Calveria, Phormosoma, Pour- talesia, Dorocidaris und Salenia zu bemerken. Von sonstigen Echino- dermen wollen wir noch auf riesige Holothurien von 0,65 m Länge aufmerksam machen, welche einer neuen Art der Gattung Psyehoro- potes angehören, und auf die rosenfarbigen Peniagones, von denen an einem Tage mit einem Zuge gegen 50 Exemplare aus einer Tiefe von 5000 m emporgehoben wurden. Die Mannigfaltigkeit und oft sogar die Lebhaftigkeit der Farben, welche man sowohl bei denjenigen Tieren bemerkt, welche in großen Tiefen, als auch bei denen, die so zu sagen an der Oberfläche des Wassers leben, stehen mit der Ansicht, dass die Farbe unzertrennlich vom Licht ist, und dass Individuen, welche sich ihr lebelang im Finstern aufhalten, düster, blass oder unbestimmt gefärbt sind, in direktem Widerspruch. Denn wir sehen in der That, dass in den dunkelsten Gründen des Ozeans Geschöpfe leben, deren Farbenpracht eine reiche und lebhafte ist, da mit Verschwendung das schönste rot, rosa, purpur, violett und selbst blau verteilt ist. Nur die Fische machen eine Ausnahme; sie sind grau oder dunkel gefärbt. — Von „Lintenfischen“ sind riesige Octopus-Arten, seltene und interessante Cirroteuthys-, Rossia- und Saepiola-Species ausgestellt. Den Cephalo- poden schließen sich die Gastropoden an. Fusus abyssorum wurde hinab bis zu 5000 m, Marginella bis zu 2000 m angetroffen, außer- dem aber auch noch die hoch nordischen Fusus berniciensis und F. is- landicus erbeutet. Von den übrigen Bauchfüßlern sind namentlich Pleurotoma und Trochus, dann aber auch Solenoconchus und neue Dentalium-Arten vertreten. Die beim Dredschen gefundenen Lamelli- branchier gehören den Familien der Nuculidae, der Pectinidae, der Östeodermidae u. Ss. w. an; eine sehr schöne Neraea- Art lebt 5000 m unter dem Meeresspiegel. In etwas geringerer Tiefe fand man am Golf von Lyon zwei Arten vom Genus Pholadomya; dasselbe Genus findet sich bereits unter den Versteinerungen der mesozoischen Schichten, wo es seine größte Häufigkeit in der Juragruppe erreicht. Wir erwähnen ferner noch die Lima excavata, welche bisher lebend nur an den Küsten Skandinaviens gefunden wurde. Brachiopoden wurden gleichfalls recht häufig angetroffen, darunter eine riesige Terebratula Wyvillei von der afrikanischen Küste und zahlreiehe Waldheimien und Rhynchonelliden. — Wenn wir die Er- gebnisse über die Molluskenfauna kurz zusammenfassen, so zeigt es sich, dass sie in den Abgründen des Meeres eine vollkommen andere und noch weit mehr von der in höher gelegenen Schichten oder in ge- De Man, Nematoden der niederländischen Fauna. 191 ringeren Tiefen vorhandenen verschiedene ist, als man gewöhnlich an- nimmt, und zwar sowohl bezüglich der Spezies als auch der Vergesell- schaftung der Familien. Wenn also auf einem und demselben Parallel- kreis die zwei Faunen versteinert aufgefunden würden, würde man leicht zu der Annahme geneigt sein, dass hier zwei verschiedene Faunen zutage liegen, welche unter sich in gar keinem synchronisti- schen Zusammenhang stehen. Es ergibt sich daraus, dass, wenn man eine Versteinerungen führende Schicht untersucht, man sehr wohl zwischen seiner tiefern und höhern Lagerung unterscheiden muss. Außerordentlich zahlreich sind Crustaceen in den Meerestiefen vertreten; man findet sie bis zu 5000 m hinab, von wo z. B. noch Pagurus heraufgeholt wurde; die Brachyuren sind hier spärlich und nur durch die neue Art Ethusa alba, dagegen aber wieder Amphi- poden und Isopoden, desgleichen Anatifera- Arten in größerer Anzahl vertreten. Durch das Studium dieser Tierklasse hat sich die Arten- zahl in manchen Gruppen verdoppelt, ja gar verzehnfacht, so dass auf diesem Gebiete den Naturforschern eine reiche Fundgrube er- schlossen worden ist. Wir sehen da 5 Galathodes-Arten, 1 Gala- cantha, Galatheiden, 2 Elasmonotus, Eryoneiceus, Willemaesien, Penta- chelen, Polychelen, Glyphocrangon, Ceraphilus, Pontophilus, Richardina, Acantephyra, Oplophorus, Stylodactylus, Nematocarcinus, Aristeus ete. Was Individuen - und Spezieszahl anbelangt, so sind namentlich auch die Fische in reicher Anzahl ausgestellt. Leider können wir auf Einzel- heiten nieht näher eingehen und wollen uns deshalb begnügen, einige der interessantesten aus der Sammlung anzuführen, so z. B. Physis mediterranea, Plagusia lactea (450 m), Argyropelecus hemigymnus (1968 m), Centrophorus squamosus, C. erepidallus, Centrocymnus caelo- lepis, Apocephalus rostratus, Maerurus globiceps, Bathynectes, Bathyp- terois, Stomies U. 8. W. Schließlich machen wir noch auf mehrere Exemplare einer Ei- dechsenart aus dem Geschlechte Macroseineus aufmerksam, welche sich einzig und allein auf der Kapverdischen Insel Blanco befindet und bisher kaum bekannt war. C. B. De Man, Die frei in der reinen Erde und im sülsen Wasser lebenden Nematoden der niederländischen Fauna. Eine systematisch-faunistische Monographie mit 34 lithographierten Tafeln. Leiden 1884. Verlag von E. J. Brill in Leiden. Unsere faunistischen Kenntnisse bezüglich der freilebenden Nematoden sind sehr ungenügend. Abgesehen davon, dass exotische Formen ganz unbe- kannt sind, kennt man selbst die europäischen wenig, da dieselben bisher nur in Mitteleuropa untersucht wurden. Dies ist leicht zu erklären, wenn man weiß, wie viel Geduld und Geschicklichkeit zur Aufsuchung und zum Präpa- 192 Behrens, Einwirkung der Kälte auf Mikroben. rieren dieser mikroskopischen Wesen erforderlich ist, und wie viel Mühe und Zeit die Erforschung ihrer Lebensverhältnisse in Anspruch nimmt. Der Mangel einer an Abbildungen reichen und an Beschreibungen exakten Monographie machte sich auch, besonders bei helminthologischen Forschungen, sehr fühlbar. Das Bestimmen war besonders erschwert durch das Fehlen guter Literaturverzeichnisse, durch die äußerst kurzen Beschreibungen und haupt- sächlich durch sehr ungenügende Abbildungen Alle diese Uebelstände hat Verfasser durch eine ausführliche Arbeit, auf welche ich die Aufmerksamkeit zu lenken mir erlaube, erfolgreich beseitigt. Diese Arbeit enthält hauptsächlich eine systematische Bearbeitung der vom Verfasser in den Niederlanden gefundenen Formen und zerfällt in einen allgemeinen und einen systematischen Teil. Im ersten werden die geschicht- liche Entwickelung der Kenntnis dieser Tiere, dann die Art des Fanges und des Präparierens, die allgemeinen Organisationsverhältnisse, die örtliche und zeitliche Verbreitung in den Niederlanden, die Lebensweise und schließlich die Klassifikation besprochen. Im systematischen Teil findet man am Anfang eine Tabelle zur Bestimmung der Gattungen, dann die Beschreibung sämtlicher vom Verfasser beobachteten Gattungen und Arten mit den Bestimmungstabel- len der letzteren; außerdem werden alle bisher beschriebenen Arten nebst Angabe ihrer Literatur angeführt. Zum Schlusse werden noch zwei Tabellen zur Uebersicht der örtlichen Verbreitung in des Niederlanden und zur Ein- teilung der Arten nach ihrer Körpergröße beigegeben. Vierunddreißig treu und schön ausgeführte Tafeln erhöhen den Wert dieser so erwünschten und mühsamen Arbeit. Dieselbe wird wohl einem jeden, der sich mit faunistischen Fragen beschäftigt, unentbehrlich sein, besonders jenen, welche sich mit hel- minthologischen Untersuchungen, hauptsächlich Nematoden befassen. Die mit großer Sorgfalt ausgeführten Bestimmungstabellen und die 145 schönen Figuren erleichtern das Studium dieser Gruppe in hohem Maße. Verley (Budapest). Einwirkung der Kälte auf Mikroben Bereits früher hatten Pietet und Young gefunden, dass verschiedene Mi- kroben unter dem vierstündigen Einfluss einer Kälte von — 100° nieht zu grunde gehen. Beide Forscher haben ihre Versuche jetzt mit einer Tempera- tur von mindestens — 76° bis — 130° fortgesetzt und gefunden, dass selbst durch achtstündigen Einfluss einer solchen Kälte gewisse Mikroben, so z. B. der Bacillus anthracis, nicht vernichtet werden, während einige andere dagegen ihre Virulenz verlieren oder ganz getötet werden. (Compt. rend.). H. Behrens (Gütersloh, Prov. Westfalen). Beriehtigungen. In voriger Nummer lies: S. 142 Z. 10 v. u. Leitfossile statt fossile. S. 148 Z. 7 v. u. hinter „zeigen“ ein Kolon (:) statt Semikolon (;). Mit einer Beilage der Verlagsbuchhandlung von Eduard Besold in Erlangen. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlaugen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. Inhalt: Kohl, Beitrag zur Kenntnis des Windens der Pflanzen. — Ludwig, Die biologische Bedeutung des Farbenwechsels mancher Blumen. — Ludwig, Ueber zwei neue pflanzliche Bewegungsreize. — Bewitz, Ueber das Abwerfen der Scheren des Flusskrebses. — Bewitz. Ueber das durch die Foramina repu- gnatoria entleerte Sekret bei G@lomeris. — MHertwig, Ueber die Kernteilung bei Actinosphaerium Eichhornii. — Krause, Die Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten (Schluss) — Fuchs, Zur Anatomie, Phy- siologie und Entwickelungsgeschichte der Großhirnrinde. — Hoppe-Seyler, Zur Kenntnis der indigobildenden Substanzen im Harn. — Zeiler, Ueber die Schicksale des Jodoforms und Chloroforms im Organismus, — Sehotten, Ueber die Quelle der Hippursäure im Harn. — MTarchanofi, Ueber die Ver- schiedenheiten des Eiereiweißes bei befiedert gebornen (Nestflüchtern) und bei nackt gebornen (Nesthockern) Vögeln und über die Verhältnisse zwischen dem Dotter und Eiereiweiß. — Behrens, Eine Gesellschaft zur biologischen Er- forschung der britischen Küsten. 1. Juni 1884. Nr F. G. Kohl, Beitrag zur Kenntnis der Windens der Pflanzen. Marburger Habilitationsschrift. (Sep.-Abdruck aus Pringsheim’s Jahrbüchern, Bd. XV.) Der historische Teil dieser interessanten Arbeit beschäftigt sich mit einer kurzen, aber zutreffenden Kritik der wichtigsten, bisher über das Winden der Schlingpflanzen angestellten Untersuchungen, aus denen übereinstimmend hervorgeht, dass man besonders zwei Faktoren als unumgänglich notwendig für das Zustandekommen nor- maler Windungen zu betrachten hat, nämlich einmal die kreisende Nutation der Endknospe und ferner den negativen Geotropismus der wachsenden Internodien. Nicht so klar gelegt ist die oft ventilierte Frage nach einer etwa vorhandenen Reizbarkeit des windenden Stengels gegen Berührung, eine Reizbarkeit, welche Mohl schon im Jahre 1827 postuliert hatte, die aber bereits in demselben Jahre von Palm, später von Dutrochet und dann vor allem von Darwin und de Vries auf grund besonderer, aber wie Verf. ausführt, durch- aus nicht beweisender Versuche direkt in Abrede gestellt wurde. In neuester Zeit aber spricht Sachs in seinen „Vorlesungen über Pflan- 15 194 Kohl, Beitrag zur Kenntnis des Windens der Pflanzen. zenphysiologie“ zwar nur andeutend, aber doch ganz bestimmt für eine Reizbarkeit. In einer jüngst erschienenen, wohl als bekannt vorauszusetzenden Abhandlung über das Winden der Pflanzen sucht Schwendener einen neuen Faktor als notwendig für das Zustandekommen normaler Windungen aufzustellen, nämlich die sogenannte „Greifbewegung“ des nutierenden Stengelendes, vermöge welcher die Schlingpflanze die Stütze in ähnlicher Weise ergreifen soll, wie man etwa mittels Daumen und Zeigefinger eine zylindrische Glasröhre oder ein leichtes Weinglas und dergleichen anzufassen pflegt. Die Notwendigkeit dieser „Greif- bewegung wird vom Verfasser, wie es auch vom Referenten schon geschah !), direkt bestritten und durch eine Reihe von Versuchen be- wiesen, dass dieselbe nur bei hinreichender Stützendicke zu stande kommt. Hiemit aber ist dem Schwendener’schen Windungsmecha- nismus die Spitze gebrochen. Um über das etwaige Vorhandensein der vielbestrittenen oben angedeuteten Reizbarkeit des windenden Stengels Klarheit zu ge- winnen, stellt Verf. nun in verschiedener Weise varlierte Versuche an, aus welchen unzweifelhaft hervorgeht, „dass die windenden Interno- dien der Sehlingpflanzen gegen dauernde Berührung empfindlich sind, und dass die dauernd berührte Seite im Wachstum hinter den übrigen zurückbleibt.“ Diese Reizbarkeit der im Wachstum begriffenen Strecke des windenden Stengels ist allerdings wegen der durch die Nutations- krümmungen des Stengelendes hervorgerufenen Störungen nicht immer leicht wahrzunehmen; allein bei der vom Verf. speziell daraufhin untersuchten Calystegia erwies sich die Empfindlichkeit gegen Be- rührung doch außerordentlich groß, so dass schon die Berührung mit einem sehr dünnen Seidenfaden, haarfeinem Platindraht, oder nur anhaltendes leises Reiben vollständig hinreichte, eine bemerkbare Wachstumsdifferenz zwischen der berührten und der gegenüberliegen- den Seite des Internodiums hervorzurufen derart, dass die letztere die im Wachstum geförderte war. Auf grund dieser wichtigen Versuchsresultate führt nun Verf. das Zustandekommen normaler Windungen auf das Zusammenwirken dreier notwendiger Faktoren zurück: erstens der "nutierenden Bewe- gung der wachsenden Stengelspitze, zweitens des negativen Geotro- pismus desselben und drittens der konstatierten Reaktionsfähigkeit des Stengels auf einen andauernden, seitlich in bestimmter Weise wirken- den Druck. Eine unmittelbare Bestätigung der vom Verf. aufgefundenen Reiz- barkeit des windenden Stengels lieferten nun weiterhin angestellte Beobachtungen über den Einfluss der Stützendicke auf die Länge der Internodien, insofern sich, wie zu erwarten war, herausstellte, dass 1) Vergl Bot. Ztg. 1882. S. 573. Kohl, Beitrag zur Kenntnis des Windens der Pflanzen. 195 mit zunehmender Stützendieke, also mit wachsendem Gegendruck der Stütze, die Länge der Internodien abnimmt, was sich besonders bei Anwendung konischer Stützen sehr auffallend zu erkennen gab. In gleicher Weise wie das Längenwachstum der Internodien ist auch der Neigungswinkel der Windungen, d. h. der Winkel, unter welchem die Windungen anliegen, von der Stützendieke abhängig, indem mit Zu- nahme der letzteren der Winkel kleiner wird. Da aber sogar Indi- viduen derselben Spezies von Schlingpflanzen (und vielleicht auch mitunter verschiedene Internodien desselben Individuums) eine un- gleiche Empfindlichkeit gegen die Berührung mit der Stütze an den Tag legen, so wird bei gleicher Stützendicke der Neigungswinkel ver- schiedener Individuen durchaus kein konstanter sein und schon je nach dem Wohlbefinden der betreffenden Pflanzen variieren können, was auch daraus hervorgeht, dass Verf. durch künstlich hervorge- rufene Herabsetzung der Wachstumsenergie Sprosse zur Produktion von Windungen geringerer als normaler Neigungen veranlassen konnte. Eine an windenden Stengeln fast allgemein auftretende Erschei- nung sind die Torsionen, über deren Bedeutung beim Vorgange des Windens von jeher die verschiedensten Meinungen ausgesprochen wurden: während Mohl die Torsion in den älteren Internodien als Ursache des Windens ansah, hält Sachs (und im Uebereinstimmung damit befindet sich auch der Verf.) jede Torsion für ein nebensäch- liches Moment, welches mit dem eigentlichen Mechanismus des Win- dens in gar keinen Zusammenhang gebracht werden darf. Die von Schwendener ausgesprochene Ansicht, dass nur antidrom (gegen- läufig) tordierte Stengel regelmäßig gewunden seien und die homo- dromen (gleichläufigen) Torsionen als Störungen aufzufassen seien, wird vom Verf., und mit Recht, durchaus nieht geteilt, sondern dar- gelegt, dass grade bei dünnen Stützen, um welche besonders schön und regelmäßig gewunden wird, vorzugsweise homodrome Torsionen entstehen, welche erst bei einer gewissen Dieke der Stütze oder wenn auf irgend eine Weise die Reibung zwischen der Stütze und dem windenden Stengel erhöht wird, in die antidrome Form sich umsetzen. Unter Umständen, nämlich dann, wenn das Stengelende der Schlingpflanze in vertikaler Richtung erhalten wird, können schlingende Sprosse auch ohne Stütze ähnliche schraubenförmige Krümmungen machen, wie wenn sie eine Stütze umwinden. Diese sogenannten freien Windungen sieht Verf. in Uebereinstimmung mit Schwen- dener als pathologische Erscheinungen an, welche mit dem normalen Winden in keiner Beziehung stehen. J. Wortmann (Strassburg i. E.) 196 Ludwig, Bedeutung des Farbenwechsels mancher Blumen. Die biologische Bedeutung des Farbenwechsels mancher Blumen. Nach Sprengel, Delpino, Fritz und Herm. Müller. In seiner „Geschichte der Erklärungsversuche in bezug auf die biologische Bedeutung der Blumenfarben“ (Kosmos Bd. XI S. 117 ff.) hat H. Müller gezeigt, dass der eigentümliche Farbenwechsel, wie ihn eine Reihe von Blumen darbieten, zuerst von dem Altmeister der Pflanzenbiologie, ©.K. Sprengel, eine biologische Deutung erfahren hat. Dieser stellt nämlich bezüglich des bekannten Farbenwechsels im Saftmal der Roßkastanienblüte die Vermutung auf, „dass das gelbe Saftmal deswegen purpurfarben wird, damit das Insekt die mit dem purpurfarbenen Saftmal gezierten Blumen nicht besuche.“ Delpino hat sodann nach Sprengel den Farbenwechsel, den manche Blumen darbieten, indem ihre Blumenkrone nach dem Verblühen noch frisch bleibt und sich intensiver färbt, näher untersucht und, nachdem er für Ribes aureum konstatiert, dass eine langrüsselige Biene Anthophora pilipes nur die nicht verfärbten Blüten besucht, eine ähnliche Erklä- rung abgegeben, wie Sprengel, dass nämlich „dieser Farbenwechsel den Insekten als Zeichen dient, damit sie — zu beiderseitigem Vor- teile, der Pflanzen und der Insekten — vorzugsweise die nicht ge- zeichneten Blüten besuchen“. Fritz und Hermann Müller wiesen aber erst darauf hin, dass dies nicht der einzige Vorteil sein könne, da sonst besser die verwelkten Blüten abfielen. Der Farbenwechsel bietet nach ihnen einen dreifachen Vorteil: er steigert die Augenfällig- keit des ganzen Blütenstandes, lenkt die wenig einsichtigen, daher nutzlosen Gäste von den frischen Blüten ab und zeigt den einsichti- geren Insekten, auf welche Blumen sie zu ihrem und der Pflanze besten ihre Besuche zu beschränken haben. Beide Forscher haben die Zahl der farbenwechselnden Blumen durch neue Beobachtungen vermehrt und die eben ausgesprochene Erklärung durch die aus den Insektenbeobachtungen gezogenen Resultate bestätigt. Fritz Müller beobachtete in Brasilien eine ZLantana, deren Blüten 3 Tage dauern und am ersten gelb, am zweiten orange, am dritten purpurn gefärbt sind. Einige Tagfalter (Danais Erippus, Pieris Aripa) stecken ihren Rüssel in die gelben und orangefarbenen, andere (Heliconius, Apseu- des, Colaenis Julia, Eurema, Leuce) ausschließlich in die gelben Blüten (des ersten Tages), kein einziger in die purpurfarbenen. „Wenn die Blüten am Ende des ersten Tages alle abfielen, würden die Blüten- stände viel weniger in die Augen fallen; wenn sie ihre Farbe nicht wechselten, würden die Schmetterlinge viel Zeit verlieren, indem sie ihre Rüssel in schon beiruchtete Blumen steckten.“ Herm. Müller hat sodann weitere Beispiele und neue Belege für die Richtigkeit die- 4) H. Müller, Biologische Bedeutnng des Farbenwechsels beim Lungen- kraut. Kosmos VII 1883 8. 214 ff. u a Ludwig, Ueber zwei neue pflanzliche Bewegungsreize. 197 ser Erklärungen beigebracht in Ribes sangwineum, Fumaria capreolata var. pallidiflora, Weigelia rosea, Polygala Chamaejasme u. a. beson- ders an Pulmonaria offieinalis. Bei letzterer besuchte die langrüs- seligste der einzellebenden Bienen, Anthophora pilipes, welche der hauptsächlichste Kreuzungsvermittler der Pflanze war, fast ausschließ- lich rote oder im ersten Uebergang aus dem Rot ins Blau begriffene Blüten, nur einmal wurden von einer anscheinend an den Lungenkraut- blumen noch unerfahrenen Biene anfangs auch die älteren blauen (aus- beuteleeren und bestäubten) besucht. Die flüchtigen unregelmäßigeren Besucher Bombus hypnorum, B. hortorum und Osmia rufa besuchten rote und blaue Blumen. — Während in den erwähnten Fällen die intensivere Verfärbung erst nach dem Verblühen und nach Aufhören der Nektarabsonderung vor sich geht, entfalten sich, wie F. Hilde- brand bemerkt hat, bei der Liliacee Eremurus spectabilis die Peri- gonzipfel vor den Befruchtungsorganen. Erst nach dem Welken der Korolle kommen Nektarien, Staubgefäße und Stempel zur Entwicke- lung. Auch hier wird, wie H. Müller richtig hervorhebt!), ein auf- fälligerer Blütenstand durch die anfänglich vorhandenen Korollen und eine Ablenkung weniger einsichtiger Gäste bewirkt, nur mit dem Un- terschied, dass die Aufmerksamkeit der letzteren hier auf die noch nicht, bei den genannten farbenwechselnden Blumen auf die nicht mehr ausbeutefähigen Blüten gelenkt wird. Der Farbenwechsel der Blumen ist eine häufigere Erscheinung — wir erinnern nur noch an Heliotropium mutabile, Myosotis versicolor u. a. Boragineen — doch scheint er nicht überall eine biologische Bedeutung zu haben, sondern kann möglicherweise aus rein chemi- schen Ursachen erfolgen. So dürfte es z. B. bei Echium vulgare der Fall sein, wo nach H. Müller nur Knospen und ganz frisch sich öffnende, wie ich beobachtet habe zuweilen auch die kleineren weib- lichen Blüten, rosa sind. Es dürfte daher in jedem einzelnen Falle eine ähnliche Feststellung thatsächlicher Bevorzugung der noch nicht nachgefärbten Blumen durch die hauptsächlichsten Kreuzungsvermittler geboten erscheinen, wie sie durch Delpino und die Gebrüder Müller gemacht worden ist, ehe man die biologische Bedeutung des Farben- wechsels mit Bestimmtheit behaupten kann. F. Ludwig (Greiz). Ueber zwei neue pflanzliche Bewegungsreize. Literatur: Bengt Jönssen, Der richtende Einfluss strömenden Wassers auf wachsende Pflanzen und Pflanzenteile. Ber. der deutsch. Bot. Gesellsch. 1883 Heft 10. S. 512—521. — E. Stahl, Zur Biologie der Myxomyceten. Bot. 1) H. Müller, Die biologische Bedeutung des eigentlichen Blühens von Eremurus spectabilis. Bot. Ztg. XL 1881 S. 278—281. 198 Ludwig, Ueber zwei neue pflanzliche Bewegungsreize. Zeitung 1884 Nr. 10—12. — W. Pfeffer, Lokomotorische Richtungsbewegun- gen durch chemische Reize. Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch. 1883. Heft 10. S. 525—533 und Sep.-Abdr. aus Untersuch. aus d. bot. Institut Tübingen Bd. I 1884. Heft 3. 120 S. Die scheinbar willkürlichen Ortsbewegungen der Schleimpilze (Myxomyceten) haben fast gleichzeitig zwei Forscher, E. Stahl und Bengt Jönssen zu eingehenden Untersuchungen über deren Ursachen veranlasst. Stahl fand, dass der als wesentlicher Faktor bei den Bewegun- gen dieser niedersten pflanzlichen Organismen betrachtete Geotropis- mus fast völlig ohne Einfluss ist, fand dagegen die von Schleicher im Laboratorium Strassburger’s gemachte Entdeckung, dass das strö- mende Wasser die Bewegungen der Myxomyceten beeinflusst, bestätigt. Nach Schleicher „streben die Plasmodien dem Wasserstrom ent- gegen und es ist leicht, sie mit Hilfe desselben in jeder beliebigen Richtung fortschreiten zu lassen“. Stahl brachte das Plasmodium der „Lohblüte“, Aethalium septicum, mit Filtrierpapierstreifen, die er aus einem Wassergefäß in ein tieferstehendes führte, mit Zwirnsfäden, Leinwandstreifen, die von Wasser durchströmt wurden, in Verbindung und konnte so große Mengen reiner Plasmodien aus ihrem Substrat hervorlocken. Dieselben bewegten sich (bei Abschluss anderer gleich zu besprechender Einflüsse) stets der Strömung entgegen, mochte die Strombahn auf- oder absteigen oder horizontal verlaufen. Bei Um- kehrung des Wasserstroms (durch Emporheben des tiefern Gefäßes) kehrte sich auch die Bewegungsrichtung der Plasmodien um. Stahl bezeichnet diese neue Bewegungsursache als „Rheotropismus“. War keine Strömung im Substrat vorhanden, so fand, so lange sich die Plasmodien nicht zur Fruktifikation anschiekten, eine Lokomotion nach der feuchtern Stelle statt. Auch nicht berührende feuchte Gegenstände (Gelatinetropfen, feuchte Holz- und Papierstücke) richteten durch Vermittelung des Wasserdampfes die Bewegung nach sich hin, so dass Stahl beliebig sowohl eine vertikale Erhebung des Plasmodiums von einem Substrat zu einem andern, als auch die umgekehrte Be- wegung hervorbringen konnte. Es ist also neben dem Rheotropismus noch der, auch bei den Organen höherer Pflanzen z. B. den Wurzeln derselben, bekannte positive „Hydrotropismus“ einer der Bewegungs- faktoren der Myxomycetenplasmodien. Es gilt dies aber nur für die Zeit des Entwickelungsganges bis zur Fruktifikation. Kurz vor der- selben und während derselben erweisen sich die Plasmodien eben so sicher als negativ hydrotrop, sie entfernen sich von benetzten Stellen, weichen feuchten Fäden, Papierstreifen ete. (wenn diese da- rübergelegt werden, sogar beiderseitig) aus, klettern dagegen auf trockene, ihnen entgegengebrachte Gegenstände. Dies ist nicht be- fremdlich, da z. B. auch bei den Sporangien von Mucor die Senkrecht- stellung durch Wegkrümmen von feuchten Flächen verursacht wird. ae nn Ludwig, Ueber zwei neue pflanzliche Bewegungsreize. 199 Als weitere bis dahin nicht beachtete Bewegungsursache erkannte Stahl ehemische Reize. Die Beobachtung von Gestaltsveränderungen der Plasmodien bei Behandlung mit in Wasser gelösten Substanzen (von De Bary, Hofmeister, Kühne) legten ihm die Frage nahe, ob durch einseitige Berührung mit verschiedenen chemischen Substan- zen Ortsveränderungen hervorgerufen werden könnten. Es ergab sich, dass Kochsalz und andere wasserentziehende Chemikalien, wie Sal- peter, Rohrzucker, Traubenzucker ete., aber nicht minder auch solche Reagentien, die Quellung der Plasmodien bewirken, wie kohlensaures Kali oder überhaupt alle schädlich auf das Plasmodium einwirkenden Substanzen, einen Rückzug desselben, mit oder ohne Absterben der zuerst betroffenen Stellen, bewirkten; Lohstückehen, Lohaufguss und andere Nährstoffe bewirkten dagegen bei Aethalium septicum eine lebhafte Anziehung der Plasmodien („Trophotropismus“). Es findet also ein Durchsuchen des Substrates nach brauchbaren und ein Umgehen von schädlichen Substanzen statt. Von bekannten Bewegungsreizen wurde noch Licht und Wärme untersucht. Die Translokation des Plasmodiums von beleuchteten nach beschatteten Stellen, welche zuerst Baranetzki beobachtete, wurde von Stahl gleichfalls bestätigt. Schließlich er- wiesen sich ungleiche Erwärmung und Sauerstoffzufuhr von entschie- denem Einfluss, wenn auch Hydro-, Rheo- und Heliotropismus in erster Linie von Bedeutung sind. (Infolge des Thermotropismus trifft man im Herbst die Aethaliendauerzustände (Selerotien) in tieferen Regionen oft mehrere Fuß tief unter der Lohe). Jönssen kam durch z. T. ähnliche Versuche unabhängig von Stahl zu genau denselben Resultaten bezüglich des Rheotropismus und Hydrotropismus und hat den Rheotropismus als eine im Pflanzen- reich mehrfach verbreitete Bewegungs- und Richtungsursache nachgewie- sen. So reagieren die Pilzhyphen gleichfalls auf die Strömung, aber in verschiedener Weise (Phycomyces und Mucor negativ, Botrytis ci- nerea positiv rheotrop). Die bekanntlich positiv hydrotropen Wurzeln höherer Pflanzen sind auch positiv rheotrop. Die von Stahl bei den Myxomyceten als Bewegungsursachen erkannten chemischen Reize sind wiederum fast gleichzeitig nach einer andern Seite untersucht worden von Pfeffer und haben diesen zu wichtigen Entdeckungen geführt. Den „Trophotropismus“ Stahl’s, das Einschwärmen in kon- zentriertere Nährlösungen, hat Pfeffer für Bakterien u. a. Orga- nismen bestätigt, für die Bewegungen von Wurzeln und Wurzelhaaren (beim Aufsuchen der Nahrung), für das Aufsuchen und Auffinden der Nährpflanzen durch Parasiten und für die Leitung des Pollenschlauches zur Eizelle hat er es wahrscheinlich gemacht, dass chemische Reize eine bedeutungsvolle Rolle spielen. Seine wichtigste Entdeckung bezieht sich aber auf die Bewegung der Spermatozoiden nach den weiblichen Sexualorganen hin. Dass die männlichen Sexualzellen der höheren Sporophyten direkt nach den weiblichen Organen gerichtete Bewegun- 200 Ludwig, Ueber zwei neue pflanzliche Bewegungsreize. gen ausführen, ist länger bekannt und konnte den Laien zu der An- sicht verleiten, dass die männlichen Schwärmzellen bewusste wollende Organismen seien. Pfeffer hat nun gezeigt, dass auch hier allein bestimmte chemische Reize die Bewegungen veranlassen. Bei allen untersuchten Farrenkräutern ist Apfelsäure das ‘spezifische An- lockungsmittel für die Spermatozoiden, welches sich zur Befruchtungszeit in dem schleimerfüllten Halskanal der Archegonien findet. Bei un- gleicher Konzentration der Apfelsäure wandern die Farnspermato- zoen der konzentrierteren Stelle zu und können durch einseitig zugeschmolzene Kapillarröhren gradezu angelockt und in größerer Menge eingefangen werden. Nächst der Apfelsäure, die allein in Wirklichkeit ins Spiel kommt, übte noch Maleinsäure einen (schwä- chern) Reiz aus; andere Chemikalien können nach den zahlreichen Versuchen Pfeffer’s nicht in betracht kommen. Bei Selaginella ist es gleichfalls die Apfelsäure, welche die Bewegungen der Sperma- tozoiden in das Archegonium bedingt, in das Farnarchegonium konn- ten die männlichen Sexualzellen dieser Pflanze nicht eindringen wegen des erwähnten Schleimes. Das spezifische Anlockungsmittel für die Spermatozoiden der Laubmoose ist Rohrzucker. Bei Marsilia, Chara, Lebermoosen müssen nach den vorliegenden Untersuchungen ebenfalls chemische Reize die lokomotorischen Richtungsbewegungen der männlichen Schwärmzellen bedingen, doch gelang es Pfeffer bisher noch nicht, die spezifischen Anlockungsmittel ausfindig zu machen. — Bei allen von Pfeffer beobachteten Reizerscheinungen ist für den Eintritt der Reaktion eine gewisse niedrigste Größe des veranlassenden Reizes nötig (die „Reizschwelle* für die Einwirkung der Apfelsäure auf Farnspermatozoiden war z. B. 0,001 °/, Säurelösung, für Maleinsäure 0,03—0,04 °/,), anderseits ist ein Maximum der Konzentration gegeben, jenseits dessen anstatt der Anziehung eine neue Abstoßung der Spermatozoiden erfolgt. Abgesehen von diesen höheren Konzentrationen findet, wie Pfeffer durch zahlreiche Ver- suche nachgewiesen hat, bezüglich des Verhältnisses von Reiz und Reaktion eine ähnliche Beziehung statt, wie sie das Weber-Fechner’- sche Gesetz in bezug auf Reiz und menschliche Empfindung angibt. [Die Reaktionen verhalten sich wie die Logarithmen der Reize, oder die Reaktionen nehmen zu wie die Glieder einer arithmetischen Reihe, während die zugehörigen Reize nach einer geometrischen Progression wachsen]. Das Weber-Fechner’sche Gesetz gilt, wie Pfeffer ange- deutet, bei der Bewegung der Spermatozoen, „abgesehen von höheren Konzentrationen der Apfelsäure, mit fast mathematischer Genauigkeit“. (Ein Einschwärmen der Spermatozoiden in die Kapillaren findet immer dann eben noch statt, wenn die Flüssigkeit in der Kapillare die 30fache Konzentration der Außenflüssigkeit hat, es steht also der Reizzuwachs, durch den eine eben merkliche Anziehung erreicht wird, immer in gleichem Verhältnis zu der Reizgröße, zu welcher er hinzukommt). Dewitz, Ueber das Abwerfen der Scheren des Flusskrebses. 201 Bei Chlamydomonas pulvisculus u. a., bei denen die beiderlei Ga- meten frei beweglich sind, fand Pfeffer chemische Reize ohne Einfluss. Ludwig (Greiz). Ueber das Abwerfen der Scheren des Flusskrebses. Lange ist es bekannt, dass Krabben sich unter gewissen Ver- hältnissen beim Festhalten ihrer Scheren entledigen. Man glaubte, das Tier thue dieses, um der Gefangenschaft zu entfliehen. Nach Frederieqg!) ist diese Anschauung unrichtig. Das Abwerfen der Beine ist nicht vom Willen des Tieres abhängig, sondern beruhe auf einer Reflexbewegung. Ein Festhalten des Beines allein bewirke kei- neswegs das Abwerfen, sondern nur ein Reizen des Empfindungs- nerven durch starkes Drücken, Durchschneiden des Gliedes, auf che- mischem oder elektrischem Wege und endlich durch Anwendung von Wärme. Durch diesen Reiz werden gewisse Muskeln reflektorisch in Thätigkeit versetzt und rufen den Bruch des Beines hervor. Obwohl Huxley?) die Fähigkeit, die Scheren abzuwerfen, auch dem Flusskrebs zuschreibt, so konnte Fred&rieq dieselbe an seinen Exemplaren nicht konstatieren. Der Flusskrebs ist aber in der That im stande, die Scheren abzu- werfen, doch ebenso wie nach F. die Krabben nur infolge eines star- ken Reizes, nicht, wie H. sagt, infolge bloßen Festhaltens. Früher beobachtete ich, dass Flusskrebse, welche ich zum Töten in heißes Wasser hielt, sich plötzlich der Scheren entledigten. Nach Erscheinen der Arbeit von F. versuchte ich dieses Experiment zu wiederholen, doch vergeblich. Es ist wohl eine bestimmte Temperatur des Wassers und eine bestimmte Stellung des Krebses nötig, welche ich bisher nicht wieder aufgefunden habe. Die von F. bei Krabben und beim Hummer angewandten Me- thoden, das Tier durch Durchschneiden der Schere oder durch eine Flamme dahin zu bringen, bewährte sich bei meinen Versuchstieren aufs schönste. Man erhebt den Krebs, ihn mit 2 Fingern an einer Schere unterhalb des verdiekten Scherengliedes fassend und schneidet letzteres mit einer starken Schere durch. Natürlich muss man die andere Schere vorher bebinden, um das Tier am Kneifen zu ver- hindern. Das Tier gerät nach dem Durchschneiden des verdickten Scheerengliedes in Zuckungen, entledigt sich des verletzten Beines, welches man zwischen den Fingern behält, und fällt zu Boden. Auch 1) Sur l’autotomie ou mutilation par voie reflexe comme moyen de de&- fense chez les animaux. Archives de zool. exp6rimentale. Ser. 2. T. 1. 1883. p. 413—26. 2) Der Krebs. Internationale wissenschaftliche Bibliothek. Bd. 48. 1881. 8. 32. 202 Dewitz, Sekret bei Glomeris. ein auf dem Tische kriechender Krebs wirft die Schere ab, wenn man dieselbe nach dem Durchschneiden festhält. Ebenso entledigt er sich des Gliedes, wenn man die Spitze in die Flamme einer Spiritus- lampe hält. Hinter dem Coxalgliede folgt ein aus 2 verschmolzenen, nur durch eine Naht getrennten Stücken gebildeter Abschnitt !). An dieser Stelle findet, ebenso wie dieses Fr&ed&rieq vom Hummer berichtet, stets die Abtrennung statt. Auch wenn ich beim toten (gekochten) Krebs eine Schere mit Gewalt oder durch ein angehängtes Gewicht abriss, fand die Trennung hier statt, nur bisweilen im Gelenk zwischen Körper und erstem Glied (Coxa). Bei den Krabben ist dieses anders. Das Bein reißt nach F. fast nie an der Stelle, an welcher das Tier es abwarf. Schneidet man einem auf dem Tische kriechenden Krebs den verdiekten Teil der Schere durch, ohne sie weiter festzuhalten, so findet meistens kein Abwerfen statt. Doch thaten die Tiere es dann nach einigen Tagen. Ein nachträgliches Abwerfen findet nicht statt, wenn der größere Teil des Beines abgeschnitten wird. H. Dewitz (Berlin). Ueber das durch die Foramina repugnatoria entleerte Sekret bei Glomeris. Im vergangenen Sommer besuchte ich das Bodethal bei Thale im Harz und fand auf dem Wege von Königsruhe zum Hexentanzplatz zahlreiche Glomeris. Wenn ich die Tiere in die Hand nahm, wobei sie sich zusammenkugelten, so kamen auf der Mittellinie des Rückens klare, stark klebende Tropfen zum Vorschein. Sie entquollen den Foraminibus repugnatoriis, welche bei @lomeris unpaarig sind und auf der Mittellinie des Rückens liegen; und zwar trägt die weiche Ver- bindungshaut je zweier Segmente je eine solche Drüsenmündung. Drehte ich das zusammengekugelte Tier in meiner Hand so, dass diese von einem Tropfen benetzt wurde, und ließ das Tier einige Zeit in dieser Lage, so war dasselbe so festgeklebt, dass es nicht herab- fil, wenn ich die Hand umdrehte und das Tier nach unten hing. Sobald es sich aufrollte, wurde es von der Befestigungsstelle gelöst, indem sich die Leibesringe auf der Rückenseite in einander schoben und so gewaltsam ein Losreißen der betreffenden festgeklebten Ver- bindungshaut bewirkten. Hatte es einmal das Sekret von sich ge- geben, so that es dieses zum zweiten mal nur, wenn ich es anhauchte. Sollte dieses klebende Sekret vielleicht die schnelle Fallgesehwin- digkeit eines zusammengekugelten und ins rollen gekommenen Tieres 4) Basipodit und Ischiopodit nach Huxley I. e. 8. 143. Hertwig, Kernteilung bei Actinosphaerium Eichhornü,. 205 abschwächen, oder durch Festhalten kleiner Steinchen und anderer Gegenstände Unebenheiten auf der Kugel hervorrufen, so dass diese zum stehen gebracht wird? Ein an der Luft zähe werdendes Sekret gibt nach Fanzago (ef. Bertkau, Bericht über 1881. S. 42) auch Geophilus von sich, und zwar aus Poren, welche auf den Bauchplatten stehen. Bei Rei- zung mit Essigsäure wurde das Sekret reichlicher abgesondert. Auch hier ist die Funktion unbekannt. H. Dewitz (Berlin). R. Hertwig, Ueber die Kernteilung bei Actinosphaerium Eichhornü. Jen. Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. XVII N. F. X. Bd. R. Hertwig ist es zum ersten mal gelungen, über die Kerne und die Kernteilung bei dem „Sonnentierchen“, Actinosphaerium Eich- hornüi, erschöpfende Beobachtungen zu machen und zwar sowohl an reichlichem lebendem Material als auch an solchen Exemplaren, wel- che mit den wirkungsvollsten Reagentien behandelt worden waren. Am ruhenden Kerne unterscheidet H. die Kernmembran, welche besonders nach der Präparation deutlich hervortritt, den Kernsaft und in demselben suspendiert ein Gerüst achromatischer Substanz, das aber nun nach Einwirkung von Reagentien und dann als bloße Körne- lung sichtbar wird; im Zentrum des Kerns liegt der Nucleolus, an welchem man zweierlei Substanzen unterscheiden kann, das Nuclein (Chromatin) und Paranuclein, das keinen Farbstoff aufnimmt und an Masse viel geringer ist. Die Gestalt des Nucleolus ist sehr schwan- kend, denn er kann verschiedenartig eingebuchtet sein, wobei das Paranuclein sich in die Einkerbung einschiebt; der Nucleolus kann sich auch ganz durchschnüren und so entstehen die Kerne mit 2,3, 4 und mehr Kernkörperchen. Am häufigsten sind Kerne mit sehr zahl- reichen, 6—20 Nucleoli, welehe dann von feinen Paranucleinstäbchen, die von einem zentralen Korn ausgehen, zu einer Rosette vereinigt werden. Ein Kerngerüst aus chromatischer Substanz ist in den Ker- nen nicht enthalten. Was die Teilung der Actinosphaerium-Kerne betrifft, so zeigt sich dieselbe zuerst daran, dass sich zwei eigentümliche „Protoplasma- kegel“ außen dem Kerne anlegen, so dass ein spindelförmiger Körper entsteht, der aber selbstverständlich nicht mit einer sogenannten Kern- spindel zu verwechseln ist. Der Nucleolus beginnt nun zu zerfallen, bis der Kern eine von gleichmäßig verteilten, feinsten Körnchen er- füllte Kugel darstellt; dieselbe hellt sich dann an der Peripherie auf, und es bilden sich zwei hyaline Kugelmützen und ein äquatoriales körniges Mittelstück. In diesem entsteht durch Anhäufung von Körn- chen ein dunkles Band, die Kernplatte, während in dem übrigen Teil der körnigen Masse feine Fäden auftreten, die nach den an den Po- 204 Hertwig, Kernteilung bei Actinosphaerium Eichhornü. len angehäuften hyalinen, wahrscheinlich aus Paranuelein bestehenden Protoplasmaplatten, den „Polplatten“ hinziehen. Diese Fäden sieht man dann auch die Kernplatte durchsetzen, so dass sie ein direkt von Pol zu Pol ziehendes System bilden. Während der Kern sich abgeplattet bezw. im Aequator ausgedehnt hat, tritt die Spaltung der Kernplatte ein in der Weise, dass die feinen mosaikartig nebeneinan- dergestellten aus Körnern zusammengesetzten Stäbchen, welche die- selbe bilden, im Aequator durchgerissen werden und so die beiden Seitenplatten entstehen, die nach den Polen auseinanderrücken, eine helle, von den Streifen durchsetzte Zone zwischen sich lassend. Der Kern nimmt nun wieder eine entgegengesetzte, nämlich langgestreckte Gestalt an; die Seitenplatten krümmen sich ein, die konkave Seite nach dem Zentrum gerichtet, nähern sich immer mehr den Polplatten und verschmelzen endlich vollkommen mit diesen; während die Strei- fung zwischen ihnen allmählich verschwindet, werden sie erst zu hohlen Halbkugeln und schließlich zu massiven Kugeln, das Protoplasma zwischen ihnen reißt durch und die Teilung ist beendet. Die Tochter- kerne sind natürlich viel kleiner, als die ausgebildeten Nuclei und stellen runde, fein granulierte Körper dar. Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass im Actinosphaerium- Kern das Nuclein keine spongiösen Gerüste bildet, dass dies aber wohl für die achromatische Substanz angenommen werden muss und dass letztere die Leitungsbahnen abgibt, auf welchen bei beginnender Teilung die feinen Zerfallstücke des Nucleolus, also die Chromatin- körnchen sich verbreiten, wodurch eine innige Mischung beider Sub- stanzen herbeigeführt wird. Die beschriebenen Teilungsvorgänge nehmen eine vermittelnde Stellung ein zwischen den Verhältnissen, wie sie sonst bei den Protozo@ön vorkommen und denen bei Tier- und Pflanzenzellen. Wie bei den anderen Protozo@n bleibt der Kern auf jedem Teilungsstadium scharf umgrenzt und schnürt sich biskuitförmig ein; die inneren Veränderungen hingegen erinnern sehr an die Vor- gänge bei vielzelligen Organismen, in anderer Beziehung aber auch an diejenigen bei Infusorien, hauptsächlich darin, dass den Achroma- tinfäden sich Chromatinkörnchen 'anlagern. Hervorzuheben ist die Bildung der Seitenplatten durch wirkliche Abspaltung aus eier ein- heitlichen Kernplatte, wobei die Annahme vollkommen ausgeschlossen ist, als wären die ersteren präformiert und täuschten nur eine zusammenhängende Kernplatte vor. Sehr merkwürdige Gebilde sind die Polplatten, die höchst wahrscheinlich den achromatischen Substanzen, dem Paranucelein, ihre Entstehung zu verdanken haben und für wel- che Homologa bei der Kernteilung des Infusoriums Spirochona gemmi- para zu finden sind. Dureh Hertwig’s Untersuchungen werden die einzigen früheren Angaben über Kernteilung bei Actinosphaerium, die von mir (dem Ref.) herstammen, bedeutend modifiziert, was ich hier bemerken möchte, da De Zn re el Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 205 meine Arbeit seinerzeit in diesem Journale Erwähnung gefunden hat!). Meine Irrtümer beruhten auf der ungenügenden Konservierung des ein- zigen Exemplars, das mir damals zur Verfügung gestanden, während es mir seither gelungen ist, Hertwig’s Angaben in mehreren Punk- ten zu kontrolieren und auch bei Anwendung der von mir seinerzeit verwandten Reagentien, Chromsäure, Alkohol, Pikrokarmin aus eig- ner Anschauung als vollkommen richtig zu befinden. A. Gruber (Freiburg i. B.). Die Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Von W. Krause. Professor in Göttingen. (Schluss.) U. Nervenendigung an den Haaren. Früher unterschied man Spürhaare oder Tasthaare, Sinushaare von den gewöhnlichen Haaren. Ich habe jedoch gezeigt (Anat. Un- tersuchungen. Hannover 1861. S. 21), dass beim Menschen jedes Haar des Handrückens, Vorderarmes, der Wade u. s. w. doppelt- konturierte Nervenfasern besitzt. Hiernach ist es nicht thunlich, in nervöser Beziehung jenen Unterschied zwischen Tasthaaren und ge- wöhnlichen Haaren aufrecht zu erhalten. Was nun die Endigung der betreffenden Nervenfasern anlangt, so liegen darüber folgende An- gaben vor. Angebliche Endknöpfchen. Nach Odenius (1866, Katze, Mus rattus und musculus) endigen die Nervenfasern an den Spür- haaren der Säugetiere frei mit blassen Terminalfasern, von denen jede in ein kleines Endknöpfchen übergeht. Nach Dietl (1871) ge- langen zahlreiche Nervenstämmehen vom Grunde her und seitlich in den Haarbalg, verästeln sich im kavernösen Gewebe, durchbohren die innere Lamelle und endigen teils in der äußern Wurzelscheide inner- halb deren äußerster Zellenlagen mit blassen Terminalfasern und Endknöpfchen (Dietl, 1872), teils verlieren sie sich (Dietl, 1871) in jenem eigentümlichen schildförmigen Zellenkörper, der, wesentlich aus polygonalen Zellen bestehend, innerhalb des Sinus sich befindet. Derselbe erscheint bei Fledermäusen (Ehlers mit Redtel, 1873) an den Haaren des Nasenaufsatzes; oberhalb desselben hat der Haarbalg seine engste Stelle oder Hals, und hier endigen die meisten Nerven- fasern mit 0,0018 mm breiten Endknöpfehen. Jobert (1874) sah letztere mit Goldehlorid an Schwanzhaaren bei Mäusen, Ratten und Spitzmäusen: bei der Ratte sind daselbst etwa 7000 Haare vorhanden, 4) S. Biolog. Centralbl. Jahrg. III Nr. 13 und Nr. 17. 906 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. deren jedes Nerven erhält; ebenso v. Mojsisovies (1375) an Spür- haaren der Maus und des Maulwurfs. In allen diesen Angaben erscheint eine Aehnlichkeit mit den be- kannten Terminalfasern der Vater’schen und sonstigen terminalen Körperchen vorausgesetzt. Angebliche Terminalkörperchen. Schöbl (Fledermaus, 1870; Maus, 1871; Igel, 1872) war der längst bekannte (Kölliker, 1850, bei der Maus; v. Hessling, 1854, bei der Spitzmaus; W. Krause, 1860) Nervenreichtum der äußern Haut kleiner Säugetiere aufge- fallen. Doppeltkonturierte Nervenfasern (in Wahrheit sind es blasse Endfasern) sollten in der Flughaut der Fledermaus, sowie im äußern Ohr der Maus einen Nervenring um die Haarbalgmündung bilden, abwärts steigend ein quergestreiftes Terminalkörperchen resp. Nerven- knäuel am Boden des Haarbalges erreichen. — Diese Schöbl’schen, von Boll (1871) bestätigten Nervenendkörperchen sind teils von Epi- thelzellen bedeckte Haarpapillen (W. Krause mit Beil, 1871), teils Anlagen junger Haare, Haarkeime (Stieda, 1872; Boll, 1872; Jo- bert, 1874; Wjeliky, 1872, bei der Fledermaus). Während Schöbl (1872) seine doppeltkonturierten Nervenfasern und Terminalkörperchen zurücknahm, resp. die ersteren für blasse Fasern, die letztern für Nervenknäuel erklärte, behauptete derselbe zwar einen terminalen Nervenring auch für das äußere Ohr des Igels (1872), sowie für die gewöhnlichen und die Spürhaare an der Schnauze desselben Tieres (1873), erklärte aber noch in demselben Jahre seine abwärts steigenden Nervenfasern beim Igel für verdickte Stellen (in Wahrheit Falten) der Glashaut des Haarbalges. Jobert (1872) be- stritt ebenfalls den Nervenring für die Fledermäuse. — Im übrigen war es längst bekannt (s. oben), dass jedes Haar Nervenfasern er- hält und ein Tastorgan darstellt. Angebliche Ganglienzellen in der äußern Wurzelscheide beschrieb Sertoli (1872, Spürhaare des Pferdes) in Verbindung mit blassen Nervenfasern. Die Zellen selbst sahen schon Langerhans (1868) und Eberth (1870) in Haarbälgen des Menschen. — In der That sind Leukoblasten, Wanderzellen, die sternförmige, mit Gold- chlorid sich schwärzende Figuren bilden, darin wie im Rete mucosum vorhanden: sie hängen aber nicht mit den Enden der blassen Ter- minalfasern zusammen. Auch die Haarpapille wird nach Langerhans (1868) von vielen doppeltkonturierten Nerven umgeben, welche Angabe in Wahrheit auf in der Adventitia des Haarbalges verlaufende Stämmechen sich zu beziehen scheint. Nach v. Biesiadecki (1870) treten im Haarbalg- grunde blasse Fasern zwischen die Zellen der äußern Wurzelscheide und steigen parallel der Papille auf. | Angebliche Nervenendschlingen. Netze blasser Nerven- fasern, deren Knotenpunkte in den Zellenkernen des Ringwulstes lie- Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 207 gen, sah Burkart (1570) an Spürhaaren von Säugetieren (Katze, Kaninchen, Meerschweinchen, Hausmaus). Wjeliky (1872) fand ein blasses Terminalnetz innerhalb der äußern Wurzelscheide bei der Fledermaus, sowie in derjenigen von Spürhaaren bei Raubtieren und Nagern. — Die Sehöbl’schen Nervennetze vierter und fünfter Ord- nung im Fledermausflügel sind elastische Fasern; ebenfalls sind solche in der Adventitia des Haarbalges bei vielen Säugetieren zu kon- statieren. Es muss hervorgehoben werden, dass in der Rückenhaut der Maus zwischen den Haarbälgen (W. Krause, 1860), ebenso im Ohr desselben Tieres (von W. Krause 1871 gesehen), sowie des Ka- ninchens (W. Krause, mit Goldehlorid) Endkolben vorhanden sind, die sämtliche hier genannte Schriftsteller übersehen haben. Ihr all- gemeines Vorkommen (abgesehen von den Spürhaaren) vorausgesetzt, würde sich eine interessante Homologie mit den Herbst’schen Kör- perchen an den Vogelfederbälgen ergeben. An den Vogelfedern und somit fast am ganzen Vogelkörper stellen die letztgenannten Termi- nalkörperchen die einzige Art der Nervenendigung dar, was in physio- logischer Hinsicht in betreff der Wahrnehmung von Druck und Tem- peraturschwankungen der Analogie nach von Interesse sein könnte. Die neuesten Angaben hat Waldeyer (Atlas der menschlichen und tierischen Haare. 1884. S. 29) folgendermaßen zusammengestellt. Die Nerven treten, wie man seit Gegenbaur weiß, an den obern Teil der Haarbälge heran, bei den Sinushaaren zwischen Sinus und Talgdrüse. Es befindet sich hier eine Verdiekung der Haarbalg- wand, der sogenannte konische Körper von Odenius. Dieselbe Stelle bezeichnet aber auch an den übrigen Haaren die Stelle der Nervenendigung. An den Sinushaaren steigen (Dietl, Odenius, Bonnet, Merkel) die Nerven von unten auf bis zum konischen Körper, teilen sich wiederholt, durehbohren unter Verlust des Markes die Glashaut und endigen in eigentümlich umgewandelten Zellen der äußern Wurzelscheide: Tastzellen, Merkel. An anderen Haaren treten die Nerven von oben heran und umgeben ringförmig (Schöbl) die Stelle, welche der Gegend des Corpus cavernosum bei den Sinus- haaren entspricht. Sie sollen nach Merkel auch hier mit Tastzellen endigen, die aber außerhalb der Glashaut liegen. Endlich gibt es (Bonnet, Merkel) an diesen Haaren longitudinal verlaufende Ner- venfasern, welche dicht der Glashaut angeschmiegt liegen, oft in Rinnen derselben und in der Gegend unterhalb der Talgdrüsen mit kleinen Endknöpfchen oder frei enden. — Unna (1883) lässt die Haarnerven nach Durchbohrung der Glashaut in derselben Weise in den Epithelzelzellen der äußern Wurzelscheide enden, wie Pfitzner es für die übrigen Epidermiszellen (beim Salamander, W. K.) be- schrieben hat, d. h. in jeder Zelle sollen zwei Nervenfäden ihr Ende finden. 208 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. III. Nerven der Cornea. Beim Menschen verlieren die Nervenfasern der Cornea ihr Mark in einer Entfernnng von 0,5 mm innerhalb des Cornealrandes, behalten aber ihr Neurilem, solange sie in der Hornhautsubstanz selbst ver- laufen. Die einzeln verlaufenden Fasern durchbohren die Membrana anterior elastica mittelst kleiner Löcher, die Nervenporen genannt werden. Durch sie gelangen die marklosen Nervenfibrillen einzeln oder zu kleinsten Bündeln vereinigt in das Epithel der Hornhaut und bilden zunächst einen subepithelialen Nervenplexus. Derselbe ist eng- maschig, durchzieht die der Membrana anterior elastica unmittelbar ansitzende Lage zylindrischer Epithelialzellen und wird nur durch deren Fußplatten von der letztgenannten Membran getrennt. Vom subepithelialen Plexus steigen die Fibrillen einzeln und in ziemlich regelmäßigen Abständen senkrecht gegen die freie Epitheloberfläche auf. Sie teilen sich noch hier und da dichotomisch; ihre Aeste ver- laufen tangential und legen sich stellenweise eine kurze Strecke weit aneinander. Hierdurch entstehen die sehr zarten sogenannten intra- epithelialen Nervenplexus. Im frischen Zustande oder nach Behand- lung mit verdünnten Säuren erscheinen die Endfibrillen von parallelen Konturen begrenzt und die stärkeren Fasern zart längsstreifig. Mit Goldehlorid gesehwärzt zeigen sich letztere aber körnig und die feinsten wie unterbrochen oder aus schwarzen Pünktchen zusammen- gesetzt. Schließlich hören die letzten Fibrillen mit kleinsten End- knöpfehen auf, welche in der äußersten Epithelzellenschicht gelegen sind, aber diese nicht überragen. IV. Zweifelhafte Nervenendigungen. Eine sehr große Zahl von Beobachtern hat an den verschiedensten Stellen der äußern Haut und der Schleimhäute bei fast allen gewöhn- lich untersuchten Säugetieren Nervenendigungen zu konstatieren ver- sucht. Die älteren Angaben von Endnetzen, freien Endigungen mit oder ohne Endknöpfehen im Bindegewebe jener Häute sind jetzt der Vergessenheit anheimgefallen. An deren Stelle traten folgende Auf- stellungen: 1. Endigung in Bindegewebszellen oder deren Homologa, namentlich in Hornhautkörperehen, Knochenkörperchen etc., auch bei Anamnioten. 2. Endigung von blassen Nervenfasern im Epithel. a. Mit sternförmigen Zellen. Solche sind von Langer- hans (1868) aus dem Rete mucosum des Menschen beschrieben, ferner von Podeopa&w (1869) aus der äußern Haut des Kaninchens, von Eberth (1870) aus derjenigen des Menschen und Kaninchens u. 8. w. b. Mit Tastzellen. Dies sind von den gewöhnlichen Epithe- Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 209 lialzellen verschiedene, angeblich mit Nervenfasern in Verbindung stehende Zellen, die im Rete mucosum liegen. In Ueberosmiumsäure- präparaten erscheinen sie hell, mit unpassenden Lösungen von Chrom- säure oder mit Chromaten behandelt zeigen sie öfters, aber nur un- deutliche Kernfiguren. Es ist sehr begreiflich, dass die letzteren unter diesen Umständen undeutlich sind; indess wird ihr Vorkommen von Flemming (1881) bestritten. Ursprünglich hatten nach Bon- net’s Meinung Dietl (1872) in der äußern Wurzelscheide von Spür- haaren (s. oben) und Merkel (1875) in der Cutis des Entenvögel- schnabels Tastzellen beschrieben; die an letzterem Orte sind jedoch weiter nichts als Flächenansichten der terminalen Grandry’schen Körperchen gewesen (W. Krause). ec. Freie Endigung zwischen den Epithelzellen. Nach- dem Cohnheim (1866) die Nervenendigung im Epithel der Cornea entdeckt hatte (s. oben), mögen manche ein ähnliches Verhalten für andere Häute vermutet haben. Daraus erklären sich die betreffen- den Angaben von Paladino (1871) für die Lippe des Pferdes, Ser- toli (1874) für die Zunge desselben, F. E. Schulze und v. Mojsi- sovics (1875) für den Schweinsrüssel, Elin (1871) für den Gaumen des Kaninchens, Ciaccio (1874) für die Conjunetiva bulbi, Chrscht- schonowitsch (1871) für die Vagina des Kaninchens, Eimer (1872) für die Kuhzitze, Wjeliky (1872) für das Rete mucosum des äußern Ohres, Cybulski (1883) für die Schnauze und Oberlippe des Rindes, wobei übrigens die von W. Krause (1859) daselbst beschriebenen zylindrischen Endkolben bestätigt werden u. 8. w. Gegenüber allen diesen Angaben ist hervorzuheben, dass nach Engelmann (1866) ein sehr wesentlicher Unterschied in physiolo- gischer Beziehung zwischen der Hornhaut und der so nervenreichen Conjunetiva bulbi (um so mehr im Vergleich mit sonstigen Schleim- häuten) besteht. An ersterer wird die leiseste Berührung als Schmerz empfunden, an letzteren nicht. Die Differenz ist aus der Epithel- anordnung nicht zu erklären, insofern die Cornea-Vorderfläche wie an- dere Häute geschichtetes Plattenepithel besitzt. Sie muss mithin wohl auf Verschiedenheit der Nervenendigung selbst zurückgeführt wer- den. — Obige Nervenfibrillen im Epithel sind vielleicht Lymphwege (W. Krause, 1875). — Flemming (1884) hat freilich neuerdings bestritten, dass die Schleimschicht jener Häute überhaupt sichtbar zu machende, spezielle Lymphbahnen besitze, welches negative Re- sultat indess weniger Beachtung verdienen möchte. Unter den an Nervenfasern armen Schleimhäuten gibt es zur Zeit nur zwei Stellen, wo die Endigung aller Nervenfasern und zwar in Endkolben mit Sicherheit bekannt ist. Dies sind die Uebergangs- conjunetiva des Menschen und die Vaginalschleimhaut des Kaninchens. An beiden lebhaft absorbierenden Stellen sind zahlreiche scheinbare Nervenendigungen im Epithel vorhanden, die sicher nichts weiter sind als Lymphbahnen. 14 310 Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. Von den neuesten Angaben sind die von Cybulski (1883) bereits teilweise oben erwähnt; er fand im Rete mucosum 1) freie En- digungen, 2) spezifische, sich mit Goldehlorid schwärzende, nervöse Zellen, 3) ebensolche, aber sternförmig gestaltete Zellen, welche na- mentlich die Ausführungsgänge der Schleimdrüsen umgeben. Endlich sind G. et F. E. Hoggan (Journ. de laanat. et de la physiol. norm. et path. 1883) mittels der Goldmethode zu der An- sicht gekommen, dass die Tastzellen von Merkel, die Endknöpfehen von Bonnet und die Tastscheiben von Ranvier weder Tast- noch Endorgane sind. Vielmehr endigen die Nervenfasern in der Epidermis gabelförmig mit einer bis vier Zacken; sie sollen den Tastsinn ver- mitteln, die sogenannten Tastzellen dagegen ganglionäre Anhäufungen sein, welche dem Temperatursinn dienen. Auch die Langerhans’schen Zellen sind nach diesen Beobachtern Ganglienzellen! II. Nervenendigungen bei Anamnioten. A. Terminalkörperchen. Auch in den genannten Klassen fehlen solche nicht ganz, am längsten (seit 1856) sind die Leydig’schen Körperchen aus der Daumenwarze des männlichen Frosches bekannt. Sie finden sich nicht in allen Papillen (1: 10, W. Krause, 1860) dieses Begattungs- organes; sie bestehen aus einem etwa 0,023 mm langen, 0,018 mm breiten Haufen von etwa 5—8 Kernen, der nahe der Papillenspitze gelegen ist. Das Eintreten einer (blassen) Nervenfaser in diese Kör- perchen wurde von Merkel (1880) bestritten. Neuere Untersuchungen haben den Leydig’schen Körperchen eine weitere Verbreitung zugewiesen, namentlich an anderen Haut- stellen bei Bufo cinereus, Bombinator igneus ete. (Leydig, 1868), ferner, was hier nachgetragen werden muss, bei Reptilien: Kro- kodil, Eidechsen (Cartier, 1872), bei Schlangen (Cartier, 1872, Leydig, 1872), auch an sonstigen Hautstellen männlicher und weib- licher Frösche (Merkel, 1880). Ferner sind von einigen Fischen (Stomias barbatus, Chauliodus) rundliche oder birnförmige Terminalkörperehen, Nervenkörperchen, in der äußersten gallertigen Hautschiecht bekannt, die bei dem erst- genannten Tier 0,5—0,7 mm Länge auf 0,05—0,1 mm Breite oder bei mehr rundlicher Form 0,02—0,1 mm Durchmesser besitzen (Kölliker, 1853 und 1857). Die kolbenförmigen Gebilde der Haut von Petromyzon lwviatilis (M. Schultze, 1861) liegen in der Epidermis und haben eine andere Bedeutung: Kölliker (bei Ammocoetes) und F. E. Schulze (1867) hielten sie für einzellige Drüsen. Dagegen hat Reichert (1870) bei Amphioxus lanceolatus kolben- oder spindelförmige Ter- minalkörperchen in der Haut beschrieben, die bereits von Quatre- Krause, Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten. 211 fages (1845) mit Vater’schen Körperchen verglichen und von J. Müller (1851) bestätigt worden waren. Stieda erklärte sie für kleinste, nicht terminale Ganglienzellengruppen. Pouchet (1880) bildete terminale Körperchen ab, mit welchen der N. trigeminus bei Amphioxus lanceolatus in der Cutis des Kopfes endigt. Sie haben am meisten Aehnlichkeit mit den Leydig’schen Körperchen, besitzen aber eine Bindegewebshülle mit einem Kern, welehe mehrere kern- haltige Kolbenzellen umgibt. B. Seitensinnorgane. Sie werden auch Sinnesorgane der Seitenlinie, Seitenorgane ge- nannt. Sie haben viel Aehnlichkeit mit Geschmacksknospen, müssen jedoch vorläufig von letzteren getrennt werden. Es sind aus läng- lichen Epithelialzellen zusammengesetzte Nervenendapparate der Haut, welche sich bei Amphioxus, den Teleostiern, den im Wasser lebenden Urodelen und Amphibienlarven sehr zahlreich vorfinden. Sie liegen am Kopf und dem Verlaufe der Rr. laterales des N. vagus folgend an den Seitenflächen des Rumpfes, auch wohl am Schwanze. Sie haben sehr verschiedenartige Deutungen erfahren; namentlich will Merkel (1880) dieselben von Geschmacksknospen oder Endknospen unterscheiden, die ebenfalls am Körper von Fischen vorkommen, je- doch Tastorgane sein sollen. Auf die Verfolgung dieser Organe durch die ganze Reihe der phylogenetisch älteren Fischspezies kann hier nicht eingegangen werden. — Was die erwähnten Deutungen der Seitensinnorgane anlangt, so wäre die einfachste diejenige als Tast- organe, doch pflegen die betreffenden Tiere überhaupt mit ihrem Körper nicht zu tasten, sondern nur eine jede Berührung desselben sorgfältig zu vermeiden. Als Wellensinnorgane hat sie F. E. Schulze aufgefasst, indess kommen Wellen in der Tiefe der Gewässer über- haupt nicht vor und vom Widerstand des Wassers gibt schon das Muskelgefühl Kenntnis. Mit Rücksicht auf die morphologische Aehn- lichkeit mit den Geschmacksknospen ist es wohl am wahrschein- lichsten, dass sie Aenderungen in der physikalischen und chemischen Qualität des umgebenden Wassers zur Kenntnis bringen (W. Krause, 1875). Fische sind z. B. sehr empfindlich gegen Sauerstoffmangel im Wasser, sterben leicht daran und suchen solches Wasser zu vermei- den, obgleich sie gegen alkalisch reagierendes Wasser vielleicht wenig Empfindlichkeit besitzen. Mögen auch manche Einzelheiten noch zu diskutieren sein, so lässt sich doch die erfreuliche Thatsache nicht verkennen, dass un- sere Kenntnis der sensibeln Nervenendigungen bei den Wirbeltieren eine unerwartete Ausdehnung erlangt hat und auf sicherer Basis ruht. 112 912 Fuchs, Zur Anatomie und Physiologie der Großhirnrinde. Zur Anatomie, Physiologie und Entwicklungsgeschichte der Groß- hirnrinde. Die reiche Fülle von Thatsachen, welche die anatomische Er- forschung der Struktur des Gehirns seit den bahnbrechenden Unter- suchungen Stilling’s zutage gefördert hat, lässt die Notwendigkeit eines allgemeinen Schemas, welches die Verteilung der grauen und weißen Substanz im Zentralorgane in klarer und präziser Weise de- finiert, als unabweisbar erkennen. Eine Reihe von Forschern trat an die Lösung dieser Aufgabe heran, die sie auf zwei wesentlich ver- schiedenen Wegen zu geben suchten. Die einen derselben, und unter ihnen vor allem der zu früh verstorbene Otto Deiters, strebten, von rein morphologischen Ueberlegungen ausgehend, die Homologie im Baue des Rückenmarks, speziell der Medulla oblongata, einerseits und des Gehirns anderseits zu begründen, die anderen, die in hervor- ragendster Weise durch Meynert in Wien repräsentiert werden, ver- suchten, wesentlich durch physiologische Betrachtungen geleitet, die innere Organisation des Gehims in allgemeinen Zügen darzulegen. Da die hier zu referierenden Arbeiten besonders rücksichtlich der aus ihnen zu ziehenden physiologischen und psychologischen Konsequenzen auf dem Boden der Meynert’schen Theorie stehen, so möge es ge- stattet sein, vor allem die letztere kurz zu skizzieren. Meynert unterscheidet an der im ganzen Gehirne verstreuten grauen Substanz vier Kategorien: 1) Den die Hemisphären des großen Gehirns flächenhaft überziehenden grauen Beleg als „Rindengrau“; 2) die graue Substanz der „Großhirnganglien“, des geschwänzten und Linsenkernes, der Seh- und Vierhügel als „Gangliengrau“ ; 3) die als Verlängerung der grauen Kolonnen des Rückenmarks zu betrachtende Auskleidung des vierten Ventrikels, des Aquaeductus Sylvii und des dritten Ventrikels als „zentrales Höhlengrau* und endlich 4) die grauen Massen des Kleinhirns, „mögen sie als graue Rinde flächenhaft ausgebreitet erscheinen oder in der Tiefe des Organs versteckt liegen.“ Der graue Rindenbeleg des Großhirns besteht, abgesehen von den später zu erwähnenden Nervenfasern, der Grundsubstanz und dem Stützgewebe, die uns hier nicht weiter interessieren, vorwiegend aus gangliösen Elementen, die in den tieferen Schichten als sogenannte „Pyramidenzellen“ für die Großhirnrinde charakteristisch sind und deren Anordnung nach Größe und Gestalt der Zellen in einer allerdings topisch variierenden Reihe von Schichten Ausdruck findet. Die größeren dieser Zellen gleichen fast konstant einem Kegel oder einer Pyra- mide von drei und mehr Seitenflächen, deren Basis dem Marke, deren Spitze der Oberfläche zugewendet ist; ihr mächtigster Fortsatz (Spi- tzenfortsatz) eilt der Oberfläche zu und löst sich ebenso wie die seit- lich aus der Zelle entspringenden Fortsätze unter beständiger Ver- ästelung in ein außerordentlich feines Terminalnetz auf, aus welchem Fuchs, Zur Anatomie und Physiologie der Großhirnrinde. 213 nach Gerlach’s schönen Untersuchungen abermals markhaltige Ner- venfasern entspringen. Ganz unähnlich diesen „Protoplasmafortsätzen“ (Deiters) verhält sich der mittlere Basalfortsatz der Zelle („Achsen- zylinderfortsatz“, Deiters), der dem Marke zustrebt und wahrschein- lich immer zur markhaltigen Nervenfaser wird, wofür der vollwich- tige, allerdings außerordentlich schwierig zu erbringende Beweis für das Großhirn des Menschen erst in einem einzigen Falle von Ko- schewnikoff gegeben worden ist. Auf obige Einteilung der grauen Substanzen fußend, that Mey- nert den weiteren und für das Verständnis der funktionellen Beziehung der einzelnen Empfindungs- und Bewegungsorgane ungleich wichti- geren Schritt, in das Chaos der Leitungsbahnen, die sich im Gehirne allseitig begegnen, ein System zu bringen. Nach seinen Anschauungen muss die Großhirnrinde als ein Spiegelbild der peripherischen Kör- perteile, als ein großes Projektionsfeld betrachtet werden, auf wel- chem dieselben sämtlich ihre Vertretung finden. Deshalb nennt er jene Bahnen, welche die Verbindung der Hirnrinde mit der Peripherie herstellen und Teile verknüpfen, die in einem durch den Gang der Erregung bestimmten Abhängigkeitsverhältnisse stehen, Projektions- systeme. Dieses Fasersystem, das wir allerdings in seiner ganzen Konti- nuität bis zu seiner Endigung in der Großhirnrinde höchstens bei der in die vordere und hintere Zentralwindung ausstrahlenden Bahn, die aus den Pyramiden herstammt, verfolgen können, ist nun keineswegs ein einfaches, ununterbrochenes. Zweimal schalten sich in den Ver- lauf desselben graue Massen ein und zerfällen es in die drei Glieder des Projectionssystems. Die erste Unterbrechung erfahren diejenigen Leitungsbahnen, welche als wichtigster Teil der Reil’schen Stabkranz- faserung der Innenfläche des Rindengraues entstammen, in den Massen des Meynert’schen Gangliengrau; so entsteht das Projektionssystem erster Ordnung. Unter bedeutender Reduktion der Faserzahl tritt die Fortsetzung des Projektionssystems (Projektionssystem zweiter Ord- nung), welches die Hauptfaserzüge des Hirnschenkelsystems von Reil, sowohl den Peduneulus als die Haube begreift, in die zweite graue Unterbreehungsmasse, Meynert’s zentrales Höhlengrau, um aus die- sem als drittes Glied des Projektionssystems, welchem sämtliche peri- phere Nerven angehören, in seine peripheren Endgebiete auszustrahlen. Ihrer funktionellen Dignität nach unterscheidet Meynert dann noch weitere Kommissuren- und Assoziationsfasern. Dem Kom- missurensysteme gehören im Großhirne jene Fasern an, welche iden- tische Gebiete beider Hemisphärenoberflächen untereinander in Ver- bindung bringen, das Assoziationssystem verbindet differente Bezirke derselben Hemisphäre, assozüert die Erregungszustände verschiedener Gebiete der Rinde. Die mächtigste Kommissur des großen Gehirns bildet der Balken; dem Assoziationssysteme gehört vor allem jenes DIA Fuchs, Zur Anatomie und Physiologie der Großhimrinde. dichte Geflecht markhaltiger Nervenfasern an, welches als Fibrae ar- cuatae bezeichnet, die Schicht der großen Pyramidenzellen durchsetzt. Längere Faserzüge dieser Art verbinden Stirn- und Schläfelappen (Faseieulus uncinnatus) und Hinterhauptspitze und Schläfenlappen (Fascieulus longitudinalis). — Die regelmäßige Anordnung der aus den Pyramidenzellen ent- springenden Fortsätze macht es im höchsten Grade wahrscheinlich, dass dieselben zu den mannigfachen in der Rinde sich durchkreuzen- den Faserzügen in Beziehung treten. Für den mittlern Basalfortsatz ist der direkte Uebergang in die Fasern des Projektionssystems erster Ordnung sehr wahrscheinlich; in welcher Weise jedoch die übrigen Fortsätze mit besonderen Fasersystemen in Verbindung treten, darüber fehlt uns heute noch jede sichere Beobachtung, und es ist gerade dies ein Feld der Forschung, auf welchem noch die üppigste Flora von Hypothesen wuchert. Diese allgemeinen Umrisse des Strukturbildes, die der makro- und mikroskopischen Erforschung des Gehirnbaues, allerdings zum Teil gepaart mit physiologischen Ueberlegungen, ihren Ursprung ver- danken, stehen im befriedigendsten Einklange mit den Ergebnissen, welche einerseits die pathologische Beobachtung über die Beziehung der Großhirnrinde zu den einzelnen Leitungssystemen und anderseits der Tierversuch geliefert hat. Wir werden kaum irre gehen, die verschiedenen Verbindungs- fasern getrennter Rindenbezirke als Leitungsbahnen zu betrachten, welche die Aufgabe haben, verschiedene Teile der Hirnrinde zu kom- binierter Funktion anzuregen. „So werden die Kommissurenfasern vermutlich der gleichzeitigen oder successiven Funktion entsprechen- der Rindenteile beider Hemisphären dienen, die Assoziationsfasern werden disparate Endorgane der Hirnrinde .... . zu gemeinschaft- licher Wirksamkeit verbinden. Außerdem ist wohl die Vermutung gerechtfertigt, dass mit Hilfe soleher Verbindungsfasern die Funk- tionsstörungen, welche nach partiellen Gewebszertrümmerungen der Hirnrinde eintreten, allmählich sich ausgleichen, indem andere Ele- mente die Funktion der hinweggefallenen übernehmen.“ — Prof. Sigm. Exner hatte in einer im Jahre 1881 erschienenen Arbeit!) die Histologie der Großhirnrinde an der Hand einer neuen, von ihm angegebenen Methode, die im wesentlichen in einer Härtung des Zentralorganes in Ueberosmiumsäure und nachfolgender Ammo- niakbehandlung bestand, neuerdings bearbeitet und der bisher auf diesem sehwierigen Gebiete bestehenden Unsicherheit, besonders was Anordnung und Verlauf der markhaltigen Nervenfasern betrifft, mit 4) Zur Kenntnis vom feineren Baue der Großhirnrinde. Von Prof. Sigm. Exner. LXXXII. Band der Sitzb. der k. Akad. der Wissensch. III. Abt. Febr.-Heft. Jahrg. 1883. Fuchs, Zur Anatomie und Physiologie der Großhirnrinde. 915 einem Schlage ein Ende bereitet. Er zeigte, dass die Großhirnrinde des Menschen und der verschiedenen Wirbeltiere sich durch einen bis dahin ungeahnten Reichtum markhaltiger Nervenfasern auszeichnet, dass insbesondere die oberste Rindenschicht nichts anderes sei, als „ein Lager markhaltiger Nervenfasern von verschiedener Dicke und verschiedener Verlaufsrichtung.“ Besonders reich waren sämt- liche Schichten der Rinde, vorwiegend aber die obersten, an der Oberfläche parallel verlaufenden markhaltigen Nervenfasern. Höchst interessant war der Befund Exner’s, dass die Großhirnrinde des neugebornen Kindes durchaus noch keine wohlausgebildeten mark- haltigen Nervenfasern besitze; dieselben mussten sonach erst in der extrauterinen Periode der Entwickelung auftreten. In der obersten Rindenschicht des Neugebornen fand Exner ferner Zellen, welche in allem Ganglienzellen gleichen, dieselben sind aber um vieles größer als die Ganglienzellen, welche beim Erwachsenen in dieser Schichte gefunden werden. Durch diese letzterwähnten Befunde angeregt und unter Prof. Exner’s Leitung hat S. Fuchs mit derselben, zum Zwecke seiner speziellen Untersuchung etwas modifizierten Methode eine Reihe von Untersuchungen angestellt und die Resultate derselben im Jahre 1883 publiziert!). Als Ziel derselben bezeichnet der Verfasser die Beant- wortung folgender Fragen: In welcher Periode der fötalen oder extrauterinen Entwickelung treten zum ersten male markhaltige Nervenfasern und zwar vorwie- gend die der Hirnoberfläche parallelen, dem Assoziationssysteme Meynert’s analogen Nervenfasern auf? In welcher Weise entstehen die markhaltigen Nervenfasern in der Großhirnrinde des Menschen ? Und endlich: Welches ist das Schicksal jener oben beschriebenen großen Ganglienzellen in der obersten Rindenschicht des neugebornen Kindes? Der Autor hat seinen Untersuchungen das reichliche Material von dreiunddreißig Gehirnen der verschiedensten Lebensalter, vom sechsten Lunarmonate angefangen bis zum vollendeten achten Lebensjahre hinauf, zu grunde gelegt. Zur Untersuchung diente in den meisten Fällen die Rinde der obersten Kuppe des Gyrus centralis posterior, doch wurde bei einer Anzahl von Gehirnen auch die vordere Zentral- windung und der Gyrus oceipitalis superior untersucht. Die Resultate sind kurz folgende: Die beim Fötus aus dem sechsten Lunarmonate fein granulierte und außerordentlich spärlich vaskularisierte Grundsubstanz zeigt beim Neugebornen die Neigung, sich in feine Fäden und Reiser anzuordnen, I) Zur Histogenese der menschlichen Großhirmrinde. Von Sigmund Fuchs. LXXXVII Band der Sitzb. der k. Akad. der Wissensch. III. Abt. Juliheft. Jahrg. 1883. 916 Fuchs, Zur Anatomie und Physiologie der Großhirnrinde. während gleichzeitig eine beträchtliche Volumzunahme, sowie stärkere Körnung der Grundsubstanz platzgreift. Die Deiters’schen Zellen des Stützgewebes finden sich in typischer Ausbildung schon beim fünfmonatlichen Kinde; ihre Ausläufer zeigten sich im Gegensatze zu den Angaben Deiters’ nie geteilt. Der fünfschichtige Meynert’sche Rindentypus wurde in guter Ausbildung zum ersten male bei einem sieben Monate alten Kinde gefunden. Die Form des Kernes der Pyramidenzellen war durch- wegs eine ellipsoidische. Noch das neugeborne Kind besitzt weder in Mark noch Rinde eine Spur markhaltiger Nervenfasern; dieselben treten im Marke zum ersten male gegen das Ende des ersten Lebensmonats auf, in der Rinde ist die Zeit ihres Auftretens in den verschiedenen Schichten eine verschiedene. In dem obersten Rindenstratum findet man die ersten markhaltigen Nervenfasern im fünften Lebensmonate; die zweite Schicht zeigt sie erst nach Vollendung des ersten Lebensjahres, während die Radiärbündel der tieferen Schichten schon im zweiten Lebensmonate auftreten; die dem Systeme der Fibrae arcuatae an- gehörigen Assoziationsfasern der dritten Schichte sind sicher schon im siebenten Lebensmonate vorhanden. Von diesen Zeitpunkten aus nehmen die markhaltigen Fasern stetig an Kaliber und Zahl in der Weise zu, dass sie in Mark und Rinde beim achtjährigen, vielleicht auch schon beim siebenjährigen Kinde die beim Erwachsenen zu kon- statierende Anordnung erreicht haben. Auf diese zeitlichen Entwicklungsverhältnisse haben Krankheiten, sowie geringere oder größere körperliche Entwickelung wahrscheinlich bedeutenden Einfluss. Unzweifelhafte Teilungen markhaltiger Fasern in der Rinde waren nicht zu konstatieren, und über das Schicksal der großen Ganglienzellen aus der Rinde des Neugebornen konnte nichts eruiert werden. Die Anlage der Markscheide, welche als sekundäre Formation aufgefasst wird, scheint mit dem Auftreten einer reihen- weisen, der Faserrichtung parallelen Anordnung gewisser interfibril- lärer zelliger Elemente und Fettkörnchen in einem allerdings noch ‚äthselhaften Konnex zu stehen. Am Sechlusse seiner Arbeit erörtert der Verfasser noch die phy- siologischen und psychologischen Konsequenzen, die sich aus seinen Befunden ziehen lassen. Vom Standpunkte der Meynert’schen Theorie ist die allmähliche Entwickelung der wobl unbedingt als Assoziations- fasern zu deutenden, der Oberfläche parallel verlaufenden Fasern gewiss nicht ohne tiefere Bedeutung. In dem Maße, in welchem diese Assoziationsfasern an Zahl und Ausbildung zunehmen, werden sie auch immer größere und größere Anteile der Fasermassen der Pyra- midenbahn zu gemeinschaftlicher Wirksamkeit verbinden; so wird es begreiflich, wie gleichzeitig mit der fortschreitenden Entwickelung dieser Fasersysteme das unbeholfene Tappen und Haschen des Kindes Fuchs, Zur Anatomie und Physiologie der Großhirnrinde. JAN allmählich durch jenes harmonische Zusammenwirken der verschie- denen Muskeln mit ihrem bis ins feinste Detail gegliederten Maße des Anteils ersetzt wird, welches uns in den kombinierten Bewegungen des Erwachsenen in so bewunderungswürdiger Weise entgegentritt. Einige Zeit nach dem Erscheinen der eben referierten Arbeit pu- blieirte Tuezek im „Neurologischen Centralblatt“ eine Untersuchung), die sich eine ähnliche Aufgabe gestellt hatte. Tuczek hat der to- pischen Seite der Frage ein wesentliches Augenmerk zugewendet und die Entwickelung der markhaltigen Nervenfasern an einer allerdings kleinen Anzahl (4) Gehirnen in den verschiedenen Windungen des menschlichen Großhirns mit Hilfe derselben Osmiumsäure-Ammoniak- methode sorgfältig untersucht. Die Ergebnisse seiner Untersuchung sind mit seinen eignen Worten folgende: „1) In allen Großhirnwindungen treten zuerst in der Markleiste, dann erst in der Rinde markhaltige Nervenfasern auf; die Entwicke- lung derselben schreitet vom Centrum nach der Peripherie des Ge- hirns kontinuierlich fort. 2) Am frühesten, zum Teil schon vor Vollendung des 9. Monats des Intrauterinlebens, führt markhaltige Nervenfasern die Markleiste und Rinde des Paracentralläppchens, der vordern und hintern Central- windung; dann folgen der Hinterhauptslappen und Teile der Insel. Andere Windungsabschnitte als die angeführten enthalten beim Neu- gebornen noch keine markhaltigen Nervenfasern. .... 3) Die weitere Entwickelung markhaltiger Nervenfasern in den Windungen hält auf beiden Großhirnhemisphären ungefähr gleichen Schritt. 4) Bei einem 2Ttägigen Kinde enthält außer dem Paracentral- läppehen, den Centralwindungen und dem Hinterhauptslappen kein Windungsabschnitt in der grauen Rinde markhaltige Nervenfasern. Auch in den genannten Windungen finden sich diese nur im untern Drittel der Rinde; besonders fehlen die tangentialen Systeme der oberen Schichten noch vollständig. 5) Am spätesten erfolgt die Bildung markhaltiger Fasern im Stirnlappen, sowohl in den Windungen der Konvexität als in denen der Basis. Der G. recetus, der Orbitaiteil des Stirphirns, die II. Stirn- windung enthalten beim 27tägigen Kinde auch in der Markleiste noch keine markhaltige Nervenfaser“. Bei einer Vergleichung der Resultate, zu denen Tuezek und Fuchs gekommen sind, könnte es auf den ersten Anblick befrem- den, dass, während Fuchs mit Exner noch beim Neugebornen in der Rinde keine Spur von markhaltigen Nervenfasern findet, Tuezek 1) Dr. Franz Tuczek, Ueber die Entwickelung der markhaltigen Nerven- fasern in den Windungen des menschlichen Großhirns. Neurologisches Central- blatt 1883. Nr. 20. 218 Hoppe-Seyler, Zur Kenntnis der indigobildenden Substanzen im Harn. sie in denselben Rindenpartien, zum Teil schon vor Vollendung des 9. Lunarmonats beobachtete. Diese Differenz in den im übrigen, soweit sich die Arbeitsfelder decken, in recht befriedigendem Ein- klange stehenden Resultaten lässt sich vor allem aus individuellen Schwankungen in der Struktur der Rinde erklären, auf die Fuchs im Verlaufe seiner Untersuchung wiederholt hingewiesen hat und welche Tuezek an einem größern Untersuchungsmateriale gewiss hätte bestätigen können. Ein zweiter Grund für diese Unterschiede ergibt sich wohl ohne weiteres aus der Bemerkung Tuczek’s, „dass eine exakte Topographie eines Rindenquerschnittes beim Neugebornen unmöglich ist, da eine Einteilung in bestimmte Schichten, die selbst beim Erwachsenen oft nur künstlich gelingt, beim Neugebornen gar nieht durchzuführen ist. Bei unreifen Früchten hat es sogar seine Schwierigkeiten, am Osmiumpräparat die Grenze zwischen Rinde und Mark festzustellen.“ Sigmund Fuchs (Wien). Georg Hoppe-Seyler, Zur Kenntnis der indigobildenden Sub- stanzen im Harn. 2 Mitteilung Zeitschrift für physiolog. Chemie Bd. VIII H. 1 und 2. Orthonitrophenylpropionsäure geht im Organismus der Kaninchen (nach früheren Beobachtungen des Verfassers) in indoxyl- schwefelsaures Kalium und als solches in den Harn über. Es schien von Interesse zu prüfen, ob letzteres auch im normalen Hunde- harn aufzufinden und vielleieht die in demselben stets vorhandene Substanz sei, welehe mit Salzsäure und Chlor Indigo bildet. Diese Vermutung wurde durch die Untersuchung bestätigt. Aus 25 Litern normalen Hundeharns ließen sich einige Gramm krystailisierten indo- xylschwefelsauren Kaliums isolieren. Aus demselben Harn wurden dann noch fast ein halbes Gramm phenolschwefelsaures Kalium gewonnen und somit auch dieses als ein normaler Bestand- teil des Hundeharns erkannt. Bei der einfachen Destillation des glei- chen Harns mit Salzsäure war dagegen im Destillat kein Phenol nach- zuweisen. Das Uebergehen des Phenols scheint demnach durch noch unbekannte Stoffe verhindert zu werden. Es fragte sich nun noch, ob dem Organismus zugeführtes indoxylschwefelsaures Kalium ver- ändert werde oder nicht. Ein kleiner Pinscher erhielt 2,7 g des Kaliumsalzes subeutan, nachdem vorher die Schwefelsäureausscheidung ins Gleichgewicht gebracht war. In dem später gelassenen Harn nahm die Aether- schwefelsäure beträchtlich zu und zugleich ließen sich größere Mengen Indigo nachweisen. Der Hund ging am dritten Tage wahrscheinlich Zeller, Schicksale des Jodoforms und Chloroforms im Organismus. 219 infolge von Absiederung an den Einstichstellen zu grunde. In dem Gesamturin wurde sehr vielindoxylschwefelsaures Kalium nach- gewiesen. Wahrscheinlich geht also das indoxylschwefelsaure Kalium zum größten Teil unverändert durch den Organismus hindurch. Da die Orthonitrophenylpropionsäure aus der Orthonitro- zimmtsäure dargestellt werden kann, so prüfte der Verfasser auch noch ihr Verhalten im Organismus. Es wurden einem Hunde in all- mählich steigenden Dosen bis zu 4 g p. d. beigebracht. Das Ver- suchsresultat war ein zweifelhaftes, da die aus dem Harn in Nadeln krystallisierende Substanz wegen zu geringer Menge nicht eharakteri- siert werden konnte. Ein gleiches unbefriedigendes Resultat ergab die Untersuchung des Harns einesHundesnach Fütterungmit Orthoamidozimmtsäure. Bei Fütterung mit Orthonitrobenzaldehyd zeigte sich keine Ver- mehrung der Indoxylausscheidung. Ebensowenig war die Indigoaus- scheidung vermehrt, wenn Orthonitrobenzaldehyd und Aceton (Stoffe, welehe nach A. Baeyer und Drewsen in alkalischer Lösung in Indigo übergehen) zugeführt wurden. R. Fieischer (Erlangen). A. Zeller, Ueber die Schicksale des Jodoforms und Chloroforms im Organismus. Aus der chemischen Abteilung des physiologischen Intituts in Berlin. Zeit- schrift für physiolog. Chemie Bd. VIH. H. 1 und 2. Durch früher mitgeteilte Versuche hat Z. nachgewiesen, dass bei Einführung von Jodoform in den Magen schon im Darm in dersel- ben Weise eine Zersetzung des Jodoforms sich geltend macht, wie wenn man Jodoform längere Zeit mit Eiweiß behandelt. Er machte dann auch noch die Beobachtung, dass nach Applikation des Jodo- forms in die Bauchhöhle, wegen schnellerer Resorption und langsamer Ausscheidung durch die Nieren, eine starke Jodanhäufung im Orga- nismus stattfindet. Die Jodretention wird vielleicht dadurch veran- lasst, dass das aus dem Eiweiß der Gewebe und dem Jodoform sich bildende Jodalbumin langsamer eliminiert wird als andere Jodverbin- dungen. Um diese Frage zu entscheiden erhielt ein kleiner Hund 300 g einer frischbereiteten Jodalbuminlösung, welche 2,51 g Jod enthielt. Die Jodausscheidung war erst nach 9 Tagen beendet. In den Faeces fanden sich in den ersten 6 Tagen geringe Mengen Jod, später nicht mehr. Zum Nachweis wurde die Stärkereaktion benutzt. Es ist demnach die Verlangsamung der Ausscheidung des Jods bei Jodoform- zufuhr auf eine Bildung von Jodalbumin zurückzuführen. In dersel- ben Weise wurden Versuche angestellt, um über das Schicksal von zugeführtem Bromoform ins klare zu kommen. 220 Schotten, Quelle der Hippursäure im Harn. Es wurden einem Hunde 2,3 g Bromoform in Gelatinekapseln per os zugeführt. Im Harn ließ sich nicht direkt Brom nachweisen, wohl aber in dem durch Silbernitrat gefällten und nachher mit kohlensaurem Natron geschmolzenen Niederschlag. Ferner erschien es dem Verfas- ser von Interesse zu untersuchen, ob bei gleichmäßig ernährten Tie- ren, bei welchen die Chlorausscheidung (mit dem Harn) eine ziemlich konstante war, durch Zufuhr bestimmter Mengen Chloroform dieselbe erhöht werde oder nicht. Es wurden einem Hunde 7 g Chloroform per os gegeben. Es stieg die Menge der Chloride bis zum vierten Tage nach der Darreichung um das Doppelte, und zwar war die Steigerung erst am dritten und vierten Tage am deutlichsten. Der Harn zeigte reduzierende Eigenschaft (wie dies schon oft wahrgenom- men ist) und war linksdrehend. Die Ausscheidung der Chloride wurde noch in einer neuen Ver- suchsreihe bestimmt. Diesmal erhielt der Hund 9,5 g Chloroform per os. Das Resultat stimmte mit dem des ersten Versuchs überein. Auch hier stieg die Menge der Chloride in den der Applikation fol- senden Tagen auf das Doppelte. Es findet demnach auch hier wie bei dem Jodoform eine langsame Ausscheidung aus dem Organismus statt, deren Ursache noch dunkel ist. Aus der mitgeteilten Tabelle geht hervor, dass der größte Teil des Cloroforms in dem neuen Ver- such in Form von Chloriden in den Harn übergegangen ist. R. Fleischer (Erlangen). C. Schotten, Ueber die Quelle der Hippursäure im Harn. Aus der chemischen Abteilung des physiolog. Instituts zu Berlin. Zeitschrift für physiolog. Chemie Bd. VIII H. 1 und 2. Die Frage nach der Quelle der mit dem Harn ausgeschiedenen Hippursäure ist schon oft diskutiert worden. Seitdem in dem Harn hungernder Menschen und Hunde Hippursäure aufgefunden wurde, ist man jetzt wohl allgemein von der früher von einzelnen vertretenen Ansicht abgekommen, dass dieselbe z. T. sich im Organismus aus Kohlehydraten oder mit der Nahrung zugeführten Benzoylderivaten bilde. Man nimmt vielmehr jetzt wohl allgemein an, dass dieselbe aus dem Eiweiß stamme. Aus welchen Spaltungsprodukten des letz- tern die Hippursäure entsteht ist aber noch eine offene Frage. Nach- dem Salkowski aus Fäulnisprodukten des Eiweißes Phenylessig- säure und Phenylpropionsäure isoliert und nachgewiesen hatte, dass die letztgenannte Säure im Organismus in Benzo&säure verwandelt und als Hippursäure mit dem Harn ausgeschieden werde, schien man in der Erklärung weiterzukommen. Beide Säuren bilden sich nach Salkowski aus dem Tyrosin (einem Abkömmling des Eiweißes). Aber neben anderen Gründen spricht gegen diese Hypothese Salkows- Schotten, Quelle der Hippursäure im Harn. 991 ki’s die Thatsache, dass Baumann niemals unter den Fäulnispro- dukten des Tyrosins jene beiden Säuren auffinden konnte, und es er- scheint somit möglich, dass S. ein mit einer Säure, der Amidophenyl]- propionsäure verunreinigtes Tyrosin bei seinen Versuchen unter den Händen gehabt hat. Die Amidophenylpropionsäure ist aber ein Spal- tungsprodukt des Eiweißes (Schulze und Barbieri), und es er- scheint die Annahme gerechtfertigt, dass sie die Muttersubstanz der Hippursäure ist. Durch Tierversuche glaubte Schotten jene An- nahme stützen zu können. Einem kleinen Hunde wurden 0,7 g einer aus Phenylessigsäurealdehyd synthetisch dargestellten Amidophenyl- propionsäure verabreicht. Der in den folgenden 36 Stunden ent- leerte Harn enthielt unzweifelhaft Hippursäure. Bei einem Kontrol- versuch wurden nun 0,7 g Phenylpropionsäure verfüttert und der Harn in der gleichen Weise wie früher auf Hippursäure un- tersucht. Es wurde diesmal ungefähr die achtzehnfache Menge von Hippursäure gegenüber dem ersten Versuche gewonnen. Aus diesen Resultaten lässt sich schließen, dass die Amidophenylpropion- säure wahrscheinlich im normalen Verdauungsprozess fast vollstän- dig verbrannt wird. Nur ein geringer Teil wird durch Fäulnisfer- mente im Darm in Phenylpropionsäure verwandelt und diese wiederum wird nach ihrer Resorption zu Benzo&säure oxydiert und diese nach ihrer Vereinigung mit dem Glycocoll als Hippursäure mit dem Harn ausgeschieden. Fernerhin hat der Verfasser noch nachgewiesen, dass die Amido- phenylessigsäure (dargestellt aus Benzaldehyd, Blausäure und Ammoniak) im tierischen Organismus sich in Mandelsäure umwan- delt. Aus dem Harn eines Hundes, welcher 13,0 g Amidophenyl- essigsänre erhalten hatte, wurden 2 g reiner Mandelsäure, also 15°/, der Amidosäure dargestellt. Dagegen gelang es nicht Hippur- säure aufzufinden, welehe doch nach den Angaben von Schulzen und Graebe sich aus der dem Organismus zugeführten Mandelsäure bilden soll. Um diese Angabe auf ihre Richtigkeit zu prüfen wurden einem Hunde 10 g Mandelsäure mit Fleisch beigebracht. In dem in der folgenden Zeit entleerten Harn ließ sich mindestens die Hälfte jener Mandelsäure wieder auffinden, dagegen fehlte in demselben die Hippursäure. Hatten Schulzen und Graebe nach der Zufuhr von 3 g Mandelsäure Hippursäure im Harn nachweisen können, so beweist dieses Resultat noch keineswegs den Uebergang der Mandel- säure in Hippursäure, da letztere, wie in neuerer Zeit. sicher nach- gewiesen, ein Bestandteil des normalen menschlichen Harns ist. R. Fleischer (Erlangen). 222 Tarchanoff, Verschiedenheiten d. Eiereiweißes b. Nestflüchtern u. Nesthockern. J.R. Tarchanoff, Ueber die Verschiedenheiten des Eiereiweißes bei befiedert geborenen (Nestflüchtern) und bei nackt geborenen (Nesthockern) Vögeln, und über die Verhältnisse zwischen dem Dotter und Eiereiweiß. Arch. f d. ges. Physiol. Bd. 33 Heft 7 und 8. Eine zufällige Beobachtung gab Anlass, das Eiweiß der Ufer- schwalbeneier näher zu untersuchen und zunächst das in mancher Beziehung vom Hühnereiweiß abweichende Verhalten desselben zu studieren. Im Verlauf der Untersuchung stellte sich als allgemeiner Satz heraus, dass das Eiereiweiß derjenigen Vögel, welche zu den Nesthockern gerechnet werden (z. B. Uferschwalbe, Taube, Drossel, Sperling, Rabe u. 8. w.) durchaus andere Eigenschaften zeigt, als das Eiereiweiß der sogenannten Nestflüchter. Zu beachten ist dabei, dass die Eier frisch zur Untersuchung kommen müssen. Das Eiweiß der Nesthockereier, vom Verfasser kurz als „Tata- eiweiß“ bezeichnet, unterscheidet sich von der andern Eiweißart, als deren Prototyp das Hühnereiweiß gelten kann, sowohl in seinem phy- sikalischen, wie chemischen Verhalten. Am auffälligsten tritt die Ver- schiedenheit beim Erhitzen hervor; während das Hühnereiweiß dabei bekanntlich ein festes, undurehsichtiges, weißes Coagulum liefert, wird das Tataeiweiß in eine vollkommen durchsichtige, glasartige, gela- tinöse Masse umgewandelt. Ferner fluoresziert Tataeiweiß stärker als Hühnereiweiß, filtriert und diffundiert leichter und wird (im coagu- lierten Zustande) etwa 8—10mal schneller von Magensaft verdaut. Durch Zusatz von verdünnter Essigsäure zu Tataeiweiß entsteht ent- weder gar keine oder nur eine minimale Trübung, ebenso durch Zu- satz von Wasser im Ueberschuss. Globulinsubstanzen können daher im Tataeiweiß nur in geringer Menge enthalten sein. Untersucht man nicht frisch gelegte, sondern weiter in der Ent- wickelung vorgeschrittene Eier von Nesthockern, so findet man, dass sich das Eiweiß derselben desto mehr dem Hühnereiweiß nähert, je älter das Ei ist. Diese Entdeckung, dass sich während der Bebrütung das Tataeiweiß allmählich in Hühnereiweiß umwandelt, forderte dazu auf, den Bedingungen nachzuforschen, unter welchen sich ein solcher Uebergang vollziehen kann. Während der Bebrütung verliert das Tataeiweiß immer mehr Wasser, und es lag daher nahe, den Uebergang in Hühnereiweiß als eine Verdiehtung aufzufassen; ein Gegenversuch aber zeigte, dass das Tataeiweiß bei einer Verdiehtung auf mehr als 50 °/, keine seiner charakteristischen Eigenschaften verliert. Auf verschiedene andere Weise aber gelingt es, dasselbe dem Hühnereiweiß ähnlich zu machen; nach Zusatz von Mineralsalzlösung, von konzentrierter Essigsäure oder Milchsäure liefert das Tataeiweiß beim Erhitzen fast dasselbe Ge- rinnsel, wie Hühnereiweiß. Zu demselben Resultat gelangt man, wenn man es einige Zeit in einer vollkommen abgeschlossenen Kohlensäure- N. | 1 4 £ Tarchanoff, Verschiedenheiten d. Eiereiweißesb. Nestflüchtern u. Nesthockern. 293 atmosphäre verweilen lässt. Aus diesen Thatsachen könnte man schließen, dass der Unterschied zwischen Tataeiweiß und Hühnereiweiß entweder in der stärkeren Alkaleszenz des erstern oder einem größern Salzgehalte des letztern begründet sei. Zu ersterer Annahme würde auch die Beobachtung des Verfassers stimmen, dass die Al- kaleszenz mit dem Alter der Eier abnimmt und zuletzt der sauern Reaktion Platz macht. Aus alkalimetrischen Bestimmungen aber er- gab sich, dass die Alkaleszenz des Hühnereiweißes größer als die des Tataeiweißes ist. Im Salzgehalt kann der Unterschied auch nicht zu suchen sein, weil dieser sowohl bei Hühnereiweiß, wie bei Tata- eiweiß ein außerordentlich schwankender ist. Ob freilich kein be- stimmter Unterschied in der Qualität der Salze besteht, ist noch nicht entschieden. Da die Umwandlung des Tataeiweißes in Hühnereiweiß mit der Entwiekelung der Nesthockerembryonen Hand in Hand geht, so liegt es nahe, die gegenseitige Einwirkung von Embryo und Dotter als Ursache anzunehmen. In dieser Annahme hatte sich Verfasser auch nicht geirrt. Wird nämlich reines Tataeiweiß in verschlossenem Ge- fäße längere Zeit der Bebrütungstemperatur ausgesetzt, so ändert es seine Eigenschaften nicht im geringsten, dagegen erfolgt die Umwand- lung schon bei Zimmertemperatur, wenn frischer Hühnerdotter, und bei Bruttemperatur, wenn Tatadotter hinzugefügt wird. Auch gesot- tener Dotter ist wirksam. In weleher Weise wirkt nun der Dotter auf das Eiweiß ein? Da verschiedene Versuche des Verfassers, ein Ferment aus dem Dotter zu extrahieren, misslangen, so wurde zunächst daran gedacht, dass aus dem Dotter Salze in das Eiweiß diffundieren und so das Tataei- weiß dem Hühnereiweißß ähnlich machen könnten. In der That erhält man, wenn man den prozentischen Aschengehalt des Tataeiweißes sowohl vor wie nach der Einwirkung des Dotters bestimmt, im zwei- ten Falle eine auffällig größere Zahl. Aber trotzdem kann durch diese Diffusion allein die Umwandlung des Eiweißes nicht hervorge- rufen sein, denn dieselbe erfolgt nicht, wenn man den Salzgehalt des Tataeiweißes durch Eindickung stark vermehrt. Außerdem wissen wir vom Hühnerei durch Prout, dass sich während der Bebrütung grade der Salzgehalt des Dotters vergrößert. Es müssen also im lebenden Ei andere Verhältnisse in betracht kommen, als bei künst- licher Einwirkung von Dotter auf Eiweiß. Die Frage nach den Ur- sachen der Tataeiweißumwandlung lässt sich daher nur aus genauer Kenntnis des Stoffwechsels im Ei entscheiden. Nach Ansicht des Ver- fassers wird die Umwandlung möglicherweise durch die bei der Leci- thinzersetzung sich bildende Glyzerinphosphorsäure bewirkt, die aus dem Dotter in das Eiweiß leicht diffundieren kann, da ersterer 16mal so reich an Phosphorsäureverbindungen ist als letzterer. Als sicheres Resultat ergibt sich jedenfalls aus dem bisher An- geführten, dass das Tataeiweiß gewissermaßen eine Vorstufe des 224 Behrens, Gesellschaft zur biologischen Erforschung d. britischen Küsten. Hühnereiweißes darstellt, womit die Thatsache, dass es sich in den Eiern der Nesthocker findet, vollkommen in Einklang steht; die jungen Nesthocker werden in einem viel unentwickelteren Zustande geboren, als die Nestflüchter. Nach früheren Bestimmungen, sowie nach neue- ren Analysen des Verfassers ist das Verhältnis von Dotter zu Eiweiß bei den Nesthockereiern ein kleineres als bei den Nestflüchtereiern, und ferner enthält der Dotter bei den ersteren mehr Wasser, als bei den letzteren. Alles dies beweist, dass die Nesthocker aus dem Dot- ter nicht viel Material zu ihrer Weiterentwickelung beziehen können und deshalb verhältnismäßig unentwickelt auf die Welt kommen. Es liegt nun die Annahme sehr nahe, dass auch die Nestflüchter- eier in einer frühern Periode Tataeiweiß besitzen, nur dass es sich bei ihnen infolge der energischeren Einwirkung des besser entwickel- ten Dotters viel früher in Hühnereiweiß umwandelt. Tataeiweiß in Nestflüchtereiern nachzuweisen ist aber dem Verfasser trotz der ver- schiedensten Versuche bisher nicht gelungen. So viel also auch noch der Klarlegung bedarf, so ist doch die Arbeit nicht nur in chemischer Hinsicht wichtig; auch Ornithologie und Oologie finden auf dem eingeschlagenen Wege ein reiches Ma- terial zu systematischen Untersuchungen, und auch die Diätetik hat, durch den Nachweis der leichtern Verdaulichkeit des Tataeiweißes, eine Bereicherung erfahren. Vietor Lehmann (Berlin). Eine Gesellschaft zur biologischen Erforschung der britischen Küsten, Unter Beteiligung einer großen Zahl hervorragender englischer Biologen wurde vor kurzem in den Räumen der Royal Society zu London unter dem Vorsitz von Prof. Huxley eine Versammlung abgehalten behufs Gründung der erwähnten Gesellschaft Prof. Huxley wies zunächst darauf hin, dass die Einrichtung biologischer Stationen an den Küsten in den letzten Jahren von den meisten zivilisierten Nationen in Angriff genommen sei, eine notwendige Folge der Erkenntnis, dass die Erforschung der tierischen Entwickelung höchst wichtig sei; jedoch seien diese Anstalten nicht bloß für die Wissenschaft, sondern auch für die nationale Wohlfahrt von Bedeutung, da solche Forschun- gen auch für die Fischerei von nutzbringenden Erfolgen begleitet sein würden. Der Herzog von Argyll bedauerte, dass die englische Regierung bisher ganz im Gegensatz zu denen aller anderen Kulturstaaten diesem Gegenstande so wenig Aufmerksamkeit gewidmet habe, betonte dann jedoch wesentlich die wissenschaftliche Seite eines solchen Unternehmens; verschiedene andere Red- ner, so Sir Lyon Playfair, Sir John Lubbock u. a. sprachen noch ihre An- sicht dahin aus, dass die Gründung einer Gesellschaft zum genannten Zweck äußerst wünschenswert erscheine, und so wurde dann ein vorläufiger Vorstand für dieselbe gewählt, indem einstweilen Herrn Prof. Lankester die Geschäfte des Sekretärs, Herrn Frank Crisp die des Kassiers übertragen wurden. Am 30. Mai soll dann eine konstituierende Versammlung abgehalten werden. Prof. Lankester teilte dann noch mit, dass 6000 bis 10000 Pfund Sterling zum Be- ginn für die Einrichtung wenigstens einer Station notwendig sein würden. H. Behrens (Gütersloh, Prof. Westfalen). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Men. 15. Juni 1884. Nr. 8. Inhalt: Ludwig, Die verschiedenen Blütenformen an Pflanzen der nämlichen Art. Spengel, Zwitterbildungen bei Amphibien. — Polejaeff und Vosmaer, Un- tersuchungen über die Kalkschwämme. — Bruns, Vergleichend-anatomische Untersuchungen über das Blutgefäßsystem der Netzhaut. — Rosenthal, Ueber Reflexe. Die verschiedenen Blütenformen an Pflanzen der nämlichen Art. Referat über einige neuere Arbeiten. Literatur: Fritz Müller, Einige Egentümlichkeiten der Kichhornia erassipes. — Nachträge zu Hildebrand’s Buch über die Verbreitungsmittel der Pflanzen, — Die Biumen des Melonenbaumes. — (Kosmos 1855). Hermann Müller, Arbeitsteilung bei’ Staubgefäßen von Pollenblumen. — Die Vielge- staltigkeit der Blütenköpfe vor Centaurea Jacea etc. (Ibid.). Das Variieren der Größe gefärbter Blütenhüllen ete. (Kosmos Bd. II). — Griesebach, Der Dimorphismus von Cardamine chenopodifolia Bot. Ztg. XXXVLI 8.723. — J. Ur- ban, Monographie der Familie der 'Turneraceen (Jahrb. d. K. bot. Gartens Berlin Bd. II 1835). — Fr. Heyer, Untersuchungen über das Verhältnis d. Ge- schlechter bei einhäusigen und zweihäusigen Pflanzen unter Berücksichtigung des Geschlechtsverhältnisses bei den Tieren und dem Menschen. (Inaug. Diss. Halle 1883). — Franz Möwes, Ueber Bastarde von Mentha arv. und M. aqua- tica, sowie die sexuellen Eigenschaften hybrider und gynodiöc. Pflanzen (Eng- ler’s bot. Jahrb. IV 1883. Heft 2. S. 189 ff.). — F. Ludwig, Ueber die Blüten- formen von Plantago lanceolata und die Erscheinung der Gynodiöcie (Zeitschr. f. d. gesamte Naturw. Bd. LII S. 441 ff.). — Gynodimorphismus der Alsineen (Bot. Centralblatt 1880 Nr. 7, 8. 27, 28, 33, 1881 Nr. 42). — Heterantherie anemophiler Pflanzen (Bot. Centralblatt 1880 Nr. 7, 8, 27, 28). — Ueber die biologischen Eigentümlichkeiten der Plantagineen (Bot. Centralblatt 1830, Nr. 39).— Die Anpassungen der Gattung Erodium an Insektenbestäubung ete. (Kosmos 1881 S. 357; Irmischia 1881 Nr. 1; Bot. Centralblatt 1881 Bd. VII Nr. 42; deutsche bot. Monatsschr. 1883). — Bemerkungen über Gynodiöcismus (Sitzber. d. Ges. naturf. Freunde. Berlin Dez. 1881). — Dimorphismus von Convallaria majalis (Deutsche bot. Monatsschr. 1883 Nr. 7). Ueber die Kleistogamie von Collomia grandiflora ete. etc. Seit dem Erscheinen des Darwin’schen Werkes: „The different Forms of Flowers on Plants of the same Species“ (1877) sind 15 395 Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen. eine Reihe neuer Entdeckungen gemacht worden, die sich auf das Vorkommen verschiedener Blütenformen bei ein und derselben Pflanze beziehen, und mancherlei Aufklärungen über die biologische Bedeutung der verschiedenen Blütenformen gegeben worden. Wir halten es da- her für zeitgemäß, an diesem Orte eine zusammenfassende Uebersicht über die neueren Arbeiten, welche sich auf diesen Gegenstand be- ziehen, zu geben. 1. Heterostylie. Darwin hat bereits eine große Anzahl von Pflanzen aufgeführt, bei denen zweierlei Stöcke — solche mit langen Griffeln und kurzen Staubgefäßen und solche mit kurzen Griffeln und hochstehenden Antheren in derselben Blüte, oder dreierlei Stöcke — mit lang-, kurz- und mittelgriffeligen Blüten — existieren. Zu ersteren (den heterodistylen oder heterostyldimorphen Pflanzen) gehören von einheimischen Pflanzen die meisten Arten von Primula, Pulmonaria offieinalis und angustifolia, Polygonum Fagopyrum, Menyanthes trifo- liata, Hottonia palustris, Linum perenne, zu letzteren (den Trimorphen oder Heterotristylen) gehört von einheimischen Pflanzen nur Zythrum Saticaria (von ausländischen: Pontederia, Nesaea, Eichhornia ete. Von Oxalis sind nach Hildebrand sicher 20, nahezu sicher 51 Arten trimorph). — Die Versuche Darwin’s, Hildebrand’s u. a. haben dargethan, dass hier die verschiedenen Stöcke in derselben Weise zusammengehörig sind, wie männliche und weibliche bei anderen Ar- ten. Es kommt bei ihnen nur dann ein nennenswerter Samenertrag und ein Ertrag von Samen, aus denen existenzfähige Keimlinge er- wachsen, zu stande, wenn eine Bestäubung der Narben durch Blüten- staub aus Antheren gleicher Höhe (also getrennter Stöcke) erfolgt (bei „legitimer“ Bestäubung). Nach Scott erzeugt bei Primula Au- ricula sogar der Pollen von P. viscosa, P. hirsuta, P. verticillata ete. reichlichere Samenbildung, als der der nämlichen Art bei illegitimer Bestäubung. Herm. Müller hat in zahlreichen Fällen die Kreuzungs- vermittler unter den Insekten festgestellt (z. B. bei Lythrum Salicaria hauptsächlich eine Biene, COilissa melanura, bei Primula offieinalis Hummeln) und ist durch Beobachtung der Gewohnheiten der häufig- sten Kreuzungsvermittler zu dem Resultat gekommen, dass die ver- schiedenen Blumenformen der Heterostylen als Anpassungen an ge- wisse Insekten zu betrachten sind (letztere bestäuben bei normaler Honigernte legitim). — Die verschiedenen Stöcke tragen, wie bereits Darwin festgestellt hat, nicht nur, der verschiedenen Einfügung der Staubgefäße entsprechend, verschieden gestaltete Blumen, sondern es ist auch die Größe der Pollenkörner und der Narbenpapillen eine un- gleiche in den verschiedenen Arten von Staubgefäßen. Bei den hoch- stehenden Staubgefäßen sind die Pollenkörner, bei den entsprechenden langen Griffeln die Narbenpapillen am größten, bei den mittelhohen Organen sind Pollenkörner und Narbenpapillen von mittlerer Größe, bei den kürzesten am kleinsten. (Bei Faramea sind dazu die großen Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen. II Pollenkörner stachlig, die kleinen nicht). Delpino hatte diese ver- schiedene Größe der Pollenkörner in Beziehung gesetzt zu den ver- schiedenen Längen des Weges, den die Pollenschläuche bei legitimer Bestäubung von der Narbe aus zu durchwachsen haben. Fritz Mül- ler hat diese Ansicht durch Versuche an Eichhornia crassipes kürzlich bestätigt gefunden. Zichhornia erassipes ist ebenso wie andere Arten derselben Gattung trimorph, aber sie ist, obwohl nur legitime Bestäu- bung vollen Samenertrag liefert, auch bei illegitimer Bestäubung nieht unfruchtbar. F. Müller fand hier, dass die Pollenschläuche, welche der Blütenstaub kurzer Staubgefäße in den langen Griffeln treibt, nur bis zu den obersten Samenknospen des Fruchtknotens reichen, und dass dementsprechend in der Fruchtkapsel der unterste Teil des Samenpolsters bis zu !/,—!/; Höhe keine Samen bildet. — Darwin hat kurz vor seinem Tode in der Einleitung zu Herm. Müller’s „Fer- tilisation of Flowers ete.“ betont, dass zur Ermittelung des Ursprungs der Heterostylie hauptsächlich auch Bestäubungsversuche der Pflanzen mit variabler Länge der Sexualorgane anzustellen seien. — Mancherlei wichtiges haben die Untersuchungen Urban’s über die Familie der Turneraceen zu tage gefördert. Von 83 Arten dieser Familie sind 14 sicher, 5 wahrscheinlich monomorph, 48 sicher, 8 wahrscheinlich heterostyl dimorph, 6 unvollkommen dimorph, 1 in dieser Beziehung unbekannt, 1 in 6 Varietäten homo-, in 6andern heterostyl. Neigung zum Dimorphismus bei einzelnen Individuen monomorpher Arten äußerte sich nur in der Verlängerung der Griffel. Die unvollkommen dimor- phen Arten haben z. T. eine deutliche langgrifftelige Form, aber in der kurzgriffeligen erreichen die Narbenschenkel die Basis der An- theren. Die dimorphen Turneraceen haben augenfälligere Blüten und sind perennierend, während die sämtlichen kleinblütigen homostylen Arten einjährig sind. Bei vollkommen heterostylen Arten sind die beiden Blütenformen zuweilen nicht bloß in der Länge, sondern in Riehtung und Krümmung der Griffel verschieden. — Köhne beschreibt in einer Monographie der Lythraceen 21 dimorphe neben 340 homo- morphen Arten dieser Familie. 2. Enantiostylie. Ein der Heterostylie analoges Vorkommen von zweierlei Blüten, in deren einen die Staubgefäße den linken, die Griffel den rechten Teil der Blüte einnehmen, während es in den an- deren Blüten umgekehrt ist, ist von Todd, Fritz Müller u. a. bei verschiedenen Pfianzen entdeckt worden. Herm. Müller beschreibt das gleichzeitige Vorkommen zusammengehöriger rechts- und links- griffeliger Blüten genauer bei Solanum rostratum, wo es zuerst von Prof. Todd in Tabor (Jowa) entdeckt worden ist. Solanum rostratum gehört wie unsere Kartoffel zu den Pflanzen mit Pollenblumen, die keinen Honig abscheiden, sondern aussehließlich pollensammelnde In- sekten anlocken. Während aber bei Solanum tuberosum die kegelför- mig zusammengeneigten Staubgefäße gleiche Länge haben und der 15* 298 Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen. unsicher wirkende Bestäubungsmechanismus eventuelle spontane Selbst- bestäubung nötig macht, ist bei 8. rostratum die unterste Anthere stark verlängert und in eine am Ende aufwärts gekrümmte Spitze verschmälert. Der Griffel ist ebenso aufwärts gebogen. Beide sind jedoch aus der Richtung der Blütenachse nach entgegengesetzter Rich- tung herausgebogen. Es folgen nun in derselben Traube immer eine rechtsgriffelige und eine linksgriffelige Blüte aufeinander, und die gleichzeitig geöffneten Blüten desselben Zweiges sind entweder alle rechtsgriffelig oder alle linksgriffelig. Die Kreuzung vermittelnden Hummeln schnellen, indem sie den Pollen in den 4 kurzen Staubgefäßen „ausmelken“, durch die Bewegung ihrer Beine wiederholt das lange Staubgefäß zurück und bekommen ebenso oft ein Pollenwölkchen, bei einer linksgriffeligen auf die linke, bei einer rechtsgriffeligen auf die rechte Seite des Körpers. Da die Grif- fel auf der entgegengesetzten Seite stehen, so werden wie bei den lang- und kurzgriffeligen Pflanzen, so auch bei dem rechts- und links- grifteligen Solanum rostratum stets Blüten entgegengesetzter Narben- (und Antheren-) Stellung miteinander gekreuzt, und da die beiderlei Blüten desselben Zweiges zeitlich getrennt sind, so muss eine Kreu- zung wenigstens zwischen Blüten getrennter Zweige, in der Regel zwischen getrennten Stöcken zu stande kommen. Die Möglichkeit eventueller spontaner Selbstbestäubung ist verloren gegangen. Während bei Solanum rostratum mit der Kreuzungssicherung durch Enantiostylie noch eine Arbeitsteilung zwischen kürzeren zur Anlockung und Beköstigung und längeren zur Befruchtung dienenden Antheren verbunden ist, kommen bei anderen enantiostylen Pflanzen die ver- schiedensten diesbezüglichen Verhältnisse vor. Bei der Caesalpiniaceen- gattung Cassia sind z. B. folgende verschiedene Blüteneinrichtungen bekannt geworden: 1) Rechts- und Linksgriffeligkeit (Enantiostylie) ohne Arbeits- teilung der Antheren bei Cassia Chamaecrista (nach Todd); 2) Enan- tiostylie mit Arbeitsteilung der Antheren, aber ohne Begünstigung der Kreuzung entgegengesetzter Blütenformen bei Cassia neglecta (nach Fritz Müller); 3) Enantiostylie mit Arbeitsteilung der Antheren und mit regelmäßiger Kreuzung zwischen Blumen entgegengesetzter For- men bei Cassia multijuga (nach Fritz Müller); 4) Arbeitsteilung der Antheren ohne Enantiostylie (nach Fritz Müller). Die Enantiostylie scheint eine weitere Verbreitung zu besitzen. Sie kommt nach F. Müller noch in den Marantaceengattungen Thalia und Maranta ete. vor, wo aber 2 gleichzeitig blühende nebenein- der stehende unsymmetrische, jedoch ein symmetrisches Ganzes bil- dende Blumen vorhanden sind. Bei ersterer Gattung kommt von den beiden Blumen nur eine zur Fruchtbildung. Ob Carica Papaya, bei der die männlichen Blüten teils rechts, EEE WER Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen, 229 teils links gedreht sind, hierher gehört, ist aus der Beschreibung Fritz Müller’s nicht zu ersehen. 3. Heteromesogamie. Herm. Müller hat zuerst einen eigen- tümliehen Dimorphismus entdeckt, der darin besteht, dass bei ein und derselben Pflanzenart zweierlei Stöcke existieren, die entweder verschiedenen Insektenabteilungen angepasst sind, oder von denen nur die einen ausgeprägte Insektenblütler sind, während die anderen kleine unansehnlichere autogame Blüten haben. Leon Errera und Gustav Gevaert, die die verschiedenen Kategorien von Geschlechts- verteiluing und Bestäubungseinrichtungen in klarer übersichtlicher Weise zusammengestellt und dureh trefiende Termmi bezeichnet haben (Sur la structure et les modes de fecondation des fleurs. Bull. de la Soe. roy. de botanique de Belgique. t. XVII 1178.), nennen die ersten der beiden als Heteromesogamie bezeichneten Erscheinungen Diento- mophilie, die letztere Auto-Allogamie. Bei Iris Pseudacorus, die zur erstern Kategorie gehört, gibt es eine der Bestäubung durch Hummeln und eine der Bestäubung dureh Rhingia angepasste Form, während bei Viola tricolor, Euphrasia offieinalis, Lysimachia vulgaris, Cala- mintha alpina der Kreuzung durch Insekten angepasste Stöcke neben den, ursprünglich wahrscheinlich allein vorhanden kleinblumigen, meist autogamischen, entstanden sind. Aehnliches gilt für Aleetorolophus major und minor, die sich bereits zu Subspezies und für Malva sil- vestris und rotundifolia, die sich zu selbständigen Spezies ausgebildet haben. Ref. hat neue hierher gehörige Fälle aufgefunden in Conval- laria majalis und Erodium eicutarium. — Von Erodium cieutarium kommen zwei wesentlich verschiedene biologische Formen vor. Die eine großblütige, mit deutlichen Saftflecken an den oberen Blumen- blättern versehene, ist ausgeprägt proterandrisch und biegt die Staub- gefäße vor Entfaltung der Griffel nach außen, öfter die Staubbeutel abwerfend, während die andere (ursprüngliche) Form ungefleckt, homo- gam oder schwach proterogynisch ist. Die letztere blüht morgens nach 7 Uhr auf, erleidet etwa 1 Stunde später spontane Selbstbe- stäubung und verliert bereits am Mittag die Blumenblätter, während die Insektenform sich später öffnet und gewöhnlich erst nach 1—2 Tagen die Blumenblätter verliert. Die Ausbildung der gefleckten In- sektenform ist bei der diehter wachsenden Varietät pimpinellifolium Willd. (wie leicht zu verstehen) rascher erfolgt und weiter fortge- schritten, als bei der zerstreut wachsenden gewöhnlichen Form, der Var. hirtum ete. Sie scheint auch in verschiedenen Gegenden ungleich 'asch erfolgt zu sein (unter der Zuchtwahl der Insekten). Daher er- klärt es sich, dass im westlichen Deutschland die gefleckte, im öst- lichen die ungefleckte Form häufiger, an vielen Orten ausschließlich die eine oder andere Form vorkommt, während an anderen die Aus- bildung der erwähnten Eigentümlichkeiten noch völlig im Flusse ist (z.B. an einzelnen Orten im Königreich Sachsen, wo auch anstatt der ein- 230 Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen zelnen doppelte, oder an anderen Orten, wo vierfache Saftflecken zur Ausbildung gelangt sind). Ref. beobachtete als hauptsächlichste Be- stäubungsvermittler die Syrphiden (26 Arten), daneben noch Apiden. Bei Convallaria majalis ist neben der gewöhnlichen Form mit gelblich weißen kleinen Blumenglocken ohne Honigsaft, die nur pol- lensammelnde Insekten anzulocken vermögen, noch eine großglockige weißblütige Form mit intensiv gelben Antheren und einem lebhaft- roten Saftmal vom Ref. aufgefunden worden, die vermutlich als eine Anpassungsform (Züchtungsprodukt) der Apiden zu betrachten ist. Hier dürfte sich am besten das Vorkommen von zweierlei Stöcken bei windblütigen Pflanzen anschließen, von denen die einen unschein- bar gefärbte, die anderen lebhaft gefärbte Antheren (oder Griffel) her- vorbringen. Dasselbe wurde vom Ref. bei vielen Gräsern, bei Plan- tago-Arten, Amentaceen und Windblütlern beobachtet. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir es hier mit der Ausbildung von „Pollen- blumen“ (im Sinne H. Müller’s) neben den rein windblütigen Stöcken zu thun haben. Bei Plantago major kommen neben den unscheinbar rotbraunantherigen Stöcken in der Regel über 3 °/, Stöcke vor, deren sämtliche Staubbeutel lebhaft gelb gefärbt sind (und normalen Pollen enthalten). Während hier, bei Cynosurus cristatus u. a. die Form mit den roten unscheinbaren Antheren überwiegt, ist bei Lolium pe- renne, Festuca elatior ete. die gelbe Form überwiegend. Doch kom- men bedeutende Schwankungen in dem Zahlenverhältnis vor (bei Phleum pratense zählte ich an einem Standort 89 gelb und 54 rotan- therige Stöcke, während an einem andern letztere in der Mehrzahl vorhanden waren). 4. Kleistogamie. Die Liste der Pflanzen, welche neben groß- hülligen, offenen, der Kreuzung dienenden Blumen ausschließlich der Selbstbefruchtung dienende geschlossen bleibende kleinhüllige Blüten erzeugen, ist seit Darwin bedeutend vermehrt worden. So hat Köhne: Ammannia latifolia, Bentham: Trifolium polymorphum, Bessey: Lithospermum longiflorum, Asa Gray: Milium amphicar- pum, Danthonia spicata und Arten von Vilfa, Ruellia, Dipteracanthus, Cryphiacanthus, Fritz Müller: viele Podostemaceen, Ascherson: Campanula dimorphantha, Ajuga Iva, Potonie: Helianthemum vil- losum, FH. ledifolium, Cistus hirsutus und villosus, Heckel: Pa- vonia hastata, Referent: Collomia grandiflora, C. Cavanillessii und ©. linearis, Plantago virginica als kleistogam bezeichnet. Letz- tere — und mit ihr wahrscheinlich .die zahlreichen zur Sektion Oleiosantha gehörigen Plantago-Arten —, die ähnlich wie Salvia_ clei- stogama in ihrer Heimat wahrscheinlich offen blühen, bringen bei uns Jahre lang ausschließlich kleistogame Blüten hervor. Bei Plantago virginica hat Referent bis jetzt nach vierjähriger Kultur unter den verschiedensten Verhältnissen keine einzige offene Blüte erhalten. — Die Ursachen der Kleistogamie können mangelnder Insektenbesuch, ’ Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen. 231 dürftige Ernährung, Ungunst des Wetters, Klimas und Bodens sein. — Sehr eigentümliche Verhältnisse zeigt die aus der Argentinischen Re- publik in den botanischen Garten zu Göttingen eingeführte Cardamine chenopodifolia Pers., welche neben den normalen Blüten unterirdische nur etwa 1 mm lange blumenblatt- und nectarienlose, kleistogamische Blüten bildet, die (2—4 em unter der Erde) anders gestaltete Früchte (2 samige Schötehen von ähnlicher Form wie bei Kropkila verna, ne- ben den oberirdischen Schoten) bildet, welche an Ort und Stelle ihren Samen auskeimen lassen. Die Blütenstiele der unterirdischen Fort- pflanzungsorgane entspringen dem Ende der verkürzten Hauptachse, während die in die oberirdischen traubenförmigen Blütenstände ausgehenden Achsen als Zweige erster Ordnung in den Axillen der Blattrosette entspringen, 16—20 em hoch werden und Blätter tragen, deren oberste zuweilen kürzere Trauben zweiter Ordnung unterstützen. Die Pollenkörner (ca. je 12) der kleistogamen Blüten treiben, ohne dass eine Dehiseenz stattfindet, ihre Schläuche, die dann die Wandung der Antheren durchbrechen, bereits innerhalb ihres Faches. Drude vermutet, dass diese eigentümlichen kleistogamen Blüten mit ihren abnormen Früchten die Erhaltung der Art in einem ungünstigen Klima sicherstellen. 5. Diöecie mit verschiedener Blumengröße ist bei Va- leriana dioica, Lychnis diurna, L.vespertina und Bryonia dioica schon lange bekannt. Chr. Conr. Sprengel hatte hier den Satz ausge- sprochen, dass bei allen Diöcisten und Monöeisten, welche Saftblumen von ungleicher Größe haben, die größeren Blumen männlichen, die klei- neren weiblichen Geschlechts sein müssten, damit die kreuzungsver- mittelnden Insekten zuerst von den männlichen Blüten angelockt wür- den. „Und sollte mir“, sagt Sprengel „jemand eine Pflanze nennen können, deren weibliche Biumen größer als die männlichen, jene aber sowohl als diese Saftblumen sind; so würde ich diese Erscheinung für ein dem menschlichen Verstande unauflösliches Rätsel halten.“ Fritz Müller hat neuerdings in dem diöeischen Melonenbaum, Carica Papaya, eine scheinbare Ausnahme von der Sprengel’schen Regel nach- gewiesen. Derselbe macht darauf aufmerksam, dass hier die weib- lichen (eleutheropetalen) Blumen ganz erheblich größer sind als die (sympetalen!) männlichen. Die letzteren sind aber, indem sie in viel verästelten über fußlangen Blütenständen stehen, trotzdem die augen- fälligeren und werden von den, zudem mehr durch den Duft, als die matte blassgelbe Farbe angelockten Kreuzungsvermittlern (Naeht- schmetterlingen) voraussichtlich cher besucht, als die fast stiellosen, dieht am Stamm in den Blattachsen sitzenden weiblichen Blüten. Sodann hat H. Müller hervorgehoben, dass der Sprengel’sche Satz für die Monöeisten überhaupt keine allgemeine Geltung haben könne, da es bei diesen nicht auf eine Bestäubung schlechtweg ankommt, sondern zunächst auf Fremdbestäubung, während gegenseitige Be- 232 Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen. stäubung der Blüten desselben Stockes nur bei ausbleibender Fremd- bestäubung von Wert ist. Bei reichlichem Insektenbesuch müssen hier grade — wie es z. B. bei Akebia quinata thatsächlich der Fall ist — die weiblichen Blüten die augenfälligeren sein, damit die von einem andern Stock kommenden Insekten zuerst diese aufsuchen. Bei geringem Insektenbesuch wird es dagegen, damit wenigstens Bestäubung von Blüten desselben Stockes erfolgt, von Vorteil sein, wenn die männlichen Blüten die größeren sind (Beispiele: Cucurbita, Cucumis). Bezüglich der Geschlechterverteilung bei diöcischen Pflanzen mag hier nur erwähnt werden, dass nach Heyer bei Mercurialis annua das Verhältnis der männlichen und weiblichen Individuen durch eine konstante Zahl ausgedrückt wird, die der für das Geschlechtsverhältnis beim Menschen sehr nahe kommt. Bei Mercurialis ergaben sich bei einer Zählung von 21000 wild gewachsenen Pflanzen auf je 100 Weib- chen 105,86 Männchen (beim Menschen kommen bekanntlich in der großen Zahl auf 100 Mädchen- 105,83 Knabengeburten). Aehnliche konstante Verhältnisse sind schon länger bei den Haustieren nachge- wiesen und neuere Untersuchungen (vgl. Pflüger’s Archiv Bd. XXVI S. 237) zeigen, dass auch bei Rana fusca das Verhältnis der Männ- chen zu den Weibchen eine konstante Größe ist. 6. Gynodimorphismus. Das Vorkommen kleinblütiger weib- licher Stöcke neben großblütigen Zwittern, für welches Darwin be- reits eine Anzahl von Fällen konstatiert hat, ist durch neuere Be- obaehtungen als ein sehr verbreitetes befunden worden. Darwin hatte von Labiaten etwa ein Dutzend gynodiöcischer dimorpher Spe- zies aufgeführt; dieselben sind vermehrt worden besonders durch Herm. Müller, ferner durch Potoine& (Salvia) u. a. Für Echium vulgare, Plantago lanceolata und andere, die Darwin in England gynodiöciseh fand, konstatierte zuerst Referent ein gleiches Vorkonmen in Deutsch- land. Letzterer hob hervor, dass bei den gynodiöeischen Pflanzen anstatt der abortierten Staubgefäße häufig petaloide Gebilde auftreten, so dass die weiblichen Blüten gefüllt erscheinen (z. B. bei Knautia, Mentha u. a.). Der Gynodimorphismus ist nach den Beobachtungen von Magnus und dem Ref. weiter verbreitet bei den Dipsaceen. Er- sterer konstatierte das örtlich, letzterer das zeitlich verschiedene Zahlen- verhältnis zwischen weiblichen und Zwitterstöcken gynodimorpher Pflanzen. Referent wies den Gynodimorphismus (so nannte er das Auftreten großblütiger Zwitter und kleinblütiger Weibchen zum Unterschied von den gleich großer Zwitter- und weiblichen Blüten, wie er es z. B. bei Plantago lanceolata, P. Lagopus, P. amplexicaulis, P. monosperma, P. macrorhiza ete. fand) noch als ganz allgemeinen Charakter der Caryophyllaceen, besonders der Alsineen nach. Von letzteren fand er ausgeprägt gynodiöeisch Stellaria graminea, S. glauca ete., Cerastium arvense, C.caespitosum, C.alpinum, C. glomeratum, ©. semi- Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen. 23) decandrum, Malachium aquaticum, Möhringia muscosa, Alsine verna, Are- naria ciliata, Sagina Linnaei, andere waren seltener oder unausgeprägt gynodimorph (anfangs gynomonöeisch ist z.B. Cerastium perfoliatum). Auch bei den Polemoniaceen (Polemonium ceoeruleum) Geraniaceen (Ge- ranium silvaticum, Erodium cieutarium), Ranuneulaceen (kan. acer, R. repens, R. bulbosus) ist in verschiedenem Grade der Ausprägung und in verschiedenen Uebergängen Gynodimorphismus beobachtet worden. Ueber den Ursprung des Gynodimorphismus hatte Hermann Mül- ler bei den proterandrischen Arten Glechoma, Thymus, Origanım, Mentha zuerst die Ansicht ausgesprochen, dass bei einer großen Va- riabilität in der Blütengröße dieser Pflanzen die kleinsten Blüten des- halb rein weiblich geworden seien, weil sie von den Blumengästen in der Regel zuletzt besucht werden und ihren Pollen daher nutzlos produzierten. Kerner glaubte in der größern Blume der Zwitter und Männchen ein Schutzmittel des Pollens gegen Regen zu erblicken. Referent glaubte auf grund seiner Beobachtungen an Pluantago (pro- terogynisch!), Thymus ete. die Müller’sche Ansicht widerlegen zu müs- sen und kam in bezug auf die genannten Labiaten, auf Knautia, Echium, Plantago ete. zu der Ansicht, dass reichlichere Fruchtbildung (wie sie zuerst von Darwin bei den Weibchen der Gynodiöcisten beobachtet worden ist) der Hauptvorteil sei, dessenwegen eine Re- duktion anderer Blütenteile durch Abtrennung besonderer ausschließ- lich weiblicher Stöcke eingetreten sei. Die Entwickelung (kleiner) weiblicher Blüten beginnt in der Regel mit einer Reduktion der Staubgefäße (nicht mit der der Corolle), diese scheint weiter die erhöhte Fruchtbarkeit zu bedingen, auf deren Kosten dann erst eine Reduktion der Corolle eintritt. Die Reduktion der Staubgefäße aber, welche hiernach der erste Schritt zum Gynodimorphismus ist, betrachtet Ref. in den erwähnten Fällen als eine Folge der Dichogamie. In den er- sten Blüten der Proterandristen verkümmern bekanntlich — als nutz- lose Organe — häufig die Staubgefäße, ebenso in den letzten der Proterogynisten. Dass bei jenen solche Erstlings-, bei diesen solche Letztlingsexemplare den Ausgang bei der Entwickelung der weiblichen Stöcke bildeten, glaubte Ref. dadurch bestätigt, dass die weiblichen bei den beobachteten Proterandristen im Anfang der Blütezeit bei den Proterogynisten Ende derselben häufiger waren. Möwes betrachtet gleichfalls die Kontabeszenz der Staubgefäße als ersten Schritt zum Gynodimorphismus. Durch das damit in Kor- relation stehende Fehlschlagen der Corolle wird dann nach ihm eine Stoffersparnis herbeigeführt, die erhöhte Fruchtbarkeit im Gefolge hat. Herm. Müller hat sodann auf grund seiner Studien über die Vielgestaltigkeit der Blütenköpfe von Centaurea Jacea selbst seine anfängliche Ansicht dahin geändert, dass bei den von ihm beobach- teten Proterandristen von jenen vom Ref. erwähnten Erstlingsstöcken IT Ludwig, Verschiedene Blütenformen an gleichen Pflanzen. mit verkümmerten Staubgefäßen aus der Entwickelung der kleinblüti- gen fruchtbareren Stöcke erfolgt sei. Ref. hat schließlich gezeigt, dass der Gynodimorphismus nicht immer eine Folge der mit der Dichogamie zusammenhängenden Ver- kümmerung der Staubgefäße zu sein braucht. Bei einigen Pflanzen, wie z. B. bei Krodium cicutarium, zeigt sich derselbe nur an Kümmer- lingen und ist eine Folge mangelnden Nahrungszuflusses. Kümme- rung ganzer Pflanzen (durch Entziehung der Bodennahrung, Dichtsaat ete.) oder einzelner Zweige (letzte Zweige an fruchtenden Exemplaren) hat nach des Ref. Versuchen fast stets eine Reduktion der Corolle und Staubgefäße zur Folge — je nach der individuellen Neigung führt dieselbe aber zur Kleistogamie (Brodium maritimum, Cardamine cheno- podifolium, Hyoscyamus niger, Collomia grandiflora) oder zum Gyno- dimorphismus!) (zu monöcischem bei Cerastium perfoliatum, diöcischem bei Erodium cieutarium ete.). Bei nachträglicher Zuführung reichlicher Nahrung (oder indirekt bei Ausjäten der Dichtsaat, bei Entfernung der Fruchtzweige) kommen nicht selten wieder normale offene Zwit- terblüten zum Vorschein. Bei einer Anzahl von Pflanzen hat H. Müller darauf aufmerk- sam gemacht, dass neben großblumigen staubgefäßreicheren Stöcken kleinere staubgefäßärmere zur Ausbildung kommen. So ist es z. B. bei Stellaria media, Ranuneulus aquatilis, Spergula arvensis (nach Ref.). 7. Heterodiehogamie. Zu den erfolgreichsten Anpassungen an Fremdbestäubung gehört die zeitlich getrennte Entwickelung der männlichen und weiblichen Organe in der Blüte. Während es aber hier früher als Regel galt, dass ein und dieselbe Spezies entweder nur proterandrische oder nur proterogynische Blüten hervorbringen könne, sind neuerdings mehrfache Abweichungen von dieser Regel aufgefunden worden. So gibt es bei Ajuga reptans neben den prote- randrischen Stücken homogame, ebenso ist mit der Heteromesogamie (z. B. bei Erodium cicutarium) eine ähnliche Verschiedenheit in der Entwickelung der Sexualorgane verbunden. Am interessantesten ist aber das regelmäßige Vorkommen von zweierlei zusammengehörigen Stöcken, von denen die einen proterandrisch, die anderen proterogy- nisch sind. Dasselbe ist, wie es scheint, eine allgemein verbreitete Erscheinung bei den Juglandeen. Hier ist es nicht nur bei dem ge- meinen Wallnussbaum, Juglans regia, sondern auch bei Juglans cinere« und Carya olivaeformis beobachtet worden. Nach Borggreve sind auch die Haselnuss, Coryllus Avellana, wnd andere einheimische Bäume (Cupuliferen) heterodichogam. Ludwig (Greiz). 1) Dichogame Pflanzen werden häufig dabei homogam. Spengel, Zwitterbildungen bei Amphibien. 235 Zwitterbildungen bei Amphibien. Es kann im allgemeinen als eine feststehende Thatsache gelten, dass bei den Wirbeltieren die Geschlechter auf zwei Individuen ver- teilt sind, und wenn wir von gewissen Fischen absehen, so sind wir zu der Behauptung berechtigt, dass ein normaler funktionsfähiger Hermaphroditismus bei den Wirbeltieren überhaupt nicht vorkomnit. Bei Fischen liegt die Sache allerdings anders: es gibt eine erhebliche Anzahl von Arten, bei denen jede Geschlechtsdrüse regelmäßig aus einem männlichen und einem weiblichen Abschnitte besteht (vergl. darüber besonders Brock, Beiträge zur Anatomie und Histologie der Geschlechtsorgane der Knochenfische. Morphol. Jahrb. Bd. 4), und außerdem kennt man zahlreiche Fälle, in denen bei normaler Weise getrenntgeschlechtlichen Arten wie z. B. dem Hering, dem Karpfen, Zwittrigkeit als Bildungsabweichung vorkommt, sei es in der Form, dass die Geschlechtsdrüse der einen Körperseite ein anderes Geschlecht hat als die der andern, sei es, dass beiderlei Geschlechtsstoffe ineiner Drüse sich entwickeln. Von den Amphibien sind Monstrositäten die- ser Art bis jetzt nur in sehr geringer Zahl bekannt geworden. Ich selbst habe vor einigen Jahren in einer Abhandlung „Ueber das Uro- genitalsystem der Amphibien“ (Arb. d. Zool.-zootom. Inst. Würzburg, Bd. 3. 1876) einige Beobachtungen mitgeteilt, welche die Knoblauch- kröte (Pelobates fuscus) und die gemeine Kröte (Bufo cinereus) be- treffen. Bei einem Individuum der erstern Art fand ich die hintere Hälfte des linken Hodens durch zwei Eierstocksfächer ersetzt, „in de- nen die Eier vollständig wie bei einem Weibchen schwarz pigmentiert waren und auch die Größe reifer Eier besaßen;“ auf der rechten Seite dagegen war ein normaler Hoden vorhanden. Die Ausführungsgänge waren dabei auf beiden Seiten ganz wie bei einem gewöhnlichen Männchen entwickelt, d. h. die Wolf’schen Gänge als Harnleiter, wäh- rend die Müller’schen rückgebildet waren. Bei einer Kröte aber be- fand sich am vordern Ende jedes Hodens, zwischen diesem und dem sogleich näher zu besprechenden „Bidder’schen Organ“ ein aus mehre- ren Fächern zusammengesetztes Ovarium mit ziemlich großen Eiern. Die Ausführungskanäle waren auch in diesem Falle wie bei einem Männchen entwickelt. Dies sind die beiden einzigen Zwitter, die mir vorgekommen, obwohl ich einige hundert Frösche, Kröten und Unken auf die Beschaffenheit ihres Urogenitalsystems hin zu untersuchen Ge- legenheit gehabt habe. Zwitterbildungen bei Schwanzlurchen (Uro- delen) habe ich niemals angetroffen, obgleich ich zahlreiche Salaman- der und Tritonen zerlegt und allein von Triton cristatus über 100 männliche Individuen untersucht habe. Bis in die jüngste Zeit hinein hat, soviel ich weiß, auch kein anderer Autor weitere Funde solcher Art mitgeteilt. Im Januar dieses Jahres aber haben gleichzeitig zwei englische Zoologen, A. Milnes Marshall und A. G. Bourne, Be- 2365 Spengel, Zwitterbildungen bei Amphibien. obachtungen über Zwitterbildungen bei Fröschen (Rana temporaria) veröffentlicht, über die ich im Folgenden berichten möchte, um die Aufmerksamkeit auch im Kreise der Leser dieses Blattes auf die Er- scheinung und einige damit in Verbindung stehende Fragen zu lenken. Marshall!) hat im ganzen 4 Fälle beobachtet, die sich aber unter einander sehr wesentlich unterscheiden. Das von ihm mit B bezeichnete Individuum erscheint bei makroskopischer Betrachtung als ein Männchen, insofern die Hoden zum größten Teil die normale Gestalt besitzen; aber an ihrem vordern Ende besitzt der rechte einen pigmentierten Lappen mit einer Anzahl knopfartiger Vorsprünge. Die mikroskopische Untersuchung lehrt, dass diese Vorsprünge hervorge- rufen sind durch Eier, welche an jener Stelle dieht unter der Ober- fläche liegen. Indess sind solche nicht nur an diesem Punkte, son- dern durch das ganze Organ hindurch zerstreut zwischen den Samen- schläuchen vorhanden. Die Eier gleichen in der Umschließung durch einen Follikel, der Beschaffenheit ihres Körpers und dem Besitz eines Nucleus mit sehr zahlreichen Nucleoli durchaus den gleichgroßen Eiern aus einem normalen Eierstock. Was diesen Fall aber von den von mir beobachteten wesentlich unterscheidet, ist die für ein Männchen ganz ungewöhnliche Entwickelung des Müller’schen Ganges, der nor- maler Weise nur in der Gestalt eines feinen Fadens auftritt. Bei diesem Frosche B ist es auf beiden Seiten ein Kanal von an- sehnlicher Weite, der an der Wurzel der Lungen wie der Eileiter eines Weibehens mit offenem Trichter beginnt und vor seiner Ein- mündung in die Kloake eine dem sogenannten Uterus des Weibehens ähnliche, wenn auch kurze Erweiterung besitzt. Bei einem mit D bezeichneten Individuum ist an der linken Seite ein aus 6 Lappen zusammengesetztes Ovarium vorhanden, dessen Eier eine Größe bis zu 0,3 mm erreichen. Sie verhalten sich in den Hauptzügen wie normale Eier, zeigen aber zum großen Teil Spuren von Degeneration, wie denn auch das Bindegewebe des Eierstocks pathologisch verändert erscheint. Die Geschlechtsdrüse der rechten Seite besitzt dagegen überwiegend den Charakter eines Hodens; nur an ihrem vordern Ende ist ein auf die Rückenseite übergreifender Lappen angebracht, der alle Merkmale eines richtigen Ovariums an sich trägt, abgesehen von den auch an ihm bemerkbaren pathologi- schen Veränderungen. Die Ausführungsgänge verhalten sich ganz wie bei einem Weibchen. Ein ähnliches Verhalten der Ausführungsgänge ist auch die Haupt- eigentümlichkeit, welche die Exemplare A und C auszeichnet. Bei beiden sind die Geschlechtsdrüsen ausschließlich männlich ‚bei A so- gar völlig normal, während bei © der linke Hoden ungewöhnlich groß, 1) On certain abnormal conditions of the reproduetive organs in the frog. in: Journ. Anat. Physiol. vol. 18 p. 121—144. Taf. VI-VL. Spengel, Zwitterbildungen bei Amphibien. 257 der rechte dagegen durch ein einziges, vornehmlich aus Fett gebilde- tes Körperchen vertreten ist. Die Müller’schen Gänge sind in beiden Fällen ziemlich stark gewundene Kanäle von ansehnlichem Durch- messer mit einem vordern trichterförmigen Ostium und einer hintern uterusartigen Erweiterung. Die Samenblasen sind schwächer ent- wickelt als gewöhnlich bei Männchen. Es kann also in den beiden letzten Fällen (A und C) von einer Zwitterbildung nieht eigentlich die Rede sein, sondern es liegt nur eine ungewöhnlich starke, den Verhältnissen normaler Weibehen nahe- kommende Entwickelung der beim normalen Männchen rudimentären Teile des Ausführungsapparates, der Müller’schen Gänge vor, also eine Erscheinung, für die ich ein Beispiel auch in meiner oben zitier- ten Arbeit angeführt habe. Dort habe ich (S. 95) ein Männchen der Unke (Bombinator igneus) beschrieben, bei dem der Müller’sche Gang „eine Entwiekelung erlangt, die rechts kaum gegen die eines normalen Eileiters zurücksteht, während sie links zwar etwas geringer ist, doch das gewöhnliche Maß bedeutend überschreitet“. Bourne!) beschreibt ein Exemplar von Rana temporaria, das sich in recht interessanter Weise von dem bisher betrachteten unter- scheidet. Dasselbe besitzt auf der rechten Seite ein wohlentwickeltes Ovarium, während auf der linken in den Eierstock und zwar in den vordern Teil desselben ein unregelmäßig gestalteter und von dem Ovarialgewebe nicht scharf abgesetzter Hoden eingeschaltet ist. Es überwiegen also in diesem Falle in ganz bedeutender Weise die weib- lichen Teile, noch weit mehr als bei dem Exemplar D von Marshall, und da überdies die Harnleiter ganz wie bei einem normalen Weib- chen entwickelt waren — die Müller’schen Gänge scheinen zerstört gewesen zu sein, che das Objekt dem Untersucher in die Hand kam, werden jedenfalls nicht beschrieben —, so wird man berechtigt sein, dieses Individuum als ein hermaphroditisches zu bezeichnen, in wel- chem im Gegensatz zu den meisten bisher bekannten das weibliche Element überwiegt. Ich muss dies betonen, weil Marshall (8. 142) hervorhebt, dass „alle anscheinend hermaphroditischen Zustände bei Anuren Fälle sind, in denen die männlichen Organe mehr oder min- der den weiblichen Typus angenommen haben. In keinem Falle fin- den wir eine Tendenz zur Entwiekelung männlicher Organe bei einem unzweifelhaften Weibchen.“ Einerseits scheint mir diese Behauptung nicht einmalfür die vonMarshall selbst beschriebenen Exemplare mit Sicherheit zuzutrefien, bei denen doch die Müller’schen Gänge ganz unverkennbar weiblichen Charakter tragen — während meine Be- obachtungen an Pelobates und Bufo darthun, dass bei zwitterigen Ge- schlechtsdrüsen die Ausführungsgänge recht wohl den männlichen Ty- 1) On certain abnormalities in the common frog (Rana temporaria). 1. The oecurence of an ovotestis: in Quart. Journ, mierose- Se. vol. 24 p. 83—86. Taf. IV. 235 Spengel, Zwitterbildungen bei Amphibien. pus bewahren können —; anderseits aber kann die größere Häufig- keit von männlichen Individuen mit Beimischung weiblicher Elemente nur eine scheinbare sein, eine Folge des Umstandes, dass vermöge der eiförmigen Gestalt des normalen Hodens die abweichende Bildung selbst nur eines kleinen Abschnittes sofort auffallen muss, während in dem aus stark gefalteten Lappen zusammengesetzten Ovarium gar leicht ein kleiner männlicher Abschnitt dem Auge des Beobach- ters entgehen kann. Dass Marshall’s Verallgemeinerung keine durch- schlagende Geltung hat, beweist jedenfalls der von Bourne beschrie- bene Fall. Der von dem ersten Autor gemachte Versuch aber, diese vermeintliche Thatsache durch die Annahme zu erklären, dass das weibliche Organ im ganzen einen einfacheren und primitiveren Typus darstelle als das männliche (S. 143), dürfte auch ohnedies auf schwachen Füßen stehen. Diese Auffassung Marshall’s erlangt ihre Bedeutung hauptsäch- lich bei der Beurteilung einer Erscheinung in der Anatomie der Ge- schlechtsorgane der Kröten, welche schon vor einer geraumen Reihe von Jahren zur Annahme eines konstanten Hermaphroditismus bei diesen Tieren geführt hatte. Bei unsern einheimischen und manchen exotischen Arten der Gattung Dufo wird nämlich der vordere Abschnitt der Geschlechtsdrüse bei den männlichen Individuen von einem Kör- per gebildet, der aus großen, in allen Beziehungen den jüngeren Eiern des Weibchens gleichenden Elementen zusammengesetzt ist und des- halb bereits von den älteren Autoren, vor allen Jacobson und Wit- tich, als „rudimentäres Ovarium“ gedeutet wurde. Ich habe die Be- obachtungen meiner Vorgänger über den Bau dieses Abschnittes, für den ich die Bezeichnung „Bidder’sches Organ“ vorschlug, in allen wesentlichen Punkten bestätigen können, besonders die große Eiähn- lichkeit der dasselbe aufbauenden Elemente. Zugleich aber habe ich auf einige Unterschiede hingewiesen, die vielleicht nicht von prinzi- pieller Bedeutung sein mögen, indess doch wohl nicht ganz außer acht gelassen werden dürfen. Denn der durch dieses „rudimentäre Ovarium“ hervorgerufene Hermaphroditismus der männlichen Kröten ist jedenfalls eine Erscheinung höchst eigentümlicher Art; die „Eier“ des Bidder’schen Organs sind offenbar einer Reifung absolut un- fähig; man trifft niemals ein Individuum, in dem dieselben einen ge- wissen, recht frühen Entwickelungszustand der echten Eier überschrit- ten hätten, so dass es nicht einmal zur Bildung des in den letzteren recht früh auftretenden dunkeln Pigments kommt. Und der von mir beschriebene Fall einer wirklichen Zwitterbildung bei Bufo ceinereus (s. 0.) lehrt in der schlagendsten, unzweideutigsten Weise, dass dabei das Bidder’sche Organ gänzlich unbeteiligt ist: die Zwitterbildung beruht in diesem Falle nieht auf der Fortbildung des sogenannten „rudimentären Ovariums“ über seine gewöhnliche Entwickelung hin- aus, sondern auf der Umwandlung eines normalerweise zum Hoden Spengel, Zwitterbildungen bei Amphibien. 239 gehörigen Teiles der Geschlechtsdrüse zum Ovarium, und in diesem Ovarium erlangen nun auch die Eier ihre normale Größe nebst der ihnen eignen schwarzen Pigmentierung. Im meiner bereits wieder- holt zitierten Abhandlung habe ich ferner die Beobachtung mitgeteilt (5. 98), dass sich bei den untersuchten Bufo-Arten auch am vordern Ende des Ovariums der Weibehen ein solches „Bidder’sches Organ“ findet, d. h. ein Abschnitt der Geschlechtsdrüse, welcher eiähnliche Elemente enthält, die jedoch auf niederer Entwickelungsstufe stehen bleiben und kein Pigment erhalten. Die Uebereinstimmung mit dem entsprechenden Organe der männlichen Individuen ist eine vollstän- dige, und es bestehen auch hier die gleichen Unterschiede von den normalen Teilen des Eierstocks, die ich an dem sogenannten „rudi- mentären Ovarium“ der Männchen gefunden hatte: es fehlt der weite Hohlraum, der das normale Ovarium auszeichnet; die „Bier“ liegen in einer kompakten Masse in mehreren Schichten übereinander, wäh- rend im normalen Ovarium eine einzige Schieht an der Innenwand des Eierstockfaches sich findet; das die einzelnen Eier umschließende Follikelepithel ist etwas höher, und es bildet sich, wie bereits hervor- gehoben wurde, kein Pigment aus. Diese Angaben sind durch die beiden neuesten Untersucher für das Bidder’sche Organ des Hodens bestätigt worden, abgesehen davon, dass Marshall in demselben einen ganz kleinen Hohlraum gefunden hat. Ich habe mit Rücksicht auf die mitgeteilten Thatsachen Anstand genommen, die Deutung des Bidder’schen Organs als eines rudimen- tären Ovariums anzunehmen, und es als ein Hindernis dieser Auffas- sung betrachtet, dass man gezwungen sein würde, „auch dem Weib- chen ein „rudimentäres Ovarium“ außer dem typischen Eierstock zu- zuschreiben“. Ich kann nicht leugnen, dass mir dieser Umstand auch heute noch Schwierigkeiten bereitet. Marshall und Bourne sind allerdings beide der Ansicht, dass die Existenz des Bidder’schen Or- gans beim Weibehen nicht gegen die Deutung desselben in dem oben bezeichneten Sinne sprechen könne oder wenigstens zu sprechen brauche. Man mag sagen, hier schlage in beiden Geschleehtern der vordere Abschnitt der indifferenten Geschlechtsdrüse eine weibliche Entwiekelungsrichtung ein. Gut. Aber warum entwickelt sich denn beim Weichen dieser doch dem übrigen Ovarium gleichgeartete Teil nicht weiter, sondern bleibt stehen? Warum entwickelt er sich nicht ausnahmsweise einmal in vollkommnerer Weise, wie das doch sonst bei rudimentären Organen nicht selten geschieht? Warum geschieht vielmehr die Ausbildung einer unverkennbaren Zwitterdrüse, wenn eine solche einmal auftritt, auf kosten des dahinter gelegenen stets zur funktionierenden Geschlechtsdrüse gehörigen Abschnittes? Bourne gibt auf diese Fragen gar keine Antwort. Marshall dagegen macht auch in diesem Falle einen Erklärungsversuch und weist dazu auf zwei Erscheinungen hin, erstens auf die Thatsache, dass der Körper 240 Spengel, Zwitterbildungen bei Amphibien. der Froschlurche (Anuren) eine allgemeine Tendenz zur Verkürzung zeige. Diese Thatsache steht ganz zweifellos fest, und sie mag herangezogen werden, um die Verkümmerung, die mangelhafte Ent- wiekelung des vordersten Teils der ohnehin so umfangreichen weib- lichen Geschleehtsdrüse zu erklären. Für die männliche aber würde bei ihrer geringen Größe gewiss auch ohne solches Mittel Platz genug vorhanden sein, und überdies dürfte das Bidder’sche Organ eher zu einer Verlängerung als zu einer Verkürzung derselben beitragen. Zweitens aber hebt Marshall einige Punkte aus der Entwickelungs- geschichte der Geschlechtsdrüsen der Kröte nach den Beobachtungen von Wittich hervor und leitet aus demselben eine Erklärung für die fragliche Erscheinung ab, die gewiss als recht geistreich aner- kannt zu werden verdient, wenn ihre Stichhaltigkeit auch zu bezwei- feln ist. Nach den Beobachtungen v. Wittich’s nämlich zerfallen die zwei Längsleisten, aus welchen die beiden Geschleehtsdrüsen hervor- gehen, in einen vordern und einen hintern Abschnitt; aus dem vordern bildet sich der Fettkörper, aus dem hintern der Hoden bezw. Eier- stock. Marshall glaubt nun, diese Angaben in der Ausdrucksweise der modernen Histologie so umschreiben zu können, dass „sowohl bei den Anuren als auch bei den Urodelen das vordere Ende der Ge- schlechtsdrüse in einer sehr frühen Periode, während die Drüse selbst sich noch in einem geschlechtlich indifferenten Zustande befindet, eine Rückbildung in Form einer fettigen Entartung erfährt.“ Es sei nun zunächst beiläufig bemerkt, dass für die Urodelen dieser Satz jeden- falls dahin modifiziert werden müsste, dass der Abschnitt, in welchem die angenommene fettige Entartung eintritt, nicht dem vordern Ende, sondern der medialen Hälfte der Genitalanlage entspricht. Ob es sich aber hier, bei Anuren und Urodelen, überhaupt um eine Rückbildung der Genitaldrüse handelt, muss zum mindesten als unbewiesen gelten; die Genitalfalte besteht nieht nur aus jungen Keimzellen, sondern auch aus Bindegewebszellen, und es ist recht wohl möglich, ja ich halte es so- gar für sehr wahrscheinlich, dass der zum Fettkörper werdende Ab- schnitt der Falte ausschließlich aus solehen zusammengesetzt ist. In diesem Falle würde also das Verhältnis des Fettkörpers zur Genital- drüse ein wesentlich anderes sein als Marshall annimmt; es könnte nicht die Rede davon sein, den Fettkörper als einen verkümmerten Teil der Genitaldrüse anzusehen. Damit dürften aber auch Marshall’s weitere Argumentationen zusammenstürzen, nach denen „die Bildung des Bidder’schen Organs der weiblichen Kröte betrachtet werden kann als herrührend von einer sich weiter nach hinten erstreckenden Ausdehnung der Entartungs- und Verkümmerungstendenz, welche die Verwandlung des vordersten Teils der Genitalleiste in den Fettkörper verursacht hat.“ (5. 141). Ehe die Ausdehnung dieser Tendenz angenommen wird, muss jeden- Polejaeff und Vosmaer, Untersuchungen über die Kalkschwämme. 941 falls erst ihre Existenz bewiesen werden, und das ist nicht geschehen. Und überdies bliebe es doch immer gänzlich unerklärt, warum bei den männlichen Individuen der verkümmerte Abschnitt weiblichen Cha- rakter tragen muss, wie es der Fall ist. Ueber diese Schwierigkeit soll die bereits oben erwähnte Annahme des einfacheren und primi- tiveren Typus des weiblichen Organs hinweghelfen. Der primitive Typus aber sind nicht die Eier, sondern die indifferenten Keimzellen oder Ureier, und die einfachere Form der Rückbildung wäre offenbar die Verfettung, und offenbar nicht die Fortbildung der Ureier bis zum Stadium der „Eier“ des Bidder’schen Organs. Ich kann mich nach allem auch jetzt noch nicht zu der Annahme entschließen, dass das „Bidder’sche Organ“ der Kröten ein rudimen- täres Ovarium repräsentiert. Die große, bis in die Einzelheiten des Baues zutreffende Eiähnlichkeit der Elemente desselben bleibt eine auch von mir unbestrittene Thatsache; aber ich glaube nicht, dass dieselbe einfach mit der Annahme der obigen Deutung zu erklären ist. Vielmehr macht die Existenz des gleichen Organs in beiden Ge- schlechtern und namentlich bei den jüngeren Individuen derselben es mir auch gegenwärtig noch höchst wahrscheinlich, dass dies Organ eine Rolle in den Leistungen der Geschlechtsdrüsen spielt, etwa in irgend einer Beziehung steht zur Bildung des Materials, von dem die Entwickelung neuer Ureier ausgeht, im weiblichen wie im männlichen Geschlechte (wie ich für Bourne hinzufüge, der fragt, wie denn das Auftreten beim Weibchen erklärt werden solle). Leider ist es mir nicht möglich gewesen, die vor Jahren abgebrochenen Untersuchungen über die Entwickelung des Urogenitalsystems der Amphibien wieder aufzunehmen, und ich bin zur Zeit nicht einmal im stande, meine zahlreichen Präparate von jungen Genitaldrüsen der Kröten zu einer präziseren Beantwortung der im obigen erörterten Fragen heranzu- ziehen. Mögen andere sich diesem gewiss nicht undankbaren Felde zuwenden und sich an der Lösung der zahlreichen interessanten Pro- bleme versuchen, die dort noch liegen. J. W. Spengel (Bremen). Polejaeff, N., Report on the Calcarea dredged by H. M. S. Challenger during the years 1873—76. Vosmaer, G.C. J., Porifera in Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreichs. Lief. 3, 4 und 5. Die Ansichten über den Bau, besonders über das Kanalsystem der Kalkschwämme haben sich infolge der oben genannten Arbeiten wesentlich geändert. Die Resultate der beiden Autoren stimmen prin- 16 242 Polejaeff und Vosmaer, Untersuchungen über die Kalkschwämme, zipiell so sehr miteinander überein, dass die Arbeiten, soweit es Kalk- schwämme betrifft, zweckmäßig zusammen besprochen werden können. In meiner Arbeit über Leucandra aspera H. habe ich schon ein paar Beweise dafür geliefert, dass Haeckel’s Ansichten über das Kanalsystem nicht ganz richtig sind. Bei der Behandlung des be- treffenden Abschnittes in Bronn’s Klassen und Ordnungen habe ich weitere Gründe hierfür angeführt und meine eignen Ansichten wie- dergegeben. Ungefähr gleichzeitig ist nun auch Pole&ejaeff’s Studie über die Challenger-Kalkschwämme erschienen, worin schlagend dargethan wird, dass Haeckel’s System fallen muss. Zahlreiche Vermutungen, welche ich ausgesprochen habe, sind von Polejaeff als richtig erkannt worden. Wenige Arbeiten könnten mir daher an- genehmer sein, als die seinige, um so mehr als wir unabhängig von einander zu demselben Schluss gelangt sind. Bekamntlich teilt Haeckel die Kalkschwämme in drei Familien: Ascones, Leucones, Sycones ein. Diese Einteilung beruht auf Differenzen im Kanalsystem. Da aber die Unterschiede zwischen den Asconen auf der einen und den beiden anderen Gruppen auf der andern Seite wichtiger sind, als die zwischen den drei Gruppen unter sich, so kennt Pol&jaeff jetztnurnoch zwei Ordnungen: Homocoela = Hae- ckel’s Asconen, und Heterocoela = Haeckel’s Syeonen und Leu- conen und Carter’s Teichonellidae. Viel schärfer, als ich es thun konnte (einmal, weil ich nur ungenügendes Material zur Hand hatte, dann aber auch, weil ich hierin P. nicht vorgreifen wollte) hat Po- lejaeff die nahe Verwandtschaft von Haeckel’s Syconen und Leu- conen festgestellt. Die Homocoela sind Kalkschwämme ohne besondere Geißelkam- mern, vielmehr ist bei ihnen die ganze innere Höhle mit „Kragen- epithel“ (Vosm.) ausgekleidet. Die Heterocoela besitzen mit Kragenzellen ausgekleidete Geißel- kammern, dagegen ist der Rest des Kanalsystems mit Plattenepithel bedeckt. Bei der Familie der Syconiden sind die langen, zylindri- schen Geißelkammern („Radialtuben“, Haeckel) radiär um die zen- trale Höhlung gelagert, in welche sie ausmünden. Durch die Ar- beiten von Schulze, Barrois und mir selbst war bereits bewiesen, dass die Haeckel’schen Radialtuben durchaus nicht die Homologa der Asconen-Personen, sondern einfach eigentümliche Geißelkammern seien. Pol&jaeff schließt sich dieser Ansicht an und bringt neue Beweise für sie vor, da er alle gewünschten Uebergänge gefunden hat. Während ich aber nicht von einer sogenannten kompletten Ho- mologie zwischen Geißelkammern und Radialtuben sprechen wollte, thut dies Pol&jaeff wohl. Dagegen benutzt er noch die Haeckel’sche Terminologie der Interkanäle. Da aber, wie ich l. ec. glaube bewiesen zu haben, von Interkanälen, wie sie Haeckel bei den Asconen be- schrieben hat, nur bei Kolonien die Rede sein kann, so darf man bei Pol&jaeff und Vosmaer, Untersuchungen über die Kalkschwämme. 245 den einfachen Syconidae davon nicht reden. Auf der andern Seite ist es klar, dass Polejaeff das „Interkanalsystem“ der Syeonen ebenso auffasst wie ich und es sich hier also nur um einen Wortstreit handelt. Bekanntlich entstehen die Geißelkammern bei den Syconiden in der Weise, dass das innere Epithel anfangs wellenförmig gebogen ist, sich darauf tiefer und tiefer in das Mesoderm hineindrängt und so sackförmige Ausstülpungen der innern Höhle bildet. Ich habe früher gemeint, dass ein günstiges Moment darin läge, dass die Oberfläche der eilientragenden Zellen sich vergrößerte, bin aber jetzt davon über- zeugt, dass Pol&jaeff mit Recht mir den Vorwurf macht, meine Logik habe zu wünschen übrig gelassen. Auch ich glaube jetzt, dass zunächst eine Mesodermverdiekung stattgefunden hat und erst hier- durch ein verändertes Kanalsystem notwendig geworden ist. Nur ganz dünnwandige Schwämme können mit einem Kanalsystem aus- reichen, wie es bei den Asconidae vorkommt. Und da das Mesoderm bei Schwämmen eine sehr wichtige Rolle spielt — das frühe Auf- treten im Embryo, und die Thatsache, dass es Skelet und Geschlechts- produkte liefert, sprechen dafür — so kann zunächst in der stärkern Entwiekelung desselben ein Vorteil für den Schwamm gelegen haben. Dieser konnte aber nur dann zur Geltung kommen, wenn das Kanal- system sich entsprechend entfaltete. Pol&ejaeff nimmt an, die Zellen, welche für die Nahrung Sorge zu tragen haben, seien hauptsächlich Plattenepithelzellen, einerlei ob ekto- oder entodermalen Ursprunges. Das laterale Wachstum des Olynthus muss natürlich eine Grenze ha- ben; wird er zu dick, so können die äußeren Plattenepithelzellen nicht genug Nahrung herbeiführen. Und nun glaubt P. die That- sache, dass bei den Syconidae nur ein Teil des entodermalen Epithels Cilien trägt, durch die oben erwähnte Annahme erklären zu können, wonach der Schwamm mehr Vorteil von Plattenepithelzellen hat. Dass die letzteren überhaupt Nahrung aufnehmen können, scheint beson- ders nach von Lendenfeld’s schönen Untersuchungen wohl sicher. Man darf aber nicht vergessen, dass Pol&ejaeff weiter geht als er, freilich auch selbst zugibt, dass seine Annahme nicht bewiesen ist, sei sie auch noch so wahrscheimlich. Wir können also vorläufig mit Polejaeff es als ziemlich sicher annehmen, dass die Aseonen und Syconen aus dem Olynthus entstanden, und zwar zwei verschiedene Modifikationen davon vorstellen, deren Hauptunterschied in der un- gleichen Entwickelung des Mesoderms liegt, was bei den Syconen zu einer Differenzierung des Entoderms in Kragenepithel und Platten- epithel geführt hat. Obwohl ich mich über die Abstammung der Leuconen von den Syconen nicht scharf ausgesprochen habe, so habe ich doch ebenso- wenig behauptet, beide seien „divergierende Zweige des genea- logischen Baumes“, wie Pol&ejaeff meint. Ich war von der Ab- stammung der Leuconen von den Syconen zwar überzeugt, konnte 16.7 244 Brnns, Blutgefäßsystem der Netzhaut. aber aus Mangel an genügenden Beweisen nur ganz allgemein sagen, dass ein Sycon „als Leucon abändern kann“ !). Jetzt hat Pol&jaeff in der überzeugendsten Weise gezeigt, dass die Leuconen wirklich von den Syeonen abstammen. Er hat bewiesen, dass aus Syconen mit gegliederten Radialtuben solche mit ungegliederten hervorge- sangen sein müssen; dass bei Amphorıscus elongatus Pol. dann und wann mehrere Geißelkammern, statt jede für sich direkt mit der innern sogenannten Gastralhöhle in Verbindung zu treten, gemein- schaftlich in eine Ausstülpung derselben einmünden, was zu meinen Angaben (Bronn’s Klassen und Ordnungen S. 137, 138) vollkommen stimmt; dass bei Leucilla connexiva Pol. und L. uter Pol. Einstül- pungen zweiter Ordnung vorkommen, um welche im Kreise lange Geißelkammern gelagert sind. Dies alles sind ebensoviele Beweise für die enge Verwandtschaft der beiden Gruppen. Sycon und Leueosolenia stammen beide von der Olynthus -Form. Während wir aber bis jetzt in der einen Richtung noch keine weitere Differenzierung kennen, als Leucosolenia — Pol&jaeff hat nämlich alle Haeckel’schen Asconen-Genera zu dem Genus L. verschmolzen — so haben sich aus dem Sycon-Stamm alle weiteren Kalkschwämme entwickelt. Das ganze System Haeckel’s ist also mit dem Er- scheinen speziell von Pol&jaeff’s sehöner Arbeit gefallen und durch ein natürlicheres ersetzt worden. @&. C. J. Vosmaer (Neapel). L. Bruns, Vergleichend-anatomische Untersuchungen über das Blutgefäßsystem der Netzhaut. Zeitschr. f. vergl. Augenheilkunde, Bd. II. 1882. — Dissertation, Miinchen. 1882. 26 S. u. 5 Quarttaf. Mit Karminleim wurden die Netzhautgefäße beim Pferde, Kalbe, Schafe, Schweine, Hunde, der Katze, dem Kaninchen, Meerschweinchen und der Ratte gefüllt. Die zahlreiehen Abbildungen geben nicht nur das Verhalten auf mikroskopischen Querschnitten wieder, sondern auch Flächenansichten vom Augenhintergrunde, woraus die Art der Gefäßverteilung von der Papilla n. optici aus erhellt. Die Netzhäute des Pferdes, Kaninehens und Meerschweinchens haben bekanntlich die Eigentümlichkeit, dass nur ein Teil der Retina Blutgefäße führt. Beim Meerschweinchen finden sich nicht nur auf der Papille einige Capillargefäßschlingen, sondern dieselben er- strecken sich etwa 0,13 mm in die Retina hinein, sind sehr fein, nur 0,003 mm im Durchmesser. — Beim Kaninchen verbreiten sich die Gefäße besonders nasal- und temporalwärts vom Rande der Sehner- 4) Vosmaer, Ueber Leucandra aspera H. In: Tijdschr. N. D. Ver. Bd, W, S. 160. Bruns, Blutgefäßsystem der Netzhaut. 24) venpapille, eirca 4 mm weit. Nach oben und unten dagegen reichen die Aa. und Vv. superior resp. inferior nur 1,4 mm weit in die Netzhaut hinein. Die Capillaren endigen teils schlingenförmig, teils ist ein Capillargefäßnetz vorhanden, dessen Maschen ziemlich regelmäßig vierseitig, 0,023—0,05 mm weit sind. Die größten Gefäße befinden sich glaskörperwärts von der Membrana limitans (interna), die übrigen sämtlich in der Nervenfaserschicht und zwar die Capillar- schlingen in der ganzen Dicke verbreitet, die Maschennetze nur im Innern der genannten Schicht. — Beim Pferde hat die blutgefäß- haltige Partie die Form eines queren Ovales, ist jedoch etwas nieren- förmig eingekerbt, mit nach unten konkavem Rande. Capillarnetze finden sich nur auf der Sehnervenpapille, sonst gehen sämtliche Ar- terien, auch ihre feinsten Aeste, durch eng gewundene Schleifen in die Venen über. Im peripherischen Teile jenes nierenförmigen Ovales kommen häufig Tförmige Schlingen, wie sie der Verf. zu nennen em- pfiehlt, vor. Die Gefäße verzweigen sich nur in der Nervenfaserschicht. Im Gegensatz zu den bisher erwähnten, teilweise anangischen Netzhäuten stimmen die Wiederkäuer (Kalb und Schaf) mit dem Schwein in der mehr gleichmäßigen Blutgefäßverteilung überein. Beim Kalbe sind drei Hauptarterien nebst Venen vorhanden: die Aa. retinalis superior, inferior nasalis und inferior temporalis. Mitunter ist noch ein nach oben sich erstreckender kleinerer Ast vorhanden, den Verf. im Gegensatz zu Langenbacher nicht als Regel, sondern nur als eine häufige Varietät anzusprechen geneigt ist. Die A. hyaloidea wurde mitunter in ihrem Anfangsteil blut- führend gefunden. Das Capillarnetz ist ziemlich engmaschig, eininneres, der Membrana limitans (interna) näher gelegenes ist nicht so engmaschig und weniger dicht angeordnet wie das äußere, welches bis zur Mem- brana fenestrata (äußeren retikulären Schicht) hinanreicht. Ersteres hat einen mehr arteriellen, letzteres einen venösen Charakter. Ueber die Hauptstämme ist noch zu bemerken, dass sie in der Nervenfaser- schicht und zwar dicht an der Membrana limitans anliegen. Nach verschieden langem Verlauf und verschieden reichlicher Verästelung gehen sie in arterielle Capillaren über. Die letzteren bilden in der Nervenfaserschicht ein Capillarnetz von 3—4 Arkaden, das bis dicht an die Ganglienzellenschicht reicht. Das arterielle Capillarsystem steht durch Capillaren, welche die granulierte Schicht durchsetzen und (auf der Flächenansicht) sich schleifenförmig in die Tiefe biegen, mit dem äußern, an der (inneren) Körnerschicht gelegenen, venösen Ca- pillarnetz in Verbindung, welches letztere sich in 2 Arkaden an bei- den Seiten dieser Körnerschicht verzweigt. Aus diesem wiederum sammeln sich einige Stämme, welche bogenförmig umbiegen, um wie- der durch die granulierte Schicht zur Ganglienzellenschicht zurückzu- kehren, wo sie sich in größere Sammelvenen ergießen. Von hier aus gelangt das venöse Blut durch mittelstarke Venen, welche die Ner- 246 Bruns, Blutgefäßsystem der Netzhaut. venfaserschicht durchsetzen, in die Endausläufer der Venen zweiter Ordnung, die gleich den entsprechenden arteriellen Gefäßen an der Membrana limitans gelegen sind. Diese streben nun, je nach ihrer mehr centralen oder mehr peripherischen Lage, entweder direkt dem Centrum zu in eine Hauptvene, oder sie wenden sich zunächst nach der Peripherie, gehen in einen Venenbogen über, umkreisen so einen größern oder kleinern Teil dieser Peripherie und sammeln sich schließlich alle in die drei bis vier Hauptvenen, um zur Papilla n. optiei zurückzukehren. Den stärksten und zugleich längsten Bogen an der Ora serrata bildet die V. inferior nasalis. Ein eigentlicher Cireulus venosus anterior ist nicht vorhanden, vielmehr sind we- nigstens manchmal in diesem Gefäßkranze ziemlich große Lücken vorhanden. Das Schaf zeichnet sich nach dem Verf. zunächst dadurch aus, dass man an einzelnen Stellen direkte Uebergänge von Arterien in Venen beobachtet, die den übrigen untersuchten Säugern fehlen und die übrigens der Abbildung zufolge nur Gefäße von sehr geringem Kaliber betreffen. Die Aa. und Vn. superior und inferior sind be- trächtlich stärker entwickelt als die Aa. und Vn. nasalis und tem- poralis. Die Capillarmaschen sind viel weiter als beim Kalbe: 0,55 —0,12 mm, teilweise mehr dreieckig, sonst von polygonaler Form. — Die Retina des Menschen schließt sich am nächsten derjenigen des Schafes an. Beim Schweine sind vier Hauptarterien und meistens 3—4 Venen vorhanden. Das innere Capillarnetz liegt nicht in der Nervenfaser- schicht, sondern hauptsächlich in der granulierten Schieht; das Gefäß- netz macht daher von der Fläche gesehen mehr einen einschiehtigen Eindruck. Die meisten Arterien werden erst in der granulierten Schicht capillär und die Venen beginnen häufig schon in der (inneren) Kör- nerschicht. Der Hund besitzt drei, oft auch vier größere Arterien nebst Venen, außerdem eine geringere oder größere Anzahl feinerer Aeste. Die Venen bilden manchmal einen Ring um die Papille.. Das Ca- pillarnetz ist wiederum doppelt; die Capillaren des äußern Netzes reichen bis unmittelbar an die Stäbchen- und Zapfenkörnerschicht. Der Katze fehlt jener Venenbogen um die Papille.. Temporal- wärts von letzterer liegt eine ziemlich gefäßlose, nach Ganser der menschlichen Macula lutea entsprechende Stelle. Zum Rande der- selben ziehen drei kleine Arterien und ebenso viele Venen horizontal temporalwärts von der Sehnervenpapille aus. Auch von Aesten der Aa. und Va. temporalis superior und inferior wird dieselbe freigelassen. Die Ratte hat fünf große arterielle Stämmehen und ebenso viele Venen. An der Ora serrata sind die venösen Bogen sehr unvoll- ständig. Die Capillarverbreitung in den einzelnen Netzhautschielhten gleicht derjenigen vom Kalbe und Schafe. Rosenthal, Ueber Reflexe. 247 Als Resultate der Vergleichung ergibt sich, dass die Gefäßver- zweigung bei den untersuchten Tieren zwar nach allen Seiten der Retina sich erstreckt, beim Kaninchen aber die oberen und unteren Hauptäste nur sehr schwach entwickelt sind. Bei den Wiederkäuern, sowie beim Schweine überwiegen wegen der tiefern Insertion des Sehnerven am Bulbus die oberen Blutgefäße über diejenigen, welche nach unten ziehen. Bei der Ratte sind alle Hauptgefäße ziemlich gleich stark, ebenso die beträchtlichsten Aeste der A. centralis retinae beim Pferde und Kaninchen. Ein geschlossener venöser Ringsinus an der Ora serrata ist niemals vorhanden; selten ist eine Arterie das am meisten nach vorn gelegene Gefäß. Auf der Papilla n. optiei ist nur beim Hunde ein Venenbogen vorhanden. Die Capillargefäßnetze sind am engmaschigsten beim Kalbe, dann folgen Hund, Schwein, Katze, Mensch, Ratte, Schaf. Beim Pferd und Meerschweinchen geschieht der Uebergang von Arterien in Venen nur durch Capillarschlingen, beim Kaninchen teils durch Schlingen, teils durch Capillarnetze; nur beim Schafe scheint ein direkter Uebergang vorzukommen. Beim Schwein sind Capillarnetze auch in der granulierten Schicht vorhanden. Die Hauptstämme liegen bei fast allen Tieren dicht an der Membrana limitans, beim Menschen dagegen dicht an, bei der Katze beinahe in der Ganglienzellenschicht. In der letztern verbreiten sich bei fast allen Tieren stärkere venöse Gefäße; wo sie in derselben fehlen, wie beim Schwein, existieren sie datür in der (innern) Körnerschicht. In physiologischer Hinsicht ist es klar, dass die Ernährung der Epithelialschicht der Retina (Stäbehen, Zapfen, Stäbehen- und Zapfenkörnerschicht) wie diejenige des Pigmentepithels der Retina hauptsächlich von der Choriocapillaris aus erfolgen muss. Für die anangischen Netzhäute, namentlich für das Meerschweinchen würde dieser Ernährungsmodus, durch Osmose, sich über die gesamte Re- tina ausdehnen, resp. würden, soweit die Blutgefäße reichen, dieselben die Ernährung der inneren Partien der Retina zu übernehmen haben. W. Krause (Göttingen). Ueber Reflexe. Von J. Rosenthal). Was mich veranlasst hat, meine Aufmerksamkeit der Untersuchung der Reflexe zuzuwenden, war zunächst der allerdings ja naheliegende Gedanke, etwas genaueres über die Vorgänge in den Zentralorganen zu erfahren, obgleich ich mir sagen musste, dass nur wenig Aussicht vorhanden sei, wirklich zu einer Erforschung der Mechanik dieser Vorgänge zu gelangen mit denjenigen Methoden, welche der Physio- 1) Nach einem im Kongress für innere Medizin zu Berlin gehaltenen Vortrag. J48 Rosenthal, Ueber Reflexe. logie heute zu gebote stehen. Ist es schon schwer, über die gewöhn- lichen Reizvorgänge in den peripherischen Nervenfasern mehr als das ganz allgemeinste zu erkennen, so häufen sich die Schwierigkeiten natürlich, wenn es sich um die nervösen Zentralorgane handelt. Un- ter den Vorgängen aber, welche wir gezwungen sind, an das Vorhan- densein der Zellelemente zu knüpfen, ist jedenfalls der Reflexvorgang einer der einfachsten. Man kann von einem gewissen Standpunkte aus allerdings selbst sehr komplizierte Vorgänge, welche in dem Ner- vensystem ablaufen, auf diesen allgemeinen Schematismus der Reflexe zurückführen, und es mag ja wohl hier und da einen Physiologen geben, der auch alle psychischen Vorgänge als solche nur etwas kompliziertere Reflexe auffasst. Jedenfalls ist es sicher, dass vieles von dem, was wir mühsam willkürlich zu verrichten suchen, später ohne Mitwirkung des Willens vor sich geht und dann den eigentlichen Reflexvorgängen ziemlich nahe kommt, und so ist es gewiss berech- tigt, wenn ein englischer Physiologe den Ausspruch gethan hat, dass die Erziehung weiter keinen Zweck habe, als alle guten Reflexe zu entwickeln und alle schlechten zu unterdrücken. In diesem Sinne aber will ich den Begriff des Reflexes hier nicht auffassen, sondern ich will nur von den einfachsten Fällen sprechen, die auf das Schema zurückzuführen sind, dass irgend ein sensibler Reiz irgend eine Be- wegung im Muskelapparat zur Folge hat. Sie wissen, dass ein sol- cher Reflex nur zu stande kommt, wenn die sensible Bahn, auf wel- che zunächt der Reiz wirkt, mit der motorischen Bahn, in welcher nachher der Bewegungsvorgang auftritt, durch einen Teil des Zen- tralnervensystems in Verbindung steht. Und wenn wir von den höheren Teilen des Zentralnervensystems absehen, so können wir sagen, dass das Rückenmark so zu sagen der klassische Boden ist, auf welchem sich die Reflexvorgänge abspielen, und dass selbst ein kleines Stück- chen Rückenmark ausreicht, um diese Vorgänge zu vermitteln. Ich habe zu meinen Untersuchungen in der Regel die niederen Wirbeltiere, besonders Frösche benutzt, weil wir an diesen die nervösen Vorgänge unabhängig von schädigenden Einflüssen, welche bei höheren Tieren die Beobachtung erschweren, untersuchen können. Ich habe jedoch auch an Säugetieren die Thatsachen verglichen, und ich glaube, dass im wesentlichen die Grundeigenschaften des Zentralnervensystems der Wirbeltiere soweit übereinstimmen, als es für die Beobachtungen der Reflexe wichtig ist. Der Ausgangspunkt meiner Untersuchung war eine kurze Mitteilung, welche Helmholtz im Jahre 1854 ge- macht hat, und welche mit wenigen Worten besagt, dass, wenn man die Zeit untersucht, welche zwischen dem Augenblick der Reizung und dem Eintritt der Bewegung auf reflektorischem Wege stattfindet, dieselbe 10—12 mal größer sei als die Zeit, welche zur Fortleitung in peripherischen Nerven von ungefähr gleieher Länge erforderlich sein würde. Es ist dabei vorausgesetzt, dass die Fortpflanzungsge- Rosenthal, Ueber Reflexe. 249 schwindigkeit in den motorischen und sensibeln Nerven ungefähr die gleiche Zeit braucht, wie es ja auch nach den Versuchen von Helm- holtz u. a. der Fall ist. Helmholtz hat diese Fortpflanzungsge- schwindigkeit auf grund früherer Untersuchungen zu ungefähr 24 Metern in der Sekunde angenommen; ich muss jedoch bemerken, dass diese Zahl keinen wirklich empirischen Wert darstellt, mit dem man sicher rechnen kann. Die Untersuchungen von Helmholtz sind natürlich an Nerven angestellt, die nur eine geringe Länge hatten, und unter der Voraussetzung, dass die Zeit, welche verstreicht, bis die Erregung solche Strecken zwischen zwei reizbaren Stellen zurück- legt, benntzt werden könne, um zu berechnen, wie lange es dauern würde, bis die Erregung einen Meter zurücklegt, oder wie viele Meter die Erregung würde zurücklegen können, wenn sie eine volle Sekunde sich in dieser Weise fortpflanzte. Das setzt aber voraus, dass die Fortpflanzung mit konstanter Geschwindigkeit vorgehe, und das ist dureh nichts bewiesen; ja es sind Thatsachen bekannt, und ich selbst habe ähnliche aufgefunden, welche dafür sprechen, dass die Geschwin- digkeit, mit der sich die Erregung in den Nerven fortpflanzt, fort- während sich ändert, und ich glaube daher, dass jene Zahlenangabe nichts weiter als eine obere Grenze bedeutet, dass wir dagegen für längere Nerven wahrscheimlich geringere Geschwindigkeiten finden würden. Aber selbst wenn man diese Korrektur anbringt, so bleibt dennoch die von Helmholtz beobachtete Thatsache richtig; es wird der Erregungsvorgang, während er durch das Rückenmark von der sensibeln Faser zur motorischen gelangt, auffallend verzögert. Das kann nur seinen Grund in einer besondern Beschaffenheit der nervö- sen Zellenelemente haben, wodurch sie sich von den faserigen Ele- menten unterscheiden, und ich möchte diesen Unterschied kurz so ausdrücken, ohne damit etwas genaueres über die Natur der Erre- gungsvorgänge in den Nervenzellen aussagen zu wollen, dass ich sage, es bestehe in dem nervösen Zentralorgane für die Fortpflanzung der Erregung ein viel größeres Hindernis als in den sensibeln oder mo- torischen peripherischen Bahnen. Von jener Beobachtung Helmholtz’s ausgehend, habe ich die Thatsachen weiter verfolgt und gefunden, dass die Zeit, welche verstreicht von dem Moment der sensibeln Rei- zung bis zum Beginn der Muskelzuekung, außerordentlich wechseln kann. Wir wollen diese Zeit fortan die Reflexzeit nennen. Meine Versuche lehren nun, dass die Reflexzeit sehr verschieden ausfällt, und zwar, dass sie wechselt je nach der Stärke der Reizung und je nach dem Ort, an welchem gereizt wird. Was die Stärke der Rei- zung anlangt, so hat die Reflexbewegung etwas eigentümliches, wel- ches sie wesentlich unterscheidet von denjenigen Zuckungen, die wir durch direkte Erregung der Muskeln oder motorischen Nerven herbei- führen können. Wenn ich einen motorischen Nerv elektrisch reize, so kann ich einen minimalen Reiz finden, welcher eine minimale Mus- 350 Rosenthal, Ueber Reflexe. kelzuckung herbeiführt; wenn ich den Reiz verstärke, wächst nach und nach die Muskelzuckung, bis sie ein Maximum erreicht. Wenn ich dagegen durch Reizung einer sensibeln Partie einen Reflex erzeu- gen will, bedarf es dazu einer verhältnismäßig starken Reizung; so- bald aber der Reiz überhaupt im stande ist einen Reflex hervorzu- bringen, ist dieses schon gleich eine ziemlich starke Muskelzuckung, und wenn ich jetzt den sensibeln Reiz verstärke, so verstärkt sich nicht die Muskelzuekung, sondern statt dessen wird nur die Reflexzeit kleiner. Ich habe einen solchen Reiz, welcher eben ausreicht, um einen Reflex hervorzubringen, mit dem Namen des ausreichenden Reizes belegt und kann den Satz aufstellen, dass, wenn wir den Re- flex messen bei ausreichender Reizung und dann bei stärkerer Rei- zung, die Reflexzeit immer kleiner wird; wenn wir die Reizstärke mehr und mehr anwachsen lassen, dann wird zuletzt die Reflexzeit so klein, dass von dem ursprünglichen Helmholtz’schen Phänomen absolut nichts mehr übrig bleibt, sondern dass, wenn wir die Zeit ausrechnen, die der Reiz braucht, um von der Reizstelle zum Rückenmark und vom Rückenmark zu den Muskeln zu gelangen, die Summe dieser beiden Zeiten ungefähr gleich ist der, die wir gemessen haben. In diesem Falle können wir uns vorstellen, dass die Zeit der Uebertra- gung des Reflexes von der sensibeln Bahn auf die motorische sehr klein war. Wir müssen aber annehmen, dass bei schwächeren Reizungen die Leitungszeit innerhalb der sensibeln und motorischen Bahnen die- selbe war. Denn, wie ich mich noch durch besondere Versuche über- zeugt habe, ist in der That für ausreichende und übermaximale Reize die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung innerhalb der peri- pherischen Nerven von der Reizstärke unabhängig; folglich sehen wir also, dass die Länge der Zeit, welche wir in früheren Versuchen gefunden haben, allein im Rückenmark ihren Grund hatte, also nur in dem Mittelgliede zwischen sensibeln und motorischen Fasern, in dieser kurzen Brücke des Zentralorgans die lange Verzögerung Platz gegriffen hat. Um diese Untersuchungen zu machen, kann man ent- weder gewöhnlichen Tieren, den Fröschen oder Säugetieren, das Groß- hirn fortnehmen, um von willkürlichen Bewegungen ungestört zu blei- ben, oder man kann auch die Tiere mit Strychnin vergiften. Wenn Sie einen Frosch, dem Sie das Großhirn fortgenommen haben, und der mehrere Stunden nach der Operation untersucht wird, so auf- hängen, dass die Beine nach abwärts hängen, und irgend einen Reiz auf seine Pfote ausüben, so wird selbst bei verhältnismäßig schwachem Reiz immer ein Reflex erfolgen, welcher darin besteht, dass der Frosch das Bein der gereizten Seite anhebt, und dabei werden die Beugemus- keln kontrahiert, während die Streekmuskeln keine Reflexbewegung zeigen. Wir wollen diese Art des Reflexes Beugereflex nennen. Ganz anders, wenn der Frosch mit Stryehnin vergiftet ist; dann be- kommen wir bei schwachen Reizungen starke Kontraktionen sämtli- Rosenthal, Ueber Reflexe. 951 cher Muskeln des Beines, und da die Streekmuskeln stärker sind, wird das Bein krampfhaft gestreckt. Es fragt sich nun, worauf be- ruht es, dass der Beugereflex bei Strychninvergiftung in den Streck- reflex übergeht? Nimmt man statt der gewöhnlichen Dosen viel kleinere, geht hinunter bis zu einem Decimilligramm oder Centimilli- gramm oder noch weniger und wartet genügend lange Zeit, so sieht man, dass so kleine Dosen nicht im stande sind, den Beugereflex in den Streckreflex überzuführen, dass sie aber dennoch einen Einfluss auf das Rückenmark ausüben, indem ein etwas schwächerer Reiz schon ausreicht, um den Reflex zu bewirken, und indem die Reflexe prompter und sicherer auftreten. Wenn der Reflex auftritt, tritt er gleich mit voller Energie auf; sowie man aber über jene außerordent- lich kleinen Dosen steigt, dann tritt sehr bald der Uebergang zum Streckreflex ein. Der Unterschied ist der, dass bei dem Beugereflex zunächst gewisse Bahnen allein reflektorisch angeregt werden, dagegen bei den Streckreflexen alle Bahnen gleichzeitig und dass nun die Streeckmuskeln stärker wirken und die Stellung des Gliedes bedingen. Wir können uns die Sache ungefäh, in der Weise denken, dass die sensibeln Bahnen, welche gereizt werden, mit verschiedenen motori- schen Bahnen in Wechselwirkung stehen in der Weise, dass die Mög- lichkeit vorliegt, dass der Reiz auf alle diese motorischen Bahnen übergeht, aber einzelne leichter reflektorisch angeregt werden als an- dere. Dann muss die Wirkung des Strychnins darauf beruhen, dass es die Reflexerregung überhaupt erleichtert und macht, dass nicht bloß die Bahn 1, sondern gleichzeitig alle Nervenbahnen in Miterre- gung geraten. Wenn nun auf diese Weise die Ausbreitung der Re- flexe studiert wird, welche bei Reizung einer bestimmten Stelle, z. B. der Pfote eines Frosches, eintritt, so bekommen wir ein Gesetz über die Ausbreitung, welches im allgemeinen übereinstimmt mit denjenigen, welche früher Pflüger aus pathologischen Beobachtungen abgeleitet hat. Nehmen wir z. B. an, die gereizte Stelle sei die rechte Pfote eines Frosches, so würde bei gewisser Reizung zunächst die Erregung nur übergehen auf die Beugemuskeln des rechten Beines; wird die Reizung stärker, so geht sie über auf die Beugemuskeln des rechten Vorderarms; ist sie noch stärker, so geht sie auch über auf die Beuge- muskeln des linken Vorderarms, und wenn sie noch stärker gegriffen wird, geht sie auch über auf die Beugemuskeln des linken Beines. Sobald aber Streckreflexe auftreten, kann man von einer Abstufung nicht mehr reden, sondern es geraten dann sämtliche 4 Extremitäten fast gleichzeitig und scheinbar gleich stark in Thätigkeit, und wenn wir die Strychninisierung weiter treiben, so kommen nicht bloß die Extremitäten, sondern auch die Rumpfmuskeln in Mitwirkung. Nun fragt es sich, wenn jede dieser sensibeln Bahnen mit jeder der mo- torischen Bahnen in Verbindung steht, und dennoch Unterschiede exi- stieren, so dass die Reflexe leichter auf eine als die andere Bahn 359 Rosenthal, Ueber Reflexe. wün übergehen, in welcher Weise hängt das zusammen? Es kann unmög- lich so sein, dass alle diese motorischen Bahnen von einem Punkt ausgehen und dass in eine Ganglienzelle alle sensibeln Fasern ein- münden. Das widerspricht den Anschauungen, welche wir über das Zentralnervensystem haben und über die darin enthaltenen Zellen und den Ursprung der Nervenfasern. Wir müssen vielmehr annehmen, dass diese sensible Nervenbahn in irgend einer Weise mit den einzel- nen zelligen Gebilden zusammenhängt, aus denen entweder eine oder vielleicht auch einmal zwei motorische Nervenfasern entspringen. Die Anatomie des Rückenmarks ist leider noch nicht weit genug vorge- schritten, als dass wir wissen könnten, in welcher Weise dieser Zu- sammenhang zu stande kommt. Es scheimt, als wenn die sensible Faser zunächst in ein Netzwerk eintritt und mit Hilfe desselben zu- sammenhängt mit den Zellen, und man kann nun denken, dass dieser Zusammenhang ein innigerer ist mit der ersten Zelle und dass erst auf Umwegen die Erregung zur zweiten, dritten, vierten u. s. w. Zelle gelangt. Ich habe oben gesagt, dass die Reflexzeit auch von dem Ort des Reizes abhänge. In der That, wenn man abwechselnd einen Ort reizt, welcher dem Rückenmark sehr nahe ist (z. B. an der Hüfte) und einen entferntern (z. B. an der Pfote), so bedarf man dazu im erstern Falle eines schwächern Reizes und außerdem fällt die Reflex- zeit kürzer aus und wird auch bei Steigerung der Reizstärke über den ausreichenden Wert in höherem Grade verkürzt, als dies bei der Pfotenreizung der Fall ist. Es ist dies einer der vielen Gründe, welche mich zu der Annahme führen, dass auch in den peripheri- schen Nerven ein Widerstand der Leitung existiere, eine Frage, auf welehe ich jedoch hier nieht weiter eingehen kann. Wir wenden uns jetzt zu der Frage, ob im bezug auf die Ent- stehung der Reflexe die einzelnen Teile des Rückenmarks gleichartig sind. Man sollte annehmen, dass die kürzeste Verbindung von der sensibeln Faser, die wir reizen, zu einer motorischen Faser, die in der Nähe herauskommt, durch denjenigen Teil des Rückenmarks geht, welcher im Niveau dieser Fasern liegt, und dass, wenn der Reiz übergeht auf die entgegengesetzte Seite, der Uebergang ebenfalls in diesem Niveau stattfmde. Es ist das scheinbar so selbstverständlich, dass ich sehr erstaunt war, wie ich durch meine Untersuchungen zu ganz anderen Ueberzeugungen geführt wurde. Ich fand nämlich, dass, wenn an dieser Stelle das Rückenmark in der Mitte gespalten wurde, dies bei ausreichender Reizung gar keinen Einfluss hatte auf die Zeit, die verstrich zwischen der sensibeln Reizung und dem motorischen Reflex auf der andern Seite. Ich musste daraus folgern, dass also der Reflex gleich gut,. wie er hier direkt übergehen kann, auf einem Umwege herumgehen kann. Ich war nicht wenig erstaunt, als ich später fand, dass, wenn ich im obern Teil des Rückenmarks einen | ! | F | Rosenthal, Ueber Reflexe. 255 Längsschnitt anbrachte, dies einen ganz erheblichen Einfluss auf den Uebergang des Reflexes von der linken Seite auf die rechte ausübte. Hatte ich den ausreichenden Reiz gefunden, der, wenn ich die sen- sible Stelle reizte, eine Zuckung auf der entgegengesetzten Seite her- vorzubringen im stande war, so blieb nach einem solchen Schnitt dieser Reflex aus, und ich musste den Reiz bedeutend verstärken, um auf dieser Seite den Reflex zu bekommen. Es stellte sich nach und nach heraus, dass es eine Stelle im Rückenmark gibt, welche ganz besonders wichtig für das Zustandekommen des Reflexes ist, und dass diese Stelle im obersten Teile des Rückenmarks liegt und vielleicht noch etwas in die Medulla oblongata hineingreift, eine Frage, welche sich deswegen gar nicht mit Sicherheit entscheiden lässt, weil eine scharfe Grenze zwischen Rückenmark und Medulla oblongata nicht existiert. Natürlich erinnert dies sofort an die allseitig genü- gend bekannte Erfahrung, dass die Muskeln, welche ihre Nerven aus dem Halsmark beziehen, ganz besonders leicht in Tetanus gerathen. Man braucht ja nur irgend ein Handbuch der Pathologie aufzuschla- gen, wo von Tetanus gehandelt wird; immer ist vom Trismus und von der Nackenmuskulatur als denjenigen Muskeln die Rede, welche zu- erst von Krampf befallen werden, und wir müssen daraus schließen, dass das Halsmark leichter Reflexe vermittelt, als die übrigen Teile des Rückenmarks. Meine Versuche aber lehren, dass dies nicht bloß gilt für die Reizung der sensibeln Fasern, welche aus dem Halsmark entspringen, sondern auch für die Nerven, die aus der Lendenan- schwellung entspringen. Wenn ich dagegen denselben Versuch machte, mit stärkeren Reizen, dann hatte ein Längsschnitt durch die obere Partie des Rückenmarks keinen Einfluss weder auf das Zustande- kommen des Reflexes auf der entgegengesetzten Körperhälfte über- haupt, noch auf die dazu erforderliche Zeit. Daraus folgt also, dass, wenn ich mit einem eben ausreichenden Reiz an dem Tiere arbeitete, dieser Reflex nur zu stande kommen kann dadurch, dass er erst fort- gepflanzt wird zu dem obersten Teile des Halsmarkes und dort über- tragen wird auf die motorische Bahn. Wenn dagegen ein stärkerer Reiz angewandt wird, wird dieser schon an einer tiefern Stelle über- tragen werden können. Diese tieferen Stellen kommen erst in Thätig- keit, wenn der Reiz übermäßig stark wird, und auf diese kann es keinen Einfluss haben, wenn ich einen Schnitt an der obern Partie mache, es kann auch keinen Einfluss haben, wenn ich den Schnitt tiefer mache; aber wenn der Reiz schwach ist, geht er durch diese anderen Bahnen nicht hindurch, welche also für gewöhnlich nicht pas- sierbar sind und erst für stärkern Reiz überhaupt eine Reflexerre- sung vermitteln. Das ist zunächst nur bewiesen für die von uns so- genannte Querleitung, wenn also ein Reflex durch Reizung einer Seite übergeht auf die entgegengesetzte Körperhälfte. Es lässt sich dasselbe aber auch beweisen für Reflexe, welehe an der gereizten Seite entstehen. © HN Rosenthal, Ueber Reflexe. Wenn ich einen Reflex erzeuge durch Reizung der linken Pfote mit einem Reiz, der ausreicht, um nur die linke Pfote in Reflex zu versetzen, und ich zerstöre den obern Teil des Rückenmarks, dann hört der Reflex auf und ich muss einen stärkern Reiz anwenden, um ihn zu bekommen. Wenn ich also hier reize, auch wenn der Reflex auf derselben Seite stattfinden soll, so ist es nötig, dass die sensible Erregung zum Halsmark aufsteigt und von diesem zurückkommt. Sie sehen, dass ich auf diese Weise eine neue Methode gewonnen habe, zu untersuchen, in welcher Weise die sensibeln und motorischen Bahnen innerhalb des Rückenmarks verlaufen, und es war meine Auf- gabe, hierüber Untersuchungen anzustellen. Um das Resultat kurz anzuführen, so kann ich Ihnen sagen, dass die sensible Leitung und die motorische Leitung innerhalb des Rückenmarks stets auf der Seite des Reizes bleibt, dass also die sensible Reizung nicht durch Kreuzung auf die andere Seite übergeht, und dass, wenn es sich um gekreuzte Reflexe handelt, der Reiz, erst nachdem er an das Halsmark gekom- men, übertritt auf die andere Seite um auf derselben herunterzuziehen. Machen wir Querschnitte in verschiedenen Höhen des Rückenmarkes, so können wir das mit aller Sicherheit nachweisen; wir können gleich- zeitig nachweisen, dass diese normale Leitungsbahn eben nur eine von vielen Bahnen ist, dass daneben auch auf jedem andern Wege die Leitung stattfinden kann; man braucht nur genügend starke Reize anzuwenden. Je mehr Schnitte ich führe, desto stärker muss natür- lich der Reiz sein, um noch Reflexe zu geben, und wir können damit in der That jene schematische Vorstellung, von der ich früher sprach, nämlich dass die Erregung von Zelle zu Zelle weiterkriecht, auch hierauf anwenden und annehmen, dass der Reiz selbst auf einem Zickzackwege durch verschiedene Zellen sich fortpflanzen kann, wenn die kurzen Bahnen unterbrochen sind, aber dass dies nur der Fall ist, wenn der Reiz hinlänglich stark ist. Das sind die Thatsachen, welche ich teils durch Messung der Zeiten erschlossen hatte, teils durch direkte Schnittführungen in mehreren Untersuchungsreihen ge- funden habe. Es fragt sich jetzt, was können wir aus diesen That- sachen für Schlüsse ziehen über die Mechanik der Reflexe, und wel- che Beziehungen können wir etwa aus diesen physiologischen That- sachen ableiten für die Erklärung pathologischer Erscheinungen? Nun sind freilich in der Pathologie eine große Zahl von Beobachtun- gen über Reflexe gemacht worden; aber dennoch ist es mir nicht ge- lungen, irgendwie eine direkte Anwendung der von mir auseinander- gesetzten Thatsachen so zu machen, dass man sagen könnte, diese Be- obachtung am Krankenbett lässt sich mit Hilfe der anseinandergesetz- ten Thatsachen jetzt besser erklären als vorher. In der That ist das Gebiet zu verwickelt, und es treten, wo Reflexerscheinungen patho- logischer Natur beobachtet werden, gewöhnlich die Reflexe so allge- mein in den verschiedensten Muskeln auf, dass sie schon zu verglei- Az Rosenthal, Ueber Reflexe. 255 chen sind mit den Reflexen, welche bei etwas stärkerer Strychninver- giftung auftreten, wo eben die Leitungsbahnen weniger Widerstand leisten als in der Norm, wo der Reflex nicht überall gleich gut hin kann, sondern gewisse Prädilektionsbahnen hat. Dieser normale Re- flex geht, wie ich schon gesagt habe, so unmerkbar in diejenigen Bewegungen über, welche wir gewöhnt sind als willkürliche Bewe- gungen zu betrachten, dass wir sie keiner weitern Analyse unterwer- fen können. Diese willkürlichen Bewegungen aber zeichnen sich grade dadurch aus, dass sie ebenso wie die von mir untersuchten, ge- wisse Bahnen mit Vorliebe einschlagen. Wenn wir die gewöhnliche Reaktion genau beachten, finden wir, dass sich die Sache im normalen Leben genau so verhält, dass, wenn ein bestimmter sensibler Reiz ein- tritt, eine bestimmte Bewegung ausgeführt wird. Diese Bewegungen können schon bei Neugebornen beobachtet werden, teilweise aber bilden sie sich erst im Laufe des ersten Lebensjahres heraus. Es würde eine lohnende Aufgabe sein, an Kindern dies allmähliche Sich- herausbilden gewisser Reflexe genau zu verfolgen. Wir besitzen al- lerdings einzelne Angaben und Beobachtungen, besonders von Kuss- maul und Preyer, über Erscheinungen, welche im frühesten Kindes- alter auftreten; aber es sind das nur einzelne Beobachtungen, die noch nicht zahlreich genug sind, um sie vollständig verwerten zu können. Ich zweifle nicht daran, dass, wenn diese Beobachtungen ver- vollständigt werden, man wird nachweisen können, dass gewisse Be- wegungen, welche aus irgend welchen Gründen häufig gemacht wer- den, schließlich als vorzugsweise leicht ausführbare Reflexe erscheinen. Man pflegt diese durchaus nicht unbekannte Thatsache bildlich damit auszudrücken, dass man sagt, wenn eine Erregung häufig dieselbe Bahn passiert, wird die Bahn gleichsam ausgeschliffen, wird leichter passierbar. Nun kann man diese Thatsache an Tierversuchen aufs schlagendste experimentell beweisen, wenn man die Stärke des Reizes feststellt, welche einen bestimmten Reflex hervorruft, und wenn man diesen Reflex mit demselben Reiz mehrfach hintereinander hervorruft. Man kann nach einiger Zeit viel schwächere Reize schon wirksam finden. Aber worauf das Ausschleifen der Bahnen beruht, woher es kommt, dass der Widerstand innerhalb einer solchen Leitungsbahn geringer wird, davon habe ich keine Ahnung und glaube nicht, dass irgend jemand eine plausible Erklärung dafür gegeben hat. Die That- sache selbst aber ist wichtig für eine verhältnismäßig große Zahl von Erscheinungen. Ferner gibt es ja im normalen Leben sowohl als in pathologischen Fällen eine Anzahl von Reflexen, welche ganz besonders charakteristisch sind, z. B. der Zusammenhang zwischen dem einfallenden Licht in das Auge und der Verengerung der Pupille. Hier nimmt man für gewöhnlich ein ganz besonderes Zentrum an, welches diesen Reflex vermittelt; es ist aber die Frage, ob dieser Reflex nicht eben auf dieselbe Weise zu erklären ist wie die Reflexe 356 Rosenthal, Ueber Reflexe. im Halsmark, dass nämlich der Reiz nur deswegen immer dieselbe Reflexbewegung veranlasst, weil aus irgend welchen Gründen schon früher diese Bahn häufig benutzt worden ist. Der bekannte englische Philosoph Herbert Spencer hat diesen Gedanken im einzelnen durchgeführt, und will alle normalen Reflexe auf diese Weise als Fol- gen häufiger Wiederholung und Vererbung der so erworbenen Dispo- sitionen erklären. Der Grundgedanke ist richtig, wenn auch im einzelnen vieles nicht so einfach und selbstverständlich ist, als es Spencer darstellt. Ferner müssen in dieser Weise auch diejenigen Re- flexe erklärt werden, welche, wie z. B. der Sehnenreflex, grade vor- zugsweise so auftreten, dass das Organ, welches reflektorisch ange- regt wird, nahe liegt dem Orte, an welchem der sensible Reiz auftritt. Offenbar sind die motorischen und sensibeln Bahnen, welche zu den- selben peripherischen Stellen gehen, nicht immer, aber meistens inner- halb des Zentralorgans benachbart, und der Weg von der sensibeln Bahn zu der bestimmten motorischen wird der kürzere sein und da- her die geringsten Widerstände darbieten. So würde der Sehnen- reflex sich darauf zurückführen lassen, dass die Ursprünge der sensi- beln Fasern des Muskels bzw. der Sehne und der motorischen Fasern, die zu diesem Muskel führen, innerhalb des Rückenmarks näher zu- sammenliegen als die Nervenursprünge differenter Muskeln. Dass nun grade im Halsmark die Uebertragung der Reflexe am leichtesten zu stande kommt, dürfte nach der Theorie der Ausschlei- fung der Leitungsbahnen etwa so erklärt werden, dass doch alle sen- sibeln Eindrücke, welehe zum Rückenmark gelangen, in demselben der Länge nach zum Gehirn hinauf geleitet werden, und ebenso alle vom Gehirn kommenden motorischen Impulse der Länge nach abwärts zu den betreffenden motorischen Nerven geleitet werden. Der Ueber- gang dieser Leitungsbahnen des Rückenmarks zu denen des Gehirns scheint aber durch Nervenzellen vermittelt zu werden, durch welche dann die motorischen und sensibeln Leitungsbahnen unter einander in Verbindung treten. Doch sind diese Hypothesen noch zu wenig begründet, als dass es nützlich wäre, sie weiter zu verfolgen. Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben erschien : Ueber den Diabetes Dr. Fr. Th. von Frerichs. 1884. gr. 8. Mit 5 Tafeln. 10 Mark. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Kedaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Verlag. von Eduard Besold i in Erlangen, = Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 1. Juli 1884. Nr. 9. Inhalt: Pick, Ueber die Bedeutung des roten Farbstoffes bei den Phanerogamen. — Russow, Ueber den Zusammenhang der Protoplasmakörper benachbarter Zel- len. — Böhm, Die Pflanze und die Atmosphäre. — Wittrock, Ueber Schnee- und Eisflora, besonders der arktischen Gegenden. Mit Anhang: Schnee- und Eisfauna. — Spengel, Hermaphroditismus bei Amphibien. — Drasche, Bei- träge zur Entwickelung der Polychäten. 1. Heft. Entwickelung von Poma- toceros triqueter L. — Drechsel, Elektrolysen und Elektrosynthesen. — Hallopeau, Die Rolle der Infektions-Stoffe bei Krankheiten. — Seler, Ess- bare Insekten. — Seler, Die Wanderzüge des Lemmings und das Scharlach- fieber. — Huxley, Physiographie. Für deutsche Leser frei bearbeitet von Herm. Jordan. — Meyer, Handbuch der qualitativen chemischen Analyse. — Ecker, Die Hirnwindungen des Menschen. — Brock, Entwickelung des Petermänn- chens (Trachinus vipera). — 57. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. — Marine Biological Association in England. H. Pick, Ueber die Bedeutung des roten Farbstoffes bei den Phanerogamen und die Beziehungen desselben zur Stärkewanderung. (Botan. Centralblatt 1883. Band XVI Nr. 9/12.) Ueber die Entstehungsweise des roten, in den vegetativen Or- ganen phanerogamer Pflanzen sehr häufig vorkommenden Farbstoffes herrschen bekanntlich verschiedene Meinungen; Verf. schließt sich auf grund einiger von ihm gemachten, aber sehr willkürlich interpretierten Beobachtungen der Wigand’schen Ansicht an, nach welcher der Farbstoff ein Umwandlungsprodukt von farblosem, stark lichtbrechen- dem Gerbstoff ist, welcher in denselben Zellen wandert, die als ty- pisches Leitgewebe für Kohlehydrate dienen. Von äußeren Bedingungen, welche das Auftreten des roten Farbstoffes veranlassen, ist nach den Versuchen des Verf. nur dem Lichte ein direkter Einfluss zuzusprechen, da im dunkeln die Rotfärbung unterbleibt und bei im freien ge- wachsenen Pflanzen die insolierte Seite die gefärbte ist. Keimpflanzen von Beta vulgaris zeigten die Rotfärbung sowohl im blauen als im orangefarbigen Lichte. Interessant sind die Angaben des Verf. über das spektroskopische Verhalten des roten Farbstoffes, nach welchen derselbe grade vorwiegend jene Strahlen, welche vom Chlorophyll- 17 358 Pick, Bedeutung des roten Farbstoffes bei den Phanerogamen. farbstoff absorbiert werden, durchlässt und umgekehrt grade die vom Chlorophyllfarbstoff durchgelassenen gelben und grünen Strahlen von der Linie D des Spektrums bis b ganz absorbiert. Bei konzentrierter Lösung des roten Farbstoffes ändert sich das Spektrum nur insofern, als etwas mehr Blau absorbiert wird. Nach diesen mehr orientierenden Bemerkungen und Beobachtungen versucht Verf. nun den Nachweis zu liefern, dass der rote Farbstoff für die Pflanze ein Mittel ist, „die Stärkeauswanderung in erhöhtem Maße zu fördern, ohne die assimilatorische Thätigkeit der Chloro- phylikörper bedeutend zu stören.“ Untersuchungen von rot gefärbten Stengeln und Stielen gaben keine Anhaltspunkte über die Rolle und Bedeutung des Farbstoffes, dagegen zeigten einige rote Blätter ver- schiedener Pflanzen einen geringern Stärkegehalt in den obersten Palissadenzonen als in den darunter liegenden Zellen; allein an trüben Tagen machte sich dieser Unterschied im Stärkegehalt weniger be- merkbar. Diese Beobachtungen scheinen aber dem Verf. zur Stütze des oben ausgesprochenen Satzes selbst nicht genügt zu haben; denn er sagt: „um rücksichtlich der Wirkung des roten Farbstoffes zu einem zuverlässigern Resultate zu gelangen, wurden grüne Blätter von anderen Pflanzen dem Einflusse roter Beleuchtung aus- gesetzt.“ Der Verf. stellt nun folgenden Versuch an: von den größeren Zipfeln eines Blattes von Ricinus communis wurde einer der Be- leuchtung hinter Rubinglas, ein anderer hinter orangegefärbtem Glas, ein dritter hinter einer wässrigen Lösung vom Safte der roten Rübe angebracht, während ein vierter Zipfel endlich während der vierstün- digen Versuchszeit direkt insoliert blieb. Als Resultat ergab sich nun, dass, abgesehen von dem hinter dem orangefarbigen Glase befindlichen Zipfel, bei welchem kein beachtenswerter (?) Befund zu konstatieren war, in dem direkt insolierten Zipfel die Stärke vorwiegend im Palis- sadengewebe sich befand, in dem hinter der Lösung des roten Pflan- zensaftes verweilten Zipfel dagegen mehr Stärke in dem Schwamm- parenchym und weniger in den Palissadenzellen enthalten war, und hinter dem Rubinglas endlich nur Spuren von Stärke in den Palissa- denzellen vorhanden waren. Unter der Voraussetzung, dass das Licht beim Durchtritt durch die rote Lösung sowohl wie durch das Rubin- glas in seiner Intensität nicht erheblich geschwächt wurde, deutet Verf. dieses Versuchsresultat dahin, dass in jedem Zipfel Assimilation stattgefunden habe, dass aber in den Palissadenzellen der unter dem Einfluss des roten Lichtes verweilten Zipfel die Stärke schneller auf- gelöst und fortgeschafft sei als in denen des direkt insolierten Zipfels. Sowohl diese Versuchsresultate als auch die oben angegebenen Befunde bei roten Blättern scheinen mir aber durchaus nicht berech- tigt, vom Verf. als Beweis für die Richtigkeit seines ausgesprochenen Satzes, dass der rote Farbstoff die Stärkeauswanderung beschleunigt, hingestellt zu werden. Da, wie wir jetzt bestimmt wissen, die Auf- Pick, Bedeutung des roten Farbstoffes bei den Phanerogamen. 359 lösung der Stärke in den Zellen der Pflanzen auf dieselbe Weise wie im tierischen Organismus durch Einwirkung diastatischen Ferments erfolgt, so wäre wohl die nächste Aufgabe des Verf. die gewesen, durch exakte Versuche den Nachweis zu führen, dass das rote Licht die Wirkung der Diastase auf Amylum sowohl innerhalb als auch außerhalb der lebenden Zelle zu steigern vermag; denn wir haben nach allen bis jetzt bekannten Thatsachen keinen Grund zu der An- nahme, dass der Prozess der Stärkeumbildung innerhalb der Zelle etwa anders sich abspielte als außerhalb der Zellen. Ueber den Ein- fluss der Beleuchtungsverhältnisse auf fermentative Prozesse sind aber grade in neuester Zeit von Detmer!) Versuche veröffentlicht, welche ergeben, dass das Licht (also auch die roten Strahlen) keinen nach- weisbaren Einfluss auf dieselben ausübt. Wie sind nun die Versuchsresultate des Verf. zu deuten? Wie Stahl vor einiger Zeit nachgewiesen hat, sind die Palissadenzellen der Blätter die für starke Lichtintensitäten, die Zellen des Schwamm- parenchyms dagegen die für schwache Lichtintensitäten angepasste Zellform. Da nun diese Zellformen in erster Linie der Assimilation gewidmet sind, so sind wir gewiss hiernach zu dem Schluss berech- tigt, dass auch die in denselben vorhandenen protoplasmatischen Ele- mente, vor allen Dingen die Chlorophylikörper, den betreffenden Licht- intensitäten sich angepasst haben, d. h. die Chlorophylikörper der Palissadenzellen bei stärkeren und diejenigen des Schammparenchyms bei schwächeren Lichtintensitäten das Maximum der Assimilations- energie erreichen. In dem direkt insolierten Zipfel des Versuchsblattes musste daher auch in den Palissadenzellen eine größere Menge von Stärke sich bilden als in denen der anderen Zipfel, in welchen das Licht nieht direkt die Blattfläche traf, sondern durch absorbierende Medien in seiner Intensität immerhin geschwächt war. Bei diesen letzteren Blattstöcken aber war das Schwammparenchym im Vorteil und konnte demgemäß mehr Stärke produzieren. Da nun beim Dureh- gang durch den wenig konzentrierten Pflanzensaft das Licht weniger an Intensität verlor als beim Passieren des Rubinglases, so musste, wie ja auch der Versuch ergab, in dem erstern Falle im Palissaden- parenchym mehr Stärke gebildet werden. Die absolute Menge der in den verschiedenen Blattstärken produzierten Stärke aber konnte, wie nach dem Gesagten leicht verständlich ist, da nicht zu stark absorbierende Medien angewendet wurden, ganz oder doch annähernd dieselbe sein. Zur weitern Stütze seiner von uns soeben widerlegten Ansichten wiederholt Verf. unter Anwendung von rotem Licht noch einmal die bekannten Böhm’schen Versuche der künstlichen Stärkezufuhr, aus 1) Vergl. Detmer, Pflanzenphysiologische Untersuchungen über Ferment- bildung und fermentative Prozesse. 8. 39. 0 260 Russow, Zusammenhang der Protoplasmakörper benachbarter Zellen. denen aber nur das sicher zu entnehmen ist, dass Verf. sehr bedenk- liche Vorstellungen über die Kohlehydrate besitzt. Wenn aber Verf. am Schluss seiner Arbeit die Vermutung äußert, es möchte speziell bei Gegenwart von Oxalsäure (durch Beschleunigung des Vorganges der Stärkeumbildung) die Wirkung des roten Farbstoffes auf die Stärkeauswanderung in hohem Grade gesteigert werden, so ist dies wohl noch bedenklicher. Alle diese Untersuchungen würde Verf. ge- wiss nicht angestellt haben, wenn er bei genauerer Kenntnis der ein- schlägigen Literatur nur bedacht hätte, dass es weit mehr grüne Pflanzen gibt, welche des roten Farbstoffes vollständig entbehren und dennoch die assimilierte Stärke in ausgiebigster Weise in Bewegung setzen. Wortmann (Strassburg i./E.). E. Russow, Ueber den Zusammenhang der Protoplasmakörper benachbarter Zellen. Sonderabdruck aus den Sitzuugsberichten der Dorpater Naturforschergesell- schaft, September 1883. Klein 8. 23 S. Dorpat, Druck von © Mattiesen. Obwohl die vorliegende Abhandlung nur das Referat des Ver- fassers über einen von ihm gehaltenen Vortrag bringt und eine ein- gehendere, durch Abbildungen erläuterte Darstellung des Themas an anderem Orte verspricht, so erscheint es bei der Wichtigkeit des Ge- genstandes dennoch angezeigt, letztern an der Hand obiger Veröf- fentlichung schon jetzt hier zur Sprache zu bringen. In seinem hoch- interessanten Werke über den Bau und das Wachstum der Zellhäute hatte schon Strasburger!) darauf hingewiesen, dass der Nachweis des Zusammenhanges alles lebenden Zellplasmas einer Pflanze durch direkte, die Membranen durehdringende Fortsätze für die Auffassung des pflanzlichen Gesamtorganismus von größter Bedeutung wäre. Die Möglichkeit eines solehen Zusammenhanges war durch eine schöne Entdeckung Tangl’s gegeben, welcher zeigte, dass die Wände der Endospermzellen von Strychnos nux vomica und einigen Palmen that- sächlich von feinen Fäden einer mit Karmin sich färbenden Substanz durchsetzt sind 2). Weiterhin hatte Russow selbst in den Tüpfeln des Bast- und Strahlenparenchyms vieler Holzgewächse feine, mit Jodpräparaten gelbbraun werdende Stränge nachgewiesen °?). Aehn- liches wurde an anderem Orte von Gardiner*) und kürzlich auch von Hillhouse?) festgestellt. Hatten diese Untersuchungen die 1) Vergl. Biologisches Centralbl. II. Band, Nr. 21, S. 653. 2) Jahrbücher f. wiss. Botanik, XII, 1880, S. 170. 3) Sitzungsberichte d. Dorp. Naturforscherges. 1832, Januarsitzung. 4) Quart. Journ. of Microscop. Seiene. Octob. 1882. 5) Bot. Centralbl. XIV, Nr. 3 u. 4. 77 Russow, Zusammenhang der Protoplasmakörper benachbarter Zellen. 261 Thatsache der Wandperforation lebender Parenchymzellen über allen Zweifel erhoben, so blieb nach Russow doch noch die protoplas- matische Natur der von Zelle zu Zelle ziehenden Verbindungsfäden zu erweisen, denn die letzteren könnten nach den beobachteten Fär- bungen auch aus Schleim oder Eiweiß bestehen, wie dies in den Querwänden der Siebröhren der Fall ist. Um hierüber ins klare zu kommen, suchte Russow die Mittellamelle der perforierten Tüpfel in starke Quellung zu versetzen, was ihm auch durch Behandlung der aus frischem Material hergestellten Schnittpräparate mit Jodkalium- jodlösung (0,2%, J und 1,64°/, JK) und Schwefelsäure gelang. Nach- heriges Auswaschen mit Wasser und schließlich Färbung mit Anilin- blau machte die Verbindungsfäden gut sichtbar. Die deutlichsten und überzeugendsten Präparate lieferte die sekundäre Rinde dikotyler Holzgewächse, vor allem bei Rhamnus Frangula. Der Protoplasma- körper („Cytoplast“) der Bastparenchymzellen zeigt sich hier in der Längsansicht tief wellenförmig gebuchtet. Die Ausbuchtungen ent- sprechen den Tüpfeln, die Einbuchtungen den verdickten Stellen der Zellwand. Zwischen den korrespondierenden Ausbuchtungen der Pro- toplasmakörper nebeneinander liegender Zellen sieht man nun drei bis fünf perlschnurartige Fäden, deren äußere bogig verlaufen, ausgespannt. Jeder Faden enthält drei bis sieben, meist fünf rund- lich eckige äquidistante Körnchen, so dass die einzelnen Fadengruppen den bekannten Kernteilungsfiguren ähnlich werden. Die gemein- schaftlichen Querwände übereinander stehender Bastparenchym- zellen erscheinen in ihrer ganzen Ausdehnung von dicht nebeneinander befindlichen, sehr feinen, granulierten Fädchen durchsetzt, welche den Plasmakörper der benachbarten Zellen miteinander verbinden. Bei starker Quellung der Mittellamelle zeigt jeder dieser Fäden an zwei Stellen je eine deutliche, spindel- oder knotenförmige Verdiekung. — In der granulierten Beschaffenheit dieser Verbindungsfäden erblickt Russow den Beweis für die protoplasmatische Natur der letzteren. Die Größe der Körnchen ist übrigens bei verschiedenen Pflanzen un- gleich. So wurden sie beim Faulbaum, Schneeball und bei der Eiche am größten, bei den meisten der untersuchten Holzgewächse (z. B. Esche, Erle, Kiefer u. a.) jedoch, wie auch bei einigen Stauden und Schlingpflanzen (Klette, Hopfen) sehr klein gefunden. Steht für Russow der Zusammenhang des Protoplasmas benach- barter Zellen außer Zweifel, so frägt er nun weiter nach dem Zu- standekommen der Durchlöcherung der Membranen und gelangt auf grund einiger gleich anzuführender Beobachtungen zu der Annahme, dass die bei der Zellenteilung entstehenden Scheidewände von An- fang an porös seien. Bei allen höher organisierten Pflanzen geht bekanntlich der Zweiteilung einer Zelle diejenige ihres Kernes voran!). 4) Die höchst eigentümlichen und komplizirten Vorgänge bei dieser Kern- 262 Russow, Zusammenhang der Protoplasmakörper benachbarter Zellen. Zwischen den jungen Tochterkernen sind protoplasmatische „Spindel- fasern“ ausgespannt, welche von jedem der ersteren gegen die zu- künftige Trennungsfläche der Tochterzellen ausstrahlen und einen möglichst großen Teil dieser Fläche durchsetzen. In der letztern kommt die „Zellplatte“ zur Anlage und Ausbildung. Bisher hatte man angenommen, dass hierbei die Spindelfasern schließlich entzwei- geschnitten würden und nur die vorübergehende Aufgabe hätten, auf die „Zellplattenelemente“ richtend zu wirken und dieselben in einer bestimmten Lage zu fixieren !),. Russow jedoch vertritt die Ansicht, dass die Spindelfasern in ihrer Kontinuität erhalten bleiben, und dass sie es sind, welche den dauernden Zusammenhang des Plasmas der Nachbarzelien bewirken. Demnach wäre die Durehlöcherung der Membranen eine ursprüngliche, nicht durch Resorption nachträg- lich entstandene, und auf die Bedeutung jener Spindelfasern ein neues Licht geworfen. Diese Annahme Russow’s wird gestützt durch das Vorkommen. von Verbindungsfäden in der Region des Vegetations- punktes, sowie durch die bei Laub- und Nadelhölzern beobachtete Thatsache, dass die Primordialtüpfel der radialen Wände der Cam- biumzellen durehlöchert und von verhältnismäßig dicken Protoplasma- fäden durchsetzt sind. Solches wurde bei Daphne, Prumus, Fraxinus, Alnus, Cucurbita, Pinus, Picea u. a. gefunden. Auch an jungen Holz- zellen von Prunus Padus konnte Russow Perforation der Tüpfel- schließhäute und Verbindungsfäden nachweisen, und er erblickt in der zart-netzartigen oder gefelderten Zeichnung der scheibenförmigen Verdiekung (des Torus) ausgebildeter Hoftüpfelschließhäute die Spuren gleichsam vernarbter ehemaliger Perforationen. Russow hält auch die Durchbreehung der Quer- und Längswände der Siebröhren für schon im cambialen Zustand dieser Elemente vorbereitet und nicht erst nachträglich durch Umwandlung der Cellulose in Callus veran- lasst, wie dies der Referent seinerzeit annehmen zu sollen meinte ?). Er vermutet ferner, dass die verhältnismäßig weiten Löcher mancher Siebplatten „durch Verschmelzen mehrerer, eng benachbarter, grup- penweise angeordneter Löcherchen hervorgehen.“ Die Berechtigung dieser Annahmen muss unbedingt zugegeben werden. In denjenigen Fällen, in welchen Russow einen Zusammenhang benachbarter „Cytoplaste* durch Verbindungsfäden nicht nachweisen konnte (Algen, dünnwandige Parenchymzellen der primären Rinde, teilung hat Strasburger (Ueber den Teilungsvorgang der Zellkerne, Bonn 1882, Max Cohen u. Sohn) sehr eingehend untersucht und geschildert, nachdem sie von ihm schon 1875 in ihren Hauptstadien bekannt gemacht worden waren (Ueber Zellbildung und Zellteilung, I. Auflage; seither in zweiter und dritter verbesserter Auflage erschienen). 1) Strasburger, Ueber den Teilungsvorgang der Zellkerne, S. 90. 2) K. Wilhelm, Beiträge zur Kenntnis des Siebröhrenapparates dikotyler Pflanzen, Leipzig 1880. W. Engelmann. Russow, Zusammenhang der Protoplasmakörper benachbarter Zellen. 263 Holzparenchym- und Holzstrahlzellen) dürfte ein solcher trotzdem vorhanden und nur wegen der Unquellbarkeit der Mittellamellen nicht deutlich zu machen sein. — Sehr interessant sind die Angaben Russow’s über das Vor- kommen von Protoplasma in Intercellularräumen, welches in der jeweilig jüngsten Region der sekundären Rinde, im Blattgelenk der Mimose und anderwärts nachgewiesen wurde!). Das Plasma er- füllt die Intercellularen entweder vollständig, oder kleidet sie als zarter Wandbeleg aus. Bei Acer sah Russow solches Intercellular- plasma mit den „Cytoplasten“ der benachbarten Zellen durch feine, die Membran der letzteren durchsetzende Fäden verbunden, und er schließt aus der häufigen Orientierung von Tüpfelkanälen gegen Inter- cellulargänge auf die allgemeine Verbreitung dieses Zusammenhanges. Auch den eigentümlichen feinkörnigen Inhalt der Intercellulargänge vieler Farne (Pteris aquilina z. B.) denkt sich Russow aus der Um- wandlung von Protoplasma hervorgegangen, welches durch Perforation der Zellwand in die Intercellularen eingedrungen ist, und er hält sol- ches Plasma auch für beteiligt an der Entstehung der von Lürssen beschriebenen Cutieularfäden in den Zwischenzellräumen der Marat- tiaceen, und anderer ähnlicher intercellularer Gebilde. Auf grund vorstehend mitgeteilter Beobachtungen gelangt Russow schließlich zu der Annahme, „dass in jeder Pflanze während ihres ganzen Lebens das Gesamtprotoplasma in Konti- nuität steht. Die vielzellige Pfianze wäre von der einzelligen haupt- sächlich darin verschieden, dass in ersterer das Protoplasma von zahl- reichen sieb- oder gitterartig durchbrochenen Platten durchsetzt wird, während bei letzterer das Protoplasma ungekammert bleibt. Wir können somit die Pflanze auffassen als einen Protoplasmakörper, der bei einzelligen kleinen Formen nur an seiner Oberfläche eine Membran ausscheidet, bei den vielzelligen, meist großen und sehr großen For- men auch in seinem Innern und zwar meist sehr zahlreiche Membra- nen ausscheidet, die zur Wahrung der Kontinuität der lebenden Kör- persubstanz sich in Form durchlöcherter Platten ausbilden.“ Ergibt sich hieraus eine Reihe naheliegender Folgerungen für die Stoffbe- wegung von Zelle zu Zelle, so erscheint es auch unzweifelhaft, „dass die einen Protoplasmakörper treffenden dynamischen Reize sich von Zelle zu Zelle mittels der durch die Wand hindurehgehenden Protoplasmafäden fortpflanzen können, und somit wird uns das ein- heitliche Zusammenwirken des Zellenstaates jetzt verständlicher als früher, wo man die Zellen als vollständig geschlossene, nur auf dios- motischem Wege mit einander kommunizierende Körper betrachtete“. ME RT K. Wilhelm (Wien). 1) Ueber solches Vorkommen berichtete inzwischen auch G. Berthold in den Berichten der deutschen botanischen Gesellschaft, II. Jahrg. Heft 1, S. 20. 964 Böhm, Die Pflanze und die Atmosphäre. J. Böhm, Die Pflanze und die Atmosphäre. Schriften des Vereins zur Verbreitung naturw. Kenntnis. XXIII. Wien 1883. S. 14 fgg. Verf. erörtert zunächst die wohlbekannten Thatsachen der pflanz- lichen Ernährung, die Spaltung der Kohlensäure unter Ausscheidung von Sauerstoff durch die grünen Pflanzenteile im Sonnenlicht, die un- ter diesen Umständen vor sich gehende Erzeugung von Stärke in den grünen Pflanzenteilen und die Abhängigkeit der tierischen Ernährung sowie der Ernährung der ehlorophyllfreien pflanzlichen Parasiten und Saprophyten von den in dieser Weise von den grünen Pflanzen pro- duzierten organischen Nährstoffen. „Die Pflanzen arbeiten mit der von der Sonne direkt m Form von Licht und Wärme erhaltenen Kraft; das Tier mit der Spannkraft, welche von den Pflanzen auf- gesammelt wird.“ Verf. erwähnt dann weiter, dass kein lebendes Wesen ohne das Pabulum vitae, den Sauerstoff, bestehen kann, dass tausend Millionen Menschen, wenn kein Gegengewicht gegeben wäre, in knapp einer Million Jahre allen Sauerstoff der Atmosphäre in Kohlensäure verwandeln würden, und dass auch bei jeder Verbren- nung beträchtliche Mengen von Sauerstoff verbraucht werden. „Würde daher kein Sauerstoff wieder frei gemacht aus der Kohlensäure“, — wie es durch die grünen Pflanzenteile geschieht, — „so müsste in verhältnismäßig kurzer Zeit alles irdische Leben aufhören. Auf dem Wechselprozess zwischen den Kohlensäure ausatmenden tierischen und chlorophylifreien pflanzlichen Organismen und den Sauerstoff er- zeugenden grünen Pflanzenzellen beruht, der allgemeinen Meinung nach, die Möglichkeit des Bestehens lebender Wesen auf unserem Erdball.“ Der Kohlensäuregehalt der Atmosphäre beträgt !/,,—!/3, Prozent. Würden sämtliche bekannten Steinkohlenlager, deren Ausdehnung man auf 10 Kubikmeilen schätzt, plötzlich verbrannt, so würde sich der Gehalt der Luft an Kohlensäure mehr als verdoppeln. Sicher ist aber noch weit mehr Steinkohle unter dem Ozean vergraben, und es ist ferner nicht nur sämtliche in den Steinkohlenlagern enthaltene Kohle einmal als Kohlensäure ein Bestandteil der Atmosphäre ge- wesen, sondern auch sämtliche in den Kalkgebirgen niedergelegte Kohlensäure. Würde dieselbe ebenfalls frei gemacht, so würde der Kohlensäuregehalt der Luft sicher bis auf 30 Prozent sich belaufen. Man nimmt allgemein an, dass die Vegetation der Steinkohlen- periode eine unendlich üppigere war als die heutige, und man schreibt dies einem höhern Kohlensäuregehalt der Luft zu. 'Thatsache ist, dass die meisten Pflanzen sich in einer Atmosphäre, welche etliche Prozent Kohlensäure mehr enthält als gewöhnliche Luft, schneller entwickeln; andere kränkeln dagegen schon bei einem Gehalt von 2 Prozent Kohlensäure, und bei 30 Prozent Kohlensäure ist Pflanzen- Wittrock, Ueber Schnee- und Eisflora. 265 wachstum eine physiologische Unmöglichkeit. Wir stehen daher vor dem Rätsel, wie eine Vegetation zu der Zeit vor der Bildung der Kalkgebirge möglich war, wenn eine Bereicherung der Luft durch die in den Kalkgebirgen niedergelegte Kohlensäure den Gehalt der- selben an Kohlensäure bis zu 30 Prozent steigern würde. Hiermit verknüpfen sich auch Befürchtungen für die Zukunft. Die Gebirge verwittern noch heute von Tag zu Tag, und da bei diesem Prozess fortwährend freie Kohlensäure gebunden wird, so sollte man erwar- ten, dass „auch der unbedeutende Rest dieses Gases in der nächsten Zukunft aus der Atmosphäre verschwinden müsste und damit alles Leben auf der Erde aufhören.“ Alle diese Rätsel und Schwierigkeiten verschwinden dagegen, wie Verf. annimmt, im Augenblick, wenn man in Uebereinstimmung mit hervorragenden Astrophysikern annimmt, dass die Atmosphäre un- begrenzt ist. Diese Annahme kann man getrost machen, denn der wichtigste Einwand dagegen, der, dass der Mond keine Atmosphäre habe, hat sich in jüngster Zeit als unrichtig erwiesen; die Masse des Mondes ist so gering, dass auch seine Atmosphäre eine verschwindend dünne ist. Ist aber die Atmosphäre unbegrenzt, so wird, wo immer infolge des einen oder andern Vorgangs irgend ein Bestandteil aus den niedersten Luftschichten verschwindet, derselbe alsbald durch Diffusion aus den obersten Luftschichten oder dem unendlichen Welt- raum wieder ersetzt werden. Es ist daher, wie Verf. annimmt, aller Wahrschemlichkeit nach die Zusammensetzung der Atmosphäre seit dem Auftreten der Pflanzen und Tiere stets dieselbe gewesen, und wir brauchen uns in der Beziehung keinen Befürchtungen für die Zu- kunft hinzugeben. Ed. Seler (Berlin). V. B. Wittrock, Ueber Schnee- und Eisflora, besonders der arktischen Gegenden. Mit Anhang: Ueber Schnee und Eisfauna. In A. E. Nordenskiöld. „Studier och forskningar föranledda af mina resor i höga Norden.“ Stockholm 1883. Seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts (1760) ist der „rote Schnee“ bekannt, welchen der bekannte Naturforscher H. B. de Saus- sure auf Schneefeldern der Savoyer Alpen entdeckte. Seine Algen- natur wurde durch Robert Brown festgestellt nach Proben, welche Kapitän John Rost auf seiner ersten im Jahre 1818 unternommenen Entdeckungsfahrt an den Krimson Cliffs im Norden von Kay York an der Westküste von Grönland gesammelt hatte. Ihren Namen, Sphaerella nivalis, erhielt die Pflanze durch den Norweger S.C.Som- merfeld, der sie in dem „Magazin für Naturwissenschaften“ (1824) beschrieb. Die Schwärmzellen der roten Schneealge wurden 1839 266 Wittrock, Ueber Schnee- und Eisflora. von Shuttleworth entdeckt und als Infusorien beschrieben. Doch wies kurz darauf Karl Vogt nach, dass die ruhenden Kugelzellen und die Schwärmer einem und demselben Entwickelungskreise als Glieder angehören; nur war man lange zweifelhaft, ob man dieses eigentümliche Lebewesen dem Tier- oder dem Pflanzenreiche zuweisen solle. Seitdem sind Proben des roten Schnees an den verschiedensten Punkten sowohl der arktischen Gegenden als auch der Hochalpen einge- sammelt und untersucht worden. Da hat sich nun herausgestellt, dass neben der allerdings verbreitetsten und in Unmassen von Individuen vorkommenden eigentlichen roten Schneealge, und unter denselben Bedingungen wie diese, noch verschiedene andere niedrige Pflanzen, Algen und Moosvorkeime (Protonema), leben, so dass man jetzt im stande gewesen ist, eine förmliche Flora des Schnees und Eises zu- sammenzustellen. Man sollte es auf den ersten Bliek nicht für mög- lich halten, dass in dem „ewigen Schnee“ der hochnordischen Region überhaupt ein pflanzliches Leben sich entwiekeln und erhalten könne. Den größten Teil des Jahres hindureh, während der langen Polarnacht, ist die Temperatur des Schnees jedenfalls weit unter dem Gefrier- punkt. Kjellmann fand an der Mosselbay auf Spitzbergen am 14. Februar 1873 die Temperatur des Schnees — 32° C., während die Lufttemperatur —35° ©. betrug. Im Sommer üben die, wenn auch schräg auffallenden, Strahlen der Sonne allerdings einen so kräftigen Einfluss, dass auf dem Inlandeise Grönlands im Juli die Luftwärme zur Mittagszeit bis auf 25—30° C. steigt Aber die Tem- peratur der oberen Schichten des Schnees, in denen infolge dieser kräftigen Bestrahlung eine beträchtliche Schmelzung vor sich geht, die also in Wahrheit aus einem Gemisch von Wasser mit Schnee und Eis bestehen, sollte der Theorie nach gar nicht, und kaum in Wirklichkeit auch nur wenig über den Gefrierpunkt sich erheben und ist jedenfalls so gering, dass zur Nachtzeit, wenn die Sonne tief am Horizont steht, die Oberfläche des Schnees mit den in dem Salzwasser vegetierenden Pflänzchen zu festem Eis gefriert. Nichtsdestoweniger genügt diese geringe Wärme, einer kleinen Anzahl niedriger Gewächse ein Dasein zu ermöglichen, dessen übrige Bedingungen durch das die Pflänzchen umgebende Schmelzwasser, den in denselben enthaltenen mineralischen Staub, — der sich bekanntlich auch auf den unberühr- testen Flächen des Inlandeises vorfindet, und dem Nordenskiöld z. T. kosmischen Ursprung zuschreibt —, die Kohlensäure der Luft und das zur Entwickelung der Assimilationsthätigkeit der Pflanze nötige Sonnenlicht gegeben sind. Alle diese Gewächse, welche die Schnee- und Eisflora ausmachen, zeigen indess gewisse gemeinsame Eigen- tümlichkeiten: Es sind 1) ausschließlich Wasserpflanzen und 2) gehören sie den niedrigstehenden Abteilungen des Pflanzenreiches an. Ver- treten sind verschiedene Familien der Ordnung der Algen, und zwar die Chroococcaceae mit 6 Arten, die Oscillarieae mit 1, die Scytonemeae Wittrock, Ueber Schnee- und Eisflora. 967 mit 3, die Diatomaceae mit 4, Desmidiaceae mit 12, die Zygnemaceae mit 1, die Chlamydomonaceae mit 2 oder 3, die Palmellaceae mit 2, die Converfaceae mit 8 Arten. Außer diesen Algenfamilien ist in der Schnee- und Eisflora nur noch die Gruppe der Moose und auch diese nur durch ihre algenartige, dem Leben im Wasser angepasste, unge- schlechtliche Vorkeimgeneration, das sogenannte Protonema vertreten. 3) Sämtliche zur Schnee- und Eisflora gehörigen Gewächse sind äußerst klein, der größte Teil mikroskopisch. 4) Die meisten zeichnen sich durch lebhafte Färbung aus. So ist die eigentliche rote Schneealge, Sphaerella nivalis, intensiv blutrot, eine im Jahre 1870 auf dem Au- leitsivikfjord in Nordgrönland von Nordenskiöld und Berggren in großen Mengen gefundene Confervacee, das Ancylonema Nordenskiöldit, kräftig purpurbraun, und die Mehrzahl der übrigen lebhaft hellgrün gefärbt. — Dass sämtliche Schnee- und Eispflanzen außerdem die Fähigkeit besitzen müssen, einen Dauerzustand anzunehmen, in wel- chem sie während der langen Unterbrechung der Vegetation durch den Polarwinter verharren können, versteht sich von selbst. Bei der eigentlichen roten Schneealge haben diese Dauersporen eine sehr zier- liche Gestalt, indem die den blutroten Zellinhalt umgebende stark verdiekte Zellwand in eine Anzahl sechseckiger Felder abgeteilt ist, welche kuppelförmige Erhöhungen tragen, so dass im optischen Quer- schnitt der rote Inhalt wie ein Rubin erscheint, umgeben von einem Kranz silbergau schimmernder Perlen. Im Anhang behandelt Prof. W. Urock dann noch die wenigen bisher bekannt gewordenen Tierformen, die in und von der Vegetation des roten Schnees leben. Dazu gehört vor allem der von Desor bei der in Gemeinschaft mit Agassiz und Pourtales im Jahre 1840 vorgenommenen Untersuchung des Unteraargletschers entdeckte Gletscherfloh, zur Familie der Poduridae gehörig, der nach ihm den Namen Desoria glacialis erhalten hat. Ein anderes zu derselben Familie der Poduridue gehöriges und fast mikroskopisch kleines Insekt ist von Kjellmann im Jahre 1873 auf einem Gletscher in der Nähe von Fairhaven auf Spitzbergen in so großen Mengen gefunden worden, dass auf einer Fläche von ungefähr einem Quadratfuß die weiße Farbe des Schnees ganz unter der Masse der Tiere verschwand. In von dort stammendem rotem Schnee fanden sich nicht nur zahlreiche ausgewachsene Individuen dieses Insekts, sondern auch große Massen Eier desselben. Interessant ist ferner ein kleiner Rundwurm, der in dem von Nathorst im Jahre 1882 von Alkhorn auf Spitzbergen heim- gebrachten roten Schnee von Professor Willnik entdeckt wurde und von Aurivillius unter dem Namen Apheleurhus nivalis beschrieben worden ist. Die roten Schneealgen waren in getrocknetem Zustand aufbewahrt und nach Schweden gebracht worden. Als aber dann be- hufs nähern Studiums die Algen in Wasser gelegt wurden, lebten nicht nur diese, sondern auch zahlreiche der mit den Schneealgen 358 Spengel, Hermaphroditismus bei Amphibien. eingesammelten Rundwürmer wieder auf. Und es zeigte sich hierbei die interessante Thatsache, dass nur erwachsene Individuen wieder auflebten, und zwar nur diejenigen, deren Verdauungsorgane sich bei mikroskopischer Betrachtung mit der roten Schneealge angefüllt zeigten, die also kurz vor der Einsammlung und Eintrocknung sich vollgefressen hatten. — Darauf beschränkt sich im wesentlichen die Liste der bisher bekannt gewordenen Tiere der Schnee- und Eisfauna; doch lässt sich erwarten, dass dieselbe noch beträchtlich sich ver- mehren wird, wenn erst zahlreiche Proben der Schneealgenvegetation eingesammelt und einer genauen Durchmusterung unterzogen sein werden. kd. Seler (Berlin). Hermaphroditismus bei Amphibien. Erst nachdem mein Aufsatz über diesen Gegenstand sich einige Wochen in den Händen der Redaktion dieses Blattes befunden hat, ist mir eine Abhandlung von Prof. Pflüger bekannt geworden, in der eine Reihe höchst merkwürdiger Angaben über Hermaphroditismus bei Fröschen enthalten sind. Dieselbe ist schon im Jahre 1882 (Band 29 des Archivs für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere) erschienen und behandelt gewisse Versuche, welche der Verf. angestellt hat, um die das Geschlecht bestimmenden Ursachen zu ermitteln. Es galt zunächst festzustellen, ob die Konzentration des Samens bei der künstlichen Befruchtung von Froscheiern (Rana fusca) einen Einfluss auf das Geschlecht hat. Das Resultat dieser Versuche war eine negative Beantwortung dieser Frage; es ergab sich aber bei einigen derselben die merkwürdige Thatsache, die mit etwas früheren Beobachtungen von Born in Einklang stand, dass unter den jungen Fröschen, die aus den Eiern gezogen wurden, eine viel geringere Prozentzahl Männchen (12,2 bis 14,1°/,) vorhanden war als unter den im freien gefangenen erwachsenen Fröschen. Pflüger weist darauf hin, dass in der Natur, wie schon älteren Beobachtern (Valisneri, Spallanzoni) bekannt war, Froschweibehen ohne Männchen keine Eier legen. Da aber jedes Männchen nur ein Weib- chen begattet, so müssen Männchen und Weibehen in gleicher Zahl vertreten sein, und damit stimmen in der That Pflügers Zählungen überein (unter 297 alten Fröschen aus Utrecht 145 Männchen = 48,8°|,, unter 310 dsgl. aus Königsberg 155 Männchen = 48,8°/,, unter 310 dsgl. aus Königsberg 155 Männchen = 50,0°,, unter 281 dsgl. aus Bonn 139 Männchen — 49,4°/,, unter 345 dsgl. ebendaher 176 Männchen — 51,0°/,). Woher rührt nun diese eigentümliche Ver- änderung des prozentischen Verhältnisses? Pflüger zeigt aus den Einzelheiten seiner Versuche, dass weder die ursprüngliche geringe Spengel, Hermaphroditismus bei Amphibien. 269 Zahl der Männchen als eine abnorme Erscheinung zu betrachten ist, indem sie sich vielmehr aus den Resultaten verschiedener Versuche berechnen lässt, noch dass die spätere größere Zahl von einer stärkern Mortalität der Weibchen hergeleitet werden kann. Er findet die Er- klärung in folgender Annahme: „Bei den jungen Fröschen gibt es dreierlei Arten von Tieren: Männchen, Weibehen, Hermaphroditen. Im Laufe der Entwickelung verwandeln sich die Hermaphroditen in definitive Weibchen oder Männchen. Wenn nun bei einem Herma- phroditen, der später ein Männchen wird, das Eierstockgewebe sehr stark entwickelt ist, so nimmt die Geschlechtsdrüse in ihrem äußern Habitus und natürlich auch bei mikroskopischer Untersuchung ganz den Charakter eines Eierstocks an. Das Tier ist aber trotzdem später ein Männchen. Da also schon diejenigen Hermaphroditen, welche später in Männchen sich verwandeln, für weiblich bei der Unter- suchung angesprochen wurden, so ist dies für die Hermaphroditen, aus denen später wirklich Weibehen entstehen, natürlich auch der Fall. Je nach dem Grade der Entwickelung des Hermaphroditismus scheint dann das männliche Geschlecht bald mehr bald weniger zurückge- drängt.“ Pflüger hat nun diese Annahme nicht zur Thatsache er- hoben, indem er die allmähliche Umwandlung von Eierstockanlagen in Hoden verfolgt hat; allein es ist ihm gelungen, in einer Reihe von Fällen den Nachweis zu führen, dass eine äußerlich als Hoden er- scheinende Geschlechtsdrüse in Wirklichkeit eine Zwitterdrüse war, und er deutet diese Beobachtung dahin, dass in diesen Fällen das Eierstocksgewebe vom Hodengewebe überwuchert worden sei. Die Tiere, an denen diese Beobachtungen angestellt worden sind, waren halbwüchsige, etwa 5 em lange (im 3. Lebensjahre stehende) Frösche aus Utrecht. Pflüger erwähnt 3 Exemplare, bei denen er in den Hoden bald mehr bald minder zahlreiche „Graaf’sche Follikel mit kernhaltiger Hülle, zartem sehr fein granuliertem Dotter, ungeheurem scharf und doppelt konturiertem Keimbläschen mit den bekannten zahl- reichen, das Licht stark brechenden Keimflecken“ getroffen hat. Ein- mal zählte er 11 Follikel auf demselben Objektglas (Zerzupfungsprä- parat). Nun waren aber grade unter den jungen Fröschen, die von Utrechter Eltern gezüchtet waren, besonders wenig Männchen, und Pflüger nimmt daher an, dass diese Erscheinung durch den diesen in besonders hohem Grade eignen Hermaphroditismus ihre Erklärung finde. Ich muss bekennen, dass ich mir diese Annahme eines, wenn auch „irregulären“, so doch normalen Hermaphroditismus der Gras- frösche nicht anzueignen vermag, zum mindesten nicht auf grund der bis jetzt vorliegenden Beobachtungen; allein es scheint doch nach Pflüger’s obigen Angaben kaum bezweifelt werden zu können, dass an gewissen Orten, z. B. in der Nähe von Utrecht, häufiger als an- derwärts Zwitterbildungen bei Fröschen vorkommen. Es muss meines 270 Drasche, Entwickelung der Polychäten. Erachtens dahingestellt bleiben, ob dieser Hermaphroditismus eine normale oder eine anormale Erscheinung ist, bezw. ob wirklich aus ursprünglich zwittrigen Anlagen durch Ueberwuchern des männlichen oder des weiblichen Gewebes ein Hode oder ein Eierstoek wird. Ich habe schon in meinem vorigen Aufsatz erwähnt, dass ich selbst nie- mals hermaphroditische Rana-Individuen bei meinen Untersuchungen angetroffen habe; aber ich kann mich erinnern, dass der verstorbene Dr. Fritz Meyer, der seine Beobachtungen in Leipzig angestellt hat, mir einmal mitgeteilt hat, dass nach seinen Erfahrungen sehr häufig bei Fröschen Hoden mit Ovarialeinschlüssen und umgekehrt Övarien mit Hodeneinschlüssen vorkämen. Es mag also die von Pflüger an Utrechter Fröschen beobachtete Erscheinung sich an den Leipziger Fröschen wiederholen, und diese Zeilen geben vielleicht einem der dortigen Kollegen Veranlassung zu einer Prüfung dieser Frage. Sollte sich dies bestätigen, so scheint mir allerdings damit allein für oder wider die Pflüger’sche Hypothese nichts bewiesen zu sein. Es ist mir einstweilen viel wahrscheinlicher, dass in der ur- sprünglich indifferenten Geschlechtsdrüse in den in Rede stehen- den Fällen häufiger als sonst einzelne Elemente eine von der Haupt- masse abweichende Entwicklungsriehtung einschlagen und so zur Bildung eines anormalen Hermaphroditismus führen. Ist Pflüger’s Annahme richtig, so muss sie sich durch Untersuchung der Zwischen- stadien beweisen lassen. Ich will aber nicht unerwähnt lassen, dass dies Auftreten von Övarialfollikeln im Hoden auch noch einer andern Deutung fähig ist; dieselbe könnten möglicherweise — ich spreche dies nicht einmal als eine Vermutung aus, sondern möchte nur die Möglichkeit her- vorheben, — eine dem Bidder’schen Organ des Krötenhodens analoge Bildung repräsentieren und in einer Weise in den Entwicklungskreis der männlichen Elemente hineingehören, wie ich es für die Elemente dieses Organes als möglich hingestellt habe. In diesem Falle würde der Hermaphroditismus der Frösche, selbst wenn die Erscheinung eine normale und konstante wäre wie der angebliche Hemaphroditismus der Krötenmännchen, natürlich kein echter Hermaphroditismus sein, sondern nur ein scheinbarer, erzeugt durch die Eiähnlichkeit ge- wisser Entwicklungsformen der männlichen Elemente. J. W. Spengel (Bremen). R. von Drasche, Beiträge zur Entwickelung der Polychaeten. Erstes Heft. Entwickelung von Pomatoceros triqueter L. Wien. Gerold & Sohn. 1884. In einer wenig umfangreichen, aber von drei hübsch ausgeführten Tafeln begleiteten Abhandlung hat R. von Drasche Beobachtungen Drasche, Entwickelung der Polychäten. DA über die Entwickelung einer Serpulide, des Pomatoceros triqueter L., niedergelegt, die er im Juli vorigen Jahres auf Helgoland angestellt hat. Bringt dieselbe auch im allgemeinen nur Bestätigungen früherer Wahrnehmungen über die Vorgänge in der Entwickelung anderer Annelidenarten, so verdient sie doch schon aus dem Grunde Berück- sichsichtigung, weil bisher die Ontogenie der Serpuliden nicht so sorgfältig erforscht worden war. Ein Aufsatz von Stossich über Serpula uncinata enthält überdies so viele unverständliche und von den Ergebnissen anderer Forscher abweichende Angaben, dass eine Prüfung derselben an einem möglichst nahe verwandten Objekt sehr erwünscht scheinen musste. Die Furchung führt zur Bildung einer Blastula, die aus 32 Zellen von geringerem Größenunterschiede zusammengesetzt ist; nur das Zentrum des vegetativen Poles ist von 4 größeren Zellen eingenommen und von diesen geht die Einstülpung des Urdarmes aus, indem die- selben zuerst nach innen sich verlängern und in die Furchungshöhle rücken, worauf ihnen die umgebenden Zellen nachfolgen. Der an- fangs runde Blastoporus verlängert sich zu einer Spalte, welche sich von der Rückseite her nach vorn schließt. Das Endodermsäckchen biegt sich nach einiger Zeit um und sein dem Munde entgegenge- setztes Ende legt sich an das hier verdünnte Ektoderm. „Die Blasto- porusspalte ist bis auf das vordere Ende, welches zur bleibenden Mundöffnung wird, geschlossen.“ In diesem Stadium ist schon der präorale Flimmergürtel angelegt, dessen Zellen ein schön blaues Pig- ment enthalten, auf der rechten Seite des Scheitelfeldes ein großer brauner Augenfleck und im Zentrum desselben ein Geißelschopf, mit einem Wort, es ist bereits eine typische Annelidenlarve gebildet. Der Wimpergürtel lässt sich bald in einen präoralen und einen postoralen Kranz zerlegen, zwischen denen eine wimpernde Furche gelegen ist, und das ganze Scheitelfeld ist mit Flimmerbüscheln besetzt, wie Hatschek es bei Polygordius fand. „An der Bauchseite zieht sich ein flimmernder Streifen bis knapp vor die Hinterspitze des Tieres, welche mit einem langen starken Haare versehen ist.“ Eine Ekto- dermzelle neben dem After erscheint zu einer großen Blase umge- wandelt; Stossich beobachtete ähnliches bei Serpula uncinata, und Salensky fand bei Psygmobranchus zwei sehr große durchsichtige Zellen, die er „glandes anales primitives“ nennt. Dorsal von der- selben mündet der Darm in eine mit einem Büschel steifer Haare besetzte Afteröffnung. Die Herkunft des Mesoderms konnte v. Drasche nicht beobachten. Er traf dasselbe zuerst in Gestalt von zwei noch aus wenigen Zellen gebildeten Mesodermstreifen, an die sich vorn jederseits ein zur untern Wandung des Oesophagus führender Muskel anheftet. Und an dem hintern Teil dieses letztern ist „ein stark flimmernder Kanal befestigt, welcher in einen mehrfach gerippten Triehter endigt“, ein Gebilde, das dem Exkretionsorgan des Polygor- 372 Drechsel, Elektrolysen und Elektrosynthesen. dius entspricht. Bis zu diesem Stadium werden die Larven im Aquarium gezüchtet; ältere fanden sich im pelagischen Auftrieb. Bei den Jüngsten von diesen waren die Mesodermstreifen schon deutlich in 4 Segmente geschieden. Die Scheitelplatten ziehen sich als breite Lappen nach hinten; auf dem Pole sind sie durch eine schmale Brücke verbunden. Auf der linken Seite ist nun ebenfalls ein brauner Augenfleck entstanden. Dies ungleichzeitige Auftreten der beiden Augen ist eigentümlich; doch fand Stossich ganz das gleiche bei einer Serpula-Larve, und Salensky ähnliches bei Psygmobranchus. Das Bauchmark hat sich als eine ventrale Ektodermverdickung an- gelegt. Die Analblase ist verschwunden. In einem etwas ältern Stadium ist die Ektodermverdiekung noch stärker geworden und „im Mesoderm zeigt sich die erste Anlage der Borstensäcke im optischen Durchschnitt als rosettenförmig um eine große Zelle angeordnete Zellen. Die zentrale Zelle enthält zwei kleine Borsten, eine größere und eine kleinere.“ Bei nur wenig älteren Tieren sieht man schon seitliche Aeste der Scheitelplatte sich unterhalb des Oesophagus mit dem Bauchmark verbinden. Auch hier ist aber die Anlage des Bauch- marks völlig von der des Gehirns (Scheitelplatte) getrennt (Klei- nenberg, Götte, Salensky). Bei der ältesten pelagisch gefischten Larve halten die Borsten die Körperwand durchbrochen, und auch die Hakenborsten waren bereits angelegt. „Das vorderste borsten- tragende Segment entbehrt ihrer, obwohl beim erwachsenen Tiere auch das erste borstentragende Segment mit Hakenborsten versehen ist und dadurch von vielen anderen Serpuliden abweicht, deren erstes Segment nur Haarborsten enthält.“ Auf dem Scheitel stehen beider- seits Gruppen von starren Haaren. Der präorale Wimperkreis ist von vier Zellenreihen gebildet, der postorale von einer. Zwischen den großen Augenflecken „erstreckt sich ein Gürtel eigentümlicher poly- gonaler Zellen. In der Mitte jeder dieser Zellen liegt ein kleines hakenförmiges Gebilde“. Und dahinter trifft man noch zwei schlei- fenförmige Figuren. Für beide Teile hat Verfasser keine Deutung. [Sollten die letzteren Figuren nicht den Anlagen der „Nackenorgane“ entsprechen, jener bei so vielen Anneliden in dieser Körperregion sich findenden Sinnesorgane?]. Sehr deutlich ausgebildet ist schon die Hautfalte, welche dem sogenannten Kragen des erwachsenen Tieres entspricht. J. W. Spengel (Bremen). E. Drechsel, Elektrolysen und Elektrosynthesen. Journ. f. prakt. Chemie. N. F. Bd. 29. Jahrg. 1884. Bereits vor drei Jahren berichteten wir von den Erfolgen Drechsel's, Harnstoff außerhalb des Organismus synthetisch darzustellen, indem Drechsel, Elektrolysen und Elektrosynthesen. 273 er dem karbaminsauren Ammon mittels der Elektrolyse mit Wechsel- strömen die Elemente des Wassers auf die Weise entzog, dass in möglichst raschem Wechsel eine Reduktion, um Sauerstoff, und eine Oxydation, um Wasserstoff zu entfernen in der wässerigen Lösung des genannten Salzes vorgenommen wurde. Dieser Arbeit musste eine um so größere Tragweite beigelegt werden, als im tierischen Organismus nachweislich sowohl Oxydatio- nen als Reduktionen verlaufen und als jetzt zum ersten mal eime be- friedigende und bis zu einem gewissen Grade auch experimentell ge- stützte Erklärung für die Bildung des Harnstoffes im Tierkörper ge- geben war. Drechsel hat nun weiter gesucht, ob nicht auch andere Syn- thesen, von denen wir wissen, dass sie im tierischen Organismus statt- finden, außerhalb desselben unter ähnlichen Bedingungen erzielt wer- den können. Es gelang ilm besonders die Elektrosynthese der Phe- nolätherschwefelsäure. Hier liegen die Verhältnisse insofern anders als beim Harnstoff, als es sich um die Vereinigung zweier Moleküle zu einem handelt. Die Versuche wurden, der leichtern Zersetzlichkeit der freien Aetherschwefelsäure wegen, stets in alkalischer Lösung, oder genauer in Gegenwart eines Bikarbonats und unter beständigem Durchleiten von Kohlensäure angestellt. — Eine gesättigte Lösung von doppelt- kohlensaurer Magnesia wurde mit dem gleichen Volumen einer Lösung von schwefelsaurer Magnesia gemischt und das Ganze mit reiner Carbol- säure gesättigt. Zirka 400 cem der Mischung wurden dann etwa 30 Stunden hindurch unter Abkühlung in einer dem früher beschriebenen Verfahren analogen Weise mit Wechselströmen elektrolysiert. Nach Ablauf der angegebenen Zeit wurde die Flüssigkeit in eine Sammel- flasche gebracht und so .oft durch frische ersetzt, bis man zirka 12 Liter der elektrolysierten Flüssigkeit gewonnen hatte. Die Produkte, welche bei dieser Behandlung aus dem Phenol entstehen, sind sehr mannigfaltig; ein grolser Teil besteht aus brau- nen amorphen Substanzen, die nur schwer zu entfernen sind und die Abscheidung krystallinischer Verbindungen um so mehr erschweren, als diese letzteren meist nur in kleinen Mengen vorhanden sind. Uebrigens sind es sowohl synthetische als auch analytische Prozesse, welche unter der Einwirkung der Elektrolyse mit Wechselströmen sich abspielen. Erstere führen zu der Bildung von y-Dipherol und gepaarten Schwefelsäuren, besonders Phenolschwefelsäure, letztere dagegen zur Entstehung einer ganzen Reihe von verschiedenen Säuren. Die Bildung des y-Diphenols lässt sich durch folgende Gleichung ausdrücken: 2 C,H, OH + O = H0.0,H,.C;H,.0H + H,O, d. h. wenn 1 Atom Sauerstoff in statu nascendi mit 2 Mol. Phenol zusammentrifft, so entzieht es jedem derselben je 1 At. Wasserstoff 18 DIE Drechsel, Elektrolysen und Elektrosynthesen. und die beiden gleichartigen Reste C,H,.OH vereinigen sich zu dem Diphenol. Trifft das Sauerstoffatom aber nur 1 Mol. Phenol, so oxydiert es dieses sofort zu Hydrochinon, bez. Brenzeatechin: CH:220H,.. 0, CH, 30: Die Phenolätherschwefelsäure entsteht dagegen durch Oxydation mit nachfolgender Reduktion: I. C,H,.0H + H0.S0,.0H+0=C,H,.0.0.80,.0H +H;0. 1.@33,0, 0-80, Ort. H;;— GH,>0 803,708 224,0. Das Zwischenglied C,H, . 0.0.50, . OH ist übrigens isomer mit Hydrochinon- (Brenzeatechin-) monätherschwefelsäure: HO.C,H,. O0 .S0O,.. OH und könnte sich vielleicht teilweise in diese umwandeln; letztere könnte auch durch einfache Oxydation nach Art des Diphenols aus den Komponenten gebildet werden. Die nieht schwefelsäurehaltigen Produkte lassen sich im folgende Reihen zusammenstellen: Phenol: C,H,O. Brenzeatechin: C,H,0,: Hydrochinon; C,5H,,03: y-Diphenol. | AEE GPEEL PT LEG CHR OHREN 00097 Vo CEEBEESSEN [ASFIENTES BEBEEEIFER ATZE | (C,H,50,) (C,H, 003) Normalvaleriansäure: C,H,,0, (?) (C,H,0,) Normalbuttersäure: C,H,;O,( ?) C,H,O,: Bernsteinsäure (G5HLO)) G,H,O,: Malonsäure (?) (C,H,0,) G,H,0,: Oxalsäure Ameisensäure: CH,O, Das Phenol wird also zunächst zu Hydrochinon und Brenzeate- chin (Resorein konnte nieht aufgefunden werden) oxydiert, von denen das erstere anscheinend kaum weiter verändert wird (ein kleiner Teil geht vielleicht in Chinon über), während das letztere durch Aufnahme von Wasserstoff und Sauerstoff in Säuren der Ameisensäure und Oxal- säurereihe übergeht. Hierauf deutet wenigstens der Umstand, dass die Reaktionsflüssigkeit zwar viel Hydrochinon, aber nur wenig Brenz- catechin enthält. Die wirklich nachgewiesenen ein- und zweibasischen Säuren bilden ferner eine Reihe mit regelmäßig abnehmendem Kohlen- stoffgehalt; demnach muss eine stufenweise Verbrennung in der Art stattgefunden haben, dass immer 1 At. Kohlenstoff aus dem Molekül herausgenommen und zu Kohlensäure, verbrannt worden ist, unter gleichzeitiger Bildung der Säure mit dem nächst niedern Kohlenstoff- gehalte. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit beanspruchen ein um so größeres Interesse, als die aufgeführten Körper zum Teil überhaupt noch nicht direkt aus Phenol erhalten worden sind, zum Teil nur durch verschiedene kräftige Reagentien bei höherer Temperatur. Schließlich sei noch betont, dass die Produkte zum Teil die näm- lichen sind, welche auch der Tierkörper aus Phenol bildet: die Aether- Hallopeau, Die Rolle der Infektions-Stoffe bei Krankheiten. 2375 schwefelsäuren des Phenols, Hydrochinons und Brenzcatechins. Da aber bekanntlich nicht alles Phenol in diesen Formen ausgeschieden wird, ein Teil desselben vielmehr „verschwindet“, so wird man den Phenolharn in Zukunft auch noch auf die oben gefundenen Säuren zu untersuchen haben, namentlich auf Bernsteinsäure. Schmidt-Mülheim (Iserlohn). Hallopeau, Le röle des agents infectieux dans les maladies. Im achten Heft der Revue scientifique lesen wir einen Aufsatz über die Rolle, welche infizierende Stoffe, namentlich Bakterien, bei Krank- heiten spielen. Da er eine recht vollständige Zusammenfassung der bekannten Thatsachen und Hypothesen aus dem interessanten Kapitel der Bakterienbiologie ist, so halten wir ihn für wert, unseren Lesern in wenig veränderter Form mitgeteilt zu werden. In seinem dem- nächst erscheinenden Traite &l&mentaire de pathologie generale wird Hallopeau über die betreffenden Forschungen ausführlicher be- richten }). Vielleicht ist der Tag nieht mehr fern, an dem alle infizierenden Stoffe als Parasiten angesehen werden; heute indess können wir dieser Ansicht, ohne den Weg der Hypothese zu betreten, noch nicht vollkommen beistimmen. Man kann die Weiterverbreitung soge- nannter ansteckender Krankheiten der Art ihres Entstehens, ihrer Entwickelung und Uebertragung nach, nur durch das Eindringen von organisierten Elementen in den Organismus erklären, welche das wesentliche Kennzeichen des Lebens, nämlich die Fähigkeit sich fortzupflanzen, haben. Wennschon sie sich entweder innerhalb oder außerhalb des menschlichen Körpers vermehren, so ist damit noch lange nieht bewiesen, dass sie alle ein Dasein führen, welches unabhängig von dem Organismus ist, in welchem sie sich entwickeln, und dass sie demnach tierische oder pflanzliche Individuen sind, die man korrekter Weise mit dem Namen Parasit bezeichnen kann. Nun wird man allerdings von vorneherein wohl nicht absolut die Hypothese verwerfen können, der zufolge einigevonihnen dureh den Organismus selbst erzeugt werden und dann auch fähig sind in an- deren Subjekten zu leben und sich zu vermehren. Dies ist z. B. der Fall bei den Epithelialzellen und den careinomatösen Zellen, die in andere Organe eingewandert sind. Anderseits sind aber auch der Zeitraum der Entstehung an- steekender Krankheiten, der gewöhnlich plötzliche Ausbruch der sie 1) Nachstehender Artikel ist weniger eine Kritik der Ansichten Hallo- peau’s, als vielmehr eine bloße Wiedergabe derselben. Red. 18* 376 Hallopeau, Die Rolle der Infektions-Stoffe bei Krankheiten. charakterisierenden Erscheinungen, ihr meist kreisförmiger Verlauf und die Immunität, welehe mehrere den von ihnen befallenen Indivi- duen verleihen, ebensoviele Charaktere, die sie von den bis jetzt be- kannten parasitischen Krankheiten trennen und die Unterscheidung rechtfertigen, welche einige Forscher aufgestellt haben. Wennschon man bei den meisten ansteckenden Krankheiten Mi- kroorganismen gefunden hat, so kann man sich doch sehr häufig mit Reeht fragen, ob sie entweder die Ursache oder die Wirkung der Erscheinungen sind, welche jene charakterisieren, oder ob sie sich indifferent verhalten. Die Einwände, welche gegen die Theorie erhoben worden sind, derzufolge man die Mikroorganismen selbst als infizierend betrachtet, können folgendermaßen kurz zusammengestellt werden: „1. Wir begegnen Mikroben, die identisch zu sein scheinen, trotz- dem verschiedene Krankheiten vorliegen.“ Darauf erwidert man, dass jene Organismen zu klein sind, um mit Sicherheit unterschieden zu werden, und dass sie außerdem auch noch anatomische Differenzen aufweisen können, welche zwar alle nicht sehr abweichend von einander sind, sich indess dureh ihre Funktionen charakterisieren. „Die Natur eines Fermentes, sagt Pasteur!), kann streng ge- nommen nur durch seine physiologische Funktion festgestellt werden.“ Dem wollen wir hinzufügen, dass schon jetzt der Fortschritt in der Technik histologischer Untersuehungen erlaubt, Unterschiede zwischen Mikroorganismen zu entdeeken, die bis dahin noch als identisch be- trachtet wurden. So z. B. hat Koch Parasiten von verschiedenem Habitus bei der Septihämie, der eitrigen Infektion und der diffusen Phlegmone entdeckt und gezeigt, dass dem verschiedenen Aeußeren verschiedene pathogene Wirkungen entsprechen. 2. „Man kann subkutan Flüssigkeiten eimspritzen, welche mit Bakterien geschwängert sind, ohne krankhafte Zufälle zu erzeugen.“ Diesem Vorwurf kann man wie dem andern begegnen, dass eben zwischen Bakterien und Bakterien ein großer Unterschied besteht. 3. „Das Vorhandensein von Mikroben ist bei ansteckenden Krank- heiten durchaus nicht konstant.“ Man muss wissen, dass sie nicht immer unter identischer Form existieren. Wir werden weiter unten sehen, dass die Milzbrandbaeillen Sporen erzeugen können, welche fähig sind die Krankheit fortzupflanzen, trotzdem diese Sporen von den sie erzeugenden Mutterindividuen gänzlich verschieden sind. Anderseits wieder scheinen die durch ansteckende Stoffe erzeugten chemischen Substanzen zu genügen, um Krankheitsfälle hervorzurufen. Wenn man einem Tiere eine relativ beträchtliche Menge fauliges Blut 4) Pasteur, Des alt6rations spontaneges ou maladies des vins (Acad. des sc. 1864). Hallopeau, Die Rolle der Infektions-Stoffe bei Krankheiten. ITT einspritzt, so geht es nach wenigen Stunden zu grunde, und doch findet man in seinen Geweben nur eine ganz unbedeutende Menge von Mikroorganismen. Es ist durch die chemischen Verbindungen vergiftet worden, welche in dem fauligen Blut enthalten waren. Wenn man dem entgegen nur eine ganz geringe Quantität fauliges Blut injiziert, so tritt der Tod erst nach einigen Tagen ein, und nun ent- halten die Gewebe zahlreiche Mikroben (Koch). 4. „Lewis behauptet, dass bei allen Subjekten Mikroorganismen gefunden werden können, und falls sie bei einer ansteckenden Krank- heit in beträchtlicher Anzahl vorkommen, dass dann unser Gewebe einen sehr günstigen Boden für ihre Entwickelung bietet.“ Der Fall, auf welchen sich Lewis stützt, wird von Pasteur, Cohn und Ba- bes bestritten; der letztgenannte Forscher hat bei mehr als hundert Individuen die Abwesenheit von Mikroben im Blut und den sonstigen Körperflüssigkeiten konstatiert; übrigens steht die Lewis’sche An- sicht auch in direktem Widerspruch mit den Experimenten, durch welche mit Hilfe von Reinkulturen Milzbrand erzeugt wurde. 5. „Die als ansteckend bezeichneten Krankheiten kann man durch das Eindringen von Alkaloiden in den Organismus erklären, die ihren Ursprung aus Proteinkörpern nehmen.“ Diese Substanzen wurden 1872 von A. Gautier!) und Selmi?) entdeckt, von letzterem unter dem Namen Ptomaine beschrieben und seitdem von Gianetti und Corona°), Brouardel und Boutmy *) und Gautier und Etard studirt. Man kann sie nicht allein, wie man früher annahm, nur aus verfaulten Eiweißstoffen, sondern nach Gautier auch aus den nor- malen Exkreten und Sekreten höherer Tiere ausziehen. Sie geben, wenn sie in den menschlichen Körper eindringen, Veranlassung zu schweren und ihrer Natur nach verschiedenen Störungen. So z. B. werden Erweiterung und Unregelmäßigkeiten in der Pupille, augen- blicklickliche Verlangsamung und Unregelmäßigkeit des Herzschlages, Verlust der Kontraktionsfähigkeit der Muskeln, Konvulsionen und Tod mit Systole des Herzens erzeugt. A. Gautier vermutet, dass sie sich unter gewissen pathologischen Umständen in beträchtlicher Quantität bilden können, und dass sie eine der Ursachen der Funk- tionsstörungen sind, welche sich namentlich bei vielen Krankheiten folgen, wenn Assimilationsstörungen und verminderte Harnausschei- dungen auftreten. 4) A. Gautier, les alcaloides derives des malieres proteiques (Jour. d’anat. et de physiol. Paris 1881) 2) Selmi, Sur un alcaloide qui s’extrait du cerveau, du foie et du co- quelicot (Gaz. chem. ital. 1875). 3) Gianetti et Corona, Sugli alcaloidi cadaveriei etc. Bologna 1880. 4) Brouardel et Boutmy, Reactif propre & distinguer les ptomaines des alcaloides vegetaux (Ann. d’hyg. 1881. VI, p. 9). 2378 Hallopeau, Die Rolle der Infektions-Stoffe bei Krankheiten. Gautier’s Ansicht entgegen nimmt Ch. Bouchard!) an, dass diese Körper nur in tierischen Produkten auftreten, wenn dort mi- kroskopische Pilze leben und neigt sich der Ansicht zu, sie als Aus- scheidungsprodukte jener pflanzlichen Organismen zu betrachten. Von dem Augenblick an, wo man erkannt hat, dass die in abge- storbenen tierischen Materien lebenden Bakterien Alkaloide erzeu- gen, kann man sich fragen, ob andere im lebenden Körper sich ver- mehrende Bakterien nicht ähnliche Substanzen zu erzeugen im stande sind. Um die Riehtigkeit dieser Vermutung festzustellen hat Ch. Bou- chard in dem Urin von Individuen, welche von einer ansteckenden Krankheit befallen waren, die Alkaloide zu entdecken sich bemüht und hat sie in gewissen Fällen auch faktisch beständig gefunden. Aller- dings trifft man sie auch spurweise im Urin von gesunden Personen, indess beweist dies keineswegs, dass sie nicht trotzdem von nie- deren Pilzen gebildet worden sind. Im normalen Zustande sind im Verdauungstraktus große Mengen von Mikroorganismen vorhanden, es ist also sehr leicht möglich, dass auch in den Eingeweiden gesunder Subjekte Alkaloide erzeugt, absorbiert und dann durch den Urin eli- miniert werden. Bouchard hat in der That nachgewiesen, dass alle frischen Fäkalstoffe eine um so größere Menge von Alkaloiden ent- halten, je mehr Bakterien sich finden. Die Alkaloide haben verschie- dene Eigenschaften, die einen sind in Aether löslich, die anderen wie- der unlöslich. Sie reagieren verschieden, wenn man sie mit Queck- silberjodid und Kaliumkarbonat ete. behandelt. Die Quantität der im Urin enthaltenen Alkaloide variiert je nach der Quantität der im Stuhlgang vorgefundenen; wenn diese sich vermindern, so vermindern sich auch jene. In Hinsicht auf diese Thatsachen stellt Bouchard folgende Sätze auf: Es existieren bei normalem Befinden Alkaloide im Körper der lebenden Individuen; diese Alkaloide werden im Ver- dauungstraktus wahrscheinlich von pflanzlichen Organismen gebildet; die Alkaloide des normalen Harns repräsentieren einen Teil der durch die Schleimhaut des Darmes aufgenommenen und durch die Nieren wie- der ausgeschiedenen Alkaloide; die Krankheiten, welche die intestinale Fäulnis vergrößern, vermehren auch dureh diesen Vorgang die Menge der im Urin enthaltenen Alkaloide; wenn man es auch nur für wahr- scheinlich erachtet, dass die Alkaloide bei gewissen infizierenden Krankheiten als Entstehungsursache Mikroorganismen haben, welche in den Geweben und Flüssigkeiten des Körpers zerstreut sind, so ist es doch gewiss, dass beim Typhus wenigstens ein Teil der im Urin auftretenden Alkaloiden intestinalen Ursprungs ist. Bou- chard betrachtet es als möglich, indess nicht als schon feststehend, dass sie giftige Eigenschaften besitzen und dass ein Verweilen im 1) Ch. Boucehard, Sur la prösence d’alcaloides ete. (Societ& de Biologie). Hallopeau, Die Rolle der Infektions-Stoffe bei Krankheiten. 279 Körper toxische Erscheinungen während des Verlaufes der anstecken- den Krankheit erzeugen kann. Wenn nun dem wirklich so ist, so ist die Frage die, ob die Bak- terien durch sich selbst oder durch ihre Ausscheidungsprodukte wirken. Ihre Rolle bleibt in beiden Fällen eine bedeutsame; die Theorie, welche ihnen die Ursache der Krankheiten zuschreibt, kann man für mehrere von ihnen als bewiesen betrachten und schon heute für die meisten, wenn nicht für alle, als sehr wahrscheinlich annehmen, dann vor allem, wenn sie durch sich selbst diese infizierenden Eigenschaften besitzen und wenn sie dieselben nicht denjenigen Organismen ent- nehmen, in welchen sie sich entwickeln. Mehrere der angesehensten Pathologen glauben in der That mit Nä- geli, dass die Bakterien die Träger des Miasmas oder der Ansteckung sind: „das was die Bakterie ansteckend macht, sagt Professor Jaccoud!), ist ihre Herkunft und nicht eine ihr innewohnende Wirkung. Es gibt keine spezielle Bakteritis für jede Krankheit. Die dem Rückfalltyphus eigentümliche Spirilla unterscheidet sich von derjenigen der allgemeinen Spirillaspezies nicht; die kugligen und stäbchenförmigen Bakterien, welche man bei Typhus, Cholera, Scharlachfieber und Masernkranken findet, unterscheiden sich nicht durch ihre äußeren Charaktere von den anderen kugligen oder stäbehenförmigen Mikrokokken; die Mikroben der Diphtheritis, des typhoiden Fiebers, der Kuhpocken haben gleicher- weise keinen ihnen eigentümlichen Charakter; somit sind die den Bak- terien zukommenden infizierenden Eigenschaften erborgte Eigen- schaften, welche speziell von dem Orte stammen, an welchem sie sich ent- wickelten. Die Bakterie, welche von einem Blatternkranken oder von einem Diphteritiker kommt, hat folglich eine infizierende Wirkung, welche der ähnlichen Bakterie, deren Ursprung aber ein anderer ist, mangelt. Die durch das Pockengift angesteckte Person erzeugt, wenn sie Bak- terien in sich trägt, Pockenbakterien; sie ist durch und durch pockig. Wegen ihrer Vermehrungsfähigkeit wirken diese Organismen aber viel heftiger als Uebertragungsmittel der Krankheit wie jedes andere Partikelchen oder jede andere Flüssigkeit derselben Herkunft. Ist eine Bakterie ihres Ursprungsortes wegen einmal ansteckend geworden, so bewahrt sie diese Eigenschaft, mehr oder weniger ausgebildet, von Generation zu Generation und selbst durch sogenannte Reinkulturen hindurch (Jacecoud). Professor Peter verteidigt dieselbe Meinung: „Meine Ansicht ist, sagt er, dass die Mikroben, welche uns umgeben, nur unter der Bedingung krankheitübertragende Stoffe sind, dass sie aus einem kranken Organismus entstammen. Es gibt, wie Robin bemerkt, keinen Tollwut- oder Syphiliskokkus, wohl aber einen, der sich in 4) Jaccoud, les maladies infectieuses. Paris 1883. 280 Hallopeau, Die Rolle der Infektions-Stoffe bei Krankheiten. einem tollwutkranken oder einem syphilitischen Organismus auf- hält“ !). Ch. Robin?) formuliert seine Ansicht folgendermaßen: „Bis jetzt ist man bei der Untersuchung von Staub noch niemals auf schädliche oder gar tödliche Keime gestoßen, auch hat man unter den in der Luft enthaltenen und der Reinkultur unterworfenen nur ganz harm- lose Bakterien gefunden. Nur die hat man für totbringend erkannt, welche von kranken oder gestorbenen Individuen herrühren, bei denen die vorhergehende pathogene Wirkung und der Tod diesen parasiti- schen Organismen zugeschrieben wurde. Demnach ist man genötigt anzunehmen, dass die Spaltpilze oder Fermente, welche als un- schädlich in den Organismus eintreten, als tödlich oder krankheit- erzeugend aus ihm hervorgehen, wenn der Organismus selbst abge- storben oder ansteckend krank ist. Dies kann nur so geschehen, dass Molekül um Molekül imbibiert oder von der Nährsubstanz, welche das Tier siech gemacht hat, durchdrungen wird. Diese Substanz, welehe von den vorher unschädlichen Pilzen assimiliert worden ist, wird in ihnen ihre unheilbringende Kraft bewahren und sie sogar durch mehrere Kulturen hindurch ihren Abkömmlingen übertragen. Der Pilz geht, als unschädliches Ferment eingeführt, mit giftigen, pockigen, ansteckenden, cholerischen, syphilitischen Eigenschaften, d. h. als giftiges, ansteckendes Ferment wieder daraus hervor.“ Die parasitische Natur des Rotzes, der Tuberkulose kann als bewiesen betrachtet werden. Die letzten Reinkulturen, mit denen man diese Krankheiten einimpft, repräsentieren Bruchteile, welche sich auf Trilliontestel von dem Gifte beziffern, mit Hilfe dessen die erste gemacht wurde. Kann man hier noch mit Robin annehmen, dass die Bakterien unter diesen Bedingungen wirksames Gift aus der ersten Kultur übernommen haben? Dies ist im höchsten Grade unwahrscheinlich; doch steht im übrigen die Robin’sche Hypothese vollkommen im Widerspruch mit der Parasitentheorie? Wenn die aus den infizierten Individuen hervorgegangenen Mikroben die Krank- heit übertragen, und wenn sie sich im den von ihnen befallenen Sub- jekten in ungeheurer Anzahl vermehren, kann man da nicht sagen, dass sie die Verbreiter der Infektion sind und sich wie wahre Para- siten benehmen? Damit soll nicht gesagt sein, dass alle Mikroben wirklich Para- siten sind. Es ist möglich, dass, wie wir schon angedeutet haben, den Ansichten Biechamp’s, Estor’s und Grasset’s entsprechend, ge- wisse von ihnen durch den kranken Organismus erzeugt und dann auf andere Subjekte übertragen werden, und dass sie außerhalb des 1) Peter, Bulletin de l’Acad. de mödecine 1883. 2) Robin, Artikel Germes im Dietionnaire encyclopedique des sciences medicales. Seler, Essbare Insekten. 281 menschlichen Organismus in der Natur nicht existieren. Ein theoreti- scher Grund liegt nicht vor, der uns hindern könnte anzunehmen, dass lebensfähige Partikel, die aus einem kranken Körper stammen, wenn sie auf gesunde Individuen übertragen werden, hier, indem sie sich vermehren, zu tödlichen Krankheiten Anlass geben können. Wäre dies wohl, wie man angenommen hat, eine generatio spontanea ? Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass aus den Elementen unserer Gewebe lebensfähige Granulationen entstehen und durch den Einfluss unbekannter Ursachen schädliche Eigenschaften erlangen können. Die Frage wird nicht eher zum Abschluss gekommen sein, solange man nicht die Existenz aller infizierenden Bakterien außerhalb der lebenden Individuen gezeigt haben wird. C. B. Essbare Insekten. Johannes der Täufer aß in der Wüste, wie das Markusevangelium erzählt, Heuschrecken und wilden Honig. Diodorus Siculus be- richtet sogar von einem ganzen Stamm von Heuschreckenessern, die, wenn inr Frühjahr die Winde ihnen die Heuschrecken aus der Wüste zuführten, dieselben in großen Massen fingen, sie einsalzten und da- von das Jahr hindurch lebten. Noch heute werden in Arabien die Heuschreckenzüge als gottgesendeter Festschmaus begrüßt. Desglei- chen rösten die Eingebornen Südafrikas die Heuschrecken schwach am Feuer und verspeisen sie in unglaublichen Mengen. Im übrigen ist die Zahl der Tiere dieser Ordnung, welche eine wesentliche Rolle in der Ernährung des Menschen spielen und nicht bloß, wie vielfach bei wilden mit der Not des Lebens ringenden Stämmen der Brauch, gelegentlich mit verspeist werden, nicht grade sehr groß. Living- stone berichtet aus einer seiner Reisen in Südafrika von einer Art Mücke, die von den Eingebornen in großen Mengen eingesammelt werde, um zu einer Art Kuchen verarbeitet und verspeist zu werden. Zwei weitere interessante Beispiele führt J. Sparre Schneider im Novemberheft vorigen Jahres der Zeitschrift „Naturen“ an (Kristiania. VI. Jahrg. S. 163—166). Das erste betrifft einen Käfer aus dem Geschlechte Eimis, kleine zur Familie der Parnidae gehörige Wasserkäfer, die in stark fließen- den Gewässern auf der Unterseite von Steinen oder Pflanzen leben. Unser verdienter Landsmann, Professor R. A. Philippi in Santiago de Chile, erhielt von einem Herrn aus Siena jüngst eine größere Zahl von Exemplaren einer kleinen, kaum 2 Linien langen Art dieses Ge- schlechts, die, wie das beigegebene Etikett besagte, in ruhigen Bächen und Flüssen auf dem Hochlande, in der als Sierra bezeichneten I82 Seler, Essbare Insekten. Höhenregion, vorkommt, daselbst unter dem Namen chiche — richtiger wohl chiehi — bekannt ist, und als Gewürz zu einem Chupe de chiche genannten Gericht verwendet werde. Der Käfer wird, wie das Eti- kett weiter besagt, in so großen Mengen gefangen, dass mit ihm ein nicht unbedeutender Handel getrieben wird. Die Art erwies sich als neu und ist von Philippi im 25. Jahrgang der „Stettiner entomolo- gischen Zeitung“ unter dem Namen Elmis condimentarius beschrieben worden. Chupe ist die bekannte peruanische Kartoffelsuppe, ein Ge- richt aus in Wasser geschnittenen Kartoffeln, die gesotten und mit spanischem Pfeffer gewürzt werden, unter Zuthat von etwas Eiern oder Fleisch, falls letzteres zu haben ist. Dass zu dieser Kartoffel- suppe auch eine Sauce von chichi gegeben werde, ist längst bekannt. Aber diese chichi — das Wort bedeutet eigentlich weiter nichts als einen kleinen Gegenstand, denn der peruanische Indianer bezeichnet damit auch Goldstaub und ähnliche kleine Dinge und braucht es auch als Zeitwort in der Bedeutung „kleine Dinge suchen“ — hielt man bisher für kleine Krebse. Vgl. Tschudi, Wörterbuch der Ketschua Sprache s. v. Es ist jedenfalls interessant zu erfahren, dass wir das mit diesem Namen bezeichnete Tier in der für die Er- nährung des Menschen im übrigen so wenig in betracht kommenden Ordnung der Käfer zu suchen haben. Ein zweites Beispiel eines Insekts, welches für einige: Stämme eine gewisse Bedeutung als Lebensmittel erlangt hat, bietet uns die Larve einer kleinen Fliege, die in den Sodaseen des Staates Nevada in Nordamerika vorkommt. Dieselbe ist von Dr. W. Williston in New-Haven im Juliheft vorigen Jahres der „Transactions of the Con- neceticut Academy“ beschrieben worden, woselbst auch eine Abbildung von dem Tiere gegeben ist, die in „Naturen“ reproduziert ist. Dr. Williston erhielt das Tier aus einem See in der Nähe von Rugtown in Nevada, dessen Wasser, bei einem spezifischen Gewicht von 1,0975 in 1000 Teilen Flüssigkeit 114,7 Teile feste Substanz enthält, darun- ter 64,94 Kochsalz, 29,24 Soda, 13,76 Glaubersalz, ferner schwefel- saures Kali, kohlensaure Magnesia u. a. m. Dieselben Larven waren schon früher von Prof. Siliman im Lake Mono gesammelt worden, dessen ebenfalls stark salzhaltiges Wasser außer Kochsalz noch Bo- rax und Borsäure enthält. An beiden Orten kommt die Larve in solehen Mengen vor, dass die Oberfläche des Wassers buchstäblich von ihnen bedeckt ist, und die von den Wellen ausgeworfenen Massen derselben einen breiten, stellenweise sich zu förmlichen Hügeln auf- türmenden Gürtel längs des Strandes bilden. Die Larven entwickeln sich nur in einer bestimmten Jahreszeit, ungefähr im Juli, und zu dieser Zeit kommen von nah und fern die Pah-Ute Indianer herbei, um sie einzusammeln. Das Geschäft hat weiter keine Schwierigkeit, da, wie erwähnt, die Wellen die Larven in Massen ans Ufer spülen. Nur kommt es darauf an, dieselben möglichst frei von Sand und an- Seler, Wanderzüge des Lemmings und das Scharlachfieber 285 deren Verunreinigungen zu erhalten. Die eingesammelten Larven wer- den dann auf Kleidern oder Decken ausgebreitet und an der Sonne getrocknet. Darauf wird durch Reiben zwischen den Händen die Schale entfernt, und es bleibt ein Kern von obiger Beschaffenheit, in Größe und Aussehen ähnlich einem gelb gefärbten Reiskorn. Die In- dianer pulverisieren diese Körner und bereiten daraus eine Art Mehl, das sie zu verschiedenen Gerichten verwenden. Der Geschmack soll nicht unangenehm sein und am meisten dem der sogenannten Patent- Fleisch-Cakes ähneln; es ließe sich daraus eine vortreffliche Suppg bereiten, fügt der Berichterstatter hinzu, „falls man nicht wüsste, woher die Substanz stammt“. Die Indianer nennen die Larven Koo- cha-bee (englische Orthographie); das entwickelte Insekt ist als Ephydra californica Pack beschrieben worden. Verwandte Arten sind in Seen und salzhaltigen Brunnen der östlichen Staaten Nordamerikas, im großen Salzsee des Territoriums Utah und neuerdings auch im Mejiko gefunden worden. Neben ihnen fanden sich andere charak- teristische Salzseebewohner, so namentlich kleine Krebse der auch in den Salzseen Aegyptens und der Sahara vertretenen Gattung Artemia. In den Salzbecken der Sahara finden sich neben der Artemia eben- falls große Mengen von Insektenlarven, die, wie die Artemia, an man- chen Orten, z. B. in Fesun, von den Bewohnern zur Nahrung ver- wendet werden. Es ist mir aber nicht bekannt, ob dieselben ver- wandten Arten angehören, wie die Ephydra der amerikanischen Salzseen. Ed. Seler (Berlin). Die Wanderzüge des Lemmings und das Scharlachfieber. Naturen. Kristiania. VII. 31. Febr. 1884. In seiner im Jahre 1882 durch die Verleihung der goldenen Me- daille ausgezeichneten Abhandlung „Skarlagens feberens epidemiske Udbredelse i Norge“ hat Dr. Axel Johannessen auf den höchst merkwürdigen und interessanten Umstand aufmerksam gemacht, dass Scharlachfieber-Epidemien und Wanderungen des Lemmings Hand in Hand gehen. In einer Besprechung des genannten Werks im „Mor- genbladet“ fasst Dr. E. Bull das Raisonnement des Verfassers hier- über in folgenden Worten zusammen: Die moderne Anschauung sucht das Wesen der Krankheit in le- benden Organismen. Danach würde eine plötzlich auftretende Epi- demie ihren Grund in einer plötzlich auftretenden Massenvermehrung gewisser lebender Organismen haben. Es besteht kein Zweifel da- rüber, dass solche plötzliche und unerklärliche Massenvermehrungen stattfinden. In Norwegen hat namentlich Robert Collett diese Mas- senvermehrung bei einigen Säugetier- und Vogelarten studiert. Da 254 Huxley, Physiographie, bearbeitet von Herm Jordan. zeigt sich nun, dass diese verschiedenen, von einander zum Teil ganz unabhängigen Arten ungefähr in denselben Jahren in großen Massen auftreten. Am besten sind die Wanderungen des Lemmings studiert worden. Nun trifft es allemal zu, dass die Jahre, die sich für eine Massenproduktion dieser Tiere günstig erwiesen haben, auch außer- ordentlich zahlreiche Fälle von Scharlachfieber darbieten, und dies gilt nicht bloß für die über größere Strecken des Landes ausgebrei- teten Lemmingswanderungen der Jahre 1863 und 1875—77, die eben- falls durch große und ausgebreitete Scharlachfieber-Epidemien gekenn- zeichnet sind; sondern es scheint auch, dass die lokalen Lemmings- wanderungen zeitlich zusammentreffen mit lokalen bedeutenden Ver- größerungen der Verhältnisziffier der betreffenden Distrikte. Dieses Verhalten verdient um so größere Aufmarksamkeit, als in einigen Distrikten bei bedeutenden Scharlachfieber-Epidemien gleichzeitig Krank- heiten auftreten, die in vieler Beziehung dem Scharlachfieber gleichen, und die dem Genuss von Wasser zugeschrieben werden, in welchem Lemmingskadaver vermodern. Verf. gibt diese Mitteilungen mit allem Vorbehalt, weist aber noch auf ein anderes Analogon hin, nämlich die periodische Massenzunahme in der Zahl von mit Krätze Behafte- ten im Lande, auf welche Eibert Sundt aufmerksam gemacht hat. Ed. Seler (Berlin). Huxley, Physiographie. Eine Einleitung in das Studium der Natur. Für deutsche Leser frei bearbeitet von Hermann Jordan. Internat. wissenschaftl. Bibliothek, Bd. 63. Leipzig 1884. F. A. Brockhaus. 521 Seiten. Mit 182 Abbildungen, 8 Karten und Tafeln. 9 Mark. Huxley’s „Physiography“ verfolgt den Zweck, den Leser, ausgehend von Beispielen, welche diesem durch ihre Alltäglichkeit durchaus geläufig sind, in ungezwungener Weise, im Tone ernsthaften und doch leichten Gespräches mit den wichtigsten Naturerscheinungen und deren ursächlichem Znsammen- hang vertraut zu machen, ihn „eine klare Vorstellung von den Gesetzen er- langen zu lassen, welche die vielgestaltigen und endlos wechselnden Natur- erscheinungen bedingen,* und ihn „von der festen Grundlage der täglichen Anschauung aus langsam, Schritt für Schritt, zu ferneren Gegenständen und zu den weniger auf der Hand liegenden Beziehungen der Dinge untereinander“ zu leiten. Dem Anfänger in der Naturwissenschaft sowie dem gebildeten Laien soll die „Physiographie“ nicht allein Gelegenheit geben, „schätzenswerte Thatsachen kennen zu lernen, sondern auch den Uebergang in das Bereich der Einzelwissenschaften erleichtern.“ Dass das Buch diesen Zweck in hohem Grade erfüllt, das beweisen die zahlreichen Auflagen, welche dasselbe in kur- zer Zeit erlebte, das beweisen die einmütig anerkennenden Urteile hervor- ragender Schulmänner und Fachgelehrter. Die vorliegende deutsche Ausgabe ist keine Uebersetzung des englischen Buches, kann es auch nicht sein; denn Huxley’s „Physiographie* ist nicht Huxley, Physiographie, bearbeitet von Herm. Jordan. 285 nur allein für Briten, sondern sogar ausdrücklich für Londoner geschrieben und knüpft demgemäß fast durchweg und so viel als irgend möglich an Ver- hältnisse an, wie sie London und dessen nächste Umgebung, das Themsebecken bieten, welche dem deutschen Leser also nicht geläufig sind. Außerdem wird sich schwer ein anderes so kleines Gebiet finden lassen, welches in dem Maße wie grade das Themsebecken dazu geeignet ist, alle möglichen Verhältnisse daran auseinanderzusetzen und zu studieren; und so wurde denn für die deutsche Ausgabe eine Umarbeitung in zweierlei Hinsicht notwendig: einmal eine An- passung an deutsche Verhältnisse, und zweitens eine gewisse Verallgemeine- rung. Das deutsche Buch soll jedem Deutschen gleich handlich und verständ- lich sein. In engem Zusammenhang reiht sich gleich dem Aufbau einer fort- laufenden Erzählung Kapitel an Kapitel, während anderseits auch einzelne herausgegriffene Stücke über gewisse einzelne Punkte Aufschluss zu geben geeignet sind. Vergleichen wir die englische Originalausgabe mit der deutschen, so fin- den wir eine ziemlich genaue Uebereinstimmung bei den Kapiteln, welche die Themata behandeln: „Schnee und Eis“ (4), „Verdunstung“ (5), „Die Atmo- sphäre“* (16), „Zusammensetzung des Wassers“ (7 und 8), „Das Eis und was es bewirkt“ (10), „Langsame Bewegungen des Landes“ (13) und „Verteilung von Land und Wasser“ (18); die letzten drei Kapitel (19 bis 21), welche die „Gestalt der Erde“, „Das Entwerfen von Karten“, „Die Bewegungen der Erde“ und „Die Sonne“ behandeln, sind fast wörtlich aus dem Englischen übersetzt. Dagegen haben das erste und das siebzehnte Kapitel durchgreifende Aende- rungen erfahren; auch ihre Ueberschriften sind andere geworden. Huxley in seinem Buche geht nämlich in dessen erstem Kapitel von einer Besprech- ung der Londoner Themse und dann von einigen der für sie giltigen Verhält- nisse überhaupt aus, während Jordan in der deutschen Ausgabe hier Weser und Elbe eingeschoben hat; und das siebzehnte Kapitel, „Geologie des Themse- Beckens“, musste „Geologischem aus Deutschland“ Platz machen. Wenn wir an der deutschen Ausgabe etwas aussetzen wollen, so wünschten wir vor al- len Dingen, dass hier, ganz wie Huxley nur das kleine Themse-Becken be- handelt hat, ein kleines Gebiet, aber ausführlich und anschaulicher geschildert, besprochen worden wäre, etwa der für alle möglichen geologischen Vorkomm- nisse als klassisches Beispiel geltende Harz — wenn wir auch auf der andern Seite dieser allgemein übersichtlichen Behandlung des Stoffes ihre Vorzüge nicht absprechen wollen. Was über den telegraphischen Wetterdienst in der deutschen Ausgabe gesagt ist, dürfte in nicht allzulanger Zeit nicht mehr ganz zutreffend sein, und es ist außerdem zu bedauern, dass des zu früh ver- storbenen Boguslawski letztes Werk, die „Ozeanographie“*, keine Benutz- ung mehr finden konnte. Im übrigen ist diese deutsche Ausgabe eine so treff- liche Arbeit, dass derselben wohl ein recht günstiger Erfolg vorausgesagt werden kann, In einigen Punkten gebührt der deutschen Ausgabe vor der englischen sogar der Vorzug. Einmal ist dieselbe reicher mit Abbildungen und mit Ta- feln ausgestattet, welche das Verständnis erleichtern und die Anschauung be- reichern; und zweitens finden sich unter diesen Tafeln einige, welche ein ganz besonderes Verdienst für sich in Anspruch nehmen können. Wir erwähnen von diesen vor allem eine, die „Karte der Verteilung der Niederschläge“ im 3. Kapitel (Tafel II). Diese wertvolle Karte ist nach einem Aufsatz des be- kannten Meteorologen Alex. Wojeikoff gearbeitet, welcher in Jahrgang 1 von Kettler’s „Zeitschrift für wissenschaftliche Geographie“ enthalten ist. 956 Ecker, Die Hirnwindungen des Menschen. Diesem Aufsatz war auch eine Karte beigegeben, welche letztere aber durch einige, jedenfalls durch die Schuld des Lithographen entstandene Irrtümer bedenklich entstellt war. Hier nun liegt diese Karte in verbesserter Form und in trefflicher Ausstattung vor — die vorzüglichste von allen Karten, welche den Zweck haben, eine allgemeine Uebersicht über die Niederschlags- und zugleich auch Klimaverhältnisse der Erdoberfläche zu geben. Sonst er- wähnen wir noch Tafel I, „Karte der Quellen der Elbe“, als ein treffliches Beispiel der Änschaulichkeit im Zeichnen von Gebirgsland, und Tafel IV, „Durchschnitt durch den Nordatlantischen Ozean etc. . . mit Tiefenzonen nach Temperaturen“, welche die Resultate der Temperaturmessungen des „Challen- ger“ in verschiedenen Meerestiefen weit klarer in graphischer Darstellung her- vortreten lässt, als dies bisher geschehen war. Die Ausstattung, welche die Verlagshandlung dem Buche gegeben hat, ist eine durchweg vorzügliche, und wir zweifeln nicht, dass dasselbe in kurzer Zeit als naturwissenschaftliches Hausbuch in den deutschen Familien und auf dem Tische des angehenden Stu- denten sich einbürgern wird. &. A. Meyer (Strassburg), Handbuch der qualitativen chemischsn Analyse anorganischer und organischer Substanzen nebst Anleitung zur volumetrischen Analyse. Bearbeitet für Apotheker und Gerichtstechniker sowie zum Gebrauch beim Unterricht in chemischen Laboratorien. Berlin 1884. R. Gärtner’sche Verlags- buchhandlung (Hermann Heyfelder) kl. 8. 208 Seiten und 3 Tabellen. Obgleich dieses Büchlein für Zwecke berechnet ist, die außerhalb des Kreises dieser Zeitschrift liegen, so möchten wir doch kurz auf dasselbe hin- weisen, da mancher unter unseren Lesern es vielleicht mit Nutzen wird ge- brauchen können, und es auch für die Arbeiten in physiologisch-chemischen Laboratorien sehr nützlich sein dürfte. Die Darstellung der einzelnen Ver- fahrungsweisen ist bei aller Kürze durchaus klar und übersichtlich, die Me- thoden sind gut gewählt, kurz das Werkchen verdient empfohlen zu werden. 1. Die Hirnwindungen des Menschen nach eignen Untersuchungen. Von Alexander Ecker. I. Aufl. Braunschweig 1883. Eine klare, übersichtliche Beschreibung der Furchen und Windungen an der Oberfläche des menschlichen Gehirns stößt nicht bloß auf formelle Schwie- rigkeiten der Darstellung, man ist außerdem bei der großen Variabilität, wel- che die menschlichen Hirnwindungen und Furchen aufweisen, durchweg ge- zwungen, nicht von dem Objekte, wle es sich darbietet, auszugehen, sondern vorerst ein Schema, gewissermaßen ein typisches Gehirn, zu konstruieren, wel- ches, ohne der Natur zu widersprechen, auf jeden einzelnen Fall übertragbar sein und dabei noch den Vorzug der Einfachheit und Verständlichkeit für 57. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 287 sich haben soll. — Diese Aufgabe ist Ecker, als er im Jahre 1869 die erste Auflage seiner gleichnamigen Arbeit veröffentlichte, am besten gelungen; da- für spricht weniger die Thatsache, dass nach 14 Jahren eine zweite Auflage notwendig wurde, als vielmehr der Umstand, dass der Verfasser, unbeschadet für den Wert des Buches, in dessen zweiter Auflage zu nur sehr wenigen und nicht bedeutenden Aenderungen gezwungen war. Ganz besonders wichtig scheint es mir aber, dass im internationalen wissenschaftlichen Verkehr keine einzige der verschiedenen Nomenklaturen (und jeder Schriftsteller über Hirn- windungen hat mehr oder minder seine eignen Benennungen eingeführt) sich in Ähnlicher Weise Geltung verschaffen konnte, wie die von Eeker vorge- schlagene; mag vielleicht an dem Schema Ecker’s auch dies oder jenes zu ändern sein — eines steht fest, dass man bei Benützung seiner Bezeichnungen überall verstanden wird. Die bereits erwähnten wenigen Abweichungen der neuen Auflage be- schränken sich auf unwesentliche Veränderungen in der Anordnung, eine Kür- zung in der Einleitung, und neben mehreren kleineren Zusätzen und Zitaten auf ein ganz neues, kurzes Kapitel über die topographischen Beziehungen zwischen Hirnoberfläche und Schädel. Obersteiner (Wien). Zur Entwickelung des Petermännchens (Trachinus vipera). Nach Beobachtungen, welche Brock angestellt hat, und deren Resultate derselbe kürzlich der London Linnean Society mitteilte, findet sich in den Eiern dieses Fisches wie in denen des Härings eine Dotterhaut, wie sie sonst gewöhnlich bei den Knochenfischen nicht auftritt; bei der Entwickelung der Eier tritt übrigens das Zirkulationssystem erst sehr spät hervor, da sich erst mehrere Tage nach der Befruchtung Blutgefäße zeigen. H. Behrens (Gütersloh, Prof. Westfalen). 57. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Das Einladungsschreiben für die in diesem Jahre in Magdeburg stattfin- dende Naturforscherversammlung ist soeben von dem Geschäftsführer derselben versendet worden. Es enthält die ausführliche Angabe der in er- freulich reicher Zahl für die allgemeinen und für die Sektionssitzungen ange- meldeten Vorträge. Diejenigen, welche dieses Einladungsschreiben noch nicht erhalten haben, dasselbe aber gern zu haben wünschen, werden ersucht, um die Zusendung dieses Schreibens sich an die Adresse: Naturforscherversamm- lung, Magdeburg zu wenden. Die Versammlung wird vom 18. bis 23. September stattfinden, die erste allgemeine Sitzung nimmt Donnerstag 18. September ihren Anfang. Freitag, Sonnabend und Montag sind für die Sektionssitzungen, Sonntag für einen Ausflug nach dem Harz bestimmt. Dienstag findet die zweite allgemeine Sitzung statt, in welcher die Versammlung geschlossen wird. Die Verabfolgung der Mitglieder- und Teilnehmerkarten, sowie der Nach- weis von Wohnungen und die Ausgabe der Festabzeichen findet in den reser- vierten Zimmern des Eisenbahnempfangsgebäudes vom 17. September, von morgens I88 Marine Biological Association in England. Le be) Oo 8 Uhr ab, statt. Der Preis für eine Mitglieder- bezw. Teilnehmerkarte beträgt 12 Mark und berechtigt zur wnentgeltlichen Empfangnahme einer Damen- karte. Vorbestellungen von Wohnungen werden vom 1. August ab gegen Ein- sendung von 12 Mark für die Mitglieder- bezw. Teilnehmerkarte von „Herren Ziegler und Koch“ entgegengenommen. Für die allgemeinen Sitzungen sind folgende Vorträge angemeldet: Prof. Brauns (Halle), Die Insel Yeso und ihre Bewohner — Geh. Oberberg- rat Huyssen (Halle), Die Tiefbohrungen im norddeutschen Flachlande. — Prof. Kirchhoff (Halle), Der Darwinismus in der Völkerentwieklung. — Geh. Hofrat Gerhard Rohlfs (Weimar), Die Bedeutung Afrikas in Beziehung zu Deutschland. — Geh. Medizinalrat Schwartz (Köln), Die Stellung der Hygieine zur allgemeinen praktischen Heilkunde. — Geh. Regierungsrat Koch (Berlin), Thema vorbehalten Für die Sektionssitzungen sind aus dem Gebiete der Biologie fol- gende Vorträge angemeldet: v. Nathusius (Königsborn), Ueber die feinere Struktur der sogenannten Ueberzüge gewisser Vogeleier (namentlich Orotophaga, Pelecanus, Carbo und Sula), sowie deren Beziehung zu den Oberhäutchen an- derer Eischalen mit mikroskopischen Demonstrationen. — Prof. Landois (Münster), a) Zur Genese der Vogeleierschalen unter Demonstration mikrosko- pischer Präparate, b) Mageninhaltsuntersuchungen unserer Spechte zur Beur- teilung ihres Nutzens und Schadens, c) Kleinere vorläufige Mitteilungen. — Prof. Nehring (Berlin), Ueber Schädel und Skelet der Inkahunde aus den Gräbern von Ankon — Prof. Ackermann (Halle), Ueber Lebereirrhose. — Dr. Aufrecht (Magdeburg), a) Die experimentelle Erzeugung der Endometri- tis diphtheritica puerperalis nebst einigen Schlussfolgerungen für das mensch- liche Puerperalfieber, b) Croup und Diphtheritis. Für Botanik, Anthropologie, Anatomie und Physiologie sind noch keine bestimmten Vorträge angemeldet. -1, Zum Beitritt als Mitglied der Marine Biological Association of the United Kingdom fordert ein von dem Sekretär der neuen Gesellschaft, Prof. Ray Lankester, und dem Kassierer Fr. Crisp erlassenes Zirkular auf. Zweck der Gesellschaft ist bekanntlich die Errichtung einer oder mehrerer Stationen an englischen Kisten nach dem Muster der zoologischen Station in Neapel oder der ameri- kanischen Laboratorien in Newport und Chesapeake; in erster Linie ist die Anlage einer solchen Station an der Südküste von England in Aussicht ge- nommen. Zum Bau und zur Ausstattung dieser Station mit den nötigen Boo- ten, Fangapparaten u. s. w. sind mindestens 10000 Pfund wünschenswert, die Erhaltung der Station und Besoldung des Dirigenten, der Assistenten u. 8. w. werden jährlich etwa 1500 Pfund erfordern. Mitglied der Gesellschaft auf Lebenszeit, zugleich permanentes Mitglied des Verwaltungsrates wird jeder, der mindestens einmal 500 Pfund zahlt; lebenslängliches Mitglied kann man durch einen Beitrag von 100 Pfund werden, sonst ist der jährliche Beitrag auf 1 Guinee fetstgesetzt. Anmeldungen zur Aufnahme als Mitglied sind an den Kassierer Fr. Crisp, Old Jewry, E. C. London zu richten, der außer den Mitgliedbeiträgen auch weitere Schenkungen zur Förderung der Anlage der ersten Station entgegennimmt. Behrens (Gütersloh). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen, Bioloeisches Öentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 15. Juli 1554. Nr. 10. Inhalt: Johow, Ueber westindische Hymenolichenen. — Haacke, Pseudorhiza Haeckelii n. sp., der Endspross des Discomedusenstammes. — Wiickens, Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haus- tiere, — Viti, Vergleichend morphologische Untersuchungen über den Nervus depressor. — Vertel, Ueber die Ernährung mit Hühnereiern. — Piösz, Ueber einige Chromogene des Harns und deren Derivate. — Landwehr, Eine neue Methode zur Darstellung und quantitativen Bestimmung des Glykogens in tieri- schen Organen. — F. Hoppe-Seyler, Ueber die Einwirkung von Sauerstoff auf die Lebensthätigkeiten niederer Organismen. L. Brieger, Ueber Spal- tungsprodukte der Bakterien. &. Vandevelde, Studien zur Chemie des Bacillus subtilis. — W. Krause, Die Anatomie des Kaninchens. — Sutton, Das Ligamentum teres. — Pioss, Das Weib in Natur- und Völkerkunde — Biologische Forschungen im Riesengebirge. Fr. Johow, Ueber westindische Hymenolichenen. Sitzungsber. d. Berliner Akademie 1884. Der einst so heftige Streit über die Natur der Flechten hat sich seit den letzten Jahren sehr gelegt; die Anschauung de Bary’s und Schwendener’s, nach welcher die Flechten durch Symbiose von einem Pilz und einer Alge gebildet werden, hat sich überall sieg- reich Bahn gebrochen. Eine der zuletzt beigebrachten Stützen dieser Ansicht war durch die Entdeckung Mattirolo’s gegeben, welcher die interessante Thatsache nachwies, dass nicht bloß, wie lange an- genommen, Glieder der Ascomyceten mit Algen Flechten bilden, sondern auch Vertreter einer ganz andern Pilzgruppe, nämlich der Hymenomyceten, zu welchen die großen Schwämme und Hutpilze. unserer Wälder gehören. Besonders die Gattungen Cora, ferner Rhi- pidonema zeigten diese Erscheinungen; Mattirolo vereinigte diese Formen daher als Hymenolichenen. Während aber Mattirolo nur Herbarienexemplare untersuchen konnte, war es dem Verfasser der obigen Arbeit vergönnt, diese Flechten an ihren natürlichen Stand- orten in den Tropen Westindiens zu beobachten und manche ge- naueren Thatsachen über die Lebensverhältnisse dieser interessanten Organismen beizubringen. Cora pavonia, die von Mattirolo vor allem untersuchte Form, 19 290 Johow, Ueber westindische Hymenolichenen. fand der Verfasser in den höher gelegenen Gegenden von Trinidad auf der Rinde von Sträuchen und alten Baumstümpfen. Die Flechte stellt eine rundliche Scheibe dar, welche an dem freien Rande viel- fach gelappt erscheint, auf ihrer Oberseite Zonen zeigt, welche dem Rande parallel verlaufen. Der äußerste fortwachsende Rand der Thallusscheibe ist stets etwas nach oben eingerollt. In feuchtem Zu- stande ist die Scheibe glänzend blaugrün, in trockenem, in welchem Luft zwischen die Pilzhyphen eindringt, gleichmäßig weiß. Die Flechte sitzt auf ihrem Substrate mit Hilfe eines besondern Haftkörpers fest, welcher aus einer schwammartigen Pilzhyphenmasse besteht, die sehr begierig Wasser aufsaugt und dadurch gleichsam auch als Was- serreservoir dient. Der vom Substrat abstehende Teil des Thallus zeigt sich zusammengesetzt aus einer obern und untern Schicht, welche nur aus Pilzhyphen bestehen und niemals wie bei den meisten anderen Flechten zu einer besondern Rinde sich ausgestalten, ferner einer mittlern Schicht, welche die blaugrünen dicht von Hyphen umsponnenen Chroococeuszellen enthält. Auf der Unterseite des Thallus nicht gleichmäßig dieselbe bedeckend, erheben sich die Fruktifikations- organe in Form häutiger Lamellen, welche die Sporen zu je vier auf einem Träger in typischer Weise erzeugen, wie die meisten Basidio- myceten, speziell die Thelephoreen. In dieselbe Gruppe wie Cora gehört nach dem Verf. auch Dietyonema sericeum Mont., eine Flechte, welche sich besonders auszeichnet durch die eigenartige Umspinnung der Gonidien durch den Pilz. Die Alge zeigt sich in Form blaugrüner Fäden, welche wohl der Gattung Sey- tonema angehören; diese Fäden sind ganz eng umschlossen von einer Scheide, welche durch lückenloses Zusammenhängen von Pilzhyphen gebildet wird. Pilz und Alge wachsen nun ganz gleichmäßig fort, und auch bei der Verzweigung tritt das einheitliche harmonische Wachs- tum beider Symbionten klar hervor. Wenn eine Zelle der Alge sich seitlich zu einem neuen Aste entwickelt, wölbt sich gleichzeitig um denselben der Pilzmantel und wächst in dem Maße, als der Ast sich verlängert, zu einer denselben umschließenden Scheide auf. In betreff der Fruktifikationsorgane verhält sich die Flechte wie Cora. Eine bisher noch nicht beschriebene Form bezeichnet der Ver- fasser als Laudatea caespitosa, eine Flechte, welche in Dominica an ähnlichen Standorten sich findet wie Cora. Die Flechte bildet eine nur aus Pilzhyphen zusammengesetzte Schicht, welche dem Substrat anliegt und auf welcher sich, einen Rasen bildend, zahlreiche kleine grüne Stämmehen entwiekeln. Diese Sprosse bestehen aus Gonidien- bündeln, welche in ähnlicher Weise wie bei Dictyonema von Pilzhyphen umsponnen sind. Eigentümlich ist es, dass nur an den unteren von dem Licht abgekehrten Teilen der Sprosse Fruktifikation eintritt in Form eines weißen Ueberzuges. Die Basidien und die Sporen sind entsprechend wie bei den anderen Gattungen gebaut. Haacke, Pseudorhiza Haeckeläi, n. sp., Endspross d. Discomedusenstammes. 291 So sehen wir also schon eine ganze Reihe verschiedener Flechten durch Symbiose von Hymenomyceten mit verschiedenen Algen ge- bildet; vielleicht entdeckt die fernere Forschung, dass auch noch an- dere Pilzfamilien zur Bildung dieser eigenartigen Vegetationsgruppe beitragen. Georg Klebs (Tübingen). Pseudorhiza Haeckelü, spec. nov., der Endspross des Disco- medusenstammes. Von Dr. Wilhelm Haacke, Direktor des Südaustralischen Museums zu Adelaide. Im Jahrgang 1882 des „Zoologischen Anzeigers“ wurde unter dem Namen Pseudorhiza aurosa von Dr. R. von Lendenfeld eine merkwürdige neue Meduse beschrieben, die derselbe in den Wassern von Port Phillip bei Melbourne entdeckt hatte. Dieselbe war geeignet das größte Interesse zu erregen, da sie einerseits durch ihren ein- fachen Subgenitalsaal !) sich den höchst entwickelten Formen in der Rhizostomengruppe, der obersten in der Abteilung der Scheiben- quallen, anschloss, anderseits aber eine Mundöffnung und Mundarme besaß, wie die tiefer stehenden Semostomen, aus denen sich die „wurzelmündigen“ Medusen erst entwickelt haben. Obgleich nun Dr. von Lendenfeld seine neue Meduse als eine „Uebergangsform zwischen Semostomen und Rhizostomen“ bezeichnet, ist ihm die Schwierigkeit, sie im System unterzubringen, dennoch vollständig klar geworden, und er sagt über diesen Punkt: „Würden wir eine Uebergangsform zwischen Mensch und Reptil finden, welche dem Menschen viel ähnlicher als dem Schnabeltier wäre, so hätten wir einen Ähnlichen Fall wie hier.“ — Indess bald nach der von Len- denfeld’schen Publikation habe ich selbst in St. Vineent’s Golf eine ähnliche, aber noch merkwürdigere neue Meduse entdeckt, die jene Klassifikationsschwierigkeit beseitigt, zugleich aber auch den oben zitierten Satz, durch den R. von Lendenfeld dieselben illustriert, als nicht ganz zutreffend erscheinen lässt. Da meine neue Meduse außerdem auch noch in anderer Beziehung einzig im gesamten Aeras- pedenstamm dasteht, halte ich die Mitteilung ihrer Eigentümlichkeit — es ist nur eine, aber eine wichtige — für geboten, obgleich ich eine genaue Beschreibung der neuen Art für eine spätere Gelegenheit vorbehalten muss. Ich nenne die Meduse, die ich als Endspross des Discomedusenstammes betrachte, zu Ehren meines Lehrers und Freundes Ernst Haeckel, des größten Medusologen aller Zeiten, Pseudorhiza Haeckelii. Sämtliche in Haeckel’s „System der Medusen“ aufgeführten 1) Lendenfeld braucht in der oben angeführten Arbeit den Ausdruck „Subgenitalporticus“ statt „Subgenitalsaal“., Red. 19* 999 Haacke, Pseudorhiza Haeckelii, n.sp., Endspross d. Discomedusenstammes. Rhizostomen zeichnen sich, wie schon angedeutet, aus nur durch eine ganz eigentümliche Entwickelung des Mundes, welche in ihrer Art im ganzen Tierreiche einzig dasteht. Die Unterordnung der Rhizostomen ist phylogenetisch entstanden aus derjenigen der Semostomen, wie die letzteren aus der ersten Unterordnung der Discomedusen, den Cannostomen, hervorgegangen ist. Das beweist deutlich die Onto- genie der Rhizostomen, welche in frühester Jugend Cannostomen sind, später Semostomen werden und zuletzt erst in Rhizostomen sich ver- wandeln. Das einfach vierkantige Mundrohr der Cannostomen bildet zunächst am Mundrande vier zarte, gekräuselte Mundlappen. Indem diese ansehnlich wachsen und die vier Mundbuchten zwischen ihnen sich zu tiefen Einschnitten gestalten, verwandeln sie sich in vier kräf- tige Mundarme, welche bei den meisten Ulmariden — einer Unter- abteilung der Semostomen — sich zu langen Mundfahnen ausbilden. Schon bei der Ulmaride Aurora spalten sich die Mundarme am Dis- talende gabelförmig in zwei Lappen. So entstehen die acht Mund- arme der Rhizostomen, welche nur an ihrer Basis paarweise zusam- menhängen. Während nun die dünnen Blattränder der acht Arme sich stark kräuseln, wird ihre dieke Mittelrippe an der konkaven Entodermseite rinnenartig vertieft. Nun legen sich die einzelnen Falten der stark gekräuselten Mundränder dergestalt aneinander, dass die gegenüberstehenden und sich berührenden Entodermflächen der rinnenförmigen Falten an der Berührungsstelle verwachsen und sich in kurze Kanäle verwandeln. Diese münden durch einen Trichter am Distalende frei nach außen, durch eine Spalte am Proximalende nach innen in die Armrinne. Auch diese verwandelt sich in einen Kanal (Armkanal), indem ihre Ränder verwachsen. Indem endlich auch die zentrale Mundöffnung oben zwischen den Basen der Armpfeiler zu- wächst und sich durch eine kreuzförmige „Mundnaht“ schließt, treten an deren Stelle physiologisch die zahlreichen „Krausentrichter“. Die Triehterkrausen der Rhizostomen können mannigfache und ansehn- liche Anhangsorgane produzieren; so entstehen daraus durch ring- förmige Verwachsung die Nesselkolben. — Das ist nach Haeckel der Entstehungsmodus des Rhizostoms, den ich fast nur mit seinen eignen Worten wiedergegeben habe, um daran jetzt eine Schilderung der Mundarme von Pseudorhiza zu schließen, wobei ich mich an R. von Lendenfeld’s Beschreibung derselben halten will. Die acht Mundarme von Pseudorhiza aurosa stehen paarweise und schließen eine Mundöffnung ein, welehe von außen direkt in den Vor- magen führt. Dieser Mund ist ganz wie bei den Semostomen gebildet und hat vier ausgezogene Ecken. Von jeder Ecke des Mundes geht eine Rinne ab, welche sich an der Stelle, wo die Arme entspringen, gabelig teilt. Die so entstandenen acht Rinnen laufen auf der innern untern Seite der Arme bis an ihre Spitzen. Gegen das Ende hin teilt sich der Arm gabelig, und an dieser Stelle sind die Rinnen- Haacke, Pseudorhiza Haeckelii, n sp., Endspross d. Discomedusenstammes. 295 ränder auf eine kurze Strecke verwachsen. Der Hauptarm trägt sekundäre Arme, und die letzteren tragen tertiäre; auch diese Nebenarme besitzen Rinnen. Die tertiären Rinnen besitzen noch seit- liche Ausläufer; zu quaternären Armen kommt es jedoch nicht. Kurz vor den Gabelungsstellen der Hauptarme von Pseudorhiza aurosa sind die Rinnenränder derselben, wie oben schon bemerkt, auf eine kurze Strecke verwachsen. Von einem jeden dieser acht rhizostoma- artigen Armteile entspringt ein langer zurückziehbarer, ausgestreckt die Länge des Hauptarmes erreichender, sehr beweglicher und dicker tentakelartiger Fortsatz, der als Nesselkolben angesehen werden dürfte. — Soviel über Pseudorhiza aurosa. Die Verhältnisse der Mundarme bei meiner Pseudorhiza Haeckelii nun sind ganz ähnliche; jedoch — und das ist das Merkwürdige — sind die Rinnenränder nur eines der acht Hauptarme an seiner Gabelungsstelle verwachsen, und nur dieser eine Arm besitzt einen langen, dicken, dreikolbigen Nesselkolben, der dem ganzen Tiere ein im höchsten Grade eigentümliches — ich möchte sagen „reglementwidriges“ — Aussehen gibt und an seiner Spitze deutlich zeigt, dass er aus drei spiralig in die Länge gezogenen und fleischig verdiekten Rinnenrandzipfeln zusammengeschweißt ist. Vergleichen wir nun Pseudorhiza Haeckelüi mit Pseudorhiza aurosu, so kommen wir notgedrungen zu dem Schluss, dass bei ersterer Art eine bedeutende Rückbildung gegenüber der letztern stattgefunden haben muss: sieben der acht Nesselkolben von Pseudorhiza aurosa vermissen wir bei Pseudorhiza Haeckelii und mit ihnen die teilweise Verwachsung der Rinnenränder. Pseudorhiza Haeckelii ist also phy- logenetisch jünger als Pseudorhiza aurosa, ein Schluss, den ich wohl nicht näher zu begründen brauche, der uns aber den andern Schluss nahelegt, dass auch bei Pseudorhiza aurosa eine starke Rückbildung gegenüber den übrigen Rhizostomen stattgefunden hat. Mit anderen Worten: Pseudorhiza stammt von echten Rhizostomen ab, oder, was dasselbe ist, bei ihren Vorfahren sind die früher stark entwickelten und in Falten gelegten Rinnenränder allmählich zurückgebildet, und die Verwachsung derselben hat schließlich fast ganz aufgehört, wo- gegen sich die übrig gebliebenen Nesselkolben stark fortentwickelt haben. Pseudorhiza, und insbesondere Pseudorhiza Haeckelii, bildet also bis jetzt den Endspross des Rhizostomenstammes und damit den letzten Ausläufer des ganzen Phylums der Discomedusen. Jetzt können wir begreifen warum, wie im Anfang hervorgehoben, Pseudorhiza sonst den höchsten Differenzierungsgrad der Rhizostomen, den einfachen Subgenitalsaal, erreicht hat; wir dürfen aber nicht mehr mit R. von Lendenfeld sagen, dass dieser höchste Differenzierungsgrad bei einer Meduse vorkommt, die in anderer Beziehung noch nicht den eigentümlichen Charakter der Rhizostomen erlangt hat, sondern wir müssen annehmen, dass für Pseudorhiza das Rhizostomastadium ein 294 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. nahezu überwundener Standpunkt ist, wodurch allerdings diese Me- dusengattung wieder den Larvenformen ihren nächsten Verwandten und damit ihren semostomen Vorfahren genähert erscheint. Wollen wir den oben angeführten von Lendenfeld’schen Satz auch jetzt noch zur Illustration der systematischen Stellung von Pseudorhiza an- wenden, so muss derselbe lauten: Würden wir eine Uebergangsform zwischen Mensch und Reptil finden, bei welcher die fötale Kloake aller höheren Säugetiere wieder, wie beim Schnabeltier, im entwiekelten Individuum persistiert, die im übrigen aber sämtliche Charaktere der Primaten besitzt, so hätten wir einen ähnlichen Fall wie hier; — freilich, in dem einen Falle handelt es sich um eine unterbliebene Verwachsung, in dem andern würde es sich um eine unterbliebene Trennung jugendlicher Organe handeln. Was nun aber meine Pseudorhiza Haeckelii noch besonders be- merkenswert macht, ist der Umstand, dass es unmöglich ist, dieselbe weder in zwei kongruente noch in zwei symmetrische Hälften zu schneiden, ein Umstand, durch den sie sich von sämtlichen anderen bekannten acrospeden Medusen unterscheidet. Wie gesagt hat diese Medusenart nur einen einzigen, jedoch stark entwickelten, Nesselkol- ben, durch den die Teilungsebene doch schon gehen müsste; denkt man sich aber einen ebenen Schnitt, der durch die Längsachse des Nesselkolbens und die Hauptachse der Meduse geht, so erhält man zwei Hälften, die weder kongruent noch symmetrisch gleich, trotzdem aber aus gleichen Teilen zusammengesetzt sind. Die systematischen Aufschlüsse, welche Pseudorhiza Haeckelii nun gibt, ihre eigentümliche Grundform, ihr tiergeographisches Verhältnis zu Pseudorhiza aurosa und, wie ich noch hinzufügen kann, ihr Kom- mensalismus mit einem Fische — Enoplosus armatus — machen diesen „Endspross des Discomedusenstammes“ in der That zu einem der in- teressantesten Mitglieder der Medusenklasse, deren Vertreter nicht nur durch ihre Formen- und Farbenmannigfaltigkeit, durch ihre Zart- heit und Eleganz unser Gemüt erfreuen, sondern auch dem Geist einen reichen Erkenntnisquell bieten. Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Pa- läontologie der Haustiere '). 2. Die Pferde des Diluviums. Fossile Knochen von Pferden kommen in den diluvialen Ablage- rungen Europas sehr häufig vor. Georg Cuvier nannte das Pferd, dem sie angehörten, Eguus fossilis, aber da er pliocäne und postplio- cäne Ablagerungen nicht unterschied, so ist es zweifelhaft, ob sein 1) Vgl. Bd. IV Nr. 5 und 6 dieser Zeitschrift. Wilckens, Paläontologie der Haustiere. 295 Eguus fossilis ausschließlich dem Diluvium angehört. Uebrigens er- kannte er keinen Unterschied zwischen den fossilen Knochen der Pferde und denen der lebenden (Recherches sur les ossemens fossiles. 1834. T. III p. 214). Germar („Bemerkungen über die fossilen Knochen von Wester- egeln“ in „Teutschland geognostisch-geologisch dargestellt“, 1826, Bd. IH. S. 601) fand im Mergellehm über Gipskuppen bei Wester- egeln, zwischen Halberstadt und Magdeburg, zahlreiche Knochen von Pferden, von denen er behauptet, dass „sie eine solche überraschende Aehnlichkeit mit denen des jetzigen Pferdes zeigen, dass sie in Hin- sicht der Gestalt auch bei der mühsamsten Vergleichung keinen Un- terschied erkennen lassen, und nur die Dimensionen einige, wie es scheint, wichtige Verschiedenheiten darbieten“. Zum Vergleiche des „fossilen Rosses“ wählte Germar das Skelet eines kleinen polnischen Pferdes und er kommt — nach Ausführung mehrerer Messungen — zu folgendem Schlusse: „Will man nach diesen Beobachtungen das Pferd der Vorwelt (Eguus pristinus) mit unserem Pferde im allgemei- nen vergleichen, so ergibt sich, dass es in der Größe im allgemeinen mit kleinen Spielarten desselben übereinstimmt, aber hochbeiniger und diekbeiniger war, und einen verhältnismäßig kürzern, schlankern Hals, dagegen einen größern Kopf besaß, sich daher in mancher Hinsicht dem Esel näherte, aber doch beträchtlich größer als dieser war.“ Croizet und Jobert (Rech. s. I. Ossemens foss. du Departe- ment de Puy-de-Döme 1828, p. 155)!) urteilten nach einigen bei Mal- batu in der Auvergne gefundenen Pferdezähnen: „Les debris fossiles que nous avons pu recueillir de ce genre confirment done la justesse de cette observation de M. Öuvier: „„Les chevaux fossiles n’attei- gnaient point la taille de nos grands chevaux, et restaient d’ordinaire dans la grandeur moyenne, approchant de celle des zebres et des grands änes.““ Eduard Eichwald („Naturhist. Skizze von Lithauen, Volhynien und Podolien“ 1830. S. 238) berichtet über sehr große Backenzähne des „Pferdes der Vorwelt“, welche „aus dem aufgeschwemmten Lande von Lithauen“ nicht selten ausgegraben wurden. In Podolien fand man das Hinterhauptsteil eines Pferdeschädels, dessen Verschieden- heiten vom lebenden Pferde sich im wesentlichen aus dem wilden Zustande des erstern erklären lassen, d. h. die Muskelleisten des so- genannten vorweltlichen Pferdes waren stärker als die des gegen- wärtig lebenden. In einer spätern Arbeit („De pecorum et pachyder- morum reliquiis fossilibus, in Lithuania, Volhynia et Podolia repertis“ in Nov. Act. Acad. Leop. Larol. 1833 und 1834, Vol. XVII. P.U p. 680) wiederholt Eiehwald im wesentlichen die frühere Beschreibung und 1) Zitat nach Forsyth-Major „Beiträge z. Gesch. d. foss. Pferde.“ 296 Wilekens, Paläontologie der Haustiere. nennt das im Diluvium von Lithauen, Volhynien und Podolien gefun- dene Pferd: Eguus prisens. Wie schon früher erwähnt (diese Zeitschrift 1884. S. 139) hat Herm. v. Meyer in der antediluvialen Ablagerung bei Eppelsheim in Rheinhessen, sowie in der Bohnerzablagerung der Schwäbischen Alp Zähne pferdeartiger Tiere gefunden, „deren Struktur von der aller be- kannten Pferde auf eine Art verschieden ist, die nieht wohl zu er- warten war“. Diese Zähne, welche Meyer einem Eqguus Caballus primigenius zuschrieb, gehörten in der That dem Hipparion an. Außer- dem aber unterschied Meyer auch Zähne und Knochen von Equus Fossilis und er erklärt („Beiträge zur Petrefaktenkunde“ in Nova Act. Acad. Leopold. Carol. Vol. XVI. P. II. p. 434): „Unter Equus fossilis begreife ich diejenigen fossilen pferdeartigen Tiere, die von den le- benden schwer zu unterscheiden sind“ ; er berichtet ferner (a.a.0. S. 440): „An fast allen Orten, wo Knochen führendes Diluvium liegt, fanden sich auch fossile Reste von solchen Pferden, welche den lebenden sehr nahe stehen.“ Steinitz („Grundriss der Versteinerungskunde“ 1846 S. 48) be- hauptet von dem fossilen Pferde: „es war dem lebenden Pferde höchst ähnlich und hatte etwa die Größe des Zebras; von seinen Ueberresten ist das Diluvinm von Europa und Asien, wo es größtenteils mit dem Nashorn und Mammut zusammen lebte, oft ganz erfüllt; auch in den Knochenhöhlen von Frankreich, in der südeuropäischen Knochen- breeeie und in den Torfmooren sind sie nicht selten, und Eg. sivalensis vertritt diese Art in tertiären Schichten am Himalaya“). C. G. Giebel („Fauna der Vorwelt“ 1847. I. S. 125) hat zahl- reiche Ueberreste aus dem Diluvium des Seveckenberges bei Quedlin- burg mit mehreren lebenden Tieren verglichen und nirgends einen wesentlichen Unterschied, der als spezifische Eigentümlichkeit gelten dürfte, entdecken können, daher er das fossile Pferd für ein und das- selbe Tier mit dem lebenden Hauspferde erklärt. Außer dem Eg. Jossilis führt Giebel aus der bis zum Jahre 1847 erschienenen Lite- ratur noch folgende Pferde des Diluviums an, deren Originalbeschrei- bung mir nicht zugänglich war: Eg. brevirostris Kaup’s aus dem Di- luvium des Rheinbettes, von Kaup selbst späterhin als nicht ver- schieden von den lebenden Arten bezeichnet; Eg. molassiens Georg Jäger’s, begründet durch einen Griffelknochen des linken Hinterfußes aus der Molasse von Baltringen bei Biberach in Oberschwaben; der- selbe unterscheidet auch einen obern Backenzahn aus den Bohnerz- gruben der schwäbischen Alp durch die schmälere mehr rückwärts 1) Wie wir später erkennen werden, nähert sich die Form von Eg. sivalen- sis mehr den fossilen Pferden des europäischen Diluviums als den tertiären Formen der pferdeartigen Tiere, weshalb ich unter diesen Eq. sivalensis früher nicht aufgeführt habe. Wilekens, Paläontologie der Haustiere. 297 gerückte innere Leiste spezifisch von den lebenden Arten; Giebel meint, dass beide Fragmente mit den angegebenen Merkmalen nicht genügen zur Begründung selbständiger Arten. In England lassen die Ueberreste der Gattung Equus eine Art er- kennen von der Größe eines mittelgroßen Pferdes und eine andere von der Größe eines großen Esels oder Zebras; sie sind die Gesellschafter ge- wesen vom Mammut, Rhinoceros und von anderen untergegangenen Vier- füßern, deren Ueberreste sehr verbreitet sindin den Driftformationen, Kno- chenhöhlen und den postpliocänen Schichten des Tertiärs. R.Owen („A History of british fossil Mammals.“ London 1846 p. 385) meint: die bestbe- glaubigten Zusammenstellungen von Gliederknochen mit Kiefern und Zähnen bekunden offenbar, dass das fossile Pferd einen größern Kopf hatte als die domestizierten Rassen; es glich in dieser Bezieh- ung dem von Pallas beschriebenen Wildpferde Asiens und näherte sich den Zebras und Eseln. Die größten Backenzähne fand Lyell im blauen Thon (elay) zu Cromer mit Ueberresten vom Mammut, Hippo- potamus, Rhinoceros, Bos, Cervus und Trogontherium; Owen urteilt nach der Größe dieser Zähne, dass sie einem Pferde von 14 bis 15 Faust (= 148—158 cm) Höhe angehört haben. Nach O. sind bei den meisten Ueberresten des fossilen Pferdes von jüngeren Schichten und Höhlen, die zweiten und dritten Molaren beider Kiefer schmäler im Querdurchmesser im Vergleich zum Längsdurehmesser als bei den gegenwärtigen Pferden. Am Schlusse seiner Beschreibung erklärt O. (a. a. ©. S. 391): „The more common species of fossil Horse from the drift formations and ossiferous caverns, which differs from the existing domestie Horse in its larger proportional head and jaws, re- sembling in that respect the Wild Horse, but apparently differing in the transversely narrower form of certain molar teeth, may continue to be eonveniently indicated by the name of Eg. fossilis.“ Außerdem aber unterscheidet O. (a. a. O. S. 392) — auf grund einiger in der Höhle von Oreston gefundener Backenzähne mit wel- lenförmigen Windungen ihrer inneren Schmelzfalten — noch ein „Fos- sil Horse, with the enamelfolds of the molar teeth pliecated“, welches er Eg. plieidens nennt. Nordmann („Paläontologie Südrusslands“, S. 174) aber meint: „Nachdem ich hunderte von fossilen Pferdezähnen genau verglichen habe, kann ich die Artselbständigkeit von Eg. pliev- dens Owen’s nicht anerkennen.“ Ferner unterscheidet O. (a. a. ©. S. 396) auf grund von Backen- zähnen aus den Driftschichten zu Chatham und Kessingland, sowie auf grund einer fossilen zweiten Phalange von einer kleinen Pferde- art aus pliocänem Mergel zu Thorpe auch einen fossilen Esel oder Zebra, den er Asinus fossilis nennt. Alexander von Nordmann („Paläontologie Südrusslands“ 1858, S. 170) beschreibt aus dem Diluvium des südlichen Russlands zwei Formen des fossilen Pferdes — und aus dem Molassenmuschelkalk 298 Wilckens, Paläontologie der Haustiere, eine dritte. Die eine diluviale Form — der die bei weitem größere Anzahl der gefundenen Knochenüberreste und Zähne angehört — nennt er nach Cuvier Kg. fossilis und bezeichnet sie als eine „dem lebenden Pferde sehr nahestehende Art“. Die Windungen und Schmelz- falten seiner Backenzähne erscheinen ihm — abgesehen von den indi- viduellen Verschiedenheiten — so übereinstimmend, dass eine sichere Trennung der beiden Arten kaum möglich ist, und wir gezwungen seien uns an das abweichende Größenverhältnis dieser Teile zu halten; aus seinen Maßabnahmen an den Backenzähnen des Ober- und Unter- kiefers zieht er jedoch den Schluss: „dass die relative Größendifferenz nicht so sehr an die Kaufläche, als vielmehr an die Länge des Zahn- wurzelteiles gebunden ist.“ Die zweite diluviale Form nennt N. Eq. asinus fossilis major et minor. Er begründet diese Form durch eine Reihe von Milch- und Ersatzzähnen — die er gemeinschaftlich mit den Kno- chen von Ey. fossilis in Odessa und Nerubaj ausgegraben hatte —, welche von einem so abweichenden Größenverhältnisse waren, dass sie durchaus nicht dem Zg. fossilis, sondern zweien Pferde- oder Eselsarten zugeschrieben werden konnten, von welchen eine die Größe eines Zebras hatte, die andere aber um die Hälfte kleiner war. Die Pferdezähne (einige Backenzähne des Unterkiefers) aus dem Odessaer Molassenmuschelkalke schreibt N. einer dritten Art, dem £g. pygmaeus zu, „eine eigentümliche kleinwüchsige Pferdeart, welche mit Eg. fosselis oder primigenius nicht verwechselt werden darf.“ „Ueberblicke ich“ — sagt Nordmann a. a. 0. 8. 185 — „noch einmal das gesamte Material von den zusammengebrachten fossilen Pferdezähnen, und überwäge die durch die mitgeteilten verglei- chenden Tabellen gewonnenen Ergebnisse, — so liegt die Annalıme, das Diluvium enthalte die Ueberreste verschiedener Pferdearten, näher aut der Hand, als die von Giebel (Fauna der Vorwelt 1.125) in ent- gegengesetzterRichtung geäußerte Ansicht. Gegen Giebel bemerkt Nordmann: „dass wir zu keinem sichern Endresultate kommen, so lange der Ausgangspunkt des Vergleiches das Hauspferd mit allen seinen Rassen bildet“. N. verweist noch darauf, dass auch Bravard nach den Untersuchungen im Diluvium bei Issoire zwei Pferdearten: Eg. magnus und Eg. juwvillacus zu unterscheiden gesucht habe. Für die kleinen Pferdezähne aus den Lütticher Knochenhöhlen, welche Sehmerling dem Ey. asinus fossilis zuschreibt, ist von Marcel de Serres die Benennung Eg. minutus vorgeschlagen worden). Beiläufig erklärt sich auch Nordmann gegen „eine eigentümliche Pferdeart unter der unpassenden Benennung Ey. molassicus* von Georg Jäger. 4) Ich entnehme diese Angaben dem genannten Werke von Nordmann, da mir die Arbeiten von Schmerling, von Marcel de Serres und Bravard nicht zugänglich gewesen sind. Auch über Schlotheim’s Eq. adamitieus fehlt mir die Literatur. Wilckens, Paläontologie der Haustiere. 299 mw Paul Gervais („Zoologie et Pal&ontologie frangaises“, Paris 1859, p. 78) vereinigt Marcel de Serres’ Kg. minutus, Bravard's Eqg. mag- nus (von Pomel Ey. robustus genannt) und Eq. juvillacus — gleichsam als verschiedene Rassen — unter dem Artnamen „Eg. adamatıcus“, ein Name, der offenbar gleichbedeutend ist mit Schlotheim’s „Lg. ada- miticus“ und dieselbe Form bezeichnet wie „Eg. fossilis“ der früher genannten Forscher. Gervais äußert sieh über diese Formen wie folgt: „Il serait bien hardi d’affirmer que les Chevaux fossiles dont on retire les debris soit des eouches diluviennes, oü ils sont me&les avec ceux des Elöphants, des Rhinoceros tichorhinus, ete.; soit des eavernes ä osse- ments, oü le m@me assemblage a &t6 constate; soit encore des breches, des tourbieres, ete., sont de la m@me espece que nos Chevaux actuels quoique Von n’ait pas encore trouve entre ceux-ci et leurs represen- tants, pendant les epoques ante-historiques, des caracteres que les naturalistes puissent regarder comme speeifiques. Ce qui est plus certain, c’est que, parmi les Chevaux qui ont veeu A des epoques plus ou moins reculdes de la periode diluvienne et, par consequent, en dehors de linfluence de toute civilisation humaine, il y avait, comme aujourd’hui, des races ou des especes distincetes, les unes plus mas- sives, les autres plus sveltes, et d’autres, au contraire, remarquables par une plus grande taille, ou au contraire par une taille plus petite.“ Neben jenem Eg. adamaticus aber unterscheidet G. (a.a.0. p. 79) noch Eg. «sinus, nach einigen fossilen Ueberresten aus der Höhle von Brengues (Lot), und Eg. piscenensis aus dem fossilen Kies am rechten Ufer des Riege nächst Pezenas (Herault); er nennt diese Art „encore douteuse etablie sur deux pieces seulement; mais qui sont cependant assez caracteristiques“. Dieses Tier war höher (&lancee) als der Esel und kleiner als das Pferd. Die Abbildungen, welche G. auf Tafel 21, Fig. 9 von dem obern Ende eines mittlern Metacarpus und Fig. 10 von einem Fesselbein gibt, zeigen Knochen, die kleiner, aber zugleich schmäler und schlanker zu sein scheinen als die von Ey. Caballus. Bei diesen Größenunterschieden — die den Paläontologen aus- reichend erschienen zur Aufstellung von verschiedenen Arten fossiler Pferde — dürfen wir jedoch nicht außer acht lassen, wie verschieden die Größe ist bei den gegenwärtig lebenden Pferden (die ja die un- mittelbaren Nachkommen der fossilen Pferde sind und von diesen wahrscheinlich auch das Ausmaß der Körperform ererbt haben), und wie schwer das Gebiss und die Gliederknochen eines Esels von denen eines Pferdes zu unterscheiden sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Paläontologen häufig genug die fossilen Knochen von Eseln mit denen von Pferden verwechselt haben. Darauf hat A. Sanson („Sur les Equides de la faune quaternaire“ in Comptes rendus T. 76, 1873, p-. 55) nachdrücklich aufmerksam gemacht; er sagt: „Ils (les paleon- tologistes) sont convaincus que les os d’äne sont toujours moins longs 300 Wilekens, Paläontologie der Haustiere. et moins volumineux que ceux des plus petits chevaux econnus. Pour chacune des especes chevalines, la taille et le volume des individus varient dans d’enormes proportions. Entre la variete du littoral de notre Bretagne et celle des iles Shetland, qui sont de la m&@me espece, il y a par exemple des differences plus grandes que du simple au double. On pourrait enumerer un grand nombre de faits semblables. Il suffira, pour montrer que les dimensions dont il s’agit n’ont aueune valeur caracteristique, de faire voir que les proportions des os longs de notre Eg. asinus europaeus depassent celles d’un grand nombre de chevaux“. 8. findet den einzigen wirklich charakteristischen Un- terschied zwischen dem Skelet des Pferdes und des Esels in der be- sondern Form des Orbitalfortsatzes vom Stirnbeine, der beim Esel ungleich breiter ist als bei irgend einer Art des Pferdes, und dessen vorderer Rand beim Esel die Form eines offenen V hat, während er bei den Pferden einen Kreisabschnitt bildet. Um die Aufzählung der angeblich verschiedenartigen Formen fos- siler Pferde des Diluviums zu vervollständigen, will ich noch erwähnen, dass Cautley und Faleoner schon im Dezember 1835 (im Journ. of the Asiat. Soc. of Bengal.) — wie ich dem Berichte in Giebel’s „Fauna der Vorwelt“ I. 126 entnehme — die ersten Mitteilungen ge- macht haben über die in den jüngsten Tertiärschichten der Siwalik- berge am Himalaya vorkommenden Ueberreste von Pferden, die sie einer eigentümlichen, %q. sivalensis genannten Art zuschrieben; dieses Pferdes werde ich noch später gedenken. Somit habe ich den Stand der Forschungen über das fossile Pferd gekennzeichnet bis zur Zeit des Erscheinens der bahnbrechenden „Bei- träge zur Kenntnis der fossilen Pferde“ (Verhandlungen der natur- forschenden Gesellschaft in Basel, 1863, III. S. 558) von L. Rüti- meyer. Dieser Forscher untersuchte eine nicht unerhebliche Anzahl von Skeletstücken und Gebissen des diluvialen Pferdes aus dem vul- kanischen Tuff von Coupet (zwischen Langeae und Crespiniac in der Nähe von Le Puy, Haute-Loire) in der Auvergne. „Alle diese Pferdereste“ — sagt Rütimeyer a. a. O. 8. 673 — „verdienen den Namen Eguus fossilis nicht deshalb, weil sie ein Pferd charakterisieren, das in Skelet, Natur ete. mit dem heutigen Pferde in hohem Maße übereinstimmte, sondern vielmehr deshalb, weil sich dieselben, trotz der Aehnlichkeit mit Eg. Caballus, doch durch kon- stante, wenn auch kleine Eigentümlichkeiten davon unterscheiden; dieser Umstand kann auch allein berechtigen, diese Reste nicht mit Eg. Caballus zu bezeichnen. Die so oft geübte Gewohnheit, Pferde- zähne aus Höhlen und Kies, die man nicht vom heutigen unterschei- den kann, nichtsdestoweniger Eg. fossilis oder primigenius oder «dami- ticus ete. zu nennen, hat der ganzen paläontologischen Untersuchung dieses Genus vielen Abbruch gethan. Es darf billig verlangt werden, dass alle solche Ueberreste ihren rechten Namen tragen, Eg, Caballus, Wilckens, Paläontologie der Haustiere. 301 und erst anders getauft werden, wenn man im stande ist, einen neuen Namen mit Motiven zu belegen. Unter %g. fossilis verstehe ich daher hier ein Pferd, das mit Bestimmtheit von Eg. Caballus unterschieden werden kann, und das ich für identisch halte mit der von Owen un- ter dem gleichen Namen beschriebenen Art; was dagegen Cuvier Eguus fossilis nannte, verdient nach dessen Angaben diesen Namen nicht, sondern nur den Namen Zguus Caballus fossihis.“ Für die Oberkieferzähne bestehen die Unterschiede zwischen Eg. Fossilis und Caballus nach R. hauptsächlich im der schwächern Aus- bildung des Schmelzzylinders am Innenrande, der als Repräsentant des ganz isolierten Säulchens von Hipparion erscheint, welches im Alter, bei stärkeren Graden der Abnutzung, durch eine Brücke mit dem übrigen Zahn in Verbindung gesetzt ist. Bei Eg. fossilis ist nun zwar diese Vereinigung der Mittelsäule mit dem Zahn immer vorhan- den, so gut wie bei Eg. Caballus, allein die Mittelsäule selbst hat noch die Form wie bei Hipparion, d.h. sie ist fast rundlich und tritt daher erheblich über den Umriss des übrigen Zahnes nach innen vor. Die Einschnitte, welche die Innensäule vorn und hinten von dem übri- gen Zahn abtrennen, sind daher auch geräumig und öffnen sich er- giebig nach dem Innenrand des Zahnes. Bei Zg. Caballus findet R. diesen Zylinder stets abgeplattet und nach beiden Seiten in mehr oder minder lange Zipfel ausgezogen, die sich dem Umriss des Zahnes mehr anschmiegen; die beiderseitigen Einschnitte sind daher auch eng und tief. Die Schmelzbänder auf den einander zugekehrten Seiten der Halbmonde sind beim fossilen Pferde durchgehend kraus, d.h. kleinwellig und meist gekörnelt (von ungleichmäßiger Dieke), während sie beim Hauspferde einfacher verlaufen. Die Milehzähne des fossi- len Pferdes besitzen weit unregelmäßiger verlaufende Schmelzlinien als die Ersatzzähne, sowie ein stärker ausgebildetes hinteres Querthal als die Ersatzzähne. Außerdem ist die Mittelkante der Außenwand einfach, wie bei Hipparion und nicht doppelt, wie beim Hauspferde. „In jeder Beziehung“ — sagt Rütimeyer a. a. O. Seite 677 — „stehen daher obere Backzähne von Eg. /ossilis in der Mitte zwischen denjenigen von Hipparion und Eg. Caballus.“ Diesen intermediären Charakter tragen auch die unteren Back- zähne von Eg. fossilis in vollem Maße. Dies zeigt sich hauptsächlich in der Stellung der beiden inneren Endlappen des vorderen Halbmon- des, welche beiderseits zurückgebogen sind, noch ähnlich wie bei Hipparion; nur der hintere Endlappen ist etwas mehr abgeschnürt und er ragt mehr vor über den Innenrand des Zahnes; der Eingang in die zwei Querthäler (falschen Marken) ist daher auch schon offener als bei Hipparion, aber weniger offen als bei %g. Caballus. Auch in bezug auf die Kräuselung der Schmelzbänder und auf die Höhe des Zahnkörpers steht Eg. fossilis in der Mitte zwischen Hipparion und Eg. Caballus. In jeder Beziehung führt also die diluviale Art die 302 Wilekens, Paläontologie der Haustiere. Bildung von Hipparion Schritt für Schritt zum heutigen Pferde. Als entfernteste Bildung erscheint in jeder Beziehung Eg. Caballus, wo die mittlere Schmelzschlinge des Innenrandes am meisten nach innen vortritt, namentlich an ihrem hintern Lappen, wo daher auch die Quer- thäler (falschen Marken) den offensten Ausgang haben, wo das vor- dere Querthal den ausgebildetsten Vorderast besitzt, und die Kräuse- lung des Schmelzbleches am meisten zurücktritt. Von größtem Interesse ist es, dass auch das Milchgebiss von Eg. ‚Fossilis gewissermaßen einen stärkern Nachklang an Hipparion bildet als bei Eg. Caballus, und dass ebenso das Milchgebiss des letztern dem Gebiss des fossilen Pferdes näher steht als seine Ersatzzähne. Die auffallendste Erscheinung an dem Milchgebiss von Eg. fossilis ist das Auftreten einer kleinen Falte mit mehr oder weniger selbstän- diger Schmelzinsel am hintern Außenrande aller Milchprämolaren. R. erklärt diese Falte für eine Kompressionsfalte, die selbst an jungen Molaren sichtbar ist; er stellt ihre Bildung so dar, dass bei Hipparion die hintere Hälfte der unteren Backzähne ungestört entwickelt, die vordere dagegen wie durch Druck verkürzt ist, während sich bei Eg. fossilis die vordere Zahnhälfte freier entwickelt und die hintere in ihrer Längsausdehnung beschränkt scheint. Jenes Gesetz der freiern Ausbildung vorderer Zahnhälften gilt nach R. in noch höherem Maße von Eg. Caballus, wo das vordere Querthal sich fast bis auf den Grad des hintern ausbildet und daher auch die vordere Kompressionsfalte schwindet, aber dafür diejenige der hintern Zahnhälfte um so deut- licher wird. R. schließt aus der Vergleichung der drei, verschiedenen Perioden angehörigen Formen von Pferden, dass dieselben zu einander in näherer Beziehung stehen, als man glauben mochte. Es ist von In- teresse zu sehen, dass alle Merkmale von Eg. fossilis solche sind, welehe die Zwischenräume zwischen Hipparion und Eg. Caballus mehr oder weniger ausfüllen. R. untersucht dann noch, inwiefern die gewonnenen Unterschei- dungsmerkmale von Egq. fossilis und Eg. Caballus dazu dienen können, über die geographische Ausbreitung des fossilen Pferdes Aufschluss zu geben; er kommt zu dem Schluss, dass sowohl die historischen Aufzeichnungen wie die Art des Vorkommens von Pferderesten in Ab- lagerungen neuern Datums es sehr wahrscheinlich machen, dass das heutige Pferd nicht nur in historischer Zeit, sondern selbst so weit wie die Spuren menschlicher Thätigkeit zurückreichen, in Westeuropa nicht als wildes Tier einheimisch war, dass also unser jetziges Haus- tier importiert ist, vielleicht von verschiedenen Quellen, weit sicherer in wiederholten Perioden. Eine mit einem neuen Namen — Eg. spelaeus — belegte Form des diluvialen Pferdes beschreibt Rich. Owen („Description of the Cavern of Bruniquel, and its Organie Contents“ in Philosophical Trans- Wilekens, Paläontologie der Haustiere. 303 actions of the Roy. Soc. of London, 1869 p. 535) aus der Höhle von Bruniquel, welehe gelegen ist in einer großen Böschung von Jurakalk am Ufer des Flusses Aveyron im Departement Tarın und Garonne. Nachdem 0. die Zähne von Eg. spelaeus mit denen von gegenwärtig lebenden und fossilen Pferdearten verglichen hat, kommt er (a. a. O. S. 552) zu folgenden Schlüssen: „The Bruniquel Equine fossils are identical in race with those which have been obtained from certain freshwater postpliocene or quaternary beds in France. — They present a eloser resemblance, in all the points compared, with those „fossils of deposit“ than with any other known extinet or recent Equine. I infer from the sum of the known characters of this rather small and seemingly extinct race of Equines, that they were more nearly allied to the true Horses, forming the limited genus Eguus of modern Mammalogy, than to the Zebras and Asses, included in the genus Asinus of Gray.“ Igino Cocehi („L’uomo fossile nell’ Italia centrale“, Milano 1867) hat eine neue fossile Pferdeart in den jüngeren Tertiärgebilden des toskanischen Val d’Arno entdeckt, welche er Kqguus Stenonis!) nennt. Er beschreibt dasselbe Seite 18 als ein Pferd von hoher Sta- tur, von mäßigen Formen mit Molaren, deren Schmelz in äußerst zier- licher Weise fein gefranzt und ausgezackt sei. C. J. Forsyth Major („Beiträge zur Geschichte der fossilen Pferde insbesondere Italiens“ in Abhandlungen der schweizerischen paläont. Gesellsch. Vol. IV. 1877, Seite 45) sagt von dieser Beschrei- bung, dass sie in ihrem ersten Teile unrichtig und im zweiten offen- bar nieht genügend sei; letzterer passe z. B. auch auf Eg. plieidens Owen’s, welches Coechi selbst und mit Recht von dem Valdarnopferd unterschieden haben will. In einem geologisch höhern Horizont: in den unteren Schichten des Val di Chiana, in Maspino und am Hügel von Olmo fand Cocchi (a. a. ©. S. 21) die Ueberreste eines andern Pferdes, das ihm und Lartet eine größere Verwandtschaft mit den diluvialen Formen Eu- ropas zu haben scheint als mit Eq. Stenonis; dieses jüngere fossile Pferd nennt Cocchi Eg. adamitieus oder Eg. Larteti. Rütimeyer bemerkt in einer spätern Arbeit („Weitere Beiträge zur Beurteilung der Pferde der Quaternärepoche“* in Abhandlungen d. schweiz. paläont. Gesellsch. Vol. II. 1875 S. 23): „Sehen wir zu- nächst vom Namen ab, so war es mir nicht wenig erfreulich, sobald nach Veröffentlichung meiner Anschauungen über die Modifikationen des Pferdes und durchaus unabhängig davon, einen so sorgfältigen Beobachter wie Cocehi, an einem so reichen Material, wie es die toskanischen Sammlungen enthalten, zu durchaus ähnlichen Ergeb- 1) Dasselbe Pferd wurde von Faleoner: Zg. Ligeris benannt, von Lar- tet: Kg. arnensis. « 304 Wilekens, Paläontologie der Haustiere. nissen gelangen zu sehen. Es schien mir berechtigt, Eg. Stenonis — vielleicht auch E£g. Larteti der italienischen Sammlungen — als Etap- pen in derselben Metamorphosenreihe anzusehen, von welchen ich eine mit dem Namen Eqg. fossilis zu bezeichnen vorgeschlagen habe. Eg. Larteti schien mir in diesem Falle zwischen Eg. fossilis von Au- vergne etc. und Eg. Caballus zu gehören, während Eg. Stenonis den Bautypus der Ueberreste aus der Auvergne noch schärfer und ein- facher ausgeprägt als dieses an sich trug.“ Neben Eg. Larteti beansprucht aber auch Forsyth-Major eine Mittelstellung zwischen Eg. Stenonis und Eg. Caballus für sein Eg. intermedius; es scheint aber, dass beiden Namen ein und dieselbe Form zu grunde liegt. Rütimeyer erklärt in seiner zuletzt er- wähnten Schrift (S. 25), dass er es nicht wagen würde die den Mu- seen von Florenz angehörigen Originalien, die dem Namen Eg. Lar- teti zu grunde liegen, anders als Caballus zu nennen; um so mehr als er grade im Sammelpunkt von Val di Chiana, in Arezzo selbst, unter den von dort herstammenden Pferdezähnen nichts vorfand, was nicht den Namen Cadallus verdiente. „Doch hat Dr. Major“ — sagt Rütimeyer — „sich veranlasst gesehen, auch einige dem Museum von Pisa angehörige Zähne aus Maspino (der Fundstätte von Ueberresten des Eg. Larteti) mit dem Namen Zg. intermedius zu bezeichnen.“ Rütimeyer (a. a. O. S. 27) schließt aus seinen Studien in den italienischen Museen, dass in Italien und anderwärts doch drei Etap- pen für die Geschichte des Genus Zguus ziemlich deutlich markiert sich herausstellen: eine Epoche, die entweder ausschließlich oder doch sehr vorwiegend durch Eg. Stenonis vertreten ist, als Zeitge- nosse von Elephas meridionalis, Rhinoceros etruscus, Bos etruscus u. a.; die zweite, vermutlich etwas jüngere Epoche ist bezeichnet durch das von ihm beschriebene Zg. fossilis aus der Auvergne. „Später“ — sagt R. — „und aller Wahrscheinlichkeit nach gleichzeitig mit Eg. Caballus, tritt Eg. Larteti, oder wohl besser intermedius auf, als Zeitgenosse von Elephas primigenius, vielleicht auch schon El. anti- quus, Bhinoceros homitoechus, Dos primigenius, bis es endlich dem Eg. Caballus den Platz ganz räumt. Auch diese Betrachtung stellt nun freilich wieder die Frage in den Vordergrund, ob es sich um Metamorphose einer und derselben Art, oder gleichzeitig um Aus- tausch von Pferdearten auf einem und demselben Schauplatze handle. Um solches zu beantworten wird man sich wohl gedulden müssen, bis wir mit diesen Formen, die wir ja erst nach dem Gebiss zu un- terscheiden beginnen, weit vollständiger bekannt sein werden. Hier- bei wird es die Arbeit sehr erleichtern, wenn sie, so weit wie möglich, gemeinsam gefördert wird. Da nun meines erachtens kein Zweifel bestehen kann, dass das eisalpine Eg. fossilis und das transalpine Eg. Stenonis dieselbe Pferdeform bezeichnen, so möchte ich meinen Freunden in Italien vorschlagen, dass wir uns fürderhin mit einem Wilekens, Paläontologie der Haustiere. 305 Namen begnügen, wofür ich, sofern sie mir einen Vorschlag ein- räumen, den von Herrn Cocchi angebotenen Eg. Stenonis empfehlen möehte.“ Forsyth-Major unterscheidet (a. a. O.) unter den fossilen Pferden Italiens mehrere Formen, von denen er zahlreiche Glieder- knochen und Gebissstücke beschreibt, welche zumeist dem Z%q. Ste- nonis Cochi aus dem Pliocän des obern Arnothales angehörten; außerdem lagen ihm Knochen und Zähne vor von einem Pferde aus der Höhle von Cardamone bei Novoli in der Nähe der Terra d’Otranto, drei Formen von Oberkieferzähnen eines eselartigen Habitus, fünf Formen von Oberkieferzähnen eines pferdeartigen Habitus, endlich Oberkieferzähne eines Pferdes aus der Umgebung von Chiusi (Val di Chiana), von „unverkennbarer Aehnlichkeit mit dem Gebiss vom Quagga“, welchem F.-M. den Namen Eq. quaggoides beilegt. Dem Pferde von Chiusi reiht sich an ein Schädel aus oberflächlichen Schichten in der Gemeinde Faella im obern Arnothale und ein fer- nerer Schädel aus eisenschüssigen Sanden des Arnothales. Diese durch die erwähnten drei Fossilien repräsentierte Pferdeform (Kg. guaggoides) verdient mit ebenso großem Rechte von Eg. Caballus unterschieden zu werden wie Eg. Stenonis; sie ist in mancher Hin- sicht intermediär zwischen beiden“ (a. a. O. 8. 121). Obwohl Forsyth-Major — auf grund seiner Vergleichungen des Gebisses — die Trennung von Rütimeyer's Ey. fossilis aus der Auvergne und Eqg. Stenonis Cocchi „durchaus nicht gerechtfertigt er- scheint“ (a. a. 0. 8. 132), so hat er in vorliegender Arbeit beide Formen doch auseinandergehalten, „weil der genannte Autor (Rüti- meyer) ersterem ausdrücklich jede Abweichung vom lebenden Pferde im Skelet absprieht.* F.-M. findet an den von ihm untersuchten Skeletknochen des Eg. Stenonis mehrfache Abweichungen vom Eq. fossilis Rütimeyer’s und vom lebenden Pferde, aber er bekennt selbst (a.a. 0. S. 63), dass ihm von lebenden Pferden nur ein „außer- ordentlich spärliches Material“ zur Verfügung gestanden habe. Von diesem Material erfahren wir zudem nichts über Rasse und Herkunft, so dass man annehmen muss: die heutigen Pferde seien dem Ver- fasser der Geschichte der fossilen Pferde Italiens nur in einer ein- zigen Form bekannt geworden. Keinenfalls hat der Verfasser eine klare Vorstellung von der großen Veränderlichkeit, bezw. von der Abänderungsfähigkeit der zahlreichen Formen, welche gegenwärtig unter dem Artbegriff „Eg. Caballus“ zusammengefasst werden. Seine Vergleiche von Ey. quaggoides und Eg. Stenonis mit Eg. Caballus haben daher nur einen beschränkten Wert. Lediglich der Vollständigkeit wegen will ich hier noch die haupt- sächlichen Unterschiede erwähnen, welche F.-M. an den Schädeln der drei genannten Arten gefunden hat. Bei Eg. quaggoides ist der hintere Rand der Augenhöhle vor- 20 306 Wilekens, Paläontologie der Haustiere, stehender, aber kaum breiter als beim Pferde (Eg. Caballus). Die Maxillarkante steht etwas höher und reicht weiter nach vorn als bei diesem, nämlich bis nahezu über die Mitte der ersten Prämolaren. Die Stirngegend ist breiter und flacher als bei %g. Cuballus und Eq. Asinus; dies gilt namentlich auch von den Nasenbeinen in der Gegend der Nasenwurzel. Bei Eg. Stenonis ist der hintere Rand der Augenhöhle ähnlicher dem vom Esel als dem vom Pferde, d. h. breiter und vorstehender als bei letzterem; ja noch breiter als beim Esel. Die Maxillarkante reicht durchweg ziemlich genau bis über den Zwischenraum zwischen dem 1. Molar- und 1. Prämolarzahn, manchmal etwas weniger weit nach vorn; sie steht etwas niedriger als bei Pferd und Esel und ist na- mentlich dadurch ausgezeichnet, dass sie im horizontaler Richtung weit vorragt. Bevor wir die Geschichte des fossilen Pferdes in Europa weiter verfolgen, wollen wir die Forschungen in betracht ziehen, welche in Indien und Amerika gemacht worden sind. Die ersten Mitteilungen über fossile Pferde Indiens veröffent- lichen Cautley und Falconer im Journal of the Asiatie Society of Bengal im Dezember 1835'). Dann hat Falconer im „Deserip- tive Catalogue of the fossil Remains of Vertebrata in the Museum of the Asiatie Society of Bengal“, Caleutta 1859, das Verzeichnis der Pferdeüberreste herausgegeben, welche in den Siwalik -Hügeln, in Nerbudda und Perim Island gefunden wurden. Die Knochenreste und Zähne aus den Siwalik-Hügeln werden dem Ey. Sivalensis zugeschrie- ben und katalogsmäßig gekennzeichnet; für die anderen Ueberreste findet sich nur die Bezeichnung Eguus, ohne Artname. In den „Palaeontologieal Memoirs and Notes of the late Hugh Faleoner“, herausgegeben von Charles Murchison, London 1868, ist die Katalogbeschreibung von Faleoner wiederholt. Einleitend bemerkt (8. 186) der Herausgeber: „No memoir of the fossil Kquidae of India was ever published by Dr. Faleoner. Six new species are figured in the Fauna Antiqua Sivalensis'), two of which are from the Sewalik hills, viz. Eguus Sivalensis and Hippotherium Antilopinum, the latter presenting the form of a horse with the attenuated proportions of an antelope. Two other species, Kquus Namadicus and Eqguus Palaeonus?), are from the valley of the Nerbudda, and there are two doubtful species from Ava and the Niti Pass.“ 4) Zitat nach Giebel, da mir der betreffende Band nicht zugänglich war. 4) Dieses große, von Hugh Falconer und Proby T. Cautley heraus- gegebene Tafelwerk (größtenteils ohne Text) enthält im 9., zu London 1849 erschienenen Hefte, die Kquidae auf Taf. SI—85. 4) Nach Lartet ist Zg. Palaeonus wahrscheinlich das junge Individuum entweder vom Zg. Sivalensis oder von Eqg. Namadicus. Wilckens, Paläontologie der Haustiere. 307 Die Abbildungen, insbesondere die der Gebisse auf Tafel 82 zei- gen so geringe Verschiedenheit von den Formen des fossilen Pferdes Europas, dass die nahe Verwandtschaft beider kaum in Zweifel zu ziehen ist. Immerhin aber lässt sich aus diesen Abbildungen er- kennen, dass Eg. Sivalensis, vermöge der mehr wellenförmig verlau- fenden Sehmelzlinien seiner Backenzähne, dem Hipparion näher steht als Eg. Namadieus. Die Abbildung Fig. 9 u. 9a — Zwischenkiefer von Eg. palaeonus — ist unverkennbar einem Fohlen entnommen, so dass die von Lartet ausgesprochene Ansicht: dass Eg. palaeonus eine jugendliche Form entweder von Eq. sivalensis oder von Eg. Nama- dieus sei, nieht unberecehtigt erscheint. Die Abbildungen Fig. 10 u. 11 von derselben Art gestatten gar kein Urteil, ob man es mit einem jungen oder einem alten Tiere zu thun hat. Die übrigen Abbildungen von Skeletteilen (in !/, nat. Gr.) genügen nicht, um mehrere Arten danach zu unterscheiden. Eine eingehendere Beschreibung der fossilen indischen Pferde verdanken wir R. Lydekker („Memoirs of the geological Survey of India“, Ser. X, Vol. II. Part. 3 „Siwalik and Narbada Equidae“, Cal- cutta 1882). In der geschichtlichen Einleitung über die fossilen Pferde Indiens gibt er eine Uebersicht über die bis zum Jahre 1882 be- kannten Formen fossiler und rezenter Hipparien (Hippotherien) und Pferde. Indem ich die ersteren hier übergehe, will ich nur bemerken, dass Lydekker darauf aufmerksam macht: Herm. v. Meyer sei bei der Beschreibung einiger oberer Molarzähne von einem durch die Gebrüder Schlagintweit in den Siwaliks von Nurpur und Kushal- shar aufgefundenen Hippotherium zu dem Schlusse gekommen, dass Hippotherium antilopinum von Faleoner und Cautley sich nicht unterscheide von dem europäischen Hipparion (Hippotherium) gracile, oder Eg. primigenius, wie es von Meyer benannt worden }). Lydekker zählt folgende Arten der Gattung Eguus alphabe- tisch auf: 1. E. arcidens (Owen) S. America; Pleistocän. Hippidion arcidens (Owen). 2. E. argentinus (Burmeister) S. America; Pleistocän. 3. E. asinus (Linne). Alte Welt; rezent und Pleistocän. Asinus vulgaris (Gray). Eg. asinus europ. (Sanson). Eguus asina (Fleming). Mn „ fossilis (Owen). „ asinus african. (San son). 4. E. Burchelli (Bennett) S. Afrika; rezent. Asinus Burchelli (Gray). Eg. zebroides (Lesson). Eg. montanus (F. Cuv.). Hippotigris Burchelli (H. Smith). „ Zebra (Burchell). 4) Diese Bemerkung findet sich nach dem Zitat von Lydekker in „Pa- läontographica* Vol. XV. p. 17, welches Werk mir nicht zugänglich, vor. 20 * 308 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. 5. Eg. Caballus (Linn). Alte Welt und (?) N. Amerika; rezent, pleistocän und oberplioeän. Eg. adamiticus (Schloth). kg. magnus (Bravard). „ antiquorum (Gesner). „ (?) mierognathus (Gervais). „ brevirostris (Kaup). „ minutus (Dub u. Jacm.). „ caball. fossilis (Baer). „ ? piscenensis (Gervais). „? Devilleie (Gervais). „ plieidens (Owen). yerus Pallas). „ ? priscus (Eichwald). „ Jjwvillacus (Bravard). „ robustus (Pomel). „ fossilis (Meyer). „ spelaeus (Owen). „ ? fraternus (Leidy). 6. E. conversidens (Owen) S. Amerika; Pleistoeän. 7. E. curvidens (Owen) S. Amerika; Pleistocän. 8. E. nemionus (Pallas) Zentral- Asien; rezent. Asinus equioides (Hodgson). Asinus polyodon (Hodgson). „ equwuleus (H. Smith) » .? hemippus (?). „ hemionus (Gray). Eg. kiang (Moorcroft). „ hippargus (H. Smith). „ onager (Eversmann). „ kiang (Gray). „ varius (H. Smith). 9. E. major (Dekay) N. Amerika; ? Plioeän. Lig. americanus (Leidy) Eg. complicatus (Leidy). 10. E. Namadicus (Fale. u. Caut.) Indien; Pleistocän und Pliocän (Narbada u. (?) Sub-Himalaya). ? Eg. palaeonus (F. u. C.). 11. E. neogaeus (Lund). S. Amerika; Pleistocän. Hippidion neogaeum (Owen). Hippoideum neogaeum (Lund). 12. E. occidentalis (Leidy). N. Amerika; Pliocän. kg. excelsus (Lund). 13. E. onager (Pallas). Kach, Persien und Mesopotamien; rezent. Asinus hemionus (Gray). Eg. asinus onager (Schred). »„ kiang (Layard). „ hemionus (Sykes). »„ onager (Gray). „ khur (Lesson). 14. E. pacificus (Leidy). N. Amerika; Pleistocän. 15. E. Prezewalski (Poliakoff). Z. Asien; rezent. 16. E. prineipalis (Lund). S. Amerika; Pleistocän. Hippidion principalis (Owen). 17. E. quagga (Gmel). S. Afrika; rezent. Asinus quagga (Gray). 18. E. quaggoides (F. Maj.). Europa; Pliocän. 19. E. sivalensis (Fale. u. Caut.). Indien; Plioeän. 20. E. Stenonis (Coccehi). Europa; Oberpliocän. 21. E. tau (Owen). S. Amerika; Pleistoeän. 22. E. zebra (Linne). S. Afrika; rezent. Asinus zebra (Gray). Hippotigris antiguus (H. Smith). Eg. brasiliensis (Jacob). Zebra indica (Aldrov.). „ indicus (Jonston). Wilekens, Paläontologie der Haustiere. 309 Diese Liste der Gattung Pferd enthält 22 Arten, von denen 8 leben, 2 lebend und fossil gefunden sind und 14 ausschließlich fossil sind. Die den Arten untergesetzten Namen sind größtenteils Syno- nyme der betreffenden Art, zum Teil vielleicht Varietäten oder Rassen; interessant ist aus den Synonymen zu ersehen, wie häufig die Be- nennung Zguus und Asinus für ein und dieselbe Art wechselt. Den größten Teil der obengenannten Arten haben wir bereits kennen ge- lernt; von einem kleinen Teile sind die darauf bezüglichen Arbeiten verschollen und die übrigen, insbesondere die Pferdearten Südameri- kas, werden wir sogleich in betracht ziehen. Wir kehren jetzt zu den eignen Forschungen Lydekker's zurück. Dieselben betreffen innerhalb der Gattung Eguus die Arten sivalensis und namadicus von Faleoner und Cautley. Mit Ausnahme einer Notiz über indische fossile Pferde von Sir W.E. Baker!) gaben uns bisher nur die Tafeln in der Fauna an- tiqua sivalensis Aufschluss über die Formen von Kg. sivalensis. Ly- dekker beschreibt sowohl diese dort abgebildeten Formen, wie auch einige andere Ueberreste, bestehend in Röhrenbeinen (Metapodien) und Phalangen, welche Hr. Theobald von den oberen Siwalikhügeln des Kangra-Distriktes zusammen mit Zähnen von Eq. sivalensis anf- gefunden hat, was ihn veranlasst jene Ueberreste dieser Art zuzu- schreiben, sicher aber der Gattung Eguus. L. bezeichnet schließlich (a. a. 0. S. 26) den allgemeinen Charakter der in Rede stehenden Art wie folgt. „Iudging by the remains above enumerated, which can certainly be referred to the present species, it would seem that Ei. sivalensis was most nearly allied to the Tibetan kiang, but that in its retention of a „larmial“ cavity and of the relatively large per- sistent first upper milk- molar, and in the small size of the grinding surfaces of the anterior „pillars“, it retained characters eonneeting it with the ancestral genus Hippotherium (Hipparion). If certain re- mains belong to this species, in the inelination of its upper ineisors and the form of the symphysis of the mandible it more nearly ap- proched the horse; this is, however, doubtful.“ — Im ganzen hält L. es nicht für unwahrscheinlich, dass Eg. sivalensis der Vorfahre ist des lebenden Kiang von Tibet. Wenn dies richtig wäre, dann würde kg. sivalensis — gleich dem Kiang (Kg. hemionus) — eine Mittelstellung einnehmen zwischen Pferd und Esel. Nach der vortreffliehen Ueber- sicht über das Gebiss der gegenwärtig lebenden Pferde, welche Owen in der oben erwähnten Abhandlung (Phil. Transact. 1869 S. 541) ge- geben hat, gleichen die Backenzähne, insbesondere das Verhältnis der Prämolaren zu den Molaren beim Kiang mehr dem Esel als dem Pferde. — Lydekker erwähnt dann noch, dass die Ueberreste von 1) Journ. As. Soc, Bengal, Vol. IV. p. 566, zitirt nach Lydekker. 310 Viti, Untersuchungen über den Nervus depressor. Eg. sivalensis bisher nur gefunden wurden in den höheren Lagern der Siwalikhügel am untern Himalaya, östlich vom Flusse Ihelum. Von Eg. namadiceus behauptet Lydekker, dass diese Art sich von allen lebenden Pferden unterscheide durch die quadratische Form der Kronen an den oberen Milch- Prämolaren, und dass er dieselbe nicht vereinigen könne mit irgend einer fossilen Form Europas oder Amerikas. Die Form des Schädels von %g. namadieus ist näher ver- wandt der des Pferdes als der des wilden Esels von Asien. Die Ueberreste von Eg. namadiceus stammen von den pleistocänen Lagern von Narbada und wahrscheinlich auch von den obersten Siwalik- hügeln, wo sie zusammen vorkommen mit Dubalus palaeindicus und Camelus sivalensis, in Lagern, welche wahrscheinlich hoch hinauf- reichen in pliocäne Schichten. Ueberreste eines fossilen Pferdes wurden auch gefunden im ältern Alluvium des Jamna-Thales; sie gehören sehr wahrscheinlich der gegenwärtigen Art an, was jedoch nicht be- stimmt festgestellt werden konnte. (Schluss folgt.) Arnoldo Viti, Ricerche di Morfologia comparata sopra il Nervo depressore nell’uomo e negli altri Mammiferi. I. Il nervo depressore del Coniglio. Estratto dal processo verbale della So- cieta Toscana di Scienze Naturali. 1. Juli 1883. 3 Ss. — IH. Il nervo depres- sore nel Gatto, Cane, Cavallo, Topo, Porcospino, Pecora, Bove, Scimmia e nell’uomo. Estratto ect. 11. Novbr. 1885. 5 8. Unter Leitung von Romiti in Siena hat Viti denjenigen R. car- diacus des N. vagus untersucht, welchen Ludwig und Cyon (Ludwig, Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig vom Jahre 1866. S. 128. Mit Taf.) als N. depressor bezeichnet hatten. Nach den Entdeckern entspringt derselbe in der Norm mit zwei Wur- zeln vom N. laryngeus superior und vom Stamm des N. vagus, ver- läuft mit dem N. sympathiecus am Halse abwärts, senkt sich in das Ganglion cervicale inferius s. stellatum und gelangt zum Plexus car- diacus. Ludwig und Cyon hatten an mehr als 40 Kaninchen gefunden, dass statt eines doppelten öfters nur ein einziger Ursprung vorhanden war, der dann gewöhnlich aus dem N. laryngeus superior erfolgte. Ein einziges Mal ging der Nerv mit dem Stamm des N. vagus eine plexusartige Verbindung ein. Ref. (W. Krause, Anatomie des Kaninchens. 1868. S. 236) be- stätigte diese Angabe beim Kaninchen, erklärte den N. depressor für homolog einem R. cardiacus n. vagi beim Menschen und ließ den- selben bei dem genannten Tiere in der Scheide des N. sympathicus verlaufen. Viti, Untersuchungen über den Nervus depressor. 311 Schneider (Topographische Anatomie des Vorderhalses beim Kaninchen. Greifswalder Diss. Berlin. 1867. S. 12) sah ebenfalls den R. cardiacus in die Bindegewebshülle des N. sympathicus eingelagert. In der Norm entspringt der erstere vom N. laryngeus superior, in andern Fällen auch mit einer zweiten Wurzel vom N. vagus, zuweilen nur vom letzteren unterhalb des Plexus ganglioformis und zwar scheint dies häufiger rechterseits vorzukommen. Kreidmann (Archiv f. Anat. u. Physiol. 1878. Anat. Abt. S. 405) schloss sich durchaus an Ludwig und Cyon an, Finkelstein (Archiv für Anat. u. Physiol. 1880. Anat. Abt. 5.245. Taf. IX. Fig. 4) dagegen bildete beim Kaninchen als Norm eine einzige Wurzel des R. cardiacus aus dem N. laryngeus superior ab. Während ersterer den Ramus beim Hunde meist in der Scheide des N. sympathieus, beim Menschen in derjenigen des N. vagus verlaufen ließ, bestritt Finkelstein dies letztere Verhalten. Vielmehr werde der R. cardiacus n. vagi beim Menschen in der Norm vom R. externus des N. laryn- geus superior abgeben und der erstere verläuft entweder wie beim Kaninchen isolirt oder mit dem aus dem Ganglion cervicale superius entspringenden N. cardiacus superior zum Plexus cardiacus. Ref. (Handbuch der menschlichen Anatomie. Bd. I. 1876. S. 303. — Bd. I. 1879. S. 366. — Bd. III. 1880. S. 201) suchte das Homo- logon des sogenannten N. depressor in einem R. cardiacus n. vagi, welcher an seinem Ursprunge mit dem N. laryngeus superior anasto- mosiert, dann jedoch noch eine Strecke weit in der Scheide des N. vagus herabsteigt, bevor er letzteren verlässt, oder aber als Va- rietät mit dem N. cardiacus superior sich vereinigt. Im Unterschiede von den bisherigen Angaben fand nun Viti bei 80 Beobachtungen (an 40 Kaninchen) nur zweimal einen doppelten Ursprung des R. cardiacus aus dem N. laryngeus superior und dem N. vagus, dagegen 75mal aus dem ersteren allein, davon zweimal mit doppelter, einmal mit dreifacher Wurzel. Zweimal war eine zweite Wurzel aus dem N. sympathieus und einmal eine solche aus dem N. vagus an der Ursprungsstelle des N. laryngeus superior vor- handen. Der Ramus verläuft mit dem N. sympathicus, seltener in dessen Scheide eingeschlossen. Viti befindet sich offenbar in teilweiser Uebereinstimmung mit Schneider und Finkelstein, aber im Gegensatze mit den andern deutschen Beobachtern. Da an eine thatsächliche Differenz zwischen italienischen und deutschen Kaninchen nicht zu denken ist — Lud- wig und Cyon dürften sogenannte französische Kaninchen untersucht haben —, so wird zur Aufklärung der physiologisch interessanten Streitfrage zunächst die in Aussicht gestellte ausführliche Monogra- phie abzuwarten sein. Nach des Ref. Meinung ist die Sache einfach so, dass der be- treffende R. cardiacus des N. vagus beim Kaninchen meist nur teil- 312 Oertel, Ueber die Ernährung mit Hühnereiern. weise, seltener ganz, zuerst in der Bahn des N. laryngeus superior — dann aber in der Norm in der Scheide des N. sympathieus herabläuft. Andere Säugetiere. In der zweiten Abhandlung bespricht der Verf. seine bei der Katze (10 Individuen), beim Hunde (6), Pferde (5), Ratte (Mus rattus und deeumanus, zusammen 5), Igel (3), Schaf (4), Rind (3), Affe (ein Cercopitheeus sabaeus) angestellten Unter- suchungen. Bei dem letztgenannten Affen war der Befund am in- teressantesten: mit drei Wurzeln entstand vom N. laryngeus superior N. vagus und vom N. sympathieus nahe unterhalb des Ganglion cer- vicale superius ein N. depressor, der sich im Strang des N. sympa- thieus verlor. Beim Menschen fehlte der Nerv 44mal unter 200 Fällen von 100 Leichen. Es ist ein Ast des N. laryngeus superior, welcher in 78°/, sich direkt oder indirekt in den Plexus eardiacus begiebt. Man wird auch hier auf das Erscheinen der ausführlichen Abhandlung gespannt sein dürfen. W. Krause (Göttingen). Oertel, Ueber die Ernährung mit Hühnereiern. Aus einer größern Arbeit über die Behandlung der Kreislaufsstörungen von Prof. Dr. Oertel. München 1883. M. Rieger. Der Verfasser hat sich in der vorliegenden Arbeit die Aufgabe gestellt, durch exakte Beobachtungen zu entscheiden, ob Hühnereiweiß, in größeren Mengen in den Magen eingeführt, mit Leichtigkeit in den Harn übergeht. Diese Frage ist bereits von vielen älteren Autoren in bejahendem Sinne beantwortet worden, und es hat ja bereits Se- nator, überzeugt von der Richtigkeit dieser Annahme, den Vorschlag gemacht, bei bestehender Albuminurie den Kranken den Genuss von Eiern zu verbieten und auch die Fleischkost möglichst einzu- schränken. Die Lösung der Frage hat also nieht nur theoretische, sondern auch eminent praktische Bedeutung. Oe. hat zuerst eine an deutlichen Zirkulationsstörungen leidende Kranke größere Mengen von halb geronnenem Hühnereiweiß (in Form von weichen Eiern) und später einen in gleicher Weise erkrankten Herrn relativ bedeutende Quantitäten von flüssigem Eiweiß (rohe Eier) einige Zeit hindurch nehmen lassen — ohne dass in beiden Fällen ein auch nur geringer Eiweißgehalt des Harns konstatiert werden konnte. Zu dem gleichen Resultat führten ein Versuch, bei welchem einem gesunden Hunde sehr viel flüssiges Hühnereiweiß in den Magen eingeführt wurde, und spätere Beobachtungen an einem Kranken, wel- cher an Morbus Brightii litt. Die Eiweißausscheidung mit dem Harn wurde im letzten Fall selbst dureh reichlichen Genuss roher Eier eher vermindert als erhöht. Plösz, Chromogene des Harns und deren Derivate. 319 Damit werden die von Senator für Nierenkranke gegebenen diätetischen Vorschriften hinfällig. (Eine Einschränkung der Fleisch- kost könnte man aber aus einem andern Gesichtspunkte bei solchen Kranken empfehlen, bei denen man eine Verunreinigung des Blutes mit harnfähigen Stoffen und die daraus hervorgehenden Erscheinungen urämischer Intoxikation möglichst lange hintanhalten will. Ref.). R. Fleischer (Erlangen). P. Plösz, Ueber einige Chromogene des Harns und deren Derivate. Zeitschrift für physiolog. Chemie VIII. 1 u. 2. Durch frühere Untersuchungen ist festgestellt worden, dass der Harn Indoxylschwefelsäure und wahrscheinlich auch Skatolschwefel- säure enthält. Aus der erstern entsteht durch Zersetzung Indigo, und es scheint auch die letztere im Harn durch Behandlung derselben mit Säure und Oxydationsmitteln in einen noch nicht näher gekannten violetten Farbstoff überzugehen. Unter gleichen Bedingungen scheinen sich im Harn noch weitere Farbstoffe zu bilden, welehe der Verf. genauer studiert hat. Wird menschlicher Urin mit Salzsäure bei Luftzutritt erhitzt, so scheidet sich aus demselben nicht selten unter gleichzeitiger Veränderung der Harnfarbe Indigo in Krystallen aus. Extrabiert man den Harn mit Chloroform und Aether, so geht in diese neben dem Indigo und einigen anderen Substanzen (Hippursäure, Benzoesäure, Urobilin) ein roter Farbstoff über, der von P. vorläufig als Urorubin bezeichnet wurde. Derselbe ist in Wasser unlöslich und lässt sich deswegen leicht von einigen der beigemengten Stoffe trennen. Durch Behandlung mit Natronlauge und Aether noch mehr isoliert, krystalli- siert er zum Teil, löst sieh in Alkohol, Aether und Chloroform mit prachtvoller granatroter Farbe. Die ätherische Lösung zeigt starke Absorption des Lichtes von D bis F. Gelöst und dann entfärbt wird er durch Salzsäure, Schwefelsäure und Alkalien. Unter den Zersetz- ungsprodukten ließ sich kein Alkohol nachweisen. Das Urorubin ist nicht präformiert im Harn enthalten, es bildet sich aus einem noch unbekannten Chromogen. In derselben Weise wie Indigo wird der Farbstoff durch Sauerstoffentziehung entfärbt, durch Oxydation wieder rückgebildet. Im Organismus scheint er sich unter ähnlichen Beding- ungen wie Indigo zu bilden. In reichlichster Menge wurde er bei einer an Deus leidenden Kranken gefunden, ferner im Harn bei Fäl- len von Magen- und Darmkatarrhen. Bei reiner vegetabilischer Kost verschwindet es fast vollständig, um bei Fleischkost wieder aufzu- treten. Außer diesem Körper findet sich im Harn nach der Behand- lung mit Salzsäure noch ein zweiter braunschwarzer Farbstoff, der 314 Landwehr, Darstellung des Glykogens in tierischen Organen. durch Amylalkohol extrahiert werden kann. Derselbe ist Uromelanin von P. genannt worden und ist ein konstanter Bestandteil des normalen und pathologischen menschlichen Harns. Er entsteht im Harn durch Oxydation besonders bei Erwärmung desselben. Ebenso- wenig wie das Urorubin ist er präformiert im Harn. Er entsteht aus einem farblosen Chromogen, welches ebenfalls in Amylalkohol löslich ist. Das Uromelanin ist in Wasser und verdünnten Säuren Aether und Chloroform unlöslieh, löslich in konzentrierter Schwefelsäure und Amylalkohol, ebenso in Natronlauge. Die im Harn gefundenen Men- sen sind sehr beträchtlich — gegen 5—6 g. Ob der Farbstoff ein Gemenge .oder ein reiner chemischer Körper ist, lässt sich noch nicht mit Sicherheit sagen. Die Existenz dieses Körpers beansprucht auch ein allgemeines Interesse, weil sich vielleicht dadurch das Kohlenstoffdefizit, welches bei einer Vergleichung der Ausgaben und Einnhmen des tierischen Organismus in den ersteren konstatiert wurde, sich zwanglos erklären und vollständig decken lässt. Der Körper findet sich in größeren Mengen im Harn, bei Fleischkost, bei Inanition und im Urin von Fieberkranken. R. Fleischer (Erlangen). A. Landwehr, Fine neue Methode zur Darstellung und quan- titativen Bestimmung des Glykogens in tierischen Organen. Zeitschrift für physiolog. Chemie. Bd. VIII H. 3. Da die bisher üblichen Methoden der Bestimmung des Glykogens entweder zu umständlich oder zu ungenau sind, so schlägt der Verf. ein neues von ihm gefundenes Verfahren der Darstellung von Gly- kogen vor, welches schnell ausführbar ist und dabei doch sehr gute und übereinstimmende Resultate bezüglich der quantitativen Bestim- mung liefert. Dasselbe beruht auf der Eigenschaft des Glykogens, mit Eisenoxyd eine in Wasser völlig unlösliche Verbindung zu geben. (In gleicher Weise verhalten sich Arabinsäure, Achrooglykogen und tierisches Gummi). Mit Hilfe der so entstehenden Eisenverbindung lässt sich nun aus Organen und Flüssigkeiten die Gesamtmenge des Glykogens in reiner Form geiwnnen. Zur Darstellung des Glykogens aus Organen werden dieselben nach den bekannten Vorschriften zerkleinert und mit Wasser extra- hiert, dem geringe Mengen Natronlauge zugesetzt sind. Aus dem Extrakt wird durch Kochen mit kleinen Mengen essigsauren Zinks (nach Neutralisation der zugefügten Natronlauge) das Eiweiß entfernt. Das Filtrat wird auf dem Wasserbade erhitzt und mit konzentrierter Eisenchloridlösung versetzt. Die dunkel braunrote Flüssigkeit wird bis zur vollständigen Ausfällung des Eisens mit konzentrierter Soda- Hoppe-Seyler, Brieger, Vandevelde, Bakterienstudien. 315 lösung versetzt. Ist in dem Filtrat noch Glykogen nachweisbar, so muss noch weiter Eisenchlorid zugesetzt werden. Der Niederschlag wird auf einem kleinen Filter gesammelt und mit heißem Wasser aus- gewaschen. Schließlich bringt man denselben in eine Schale, erwärmt vorsichtig und setzt noch konzentrierte Essigsäure oder pulverisierte Weinsäure mit etwas Wasser und nach der Abkühlung (aufEis) kon- zentrierte Salzsäure hinzu bis zur vollständigen Lösung und Gelb- färbung und gießt dann die Flüssigkeit in Alkohol, in welchem allein das Glykogen in sehr reinem Zustande ausfällt. Zur quantitativen Bestimmung des Glykogens wird die Wägung des reinen Glykogens oder die Eisenoxydverbindung des Glykogens benutzt. Die zweite Methode eignet sich besonders für Fälle, wo es mehr auf schnelle und leichte Bestimmung als auf ganz absolute Werte ankommt, wäh- rend die erste sehr genaue absolute Werte gibt. In gleicher Weise lässt sich auch tierisches Gummi und Arabinose gewinnen und be- stimmen. R. Fleischer (Erlangen). F. Hoppe-Seyler, Ueber die Einwirkung von Sauerstoff auf die Lebensthätigkeiten niederer Organismen. Zeitschrift f. physiolog. Chemie. Bd. VIII, Heft 3. L. Brieger, Ueber Spaltungsprodukte der Bakterien. Ebendaselbst. Bd. VII, Heft 4. G. Vandevelde, Studien zur Chemie des Bacillus subtilis. Ebendaselbst. Bd. VIII. Heft 5. Die Chemie der Mikroorganismen hat in neuester Zeit von ver- schiedenen Seiten Bereicherungen erfahren, man hat vielfach versucht, die Produkte der Bakterienthätigkeit unter wechselnden Verhältnissen zu erforschen. Durch diese Untersuchungen erhält man zugleich einen Einblick in die physiologische Chemie der Mikroorganismen selbst, da Menge und Qualität der gebildeten Produkte in enger Beziehung zu ihrem Leben stehen. Pasteur hatte die Spaltpilze in zwei Gruppen geschieden, solche, die in Sauerstoff leben, und solche, die ohne freien Sauerstoff exi- stieren: Aerobien und Anaerobien. Dass diese Unterscheidung nicht scharf durchzuführen ist, beweisen die Untersuchungen von Hoppe- Seyler und von Vandevelde. Aus den Versuchen des erstern geht hervor, dass Mikrokokken und Bakterien der Eiweißfäulnis sowohl bei vollkommen freiem Sauer- stoffzutritt, als bei völliger Abwesenheit von Sauerstoff leben können, obgleich sie sich bei Sauerstoffzutritt stärker vermehren. Die Lebens- thätigkeit dieser Mikroorganismen äußert sich aber in beiden Fällen 316 Hoppe-Seyler, Brieger, Vandevelde, Bakterienstudien. verschieden: unter genügendem Sauerstoffzutritt ergeben sich als Pro- dukte der Eiweißfäulnis nur Kohlensäure, Ammoniak und Wasser, vielleicht auch etwas Leuein und Tyrosin; bei Abwesenheit von Sauer- stoff dagegen entstehen die bekannten Fäulnisprodukte, wie Wasser- stoff, Sumpfgas, Indol, Skatol. Bei den gewöhnlichen Fäulnisvor- gängen findet man letztere Substanzen deshalb so konstant, weil nie genug Sauerstoff in die Tiefe der Flüssigkeit dringen kann, vielmehr schon an der Oberfläche verbraucht wird. So können also die Fäul- nisorganismen in zwei verschiedenen Medien — Eiweiß mit und ohne Sauerstoff — existieren und ihre Lebensprozesse der Natur des je- weiligen Mediums anpassen. Ebenso wie die Spaltpilze vermehrt sich nach Versuchen von Brefeld und von Hoppe-Seyler auch die Hefe bedeutend mehr in Zuckerlösung bei reichlicher Gegenwart von Sauerstoff, als bei un- genügendem Zutritt desselben. Hefe sowohl, als Fäulnispilze scheinen sich demnach wie alle übrigen Organismen zu verhalten, so lange ihnen genügend Sauerstoff zu gebote steht, und erst bei Sauerstoffmangel scheinen sie fermenta- tiv zu wirken. Aehnlich verhält es sich mit dem Baecillus subtilis, der von Van- develde untersucht wurde. Diese Baeillen leben in einer Fleisch- extraktlösung bei Körpertemperatur anfangs als Aerobien: zuerst, da noch überall Sauerstoff vorhanden ist, wachsen und vermehren sie sich in der ganzen Flüssigkeit, welehe dadurch getrübt wird. Später klärt sich die Flüssigkeit mehr auf, und es erscheint an der Ober- fläche eine dieke Haut, die aus Baecillen besteht, welche ihren Sauer- stoff nur noch von der Oberfläche beziehen können. Schließlich ver- schwindet auch die Haut, sie teilt sich und senkt sich zu Boden, und die nun noch lebenden Baeillen wirken fermentativ, vermehren sich aber fast gar nicht mehr. Dies alles wird durch folgende Unter- suchungsresultate bewiesen. In den ersten Tagen wächst das Gewicht der in der Flüssigkeit unlöslichen Baeillenbestandteile viel schneller, als in der letzten Zeit; ferner bildet sich Ammoniak hauptsächlich im Anfange der Bacillen- thätigkeit und zwar durch Assimilation stiekstoffhaltiger Bestandteile der Nährflüssigkeit, da zugleich das Kreatin immer mehr versehwin- det. Je länger endlich die Thätigkeit der Bacillen dauert, destomehr nimmt die Menge der Fleischmilchsäure ab: sie wird durch die als Ferment wirkenden Baecillen in Fettsäuren übergeführt, deren Gewicht proportional der Zeit zunimmt. Als Gärungsprodükte, die dureh Baeillus subtilis auf kosten von Glyzerin gebildet werden, erhielt Vandevelde Fettsäuren, haupt- sächlieh Milchsäure und Buttersäure, dann Bernsteinsäure, Kohlensäure und Wasserstoff. Der Bacillus erleidet bei seiner Existenz in Glyzerin eine mikroskopische Veränderung, indem er dünner und schlanker und W. Krause, Die Anatomie des Kaninchens. 317 seine Sporen kleiner werden. Er erlangt jedoch seine ursprüngliche Form wieder, wenn er auf Fleischextraktlösung übertragen wird. Aus dem Traubenzucker entstehen durch die Thätigkeit des Ba- eillus subtilis: Milchsäure, Buttersäure und andere Fettsäuren, zwei Alkohole, deren Natur wegen zu geringer Menge nicht festgestellt werden konnte, etwas Bernsteinsäure, Mannit und ferner Kohlensäure und Wasserstoff. Die Spaltungsprodukte einiger anderer Mikroorganismen sind von Brieger untersucht worden. Ein Mikrokokkus, der sieh konstant in den Fäces finden soll und auf Fleischwasserpeptongelatine in Form von flachen weißen Pyrami- den wächst, zersetzt bei Körpertemperatur sowohl Rohrzucker wie Traubenzucker sehr rasch unter Bildung von Aethylalkohol. Ein Baeillus der Fäces, dessen Kulturen sich auf Fleischwasser- peptongelatine in der Form von unregelmäßig konzentrischen Ringen darstellen, und welcher, Meerschweinchen eingeimpft, dieselben in kurzer Zeit tötet, spaltet aus Rohrzuckerlösung niedere Fettsäuren, hauptsächlich Proprionsäuren ab. Schließlich hat Brieger auch den Kokkus der Pneumonie unter- sucht. Derselbe wächst auf Zuckerlösungen bei Körpertemperaturen sehr rasch, in der ersten Zeit erfolgt lebhafte Kohlensäureentwicklung, wobei die Lösung intensiv schwarz wird. Dann verschwindet die schwarze Farbe, und die Lösung zeigt einen aromatischen ätherartigen Geruch. Als Produkte konnten Essigsäure und Ameisensäure nach- gewiesen werden. Der auf Zuckerlösung gezüchtete Pneumoniekokkus zeigte übrigens gar keine pathogenen Eigenschaften, erlangte diesel- ben aber wieder, als er kurze Zeit auf Fleischwasserpeptongelatine gewachsen war. Vietor Lehmann (Berlin). Krause, W.. Die Anatomie des Kaninchens in topographi- scher und operativer Rücksicht bearbeitet. Zweite Auflage. 383 Seiten 161 Holzschnitte. Leipzig, W. Engelmann 1884. Die neue Ausgabe von Krause’s „Anatomie des Kaninchens“, wie alle Erscheinungen des Engelmann’schen Verlags vortreftlich ausgestattet, wird auf dem Titelblatt einfach als „zweite Auflage“ bezeichnet; sie hätte den Zusatz „vermehrt und verbessert“ in vollem Maße verdient. Die Seitenzahl des Buches ist um mehr als hundert gewachsen, die Anzahl der Holzschnitte im Vergleich zur ersten Auflage um mehr denn das Dreifache gestiegen, und — was die Hauptsache ist — der Verfasser ist überall mit Erfolg bemüht ge- wesen, den Inhalt des Werkes durch eigne Untersuchung und durch umfas- sende Berücksichtigung der Leistungen anderer so zu gestalten, dass dasselbe die zeitgemäßen Ansprüche der experimentellen Forschung und die gegenwär- tigen Bedürfnisse zootomischer Kurse durchweg befriedigen wird. Der Einleitung der neuen Auflage ist eine eingehende Schilderung der 318 W. Krause, Die Anatomie des Kaninchens. anatomischen und biologischen Unterschiede zwischeu den bekanntesten Arten und Varietäten der Gattung Lepus beigegeben. In der allgemeinen Osteologie wird der Passus über das Längenwachstum der Röhrenknochen manchem will- kommen sein, in der allgemeinen Myologie wird die nicht minder interessante Frage der roten und weißen Muskeln behandelt, in der allgemeinen Gefäßlehre endlich des direkten Uebergangs kleiner Arterien in Venen (Hoyer) gedacht. — Als Belege für die Fortschritte unserer Kenntnis der speziellen Anatomie erlaubt sich Ref. folgende Sätze herauszugreifen. Das Os acetabuli (Pfannen- knochen) stellt ein besonderes Skeletstück des Os coxae dar, welches von den drei Hauptabschnitten desselben überall durch eine dünne Knorpelschicht ge- trennt, schon beim vierwöchentlichen Kaninchen als isolierter Knochenkern nachweisbar ist und noch beim dreimonatlichen Tier durch Mazeration aus seinen Verbindungen gelöst erhalten wird. Es verwächst später mit dem Os ischii; auf diese Weise wird das Schambein gleichsam von der Hüftgelenk- Pfanne abgedrängt (Krause, Gegenbaur). — Das Kapitel über die Sinnes- organe ist zunächst durch eine Reihe technischer Bemerkungen bereichert wor- den (Eröffnung des Vestibulum, Verletzung der Canales semieireulares, Durch- schneidung der Hirmhautnerven am Rande der Comea). Noch zahlreicher sind die Zusätze, welche die Fortschritte unserer Kenntnisse bezüglich des feinern Baues der Sinnesorgane (Sehpurpur, Bintgefäße des Bulbus, Jacobson’sches Organ u. s. w) und ganz besonders gewisser Drüsen erheischten. Die Glan- dula Harderiana, um mit einer an den Konjunktivalsack geknüpften Drüse zu beginnen, besteht bekanntlich aus einem größern rötlichen und einem kleine- ren weißlichen Lappen. Frisch untersucht zeigen die Acini des weißlichen, zugleich obern Lappens Aehnlichkeit mit denen der Talgdrüsen, die des rötlichen, zugleich untern Abschnitts mit dem Aussehen der sezernierenden Mamma Nach Behandlung mit Chromsäure (1 °/,) oder Chromatin wird der untere Lappen hellgelb, der obere bräunlich. In Ueberosmiumsäure nehmen beide einen schwarzen Farbenton an. Doch sind es weder die sehr feinen, dichtgedrängten Körnchen der Drüsenepithelien des weißlichen, noch die größe- ren Tropfen in den Zellen des rötlichen Lappens, welche in der Säure sich schwärzen; sie scheinen vielmehr colloider Natur zu sein (Wendt). — In dem Abschnitt über Speicheldrüsen, ebenso wie in dem vom Magen und Pankreas handelnden Paragraphen haben selbstverständlich die Angaben Heidenhain’s und seiner Schüler über die morphologischen Veränderungen des feinern Baues ihrer Elemente, wie sie im Zusammenhang mit den verschiedenen Phasen ihrer Funktion auftreten, gebührende Würdigung gefunden. Während die Hauptmasse der Gl. submaxillaris acinösen Bau erkennen lässt, hebt sich ein Läppchen, das meist in geringer Entfernung von den am Hilus ein- und aus- tretenden röhrenförmigen Gebilden gelegen ist, durch seine tubulöse Struktur von dem Gros der Drüse deutlich ab (Bermann). Letzteres Gebilde, das auch in der Gl. submaxillaris des Menschen nachgewiesen wurde, repräsentiert also einen morphologisch und funktionell differenten Drüsenabschnitt, und es erhebt sich die Frage, wie wir uns seine Genese zu denken haben. Einen Er- klärungsversuch bietet zunächst die Thatsache dar, dass bei Kaninchen- embryonen von 56 mm Körperlänge eine Anlage des Ductus sublingualis sich nachweisen lässt (Reichel), die später wieder zu grunde geht; der tubulöse Teil der Unterkieferdrüse wäre als der nicht zur Ausbildung gelangte Drüsen- körper der eigentlichen Unterzungendrüse zu deuten, während sie die eines einheitlichen D. Bartholinianus entbehrende, allgemein als solche bezeichnete Gl. sublingualis dem gleichnamigen Gebilde anderer Säugetiere nicht ent- Ploss, Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. 319 sprechen würde. Die Schwierigkeit, die der Annahme einer solchen Erklärung im Wege steht, würde vermieden werden, wenn die Bemerkung Heidenhain’s sich bestätigt, dass es sich bei dem fraglichen Gebilde nur um einen rudimen- tär gebliebenen Abschnitt der Gland. submaxillaris selbst handeln möge. — Betreffs des mikroskopischen Baues der Tiere verweist Kr auf die Arbeit von Schachowa, und reproduziert weiterhin die Angabe von Horteles (1881), dass die Glomeruli kein Epithel tragen. Ich kann die Bemerkung nicht unter- drücken, dass ich doch nicht so unbedenklich, wie es der Verf. thut, mich zu dieser Anschauung bekennen möchte. — Der Abschnitt, welcher von dem zen- tralen Nervensystem handelt, besonders aber die Darstellung des Großhirns, hat entsprechend den Fortschritten der Anatomie und Physiologie eine voll- ständige Umarbeitung erfahren. Den Schluss des Buches bildet ein umfassen- des Literaturverzeichnis (872 Arbeiten), auf das im Text durch fortlaufende Nummern beständig verwiesen wird. B. Solger (Halle a. S.) Sutton, The ligamentum teres. Journal of anatomy and physiology. 1883. Vol 17. P. I. S. 191. Pl. VII. Der Verf, findet, dass das Ligamentum teres des Hüftgelenkes phylogene- tisch mit dem M. pectineus zusammenhängt. Bei einer Eidechse (Hatteria sphenodon) gelangt die Sehne des homologen Muskels (M. ambiens) innerhalb der Gelenkkapsel zum Femurkopf. Ferner hängt beim Strauß (Struthio camelus) das Lig. teres mit dem M. ambiens mittelst eines fibrösen Stranges zusammen, der quer durch die Gelenkhöhle hindurchgeht. Beim Pferd hat das Ligament zwei Portionen: die innere oder Gelenkportion (cotyloid portion) geht aus der Gelenkpfanne an den Ansatz der Linea alba am Os pubis; der außer- halb des Gelenkes verlaufende Abschnitt wird als äußere Portion (pubio- femoral portion) bezeichnet; sie hängt mit dem Ursprung des M. pectineus zu- sammen. Die Verhältnisse beim Menschen sind als durch Reduzierung ent- standen anzusehen. — Die erheblichen Lücken in dieser Beweisführung liegen auf der Hand (Ref.). W. Krause (Göttingen). H. Ploss, Das Weib in der Natur- und Völkerkunde. Anthropologische Studien. 1. Lieferung. Leipzig, 1884. Th. Grieben’s Verlag (L. Fernau). 8. 128 Seiten. Der Herr Verf. hat schon früher unter dem Titel: Das Kind in Brauch und Sitte der Völker (2. Aufl. Berlin 1883) eine Studie veröffentlicht, welcher sich das neue Werk als Seitenstück anschließt Obgleich uns bis jetzt nur das erste Heft vorliegt, so gibt doch die vorgeheftete Inhaltsübersicht eine Vorstellung von dem, was das Buch enthalten wird. Das Ganze ist auf zwei Bände (zwischen 60 und 70 Bogen) berechnet. Solche „anthropologische Studien“ können im wesentlichen nichts an- deres sein als Zusammenstellungen von Thatsachen, Beobachtungen und Be- merkungen der verschiedensten Autoren, „Lesefrüchte“, zusammengetragen aus der Lektüre von Reisewerken, Jourmalaufsätzen u. s. w., Aussonderung 320 Biologische Forschungen im Riesengebirge. der Notizen, welche sich auf den gewählten Gegenstand beziehen, aus dem übrigen Inhalt jener Werke. Was diesen Zusammenstellungen Wert verleiht, ist nicht der Sammelfleiß, dem man natürlich die schuldige Achtung nicht versagen wird, sondern die Art der Zusammenstellung, die Ordnung unter be- stimmte Gesichtspunkte, welche dem Leser eine klare Uebersicht verschafft, und dem, der eine bestimmte Auskunft über irgend einen Gegenstand wünscht, die Auffindung dessen, was man davon weiß, erleichtert. Ein abschließendes Urteil über das Werk wird natürlich erst nach Voll- endung desselben möglich sein. Doch gewährt schon diese erste Lieferung die Ueberzeugung, dass es der Herr Verf. nicht an Fleiß und Umsicht hat fehlen lassen, die Aufgabe, die er sich gestellt hat, möglichst vollständig zu lösen. Diese erste Lieferung enthält die Abschnitte: I. Anthropologische Auf- fassung des Weibes. II. Aesthetische Auffassung des Weibes. III. Auffassung des Weibes im Volks- und religiösem Glauben. IV. Die Sexualorgane des Wei- bes in ethnographischer Hinsicht. Ein näheres Eingehen auf den Inhalt müs- sen wir uns an dieser Stelle, als den Tendenzen unserer Zeitschrift nicht ent- sprechend, versagen, behalten uns jedoch vor, auf einzelnes zurückzukommen, wenn das Werk vollendet sein wird. J. Biologische Forschungen im Riesengebirge. Bekanntlich haben die bereits in verschiedenen Hochgebirgen vorgenom- menenen biologischen Untersuchungen und Forschungen schon recht interes- sante Resultate ergeben, zumal auch Untersuchungen von auf höheren Gebirgen abgeschlossen liegenden Einzelseen. So darf man wohl auch annehmen, dass die auf dem schlesischen Riesengebirge gelegenen beiden „Teiche“, kleine echte Gebirgsseen von bedeutender Tiefe, ein dankbares Feld abgeben werden für die faunistische Durchforschung, welche Dr. OÖ. Zacharias in Hirschberg i. Schl. geplant hat und mit Unterstützung des für die Durchforschung und Verschönerung der Sudeten so thätigen „Riesengebirgs-Vereins“ ausführen wird. Etwas Ähnliches lässt sich von den zahlreichen, auf den Hochplateaux des Riesengebirges befindlichen Mooren erwarten. -1. Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben ist erschienen : Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte in der sesammten Medicin. Unter Mitwirkung zahlreicher Gelehrten herausgegeben von Rud. Virchow und Aug. Hirsch. XVII. Jahrgang. Bericht für das Jahr 1883. 2 Bände (6 en Preis des ee: 37 Mark. Verlag von Eduard Besold i in Erlangen. — Druck von "Junge & Sohn ; in n Erlangen, Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. Inhalt: Schimper, Bau und Lebensweise der Epiphyten Westindiens. — Wilckens, Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haus- tiere. 2. Die Pferde des Diluviums (Schluss). — Vossius, Beiträge zur Ana- tomie des Nervus opticus. — Kolimann, Der Tastapparat der Hand der menschlichen Rassen und der Affen in seiner Entwicklung und Gliederung. — Lucae, Die Sutura transversa squamae oceipitis. — Weiss, Zur Physiologie der Galle. — Dembo. Zur Frage über die Unabhängigkeit der Kontraktionen der Gebärmutter von dem Gerebrospinalnervensystem. — Bjeietzky, Physio- logische Notiz über den Riesensalamander. — Bretfeld, Das Versuchswesen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie mit bezug auf die Landwirtschaft. Nr. 1. 1. August 1884. A. F. W. Schimper, Ueber Bau und Lebensweise der Epi- phyten Westindiens. Separatabd. aus Bot. Centralblatt Bd. XVII, 1884. Nr. 6—12. Schon oft ist von Reisenden, welche die Tropen Süd- und Mittel- amerikas besucht haben, in glühenden Farben geschildert worden, welch eine überraschende Ueppigkeit des Pflanzenlebens in jenen Gegenden herrscht, welch eine Fülle der prächtigsten mannigfaltigsten Pflanzenformen dort auf engerem Raume sich zusammenfindet. In ihrem gegenseitigen Ringen nach einem Platz für ihre Entwickelung, in ihrem Streben dem Lichte der Sonne zu als der unumgänglichen Vermittlerin ihrer Ernährung, bedecken die verschiedensten Pflanzen einander, sucht die eine an der andern sieh in die Höhe zu erheben, sie zu unterdrücken; ein wunderbares Bild des buntesten farbenpräch- tigsten Zusammenlebens von mannigfaltigsten Pflanzenarten entfaltet sich dort. Während bei uns die Bäume nur von kleinen Moosen und Flechten bewohnt werden, sind es in jenen tropischen Gegenden hoch ausgebildete, oft ganz riesige phanerogame Pflanzen, welche auf dem >tamme und den Aesten der dortigen Bäume leben, um so aus dem Dunkel, welcher über dem Boden der Urwälder herrscht, höher hinauf, der Lichtquelle näher zu kommen. Diese sogenannten Epiphyten klammern sich mit ihren Wurzeln in der riesigen Rinde ihrer Wirt- bäume fest; sie sind nicht echte Parasiten, welche ihren Wirten die 21 393 Schimper, Bau uud Lebensweise der Epiphyten Westindiens. Lebenssäfte entziehen, da ihre Wurzeln niemals in das lebende Gewebe derselben eindringen. Sie benutzen nur deren tote Rinde als Anheftungspunkt, entziehen ihr nur die darin sich etwa ansam- melnde Feuchtigkeit und die Nährsalze, welche durch Verwitterung der äußeren Borkenschiehten frei werden. Wenn allerdings solche Epiphyten, riesig sich entfaltend, schließlich den ganzen Baum bedecken, einhüllen, ihm das Licht und die Luft rauben, können sie sehr wohl zur Ursache des Todes des Baumes werden. So oft nun auch diese Epi- phyten als charakteristische Bestandteile der tropischen Wälder in Beschreibungen erwähnt sind, so waren ihre Lebensverhältnisse bisher sehr wenig bekannt; um so erfreulicher ist es, dass uns jetzt durch die obige Arbeit ein Einblick in die merkwürdigen Lebenserschei- nungen solcher phanerogamer Epiphyten eröffnet wird. Diese epiphytischen Formen gehören sehr verschiedenen Pflanzen- familien an, jedoch sind einige der letzteren vor allem vertreten, so besonders die durch ihre Blätterpracht ausgezeichneten Orchideen, die starkblättrigen Bromeliaceen, die riesigen Aroideen und die überaus zierlichen, durch die Schönheit ihrer Blattformen hervortretenden Farn- gewächse; daneben Vertreter zahlreicher anderer Familien, wie Cac- teen, Cluriaceen, Gesneraceen ete. Alle diese Gewächse zeigen ge- wisse gemeinsame Charaktereigentümlichkeiten, welche mit der Lebens- weise auf den Bäumen im Zusammenhang stehen. Da die Pflanzen in der Rinde ihrer Wirtbäume nicht so reichlich das Wasser auf- nehmen können wie die in der Erde wachsenden, sind Einrichtungen vorhanden, welche die starke Wasserverdunstung durch die Blätter herabsetzen, indem die Blätter soleher Epiphyten häufig fleischig und saftreich, dabei mit starker Cutieula überzogen oder sehr dieht mit Haaren bedeckt sind, welche ebenfalls gegen Verdunstung schützen. Anderseits zeichnen sich aber diese Epiphyten auch durch sehr reiche Belaubung aus, weil es vor allem gilt, möglichst große Flächen dem Licht auszusetzen, da dasselbe besonders in den Urwäldern immer nur ein diffuses ist. Die Stengel dagegen sind häufig wenig ent- wickelt, bilden Knollen oder kurze Stämmehen, an welchen die Blätter in Rosetten sitzen; vielfach kriechen die Stengel an der Rinde ent- lang als Haftorgan dienend, während die Blätter, die Blüten sich auf- wärts erheben. Für die Vermehrung und Verbreitung der Epiphyten finden sich mannigfache Einrichtungen. Die einen, wie die Orchi- deen, erzeugen eine ungeheure Menge sehr kleiner staubartiger Samen; bei anderen sind dieselben größer, aber mit Flugapparaten verseben. Die größere Mehrzahl entwickelt saftige fleischige, oft lebhaft gefärbte Früchte, welche Vögel und andere Tiere fressen, wobei die Samen verbreitet werden. In einzelnen Fällen tritt aber die Verbreitung durch Samen ganz zurück gegenüber der vegeta- tiven Vermehrung; Tillandsia usneoides, eine der verbreitetsten Epi- phyten, pflanzt sich so gut wie gar nicht durch Samen fort, sondern Schimper, Bau und Lebensweise der Epiphyten Westindiens. 323 nur durch ihre dünnen fadenförmigen Zweige, welche von Winden losgerissen und auf andere Bäume geführt werden, um deren Aeste sich herumrollen und eine neue Pflanze erzeugen. Im einzelnen zeigt sich bei den Lebensverhältnissen der Epiphyten eine große Mannigfaltigkeit; doch treten gewisse in manchen Be- ziehungen gleichartige größere Gruppen hervor, welche vom Verfasser näher geschildert werden. Die erste Gruppe umschließt solehe Epi- phyten, welche das ganze Leben hindurch mit ihren Wurzeln nur an der Rinde von Bäumen haften und daraus allein das Wasser und die anorganischen Salze gewinnen. Hierhin gehören manche Farne, einige Cacteen, deren Wurzeln den Stamm entlang kriechend in die Ritzen der Borke oder in die Moospolster dringen. Besondere Anpassungs- erscheinungen treten bei einigen Aroideen und Orchideen auf, deren Luftwurzeln sich durch eine eigentümliche schwammartige Hülle aus- zeichnen, welehe der Hauptmasse nach aus lufthaltigen zierlich spi- ralig-netzförmig verdiekten Zellen besteht und die Funktion hat, lebhaft die Feuchtigkeit des Regens oder des Thaues aufzusaugen und der Pflanze überzuführen. Am merkwürdigsten verhält sich die Orchidee Aöranthes funalis, bei welcher Stamm und Blätter ganz re- duziert, dagegen die Luftwurzeln sehr reich entwickelt und chloro- phyllführend sind, allein die vegetativen Funktionen übernehmen und auch als Ernährungsorgane der Pflanze dienen. Auf den grünen, assimilierenden Wurzeln finden sich zahlreiche weiße Stellen, welche je aus einer Gruppe von lufthaltigen Zellen zusammengesetzt sind. Diese haben die Eigenschaft, zwar für Gase sehr leicht, für Flüssig- keit aber schwer durchlässig zu sein und spielen so die Rolle, den Gasaustausch zwischen Pflanze und Außenwelt zu bewirken, dadurch die Spaltöffnungen der grünen Stengel und Blätter ersetzend. Eine zweite Gruppe zahlreicher Epiphyten begnügt sich nicht bloß mit der Rinde der Bäume, sondern sendet zugleich andere Wurzeln aus, welche bis in den Erdboden dringen. Bei den höher ausgebil- deten Formen entwickeln sich zwei verschiedene Formen von Wur- zeln, welche auch verschiedene Funktionen erfüllen. Die einen Wur- zeln, nur langsam und kurze Zeit wachsend, dabei bestrebt vom Lichte sich wegzuwenden, schmiegen sich der Rinde des Wirt- baumes an, umklammern ihn und bewirken so vor allem die Befesti- gung der Pflanze. Außerdem sendet dieselbe aber noch andere Wur- zeln aus, welche sehr lebhaft und fast unbegrenzt wachsend sofort sich senkrecht abwärts biegen und bis zu dem Boden dringen, hier sich stark verzweigend und nun Feuchtigkeit wie Nährsalze aus dem Boden in die oft hundert Fuß darüber auf einem Baumast sitzenden Pflanzen führend. Die erste Art der Wurzeln bezeichnet der Ver- fasser als Haftwurzeln, die andere als Nährwurzeln; beide zeigen auch in ihrem anatomischen Bau Verschiedenheiten, welche ihren ver- schiedenen Funktionen entsprechen. In diese Gruppe gehören manche 21* 394 Schimper, Bau und Lebensweise der Epiphyten Westindiens. Aroideen, wie Philodendron speec., Authurium palmatum, ferner Clusia rosea, welche selbst einen äußerst reich belaubten, bis zu 40 Fuß hohen Baum darstellt. Die dritte Gruppe der Epiphyten nähert sich insofern wieder der ersten, als auch ihr die in den Boden dringenden Wurzeln fehlen unterscheidet sich aber dadurch, dass ihr außerordentlich reich ent- wickeltes Wurzelsystem zu einem dichten Geflecht von schwammar- tiger Struktur sich entfaltet, auf welchem sich allmählich eine große Menge von toten Blättern und anderen abfallenden Pflanzenteilen an- sammelt. Durch diese allmähliche Umwandlung in Humus wird das ganze Geflecht eingehüllt von einer ebenso wasserreichen als nah- rungsreichen Masse, in welcher sich nun die Wurzeln ausbreiten. Wir finden, wenn auch nicht so ausgesprochen als bei der vorigen Gruppe, auch hier zweierlei Wurzeln. Die einen dienen vor allem der Be- festigung der Pflanze an den Wirtbaum, die anderen, ausgezeichnet vor den meisten sonstigen Wurzeln durch ihr Streben vom Mittel- punkt der Erde fort der Schwerkraft entgegen aufwärts zu wachsen, dringen nach oben in die den Stamm und das Wurzelgeflecht be- deckende Humusmasse ein. Besonders einige Orchideen zeigen eine reiche Entwickelung des Wurzelsystems; auch gehören hierhin einige Farne, bei welchen die steifen großen Blätter in einer Rosette stehend einen Trichter bilden, in welchem die abfallenden Blätter sich sam- meln und hier zu einer Humusmasse sich umwandeln, in welche dann die Wurzeln dringen. Sehr eigentümliche Verhältnisse zeigt die vierte Gruppe der Epi- phyten, bei welchen im Gegensatz zu den früheren die Wurzeln wenig entwickelt sind, dagegen der Stengel und Blätter zu den Organen sich gestalten, welche die Feuchtigkeit sowie die Nährsalze aufnehmen. Die Tillandsia usneoides besitzt überhaupt keine Wurzeln; sie hängt in Form rossschweifähnlicher Bündel an den Aesten der Bäume, oft eine Länge von 2—3 Meter erreichend. Jedes Bündel ist zusammen- gesetzt aus fadenförmigen schraubig gewundenen Sprossen, welche an ihrer Basis allmählich absterbend an der Spitze fortwachsen und hier grasartige Blätter tragen. Die ganze Pflanze ist bedeckt mit einem Ueberzug von schuppigen Haaren, welche sich dadurch aus- zeichnen, dass sie mit großer Leichtigkeit Wasser, überhaupt gelöste Stoffe aufnehmen und in das Innere der Pflanze leiten. So ausge- stattet vermag die wurzellose und oft nur mit ihren toten Teilen an den Aesten befestigte Pflanze in lebhaftester Weise sich zu entwickeln und zu verbreiten. Andere Bromeliaceen besitzen Wurzeln, welche aber ausschließlich nur zur Befestigung an dem Wirtbaume dienen. Der Stamm dieser Pflanzen ist kurz und erhebt sich meist aufrecht; vor allem ausgebildet sind die Blätter. Sie sind rinnenförmig, an ihrer Basis löffelartig verbreitert und fest mit den Rändern aneinan- der schließend, so dass sich zwischen ihnen und dem Stamm breite Schimper, Bau und Lebensweise der Epiphyten Westindiens. 325 Höhlungen bilden. Diese unteren Teile der Blätter sind dabei von ähnlichen wasseraufsaugenden Schuppen bedeckt wie es die der Til- landsia usneoides sind, und mit Hilfe derselben sammelt sich in den Höhlungen Flüssigkeit an. Am ausgebildetsten sind diese Verhält- nisse bei Tillandsia bulbosa, bei welcher die Scheiden der rinnenför- migen Blätter stark bauchig gekrümmt sind und so fest aneinander schließen, dass die großen Hohlräume zwischen den Blattbasen und dem Stengel bis auf eine kleine Oeffnung geschlossen sind. Der Regen und Thau, welcher auf die nach verschiedenen Richtungen gekrümm- ten Blattspreiten fällt, wird durch die Rinne zu der Höhlung an der Basis geleitet. In diesen Wasserreservoiren sammeln sich auch viel- fach kleine Tiere, besonders Ameisen an, darin ertrinkend, und es wäre sehr möglich, dass die Pflanze daraus Vorteil zöge und die animalischen Zersetzungsprodukte zum Teil in sich aufnähme. Diese so mannigfaltigen Formen der Epiphyten, welche wir im Vorhergehenden kennen gelernt haben, verbreiten sich nicht alle gleich- mäßig in den Tropen Westindiens, sondern im Zusammenhang mit den wechselnden äußeren Bedingungen finden wir in den einzelnen Gegenden eine verschiedene epiphytische Flora. In den feuchten, dabei anderseits von Licht reich durchströmten Stellen an den Ufern von Flüssen entfaltet sich ein außerordentlicher Reichtum der Epi- phyten, so dass die einzelnen Bäume von der Basis bis zum höchsten Gipfel von üppigster farbenprangendster Vegetation von Orchideen, Aroideen ete. bedeckt sind. In den Urwäldern dagegen, wo das Lieht nicht tief eindringen kann, sind nur die höchsten Aeste und Gipfel mit Epiphyten besetzt und nur einige schattenliebende Formen wie viele Farnkräuter, zarte Peperomia-Arten gehen etwas tiefer. In den trockneren und helleren Savannen herrschen vorwiegend als Epi- phyten die grau und weiß durch ihre Behaarung erscheinenden Bro- meliaceen vor. Aber auch die Eigentümlichkeiten der Wirtbäume üben einen Einfluss auf die Verteilung der Epiphyten aus. Besonders jene Bäume, welche eine stammrissige Borke haben, werden vorzugsweise von ihnen belebt. Allerdings gibt es Bromeliaceen, welche selbst an ganz glatten Stämmen sich anzusiedeln wissen, indem sie einen Kitt ausscheiden, welcher sie festklebt. Jedoch die meisten anderen wie die Orchideen, Aroideen vermögen das nur sehr schwer und bevor- zugen die rauhen Bäume. Besonders bevorzugt von diesen Epiphyten ist der Kalebassenbaum (Orescentia Cujete), welcher die mannigfal- tigsten Formen trägt, welche sich in seiner sehr weichen Rinde leicht befestigen können. Während in solchem Falle sehr verschiedene Spezies auf ein und demselben Baume leben, finden sich in anderen Fällen mehr oder minder konstant nur bestimmte Formen. So trägt eine in Trinidad und Venezuela verbreitete Palme ganz regel- mäßig einige Farne, welche den Baum mit ihren zierlichen Wedeln schmücken. Viel ausgesprochener zeigt sich die Anpassung eines 326 Schimper, Bau und Lebensweise der Epiphyten Westindiens. Epiphyten an einen bestimmten Wirtbaum bei dem Farnkraut Tricho- munes sinuosum, welches ausschließlich auf Baumfarnen vorkommt. Solche Fälle sind von großem Interesse, indem sie zeigen, dass selbst bei dem einfachen Raumparasitismus schon eine so deutliche An- passung zwischen Gast und Wirt sich entwiekeln kann, welche so ver- breitet bei dem Verhältnis eines Nahrungsparasiten zu seinem Wirte auftritt. Noch nach anderen Beziehungen beruht die ungleichmäßige Ver- teilung der epiphytischen Floren auf besonderen Eigenschaften der Bäume. Manche derselben sind desshalb so arm an Epiphyten, weil sie ein zu dunkles Laubdach bilden, wie besonders der Mangobaum, ferner der Brotbaum (Articarpus ineisa). Je mehr das Laub weiter ausgebreitet, je durchsichtiger es selbst ist, um so leichter können sich wegen der günstigen Beleuchtung die Epiphyten auf den Aesten ansiedeln; daher sind auch die Leguminosen, wie Cassia und Caes- alpinia Arten mit flach-schirmförmiger Krone, deren Blätter in der trockenen Jahreszeit abfallen, sehr bevorzugt. Am Schluss seiner hoch interessanten Arbeit vergleicht der Ver- fasser die eigenartige epiphytische Vegetation der Bäume mit der Flora anderer trockener Standorte, wie Felsen und Mauern. Gewisse gemeinsame Charakterzüge zeigen sich bei beiden Vegetationsformen, welche zum Teil in einander übergreifen und ähnliche Arten aufweisen. Doch sind es nur eine kleine Anzahl Gewächse, welche sowohl auf Bäumen wie auf Felsen vorkommen, so einige wuchernde Farnkräuter, einige Peperomia-Arten. Dagegen sehr verbreitete Felsenbewohner tre- ten niemals auf Bäumen auf, wie Pilea microphylla oder Begonia-Arten. Im Vergleieh mit der Felsenflora erscheinen die Epiphyten in sehr viel größerem Formenreichtum; sie sind auch meistens so scharf an die eigentümliche Lebensweise angepasst, dass sie nicht auf andere Standorte, sei es des gewöhnlichen Bodens oder der Felsen übergehen, oder dass, wenn sie einmal als Flüchtlinge dorthin verschlagen sind, nur kümmerlich gedeihen. Selbst die so genügsamen Bromeliaceen suchen sich lieber mit Mühe und Not an den glattesten Rinden fest zu klammern, als auf die Erde hinabzusteigen. So bieten diese merkwürdigen Epiphyten eine ganz eigenartige, dabei so mannigfaltige und formenreiche Vegetation dar, welche den Tropen ein so charakteristisches Gepräge verleiht und die Wälder dort durch die außerordentliche Fülle und Pracht ihrer Blätter mit wunderbarem Farbenzauber bekleidet. Georg Klebs (Tübingen). Wilckens, Paläontologie der Haustiere. 3a Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Pa- läontologie der Haustiere. (Schluss). Wir betreten nun ein für die Geschichte des fossilen Pferdes neues Gebiet, nämlich Zentral- und Südamerika. Der erste, der einen Ueberrest des fossilen Pferdes in Südamerika fand, war Charles Darwin auf seiner Reise um die Welt mit dem „Beagle“; er berichtet darüber in seinem 'Tagebuche vom 5. Oktober 1833 (Gesammelte Werke, übersetzt von J. Vietor Carus, 1875, 1. S. 148) folgendes: „In der Pampas-Ablagerung bei Bajada (im Dilu- vium über den Gehängen der tertiären Schichten am Ufer des Rio Parana) fand ich — Zähne von Toxodon und Mastodon und einen Pferdezahn in demselben schmutzigen und verwitterten Zustande. Dieser letztere Zahn interessierte mich in hohem Grade; ich gab mir die sorgfältigste Mühe zu ermitteln, dass derselbe zu derselben Zeit wie die anderen Ueberreste in die Schicht eingeschlossen wurde; mir war damals noch nicht bekannt, dass unter den Fossilien von Bahia Blanca!) ein Pferdezahn war, welcher in dem Muttergestein verborgen lag; auch wusste man damals noch nicht mit Sicherheit, dass Fossil- reste vom Pferde in Nordamerika häufig sind. Mr. Lyell hat vor kurzem (Darwin beschrieb seine Reise im Jahre 1845) einen Pferde- zahn aus den Vereinigten Staaten mitgebracht; es ist nun eine in- teressante Thatsache, dass Professor Owen eine eigentümliche den- selben charakterisierende Krümmung in keiner, weder fossilen noch lebenden Art finden konnte, bis es ihm einfiel, ihn mit meinem hier gefundenen Evemplar zu vergleichen; er hat danach dieses ameri- kanische Pferd Eg. curvidens genannt.“ Diese Pferdezähne beschrieb R. Owen zuerst in dem Reisebericht („The Zoology of the Voyage ofH.M.S. „Beagle“ pt. I. Fossil Mam- malia 1840 p. 108), und er kommt nochmals darauf zurück in seiner Arbeit „On Fossil Remains of Equines from Oentral and South America, referable to Eguus conversidens, Ow., Eg. tau, Ow. and Kg. arcidens, Ow.“ (in Philos. Transaet. 1869. p. 559): „In the Monograph of 1840, I did not feel, however, that I had suffieient grounds for differentia- ting the species to which the two detached fossil teeth had belonged from £%g. caballus, the upper molars of which seemed to differ from the fossils chiefly in a slight superiority of size, with some seemingly unimportant modifications of the complex but characteristically Equine enamel-folds. But improved practice and attention to detail in the course of my work on „Odontography“ led me to appreciate the value 1) Diese Fossilien waren eingebettet in Quarzscheiben von zementierten Kieseln; sie wurden erst in London gereinigt, und man fand in der Masse um den Schädel eines Megatherium auch einen Pferdezahn, von dem Darwin noch nichts wusste, als er den ersterwähnten Pferdezahn bei Bajada fand. 328 Wilekens, Paläontologie der Haustiere, 7 of the latter indieations, and to note a greater degree of eurvature of the entire tooth, and also a greater relative antero-posterior dia- meter of the erown as compared with Eg. caballus. I accordingly pointed out the distinetive character of these teeth as those of Eg. curvidens in that work.“ Fast gleichzeitig mit der Aufstellung des Eg. curvidens durch Owen, berichtet Lund („Nouvelles Recherches sur la Faune fossile du Bresil“ in Ann. des se. nat. Ser. I. T. XIII. Zool. 1840 p. 319) über den, seinem Eg. neogaeus zugeschriebenen Mittelfußknochen aus einer Knochenbreceie Brasiliens, der vereinigt war mit den Knochen von Canis troglodytes, Dasypus punctatus und Chlamydotherium Hum- boldtii; er kennzeichnet jenen Knochen als „sensiblement large et plus plat que tous ceux des chevaux vivans.“ Später fand Lund andere fossile Pferdezähne an derselben Fundstätte, und er gründete auf diese noch zwei Arten, die er Eg. principalis und Eg.caballo af- ‚finis nannte, alle 3 jetzt durch Abbildung der von ihm gesammelten Backenzähne sicher feststellend (kongl. Danske Vidensk. Selsk. naturv. og mathemat. Skrifter Tom. XII p. 90, 1845) '). Etwa zwanzig Jahre später fand Dr. Moritz Wagner auf der Paramos-Terrasse von Sisgun am südöstlichen Fuße des Chimborazo in Ecuador einige Unterkieferstücke, einzelne Zähne, ein Bruchstück vom Hinterhaupt und einige Gliederknochen vom Pferde, welche der paläontologischen Sammlung zu München einverleibt wurden. Andreas Wagner berichtet über diesen Fund (Sitzungsber. d. kgl. bayr. Akad. d. Wiss. 1860, S. 336) und erklärt, dass er in den verschiedenen fos- silen Pferdeüberresten, die Hr. Dr. M. Wagner vom Fuße des Chim- borazo mitbrachte, keinen Unterschied von den lebenden Pferdearten oder dem europäischen Eg. fossilis ausfindig zu machen vermochte; trotzdem schreibt er diese Ueberreste einer „eigentümlichen Art“ zu, die er als Eg. fossilis Andium bezeichnet. Drei neue Pferdearten lernen wir aus der zuletzt erwähnten Schrift Owen’s kennen: Eqg. conversidens, Eg. tau und Eg. areidens. Eg. conversidens ist begründet durch Kieferstücke mit Zähnen und einzelne Zähne, welche zusammen mit Ueberresten von 4Mastodon, Elephas und einem untergegangenen Cervus in oberen tertiären oder quaternären Schichten im Tale von Mexiko gefunden waren; Owen bezeichnet (a. a. O. S. 563) als Eigentümliehkeit dieser Art: „a eur- ved convergence of the two series of upper grinders towards the fore part of the palate to a degree exeeeding than in other Eguines.“ Diese Konvergenz der beiden Backenzahnreihen gegen den Vorderteil des Gaumens ist nach der Abbildung Fig. 1 Taf. LXI höchst auffallend, ebenso wie die ungewöhnliche Kleinheit des 3. Molarzahnes, so dass die Selbständigkeit dieser Art vollkommen begründet erscheint. 1) Zitiert nach Burmeister’s später zu erwähnender Schrift, da mir das dänische Werk nicht zugänglich war. 3, Die Pferde des Diluviums. 329 Eg. tau stammt von derselben Fundstätte wie die vorige Art, und seine Ueberreste bestanden aus fünf Backenzähnen des Oberkiefers und drei Backenzähnen des Unterkiefers. Die Kleinheit derselben zeigt eine Art an ungefähr von der Größe des gemeinen Esels. Als Eigentümlichkeit dieser Art — deren Benennung von dem Buchstaben T (tau) herrührt — gibt Owen (a. a. O. S. 565) an: „the postero- internal enamel-fold (in den Prämolaren des Unterkiefers), deseribes more nearly or definitely than that in other Equines the figure of a short-stemmed eapital-letter T, which suggested the nomen triviale of the extinet Mexican species.“ Der Ausdruck „the postero-internal enamel-fold“ — die hintere innere Schmelzfalte — ist nicht glücklich gewählt; es handelt sich hier vielmehr um die Figur der hinteren falschen Marke, welche in der Abbildung Fig. 5 Taf. LXI an den Prämolaren dieser Art allerdings die Form eines kurzstämmigen T hat, die sich aber mehr oder weniger deutlich auch an allen Prämo- laren der Gattung Eguus erkennen lässt, fast ebenso deutlich — wie bei Eg. tau — an den von Owen (Philos. Transact. 1869, Taf. 58) abgebildeten Unterkieferprämolaren von Eg. asinus und Eg. hemionus. Ich möchte daher annehmen, dass Eg. tau nichts anderes ist als &q. asinus fossilis. Die Art Eg. arcidens wurde begründet durch vier obere Backen- zähne, welche in dem Bache Arroyo Gutierrez, 10 Meilen südlich von Paysandi, in Montevideo gefunden wurden. Diese Zähne haben eine ungewöhnliche (exceeding) Krümmung und ihre Mahlfläche zeigt eine allgemeine Gleichförmigkeit mit der von Eg. neogaeus und Eq. principalis Lund’. Owen erklärt dieses südamerikanische Pferd für eine besondere Gattung, welche er Hippidium!) nennt; Burmeister aber vereinigt Hippidium areidens O wen mit Eq.prineipalis Lund. Diese Uebereinstim- mung ergibt sich auch aus O wen’s Abbildungen beider Arten auf Taf. 62. Die Forschungen über fossile Pferde in Südamerika wurden zunächst fortgesetzt von Th. Wolf; er berichtet „über die Boden- bewegungen an der Küste von Manabi (Dep. Guayaquil) nebst einigen Beiträgen zur geognostischen Kenntnis Ecuadors (in der Zeitschr. d. deutschen geologischen Gesellsch. XXIV. 1872 Seite 58) folgendes: „Besonders interessant ist die große Zahl von Pferdeknochen und namentlich von Schädeln dieses Tieres. Die Auf- findung beendigt eine alte Streitfrage der europäischen Paläontologen, unter welchen lange Zeit sich Zweifel erhoben, ob auf südamerikani- schem Boden in der Vorzeit Pferde existierten oder nicht. Jetzt wissen wir, dass das Pferd zusammen mit dem Mastodon die Anden bewohnte, dass es indess lange vor der Conquista ausstarb, da die Indianer das Tier der Eroberer nicht kannten?). So wurde dem Pferde 1) Hippidium Owen’s ist identisch mit Phiohippus von Marsh. 2) Nach einer Notiz von Jordan (Biolog. Centralbl. III. S. 19) berichtet 390 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. das seltsame Los, zweimal, in zwei verschiedenen geologischen Perio- den, den weiten Kontinent von Südamerika zu bevölkern; das erste mal frei und ohne Joch weidend zwischen den Hügeln und an den Ufern der Seen, das zweite mal unter der harten Herrschaft des Menschen.“ In semen „geognostischen Mitteilungen aus Ecuador“ (Neues Jahrb. f. Mineral., Geol. und Paläont. Jahrg. 1875 Seite 155) gibt Th. Wolf weitere Nachrichten über das fossile Pferd des Hochlandes von Quito: „Die mächtigen Tuffe im Thale von Tumbaco und Chillo, die der Provinz Imbabura, die der Ebene von Riobamba und am Fuße des Chimborazo, lassen uns die Zeit ihrer Bildung geologisch bestim- men, da sie fossile Tierknochen enthalten; nach diesen gehören sie der quaternären Periode an. Die häufigsten Reste stammen von Ma- stodon Andium, Eg. Quitensis u. s. w. Besonders interessant ist das mit keiner lebenden oder fossilen Art übereinstimmende Pferd. Es ist kleiner, aber in allen Teilen plumper und robuster als £g. Caballus und kommt über das ganze quitensische Hochland zerstreut in den Tuffen vor. Stellenweise aber in der „Knochenschlucht“ von Punin bei Riobamba liegen tausende von Pferdeknochen mit solchen des Mastodon zusammen. In den untersten Tuffschichten des besagten Fundortes grub ich ein fast vollständiges Skelet aus; ein Beweis, dass sich die Knochen auf primärer Lagerstätte befinden.“ Die erste ausführliche Arbeit über fossile südamerikanische Pferde veröffentlichte Herm. Burmeister unter dem Titel „Los Caballos fösiles de la Pampa Argentina“ („Die fossilen Pferde der Pampas- formation“) Buenos Aires 1875. Burmeister unterscheidet vier Pferdearten, welche den Boden der Argentinischen Republik zur Zeit der Diluvialepoche bewohnt haben. Nach seiner Annahme gehörten sie zweien verschiedenen „Gattungen“ an, die beide in der äußern Erscheinung schwerlich einen wesentlichen Unterschied von den lebenden Pferden dargeboten haben werden. Die Arten der Gattung Eguus, welche noch jetzt in ähnlichen Formen über die östliche Erdhälfte verbreitet vorkommt, bieten, so weit sich das aus den allein bekannten Backzähnen nachweisen lässt, E. L. Berthoud im Americ. Naturalist 1883, S. 434 „von einer Karte von Cabot (der im Jahre 1530 von seiner Reise zum La Plata und Parana nach Spanien zurückkehrte), die auch mit Abbildungen von Tieren jener Länder ausgestattet ist, unter denen sich auch das Pferd befindet. Da seit der Entdeckung von Peru bis zur ersten Auffindung des La Plata durch Cabot kaum 20 Jahre ver- gangen waren, so kann man nicht wohl annehmen, dass das Pferd über die Anden hinüber sich bis nach dem obern La Plata verbreitet haben sollte; demnach dürften Zweifel darüber, ob das Pferd in Südamerika nicht bereits vor dem Eindringen der Spanier daselbst heimisch war, nicht unberechtigt er- scheinen.“ 2. Die Pferde des Diluviums. 351 keinen erheblichen Unterschied von den lebenden Pferden dar, ob- gleich die stärkere Krümmung ihres ganzen Backzahnprismas andeutet, dass noch andere Unterschiede vorhanden gewesen sein mögen. B. kennzeichnet am Schlusse seines großartig angelegten Werkes (das mit acht vorzüglich ausgeführten Steindrucktafeln ausgestattet ist) die vier fossilen Pferdearten der Pampasformationen — die Er- gebnisse seiner umfassenden Forschungen zusammenfassend — wie folgt: 1) Eg. eurvidens zeigt im Verlauf der Schmelzfiguren der Back- zähne, sowohl des Oberkiefers, wie auch des Unterkiefers, kaum eine bemerkenswerte Verschiedenheit vom Hauspferde, unterscheidet sich indess von den nachfolgenden Arten durch breiteren, ziemlich scharf- eckigen vorderen Innenpfeiler an den oberen Backzähnen, sowie durch die Anwesenheit einer Nebenfalte der untern Backzähne. Zu dieser Art gehört Eg. caballo affinis Lund’s und Eg. Ameri- canus Gervais. 2) Eg. Argentinus ist kenntlich an dem schmalen elliptischen Um- riss des vorderen Innenpfeilers der oberen Backzähne, gleich wie an der ungefalteten, einfach zugespitzten äußern Hauptfalte der unteren Backzähne; es hat außerdem sehr schmale äußere Kanten an den oberen Backzähnen. Die zweite Gattung Heöppidium unterscheidet sich von allen be- kannten Pferdegestalten durch die langen freien Spitzen an den Nasen- beinen; sie hat dicke, stark gekrümmte Backzähne des Oberkiefers, worin weniger gewellte Schmelzfiguren, mit gleich großen elliptischen Innenpfeilern und nach außen zweiteilig parabolische, mit einfacher Hauptfalte versehene untere, deren innere Schmelzfalten bloß nach hinten eine ovale Schlinge bilden. Beide Backzähne zeigen eine sehr dicke Zementlage; die oberen an der Innenseite, die unteren an der Außenfläche, und sie bilden früher, als bei Eguus, geschlossene Wur- zeln.. An den Vorderfüßen ist der Rest einer vierten Zehe vorhanden, an der hintern fehlt er. Hippidium gleicht in Bau des Skelets mehr dem Esel, als dem Pferde, und es stimmt am meisten darin mit den südafrikanischen Pferdeformen überein. Es scheint auch mit der nordamerikanischen tertiären Gattung Protohippus Leidy’s zusammenzufallen!). B. unter- scheidet zwei Arten von Hippidium?). 3) Als größere Art: H. prineipale = Eg. prineipalis Lund’, welche mit Eg. macrognathus Weddell’s und Ey. neogaeus Gervais’ 1) Wie schon früher erwähnt ist Heppidium Owen’s identisch mit Pko- hippus Marsh. 2) Eine dritte Art von Hippidium — aus der Loup-Fork-Gruppe in Nord- amerika — beschreibt Cope im American Naturalist 1880, welche Zeitschrift mir nicht zugänglich war. 332 Wilekens, Paläontologie der Haustiere. zusammenfällt, wohl auch Fipp. arcidens Owen’s als individuelle Varietät einschließt. Sie hat einen breiteren Kopf, aber höhere schlan- kere Beine, als die folgende Art, besonders beträchtlich größere Back- zähne und breitere Bogen der Schneidezähne. 4) Die etwas kleinere Art: Hipp. neogaeum hat einen schmäleren Kopf, kürzere, relativ diekere Beine und etwas kleinere Backzähne; besonders aber einen viel engeren Bogen der Schneidezähne; sie ist von Gervais als Z%g. Devillei beschrieben, aber zuerst von Lund als %g. neogaeus aufgestellt. Eine vollständige Uebersicht über die bis zum Jahre 1880 in Südamerika gefundenen fossilen pferdeartigen Tiere enthält das von Henri Gervais und Florentino Ameghino gemeinsam in spanischer und französischer Sprache herausgegebene Werk: „Les Mammiferes fossiles de ’Amerique du Sud (Los Mamiferos fosiles de la America del Sud),“ Paris und Buenos Aires 1880, Seite 87 u. ff. Bezüglich der Gattung Hippidium enthält dieses Werk nichts, was nicht schon von Burmeister untersuchtund beschrieben ist. Innerhalb der Gattung Eguus unterscheiden G. und A. das bekannte Eq. curvidens Owen’s, Eg. Argentinus Burmeisters und das von ihnen so benannte Kg. rectidens, welche Art begründet ist durch fünf obere Backzähne, drei verschiedenen Individuen angehörend; sie unterscheiden sich von allen Backzähnen der den genannten Forschern bekannten Arten durch die vollkommene Abwesenheit der Krümmung. Ueber eine dritte, bisher noch nicht benannte Gattung berichten G. und A. (a. a. O. S. 93) wie folgt: „Parmi les fossiles rapportes en 1878 de Buenos-Ayres et faisant actuellement partie de la colleetion du Prof. Cope, se trouvaient des debris composes prineipalement de fragments de mächoires portant encore leurs dents molaires. Ces debris indiquent qu'il a existe dans l’Amerique du Sud des animaux d’un genre voisin de celui des chevaux et servant probablement de passage entre ces derniers, les Macrau- chenias et les Nesodons. Les dents molaires inferieures de ces ani- maux, comme celle des chevaux, etaient diviseces en deux lobes, sauf la derniere, qui en presentait trois, comme cela s’observe aussi chez les Equides. La eouronne de chacune de ces molaires possedait un replit externe de l’&mail; ce repli &tait simple comme chez les Hippi- diums; le centre, au contraire, en etait prive, et ce caractere rappro- chait ces animaux des Macrauchenias et des Nesodons. es debris se rapportent au moins a deux especes.“ Diese beiden — unbenann- ten — Arten unterschieden sich durch ihre Größe von einander; von der kleinern Art halten die Verfasser es für wahrscheinlich, dass sie die Gestalt unserer gewöhnlichen Pferde hatten. Endlich beschreiben die Verfasser noch eine vierte (unbenannte) Gattung (a. a. O. Seite 97) wie folgt: „Un fragment de symphyse de maxillaire inferieur portant deux 9. Die Pferde des Diluviums. 3353 dents caniniformes ainsi que deux alveoles d’ineisives, indique V’exi- stence d’un genre 6&teint qui semblerait, par sa formale dentaire, se rapprocher des rhinoeeros, bien que sa forme generale soit bien dif- ferente de celle qui earacterise cet os chez ces derniers animaux.“ Dieses Unterkieferbruchstück bildete einen Teil von Prof. Cope’s Sammlung, die am Ufer des kleinen Baches Araco in der Provinz Buenos-Ayres gefunden wurde. Die neueste Arbeit über fossile Pferde Südamerikas ist von W. Branco: „Ueber eine fossile Säugetierfauna von Punin bei Riobamba in Eeuador“ (in Paläontol. Abhandlungen von W. Dames und E. Kay- ser, I. Bd. 2. Heft. Berlin 1883). Branco beschreibt aus den in Südamerika gemachten Samm- lungen der Herren Reiß und Stübel — welche größtenteils in dem mineralogischen Museum der Universität Berlin niedergelegt sind — das schon früher erwähnte, von A. Wagner so benannte Eg. fossilis Andium, welches identisch ist mit Th. Wolf’s Eg. Quitensis (ebenfalls oben erwähnt) u. J. E. V. Boas’ Eg. Lundii!). Während Andreas Wagner keinen Unterschied wahrnehmen konnte zwischen Eg. foss. Andium und Eg. Caballus, wurde Branco dureh das von ihm untersuchte reichlichere Material in stand gesetzt folgende wesentliche Unterschiede festzustellen. Eg. Andium besitzt unter den untersuchten Pferdearten (Eg. Na- madicus, Asinus und mehreren Rassen von Cabdallus) den relativ schmal- sten Hinterschädel, eine tiefere und weit nach vorwärts gerückte Lage des Auges, eine auffallende Annäherung der Masseterkante an die Zahnreihe, eine Vertiefung an der Stelle der schrägen Abdachung oberhalb der dem Masseter dienenden Gesichtsleiste bei £g. Caballus; ferner greift bei Zg. Andium der Choanenausschnitt, also überhaupt das Gaumenbein, ebenso wie Thränen- und Jochbein, bis um eine Zahnlänge weiter nach vorn in den Oberkiefer als beim lebenden Hauspferde; ebenso sind bei jenem die Zähne des Oberkiefers auf dem Alveolarrande etwa um eine Zahnlänge mehr nach hinten ge- rückt, wodurch dann natürlich der Vorderrand jener Knochen (Thränen- bein, Jochbein, Gaumen) weiter vorwärts gerückt erscheinen muss; auch sind bei Eg. Andium die beiden Gaumenspalten auffallend kurz und schmal, und die vorderen Enden der aufsteigenden Zwischenkiefer- äste besitzen eine ziemlich ansehnliche Dicke. Der horizontale Ast des Unterkiefers von Eg. Andium besitzt eine ganz auffallende Höhe. In betreff des Gebisses bemerkt B. (a. a. O. Seite 41): „Wollte man mit wenigen Worten die Stellung kennzeichnen, welche in der 1) Boas beschreibt sein Zg. Zundi — nach Angaben von Branco — in Vidensk. Selsk. Skr. 6 Räkke. Naturvidensk. og math. Afd. I. Kjöbenhavn 1851 unter dem Titel: „Om em fossil Zebra-Form fra Brasiliens Campos“ welche Schrift mir nicht zugänglich war, 334 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. Reihe der geologisch aufeinander folgenden Pferdearten und -Ge- schlechter das Gebiss von £g. Andium einnimmt, so würde man sagen können, dass diese der ältesten Quartär- resp. vielleicht jüngsten Tertiärzeit angehörende Art für Südamerika ungefähr dieselbe Etappe der Entwickelung bezeichnet, welche in Europa durch die etwa gleich- altrigen Arten Eg. Stenonis Cocchi und Eq. fossilis Rütim. vertreten wurde. Aliein das gilt eben nur ungefähr und nur vom Gebisse, keineswegs auch von dem übrigen Knochengerüste. Auf die ziem- liche Uebereinstimmung des erstern hin würde man Eg. Stenonis und Eg. Andium auch für im übrigen ziemlich gleich aussehende Wesen halten mögen. Allein das wäre ein arger Fehlschluss, denn Eg. Ste- nonis ist trotz seines noch etwas mehr an Hipparion erinnernden Ge- bisses doch im Körperbau mehr oder weniger ein Caballus, kommt auch an Körpergröße ungefähr einem mittlern Pferde unserer ein- heimischen Rassen gleich. Dagegen tritt uns Eg. Andium, trotz seines vielleicht etwas mehr dem Hauspferde nahestehenden Zahnbaues, durch seine kaum mehr als die Größe eines kleinen Esels erreichende untersetzte, extrem plump knochige Gestalt und durch seinen auf- fallenden Schädelbau als ein weit fremdartigeres Wesen entgegen.“ Entsprechend der kleinen Statur und dem kleinen Schädel ist auch bei Eg. Andium die absolute Größe der Zähne eine geringe. Bezüglich der gegenseitigen Stellung der beiden Zahnreihen des Ober- kiefers ergibt sich, dass dieselben bei den lebenden Pferden etwas stärker nach vorn konvergieren als bei Eg. Andium. Das Milchgebiss des letztern zeigt eine Eigentümlichkeit in dem häufigen Auftreten von Basalwarzen an den Ober- und Unterkieferprämolaren; an letzteren ist ein vorderes Basalsäulchen stets vorhanden. Der 4. Prämolarzahn zeigt sich auch bei %g. Andium. An den Schneidezähnen vermag B. weder an dem definitiven, noch an dem Milchgebisse Unterschiede zwischen Eg. Andium und Eg. Ca- ballus zu finden. Ein Milchschneidezahn J? jedoch zeichnete sich aus durch die mangelhafte Ausbildung der Hinterwand, wodurch die mit Zement sich füllende Einsenkung des Schmelzes, die sogenannte Kunde, nach hinten offen wird. Bei Besprechung der einzelnen Gliederknochen weist B. stets darauf hin, dass Eg. asinus und Eg. Andium in dem Baue der Glied- maßen Antipoden sind, denn der erstere steht durch die zierliche feine Beschaffenheit seiner Glieder auf dem einen, der letztere durch die dicke plumpe Stämmigkeit derselben auf dem andern Ende der Pferdereihe; #g. Caballus aber neigt sich auch in dieser Beziehung überwiegend mehr zu dem von Eg. Andium, als zu dem von Eg. asinus vertretenen Typus hin, so dass sich also zwischen den ersten beiden eine doppelte Analogie ergibt, nämlich in dem gegenseitigen Längen- verhältnisse und in der Gestalt der Knochen. Es würde zu weit führen, auf die umfassenden Vergleiche der or 2%. Die Pferde des Diluviums. 33 Gliederknochen hier einzugehen; es genügt aus den Schlussbetrach- tungen Branco’s die Stellung zu erkennen, welche er seinem %g. Andium gegenüber den bisher bekannten rezenten und fossilen Pferde- arten anweist. Von unserem Hauspferde weicht %g. Andium stärker ab als die diluvialen europäischen Arten. Namentlich bezieht sich das auf Schädel und Skelet, denn in der Bezahnung dürfte die Diffe- renz zwischen ZFqg. Caballus und Eg. Andium keine viel größere sein als zwischen Eg. Caballus und z. B. Eg. Stenonis, wie denn auch ge- wisse Eigentümlichkeiten der Bezahnung Eg. Stenonis und Eg. Andium zugleich zukommen. Zu den Eigenschaften, welehe an Hipparion erinnern, gehört bei den südamerikanischen Formen die Vertiefung, welche sich sowohl bei Hipparion wie bei Hippidium und Eg. Andium vor dem Auge auf dem Oberkiefer zeigt, ferner die geringe Breite des hintern und des untern Augenhöhlenrandes, in welcher wenigstens Eg. Andium mit Hipparion übereinstimmt. Anderseits aber zeigen wieder FHippidium und Hipparion ein ähnliches Verhalten insofern, als die bei ersterem so langen Nasenbeine bei letzterem, wenn auch nicht annähernd eine ebensolche, so doch eine größere Länge besitzen als bei dem lebenden Pferde. Ferner scheint als äußerst charakteristische, Hippidium mit Lg. Andium gemeinsame Eigenschaft: ein am Schädel seitlich tief sitzendes Auge und eine ebenso hinabgerückte Gesichtsleiste auch bei Hipparion — freilich in schwächerem Maße — vorhanden zu sein. Auch das von Gaudry für Hipparion hervorgehobene, an der Seite des Schädels stärkere Hinabreichen der Nasalia (als bei Ey. Caballus) findet sich bei Hippidium und Eg. Andium wieder. Schließlich stimmt die horizontale Lage des Auges überein: bei Hipparion, Hippidium und Eg. Andium liegt nämlich der vordere Augenhöhlenrand in senk- rechter Linie dicht hinter dem letzten Backenzahne, während er bei Eg. Caballus beträchtlich weiter zurückgerückt zu sein pflegt. Aus alle dem geht der Beweis hervor, dass Branco’s Behaup- tung: die Pferdefauna sowohl Nord- als Südamerikas habe noch in Jüngerer geologischer Zeit in höherem Maße als diejenige Europas Eg. Caballus ferngestanden, in der That begründet ist. Branco hältauch durch seine Forschungen den Beweis für erbracht: „dass trotz des Uebergewichtes, welches die fossile Fauna pferdearti- ger Tiere in Amerika während der tertiären und diluvialen Epoche über diejenige der andern Erdteile besitzt, doch mit dem Beginne der alluvialen Epoche in Amerika fast!) eine jede Spur des Pferdes verschwindet und die Gattung Eguus erst in historisch junger Zeit von den Spaniern dort eingeführt wird. 1) Branco macht darauf aufmerksam, dass Leidy (Journ. of the Acad. of nat. sc. of Philadelphia vol. 8. 1877. p. 209) Hrpparion aus den jungen Lagern von Phosphoritknollen Süd-Carolinas zitiert, welche sich an hängenden echt pliocänen Schichten befinden und selbst pleistocänen Alters sein sollen. 396 Wilekens, Paläontologie der Haustiere. InNordamerika fand 1826 zuerst $S. L. Mitchell Ueberreste des fossilen Pferdes (einen Wirbel und Zähne) in Gesellschaft mit Ueber- resten von Mastodon u. a. in der Nähe der Neversinkhügel zu New Jersey. Dekay (in the Zoology of New-York, pt. I. Mammalia, p. 108, 1842) beschrieb Ueberreste fossiler Pferde in den Vereinigten Staaten und bemerkt, dass sie dem gemeinen Pferde gleichen, aber einem größern Tiere angehörten, weshalb er sie einer erloschenen Art mit dem Namen Eg. major zuschrieb. F. C. Holmes (in einer Broschüre „Remains of Domestie Animals discovered among Post-pliocene Fossils in South Carolina“ 1858) gibt Kenntnis von Ueberresten, vermischt mit solchen von Mastodon, Mega- therium u. a., welche er als derselben Art angehörend betrachtet, wie das Hauspferd, das Hausschwein, das Hausschaf und das Haus- rind. Ueber die drei genannten und noch einige andere Entdeckungen fossiler Pferde (ohne besondere Namen) in Nordamerika macht Leidy („The extinet Mammalian Fauna of Dakota and Nebraska.“ Philadelphia 1869, S. 261 u. ff.) Mitteilung, der selbst mehrere fossile Pferdearten in den Vereinigten Staaten aufgefunden hat. In den „Proceedings of the Academy of Nat. Sc. of Philadelphia“ 1847 p. 261 schreibt er die aufgefundenen Zähne zwei Arten zu, unter den Namen von Eq. ceurvidens und Eg. americanus. Später, in Holmes’ „Post- pliocene Fossils of South Carolina“ 1858, p. 100 wurden fossile Ueber- reste, ununterscheidbar an Größe und anatomischem Charakter von den Knochen und Zähnen des lebenden Pferdes, betrachtet als Anzei- gen einer erloschenen Art, für welche der Name #£g. fraternus vorge- schlagen wurde. Andere Ueberreste von ungewöhnlicher Größe, ohne jedoch in dieser Beziehung die Knochen und Zähne der größten Ras- sen des Hauspferdes zu übertreffen, wurden wegen der komplikativen Schmelzfalten der oberen Backzähne einer Art mit dem Namen £q. complicatus zugeschrieben. Leidy hält diesen Namen jedenfalls sy- nonym mit den früher erwähnten von Eg. americanus. Am Schlusse seiner Betrachtungen (a. a. O0. S.265) kommt L. zu der Ueberzeugung: „that the fossil remains of horses indicated as having been discovered in the United States really represent two distinet species, — one about the size of the ordinary varieties of the Domestie Horse, with the bones and teeth, so far as we are acquainted with them, undistinguish- able from those of the latter; and a second of eomparatively large size (about the size of the English Dray Horse), with molar teeth, but especially the upper ones, presenting on the triturating surface an unusually complex folding of the enamel. To the former belongs the name of Eg. fraternus, to the latter that of Eg. complicatus, or Eg. major of Dekay.“ L. rechnet übrigens Eg. fraternus zu derselben Art wie das heutige 2. Die Pferde des Diluviums. al Eg. Caballus, und er meint (a. a. O. S. 265): „if the remains referred to Eg. fraternus be regarded as belonging to the same species as the existing %g. Caballus, it follows that the latter was indigenous to this continent at a former geological period, then became extinct, and ages subsequently was reintroduced from Europe.“ Der Umstand aber, dass die diluvialen oder postpliocänen Pferde Nordamerikas den heutigen Pferden dieses Landes so vollkommen gleichen — dass also die Namen Eg. fraternus, Eg. complicatus, Eg. americanus, Eg. major in der That synonym sind mit Zg. Caballus — macht die Tradition verdächtig: dass zur Zeit der Entdeckung von Nordamerika Pferde dort nicht einheimisch waren. Geschichtlich ist dieses wohl nur von Mexiko festgestellt !), nicht aber von den übrigen Ländern Nord- und Südamerikas. Außer für die beiden genannten Formen wendet Leidy noch zwei neue Namen an: ZEg. excelsus und Eq. occidentalis, jenen für Dr. Hayden’s Niobrara Sammlung fossiler Knochen: „contains a num- ber of bones and teeth elosely like those of the ordinary Domestie Horse, both in size and anatomieal character“, — den andern für einige fossile Oberkieferzähne aus Kalifornien, von denen einer aus goldhaltigem Thon (clay), ein anderer aus einem Asphaltlager stammte; „these teeth, about the same size as the corresponding ones of the recent Horse, from the comparative simplieity of arrangement of the enamal on their triturating surface, I suspeeted to indicate an extinet species different from those of the eastern part of the continent, and proposed for it the name of Ey. oceidentalis.“ Diese Zähne wurden übrigens gefunden zusammen mit Ueberresten — unter andern einen ganzen Schädel — von denen Leidy (a. a. O. 8. 266) sagt, dass sie „are recent in appearance, and neither differ in anatomical cha- racter or size from the corresponding parts of the Mustang, or recent Indian Horse of the west.“ Dieselbe Bemerkung macht L. (a. a. ©. S. 266) auch über die Ueberreste, welche er dem Eg. excelsus zuschreibt: „It is not impro- bable that part of the speeimens looked upon as fossils may be re- mains of the Mustang or recent wild Horse of our western wilderness.“ Es dürfte daher der Verdacht wohl nicht leicht abzuweisen sein, dass die beiden letzterwähnten Namen gar nicht bezug haben auf Ueber- reste des fossilen Zg. Caballus. Uebrigens gleichen die Oberkiefer- zähne dieser beiden zweifelhaften Arten — wie L. angibt — durch die Abwesenheit der kleinen inneren Schmelzfalte denen des heutigen Esels. Aus Afrika, Provinz Constantine, berichtet Gaudry über zwei Funde von Hipparion und daneben von Eg. ef. Stenonis, und zwar in 1) Siehe Prescott, „Geschichte der Eroberung von Mexiko“, 1845, 1. S. 226. 22 338 Wilekens, Paläontologie der Haustiere. Ablagerungen, welche nach Tournouer und Pomel plioeänen Al- ters zu sein scheinen. In den die Thäler ausfüllenden quarternären Schichten der dortigen Gegend finden sich dann weitere Reste zweier Eguus-Arten, und zwar des echten Eg. Caballus, sowie eines klei- neren, eselartigen, in seiner Bezahnung an Hipparion erinnernden Pferdes !). In einer „Note sur quelques Eqwides fossiles des environs de Con- stantine“ 2) beschreibt Thomas je einen Oberkiefer, Metatarsus, Cal- caneus, Astragalus und ein erstes Zehenglied von einem Eg. Caballus „des depöts fluvio-lacustres appartenant probablement au pliocene superieur, qui sont situ&s dans la vale& de l’oued Rhummel, a environ 5 km. au sud de Constantine.“ Als Ergebnis seiner Vergleiche gibt Thomas an: „il semblerait resulter que la region faciale de V’espece quaternaire &tait beaucoup plus courte, plus large, plus massive, en un mot, que celle du cheval barbe actuel; che la dentition du pre- mier etait relativement plus puissante que celle du second et l’ouver- ture posterieure de ses cavites nasales plus grande.“ In Australien hat das Pferd vor Einführung durch die Euro- päer wahrscheinlich nicht existiert; fossile Formen desselben sind in Australien bisher nicht bekannt geworden. Wir kehren nunmehr zu den fossilen Pferden Europas zurück, deren neueste Forschungen wir noch kennen zu lernen haben. In Frankreich fand Martin im Jahre 1868 im quaternären Sande zu Grenelle unweit Paris mehrere Pferdeknochen, darunter einen fast vollständigen Schädel, der im naturhistorischen Museum zu Paris aufbewahrt ist. Andre Sanson war einer der ersten, der diese Ueberreste untersuchte, und er berichtet darüber („Traite de Zootechnie“ Tome III. Qme edit. p. 101) folgendes: „nous fümes frappes des ressemblances que chacun des os presentait avec ceux du cräne de percheron actuel. Depuis, une comparaison methodique nous a permis d’en etablir la complete identite.“ Sanson ist Zoologe und Pferdekenner; die letzterwähnte Eigen- schaft hinderte ihn eine neue fossile Art, bezw. einen neuen Art- namen zu ersinnen und veranlasste ihn, die quaternären Pferdereste mit den gegenwärtig lebenden Formen zu vergleichen. Er fand die Uebereinstimmung der Form des quaternären Pferdes von Grenelle mit der des heutigen Pereheron. Vielleicht hätten wir ähnliche Er- gebnisse erhalten, wenn die quaternären Pferde, welche ich oben unter zahlreichen Artnamen aufgeführt habe, von ihren Entdeckern 4) Diese Angaben entnahm ich dem oben zitierten Werk von Branco S. 106; die einschlägige, bei Branco angegebene Literatur war mir nicht zugänglich. 2) Einen Auszug daraus gibt C. A. Piötrement in seinem Werke „Les chevaux dans les temps pr&historiques et historiques.“ Paris 1883. p. 111. 3, Die Pferde des Diluviums. 339 mit bestimmten einheimischen Rassen des betreffenden Landes ver- glichen worden wären. Eine der ausgiebigsten Fundstätten für Ueberreste des quater- nären Pferdes ist Solutr& im Saonethale. Dort wurden zahlreiche Pferdeknochen gefunden zusammen mit Ueberresten von Ursus spe- laeus, Elephas primigenius, Rhinoceros tichorhinus, Cervus tarandus und anderen. H. Toussaint („Le cheval dans la station prehistorique de Solutre“ in Recueil de Med. vet. Paris 1874. p.388) sagt darüber: „Ce cheval etait petit ainsi qu’on peut s’en assurer, par l’examen du squelette que jai depose au Museum d’histoire naturelle de Lyon. Sa hauteur, prise au garrot, devait etre en moyenne de 1.36 — 1.38 m. Les plus grands animaux ne depassaient pas 1. 45 m. La compa- raison de ses ossements avec ceux des animaux actuels ne fait res- sortir que des differences d’importance secondaire.“ Der Schädel war größtenteils zertrümmert, aber nach den vorhandenen Resten, zu denen auch die ganzen Zahnreihen gehören, urteilt T.: „Elle (la t&te) etait grosse, vu la petite taille de Yanimal, et ce qui le prouve, dest que les dents ont une foree et une largueur qui pourraient les faire prendre ä premiere vue pour celles d’animaux de grande taille. — Les molaires ne presentent rien de particulier & noter. Les plis des lames d’&mail interne ressemblent tout a fait ä ceux du cheval de nos jours.“ Nach der Untersuchung der Pferdeüberreste von Solutr& und der Vergleichung derselben mit lebenden Rassen kommt T. zu dem Schluss (a. a. 0. S. 392): „que tous les animaux appartiennent & une race unique dont les individus presentent des caracteres extr&mement re- marquables de similitude. Elle se rapprochait beaucoup de la race existant actuellement dans la Bresse ou m@me les plaines de la Bour- gogne, mais elle etait un peu moins grande. — Malgr& sa petite taille, le cheval de Solutr& possedait des masses musculaires volumi- neuses, une grosse tete, une encolure courte. Ses membres ne mAn- quaient pas de finesse, ils etaient tres-museles et forts avec de larges articulations; le sabot &tait large.“ Das quaternäre Pferd von Solutre war also ein echter Caballus und Toussaint verschonte es mit einem neuen Artnamen. In Deutschland sind in neuerer Zeit zahlreiche diluviale Fund- stätten mit Ueberresten von Pferden bekannt geworden, die sich aber von den gegenwärtig lebenden nicht unterscheiden lassen. Bei der großen Fülle des Materials sehe ich mich genötigt mich auf die wichtigeren Funde zu beschränken. Oskar Fraas („Beitr. z. Kulturgesch. aus schwäb. Höhlen ent- nommen“ in Arch. f. Anthropol. V. S. 192) fand zu Schussenried in Württemberg einen kleinen, 53 em langen, 21 cm breiten Pferde- schädel mit auffallend breiter Schnauze; die dazu gehörigen Beine 22° 340 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. waren schlank, der Huf zierlich. (Dieses Schussenrieder Pferd ist später noch von anderer Seite gewürdigt worden). L. Rütimeyer („Ueber die Rentier-Station von Veyrier am Saleve“ in Arch. f. Anthropol. VI. S. 60) fand zu Veyrier Pferde- knochen und Zähne von der einem Kiang entsprechenden Größe. R. sagt, dass diese Ueberreste sich von dem heutigen Pferde in keiner Weise unterscheiden. In der von Rehmann („Zur Kenntnis der quaternären Fauna des Donauthales“ in Arch. f. Anthropol. IX. S. 81) gesammelten Fauna von Langenbrunn im badischen Teile des Donauthales unweit von Sigmaringen bestimmte Ecker die Knochen von Eg. Caballus, die teils einer kleineren, teils einer größeren Rasse angehörten, sowie die Knochen von Ey. asinus. In der Lindenthaler Hyänenhöhle fand K. Th. Liebe („Die Lin- denthaler Hyänenhöhle und andere diluviale Knochenfunde in Ost- thüringen“, in Arch. f. Anthropol. IX. S. 158) außerordentlich zahl- reiche Reste vom Pferde, welches er £g. fossilis (Caballus) nennt; er sagt: „Weder an den vielen hundert Zähnen und Zahnsplittern, noch an den übrigen Resten war ein Merkmal aufzufinden, durch das sich dieses fossile Pferd vom lebenden unterscheiden lässt.“ Eine sehr sorgfältige Untersuchung widmete Alfred Nehring den Pferderesten aus den diluvialen Ablagerungen von Thiede bei Wolfenbüttel und von Westeregeln, einem Dorfe im Kreise Wanz- leben der preuß. Provinz Sachsen. Die „die quaternären Faunen von Thiede und Westeregeln“ betreffenden Arbeiten Nehring’s sind ver- öffentlicht im Arch. f. Anthropol. X. S. 359, XI. S. 1, sowie im Sitzungsbericht der Gesellsch. naturforschender Freunde zu Berlin 1882, S. 47 (betreffend einige fossile Wildeselreste aus dem Diluvium von Westeregeln) und 1883, S. 50 („Bericht über neue bei Wester- egeln gemachte Funde, nebst Bemerkungen über die Vorgeschichte des Pferdes in Europa“). Ueber „Fossilreste eines Wildesels aus der Lindenthaler Hyänenhöhle bei Gera“ berichtet N. in der Zeitschr. f. Ethnologie XI. 1879, S. 137. Eine Zusammenfassung und Erweiterung seiner bisherigen Forschungen hat N. kürzlich in den Landw. Jahr- büchern, Berlin 1884, S. 81 veröffentlicht unter dem Titel: „Fossile Pferde aus deutschen Diluvialablagerungen und ihre Beziehungen zu den lebenden Pferden.“ Nehring, Professor an der landw. Hochschule in Berlin, ist gegenwärtig Vorstand der an landwirtschaftlichen Haustieren sehr reichen zoologischen Sammlung dieser Hochschule (die unter andern 230 Pferdeschädel besitzt), welche größtenteils durch Herm. v. Na- thusius-Hundisburg zusammengebracht ist, und zwar von Tieren, deren Rasse, Geschlecht, Alter und Vaterland sicher und zuverlässig bekannt war). Nach Nehring’s seit dem Jahre 1873 fortgesetzten Beobach- 3, Die Pferde des Diluviums. 941 tungen finden sich in den nord- und mitteldeutschen Diluvialab- lagerungen zwei verschiedene Arten von Equiden, nämlich Zqg. Ca- ballus foss. und Eg. hemionus foss., also das eigentliche Pferd im engern Sinne des Wortes und der Halbesel oder Dschiggetai. Das erstere war sehr häufig, der letztere verhältnismäßig selten. Ueberreste vom Halbesel hat N. aus der Lindenthaler Hyänen- höhle (Zeitschr. f. Ethnol. 1879, S. 137) und m der Nathusius’schen Sammlung an Fossilresten aus dem Diluvium von Westeregeln be- stimmt (Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde 1882, 5. 47). Die Ueberreste des fossilen Pferdes in deutschen Diluvialab- lagerungen schreibt N. dem Eg. Caballus zu, „weil sie in allen we- sentlichen Merkmalen des Schädel- und Skeletbaues, zumal auch im Gebiss, mit unserem heutigen Hauspferde in der engsten Beziehung stehen. Ein wichtiger Unterschied besteht freilich zwischen dem heu- tigen Eg. Caballus und dem der Diluvialzeit. Ersteres kennen wir nur im domestizierten oder doch der Herrschaft des Menschen unter- worfenen Zustande, letzteres war entschieden ein wildes Tier“ („Fos- sile Pferde“ (S. 87). Nachdem N. die Identität des fossilen und des modernen &q. Caballus festgestellt, wirft er die Frage auf: „in welchem Verhältnis steht dieses wilde Pferd, dessen Reste in unseren Diluvialablagerungen zahlreich vorkommen, zu dem heutigen Hauspferde, bezw. zu seinen Hauptrassen ?* Nach sorgfältigen Messungen und Vergleichungen mit zahlreichen Schädeln und Skeleten der beiden gegenwärtig lebenden Hauptrassen des Pferdes, der orientalischen und der oceidentalen, beantwortet N. diese Frage (a. a. O. S. 90) wie folgt: „Das nur aus Nord- und Mit- tel-Deutschland bekannt gewordene Diluvialpferd war ein mittelgroßes, schweres Pferd, welches dem schweren oceidentalen Typus Franck’s, bezw. dem Eg. Caballus germanicus Sanson’st) so nahe steht, dass wir es als den direkten Vorfahren dieser Rasse betrachten dürfen. Obgleich unser deutsches Diluvialpferd den diluvialen Pferden Frank- reichs, Italiens, Oesterreichs ?) und der Schweiz sehr ähnlich ist, so scheint es doch hinsichtlich der Statur einige eigentümliche Differenzen aufzuweisen, die man etwa als Andeutungen lokaler Rassenbildung ansehen kann. Um dieses zu fixieren, bezeichne ich unser deutsches 4) Sanson („Trait6& de Zootechnie“ T. III) unterscheidet eine brachyce- phale und eine dolichocephale Rassengruppe; zur ersteren rechnet er die asia- tische, die afrikanische, die irländische und die brittische Rasse, zur andern die germanische, friesische, belgische und Seinerasse (race s&quanaise). 3) Der Typus des schweren (oceidentalen) Pferdes ist gegenwärtig am reinsten vertreten durch das norische Pferd der österreichischen Al- penländer, welche — trotz der politischen Trennung — beanspruchen deutsche Länder zu sein, 342 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. Diluvialpferd, bezw. die mir näher bekannt gewordene Form des deutschen Diluvialpferdes, als Eg. Caballus fossilis var. germanica.“ N. stellt dann auch Berechnungen an über die Größe des deutschen Diluvialpferdes; aus dem 2?/,—23/,‚fachen der Scheitellänge (dem er- fahrungsmäßigen Durchschnittsverhältnis bei unsern heutigen Pferden) berechnet N. die Widerristhöhe des Diluvialpferdes von Remagen }), — dessen Oberschädel er messen konnte — auf 1,51—1,55 m und die Widerristhöhe des Diluvialpferdes von Westeregeln auf 1,55 m. Von der Behaarung des deutschen Diluvialpferdes nimmt N. an, dass sie, zumal im Winter, eine verhältnismäßig diehte und lange gewesen sei, da dies Pferd unter rauhen klimatischen Verhältnissen leben musste, was aus der gleichzeitigen Tierwelt mit Sicherheit geschlossen wer- den darf. Dass sich aber N. bezüglich der Behaarung auch auf Rütimeyer’s Abbildungen (Arch. f. Anthrop. VIII. S. 125) von Pfer- den aus der Höhle von Thayingen beruft, welche angeblich von Zeieh- nungen gleichzeitig lebender sogenannter Höhlenmenschen herrühren sollen, scheint mir ganz unstatthaft zu sein, nachdem L. Linden- schmit (Areh. f. Anthropol. IX. 8. 173 u. X. S. 323) in überzeugen- der Weise dargethan hat, dass einige dieser auf Höhlenknochen vor- gefundenen Zeichnungen — zur Irreführung eifriger Höhlenforscher — neuesten Datums und zum Teil nach Vorlagen von Leutemann (in der „Welt der Jugend“ Nr. 15, Leipzig 1868) ausgeführt sind. Rüti- meyer bemerkt übrigens (Arch. f. Anthropol. IX. 8. 126), dass die Ueberreste des Höhlenpferdes von Thayingen im Gebiss von dem jetzt lebenden Pferde nicht verschieden waren und im Skelet höchstens durch schlankere Füße, ähnlich wie der Kiang, von dem in Europa einheimischen Haustiere einigermaßen abwichen. Am Schlusse seiner Arbeit stellt Nehring die Ansicht auf, dass das Diluvialpferd, welches sich besonders zahlreich in der Umgebung des Harzgebirges aufgehalten zu haben scheint, ebenso wie dasjenige der benachbarten Länder Europas, ein ungezähmtes wildes Tier ge- wesen sei, das lange Zeit hindurch lediglich ein Gegenstand der Jagd war?); „hie und da wurden aber auch in der Diluvialzeit schon An- fänge in der Zähmung desselben gemacht.“ N. nimmt an, dass die Domestikation des Diluvialpferdes ganz allmählich geschehen sei, und „ein wesentlicher Teil unserer sogenannten schweren (gemeinen) Pferde direkt von unserem schweren, diekknochigen Diluvialpferde abzuleiten ist.“ Die Verschiedenheiten in der Größe und Form der heutigen, von dem Diluvialpferde abstammenden Rassen, begründet N. 4) Das in den tiefsten Lagen des Löss am Unkelstein bei Remagen a. Rh. aufgefundene „so gut wie vollständige Skelet einer etwa 10jährigen Stute“ (nach Nehring) ist zuerst beschrieben worden von G. Schwarze in den Verh. d. naturh. Ver. f. Rheinl. u. Westf. 1879. S. A. 8. 18. 3) Diese Ansicht hat früher schon A. Eeker ausgesprochen im „Globus“ 1878. Nr..2. 2, Die Pferde des Diluviums. 343 durch klimatische Einflüsse, denen sie unterworfen waren. Dagegen stammen die kleineren, zierlichen Rassen des Hauspferdes teils aus Asien, teils aber auch wohl von den kleineren Rassen des Diluvial- pferdes, wie eine solche z. B. bei Schussenried angedeutet ist. Von dem Dschiggetai ist keine unserer Hauspferderassen abzuleiten, wie Nehring gegen Brehm behauptet. Der Hausesel stammt nach N. sehr wahrscheinlich aus Nordost-Afrika (von Eg. taeniopus); was N, im nord - und mitteldeutschen Diluvium an sogenannten Asinus-Resten gesehen hat, waren entweder Reste von jungen Individuen des Ey. Caballus, oder sie gehörten zu Eg. hemionus, das als Stammart un- seres Hausesels nicht in Betracht zu ziehen ist. In einer späteren Arbeit („Ueber diluviale und prähistorisehe Pferde Europas“ in Sitz.-Ber. d. Ges. naturf. Freunde 1884 Nr. 1) kommt Nehring auf seine früher geäußerte Ansicht zurück: wonach ein wesentlicher Teil unserer europäischen Hauspferde aus den dilu- vialen Wildpferden Europas durch eine in prähistorischer Zeit allmählich ausgeführte Domestikation hervorgegangen ist!) — und er bespricht eingehender das Pferd aus der Rentierstation von Schussenried (im südlichen Württemberg), dessen Schädelmaße ihm bei Abfassung der früheren Arbeit noch nicht bekannt waren und die er inzwischen von O. Fraas erhalten hatte. N. stellt die außeror- dentliche Breitstirnigkeit dieses Pferdes fest; dasselbe war breit- stirniger als ein Original-Araber der Berliner Sammlung. N. hält das Schussenrieder Pferd für eine wesentlich abweichende Rasse unter den diluvialen Pferden Europas, und er schlägt vor, dasselbe mit einem besondern Namen zu belegen: „ZEg. Caballus foss. varietas lati- frons.“ N. bemerkt hiezu: „Bisher war man geneigt, alle breit- stirnigen Pferde auf den Orient zurückzuführen, oder doch als Kreu- zungsprodukte orientalischer und oceidentaler Pferde anzusehen. Da wir aber schon während der Eiszeit (oder doch unmittelbar nach der- selben) im südlichen Württemberg ein sehr breitstirniges, mit zier- lichen Gliedern versehenes Pferd nachweisen können ?2), so wird man in Zukunft bei Beurteilung unserer Pferderassen die Breitstirnigkeit und den zierlichen Bau der Extremitätenknochen nicht ohne weiteres als Beweise orientalischer Herkunft gelten lassen dürfen.“ 1) Diese Ansicht habe ich schon ausgesprochen in meinen 1880 erschie- nenen „Grundzüge der Naturgeschichte der Haustiere“ S. 71: „Wir müssen vielmehr annehmen, dass das vorgeschichtliche europäische Wildpferd in Eu- ropa gezähmt ist“ — und S. 79 Anm.: „Aus morphologischen Gründen bin ich der Ansicht, dass die abendländische Rassengruppe eine selbstständige und wahrscheinlich durch Zähmung des europäischen Wildpferdes entstanden ist, 2) Zu den Nachkommen dieses Pferdes gehört wohl auch das von Edmund Naumann („Die Fauna der Pfahlbauten im Starnberger See“ im Aren, f. Anthrop. VIII 8. 8) aufgefundene kleine Torfpferd mit auffallend breitem Schädelbau. Wilckens, Paläontologie der Haustiere. co in Hn In Oesterreieh untersuchte Joh. Nep. Woldrich („Beiträge zur Fauna der Breccien und anderer Diluvialgebilde Oesterreichs mit besonderer Berücksichtigung des Pferdes“ in Jahrb. d. k. k. geolog. Reichsanstalt XXXIH. 1882. S.435) Knochenbreeeien aus einem Stein- bruche bei Pola in Istrien und von der Insel Lesina in Dalmatien, sowie einen Pferdeschädel nebst Zähnen aus dem Löss von Nussdorf bei Wien. Die Knochenbreceie von Pola lieferte ein so reichhaltiges Material an Pferderesten, dass W. nach sorgfältigen Detailstudien und Vergleichungen hier 3 Formen zu unterscheiden gezwungen ist, die sich nicht auf Alters- oder Geschlechtsunterschiede zurückführen lassen; er nennt sie %qg. Stenonis affinis, Eqg. quaggoides affinis und Eg. Caballus fossilis hütimeyer. Die ersteren zwei Bezeichnungen sollen besagen, dass er die Reste dieser diluvialen Pferde in der Ent- wickelungsreihe dem £g. Stenonis Cocchi und dem Eg. quaggoides F. Major anschließt, ohne dass sie mit letzteren vollständig überein- stimmen. Die Tierreste von der Insel Lesina schreibt er ebenfalls dem Eg. Caballus fossilis Rütimeyer zu. Das Schädelfragment aus Nussdorf betrachtet er als Eigentum eines kleineren Diluvialpferdes, das er Eg. Caballus foss. minor nennt. Schließlich spricht W. (a. a. O. S. 470) die Ansicht aus: „dass wir in dem diluvialen Eg. Stenonis affinis oder in Eg. Caballus foss. Rütim., oder in beiden, die Stamm- form des noch wenig bekannten großen Pferdes der Bronzezeit, wei- ters in ersterem die Stammform unseres großen Eg. Caballus L. mit stärkerer sekundärer Schmelzfältelung, in letzterem die Stammform unseres sehr großen Eg. Caballus L. mit einfacher Schmelzfältelung und sehr langem Innenpfeiler zu suchen haben werden; ferners im diluvialen #%g. Caballus foss. minor die Stammform des Eg. Caballus minor der Bronzezeit und weiters die Stammform des kleinen Eg. Ca- ballus L. der Sueven und der heutigen Gegenwart, in welcher diese Form im Verschwinden begriffen ist.“ Auch einige Ueberreste aus dem Diluvium von Zuzlawitz schreibt Woldrich („Diluviale Fauna von Zuzlawitz bei Winterberg im Böh- merwalde“ im 88. Bande der Sitz.-Ber. d. k. Akad. d. Wissensch. zu Wien, 1883. 5. 1009) dem Eg. Caballus foss. minor zu. Ferner fand er dort ein rechtes Stirnbeinfragment mit Orbitalrand von der Größe eines 3jährigen einheimischen Eselhengstes, das er als dem Asinus Gray sp.‘) angehörig betrachtet. Die Existenz dieser Art glaubt W. auch in den Knochenbreceien aus Pola und von der Insel Lesina nachgewiesen zu haben. M. Wilckens (Wien). 4) Die von W. gewählte Bezeichnung: Asinus oder Equus Gray ist sehr unbestimmt, da Gray fünf Eselformen, nämlich vulgaris, Burchelli, hemionus, kiang und onager unter seinem Namen beschrieben hat. Berichtigung. Biol. Clbt. Nr. 10 8. 296 2.9 v. u. lies molassicus statt molassiens ; 8. 303 Z. 20 v. o. massigen statt mäßigen; S. 308 Z. 14 v. 0. he- mionus statt nemionus. Vossius, Anatomie des Nervus optieus. ss Hn >} | Vossius, Beiträge zur Anatomie des N. optieus. Archiv für Ophthalmologie 1883. Bd. 29. Abt. IV. S. 119. Der Verf. lieferte eine Arbeit über den N. opticus. Die A. und V. centralis retinae treten in den untern lateralen Quadranten ein, 10—12 mm hinter dem Bulbus, und zwar tritt die Arterie etwas mehr proximalwärts ein, als die Vene. Der Verf. sagt, dass alle Autoren wie Arlt, Henle, Luschka, Leber, Merkel, Kuhnt die Ent- fernung der Eintrittsstelle vom Bulbus auf 15—20 mm angeben. In- dess spricht Arlt (1851) von 5—6 Linien, und da dies Wiener Maß ist, so meint Arlt 10,6—12,7 mm, was der Angabe von Vossius sehr nahe kommt. Die Angabe von Henle (1866) ist weiter nichts als Theiles (1841) 1/),—/, Zoll in Millimeter übersetzt, ebenso gibt Luschka (1867) anstatt Arnold’s (1851) 1 Zoll Par. „ungefähr 2 cm“ an. Dass Merkel die Henle’sche Ziffer adoptiert, kann nicht in Verwunderung setzen. Zahlenangaben sind öfters eine missliche Sache. Von der Eintrittsstelle in den N. optieus geben die A. und V. centralis retinae rückläufige Aeste ab, die in der Achse des N. opticus bis zum Foramen optieum reichen. Am vordern Ende des letztern entsteht aus zwei Aesten eine V. centralis posterior, die sich in den Sinus eavernosus einsenkt; der intracranielle Teil des Sehnerven wird von einem Ast der A. corporis callosi versorgt (vergl. des Ref. Hand- buch der menschlichen Anatomie Bd. II. 1879, S. 600). Was den Verlauf des N. optieus anlangt, so ist derselbe 22—24 mm lang und Sförmig gebogen. Die A. und V. centralis retinae treten in den un- tern lateralen Quadranten desselben ebenfalls beim Kalbe, Schaf, Sehwein und der Katze, nur beim Kaninchen fast genau senkrecht unter der Mitte des Nerven. Innerhalb des Sehnerven verlaufen die A. und V. centralis etwas Sförmig gebogen, bis sie in dessen Achse gelangen. Die Einstülpung entspricht der sekundären Augenblasenspalte. Ref. (l. ec. Bd. I. 1875. S. 152) hatte darüber bemerkt: „Wahrscheinlich infolge einer Torsion des Sehnerven und Auges um deren sagittale Achse, welche mit dem Umstande zusammenhängt, dass die optische Achse beim Embryo an- fangs lateralwärts, beim Neugebornen aber nach vorn gerichtet ist, ändert sich die Lage der Augenblasenspalte: sie gelangt von unten nach lateralwärts von der Eintrittsstelle des Sehnerven und der Punkt, wo die letzte Schließungsstelle sich befindet, wird durch die Fovea centralis markiert. Vossius, der unter Schwalbe’s Leitung ar- beitete, ignoriert zwar diese Ansicht, bestätigt sie aber, indem er zeigt, dass wirklich beim Fötus eine Torsion des Sehnerven um 90° in la- teraler Richtung stattfindet. Dem entsprechend rotiert der obere Teil des Bulbus medianwärts, und so gelangt der M. reetus superior, dessen medialer Rand anfangs unter dem lateralen Rande des M. levator 346 Kollmann, Tastapparat der Hand. palpebrae superioris liegt, beim Erwachsenen ganz unter den letzteren Muskel. Von den untersuchten Tieren tritt nur bei der Katze wie beim Menschen der N. optieus in den untern medialen Quadranten, beim Kalbe und Schafe dagegen in den untern lateralen, beim Kanin- chen in den obern hintern (= lateralen) Quadranten des Bulbus ein. Ref. erinnert in betreff des letztgenannten Tieres an die auffallende ovoide Form des Bulbus beim neugebornen Tiere. Die Dimensionen betragen in vertikaler Richtung 8, in sagittaler 7,5, in frontaler 10 mm, beim erwachsenen resp. 18,17 und 17 mm (W. Krause, die Membrana fenestrata der Retina. 1869. $S. 21). Die Katze ist bekanntlich durch ihre nach vorn gerichteten, das Kaninchen durch lateralwärts gerich- tete Augenachsen ausgezeichnet. Die Angelegenheit ist von allgemeinem Interesse, weil die Fovea centralis entgegen einer verbreiteten, z. B. durch Hensen vertretenen Anschauung als Rest der fötalen Augenblasenspalte hierdurch erwiesen wird. Gurwitseh handelt über die Anastomosen zwischen den Gesichts- und Orbitalvenen und erläutert die Darstellung durch schöne Abbil- dungen (Archiv für Ophthalmologie 1883. Bd. 29. Abt. IV. S. 31. Taf. II). Die V. facialis anterior besitzt unter dem Niveau des Duc- tus parotideus eine Klappe, die der rückläufigen Bewegung von In- jektionsmassen Hindernisse bereitet, was Henle irrtümlicher Weise bestritten hatte. Die V. centralis retinae senkt sich in der Norm in den Sinus cavernosus, worin der Verf. mitZinn, Walter, Sesemann übereinstimmt, während C. Krause, Hyrtl, Sappey, Henle ete. dies für eine häufige Varietät halten; nach Luschka kommt beides vor. W. Krause (Göttingen). A. Kollmann, Der Tastapparat der Hand der menschlichen Rassen und der Affen in seiner Entwickelung und Gliederung. Mit 2 Tafeln. Hamburg und Leipzig, Voss. 1883. IV und 75 S. in 8. Der Verfasser, welcher unter Leitung von Rauber in Leipzig arbeitete, untersuchte die Anordnung der Riffe und Furchen der Cutis bei Menschen verschiedener Rassen, sowie bei Affen. Suecessive werden dargestellt: die Wachstumsrichtungen innerhalb der mensch- lichen Epidermis, der Seitendruck in der wachsenden Epidermis, die Entwiekelung des Papillarkörpers, die Gliederung des Tastapparates der Hand, die Tastballen der Affenhand und die anthropologische Verwertung der Resultate. Außer Tritonenlarven, menschlichen Embryonen, Affen (Gorilla, Schimpanse, Macacus) wurden auch lebende Vertreter verschiedener Rassen in den Kreis der Untersuchung gezogen: Chinesen, Japanesen, Türken, Armenier, Australneger, nordamerikanische Neger und einige Lucae, Die Sutura transversa squama oceipitis. 347 Mischlinge. Hierbei ergab sieh, dass der Längsreihentypus der Riffe der Nagelphalangen, weleher bisher als ausschließliches Eigentum der Affenhand betrachtet wurde, bei mehreren Rassen vorkommt. Was die Europäer betrifft, so lässt der Tastapparat der Hand (und des Fußes) folgende Gliederungen erkennen. Die fünf Fingerbeeren sind Tastballen erster Ordnung. Als Tastballen zweiter Ordnung sind die drei hinter den Zwischenfingerspalten gelegenen Wülste der Mit- telhand zu bezeiehnen und als Tastballen dritter Ordnung der Daumen- und Kleinfingerballen. Die übrigen Bezirke der Hohlhand sind als intermediäre Tastflächen aufzufassen. Es wurden auch die Tastkörperchen an Chromsäurepräparaten menschlicher Volarhaut gezählt. Es verhielten sich die Mengen von der Grundphalanx, den Tastballen zweiter Ordnung und der Volar- fläche wie 4:2,7 — 5 — 5,4:1,7. Nach Meissner’s (1852) Zahlen würden sich die Verhältnisse wie 4:2 gestalten (Ref.). Was die Affen betrifft, so hat man es an deren Hand mit bedeu- tenden lokalen Konzentrationen des Tastvermögens auf die Tastballen zu thun. W. Krause (Göttingen). Lucae, Die Sutura transversa squamae oceipitis. Eine ver- gleichend-anatomische Studie. Separatabdruck aus den Abhandl. der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft. Frankfurt a. M., Diesterweg. 1883. 13 S. und 4 Taf. in 4. Nach vergleichend-anatomischen und entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen erklärt der Verf. das Os interparietale für homolog dem obern, als Varietät durch das Os Incae repräsentierten Schuppen- teile des Menschen. Die Sutur zwischen Os interparietale und Hinter- hauptschuppe der Säugetiere ist mithin nicht der Sutura lambdoidea, sondern der embryonalen Sutura transversa homolog, welche (als Varietät) das erwähnte Os Incae nach hinten begrenzt. Das Auftreten des letztern ist gleich einer Hemmungsbildung zu erachten. Zu dieser Deduktion ist zu bemerken, dass das Os Incae aller- dings eine Hemmungsbildung repräsentiert, nämlich das Gesondert- bleiben des obern, niemals oder doch zum größern Teile niemals knorplig gewesenen Abschnittes der Pars squamosa oss. oceipitis (Vgl. W. Krause, Handb. der menschlichen Anatomie Bd. III 1880, S. 64), der den Deckknochen des Schädels angehört. Insofern liegt also keineswegs ein Novum vor. Ob aber das Os Incae und das Os interparietale einander homolog sind, wie bereits Gegenbaur (Lehr- buch der Anatomie des Menschen 1883. S. 164) bestimmt angegeben hat, scheint dem Ref. auch dureh die vorliegende Untersuchung nieht völlig entschieden zu sein. Es könnte sich um eine Homologie mit 348 Weiss, Zur Physiologie der Galle. der als Os Wormianum zuweilen abgetrennten und dann in der Sutura sagittalis gelegenen Spitze der Hinterhauptsschuppe handeln. Man muss erwägen, dass eine Sutura transversa am Affenembryo bis jetzt noch nicht nachgewiesen werden konnte. Ref. will hiermit aber keines- wegs die Richtigkeit oder Wahrscheinlichkeit der gegenüberstehenden Ansicht bestreiten. — Die beigegebenen Tafeln zeigen verschiedene Modifikationen des Os Incae sowie Schädel von Raubtieren, Einhufern, Nagern und von menschlichen Embryonen. W. Krause (Göttingen). A. Weiss, Zur Physiologie der Galle. Moskau 1883. (russisch). Bekanntlich enthält die Galle zwei gepaarte stickstoffhaltige Säuren, nämlich Tauro- und Glycocholsäure (bestehend aus Taurin resp. Glycocoll und Cholalsäure), welche bei verschiedenen Tieren ver- schieden verteilt sind: man nimmt im allgemeinen an, dass bei fleisch- fressenden Tieren (z. B. Hunden) die Taurocholsäure, bei Pflanzen- fressern die Glycocholsäure überwiegt. Es liegt nun die Frage nahe: welche physiologisch-chemische Bedingungen des Organismus bestim- men das Auftreten dieser oder jener Säure? Die zahlreichen, fast ausschließlich an Hunden gemachten Ver- suche des Verf. haben erstens gezeigt, dass in dieser Beziehung Ge- schlecht, Alter, Zusammensetzung und Menge der Nahrung so gut wie gar keinen Einfluss auf die gegenseitige quantitative Verteilung beider Säuren haben. Da aber nach weiteren Versuchen des Verf. fast jedes Tier im stande ist, das von außen in seinen Körper einge- führte Glyeocoll bezw. Taurin mit der Cholalsäure zu den genannten ge- paarten Säuren zusammenzubinden (synthetischer Prozess), so liegt der Grund des obenerwähnten Unterschiedes der Säurenverteilung wahrscheinlich in chemischen Eigenschaften der betreffenden Substan- zen. In dieser Beziehung spricht der Verf. die Vermutung aus, dass das Taurin eine größere Verwandtschaft zur Cholalsäure als das Glyeocoll besitzt, und dass nur erst der Ueberschuss der freigebliebenen Cholalsäure — nach ihrer Verbindung mit dem ganzen Vorrate des Taurins — mit Glyeocoll sich zu Glycocholsäure vereinigt. Die Be- stätigung dieser Meinung glaubt der Verf. in den Angaben zu finden, dass die Einführung des Glyeoeolls im Organismus keinen Einfluss auf die Verteilung beider Säuren in der Galle übt und dass z. B. beim Hunde die letztere öfters keine Glycocholsäure enthält. — Viel mehr beweisführende Bedeutung würden die Versuche mit Einverleibung des Taurins gehabt haben. Wäre die Hypothese des Verf. richtig, so sollte in diesem Falle der Gehalt der Glycocholsäure in der Galle Dembo, Gebärmutter und Cerebrospinalsystem. 349 stark herabgesetzt werden. Leider grade an diesem Punkte hat Verf. seine Arbeit abgeschlossen. Weiter haben die Versuche des Verf. wichtige Ergebnisse auch in bezug auf die Aufsaugung der Galle im Darmkanal geliefert. Er hat sich vollständig überzeugt, dass per os einverleibte Gallensäuren größtenteils und ziemlich schnell mit der Galle wieder im Darmkanal ausgeschieden werden, um teilweise dort aufs neue resorbiert zu wer- den u. s. w. (Kreislauf der Galle nach Schiff). Bringt man in den Magen eines Hundes reine Cholalsäure, so geht sie in die Galle in Form der Tauro- resp. Glyeocholsäure über. Als einen entscheidenden Beweis für das Vorhandensein des Gallekreislaufes gibt der Verf. an, dass die Galle eines Hundes, welche normaliter keine Glyeocholsäure enthält, nach Einverleibung der letztern einen bedeutenden Gehalt an solcher zeigt (Contra Socoloff). B. Danilewsky (Charkow). J. Dembo, Zur Frage über die Unabhängigkeit der Kontrak- tionen der Gebärmutter von dem Oerebrospinalnervensystem. St Petersburg 1883. (russisch). Seitdem Goltz durch seine wertvollen Beobachtungen an Hün- dinnen, welchen er die Medulla spinalis am ersten Lendenwirbel voll- ständig durchschnitten hatte, nachgewiesen hat, dass solch ein para- lysiertes Tier trotzdem nicht nur einen Begattungsakt, sondern auch einen Gebärvorgang zu vollziehen vermochte, gewann die Innervation des Uterus ganz besonderes Interesse. — Bekanntlich beeinflussen die Gemütsbewegungen (sc. Großhirn) die Kontraktionen dieses Organs während der Geburt; anderseits verlegen andere das Zentrum für die Uterus- resp. Geschlechtsthätigkeit überhaupt ins Kleinhirn. Die Be- obachtungen von Goltz beweisen entschieden, dass der untere Teil des Rückenmarks zusammen mit eignen peripherischen Nervenappa- raten der Gebärmutter mit allen den verwickelten Prozessen der Be- gattung, Schwangerschaft und Geburten in Verbindung steht. (Aehn- liche Beobachtungen als Unicum findet man auch in der medizinischen Kasuistik). — Es ist schon längst bekannt, dass die Kontraktionen des Uterus durch elektrische Reizung verschiedener Teile des Gehirns und Rückenmarks angeregt werden können und anderseits, dass die Erregung gewisser Nerven des Organs (z. B. plexus uterinus) durch die Vermittelung des Rückenmarks hemmend auf die Uteruskontrak- tionen wirkt. Nun fragt es sich, ob die Gebärmutter allein ohne Mitwirkung des Rückenmarks ihre mechanischen Leistungen zu ver- richten vermag, mit andern Worten, ob ihre sympathischen reflekto- risch-anatomischen Nervenapparate ganz selbständig zweckmäßig koor- dinierte Kontraktionen ihrer Muskelmasse veranlassen können. 350 Dembo, Gebärmutter und Cerebrospinalsystem. Die Versuche des Verf., welche er an verschiedenen Tieren zahl- reich ausführte, haben gezeigt, dass ein solches peripherisches Ner- venzentrum wirklich vorhanden ist und zwar im obern Teile der vor- dern Wand der Vagina (näher an ihrem Peritonealüberzuge). Reizt man elektrisch diese Stelle und nachher die Gebärmutter!) unmittel- bar, oder umgekehrt, so bekommt man in ersterem Falle stets viel stärkere und umfangreichere Uteruskontraktionen als von irgend einer andern Stelle des Uterus oder Vagina und, was noch wichtiger ist, im erstern Falle kontrahieren sich beide Teile (eornua uteri) gleich- zeitig |besonders deutlich beim Kaninchen|. Das letztere lässt sich sogar bei der Reizung des Cervix uteri nicht erreichen. Werden die Elektroden am rechten Rande derselben Stelle der Vagina angebracht, so zieht sich nur der rechte Uterus zusammen und umgekehrt. Diese Thatsache kann als physiologische Bestätigung für die Meinung (Owen, Chauveau) dienen, dass der Uterus des Kaninchens kein bieornis, sondern ein doppeltes Organ sei. Weiter gelang es dem Verf. nachzuweisen, dass der obenerwähnte Effekt der Reizung einer bestimmten Stelle der Vagina auch für den vom Rückenmark ganz isolierten und selbst ausgeschnittenen Uterus (Kaninchen) ebenso deutlich und sicher bleibt. Eine mikroskopische Untersuchung (Goldmethode) zeigte in der That das Vorhandensein zahlreicher Nervenzellenhaufen an der betreffenden Stelle der Vagina. Es lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, dass diese Zentra zu denjenigen Nervenapparaten der Gebärmutter zuzählen sind, welche eine selbständige ganz vom Rückenmarke unabhängige Leistungsfähigkeit derselben in gewissen Fällen zu stande bringen. In der That hat neulich Rhein (Prof. in Kiefi) in höchst interes- santer Weise festgestellt, dass nach Durchschneidung des Plexus hy- pogastrieus beiderseits beim schwangeren Kaninchen die Niederkunft ungehindert verlief, und dass selbst eine vollständige Isolation der Gebärmutter vom Cerebrospinalnervensystem (Durchschneidung der sympathischen und Sacralnerven) die Schwangerschaft und Geburt keineswegs verhindern kann. Hiermit ist die selbständige reflektorisch- automatische Thätigkeit der Nervenzentra des weiblichen Geschlechts- apparates sicher nachgewiesen. B. Danilewsky (Charkow). 4) Diese ist elektrisch erregbar sowohl bei jungfräulichen, als auch bei den Tieren, welche schon geboren haben. Bretfeld, Versuchswesen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 351 N. Bjeletzky, Physiologische Notiz über den Riesen- salamander (Oryptobranchus Japonicus Hocıv.). Aus den Arbeiten der Naturforschergesellschaft in Charkow 1882. (russisch). Bjeletzky hat an einem lebenden Oryptobranchus (1 Meter Länge, Ge- wicht 4 Kilo) mehrere Monate hindurch Beobachtungen fast ausschließlich be- züglich dessen Atmung angestellt Es ergab sich erstens, dass die Lungen- atmung des Tieres höchst mangelhaft und auch im Zustande der Ruhe ganz unregelmäßig vor sich geht. Als Beispiel möge folgende Reihe dienen: Pausen in Minuten zwischen nächstfolgenden Einatmungen: 6, 5, 12, 6, 40, 15, 3, 15, 7 u. s. w. Manchmal dauerte diese Pause sogar 1 bis 2 Stunden! Während dieser ganzen Zeit war der Kopf des Tieres unter der Wasserober- fläche (Temp. 11—12° C.). Nimmt man den Salamander aus dem Wasser her- aus, so fangen die Atembewegungen bei derselben Temperatur allmählich an, etwas häufiger zu werden. Dabei wird die Hautoberfläiche mit einer halbflüs- sigen schleimigen Masse bedeckt Außerdem konnte man die Atembewegungen beschleunigen durch leichte mechanische Reize (Reibung des Rückens mit der Hand) und durch die Steigerung der Wassertemperatur. Wird aber das Tier stark gereizt und erzürnt, so ändert sich der Rhythmus der Atembewegungen in dem Sinne, dass während der Pausen, welche dann mitunter sehr lange dauern, der Salamander im Zustande der Einatmung bleibt und erst später nach der Pause die Ausatmung erfolgt. Während einer solchen Pause verbleibt das Tier, ganz enorm vergrößert, aufgeblasen und steigt infolge dessen auf die Wasseroberfläche empor. Bei der darauf folgenden Ausatmung macht das Tier das Maul sehr weit auf. — Beim ruhig liegenden Oryptobranchus dauerte der ganze Atmungsakt (außer der Pause) etwas mehr als 14 Sekunden Diese Beobachtungen hatte der leider zu früh verstorbene Verf. teilweise auch graphisch dargestellt. Außerdem war es ihm gelungen, eine genaue Analyse der Ausatmungsgase des Salamanders zu machen. Bei einer Temperatur von 17—18° C. ergab sich, dass die ausgeatmete Luft 1.258 °/, Kohlensäure und 17,206 °/, Sauerstoff enthält. Nach einer 20 Minuten dauernden Pause enthielt dieselbe an Kohlensäure 0,932 bis 1,701 %,, an Sauerstoff 4,598 bis 3,412 %,. \ Der Quotient Vol. : fällt mithin bis 0,057! [derselbe beim Frosch minimum 0,8]. Also geht der Sauerstoffverbrauch in den Lungen des Riesensalamanders ziemlich stark vor sich. Die Lungen haben eine wichtige Bedeutung für das Tier nicht nur als ein hydrostatischer, sondern auch als ein echter Respira- tionsapparat. B. Danilewsky (Charkow). H. v. Bretfeld, Das Versuchswesen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie mit bezug auf die Landwirtschaft. 8. 264 8. 21 Holzschnitte. Berlin 1884. Julius Springer. Die Kennzeichnung des Standpunktes, welcher bei Beurteilung des Inhalts dieses Werkes einzunehmen ist, erfordert einige Vorbemerkungen. Bekanntlich nimmt unter den Wissenszweigen, welche sich im Laufe der Zeit in dem Gros der naturwissenschaftlichen Forschung ausgegliedert haben, die Anwendung auf das Gebiet der Landwirtschaft einen Platz von ganz er- 352 Bretfeld, Versuchswesen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. heblichem Umfange ein. Der Mannigfaltigkeit der Dinge, mit denen die Land- wirtschaft zu thun hat, entspricht die Mannigfaltigkeit der naturwissenschaft- lichen Sparten, welche hereingezogen werden müssen. Den Chemikern, mit deren Thätigkeit die einschlägige Forschung anhob, trat eine lange Reihe von ihrem Spezialgebiete feıner liegenden Fragen entgegen. Die ganze Richtung musste dazu drängen, aus dem Material der zu berücksichtigenden Wissens- zweige so viel wie möglich auszuscheiden und den zu bewältigenden Rumpf möglichst zu verkleinern. Trotzdem enthält dieser Rumpf immer noch Stücke, bezüglich deren durchaus nicht einzusehen ist, warum sie nicht ebensogut wie andere Abschnitte der Thätigkeit der reinen Wissenschaft zugewiesen blieben, für welche also in keiner Weise das Recht der Einbeziehung gerade in das von der sogenannten Agrikulturchemie zu pflegende Arbeitsfeld begründet wer- den kann. Die Auswahl, welche Verf. getroffen hat, liegt ganz im Geiste dieser Richtung, deren Nachteil keiner weitern Erörterung bedarf. „Die vorliegende, in rein referierendem Tone gehaltene Zusammenstellung ist nicht aus der Ab- sicht hervorgegangen, eine Pflanzenphysiologie zu schreiben. Sie ist nur ein Versuch, aus dem überreichen Material der Pflanzenphysiologie und Agrikul- turchemie in knapper, runder Form das herauszugreifen, was für diejenigen, die sich in einem bestimmten Kapitel des pflanzenphysiologischen Versuchs- wesens und ihrer Uebertragung in landwirthschaftlich praktische Fragen in- formieren wollen, momentan zur Hand sein soll.“ Die Einteilung des Stoffes ist ähnlich, wie sie in den „Jähresberichten für Agrikulturehemie* bei den einschlägigen Kreisen Beifall gefunden hat. Das Buch zerfällt in 5 Abschnitte: I. Quellungs- und Keimungsversuche. II. Atmungsversuche. III. Assimilationsversuche. IV. Verdunstungsversuche. V, Ernährungsversuche. a. Kulturversuche. b. Düngungsversuche. Abschnitt V nimmt über die Hälfte des Buches ein. Jeder Abschnitt ent- hält die Zusammenstellung zugehöriger experimenteller Arbeiten unter beson- derer Hervorhebung der Methodik. Indem wir von Einzelheiten absehen nnd auch die Prüfung der Frage, ob für eine in dieser Weise durchgeführte Zu- sammenstellung ein Bedürfnis vorlag, beiseite lassen, halten wir im Uebrigen dafür, dass das Werk einen geeigneten Führer in das bezeichnete Gebiet bil- den kann. Vielleicht trägt es dazu bei, den gerade im landwirtschaftlichen Versuchswesen sich tummelnden Dilettantismus, welcher auf diesem vielfach so wenig bebauten Gebiete die bequemste Gelegenheit zu üppigem Empor- wuchern fand, durch vermittelnde Belehrung eindämmen zu helfen. C. Kraus (Triesdorf). Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- zugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. En Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 15. August 1884. Nr. 12, Inhalt: Stahl, Zur Biologie der Myxomyceten. — Ayers, On the structure an de- velopment of the nasal rays in Condylura ceristata. — Wielowiejski, Vor- läufige Bemerkungen über die Eizelle. — Roux; Born, Ueber den Einfluss der Schwere auf die Entwickelung der Froscheier. — Bardeleben, Das Inter- medium tarsi der Säugetiere und des Menschen. — Biedermann, Einiges neuere über sekundärelektromotorische Erscheinungen an Muskeln und Nerven. — Mering, Ueber die Wirkung des Ferricyankaliums auf Blut. — Petri und Lehmann, Zur Bestimmung des Gesamtstickstoffs im Harn. E. Stahl, Zur Biologie der Myxomyceten. Bot. Zeitung 1884. Nr. 10—12. Diese sehr interessante Arbeit beschäftigt sich mit den Bewe- gungen der Plasmodien und ihrer Beeinflussung durch äußere Fak- toren. Bisher waren von letzteren nur das Licht und das Vorhanden- sein einer Wasserströmung im Substrat für die Bewegungsrichtung der Plasmodien als maßgebend erkannt worden. Baranetzki hatte nachgewiesen, dass auf Glasplatten ausgebreitete Plasmodien sich bei teilweiser Beleuchtung der ersteren nach den beschatteten Stellen zurückziehen!). Stahl konnte diese Wahrnehmung durchaus bestäti- gen, jedoch keinerlei Beziehung zwischen den beobachteten Bewe- gungen der Plasmodien und der Richtung des einfallenden Lichtes auffinden. Durch Schleicher?) war die Abhängigkeit der Bewe- gungsrichtung der Plasmodien von einem das Substrat durchziehenden Wasserstrome festgestellt und gezeigt worden, dass dieselben dem letzteren entgegenstreben. Diese Erscheinung hatte kürzlich auch Bengt Jönsson?) genauer untersucht, und als Rheotropismus 1) Influence de la lumiere sur les Plasmodia des Myxomycetes. M&m. de la Soc. des sc. nat. de Cherbourg. 1876. 2) Strasburger, Wirkung des Lichtes und der Wärme auf Schwärmsporen Jena 1878. 3) Berichte der deutschen bot. Gesellschaft. 18. Jan. 1884. 23 904 Stahl, Zur Biologie der Myxomyceten. bezeichnet. Derselbe äußert sich darin, dass die Plasmodien einer innerhalb des vollständig durchnässten Substrates vorhandenen Wasserströmung entgegen wandern. Damit ist jedoch der Einfluss der Feuchtigkeit auf die Plasmodien noch keineswegs erschöpft. Die Versuche Stahl’s lehren vielmehr, dass auch die Verteilung der Feuchtigkeit im Substrat und sogar die einseitige Berührung der Plasmodien mit Wasserdampf für die Bewegungsrichtung der letzteren nicht gleichgiltig sind. Die betreffenden Versuche wurden im Dunkel- kasten eingeleitet, um störende Einwirkungen des Lichtes auszuschließen. Im dampfgesättigten Raume breiteten sich die Plasmodien auf einer gleichmäßig durchfeuchteten Filtrierpapierunterlage allseitig strahlen- förmig aus. Brachte man sie nun mit ihrer Unterlage in trockene Umgebung, so zogen sie sich nach denjenigen Stellen hin, welche am längsten feucht blieben. Es fand also ein „Afflux der Plasmodien- masse von den auf trockenem Substrat befindlichen Strängen nach den in dieser Hinsicht besser situirten statt.“ Näherte man dem auf austrocknender Unterlage befindlichen Plasmodium von oben her einen längere Zeit feucht bleibenden Körper (z. B. einen Tropfen Gelatine) bis auf ca. 2 mm Entfernung, so erhoben sich aus dem Plasmodium senkrecht aufstrebende Aeste, deren einige bald die Gelatine berühr- ten, und erfolgte die Austrocknung des bisherigen Substrates langsam, so kroch das ganze Plasmodium mittels dieser Aeste auf die länger feucht bleibende Gelatine hinüber. Wurde nach einiger Zeit die an- fängliche Unterlage neuerdings befeuchtet, so sendete das nun auf dem Gelatinetropfen ausgebreitete Plasmodium senkrecht abstehende Aeste gegen sein früheres Substrat, und kehrte wieder auf dieses zurück. Es wird also durch Befeuchtung (mittels tropfbar flüssigen Wassers oder mittels Wasserdampfes) an Plasmodien, welche der Aus- trocknung ausgesetzt sind, die Entstehung neuer Aeste veranlasst. Diese Erscheinung eines positiven Hydrotropismus lässt sich unschwer aus dem Widerstande erklären, welcher die durch Wasser- verlust konsistenter werdende Hautschicht den im Innern der Plasmo- diumstränge stattfindenden Strömungen an den der allmählichen Aus- trocknung unterworfenen Stellen entgegensetzt, während sie an den befeuchteten ihren Wassergehalt behält oder steigert, also weicher und nachgiebiger bleibt. — Stahl vermochte aber auch einen nega- tiven Hydrotropismus bei Plasmodien zu konstatieren, und zwar ist diesem „die Entstehung der Fruchtkörper der Schleimpilze an den exponierteren Teilen des Substrates sowie auch die Senkrechtstellung der gestielten Sporangien zu ihrer Unterlage“ zuzuschreiben. Es wer- den also die positiv heliotropischen Eigenschaften, welche die Plas- modien während der größten Zeit ihres Entwicklungsganges besitzen, mit dem Herannahen der Fruktifikationsreife in ihr Gegenteil „umge- stimmt.“ Die Veränderungen, welche die Gestalt der Plasmodien bei Be- Stahl, Zur Biologie der Myxomyeeten. 355 handlung mit in Wasser löslichen Substanzen erleidet, sind schon mehrseitig beobachtet und beschrieben worden!),. Stahl suchte nun den Einfluss festzustellen, welchen derartige Körper auf die Ortsbe- wegung der Plasmodien äußern, wenn sie mit diesen in Berührung gebracht werden. Es zeigte sich, dass Kochsalz, Salpeter, Rohrzucker, Traubenzucker, Glyzerin und andere wasserentziehende Mittel abstoßend wirken, dass der nämliche Einfluss aber auch quellenden Substanzen (kohlensauerm Kali), und überhaupt sämtlichen Stoffen zukomme, wel- che, wenigstens in gewisser Konzentration, oder bei rascher Einwir- kung den Plasmodien schädlich sind. Mitunter äußert sich diese ab- stoßende Wirkung aber nur in der ersten Zeit nach erfolgter Be- rührung. Leitet man Plasmodien mittels Filtrierpapierstreifen, welche in das in einem Becherglas befindliche reine Wasser tauchen, gegen den Spiegel des letzteren und ersetzt das Wasser plötzlich dureh eine 1/,—2 J,ige Traubenzuckerlösung, so beginnen die Plasmodien, falls sie nicht etwa getödtet werden, nach rückwärts zu wandern, kehren jedoch nach einiger Zeit (oft erst nach mehreren Tagen) wieder um, und kriechen nun in gewohnter Weise dem Flüssigkeitsstrom entgegen, tauchen auch wohl völlig in die Flüssigkeit unter. Die Plasmodien akkomodieren sich also in diesem Falle der höhern Konzentration der letzteren. Ersetzt man jetzt die Traubenzuckerlösung plötzlich durch reines Wasser, so werden die Plasmodien zunächst erheblich beschädigt, ziehen sich, soweit sie nieht etwa getötet sind, aus der Flüssigkeit weit zurück, und beginnen erst nach einiger Zeit dem Spiegel jener wieder entgegenzuwandern. Dieses Akkomodationsver- mögen der Plasmodien entzieht sich zunächst jeder plausiblen Erklä- rung, und dürfte auf sehr kompliziertem „innern“ Vorgängen beruhen. — Im Gegensatz zu den schädlichen Substanzen üben Nährstoffe der Plasmodien (Loheaufguss) eine anziehende Wirkung auf die letzteren aus. Diese bewegen ihre Masse nach denjenigen Stellen ihrer Ober- fläche, wo sie die günstigsten Ernährungsbedingungen finden, eine Eigenschaft, welche der Verfasser als Trophotropismus bezeichnet. Außer den bereits namhaft gemachten Agentien äußern auch un- gleiche Erwärmung und ungleichmäßige Sauerstoffzufuhr einen Ein- fluss auf die Bewegungsrichtung der Plasmodien, insofern, als bei teilweiser Abkühlung eines Plasmodiums die im wärmeren Medium be- findliche Masse desselben auf kosten der übrigen anschwillt und neue Verzweigungen bildet, — die von der Berührung mit der freien Luft irgendwie abgeschlossenen Aeste eines nur teilweise von dieser um- gebenen Plasmodiums sich vollständig entleeren. Geotropische Eigenschaften kommen den Plasmodien nicht zu. Was man früher auf solche zurückführen wollte2), sind Wirkungen 1) Siehe Hofmeister, Pflanzenzelle, $S. 27. 2) Vgl. Rosanoff, Mö&m.dela soc. des se. nat. de Cherbourg, T. XIX. — Baranetzki, Ibidem, T. XIV. 23* 856 Ayers, Nasal rays in Condylura eristata. des Hydrotropismus, oder eigentümliche, bei gleichmäßiger Abkühlung der Plasmodien eintretende, einer Deutung schwer zugängliche Er- scheinungen, bezüglich welcher auf die Originalarbeit verwiesen wer- den muss. Bei diesem Anlass spricht Stahl die Vermutung aus, dass geotropische Eigenschaften bei den einfacheren, nicht festgewachsenen Organismen überhaupt fehlen dürften, und teilt zur Rechtfertigung dieser Anschauung die vollständig negativen Ergebnisse einiger hier- auf bezüglicher Versuche mit Euglenen und Oscillarien mit. In den Schlussbetrachtungen weist der Verfasser darauf hin, dass die nächste Ursache der beschriebenen Gestaltveränderungen der Plasmodien in der schon von de Bary angenommenen wechselnden Ausdehnung und Zusammenziehung bestimmter Stellen des peripheri- schen Plasmas zu suchen sei. Warum nun aber in einem bestimmten Falle das eine oder das andere der Fall ist, und weshalb die näm- lichen äußeren Faktoren auf verschiedene Entwickelungszustände der Plasmodien entgegengesetzt wirken, das entzieht sich gegenwärtig noch einer wahrhaft wissenschaftlichen Erklärung. — Schließlich wird die biologische Bedeutung der geschilderten Erscheinungen kurz be- leuchtet und gezeigt, wie die Plasmodien als zarte, eines jeglichen äußeren Schutzes entbehrende Organismen dennoch vermöge ihrer feinen Reaktionsfähigkeit auf äußere Einflüsse „ihre so leicht gefähr- dete Existenz zu fristen vermögen“. K. Wilhelm (Wien). On the structure and development of the nasal rays in Con- dylura cristata'). by H. Ayers in Freiburg i. B. The structure and development of the rays encircling the end of the snout in Condylura have not, so far as I am informed, been de- seribed. However, in the related genus Talpa, Eimer?) has studied the?structure of the snout of the common European mole and considers it to be a highly developed tactile organ on account of the characte- ristic nerve endings found in the numerous rounded papillae covering 1) Gegen unsern sonstigen Gebrauch und nur auf ganz besondern Wunsch des Herrn Verfassers haben wir diese Arbeit in englischer Sprache zum Abdruck gebracht und bemerken ausdrücklich, dass wir auch in Zukunft alle in fremden Sprachen geschriebenen Artikel ins Deutsche über- setzen lassen werden, wenn dem nicht eben ganz besondere Wünsche der Verfasser entgegenstehen. Die Redaktion des Biol. Centralblatts. 2) Eimer, Die Schnauze des Maulwurfs als Tastwerkzeug. Arch. für mikr. Anatomie. Bd. VII. 1871. S. 181-191 Taf. XVU. Ayers, Nasal rays in Condylura eristata. 397 the surface of the end of the nose. This flexible snout is sharply marked off from the rest of the nose by the entire lack of hair and hair follieles. In Condylura the snout is much longer than in Talpa and carries at its distal end a varying number of finger-shaped processes which bound a cup-shaped or flat terminal dise (Fig. 2) perforated on either side of its center by.the oval nostrils (ec. n.). Biest, Instead of a general distribution of the tactile papillae over the surface of the snout itself, such as occurs in Talpa, one finds them confined, for the most part, to the flexible finger-shaped processes (Fig. 2). The papillae, which are clairly visible to the unaided eye, appear, under a low magnifying power, as uniformly rounded promi- nences disposed in more or less regular rows, extending in the direction of the long axis of the ray. It is evident from the anatomical TerEhnships of the two ani- mals that Condylura is only a highly modified form of Talpa. The lengthened tail, the elongated snout with its remarkable tactile organs, together with the extended skull and the increased number of teeth are conditions indicating greater specialization; but still easily deri- vable from the more primitive talpine form. It is quite apparent that the increase in the extent of the tactile surface and its more definite localization in the case of Condylura are only expressions of the exi- stence of a higher functional activity than is possessed by the homo- logous tract in Talpa. It would be interesting to know more of the habits of Condylura in order to learn in what respects they differ from those of Talpa, 308 Ayers, Nasal rays in Condylura cristata. and by this means to ascertain the immediate causes of this remark- able sensorial adaptation. Since Talpa may be considered the more primitive form of the two, it becomes a matter of considerable inter- est to trace the development of these finger-shaped processes in Con- dylura. One would naturally expeet that in their first stages of de- velopment, they would simply resemble the rounded elevations of the papillated tactile surface of the snout of such a form as Talpa euro- pea; the parts of the snout most frequently brought in contact with foreign bodies ultimately developing the papillae to a far greater extent than the remaining portions of the surface. Fig. 2. By a gradual elongation of such elevations, to be accounted for on the principle of adaptation to environment, they would acquire the finger-like form present in Condylura. "Their arrangement on the edge of a subreniform dise receives its explanation in the fact that the nerve endings are in this manner placed in a position most advantageous for the exereise of their special function. When we trace the development of the snout in Condylura we find that the assumed method of growth is very nearly an expres- sion of what actually takes place. In the course of the development there arises an interesting complication of the simpler process, the evident meaning of which is the shortening, in point of time of the growth of the papillae, i. e. it is an economie adaptation. This modification I shall now describe. | At birth the Star-nosed Mole is nearly destitute of visible hair and the tactile bristles of the facial region have not made their ap- pearance at the surface. The snout of the young Condylura lacks all the distinetive ceharacteristies of that of the adult, and the entire body resembles that of Ta/pa much more than it does its parent. On a elose examination of the distal end of the snout ofsuch a new- born animal (Fig. 1) one can distinguish a tract of skin which covers four fifths of the eireumference of the organ (the part not specially marked off is the median ventral fifth). This dermal traet extends Ayers, Nasal rays in Condylura eristata. 399 for three millimetres toward the base of the snout and is marked off from the remaning surface by a series of furrows running parallel to the long axis of the body. A series of parallel ridges is thus formed, each ridge being bounded on either side by a furrow. At their an- terior and posterior ends these ridges pass gradually into the neigh- bouring smooth surface. By a gradual ingrowth of the bottoms of the furrows each groove is deepened and each ridge suffers a corre- spondingly increased definition of form, while at the same time the posterior end of each groove grows toward its neighbour on either side. When the grooves have all united, there is formed by their union a common groove which nearly eneircles the snout and sepa- rates the tactile from the remaining surface of that organ. Commeneing at the posterior margin of the tactile surface and advancing toward the tip of the snout, the grooves deepen and grow toward each other in their bottom portions until they finally coalesce underneath the ridges. The result of this process is the production of free, finger-shaped processes composed exclusively of ectoderm, at- tached to the anterior end of the snout in the manner already de- scribed for the adult. These processes of the ectoderm become the tactile rays of the adult. The nasal area from which the tentacular processes are formed, is not thereby denuded of skin, but remains covered by that portion of the primary surface which formed the bottoms of the grooves and which has so increased in extent, that at this stage the surface is entirely and uniformly covered by ectoderm. No traces are left either on the surface or in the corium of the extensive excision which have taken place. The prineipal details of the process are readily seen on examin- ing a section of the snout, such as is represented in Fig. 3. In this figure I have drawn, with the aid of eamera-outlines and with dia- grammatic shading, a transverse section of that part of the nose of a young Condylura indieated by ‘the line r. Fig. 1. — The following is a short account of the most important histological details of the process. The entire circumference of the section is bounded by a thin layer of epidermal cells e, beneath which all the formative pro- cesses take place. In the stage of development represented in Fig. 3. this layer only loosely covers the snout in the region of the papillae, and later is entirely cast off; but it remains in intimate con- nection with the remaining surface and functions as the true epidermal layer, as at f. The letters o. p. designate respectively the epidermis of the tentaculiferous area and that of the sense rays. The raysare imbedded in a layer of fibrous tissue which however does not entirely cover the outer surface of the ray. Sections of the ray present a erenate margin owing to their pas- sage through the numerous tactile papillae which cover the surface 360 Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. of the ray; there are three sharply marked concentrie layers of tissue to be observed in each: an outer, cornified layer of the epidermis, the deeper Malpighian layer and a central rod of eonnec- tive tissue within which the nerves and bloodvessels are imbedded. There are no traces of hair follieles, sebaceous or sweat glands to be seen on the tentacles, but they oceur in the proximal half of the tentaculiferous area, and only make their appearance on the sur- face of the snout after the tentacles have assumed their ereet eondition. At i., and Ah., are seen the hair follicles with the young hairs. The corium is an extensive layer filling all the space between the epi- dermis and the nasal cartilage. The small muscles of this part of the face appear to be entirely imbedded within this layer. Explanation of Figures. Fig. 1. 'The snout of anewborn Condylura, slightly enlarged seen obliquely from the left side. Fig. 2. Front view of the snout of a full grown animal, natural size. copied from Schintz. r. r. tactile rays. s. The smooth surface of the snout. ce. n. nostrils. Fig. 3. Transverse section of the snout represented in Fig. 1 the plane of the section passing through the region indicated by the line. a.a. = arteries. b. — ridge-like remnants of the primitive ectoderm seen in section. b. boun- dary line between Rete Malpighii and Corium. c. n. = nostrils. e.= comified layer of the epidermis. g. — cartilaginous tissue. A. — hair follicle and ac- cessory gland. k. = nasal cartilage.e m. —= nasal muscles. 2. = nerve sup- plying the mucous membrane of the nose. 0. = the future outer surface of the snout. p. = papilla. r. = tactile ray; the line points to the central con- nective tissue con, through which the bloodvessels and nerves pass. v. — vein. Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. Von Dr. von Wielowiejski in Lemberg. '!) Die interessanten Beobachtungen und Reflexionen, die in der letzten Zeit besonders auf die Reproduktionselemente höherer Tiere die Aufmerksamkeit der Biologen richteten, und die auffallenden Ent- deckungen, die im Gebiete der feinsten Molekularstrukturen lebender Gebilde von hervorragenden Mikroskopikern gemacht wurden, haben mich veranlasst, bei der Gelegenheit anderweitiger Untersuchungen auch die Frage vom Baue und chemischer Reaktion der Eizelle zu berühren. Hauptsächlich ist es der Kern des Eies, das von altersher als „Keimbläschen“ genannte, jetzt mit jedem Zellkerne des tierischen 1) Mit Genehmigung des Herın Verfassers erlauben wir uns hier zu be- merken, dass derselbe vor dem Niederschreiben dieser Arbeit keine Gelegenheit gehabt hat, die vortreffliche, kürzlich erschienene Arbeit van Beneden’s zu lesen: Recherches sur la maturation de l’oeuf, la f&condation et la division cellulaire. Paris 1883. D. Red, d. Biol. Centralbl, Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. 361 oder pflanzlichen Gewebes identifizirte Gebilde, welches ich hier be- rücksichtigen will. Nachdem die Konstanz seines Auftretens in dem weiblichen Ge- schlechtselemente allgemein und endgiltig entschieden ist, unterschei- den wir mehrere Hauptphasen in seiner Erscheinung, deren jede ganz besondere Eigentümlichkeiten aufweist. Die bläschenförmige, einen „Keimfleck“ resp. „Kerngerüst“ enthaltende und wohl zuerst bekannte Form stellen wir dem Zustand schroff gegenüber, wo das Eiplasma gar keinen Kern auf den ersten Blick zu besitzen scheint, da derselbe — wie es z. B. in der treff- lichen Arbeit Weissmann’s neuerdings geschildert wird — durch amöboide Bewegung geleitet sich zwischen die weniger durchsichtigen Dotterkörnchen verkriecht und desshalb noch vor kurzem allgemein übersehen wurde — und endlich kennen wir ihn im Stadium der Be- fruchtung, wo er wiederum ganz anders ausschaut und voraussicht- lich auch funktionirt, um die ersten Entwicklungsstadien des nunmehr werdenden neuen Individuums vorzubereiten. Die letzterwähnten, und besonders das allerletzte ist von hervor- ragenden Forschern schon so vielfach geschildert worden und ist in einigen Tierklassen so gut bekannt, dass ich es hier nicht mehr zu berühren brauche, besonders, da es grade bei den von mir unter- suchten Formen am unzugänglichsten ist — hier will ich desshalb nur das erste näher ins Auge fassen. Zur Untersuchung dienten mir hauptsächlich Arthropoden, wie Anchomenus, Carabus, Dytiscus, Musca, Lampyris, Astacus, Oniscus, Lycosa, Tegenaria, Drassus, Trombidium, aber auch Lymneus und Nephelis — alles Tiere, die ich im Laufe des Frühjahrs teils frisch in Kochsalzlösung zergliederte und ihre Ovarien beobachtete, teils auch den üblichen Härtungsmethoden unterwarf und nachher in Schnitte zerlegte. Das Ei der Spinnen und Milben enthält in jüngeren Stadien, wo es noch nicht allzu dicht mit Dotterelementen überfüllt ist — einen großen, hellen, bläschenförmigen Kern, mit deutlicher Membran und einer spärlichen Inhaltsmasse, die ich hier kurz bespreche. Wie es schon Wittich beschreibt, ist dieselbe im Centrum des Bläschens in der scheinbar wässrigen Flüssigkeit suspendirt. Im Ge- gensatz zum erwähnten Forscher, welcher dieselbe in den jüngeren Entwicklungsstadien oftmals zu vermissen angibt, habe ich dieselbe — bei meiner Untersuchungsmethode wenigstens — wo das betref- fende Organ allerdings sehr schnell in die Zusatzflüssigkeit übertra- gen wurde, immer deutlich hervortreten sehen. Es sind meistens rundliche, etwa !/,—!/;, des Kerndurchmessers messende Gebilde, die aber in betreff ihrer Form wie auch ihrer Größe in verschiedenen Eiern oft — und ohne erklärliche Ursache — sich ziemlich bedeu- tend von einander unterscheiden. Die Konsistenz dieser „Kernkör- perchen“ ist auch ziemlich verschieden. Oft erscheinen sie sehr fein 362 Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. granuliert und wie mit winzigen Tröpfchen einer helleren Flüssigkeit erfüllt — meist aber, und hauptsächlich bei älteren Eiern nimmt fast das ganze Innere eines solchen Gebildes eine einzige, große Vakuole ein an der ich aber trotz besonders darauf gerichteter Aufmerk- samkeit (freilich aber ohne Anwendung eines heizbaren Objekttisches, der sonst für unser Objekt einen anormalen Zustand leicht herbei- führen könnte), kein Pulsieren, wie es Balbiani!) beschreibt, und überhaupt keine Veränderung wahrnehmen konnte. Außer diesem größeren Körper treffen wir in unseren Kernen noch eine ganze Anzahl kleiner Kügelchen, von ebenso unregelmäßig rundlicher Form und ungleichmäßiger Verteilung im Kernraume. Es waren besonders jüngere, noch des reichlich sich bei der Reifung an- sammelnden Dottermateriales entbehrende Eier, die diese letzterwähnten Körnchen in größerer Anzahl, zuweilen bis dreißig enthielten. In fast reifen Eiern, die man erst durch Essigsäure aufhellen muss, scheinen sie vollständig zu fehlen. Dieses große, vakuolenhaltige Kernkörperehen scheint indessen im Spinnenei nicht allgemein vorzukommen. Schon bei derselben Gattung (Drassus), und viel konstanter bei Lycosa treffen wir anstatt dessen ein central im Keimbläschen gelegenes Häufchen kleiner Körn- chen, die oft nicht einmal die Größe der kleineren Nebenkeimflecken erreichen. Der übrige Kerninhalt ist die bekannte helle wasserklare Flüssigkeit, die dem Kerne, besonders bei Lycosa, einen so eigen- tümlichen Charakter verleiht, dass man sich in der That oft verleitet fühlen würde, denselben für eine „Vakuole“ zu halten, in der die geformten Elemente suspendiert sind. Besonders bei längerem Lie- gen in Kochsalzlösung fällt diese Eigenschaft in die Augen — die Täuschung aber, die ich andeutete, kann hier schon in denselben Präparaten nachgewiesen werden, da man sich leicht überzeugt, dass ein solcher, aus der Zelle herausgedrückter Kern in der Zusatzflüssig- keit nicht sofort zerfließt, sondern als ein wahres „Plasma“ (Kern- plasma Brass) sich einige Zeit behauptet und bei Essigsäurezusatz tritt in demselben entweder eine sehr feine, dichte Granulirung, die ich ohne weiteres mit dem bekannten Blutgerinnsel der Insekten ver- gleiche, ohne über ihre näheren Bauverhältnisse was angeben zu können — oder (wie bei Lycosa) ein feines Gerüst, welches die ein- zelnen, vorher erwähnten Körnchen mit einander verbindet. Wie sind nun die beschriebenen Gebilde chemisch und physio- logisch zu definieren? Dass wir hier keine chemische Formel im Auge haben — ist wohl an sich ganz klar — über den wahren Che- mismus wissen wir ja schlechterdings nichts: wohl aber glaube ich hier mittels eines Tinktionsreaktivs doch eine physikalisch - chemische 1) Balbiani, Comptes rend. I. 58 u. 61. Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. 363 Eigentümlichkeit aufgefunden zu haben, die den Eikern von anderen Zellkernen unterscheiden wird. Es ist das Verhalten gegen eine essigsaure Methylgrünlösung, die von Mayzel und Strassburger in die Zellforschung eingeführt sich seither sehr oft sehr dankbar bewährt hat und besonders durch die augenblickliche reine Kernfärbung immer mehr Anhänger unter den Forschern findet. Wie es nun zur Genüge bekannt ist, färbt sich der Teil der „Kernsubstanz“, welcher als „Chromatin“ oder „Nucleo- mikrosomensubstanz“ unterschieden wird, tief grün. Die schönen Chromatinbänder der Speicheldrüsen und anderer vegetativen Organe des Chironomus wurden ja unlängst von Balbiani und Korschelt (Zool. Anz. Nr. 164, 165 u. 166) vermittelst dieser Behandlung so schön und eingehend beschrieben. Ich hatte selbst in meiner mehr- jährigen Praxis auch manches schöne Präparat mit ihrer Hilfe her- gestellt — hier aber, bei der Behandlung der Eier mit dieser Flüssig- keit, habe ich auffailenderweise grade keinen Erfolg erzielt. Ob- wohl recht überzeugt, dass die Eizelle von der Färbeflüssigkeit sicher- lich durchdrungen war, da dieselbe überhaupt leicht durchdringt und die betreffenden Objekte in beliebigem anderen Farbstoffe in kürzester Zeit zu imprägniren waren — habe ich vergeblich unendliche male das Experiment wiederholen können — ohne die erwartete Wirkung zu erzielen. Die im Keimbläschen enthaltenen geformten Gebilde — und jetzt wage ich mich von allen erwähnten Tierformen, und wohl wahr- scheinlich auch von jeder Eizelle überhaupt, zu reden — sind in der essigsauren, alle sonstigen Chromatingebilde des Zellkerns so deutlich färbenden Methylgrünlösung absolut, oder fast absolut!), nicht tingierbar. Da mir der Einwand gegen die Richtigkeit dieser Reak- tion ziemlich nahe lag, dass vielleicht das Protoplasma der Eizelle den Farbstoff zum Kerne nicht durchdringen ließ, trachtete ich die- selbe auf die Weise zu vollführen, dass ich den Kern aus der Eizelle isolirte, was bei einigen Eiern, besonders bei Schnecken, sehr leicht geschieht — das Resultat aber war nicht zu ändern. Neben intensiv gefärbten Kernen anderer Gewebe fand ich auf den ersten Blick das große, typisch gebaute und leicht erkennbare Keimbläschen, an wel- chem keine Spur von Färbung zu bemerken war. Ueber das Protoplasma des Spinneneies wäre noch etwas hinzu- zufügen. Dasselbe ist nicht homogen, wie es einmal galt. Die Dif- ferenzierung, die in der Eizelle von van Bendden in Form der „masse me&dullaire, couche interm&diaire et couche eor- 1) Ich habe bisweilen, namentlich bei Trombidium bemerkt, dass der Keim- fleck eine ganz schwache, im Gegensatz zur typischen Methylgrünreaktion mehr gelbliche, vielleicht eine ganz verschwindende grüne Nüanzirung zei- gende Färbung aufweist — welches Verhalten von dem des „Chromatins“ doch außerordentlich leicht zu unterscheiden ist, 364 Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. ticale du vitellus“ (siehe: Flemming „Zelle“ S. 30) und welche neuerdings von Brass (s. Biol. Studien) mit so großem Nachdruck hervorgehoben wird — habe ich auch im Spinnenei in manchen Fällen nachweisen können. Hauptsächlich an älteren, schon Dottermaterial enthaltenden Eiern von Drassus habe ich an frischen Objekten mittels schiefer Beleuchtung eine helle Schicht um den Kern entdecken können, die von jeder, beim Absterben der Zellen so allgemein durch Kontraktion des Plasmas vom Kerne weg erfolgenden hellen Zone zu unterscheiden war, da sie meistens in unregelmäßige, oft ganz weit gegen diePeripherie hin sich erstreckende breite Fortsätze sich auszog und sogar unter den Augen des Beobachters ihre Konturenänderte. Auffallenderweise ist mir dasselbe bei den Eiern von Lycosa nicht gelungen. Bekanntlich enthält die Eizelle dieser Gattung noch einen sogenannten Dotterkern, der sich durch besondere, schon ganz genau geschilderte Eigenschaften (eoncentrischen Bau und granulirtes Centrum) auszeichnet. Inwieweit auf der Peripherie dieses letzteren eine gewisse Differenzierung des Protoplasmas zu entdecken nicht schwer kommt, da sich um dieses Centrum eine große Menge kleiner dunkler Körnchen gruppieren, — desto schwieriger lässt sich etwas ähnliches von der Umgebung-des Hauptkernes behaupten. Bei meinen Untersuchungsmitteln wenigstens, wobei ich allerdings ohne den neuen Beleuchtungsapparat arbeiten musste — ist mir das Auffinden einer besonderen „Nährschieht“ um diesen Kern nicht möglich gewesen. Dass die erwähnte um den Dotterkern liegende, in das umgebende Protoplasma ganz allmählich übergehende Körnerschicht eine solche vertreten könnte, scheint mir auch nicht sehr plausibel. Bei Drassus finden wir, wie erwähnt, eine stark entwickelte und mit glänzenden Körnern erfüllte Schicht, die sich mit dem Namen „Nahrungsschicht“ wohl belegen lässt. In jungen Tieren ist sie ganz hell und verhältnismäßig spärlich entwickelt. Nun aber beginnen sich in ihr zuerst ganz feine, dunklere Körnchen anzusammeln und man bemerkt dabei, dass diese Anhäufung von Körnchen nicht gleichmäßig in der ganzen Linie eines in gewisser Entfernung vom Kerne ge- dachten Ringes erfolgt, sondern zuerst einseitig, in einer Hälfte des Eies eine dunkle, halbmondförmige Insel entsteht, und sich erst nach- her auf den ganzen Umfang der Nahrungsschicht ausbreitet. Dabei scheinen sich diese Körnchen zu vergrößern, so dass sie schon bei nicht allzu starker Vergrößerung gezeichnet werden können und rund- liche homogene Körperchen darstellen. Eine typische Eigentümlich- keit ihres Verhaltens gegen Essigsäure ist hier noch zu notieren: sie werden nämlich durch ihre Einwirkung gelöst und verschwinden voll- ständig, so dass man jetzt durch die hyalin gewordene Protoplasma- masse den Kern aufs deutlichste sehen kann. Außerdem finden wir noch auf der Peripherie des Eies eine ganz helle, zuweilen radiär gestreifte, ziemlich dünne, doch deutlich hervortretende Schichte, Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. 365 welche sich wohl als „eouche corticale du vitellus“ benennen lässt und das „Athmungsplasma“ des Eies darstellen kann ?). Das Ei der Krebse scheint mancherlei Unterschiede je nach der Art darzubieten, deren ich hier nur einige hervorhebe. So un- terscheidet sich das Keimbläschen des Mauerassel von dem des Fluss- krebses auffallend dadurch, dass es meist einen einzigen, großen Keimfleck besitzt, mit dem sich ein feines, aber ziemlich dicht- maschiges, allerdings erst nach Säurezusatz auftretendes Gerüst ver- bindet, den ganzen Raum des großen Kernes erfüllend — während im Keimbläschen des Flusskrebses durchweg eine größere Anzahl, meist an der Peripherie liegende Keimflecke vorhanden sind, die von einander unabhängig stehen und durch keinen leicht nachweisbaren Fadenkomplex verbunden werden, sondern in einer mit Karmin färb- baren, feinkörnig gerinnenden, den Kern ausfüllenden Masse einge- bettet liegen. Ich brauche hier nicht zu wiederholen, dass die Me- thylgrünreaktion dasselbe negative Resultat sowohl in betreff der Kernkörperchen wie auch des bei Oniscus beschriebenen Kerngerüstes liefert. — Ich gehe jetzt zur Behandlung des Insekteneies über. Die Eiröhren dieser Tierklasse werden bekanntlich in zwei Ka- tegorien geschieden. Die eine enthält solche Ovarien, deren Eizellen mit besonderen zur Ernährung dienenden sogenannten Dotterbildungs- zellen alternieren — die andere solche, deren Eier direkt durch das Eierstocksepithel hindurch aus dem Blute ihre Nahrung und Dotter- material beziehen. Ich habe augenblicklich meine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die erste Kategorie gerichtet, da in ihnen die Ge- gensätze zwischen einer Eizelle resp. deren Kerne und einer Gewebs- zelle („Somatischen Zelle“) besonders auffallend sich dokumentieren. Die Ovarien der Fliege sind in der epochemachenden Arbeit Weissmann’s so genau abgebildet worden, dass ich über ihre äußere Form nichts hinzuzufügen brauche. Das Ei fällt schon in seinen ersten Jugendstadien in die Augen. Es ist oft schon von Anfang an dunkel und dicht von Dottermaterial erfüllt, durch welches nur un- deutlich das kleine Keimbläschen mit seinem Keimfleck hindurch- schimmert. Die Konsistenz der dasselbe ernährenden, in derselben Kammer eingeschlossenen Zellen ist dagegen sehr abweichend. Ihr Protoplasma ist hell und scheinbar homogen ohne jede Körner — und der kolossale Kern nimmt in demselben so viel Raum ein, dass es bisweilen (frisch in Kochsalzlösung untersucht) die ganze Zelle auszufüllen scheint, nur eine ganz dünne peripherische Protoplasma- schicht zurücklassend. Seine Form ist ausnahmslos kugelrund und der Inhalt so wasserklar und homogen, dass man in ihm sicherlich 1) NB. wenn man darunter das zuerst mit dem Sauerstoff in Kontakt tretende Plasma meint. 366 Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. mit den besten optischen Mitteln im frischen Zustande keine Differen- zierung, und vor allem kein Kernkörperchen, welches, wie bekamnt, an lebenden Objekten immer zu sehen ist, entdeeken könnte. Bei weiterer Beobachtung traten aber die Bestandteile seines In- haltes hervor, auf die bekannte, bei den Speicheldrüsen und Fett- körperzellen von Chironomus Tipula, Musca und mehreren anderen Insekten auch von mir studierte Art aus dem hellen „Kernsafte“ herauskrystallisierend t). Es ist — wie es aus Reagentienpräparaten deutlich hervorgeht, ein dichtes Fasergeflecht, bei Musca domestica aus einem ziemlich dicken, bei M. vomitoria aus einem ganz dünnen Faden bestehend ?), das unentwirrbar verknäuelt, vielleicht in sich selbst zurückläuft, da es kein Kernkörperchen gibt, in welches es sich einpflanzen könnte. Ganz andere Eigenschaften bietet uns im Gegenteil das Keim- bläschen des in demselben Keimfache liegenden Eies. Von den er- wähnten Kernen mehrfach in Größe übertroffen zeichnet es sich schon am Leben auffallend durch seinen verhältnismäßig großen, unregel- mäßig rundlichen Keimfleck aus, durch den es leicht aufgefunden werden kann. Der durchgreifendste Unterschied besteht hier aber wiederum in dem Verhalten gegen unsere Methylgrünlösung. Nach einer Minute ihrer Einwirkung auf das frische Organ bemerken wir, dass in den Kernen der Dotterbildungszelle das ganze Chromatin ausgeschieden und intensiv grün gefärbt ist, wobei es sich ein wenig von der Peri- pherie des Kernes zurückgezogen zeigt. Das Keimbläschen im Ge- genteil zeigt sich sehr wenig verändert. Außer dem Keimfleck sehen wir noch eine Anzahl kleiner Knötchen, die im Kernraume zerstreut liegen, und außerdem bemerken wir, dass das Kernplasma in ein ganz feinkörniges Gerinnsel umgewandelt worden ist, in dem ebenso- wenig wie in den gröberen Bestandteilen des Keimbläschens eine Spur von etwaiger Färbung wahrzunehmen ist, obwohl wir aus Vor- sicht die Kerne durch gelinde Zerquetschung der schon etwas im Reagens gehärteten Eiröhre blosgelegt haben. Bei den Käfern konstatieren wir außer den erwähnten noch einige andere Eigentümlichkeiten der uns beschäftigenden Organe, die ich kurz hervorhebe. Bei Anchomenus, Carabus, Dytiscus u. a. besteht die Eiröhre aus in einander übergehenden, von der Spitze weg sich vergrößernden 4) Ich gebrauche den Ausdruck nur ganz provisorisch, da ich im vorlie- genden Falle weder für, noch gegen die Präformierung der beschriebenen Strukturverhältnisse ganz entscheidende Beweise besitze. 2) Ob der hier angegebene Unterschied zwischen den beiden Fliegenarten als allgemein zu betrachten sei — ist mir hier aus Mangel an größerer An- zahl Beobachtungen, unmöglich definitiv zu entscheiden — es ist sehr möglich, dass hier individuelle und funktionelle Unterschiede die Hauptrolle spielen. Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. 567 Keimfächern, deren jedes wiederum in seiner vorderen, dem Kopfe des Tieres zugekehrten Hälfte eine Anzahl, bisweilen vielleicht bis 20 Dotterbildungszellen — in der hinteren dagegen eine Eizelle ent- hält. Das Ovarialepithel ist so beschaffen, dass es in der erster- wähnten Kammer flach und endothelartig, in der das Ei enthaltenden dagegen aus ziemlich hohen und schmalen Zylinderzellen besteht, die, wie bekannt, unter andern das Chorion des Eies zu liefern die Auf- gabe haben, ohne Zweifel aber auch die Ernährung vermitteln. Anchomenus bietet uns in betreff der Kerne unserer Zellen ganz ähnliche Verhältnisse dar, wie wir dieselben bei Musca geschildert haben; nur in Hinsicht des Hervortretens der Chromatinmasse in den Dotterbildungszellen ersterer lässt sich bemerken, dass dieselbe zuerst in Form loser und von einander unabhängiger, beistrichähnlicher Stäbehen in die Erscheinung tritt, welche letzteren sich nachher etwas verlängernd (?) miteinander verbinden und ein oftmals im Zentrum leeres, kugliges, von der Kernperipherie durch etwaige Kontraktion ziemlich weit abstehendes Geflecht bilden, in dem ebenfalls keine Kernkörperchen, ja überhaupt keine Verdiekungen zu entdecken sind. Diese letzteren treten unterdessen in Mehrzahl in den Dotterbildungs- kernen anderer Formen unzweideutig auf — ich sah sie in konser- vierten Eiröhren von Dytiscus und Stratiomys recht deutlich — im letzteren Falle konnte ich sogar an ihnen die für das Kernkörperchen charakteristische negative Reaktion auf Methylgrünlösung mit Sicher- heit konstatieren. An Anchomenus konnte ich außerdem noch eine, bei den Museci- den — wie es die Arbeit Weissmann’s beweist — schwer zu er- kennende Thatsache konstatieren, welche die Kenntnis des Schicksals der Dotterbildungszellen betrifft. Wie schon der Name anzudeuten scheint, wurden diese Gebilde so dargestellt, als sollten sie im Laufe der Reifung der Eizelle mit derselben verschmelzen und in ihr auf diese Weise aufgehen. In der That ist das Verschwinden der erwähnten Zellen aus den Keimfächern der Fliege schwer anders zu erklären, wenn man sich an dieses Objekt allein hält. Die Betrachtung der Eiröhren des von uns hier dargestellten Käfers beweist aber bald etwas ganz anderes. Im Hintergrunde der älteren und der Reife schon ziemlich nahe stehenden Keimfächer bemerkt man nämlich, dass von der Vorder- seite der Eiröhre her ein von der Eizelle noch nieht eingenommener, kleiner Winkel übrig bleibt, in dem ungefähr die gleiche Anzahl Zellen zu finden sind, wie es in anderen, mehr gegen die Spitze der Eiröhre liegenden Keimfächern der Fall ist, nur dass diese Zellen verhältnismäßig außerordentlich stark verkleinert sind und sichtbar im Zustande einer fortschreitenden Schwindsucht sich befinden, ohne indessen ihre Grenzen, resp. ihre Kerne einzubüßen. Diese letzteren, wohl immer vorhanden, scheinen oft keine sehr deutlichen Konturen 368 Wielowiejski, Vorläuflge Bemerkungen über die Eizelle. zu besitzen, und die Methylgrünfärbung, die an ihnen auch nicht zu vermissen ist, bringt nur sehr unsicher konturierte, offenbar ge- schrumpfte und degenerierte Klumpen von nicht allzu diehter Kon- sistenz zur Ansicht. Dasselbe Ve nalten dieser Zellen habe ich auch schon im vorigen Winter an einigen konservierten Exemplaren von Corethra plumicornis beobachtet, wobei ich sogar einen noch viel weiter vorgerückten Rückbildungszustand derselben vor Augen hatte, da sie nieht mehr im von der Eizelle schon gänzlich eingenommenen Keimfache sich befanden, sondern als kleine Zellen in dem das Ei von der Eiröhrenspitze her umfassenden Zylinderepithel eingekeilt anzutreffen waren, wo sie noch durch ihre Größe ganz wenig sich von den einzelnen Zylinderzellen unterscheiden ließen. Wie aus obigen Aus- einandersetzungen hervorgeht, haben wir es in dem Keimbläschen des Insekteneies hauptsächlich nur mit Kernkörperchen und einer hellen, dazwischen gelegenen, feinkörnig wie Blutflüssigkeit gerinnenden Masse zu thun gehabt, die wir als Kernplasma charakterisiert haben. Unterdessen kann man darin, obwohl nicht überall, eine gerüst- förmig differenzierte Substanz erkennen, die sich als feine, von der Peripherie gegen den Keimfleck verlaufende und vielleicht miteinander hie und da anastomosierende Fädchen präsentiert, den von Flem- ming beschriebenen Kerngerüsten anderer Eizellen entsprechend. Mittels Essigsäureeinwirkung ist es mir schon mehrere Male ge- lungen, an Exemplaren von der Gattung Elater im Keimbläschen diese Struktureigentümlichkeit zur Ansicht zu bringen, wobei aller- dings immer das zwischen einzelnen zarten Fädchen körnig gerinnende Kernplasma sich bei der Beobachtung als störend erwies. — Den Bau der Eizelle selber will ich hier auch im Vorübergehen nach einigen Beobachtungen schildern. Wenn man eine frisch herausgenommene Eiröhre von Anchomenus in Kochsalzlösung betrachtet, erblickt man, dass in der nächsten Um- gegend des hellen, dem unteren Eipole gewöhnlich angenäherten Keimbläschens eine Anhäufung dunkler Körnchen sich befindet, die aber nicht gleichmäßig dasselbe umfasst, sondern in zwei der Längs- achse des Eies parallelen Linie liegenden Stellen konzentriert ist, die Seitenteile fast ganz frei lassend. Die dunklen Körnchen, von denen hier die Rede ist, sind außerordentlich klein und stoßen in dieser Anhäufung so unmittelbar an die Peripherie des Keimbläschens an, dass es hier ganz unmöglich ist, eine „helle Zone“, eine besondere „Nährschicht“ zwischen ihnen und dem ersteren zu konstatieren. Wenn diese Schichte in der That vorhanden sein sollte, so würden sie durchaus in ihr liegen müssen und ihr die Eigenschaft der Ho- mogeneität streitbar machen. (Siehe Brass, Biologische Studien 8. 18). Ob diese Schichte hier als eine „masse medullaire“ in der That vorhanden ist, kann ich vorläufig für Anchomenus nicht sicher be- haupten. Mit Sicherheit gelingt es mir dagegen bei Dytiscus, wo Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. 369 dieselbe an gefärbten und in Kanadabalsam aufgehellten Objekten mit solcher Deutlichkeit und Schärfe hervortritt, dass sie ganz un- möglich zu übersehen ist. Um das länglich ovale, ziemlich in der Mitte gelegene Keim- bläschen, in welehem auffallend unregelmäßige, ja fast schollenartige und verschiedenartig zerbröckelte Gebilde von verschiedener Größe zahlreich auftreten, sehen wir eine breite, feingekörnte, oder vielleicht eher als aus feinen, dem ovalen Kontur des Keimbläschens parallel verlaufenden kurzen, etwas verflochtenen Fäserchen zusammenge- setzten Schichte, die sich dem oberen Eipole zu etwas verdünnt und mit einer Spitze bis etwa zur Peripherie der nach außen hin nächst- folgenden Plasmazone hinwegreicht. Dem Kerne eng anliegend ver- hält sie sich in manchem Präparate gegen die äußere Schicht in dieser Hinsicht recht eigentümlich: die Härtung und Konservierung hat auf sie nämlich den Einfluss, dass sie sich stärker als die an- dere zusammenzieht und an irgend einer Stelle, gewöhnlich am un- teren Eipole von derselben abhebt, einen großen, halbmondförmigen, scharf begrenzten Spalt zurücklassend, welcher sich wesentlich mit ähnlichen in der unmittelbaren Umgebung des Kernes selber bei solcher Behandlung entstehenden Hohlräumen, „Kontraktionszonen“ vergleichen lässt. Von der erwähnten äußeren Plasmazone lässt sich nicht viel sagen. Auf den erwähnten Präparaten tritt sie als ein breiter die zentrale Plasmamasse umgebender, ihr an Breite nicht nachstehender Ring, dessen Substanz fast homogen erscheint und höchstens ganz winzig feine, wie es scheint gleichmäßig zerstreute Körnchen enthält. Aber von den dunklen Körnerhaufen will ich noch ein Wort sagen, die wir bei der Behandlung der zentralen Schicht verlassen haben. Welche Bedeutung ist denselben zuzuschreiben? Wie jede die Bedeutung der Zellbestandteile behandelnde Frage ist sie höchstens nur annähernd zu entscheiden. Die Unbeständigkeit der Form und der Ausdehnung dieser Haufen beweist — wie es scheint — zur Ge- nüge, dass wir es mit keinem „Organ“ der Zelle hier zu thun haben. Die Kleinheit der sie zusammensetzenden Moleküle scheint gegen die Annahme zu sprechen, dass sie das Dottermaterial direkt darstellen sollte; die unmittelbare Nähe des Kernes deutet aber entschieden darauf hin, dass sie mit der Ernährung des Eies in nahem Zusam- menhange steht, besonders da ich solehe Anhäufungen feiner, dunkler Moleküle in unmittelbarer Nähe des Kernes sonst auch anderswo an- getroffen habe, gerade in Organen, die einen regen Stoffwechsel im Augenblick der Untersuchung darbieten. So finden wir in den Zellen des Chylusmagens bei Chironomus-Larven während der Resorption der im Darme vorbereiteten Nährstoffe ganz ähnliche Anhäufungen kleiner dünner Körnchen, die dem Zellkerne dieht anliegend, nach außen zu gerichtet sind und als optischer Ausdruck eines Stoffaus- 24 370 Wielowiejski, Vorläufige Bemerkungen über die Eizelle. tausches gelten können — und bei Betrachtung des Körperinhaltes einer in voller Histolyse sich befindenden Fliegenpuppe finden wir darin eine Anzahl Fettkörperzellen, die zu einer im Larvenstadium fettlosen Sorte gehören und ein ganz helles Protoplasma enthalten — jetzt aber in der unmittelbaren Umgebung des Zellkerns, meist ein- seitig, dunkle Anhäufungen ganz feiner Körnchen aufweisen. Indessen bei Berücksichtigung der Ergebnisse der Untersuchungen von Bal- biani und Will (Zool. Anz. Nr. 167, 168) wird man wohl vielleicht dieses Verhalten des Eiplasmas als Ausdruck einer vom Keimbläschen ausgehenden Dotterbildung ansehen können. — Wir werfen einen Rückblick auf einige Eigentümlichkeiten der Eizelle, die wir in den obigen Zeilen berührt haben. Das Auffallendste ist wohl der Umstand, dass die geformten Be- standteile des Eikernes sich mit Methylgrün nicht färben lassen. Es ist wohl vielleicht eine chemische Eigentümlichkeit des un- befruchteten resp. vor der Ausstoßung der Richtungskörper befind- lichen Eier, welche dieselben nicht nur von fast allen Gewebszellen unterscheidet, sondern auch den späteren, an ihm nach der erfolgten Reife eintretenden Stadien entgegenstellt, welche, wie bekannt, an allen Furchungskernen und an denselben zu bemerkenden karyoly- tyschen Figuren die schönsten Mephylgrüntinktionen darbieten. Sollte nun diese Eigenschaft in der That ein wichtiges Merkmal der Kerneinschlüsse der Eizelle ausmachen — so würde man sich doch berechtigt fühlen, das Wort „Keimbläschen“ doch nicht kurz- weg in Wegfall kommen zu lassen, — und — was wichtiger — man würde doch einen chemischen Unterschied zwischen der „reproduk- tiven“ und der „somatischen“ Zelle destierischen Körpers gefunden haben. Unterdessen scheint es doch einige Kategorien von Zellen zu seben — und dazu gehören vielleicht alle, deren Kern ein Kernkör- perchen mit strahlig gegen dasselbe gerichteten oder gar fehlenden Gerüstfasern (Nervenzellen, Gregarinen), wo der Kerninhalt ebenso- wenig die Methylgrünreaktion zeigt. Diese Reaktion führt uns zuletzt noch andeutungsweise auf einen Vergleich, der wohl kaum mehr zu gelten braucht, als der letztge- nannte als Einwand gegen eine chemische Unterscheidung der Eizelle zu betrachtende Umstand, dennoch aber in Erwägung zu ziehen ist. In vielen tierischen Kernen finden wir inmitten der sich färbenden Chromatinmasse noch ein oder mehrere Gebilde, welche die Methyl- grünfärbung nieht annehmen und als „Kernkörperchen“ gelten. Ist nun vielleicht der Inhalt des Keimbläschens aufgrund ähnlicher Reak- tion mit der letzterwähnten Substanz zu identifizieren ? Ist es hier über- haupt am Platze, vom „Kernkörperehen“ und „Chromatin“ anstatt „Keimfleck“ zu reden? — Alles Fragen, die vorläufig offen stehen. « Roux; Born, Beiträge zur embryonalen Entwickelungsmechanik. It W.Roux, Beiträge zur embryonalen Entwickelungsmechanik. 2. Ueber die Entwickelung der Froscheier bei Aufhebung der richtenden Wirkung der Schwere. Breslauer Aerztl. Zeitschr. 1884. Nr. 6. G. Born, Ueber den Einfluss der Schwere auf das Froschei. Ebenda, Nr. 8. Durch die Abhandlung Pflüger’s „Ueber den Einfluss der Schwer- kraft auf die Teilung der Zellen und die Entwickelung des Embryo“, über welche vor kurzem in diesem Blatte referiert wurde (Biol. Cen- tralblatt Bd. III. S. 596), sind Roux und Born zu weiteren Unter- suchungen über diesen Gegenstand angeregt worden, deren Resultate unsere Leser um so mehr interessieren werden, als die Schlussfolge- rungen, zu denen Pflüger gelangt war, dadurch wesentlich modifiziert werden. Die beiden Forscher haben die Aufgabe in sehr verschiedener Weise angegriffen, stehen indess insofern auf dem gleichen Boden, als sie im Gegensatz zu Pflüger, der „ein mit dem Reiz des Ge- heimnisvollen der Wirkungsweise umgebenes, nach seiner Meinung alle Zellteilungen überhaupt beeinflussendes Prinzip der Wirkung der Schwerkraft einführt“ (Roux), sich die Frage vorlegen, welcher Art man sich diese Einwirkung der Schwere vorzustellen habe. Beide gchen von der schon ältern Annahme aus, dass die eigentümliche Erscheinung der Aufrichtung des schwarzen Eipoles bedingt sei durch das geringere spezifische Gewicht der schwarzen Eimasse gegenüber dem der weißen. Zwar schien dem die Angabe Pflüger’s entgegen- zustehen, dass „die unbefruchteten Eier, in Wasser geworfen, auf immer die Lage behalten, welche sie einmal angewiesen erhielten.“ Allein die Beobachtungen sowohl Roux’s als auch Born’s geraten mit dieser Behauptung in Widerspruch. Beide konstatieren überein- stimmend, dass auch bei den unbefruchteten Eiern die charakteri- stische Aufrichtung der Eiachse erfolgt, nur weit langsamer als bei den befruchteten, nämlich statt in wenigen Minuten erstnach einer oder mehreren Stunden. Roux überzeugte sich außerdem, dass selbst durch Kochen getötete Eier, ja sogar unreife Eierstockseier sich in solcher Weise drehten, wenn er sie in eine Flüssigkeit von solchem spezifischen Gewicht brachte, dass sie darin schwammen. Ja „die Ungleichheit des spezifischen Gewichts zeigte nicht bloß das ganze Ei, sondern auch Stücke, welche parallel der Eiachse aus dem Ei herausgeschnitten waren.“ Im besondern hat sich nun aber Roux die Aufgabe gestellt zu ermitteln, welchen Einfluss die Aufhebung der richtenden Wirkung der Schwere auf die Entwickelung des Eies haben würde. „Wenn die Entwiekelung nur in dem obersten Meridian erfolgen kann, wo soll sie stattfinden, wenn es keinen solehen gibt, wenn in jedem fol- 24* 32 Roux; Born, Beiträge zur embryonalen Entwickelungsmechanik. enden Moment ein anderer Meridian der oberste ist, wenn das Ge- bilde also fortwährend gedreht wird? Wenn ferner die Schwerkraft nicht bloß eine das ungleich spezifisch schwere Material ordnende Wirkung hat, sondern eine die Entwickelung veranlassende differen- zierende Wirkung ausübt, was soll geschehen, sofern die Schwerkraft auch eine andere Kraft mehr oder minder aufgehoben oder gar über- kompensiert wird?“ Es galt also, auf die sich entwickelnden Eier eine Kraft einwirken zu lassen, durch welche die Wirkung der Schwere aufgehoben werden konnte, und dies konnte keine andere sein als die Zentrifugalkraft. Roux brachte daher die Eier an einem Zentri- fugalapparat an, bestehend aus einem kleinen Wasserrad, das geeig- net war, eine Zentrifugalkraft von fast der doppelten Stärke der Schwerkraft hervorzubringen. Das Resultat dieses Versuches war, dass sich die Eier „innerhalb der äußerlich fixierten Gallerthülle nieht mehr mit dem weißen Pole nach unten, sondern mit dem weißen zen- trifugal einstellten.“ Bei Versuchen aber, in denen die Umdrehungs- geschwindigkeit so weit vermindert war, dass die Zentrifugalkraft be- deutend schwächer war als die Schwerkraft, behielten die Eier wäh- rend der Umdrehung diejenige Achsenstellung, die ihnen im Anfang des Versuches erteilt war. Interessant ist das Ergebnis eines andern Versuches, in welehem dem Zentrifugalapparat eine Gestalt, ähnlich einer russischen Schaukel gegeben wurde: je ein Häufchen von Eiern wurde in einen kleinen Wagen gebracht, der an dem Rade an einer immer horizontal bleibenden Achse angehängt war. Bei allen diesen Eiern, auch bei den nach Pflüger’s Vorschrift innerhalb der Gallert- hülle fixierten, fiel die Furchungsachse mit der Eiachse zusammen, „teilten sich die schwarzen, jetzt weder oberen noch unteren Zellen rascher als die weißen und befand sich der Urmund normaler weise am Rande der weißen und schwarzen Hemisphäre.“ Die Eier entwickelten sich, mit einem Wort, in ganz normaler Weise. Roux’s Schluss lautet danach: „Pflüger’s Auffassung von der Wirkung der Sehwerkraft auf die embryonale Entwiekelung ist nicht richtig, im Gegenteil ist die Schwerkraft nicht unerlässlich nötig für die Ent- wiekelung, ihr kommt keine notwendige richtende und die Differen- zierung veranlassende Wirkung zu“, und diesem gibt er, da auch die Wirkung anderer äußerer Kräfte wie Licht, Wärme, Erdmagnetismus ausgeschlossen sind, folgenden verallgemeinerten Ausdruck: „Die for- male Entwickelung des Froscheies bedarf keiner richtenden und ge- staltenden Einwirkung von außen; das befruchtete Ei trägt und pro- duziert alle zur normalen Entwiekelung nötigen gestaltenden Kräfte in sich selber: die formale Entwickelung des befruchteten Eiesistein Prozessvollkommener Selbstdifferenzierung.“ Born’s Untersuchung hat einen ganz andern Charakter: sie wen- det sich der morphologischen Seite der Frage zu und geht darauf aus, die unter dem Einfluss der Zwangslagerung im Innern des Eies Roux; Born, Beiträge zur embryonalen Entwickelungsmechanik. 373 sich abspielenden Vorgänge zu erforschen. Es war Born aufgefallen, dass Pflüger die Erscheinungen der Kernteilung gar nicht berück- sichtigt hatte |wie ja in unserem Referat über Pflüger’s Ab- handlung bereits auf die Notwendigkeit hingewiesen worden ist, das Verhalten des sich teilenden Kerns ins Auge zu fassen]. Es sei zu- nächst erwähnt, dass das Material, an dem Born seine Beobachtun- gen angestellt hat, ein anderes war als das von Pflüger benutzte, nämlich Eier von Rana fusca. Hier ist die Ausdehnung des hellen Abschnittes immer bedeutend geringer als bei den von Pflüger un- tersuchten Eiern von Bana esculenta und Bombinator igneus, der dunkle Abschnitt sehr stark pigmentiert. Was nun die Beobachtungen an diesen Eiern anbetrifft, so ist daraus in erster Linie hervorzuheben, dass bei befruchteten Eiern, welche „in Zwangslage so aufgestellt waren, dass das helle Feld grade oder auch etwas schräge nach oben sah, wenn überhaupt Entwickelung eintrat, das helle Feld seine ur- sprüngliche Stellung nicht beibehielt, sondern sich so weit verschob, dass es ganz oder zum größern oder kleinern Teil unter den Aequa- tor herabgetaucht war, wenn die erste Furche erschien.“ Diese „tritt nun in der That meist an der jeweilig höchsten Stelle des Eies zu- erst auf, doch nicht ausnahmslos, mitunter schneidet dieselbe tiefer hindurch, und dann steht Bisweilen die Ebene derselben nicht einmal senkrecht.“ (Pflüger hatte gefunden, dass Eier, die mit dem hellen Pole grade nach oben aufgesetzt waren, sich gar nicht furchten). Schon die Beobachtung des lebenden Eies zeigte Born, dass diese Verschiebung wesentlich nieht durch eine Drehung des ganzen Eies innerhalb seiner Eihüllen verursacht wird, wie es Pflüger beschrie- ben hat, sondern durch Vorgänge, die sich in der Substanz des Eies abspielen. An die Stelle des weißen Feldes tritt nicht die schwarze Rinde, sondern ein grauer Fleck. Dieser kommt, wie die Untersuch- ung des in Schnitte zerlegten Eies lehrte, auf folgende Weise zu stande. An der Stelle, wo ursprünglich das weiße Feld lag, bleibt an der Oberfläche eine dünne Schicht weißer Substanz liegen und un- ter dieser zieht eine Lage dunkler Substanz hin, so dass hierdurch das Bild eines grauen Fleckes entsteht. Unter der höchsten Stelle des Eies aber findet sich der Kern, der wahrscheinlich noch leichter ist als die pigmentierte Substanz und in dieser bis ziemlich nahe an die Rinde hinaufgestiegen ist. Bisweilen kommt es vor, dass er auf dem Wege dorthin schon so weit in der Teilung fortgeschritten ist, dass er auf das Ei zu wirken beginnt; „das sind dann die Fälle, in denen die erste Furche nicht durch die höchste Stelle des Eies hin- durchgeht, ja mitunter ausgeprägte Schieflage zeigt.“ Das Resultat auch dieser Beobachtungen ist, dass es „sich nieht um eine allgemein anzunehmende Einwirkung der Schwere auf sich teilende Zellen han- delt, sondern um indirekte Einwirkungen der Schwere, die dieselbe, vermöge der eigentümlichen Anordnung und Beschaffenheit der ver- 374 Bardeleben, Das Intermedium tarsi der Säugetiere und des Menschen. schieden spezifisch schweren Eibestandteile, unter Umständen an dem sich entwickelnden Froschei hervorzurufen vermag.“ J. W. Spengel (Bremen). Das Intermedium tarsi der Säugetiere und des Menschen. Man war bisher allgemein der Ansicht, dass von den typischen Fußwurzelknochen niederer Wirbeltiere bei den Säugetieren einer, das Intermedium, verloren gegangen, oder vielmehr mit seinem Nach- bar, dem Tibiale, untrennbar zum Astragalus oder Talus verschmolzen sei. Vor zehn Jahren noch hatte man für die Handwurzel des Men- schen betreffs des Centrale ähnliches angenommen; man war der Meinung gewesen, dieser noch bei den meisten Affen typisch getrennt vorkommende Knochen sei dem Menschen vollständig „abhanden“ gekommen. Bekanntlich wies nun Rosenberg im Jahre 1875 nach, dass das Centrale beim menschlichen Embryo als getrennter Knorpel angelegt ist, um erst später zu verschwinden. In manchen Fällen persistiert dies Carpuselement aber und stellt dann eine ebenso seltene wie interessante Varietät dar (W. Gruber). Nach neueren embryologi- schen Untersuchungen (Leboueg) verliert sich aber überhaupt die Anlage der Centrale carpi niemals ganz, sondern es ist später noch in einem Teile seines Nachbars, des Radiale (Naviculare), nachzu- weisen. Mit Recht sagt Wiedersheim in seinem Lehrbuche der vergleicheuden Anatomie (Jena 1882, S. 197) von der Rosenberg’schen Entdeekung: „Es ist dies eine der Thatsachen, welche auf den dem Wirbeltierkörper zu grunde liegenden einheitlichen Organisationsplan gerade hinsichtlich des Menschen das hellste Licht werfen und der Nachweis des Os centrale im Carpus des menschlichen Embryos ist einer der größten Triumphe, welche die auf dem Boden der Descen- denz stehende Morphologie in den letzten Jahren errungen hat.“ Wenn es nun dem Verfasser dieser Zeilen gelungen ist, das nicht nur beim Menschen, sondern überhaupt innerhalb der ganzen Säuge- tierreihe bisher unbekannte, noch von Gegenbaur („Carpus und Tarsus“) vergeblich gesuchte Intermedium tarsi beim Menschen und Säugetieren nachzuweisen, so dürfte diese Thatsache wohl auch für weitere Kreise der biologischen Forschung von Interesse sein und ein Referat der bisher hierüber erschienenen Mitteilungen des Verfassers an dieser Stelle angemessen erscheinen. Bei niederen Vertebraten, nämlich bei urodelen Amphibien und bei manchen Reptilien liegt zwischen den distalen Enden von Tibia und Fibula, nach den beiden Seiten an das Tibiale und Fibulare, di- stalwärts an das Centrale tarsi grenzend, das Intermedium des Tarsus, an Größe seinen Nachbarn mindestens gleich kommend. Bei anderen Bardeleben, Das Intermedium tarsi der Säugetiere und des Menschen. 375 Reptilien und Vögeln ist der Knochen reduziert oder in die Bildung besonderer Knochen hereinbezogen, großenteils, wie angegeben wird, nicht einmal mehr embryonal nachweisbar. Es ist dies eine von den Thatsachen, welche die abseitige Stellung der Sauropsida (Reptilien und Vögel), von dem geraden Stammbaume (Urodelen-Säuger) illu- striert. Wenn somit schon bei ziemlich niedrig stehenden Wir- beltieren (anure Amphibien, Reptilien, Vögel) das Intermedium fehlt, so lag es gewiss nahe, auch für Säugetiere seine Existenz auszu- schließen oder doch stark zu bezweifeln, und mögen gerade die eben erwähnten vergleichend-anatomischen Thatsachen die Forscher abge- halten haben, bei Säugetieren und besonders bei dem höchsten der- selben, dem Menschen, danach zu suchen. Aber wie der Mensch zwar in der geistigen, in der Gehirnentwickelung, in der Ausbildung der Sprache u. a. sich weit über die übrigen Säuge- und Wirbeltiere er- hebt, so sehr wurzelt er noch mit andern Systemen und Organen in primitiver Organisation, erfreut sich — und das sind gerade die „Wur- zeln seiner Kraft“, die Aussicht auf eine unabsehbar vor uns liegende gesicherte Zukunft des Menschengeschlechtes — gerade in hervorragen- dem Maße noch nicht der Reduktion anheimgefallener Organe, wie im Skeletsysteme (Schädel, Hand, Fuß). Während sein Gehirn sich immer mehr von dem der andern Geschöpfe entfernt, bleibt sein auf der Erde wandelnder Fuß in sehr ursprünglicher Bildung bestehen! Um nun in kurzen Worten das Ergebnis der hier in Rede stehen- den Untersuchungen des Verfassers zusammenzufassen, so wurde nach- gewiesen: I) das Intermedium tarsi ist beiniederen Säugetieren (Beuteltieren) ein selbständiger Fußwurzelknochen. II) Beimensehlichen Embryonen wird dasIntermedium tarsi als getrennter Knorpel angelegt, bleibt jedoch nur eine kurze Zeit selbständig, indem es sich mit dem Ti- biale zum Astragalus vereinigt, dessen hinteren (proxi- malen) Fortsatz es vorstellt. III) Das Intermedium tarsi kommt beim erwachsenen Menschen gelegentlich als selbständiger Knochen vor. I. Ein gut entwickeltes, an das Verhalten bei urodelen Amphi- bien erinnerndes Intermedium tarsi besitzen die meisten Beuteltiere. Verf. untersuchte 30 Spezies derselben und fand ein knöchernes, iso- liertes, zwischen den distalen Enden von Tibia und Fibula einer-, dem Tibiale andererseits gelegenes Intermedium bei folgenden Genera und Spezies: Phalangista vulpina, maculata; Phascolomys Wombat, latifrons, Phascolaretos einereus, Didelphys eanerivora, marsupialis, aurita, Azarae, virginiana, Opossum; Chironectes variegatus; Dasyurus Maugey, viverrinus; Metachirus quica, erassicaudatus; Mikrodelphys brachyura, sorex; Phascogale minima. Das knöcherne Intermedium ist absolut und relativ verschieden 376 Bardeleben, Das Intermedium tarsi der Säugetiere und des Menschen. groß, von Teilen eines Millimeters bis zu einem Centimeter (Wombat). Es steht mittels eines Bandapparates mit den Nachbarknochen in Verbindung und artikuliert mit Tibiale, Fibula und Tibia entweder direkt oder vermittelst eines einfachen oder doppelten Meniscus. Bei der Reduktion des knöchernen Intermedium persistiert ein bei ver- schiedenen Arten sehr verschieden entwickelter Meniscusapparat. Be- sonders auf der fibularen Seite, zwischen Fibula und Tibiale, stark entwickelt, bleibt hier der Meniscus, in lateralwärts konkavem Bogen das distale Ende des Fibula umkreisend, lange erhalten. Die vordere Anheftung des Meniscus erfolgt an das Tibiale oder Fibulare (Calea- neus). Der Bandapparat zwischen Fibula und Calcaneus (oder auch Tibiale) ist der Cartilago triquetra der Handwurzel homolog. Bei einigen Individuen der oben genannten Spezies war ein knöchernes Intermedium nicht zu finden. Solche individuelle oder Altersverschie- denheiten sind bei Organen, welche in der Reduktion begriffen sind, bekannt. Auch bei nahe verwandten Spezies zeigten sich Differenzen der Art. So vermisste Verf. ein knöchernes Intermedium z. B. bei Didelphys brachyura, während bei sechs anderen Spezies von Di- delphys (s. 0.) ein solches vorhanden war. Es handelt sich in sol- chen Fällen zunächst um eine histologische Reduktion (Knorpel oder Bindegewebe statt Knochen). Bei zwei andern fünfzehigen Beutlern Thylaeinus eynocephalus und Thylacis nasuta besteht ein Meniscus- apparat an der Stelle des Intermedium. Bei denjenigen Beuteltieren schließlich, bei denen Zehen und Mittelfuß rückgängige Veränderungen erleiden, kommt ein knöchernes Intermedium nieht mehr zur Ausbil- dung, während ein Meniscus gewöhnlich noch persistiert. Hierher gehören Perameles, Halmaturus, Hypsiprymnus. Bei Monotremen, die man allgemein als die niedersten Säugetiere ansieht, existiert, wenig- stens im erwachsenen Zustande, kein getrenntes Intermedium tarsi. Dagegen ist der Astragalus durch ein schräg von unten-außen nach innen-oben aufsteigende Spalte an der Rückseite unvollständig in zwei Teile (Tibiale, Intermedium) getrennt. Aehnlich verhält es sich bei Edentaten, wie Xenurus und Tatusia; bei Manis verläuft diese Furche quer. — Das isolierte knöcherne Intermedium der Beuteltiere hat eine pyramidale oder dreieckige Form und hat Verf. es deshalb, um einen Namen für das Homologon des Lunatum der Handwurzel zu haben, das Os trigonum genannt, ein Name, der noch beim Menschen (s. u.) seine Berechtigung hat. II. Bei menschlichen Embryonen des 2. Monats liegt zwischen den distalen Enden der beiden Unterschenkelknorpel (Tibia und Fi- bula) ein relativ großer, gegen seine Nachbarschaft, auch gegen das Tibiale deutlich sich abhebender Knorpel. Derselbe hat die Form eines mit der Spitze proximalwärts, mit der Basis distalwärts gerich- teten etwas spitzwinkligen Dreiecks. Der Knorpel sieht dem knöcher- nen Intermedium erwachsener Beuteltiere ebenso wie dem Knorpel Bardeleben, Das Intermedium tarsi der Säugetiere und des Menschen. 977 junger Urodelen sehr ähnlich. Ein Zweifel daran, dass bei mensch- lichen Embryonen das Intermedium in typischer Weise knorpelig an- gelegt ist, dürfte kaum möglich sein. Später findet mit der Drehung des Fußes aus der ursprünglichen, mit der Unterschenkelebene zu- sammenfallenden Ebene.um eine Querachse im Fußgelenke eine Ver- schiebung des Intermedium und seiner Nachbarschaft gegenüber dem Unterschenkel statt. Das mit dem Tibiale sich vereinigende, den pro- ximalen Teil oder Fortsatz des nunmehr als Astragalus zu bezeich- nenden Knorpels bildende Intermedium entfernt sich aus der Gegend zwischen den distalen Enden von Tibia und Fibula, um ebenso wie der Caleaneus, besonders dessen dem Pisiforme carpi homologer Fort- satz, nach hinten aus der Fußwurzel hervorzutreten. — Der hintere Teil des Astragalus bleibt noch lange nach der Geburt in großer Aus- dehnung knorpelig. Eventuell tritt nun hier ein besonderer Knochen- kern auf, der die Bildung eines mehr oder weniger distinkten Knöchel- chens, eines Trigonum oder Lunatum tarsi (s. u.) vermitteln kann. Ill. Gewöhnlich verschmilzt beim Menschen das Intermedium mit dem Tibiale zum Astragalus. Es kann aber die frühere (embryo- nale und phylogenetische) Trennung sich andeutungsweise (Naht) oder deutlicher, als Furche erhalten, ja es kann das Intermedium oder Trigonum einen besondern dreieckig-halbmondförmigen kleinen Kno- chen darstellen. Deutliche Hinweise auf eine früher bestandene Tren- nung fand Verf. in den Sammlungen von Jena, Berlin und Freiburg i. B. unter ca. 300 Exemplaren durchschnittlich in einem Viertel bis Fünftel der Fälle. Interessant ist, dass in Freiburg etwa ein Drittel, in Jena ein Sechstel, an den Rassenskeletten in Berlin fast die Hälfte der Astragali die Trennungsspuren zeigten. Wie oft das isolierte Trigonum vorkommt, kann Verf. noch nicht genau angeben, emige Male auf Hundert aber jedenfalls. Es ist das, da der Knochen bei der Mazeration gewöhnlich verloren geht oder nicht wiedererkannt wird, schweranzugeben. (Uebrigenshaben schon StiedaundLuschka früher auf das Vorkommen dieses Knöchelchens hingewiesen, ohne indess ihn als Intermedium anzusprechen. Abgebildet hat ihn Al- brecht im zoolog. Anzeiger 1883 Nr. 145). Der Knochen oder der ihn repräsentierende hintere Fortsatz des Talus vervollständigt die untere Gelenkfläche des Astragalus für den Calcaneus. Als Fortsatz des Sprungbeins pflegt er stark, manchmal haken- oder herzohrähnlich, zu prominieren. Stets setzt sich hier das Ligamentum fibulare tali posti- cum an. Auch am Fersenbein (Calcaneus, Fibulare) kann man hinter der großen eigentlichen Gelenkfläche für den Talus s. s., durch eine schwache Leiste oder Firste getrennt, eine halbmondförmige oder halb- ovale, manchmal fast abgerundet-dreieckige kleine Gelenkfläche für das Trigonum oder den Talusfortsatz bemerken. Von allgemeinen Folgerungen hebt Verf. noch hervor: Die Homo- logie zwischen dem Tarsus der höheren (Säugetiere) und niederen 378 Biedermann, Sekundärelektromotorische Erscheinungen an Muskeln u. Nerven. (Urodelen) Wirbeltiere ist jetzt eine vollständige geworden, ebenso diejenige zwischen Tarsus und Carpus der Säugetiere incl. des Menschen. Wir erhalten nämlich folgende Vergleichung: Carpus Tarsus niedere Säuger höhere Säuger |) „ Naviculare — Radiale, Tibiale — Tibiale tibialer (vord.) - (z.größten Teil) Teil des 2 Lunatum — Intermedium -—— Intermedium s. fibularer (hint.) S Trigonum Teil des!) < Triquetrum — Ulnare, Fibulare — Calcaneus (excl. Tuberositas) Pisiforme — 6. Strahl — Tuberositas calcanei Teild. Navieulare. — Centrale — Naviculare. Aus der Thatsache, dass die elf aus Amerika stammenden Ar- ten mit einer zweifelhaften Ausnahme sämtlich das Intermedium be- sitzen, ferner alle fünfzehig sind und eine Wirbelsäulenlänge (von At- las bis zum hinteren Beekenende) von höchstens 32 cm haben, ist Verf. geneigt, den Schluss zu ziehen, dass nicht Australien oder Asien, sondern Amerika die Heimat der Beuteltiere und der Säugetiere über- haupt ist. In Australien finden sich die großen Formen der Beutler mit reduziertem Metatarsus und ohne knöchernes Intermedium. Karl Bardeleben (Jena). Einiges neuere über sekundär-elektromotorische Erschei- nungen an Muskeln und Nerven. E. Hering, Ueber Veränderungen des elektromotorischen Verhaltens der Muskeln infolge elektrischer Reizung. (Nach Untersuchungen von Dr. E. He- ring und Dr. W. Biedermann.) Wiener akadem. Sitzungsber. III. Abt. Nov.-Heft. Jahrg. 1883. — E. Hering, Ueber du Bois-Reymond’s Un- tersuchung der sekundär-elektromotorischen Erscheinungen am Muskel. Wiener akadem. Sitzungsber. IIi. Abt. Nov.-Heft. Jahrg. 1883. — L. Herman, Ucber sogenannte sekundär-elektromotorische Erscheinungen an Muskeln und Nerven. Pflüger’s Archiv Bd. XXXII. Seit dem Erscheinen von du Bois-Reymond’s Abhandlung über die sekundär-elektromotorischen Erscheinungen an Muskeln, Nerven und elektrischen Organen, welche in dieser Zeitschrift bereits Besprechung fand ?), sind mehrere Arbeiten publiziert worden, die eine gänzlich verschiedene Auffassung der diesbezüglichen Thatsachen an- bahnen und für die Untersuchung der elektrischen Erregungsgesetze neue Wege eröffnen. Du Bois-Reymond kam bekanntlich auf- grund seiner Versuche zu dem Schlusse, dass die ganze von einem 1) event, (Varietät) getrennt bleibendes Trigonum s. Intermedium. 2) IN.NBE IESZI NET: Biedermann, Sekundärelektromotorische Erscheinungen an Muskeln u. Nerven. 379 elektrischen Strom durchflossene Muskel- oder Nervenstrecke in einen veränderten Zustand gerät d. i. polarisiert wird. Dementspre- chend soll nach Oeffinung des Stromes jeder beliebige Teil der inter- polaren Strecke, welcher zwischen zwei mit der Bussole verbundenen Elektroden liegt, einen Polarisationsstrom zeigen, der je nach der Dichte und Dauer des primären Stromes diesem bald entgegengesetzt (negativ), bald gleichgerichtet (positiv) ist. Bleibt die Länge der ab- geleiteten Strecke dieselbe, so ist es nach du Bois gleichgiltig, von welchem Teil der interpolaren Strecke man den Polarisationsstrom ableitet und würde sich derselbe demnach, ob er nun positiv oder negativ ist, im allgemeinen analog den negativen Polarisationsströmen eines mit verdünnter Schwefelsäure getränkten Kohlezylinders ver- halten, weshalb auch du Bois Reymond eine „innere Polarisation“ der ganzen interpolaren Strecke annimmt. Gleichwohl bestehen, selbst wenn man von der positiven Polarisierbarkeit der Muskeln, Nerven und elektrischen Organe absieht, zwischen der negativen Po- larisation dieser tierischen Teile, wie sie du Bois aufgrund seiner Versuche annimmt, und rein physikalischer innerer Polarisation we- sentliche Unterschiede. Hering zeigte nun, dass von einer innern positiven oder nega- tiven Polarisation längsdurchströmter Muskeln im Sinne du Bois’ zunächst überhaupt nicht die Rede sein könne, indem der wesentliche Sitz der durch den Reizstrom bedingten elektromotorischen Verän- derungen diejenigen Stellen der kontraktilen Substanz sind, an welchen der Strom ein- oder austritt, so dass die nahe Beziehung, welche, wie später zu erörtern sein wird, zwischen diesen Erscheinungen und der polaren Erregung durch den Strom besteht, unverkennbar her- vortritt. Es kann gegenwärtig als über jeden Zweifel sichergestellt be- trachtet werden, dass sowohl die Schließungs- wie auch die Oeft- nungserregung von Muskeln und Nerven ausschließlich polare Wir- kungen des Stromes sind, dass dieser demnach seine Angrifispunkte auf die irritable Substanz nur an den Ein- und Austrittsstellen hat. Wenn dem aber so ist und wenn anderseits, was ebenso feststeht, jede Veränderung der chemischen Thätigkeit in irgend einem Teile der Muskel- oder Nervenfaser (sei sie nun durch Absterben, Erregung oder sonst irgendwie verursacht), die allgemeine Bedingung für das Auftreten elektromotorischer Wirkungen ist, so lässt sich von vorn- herein erwarten, dass bei Längsdurchströmung eines paralellfaserigen Muskels die an der physiologischen Kathode und Anode voraussicht- lich eintretende Alterierung des Chemismus der kontraktilen Substanz zu Entstehung elektrischer Spannungsdifferenzen führen dürfte, welche sich verraten müssten, wenn das eine oder andere alterierte Muskel- ende mit einer Stelle der im übrigen unverändert gebliebenen Muskel- oberfläche ableitend verbunden würde. Die Resultate, zu welchen 380 Biedermann, Sekundärelektromotorische Erscheinungen an Muskeln u. Nerven. Hering durch derartige Versuche am M. sartorius des Frosches ge- langte, entsprachen in der That durchaus dieser Voraussetzung. Wird dieser Muskel bei mäßiger Spannung fixiert und von den beiderseits belassenen Knochenstümpfen her durchströmt, so zeigt sich bei Ableitung von dem einen oder andern Sehnenende und einem Punkte der Längsoberfläche der vor der Durchströmung gemessene Muskelstrom nach der Oeffnung des Reizstromes wesentlich verändert und je nach der Richtung, Stärke und Dauer des letztern und Stärke und Richtung des anfänglichen Muskelstromes vermehrt, vermindert, sanz verschwunden oder umgekehrt. „Hat man den Muskelstrom zuvor kompensiert, so erhält man den positiven oder negativen Zu- wüchsen des Muskelstromes entsprechende „Polarisationsströme“, welche positiv oder negativ d. i. dem Reizstrom gleich oder entgegen- gesetzt gerichtet sein können.“ Da dieselben ihre wesentliche Quelle an den anodischen und kathodischen Stellen der Muskelsubstanz haben, so unterscheidet Hering eine anodische und kathodische Polarisation. Die erstere kann je nach Stärke und Dauer des Reiz- stromes sowohl positiv als negativ sein, die letztere ist am Muskel stets negativ. Sehr schwache Ströme geben am frischen Muskel, so- ferne sich nur das anodische Sehnenende und ein etwa der Mitte ent- sprechender Punkt der Längsoberfläche im Bussolkreise befinden, bei kurzer Schließungsdauer stets einen negativen Polarisationsstrom. Mit stärkeren Reizströmen erhält man dagegen bei nicht allzu kurzer Sehließungsdauer immer nur positive Polarisation, die um so stärker wird, je stärkere Ströme man anwendet und schließlich selbst die stärkste negativ anodische Polarisation bei weitem übertrifft. Sehr starke Ströme geben selbst bei möglichst kurzer Schließungszeit so- fort positive Polarisation, während schwächere bei kurzer Schließungs- zeit noch negative oder doppelsinnige (erst negativ, dann positiv) Polarisation und erst nach längerem Geschlossenbleiben rein positive Polarisation geben. Ganz analog den starken Strömen bei kürzester Schließungsdauer verhalten sich auch Induktionsströme, indem sie nur positive, anodische Polarisation geben. Alle diese Polarisationserscheinungen fehlen voll- ständig oder treten nur spurweise auf, wenn beide ab- leitende Bussolelektroden der Längsoberfläche des Mus- kels anliegen, ohne dem einen oder andern Muskelende zu nahe zu kommen. Da, wie Herman gezeigt hat, die erregte Muskelsubstanz sich in bezug auf die ruhende negativ verhält, so kann es, wenn man die Bedingungen und das Verhalten der Oeffnungserregung des Muskels berücksichtigt, nicht zweifelhaft sein, dass die positiv anodische Po- larisation als Ausdruck derselben zu gelten hat, indem „der durch die Veränderungen der anodischen Stellen der kontrak- tilen Substanz bedingte positive Polarisationsstrom ein Biedermann, Sekundärelektromotorische Erscheinungen an Muskeln u. Nerven. 581 sogenannter Aktionsstrom ist, erzeugt durch eine von der Anode ausgehende Oeffnungserregung, ein Aktions- strom, der sich allerdings wesentlich anders verhält, als die nach Momentanreizen auftretenden Aktionsströme.“ In dieser Beziehung ist insbesondere die lange Dauer der Nega- tivität der anodischen Stellen bemerkenswert, die sich jedoch leicht aus dem Umstande erklärt, dass die Oeffnung eines Kettenstromes grade wie die Schließung unter Umständen zu einer lang andauern- den Erregung (Oeffnungsdauerkontraktion) des Muskels führt. Die- selbe klingt allmählich ab, indem sie sich mehr und mehr auf die anodischen Stellen des Muskels zurückzieht. Aber auch dann, wenn es, wie bei Anwendung schwächerer oder kurz dauernder stärkerer Ströme, nicht zu einer siehtbaren Oeffnungsdauerkontraktion oder nicht einmal zu einer Oeffnungszuckung kommt, steht nichts im Wege, den beobachteten positiven Polarisationsstrom als den Ausdruck einer einige Zeit andauernden Oeffnungserregung anzusehen, da sich ein geringer Grad von Kontraktion überhaupt nur schwer oder gar nicht nachweisen lässt, insbesondere wenn sich dieselbe auf die unmittel- bare Nähe der anodischen oder kathodischen Muskelstellen beschränkt. Hermann weicht in seiner Auffassung der positiv anodischen Polarisation insoferne von Hering’s Anschauung ab, als er ausgehend von der Annahme eines interpolaren Elektrotonus den Oeffnungs- aktionsstrom in der ganzen anelektrotonischen Muskelstrecke, die sich unter Umständen bis in die Nähe der Kathode erstrecken könne, entstehen lässt. Dementsprechend gibt Hermann auch an, dass am Nerven, wo bei Anwendung starker Ströme der Anelektrotonus fast bis an die Kathode reicht, die positive Polarisation stets und gleich stark hervortrete, mochte die Ableitung (der interpolaren Strecke) möglichst nahe der Anode oder möglichst nahe der Kathode stattfinden. Wenden wir uns nun zur kathodischen Polarisation, so wurde schon oben erwähnt, dass dieselbe am quergestreiften Muskel bisher immer nur negativ gefunden wurde. Sie wird bei Ableitung des durehströmten Sartorius vom kathodischen Sehnenende und der Mus- kelmitte und bei Anwendung sehr schwacher Ströme erst nach einer Schließungszeit von mehreren Sekunden merklich und nimmt stetig zu bei Steigerung der Stromstärke und Schließungszeit. Vergleicht man sie mit den positiv anodischen Polarisationen, welche man bei derselben Stärke des Reizstromes und derselben Stromesdauer eben- falls am gleichen Muskelende erhält, so sieht man die letzteren bald viel stärker werden als die ersteren. „Bei sehr starken Strömen und langer Schließungsdauer kann die negative kathodische Polarisation so stark werden, wie beiläufig der ebenfalls abterminale Muskelstrom, welcher sich zeigt, wenn man bei unveränderter Lage der Bussolelek- troden das betreffende Ende des Muskels abgetötet hat. Induktions- ströme gaben ebenfalls nur negative kathodische Polarisation, welche 382 Biedermann, Sekundärelektromotorische Erscheinungen an Muskeln u. Nerven. aber wesentlich schwächer war, als die positive anodische Polarisa- tion, wie sie von gleich starken Induktionsströmen an demselben Mus- kelende bewirkt wurde.“ „Das allgemeine Ergebnis ist also, dass mit wachsender Stärke und Dauer des Reizstromes die kathodische Muskelgegend zunehmend negativer im Vergleich mit der Muskelmitte wird.“ Würde es sich diesfalls um eine der physikalischen inneren Polarisation gleichwertige Erscheinung handeln, so müsste, wie schon früher erwähnt wurde, der negative Polarisationsstrom bei beliebiger Ableitung innerhalb der interpolaren Strecke in annähernd gleicher Stärke hervortreten, was jedoch, wie Hering zeigte, niemals der Fall ist. Vielmehr wurde, wenn die beiden Bussolelektroden an der Grenze zwischen dem obern und mittlern und zwischen dem mitt- leren und untern Dritteil des Sartorius angelegt worden waren, während der Reizstrom wie früher durch die Knochen zugeleitet wurde, entweder gar kein Polarisationsstrom beobachtet oder es war im Vergleich zu der anodischen und kathodischen Polarisation so geringfügig, dass man ihn füglich vernachlässigen durfte. Die relativ schwachen Wirkungen, welche man auf der interpolaren Streeke bei Anwendung sehr starker Ströme und langer Schließungszeit zu beobachten Ge- legenheit hat, lassen sich hinreichend bei Berücksichtigung des Um- standes erklären, dass die polaren Stellen des Muskels niemals ausschließlich auf die Muskelenden beschränkt sind, was unter anderem schon dadurch bedingt wird, dass der Sartorius nicht selten kurze Fasern enthält, die im Verlauf des Muskels endigen beziehungsweise beginnen. Anderseits bedingt selbstverständlich das Auftreten der Schließungs- und Oefinungsdauerkontraktion Ungleiehartigkeit der einzelnen Teile der interpolaren Strecke. Es liegt daher vorläufig kein genügender Anlass vor, eine innere Polarisation der kontraktilen Substanz im Sinne du Bois’ anzunehmen. In schlagendster Weise wird endlich die Tbatsache, dass die se- kundärelektromotorischen Erscheinungen rein polare Wirkungen des Stromes darstellen, durch den Umstand bewiesen, dass Abtötung der anodischen beziehungsweise kathodischen Muskelstellen, das Zustande- kommen sowohl positiv anodischer, wie auch negativ kathodischer Polarisation in ganz gleicher Weise zu hindern vermag, wie nach den Beobachtungen des Ref.!) die Oeffnungs- und Schließungserregung. Der negative undinsbesondereder positive Polarisations- strom istalso geknüpft an die Integrität der kathodischen beziehungsweise anodischen Stellen der erregbaren Sub- stanz. Hermann hebt dies nur mit Rücksicht auf den positiv anodi- schen Polarisationsstrom an Muskeln und Nerven hervor und bezeich- net denselben daher allein als „irritativen Nachstrom“ im Gegensatz zu dem „von wirklicher Polarisation herrührenden“ negativen Nach- strom. Er lässt den letztern auf der ganzen interpolaren Strecke und a un Mering, Ueber die Wirkung des Ferrieyankaliums auf Blut. 385 nach partieller Durchströmung auch in den extrapolaren Strecken in- folge einer Polarisation entstehen, die er für gleichwertig hält mit jenen Polarisationserscheinungen, welche man an einem von einem Elektrolyten umhüllten polarisierbaren Draht beobachtet, dessen Hülle ein Strom zugeleitet wird. Er findet die Erscheinungen an derartigen (Kernleiter-) Modellen in Uebereinstimmung mit den an Muskeln und Nerven sowohl interpolar als auch extrapolar zu beobachtenden Po- larisationserscheinungen, indem der „polarisatorische Nachstrom“ er- sternfalls dem polarisierenden Strome gegensinnig, letzternfalls aber gleichsinnig sei. Dass du Bois-Reymond bei semen Versuchen zu gänzlich ab- weichenden Resultaten gelangte, ist wohl hauptsächlich dem Umstande zuzuschreiben, dass er sich zweier Muskeln bediente, deren einer gänzlich, der andere wenigstens teilweise von einer sehnigen Inskrip- tion durchsetzt wird. Leitet man hier von 2 Punkten der interpolaren Strecke ab, so werden in der Regel zahlreiche anodische und katho- dische Stellen zwischen den Fußpunkten des ableitenden Bogens ge- legen sein, am meisten natürlich dann, wenn die sehnige noch dazu sehr schief zur Muskelachse verlaufende Scheidewand, welche jeden der beiden Muskeln so durchtrennt, dass er gleichsam aus zwei hin- tereinander liegenden Sondermuskeln besteht, ganz zwischen den bei- den Bussolelektroden liegt. Vor der Inskription tritt der Strom aus den Fasern des einen Sondermuskels aus, um hinter derselben wieder in die Fasern des zweiten Sondermuskels einzutreten. Auf der einen Seite der Inskription liegen also unzählige kathodische, auf der an- dern gleichviel anodische Stellen, und die einen wie die anderen sind Sitz einer polaren Veränderung.“ Biedermann (Prag). Von Mering, Ueber die Wirkung des Ferrieyankaliums auf Blut. Zeitschrift für physiolog. Chemie VIII. Bd. H. 3. Jaederholm hat zuerst die Beobachtung gemacht, dass eine Hämoglobin- lösung auf Zusatz von Ferricyankalium unter Bildung von Methhämoglobin eine braune Farbe annimmt. Als v. M. aber zu frischem Blut konzentrierte Lösun- gen von Ferrieyankalium setzte, trat keine Veränderung der Farbe ein und spektroskopisch ließ sich nur unverändertes Oxyhämoglobin nachweisen. Wurde dagegen das Blut vor dem Zusatz mit Wasser verdünnt oder statt einer kon- zentrierten Ferrieyankaliumlösung eine verdünnte benützt, so zeigte sich wie- derum das charakteristische Absorptionsband des Methhämoglobins, welches aber ausblieb, wenn das Blut mit einer Lösung von schwefelsaurem Natron oder Kochsalz (welche die roten Blutkörperchen nicht auflöst) behandelt wurde. In 1) Biolog. Centralblatt Bd. : 584 Petri und Lehmann, Zur Bestimmung des Gesamtstickstoffs im Harn. derselben Weise, wie auf mit Wasser verdünntes Blut wirkt das Eisensalz ein, wenn die roten Blutkörperchen durch Chloroform, Aether, Gefrierenlassen und Wiederaufthauen zerstört sind und das Hämoglobin frei geworden ist. Da- gegen konserviert eine konzentrierte Lösung von Ferrieyankalium die Blut- körperehen. — Ebenso wie Zusatz indifferenter Salzlösungen die Einwirkung des roten Blutlaugensalzes verhindert, scheint merkwürdiger Weise auch chlor- saures Kali zu wirken. R. Fleischer (Erlangen). Petri und Th. Lehmann, Zur Bestimmung des Gesamtstick- stoffs im Harn. Zeitschr. für physiolog Chemie. VII. 3. H. Im vorigen Jahre hat Kjeldahl eine neue Methode der Stickstoffbestim- mung in organischen Substanzen veröffentlicht, welche gut übereinstimmende Resultate ergeben hat. Dieselbe hat neben dem Vorzug der Genauigkeit, noch denjenigen der Handlichkeit und erfordert nur geringe Zeit Die zu unter- suchende Substanz wird mehrere Stunden lang mit einem Ueberschuss konzen- trierter Schwefelsäure unter Zusatz von Phosphorsäureanhydrid oder rauchen- der Schwefelsäure, oxydiert noch siedend heiß mit pulverigem Kaliumperman- ganat, bis die Masse grün wird. Nach dem Erkalten. wird mit Wasser ver- dünnt, alkalisiert und schließlich das erhaltene Ammoniak abdestilliert und titrimetrisch bestimmt. Die beiden Verfasser haben nach dieser Methode (mit einigen zweckmäßigen Abänderungen) Bestimmungen des Gesamtstickstoffs des Harns und von Substanzen mit bekannten Stickstoffgehalt (Ammoniumsulfat. Harnstoff, Hippursäure e. n.) ausgeführt. Die angefügten Belege zeigen, dass die Methode sehr genaue Resultate gibt, und sich deswegen besonders für Stoffwechseluntersuchungen sehr empfehlen dürfte. R. Fieischer (Erlangen). Vient de paraitre La Biologie cellulaire. Etude comparee de la cellule dans les deux regnes. Par le chanoine J. B. Carnoy, Docteur en sciences natu- relles, Professeur de Botanique et de Biologie generale & Y’univer- site catholique de Louvain. Fase. 1. Technique microscopique. — Notions generales sur la cellule. — Biologie statique: Le Noyau. Prix 12 Fres. — 10 Mark. La Biologie cellulaire sera publi6e en 3 fascieules, payables separement. Prix de louvrage complet: Un vol. in gr. 8° de 700 & 800 pages avec plus de 400 gravures originales intercal&es dans le texte 30 Fres. Aix-la-Chapelle. Rudolf Barth. Einsendungen u das N Centralblatt“ bittet man u ee a Zinn an U Pr Diologisches Centralblatt Dr. M. ee En n. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 1. September 1884. Nr. 13. Inhalt: Zupf, Zur Kenntnis der anatomischen Anpassung der Pilzfrüchte an die Funk- tion der Sporenentleerung. — Möbius, Das Sterben der einzelligen und der vielzelligen Tiere. — Prazmowski, Ueber den genetischen Zusammenhang der Milzbrand- und Heubakterien. — Lehmann, Die nächsten Verdauungs- produkte der Eiweißkörper. — Detmer, Ueber den Einfluss der Reaktion Amylum sowie Diastase enthaltender Flüssigkeiten auf den Verlauf des fer- mentativen Prozesses. — hLeidy, Eine Serpulide aus dem süßen Wasser. — Albrecht, Kleine Mitteilungen. — Rumiti, Anatomische Notizen. — Kocks, Ueber die Gartner’schen Kanäle beim Weibe. W. Zopf, Zur Kenntnis der anatomischen Anpassung der Pilzfrüchte an die Funktion der Sporenentleerung. I. Mechanik der Sporenentleerung bei Sordarieen. Halle 1884. Fast alle neueren Untersuchungen über Pilzfrüchte befassen sich hauptsächlich mit dem Bau und der Entwickelungsweise derselben; die physiologischen Prozesse, die sich in und an ihnen abspielen, erfreuten sich bisher sehr geringer Berücksichtigung. Um so ver- dienstvoller ist es vom Verf., diesen Verhältnissen seine Aufmerk- samkeit zugewandt und zunächst die so wichtige Erscheinung der Sporenentleerung ins Auge gefasst zu haben. Bei der nach den ein- zelnen Formenkreisen sich ergebenden Verschiedenartigkeit dieser Erscheinung waren natürlich allgemeine Gesichtspunkte nicht sogleich zu gewinnen; von dieser Erwägung ist die Beschränkung auf die eja- kulierenden Pyrenomyceten und unter diesen wieder auf die Gruppe der Sordarieen ausgegangen. — Die gewonnenen Ergebnisse wurden an der Hand einer neuen, von der bisherigen bedeutend abweichenden Untersuchungsmethode erhalten; während sonst zur Beurteilung der einschlägigen Verhältnisse die einzelnen Teile der Pilzfrucht von einander gerissen und geschnitten und in ihnen nicht adäquaten Me- dien untersucht wurden, verwandte Verf. zum Studium der Ejakula- tionsvorgänge ganze intakte Früchtehen, die natürlich dann so durch- sichtig sein müssen, dass alle Organe und Vorgänge in ihrem Innern genügend deutlich erkannt werden können. Hierzu sind nun aber die 25 386 Zopf, Anatomische Anpassung der Pilzfrüchte. kleineren Sordaria-Fruchtformen, die auf Exkrementen von Hasen, Schafen ete. häufig in Gestalt winziger birnförmiger Perithecien an- getroffen werden, besonders geeignet. Ihre Wandung ist dünn und zarthäutig, nur an der Basis und am Halsteil etwas dunkler gefärbt. Man erkennt deutlich in ihrem Innern die 4—Sporigen Schläuche und die farblosen Periphysen, die von dem Innern der Fruchtwand entspringend nach der Mündung zu konvergieren und mit ihren Enden, von allen Seiten sich nähernd, einen engen Kanal bilden. Beobachtet wurden diese Perithecien, indem sie völlig intakt mit dem Substrat in einen Wassertropfen gebracht und vorsichtig, so dass nicht der leiseste Druck ausgeübt wurde, mit einem Deckglase bedeckt wurden. Es ließ sich dann die Ejakulation in allen ihren Phasen an ein und demselben Schlauch beobachten. Dass das dabei angewandte Medium, das Wasser, ein natürliches sei, ergab sich, wie aus anderen Gründen, so namentlich aus der völligen Uebereinstimmung mit den Vorgängen in feuchter Luft. Der Vorgang der Ejakulation ist nun im Umriss folgender. Im reifen Zustande haben die Schläuche eine ungefähr zylindrische Gestalt, sind an der Spitze etwas zugespitzt und kurz gestielt. Beim Eintritt der Ejakulationsperiode nun bemerkt man an ihnen eine allmählich vorschreitende Verlängerung, verbunden mit einer beträchtlichen Erweiterung im obern Teile. Während die letztere bald ihr Maximum erreicht, schreitet die erstere immer weiter vor, so dass die Spitze des Schlauches bald vor dem Eingang des Halskanals steht. Die Streckung ergreift jetzt auch die dieht unter der Schlauchspitze liegende Region, so dass das rüsselförmig sich ver- längernde Schlauchende durch den Halskanal dringt, sich auch wohl noch etwas über die Mündung hinaus erstreckt. In diesem Augen- blick erfolgt dann plötzlich unterhalb der Spitze ein Platzen des Schlauches, und die Sporen werden weithin durch das Wasser weg- geschleudert. Gleichzeitig zieht sich der in der Frucht zurückgeblie- bene Schlauchteil mit kräftigem Ruck zusammen und der Prozess hat sich abgespielt. Die Sporen bleiben dabei meist fest zu einer Reihe verbunden. Während so der erste Schlauch sich entleert, beginnt allmählich ein zweiter in derselben Weise sich zu streeken, nach erfolgter Eja- kulation tritt er an die Stelle des ersten und so fort. Diese eigen- tümliche Suecessionserscheinung erklärt sich aus den beschränkten Raumverhältnissen im Peritheeium, namentlich aus der Enge des Mün- dungskanales, den die Schläuche nur einzeln passieren können. Durch die Beobachtung dieses Vorganges ist die frühere, na- mentlich durch Woronin vertretene Anschauung hinfällig geworden, welche annahm, dass die Schläuche im Bauche des Peritheciums sich entleerten und die Sporenmasse im Ganzen aus der Mündung ausge- stoßen würde. Dass auch für alle anderen als die direkt beobach- teten Sordarien eine Coineidenz der Entleerung aus dem Ascus und Zopf, Anatomische Anpassung der Pilzfrüchte, 387 dem Peritheeium stattfinden muss, dürfte aus dem absolut gleichen Bau der Frucht, der Asci und aus „derselben Ejakulationsenergie* geschlossen werden. Andernfalls ließe sich keine Kraft denken, die ausreichte, den Sporenklumpen durch die Mündung des Halses zu schleudern. Näher begründet wird diese Annahme durch die Ueber- einstimmung aller Eusordarien in bezug auf die mechanischen Ent- leerungsmittel. — Da bei jedem Sordaria-Schlauch die Ejakulation nur ein einziges mal erfolgt und es sowohl für die Verbreitung der Sporen, als auch für die ungehinderte Ausnutzung des beschränkten Raumes im Innern des Peritheciums wichtig ist, dass alle Sporen auf einmal entleert werden, so ergab sich die Frage, wie dieser Zweck erreicht werde. Bei genauer Untersuchung zeigten sich denn auch zwei Momente, welche für denselben in ausgiebigster Weise sorgten. Es fanden sich bei allen Formen die 4, 8-64 Sporen entweder zu einer, oder zu zwei oder mehr Reihen fest aneinander gekettet, anderseits aber dieser ganze Komplex dann in eigentümlicher Weise an der Spitze des Schlauches befestigt, verankert. Die Verkettung der Sporen kommt auf zweierlei Weise zu stande. Innerhalb der Untergattungen Eusordaria und Bertia findet sich an den beiden Enden jeder Spore je ein schwanzförmiges, glänzendes Körperchen, von denen sich das eine an das untere der obern, das andere an das obere der nächstuntern Spore fest anschmiegt. Die dadurch hervorgebrachte Verbindung ist so fest, dass nur Druck auf isolierte Schläuche einzelne Sporen losreißt. Bei den Untergattungen Hypocopra und Coprolepa wird die Verkettung nicht durch solche An- hängsel, sondern durch die ganze Sporen umgebenden Gallerthöfe hergestellt, ist im übrigen ebenso fest, wie bei den anderen Formen. Wie die Anhängsel und Gallerthöfe die Verkettung der Sporen zu besorgen haben, so bilden sie auch, mit Ausnahme weniger Fälle, das unmittelbare Verankerungsmittel im Scheitel des Ascus. Bei den einreihigen Sporenkomplexen besorgt das Endanhängsel der obersten Spore diese Funktion, bei den mehrreihigen die Anhängsel oder Gal- lerthöfe der obersten Spore jeder Reihe. Die Verankerung ist so fest, dass man nach der Ejakulation noch den fingerhutförmigen Ascusteil der Sporenkette anhaften sieht. Ueber die morphologische Natur der Sporenanhängsel herrschte bis Jetzt die Ansicht, dass sie Membranverdiekungen der Sporen seien, wogegen schon die Woronin’sche Beobachtung sprach, dass die von ihm als Verdiekungsschichten bezeichnete Streifung senkrecht zur Sporenmembran stand. Auch der Umstand, dass schon sehr junge Sporen die Anhängsel in derselben Gestalt und Größe zeigten, sprach gegen diese Auffassung. Zopf kam nun aufgrund genauer ent- wickelungsgeschichtlicher Untersuchung zu einer ganz anderen Er- klärung. Er fand, dass bei der Sporenbildung der Eusordarien eine 292 388 Zopf, Anatomische Anpassung der Pilzfrüchte. große Menge von Plasma unverbraucht bleibt, und dass grade dieses Plasma es ist, welches zur Bildung der Anhängsel verbraucht wird. Dieses anfangs körnige und plastische Plasma erstarrt bald und wird homogen, und ist in Form und Stellung wesentlich mit von der Va- kuolenbildung im Schlauchplasma beeinflusst. Mit dieser ihrer Natur hängt auch der Mangel an Quellungsfähigkeit der Anhängsel zu- sammen. — Auch die Gallerthöfe der Untergattungen Hypocopra und Coprolepaı verdanken ihren Ursprung unverbraucht gebliebenem Schlauchplasma, unterscheiden sich aber von den Anhängseln da- durch, dass sie die körnige Natur desselben beibehalten und nicht erstarren. — In ganz besonderer Weise ist auch die Schlauchmembran an den Ejakulationsprozess angepasst, namentlich ihr scheitelständiger Teil. Nicht allein, dass er durch den Mangel an Dehnbarkeit ausgezeichnet ist, ihm fehlt auch fast völlig die Quellungsfähigkeit. Beide Eigen- schaften stehen, wie leicht ersichtlich, in engem Zusammenhang. Bei den meisten Sordarien kommt noch eine Einrichtung hinzu, welche den Charakter eines mechanischen Verstärkungsmittels trägt. Es ist das eine Ringfalte im Scheitelteil, welche mehr oder weniger tief zy- lindrisch oder etwas konisch sich verjüngend in das Innere des Schlauches hineinragt und durch ihre chemische Reaktion (Blaufär- bung mit Jod) sich auszeichnet. Auf die Entwickelung derselben kann Ref. hier nicht eingehen. — Wichtig für den ganzen Mechanis- mus der Sporenentleerung ist dann noch die große Elastizität der ganzen Ascusmembran, die den Schlauch befähigt, sich den verschie- densten Krümmungen des Peritheciumhalses anzupassen und ihnen zu folgen. Die Elastizitätsgrenze wird in einer ringförmigen Zone un- terhalb des Schlauchscheitels, die mit einer Zone der größten Quel- lungsfähigkeit zusammenzufallen scheint, überschritten und führt zur Absprengung des Scheitelteils in Gestalt eines Fingerhutes. Die Periphysen, welche sowohl das Innere des Bauches als auch dasjenige des Mündungskanales auskleiden, funktionieren in der verschie- densten Weise bei der Ejakulation. Nicht allein, dass sie durch die Artihrer Anordnung dem hervorwachsenden Ascus die Richtung geben, werden sie ihm wahrscheinlich auch bei der Vorbereitung zur Ejakulation als Wasserreservoir dienen; endlich wird noch der direkte Druck, den sie auf den sich durchdrängenden Schlauch ausüben, für die Entleerung desselben in Anrechnung zu bringen sein. Zum Schluss sei noch erwähnt, dass Verf. die sogenannten Spo- renanhängsel zweiter Ordnung, die bei einigen Arten sich finden, auf Zellen zweizelliger Sporen zurückführt, die ihren Inhalt in die größere Sporenzelle entleeren, schrumpfen und endlich vergallerten. C. Fisch (Erlangen). Möbius, Das Sterben der einzelligen und der vielzelligen Tiere. 389 Das Sterben der einzelligen und der vielzelligen Tiere. Vergleichend betrachtet Von K. Möbius, Professor in Kiel. Ueber Leben und Tod der Protozoen einerseits und der vielzelli- gen Tiere anderseits haben in den letzten Jahren Bütschli, Weis- mann und Goette!) Betrachtungen veröffentlicht, denen ich mit leb- hafter Teilnahme gefolgt bin, weil sie Strahlen in Gedankenkreise warfen, in die mich Untersuchungen der Protozoen der Kieler Bucht oft unwillkürlich versetzten. Durch die folgende Mitteilung meiner Ansichten über jene biolo- gischen Erscheinungen möchte ich einen kleinen Beitrag zur Klärung und Weiterbildung der vielfach anregenden Betrachtungen der ge- nannten Forscher liefern. Bei den einzelligen Tieren, welche sich durch Teilung fort- pflanzen, lebt die ganze Leibessubstanz der gealterten Indi- viduen, wie Bütschli und Weismann zutreffend hervorgehoben haben, in den jungen Individuen, in welche sie sich durch Teilung zerlegen, weiter fort, während dagegen bei vielzelligen Tieren ein Teil des Leibes nach Ablauf seiner verschiedenen Entwicke- lungsstufen, die Fähigkeit, fernerhin Lebensarbeiten auszuführen, ver- liert und abstirbt. Weismann legt deshalb den Protozoen „Un- sterblichkeit“ bei. Da sie sich, wie er sagt, „durch Teilung in Individuen zerlegen, von denen keines das ältere, keines das jüngere sei, so komme eine unendliche Reihe von Individuen zu stande, deren jedes so alt sei, wie die Art selbst, deren jedes die Fähigkeit in sich trage, ins Unbegrenzte und unter steten neuen Teilungen weiter zu leben. Den höheren Organismen dagegen, den Metazoen sei diese Fähigkeit ewiger Dauer abhanden gekommen; nur auf die Fortpflan- zungszellen der vielzelligen Tiere sei die Unsterblichkeit der einzelli- gen Organismen übergegangen.“ Nach der bisher allgemein gebräuchlichen Definition versteht man unter Unsterblichkeit eines lebenden individuellen Wesens die ihm innewohnende und durch äußere Ursachen nicht zerstörbare Eigen- schaft, als Individuen ewig fortzudauern. In diesem Sinne werden Gott, die Heiligen der Kirchen, die Verstorbenen der Gläubigen un- sterblich genannt. Die Unsterblichkeit in diesem Sinne ist kein Ge- genstand der Erfahrung, sondern ein transzendenter Begriff, auch für den Gläubigen. 1) O0. Bütschli, Gedanken über Leben und Tod. Zoolog. Anz., Jahrg. V, 1x82, S. 64 — A. Weismann, Ueber Dauer des Lebens, Jena 1882. — Der- selbe, Ueber Leben und Tod. Jena 1834. — A. Goette, Ueber den Ur- sprung des Todes, Hamburg und Leipzig 1883. 390 Möbius, Das Sterben der einzelligen und der vielzelligen Tiere. Lässt sich nun dieser Begriff der Unsterblichkeit auf die Lebens- dauer der Protozoen, die sich durch Teilung vermehren, anwenden? Dauern sie als Individuen wenigstens so lange fort, als ihr Leben nicht durch bloße äußere Ursachen aufgehoben wird? Alte Protozoenindividuen lassen bei ihrer Fortpflanzung durch Teilung von ihrem Leibe nichts zurück, was stirbt; unsterblich sind sie aber deswegen doch nicht zu nennen, denn während sie sich teil- ten, erlischt allmählich ihr individuelles Dasein und es geht in dem Augenblicke zu Ende, wo sich ihre Tochtersprösslinge von einander trennen. Mit dem Abschlusse der Teilung hört also das Mutterindividuum auf zu leben, aber die Substanz seines Leibes setzt die spezifisch gleichen Lebensarbeiten in den Teilsprösslingen fort und zwar mit verjüngter Reizfähigkeit für äußere Ein- wirkungen, die in den gealterten Individuen nach und nach schwächer geworden und endlich ganz erloschen war. Während die Reaktionsbewegungen der Leibessubstanz nach außen hin immer matter werden, treten gleichzeitig in ihrem Innern auffal- lende Bewegungen auf, welche der Teilung des Mutterleibes voran- gehen und offenbar zur Verjüngung der Leibessubstanz für die Toch- terindividuen dienen). Das Einziehen von Cilien, das Schwinden von Geißeln, die Ab- rundung des Leibes und die Eneystierung desselben vor der Teilung müssen die Reizfähigkeit der gealterten Individuen schwächen. Die jungen Teilsprösslinge hingegen beginnen ihr individuelles Leben mit sroßer Reizfähigkeit für äußere Einwirkungen, weil ihre Leibessubstanz aus neu gelagerten Molekülen besteht, und weil die Oberfläche ihres Körpers im Verhältnis zur Masse desselben größer ist, als die Ober- fläche des Mutterleibes kurz vor der Teilung. Wenn ein Infusorium seinen ganzen Leib zur Erzeugung von 2, 4 oder 8 Jungen vollständig verbraucht, so bleibt jeder Teil lebendig, d. h. die Atomgruppen, aus denen jeder Teilsprössling besteht, setzen die Lebensarbeiten nach denselben morphologischen, physiologischen und psychologischen Gesetzen fort wie ihre Mutter, jedoch ein jedes für seine eigne Individualität. Die jungen Individuen nehmen Nah- rung auf und bilden sie in eigne Leibessubstanz um. Dadurch er- setzen sie nicht bloß die Zersetzungsverluste, welche mit den Lebens- arbeiten verknüpft sind, sondern sie bilden außerdem einen Ueber- schuss von Leibessubstanz, durch den sie wachen. Wenn sie, so groß geworden wie ihre Mutter, durch Teilung in zwei Sprösslinge zerfallen, so erhält jeder von diesen höchstens !/, der großmütter- 1) Eine Abhandlung über Protozoen der Kieler Bucht, welche ich bald zu veröffentlichen gedenke, wird Beobachtungen über die Fortpflanzung von Euplotes harpa Stein enthalten, welche dem oben ausgesprochenen Gedanken zu grunde liegen. Möbius, Das Sterben der einzelligen und der vielzelligen Tiere. 391 lichen Leibesmasse. Bei der dritten Teilung erhält jeder Sprössling “höchstens !/,, bei der vierten höchstens !/,,, bei der zehnten höchstens 1/9, von dem Leibe der Urmutter, von welcher an man rechnet, ab- gesehen von allen Zersetzungsverlusten, welche die urmütterliche Sub- stanz in allen Generationen erlitten haben muss, da bei den Proto- zoen diejenige Leibesmasse, welche bei der Fortpflanzung beteiligt ist, auch die anderen Lebensthätigkeiten verrichtet. Denn die Protozoen besitzen, da sie nur aus einer Plastide bestehen, keine Arbeits- plastiden neben Fortpflanzungsplastiden wie die vielzelligen Tiere. Die späteren Generationen der Protozoen bestehen also immer reichlicher aus selbst erarbeiteter Leibessubstanz und immer weniger aus Bestandteilen ihrer Urmutter. Die Individualisierung der Tochterindividuen beginnt mit den ersten Spuren der Teilung des Mutterindividuums. Die Stufen der Individualisation sind: 1) der unempfundene und unbewusste Zu- stand der Abtrennung und die Umbildung oder Neubildung von Or- ganen, ehe diese fähig sind, äußere Reize aufzunehmen und zu ver- arbeiten. Dieser unbewusste Zustand wird allmählich übergehen in den Zustand des Empfindens und Bewusstseins, sobald äußere Reize durch bestimmte Organe aufgenommen werden können. Besondere Empfindungen müssen auch schon in Protozoen veranlasst werden durch Berührung fremder Körper, durch Temperaturwechsel, durch Nahrungsaufnahme, durch Form- und Ortsveränderungen des Körpers, durch Wahrnehmung von Artgenossen. Die Protozoen sind ebenso wie die Metazoen psychisch zentrierte Individuen. In den gesonderten psychischen Zentren der Teilungs- sprösslinge kann das frühere psychische Zentrum der Mutter nicht fortbestehen, weil deren individuelles leibliches und geistiges Leben bei der Teilung erlischt. Die Protozoen sind daher auch vom psy- chologischen Standpunkte aus nicht unsterblich zu nennen. Auch in stockbildenden Protozoen (Zoothamnium, Epistylis, Codo- siga) dauert das individuelle Seelenleben der Urmutter nicht fort in den vereinigten Tochterindividuen, weil diese neben ihren gemeinsamen Arbeiten und Gefühlen noch individuelle Reize empfangen und indivi- duelle Sonderarbeiten ausführen. Die Tochterindividuen empfangen von ihrem Mutterindividuum bei dessen Teilung nur die Grundlage für ihr individuelles leiblichgeistiges Leben. Diese einfache Grund- lage des neuen individuellen Lebens wird bei den Metazoen durch Knospen oder durch Eizellen und Spermatozoen übertragen. Die Fortpflanzungszellen der vielzelligen Tiere oder Hetero- plastiden, wie sie Goette genannt hat!), übertragen ihre Leben- digkeit ebenso wie die Leiber der Monoplastiden ohne eine Zwischen- stufe der Leblosigkeit oder des Todes von Individuum zu Individuum. 1) Ueber den Ursprung des Todes, 1883, S, 16. 392 Möbius, Das Sterben der einzelligen und der vielzelligen Tiere. Sie bilden sich aber umfangreiche Massen anderer Plastiden für kräf- tigere und mannigfaltigere Lebensarbeiten, als die kleinen Monopla- stidenleiber ausführen können. Diese angebildeten, nicht fortpflan- zungsfähigen Arbeitsplastiden können meistens auch dann noch in ihrer Weise fortarbeiten, wenn sich die Fortpflanzungsplastiden von dem Leibe des vielzelligen Tieres abgelöst haben. Die meisten he- teroplastidischen Individuen überleben daher ihre Fortpflanzungsakte, während die individuelle Existenz der Monoplastiden mit dem Fort- pflanzungsakte enden muss, weil bei ihnen Arbeits- und Fortpflan- zungssubstanz eins sind. Morphologisch betrachtet entspricht der Leib der Monoplastiden den Fortpflanzungszellen der Heteroplastiden. Das Leben beider ist aber sehr verschieden. Während die Fortpflanzungszellen der viel- zelligen Tiere unthätig fortleben bis sie sich loslösen, wandern und entwickeln, treten die einzelligen Tiere auch durch die an der Fort- pflanzung beteiligten Leibesmasse in Verkehr mit der Außenwelt und viele bilden sich dafür auch besondere Organula. Die Fortpflan- zungsplastiden enthalten Atomgruppen für die Bildung sämtlicher Organe des Leibes ihrer Spezies. Die Plastiden besonderer Or- gane, die nur gewisse beschränkte Funktionen haben, enthalten nur solche Atomgruppen, welche zur Bildung junger Plastiden mit den- selben besonderen Eigenschaften geeignet sind. (Schutzplastiden, Stütz- plastiden, Bewegungsplastiden, Nährplastiden, Empfindungsplastiden). Die Fortpflanzungsplastiden der Metazoen empfangen keine direk- ten Empfindungsreize von außen, so lange sie sich nicht abgelöst ha- ben und werden daher auch nieht abgestumpft. Sie altern nicht durch Arbeit wie die Arbeits- und Verkehrszellen. Sobald aber gewisse Reize von außen auf sie einwirken, nach ihrer Loslösung und nach der Befruchtung arbeiten sie ihren innewohnenden Eigenschaften ge- mäß mit frischer und voller Kraft. Wenn die Fortpflanzungsplastiden der Metazoen nicht in gewisser Zeit freie Individuen werden, deren Entwickelungsfähigkeit durch bestimmte äußere Reize zur Thätigkeit gerufen wird, so sterben sie ebenso gut ab wie Arbeitsplastiden. Auf alle Arbeitsplastiden wirken äußere Reize schwächer ein, wenn sie sich oft wiederholen. Sie ermüden und ihre Ermüdung en- digt endlich mit Reizunfähigkeit und mit dem Tode. Das psychische Zentrum oder die Seele wirkt erhaltungsmäßig auf den Leib zurück, aber immer matter, je älter das Individuum wird, weil die Reize nach und nach immer schwächere Lustgefühle erwecken und daher mattere Gegenwirkungen hervorrufen. So erklärt sich das Altern und das endliche Ableben der Mono- und Heteroplastiden. Da unsere Erde in periodischen Beziehungen zur Sonne steht, da überhaupt alles in der Welt periodisch geschieht und aufeinan- der wirkt, so gibt es in dieser keine Quelle, aus welcher unsterbliche organische Individuen hätten entspringen können. Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. 393 Ueber den genetischen Zusammenhang der Milzbrand- und Heubakterien. Buchner, Hans, Ueber die experimentelle Erzeugung des Milzbrandkon- tagiums aus den Heupilzen. Sitzungsber. der k.bayer. Akad. der Wissensch. Mathem.-physik. Klasse. 1880. Heft II. — Derselbe, Ueber die experim. Er- zeugung des Milzbrandkontagiums. II. Mitteilung. Ebendaselbst 1882. Heft II. — Derselbe, Kritisches und Experimentelles über die Frage der Konstanz der pathogenen Spaltpilze. In „Untersuchungen über niedere Pilze“, herausgeg. von Carl v. Nägeli. München 1882. — Koch, Robert, Zur Aetiologie des Milz- brandes. Mitteil aus dem kaiserl Gesundheitsamte herausg von Dr. Struck. Berlin 1831 — Prazmowski, A., Entwickelungsgeschichte und Morphologie von Baeillus Anthracis Cohn. Vorgelegt der Akademie der Wissensch. in Krakau am 20. März 1884 (polnisch). Unter den zahlreichen Problemen, welche die Aetiologie der In- fektionskrankheiten betreffen, nimmt wohl die Frage nach dem Ursprung der krankheitserregenden Spaltpilze eine der wichtigsten Stellen ein. Nach der einen Auffassung, welche bis vor kurzem in der Wissen- schaft die herrschende war und in Deutschland insbesondere durch Ferdinand Cohn und Robert Koch vertreten ist, hat eine jede infektiöse Krankheit ihren spezifischen Krankheitserreger d. h. einen besondern Spaltpilz zur Ursache. Diese Spaltpilze können auch außer- halb des Tierkörpers in der freien Natur an ihrem Gedeihen günstigen Oertlichkeiten leben und sich vermehren, behalten dabei alle ihre eigentümlichen Merkmale und Eigenschaften, insbesondere aber die Fähigkeit, Krankheiten zu erzeugen, sobald sie in den tierischen oder menschliehen Organismus eingedrungen sind. Sie haben mit den ge- wöhnlichen Fäulnis- und Gährungsspaltpilzen, mit denen sie manchmal habituell übereinstimmen, von denen sie auch mehr oder weniger sich unterscheiden können, nichts gemein; sie sind als spezifische Wesen, die nur aus ihresgleichen hervorgehen undihresgleichen wieder erzeugen, zu betrachten. Dieser Anschauung trat im Jahre 1877 Carl von Nägeli in seinem berühmten Werke: „Die niederen Pilze in ihren Beziehungen zu den Infektionskrankheiten“ entgegen. Er stellte zuerst in Abrede, dass bei den Spaltpilzen überhaupt eine solche Kontur von morpho- logischen und physiologischen Merkmalen obwalte, wie sie von den genannten Forschern angenommen wird. Seine eignen langjährigen Beobachtungen haben ihn im Gegenteil belehrt, dass Form und Wir- kung der Spaltpilze je nach den Lebensbedingungen stetem Wechsel unterworfen sind. Er kann deshalb die von Cohn aufgestellten Ar- ten und Gattungen der Bakterien nicht anerkennen, sieht vielmehr in ihnen bloß Modifikationen oder Anpassungsformen einer einzigen oder einiger weniger Spezies. In betreff der krankheitserregenden Pilze äußert er sich folgendermaßen: „Die Miasmenpilze entstehen unter „den günstigen Bedingungen aus den Fäulnispilzen oder anderen all- 394 Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. „gemein verbreiteten Spaltpilzen und gehen unter entgegengesetzten „Bedingungen wieder in diese über. Die Kontagienpilze, deren Wohn- „stätte der Organismus ist, und die regelmäßig aus dem Kranken in „den Gesunden übertreten, werden, sowie sie in äußeren Medien leben „und sich fortpflanzen, zu gewöhnlichen Spaltpilzen. Es muss auch „das Umgekehrte vorkommen; die Kontagienpilze müssen aus den „letzteren entstehen können.“ Diese aus allgemeinen Betrachtungen und Erwägungen abgeleitete Theorie von Nägeli’s, welche in einfacher Weise eine Anzahl von epidemiologischen Fragen löste, erfreute sich in weiten Kreisen einer sehr günstigen Aufnahme. Es fehlte ihr aber der experimentelle Nachweis, dass eine solche Umwandlung der gewöhnlichen Spaltpilze in pathogene und umgekehrt, wie sie von Nägeli angenommen wurde, in Wirklichkeit vor sich gehe. Diesen Nachweis zu liefern, stellten sich zwei von Hans Buchner im pflanzenphysiologischen Labora- torium von Nägeli’s ausgeführte Arbeiten zur Aufgabe. Zum Gegenstand seiner Untersuchung wählte Buchner zwei von Cohn als besondere Arten unterschiedene Spaltpilzformen, von denen die eine als sogenannter Heubaeillus (Bacillus subtilis Cohn) in auf- gekochten und neutralisierten oder schwach alkalischen Heuaufgüssen im Zustande absoluter Reinheit vorkommt, die andere aber als Milz- brandbaeillus (Baeillus Anthracis Cohn) in an Milzbrand erkrankten Tieren in gewissen Organen massenhaft erscheint und als die wahre Ursache dieser Krankheit erkannt worden ist. Beide Bacillen sollen nach Buchner morphologisch und entwick- lungsgeschichtlich genau mit einander übereinstimmen und nur durch etliche physiologische Eigenschaften von einander sich unterscheiden. In morphologiseher Beziehung gleichen sie einander in Form, Größe und Zusammensetzung ihrer Stäbehen und Fäden aus kurzen zylin- drischen Gliedern; auch die Vorgänge der Teilung und der Bil- dung von stark liehtbreehenden länglichen Sporen sind bei beiden wesentlich gleich. Physiologisch smd sie ebenfalls einander sehr nahe verwandt; denn beide bedürfen in gleicher Weise zu ihrem Leben und Gedeihen des Sauerstoffs der Luft, beide ernähren sich am besten durch Eiweiß und peptonartige Substanzen und beide bedingen ähn- liche Zersetzungen (jedoch ohne Gährungserscheinungen) in Nähr- lösungen, in denen sie sich vermehrt haben. Sie unterscheiden sich nur durch die Form ihrer Vegetationen in künstlichen Nährlösungen, indem Milzbrandbacillen am Grunde der Nährlösungen in Form von zarten Wölkehen vegetieren und dabei die Flüssigkeit klar und hell lassen, während Heubaeillen die Nährlösungen trüben und schließlich auf der Oberfläche derselben dieke, runzlige Decken bilden, — sowie durch das eigenartige Verhalten dem tierischen Organismus gegen- über, da Heubacillen den Tieren eingeimpft in diesen wie eine tote Masse liegen oder spurlos verschwinden, Milzbrandbaeillen aber sich Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien, 395 dann rasch vermehren und in der Regel nach kurzer Zeit den Tod des Tieres herbeiführen. In Zusammenhang mit dieser letztern Eigen- schaft zeigen sich die Milzbrandbacillen sehr empfindlich gegen äußere schädliche Einflüsse, sobald sie aus dem Tierkörper heraus in künst- liche Nährlösungen gebracht werden, während umgekehrt Heubaeillen unter solchen Umständen sehr resistent sich erweisen. Letztere gehören auch zu den widerstandsfähigsten Organismen, die wir über- haupt kennen, da ihre Sporen außerordentlich lange hohen Hitze- graden widerstehen. In anbetracht dieser nahen verwandschaftlichen Beziehungen zwischen den Heu- und Milzbrandbacillen hielt es Buch- ner für wahrscheinlich, dass eben diese Spaltpilze beim richtigen Ver- fahren sich am leichtesten ineinander überführen lassen. Wir wollen nun kurz die diesbezüglichen Versuche Buchner’s skizzieren. Zuerst versuchte Buchner die giftigen direkt der Milz an Milz- brand gestorbener Tiere entnommenen Milzbrandbacillen in die un- schädliche Form der Heubacillen zu verwandeln. Zu diesem Behufe züchtete er dieselben ununterbrochen mehrere Generationen hindurch bei der Temperatur des Tierkörpers (35—37° C.) in einer halb- bis einprozentigen Lösung des Liebig’schen Fleischextrakts mit oder ohne Zucker- und Peptonzusatz. Um die Kulturen vor Eindringen fremder Keime zu schützen, bediente er sich eines aus zwei Gefäßen zusam- mengesetzten Apparates. Das größere von den beiden Gefäßen diente zur Aufnahme der Reservenährlösung, das kleinere sogenannte Züch- tungsgefäß wurde mit einer entsprechenden Menge derselben Nähr- lösung beschickt und nach Sterilisierung des ganzen Apparates im Dampfkessel mit Milzbrandbakterien infiziert. Nach jedesmaligem Er- löschen der Vegetation wurde die erschöpfte Nährlösung des Züch- tungsgefäßes durch eine verschließbare Oeffnung abgelassen und neue Nährlösung hinzugegeben, in der sich die im Züchtungsgefäße zurück- gebliebenen Milzbrandkeime von neuem weiter entwickeln konnten. Um schließlich die Vegetationen mit der hinreiehenden Menge Sauer- stoff zu versehen, wurde das Züchtungsgefäß durch einen besondern Schüttelapparat in fortwährender Bewegung erhalten. Die in dieser Weise vorgenommenen und öfters von Anfang an wiederholten Kulturen ergaben zunächst das beachtenswerte Resultat, dass die Virulenz der Milzbrandbacillen mit jeder weitern Züchtung sich verminderte, ohne dass in der äußern Form der Vegetationen sowie in der morphologischen Beschaffenheit und den chemischen Eigenschaften der Baeillen irgend eine Veränderung eingetreten wäre. Die Abnahme der Virulenz äußerte sich in der Weise, dass zur Er- zeugung des Milzbrandes immer größere Mengen der Pilzflüssigkeit erforderlich waren. Die letzte Züchtung, welche noch infektiös wirkte, war die 36e, aber in diesem Falle wurden 10 emm Pilzflüssigkeit zur Impfung (von weißen Mäusen) verwendet. 396 Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. Bei weiteren fortgesetzten Züchtungen in der angegebenen Weise traten allmählich auch andere Veränderungen in der Natur der Milz- brandbacillen ein. Zuerst zeigten dieselben die Neigung zarte Ueber- züge an den Wandungen des Gefäßes zu bilden, welche Eigenschaft sich mit jeder weitern Generation steigerte. Als nun beinahe die ganze Vegetation an die Wandungen übersiedelte und in der Flüssig- keit nur wenige Pilze verblieben, wurde das Schütteln aufgegeben und in ruhender Nährlösung weiter gezüchtet. Die erste Züchtung bei Ruhe ergab eine starke, weißliche Decke an der Oberfläche der sonst klaren Nährlösung. Diese Decke war zwar von den Decken der Heubakterien noch sehr verschieden, da sie sehr locker und schlei- mig und war auch bei der leisesten Erschütterung zu Boden sank, aber sie bedeutete, wie Buchner meint, schon einen großen Fortschritt in der Umänderung der Milzbrand- in Heubakterien. Trotz dieser Ver- änderung könnte die jetzt erhaltene Form noch nicht mit Erfolg im Heuaufguss gezüchtet werden; es trat zwar in demselben eine Vege- tation ein, aber sie war äußerst spärlich. Weitere Züchtungen in ruhender Nährlösung ließen auch diese Eigenschaft der Milzbrand- bacillen nach und nach verschwinden und es gelang schließlich eine Form heranzuzüchten, welche im Heuaufguss ebenso gut vegetierte und eben solche feste trockene Decken bildete, wie die echten Heubakte- rien. Es stellte sich bei dieser Form auch die den Heubakterien eigentümliche, lebhafte Bewegung ein, welche den Milzbrandbakterien, die nur zuweilen langsame Eigenbewegungen zeigen, abgeht. „Nach 1500 Generationen (was nach Buchner’s Berechnungen „einer Anzahl von 150 Züchtungen entspricht), welche zusammen im „Laufe eines halben Jahres zurückgelegt worden waren, — sagt „Buchner — musste die Umwandlung der Milzbrandbakterien in „Heubakterien als vollendet angesehen werden; denn es war un- „möglich, einen Unterschied zwischen den durch Züch- „tung aus ersteren erhaltenen Pilzen und den echten, „unmittelbar rein kultivierten Heupilzen aufzufinden.“ Mit größeren Schwierigkeiten hatte Buchner zu kämpfen bei denjenigen Versuchen, welche die Umwandlung der unschädlichen Heubacillen in die giftige, Milzbrand erzeugende Form bezweckten. Es wurden zuerst rein kultivierte Heubacillen direkt den Tieren (Ka- ninchen) eingeimpft in der Hoffnung, dass sie möglicherweise im tierischen Organismus ihre Natur von selbst ändern. Das Resultat dieser Impfungen, wie verschieden sie auch durchgeführt wurden, war aber ein durchaus negatives; geringe Mengen der Impfflüssigkeit blie- ben ohne bemerkbare Wirkung, größere führten den Tod unter sep- tischen Erscheinungen herbei. Es musste also zuerst eine Verände- rung der Natur der Heubakterien außerhalb des Tierkörpers versucht werden, um sie an die Lebensbedingungen im Tierkörper anzupassen und so zur Annahme infektiöser Eigenschaften zu bringen. Zu diesem Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. 397 Zwecke wurden Heubakterien Anfangs im Eiereiweiß mit etwas Fleisch- extraktlösung, dann in defibriniertem Blute gezüchtet; selbstverständ- lich konnten diese Flüssigkeiten nicht sterilisiert werden. Diese Züch- tungen ergaben ein mehr befriedigendes Resultat; denn schon die er- sten im Blute gezüchteten Bakterien zeigten nach Uebertragung in Fleischextraktlösung eine sichtbare Veränderung in der Richtung gegen die Milzbrandbakterien. Sie bildeten nach Art der früher geschilderten Uebergangsform zwischen echten Milzbrand- und echten Heubaeillen in Fleischextraktlösung nur äußerst lockere, schleimige Decken, die bei leisester Erschütterung zu Boden sanken und konnten in Heuauf- güssen nicht mehr zur reichlichen Vermehrung gebracht werden. Da jedoch eine weitere Umänderung durch fortgesetzte Züchtungen im Blute nicht erzielt werden konnte, so wurde mit der weitern Züch- tung im Blute abgebrochen und von neuem zu Impfversuchen über- gegangen. Als Impfmaterial dienten Sporen von Bakterien des Blutes, welche nach Umzüchtung der letzteren in Fleischextraktlösung sich bildeten. Mit diesen Sporen wurden weiße Mäuse in steigenden Mengen, von 0,1 bis 1,0 cmm infiziert. Während die mit größeren Mengen mit 0,3 emm bis 1,0 emm. injizierten Mäuse unter septi- schen Erscheinungen dem Tode erlagen, die übrigen aber sich bald erholten, starb eine von den zwei mit 0,2 cmm infizierten Mäusen am vierten Tage an charakteristischem Milzbrand. Dasselbe Resultat ergaben auch weitere Impfungen an weißen Mäusen und Kaninchen; stets war es die mittlere Injektionsmenge, welche ein positives Re- sultat ergab. Der Tod erfolgte in allen diesen Fällen nach einer längern Inkubationsdauer von 4 bis 5 Tagen, während nach Impfungen mit echtem Milzbrandgifte die Tiere gewöhnlich schon nach 24, höch- stens 48 Stunden dem Tode erliegen. „Diese längere Zeitdauer — „meint Buchner — ist wohl erforderlich, damit die Umwandlung „der veränderten Heupilze im Körper in Milzbrandbakterien erfol- „gen kann.“ Als später anstatt flüssigen Impfmateriales an Leinenbändehen angetrocknete Sporen zur Impfung verwendet wurden, „konnte in „jedem einzelnen Falle durch die veränderten Heupilze nach Ab- „lauf einer Inkubationsdauer von 4 bis 6 Tagen der Milzbrand mit „allen charakteristischen Befunden erzeugt werden.“ In einer spätern Arbeit theilte Buchner noch eine andere Me- thode der Umänderung der giftigen Milzbrandbakterien in Heubakte- rien mit, welche viel rascher, als die oben geschilderte, zum Ziele führt. Nach dieser Methode werden giftige Milzbrandbaeillen in einer Mischung von halbprozentiger Fleichextraktlösung mit frischem Eigelb und Normal-Natronlösung bei 36° C. kultiviert; das richtige Mischungs- verhältnis ist 1 eem Eigelb und 1 bis 5 ecem Normal-Natronlösung auf 20 cem Fleischextraktlösung. In einer so zusammengesetzten Nährlösung wachsen die Milzbrandbacillen sehr üppig und zeigen 398 Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. gleich in der ersten Generation sehr weit gehende Veränderungen. Sie behalten im wesentlichen noch die Form der Milzbrandbakterien, aber ihre Stäbehen sind in der Regel breiter, zeigen etwas schwer- fällige Eigenbewegungen und bilden Sporen, die bis fünfmal so lang als breit sind. In Fleischextraktlösung übertragen bilden sie lockere, schleimige Decken, in Heuaufguss zeigen sie ein spärliches Wachs- tum ohne die charakteristische Deckenbildung. Nach nochmaliger Umzüchtung dieser als „Eiweißbakterien“ bezeichneten Form in der nämlichen Nährlösung, zeigte sie sich bei vorgenommenen Impfungen an weißen Mäusen wirkungslos; größere Impfungen derselben (über 20 emm) wirkten dagegen noch infektiös. Durch weitere Züchtungen mit der in der ersten Versuchsreihe angewendeten Weise konnte auch sie zum vollständigen Verlust ihrer Virulenz gebracht werden. Aus diesen Resultaten seiner Versuche schließt Buchner, dass Milzbrandbakterien bloß eine Anpassungsform der allgemein verbrei- teten und unschädlichen Heubakterien sind, mit denen er sie deshalb zu einer einzigen naturhistorischen Art, dem Bacterium subtile (Buch- ner) vereinigt. Wie aus der obigen Darstellung zu ersehen ist, stützt er diese seine Behauptung auf zweierlei Thatsachen: 1) auf die Resultate der mit umgeänderten Bacillen vorgenom- menen Impfungen und 2) auf die Vegetationsformen der ungezüchteten Baeillen in künst- lichen Nährlösungen, namentlich aber im Heuaufguss. Ob auch an- dere Merkmale und Eigenschaften sich durch Umzüchtung verändert haben, ob z.B. die Milzbrandbaeillen nach Verlust der Virulenz auch die hohe Widerstandsfähigkeit der Sporen der Heubacillen gegen Siedehitze erlangt haben, darüber finden wir in den Arbeiten Buch- ner’s keinerlei Aufschluss. Die Versuch Buchner’s haben im allgemeinen eine sehr gün- stige Aufnahme bei den Bakteriologen gefunden; aber auch abspre- chendes Urtheil wurde ilınen zu teil. In letzterer Beziehung ist be- sonders beachtenswert die Kritik, welehe Robert Koch gegen die- selben ergehen ließ. Die Einwände Koch’s richten sich an erster Stelle gegen die von Buchner angewendeten Versuchsmethoden, in denen er die Hauptursache der erhaltenen Resultate zu erblicken ge- neigt ist. Er meint, dass die angewendeten Vorsiehtsmaßregeln so- wohl in der ersten, als auch insbesondere in der zweiten Versuchs- reihe, in welcher nicht sterilisierte Nährlösungen gebraucht wurden, nicht hinreichenden Schutz gewährten, um fremde Bakterien von den Buchner’schen Kulturen abzuhalten; daher lassen sich seiner Ansicht nach die Resultate der vorgenommenen Impfungen durch Verunreini- gung und Ueberwucherung der ursprünglichen Kulturen ganz einfach erklären. Weiter legt er Gewicht darauf, dass Buchner es unter- lassen hatte, die von ihm (Koch) zuerst gebrauchten Färbungsmetho- den anzuwenden, um die morphologischen Unterschiede, welche zwi- Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. 399 schen Heu- und Milzbrandbakterien existieren, nachzuweisen. Schließ- lich beruft er sich auf seine eignen Kulturversuche zum Beweise, dass Milzbrandbakterien auf verschiedensten Nährsubstraten (Nähr- gelatine von humor aqueus, Fleischextrakt, gekochte Kartoffeln) Wochen und Monate lang gezüchtet, dennoch ihre Virulenz im vollsten Maße behalten. Er bestreitet desbalb die Richtigkeit der Buchner’schen Resultate und sprieht ihnen jede Bedeutung ın der Abstammungsfrage der pathogenen Bakterien ab. Eine Entgegnung auf die Kritik Koch’s ist von seiten Buch- ner’s nicht ausgeblieben. Da sie aber vorwiegend polemischen Cha- rakter trägt, so braucht an dieser Stelle nur in Kürze auf sie einge- gangen zu werden. Indem Buchner einige Schwächen der Koch’- schen Argumentation sowie den Umstand benutzte, dass Koch selbst dieHeubacillen nicht richtigzu charakterisieren wußte, vielmehr dieselben mit anderen nicht näher bekannten Bakterien vermengte, war es ihm leicht, die zwei ersten Einwände — wenn auch nicht ganz zu wider- legen, so doch wenigstens deren Spitze gegen Koch’s eigne Un- tersuchungen zu wenden. Den letzten und schwerwiegendsten Ein- wand, dass Milzbrandbaeillen bei künstlichen Züchtungen eine Abnahme der Virulenz nicht zeigen, wies er aber unter Hinweis auf den Um- stand zurück, dass Koch unter ganz anderen Bedingungen experi- mentierte, somit auch zu anderen Resultaten gelangen musste. Im übrigen hält er an allen seinen früheren Anschauungen fest und be- hauptet durch seine Untersuchungen nicht nur die Möglichkeit der Umwandlung der Milzbrandbakterien in eine nicht infektiöse Form, sondern auch die genetische Zusammengehörigkeit der letzteren mit den Heubakterien erwiesen zu haben. Diesem letzteren mit voller Bestimmtheit ausgesprochenen Satz Buchner’s, dass „Milzbrand- und Heubakterien genetisch zusammengehören und eine einzige naturhistorische Art bilden,“ widersprechen die Resultate meiner eignen Untersuchungen, die ich im März d. J. der Krakauer Akademie der Wissenschaften vorgelegt habe). Dieselben stellten sich zur Hauptaufgabe die Rich- tigkeit der Voraussetzungen zu prüfen, welche die Basis der Versuche Buchner’s bildeten. Wie erwähnt, ging Buchner von der Ansicht aus, dass Milz- brand- und Heubakterien in morphologischer Beziehung mit einander vollständig übereinstimmen. Wäre diese Voraussetzung richtig, so 1) Diese Untersuchungen wurden noch im Jahre 1882 in den Monaten März bis August ausgeführt, kamen aber Umstände halber erst in diesem Jahre zur Veröffentlichung. Die wichtigsten Resultate derselben wurden in zwei Vor- trägen, die ich in der polnischen Gesellschaft der Naturforscher „Copernicus*“ in Lemberg und in der Lemberger medizinischen Gesellschaft im Mai 1882 ge- halten habe, im Auszuge mitgeteilt. 400 Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. würde die von Buchner behauptete spezifische Zusammengehörigkeit beider Spaltpilze sehr an Wahrscheinlichkeit gewinnen. Dies ist je- doch nicht der Fall, wie wir gleich sehen werden. Die morphologische Uebereinstimmung sollte nach Buchner zu- erst durch Cohn erwiesen worden sein. Cohn hat aber nur Heu- bakterien näher studiert und sich mit Untersuchungen von Milz- brandbacillen gar nicht befaßt. Letztere kannte er nur insofern, als ihm Robert Koch seine Kulturen von dieser Bakterie zur Besich- tigung und Kontrole übergab. Auf grund dieser jedenfalls flüchtigen Beobachtung stellte Cohn die Behauptung auf, dass Milzbrand- und Heubacillen sowohl in der äußern Form als auch in sämtlichen Phasen ihrer Entwickelung einander sehr ähnlich sind, und diesem Ausspruch stimmte auch Robert Koch bei. Beide Forscher schil- dern demgemäß in gleicher Weise die Wachstums- und Teilungsvor- sänge, die Sporenbildung und Sporenkeimung der beiden Bacillen- arten. Indess hat schon Brefeld gezeigt, dass Cohn die Aus- keimung der Sporen von Bacillus subtilis gar nicht gesehen hatte und ich konnte diese Thatsache bestätigen. Es lag nun nahe, dass auch Koch den Auskeimungsprozess bei den Milzbrandsporen nicht oder nicht riehtig beobachtet hatte; dann aber war die behauptete mor- phologische Uebereinstimmung beider Bakterien keineswegs als schon erwiesen zu betrachten. Um diesen Punkt aufzuklären, habe ich mich veranlasst gefunden, die Entwickelungsgeschichte und Morphologie des Milzbrandbaeillus noch einmal einem nähern Studium zu unterziehen. Diese Unter- suchung hat nun ergeben, dass zwischen Heu- und Milzbrandbakterien sehr wichtige und entscheidende Formunterschiede bestehen und zwar nicht nur im Auskeimungsprozesse selbst, sondern auch in anderen morphologischen Merkmalen. Um diese Unterschiede dem Leser recht anschaulich zu machen, will ich zuerst die Entwickelungsgeschichte der Heubacillen nach Brefeld’s und meinen eignen Untersuchungen im kurzen skizzieren. Als Heubakterien (Bacillus subtilis Cohn) werden jetzt diejenigen Bakterien bezeichnet, welche nach einer von W. Roberts erfundenen Methode sich in wenigstens eine Stunde lang aufgekochtem und nach- her neutralisiertem Heuaufguss vorfinden. Durch ein so starkes und andauerndes Erhitzen werden sämtliche andere Bakterienkeime ge- tötet und nur die Sporen des BD. subtilis, welche, wie Brefeld zuerst nachgewiesen hat, selbst ein dreistündiges Aufkochen ohne Schaden ertragen können, am Leben erhalten. Der anfänglich klare Heuauf- guss trübt sich nach 18 bis 24 Stunden, nimmt eine milchige Be- schaffenheit an und lässt später eine zarte Haut an seiner Oberfläche erscheinen. Letztere verdickt sich mit der Zeit, nimmt eine runzlige, trockene Beschaffenheit an, während gleichzeitig die tieferen Schichten Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. A401 der Flüssigkeit sich allmählich klären. Schließlich zerfällt die obere Decke und fällt zu Boden in Form einer staubigen Masse. Verfolgt man die Veränderungen des Heuaufgusses unter dem Mikroskop, so findet man, dass sich in demselben zu Anfang der Trübung zahllose einzelne sowie zu Ketten verbundene Stäbehen vor- finden, die in lebhafter, eigentümlich wimmelnder Bewegung be- griffen sind. Allmählich sammeln sich dieselben an der Oberfläche der Flüssigkeit, wachsen hier in der Regel zu langen gegliederten oder ungegliederten Scheinfäden aus, deren Anhäufung die oberfläch- liche Decke bedingt. In diesen Fäden vollzieht sich die Sporenbil- dung; ein jedes Glied des Scheinfadens streckt sich ein wenig in die Länge, vergrößert auch wohl seinen Querdurchmesser und bildet dann in seinem Innern eine längliche, stark liehtbrechende Spore. Nach- dem die Sporen fertig gebildet sind, lösen sich die sie umgebenden Mutterzellenmembranen auf, die Sporen werden frei und fallen auf den Boden des Gefäßes, was sich äußerlich durch Auflösung und Zer- stäubung der oberflächlichen Haut bemerkbar macht. Bringt man die Sporen in eine entsprechende Nährlösung in die feuchte Kammer, so lässt sich dann auch ihre Auskeimung direkt beobachten. Sie schwellen bei entsprechender Temperatur (36° C.) schon nach 1 bis 2 Stunden um das Doppelte ihres Volumens an, verlieren ihren Lichtglanz und keimen nach weiteren 1!/, bis 2 Stunden aus. Die Auskeimung er- folgt stets in der Weise, dass das junge Stäbchen seitlich d.h. senkrecht zur Längsachse der Spore hervorbricht, sich dann rasch durch Wachstum verlängert, auch wohl Tochterstäbchen ab- gliedert, schließlich die Sporenhaut abstreift und davonschwimmt. Die abgestreifte Sporenhaut lässt an den beiden Enden der Längs- achse deutliche Verdichtungen erkennen. In dem eben beschriebenen anatomischen Bau der Sporen und der eigentümlichen seitlichen Auskeimung derselben liegen die charak- teristischesten Merkmale von B. subtilis. Alle übrigen Merkmale, wie die Ueppigkeit des Wachstums, die Deckenbildung, die Aufeinander- folge der Teilungen, der Quer- und Längsdurchmesser der Stäbchen können durch äußere Lebensbedingungen beeinflusst werden, aber die Beschaffenheit der Sporen und die Artihrer Auskeimung bleiben stets dieselben. Ganz andere morphologische Merkmale kommen in entscheidenden Punkten bei B. Anthracis zum Vorschein. Hat man eine Reinkul- tur desselben erlangt, was bei richtigem Verfahren nicht allzu schwierig ist, so findet man, dass die Nährlösung im ganzen Verlaufe der Vegetation klar und hell bleibt. Man sieht nur am Boden des Gefäßes zarte, wolkenartige Gebilde, die sich in der Flüssigkeit nach verschiedenen Richtungen ausspannen und bei seichter Schichte der- selben mit ihren Fortsätzen bis an die Oberfläche reichen. Mitunter kommt es in ganz ruhigen Nährlösungen vor, dass sich an der Ober- 26 402 Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. fläche eine zarte Haut bildet, die jedoch beim leisesten Erschüttern zu Boden sinkt. Letztere Erscheinung wird nicht nur in den späteren Generationen, sondern selbst in der ersten Züchtung der aus dem Blute der Milzbrandkadaver entnommenen Baeillen beobachtet. Die mikroskopische Untersuchung der wolkenartigen Gebilde lehrt, dass dieselben in der Hauptsache aus langen nebeneinander gelagerten oder durch einander gewundenen Scheinfäden, analog denen, die sich in der Heubakteriendecke vorfinden, zusammengesetzt sind. Zwischen den Fäden kommen auch kürzere Ketten von Stäbchen und Einzel- stäbehen vor; letztere können bei entsprechender Temperatur (36° C.) auch Eigenbewegungen zeigen, aber diese sind schwerfälliger und von öfteren Ruhepausen unterbrochen, als bei B. subtilis. Ist für hinrei- chende Sauerstoffzufuhr und entsprechende Temperatur gesorgt, so findet in den Scheinfäden und Einzelstäbehen Sporenbildung in ana- loger Weise wie bei B. subtilis statt. Sind die Sporen fertig ge- bildet und deren Mutterzellmembranen aufgelöst, so verschwinden die wolkenartigen Gebilde und es bleibt nur ein trüber, staubartiger Ab- satz am Boden des Gefäßes zurück. Im entgegengesetzten Falle er- halten sie sich längere Zeit hindurch und die Stäbchen und Fäden zeigen Veränderungen, welche auf ein allmähliches Absterben der Vegetation schließen lassen. Bringt man die Sporen zum Auskeimen unter den ähnlichen Bedingungen, wie bei B. subtilis, so beobachtet man, dass dieselben sehr rasch (in der Regel nach 15 bis 20 Minuten) ihren Lichtglanz verlieren und um das Mehrfache ihres Anfangsvo- lumens anschwellen. Sie sehen dann jungen Stäbchen täuschend ähnlich, und man möchte sie auch für solche halten, wenn nicht ihre weitere ununterbrochene Beobachtung uns eines anderen belehrte. In Wirklichkeit keimen sie erst eine bis zwei Stunden später aus, indem das junge Stäbchen nieht seitlich, sondern stets in der Längs- achse der Spore an einem der beiden Enden die Sporen- membran durchbricht, um dann rasch weiter zu wachsen und sich durch Teilung zu vermehren. Hat es eime gewisse Länge erreicht, so wirft es die Sporenhaut ab, welche dann als eine überaus zarte, dünne, an allen Stellen gleichmäßig verdickte Hülle erscheint. Diese Art der Auskeimung ist für die Milzbrandsporen ebenso charakteristisch und unabänderlich, wie die eigentümliche Keimung der Sporen von Heubacillen; sie muss auch unabänderlich sein, weil sie in beiden Fällen durch den anatomischen Bau der Sporenmembran bedingt wird. Durch dieses Merkmal sind aber die Milzbrandbaeillen unbedingt als ein besonderes Wesen, als eine distinkte und den Heu- bacillen völlig fremde Spezies scharf unterschieden ). 4) Buchner fand ebenfalls (Krit. und Experim. üb. die Frage der Kon- Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. 403 Es ist dies aber nicht der einzige Unterschied, welcher zwischen Milzbrand- und Heubakterien besteht. Ich habe schon oben hervorgehoben, dass die Eigenbewegungen der Milzbrandbacillen viel langsamer und schwerfälliger als bei den Heubacillen von statten gehen. Diese eigentümliche Art der Bewe- gung wird auch dann beibehalten, wenn die Milzbrandbaecillen dahin gebracht werden, in der Nährlösung umherzuschwärmen, dieselbe zu trüben und auf deren Oberfläche dickliche Deeken nach Art der Heu- bacillen zu bilden. Sie scheint mit der Form der eigentlichen Bewe- gungsorgane der Spaltpilze der sogenannten Wimpern zusammenzu- hängen; doch sind alle meine Bemühungen, die Wimpern bei den Milzbrandbaeillen aufzufinden, fruchtlos geblieben. Bei B. subtilis hat Brefeld zuerst je zwei lange Wimpern an beiden Enden der schwär- menden Stäbchen entdeckt. Ein weiterer Unterschied liegt in der Zeitdauer, welehe die Milz- brand- und Heubakterien unter gleich günstigen Bedingungen brauchen, um zur doppelten Länge heranzuwachsen und sich alsdann zu spalten. Bei einer Temperatur von 36° C. vollziehen sich diese Vorgänge bei B. subtilis in 20 bis 30 Minuten; B. Anthracis erfordert dazu ungefähr das Doppelte an Zeit; bei niedrigeren Temperaturen gehen auch Wachstum und Teilungen entsprechend langsamer vor sich. Schließlich fand ich bei B. Anthracis noch einen eigentümlichen Dauerzustand, welcher zwar auch bei anderen Bakterien, nicht aber bei B. subtilis und den ihm verwandten Formen beobachtet wurde. Derselbe kommt dadurch zu stande, dass das Stäbchen nach außen eine dieke gallertartige Membran ausscheidet, welche alsbald erhärtet und dann eine Art derber und fester Hülle um das zarte Stäbehen bildet. Unter günstigen Umständen entwickeln diese Dauerformen neue gewöhnliche Stäbchen dadurch, dass die Hülle an irgend einem Punkte durchbrochen wird und das junge Stäbchen wie bei der Spo- renkeimung aus derselben auswächst. Nach allen diesen Merkmalen kann also von einer genetischen Zusammengehörigkeit der Milzbrand- und Heubacillen, wie sie von Buchner als durch seine Versuche erwiesen angenommen wird, stanz d. pathog. Spaltpilze S. 268), dass die Keimung der Milzbrandsporen in einer andern Weise verläuft, als bei B. subtilis, wenn er auch den Keimungs- prozess im ganzen nicht richtig gesehen hat. Merkwürdigerweise scheint er aber diesen Unterschied als ganz irrelevant zu halten, denn er sagt: „Es würde zu weit führen, auf diesen letztern Gegenstand (d. i. Beschaffenheit der Spo- renmembran), der uns hier nicht interessiert, näher einzugehen“. Dies muss umsomehr auffallen, als er einige Zeilen weiter oben selbst zugibt, dass, sollte der Auskeimungsprozess der Milzbrand- und Heusporen ein we- sentlich anderer sein, so würde auch die genetische Zusammen- gehörigkeit von Milzbrand- und Heubakterien unmöglich er- scheinen, 26 * AU4 Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. nicht die Rede sein. Dieselbe würde nur unter der Bedingung als feststehend zu betrachten sein, wenn es gelingen würde nachzuweisen, dass sämtliche morphologische Charaktere der Milzbrandbacillen, ins- besondere aber die Art der Sporenkeimung veränderlich sind und in entsprechende Charaktere der Heubaecillen übergehen. Dieser Beweis wird aber nach den Erfahrungen, die wir über die Veränderlichkeit der Arten haben, wohl schwerlich erbracht werden können. Es sind deshalb D. subdtilis und BD. Anthracis auch fernerhin als beson- dere Arten zu betrachten. Eine andere Frage ist es aber, ob Milzbrandbacillen, wie es Koch und seine Schule will, unter allen Umständen ihre Virulenz bewahren, oder ob sie vielmehr auch in einer nicht virulenten Form existieren können? Diese Frage steht mit der behaupteten spezifischen Zusammengehörigkeit der Milzbrand- und Heubaeillen, sowie mit den morphologischen Unterschieden, welche zwischen beiden bestehen, in keinem Zusammenhange. Denn es lässt sich ja denken, dass Milz- brandbakterien unter Beibehaltung aller ihrer morphologischen Merk- male ihre giftigen Eigenschaften unter Umständen verlieren, dann außerhalb des Tierkörpers als unschädliche Bakterien vorkommen, um beim Wechsel der Lebensbedingungen sie von neuem zu erlangen. Auch ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass Heubaeillen sich ebenfalls an die Existenz im tierischen Organismus anpassen können und dann Milzbrand oder vielleicht eine andere Krankheit in dem- selben hervorzurufen im stande sind. Wenn nun auch für die letztere Möglichkeit, abgesehen von den Buchner’schen Experimenten, welche, weil sie mit nicht sterilisierten Nährmedien ausgeführt worden sind, gegen die Methodik der Bak- terienuntersuchungen sehr versündigen und das erhaltene Resultat in Frage stellen, keine sicheren Anhaltspunkte zur Zeit vorhanden sind, so verhält sich, was erstere Möglichkeit anlangt, die Sache anders. Aus zahlreichen Untersuchungen über Milzbrandbakterien ist zur genüge bekannt, dass dieselben als solche, also mit allen ihnen zu- kommenden Eigenschaften, nicht besonders gut an die Existenz in der freien Natur angepasst sind. Sie zeigen sich, wie schon Buchner hervorgehoben hat, sehr empfindlich gegen äußere noch so gering- fügige schädliche Einflüsse, stellen sehr hohe Anforderungen an die Temperatur (ihr Wachstum steht schon unter 16° C. still und ist noch bei 20° ©. sehr langsam), und vor allem sind sie selbst unter den möglichst günstigsten Lebensbedingungen, wie künstliche Züchtungen zweifellos festgestellt haben, konkurrenzunfähig Fäulnis- und anderen Bakterien gegenüber, von denen sie in sehr kurzer Zeit überflügelt und unterdrückt werden. Daraus geht aber hervor, dass, sollten sie in der freien Natur leben und sich vermehren, sie sich erst soweit verändern müssten, dass sie auch unter den weniger günstigen Lebensbedingungen, wie sie ihnen die Natur darbietet, existieren Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. 405 könnten. Da bis jetzt Milzbrandbakterien in der freien Natur nicht aufgefunden worden sind, so können wir auch nieht wissen, welche Eigenschaften ihnen alsdann zukommen. Dafür wissen wir aber mit Bestimmtheit, dass Milzbranderkrankungen sehr oft an Oertlichkeiten vorkommen, an denen Milzbrandkadaver nie vergraben worden sind. Diese Thatsache aber, wie es von gewisser Seite geschehen ist, da- durch erklären zu wollen, dass an solche Oertlichkeiten Sporen von Milzbrandbakterien von anderwärts angeschwemmt worden sind, scheint mir ebenso gezwungen und unzulässig wie die andere Annahme, dass dort Milzbrandbakterien als solche existieren und sich vermehren. Viel einfacher erklärt sich die Thatsache, wenn wir mit Buchner annehmen, dass an solehen Lokalitäten veränderte Milzbrandbak- terien vorkommen, d. h. solche, die ihre große Empfindlichkeit gegen die Lebensbedingungen der freien Natur nicht mehr zeigen. Wenn wir aber zugeben, und dies wird auch von den Anhängern der Konstanz der pathogenen Spaltpilze zugegeben werden müssen, dass Milzbrandbakterien sich in der angedeuteten Richtung verändern können, so ist kein Grund vorhanden, die andere Möglichkeit zu leugnen und sie in ihrer Virulenz für unabänderlich zu halten. Um so weniger darf diese Möglichkeit geleugnet werden, als es schon Thatsachen gibt, die direkt beweisen, dass die Virulenz der Milz- brandbakterien keineswegs eine konstante, von ihrer Natur unzer- trennbare Eigenschaft sei. Bekanntlich hat Pasteur aus den giftigen Milzbrandbakterien eine Form herangezüchtet, die in ihrer Virulenz abgeschwächt war und die er als Vaceine gegen tödlichen Milzbrand gebrauchen konnte. Er behauptet sogar, durch weitere Züchtungen dieser Form die Abschwächung bis zur vollständigen Wirkungslosig- keit des „virus“ gesteigert zu haben. Nun könnte zwar gegen dieses Resultat der Einwand erhoben werden, dass es sich bei der Pasteur- schen Milzbrandvaceine um krankhafte Veränderungen d. h. um eine Herabminderung der Lebensthätigkeit der Bakterien handelt; dieser Auffassung widerspricht jedoch die Angabe Pasteur’s, dass die abgeschwächten Milzbrandbakterien sich normal vermehren und nor- male Sporen bilden, welche wieder abgeschwächte Generationen re- produzieren. Er sagt nämlich: „Autant de baeteridies des virulences diverses, autant des germes dont ehacun est pret a reproduire la virulence de la bacteridie, dont il emane.“ Und an einer andern Stelle: „Cette bacteridie in- offensive se eultive dans des milieux artificiels avee autant de facilit& que la bacteridie la plus virulente et morphologiquement elle ne peut s’en distinguer si ce nes parlesscaracteres les plusstugitifs.2.) Auch ich habe in meinen Kulturen, die zum Zwecke einer Nach- 1) Pasteur, Le vacein du charbon. Compt. rend. T. XCII. 1881. 406 Prazmowski, Milzbrand- und Heubakterien. prüfung der Versuche Buchner’s angestellt waren, eine Bakterie erhalten, die ich für eine nicht pathogene Form der Milzbrandbak- terien halte. Sie zeigt nämlich genau dieselben morphologischen und entwickelungsgeschichtlichen Charaktere, wie die echten, giftigen Milzbrandbakterien. Ihre Stäbchen sind unter den gleichen Bedin- gungen von derselben Form und Größe, zeichnen sich durch die gleichen schwerfälligen Eigenbewegungen aus und bilden Sporen von derselben anatomischen Beschaffenheit, die in gleicher Weise aus- keimen. Von den giftigen Milzbrandbakterien unterscheiden sie sich nur durch den Mangel der virulenten Eigenschaften und dadurch, dass sie die Fähigkeit der Eigenbewegung in viel höherem Grade besitzen, weshalb sie bei reichlicher Vermehrung die Nährlösungen trüben und später an deren Oberfläche dickliche, schmutzig weiße Decken von schleimiger Beschaffenheit bilden. Diese letztere Eigenschaft scheint dafür zu sprechen, dass es die- selbe Bakterie ist, welehe Buchner in seiner ersten Versuchsreihe aus den Milzbrandbakterien herangezüchtet hat und welche er eben aufgrund dieser Merkmale (Eigenbewegung und Deckenbildung) für identisch mit den Heubakterien erklärte. Da die Kulturen Buehner's in dieser Versuchsreihe in einer den Anforderungen einer exakten Methodik entsprechenden Weise ausgeführt worden waren, so scheint der Schluss gerechtfertigt zu sein, dass es ihm in diesen Versuchen in der That gelungen ist, aus den virulenten Milzbrandbakterien eine nicht virulente Form derselben heranzuzüchten. Ob auch die andere Versuchsreihe, bei der die Milzbrandbakterien in nicht sterilisierten Nährlösungen (frisches Eigelb und Natronlösung) kultiviert waren, dasselbe Resultat lieferte, lässt sich nieht behaupten; ich für meinen Teil wenigstens bin geneigt, nach den Charakteren der hier erhal- tenen Bakterie zu schließen, anzunehmen, dass eine Verunreinigung und Unterdrückung der Milzbrandvegetation stattgefunden hat. Leider war es mir nicht vergönnt, diese Fragen, wie ich es ge- wünscht habe, einer nähern experimentellen Prüfung zu unterziehen. Ich meine aber, dass es der Mühe wert sein würde, die Frage der Virulenz der Milzbrandbaeillen noch einmal in vorurteilsfreier Weise experimentell in Angriff zu nehmen, und dass dann eine Ver- ständigung zwischen den entgegengesetzten Ansichten über dieses ebenso praktisch wie theoretisch hochwichtige Thema erreicht werden könnte. A. Prazmowski (Czernichow b. Krakau). Lehmann, Die nächsten Verdauungsprodukte der Eiweißkörper. 407 Die nächsten Verdauungsprodukte der Eiweißkörper. Im 17. Jahrhundert fand Brunner (Experimenta nova eirca pan- creas 1683), dass die Magenverdauung der Eiweißkörper im Großen und Ganzen in einer Lösung derselben bestehe. Als man später die saure Reaktion des Magensaftes erkannt hatte, glaubte man, dass diese Lösung durch eine Säure bewirkt werde. Erst in unserm Jahr- hundert entdeckte Eberle (Physiologie der Verdauung 1838), dass verdünnte Säuren allein nicht im Stande sind, organische Materien schnell aufzulösen, sondern dass dazu die Mitwirkung des Magen- schleims erforderlich sei. Er war auch der Erste, welcher die künst- liche Verdauung anwandte; mit Hilfe derselben zeigte er, dass durch den sauren Extrakt der Magenschleimhaut das Eiweiß in einer eigen- tümlichen Weise umgewandelt wird, so dass es nicht nur in Lösung geht, sondern auch seine Fähigkeit verliert, durch Kochen oder Zu- satz gewisser Reagentien zu gerinnen. Etwas näher auf dieses Umwandlungsprodukt des Eiweißes ging zunächst Mialhe (Journ. de pharm. et de chim. (3) T.X) ein. Er be- zeichnete dasselbe mit dem Namen Albuminose und charakterisierte diese als leicht löslich im Wasser, unlöslich in absolutem Alkohol, nicht fällbar durch Kochen und durch Säuren. Weiter beschäftigte sich ©. G. Lehmann (Lehrbuch der physiol. Chemie 1850) mit der fraglichen Substanz. Nach seiner Ansicht ent- stehen aus den verschiedenen Eiweißkörpern verschiedene Stoffe. Diese werden aus ihrer wässerigen Lösung durch Gerbsäure, Sublimat, ba- sisches Bleiacetat gefällt, dagegen nicht durch andere Metallsalze, nicht durch konzentrierte Mineralsäuren, ebensowenig durch Essigsäure und Ferrocyankalium. Sie gehen mit Alkalien und Erden leicht lös- liche Verbindungen ein. Die so charakterisierten Substanzen bezeich- nete Lehmann als Peptone. Von spätern Untersuchern ist leider der Lehmann’sche Begriff der Peptone nicht aufrecht erhalten worden, sondern man verstand ganz allgemein unter diesem Namen lösliche Körper, welche durch Einwir- kung von Magensaft auf Eiweiß entstehen und durch Hitze nicht koa- guliert werden. Je mehr der Verdauungsprozess vorschreitet, desto mehr versagen die gewöhnlichen Eiweißreagentien bei den gebildeten Produkten. Es ist daher schwierig, zu bestimmen, wo der Begriff „Eiweiß“ seine Be- rechtigung verliert und der Name „Pepton“ gebraucht werden soll. Die Grenze ist denn auch von den verschiedenen Forschern an ver- schiedenen Stellen gezogen worden. Offenbar spielt sich die Verwandlung der Eiweißkörper durch die Verdauungsflüssigkeit in mehreren Stadien ab, und je nach der Stufe der erreichten Umwandlung könnte man eine ganze Reihe von Ver- dauungsprodukten unterscheiden, die alle in ihren Reaktionen etwas von einander abweichen würden. Am Ende dieser Reihe käme man 408 Lehmann, Die nächsten Verdauungsprodukte der Eiweißkörper. schließlich zu Substanzen, welche aus ihrer Lösung durch keines der Eiweißreagentien (auch nicht durch Alkohol) mehr gefällt werden. Wenn wir aber so weit gehen, dann haben wir es schon mit krystal- linischen, größtenteils bereits studierten Produkten zu tun, die schon durch Kochen mit Salzsäure zu erhalten sind und die nicht mehr als Peptone bezeichnet werden können. Ehe wir nun darauf eingehen, in welcher Weise die verschiedenen Untersucher die Verdauungsprodukte des Eiweißes darstellen und charakterisieren, mag erwähnt werden, dass, wie es fast bei allen bekannten Fermenten der Fall ist, auch die Wirkung, welche das Pepsin in saurer Lösung auf die Eiweißstoffe ausübt, keine ihm allein zukommende ist; mit andern Worten: die Verdauungsprodukte können auch auf andere Weise, durch Kochen mit Wasser oder Einwirkung verdünnter Säuren, erhalten werden und sie treten unter Umständen in verschiedenen Körperflüssigkeiten und Geweben auf. So die Hemi- albumose im Knochenmark und im Harn, nach neueren Angaben auch in der Milch (Inauguraldissertation von Schmidt. Moskau 1882) und in fieberhaftem Eiweißharn (Maurel, Bull. et M&m. de la Soc. de Ther. XV. 1883), das Pepton im Eiter. Führen wir uns diese Thatsache vor Augen, so besteht auch kein großer Untersebied mehr zwischen den Peptonen (im weitesten Sinne) und einem Eiweißkörper, der im Anfange der Magenverdauung auf- tritt und auf den schon Th. Schwann aufmerksam wurde. Meiss- ner (Zeitschrift f. ration. Medizin. Bd. 7, 8, 10, 12, 14), der diesem Stoffe wieder begegnete, hielt ihn für ein Zersetzungsprodukt des Ei- weißes und nannte ihn Parapepton. Er gibt an, dass er durch bloße Einwirkung von Salzsäure nicht zu erhalten sei. Diese Angabe konnte aber von keinem der spätern Forscher hestätigt werden, vielmehr stellte sich heraus, dass der fragliche Körper ein Acidalbumin sei, übereinstimmend mit dem aus den Muskeln erhaltenen Syntonin. Uebrigens fand auch Meissner ganz in Einklang damit, dass bei der Pankreasverdauung kein Parapepton erhalten wird, dass dieses dagegen selbst durch Pankreaswirkung in einen peptonartigen Körper übergeht. Da man aber das Syntonin fast allgemein zu den eigentlichen Eiweißkörpern rechnet, so soll es von der vorliegenden Betrachtung ausgeschlossen bleiben; ebenso andere von Meissner dargestellte Produkte, wie Metapepton, Dyspepton, a-, b- und e-Pepton, die jeden- falls keine reinen Substanzen waren, und über deren Wesen ver- schiedene Ansichten geäußert worden sind. Hat man aus dem Verdauungsgemische das Syntonin durch Neu- tralisation entfernt, das unveränderte Eiweiß durch Koagulation aus- geschieden, so hat man im Filtrat eine Lösung derjenigen Substanz oder Substanzen vor sich, die schlechtweg als Pepton, resp. als Pep- tone bezeichnet werden. Diese Substanzen sind aber, wie schon erwähnt, je nach der Zeit Lehmann, Die nächsten Verdauungsprodukte der Eiweißkörper. 409 der Verdauung von etwas verschiedener Natur, und da man sich über bestimmte Reaktionen nicht geeinigt hat, so besitzt das „Pepton“ des einen Untersuchers oft ganz andere Eigenschaften, als das des an- dern. So diffundieren z. B. nach Funke die Peptone sehr leicht, nach andern Untersuchern dagegen schwer. Eine weitere Schwierig- keit für übereinstimmende Resultate liegt in dem verschiedenen Ver- fahren, aus der Lösung die gesuchten Substanzen darzustellen. C. G. Lehmann verdaute, um seine Peptone zu erhalten, so lange, bis der größte Teil des Eiweißes in Lösung gegangen war, hierauf wurde gekocht, filtriert, das Filtrat stark konzentriert und mit Alkohol gefällt. Diesen Niederschlag betrachtete er als Pepton- kalkverbindung. Die Reaktionen dieser Peptone sind bereits oben an- gegeben. Eine vollständige Analyse seiner Präparate scheint Leh- mann nicht gemacht zu haben, dagegen wurde von ihm konstatiert, dass seine Peptone noch Schwefel enthielten, und er nahm außerdem an, dass sie in ihrer Elementarzusammensetzung den Eiweißkörpern mindestens sehr nahe kämen. Mulder (Archiv f. d. holländ. Beiträge zur Natur- und Heilkunde 1858, 1860, 1861) setzte die Verdauung sehr lange fort (bis zu vier Tagen) und gelangte so zu Produkten, welche aus saurer Lösung nicht mehr durch Kochen, Alkohol, Salpetersäure, kohlensaures Ammoniak, Bleiacetat, Ferrocyankalium, Glaubersalz gefällt wurden. Etwas früher hat R. Herth (Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. I) Halt gemacht, denn sein Pepton wird noch durch Alkohol, ferner durch Ammoniak, Bleiacetat und durch Sublimat gefällt, nicht mehr dagegen durch Säuren, die meisten Metallsalze, Neutralsalze mit Essigsäure und durch Kochen. Er benutzte zur künstlichen Verdauung Phosphorsäure und neutralisierte mit Bleikarbonat. Dann wurde durch Schwefelwasser- stoff entbleit, wieder etwas angesäuert und die Verdauung noch mehrere Stunden lang fortgesetzt. Dann wurde eingedampft, mit Al- kohol gefällt und der Niederschlag durch Aether gereinigt. Bei der Elementaranalyse ergaben sich dieselben Zahlen wie für Eiweiß. Maly (Pflüger’s Archiv Bd. IX und XX) machte die von Eiweiß und Syntonin befreite Lösung durch Dialyse möglichst salzarm und benützte dann fraktionierte Fällung mit Alkohol. Die drei Fraktionen gaben bei der Analyse fast dieselben Zahlen und Maly schließt da- her, dass man immer nur von einem Pepton spreehen kann. Das- selbe wird bei ihm noch aus essigsaurer Lösung dureh Ferrocyan- kalium gefällt. Die Elementarzusammensetzung weicht von der des Eiweißes nicht erheblich ab, höchstens enthält das Pepton die Ele- mente des Wassers mehr. Kossel (Pflüger’s Arch. Bd. XII), Kistiakowsky (Das. Bd. IX) und Moehlenfeld (Das. Bd. V) fanden in Präparaten, die durch Behandlung mit Silberoxyd erhalten waren, weniger Kohlenstoff und Stickstoff, als in den Eiweißkörpern. Die Peptone scheinen nach die- 410 Lehmann, Die nächsten Verdauungsprodukte der Eiweißkörper. sen Untersuchern große Neigung zu haben, mit verschiedenen Basen und Säuren zugleich Verbindungen einzugehen. Aus ihrer wässerigen Lösung werden sie durch basisches Bleiacetat, Kaliumquecksilberjodid, aus schwach salzsaurer Lösung durch Phosphorwolframsäure und Phosphormolybdänsäure gefällt. Brücke (Sitzungsber. d. Wiener Akad. Bd. 61) hat als Produkte der Eiweißverdauung zwei Körper dargestellt, die er Alkophyr und Hydrophyr nennt; ersterer sollte in Alkohol und Wasser, letzterer nur in Wasser löslich sein. Adamkiewiez (Natur und Nährwert des Peptons. Berlin 1878) will den Namen Pepton für eine von dem Pepton der bisherigen Untersucher ziemlich verschiedene Substanz einführen. Bisher hatte man nur einen solchen Körper als Pepton bezeichnet, welcher durch ziemlich lang protrahirte Verdauung gebildet war und auch aus sehr konzentrierten Lösungen durch die meisten Reagentien nicht gefällt wurde. Eine solche Substanz verdient nach Adamkiewiecz deshalb ihren Namen nicht, weil die Eiweißkörper viel zu kurze Zeit im Ma- gen blieben, um eine derartige Umwandlung zu erfahren. Vielmehr sei für Resorption und Ernährung ein viel früher auftretendes Ver- dauungsprodukt von weit größerer Bedeutung und diese Substanz sei als Pepton zu bezeichnen. Man erhält dieselbe nach ziemlich kurzer Einwirkung des Magensaftes; ihr Hauptunterschied von den Eiweiß- körpern liegt darin, dass sie sich in der Wärme verflüssigt, beim Er- kalten zu einer gallertigen Masse erstarrt. Zur Darstellung seines Peptons neutralisierte Adamkiewiez die Verdauungsflüssigkeit mit Soda, kochte das schwach angesäuerte Filtrat, um Eiweißreste zu entfernen, und fällte das „Pepton“ durch absoluten Alkohol. Die Lösung seines Präparates wurde von desto mehr Eiweißreagentien gefällt, je konzentrierter sie war. Die Analysen ergaben Zahlen, die für Eiweiß stimmen würden. Adamkiewiez hat aber kein reines Präparat gehabt, sondern ein Gemisch von wenigstens zwei Substanzen. Die eine von diesen wird schon frühzeitig gebildet und hat die oben erwähnte Eigenschaft, in der Wärme sich zu lösen und beim Erkalten zu erstarren. Auf diese eigentümliche Substanz soll Magendie zuerst aufmerksam ge- worden sein. Später ist derselbe Körper von Bence-Jones (Med. chir. transact. 1850) im Harn, von Virchow (Virchow’s Arch. Bd. IV) in osteomalacischem Knochenmark, von Lassar (das. Bd. LXXVI) im Kaninchenharn nach Petroleumeinreibung nachgewiesen worden. Schmidt-Mülheim (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1880) nannte ihn Propepton, und Kühne gab ihm endlich den jetzt gebräuchlichen Namen: Hemialbumose. Der angeführte Name wurde von Kühne (Verhandl. des Natur- historisch- Mediz. Vereins zu Heidelberg. N. F. Bd. I; Zeitschr. f. Biologie 1883, 1884) deshalb gewählt, weil er in dieser Substanz eine Lehmann, Die nächsten Verdauungsprodukte der Eiweißkörper. EA Zwischenstufe zwischen Albumin und seinem Hemipepton entdeckt hatte. Nach seiner Beobachtung verhalten sich nämlich die im Magen gebildeten Peptone verschieden gegenüber dem Pankreasferment: ein Teil derselben wird weiter zersetzt und liefert dann Amidosäuren, der andere Teil widersteht dem Trypsin. Ersteres Pepton nannte Kühne Hemipepton, letzteres Antipepton. Er folgerte aus dem be- schriebenen Verhalten, dass im Eiweiß zwei Gruppen vereinigt seien, von denen die beiden verschiedenen Peptone herstammten. Dass zwischen diesen Peptonen und dem Eiweiß noch andere Substanzen stehen, bewies zunächst die Auffindung der Hemialbumose. Die Hauptcharaktere derselben sind nach Kühne: 1) Zum Unterschiede vom Eiweiß: Löslichkeit in siedendem Wasser, in siedenden ver- dünnten Salzlösungen, selbst bei schwachem Ansäuern, eventuell Wie- derausscheidung in der Kälte. Unveränderte Löslichkeit nach Aus- fällung mit starkem Alkohol. 2) Zum Unterschiede von den Pep- tonen: sehr langsame oder mangelnde Dialyse, Ausscheidung durch Kochsalz und Essigsäure, Koagulation bei Temperaturen weit unter 70° C. mit oder ohne Salz- und Säurezusatz, nebst Wiederlösung des Gerinnsels über 70° C. und beim Kochen. 3) Zum Unterschiede von denjenigen Körpern, die zur Antigruppe gehören: Zersetzlichkeit durch Trypsin unter Bildung von Leuein, Tyrosin und eines durch Brom violett werdenden Körpers. Die Hemialbumose kann nicht nur durch den Verdauungsprozess, sondern auch durch Einwirkung von Säuren erhalten werden, wie überhaupt die meisten der hier in Betracht kommenden Substanzen. In Uebereinstimmung mit der Kühne’schen Ansicht fand auch Schützenberger, dass das Eiweiß zwei verschiedene Gruppen ent- halte; die eine war sehr resistent gegen Säuren, die andere nicht. Dieser Teilung entsprechend musste es auch zwei Gruppen von Verdauungsprodukten geben. Neben der Hemialbumose war zunächst eine Antialbumose zu erwarten. Diese hat denn auch Kühne in Jüngster Zeit durch vorsichtig geleitete Pepsinverdauung erhalten. Es stellte sich dann weiter heraus, dass noch ein Zwischenprodukt zwischen Antialbumin und Antialbumose zu existieren scheint, und ferner, dass in der Hemialbumose noch verschiedene Substanzen zu unterscheiden sind — indessen sind diese Untersuchungen noch nicht als abgeschlossen zu betrachten. Hemialbumose und Hemipepton erhält man, wenn man Eiweiß kurze Zeit der Einwirkung des Magensaftes aussetzt, dann neutrali- siert, abfiltriert, das Filtrat eindampft und mit Alkohol fällt. Das Pepton löst sich ganz, die Hemialbumose zum größten Teil in kaltem Wasser. Aus dieser Lösung erhält man Hemialbumose durch Fällung mit Essigsäure und Kochsalz und Hemipepton dureh Dialyse und Fällung mit Alkohol. Es kann nicht wundernehmen, dass bei der verschiedenen Dar- 412 Lehmann, Die nächsten Verdauungsprodukte der Eiweißkörper. stellungsart des „Pepton“ und den verschiedenen Begriffen, die man mit diesem Namen verband, auch die chemischen und physiologischen Vorstellungen, die man sich über die fragliche Substanz gebildet hat, ziemlich bedeutend difierieren. Ueber die chemische Konstitution des Peptons und sein Verhältnis zur Muttersubstanz existieren haupt- sächlich folgende Ansichten: 1) Die Peptone haben dieselbe prozentische Zusammensetzung, wie die Eiweißkörper. Sie müssen etwa als Isomere derselben auf- gefasst werden. Diese Ansicht wird von C. G. Lehmann, Mialhe, Herth, Maly vertreten. Sie stützt sich auf die erhaltenen analy- tischen Resultate. 2) Die Ansicht von Adamkiewiez, dass Pepton nur sehr salz- armes Eiweiß sei, wird von ihm dadurch begründet, dass Pepton nicht mehr durch Hitze gerinnt, und dass nach den Untersuchungen von Schmidt und Aronstein die Koagulation der Eiweißkörper nur durch ihren Salzgehalt bedingt ist. 3) Die jetzt wohl verbreitetste Auffassung ist die, welche von Hoppe-Seyler und seiner Schule, von Wurtz, von Henninger (Compt. rend. 1878) u. A. vertreten wird, dass nämlich die Peptone Hydratationsprodukte der Eiweißkörper sind. Gestützt wird diese Anschauung durch Versuche von Hofmeister (Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. II), weleher durch Erhitzen von trockenem Fibrinpepton (einige Stunden auf 140° oder kürzere Zeit auf 160°—170°) eine ei- weißähnliche Substanz darstellen konnte, und durch Versuche von Henninger, welcher durch Erhitzen von Pepton mit Essigsäureanhy- drid und nachfolgende Dialyse eine Flüssigkeit erhielt, welche durch Hitze und Salpetersäure getrübt, bei Ueberschuss der letzteren wieder klar wurde. Ferner wurde darin bei Anwesenheit von Essigsäure durch Ferrocyankalium und einige andere Salze Fällung erzeugt. 4) Die Peptone sind Zersetzungsprodukte. Diese Ansicht wird von Mulder, Brücke, Plösz (Pflüger’s Arch. Bd. IX) und — nicht für sein Pepton, sondern für das unfällbare Produkt der Ei- weißverdauung — von Adamkiewiez vertreten. Ebenso verschieden sind die Ansichten über die Rolle, welche das Pepton im Körper spielt. Auf der einen Seite wird es als wert- loses Produkt des Eiweißes betrachtet, weil es weniger Stickstoff und Kohlenstoff enthielte als die Eiweißkörper und besonders, weil zur Darstellung längere Zeit nötig sei, als der Magensaft im lebenden Organismus einwirken könne. Dabei hat man übersehen, dass ja auch Darmsaft und pankrea- tischer Saft noch peptonisierend wirken. Außerdem hat Schmidt- Mülheim gezeigt, dass im Magen wirkliches Pepton (unfällbares) entsteht. Schließlich haben Maly und Plösz durch Fütterungsver- suche nachgewiesen, dass das Pepton im Stande ist, das Eiweiß der Nahrung zu vertreten. Vietor Lehmann (Berlin). Leidy, Eine Serpulide aus dem süßen Wasser. 415 Detmer, Ueber den Einfluss der Reaktion Amylum, sowie Diastase enthaltender Flüssigkeiten auf den Verlauf des fermentativen Prozesses. Zeitschrift f physiologische Chemie. VII. Bd S. 1—6. Durch Einwirkung von Kohlendioxyd wird die Stärkeumbildung wesentlich beschleunigt; in der gleichen Weise wirken geringe Mengen von Zitronensäure; größere hemmen und noch größere hindern die Einwirkung der Diastase voll- ständig. Fast das gleiche gilt von Phosphorsäure und Salzsäure. Ziemlich große Mengen Karbolsäure beeinträchtigen die Zuckerbildung nur in geringem Grade, recht erhebliche Mengen machen dieselbe dagegen unmöglich. Setzt man dem Gemisch von Stärkekleister und Malzextrakt einige Tropfen Kalilauge zu, so erfolgt keine Amylumumbildung mehr. Bei äußerst schwacher alkali- scher Reaktion ist die Umbildung noch möglich, erfolgt aber dann sehr lang- sam. Der Verlauf des Prozesses wurde durch Jodlösung kontroliert. Kellermann (Wunsiedel). Leydy, Eine Serpulide aus dem süßen Wasser. Prof. Leidy hat vor einer längerın Reihe von Jahren (1858) in einer kur- zen Notiz der „Proceedings of the Academy of Natural Sciences of Phila- delphia* mitgeteilt, dass er zusammen mit einer interessanten Bryozoe (Urna- tella gracilis) an Steinen aus dem Schuylkill-Fluss bei Fairmount, Philadelphia, einen mit der marinen Serpulide Fabricia nahe verwandten Röhrenwurm ge- funden habe, dem er den Namen Manayunkia speciosa gab. In neuerer Zeit hat Leidy von einem andern Fundorte, nämlich aus dem Egg-Harbor-Fluss in New Jersey, wieder denselben Wurm erhalten und daraus Anlass genommen, dies Tier etwas eingehender zu beschreiben und abzubilden !). Die Anatomie weist nichts von irgendwie hervorragendem Interesse auf. Es erhellt aus Leidy’s Darstellung, dass Manayunkia sich nur in Punkten von ganz unter- geordneter Bedeutung von Fabricia unterscheidet, so dass die Rechtfertigung der generischen Trennung jetzt dem Verf. etwas zweifelhaft erscheint (Die Tentakelträger sind ungeteilt statt dreilappig; ein medianes Tentakelpaar ist durch seine Länge ausgezeichnet und umschließt eine Fortsetzung des Haupt- gefäßstammes; Blut grün; keine Augen am letzten Körpersegment). Was aber Veranlassung gibt, an dieser Stelle auf die Manayunkia hinzuweisen, ist der Umstand, dass es — soweit Ref. weiß — die erste Sißwasserpolychäte ist, von der wir Kenntnis erhalten haben, während alle sonst bekannten Bor- stenwürmer des süßen Wassers der Abteilung der Oligochäten angehören. In bezug auf die Herkunft dieser Form ist es von Interesse, dass Leidy nach- träglich noch einen weitern Fundort angegeben hat, nämlich den Mühlteich des Absecombaches bei Absecom in New Jersey (ibid. S. 302). Ueber diesen heißt es dort: „Gewöhnlich führt der Absecomteich reines Süßwasser und ent- hält in Mengen die gewöhnlichen für Süßwasser charakteristischen Pflanzen und Tiere. Nach Mitteilungen von Mr. Stuart Wood aber soll gelegentlich bei äußerst hohem Wasserstande des Absecombaches Salzwasser in den Teich einströmen. J. W. Spengel (Bremen). 1) Manayunkia speciosa in: Proc. Acad. Nat. Sc. Philadelphia, 1883, p. 204. Taf. 9. 414 Albrecht, Kleine Mitteilungen. Paul Albrecht, Sur la fossette vermienne du cräne des mammiferes. Avec une planche. — Sur la fente maxillaire double sous-muqueuse et les 4 os intermaxillaires de Yorni- thorhynque adulte normal. — Epiphyses osseuses sur les apophyses e&pineuses des vertebres d’un reptile (Halteria punclata, Gray). — Sur les copulae intercostoides et les hemisternoides du sacrum des mammiferes. — Note sur le pelvisternum des &dentes. Extraits du Bulletin de ’Academie royale de Belgique. 1883—1884. Bruxelles, Manceaux. Von der Abhandlung Nr. 1 ist das Resume in deutscher Sprache im Kor- respondenzblatt der deutschen anthropologischen Gesellschaft (1884. Nr. 7) veröffentlicht, es darf daher hier darauf verwiesen werden. — In Nr. 2 be- schäftigt sich der Verf. mit dem Os paradoxum des Oberkiefers von Ornitho- rhynchus paradoxus, Blumenbach. Diese unpaare, horizontale, mediane Knochen- platte betrachtet Albrecht als die verschmolzenen Ossa intermaxillaria in- terna, da dieselbe zwischen den beiden Canales nasopalatini gelegen ist. Ru- dolphinannte den Knochen Os intermaxillare internum s. inferius, J.P. Meckel den untern oder Gaumenast des Zwischenkiefers; Flower homologisiert ihn dem Os pränasale der Schweine, Albrecht dagegen dem isolierten, vom Vomer getragenen, aus zwei Hälften bestehenden Os intermaxillare bei doppeltem Wolfsrachen, da der Verf. bekanntlich 4 Ossa intermaxillaria, zwei interna und zwei externa, annimmt, die hiernach einem erwachsenen Säugetier zukommen. Zufolge der 3. Abhandlung tragen die Processus spinosi des letzten Cer- vikalwirbels, ersten Rückenwirbels, einiger Rückenlendenwirbel und Schwanz- wirbel der Hatteria punctata eine einfache oder doppelte knöcherne Epiphyse auf ihren Spitzen. — Die 4. Abhandlung erörtert die Entstehung des Sternums. Gestützt auf einen Fall von angeborener Sternalspalte bei einem Kinde be- trachtet der Verf. das Sternum als einen Komplex von Hemisternebres, welche letztern die Sternalenden von je zwei benachbarten Rippen knorplig verbinden, in denselben treten später Ossifikationspunkte, Hemisternebres os- seuses auf, die dann in der Medianlinie sowie mit den benachbarten verschmel- zen und so das knöcherne Sternum bilden. Analoge Sternebres hyoidiennes kehren wieder bei der Verknöcherung des Corpus oss. hyoidei und in ÖOssi- fikationskernen, welche am lateralen Ende der Verbindungslinie zwischen je zwei Vertebrae sacrales des Menschen gelegen sind. Sie werden Paracopulae interparacostoides genannt und von einem 19jährigen Manne abgebildet. Im einzelnen geht die Entwickelung so vor sich, dass der Mensch zuerst ein knorpliges Hemisternoide diparatetradiacopulaire besitzt, dann ein knöchernes Hemiparasternoide diparacopulaire und ein knöchernes Hemidiasternoide mono- diacopulaire; letztern Knochen an den lateralen Enden des dritten und vierten Sacralwirbels, erstere an den übrigen Sacralwirbeln. Die 5. Abhandlung über das Pelvisternum der Edentaten konstatiert bei Dasypus sexeinetus, Bradypus cueulliger und Choloepus didactylus einen be- sondern selbständigen Knochen in der Verbindungsstelle der oberen Scham- beinäste, dem Pelvisternum. Dasselbe entsteht aus einer linken und rechten Pelvicopula, welche die ventralen Enden des Os pubis und ischii verbinden. Es handelt sich also um ein Sternum der hintern Extremitäten, homolog den Romiti, Anatomische Notizen. 445 Ossa epicoracoidea der vordern Extremitäten, wie sie in knorpligem Zustande bei Anuren, im verkalkten bei Lacertilien, als Knochen bei den Monotremen vorkommen. Albrecht schlägt vor, diese Epicoracoidea als Hemiomo- sterna zu bezeichnen. Es kann nämlich Omosternum jener Knorpel genannt werden, welcher die beiden Ossa coracoidea und procoracoidea ent- lang der Medianlinie vereinigt; das Praesternum der Anuren wird dann zu einem Praeomosternum und ist homolog oder vielmehr homodynam der Kar- tilago epipubica der Salamandrinen. Auch der Processus xiphoideus der Anuren (knorpliges Sternum oder Xiphisternum) ist eigentlich ein Postomo- sternum und homodynam dem Os cloacae oder dem Postpelvisternum der Lacertilien. Verdoppelung führt einerseits zur Bildung der Beutelknochen, die als Hemipraepelvisterna der Marsupialien zu bezeichnen sind, anderer- seits erkennt der Verf. in den als Varietät beim Menschen vorkommenden Ossa suprasternalias eine Hemipraeomosterna dextrum et sinistrum wieder. Das Os suprasternale erscheint dann homodynam dem Os marsupiale der Beutel- tiere und Monotremen. W. Krause (Göttingen). G. Romiti, Notizie anatomiche. Estratto del Bolletino della Societä tra i cultori delle secienze mediche in Siena. 1283. Ann. I. (I) Die erste Abhandlung bezieht sich auf die dokumentarische Nach- weisung, dass 1476 wie schon früher 1428 der Anatomie in Siena die Leiche eines Hingerichteten überwiesen worden ist. — (II) Die zweite Abhandlung beriehtet über ein doppeltes Ostium abdominale der linken Tuba bei einem 50jährigen Weibe. Der Verf. sah diese nach Waldeyer auf unvollständiger Schließung des Kanals beruhende Bildung bisher dreimal im ganzen, darunter einmal beim Neugeboreneu. Henle sah sie überhaupt nur einmal, Waldeyer beobachtete ein dreifaches Ostium; die ältern Angaben über ein häufigeres Vorkommen scheinen auf Verwechslungen zu beruhen. — (III) Ueber den Sek- tionsbefund nach einem’ Vipernbiss kann hier nicht referiert werden: mikro- skopische Blutgerinsel bestanden aus Hämatoblasten (Hayem). — (IV) Auch die vierte Abhandlung über syphilitische Nieren ist pathologisch und die fünfte betrifft eine Missbildung (V) eines neugebornen Mädchens, welches einen vom hintern Teile des Hymen ausgehenden, 15 mm langen 5 mm dicken, zy- lindrischen, penisähnlichen Anhang, außerdem zeigte sich noch ein kleinerer; beide stellten sich nach der Exstirpation als gefäßreiche papilläre, offenbar sehr seltene Schleimhantwucherungen heraus — (VI) Ein enormes Ös interparietale von 50 mm Höhe und 180 mm Basisbreite, welches die obere Hälfte der Hinterhauptschuppe einnimmt, will der Verf lieber als Os inter- parietale, richt als Os Incae bezeichnet wissen. Dasselbe fand sich bei einem 34jährigen Italiener; es wurde durch eine schräg von rechts nach links auf- steigende Sutur in eine größere, über die Medianlinie hin ausgreifende, rechte und kleinere linke Abteilung geschieden. Unter 550 Schädeln sah der Verf. nur drei Ossa interparietalia = 0,5 °/g, — (VO) In Eiern von Bufo viridis, die seit 24 Stunden in Dotterfurchung begriffen waren, konnte Romiti die strahlige Beschaffenheit des Protoplasma der Furchungskugeln (Doppelsonne, Auerbach) beobachten; er vergleicht sie der Anordnung von Eisenfeilspähnen 416 Kocks, Ueber die (artner’schen Kanäle beim Weibe. an den Magnetpolen. — (VIII) Eine Untersuchung der Schädel und Gehirne von vier Verbrechern, Mördern und Taschendieben ergab, wie vorauszusehen, keine bestimmten Resultate. Die Längenbreiten-Indices schwankten zwischen 45,3— 83,2; das Gehirngewicht zwischen 1240—1550 g. — (IX) In einer faulenden Lunge eines menschlichen Fötus, welcher offenbar geatmet hatte, zeigten sich die Blutgefäße unter dem Mikroskope gefüllt und stark ausgedehnt von einerrotbraunen Gerinnungsmasse in der keine morphologischen Elementarteile mehr zu erkennen waren; vermutlich waren Hindernisse der Respiration eingetreten. W. Krause (Göttingen). Kocks, Ueber die Gartner’schen Kanäle beim Weibe. Archiv für Gynäkologie. 18383. Bd. 20. S. 487. — Wasilieff, Archiv für Gynäkologie. 1883. Bd. 22. S. 326. Das Vestibulum vaginae entspricht dem Sinus urogenitalis; beim Manne münden die Wolff’schen Gänge am distalen Ende der eigentlichen, ursprüng- lichen Urethra. Beim Weibe sind sie folglich an der Harnröhrenmündung auf- zusuchen, und hier hat sie Kocks entdeckt und an vier Leichen konstant ge- funden. Ihre Mündungen sind sehr eng, gestatten jedoch den feinsten Sonden von 1 mm Dicke auch an der Lebenden Eingang, sie erstrecken sich 0,5—2 em weit nach hinten Schon hiernach ist eine Verwechselung mit Drüsenausführungs- gängen ausgeschlossen Verf. fand sie auch bei Lebenden in etwa 80 °/,, im höheren Alter scheinen sie zu obliterieren, mitunter sind sie nur auf einer Seite vorhanden. An derselben Stelle liegen die Mündungen beim Schwein und Rinde Wasilieff ist gleichfalls zu ähnlichen Resultaten gekommen Derselbe erläuterte jene Rudimente der Wolff’schen Gänge beim Weibe, sich dabei auf seine früheren Mitteilungen (vergl. Schwalbe’s Jahresbericht d. Anat. f. 1880. Ss. 270 und 271) stützend. Sie verlaufen beim sechsmonatlichen Fötus ober- halb der untern Wand der Urethra und persistieren beim erwachsenen Weibe als lange schlauchförmige Drüsen, die am Ausgange des Orificium externum urethrae münden Weiter proximalwärts obliterieren sie, jene Rudimente mö- gen auch zum Teil der männlichen Prostata entsprechen, da sie mit eben sol- chem Epithel ausgekleidet sind, ebenfalls mit kolbigen Anschwellungen endi- gen und von glatten Muskelfasern umgeben werden. Auch in betreff der To- talfärbung durch Pikrokarmin verhalten sie sich wie die Prostata im Gegen- satz zu den Schleimdrüsen, in denen sich nur die Zellenkerne und ihre Um- gebung färben. Ebenfalls gehören die Gartner’schen Kanäle des Schweines (und der Katze) im untern Teile der weiblichen Urethra hierher. W. Krause (Göttingen). Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- zugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘“ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. u Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Bioloeisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 15. September 1884. Nr. 14. Inhalt: Brefeld, Botanische Untersuchungen über Hefenpilze. Heft V. Die Brandpilze. — Ders., Untersuchungen aus dem Gesamtgebiete der Mykologie. Heft VI. — Forssel, Studien über die Cephalodien. — Biehringer, Beiträge zur Ana- tomie und Entwickelungsgeschichte der Trematoden. — Gafiron, Zum Nerven- system der Trematoden. — Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tier- arten. — Emery, Fortbewegung von Tieren an senkrechten und überhängen- den glatten Flächen. — Christmar-Dircking -Holmield, Experimentelle Untersuchungen über die Regio olfactoria. — Heiberg, Ueber die Drehungen der Hand. — Girard, Zuckerbildung in der Zuckerrübe. — Valenti, Varietät des Rosenmüller’schen Organs. O. Brefeld, Botanische Untersuchungen über Hefenpilze. Untersuchungen aus dem Gesamtgebiet der Mykologie. V. Heft. Die Brand- pilze I. 13 Tafeln. Leipzig 1883. Der wesentliche und uns hier interessierende Inhalt dieser um- fangreichen Abhandlung lässt sich verhältnismäßig kurz wiedergeben. Bekanntlich basieren die meisten von des Verfassers mykologischen Arbeiten auf Resultaten der von ihm im ausgedehntesten Maße in An- wendung gebrachten und verbesserten künstlichen Kulturmethoden. So auch diese Untersuchung, die als Ausgangspunkt die Frage nach dem Verhalten der Ustilagineen, der bekannten Brandpilze, in künst- lichen Nährlösungen hatte, eine Frage, die allerdings beim Verfasser nach einer ganzen Reihe ähnlicher Erscheinungen sich zuspitzte auf den Versuch der Umwandlung der gewöhnlichen parasitischen Lebensweise dieser Pilze in eine saprophytische. Die Versuche wurden in der Weise angestellt, dass Brandsporen auf Objektträgern oder in Geissler’schen Kammern in Nährlösung ausgesät wurden. Der Erfolg war ein über- raschender. Während bei Aussaat in Wasser die an den Brandsporen auf- tretenden Keimungserscheinungen relativ einfach bleiben und schon nach kurzer Zeit ein Ende erreichen, ist dies bei den in Nährlösung keimenden durchaus nicht der Fall. Im erstern Falle beschränkt sich die Auskeimung auf die Bildung eines mehr oder weniger langen 27 418 Brefeld, Die Brandpilze. meist gegliederten Keimschlauches, des sogenannten Promyceliums, von dem aus seitlich oder terminal in verschiedener Weise die Ab- gliederung von sogenannten Sporidien vor sich geht. Letztere Kopu- lieren in den meisten Fällen miteinander und dringen, sowie sie auf die betrefienden Nährpflanzen gelangen, mittels eines feinen Keim- fadens in diese ein und vollziehen so von neuem die Infektion. Ganz anders und ungemein viel üppiger gestalten sich diese Vorgänge in Nährlösungen. Schon das Promycelium erreicht eine bedeutende Größe und eine beträchtlichere Gliederzahl. Die eigentümlichsten Er- scheinungen aber treten an den von ihm in großer Anzahl und ohne Unterbreehung abgegliederten Sporidien auf. Statt direkt mit einan- der zu kopulieren (Brefeld führt übrigens diese Kopulation auf einen vegetativen, keinen sexuellen Vorgang zurück) und auszutreiben, be- ginnen sie in den meisten Fällen hefeartig auszusprossen und sich ganz in der Art von Hefe zu ungeheurer Anzahl zu vermehren. Diese hefeartige Sprossung, die Verf. bis zu 40 Generationen hintereinander sich wiederholen sah, erzeugt Zellen, die von echter Hefe nicht zu unterscheiden sind. Bei Erschöpfung der Nährlösung kopulieren sie zu je zwei miteinander und treiben dann in den meisten Fällen einen langen feinen Keimschlauch. So tritt also zwischen die Sporengene- ration und die infizierende Sporidiengeneration hier noch eine andere „Fruktifikation“, die Hefebildung, die bei genügendem Nährmaterial unbegrenzt fortdauern kann. Einige andere Formen von Ustilago zeigen insofern eine Abweichung von diesem Verhalten, als die von dem primären gegliederten Promycelium abgeschnürten Sporidien nicht hefeartig sprossen, sondern sofort zu ebensolchen Promycelien auswachsen und aus ihren einzelnen Zellen ohne Unterbrechung den- selben Vorgang wieder einleiten. U. bromivora bildet dagegen gar keine Promycelien, sondern keimt direkt in Conidien aus, die sich hefeartig vermehren, während endlich noch andere Arten gar keine Conidien, sondern nur ein Mycel bilden, das sich teilweise zu einem Luftmycel ausbilden kann. — Eine ähnliche Verschiedenheit zeigt sich in den Formenkreisen von Tilletia und Entyloma, während wir auf die bei einzelnen anderen Ustilagineen sich ergebenden abweichenden Details hier nicht weiter eingehen wollen. Auch eine Auseinander- setzung über des Verf. systematische Auffassung der dargestellten Er- scheinungen sei für eine andere Gelegenheit verschoben. Erwähnt müssen dagegen hier die Anschauungen werden, welche Brefeld durch seine Versuche über den morphologischen Wert der Hefen überhaupt gewonnen hat. Bekanntlich galten nach der bisheri- gen de Bary-Reess’schen Auffassung die eigentlichen Hefen, die Bier- und Weingährungspilze, für reduzierte Ascomyceten, eine Auf- fassung, für die sowohl die Art und Weise der Sporenbildung in ihrem Innern, als die Vergleichung mit anderen niedrigen Schleimpilzen (Asco- myces-Exoascus- Taphrina) die augenscheinlichsten Handhaben bietet. Brefeld, Untersuchungen aus der Mykologie. 419 Brefeld nun genügen diese Facta nicht; nach ihm ist die Sprossung der Bierhefe vollkommen identisch mit der Ustilagineensprossung, mit anderen Worten: er betrachtet die Hefesprossung, seies nun die erstere, die letztere, oder noch irgend eine andere, als eine Conidienfruktifi- kation aus dem Entwickelungsgang irgend eines andern Pilzes, der allerdings in dem Bierhefenfall nur noch nicht erkannt ist. Ueber die Berechtigung dieser Auffassung zu streiten wäre zwecklos, da weder in Brefeld’s, noch in Anderer Beobachtungen sich Beweise dafür finden lassen, wohl aber eine ganze Anzahl Momente, die ihr nicht günstig sind. Noch eine andere Ausführung des Verf. mag hier erwähnt wer- den, die einigermaßen praktisches Interesse hat. Er fand nämlich, dass grade Mistdekokt ein ausgezeichnetes Nährsubstrat für die Usti- lagineenhefe liefere, und folgerte daraus, dass auch im freien eine solche Vermehrung auf Mist und dadurch vergrößerte Gefahr der Ansteckung stattfinde. Inwieweit dies praktisch zu Maßregeln führen kann, muss eine Frage der Zeit bleiben. C. Fisch (Erlangen). O. Brefeld, Untersuchungen aus dem Gesamtgebiete der Mykologie. Fortsetzung der Schimmel- und Hefenpilze. VI. Heft. 5 Tafeln. Leipzig. 1884 Die erste der zwei Abhandlungen, welche dieses Heft enthält, be- handelt die Entwickelungsgeschichte zweier Schleimpilze, des Poly- sphondylium violaceum und Dictyostelium mucoroides. Die Sporen beider keimen in Nährlösungen leicht aus zu kleinen Amöben, die sich leb- haft bis zum Beginne der Fruchtbildung in Zweiteilung befinden. Zu diesem Zeitpunkte findet bei anderen Myxomyceten ein Verschmelzen derselben zu einem einheitlichen Plasmodium statt. Bei den genann- ten zwei Formen jedoch tritt zwar gleichfalls ein Zusammenströmen ein, das scheinbare Plasmodium jedoch lässt sich jederzeit durch mechanische Einwirkung wieder in seine Komponenten zerlegen. Einige der Amöben dehnen sich stark aus, berühren sich gegenseitig innig und umgeben sich mit einer Membran, so den Anfang des Stieles des Fruchtkörpers bildend. Nach oben hin bilden andere seine Fort- setzung, während die ganze Amöbenmasse an ihm in die Höhe kriecht und sich an seiner Spitze zu einer Kugel abrundet. Jede einzelne Amöbe umgibt sich dann mit einer Membran und bildet so eine Spore. Eine Membran besitzt der Fruchtkörper zu keiner Zeit seiner Ent- wickelung. In der zweiten Arbeit wird eine neue Entomophthoree, Conidio- bolus mit Namen, die in Tremellinen schmarotzt, eingehend beschrieben. Wichtig und hier anzuführen ist nur, dass nach einer Anzahl von 2er 420 Forssel, Studien über die Cephalodien. Conidienfruktifikationen geschlechtlich (durch Kopulation zweier My- celäste) Dauersporen erzeugt werden. Brefeld stellt demnach die Entomophthoreen zu den Phycomyceten und zwar, da die beiden ko- pulierenden Myceläste in gewisser Weise eine Differenzierung in männ- liches und weibliches Organ zeigen, in die Nähe der Peronosporeen. C. Fisch (Erlangen). Forssell, Studier öfver Cephalodierna. Bidrag till kämedomen om Lafvernes Anatomi och Utochlingshistoria. |Studien über die Cephalodien. Beitrag zur Kenntnis der Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Flechten. Stockholm 1883, und: (Liehenologische Untersuchungen). Flora 1884. Unter dem Namen Cephalodien sind bis zu Th. Fries’ Arbeiten im Jahre 1857 eigentümliche Organe des Flechtenthallus zusammengefasst worden, die äußerlich als Anschwellungen oder kleine Excerescenzen und Auswüchse desselben erscheinen. Natürlich wurde eine Menge morphologisch nicht gleichwertiger Gebilde so lange konfundiert, bis die mikroskopische Untersuchung zu Hilfe genommen wurde, was durch Th. Fries geschah. Es ist daher der heutige Begriff eines Cepha- lodiums wesentlich von dem der älteren Lichenologen verschieden. Wir verstehen darunter die bei gewissen Flechten vorkommenden und unter verschiedenen Formen hervortretenden Bildungen, welche eine oder mehrere Algen von einem andern „Typus“ als die normalen Gonidien der Flechte enthalten, und welche durch Zusammenwirken der Flechtenhyphen mit der Alge entstanden sind. Wie schon aus dieser Definition hervorgeht, sind es also Gebilde, die für die Befesti- gung unserer neuern Auffassung von der Flechtennatur von der äußer- sten Wichtigkeit werden können. Die Formen, an denen man solche Cephalodien beobachtet hat, sind nicht allzu zahlreich, wiewohl sie in vielen Fällen noch über- sehen sein mögen. So weit man bis jetzt weiß, sind sie auf 12 Flechtengattungen beschränkt, unter denen Lobaria, Nephroma, Solorina, Lecanora und Stereocaulon die bekannteren sind. Merkwürdig ist dabei, dass innerhalb der einzelnen Gattungen fast immer nur sehr nahe verwandte Arten dieselben aufweisen. Ebenso auffällig ist es, dass bis jetzt nur Archilichenen als cephalodientragend konstatiert sind; alle ähnlichen Vorkommnisse bei Phycolichenen lassen sich leicht als krankhafte oder auch völlig indifferente Erscheinungen nachweisen. Was nun zunächst die Lage der Cephalodien am Thallus anbe- trifft, so ist dieselbe eine sehr verschiedenartige, ja nicht einmal für die einzelnen Formen bestimmte. Sehr oft sitzen sie auf der obern Thallusseite, bald aber auch auf der untern, bald ringsum oder auch mitten inihm. Es gibt sogar Fälle, in denen sie schon am sogenann- Forssel, Studien über die Cephalodien. 421 ten Protothallus entstehen. Auf der oberen Seite stehend weichen sie meist durch die schwarzgraue oder schwarzblaue, selten rote Färbung von den umgebenden Partien ab. Der Form nach treten sie als kleine warzenförmige Erhöhungen auf, die keulenförmig oder auch etwas gelappt werden können. Wenn sie ihren Platz im Thallus haben, so sind sie von außen häufig gar nicht bemerkbar. Dem Ort ihres Entstehens entnimmt Verf. auch die Basis für eine systematische Ein- teilung und bezeichnet als Cephalodia vera solche, die im oder am Thallus sich bilden und verschiedene Unterabteilungen erkennen las- sen, als Pseudocephalodia diejenigen, welche am „Protothallus* an- gelegt werden. Sehr verschieden sind die Algenformen, welche zu ihrem Entstehen Anlass geben, wenn auch die Nostokaceen bei ‚weitem überwiegen. Nebenher treten noch auf Stigonemaceen, Sceytonemeen, Chroococca- ceen und Öscillarieen. Man darf indess nicht glauben, dass der Grad der Konstanz der Cephalodienalgen bei den einzelnen Flechten ein hoher sei. Nicht allein, dass die Algenformen beliebig wechseln kön- nen, man findet auch häufig an ein und demselben Exemplar, seltner auch in einem Cephalodium mehrere Algenformen neben einander. Entstehung und Entwickelung der Cephalodien sind ziemlich ein- fach. Während die Pseudocephalodien ihre Entwickelung durch Zu- sammenwirken der Keimschläuche der Flechtensporen mit fremden Algen einleiten, geschieht dies bei der zweiten Formenreihe durch Verbindung der Alge mit den Hyphen eines schon entwickelten Fleeb- tenthallus. Sobald die eephalodienbildenden Algenzellen in Berührung mit den Hyphen geraten, zeigen diese letzteren ein gesteigertes Wachs- tum; sie umspinnen die Algenkolonie, verzweigen sich wiederholt in derselben und anastomosieren mit einander, so dass die Al- genzellen schließlich in einem sehr feinen Hyphengewebe liegen. Gleichzeitig teilen sich die letzteren reichlich, so dass der Umfang des Cephalodiums bedeutend an Größe zunimmt. Nicht gelang es dem Verf. festzustlelen, wie bei den endogenen Cephalodien die Al- genzellen ins Innere des Thallus gelangen. Was nun das Verhältnis der cephalodienbildenden Algenzellen zum Flechtenthallus betrifft, so ist dasselbe offenbar kein rein para- sitisches, auch können die hervorgebrachten Gebilde kaum als Hyper- trophien im Sinne kränklicher Ueberreizung betrachtet werden; es dürfte im Gegenteil zweifellos sein, dass die Algenzellen und die Hyphen aufeinander eine gegenseitige vorteilhafte Einwirkung aus- üben, indem sie sich untereinander in das Nährgeschäft teilen, dass also zwischen beiden eine sogenannte mutualistische Symbiose statt- findet. Was Verf. über den Vorteil, den die kombinierte Assimilation der blauen und grünen Algenzellen für die Flechte haben soll, anführt, glaube ich hier übergehen zu können. Dass und in welcher Weise unsere neuen über die Cephalodien gewonnenen Anschauungen der 429 Biehringer, Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Trematoden. sogenannten Schwendener’schen Flechtentheorie zur Stütze dienen, liegt auf der Hand und braucht nicht auseinandergesetzt zu werden. Zum Schluss zieht Verf. noch die von Gumnera, Azolla und Cycas bekannten Verhältnisse heran und stellt die Unterschiede zwischen den in diesen Pflanzen lebenden Algen und den die Cephalodien er- zeugenden fest, was allerdings ebenfalls als überflüssig erscheinen dürfte. Dass übrigens die besprochene Bildung auch auf einem ge- wissen Anpassungsverhältnis beruhen muss, geht daraus hervor, dass sehr nahe verwandte Flechtenformen sehr häufig durch einander wachsen und doch nur die eine derselben Cephalodien aufweist. Da- für spricht auch die auffällige Erscheinung, dass nur die Archilichenen, die mit grünen Gonidien versehenen Flechten bisher als Träger der- selben erkannt sind. C. Fisch (Erlangen). Joachim Biehringer, Beiträge zur Anatomie und Entwick- lungsgeschichte der Trematoden. Arbeiten aus dem zoologisch-zootomischen Institut in Würzburg Bd. VII. Sep. S. 1—28, Taf. I. Nach dem Erscheinen der klassischen Arbeit Steenstrup’s über den Generationswechsel haben sich eine Reihe der bedeutendsten For- scher diesem Gebiete zugewandt und es für einzelne Tierklassen in seiner ganzen Ausdehnung bearbeitet, oder aber, um tiefer in diesen geheimnisvollen Prozess des organisierten Lebens eindringen zu kön- nen, nur einzelne Bruchteile zum Vorwurf genommen. Wie alles, was bis dahin über dieses Kapitel der Biologie geschrieben wurde, reich an interessanten neuen Thatsachen ist, so enthält auch die obengenannte Arbeit eines jungen Forschers aus der Semper’schen Schule eine Fülle höchst beachtenswerter Facta über den Bau der Sporocysten, die Bil- dung der Keimkörper und die spätere Umbildung der Ammen. In den einleitenden Bemerkungen macht B. die Leser mit seinem Beobachtungsgebiet bekannt; es beziehen sich die Untersuchungen auf die Ammengeneration der digenen Trematoden, und hier wieder vorzugsweise auf die unter dem Namen der Sporoeysten bekannte niedriger organisierte Form derselben. Wenn man bis dahin ange- nommen hat, dass die Umhüllungshaut der Sporocysten eine dünne strukturlose Membran sei, so erweist sich jetzt diese Ansicht als eine irrige, da B. sowohl bei lebenden Tieren als auch bei konservierten und in Schnittserien zerlegten, in die sogenannte „Cutieula“ eingelagert, längliche Kerne und Kernkörperchen beobachtet und abgezeichnet hat. Namentlich deutlich sind sie bei jungen Sporoeysten zu erkennen, indess auch bei alten noch durch ihre große Reaktionsfähigkeit gegen Färbemittel nachzuweisen. Die Entstehung dieser kernführenden Haut Biehringer, Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Trematoden. 493 konnte hier leider nicht verfolgt werden, mit dem besten Erfolge in- dess bei den Cerearien, deren erste Entwicklung ja nach dem ein- stimmigen Urteil aller Beobachter derjenigen der Ammen vollständig gleich ist und erst im weitern Verlaufe sich anders gestaltet. Bei ihnen tritt die „Cutieula“ schon dann auf, wenn die Kern- körper noch aus wenigen Zellen bestehen. In diesem Alter schon bildet sie eine doppelt konturierte Haut, welche in Erweiterungen einen oder mehrere Kerne enthält. In Größe und Aussehen gleichen sie noch vollkommen den inneren Zellen; nur ihre Form ist nicht mehr die einer Kugel, sondern die eines Ellipsoides. Wahrscheinlich kann man die Entwickelung der Membran „als eine Gastrulabildung durch Epibolie auffassen, indem eine oder vielleicht auch einzelne äußerlich liegende Zellen des Keimkörpers durch peripheres Wachstum an ihrem freien Rande sich membranartig um die Zellenmasse desselben herumziehen.“ Die „Cutieula“ der Trematoden entsteht demnach nicht durch die Ausscheidung einer darunter gelegenen Matrix, sie ist vielmehr die Epidermis selbst und der Hypodermis der Würmer gleichzusetzen. — Auf die Epidermis folgt eine sehr dünne Muskelschicht, welche sich aus zwei Lagen zusammensetzt. Die äußere oder Ringfaserschicht besteht aus ganz schmalen, eng aneinander gelagerten Elementen; ihr gleich im Ansehen ist in den meisten Fällen die Längsmuskelfaserschicht, indess fand B. bei Cercaria macrocerca de Filippi insbesondere bei den jüngern Formen, noch einen andern Bau. Statt der eng an einander gelagerten Fasern treten viel breitere, vereinzelter stehende, homo- gene und strukturlose Fasern auf, welche sich oft durch Querbrücken mit einander verbinden. — Die innerste und bei weitem stärkste Lage des Sporocystenleibes, die Bildungsstätte der Keimkörper, ist von B. „Keimlage“ benannt worden. Erst in neuerer Zeit haben Leuckart und Thomas diese Lage für die Ammen des Leberegels als ein echtes Epithel erklärt. Bei den untersuchten Sporocystenarten ist es in der Mehrzahl der Fälle einschiehtig und nur durch die Form der Zellen in den einzelnen Arten unterschieden. Meist ließen sich durch die angewandten Reagentien Zellgrenzen nicht deutlich darstellen, man erkannte nur eine körnige Grundsubstanz, in der große zuweilen über einander gelegene Kerne mit einem oder mehreren Kernkörperchen be- obachtet wurden. Von dieser allgemeinen Form abweichend ist das Keimepithel von Cercaria macrocerca de Filippi gebaut, da es aus großen hellen sich auskeilenden Zellen besteht, welche, wie es scheint, Vacuolen enthalten und einer protoplasmatischen Grundmasse mit zahl- reichen eingestreuten kleineren Zellen aufsitzen. Außer den drei bis jetzt besprochenen typischen Schichten kommt noch eine vierte Schicht hinzu, welche das Tier wie ein Paletot um- hüllt. Für ihr Vorhandensein ist bis jetzt noch keine genügende Er- klärung gegeben worden, wenngleich Leuckart bereits in seinen „Menschlichen Parasiten“ die Ansicht vertritt, dass der „Paletot“ der 424 PBiehringer, Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Trematoden. Amme nicht ursprünglich zugehört, sondern von den Geweben des Wohntieres stammt. DB. erklärt nun das Substrat, aus welchem diese die Sporocyste mehr und mehr einhüllende Haut entsteht, für das Blut des Wohntieres; die Elemente, welche es zusammensetzen, sind die Zellen des Schneckenblutes. Wenngleich uns diese Angaben als etwas gewagt erscheinen wollen und die beigegebenen Zeichnungen auch noch eine andere Erklärung zulassen, wie die von B. gegebene, so unterstützt er seine Ansicht doch mit so starken Gründen, dass man sehr geneigt wird mit ihm einer Meinung zu sein. Als ziemlich auf- fallende Erscheinung mag noch angeführt werden, dass schon zu der Zeit, wo die Blutzellen noch auf dem Ammenkörper umherkriechen, grünliche, dunkelrandige Kügelehen in den Paletotzellen vorhanden sind und ihnen durch ihre Menge eine gelbe Farbe verleihen. Der Farbstoff lässt sich leicht durch Alkohol ausziehen. Bereits K. E. v. Bär, Steenstrup u. a. beobachteten bei ver- schiedenen Sporoeysten einen „Saugnapf“ an einem Pole des Tieres, dessen Bau indess so vollständig demjenigen der übrigen Wandung gleicht, dass er besser nur als einfache Einstülpung des Schlauches angesehen wird. Nur ein geringer Unterschied liegt in dem Bau des Epithels, welches hier nicht ein- sondern mehrschichtig ist. Nach B. entspricht der „Saugnapf“ der Sporocysten wahrscheinlich dem Darm- apparat der ersten Larvenform. Wenn früher Bär, Carus, Filippi und Moulinie annahmen, dass die Entstehung der Keimkörper der endogenen Zellbildung zu vergleichen sei, so traten dieser Anschauung schon 1855 G.R. Wag- ner und später Metschnikoff entgegen, deren Beobachtungen zu- folge die Keimkörper aus dem innern Epithel durch Knospung ent- stehen. Namentlich beachtenswert sind die Angaben von Thomas (Quarterly journal of M. Se. Januarheft 1883), dessen Bericht mit den von B. gefundenen Thatsachen vollkommen übereinstimmt. Durch fortgesetzte Teilung geht eine Epithelzelle allmählich in das Morula- stadium über; die so entstandenen Zellhaufen liegen anfangs mitten zwischen den Zellen des Keimepithels, woselbst sie allerdings nicht lange Zeit verbleiben, da sie bald hervorgedrängt werden, sich dann ablösen und in die Leibeshöhlung der Amme hineinfallen. Entweder schwimmen sie nun frei umher, oder sie sind durch Fasern, welche den Körper nach verschiedenen Riehtungen hin durchziehen, von ein- ander getrennt. Was die spätere Umbildung der Ammen anbelangt, so ist seit langem bekannt, dass mit der Entwicklung der Brut eine Desorgani- sation des Keimschlauches Hand in Hand geht Anfangs wachsen die Sporoeysten noch in die Länge, bald aber erfahren sie durch die Entwicklung der Tochtergeneration nur eine passive laterale Aus- dehnung. Dabei verdünnt sich die Ammenwandung und die Zellen werden teilweise resorbiert. Proportional mit dem Wachsen der zwei- Gaffron, Zum Nervensystem der Trematoden. 495 ten Generation vermindert sich ihre Beweglichkeit, bis am Ende die ganze Amme einen organlosen Sack bildet, „dessen lebhaft umher- kriechende Brut an allen Seiten durehzubrechen sucht und so schließ- lich den Körper der Mutter zerstört.“ Ü. B. E. Gaffron, Zum Nervensystem der 'Trematoden. Zoologische Beiträge, herausgegeben von A. Schneider. 1834 8. 109—114. Taf. XVII. Wenn man die zoologischen Arbeiten im großen und ganzen be- trachtet, so kommt man leicht auf den Gedanken sie zu klassifizieren; man könnte große Typen aufstellen und diese wieder in Klassen, Ordnungen ete. teilen. Jede einzelne Arbeit würde einer Tier- oder Pflanzenspezies oder gar einer Spielart zu vergleichen sein und um so größere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, einer je interessan- tern Familie sie angehört. Von etwas langweiligem Charakter sind naturgemäß die rein ana- tomischen Untersuchungen; man sollte es hier machen, wie es in der chemischen Literatur allgemein Brauch ist: erst in allgemeinen, großen und sicheren Zügen eine Charakteristik des bearbeiteten Gebietes, dann kurz aber genau die hauptsächlichsten und für das Wissen eines jeden Spezialisten notwendigen Forschungsergebnisse, nun die Detail- beschreibung —ein für die Uebersicht meist störender Ballast — und end- lich soll, wenn der betreffende Forscher Lust, vor allen Dingen aber das Geschick besitzt, noch eine Angabe des Weges folgen, der ein- geschlagen werden muss, um zu einem noch entfernten Ziele zu ge- langen, welches dem blöden Auge in Nebel gehüllt, dem mit scharfen Sinnen begabten Forscher indess schon mit aller möglichen Deutlich- keit sichtbar geworden ist Diesen Anforderungen entsprieht im allgemeinen die Arbeit Gaffron’s, deren Hauptresultate wir hier kurz wiederholen, bezüglich der Einzelbeschreibung aber auf die Arbeit selbst verweisen wollen. Ein besonders günstiges Objekt für anatomische und histologische Untersuchung der Trematoden ist das Distomum isostomum v. Bär, welches sich ziemlich häufig zwischen den Muskeln, namentlich des Sehwanzes, der Flusskrebse vorfindet. Empfehlenswert ist es vor allem deshalb, weil das etwa 3 mm lange Tierchen stets geschlechtslos und fast glasartig durchsichtig ist. Sein Nervensystem besteht aus sechs Längsstämmen, welche durch ein kompliziertes Kommissurensystem miteinander verbunden sind. Jederseits befinden sich drei, und zwar einer ventral, einer dorsal und einer seitlich von dem betreffenden Längsstamme des einfachen Gabeldarmes. Vorne treten diese Stränge sämtlich zur Bildung einer 7 425 Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. dorsalen Gehirnkommissur zusammen, welche die bei Trematoden ge- wohnte Lagerung über dem vordern Teil des Oesophagus zeigt. — Von den beiden seitlichen Anschwellungen ziehen jederseits vier Ner- venstränge ab; je zwei nach vorn und je zwei nach hinten.“ Die ventralen und dorsalen, mit gemeinsamer Wurzel aus der Gehirnkommissur entspringenden Längsnervenstämme entsprechen un- zweifelhaft den Seitennerven von Distomum hepaticum L.; im Hinter- ende des Tieres konvergieren sie und gehen in einander über, wäh- rend die Seitennerven getrennt bleiben. Durch sechs hinter einander liegende Querbrücken, welche einerseits Bauch- und kückennerven unter sich, dann aber auch mit den Seitenstämmen verbinden, kommt ein weitmaschiges Nervennetz zu stande, in dem die Eingeweide und beim geschlechtsreifen Tiere auch wohl die Generationsorgane liegen. Der Bauchsaugnapf wird durch starke vom Rücken und Bauchnerven abgehende Aeste innerviert. In bezug auf seine Histologie stimmt das Nervensystem von Di- stomum isostomum v. Bär mit den Thatsachen, welche Lang in seinen „Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Nervensystems der Plathelminthen“ gefunden hat, überein, so dass nichts neues hinzuzufügen ist. C. B. Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. In einer Sitzung der „Soeiete Zoologique de France“ in Paris hielt Michel Menzbier über die „Rolle der Kreuzung beim Verlöschen von Arten“ einen Vortrag, welchem wir nach Bd. 33 Nr. 17 der „Revue seientifigue“ folgendes entnehmen. Das Studium der paläarktischen Fauna brachte mich auf den Gedanken, dass Bastarde von Vögeln sowohl als auch solche von Säugetieren nieht so selten im freien Zustande vorkommen, als man im allgemeinen wohl anzunehmen pflegt. Und als ich mir dann die Monographien verschiedener Vogelgruppen, besonders aber der Gruppe der Blaumeisen, daraufhin etwas genauer ansah, erschien mir die Rolle, welche die Kreuzung von Arten spielt, in ihrer ganzen Wich- tigkeit. In 1877 beschrieb Professor Cabanis eine neue Blaumeisenform, welche Pleske bei St. Petersburg gesammelt hatte, und welcher Ca- banis darum, dem Entdecker der Form zu Ehren, den Namen Cyanistes Pleskei gab. Etwas später, in 1880, fand dieselbe Form Lorenz bei Moskau. Bei genauerer Untersuchung einzelner Exemplare dieser Form fiel mir dreierlei auf. Erstens kommt dieselbe viel seltener vor als die ihr zunächst verwandten (©, coeruleus und ©. cyanus; zweitens Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. A427 sind bei weitem die meisten Exemplare Männchen, und drittens ließen sich nach der Färbung zwei Varietäten unterscheiden: die eine, mit blauem Kopfe und einem sehr hervortretenden gelben Flecke auf der Brust, steht bezüglich ihrer Färbung oben auf dem Körper dem ©. coeruleus näher, ähnelt bezüglich ihrer Färbung unten aber mehr dem ©. flavipectus; die andere, blasser gefärbt, mit einem Kopfe, dessen Färbung weniger ausgesprochen ist, und nur mit Spuren von Gelb auf der Brust, steht dem (©. cyanus näher. Auch ihrer Größe nach stehen diese zwei Spielarten von Cyanistes Pleskei so ziemlich zwischen den oben genannten 3 Oyanistes- Formen mitteninne; ja man kann sie sogar im allgemeinen als ein Uebergangsglied betrachten zwischen den langschwänzigen Blaumeisen, zu denen ich rechne ©. eyanus typ., ©. cyanus tian-schanieus und O©. flavipectus (Hauptmerkmal: Schwanz ebenso oder fast ebenso lang wie der Flügel) — und der Gruppe der kurzschwänzigen Blaumeisen, zu denen ich stelle ©. coeruleus, C. ul- tramarinus, ©. Teneriffae und C. persicus, bei denen allen der Schwanz kürzer ist als die Flügel. Junge Stücke von (©. Pleskei gleichen in ihrem ersten Federkleide in der Farbe ganz und gar den Jungen von ©. flavipectus, der Blaumeise von Turkestan. Sowohl durch die geographische Verbreitung der Vertreter der Blaumeisengruppe, als auch durch die verschiedenen Arten der Fär- bung der alten Tiere und ihre Größe scheint es mir nun erwiesen zu sein, dass von allen hierher gehörigen Formen C. Pleskei und C. flavi- peetus die ältesten sind, jene noch älter als diese. Ziehen wir dann auch noch den Umstand in betracht, dass die meisten Exemplare von ©. Pleskei Männchen sind, so gelangen wir unschwer zu dem Schlusse, dass wir es in ©. Pleskii nicht allein mit einer alten Form, sondern auch mit einer Form zu thun haben, welche nahe am Aussterben ist. Somit war es mir um so interessanter, eine Reihe von Exemplaren zu sammeln, welche einerseits Kreuzungsprodukte waren von €. Pleskei und von C. cyanus und anderseits -wiederum von solchen, die aus einer Kreuzung eben dieser Bastarde mit (©. cyanus hervorgegangen waren. Es ist überflüssig eine eingehende Beschreibung der von mir gesammelten Exemplare zu geben; ich will nur erwähnen, dass sie in Gegenden gesammelt sind, wo ©. eyanus und O©. Pleskei zusammen nisten, und dass sie eme Reihe von Zwischenformen zwischen diesen Arten darstellen. Bezüglich der Häufigkeit des Vorkommens der ver- schiedenen Formen sei erwähnt, dass auf 500 Exemplare des normal gefärbten ©. cyanus 10 solche von ©. Pleskei und ungefähr 5 solche kommen, welche ich ihrer Färbung nach für Bastarde zwischen bei- den zu halten geneigt bin. Diese Thatsache änderte wieder ‘teilweise meine Meinung über das Aussterben von ©. Pleskei. Obwohl ich es auch für unbestreitbar halte, dass diese Form alt und nahe am Verlöschen ist — denn ich besitze Zwischenformen zwischen den Bastarden aus (©. Pleskei und ADS Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. CO. eyanus einerseits und dieser letztern Art anderseits — und obwohl ich das Zahlenverhältnis kenne zwischen C. cyanus und C. Pleskei, sehe ich mich gleichzeitig genötigt zu gestehen, dass €. Pleskei mit C. cyanus sich paart, und dass daraus Bastarde entstehen, welche nun ihrerseits mit ©. cyanus sich paaren und so nach mehreren Ge- nerationen allmählich in diese Art übergehen. — Auf der andern Seite steht ©. Pleskei nach Wohnort und Lebensgewohnheiten €. coeru- /eus so nahe, dass wir uns nieht darüber wundern dürfen, was an- derweite Beobachtungen bewiesen haben, dass nämlich auch diese beiden Meisenarten untereinander sich kreuzen und Bastarde erzeugen. Sie stimmen aber in typischen Zügen ihrer Färbung so sehr mit- einander überein, dass es wirklich sehr schwer ist die Eigentümlich- keiten zu bezeichnen, an denen man die Bastarde erkennen könnte. Höchstens könnte man bei einem Vergleich der Bastarde mit ©. coeru- leus sagen, dass ihr Rücken etwas weniger intensiv blau, ihre Unter- seite blasser gefärbt und das Weiß des Bauches heller ist. Von ganz besonderem Interesse ist der Umstand, dass im Süden des Verbreitungsbezirkes von €. cyanus hinsichtlich der Beziehungen zu dieser Art ©. flavipertus dieselbe Stellung einnimmt, wie ©. Pleskei im Nordosten eben dieses Verbreitungsbezirkes. Aus einer russischen Sammlung kennen wir Blaumeisen, welche aus der Grenzregion zwischen den Verbreitungsgebieten von C. flavipeetus und C. cyanus stammen, und von diesen zeigen die einen mehr oder weniger deutlich das Gelb auf der Brust neben allen anderen typischen Merkmalen von ©. flavipectus, während andere neben dem ziemlich deutlich ausge- sprochenen gelben Flecke auf der Brust wie ©. cyanus gefärbt sind. Haben wir es nun hier nieht mit einem Parallelismus zu thun? 0. Pleskei, im Nordosten des von ©. cyanus bewohnten Gebietes, und ©. flavipectus, im Süden dieses letztern, sich kreuzend mit C. eyanus, lassen Bastarde hervorgehen in der Weise, dass diese Bastardierung den Arten ©. Pleskei und C. flavipectus Abbruch thut, also zu deren Aussterben beiträgt, dagegen der Art ©. eyanus zugute kommt. Charles Darwin hob zuerst die Rolle hervor, welche die Kreuzung bei dem Aussterben von Arten und Rassen spielt; aber er führt, so viel ich weiß, kein einziges Beispiel dafür an, dass die eine Art eine andere absorbiert. Später haben auch d’Albertis und Salvadori!), Semper?) und Seebohm?) sich damit beschäftigt, inwiefern die Kreuzung für die Erzeugung von Zwischenformen wichtig ist, aber kein einziger Zoologe vertiefte sich grade in die von Ch. Darwin bezeichnete Rolle der Kreuzung. Weder Albertis und Salvadori in ihrem 1) D’Albertis und Salvadori, Catal. d. Uecelli race. daL.M d@Al- bertis dur. exploraz. del. Fiume Fly n. an. 1876—77, p. 80—9. 2) Semper, Ueber die Aufgabe der modernen Tiergeographie Berlin 1879. 3) Ibis, 1822, S. 546—550. Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. 499 Werke, noch Semper in seiner Schrift, noch Seebohm in seinem Artikel sagen etwas davon, dass die Kreuzung beitragen kann zum Aussterben bestimmter Formen, welche man als besondere Arten be- trachtet, und grade dies fesselte meine Aufmerksamkeit, als ich die Zwischenformen studierte von ©. Pleskei und C. cyanus. Wären nun die Zwischenformen, welche ich soeben von den Blau- meisen beschrieb, einzig in ihrer Art, so würden wir nicht veranlasst sein uns länger bei denselben aufzuhalten; wir können aber mehrere analoge Fälle nennen, und dies nötigt uns, diese Frage einer ein- gehenderen Untersuchung zu würdigen. Die Beziehungen zwischen Corvus corone und Corvus cornix bieten uns ein sehr bemerkenswertes Beispiel von einer solehen Kreuzung. So teilt uns 1869 M. V. Ritter von Tscehudi über die Beziehungen dieser beiden Formen in Salzburg mit: In der Umgegend von Arns- dorff ist die reine Form von Corvus cornix jetzt ganz verschwunden; alle dort vorkommenden Exemplare sind Zwischenformen zwischen ©. cornix und ©. corone. In den Jahren 1863 und 1864 gab es noch eine ziemlich große Anzahl wirklicher reiner Exemplare von ©. cornix, aber ihre Zahl verringerte sich allmählich, und augenblicklich sind alle Nebelkrähen jener Gegend mit einem Gewand bekleidet, welches bereits einige Charakterzüge der Dohlen zur Schau trägt!). Das nämliche versichert Tsehudi 1862, wo er sagt, dass alle Nebelkrähen von Salzburg schwarz befiedert sind, nur betupft mit etlichen wenigen schwarzgrauen Flecken. Während meines Aufenthaltes in Steiermark hatte ich Gelegenheit, sehr viele Exemplare der Nebelkrähe und auch Dohlen anzusehen, und ich habe mich davon überzeugt, dass es mehr Nebelkrähen ver- mischter Rasse gibt als solche von typischem Aussehen. Außerdem ist noch zu erwähnen, dass die Charaktere dieser Bastarde solche sind, dass sie durchaus nicht angesehen werden können als Spröss- linge aus einer einfachen Kreuzung von Corvus cornix und Ü©. corone; es kreuzen sich vielmehr nicht allein die typischen Formen miteinan- der, sondern auch die Bastarde derselben kreuzen sich sowohl mit der einen oder der andern von jenen, als auch wiederum untereinander. Ueber das Nisten dieser Vögel angestellte Beobachtungen bestätigen diese Thatsache vollkommen. Weiter westlich, in Italien und in Frankreich, kommen diese Bastarde von Nebelkrähe und Dohle weit seltener vor; und so ge- langt man notgedrungen zu der Ansicht, dass unbegrenzte Kreuzung dieser beiden Formen, d. h. der typischen sowohl, als auch dieser letztern mit den Bastarden und der Bastarde unter sich, nur im westlichen Oesterreich stattfindet — eine Thatsache, deren ursäch- licher Zusammenhang freilich uns vollkommen unbekannt ist. Weiter 4) Journ. f. Ornithol. 1869. 5. 240—241. 430 Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. aber gelangt man zu dem Schlusse, dass, wenn die Zahl der Nebel- krähen in jener Gegend sich nicht ausnahmsweise stark vermehrt, zum Beispiel durch Einwanderungen aus benachbarten Landstrichen, dass also dann in Salzburg und in Steyermark innerhalb eines sehr kurzen Zeitraumes nur noch Dohlen zu finden sein werden. Denn es ist bei dem oben erwähnten numerischen Verhältnis klar, dass die Bastarde öfter mit Corvus corone sich kreuzen, und dass sie darum nach einer Reihe von Generationen allmählich alle Charakterzüge dieser Art annehmen werden. Wenn folglich die eine von zwei sich kreuzenden Arten die an- dere bedeutend an Häufigkeit des Vorkommens übertrifft, trägt ihre Neigung zur Kreuzung dazu bei, dass die minder zahlreich vertretene der beiden Arten über kurz oder lang von jener absorbiert wird und verschwindet. Und dieser eine Fall ist nur ein einzelnes Beispiel unter einer großen Anzahl gleicher, welche überall sich vollziehen unter dem Einflusse andauernder Veränderungen, die in der Verteilung der Arten in den von ihnen bewohnten Gegenden sich vollziehen. Um mich deutlicher darüber zu erklären, wie ich diese biologische Bedeutung der Kreuzung ansehe, will ich näher auf die Beziehungen zweier Bussarde eingehen, nämlich des Duteo vulgaris von Westeuropa und des Buteo vulpinus von Osteuropa. Diese beiden Formen kämpfen um den Besitz eines gewissen Landstriches in Mitteleuropa; in den letzten Jahren sah man häufiger den BDuteo vulpinus in Deutschland, und man findet, wenn man nach einigen Exemplaren urteilen darf, aus der Kreuzung beider Arten hervorgegangene Bastarde an den Grenzen ihres beiderseitigen Verbreitungsgebietes. Haben sich beide Arten gleichmäßig den Existenzbedingungen einer bestimmten Gegend angepasst, dann wird der Ausgang des Kampfes zwischen beiden lediglich von der verhältnismäßigen Menge der Individuen abhängen; ist aber der Grad der Anpassung bei bei- den verschieden — was thatsächlich sich so zu verhalten scheint — so können die Ergebnisse des Kampfes der beiden Arten untereinander, theoretisch betrachtet, in einer der folgenden fünf Formen sich zeigen. 1) Buteo vulpinus verbreitet sich immer weiter nach Westen, kreuzt sich mit BD. vulgaris, und diese letztere Form geht in jener auf. 2) Buteo vulpinus verbreitet sich immer weiter nach Westen, aber seine Kreuzung mit der andern Art lässt Tiere entstehen, welche dieser näher stehen, was der weitern Verbreitung von B. vulpinus nach Westen hin ein Hindernis entgegensetzt. Beide Formen bleiben so ziemlich auf dieselben Gegenden beschränkt, und ihre Kreuzung erzeugt Bastarde an den Grenzen eben dieser Gegenden. 3) Buteo vulgaris dringt immer weiter nach Osten vor, kreuzt sich mit B. vulpinus, und diese letztere Art geht in der erstgenannten Art auf. 4) Buteo vulgaris verbreitet sich immer weiter nach Osten, aber Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. 431 aus seiner Kreuzung mit BD. vulpinus entstehen Bastarde, welche dieser Art näher verwandt sind, was nunmehr die weitere Verbreitung von B. vulgaris nach Osten hin verhindert. Beide Formen erhalten sich so ziemlich in denselben Gebieten, und ihre Kreuzung schafft Bastarde in den Grenzstrichen zwischen den Verbreitungsdistrikten beider. 5) Buteo vulpinus und B. vulgaris bilden, nachdem zwischen bei- den Kreuzung eine Reihe von Generationen hindurch stattgefunden hat, eine zwischen beiden stehende Art mit Charakterzügen beider ehemaliger Arten, welche diese alsdann ersetzt. Angenommen nun, es gelänge zu beweisen, dass die Kreuzung von Corvus corone und ©. cornix, auch wenn beide Arten in gleicher Häufigkeit vorkommen, im westlichen Europa nur dazu beiträgt, dass ©. cornix in jener Art aufginge, so würden wir daraus schließen müssen, dass bei den augenblicklich vorhandenen Existenzbedingungen von diesen zwei Vogelarten C. corone eine größere Anpassungsfähig- keit besitzt als ©. cornıx, und es würde uns nur übrig bleiben, nach den Ursachen dieser Thatsache zu forschen Kennen wir aber erst diese, so können wir dann ebenso erklären, welche Einflüsse ©. corone zu einer unterscheidbar festen Form haben werden lassen. Und so will es mir also scheinen, dass es uns beim Studium dieser Frage viel leichter werden wird die Gesetze zu begreifen, welche bei dem „Kampf um das Dasein“ maßgebend sind — denn hier haben wir es mit festen Formen zu thun, deren Charaktere sehr deutlich hervor- treten — während wir es mit wenig deutlichen Merkzeichen zu thun haben, wenn wir nur mit der Bildung der Arten uns beschäftigen. Die Gruppe der Blaukehlchen (Cyanecula) liefert uns ein an- deres Beispiel von der Kreuzung zweier Arten und ihrer Abkömmlinge. Die Blaukehlchen lassen drei feststehende Abänderungen erkennen, nämlich Cyanecula Wolffii im Westen und Nordwesten, ©. leucocyana in der Mitte und ©. suecica im Osten ihres Verbreitungsgebietes. Die Anhänger der Theorie von der Unveränderlichkeit der Arten mögen hier sagen was sie wollen; aber da diese drei Formen während ihrer Nistzeit jede eine ganz bestimmte Gegend aufsuchen, können sie nicht wohl in eine Art zusammengefasst werden, und doch findet man zwi- schen ©. Wolffii und C. leucocyana ebenso wie zwischen dieser und ©. suecica Mittelformen. Es gab eine Zeit, wo ich die drei Formen als Varietäten einer und derselben Art ansah; als ich aber aufmerk- samer nach den Aufenthaltsorten derselben während ihrer Nistzeit forschte, habe ich mich-davon überzeugen können, dass die Mittelformen zwischen ©. Wolffii und ©. leucocyana nur dort sich finden, wo letz- tere beide zusammen vorkommen, und von den Uebergangsformen zwischen C. leucocyana und Ü. suecica ist genau dasselbe zu sagen. In Mittelrussland zum Beispiel findet man typische Exemplare von ©. leucocyana und C.swecica und außer diesen zahlreiche andere, welche 432 Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. den Uebergang von einer zur andern vermitteln. In Frankreich wie ebenso in Westeuropa überhaupt kommen €. Wolffii und ©. leucocyana in typischer Form vor, und in ebenso großer Anzahl Zwischenformen; aber Zwischenformen fehlen gänzlich in jenen Gegenden, welche nur von einer der drei typischen Arten bewohnt sind. Fasse ich alle diese Thatsachen zusammen, so kann ich nicht umhin, die Individuen mit Merkmalen, welche sie als Zwischenformen erkennen lassen, als Produkte der Kreuzung verschiedener Arten 'von Blaukehlehen und ihrer Abkömmlinge anzusehen. Entsprechendes zeigen die Blauspechte. Ich besitze einige Exemplare von solchen aus Mittelrussland, und ich glaube dieselben mit Recht als Bastarde von Sitta caesia und S. europaea, und von die- sen Formen wieder mit den Bastarden derselben ansprechen zu müssen. Dabei ist wiederum zu bemerken, dass ähnliche Sitta-Exemplare nur in Gegenden vorkommen, welche von beiden typischen Formen zu- gleich bewohnt sInd. Indess beobachten wir bei den Blauspechten dasselbe wie bei den Blaumeisen; die Verbreitungsgebiete der verschiedenen Formen scheinen so bestimmt begrenzte zu sein, dass man, augenblicklich wenigstens, beiihnen keine Neigung dazu bemerken kann, sich nach an- deren Gegenden zu verbreiten. Und dies lässt uns annehmen, dass in sol- chem Falle die Kreuzung einzig zur Erzeugung von Formen mit ver- mischten Charakteren beiträgt, nicht aber zum Aufgehen der einen Form in einer andern, sobald diese Bastarde den Lebensbedingungen weniger gut angepasst sind, als die ursprünglichen typischen Formen. Das Entgegengesetzte aber werden wir sehen, sobald die Kreuzung zwischen zwei Arten sich vollzieht, die irgendwie Neigung dazu haben, sich nach anderen Gegenden zu verbreiten. Dann darf man annehmen, dass eine Art, indem sie sich in ein von einer andern Form bewohn- tes Land ausbreitet, diese letztere verschwinden lässt, wie wir dies bei Cyanistes Pleskei und C. flavipectus gesehen haben. Diese beiden Formen verlieren sich in einer andern, in C. cyanus — oder ganz im Gegenteil, die einwandernde Form geht in der eingesessenen auf, wie es der Fall bei Nebelkrähe und Dohle ist. Indem ich nun zu beweisen versuche, dass eine Art in einer an- dern aufgehen könne, will ich durchaus nicht etwa behaupten, dass diese Arten nicht auch infolge von beständiger Verminderung ihrer Individuenzahl verschwinden können. Ganz im Gegenteil, ich glaube vielmehr, dass grade auf diese Weise Arten am öftesten untergehen; aber es kommt doch eben vor, dass, wenn die Art A, einer andern Art B sehr nahe stehend, mit dieser letztern leicht sich kreuzt, sie auch sehr leicht infolge der Kreuzung verschwinden kann, vorausge- setzt nämlich, dass die Art A an Individuenzahl beträchtlich ärmer ist als die Art B. In anderen Fällen ist die Kreuzung, obwohl sie ja das Aussterben einer wenig häufigen Art beschleunigt, durchaus nicht Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. 433 der Hauptgrund dieses Aussterbens, das nur davon abhängen kann, dass die Zahl der Weibchen kleiner wird. Um noch durch andere Beispiele die Richtigkeit dessen zu be- weisen, was wir soeben über die Rolle sagten, welche die Kreuzung bei dem Vorgange des Aussterbens der Arten spielt, müssen wir uns noch weiter in der paläarktischen Fauna umsehen. Zoologen und Paläontologen sind augenblicklich alle der Meinung, dass die spätere Tertiärfauna jenes Festlandes, welches, anders ge- staltet, die Stelle von Europa und Asien einnahm, teilweise ganz aus- gestorben, teilweise aber nach den Ländern Mittelafrikas und Mittel- asiens sich zurückgezogen hat. In solchen lebenden Formen, wie den Elefanten, Nashörnern, Antilopen, Löwen und anderen Säugern Afrikas und Asiens, in der Giraffe und dem Nilpferde Afrikas glaubt man die Ueberreste jener jungtertiären Tierwelt wiederzufinden, welche, ausgewandert in diese wärmeren Länder im Anfang der Eiszeit, wo Nord- und Mittelafrika und Mittelasien wieder an das nördliche Fest- land sich anschlossen, dort bis in unsere Tage hinein geblieben sind. Aber trotz dieser Massenauswanderung der Tiere der Pliocänfauna enthält die heutige paläarktische Region (oder Provinz), deren Fauna im ganzen genommen aus Nachkommen jener Auswanderer gebildet ist, auch Formen von einigen sehr alten Tiergruppen. Unter den Vögeln sind solche z. B. Falco Eleonorae, Circaetos gallicus, Oriolus galbula, Coracias garrula, Merops apiaster, M. persica, Otis houbara, O. Mac-Quenii, O. tarda, O. tetrax, Glareola melanoptera, Gl. torguata, Porphyro veterum, Phoeniocopterus antiquorum u. 8. w. Die Gruppen, denen diese Arten angehören, sind augenblicklich die am meisten charakteristischen Vertreter der Vogelfauna Aethiopiens und des Orients; es sind die Begleiter jener Säugetiere, welche den Boden Europas verlassen haben. Wenn wir noch die Verbreitungsbezirke der genann- ten Arten näher bezeichnen wollen, so werden wir bemerken, dass die größte Zahl derselben jenem Teile der paläarktischen Provinz ange- hört, welche ich als einen Distrikt zweiter Ordnung bezeichnet und „Küsten- und 'Inselzone“ genannt habe, welche mehr oder weniger übereinstimmt mit der Mittelmeerregion anderer Autoren. |Menzbier zieht also die französischen und englischen Küstenländer und Inseln, welche Ref. in seiner kürzlich erschienenen Arbeit „Die Binnenmollus- ken der nördlich gemäßigten Länder von Europa und Asien und der arktischen Länder“ (Nova Acta der Ksl. Leop.-Karol.-Deutschen Aka- demie Bd. XLV Nr. 4) den „Keltischen Bezirk“ genannt hat, noch zu den Mittelmeerländern, wegen der vielfachen faunistischen und, nebenbei gesagt, auch floristischen Uebereinstimmung mit diesen letz- teren. Fischer ist teilweise in denselben Fehler verfallen, indem er die Küstenländer von Portugal mit diesem Keltischen Bezirk zu einem einzigen vereint und den anderen Regionen der paläarktischen Pro- vinz als „Westliche Region“ gegenübergestellt hat. Der Fehler er- 28 434 Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. klärt sich sehr leicht eben daraus, dass diese Länder infolge ihres milden Seeklimas Formen beherbergen können, welche sehr an die Mittelmeerregion erinnern und darum sehr ins Auge fallen. Man ver- gisst dann leicht über mehreren auffallenden Formen die bei weitem größere Masse der anderen gewöhnlichen Formen der Germanischen Region. Ref.|. Reichtum an Arten, welche auf sehr kleine Verbrei- tungsbezirke beschränkt sind, das ist das Charakteristische dieser Zone; und da Formen, welche diesen Arten sehr nahe stehen, teil- weise in dem nördlichen Teil der paläarktischen Provinz und teilweise auch in Aethiopien sich finden, müssen wir folgern, dass entweder diese Formen infolge ihrer Isolierung entstanden oder, dass sie sich noch erhalten haben aus jenen Zeiten her, wo Südeuropa mit Nord- afrika verbunden war, und wo an der Stelle des heutigen Mittelmeeres nur eine Anzahl größerer oder kleinerer Binnenseen sich befand. Und so finden wir, während man in dem größten Teile der Palä- arktischen Provinz Neubildung von Arten beobachten kann, in dieser „Küsten- und Inselzone* die Erscheinung des Aussterbens lebender Formen. Falco Eleonorae, Melizophilus provincialis, Larus Audouini und andere Formen mit sporadischer Verbreitung und sehr beschränk- ten Gebieten sind ohne Zweifel ihrem völligen Verlöschen sehr nahe. Aber grade hier findet man Arten, welche unser lebhaftestes Interesse erregen. Vor allen anderen führe ich als solche Falco Eleonorae an. Augenblichlich erkennt man nur eine Art unter den mit diesem Namen bezeichneten Falken an. Aber in der Sammlung des Herrn Severtzow habe ich viele Exemplare dieses Falken gesehen, und ich kann mich nicht zu der Ansicht bekennen, dass dies nur eine einzige Art sei. Denn auch nach dem Zeugnis von Dr. Krüper lassen die Vögel schon in ihrem ersten Federkleide leicht zwei verschiedene Formen erkennen: die eine, dunklere, von Lindermayer unter dem Namen Falco arcadicus beschrieben, und eine andere weniger dunkel gefärbte. Diese beiden Formen lassen sich in allen Altersstufen von einander unterscheiden, aber sie kreuzen sich sowohl miteinander als auch wieder mit den aus dieser Kreuzung entstandenen Bastarden. Mit einem Wort, ich glaube, dass F\. Eleonorae und F. arcadicus zwei Formen sind, welehe im begriffe sind zu verlöschen, geneigt zur Bil- dung von Bastarden, und welche unter dem Einfluss wenig günstiger Umstände miteinander verschmelzen werden. Es ist möglich, dass Aguila pennata und A. minuta jenen in dieser Beziehung ähnlieh sind. Die,Zoologen haben die Meinung des Herrn Bureau angenommen, dass diese beiden nichts anderes sind als ver- schieden gefärbte Varietäten einer und derselben Art. Aber auch hier sehe ich mich genötigt, an der Hand des reichen Materials in der Sammlung von Herrn Severtzow Agquila pennata und A. minuta als zwei verschiedene Arten zu bezeichnen. In Europa vernichtet die zu- nehmende Kultur diese beiden Formen; aber man findet sie häufiger Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. 435 in einigen Ländern von Afrika und Asien. Und so glaube ich denn, dass uns dieselben aus der Pliocänzeit geblieben sind, und dass sie, nachdem sie in der postglazialen Zeit eine große Ausbreitung ge- wonnen hatten, jetzt aus Europa unter vielfacher Bastardbildung ver- schwinden: Etwas ähnliches können wir bei Circaötos gallieus und ©. hypo- leucus oder orientalis beobachten, den Vertretern der Gruppe der afri- kanischen Raubvögel. Diese beiden Formen sind in allen Altersstufen voneinander zu unterscheiden, obgleich dieser Unterschied kein grade großer ist, und außerdem suchen sie Wohnorte mit ganz verschiedenen Exi- stenzbedingungen auf; ©. gallicus liebt Waldinseln, während der an- dere ganz und gar ein Vogel der Steppe ist. Nur in Westeuropa, in dem Gebiete der Mittelmeerküste, wohnen beide Formen zusammen. Nach Exemplaren zu urteilen, welche ich gesehen habe, erzeugen sie dort auch Bastarde miteinander, und das berechtigt vollkommen zu der Behauptung, dass sie, bei der großen Aehnlichkeit beider Arten, gänzlich miteinander verschmelzen und mit der Zeit nur noch eine einzige Art bilden werden mit Charakterzügen, welche zwischen den beiden ursprünglichen Arten stehen. Im allgemeinen will es mir scheinen, dass, je mehr wir eine Fauna studieren und je aufmerksamer wir beobachten werden, wir auch desto mehr von diesen Formenpaaren finden werden, welche bisher kaum die Aufmerksamkeit der Naturforscher erregt haben, welche man aber als eine reiche Fundgrube betrachten kann für alle An- hänger der natürlichen Zuchtwahl. Bildung und Untergang von Ar- ten sind zwei Dinge, welche weit verwickelter sind als die meisten wohl glauben. Alle beide vollziehen sich unter dem Einflusse zweier Faktoren: nämlich unter demjenigen der natürlichen Zuehtwahl und demjenigen der Kreuzung. Und während erstere beiträgt zur Ent- wickelung einer großen Mannigfaltigkeit der Charaktere, wirkt letztere dieser grade entgegen, nicht allein mittels Kreuzung von Formen, welche auf dem Wege dazu sind sich zu befestigen, sondern auch von solchen, welche dies bereits sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Varietäten einer Art, nachdem sie sich unter dem Einflusse der natürlichen Zuchtwahl herausgebildet haben, durch Kreuzung zur typischen, zur Anfangsform zurückkehren, wenn sie hinterher in an- dere Bedingungen versetzt werden. Und auf diese Weise können geographische Verhältnisse mitunter zur Bildung von neuen Ar- ten beitragen, manchmal aber im Gegenteil Varietäten zur typischen Form zurückkehren lassen. Der erste Fall tritt zum Beispiel ein, wenn die Individuen der typischen Form isoliert leben auf einer Insel- gruppe — vielleicht der Ueberrest eines Festlandstückes nach säku- larer Senkung — ein Umstand, der diesen Verlauf der natürlichen Zuchtwahl ungemein beschleunigt. Das Gegenteil davon kann sich zeigen, wenn diese säkuläre Senkung einer Hebung Platz macht und 28 * 496 Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. infolgedessen aus der Gruppe von Inseln eine einzige große Insel wird, oder gar ein Teil eines Festlandes, wo dann die nur wenig be- ständigen Formen untereinander und mit der typischen Form sich kreuzen. Man darf annehmen, dass in einem Falle, wo die jüngeren Formen den Existenzbedingungen besser angepasst sind, dies die häufigste Form sein und das Uebergewicht haben wird. Aber es wer- den auch Fälle eintreten, wo inmitten einer Gruppe, von welcher neue Formen sich abzweigen, die einen durch Kreuzung untereinander schließlich nur eine einzige Form bilden werden, während im Gegen- teil die anderen mehr und mehr von einander sich entfernen und un- terscheiden werden. Wallace zeigte in seiner Monographie der Gattung Pitta (Ibis, 1864), dass Isolierung eine große Rolle spielt bei der Artenbildung dieser Gruppe. Die Cinclus sind dieser Gattung sehr nahe verwandt, und es scheint, dass die Geschichte beider ganz und gar dieselbe ist; nur in ihrer Entwickelung beobachten wir Pha- sen, welche sich nicht gleichen: die geographischen Verhältnisse tra- gen zur Bildung neuer Arten in der Gattung Pitta bei (dieselbe be- wohnt hauptsächlich die Inseln des Malayenarchipels); und ebenso führen die geographischen Verhältnisse bei Cinclus, welche Gattung hauptsächlich auf dem Festlande heimisch ist, dazu, dass die ver- schiedenen Arten zu einer einzigen verschmelzen. Cinclus caschmirien- sis, ©. leucogaster, C. sordidus sind Arten, welche sich herausgebildet haben unter dem Einfluss der Isolierung während einer Zeit, wo dort, wo jetzt die Wüsten und Steppen Mittelasiens sich ausbreiten, ein Meer sich befand, welches mit seinen Wogen einige einzelne Inseln bespülte. Als nun das Meer verschwand und die vorher isolierten Arten auf dem neu entstehenden Lande immer mehr sich ausbreiteten, ließen diese letzteren, als sie mit einander in Berührung kamen, Kreuzungsbastarde entstehen, und so sehen wir heut diese ehemals vollkommen fest in sich begrenzten Arten durch fortlaufend zusam- menhängende Reihen von Uebergangsformen mit einander verbunden. Würde jetzt Mittelasien seinen Charakter wieder verändern und von neuem teilweise mit Wasser sich bedecken, so würden wahrscheinlich diese Cinclus-Formen von neuem zu einzelnen abgeschlossenen Arten werden, jene Zwischenformen aber, welche ich mit Herrn Seebohm als aus Kreuzung der drei Arten hervorgegangen betrachte, würden vermutlich verschwinden, oder vielmehr, sie würden durch fortwäh- rende Kreuzung mit einer der Stammformen in dieser aufgehen — ebenso wie die Bastarde des Steinboeks und der Ziege nach vier oder fünf Generationen zur Stammform, nämlich zum Steinbock, zu- rückkehren, wenn sie der freien Kreuzung mit diesem überlassen bleiben. Die Mittelformen, welche aus der Kreuzung zweier bestimmt be- grenzter Arten hervorgehen, bieten ein großes Interesse dar. Herr Seebohm meint, dass sie der alten Stammform ähneln, aus welcher die beiden sich kreuzenden Arten hervorgegangen sind (er spricht Menzbier, Kreuzung und Aussterben von Tierarten. 437 dabei nur von der Kreuzung zweier einander sehr nahe stehender Formen). Zweifelsohne mag es Fälle geben, wo etwas ähnliches vorkommt, zum Beispiel wenn die Charaktere der beiden sich kreu- zenden Formen die Merkmale wiederholen, welche jener Vorfahren- gruppe eigentümlich waren, wo aber die gemeinsame Erbschaft unter die jüngeren Gruppen verteilt wurde, so dass die eine den einen Teil der alten Charakterzüge bewahrt hat, während die zweite den andern zur Schau trägt. Es ist aber kaum anzunehmen, dass in einem Falle, wo diese Nachkommen bereits Zeit genug gehabt haben, Charakter- züge erb- und eigentümlich anzunehmen, welche jene alten Vorfahren nicht besaßen, dass dann auch die späteren Bastarde uns lediglich das Bild jener alten Stammform wiederbringen sollten. Zur Ent- scheidung dieser Frage und Beseitigung alles Zweifels bedürfte es indess einer langen Reihe von Beobachtungen über Haustiere und Tiere, welche in zoologischen Gärten gehalten werden. Unzweifelhaft wird auch ein eingehendes Studium von der Kreu- zung verschiedener Arten, von der Aehnlichkeit und Verschiedenheit der Bastarde, der Stammformen und der mancherlei Abänderungen, welche sie erkennen lassen, Licht in die Frage von der Wechsel- beziehung verschiedener Formen bringen. Schon hatte ich selbst Ge- legenheit mich davon zu überzeugen, dass die Kreuzung auf dreierlei verschiedene Art die Färbung der Vögel beeinflusst. Im ersten Falle zeigt die Farbe der Bastarde eine Mischung der Färbungen der bei- den typischen Formen; zweitens können sich dieser Mischung eigen- tümliche Züge der Bastarde beigesellen; und endlich drittens wechselt die Färbung mit jeder Feder, so dass immer die eine in Färbung der entsprechenden bei den beiden Stammformen ähnelt, was durch die Verwandtschaftsgrade der letzteren erklärt werden könnte. Das Studium der paläarktischen Vögel hat mir bewiesen, dass gewisse Arten mit ihnen nahe stehenden anderen sich kreuzen und in großer Anzahl Bastarde entstehen lassen, welche ihrerseits wieder untereinander und mit den Stammformen sich kreuzen, aus denen sie hervorgegangen. Diese Kreuzung trägt bisweilen dazu bei, dass zwei befestigte Formen miteinander zu einer einzigen verschmelzen, die alsdann Charakterzüge erkennen lässt, welche ihren beiderseitigen Ahnen angehören; bisweilen aber kommt es auch vor, dass die eine Art in der andern aufgeht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Be- streben zweier Arten, sich zu kreuzen, seien die Gründe dieses Stre- bens welche sie wollen, dazu beitragen kann, dass die eine Art voll- kommen von der andern absorbiert wird, nämlich dann, wenn die beiden Formen gar keinen biologischen Unterschied zeigen, und dass die eine von ihnen viel häufiger ist als die andere. Endlich gibt es Fälle, wo dieses Kreuzungsbestreben, weit ent- fernt davon die Ursache irgend welchen Aussterbens zu sein, nichts- desto weniger dieses letztere, hates einmal begonnen, beschleunigen kann. 438 Emery, Fortbewegung von Tieren an senkrechten Flächen. Die von mir hier besprochene Frage der Biologie hatte auch das Interesse von Charles Darwin auf sich gezogen; aber jener große Zoologe hat nicht mehr die Zeit gehabt, dieselbe ebenso ausführlich zu behandeln wie die anderen mit seiner Lehre in Verbindung stehen- den Fragen. Trotzdem teilte er in ausgiebiger Weise seine Beobach- tungen über die Fälle mit, wo eine Rasse von einer andern absorbiert wird, und er zeigte uns den Weg, welchen wir bei Untersuchungen dieser Art einzuschlagen haben. Herm. Jordan (Erlangen). Fortbewegung von Tieren an senkrechten und überhängenden glatten Flächen. H. Dewitz, Ueber die Fortbewegung der Tiere an senkrechten glatten Flä- chen vermittelst eines Sekretes. Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiolug. XXXIII Zoolog. Anzeiger Nr. 172. — Rombouts, De la facult& qwont les mouches de se mouvoir sur le verre et sur les autres corps polis. Archives d. Mus. Teyler. Ser. II, 4. partie. — F. Dahl, Beiträge zur Kenntnis des Baues und der Funktionen der Insektenbeine. Archiv f. Naturgesch. 50. Jahrg. 2. Heft. — G. Simmermacher, Untersuchungen über Haftapparate an Tarsalgliedern von Insekten. Zeitschr f. wiss. Zoolog. XL. 3. Heft. Das Vermögen der Fliegen und anderer Tiere, auf senkrechten oder sogar wagerecht überhängenden glatten Flächen sich aufhalten und bewegen zu können, hat seit längster Zeit die Aufmerksamkeit der Naturforscher gefesselt. Zur Erklärung des Phänomenes wurden verschiedene Theorien ersonnen. Die einen vermuteten, die Fliegen hielten sich mittels ihrer Krallen fest, entweder in feinsten unsichtbaren Ritzen oder an Uneben- heiten der Oberfläche der Körper, oder an einem rauchartigen Ueber- zug, der jene Flächen gewöhnlich verunreinigt. Nach anderen soll- ten sich die Tiere durch eine klebrige Absonderung festsetzen. Noch andere behaupteten, die Fixierung geschähe infolge der Erzeugung eines luftleeren Raumes unter der Fußsohle, also durch die Kraft des atmosphärischen Druckes. Von den drei Theorien bleiben nur die beiden letzteren heutzutage noch zu berücksichtigen und haben unter den Autoren der zu refe- rierenden Arbeiten ihre Verteidiger. Dass es Tiere gibt, die sieh durch Ansaugen festhaften, ist wohl nicht zu bezweifeln und wird allgemein zugegeben; also vor allem die mit wirklichen muskulösen Saugnäpfen versehenen Würmer und Mollusken und die ambulacrale Saugfüßchen führenden Echinodermen. Ferner besitzen einige Fische (Echeneis, Cyelopterus, Lepadogaster), Säugetiere (Hyrax sowie gewisse Affen und Fledermäuse, welche sich mit der Hand- bezw. Fußsohle anklammern) und Reptilien (Platydactylus nach Braun’s Untersuchungen) verschiedenartige Vorrichtungen zu Emery, Fortbewegung von Tieren an senkrechten Flächen. 439 demselben Gebrauch. Aber selbst beim Ansaugen dient wohl in den meisten Fällen, wie Dewitz richtig bemerkt, eine klebrige oder nicht klebrige Flüssigkeit dazu, das genaue Anpassen der Ränder der Saug- näpfe zu bewirken. Beim Laubfrosch und wohl auch bei anderen discodactylen Anu- ren war aber schon durch v. Wittich’s Untersuchungen eine beson- dere Sekretion nachgewiesen. Dewitz hat diese Sekretion näher studiert!). Hält man einen Laubfrosch an einem Hinterbeine fest, so bemüht er sich, sich zu befreien und befestigt dabei die Vorderfüße so stark als möglich an äußere Gegenstände; es werden dadurch die Haftdrüsen der Zehenballen gereizt. Die mikroskopische Untersuchung des sofort getöteten Tieres zeigt in diesen Drüsen, neben sekrethal- tigen Zellen, andere Zellen, welche ihren hellen Inhalt ausgestoßen haben und sich dann durch Karmin viel dunkler und gleichmäßig färben lassen. — Die Drüsen von den Zehenballen eines ruhenden Laubfrosches sehen anders aus, und ihre Zellen sind ziemlich gleich- mäßig sekrethaltig. Es ist also gewiss, dass die Zehenballendrüsen beim Anklammern thätig sind. Die weiter von D. angeführte Be- obachtung, dass der Laubfroseh sich an Löschpapier oder an einem Tuch ebensogut festhält wie an einer glatten Fensterscheibe beweist wohl, dass dabei ein Klebstoff wirksam sind und nicht der Luft- druck oder die durch irgendwelche nicht klebrige Flüssigkeit begün- stigte Adbäsion. Den Hauptgegenstand des Streites bilden aber die Haftapparate an den Füßen der Insekten und einiger anderer Arthropoden. Bei einem Käfer (Telephorus) hat Dewitz die bereits von Ley- dig gesehenen Drüsenzellen an der Sohlenfläche der erweiterten Tarsal- glieder nachgewiesen; diese Zellen stehen mit den Härchen der Fuß- sohle in Zusammenhang und enthalten einen hellen Sekrettropfen. Eine Ausmündungsöffnung am Haare selbst wurde leider nicht nach- gewiesen, nur bei einem exotischen großen Rüsselkäfer konnte D. eine solche Oeffnung deutlich sehen. Es ist aber wohl anzunehmen, dass die Ausmündung wirklich in den Haaren ihren Sitz hat, wenn auch die Oeffnungen so klein sind, dass man sie nur sehr schwer wahrnimmt, besonders wenn sie mit Flüssigkeit gefüllt sind. Lässt man nun ein mit Hafthaaren versehenes Insekt auf einer Glasplatte schreiten, so hinterlässt jeder Fuß eine Spur, bestehend aus vielen mikroskopischen Tröpfehen, welche grade so geordnet sind wie die Haare an der Fußsohle selbst. Verschiedenartig geformte Hafthaare finden sich. bei Käfern an der Sohle erweiterter Tarsenglieder; so bei Hymenopteren, Fliegen und Rhynchoten auf besonderen Lappen des letzten Tarsal- 1) Herr Dr. Dewitz hatte im Biol. Centralbl. schon selbst eine kurze Mit- teilung über seine Versuche mit dem Laubfrosche veröffentlicht. Vgl. Bd. III Nr. 18. Die Red. des Biol. Centralbl. 440 Emery, Fortbewegung von Tieren an senkrechten Flächen. gliedes, und bei den springenden Spinnen und einigen anderen Arachniden sieht man ähnliche Vorrichtungen an der Spitze der Füße. Bei Or- thopteren sind keine Hafthaare vorhanden; aber die Cutieula der Sohle ist verdickt und bildet ein Polster, das durch eine besondere Stäb- chenstruktur ausgezeichnet ist. Nach D. ist diese Sohle von zahllosen Kanälechen durchbohrt; die betreffende Hypodermis ist verdickt, ihre Zellen bilden keine glatte Lage, sondern erheben sich zu einer ge- falteten Schicht und zeigen eine körnige (drüsige) Beschaffenheit. Die Poren an der Tarsensohle der Heuschrecken wurden von Dahl nicht bemerkt; er fand aber daselbst vereinzelte Borstengruppen, wel- che, mit Nerven in Verbindung stehend, als Tastapparate zu deuten sind. Auch Simmermacher beschreibt diese Gebilde. Dahl und Rombouts stimmen mit Dewitz überein, indem sie annehmen, dass die Haftfüße der Insekten durch eine Flüssigkeit und nicht durch den Luftdruck sich befestigen. Beide erstgenannte Au- toren glauben aber, dass eine dünnflüssige Substanz genüge, um die Adhäsion zu bewirken, während Dewitz das Sekret der Sohlendrüsen für klebrig hält. Dahl konnte die Ausführungsöffnungen nicht sehen und stellt sie deshalb in Abrede; er vermutet, dass die als Drüsen gedeuteten Teile keine solchen sind, und dass die den Haftflächen und Haaren zukommende Flüssigkeit nichts anderes sei als transsudiertes Blutserum. Leider gibt er selbst einen Beweis gegen seine eigne Auffassung, indem er sagt, dass die Sohle der Tarsen von Heuschrecken für färbende alkoholische Lösungen sehr schwer durchdringlich ist, während sie das Blutserum leicht durchlassen sollte. Ref. findet darin keine Schwierigkeit anzunehmen, dass eine poröse Membran, wenn ihre Poren mit Fett gefüllt sind, eine nicht fette Lösung nicht durch- lasse. Und in der That scheint es bewiesen, dass das Haftsekret der Insektenlarven fetter Natur ist. Gegen die Klebrigkeit der Haftflüssigkeit wird eingewendet, dass die Tiere, wenn sie an einer Stelle lange sitzen, dadurch festkleben sollten, was aber nieht der Fall ist. Dieser Einwand ist aber für sich sehr schwach, da wir einerseits wissen, dass jenes Sekret sehr langsam austrocknet, und weil wir anderseits wegen seiner sehr ge- ringen Menge dessen physikalische Eigenschaften nicht genügend kennen. Ferner sagen die Gegner der Klebetheorie, dass die Tiere große Mühe haben würden, ihre Füße von der Fläche, worauf sie be- festigt sind, loszureißen, was besonders beim Springen sehr hinder- lich sein würde. Dieser Einwand fällt aber, wenn man bedenkt, dass ein auf einer Glasscheibe mittels einer sehr dünnen Schicht diekflüs- siger Gummi- oder Harzlösung befestigter biegsamer Gegenstand sehr leicht und mit sehr geringer Kraftanwendung davon gerissen wird, wenn man ihn an einer Ecke packt und senkrecht von der Glasfläche hebt. Zieht man dagegen in sehr schiefer Riehtung an derselben Ecke, so spürt man einen viel stärkern Widerstand. Ersteres ist der Fall, Emery, Fortbewegung von Tieren an senkrechten Flächen. 441 wenn das Insekt einen Fuß hebt; letzteres, wenn das Tier sitzt oder mittels des Beines emporklettert. Hiermit will Ref. nicht behaupten, dass das Haftsekret der Insekten die Konsistenz dieker Gummilösun- gen habe, sondern nur dass keine wichtigen Einwände gegen dessen Klebrigkeit bestehen, wenn eine solche aus anderen Gründen anzu- nehmen ist. Die Form der Hafthaare hat nun Simmermacher zum Haupt- gegenstand seiner Untersuchungen genommen. Als Anhänger der Luftdrucktheorie suchte er in den einzelnen Formen darauf bezügliche Strukturen aufzufinden. S. beginnt mit den sexuellen Haftapparaten der Dytiseiden; hier handelt es sich ohne Zweifel um Haare, welche in echte Saugscheiben umgewandelt sind. Der erweiterte Vordertarsus trägt beim Sg von Dytiscus je zwei große und viele kleine solcher gestielter Scheiben; kleine Scheiben besetzen auch den männlichen Tarsus des zweiten Paares. Der dünne Stiel inseriert sich in der Mitte der dün- nen kreisförmigen Scheibe und sollte natürlich durch Zug einen leeren Raum unter der an eine glatte Fläche applizierten Scheibe erzeugen. Anders geformte, aber sonst auch durch einen feinen mittlern Stiel aufgehängte platte Chitingebilde werden von Hydaticus, Cybistos und anderen Gattungen beschrieben. Ob eine Sekretion zum genauen An- passen der Scheibenflächen beitrage, ist nicht festgestellt. Nun bildet S. einen Schnitt eines Tarsalgliedes von Dytiscus $ ab; besondere darin befindliche Gebilde deutet er als Muskelfasern und sagt, dass dieselben an die Stiele der Saugscheiben sich inserieren; auf welche Weise diese Insertion stattfinde, konnte Ref. weder aus dem Text, noch aus den Tafeln begreifen (auch fehlt auf dem zitierten Bilde sowie in anderen gezeichneten Querschnitten von Insektentarsen jede Andeutung einer doch notwendig vorhandenen Hypodermis, was nicht sehr zugunsten der Genauigkeit solcher Bilder spricht). — Weiter be- schrieb S. bei Carabiden-Männchen verschiedene Formen von Hafthaaren mit grade oder schräg erweitertem und abgeplattetem Ende, diese Bildungen gleichsam als Saugvorrichtungen erwähnend; auf welche Weise diese Gebilde sich anzusaugen vermögen, ist indess Ref. durch- aus unklar geblieben. Es ist zwar wohl anzunehmen, dass die erweiterten Enden der Haare und die weiche Beschaffenheit derselben durch Vergrößerung der Berührungsflächen, die an äußere Gegen- ständen appliziert werden, die Adhärenz der Tarsen begünstigen. Auch sollte man in diesen Bildungen die Anlage erblicken, woraus sich die Saugscheiben der Dytisciden entwickelt haben. Funktions- fähige Saugvorriehtungen sind sie doch jedenfalls nicht. Den sexuellen Haftorganen der Carabiden sind Haftbürsten ähn- lich, welche an der untern Fläche der Tarsen beinahe aller Käfer- familien mehr oder weniger verbreitet sind. (S. leugnet dieselben bei den Lamellicorniern; doch haben z. B. in der südeuropäischen Gattung Pachydema die 5 stark erweiterte und unten behaarte Glie- 442 Emery, Fortbewegung von Tieren an senkrechten Flächen mw der an den Vorder- und Mitteltarsen, und die 2 zeigen an den Vordertarsen in geringerem Maße dieselbe Bildung; ähnliches glaubt Ref. auch an einigen exotischen Melolonthiden gesehen zu haben). Dass die geschlechtlichen und nicht geschlechtlichen Haft- apparate gemeinsamen Ursprungs sind, leuchtet ein, nicht nur aus der Thatsache, dass z. B. bei einigen Chrysomelinen die Tarsen der d' viel stärker erweitert sind, als die der 2, sondern noch deutlicher aus dem von Dahl beschriebenen Befunde an den Tarsen der ver- schiedenen Silpha-Arten; hier besitzen die meisten nur im männlichen Geschlecht Hafthaare an den Vordertarsen, während 8. atrata in bei- den Geschlechtern behaarte Vordertarsen hat und bei S. punctata, welche auf Gesträuchern lebt, alle Füße beider Geschlechter dieselbe Bildung zeigen. Erweiterte, auf der Sohlenfläche bürstenartig behaarte Tarsen scheinen sich nur bei Käfern und bei Forficula allgemein zu finden. Diesen Umstand glaubt Ref. wohl auf einen phylogenetischen Grund zurückführen zu dürfen, wenigstens was die Coleopteren betrifft. In der Abteilung der Adephagen haben sich die Hafthaare nur im männ- lichen Geschlecht erhalten und erreichen ihre höchste Ausbildung in den vollkommenen Saugnäpfen der Dytisciden. Bei den übrigen Co- leopteren werden tarsale Haftapparate auch oft zu sexuellen Zwecken gebraucht, meist aber dienen sie als Kletterapparate und sind dann, wenn auch oft beim Männchen stärker entwickelt, in beiden Geschlech- tern vorhanden. Die Adhäsionsapparate der Neuropteren, Hymenopteren, Lepidop- teren, Rhynchoten und Dipteren erscheinen in der Form von behaar- ten oder unbehaarten Haftlappen an der Spitze der Tarsen in der Nähe der Krallen und bieten für die einzelnen Ordnungen typische Formen. Nur selten findet man Adhäsionsapparate (meist sexuelle) an anderen Teilen der Beine differenziert. Bei springenden Spinnen findet sich nach Dewitz ein Büschel weicher Haare an der Spitze der Beine, und in der Milbengattung Trombidium hat Henking sogar die zur Befestigung dienenden Drüsen beschrieben. Die Arbeit Dahl’s behandelt außer den Haftapparaten noch aller- lei andere Vorrichtungen, welche sich an den Beinen der Insekten vorfinden und zu anderen Zwecken dienen. Auf alle Einzelheiten ein- zugehen scheint Ref. nieht thunlich. Besonders hervorzuheben sind aber die zur Reinigung der Körperoberfläche und der Glieder be- stimmten Einrichtungen, obschon eine Beschreibung derselben ohne Bilder kaum zu verstehen ist. Auffallend scheint der Mangel solcher Einriehtungen bei Orthopteren, welche ihre Glieder und hauptsächlich die Antennen mittels der Mundteile reinigen. Die bienenartigen Hy- menopteren und einige Dipteren tragen an den Schienen förmliche Kämme und Bürsten, um den behaarten Rücken und den Bauch vom Christmar-Dircking-Holmfeld, Regio olfactoria. 449 anhaftenden Pollen der Blumen zu befreien. Die zierlichsten Ein- richtungen sind aber dazu bestimmt, die Antennen rein zu halten; sie haben stets ihren Sitz an den Vorderbeinen. — Bald sind es die Spornen, welche mit dem ersten Tarsalglied eine Zange bilden und welehe, inwendig mit Borstenreihen oder mit weichen vorstehenden Membranen besetzt, den durehzogenen Fühler kämmen und abwischen (Hymenopteren); bald sitzen dieselben Spornen höher und bilden mit dem innern Schienenrand, der daselbst ausgeschnitten ist, eine ähn- liche Vorriehtung (Laufkäfer und die meisten Schmetterlinge, wo der Apparat, als Schienenplatte beschrieben, für ein Sinnesorgan gehalten wurde). Bei den Staphylinen wird eine ähnliche Einrichtung in der Kniebeuge, zwischen Schenkel und Schiene gebildet. Auch zur Rein- haltung der Haftorgane der Füße sind mancherlei zierliche Einrich- tungen vorhanden. Alle diese Gebilde sind bis jetzt wohl angedeutet worden, aber leider zum größten Teil sehr ungenügend untersucht und beschrieben. Eine sorgfältige Durcharbeitung der Haftorgane oder anderer spezieller Einrichtungen der Beine in den einzelnen Insektenordnungen, von solchen, welche eine gründliche Kennt- nis der manchmal sehr schwierigen Systematik besitzen und über größere Sammlungen verfügen, scheint Ref. noch sehr er- wünscht zu sein. Die meisten Entomologen haben gar keine Ahnung von allem dem, was noch selbst an der Oberfläche von gespießten und getrockneten Insekten zu entdecken ist, wenn man sich nur die Mühe nehmen will, dieselbe mit dem Mikroskop und an geeigneten Präparaten durchzumustern. C. Emery (Bologna). Christmar-Dirckinck-Holmfeld, Experimentelle Undersögel- ser over Bygningen af regio olfactoria. Nordiskt medieinskt Archiv 1833, Nr. 3, p. 1-18. 1 Taf. Verfasser hat die Exner’schen Exstirpations- und Degenerations- versuche am Bulbus olfaetorius und der Riechschleimhaut wiederholt. Als Versuchstiere dienten Froseh und Meerschwein; erstere dürfen keine Winterfrösche sein, da dann wahrscheinlich infolge des sehr verlangsamten Stofiwechsels, die Degeneration ausbleibt (Erklärung für Colasanti’s früheren negativen Ergebnisse). Als erstes Mazera- tionsmittel für Kaltblüter dient 0,08 °/, Kali bichrom. Lösung oder Müller’sche Flüssigkeit mit gleichen Teilen HO verdünnt, für Warm- blüter Ranvier’s Drittelalkohol oder die verdünnte Müller’sche Lösung. — Für sorgfältige Isolierung der Schleimhaut der Regio olfactoria von der übrigen wurde, um nicht gewöhnliche Epithelzellen in den Prä- paraten beigemischt zu erhalten, Sorge getragen. In betreff des Baues der normalen Riechmembran schließt sich A444 | Heiberg, Drehungen der Hand. Verfasser W. Schultze an, er unterscheidet aus ihm Stütz- und eigentliche Riechzellen, letztere allein tragen beim Frosch Cilien. Nur die varikösen Ausläufer waren nicht so regelmäßig knotig, wie Jener sie abbildete. Verbindungen zwischen Nervenendfasern und diesen Ausläufern hat er nie gesehen, doch gleichen die erstern ganz den letztern, da wo sie sich unter dem Epithel verlieren. Niemals sah Vf. Uebergangsformen zwischen beiden Zellenarten (auch nicht beim Meer- schweinchen). 3—4 Wochen nach der Exstirpation der Bulbi treten beim Frosch die ersten Degenerationserscheinungen auf. Dieselben betreffen ledig- lich die eigentlichen Riechzellen und führen unter fettiger Infiltration derselben zu einem Zerfall der zentralen und peripheren Ausläufer, meist mit letzterm beginnend; schließlich bleiben nur die Kerne noch deutlich erhalten. Die Stützzellen bleiben völlig unversehrt; Exner hat sich durch Beimischung gewöhnlicher Epithelzellen aus der Nach- barschaft der Regio olfactoria zu der entgegengesetzten Annahme verleiten lassen. Beim Meerschweinchen findet Vf. normal die Stütz- zellen mit einem sehr hinfälligen, kurzen, dichten Flimmerüberzug versehen, ihr unteres Ende ist gabelförmig. Die Riechzellen sind ohne Cilien. Die Degeneration tritt hier viel schneller auf, als beim Frosch, ist aber im Allgemeinen dem Vorgang bei diesen gleich. Die Riechzellen fallen bei Isolationspräparaten zwischen den Stützzellen heraus. Erst viel später (3—4 Monate nach der Operation) beginnt auch eine Degeneration der Stützzellen, indem sie sich mit Fettkörn- chen füllen und ihre Ausläufer atrophieren. Vf. sieht darin einen se- kundären Prozess als Folge der früher veränderten Riechzellen, da nun auch die Stützzellen außer Funktion gesetzt sind. Rabl-Rückhard (Berlin). Jakob Heiberg, Ueber die Drehungen der Hand. Historisch und experimentell bearbeitet. Wien. Urban u. Schwarzenberg. Verf. gibt zuerst einen sehr umfangreichen Ueberblick über die Geschichte der Lehre von der Supination und Pronation der Hand mit vollständiger Angabe der betreffenden Literaturstellen. Aus diesem historischen Ueberblicke erhellt, dass die Lehre von der ausschließlichen Drehung des Radius bei der Pronation und Su- pination die ältere gewesen, dass aber schon ziemlich früh (Wins- low, 1669 —1760, war der erste, der dies aussprach) eine andere Lehre auftrat, die zu beweisen suchte, dass es sich bei der Prona- tions- und Supinationsbewegung nicht bloß um Drehung des Radius um die feststehende Ulna handeln könne, sondern dass auch letzterer Knochen eine Drehung ausführe, und zwar die Hälfte eines Kreises im entgegengesetzten Sinne desjenigen Kreises, welchen der Radius Heiberg, Drehungen der Hand. 445 um die Ulna beschreibt. Diese Lehre von der Mitbewegung der Ulna scheint aber ziemlich wenig Beachtung gefunden zu haben, da sämt- liche neueren und gebräuchlichen anatomischen Lehrbücher aus- schließlich die Bewegung des Radius um die feststehende Ulna und zwar um die von Vieq-d’Azyr (1748—1794) zuerst angegebene, vom Capitulum radii zum Capitulum ulnae verlaufende Achse erfolgen lassen. Ausgehend von der gewiss richtigen Beobachtung, dass zwischen der Supinations- und Pronationsbewegung, welche wir genau nach dieser herrschenden Theorie ausführen, und der, wie wir sie im ge- wöhnlichen Leben tagtäglich ausüben, ein ziemlich beträchtlicher Un- terschied besteht, sucht Verf. nun an der Hand experimenteller Stu- dien erstens die Unrichtigkeit der Theorie von der ausschließlichen Bewegung des Radius um eine feststehende Ulna zu beweisen, und dann die scheinbar vergessene Lehre von der Mitbewegung der Ulna bei den Pronations- und Supinationsbewegungen wieder zur Geltung zu bringen. Verf. operiert dabei teilweise mit möglichst genau gefertigten hölzernen Modellen der beiden Vorderarmknochen; die nach einem Gipsabguss ebenfalls in Holz geschnitzte Hand ist unbeweglich mit dem Radius verbunden. Zwischen Capitulum radii und Capitulum ulnae ist die Bewegungsachse nach Vieq-d’Azyr mittels eines eisernen Stabes angebracht, dieselbe jedoch nach der Hand zu ver- längert, so dass sie ungefähr in der Höhe des Capitulums des fünften Metacarpalknochens die Hand verlässt. Um diese Achse also muss der herrschenden Theorie zufolge die Bewegung stattfinden. Lässt man nun diese eintreten, so macht der laterale (radiale) Rand der Hand mit dem Daumen eine Exkursion von 9—11 cm, was gewiss dem physiologischen Akte der Pronation und Supination nicht entspricht, denn bei dieser beträgt der Ausschlag nur 7 cm. Verf. führt nun noch einen zweiten Grund ins Feld gegen die herrschende Theorie der ausschließlichen Radiusbewegung; er geht von der Bewegung aus, die man beim Einbohren eines Bohrers oder Pfropfenziehers ausübt. Würde diese nämlich, die ja ausschließlich in Pronation und Supination ®esteht, nach der herrschenden Theorie erfolgen, so würde gerade die Stelle, welche den Bohrer fixiert hält (bekanntlich zwischen dem 3. und 4. Finger), einen Bogen von fast 4 em beschreiben, ein Verhältnis, das jedes Bohren unmöglich machen würde. Nach diesen negativen Beweisen gegen die herrschende Theorie sucht nun Verf. die Mitbewegung der Ulna bei der Pronation und Supination direkt experimentell sichtbar zu machen. Ausgehend von der Voraussetzung, dass die angenommene Drehung der Ulna um einen Punkt der vertikalen Firste der Fossa sigmoidea major erfolgen müsse, wählte Verf. folgende Versuchsanordnung. Der 446 Heiberg, Drehungen der Hand. entfleischte Oberarm ist mit der ventralen Seite nach unten auf einem Brettchen fixiert, in das Oleeranon ist in der Längsrichtung der Ulna ein Messingstab eingebohrt, der, von der Fossa sigmoidea major ge- rechnet, genau die Länge hat, wie die Entfernung von diesem Punkte zum Capitulum ulnae. Als Ausgangsstellung ist die äußerste Supina- tion angenommen. Ist nun obenerwähnte Voraussetzung des Verf. richtig, so muss sich bei der Pronation an dem „verlängerten Ole- cranon“ ein Ausschlag bemerklich machen, genau so groß wie der an dem Capitulum ulnae. Verf. gibt nun in einer kleinen Tabelle die Maßzahlen der Ausschläge am verlängerten Oleeranon und gleich- zeitig am Processus styloides radii an, und es ist aus derselben er- sichtlich, dass die Größe der Exkursion am Radiusende in umge- kehrtem Verhältnisse steht zu derjenigen am verlängerten Oleeranon, d. h. dass bei größter Bewegung der Ulna der Ausschlag am Ra- diusende am kleinsten ist und umgekehrt. Verf. kam es nun darauf an, die Exkursionen der beiden Knochen bei der Pronationsbewegung graphisch darzustellen. Der Oberarm wurde wie beim vorher besprochenen Versuchefixiert, dieHand exarti- kuliert und sowohl am Processus styloides radii als am distalen Ende der radio-ulnaren Achse wurden Pinsel angebracht. Um die beiden Unter- armknochen in ihrer gegenseitigen Lage zu erhalten, wurde das peri- phere Stück des Unterarmes in einer durchlöcherten, ziemlich starken Paraffinplatte befestigt, die zugleich den Zweck hatte, bei der aus- zuführenden Pronationsbewegung als Handhabe zu dienen. Auf diese Weise bekam Verf. zwei Kurven, eine obere vom Radius, eine untere in entgegengesetztem Sinne verlaufende von der Ulna. Die Kurve des Radius beträgt ungefähr 90° eines Kreises, die Ortsveränderung dabei beläuft sich auf 4,6 cm, die der Ulna bei einer Ortsveränderung von 2,5 cm fast 180°. Um nun die an der Leiche konstatierte Drehbewegung der Ulna auch beim Lebenden nachzuweisen, verlängerte Verf. wie beim ersten Versuche das Oleeranon dureh einen am Arm des Untersuchungsindi- viduums mittels Gummi- und Heftpflasterbändern befestigten Metall- stab, die Hand erfasste zwischen dem 3. und 4. Finger einen in einen Holzklotz eingebohrten Bohrer und maehte von einer halben Prona- tionsstellung aus Supinationsbewegungen. Der an dem verlängerten Oleceranon befindliche Pinsel beschrieb dabei den beim Leichenexperi- mente gefundenen vollkommen konforme, natürlich in entgegengesetztem Sinne verlaufende Kurven als Ausdruck der Drehbewegung der Ulna. Verf. beschreibt nun eine weitere Reihe von Versuchen, die an- gestellt wurden, um die Bewegungsverhältnisse der beiden Vorder- armknochen bei wechselnder Fixationsstelle der Hand zu demonstrieren. Zu diesem Zwecke wurden die Verlängerungen der Spatia interossea II, IiI und IV durch Linien am Handgelenke markiert, die Hand exartikuliert und an den bezeichneten Stellen Metallstifte in die Knor- Girard, Zuckerbildung in der Zuckerrübe. 447 pelflächen des Radio-Ulnargelenkes eingetrieben. Verf. kam dabei zu folgenden Resultaten. Wird in das distale Ende der radio-ulnaren Achse ein Metallstift eingetrieben und am Processus styloides radii ein Pinsel befestigt, so beschreibt der Radius bei seiner Bewegung um die feststehende Ulna einen Bogen von 160° mit einem Ausschlag von 7 cm. Jemehr nun die Fixationsstelle, also das Zentrum der Dreh- bewegung, radialwärts verlegt wird, um so kleiner wird einerseits der Ausschlag des Radius, um so größer anderseits der der Ulna. Ent- fernt man nun den Pinsel von dem Processus styloides radii und lässt die Ulna um den fixierten Radius eine Drehbewegung ausführen, so be- schreibt jene einen Bogen, der genau die Hälfte desjenigen Bogens beträgt, der bei der Drehung des Radius um die feststehende Ulna erfolgt. Aus den geschilderten Versuchen kommt Verf. nun zu dem End- resultate, dass die Drehbewegungen des Vorderarmes gegenseitig vikarierende Funktionen der beiden Knochen sind, und zwar ist dabei in der Regel der Ausschlag des Radius der größere, es kann aber auch die Ulna allein rotieren. Am Schlusse seiner Abhandlung macht Verf. noch Mitteilung über Inkongruenz der Gelenkteile des Kubital- und Radio -Ulnargelenkes, sowie über Muskelverhältnisse, die jedoch einen besondern Anspruch auf Neuheit und Interesse nicht erheben dürften. Hermann (Erlangen). Aime Girard, Recherches sur la saccharogenie dans la betterave. Comptes rendus. T. 97. p. 1305—1308. Die Zuckerrüben selbst, sowie ihre Wurzelfasern enthalten nur Rohrzucker; dagegen findet sich in den Blattstielen, in den Blattrippen und in den Blatt- spreiten neben Rohrzucker auch Traubenzucker. Durch Smal während einer Vegetationsperiode vorgenommene Untersuchungen liefert der Verfasser den Nachweis, dass Rübe, Wurzelhaare und Blattstiele bei Tag und bei Nacht die gleiche Zusammensetzung aufweisen, dass sich dagegen der Rohrzuckergehalt der Blattspreiten zwischen Abend und Morgen um die Hälfte, mitunter sogar um einen noch größern Betrag vermindert, während ihr Traubenzuckergehalt nicht wesentlich variiert. An hellen Tagen bildet sich mehr Rohrzucker als an trüben; die an jedem Tage gebildete Rohrzuckermenge ist demnach ab- hängig von der die Pflanze treffenden Lichtmenge. Kellermann (Wunsiedel). Hm 48 Valenti, Varietät des Rosenmüller’schen Organs. G. Valenti, Varieta dell’ Organo di Rosenmüller e Rudimenti del Canale di Gärtner nella Donna. Estratto del Bollettino della Societä tra i eultori delle scienze mediche in Siena. 1883. Ann. I. Nr. 3. Im linken Lig. latum eines 36jährigen Weibes fanden sich zwei Parovarien, eines davon zeigte außer 4 transversalen ein 14 mm langes longitudinales Ka- nälchen. In einem andern Falle war (rechterseits) eine unvollkommene Teilung vorhanden. Verf. schließt, dass jene 4 lateralen Kanälchen der Vorniere (head-kidney) zu homologisieren sind, die also in rudimentärer Form auch dem menschlichen Embryo zukommen könnte. Der Längskanal des Parovarium fehlte unter 70 Fällen nur einmal und repräsentiert ohne Zweifel den Anfang des Wolff’schen oder Gartner’schen Kanales Was die Gartner’schen Kanäle beim Weibe anlangt, so fand Valenti zwar häufig die von Kocks (Centralbl. 1884. IV. S. 416) beschriebenen Blindsäcke zur Seite des Orificium urethrae externum, wagt aber keine bestimmte Deutung dieses Befundes. W. Krause (Göttingen). Berichtigungen. In voriger Nummer S. 389 Z. 5 v. u.: Individuum statt Individuen. S. 390 2 7u.8 v. o.: tei-len statt teil-ten. S. 390 Z. 3 v. u.: wachsen statt wachen. Ss. 392 Z. 17 v. o. gehört zu „Organula“ folgende Anmerkung: Die „Organe“ der Heteroplastiden bestehen aus vereinigten Zellen. Da die Organe der Monoplastiden nur verschieden aus- gebildete Teile einer Zelle sind, schlage ich vor, sie „Or- ganula* zu nennen. K. Möbius. S. 392 Z. 17 v. u. Komma hinter Befruchtung. S. 392 Z. 7 v. u.: Lust- oder Schmerzgefühle statt Lustgefühle. S. 392 Z. 6 v. u.: daher immer mattere statt daher mattere. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. Zoolorisches Taschenbuch für Studirende. Zweite Auflage. 12°, in Leinwandband. Preis 3 Mark. Dieses Taschenbuch, sagt im Vorworte der Herausgeber, Professor Dr. E.Selenka, hat den Zweck, den Zuhörern während der Vorlesungen sowie auch bei den praktischen Uebungen, zur Eintragung von anatomischen und em- bryologischen Skizzen, morphologischen Schematen, paläontologischen Stamm- bäumen und Notizen zu dienen. Gleichzeitig soll es die systematische Uebersicht erleichtern und das Niederschreiben von Namen und Diagnosen vereinfachen. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. a Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 1. Oktober 1884. Nr. 15. Inhalt: Fiseher, Zur Entwicklungsgeschichte der Gastromyceten. — Strasburger, Zur Entwicklungsgeschichte der Sporangien von Trichia fallax. — Schman- kevitsch, Zusammenhänge zwischen niederen Pflanzen- und Tierformen. — Latzel, Die Myriopoden der österreichischen Monarchie. — Zeppelin, Ueber den Bau und die Teilungsvorgänge der Ütenodrius monostylos n. sp. — Exner, Die Innervation des Kehlkopfes. — Berner, Ueber die Ursachen der Geschlechtsbildung. — Buceola, Experimentell-psychologische Untersuchungen. — Seiler, Weitere botanische Funde in den Gräbern des alten Aegyptens. — Seler, Die botanischen Ergebnisse der Rothamsteder Wiesenkulturversuche. — Schöyen, Ueber das Vorkommen von Insekten im menschlichen Körper. — Seler, Ueber die Bildung der Korallenriffe. E. Fischer, Zur Entwicklungsgeschichte der Gastromyceten. Mit 1 Tafel. Botanische Zeitung 1884. Nr. 23—31. In dem großen Gebiet der basidiosporen Pilze ist besonders die Gruppe der sogenannten Gastromyceeten durch die Mannigfaltigkeit der Gestaltung und Ausbildung ihrer Fruchtkörper ausgezeichnet. Trotz- dem ist grade ihr die Forschung und besonders die entwieklungs- geschichtliche Forschung verhältnismäßig wenig zugewandt gewesen; es sind wesentlich nur die Arbeiten von Tulasne, de Bary und Schröter, die sich mit ihr beschäftigen. Uebersichtliche und zusam- menfassende Darstellung der einschlägigen Verhältnisse bietet jedoch keine von ihnen, und auch die vorliegende, im Strassburger botani- schen Laboratorium ausgeführte Untersuchung behandelt nur zwei einzelne Formen. Die erste derselben ist der allbekannte und oft beschriebene Sphaerobolus stellatus, der auf faulem Holz ete. häufig vorkommt, und dessen auf feuchtem Sägemehl angelegte künstliche Kulturen dem Verf. das Material für seine Untersuchungen lieferten. Die 2—3 mm im Durchmesser haltenden Fruchtkörper desselben Öffnen sich an ihrer Spitze und legen so das Sporangium frei, das dann bald infolge eines eigentümlichen Mechanismus herausgeschleudert wird. Von solchen entleerten Sporangien, die eine zähschleimige Konsistenz ha- 29 450 Fischer, Zur Entwicklungsgeschichte der Gastromyceten. ben, ging die Untersuchung aus. Sie zeigen, auf günstiges Nähr- substrat gebracht, binnen kurzem die ersten Keimungserscheinungen. Ihre Oberfläche bedeckt sich mit einem feinen weißen Filze von My- celfäden, die das Substrat überziehen und durchsetzen. Häufig sieht man dabei Vereinigung mehrerer Fäden zu einem dickeren Strange, der sich spinnwebeartig verzweigen kann. An diesem Mycelium nun, sei es an den einzelnen Fäden oder an den Strängen, treten die jungen Fruchtkörper auf in Gestalt lokaler engerer Hyphenverflech- tungen. Anfänglich aus völlig gleichartigem Geflecht bestehend, dif- ferenzieren sie sich sehr bald in eine äußere Hülle aus Gallertgewebe und einen Kern enger verflochtener Hyphen. Die erstere bildet sich im Verlauf der weitern Entwicklung zu der sogenannten Mycelialhülle um, einem mehr oder weniger dichten, in dieker Schicht den Frucht- körper umgebenden Fadengeflecht; aus dem Kern entwiekelt sich die Peridie und die Gleba. Indem wir auf die Darstellung der Details der Differenzierung hier verzichten müssen, wollen wir uns gleich dem endgiltigen Zustand zuwenden. In diesem besteht die Peridie, die Hülle, aus drei Schichten: zunächst einer äußeren, auf die My- celialhülle folgenden pseudoparenchymatischen Zelllage. Scharf ab- gegrenzt ist von ihr die zweite, die Faserschicht, die in enger Ver- flechtung den ganzen Fruchtkörper umzieht, nur an dessen Scheitel, ebenso wie die dritte Schicht, nicht zur Differenzierung gekommen ist. Diese dritte sogenannte Collenehymschicht besteht aus stark ver- diekten, radial verlängerten und mit schleimigem Inhalt erfüllten Zellen, die nach innen zu allmählich in kleinere, die Sporangienwand bildende Elemente übergehen. Das Sporangium selbst hat gleichzeitig mit der Hüllenbildung seine Reife erreicht, es nähert sich jetzt der Moment der Ejakulation. Eingeleitet wird derselbe durch eine schei- telständige, sternförmige Eröffnung der Hülle, der eine starke Quel- lung oder Wachstum der Collenchymschicht zugrunde liegt. Die zwischen der letzteren samt der fest anhaftenden Faserschicht und der pseudoparenehymatischen Zelllage so erzeugte Spannung steigert sich, bis im letzten Momente ein Losreißen beider von einander ein- tritt, gleichzeitig eine plötzliche Umstülpung der Collenehymschicht erfolgt und das Sporangium mit großer Gewalt in die Höhe getrieben wird. Dass bei dem ganzen Prozess lediglich eine aktive Ausdehnung der Collenehymschicht, nieht, wie früher behauptet wurde, ein Anta- gonismus zwischen ihr und der austrocknenden Mycelialhülle ete. die Causa movens sei, weist Verf. auf das entscheidendste nach. Das ausgeworfene Sporangium ist zähschleimig und haftet infolge dessen leicht und überall. Die Entwieklung der Sporangien stellt sich un- gefähr so dar. In ganz jungen Zuständen aus einem gleichmäßigen Hyphengeflecht bestehend zeigen sie schon sehr bald die Anfänge der Basidien in Gestalt größerer, kugeliger Zellen. Spätere Stadien lassen in dem wirren Geflecht Züge von gleichförmig dieken Hyphen Strasburger, Zur Entwicklungsgeschichte der Sporangien von Trichia fallax. 451 o ’ o 5 erkennen, die im Querschnitt maschige Anordnung zeigen und nester- weise die Basidien einschließen, an denen die Sporenbildung schon begonnen hat. Die Hyphenzüge, welche die sogenannte Troma dar- stellen, werden späterhin noch etwas deutlicher, namentlich dadurch, dass sie anschwellen und sich mit stark glänzendem Inhalt füllen. An den Basidien entstehen auf kurzen Sterigmen meist je 7 Sporen; ausgezeichnet ist dieser Sporenbildungsprozess dadurch, dass er in dem einzelnen Sporangium nicht gleichmäßig eintritt und fortschreitet. Fertige Sporangien enthalten die Sporen in einer schleimigen Masse eingebettet, von Hyphen ist nichts mehr zu erkennen. — Dagegen kommen noch zweierlei andere Gebilde in ihnen vor, die Verf. als Cystiden und Gemmen bezeichnet. Erstere sind große, in jüngeren Zuständen den Basidien gleichende Zellen, über deren Bedeutung nichts bekannt ist und die allmählich zugrunde gehen, letztere wenig- zellige Komplexe, die an den Hyphenenden sich abgliedern und meist an einem Ende schwanzförmig auslaufen. In Nährlösung gebracht keimen sie leicht aus und bilden kleine, septierte und verzweigte My- celien. Die Keimung der Sporen konnte Verf. gleichfalls erzielen, jedoch gingen die verhältnismäßig kurzen Keimschläuche bald zu grunde. Ein sehr interessantes Resultat ergab die Untersuchung aus- keimender Sporangien. Es zeigte sich dabei, dass die im Innern der- selben enthaltenen Sporen, weit entfernt ausgekeimt zu sein, in den verschiedensten Stadien der Zersetzung sich befanden. Verf. kommt deshalb zu dem Schluss, dass die Basidiosporen unseres Pilzes über- haupt nicht keimen, die Fortpflanzung desselben dagegen den soge- nannten Gemmen zuzuschreiben sei. (Diese Thatsache dürfte über das Verhalten mancher Tuberaceen Licht zu verbreiten geeignet sein. Ref.). — Die gewonnenen entwicklungsgeschichtlichen Momente weisen dem Sphaerobolus eine Stelle in der Nähe des Formenkreises von Geaster an. Von den Nidularieen ist er ganz zu trennen. Die zweite vom Verf. behandelte Gastromycetengattung ist eine exotische, Mitremyces, nur in spärlichem Spiritusmaterial untersucht. Die erhaltenen Ergebnisse haben eine zu spezielle Bedeutung, um hier referiert zu werden. Es genüge anzudeuten, dass der Bau des Pilzes, soweit er eruiert werden konnte, ihm ebenfalls einen Platz in der Ver- wandtschaft von Geaster anweist. C. Fisch (Erlangen). E. Strasburger, Zur Entwicklungsgeschichte der Sporangien von Trichia fallax. Bot. Zeitg. 1884, Nr. 20 u 21. Nicht allein das Interesse, weiches die Entwicklungsgeschichte der Myxomyceten an sich bietet, ist es, welches die vorliegende Arbeit 29 * 452 Strasburger, Zur Entwicklungsgeschichte der Sporangien von Trichia fallax. zu einer äußerst wertvollen macht, es ist namentlich auch der Nach- weis völliger Uebereinstimmung bei der Kernteilung, Membranbildung und — Wachstum mit den bei höheren Pflanzen bekannten Vorgängen, ein Moment, welches um so wichtiger erscheint, als es geeignet ist, in die Feststellung unserer Anschauung von Zell- und Membranbil- dung einzugreifen. Verf. bediente sich auf verschiedene Weise gehärteten Materials, von dem Längsschnitte angefertigt wurden. Die jüngsten der von ihm untersuchten Sporangienanlagen zeigten sich als kleine, flache Höcker auf der Oberfläche des Substrates. Schon in ihnen ist das Proto- plasma in eine Rindenschicht und Innenplasma gesondert; erstere umgibt mehr oder weniger dick die junge Anlage und zeichnet sich durch deutliche radiale Streifung aus. Zellkerne sind ihr, namentlich der inneren Partie, in größerer Zahl eingelagert. Die zentrale Plasma- masse stellt sich als ein Maschenwerk dar, das unregelmäßig geformte Hohlräume einschließt und von Zellkernen sowie großen Oeltropfen durchsetzt ist; die Oberfläche dieser jüngsten Anlagen ist bereits von einer dünnen glashellen Membran umgeben, die sich von der proto- plasmatischen Rindenschicht abheben lässt. In etwas älteren Zustän- den nehmen die Sporangien schon mehr eine konische Gestalt an, wobei die noch farblose Membran in der Richtung von unten nach oben an Dicke zunimmt und das zentrale Plasma eine gleichmäßige Struktur erhält. Gleichzeitig beginnt die Ausbildung der charak- teristischen Capillitiumfasern. Sie werden um langgestreckte Vakuolen herum angelegt, indem sich deren protoplasmatische Hautschicht dieht mit Mikrosomen erfüllt, die dann zu einer homogenen Membran ver- schmelzen. Aus Mikrosomenstreifen, die spiralig die junge Membran umlaufen, bilden sich ebenfalls die bekannten vorspringenden Spiral- bänder. In einem Stadium, in dem diese Capillitiumfasern schon angelegt sind, das sich aber sonst nicht genau bestimmen lässt, fällt die Ver- mehrung der vorhandenen Zellkerne durch Teilung, die fast genau wie in einem beliebigen Embryosack vor sich geht. Zu bemerken ist nur dabei, dass Verbindungsfäden nur in geringer Zahl vorkommen, und dass es auch nicht zur Konstituierung einer Zellplatte kommt, ähnlich wie das in tierischen Zellen allgemein ist. Ihre definitive Gestaltung erreichen die Sporangien durch Um- änderung ihrer konischen Form in eine keulenförmige, wobei ein schmaler Stiel abgesetzt wird und die Membran ihrer Vollendung sich naht. Am Stiel, an dem durch Plasmaverschiebungen eigentümliche Längsfalten auftreten, und im untern Teil des Sporangiums erreicht die Membran eine bedeutende Dicke. Es werden dabei allmählich zwei Schichten durch „Apposition“ ausgebildet, eine äußere, dickere, durchsichtige und eine innere braune. Namentlich die erstere zeigt deutlich in ihrer Längsstreifung die Art ihres Aufbaues, weniger Schmankevitsch, Zusammenhänge zwischen niederen Pflanzen- und Tierformen. 455 deutlich die innere. Die äufsere oder vielmehr ihre einzelnen La- mellen deuten aufserdem noch durch radiale Streifung ihre Zusam- mensetzung aus Stäbchen an. Durch in den Stielfalten eingeschlos- sene, von den späteren Lamellen überlagerte Plasmareste wird diese Auffassung bestätigt. Die ganze Bildung und der ganze Bau erinnern an die vom Verf. aufgestellte Theorie des Wachstums der Stärke- körner. Die Anlage der Sporen beginnt mit der gleichmäßigen Lagerung der Zellkerne, um die sich dann je ein Plasmakomplex als Spore absondert. Ihre Membranen, sowie die der Capillitiumfasern werden braun gefärbt, während die äußere Schicht der Sporangiumhaut all- mählich verquillt und der inneren bei Kontraktion die Konturen der einzelnen Sporen als netzförmige Zeichnung eingedrückt werden. C. Fisch (Erlangen). Zusammenhänge zwischen niederen Pflanzen- und Tierformen. In Bd. VII der Abhandlungen der Odessaer naturforschenden Ge- sellschaft (Sapiski noworossijskowa Obschtschestwa Jestjestwoispy- latelej) berichtet Herr Shmankevitsch über folgende merkwürdige Kulturresultate: Wenn Anisonema acinus, ein flagellates Infusorium von verhält- nismäßig hoher Organisation, eine Reihe von Generationen hindurch in einem Medium kultiviert wird, welches allmählich verändert wird, z. B. in süßem Wasser, welchem immer stärkere Mengen Seesalz zu- gesetzt werden, so erleidet der Bau des Tieres bestimmte Verände- rungen. Die Individuen werden weniger entwickelt, die Größe nimmt ab, der Nahrungskanal verliert seine frühere Entwickelung. Zahlreiche Zwischenformen erscheinen in dieser Weise zwischen dem Anisonema acinus und den weniger entwickelten Formen desselben, und zwischen diesen und dem noch niedriger stehenden Anisonema suleatum. Wird gleichzeitig eine Veränderung der Temperatur des umgebenden Me- diums vorgenommen, so geht die Umwandlung noch weiter, und die niedrigsten Anisomen verwandeln sich einerseits in algenartige Or- ganismen, anderseits in Organismen, welche der Kategorie der Pilze anzugehören scheinen. Die Individuen werden nicht nur kleiner, son- dern pflanzen sieh auch fort, lange bevor sie ihre volle Größe erreicht haben. Unter dem Einfluss des Sonnenlichts bekommen die unge- färbten Flagellaten eine neue physiologische Funktion und entwickeln Chlorophyll. Der Verf. glaubt hier die Anfänge des Tier- und des Pflanzen- reichs von einem gemeinsamen Stamme aus sich entwickeln zu sehen: „Wenn wir von dem Anisonema sulcatum zu einzelligen Algen kom- men, so sehen wir hierin eine rückschreitende Entwickelung, eine 454 Latzel, Die Myriopoden der österreichischen Monarchie. Vereinfachung der Organisation; wir kommen zu chlorophylihaltigen Pflanzen.... Nach der andern Seite kommen wir von dem Anisonema in das Gebiet solcher niedriger Organismen, die unter dem Einfluss eines andern Mediums kein Chlorophyll entwickeln, ihre Nahrung nicht aus der Luft, sondern aus der Umgebung entnehmen; sie könn- ten als parasitische Rhizopoden beschrieben werden, um so mehr, als wir von der fungoiden Form unter gewissen Umständen nicht nur zu den amöbenartigen ungefärbten Flagellaten, als auch den beweg- lichen Monaden aufsteigen können.“ Verf. glaubt in den Untersuchun- gen Girard’s, Famintzin’s und Cienkowski’s und einiger Be- obachtungen Ray Lankester’s eine Stütze für seine Ansicht zu finden. Ed. Seler (Berlin). Robert Latzel, Die Myriopoden der österreichisch -ungari- schen Monarchie. 1. Hälfte. Die Chilopoden. Mit 10 lithograph. Tafeln. 1880, XV u. 2238 8. — 2. Hälfte. Die Symphylen, Pauropoden und Diplopoden nebst Bemerkungen über exotische und fossile Myriopoden-Genera und einem Verzeichnis der ge- samten Myriopoden-Literatur Mit 16 lithograph. Tafeln, 1884. XII u. 414 S. Wien. Alfred Hölder. Herausgegeben mit Unterstützung der hohen kais. Aka- demie der Wissenschaften in Wien. Obwohl gegenüber den Crustaceen, den Arachnoideen und den Hexapoden im Reiche der Arthropoden die Myriopoden, sowohl in Hinsicht der Artenzahl, als in anbetracht des Reichtums der Indivi- duen nur einen winzigen Prozentsatz bilden: so besaßen wir gleich- wohl bislang kein Buch, das nach streng wissenschaftlicher, allen berechtigten Anforderungen der Neuzeit entsprechender Methode unter Berücksichtigung aller Seiten der tierischen Organisation bearbeitet und auf einer fast erschöpfenden Kenntnis der immerhin schon sehr reichen Literatur basierend, das Studium der Myriopoden (der Centi- pedes und Millipedes der Amerikaner) aus einer unsäglich mühe- und qualvollen, unbefriedigenden Arbeit zu einer anregenden und ange- nehmen Beschäftigung umzugestalten geeignet gewesen wäre. Ein solches liegt aber dem entomologischen Publikum, sowie allen denen, welehen der Fortschritt in allen Gebieten der Naturwissenschaften am Herzen liegt, in Latzel’s Werke nunmehr abgeschlossen vor. Zwar hat sich das reich ausgestattete Buch ausschließlich die Myriopoden von Böhmen, Mähren, Schlesien, Galizien, der Bukowina, Nieder- und Oberösterreichs, von Salzburg, Tyrol, Kärnten, Steyer- mark, Krain, des österreichischen Küstenlandes, Dalmatiens, Kroa- tiens, Slavoniens, des ungarischen Küstenlandes, von Nord-, West- und Südungarn sowie Siebenbürgens zur speziellen Darstellung ausersehen; indem es aber die kritische Besprechung der sämtlichen Latzel, Die Myriopoden der österreichischen Monarchie. 455 bekannten Myriopoden-Gattungen unter Beigabe vorzüglicher Be- stimmungstabellen, ferner die fossilen Formen und als selbständige Beigabe die gesamte, über 600 Nummern umfassende Literatur über Myriopoden in den Rahmen der Besprechung einbezieht: liefert es nieht allein den speziellen Faunisten, sondern auch dem Paläonto- logen, sowie jedem zukünftigen Myriopodologen ein willkommenes und unentbehrliches Kompendium. Der Schwerpunkt des Werkes liegt naturgemäß auf der systematischen Seite, die viel neues ent- hält und viel bekanntes neu beleuchtet; doch wird auch der morpho- logische, anatomische, physiologische und praktische Teil der Auf- gabe so erschöpfend abgehandelt, als es dem Zwecke angemessen erscheint. Während in den Handbüchern der Zoologie die Myriopoden ge- wöhnlich in zwei Abteilungen oder Ordnungen, in die Chilopoden und Diplopoden, gesondert zu werden pflegen, hält Latzel die Symphyla (Scolopendrella) und Pauropoda (Pauropus) als gesonderte Ordnungen von jenen getrennt und zieht die Malacopoda oder Onychophora (Peri- patus) als fünfte Ordnung zur Klasse Myriopoda hinzu. Die Fauna Oesterreich- Ungarns hat nun aufzuweisen: Chilopoda 68 Arten aus 15 Gattungen, Symphyla 4 Arten aus 1 Gattung, Pauropoda 7 Arten aus 3 Gattungen und Diplopoda 96 Arten aus 16 Gattungen. Mit zahlreichen neuen Thatsachen wird namentlich die Naturgeschichte der bisher noch wenig erforscht gewesenen Symphylen und Pauropoden bereichert, und von den 175 Myriopoden- Arten werden 50, von den 35 Gattungen 3 nebst 2 Untergattungen als neu erkannt, benannt und genau und ausführlich beschrieben. Als ein etwas zu viel des guten möchte manchen die Konsequenz bedünken, mit der auch die zahl- reichen, vom Verfasser beschriebenen Farbenabweichungen verschie- dener Diplopoden-Arten ihre besonderen Taufnamen erhalten haben. Auch ist es wohl als nicht ganz korrekt zu bezeichnen, wenn (II, S. 70) Meinert als der erste und bis jetzt einzige bezeichnet wird, der die Sonderstellung von Polyxenus richtig erkannte, da doch schon 1825 Latreille’s systematischer Scharfblick den Polyxenus als Abteilung Penicillata (also = _Pselaphognatha Latzel) allen anderen Diplopoden- Gattungen (damals Glomeris, Julus, Polydesmus und Craspedosoma) als Anguiformia (also —= Chilognatha Latzel) gegenüberstellte; nur sind freilich aus Latreille’s Gattungen jetzt Familien, aus seinen Fa- milien jetzt Unterordnungen geworden. Sehr interessante Resultate haben die Forschungen Latzel’s für die vertikale und horizontale Verbreitung der Myriopoden ergeben; viele Arten scheinen sich danach wenig an vertikal übereinander liegende Zonen zu binden und leben so gut auf der Thalsohle und Ebene, als in allen bewaldeten Regionen der anstoßenden Berge, eine Beobachtung, für welche Arten aus den Gattungen Lithobius, Oryp- tops, Geophilus, Scolioplanes, Scolopendrella, Polydesmus, Atractosoma, 456 Zeppelin, Ueber den Bauund die Teilungsvorgänge des Otenodrilus monostylos. Julus die Belege liefern; auch die horizontale Verbreitung, z. B. von Süden nach Norden, hält sich an keine strengen Gesetze; zwar ließe sich im allgemeinen in Europa eine südliche oder mediterrane und eine nordische Myriopoden-Fauna unterscheiden; allein die Grenzen sind schwer festzuhalten, indem beispielsweise nordafrikanische Arten in Tyrol, sogar in Niederösterreich auftreten (Dignathodon) und nord- europäische Formen (Julus) tief nach Italien hinabreichen. Wie in den anderen Klassen hat auch unter den Myriopoden Nordamerika mit Europa nicht nur die gleichen Gattungen, sondern auch vielfach die- selben Arten gemeinsam, Arten aus den Gattungen Lithobius, Scolo- pendrella, Pauropus, Eurypauropus. Das zahlreichere Vorkommen von Myriopoden auf dem Kalkgebirge wird nach dem Verfasser wohl durch die größere Zahl von Schlupfwinkeln und in dem größern Vorrat an tierischer und pflanzlicher Nahrung seine Erklärung finden. Bei einer so bedeutenden Leistung, wie die vorliegende unstreitig ist, macht die Bescheidenheit des Verfassers, wie sie sich in der Vorrede (I, S. 12) kundgibt, dass „der Vollkommenheit und Vollendung Werke dieser Art wohl nur in der Zukunft entgegenreifen können, nachdem sie sich zahlreiche Mitarbeiter und Freunde erwor- ben haben“ — einen überaus wohlthuenden Eindruck. F. Karsch (Berlin). Max Graf Zeppelin, Ueber den Bau und die Teilungsvor- gänge des Ctenodrilus monostylos sp. nov. Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. 39 S. 615—652, Taf. XXXVI u. XXXVI. Bei einer gedrängten Zusammenstellung über die auffallendsten Regenerationserscheinungen bei Coelenteraten, Ecchinodermen und Würmern erwähnte Ref. im dritten Bande dieser Zeitschrift S. 18 die Beobachtungen, die Graf Zeppelin an Ütenodrilus monostylos ge- macht und als vorläufigen Bericht im Zool. Anzeiger veröffentlicht hatte. Da die ausführliche Abhandlung für den Leser des biologischen Centralblattes manches interessante enthält, so wollen wir dies in Kürze mitteilen und auf einige Fragen von erheblicherer Wichtigkeit etwas näher eingehen. } Die im Seewasseraquarium des Freiburger zoologischen Instituts gefundenen kleinen Würmer erreichen im Maximum eine Länge von 5,5 mm. Das Kopfsegment ist durch einen hellen Tentakel, einen vom Darmkanal unabhängigen, vorstülpbaren Rüssel und den Besitz von zwei flimmernden Segmentalorganen ausgezeichnet. Sämtliche Segmente mit alleiniger Ausnahme der allerjüngsten enthalten jeder- seits zwei durch Muskelfäden bewegliche Borstensäcke mit 2—3 Borsten. Von letzteren können zwei verschiedene Arten unterschieden werden; erstens dünne spitze und dann stärkere, aber kürzere, welche mit Zeppelin, Ueber den Bau und die Teilungsvorgänge des Otenodrilus monostylos. 457 einer zugespitzten Verbreiterung versehen sind. In den fünf vorderen Segmenten kommen nur die längeren, in den anderen mit ihnen ver- mischt auch die kurzen Borsten vor. Die dicke Hypodermis, welche die sehr zarte Cuticula ausscheidet, ist durch gelbe Pigmentkörner [wahrscheinlich einzellige Algen Ref.] dunkel gefärbt und erschwert dadurch die Beobachtung der inneren Organe. Dieser „Körperbe- deekung“ folgt nach innen zu die nur aus einer einfachen Lage be- stehende Longitudinalmuskelfaserschicht. |Eine Ringmuskellage ist nicht beobachtet worden, dürfte indessen wohl kaum vollkommen fehlen. Ref.] Der äußern Segmentierung des Wurmleibes entsprechen im Innern Dissepimente, welche aus einem großmaschigen Geflecht von Muskel- fäden bestehen, so dass die in der Leibeshöhle flottierenden Zellen sich von einem Ende des Körpers zum andern bewegen können. — Der Mund liegt ventral und bildet eine flimmernde Längsspalte; an ihn schließt sich der gleichfalls flimmernde Oesophagus an, welcher sich etwa bis zum fünften Segment erstreckt. Der weite braun ge- färbte Magendarm endet mit dem wimpernden After. — Das ge- schlossene Blutgefäß ist äußerst einfach; es besteht aus einem dor- salen und einem ventralen Längsstamm, die sich beide vorne gabeln und dann ineinander übergehen; der eine Gabelast gibt einen Zweig an den Tentakel ab. Ebenso einfach ist das Nervensystem. Es setzt sich zusammen aus dem Gehirn, das sich in zwei sehr feine Kom- missuren fortsetzt, welche sich, indem sie nach unten und hinten ziehen und den Rüssel umfassen, dicht hinter ihm zum Bauchmark vereinigen. Letzteres liegt vollkommen in der Körperhaut verborgen. [Es hat demnach einen ganz embryonalen Charakter und kann also auch dem sich bildenden Bauchstrang im wachsenden Schwanzende der Oligochäten dynamisch vollkommen gleichgestellt werden. Ref.] Was die Art und Weise der Fortpflanzung durch einfache Quer- teilung mit nachfolgender Regeneration betrifft, so kann sie nur ver- glichen werden mit derjenigen des Lumbriculus variegatus. Der Vor- gang ist kurz der folgende: bei den ausgewachsenen normalen Indi- viduen entsteht so ziemlich in der Mitte desKörpers eine Einschnürung, welche mehr und mehr um sich greift; zugleich rundet sich der Darm bei beiden Teilen vollständig ab, und schließlich zerfällt das Mutter- tier in der Größe nach ziemlich übereinstimmende Tochterindividuen, von denen das eine den Kopf und eine Anzahl Rumpfsegmente, das an- dere den After und eine Anzahl Rumpfsegmente des ursprünglichen Muttertieres mitbekommt. Der Neubildungsprozess beginnt immer erst nach der Abschnürung. Die Tochterindividuen können aufs neue sich durch Teilung vermehren. Dabei können Stücke entstehen, welche 1) weder Kopf noch After besitzen, immer nur aus ein bis drei Segmenten bestehen und nicht mehr teilungsfähig sind; 2) weder Kopf noch After besitzen, aus einer größeren Segment- 458 Exner, Die Innervation des Kehlkopfes. zahl (fünf bis sechs) bestehen und abermals sich teilen können und zwar entweder direkt, so dass Teilstücke entstehen wie in 1), oder erst nachdem dieselben Kopf und After schon gebildet haben. Aus solchen Teilstücken entstehen sowohl solehe wie in 1), oder solche, welche nur mit Kopf oder mit After versehen sind; 3) ist das Tochtertier mit dem primären Kopf fähig, ein Teil- stück, mit dem sekundären After versehen, abzuschnüren. Dieser Ab- lösungsprozess hat aber eine gewisse Grenze; besteht jenes nur noch aus sieben Segmenten, so erfolgt keine Teilung mehr. Aehnlich ver- mag das Teilstück mit dem primären After keine Tochterindividuen mehr zu bilden, wenn es nicht mehr als elf Segmente hat. In bezug auf das sich bildende Schwanzende und den sich regenerierenden Kopf noch einige Bemerkungen. Nachdem, gleichviel auf welche Weise, die Vereinigung der neuen Afteröffnung mit dem Darm erfolgt ist (S. 636), „tritt dann auch in dem sich immer mehr in die Länge ziehenden und verdiekenden Endstück Segmentierung ein, und der Tochterwurm ist nun wieder zum vollkommenen Indivi- duum ausgewachsen. Die neuen Segmente schieben sich zwischen dem bisherigen letzten Segment und dem neugebildeten After ein, die Regenerationsvorgänge geschehen hier im Sinne der Strobilation, in der Art, dass die neuen Glieder zwischen den ältesten entstehen, während bei Lumbriculus variegatus die Bildung des neuen Afters im Sinne der Segmentation vor sich geht.“ Diese Angabe ist sicherlich falsch, da unzweifelhaft die Zellvermehrung am Afterende des Wurmes und nicht in nächster Nähe des alten Gewebes vor sich geht, dem- nach die Segmentirung auch hier im Sinne der Segmentation stattfindet. Als „Kopf“ des Wurmes betrachtet Graf Zeppelin entgegen den Semper’schen Anschauungen nur das erste Segment und schließt sich demnach der Hatschek’schen Auffassung an, ohne zu bedenken, dass doch die vier oder fünf vorderen Segmente eine andere Rolle spielen als die nächstfolgenden, da sie 1) durch ihre Borsten sich unterscheiden, 2) bei der Regeneration nicht in beliebiger Zahl entstehen kön- nen und 3) ein nur aus ihnen bestehendes Teilstück kein ganzes Tier zu erzeugen vermag. 2 5 ©. B. Die Innervation des Kehlkopfes '). Die außerordentliche Feinheit und Exaktheit der Bewegungen, deren sich die Kehlkopfmuskeln bei der Stimmbildung und beim Ge- 4) Sitzber. der Akademie d. Wiss. in Wien. Bd, 89. Febr. 1884. Exner, Die Innervation des Kehlkopfes. 459 sang als befähigt erweisen, sowie ihre Schulbarkeit in dieser Richtung dürften für eine genauere Kenntnis der Innervation derselben ein all- gemeineres Interesse in Anspruch nehmen; ich teile deshalb hier in Kürze die wichtigsten Ergebnisse einer anderweitig publizierten Ab- handlung über diesen Gegenstand mit. Sie bildet die Fortsetzung zweier Untersuchungen, welche ähnlichen Zielen gewidmet waren, und die früher von meinen Schülern Mandelstamm!) und Wein- zweig?) ausgeführt worden waren. Die gangbare Lehre über die Nerven der Kehlkopfmuskeln geht stillschweigend von dem Satze aus, dass jeder dieser Muskeln nur von einem Nerven innerviert wird). Als solcher gilt für den M. cricothyreoideus der Ramus externus des N. laryngeus sup., für den M. thyreoarytänoideus, den M. cricoarytä- noideus posticus und lateralis der N. laryngeus inferior. Für die Mm. arytänoidei obliqui und den M. arytänoideus transversus wurde von einem Teile der Autoren der obere, von einem andern Teile der untere Kehlkopfnerv in Anspruch genommen. Die Ergebnisse meiner Untersuchungen beruhen teils auf Degene- rationsversuchen (es wurden einzelne oder mehrere Kehlkopfnerven an einem Tiere durchschnitten und beobachtet, in welchen Muskeln sich nach Wochen oder Monaten Degeneration einstellte), teils auf Reizversuchen (einzelne Nerven wurden am lebenden Tiere gereizt und beobachtet, welche Muskeln in Aktion geraten), teils auf mikrosko- pisch-anatomischer Untersuchung (Kehlköpfe von Kindern wurden in kontinuierliche Schnittserien zerlegt und so die Nerven bis in ihre feinsten Verästelungen von Sehnitt zu Schnitt verfolgt). Sie zeigen, dass der als selbstverständlich angenommene obenerwähnte Satz kaum je auch nur für einen Kehlkopfmuskel Giltigkeit hat. Die Regel ist, dass jeder Kehlkopfmuskel von mehreren Nerven innerviert wird; für gewisse Muskeln kommen aber individuelle Schwankungen vor, und so ist nicht mit Bestimmtheit auszuschließen, dass bei einzelnen Individuen die Mm. ericoarytänoidei laterales und postiei wirklich nur, der üblichen Lehre entsprechend, vom N. laryngeus inf. innerviert wer- den. Es hat sich weiter ergeben, dass nebst den beiden seit dem Altertum bekannten „oberen und unteren Kehlkopfnerven“ noch jeder- seits ein dritter Kehlkopfnerv existiert, den ich entsprechend seinem Eintritt in den Kehlkopf „den mittleren Kehlkofnerven“ nenne. Er ist wie die beiden alten Nerven ein Ast des N. vagus und stammt aus dessen Ramus pharyngeus. In bezug auf diesen Nerven muss ich be- 4) Studien über Innervation und Atrophie von Kehlkopfmuskeln, ebenda S. 85. 2) Ebenda. 3) Natürlich mit Ausnahme der Mm. arytänoidei transversi und obliqui, von denen, da sie die Mittellinie des Kehlkopfes und somit auch des ganzen Körpers überschreiten, diese Voraussetzung nicht gemacht werden konnte. 460 Exner, Die Innervation des Kehlkopfes. merken, dass er als wohlpräparierbarer Nerv von seinem Ursprung bis zum Muskel nur bei Tieren verfolgt werden kann, bei denen sich der Ram. pharyngeus nicht wie beim Menschen in einen Plexus auf- löst. Beim Menschen konnte ich den Nerven vom Plexus pharyngeus inf. bis zu seinem Eintritt in den Muskel präparieren, so dass, obwohl sich noch andere Nerven an der Bildung dieses Plexus beteiligen, kaum daran gezweifelt werden darf, dass man es hier mit einem ana- logen Nerv wie bei den Tieren zu thun hat, um so weniger, als sein Ziel im Kehlkopfe dasselbe ist und gewisse pathologische Erscheinun- gen am Menschen nur unter der Annahme verständlich sind, dass man es in der That mit einem dem N. laryngeus med. der Tiere analogen Nerven zu thun hat. Was die Verteilung der Nerven auf die einzelnen Kehlkopfmus- keln anbelangt, so ergab sich: Der M. erieothyreoideus wird beim Kaninchen durch den Ram. internus und externus des N. laryngeus sup. sowie durch den N. la- ryngeus med. innerviert; beim Hunde durch den Ram. externus des oberen und dureh den mittleren Kehlkofnerven; beim Menschen ist die Versorgung ebenso wie beim Hunde. Die medialen Anteile des Muskels bekommen außerdem Fasern vom Ram. externus der gegen- überliegenden Seite. Diese passieren in der Gegend des Ligamentum conieum die Medianebene. Es ist die wesentlichste Aufgabe des N. laryngeus med., diesen Muskel gemeinschaftlich mit dem N. laryngeus sup. zu innervieren. Von einigen unbedeutenden Aestchen desselben soll noch die Rede sein. Am M. thyreoarytänoideus muss man eine innere und eine äußere Portion unterscheiden. Letztere wird gewöhnlich ausschließlich vom N. laryngeus inf. innerviert; bisweilen beteiligt sich in größeren oder geringeren Strecken derselben auch der N. laryngeus sup. durch seinen Ram. externus an der Innervation. Die innere Portion einer Seite wird ungefähr in gleichem Maße von den oberen Kehlkopfnerven bei- der Seiten versorgt, außerdem noch vom unteren Kehlkopfnerven der- selben Seite, vielleicht auch noch bisweilen vom unteren Kehlkopfner- ven der anderen Seite. Die Fasern des oberen Kehlkopfnerven pas- sieren die Mittellinie in der Schleimhaut der Stimmritze oder im M. arytänoideus. Der M. ericoarytänoideus lat. bezieht seine Nerven in wechselnder Menge aus dem oberen und dem unteren Kehlkopfnerven. Vielleicht ist in gewissen Fällen auch noch ein Nerv der gegenüber- liegenden Seite beteiligt. Der M. cricoarytänoideus post. enthält Nerven von dem Seiten- rande seiner vorderen und seiner hinteren Fläche. Die der beiden ersteren Arten, an Bedeutung weit überwiegend, gehören dem N. la- ryngeus inf., letztere dem superior an. In jenen Fällen, in welchen noch ein dritter Nerv mit ihm in Beziehung tritt, ist es der N. laryn- geus sup. der gegenüberliegenden Seite, dessen Faserbündel unter der Berner, Ueber die Ursachen der Geschlechtsbildung. 461 Pharynxschleimhaut, welche die Rückwand des Larynx bedeckt, die Medianebene überschreiten, und von hinten her in den Muskel eintreten. Der M. interarytänoideus (darunter der M. transversus und beide obliqui verstanden) erhält seine Innervation von beiden oberen und beiden unteren Kehlkopfnerven. Die Nerven einer Seite beteiligen sich näherungsweise in gleichem Maße an der Innervation der rechten wie der linken Hälfte dieses Muskelkomplexes. Auch ist die Beden- tung des oberen und des unteren Paares von Kehlkopfnerven für die- sen Muskel nahezu gleichgroß. Wenn ein Nervenpaar überwiegt, so ist es das obere. Was die sensorische Versorgung des Larynx anbelangt, so habe ich zu bemerken: Die Oesophagusschleimhaut an der Rückwand des Larynx wird ‚durch Aeste des N. laryngeus sup. und solche des Ram. communicans versorgt, wie dies andere Autoren schon früher fanden; die Schleimhaut der Larynxhöhle in ihrem obersten Anteile erhält Aeste des N. laryngeus sup., in der Gegend der Stimmritze hinten Aeste des N. laryngeus sup. und inf., welche, als Rami perforantes den M. interarytänoideus durchbohrend, hier in die Schleimhaut eintreten; vorne: wahrscheinlich Aeste des Ram. internus N. laryngei sup. und solche des N. laryngeus inf. Der unterste Teil der Larynxhöhle wird hinten hauptsächlich durch Aeste des N. laryngeus inf., vorne durch Aeste des N. laryngeus med., welche das Ligamentum conieum durch- bohren, versorgt. Die Zweige der oberen Kehlkopfnerven beider Sei- ten, sowie die Zweige der oberen und unteren Kehlkopfnerven einer Seite stehen in der Schleimhaut miteinander in anastomotischer Ver- bindung. Was die Nerven der Epiglottis und ihrer Muskeln anbelangt, so bin ich nicht in der Lage, dem Bekannten etwas Nennenswertes hin- zuzufügen. S. Exner (Wien). Hj. Berner, Ueber die Ursachen der Geschlechtsbildung. Eine biologische Studie. Christiania 1883. S. 1—70. Verf. will mit dieser kleinen Schrift vor allem anregend wirken, durch Klarlegung des Problems und Diskussion desselben in seiner Heimat, wo ein Interesse für diese Fragen sich bisher kaum kund- gegeben, andere veranlassen, auf diesem Felde weiterzuarbeiten. Die Arbeit enthält indess auch thatsächliche Beiträge zur Förderung der Frage, vor allem den Nachweis, dass die Hofacker-Sadler’sche Hypo- these, wonach der thatsächlich allgemein in Europa konstatierte Ueber- schuss von Knabengeburten darauf beruhe, dass allgemein in Europa die Ehemänner älter seien als die Ehefrauen, indem aus der Ehe 462 Berner, Ueber die Ursachen der Geschlechtsbildung. eines älteren Mannes mit einer verhältnismäßig jungen Frau allemal mehr Knaben, aus der eines jüngeren Mannes mit einer verhältnis- mäßig alten Frau mehr Mädchen hervorgingen, unhaltbar ist. Verf. hat auf grund des umfassenden Materials, welches in den die Bewe- gung der Bevölkerung in den Jahren 1871—75 behandelnden Tabellen Nr. 3 Bd. Ib der norwegischen offiziellen Statistik C Nr. 1 niederge- legt ist, und welches auf den von den Geistlichen ausgefüllten Schematen über die Taufen, Geburten, Alter der Eltern u. s. w. beruht, eine Zu- sammenstellung der Geburten gemacht, bei denen das Alter der El- tern bekannt ist. Die Zusammenstellung umfasst 213224 Geburten, darunter 109431 Knabengeburten und 103 793 Mädchengeburten, d. i. ein Verhältnis von 105.43 Knaben auf 100 Mädchen. Was nun das gegenseitige Altersverhältnis der Eltern betrifft, so stellt sich das Sexualverhältnis der Geborenen bei Eltern von gleichem Alter auf 106.23 Knaben zu 100 Mädchen; wo der Vater 1—10 Jahre älter ist, als die Mutter auf 104.61:100; wo der Vater über 10 Jahre älter ist, auf 103.54:100; wo die Mutter 1—10 Jahre älter ist als der Vater auf 107.45:100; und wo die Mutter über 10 Jahre älter ist als der Vater auf 104.10:100. Wie man sieht, ist hier bei Eltern gleichen Alters und bei einer bis 10 Jahre jüngeren Mutter der Ueberschuss an Knabengeburten höher als der Durchschnitt. Nach der Hofacker- Sadler’schen Hypothese müsste das Gegenteil stattfinden. Und wo der Vater älter ist als die Mutter, wo also nach der Hofacker-Sadler’- schen Hypothese grade ein besonders großer Ueberschuss von Knaben- geburten zu erwarten wäre, bleibt das Verhältnis umgekehrt unter dem Durchschnitt. Dasist ein Resultat, zudemauch Stieda, der die hierher ge- hörigen Daten für Elass-Lothringen bearbeitet hat, kommt („das Sexual- verhältnis der Geborenen. Strassburg 1875), und Verf. ist demnach der Ansicht, dass dieHofacker-Sadler’sche Hypothese aufgegeben werden müsse. Sympathisch stellt sich Verf. zu der vonRicharz, zum ersten mal auf der Anthropologenversammlung in Wiesbaden im September 1873 vorgetragenen Theorie. Danach soll bekanntlich, wenn die Mutter besonders zeugungssüchtig ist, ein Knabe, d. i. die höhere und vollkommenere Entwickelungsform der Spezies Homo geboren werden; ist die Mutter schwächlich oder ihre Fortpflanzungskraft gering, ist, mit anderen Worten, die Ausbildung des Eies eine unvollkommene, so kommt es nur zu der Geburt eines Mädchens. Im ersteren Falle ist selbstverständlich die Mutter vorwiegend bestimmend für die Eigen- schaften des Sprösslings; in letzterem Falle erweist sich der sonst mehr indifferent sich verhaltende männliche Same in höherem Maße von Einfluss. Mit anderen Worten die Eigenschaften der Mutter gehen der Regel nach auf den Sohn über, die des Vaters auf die Tochter. Dem Verf. erscheint ein solches Verhalten schon deshalb gewissermaßen für geboten, weil sonst die Geschlechter sich immer mehr von einander entfernen, eine Spaltung der Gattung in zwei ge- Berner, Ueber die Ursachen der Geschleehtsbildung. 463 trennte Typen resultieren müsste. Die hervorragende Bedeutung der Mutter für Zeugung und Fortpflanzung findet er in der Thatsache, dass unbefruchtete Eier zu lebensfähigen Organismen sich entwiekeln kön- nen (Parthenogenese der Insekten), — auch die Dermoideysten der Ovarien hält er für eine, wenn auch unvollkommene, doch selbständige Entwickelung des Eies —, ferner in der im Verhältnis zum Sperma- tozoon viel geringeren Lebensfähigkeit des Eies, was auf eine höhere biologische Dignität desselben hinweise, u. a. m. Dass eine beson- dere Zeugungstüchtigkeit der Mutter sich in Knabengeburten äußere, findet er dadurch belegt, dass, wie seine Tabellen erweisen, der Ueber- schuss an Knabengeburten besonders groß ist bei Müttern in jugend- kräftigem Alter, in demjenigen Alter, in welchem die Fruchtbarkeit ihren Höhepunkt erreicht. Ferner in der bekannten Thatsache, dass nach großen Kriegen auffallend mehr Knaben geboren werden. Verf. erklärt sich diese Wirkung der Kriege durch das gesteigerte soziale Wohlbefinden, das nach demselben infolge der verminderten Konkur- renz eintrete und infolge der durch die Notwendigkeit die Schäden des Krieges zu ersetzen, hervorgerufenen gesteigerten Arbeitsthätig- keit. „ Vielleicht liegt es näher anzunehmen, dass nach großen Kriegen eine relativ größere Zeugungstüchtigkeit bei den Frauen besteht, indem die Männer geschwächt und geschlechtlich herabgestimmt nach Hause kommen, die Frauen aber ausgeruht, gepflegt und durch die lange Enthaltung besonders geschlechtslustig sind. Dass bei größerer Kraft und Zeugungstüchtigkeit der Mutter mehr Knabengeburten re- sultierten, findet Verf. ferner dadurch bestätigt, dass unter unehelichen Kindern und auf dem Lande der Prozentsatz an Knabengeburten fällt, unter Erstgeburten, Zwillingsgeburten und bei der jüdischen Rasse dagegen besonders hoch ist. Dass auch bei Polygamie, wie angegeben wird, der Prozentsatz an Knabengeburten ein verhältnismäßig hoher ist, findet Verf. dadurch bedingt, dass bei polygamischen Völkern in der Regel nach der Geburt eine viel längere, 2—3 Jahre andauernde Enthaltung der Frau von geschlechtlichem Umgang stattfindet. Zwei- felhafter erscheint es, welchen Einfluss in dieser Beziehung Ein- und Auswanderung ausüben. Der Theorie nach müsste bei besonders starker Auswanderung, wo also besonders starker Abgang an jungen kräftigen Männern stattfindet, der Prozentsatz von Knabengeburten steigen, und bei starker Einwanderung umgekehrt fallen. Hier und da scheint auch dies aus den Zahlen hevorzugehen. Anderwärts er- geben die Zahlen ein entgegengesetztes Resultat; hier wird die Sache wohl noch durch andere Verhältnisse kompliziert. Dass auch der Stand der Eltern für die relative Häufigkeit von Knabengeburten von Einfluss ist, unterliegt keinem Zweifel. Ein besonders hoher Prozent- satz an Knabengeburten zeigt sich bei Geistlichen, und Verf. findet auch hier den Grund in dem materiellen Wohlbefinden und vielleicht auch dem sittlichen Lebenswandel. Endlich scheint allgemein nach 464 Berner, Ueber die Ursachen der Geschlechtsbildung. reichen Erntejahren ein höherer Ueberschuss an Knabengeburten statt- zufinden. Für die Richarz’sche Hypothese, die kreuzweise Vererbung des Geschlechts und der elterlichen Eigenschaften, führt Verf. schließlich noch eine Anzahl physiologischer Thatsachen an. Zunächst, dass aus unbefruchteten Eiern bei Insekten nur Männchen entstehen. Dass bei Bastardkreuzungen — die ja künstlich zu stande gebracht werden, wo also nur das Ei unter normalen physiologischen Verhältnissen sich befindet, der Same dagegen unter mehr oder minder abnormen Ver- hältnissen zur Wirkung kommt — überwiegend Männchen geboren werden und diese Sprösslinge meist nach der Mutter schlagen. Dass wohl alte geschwächte Männchen eine kräftige Nachkommenschaft er- zielen können, nicht aber alte geschwächte Weibehen. Verf. führt ein interessantes Beispiel an, den Beschälhengst Sir Hercules, der, nachdem er schon Jahre lang außer Dienst gestellt war, in seinem 27. Lebensjahre wieder angefüttert und zum Belegen von 23 Stuten verwandt wurde. Sämtliche geborene Fohlen — es waren 24‘, indem ein Paar Zwillinge sich darunter befanden — waren Hengste, zwei darunter nachmals berühmt gewordene Tiere. Auch die Thury’schen Versuche, der bekanntlich gefunden zu haben glaubte, dass, wenn das Vieh zeitig in der Brunst belegt wird, Weibchen erzeugt werden, wenn gegen Ende der Brunstzeit, Männchen — die Versuche sind zwar mehrfach bestritten worden, der Verf. führt aber nach der Ken- nel Gazette ein Paar Versuche mit Hündinnen an, die in der That eine auffallende Bestätigung der Thury’schen Versuche geben — glaubt Verf. als Beweis für die Richtigkeit der Richarz’schen Hypothese in Anspruch nehmen zu dürfen, da offenbar gegen Ende der Brunstzeit das Ei reifer, höher entwickelt und daher von bestimmenderem Ein- fluss für die Natur des Sprösslings sein müsse. Schließlich führt Verf. die bekannten Versuche des Farmers Fiquet in Houston (Texas) an, über welche ja auch in dieser Zeitschrift referiert worden ist, bei denen der Züchter, unter Zugrundelegung der Theorie der kreuzweisen Vererbung, durch die Fütterung der Muttertiere direkt auf das Ge- schlecht der Kälber eingewirkt haben will. Was endlich die Erfahrun- gen des täglichen Lebens und die pathologischen Vererbungen angeht, so scheinen die Erfahrungen, die man bei dem erblichen Wahnsinn gemacht hat, gegen die Riecharz’sche Hypothese zu sprechen. Nach Baillarger soll der Wahnsinn am häufigsten vom Vater auf den Sohn, von der Mutter auf die Tochter sich vererben. Auch Verf. fand unter 1892 Fällen erblichen Wahnsinns, dass in 53.3 °/, der Fälle der Wahnsinn in dieser Weise sich vererbt hatte, und nur in 46.6 °/, Kreuz- weise Vererbung stattgefunden. Eine auffallende Bestätigung der Richarz’schen Hypothese bieten dagegen diejenigen Fälle, wo eine Krankheit in einer Familie hauptsächlich in den männlichen Gliedern derselben forterbt. — Hämophilie ist eine solche Krankheit, einen an- Buccola, Experimentell-psychologische Untersuchungen. 465 dern Fall führt Darwin in seinem Hauptwerk von einer Hindufamilie an — wo aber niemals die Krankheit von dem Vater direkt auf den Sohn übergeht, sondern durch die Tochter auf den Enkel übertragen wird. — Hiermit schließt die kleine Schrift, die — nach dem Ein- druck zu urteilen, den sie auf uns gemacht hat, — ihren mehrfach ausgesprochenen Zweck wohl erfüllen wird, anregend und befruchtend auf andere zu wirken. Ed. Seler (Berlin). G. Buccola, Recherches de psychologie experimentale. Arch. ital. de biologie. Tome V. Fase. II. Die Archives italiennes de biologie bringen eine kurze Uebersicht über mehrere Untersuchungsreihen des Herrn Buccola, welche wir hier in ihrem wesentlichen Inhalt wiedergeben wollen. Die Unter- suchungen selbst sind in den psychiatrischen Instituten zu Reggio- Emilia und zu Turin angestellt worden und vom Herrn Verf. an ver- schiedenen Orten, zuletzt in zusammenhängender Darstellung in einem ausführlichen Werke: La legge del tempo dei fenomeni del pensiero (Milano, Fratelli Dumolard) mitgeteilt worden. I. Untersuchungen über die Zeitdauer elementarer psy- chischer Prozesse!). Zur Messung der physiologischen Zeit, d. h. des Zeitraums zwi- schen dem Moment einer Reizung und der Reaktion auf diesen Reiz durch irgend ein willkürliches Zeichen (in der Regel, und so auch im vorliegenden Falle, eine Handbewegung) benutzte B. das Chrono- skop von Hipp, das ein Milliontel Sekunde anzugeben vermag. Diese physiologische Zeit oder Reaktionszeit setzt sich aus 5 Posten zu- sammen: 1. Zeit, welche nötig ist, damit der äußere Reiz eine Erregung des sensiblen oder sensoriellen Nerven bewirke (Latenzzeit des Sinnes- reizes). 2. Zeit der sensibeln Leitung bis zum Gehirn. 3. Zeit der Umwandlung der Empfindung in einen Willensimpuls oder vielmehr die Zeiten der psychophysischen Prozesse der Perzep- tion, der Apperzeption und der Entwickelung des Willensimpuülses. 4. Zeit der Leitung in den motorischen Bahnen. 5. Zeit der Muskelkontraktion (d. h. Zeit der latenten Reizung des Muskels bis zur Entwickelung derjenigen Energie, welche zum Geben des Signals notwendig ist). Von diesen Posten sind die meisten einer exakten Messung nicht 4) Rivista sperimentale di freniatria e medicina legale. Anno 1881. Fase. I. 30 466 Buccola, Experimentell-psychologische Untersuchungen. zugänglich. Um den ersten derselben zu bestimmen, hat man den Zeitunterschied gemessen, der auftritt, wenn man einmal den Reiz auf den peripherischen Sinnesapparat wirken lässt, ein andermal den sensorischen Nerven selbst reizt. Aber dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, dass in diesen beiden Fällen der dritte Posten unver- ändert geblieben sei, eine Voraussetzung, welche um so weniger ge- rechtfertigt ist, als dabei nicht einmal die Stärke der Reizung in den beiden Fällen als äquivalent gelten kann. Dass aber die Reizstärke auf die Dauer der psychophysischen Prozesse von Einfluss sein muss, ist um so wahrscheinlicher, als ein analoger Einfluss von J. Rosen- thal für die Reflexzeit nachgewiesen worden ist (Vgl. Centralbl. IV. Nummer 2—5). Auch die Angaben über den zweiten Posten, die Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Erregung in den sensibeln Nerven, sind unzuver- lässig, aus denselben Gründen. Schelske, welcher für dieselbe den Wert von 29,60 m herausrechnet, reizte zwei ungleich weit vom Ge- hirn entfernte Hautstellen mittels eines Oeffnungsinduktionsschlages; er setzt dabei stillschweigend die Fortpflanzungsgeschwindigkeit im Rückenmark und in den peripheren Nerven als gleich voraus und ebenso nimmt er die Zeitdauer der psychophysischen Prozesse als konstant an, endlich hält er auch die Reizung zweier Hautstellen von verschiedenem taktilen Empfindungsvermögen für äquivalent, lauter Voraussetzungen, die nicht ohne Weiteres gemacht werden dürfen. Dass auch Berechnungen, welche auf Messungen der Reflexe bei Fröschen basieren, an denselben Unsicherheiten leiden, hat Rosen- thal a. a. OÖ. nachgewiesen. Noch weniger ist auf die Berechnungen von Block zu geben, da sie auf eine ganz falsche Methode begründet sind. Block vergleicht die Zeitintervalle der Verschmelzung zweier aufeinanderfolgender taktiler Reize an gleichweit und an ungleichweit vom Gehirn entfern- ten Hautstellen. Da erstere zugleich symmetrisch, letztere unsymme- trisch gelegen sind, so wird hier ein Element eingeführt, dessen Ein- fluss auf die psychophysischen Prozesse ganz und gar unberechenbar ist. Mit sehr viel geringeren Schwierigkeiten sind die Messungen der oben mit 4 und 5 bezeichneten Posten verbunden. Dennoch kann auch den hierfür von Helmholtz u. A. berechneten Werten keine absolute Sicherheit zugeschrieben werden. Rosenthal hat schon darauf hingewiesen, dass die Voraussetzung aller dieser Berechnungen, gleichförmige Geschwindigkeit, durchaus zweifelhaft ist. B. macht darauf aufmerksam, dass die Frage, ob im Rückenmark und in den peripheren Nerven die Fortpflanzungsgeschwindigkeit die gleiche sei, noch ganz offen ist. Alles in allem kommt er zu dem Schluss, dass in der Gesamt- summe der Reaktionszeit den eigentlich psychophysischen Prozessen der größte Anteil zukomme und dass an den größten Schwankungen Buccola, Experimentel-psychologische Untersuchungen. 467 der persönlichen Gleichung jene vorzugsweise beteiligt sind. Eine Zusammenstellung der Messungen seiner Vorgänger und seiner eigenen ist in nachstebender Uebersicht gegeben: Physiologische Zeit für Erregungen Beobachter des Gesichts des Gehörs des Getasts Hirsch 0,200 0,149 0,182 Hankel 0,206 0,150 0.155 Donders 0,188 0,180 0,154 v. Wittich 0,194 0,182 0,130 Wundt 0,222 0,167 0,201 Exner 0,150 0,136 0,127 Auerbach 0,191 0,122 0,146 v. Kries 0,193 0,120 0,117 Buccola 1. Reihe 0,168 0,115 0,141 Buccola 2. Reihe 0,151 0,119 0,129 Buceola 3. Reihe 0,172 0,131 0,152 Aus der Tabelle geht hervor, dass wir einen Schall oder einen elektrischen Schlag schneller wahrnehmen als einen leuchtenden Gegen- stand. Verf. glaubt jedoch, dass die bei den verschiedenen Sinnes- organen verschieden groß ausfallende Verzögerung in hohem Grade bedingt ist durch die verschiedene physiologische Intensität der Sin- neserregungen sowie von der besondern Natur des peripheren Sinnes- organs. Hinsichtlich des letztern bemerkt er, dass die Umformung des physikalischen Vorgangs des Erregers in den physiologischen Vorgang der Erregung nicht in allen Sinnesorganen in gleicher Weise sich vollzieht, und dass ihr zeitlicher Verlauf vielleicht davon abhänge, dass dieser Vorgang in manchen Sinnesorganen (Getast, Gehör) ein mechanischer, in andern (Geschmack, Geruch, Gesicht und Tempera- tur) ein chemischer zu sein scheine. Um jedoch die auf die psycho- physischen Prozesse fallende Zeit noch genauer zu erkennen, müsste man dieselbe mit der Zeitdauer eines reinen Reflexvorgangs verglei- chen können. Von den Einflüssen, welche auf die Reaktionszeit ändernd ein- wirken, sind zu erwähnen: 1. Die individuelle psychische Konstitution. Die Re- aktionszeit wechselt nicht blos von einem Individuum zum andern, sondern auch bei Personen, welche für den einen Sinn nahezu gleiche Reaktionszeit haben, kommen Unterschiede bei einem andern Sinne vor. So fand z. B. Buceola bei sich und einem seiner Freunde für das Getast und das Gehör nur Unterschiede von einigen Tausendstel Se- kunden, dagegen einen sehr großen Unterschied für das Gesicht. Bei ungebildeten Menschen war die Zeit stets länger als bei Gebildeten. 2. Die Aufmerksamkeit. Je reger dieselbe ist, desto kürzer fällt die Reaktionszeit aus; die geringste Ursache, welche die Auf- merksamkeit ablenkt, verlängert sie sofort. Bei Schwachsinnigen und 30. 463 Buccola, Experimentell-psychologische Untersuchungen. Idioten, deren Aufmerksamkeit schwer festzuhalten war, fand er sehr große Werte. Bei gesunden Personen fand er bei der Ermüdung Zu- wachse gegen den normalen Mittelwert von 0,04 oder 0,05 bis zu 0,1 und 0,150 Sekunde. Verf. nennt deshalb die Reaktionszeit den wahren Wertmesser der Aufmerksamkeit. 3. Alter. In der Kindheit sind die Reaktionszeiten lang, sie nehmen dann erheblich ab bis zu einem Minimum und wachsen wie- der, wenn die Geisteskräfte schwächer werden. Den großen Wert der Reaktionszeit bei Kindern schiebt Verf. auf die mangelnde Uebung der Aufmerksamkeit. 4. Jahreszeit. Nach Dietl und v. Vintschgau ist die Re- aktionszeit im Winter kürzer als im Sommer, weil man, wie sie meinen, im Winter besser zu geistiger Thätigkeit geeignet ist. 5. Aufregungen. Dieselben Beobachter haben gefunden, dass nach Aufregungen die Reaktionszeit wächst. B. fand dasselbe in den krankhaften Geisteszuständen, bei welchen traurige Empfindungen vorherrschen, durch welche die zur angestrengten Aufmerksamkeit erforderliche Willenskraft gestört ist. 6. Nahrung und Medikamente. Von Vintsechgau und Dietl sowie Kräpelin haben den Einfluss von Morphin, Alkohol, Chloro- form, Amylnitrit und Aethyläther auf die Dauer der Reaktionszeit nachgewiesen. 7) Intensität der Reizung. Verf. konnte stets nachweisen, dass die Reaktionszeit mit zunehmender Reizstärke abnimmt. Er glaubt dies nur zum Teil auf eine Zunahme der Fortpflanzungsge- schwindigkeit der Erregung in den peripheren Nerven schieben zu können. Es ist aber nach Rosenthal zweifelhaft, ob letztere über- haupt mit der Reizstärke wechselt. 8. Ortssinn. Indem B. mit taktilen Reizen an den verschie- densten Hautstellen experimentierte, fand er, dass durchaus nicht im- mer die vom Gehirn entferntesten Stellen die längsten Reaktionszeiten geben, sondern dass diejenigen Stellen, welche einen feinausgebildeten Ortssinn haben, die kürzesten Reaktionszeiten geben. Damit ist denn auch dargethan, dass die Bestimmung der Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Reizung in den Empfindungsnerven aus der Differenz der Reaktionszeiten ganz unzuverlässig ist. II. Dauer der elementaren Wahrnehmungen bei Irr- sinnigen'!). In fast allen Fällen von Irrsinn (Schwachsinn, Idiotis- mus, Exaltation, Melancholie, Epilepsie, Verrücktheit, — ausgenommen sind nur einige Fälle von maniakalischer Erregung) ist die Dauer der Reaktionszeit erheblich verlängert. Von 0,159 Sekunde, dem ge- ringsten Werte, den sie für akustische Reizung aufwies, stieg sie in andern Fällen bis auf 0,958 Sekunde. Diese höchsten‘ Werte finden 1) Rivista ete. 1881 und 1882. Buccola, Experimentell-psychologische Untersuchungen. 469 sich bei den Zuständen größter Schwäche. Dabei sind die Schwan- kungen in den einzelnen Messungen immer sehr groß, aber auch die Minimalwerte sind immer noch größer als bei Gesunden. Il. Zeitdauer der Unterscheidung und der Willens- bestimmung!). Donders hat zuerst Messungen über die Zeit- dauer des zur Unterscheidung zweier verschiedener Sinneseindrücke nötigen psychischen Vorgangs gemacht (vgl. Rosenthal, allgemeine Muskel- und Nervenphysiologie S. 284). B. hat dieselben in mehr- facher Weise wiederholt und abgeändert. Für die Unterscheidung, ob eine Reizung an der Fingerspitze oder am untern Drittel des Vor- derarms stattgefunden hat, fand B. eine Verzögerung gegen die nor- male Reaktionszeit am erstern Ort von 31, am letzteren von 42 Tau- sendstel Sekunde. In andern Versuchen, bei denen die Versuchsper- son das Zeichen zu geben oder zu unterlassen hatte, je nachdem der Reiz an der Fingerspitze oder am Vorderarm stattfand, hatte dieser Akt der Wahl zwischen Bewegung oder Ruhe eine noch weitere Ver- zögerung der ersteren zur Folge, für die Fingerspitze um 24, für den Vorderarm um 32 Tausendstel Sekunde. Aehnliche Versuche mit zwei Farben :blau und rot) ergaben für die zur Unterscheidung nötige Zeit 52 und für die danach zu treffende Wahl zwischen Ruhe und Bewe- gung einen weiteren Zuwachs von noch 66 Tausendstel Sekunde. IV. Reproduktion von Wahrnehmungen der Bewegung im Gesichtsfelde?). Wenn man eine mit gleichmäßiger Geschwin- digkeit erfolgende Bewegung beobachtet und dieselbe dann im Ge- dächtnis zu reproduzieren versucht, so begeht man stets einen Fehler, indem man die Zeit zu groß oder zu klein schätzt. Um diesen Fehler zu bestimmen, beobachtet B. die Bewegung des Chronoskopzeigers, welcher in 10 Sekunden den Kreisumfang durchläuft, während eines Viertels, eines halben und eines ganzen Umlaufs. Die darauf fol- sende Reproduktion erfolgt entweder nur im Erinnerungsbilde der Gesichtswahrnehmung oder unter Zuhilfenahme der Muskelemfindungen indem der Beobachter die beobachtete Bewegung mit dem Zeigefinger in der Luft nachbildet. Die aus den erhaltenen Zahlenreihen abge- leiteten Werte sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst. Als positiv sind die Werte bezeichnet, welche zu groß, als negativ die- jenigen, welche zu klein ausgefallen sind. 4) Rivista di filosofia scientiflea 1831—1882 Nr. 2. 2) Ebenda Nr. 4. 470 Buccola, Fxperimentell-psychologische Untersuchungen. Reproduktion der Gesichtsbilder. Wahrer Zeitwert Wahrer Zeitwert Wahrer Zeitwert (2,500” 5,000" 10,000" (1/, Kreisbogen) (1/, Kreisbogen) (Ganzer Kreis) Tr Un UN Tr A —_, Mittel Differenz Mittel Differenz Mittel Differenz Positive Werte: Max. 2,794 —+- 0,294 Max. 5,598 —+- 0,598 Max. 11,015 —+ 1,015 Min. 2,522 —- 0,022 Min. 5,118 —+- 0,118 Min. 10,166 -+- 0,166 Negative Werte: Max. 2,220 — 0,280 Max. 4,578 — 0,422 Max. 8,917 — 1,083 Min. 2,472 —- 0,028 Min. 4,905 — 0,095 Min. 9,762 — 0,238 Reproduktion der Muskelempfindung. Positive Werte: Max. 2,718 + 0,218 Max. 5,372 -+ 0,372 Max. 10,814 + 0,814 Min. 2,529 -+ 0,029 Min. 5,071 -+ 0,071 Min. 10,110 ++ 0,110 Negative Werte: Max. 2,331 — 0,169 Max. 4,672 — 0,328 Max. 9,206 — 0,794 Min. 2,460 — 0,040 Min. 4,950 — 0,050 Min. 9,856 — 0,144 Aus diesen Zahlen zieht B. folgende Schlüsse: Die Fehlergröße wächst nahezu proportional der beobachteten Zeit; die negativen Fehler fallen im allgemeinen kleiner aus als die positiven; die Re- produktion unter Zuhilfenahme der Muskelgefühle ist mit kleineren Fehlern behaftet als die durch bloße Gesichtsbildererinnerung. V. Reproduktion der Bewegungswahrnehmungen im Tastfelde!). Aehnliche Versuche wurden angestellt, um die Zeit- dauer der Wahrnehmung zu bestimmen, welche durch das Streifen eines gleiehförmig bewegten Körpers über eine Hautfläche zu stande gekommen war. Die Ergebnise der Versuche zeigen, dass die Zeit- dauer stets zu groß reproduziert wird. Je größer die Geschwindigkeit des berührenden Körpers, eder je kürzer die Zeit der Wahrnehmung war, desto größer fallen die Fehler der Reproduktion aus. An Stel- len mit gut ausgebildetem Tastsinn sind die Fehler kleiner als an weniger fein fühlenden. Je größer die berührte Fläche war, desto kleiner werden die Fehler. VI. Dauer der Geruchswahrnehmung?). Die Zeit von der Oeffnung einer Büchse, in der eine stark riechende Substanz enthalten ist, bis zur Wahrnehmung des Geruchs ist außerordentlich groß; die 4) Ebenda Nr. 5. 2) Archivio italiano per le malattie nervose e mentali. — Rivista di filo- sofia Vol. II. 1883. Seler, Weitere botanische Funde in den Gräbern des alten Aegyptens. 471 erhaltenen Mittelzahlen schwanken von 0,236 bis 0,681, die Minima von 0,166 bis 0,537, die Maxima von 0,337 bis 0,865 Sekunde. Die Zeiten fallen kürzer aus, wenn durch tiefe Inspiration das Eindringen der riechenden Substanz in die Nase befördert wird. VI. Zeitdauer der Unterscheidung in bezug auf den Ortssinn!). Um diese Zeit zu messen, wird ein Zirkel mit wechseln- dem Spitzenabstand auf die Haut gesetzt. In dem Moment, wo eine der Spitzen die Haut berührt, wird ein elektrischer Strom geschlossen ; die Versuchsperson gibt das Signal durch Unterbrechung desselben, sobald sie die einfache oder doppelte Berührung wahrnimmt. Den eigentlichen Versuchen gingen Einübungen der Versuchspersonen vor- her. Es ergaben sich folgende Schlüsse: 1) Die zur Unterscheidung zweier Punkte erforderliche Zeit ist kleiner bei größerem Abstande der Punkte. 2) Die Wahrnehmung zweier Punkte erfolgt schneller als die eines einzigen. 3) Die zur Unterscheidung erforderliche Zeit wird durch Uebung kleiner. 4) Diese Abkürzung durch Uebung ist beträchtlicher für die Fin- gerspitze wie für den Handrücken. Für die Feinheit der Ortsunter- scheidung hat Vierordt angegeben, dass Uebung an weniger fein unterscheidenden Hautstellen von größerem Einfluss ist. J. Rosenthal (Erlangen). Weitere botanische Funde in den Gräbern des alten Aegyptens. Schon im Mai vorigen Jahres war in der Nature ein Aufsatz veröffentlicht worden, in welchem Georg Schweinfurth Bericht er- stattet über die von ihm im Auftrage Herrn Maspero’s unternom- mene botanische Untersuchung der in den Gräbern der Könige Ram- ses II, Amenhoteps I. und Aahmes I. aufgefundenen Totenkränze und Grabspenden. Neben Blumenblättern der Nymphaea caerulea, die ja auch in den bildlichen Darstellungen auf den Wänden der alten Tem- pel vielfach erscheint, und die Schweinfurth für die ursprünglich mit dem Namen Solus bezeichnete Pflanze ansieht, fand man Blätter von Mimmops Schimperi, eines Baumes aus der Familie der Sapotareas der jetzt in Centralafrika und Abessinien wächst; ferner Salix Safsaf, Corthamus linclusus, Acacia nilotica, Alcea ficifolia, Delphinium orien- tale, Sesbonia aegyptiaca u. a. m. In einer neuerlichen Mitteilung, von der in Nature Jan. 31. 1884 eine Uebersetzung veröffentlicht wird, berichtet Schweinfurth über weitere Funde, die teils Gräber der 21. Dynastie, teils solchen der 4) Rivista sperimentale di freniatria. Anno IX. 472 Seler, Weitere botanische Funde in den Gräbern des alten Aegyptens. 12. Dynastie entstammen. Unter ersteren ist bemerkenswert neben Salix safsaf und Pieris coronopsifolia, einer der Charakterpflanzen der Wüstenränder des mittleren und oberen Aegyptens, namentlich Cen- taurea depressa und Papaver rhoeas var. genuina. Erstere ist eine spezifisch asiatische Pflanze, die in Aegypten und den angrenzenden Ländern fehlt, und es scheint, dass sie, ebenso wie die Alcea fieifolia und Delphinium orientale, die in der früheren Mitteilung erwähnt wurden, als Zierpflanze aus dem westlichen Asien und zwar den Euphratländern in die Gärten des alten Aegypten eingeführt wurde. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als die Blüten der Centaurea depressa aus den Gräbern des alten Aegyptens einige Eigentümlich- keiten zeigen, die sich bei Exemplaren aus Persien, Afghanistan und den Pontusländern wiederfinden, während sie der in Kleinasien wild- wachsenden Pflanze fehlen. Paper rhoeas ist heute ein gemeines Unkraut in den Feldern des untern Aegyptens, besonders des Deltas, fehlt aber in Oberägypten. Es scheint, dass auch sie als Zierpflanze in den Gärten kultiviert wurde. Unter den in Gräbern der 12. Dynastie aufgefundenen Beigaben sind interessant namentlich Fruchtkapseln des Flacuses und zwar von derjenigen Varietät desselben (Linum humile Mill.), die noch heutzu- tage in Aegypten und Abessinien ausschließlich kultiviert wird; ferner Samen von Sinapis arvensis var. Alliensis, die auch heute noch ein häufiges Unkraut in den Flachsfeldern Aegyptens ist, Linsen und Saubohnen, und ein Besen, gemacht aus der Nubien und Aegypten eigentümlichen Komposite Ceruana pratensis. Solche Besen werden auch heute noch auf allen Märkten Aegyptens verkauft und dienen zum Fegen der Wohnungen und Reinigen der Aborte. Interessant ist auch der Fund zweier Zapfen von Pinus Pinea, da derselbe, ebenso wie die früher erwähnten Funde von Parnotia furfurarea — einer zur Würze des Brots verwendeten Flechte — und der Beeren von Juni- perus phoeniceus, beweist, dass schon in alter Zeit ein Handelsverkehr mit Griechenland und der kleinasiatischen Küste stattfand. Die Sau- bohnen wurden nach Herodot von den alten Aegyptern als unrein angesehen. Schweinfurth erklärt sieh ihr Vorhandensein in den alten Gräbern dadurch, dass sie bei den Totenzeremonien der alten Aegypter eine ähnliche Rolle spielten, wie bei denen der Römer der älteren Zeit. Es ist schon lange bemerkt worden, dass von verschiedenen Ge- treidearten schon in dem alten Aegypten genau dieselben Varietäten kultiviert wurden, die wir heutzutage kennen, und es ist dieser Um- stand als Beweis für die Konstanz der Arten hervorgehoben worden. Auch Schweinfurth hebt bei verschiedenen der in den alten Grä- bern gefundenen Blättehen und anderen Pflanzenteilen (von Acacia ni- lotica, Oentaurea depressa, Papaver rhoeas u.a.), die genaue Ueberein- stimmung in allen Einzelheiten hervor, welche dieselben mit den heute Seler, Die botanischen Ergebnisse der Rothamsteder Wiesenkulturversuche. 4753 lebenden Pflanzen zeigen. So haben diese Untersuchungen nicht bloß ein antiquarisches und kulturgeschichtliches Interesse, sondern haben auch für die brennenden Fragen der Gegenwart, die Frage nach der Entwickelung des Lebens auf der Erde, ihre Bedeutung. Ed. Seler (Berlin). Die botanischen Ergebnisse der Rothamsteder Wiesenkultur- versuche. Agrieultural, Botanical and Chemical Results of Experiments on the Mixed Herbage of Permanent Meadow, conducted for more than 20 years in succes- sion on the same land. Part. II. Botanical Results. By Sir. J.B. Lewes, Bart. F. R. S., Dr. J. H. Gilbert F. R. S., and Dr. M.T. Masters F.R.S. - Philos. Transact Part. IV. 1822. Im Parke zu Rothamsted in Hertfordshire, der ausgedehnte Flächen trockenen, buschfreien, seit Jahrhunderten mit natürlichem Graswuchse bestandenen Terrains umfasst, sind seit dem Jahre 1856 umfassende und in sorgfältigster Weise durchgeführte Versuche un- ternommen worden, um den Einfluss der verschiedenen Düngungsarten auf den Wiesenwuchs festzustellen. Man hat zu dem Zwecke ein 7 Acres großes Stück Land in 20 parallele Parzellen geteilt, von denen zwei ohne Düngung blieben, während die übrigen qualitativ und quan- titativ verschiedene, jede einzelne Parzelle aber Jahr für Jahr dieselbe Düngung erhielt. Der Heuertrag jeder einzelnen Parzelle wurde sorg- fältig gewogen, und daraus der Ertrag per Acre für jede einzelne der verschiedeneu Düngungsarten festgestellt. Den niedrigsten Ertrag geben selbstverständlich die ungedüngten Stücke, nämlich 21!/, und 24 Zentner per Acre. Nächstdem folgt eine Parzelle, die im Verlauf des Jahres an Düngung 400 Pfund eines Gemischs von gleichen Tei- len Ammoniumsulphat und Chlorammonium erhielt, und einen Ertrag von 26!/, Zentner pro Acre gab. Den höchsten Ertrag, nämlich 621), Zentner per Acre erhielt man von einem Feld, das mit einem Gemenge von 500 Pfund Kaliumsulphat, 100 Pfund Natriumsulphat, 100 Pfund Magnesiumsulphat, 3!/, Zentner Kaliumsuperphosphat, 600 Pfund des oben erwähnten Gemisches von Ammoniumsulphat und Chlorammoniums und 400 Pfund Natriumsilicat — wie man sieht, allerdings ganz un- verhältnismäßig stark gedüngt worden war. Die übrigen Felder reihen sich dem Ertrag nach zwischen diese beiden Extreme. Noch interessantere Resultate ergab die Einzeluntersuchung, wel- che sich darauf richtete festzustellen, welche besonderen Pflanzen- spezies durch diese oder jene Düngung besonders gefördert werden. Diese äußerst mühsame und zeitraubende Untersuchung wurde in der Weise durchgeführt, dass ausreichend große Proben von einem jeden Stück genau durchsucht, und das Verhältnis, in welchem die ver- 474 Seler, Die botanischen Ergebnisse der Rothamsteder Wiesenkulturversuche. schiedenen Pflanzenarten in demselben vertreten waren, zahlenmäßig festgestellt wurde. Man fand, dass diejenigen Düngemittel, welche bei dem Anbau von Üerealien sich als besonders wirksam erweisen, auch auf der Wiese den Gräsern die Herrschaft über alles andere Kraut verschaffen; und dass umgekehrt diejenigen Düngemittel, wel- che beim Anbau von Bohnen, Wieken, Erbsen mit Vorteil angewendet werden, auch auf der Wiese, das Verhältnis, m welchem sich die Le- guminosen an der Zusammensetzung der Vegetation beteiligen, in ganz beträchtlicher Weise steigern. So ergab eine stark stickstoff- haltige Düngung, Ammoniumsalze oder Natronsalpeter im Verein mit Alkali, besonders Kalisalzen, den größten Prozentsatz von Gräsern, während eine gemischte mineralische Düngung, Superphosphate und Kalisalze den Prozentsatz der Leguminosen am meisten steigen ließ. In welcher Weise hierbei die eine und die andere Pflanzenfamilie vorwiegt, zeigt folgende Zusammenstellung: Fleck 7. Fleck 3 und 12 Fleck 11 (Leguminosendüngung) (ungedüngt) (Cerealiendüngung) Gräser 61.78 67.43 94.96 Leguminosen 22.71 8.20 0.01 Andere Pflanzenfamilien 15.51 24.37 5.03 100.005 232.100.00= 100.00 Bei der Diskussion der einzelnen Pflanzenarten, welche auf den Parzellen vorkommen, kommen die Verfasser zu dem Resultat, dass es wesentlich die mehr oder minder mächtige Entwickelung der unter- irdischen Teile ist, welehe der einen oder andern Art die Herrschaft über ihre Genossen verschafft. Anscheinend unbedeutende Eigentüm- lichkeiten können hierbei von großem Einfluss sein. So gedeiht von den beiden nahe verwandten Arten Poa trivilias und P. pratensis die letztere besonders dann, wenn ihr der Stickstoff im Form von Ammo- niumsalzen, die erstere, wenn er ihr in Gestalt von Salpeter geboten wird. Die Verf. finden den Grund darin, dass die feiner verzweigten und flacher liegenden Wurzeln der Poa trivilias das Nitrat aufhalten und aufnehmen, ehe es in die tieferen Schichten gelangt, in denen die Poa pratensis vorwiegend ihre Wurzeln ausbreitet. Aehnliche Differenzen zeigen sich bei andern. Auch der Umstand, dass es in ganz überwiegendem Maße perennierende Pflanzen sind, die auf der Wiese die Herrschaft behalten, zeigt die große Bedeutung, welche die unterirdischen Teile für die auf der Wiese miteinander konkur- rierenden Gewächse besitzen. Ed. Seler (Berlin). Schöyen, Ueber das Vorkommen von Insekten im menschlichen Körper. 475 W. M. Schöyen, Ueber das Vorkommen von Insekten im menschlichen Körper. i Naturen. Christiania. VII, 74—77; 85—87 (Mai, Juni 1884). Unzweifelhaft parasitisches Vorkommen von Bremsenlarven unter der Haut verschiedener Körperteile beim Menschen ist von Humboldt und Bonpland auf ihren Reisen in Südamerika, von Le Conte auf seiner Reise in Honduras und von verschiedenen anderen Reisenden in Mexiko, Neugranada, in der Guyana, Brasilien, Paraguay, Peru u. a.a. OÖ. Zentral- und Südamerikas wahrgenommen worden. Es scheint, dass alle diese Vorkommnisse zurückzuführen sind auf eine oder wenige Arten des Geschlechts Dermatolia, namentlich Dermatolia noxialis, das ver macaque der Südamerikaner, ver moyoquil Zentral- amerikas. Gondot beobachtete dies Insekt in Neugranada, wo es namentlich auf den Weideflächen längs der Waldränder in solchen Mengen vorkommt, dass es die größte Plage für das Vieh bildet, da man oft bei einem einzigen Individuum an hundert dieser Larven an- treffen kann, die namentlich die Gegend des Schulterblatts dicht be- setzen, aber auch auf dem Kopf, an den Seiten des Leibes am Schwanz und auf dem Rücken vorkommen. Gondot selbst wurde an ver- schiedenen Stellen seines Körpers, wo keine Kleider denselben be- deckten, von dem Insekt angefallen, und er gibt an, dass er trotz der größten Achtsamkeit niemals die Fliege selbst beim Anbringen ihrer Eier beobachten konnte. Wenn eine solche Larve sich zu entwickeln beginnt, fühlt man zunächst einen schwachen Schmerz und es zeigt sich an der betreffenden Stelle eine kleine Anschwellung, die von einem feinen Loch durehbohrt ist, welches eine geringe Menge Flüs- sigkeit austreten lässt. In diesem Stadium kann man sich noch von dem Schmarotzer befreien; eine Einreibung mit Merkurialsalbe oder etwas Ammoniak genügt, die Larve zu töten. Versäumt man das aber, so nimmt die Larve schnell an Größe zu, dringt tiefer in das subkutane Gewebe ein und bringt eine immer größer werdende und mehr und mehr schmerzende Geschwulst hervor. Der durch das Saugen der Larve verursachte Schmerz soll sich namentlich morgens und abends äußern und wird beschrieben als ähnelnd einer Anzahl Nadelstiche, die gleichzeitig tief in die Haut geführt werden. Es bleibt nichts übrig, als die Geschwulst zu öffnen und die Larven berauszupressen oder herauszuziehen, was eine sehr schmerzhafte Operation ist, und die Wunde heilt in dem heißen Klima auch nur schwer. Auch aus Europa sind, in alter und in neuer Zeit, mehrfach Vor- kommnisse von Bremsenlarven im menschlichen Körper beschrieben worden — meist auf die imaginäre Spezies Oestrus hominis zurück- geführt. — Alle diese Fälle sind aber zweifelhaft. Wo man bisher diese Larven genau untersucht, namentlich das vollständige Insekt 476 Schöyen, Ueber das Vorkommen von Insekten im menschlichen Körper. aus ihnen erzogen hat, gehörten dieselben verschiedenen Fliegenge- schleehtern: Musca, Anthangia, Lueilia, Sarcophaga, niemals aber einer unserer europäischen Bremsenarten an. Im Gegensatz zu den eigentlichen Bremsen bringen jene Fliegengeschlechter ihre Eier nicht in dem lebenden, sondern in dem toten, verwesenden Tier an. Indem sie aber in dieser Weise vorzugsweise durch den Geruch zu den Stellen geführt werden, wo sie ihre Eier ablegen können, so bilden unreine, eiternde Wunflächen, stinkende Absonderungen in Nase und Ohr u. a. dgl. m. in gleicher Weise Anziehungspunkte für sie, und daher treten sie parasitisch auch beim Menschen auf. In denselben Gegenden Zentral- und Südamerikas, wo die obenerwähnte Bremse Tiere und Menschen durch ihre Angriffe plagt, hat sich auch eine Aasfliege Lucilia (oder Calliphora) hominivorax und anthropophaga in hohem Grade berüchtigt gemacht dureh die schweren, nicht selten tödlich verlaufenden Entzündungen, die das Vorkommen ihrer Larven auf den Schleimhäuten von Mund und Nase und auf eiternden Wund- flächen hervorruft. In Europa ist in neuerer Zeit durch Pertschinsky eine Aasfliege bekannt geworden, Sarcophila Wohtfahrti, die im Gou- vernement Mohilew in Russland gradezu eine Landplage bildet. Eine ganz unbedeutende Wunde wird sofort von den Larven dieser Fliege besetzt, so dass sie bösartig eiternd, oft unheilbar wird. Ihr Vorkommen in Ohr-, Nase- und Gaumenhöhle bringt oft so heftige Schmerzen hervor, dass die Patienten ganz außer sich geraten; und Blutungen treten auf, die namentlich bei Kindern und sonst schwächlichen Per- sonen geradezu Abmagerung hervorrufen, und das eingefallene welke Anselıen verbleibt den Patienten oft noch lange, nachdem die Larven entfernt sind. Ja infolge Durehbohrung des Trommelfells und Zer- störung des Augapfels kann dauernde Taubheit bezw. Blindheit ein- treten. Da das Aussehen dieser Larve dem der Larven unserer gewöhnlichen Aas- und Fleischfliegen täuschend ähnlich ist, so ist es nicht unmöglich, dass von den verschiedenen Fällen des Vorkommens von Fliegenlarven im Menschen, die aus den westlichen Gegenden Europas beschrieben worden sind, eine größere oder geringere Zahl auf diese Spezies zurückzuführen sind. Bemerkenswert sind unter den bisher bekannten Fällen von „Myiasis“ noch diejenigen, wo infolge des Einnistens der Fliegenlarven in den Urinwegen heftige, andauernde steinartige Schmerzen im Unterleib auftreten. Kaum mehr als Parasitismus zu bezeichnen sind diejenigen Fälle, wo Insekten, welche die Gewohnheit haben, in engen dunklen Höhlun- gen Zuflucht zu suchen, in Nasenhöhle oder Ohrgang von im freien sich aufhaltenden Mensehen kriechen. Verf. führt hier in erster Linie die Forficula aurieularia an, den Ohrwurm, der ja von dieser ihm nachgesagten Eigenschaft seinen Namen bekommen hat. Es ist Ref. nicht bekannt, ob irgend welche beglaubigte Berichte über derartige Vorkommnisse, wenigstens über längeren Aufenthalt des Tierchens Seler, Ueber die Bildung von Korallenriffen. a7T an solehen Orten vorliegen. Bestimmter lauten die Berichte über die gleichen Gepflogenheiten huldigenden Myriopoden. Verf. führt ins- besondere den, auch im Brehm abgedruckten Bericht Scoutetten’s über einen Fall an, der in der Umgegend von Metz vorgekommen sein soll, wo ein Frauenzimmer über ein Jahr an heftigen, bisweilen in Delirien ausartenden Kopfschmerzen litt, verbunden mit einem ent- zündeten Zustand des ganzen Gesichts und blutigen, stinkenden Schleim- absonderungen aus der Nase, bis schließlich diese außergewöhnlichen Krankheitserscheinungen plötzlich ein Ende nahmen durch das Aus- niesen eines Insekts, das sich uhrfederartig am Boden aufrollte und, in wenig Wasser gethan, noch einige Tage fortlebte, und als Scolo- pendra electrica bestimmt wurde. Schließlich erwähnt Verf. noch derjenigen Fälle, wo zufällig durch Speise oder Trank Insekten als Larven oder im entwickelten Zustande in den Magen kommen und hier zu verschiedenen mehr oder minder krankhaften Erscheinungen Veranlassung geben, bis schließlich die Eindringlinge ausgebrochen oder per anum herausbefördert werden. Auch hier spielen unter den aus alter und neuer Zeit berichteten Fällen die Larven verschiedener Fliegen die erste Rolle; nächstdem sind verschiedene Käfer, teils als Larven, teils im entwickelten Zu- stande, beobachtet worden, die Larve eines Schmetterlings, Aglona pinguinalis, die in verschiedenen Esswaren lebt, ein Tausendfuß Sceudli- gera coleoptrata u. a. m. Ed. Seler (Berlin). Ueber die Bildung der Korallenriffe. Die Frage nach der Entstehung der Korallenriffe schien durch Darwin’s geniale Theorie gelöst zu sein. Die allmähliche allgemeine Senkung des Meeresbodens erklärte in so einfacher Weise die Ent- wickelung der Saum- oder Küstenriffe zu Barrierenriffen und weiter zu Atollen oder Lagunenriffen, dass diese Darwin’sche Theorie von der Bildung der Korallenriffe von den Geologen gradezu als Beweis für die Thatsache einer der säkularen Hebung gewisser Festländer oder Theile von Festländern entsprechenden säkularen Senkung des Meeres- bodens verwandt wurde. Vor Darwin hat indess schon Chamisso eine Theorie aufgestellt, die glaubwürdiger und richtiger erscheint, weil sie die beobachtete Form der Korallenriffe in ausreichender Weise erklärt, ohne zu derartigen doch nur hypothetischen Schwankungen der Erdkruste ihre Zuflucht zu nehmen. Er nahm nämlich an, dass die runde Form der Lagunenriffe dadurch zu stande käme, dass die riffbauenden Polypen da am kräftigsten sich entwickeln, wo der Wo- genschlag des Meeres am stärksten sei, d. h. von der Außenseite des Riffes, welche dadurch der Oberfläche des Meeres näher gebracht 478 Seler, Ueber die Bildung der Korallenriffe. werde als die innern Teile. In neuerer Zeit haben die eingehenden Untersuchungen des Meeresbodens in seinen verschiedenen Tiefenzonen und der Fauna desselben auch die Frage nach der Entstehung der Korallenriffe wieder in Fluss gebracht. Und da ist es eine wohl zu beachtende Thatsache, dass grade diejenigen Forscher, welche die ausreichendste und beste Gelegenheit zum Studium dieser Frage hat- ten, in übereinstimmender Weise sich gegen die Darwin’sche Theorie aussprachen. So schon Semper (Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 1863. XII. S. 558) und dann namentlich Murray von der Challenger Expedition (Proc. Roy. Soe. Edinburg. 1879—80, X. 5.505) und Prof. A. Agassiz („On the Tortugas and Florida Reefs“. Trans. Amer. Acad. XI. 1883). Der berühmte schottische Geologe Archibald Geikie gibt in der Nature vom 29. Nov. und 6. Dez. vorigen Jahres einen kurzen Ueberblick über diese Arbeiten und kommt dabei zu folgendem Schluss: Dass die Bildung von Korallenriffen, sowohl Barrieren- als Lagunen- riffen denkbar sei ohne die angenommene allgemeine Senkung des Meeresbodens, einfach durch Fortwuchern an der dem Wogenschlag des freien Meeres zugewendeten äußeren Seite und Absterben der in- nern Teile des Riffs, die an Nahrungszufuhr Mangel leiden und durch Detritus verschleimt werden, müsse nach der Masse der von genannten Forschern angegebenen Thatsachen ohne weiteres zugegeben werden. Ob wir dies nun aber für die gewöhnliche oder nur eine ausnahms- weise Art der Bildung halten sollen, das hänge davon ab, ob bei den Korallenriffen allgemein solche Erscheinungen auftreten, die nur durch Senkung des Meeresbodens entstanden zu denken seien. Man könne als solche drei anführen: 1) Es sei bis zu dem Aufkommen der Darwin’schen Theorie eine unerklärbare Thatsache gewesen, dass in dem Gebiet der Ko- rallenriffe es eine Menge Spitzen gebe, die aus der Tiefe des Ozeans emporragend grade bis zu der Tiefenzone reichen, in welcher die riffbauenden Korallen leben. Die Senkungstheorie erklärt dies in höchst einfacher Weise dadurch, dass die einmal bis zu dem Niveau der riffbauenden Korallen hinabgesunkenen Bergspitzen in dieser Höhle gewissermaßen dadurch festgehalten werden, dass die Polypen in gleichem Schritt mit dem allmählichen tieferen Herabsinken des Bo- dens nach oben weiter wachsen. — Dem gegenüber machen indess die Gegner der Senkungstheorie geltend, dass erstens diese behaup- tete Uniformität in bezug auf das Höhenniveau der untermeerischen Bergspitzen gar nicht in dieser Weise bestehe; es gäbe eine Menge Spitzen, die weit unter der Zone der riffbauenden Polypen blieben, und wiederum ragten bekanntlich in der Region der Riffpolypen eine Menge Bergspitzen über die Oberfläche des Meeres empor. Dann ar- beiteten zwei verschiedene Ursachen zusammen, um untermeerische Plattformen just in der Höhe des Niveaus der riffbauenden Polypen Seler, Ueber die Bildung der Korallenriffe. 479 zu schaffen. Die über den Meeresspiegel emporragenden Spitzen näm- lich würden durch die Einwirkung der Atmosphärilien und das Nagen der Brandung abgetragen. Die unter dem Niveau der Riffbauer be- findlichen untermeerischen Bänke würden erhöht durch die sich an- häufenden Massen von Schalenresten von Mollusken, Echinodermen, Polypen, Anneliden, Urustaceen u. s. w., die am Boden lebten oder aus den oberflächlichen Wasserschichten auf den Grund gesunken sind. Von der Massenhaftigkeit dieser Anhäufungen hatte man in früherer Zeit nicht entfernt eine richtige Vorstellung. Aber die neuere Untersuchung des Meeresbodens in den tropischen Breiten haben die Thatsache außer allen Zweifel gestellt. 2) Aeltere Darstellungen der Koralleninseln sprechen von „uner- gründlichen Tiefen“ an der Außenseite der Korallenriffe, und That- sache ist, dass die Außenseite der Riffe einen steilen senkrechten Ab- sturz zeigt. Bei Annahme der Senkungstheorie hat man zur Erklä- rung dessen keine Schwierigkeit, und man wäre sogar gezwungen, die Theorie anzunehmen, falls in der That die Außenseite der Koral- lenriffe bis in große Tiefen hinab senkrechte ganz aus Korallen auf- gebaute Mauern zeigte. Dem ist aber nicht der Fall. Murray hat eine genaue Untersuchung des Barrierenriffs von Tahiti ausgeführt. Die mit lebenden Korallen besetzte Fläche des Riffs erstreckt sich bis zu einer Tiefe von 30—35 Faden, dann folgen gewaltige abge- rissene Korallenblöcke, die mit einander verkittet sind und einen senk- rechten Absturz bilden, der bis in eine Tiefe von 150 Faden reicht. Von da ab senkt sich der Meeresboden zunächst unter einem Winkel von 25—30° und ist bedeckt mit Korallensand, schließlich wird die Steigung noch geringer, nicht mehr als 6° und der Boden ist bedeckt mit vulkanischem Detritus. Der steile Absturz erklärt sich also hier einfach dadurch, dass von der Brandung Stücke des Riffs abgerissen wer- den, die, nach außen sich übereinander schiehtend und durch Detritus miteinander verkittet, eine senkrechte Mauer bilden, über welche hin- weg das lebende Riff nach außen weiter wächst. Im übrigen sind die Verhältnisse ganz so, wie man sie erwarten darf, wenn sich eine Polypenkolonie auf einer aus der Tiefe emporragenden Fläche an- siedelt. Dass aber nicht entfernt davon die Rede ist, dass es Riffe gäbe, die in einer Dicke von 2000 Fuß, wie Darwin annahm, ganz aus Korallen aufgebaut seien, ergibt die Untersuchung solcher Riffe, die später über den Spiegel des Meeres emporgehoben worden sind. Agassiz hat dergleichen Riffe in Florida untersucht. Dieselben er- wiesen sich als in ihrer Hauptmasse bestehend aus der Anhäufung von Schalenreeten der verschiedensten Tiere, welche eine untermeeri- sche Bank bis zu der Höhe aufgebaut haben, wo Korallen noch Fuß fassen und gedeihen konnten. 3) Vielleicht das stärkste Argument für die Senkungstheorie bil- det die Tiefe einiger Lagunen oder Lagunenkanäle. Die Gegner der 480 Seler, Ueber die Bildung der Korallenriffe. Senkungstheorie führen hier zunächst an, dass dies nur bei einigen sehr großen Atollen beobachtet werde, dass hier das Spiel der Ebbe und Flut den Kalkschlamm aus der Lagune weggeschwemmt haben könne, oder die auflösende Kraft des stark kohlensäurehaltigen Meer- wassers die Lagune in langer Zeit des Bestehens vertieft haben möge. Prof. Geikie ist der Ansicht, dass in diesen wenigen Fällen vielleicht Senkung des Bodens im Spiel gewesen sei. Aber sollte das auch der Fall sein, so wäre hieraus nichts zu folgern für eine allgemeine Senkung des Mceresbodens in den von Korallenriffen besetzten Brei- ten. Bei der großen Ausdehnung des Gebiets wäre es wunderbar, wenn nicht hier und da Senkung stattgefunden hätte, wie anderwärts Hebung. Während also die Argumente, die der Senkungstheorie die wesent- lichste Stütze zu leihen schienen, sich als hinfällig erweisen, gibt es einige Thatsachen, die der Theorie einer allgemeinen Senkung des Meeresbodens direkt zu widersprechen scheinen: 1) Wären die korallenumgürteten ozeanischen Eiländer wirklich die Reste eines versunkenen Festlandes, so müsste man erwarten, in ihnen dieselben oder ähnliche Felsarten anzutreffen, wie die, aus welchen unsere Kontinente in ihrer Hauptmasse aufgebaut sind. Aber nichts von dem. Vulkanische, lavaartige Gesteine, vulkanische Tuffe und gehobener Korallenfels ist alles, was wir finden. 2) Es fehlt bis jetzt jeder direkte Beweis einer Senkung, die ir- sendwo in dem Gebiete der riffbauenden Korallen stattgefunden hätte. 3) Umgekehrt ist an zahlreichen Orten Hebung konstatiert worden. Eine interessante Bestätigung der von Murray, Agassiz und Geikie vertretenen Ansichten bringt ein von Herrn H. B. Guppy an Murray gerichteter Brief, der in Nature (Nr. 740. san. 3. 1884) abgedruckt ist. Der Schreiber hatte als Arzt auf H.M. surveying-ship „Larn“ Gelegenheit, eine Anzahl Inseln der Salomongruppe zu unter- suchen. Er findet dieselben in ihrer Hauptmasse zusammengesetzt aus einem unreinen erdigen oder thonigen Kalkstein, der gewöhnlich geschichtet ist, fast stets Foraminiferen, hin und wie- der auch Massen anderer pelagischer Organismen, namentlich Ptero- poden enthält. Auf diesem Gestein erst ruht der Korallenkalk und zwar in einer verhältnismäßig dünnen Schicht, so dass derselbe an den meisten Stellen durch säkulärische Agentien abge- tragen worden ist. — Hier haben wir also offenbar eine untermeeri- sche Bank, die durch die auf den Boden gesunkenen Schalenreste pe- lagischer Tiere erst bis zu einem gewissen Niveau unterhalb der Meeresfläche anwachsen musste, ehe sich Korallen auf ihr ansiedeln konnten. Ed. Seler (Berlin). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. ve Band: 15. Oktober 1884. Nr. 16. Inhalt: Reess, Ueber die systematische Stellung der Hefepilze. — Fiseh, Die syste- matische Selbständigkeit und Stellung der Hefepilze.e — Näseli, Mechanisch- physiologische Theorie der Abstammungslehre. I. — Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. — Ciesiar, Untersuchungen über den Einfluss des Lichts auf die Keimung der Samen. — Couneler, Aschengehalt der Blätter. Ueber die systematische Stellung der Hefepilze. Von M. Reess. Aus den Sitzungsberichten der physikalisch-medizinischen Sozietät in Erlangen. Sitzung vom 12. Mai 1884. In seinen „Botanischen Untersuchungen über Hefepilze“ (V. Heft 1883) liefert Brefeld den Nachweis, dass aus Brandpilzsporen bei deren Keimung in gewissen Nährlösungen hefeartige Sprossungen ent- stehen, welche sich unter entsprechenden Bedingungen in der gleichen Form beliebig und „endlos“ vermehren. Aus diesen Beobachtungen und einer Anzahl vergleichender Erwägungen, zunächst über hefeartige Sprossungen bei anderen Pilzen (Gymmoasci, Exobasidium, Tremellini u. s. w.) zieht Brefeld den Schluss „dass die verschiedenen Hefe- pilze als typische Pilzformen nicht mehr angesehen werden können.“ Er gibt dann mit dem ihm eignen Behagen der Selbständigkeit der Saccharomyces-Gruppe den Todesstoß. Diese Selbständigkeit ist wesentlich durch meine Arbeiten be- gründet worden. Ich zeigte einmal, dass die früher vielfach behaup- tete Abstammung aller technisch benützten Alkoholgärungspilze von Schimmelpilzen teils auf ganz groben Irrtümern beruhe, teils auf falscher Deutung des von Bail entdeckten Sprossungs- und Alkohol- gärungsvermögens gewisser Mucor-Formen. Sodann aber wies ich an den Alkoholgärungspilzen der verschiedenartigsten, in einer Menge von Einzelproben untersuchten Hefen eine ihnen gemeinsame eigen- artige Sporenbildung in Mutterzellen nach, auf deren Grund die Gattung Saccharomyces durch einen neuen Charakter positiv abgegrenzt wurde. 31 482 Reess, Ueber die systematische Stellung der Hefepilze. Die systematische Selbständigkeit der Saccharomyces-Gruppe ist seither fast allgemein angenommen und sicher niemals mit Thatsachen angegriffen worden. Hingegen ist mein Versuch, die Sporenmutter- zelle der Saecharomyceten als Ascus, und diese Pilze selbst als reduzierte Ascomyceten zu deuten, neben ausgedehnter Zustimmung auch mehrfachem Widerspruch begegnet. Brefeld’s neuestem An- sriff gegenüber ist es vielleicht am Platze, wenn ich meinen Stand- punkt kurz bezeichne. Ich halte die systematische Selbständigkeit der Saccharomyces-Gruppe für durchaus unerschüttert. Mit welchen an- deren Pilzen sie am nächsten verwandt sei, darüber lässt sich wohl streiten, aberich glaube, dass meine alte Auffassung das Meiste für sich hat. Was bringt denn nun Brefeld an Thatsachen neues vor? Dass die Brandpilze ein höchst bemerkenswertes ausgiebiges Vermögen hefeartiger Sprossung besitzen, dass ferner einige andere höhere Pilze verschiedener Verwandtschaft hefeartige Sprossungen erzeugen. Was er sonst noch anführt, ist auch mir und anderen nicht unbekannt ge- wesen. Auf S$. 44 ff. meiner „Botanischen Untersuchungen über die Alkoholgärungspilze“ ist ausführlich dargethan, dass verschiedene höhere Pilzformen sprossen, dass und warum sie aber gleichwohl mit den sprossenden Alkoholgärungspilzen nicht zusammengeworfen werden dürfen. Diese bekannten Beispiele von hefeartigen Sprossun- sen bei höheren Pilzen hat Brefeld in höchst interessanter Weise vermehrt, das ist aber auch thatsächlich alles. Dass seine Brand- pilzsprossungen Alkoholgärung erregten, ist nirgends gesagt, eben- sowenig, dass sie die für Saccharomyces charakteristische Sporenbil- dung besäßen. Und dass diese Sporenbildung für Saccharomyces ein wesentliches Merkmal ist, das kann auch Brefeld nicht leugnen, so gern er auch dieselbe los wäre. Kurz zusammengefasst ist der heutige Stand der Frage folgender: derjenige Entwickelungsvorgang, welchen man nach seinem typischen Vorkommen bei den Alkoholhefepilzen als „hefeartige Sprossung“ zu bezeichnen pflegt, findet sich bei einer großen Anzahl unter ein- ander oft sehr wenig verwandter höherer und niederer Pilzgattungen. Alle diese Gattungen besitzen außer den Sprossungsvegetationen auch noch andere meist fädige Vegetationsorgane, und sind übrigens durch ihre für jeden Einzeltypus maßgebenden spezifischen Fort- pflanzungsvorgänge gekennzeichnet. Die mit dem Gattungsnamen Saecharomyces benannten Alkoholgärungspilze dagegen haben als Vegetations- und Vermehrungsorgan nur Sprossungszellen, als spezi- fisches Fortpflanzungsorgan eine eigentümliche Art der Sporenbildung, welche wiederum den erstgenannten verschiedenartigen Pilzformen abgeht. Es besteht also zwischen den Saecharomyceten und den an- deren sprossenden Pilzen die eine Uebereinstimmung, dass sie, sei es ständig, sei es unter besonderen Bedingungen, hefeartig sprossen. Reess, Ueber die systematische Stellung der Hefepilze. 485 Im übrigen schlägt jeder seinen selbständigen Entwickelungsgang ein. Saccharomyces hat mit einem höheren, sprossenden Pilze im all- gemeinen genetisch so wenig zu tun, als eine Fadenalge mit einem Laubmoos, dessen Vorkeim ihr ähnlich ist. Saccharomyces also bleibt Saccharomyces und ein selbständiger Pilztypus. Er wird wohl zahlreiche „Arten“ umschließen und wenn auch — zumal durch E. Chr. Hansen’s schöne Untersuchungen — neuerdings klar geworden ist, dass meine frühere vorläufige Arten- abgrenzung vielfach ungenau und einseitig gewesen, so wird gleich- wohl die von mir betonte morphologische und physiologische Ver- schiedenheit der einzelnen Saccharomyces-Formen noch weiter zu Ehren kommen. Hansen hat nun aber außerdem, genauer und bestimmter als mir seiner Zeit möglich gewesen, dargethan, dass unter den Al- koholgärungspilzen der technisch verwendeten Hefen auch Pilze vor- kommen, welche mit Saccharomyces zwar das vegetative Verhalten gemein haben, aber bis jetzt wenigstens unter keiner Bedingung zur Sporenbildung haben gebracht werden können. Ob diese Formen, wenn ihr Entwiekelungsgang vollständig bekannt sein wird, von Sac- charomyces definitiv getrennt werden müssen, das bleibe für den Augenblick dahingesiellt. Bei der Frage nach der systematischen Verwandtschaft der Sac- charomyceten mit anderen Pilzen kommt es auf das Alkoholgärungs- vermögen nicht an. Dazu finden sich im Pilzreiche verschiedene An- läufe von sehr ungleiehem Ausbildungsgrad; auch ist die Alkohol- bildung nicht an die Sprossung unbedingt gebunden. Auf eine engere Verwandtschaftsgruppe unter den Pilzen braucht sich übrigens das Alkoholgärungsvermögen an und für sich ebensowenig zu beschrän- ken, als etwa die Organisation zum Insektenfressen auf einen einzi- gen Phanerogamenstamm. Vergleicht man aber von morphologischen Eigenschaften das Wenige, was an Saccharomyces bestimmt und klar hervortritt, mit allenfalls gleichartigen Gliedern im Entwiekelungsgange anderer Pilzformen, so fallen für den Anschluss an Exoascus und für die Vermutung, dass Saccharomyces ein rückgebildeter Verwandter von Exoascus sei, alle Entscheidungsgründe ins Gewicht, in entgegen- gesetztem Sinne kaum einer. Ich betone, dass die Sporenbildung von Saccharomyces, welche ich vor einigen Jahren wieder einmal genauer vorgenommen habe, in der Art und Weise, wie die 1—4 Sporenanlagen enstehen und im übrig bleibenden „Epi“-Plasma der Mutterzelle sich ausbilden, noch immer am meisten an einen winzigen Ascus erinnert, nicht an ein Mucor-Sporangium. Die Sprossung an sich, dann die Ge- stalt der Sprossverbände bei verhältnismäßig langgliedrigen Saccha- romyces-Formen passt, wie ich auch früher schon bemerkt habe, dureh- aus zu Exoascus. An diesen wird man sich halten müssen, solang man aus den heute bekannten Thatsachen einen Schluss ziehen will. al 484 Fisch, Die systematische Selbständigkeit und Stellung der Hefepilze. Die systematische Selbständigkeit und Stellung der Hefepilze. Literatur: Brefeld, Untersuchungen über Hefepilze. 1883. — RBReess, Ueber die systematische Stellung der Hefepilze. Sitz.-Ber. d. phys.-med. So- zietät in Erlangen. 1884. — de Bary, Morphologie und Biologie der Pilze, Myxomyceten ete. 1834. — Sadebeck, Untersuchungen über die Pilzgattung Exoascus. Jahrbuch der wissenschaftlichen Anstalten zu Hamburg. 1884. — Der Streit, nicht über die Natur der Hefepilze, wohl aber über deren systematische Wertigkeit, ist in der oben genannten Literatur wieder einmal zu scharfem Ausdruck gekommen. In seinen „botani- schen Untersuchungen über Alkoholgärungspilze“ hatte bekanntlich vor länger als 10 Jahren schon Reess die Gruppe der echten Hefe- pilze unter dem Namen Saccharomyces zusammengefasst, von allen anderen Pilzformen abgeschieden und zu den Ascomyceten gestellt, für deren reduzierte Abkömmlinge sie auch bis in die neueste Zeit ohne irgendwie schwerer wiegenden Einspruch gehalten wurden. Es waren sowohl Entwicklungseigentümlichkeiten unserer Formen selbst, als auch entschiedene und deutliche Hinweise auf verwandte, bis in die jüngste Zeit für unbestrittene Schlauchpilze gehaltene, welche diese Stellung im System forderten, kurz lauter Momente, die, wie gleich hier gesagt werden mag, noch jetzt ihre volle Giltigkeit haben und in keiner Weise widerlegt oder abgewiesen sind. Vor allem war es die Art und Weise der Sporenbildung in den Hefezellen, den bei unseren Pilzen als Vegetations- und Vermehrungsorgan zugleich funk- tionierenden Zellengenerationen, welche völlig mit den analogen Vor- sängen der Aseomyeeten übereinstimmt und die einzelne Sprosszelle in diesem Zustande zum Ascus stempelt. Nicht minder wichtig aber erschien die Beziehung zu typischen, wenn auch niedrig organisierten Schlauchpilzen, von denen ich hier nur die Gattung Exoascus mit dem ihr unterzuordnenden Ascomyces nennen will. Mit einem dürftigen, septierten Myeelium, das in seinem Aeußern völlig „den Sprossver- bänden bei verhältnismäßig langgliedrigen Saccharomyces - Formen“ ent- spricht und auch, wie ich nach eignen Untersuchungen hinzufügen kann, bei einigen Arten seine Zweige ganz in der gleichen Weise durch Aussprossen anlegt, parasitieren sie in verschiedenen Teilen der von ihnen befallenen Pflanzen. Entweder alle oder bestimmte Zellen dieses Mycels wachsen, häufig noch unter Abgliederung einer Stiel- zelle, in längliche, zylindrische Schläuche aus. Nach Sadebeck können diese in jugendlichem Zustand unter Wasser zu mycelähn- lichen Fäden auswachsen und an ihrer Spitze Sprosszellen (Conidien) abgliedern. In ihrem Innern bilden sie normaler Weise unter Zurück- lassung einer bedeutenden Menge von „Epi“- oder „Periplasma“ durch freie Zellteilung meist 8 Sporen aus. Grade an diesen nun zeigt sich eine Eigentümlichkeit, die zwar nicht sowohl ihnen allein zukommt, aber durch das ähnliche Verhalten der Hefesporen und der analogen Fisch, Die systematische Selbständigkeit und Stellung der Hefepilze. 485 Mycelien an Bedeutung gewinnt. Schon innerhalb des Ascus fangen sie an in der reichlichsten Weise zu sprossen und füllen oft denselben mit einer feinen Hefe, die auf kosten des Epiplasmas ernährt wird, aus. In gleicher Weise thun dies auch die Hefesporen, allerdings mit dem Unterschied, dass die Mutterzelle dureh die Sprossung sehr bald gesprengt wird und die ferneren Hefengenerationen sich im freien vermehren. Wie hier kann man übrigens auch bei Esxoascus die Sprossung in sogenannten künstlichen Nährlösungen beliebig ver- längern und andauern lassen, ohne sonst irgend welche Veränderungen zu erzielen. Wie man sieht, sind unter der Voraussetzung, dass Exoascus und seine Verwandten Schlauchpilze darstellen, die Berührungspunkte zwischen ihnen und den Saccharomyceten so nabe, die Differenzen verhältnismäßig so gering oder von den verschiedenen Vegeta- tionsweisen bedingt, dass auch die letzteren notwendigerweise für Sehlauchpilze gehalten werden müssen. Diese Beziehungen werden nun aber noch enger geknüpft durch eine Form, welehe ich!) in jüngster Zeit zu beobachten Gelegenheit hatte. Schon Magnus hatte unter dem Namen Ascomyces einen Ascomyceten beschrieben, der auf Alnus- Blättern parasitierte und dessen Naturgeschichte, wie er sich aus- drückte, dadurch sehr merkwürdig war, dass seine Asei nicht einem gemeinsamen Hymenium entsprangen, sondern dass jeder einzelne ein Pflänzchen für sich sei. Wie schon früher Tulasne, so behaup- teten in neuester Zeit Brefeld und Sadebeck, dass dies nicht der Fall sei, und nach Magnus’ eignen Abbildungen scheint er allerdings mindestens zwei Formen konfundiert zu haben. Sadebeck wies in seiner eingangs zitierten Arbeit nach, dass ein zwischen Cutieula und Epidermiszellen der befallenen Erlenblätter sich ausbreitendes Mycel vorhanden sei, dessen einzelne Zellen je zu einem Ascus unter Ab- gliederung einer Stieizelle auswüchsen und das in den jungen Knospen überwintere. Aehnliches gibt Brefeld an. Indess scheint doch auch richtiges in den Angaben von Magnus enthalten zu sein, denn der Pilz, den ich auf demselben Substrat auffand und dessen voll- ständige Entwicklungsgeschichte ich verfolgt habe, entspricht, wenn auch nieht seinen Abbildungen, so doch seiner Beschreibung. Er er- zeugt, wie verwandte Formen, an den Blättern mittelgroße nach der Oberseite derselben vorgewölbte Pusteln, die auf der konkaven Fläche gelblich erscheinen (nicht zu verwechseln mit dem Exoaseus flavus von Sadebeck). Die genaue Untersuchung ergibt nun, dass in jeder Epidermiszelle, nicht zwischen ihr und der Cuti- cula, der Pilz in Gestalt einer den Umrissen der Epidermiszelle sich anpassenden Zelle sitzt und in späteren Stadien mit Durchbre- chung der obern Fläche der Wirtszelle zu einem zylindrischen Ascus 4) Eine ausführlichere Publikation wird an anderer Stelle erfolgen. 486 Fisch, Die systematische Selbständigkeit und Stellung der Hefepilze. sich verlängert, in dem 8 Sporen erzeugt werden, die sofort auf das lebhafteste zu sprossen anfangen. Wahrscheinlich entleert sich der ganze Inhalt durch Ausschleudern. Dabei erzeugt jede kleine Hefe- zelle, indem sie mittels eines feinen Keimschlauches in eine neue Epidermiszelle eindringt, den Pilz von neuem und, da die Sporen stets in großer Zahl zusammen entleert werden, kommt durch Infektion sehr zahlreicher nebeneinander liegender Zellen das fleckenförmige Aussehen des befallenen Blattteiles zu stande. Als allgemein in- teressantes Faktum mag hier erwähnt werden, dass ich, wie auch Sadebeck, bei der Sporenbildung schöne Kernteilungstadien fand, in einer Ausbildung, die vor kurzem auch von Strasburger be- schrieben wurde, worauf ich an einem andern Orte näher eingehen werde. Hatten wir also bei denjenigen Exoascus-Formen, die subeutieular ihr sprossendes Mycel ausbreiteten und jede Sprosszelle zu einem Ascus umbildeten, gewissermaßen Sprosssysteme von Sacharo- myces, in denen jede Zelle Sporen entwickelte, so stellt der neue Pilz, den ich, um Verwechslungen zu vermeiden, Ascomyces endogenus nenne, anderseits einzelne Hefezellen dar, die in jenes gleiche Ent- wicklungsstadium eintreten. Mit andern Worten, die früher schon einleuchtende Zusammengehörigkeit von Exoauscus und Sachuromyces ist damit bewiesen, das quantitative der Differenz zwischen beiden auf ein Minimum reduziert. In seinem oben genannten Werke hat de Bary dies ebenfalls ausgesprochen und beide Formen in einer Exoascus- Gruppe zusammengefasst. De Bary hat bei dieser Vereinigung die Frage offen gelassen, ob Exoascus zu den Schlauchpilzen zu stellen sei oder nicht. Er ging dabei von einer vergleichenden Uebersicht der bekannten Entwick- lungsvorgänge der höheren Ascomyceten aus. Bei vielen lässt sich die Bildung der Schläuche auf einen Geschlechtsakt, fast bei allen wenigstens auf ein besonderes, ein ascogenes Gewebe zurückführen. Von beiden ist bei Exoascus und Saccharomyces allerdings nichts vor- handen, aber auch höheren Ascomyceten fehlt beides, ieh erinnere nur an Chaetomium und Pleospora, wo aus beliebigen Zellen des die Fruchtanlage darstellenden Gewebekomplexes die Asci hervorsprossen. Unsere Formen sind allerdings sehr einfach gebaut; wir betrachten sie aber auch nicht als Anfänge einer Reihe, sondern als reduzierte Abkömmlinge einer solehen, und ich glaube in der verhältnismäßig überaus reichlichen Fruchtbildung hierfür einen Beweis zu sehen, ohne dass ich dabei auf die äußerst interessanten Auseinander- setzungen de Bary’s über reduzierte Formen eingehen will. Ein nicht zu unterschätzendes Moment liegt noch für die Auffassung un- serer Pilze als Ascomyeeten in der Sporenbildung, die sowohl bei Exoascus als bei Saccharomyces, wie auch Reess in seiner neuesten Mitteilung mit Recht betont, stets an einen Ascus, nie an ein Mucor- Fisch, Die systematische Selbständigkeit und Stellung der Hefepilze. 497 oder anderes Sporangium erinnert. — Wir sehen also, dass auch von dieser Seite sich nichts wesentliches gegen unsere Auffassung vorbringen lässt. Für Brefeld, der der Hauptgegner dieser Ascustheorie ist, gibt es vor allem zwei Gründe zu ihrer Bekämpfung. Der eine und grade jetzt in den Vordergrund tretende ist hergenommen von seinen neueren Ustilagineenuntersuchungen. Bekanntlich ist es ihm da gelungen, durch Aussaaten in künstliche Nährlösungen an den von den Promy- celien abgeschnürten Sporidien typische und reichliche Hefesprossungen in ununterbrochener Reihenfolge zu erhalten. Die Thatsache an und für sich ist sehr interessant, wie von allen Seiten anerkannt ist. Fol- gerungen, wie Brefeld sie zieht, sind aber entschieden unberechtigt. Nach ihm ist damit nicht allein das Unmögliche der Stellung der Saceharomyceten bei den Schlauchpilzen nachgewiesen, auch ihre systematische Selbständigkeit haben sie gleichzeitig eingebüßt. Sie sind nach ihm Conidienvegetationen beliebiger Pilze, die im einzelnen Falle nieht einmal einheitlich zu sein brauchen, sie sind analog den Sprossungen, wie wir sie bei den verschiedensten Formenkreisen — Ustilagineen, Ascomyceten, Exobasidium und anderen Hymenomy- ceten — kennen. Richtig dürfte bei seiner Argumentation nur das eine sein, dass für ihre Charakterisierung die Fähigkeit Alkohol- särung zu erregen, die übrigens nach meinen Versuchen der Usti- lagineenhefe, nach Sadebeck derjenigen von Exoascus auch zukommt, nicht in die Wage falle. Betrachten wir aber die einzelnen Momente, die Brefeld ins Gefecht führt, genauer, so erweist sich nicht ein einziges als stichhaltig. Eben weil die Hefesprossung bei den ver- schiedensten Pilzformen und bei ihnen wieder an den morphologisch differentesten Organen auftritt und in derselben Weise auftritt, ist sie im einzelnen Fall am allerwenigsten von irgend welcher zwingenden Bedeutung. Wir müssen uns daran genügen lassen sie zu konsta- tieren, und erst sekundäre Momente dürfen mit Vorsicht zu einer Ver- gleichung benutzt werden. Wenn Brefeld dieselben in der Form der Sporenbildung und in der Heranziehung von Exoaseus nicht ge- geben sieht, so ist daran der zweite prinzipielle Differenzpunkt schuld, seine ganze Auffassung der phylogenetischen Entwickelung der ver- schiedenen Pilzfruktifikationen und des ganzen Pilzsystems. Im Ge- gensatz zu der gewöhnlichen und naturgemäßen Anschauung, die das Sporangium im allgemeinen als Sporangium, die Conidie als Conidie nimmt und die Pilze aus niedrig organisierten mit sexueller Differen- zierung zu den höheren und höchsten, den Hutpilzen sich entwickeln lässt, bei denen normal nur eine Vermehrung dureh Conidienfruktifi- kation stattfindet, fasst Brefeld das Sporangium als Urtypus jeder Pilzfrucht auf. Er lässt, mit Anlehnung an manche Erschei- nungen, wie sie bei höheren Algen sich finden, für die primären Pilze, diejenigen, welche das Pilzreich phylogenetisch begründet haben, 488 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. dreierlei Sporangien auftreten, männliche, weibliche und neutrale, die dann in den verschiedensten Kombinationen im Verlaufe der phylo- genetischen Entwicklung sich ausgestochen haben, bis nur einerlei Sporangiumform überblieb, die neutrale, die ihrerseits wieder eine Reduktion zur einfachen Conidie erfuhr. So baut sich bei den Asco- myceten das fruktifizierende System aus Spermogonien, den männ- lichen, Ascusfrüchten, den weiblichen, und Conidienfruktifikationen, den neutralen Sporangien, auf. Da natürlich Einzelheiten viel zu weit führen würden, muss ich mich auf diese Andeutungen beschränken. Man sieht jedenfalls daraus schon, dass es dem Verf. leichter ist, so den Hefeascus der Conidie von Phytophthora, die Hefezelle derjenigen einer nicht zoosporiparen Peronospora zu vergleichen, als mit den komplizierteren Verhältnissen der Schlauchpilze. Dass dabei aber ganz einseitig einem künstlichen System zu liebe verfahren wird, handgreiflich gegebene Beziehungen aber entweder ganz vernachlässigt oder in ungenügender Weise berücksichtigt werden, ist ebenso klar. Wie übrigens im Grunde genommen Brefeld’s ganze Anschauung nur vor unnötigem Beiwerk und absichtlich kompliziert gestalteten Verwickelungen trotzdem auf eine gleiche Grundanschauung zurück- kommt, wie unsere oben skizzierte, hat de Bary in seinem neuen Werke auf das schlagendste an die Hand gegoben. Nach alledem können wir einerseits mit der vollsten Berechtigung wie bisher an der Selbständigkeit der Hefepilze und ihrer Verwandt- schaft mit Exoascus festhalten, anderseits auch ihre Stelle im System bei den Schlauchpilzen lassen, solange nicht für Exoaseus, was unwahrscheinlich ist, anderes nachgewiesen wird. 6. Fisch (Erlangen). Nägeli, C. v., Mechanisch-physiologische Theorie der Ab- stammungslehre. Mit einem Anhang: 1) Die Schranken der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, 2) Kräfte und Gestaltungen im molekularen Gebiet. München u. Leipzig. Oldenbourg 1884. gr. 8°. 53 Bogen u 822 Seit. (14 Mark.) I: Die einleitenden Worte Nägeli’s rufen wohl bei manchem die Erinnerung wach an die Naturforscherversammlung zu München im Jahre 1877, und an ihren glänzenden Verlauf. Für die allgemeinen Sitzungen war die Erörterung der Descendenzlehre von dem Organi- sationskomitee geplant worden. Es ist bekannt, wie die Reden Häk- kels, Nägelis und Virchow’s weit über die Grenzen des Fest- saales Interesse und Anregung himausgetragen haben. Die Theorie der Abstammungslehre verdankt ihre Entstehung indirekt ebenfalls Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 49) jener Versammlung. Damals hatte Nägeli die Schranken der natur- wissenschaftlichen Erkenntnis erörtert, und dieses Thema von einem andern, verschiedenen Gesichtspunkte aus betrachtet, als dies einige Jahre früher von du Bois-Reymond geschehen war. Es ist be- kannt, wie er dem „Ignoramus und Ignorabimus“ mit Zuver- sicht die Parole entgegensetzte: „Wir wissen und wir werden wissen.“ Was nun in jenem Vortrag nur angedeutet werden konnte, liegt jetzt in erweiterter Ausführung und Begründung vor uns: das Schlussergebnis eines arbeitsreichen Lebens; das Resultat prüfender Ueberlegung, welche die weittragendsten Probleme mit ruhiger, ge- wissenhaftester Sorgfalt ins Auge fasst und sie unbekümmert um herrschende Strömungen zu lösen sucht. Das für sich allein muss schon Veranlassung geben, dieser Auseinandersetzung gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Allein es kommt noch mehr hinzu, was Beachtung verdient. Die Erörterung über die Schranken der naturwissenschaftlichen Erkenntnis hat, gleichsam als Folie, zwei weitere Abhandlungen neben sich. Die erste ist es, welche dem ganzen Werk die Signatur gegeben hat. Sie trägt den Titel: Me- chaniseh-physiologische Theorie der Abstammungslehre. Sie allein umfasst 35 Bogen. Den Schluss bildet ein Abschnitt über Kräfte und Gestaltungen im molekularen Gebiet. Das Werk erschien im Beginn dieses Jahres, und es ist selbst- verständlich, dass es schon längst durch kritisierende Federn ange- kündigt wurde. Wer viel Kritik wünscht, der wird in den bekannten periodischen Blättern soviel davon finden, als er begehrt. Bei aller Anerkennung, welche dabei den thatsächlichen Erörterungen des scharfsinnigen Naturforschers zu teil wird, hat man sich doch, wie dies im Wesen der Kritik liegt, gegen die meisten Deutungen ab- lehnend verhalten. Der ganzen Tendenz dieses Blattes liegt es näher, einiges aus dem inhaltsreichen Buche wiederzugeben, um daraus zu erfahren, wie die mechanisch- physiologische Theorie denn lautet, und wie sich der Autor die Kräfte im molekulären Gebiete vorstellt. Was er über die Schranken der naturwissenschaftlichen Erkenntnis denkt, setzen wir als bekannt voraus. Die erste Abhandlung hat nicht den Zweck, die Abstammungs- lehre mit Rücksicht auf ihren sichern thatsächlichen Inhalt zu be- sprechen, sondern sie will untersuchen, in wie weit der Inhalt durch mechanisch -physiologische Prinzipien sich stützen lässt. Da aber die Mechanik des Organischen fast ausschließlich auf molekular-physio- logischem Gebiete sich bewegt, so muss sie, soweit es möglich ist, die Erscheinungen auf dieses Gebiet zurückführen. Nägeli stellt sofort den bedeutungsvollen Satz hin, die Abstammungslehre ruhe auf dem allgemeinsten mechanischen Prinzip, auf dem Kausalgesetz oder dem Gesetz der Erhaltung von Kraft und Stoff. Damit ist das Ziel angegeben, das erreicht werden muss, sollen sich die Rätsel all- 490 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. mählich lösen lassen. An dieses oberste Prinzip, dem die Natur un- terthan ist, reiht sich die Erwägung, dass das zusammengesetzt Or- ganisierte nur aus dem einfacher Organisierten hervorgehen kann, und dass nur die allereinfachsten Organismen sich unmittelbar aus dem Unorganischen zu gestalten vermochten. Alle übrigen müssen in allmählicher Stufenfolge aus ihnen sich entwickeln. Darwin hat als mechanisches Prinzip für die Weiterentwieklung die natürliche Zuchtwahl zu Hilfe genommen. Diese setzt aber wie jede Theorie über die Entwicklung notwendig die individuelle Veränderung voraus. Nägeli betont nun: die letztere allein vermöge schon kompliziertern Bau, eine Progression, zu erzeugen. Jeder Organismus, aus einem weniger zusammengesetzten entstanden, erzeuge selbst einen mehr zusammengesetzten. In dieser Progression und in der An- passung liegen die mechanischen Momente für die Bil- dung des Formenreichtums, in der Konkurrenz mit Ver- drängung, oderin dem eigentlichen Darwinismus nur das mechanische Moment für die Bildung der Lücken in den beiden organischen Reichen. Der Konkurrenz wird also nur eine sehr untergeordnete Bedeutung zuerkannt, sie reißt ein, sie zer- stört, sie baut nicht auf. Daraus erwächst die Aufgabe, die Phasen der individuellen Veränderung zu studieren. Da es sich um Dinge handelt, die sich der unmittelbaren Beobachtung entziehen, so be- steht die Aufgabe der Wissenschaft darin, Hypothesen zu finden. Eine brauchbare Grundlage bildet die Thatsache, dass das Wesen der Organismen in der Beschaffenheit und Anordnung der kleinsten Teilchen derjenigen Substanz bestehe, welche die Vererbung bei der Fortpflanzung und die spezifische Entwicklung des Individuums be- dingen. Es handelt sich also darum, die in der organisierten lebenden Substanz befindlichen unsichtbaren Anlagen verstehen zu lernen, welche die sichtbaren Erscheinungen des entwickelten Zustandes bedingen. Dazu ist es unerläßlich, die Entstehung der organisierten lebenden Substanz aus den unorganischen Verbindungen klar zu legen und die Natur der organisierten Substanz als innere Ursache, dann aber auch den Einfluss der äußeren Bedingungen festzustellen. Lassen wir das Problem über die Entstehung der lebendigen Substanz aus den unorganischen Verbindungen vorerst bei Seite und verfolgen wir an der Hand des Werkes die beiden anderen. Eine der inneren Ursachen ruht in dem „Idioplasma“, dem Träger der erblichen Anlagen. In dem Hühnerei ist die Spezies ebenso vollständig erhalten als im Huhn, und das Hühnerei ist von dem Froschei ebensoweit verschieden als das Huhn vom Frosch. Enthielte das Hühnerei nicht das ganze Wesen der Spezies, so könnte aus demselben nicht immer mit der gleichen Bestimmtheit ein Hulın sich entwickeln. Aus dem Plasma des Keimes geht immer eine bestimmte und eigentümliche Entwieklungsbewegung hervor, die zu Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 491 einem Zellenkomplex führt: zu einer bestimmten Pflanze, zum be- stimmten Blatt, zur Wurzel u. 8. w. Der Träger dieser Bewegung ist das Idioplasma. Daneben findet sich aber noch anderes „Stereo- plasma“ in dem Keim vor. Jede wahrnehmbare Eigenschaft ist als Anlage in dem Idio- plasma vorhanden, es gibt also ebenso viele Arten desselben, als es Kombinationen von Eigenschaften gibt. Jedes Individuum ist aus einem etwas anders gearteten Idioplasma hervorgegangen, und in dem nämlichen Individuum verdankt jedes Organ und jeder Organ- theil seine Entstehung einem eigentümlichen Zustand dieser Substanz. Dureh dieselbe vererbt bei der Fortpflanzung der Organismus die Gesamtheit seiner Eigenschaften, und mit ihr werden in die Keim- zelle die Merkmale aller Vorfahren als Anlagen eingeschlossen. Aber die verschiedenen Anlagen haben rücksichtlich der Aussicht auf Ent- faltung eine sehr ungleiche Bedeutung. Während die einen stets und ausnahmslos zur Entwieklung gelangen, bleiben die anderen unter be- stimmten Verhältnissen unentwickelt. Beim Generationswechsel z. B. treten gewisse morphologische und physiologische Eigenschaften nur in bestimmten Generationen auf, während sie durch hundert folgende Generationen im Anlagezustand verharren. Es gibt Merkmale, die nur unter günstigen äußeren Verhältnissen sich verwirklichen und während der Zeit von Erdperioden latent bleiben, weil diese Einflüsse mangeln. Manche Anlagen befinden sich gegenseitig im Zustande der Korrelation oder der Ausschließung, so dass die Entfaltung der einen Anlage die der andern bald veranlasst, bald verhindert. Es gibt nieht nur fertige Anlagen, die jederzeit fähig sind sich zu entwickeln, sondern auch unfertige, entstehende und verschwindende. Eine An- lage kann durch eine Reihe von Generationen an Stärke abnehmen und zuletzt so schwach werden, dass sie sich nicht mehr zu entfalten vermag. Umgekehrt kann sie durch eine Reihe von Generationen an Stärke zunehmen und zuletzt so intensiv werden, dass sie entweder von selbst oder durch einen besondern Anstoß von außen in den manifesten Zustand übergeht. Zu den Ursachen, welche Anlagen von geringerer Stärke (noch im Entstehen oder schon im Verschwinden begriffene) zur Entwicklung veranlassen, gehört namentlich die Kreu- zung. Anlagen, die schon längere Zeit latent geblieben sind, kommen überhaupt leichter zur Entfaltung bei der Fortpflanzung durch Befruch- tung, wo zwei verschiedene individuelle ITdioplasmen, indem sie sich ver- mischen, den Keim bilden, als bei der ungeschleehtlichen Vermehrung. Nägeli erinnert an diese Thatsachen, um die unendliche Mannig- faltigkeit in der Beschaffenheit des Idioplasmas klar vor Augen zu legen. Diese Mannigfaltigkeit ist in winzigen Tröpfehen von Idio- plasma verwirklicht. An der Keimanlage selbst ist nicht die Masse, sondern nur die Beschaffenheit einer kleinen wirksamen Partie von Idioplasma das Entscheidende, denn die väterliche und mütterliche 499 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. Erbschaft ist ungefähr gleich groß, obgleich der Vater zur beiruch- teten Eizelle bloß den hundertsten oder tausendsten Teil beigetra- gen hat. Die Beschaffenheit des Idioplasmas wird durch seine molekulare Zusammensetzung bestimmt. Besonders muss die Zusammenordnung der kleinsten Teilchen mit den eigentümlichen Bewegungen und Kräften, die dadurch bedingt sind, maßgebend sein. Es ist ferner wahrscheinlich, dass einer reichern morphologischen Gliederung und größern Arbeitsteilung im entwickelten Zustande auch eine zusam- mengesetztere Anordnung der kleinsten Idioplasmateilchen, welche zu Scharen niederer und höherer Abteilungen zusammengestellt sind, entspricht, während die niedersten Organismen, die zeitlebens einfache Plasmatropfen bleiben, eines sehr wenig ausgebildeten, fast un- geordneten, oder vielmehr ganz einfach geordneten Idioplasmas be- dürfen. Dem Idioplasma steht die Summe der übrigen Plasmasubstanzen in dem Organismus gegenüber Es scheint dies der einfachste und natürlichste Weg, um die ungleichen Beziehungen der Plasmasubstanzen zu den erblichen Anlagen zu be- greifen, wie sie bei der geschlechtlichen Fortpflanzung deutlich werden. An die befruchtete und entwicklungsfähige Eizelle hat die Mutter hundert- oder tausendmal mehr Plasmasubstanzen, in denselben aber keinen größern Anteil an erblichen Eigenschaften geliefert als der Vater. Wenn das unbefruchtete Ei ganz aus Idioplasma bestände, so würde man nicht begreifen, warum es nicht entsprechend seiner Masse in dem Kinde wirksam wäre, warum dieses nicht immer in ganz überwiegendem Grade der Mutter ähnlich würde. Besteht die spezifische Eigentümlichkeit des Idioplasmas in der Anordnung und Beschaffenheit der Micelle, so lässt sich eine gleich große Erbschafts- übertragung nur denken, wenn in den bei der Befruchtung sich ver- einigenden Substanzen gleichviel Idioplasma enthalten ist. Der überwiegende Erbschaftsanteil, der bald von der Mutter, bald vom Vater herstammen soll, muss dadurch erklärt werden, dass bald in der unbefruchteten Eizelle, bald in den mit derselben sich vereinigen- den Spermatozoiden eine größere Menge von Idioplasma sich befindet. Bestehen die Spermatozoide bloß aus Idioplasma, so enthalten die nicht befruchteten Eizellen bis auf 999 Promille nicht idioplasma- tisches Stereoplasma. Das Idioplasma ist in den verschiedenen Abschnitten der Onto- genie thatsächlich nicht ganz gleich. Es erfährt ferner innerhalb des Individuums auch eine phylogenetische Umbildung. Aus einem Baume kann ausnahmsweise ein Zweig mit anderen Eigenschaften als die übrigen Zweige, mit anders gestalteten Blättern oder Blüten hervor- wachsen, wobei die äußeren Einflüsse selbstverständlich nicht in be- tracht kommen können. So werden die verschiedenen Eigenschaften des Idioplasmas er- Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 495 schlossen auf grund der physiologischen Erfahrungen über die Bio- logie der lebenden Wesen. Noch manche wichtige Seiten sind weiter ausgeführt, ehe der Verfasser daran geht, die mögliche Struktur des idioplastischen Systems weiter zu verfolgen. Vielleicht hat der Leser aus dem Obigen eine Vorstellung von jener Substanz gewonnen, die aus mikroskopisch unsichtbaren, aus einer größern oder kleinern Zahl von Molekeln bestehenden Kryställchen besteht, von denen jedes im imbibierten Zustande mit einer Wasserhülle umgeben ist. Es sind dies die Micellen. Jede derselben ist mit Rücksicht auf die bei ihrer Entstehung maßgebenden Ursachen eigentümlich gebaut. Diese mechanisch - physiologische Einheit wird nun bezüglich ihres Verhaltens in den verschiedenen Phasen des Organismus verfolgt. In den Krystal- loiden der Albuminate sind sie am regelmäßigsten angeordnet; in den Pflanzenzellenmembranen nach drei Dimensionen geordnet. Bei ge- schlechtsloser Vermehrung der Individuen behält das Idioplasma während einer-ganzen Reihe von Generationen so genau seine An- ordnung bis ins einzelne, dass selbst die allerleichtesten individuellen Eigentümlichkeiten, die sonst gar keinen Bestand haben, ohne die geringste Veränderung sich vererben. Viele wildwachsende Pflanzen sind seit der Eiszeit auf den verschiedensten Standorten so gleich geblieben, dass man sie nicht voneinander unterscheiden kann. Diese Erscheinung scheint keine andere Erklärung zuzulassen als die, dass das Idioplasma streng in parallelen Reihen von festem Zusammen- hang geordnet ist, welehe durch Einlagerung von Micellen wachsen. Das Konstantbleiben der Merkmale verlangt, dass die Micellreihen während des ontogenetischen Wachstums ihren strengen Parallelismus bewahren. Die Veränderung der Merkmale bei der phylogenetischen Entwicklung erfordert dagegen eine Vermehrung oder auch eine Um- bildung der Micellreihen, ohne welche eine neue Anlage nicht in das idioplasmatische System sich einordnen kann. Diese Umbildung ist nach verschiedenen Seiten hin weiter ausgeführt, einige Holzschnitte dienen dazu, das Verständnis zu erleichtern. Obgleich sich durchaus nichts positives über die Konfiguration des idioplasmatischen Systems sagen lässt, nichts darüber, welche Micellanordnungen den einzelnen Anlagen in einem Organismus ent- sprechen, so lässt sich doch ausdenken, wie die Anordnung in ver- schiedenen Beziehungen nicht sein kann. So ist es nieht möglich, dass jede Kombination von Merkmalen durch eine besondere Micell- gruppe selbständig vertreten sei. Es gibt, um ein Beispiel anzu- führen, Zellen von jeder Form und Größe, mit dieker und dünner, geschichteter und ungeschichteter, weicher und fester Membran, mit Spiralfasern oder poröser Verdiekung (Tüpfeln), oder ohne das eine und andere, mit oder ohne Chlorophyll, mit oder ohne Fetttropfen, Stärkekörnern, Krystallen von oxalsaurem Kalk, die wieder in ver- schiedenen Formen auftreten können u. 8. w. — Die Zellen gestatten 494 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. eine fast unendliche Zahl von Kombinationen rücksichtlich ihrer Zu- sammensetzung aus Teilen. Diese Kombinationen sind zwar in dem einzelnen Individuum nur in begrenzter Zahl vorhanden; allein in jeder folgenden Generation fallen dieselben wieder etwas anders aus, und es wiederholt sich wohl niemals ganz die nämliche Kombination der Teile in einem Organ, auch nicht einmal in einer Zelle. Es ist also gradezu unmöglich, dass das Idioplasma alle denkbaren Kom- binationen gleichsam auf Lager halte; dazu hätte der Querschnitt seiner Stränge nicht Raum genug; es werden vielmehr die Kombina- tionen jeweilen offenbar aus den Elementen zusammengesetzt. So muss man sich vorstellen, dass das Idioplasma die Anlagen für ver- schiedene Organe in ähnlicher Weise zur Entfaltung bringe, wie der Klavierspieler auf seinem Instrument die aufeinander folgenden Har- monien und Disharmonien eines Musikstückes zum Ausdruck bringt. Derselbe sehlägt für jedes a und jeden andern Ton immer wieder die nämlichen Saiten an. So sind die im Idioplasma nebeneinander lie- genden Gruppen von Micellreihen gleichsam Saiten, von denen jede eine andere elementare Erscheinung darstellt. Wird während der ontogenetischen Entwicklung in irgend einer Zelle Chlorophyll ge- bildet, so setzt das dort befindliche Idioplasma die entsprechenden Micellarreihen in Thätigkeit. Nägeli denkt sich also die Merkmale, Organe, Einriehtungen, Funktionen, die alle uns nur in sehr zusam- mengesetzter Form wahrnehmbar sind, im Idioplasma in ihre wirk- lichen Elemente zerlegt. Das Idioplasma bringt dann die spezifische Erscheinung, wie sie jedem Organismus eigentümlich ist, durch die erforderliche Zusammensetzung jener Elemente zu stande. Wenn Nägeli dabei beispielsweise die Bildung des Chlorophylis u. s. w. als Elemente anführte, so ist dies nur geschehen, um an verständliche Erscheinungen anzuknüpfen. Er ist sich wohl bewusst, dass die sinn- lichen Wahrnehmungen nicht das wirkliche Wesen der Dingeuns berichten. Man darf sich nun keineswegs vorstellen, dass alle molekularen Vorgänge in dem Organismus auch von dem Idioplasma besonders angeregt werden. In vielen Fällen wird sich dieses darauf beschränken, einzelne derselben in Gang zu setzen, worauf dann eine ganze Reihe notwendig daraus hervorgehender Prozesse die Folge sein kann. Nur wenn erbliche Verschiedenheiten irgend welcher Art, mögen sie auch noch so geringfügig sein, auftreten, ist es sicher, dass dieselben in der Konfiguration des Idioplasmas vorgebildet waren. Wenn man in dieser Weise die Eigenschaften und die Zusammen- setzung eines Keimes auffasst, dann werden neue Kombinationen aus dem Innern des Idioplasmas denkbar, ohne dass die natürliche Zucht- wahl im Kampf ums Dasein eingreift. Der ewige, nie ruhende Kampf erscheint selbst in seinen verborgensten Phasen mehr als eine zu- fällige Begleitung des bewegten Plasmas, keinesfalls der Erreger des- selben zur Bildung neuer Formen. Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 495 Die Hypothese von der Existenz eines aus Micellen bestehenden Idioplasmas enthält so gleichzeitig eine Hypothese über die materielle Natur der erblichen Anlagen, welche in der physikalischen und che- mischen Beschaffenheit der Albuminate begründet sein müssen. Damit ist der Verfasser an dem Punkte angekommen, wo die Kritik zweier Versuche sich ihm aufdrängt, welche in neuerer Zeit gemacht wurden, um sich die erblichen Anlagen materiell vorstellbar zu machen. Auch hier bleibt die Beurteilung dieser Theorien auf einer bedeutenden Höhe. Ich entnehme daraus nur einen Satz, der wohl in nicht allzu ferner Zeit in das Bereich der Diskussion gezogen werden wird: „die Zellen sind nicht die Einheiten der organisierten Natur.“ — Um einen Begriff von der Menge der Plasmateilchen zu geben, die ein Monei, also eine Zelle im physiologischen Sinne zusammensetzt, wird her- vorgehoben, dass ein großes Individuum von 0,6 mm Durchmesser, wenn die Trockensubstanz bloß zu 10°, angesetzt wird, über 5000 Bil- lionen Eiweißmoleküle der jetzigen Chemie (zu 72 C angenommen) und also jedenfalls über 100 Billionen Micelle enthält. Bei den aller- kleinsten Moneren beläuft sich die Zahl der Micelle in die Millionen !! Nachdem das Prinzip der Zuchtwahl als unzulänglich und über- flüssig erklärt wird, muss der Verfasser andere Ursachen nachweisen, welche die Varietätenbildung bedingen. Nach der zumeist verbreiteten Annahme spielen bald die äußeren Einflüsse des Klimas und der Nahrung, bald innere Dispositionen und Anstöße die bewegenden Faktoren. In erster Linie ist aber hervorzuheben, dass es zweierlei Arten der Veränderung gibt, deren stete Vermengung die vielfachen unrichtigen Urteile veranlasst. Die eine ist vorübergehend und währt nur so lange, als die Ursache anhält; die andere ist dauernd und bleibt, nachdem die Ursache aufgehört zu wirken. Nur die letz- tere ist der Vererbung fähig und kommt bei der Abstammung in betracht. Die äußeren klimatischen und Nahrungseinflüsse bewirken als unmittelbare Folge nur vorübergehende Veränderungen. Reichliche Nahrung kann fett machen, Nahrungsentziehung führt die frühere Magerkeit wieder herbei; ein warmer Sommer macht eine Pflanze aromatischer oder ihre Früchte süßer, ein darauf folgendes kaltes Jahr bringt Blätter mit weniger Geruch oder saure Früchte hervor. Von zwei ganz gleichen Samen erzeugt der eine auf gedüngtem Hu- musboden einen großen, stark verzweigten, vielblütigen Stock mit ansehnlichen Blättern, der andere auf Sandboden einen kurzen, un- verzweigten, einblütigen Stengel mit kleinen Blättern; die Samen aber der einen oder andern Pflanze verhalten sich ganz gleich; sie haben von der Ungleichheit ihrer Eltern gar nichts geerbt. Die äußeren Ursachen vermögen die Eigenschaften, welche sie in dieser Weise unmittelbar hervorbringen, auch nicht dauernd zu machen, wenn sie durch noch so viele Generationen eingewirkt haben. Alpen- pflanzen, von denen man annehmen muss, dass sie von jeher (we- 496 Nägeli, Mechaniseh-physiologische Theorie der Abstammungslehre. nigstens seit der Eiszeit) unter den nämlichen Verhältnissen gelebt und die charakteristischen Eigenschaften der Hochgebirgspflanzen besessen haben, verlieren diese Eigenschaften bei der Verpflanzung in die Ebene vollständig schon im ersten Sommer, wobei es gleich- siltig ist, ob man sie aus Samen oder ausgegrabenen Stöcken erzieht. Diese vorübergehenden Eigenschaften bilden die Merkmale der Stand- ortsmodifikationen. Sie sind den Veränderungen vergleichbar, welche elastische Körper innerhalb der Elastizitätsgrenze erleiden; wenn die Spannungen noch so oft sich wiederholen oder noch so lange andauern, lassen sie den Körper schließlich doch unverändert. So verhält es sich mit allen Eigenschaften, welche man den äußeren Ur- sachen zuschreibt. Wenn man in dieser Beziehung eine Entdeckung gemacht zu haben glaubt, so kann man sicher sein, in anderen Fällen das Gegenteil zu finden. Die Pflanzengeographen schildern zwar die Physiognomien der verschiedenen Vegetationsgebiete. Aber das Auf- fällige und Unterscheidende besteht nicht etwa in übereinstimmenden Merkmalen der Gewächse, sondern in dem zufälligen Vorhandensein von großen baumartigen und massenhaft vertretenen kleineren Pflanzen. Der Charakter einer Vegetation wird nicht dadurch bedingt, dass die äußeren Verhältnisse den Pflanzen (abgesehen von den Standortsmo- difikationen) einen besondern Charakter aufprägten, sondern dadurch, dass die Vegetation von bestimmten vorweltlichen Floren abstammt, und ferner dadurch, dass die Konkurrenz nur bestimmten Pflanzen und zwar solehen von sehr verschiedenem Gepräge ein genau be- messenes Vorkommen gestattet. Alle uns aus Erfahrung bekannten bedeutenden Veränderungen, welche die äußeren Einflüsse auf die Or- ganismen ausüben, treten sogleich in ihrer ganzen Stärke auf; sie dauern ferner nur so lange, als die Einwirkung währt, und gehen schließlich ganz verloren, indem sie nichts bleibendes hinterlassen. „Dies ist selbst dann der Fall, wenn die äußeren Verhältnisse seit der Eiszeit ununterbrochen in gleichem Sinne thätig waren. Von irgend einer erblichen Eigenschaft oder von irgend einer Sippe (Rasse, Va- rietät, Spezies), welche den Ernährungsursachen ihr Entstehen ver- dankten, wissen wir nichts. Wie ohnmächtig die Ernährung, der wirk- samste unter den äußeren Einflüssen, gegenüber den inneren Ursachen ist, ergibt sich am überzeugendsten aus den Erscheinungen bei der Fortpflanzung. Bei den Menschen erben die Kinder im allgemeinen gleichviel vom Vater wie von der Mutter. Nach den uns zugäng- lichen Merkmalen zu schließen, scheinen sie bald von der einen, bald von der andern Seite mehr empfangen zu haben, und sie gleichen in jedem einzelnen Merkmal bald dem Vater, bald der Mutter. Da aber viele Eigenschaften latent bleiben und die wesentliche Erbschaft in der Beschaffenheit des Idioplasmas beruht, so ist eine ziemlich gleiche Beteiligung von väterlicher und mütterlicher Seite im höchsten Grade wahrscheinlich. Bei einem Kinde, das sowohl in der Jugend als im Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 497 Alter ganz besonders dem Vater ähnlich ist, und das von der Mutter nur wenig bekommen zu haben scheint, wird das väterliche Erbe dem mütterlichen mindestens gleich groß, wenn nicht überlegen angesehen werden müssen. An die Substanz aber, aus welcher dieses Kind bei der Geburt oder, wenn es von der Mutter gestillt wird, einige Zeit nach der Geburt besteht, hat der Vater nur etwa den hundertbillionsten Teil, die Mutter alles übrige geliefert. Es ist daher für die eigen- artige Entwicklung vollkommen gleichgiltig, woher das Eiweiß, durch welches das Kind wächst, stamme, ob von der Mutter, ob von der Amme. Wir begreifen daher auch, warum die verschiedenartige Er- nährung keinen Einfluss auf die individuelle Veränderung und die Sippenbildung ausübt, warum das Pfropfreis auf seiner Unterlage fast immer unverändert bleibt, und warum der Schmarotzer nichts von seinem Ernährer annimmt.“ Ich habe diese letzten Ausführungen teil- weise wiedergegeben, weil ich sie für richtig halte. Meine persön- liche Erfahrung über die Entstehung der Unterarten und Varietäten des Menschengeschlechts hat mir seit langer Zeit die Ueberzeu- gung aufgedrängt, dass Klima und Nahrung seit der Eisperiode machtlos sind. Sie haben keine Aenderungen an den rassenanatomi- schen Merkmalen hervorgebracht. Was immer als Beweis dafür auf- gefunden wird, stellt sich bei genauerer Betrachtung als irrig voraus. Wie aus dem Vorstehenden sich ergibt, sind es die inneren Ur- sachen, welche die stete Veränderung des Idioplasmas und zwar im Sinne einer mannigfaltigeren Gliederung bedingen. Diese inneren Ursachen sind nichts anderes als die der Substanz anhaftenden Mole- kularkräfte. Diese inneren Ursachen, die schon oft als unlogisch missachtet und verspottet wurden, beruhen auf jenen unscheinbaren, aber unwiderstehlichen Wirkungen der kleinsten Teilchen, welche in so sichtbarer und fühlbarer Weise die Welt regieren. Die wachsende organische Substanz, in der fortwährend die veränderte Wirkung zur Ursache einer neuen Wirkung wird, stellt also nicht bloß ein Per- petuum mobile dar, insofern der Substanz ohne Ende Kraft und Stoff von außen geboten wird, sondern auch durch innere Ursachen ein Perpetuum variabile. Doch die Außenwelt hat ihren Einfluss auf den Organismus, das ist unbestreitbar, und Nägeli ist weit davon entfernt, ihre Einwir- kung und die dadurch bedingten Reize verkennen zu wollen. Die Wirkung der äußeren Einflüsse, welche erbliche Veränderungen her- vorbringen; die Reize und ihre Folge, die Reizbarkeit; ihre Wirkung für sichtbare Anpassungen; Zusammenwirkung der inneren und der äußeren verändernden Einflüsse; die Schwerkraft; das Licht: alle werden voll Scharfsinn erörtert, und es ist in hohem Grade lehrreich, der Darstellung zu folgen. Die Kenntnis von der Wirkung dieser Einflüsse liegt noch in den allerersten Anfängen, und es dürfte noch verfrüht sein, mit dem bis jetzt gewonnenen Standpunkt die Dar- 32 498 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. win’schen Gedanken von der natürlichen Zuchtwahl schon für völlig überholt anzusehen. Die Wirkung der Außenwelt soll nicht auf dem Umwege der Konkurrenz und Verdrängung geschehen, sondern als „unmittelbares Bewirken“ verstanden werden. Verdrängung und Son- derung der Stämme würde erst nachträglich in betracht kommen. Es ist im Gebiete jeder Forschung die erste Aufgabe, die Er- scheinungen nach Ursache und Wirkung scharf zu sondern, dies thut der Verfasser wie kaum ein anderer, der über diese schwierigste aller Fragen geschrieben. Ich denke, kein tiefer blickender Anhänger der Selektionstheorie wird das „unmittelbare Bewirken“ in Abrede stellen wollen. Dadurch dass der Reiz der äußeren Einflüsse und das darauffolgende Bewirken in den Vordergrund gestellt werden, greift Nägeli, und ich betrachte dies als kein geringes Verdienst, eine Etappe weiter zurück, um eine Erklärung für die Entstehung neuer Thier- und Pflanzenformen aufzufinden. Allein die Konkurrenz und Verdrängung bleiben dennoch, und wie oft sie lediglich als Folge, wie oft sie aber auch als Ursache erscheinen, ist noch nicht zu ent- scheiden. Wie dem Kampf ums Dasein eine vom Darwin’schen Sinn gänz- lich verschiedene sekundäre Rolle zugeteilt wird, so wird auch die Anpassung in anderer Weise aufgefasst. Darwin betrachtete alle Organisation als Anpassung. Von den zufällig eintretenden Abän- derungen bleiben nur die unter den bestehenden Verhältnissen existenz- fähigeren erhalten, indess die anderen unterdrückt werden. Die äußeren Einflüsse hätten nach dieser Theorie bloß eine negative oder passive Wirksamkeit, nämlich die, das Unpassende zu beseitigen. Nach Nä- geli’s Ansicht bringen sie in aktiver Weise direkt diejenigen Erschei- nungen zu stande, die man als eigentliche Anpassungen bezeichnen kann, indem sie mechanisch in den Organismus eingreifen. Auch hier glaube ich Darwin und die Anhänger seiner Ideen in Schutz nehmen zu müssen. Denn man darf mit Zuversicht behaupten, dass die äußeren Einflüsse niemals so ganz einseitig aufgefasst wurden, wie Nägeli annimmt. Dagegen erkenne ich gerne an, dass er, und mit Recht, die aktiven Eingriffe in den Vordergrund gerückt, und stärker als bisher geschah, betont hat. Man wird diese That von allen Seiten als eine bemerkenswerte Bereicherung unserer Vorstellungen auffassen. Aber die Art und Weise, wie dieses Eingreifen geschieht, bleibt uns noch verborgen. Da nämlich alle Anpassungserscheinungen erb- lieh sind und aus Anlagen hervorgehen, so muss zunächst die Ein- wirkung auf die micellare Beschaffenheit des Idioplasmas stattfinden. Nachdem aber alle Vorstellung über den Mechanismus plasmatischer Substanzen noch mangelt, so lassen sich nur ganz allgemeine Mög- lichkeiten und Wahrscheinlichkeiten darthun. Trotz dieses Umstandes ist die Erwägung dieser möglichen und wahrscheinlichen Vorgänge in hohem Grade fesselnd, und wir werden Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 499 in einer Fortsetzung des Referates grade diesem Abschnitt noch eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Haben doch grade daran Phy- siologie und Pathologie ein ganz hervorragendes Interesse, und grade Nägeli ist einer jener scharfsinnigen Geister, welche die ver- wickeltsten Vorgänge mit lichtvollen Gedanken zu durehdringen im stande sind. Er besitzt die Kunst des Schließens, und man weiß, dass diese wie keine andere abhängig ist von wissenschaftlichen Kenntnissen. J. Koilmann (Basel). Das Gehirn der Knochenfische. Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für Heilkunde zu Berlin am 20. Juni 1884. Von H. Rabl-Rückhard. Die vergleichende Hirnanatomie liegt zwar scheinbar fern ab von den brennenden Tagesfragen der praktischen Heilkunde, allein die Probleme, deren Lösung sie verfolgt, gehören zu den wichtigsten der Biologie. Die wunderbar verwickelten Bahnen der Nerven, ihre Ver- knüpfungen untereinander und mit den Nervenkernen setzen der For- schung an dem Zentralnervensystem der höheren Wirbeltiere oft un- überwindliche Schwierigkeiten entgegen, denen selbst die außerordent- lich verfeinerte Technik der lückenlosen Schnittserien nicht gewachsen ist. — Man muss nach anderen Wegen der Forschung suchen, und unter diesen steht obenan die vergleichend-anatomische Betrachtung und die Entwickelungsgeschichte. Wenn wir in der Tierreihe hinabsteigen, stoßen wir auf immer einfachere Formen des Zentralnervensystems. Immer mehr nähert sich der Bau desselben gewissen Bildungen, wie sie das embryonale Ge- hirn der höheren Wirbeltiere auf irgend einer Entwickelungsstufe darbietet, die Gliederung in die 3 bezw. 5 Hirnbläschen tritt immer durchsichtiger zu tage, und damit vereinfachen sich die Beziehungen der einzelnen Teile und erleichtern ein Verständnis derselben. Dabei findet man aber nicht etwa, je niedere Gesamtformen man vor sich hat, alle Abschnitte des Organs in gleicher Weise reduziert und vereinfacht. — Im Gegenteil! Bestimmte Gebiete des Gehirns erreichen bei niederen Wirbeltieren eine relativ und absolut bedeu- tendere Entwickelung, als derselbe Teil bei höher organisierten We- sen. — So sehen wir z. B. das Kleinhirn bei Amphibien und Repti- lien im allgemeinen sehr, und bei einzelnen im besondern so reduziert, dass es nur eine einfache dünne Lamelle oder Leiste bildet, die über dem Eingang in den vierten Ventrikel gelegen ist. So z. B. beim Frosch, der Eidechse, dem Chamäleon. Im Gegensatz dazu finden wir bei den Fischen, in Sonderheit bei den Knorpelfischen, eine viel mächtigere Entwickelung dieses Hirnteils. Bei letzteren kann es zu einem ahnsehnlichen Organ mit faltiger Oberfläche sich entwickeln, 32 * 500 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. das die benachbarten Hirngebiete teilweise bedeckt und überragt. Ja einzelne Teile desselben können wiederum eine ganz enorme Ent- wickelung nehmen, so dass sie den Eindruck selbständiger Hirnab- schnitte machen. Dahin gehört z. B. die Valvula cerebelli anterior: Dieses Gebilde, beim Menschen eine dünne Markplatte von nur 0,2— 0,4 mm Mächtigkeit, bildet bei den Knochenfischen eine mehrfach ge- faltete Duplikatur, und schiebt sich tief unter den zunächst davor ge- legenen Abschnitt, die Zweihügelgegend, deren Hohlraum zum Teil illkenl Ich könnte diesem Beispiel noch andere hinzufügen, wenn das- selbe nicht schon für den Beweis des Satzes genügte, dass die rela- tive Entwickelung einzelner Hirnteile unabhängig von der Stellung der betreffenden Tierart in der Stufenreihe der Lebewesen ist. Da wir nun aber mit Fug und Recht aus der stärkeren Ausbil- dung eines Hirnabschnittes im allgemeinen auf die Größe der Aufgabe schließen dürfen, die ihm in der Gesamtleistung des Organs zukommt, so gewinnen wir in der vergleichenden Betrachtung und unter Berück- sichtigung des Gesamtkörperbaues des Tieres ein Mittel, um uns über die Funktion dieses Hirnabschnittes selbst Sicherheit zu verschaffen. Anderseits aber eröffnet uns die feinere Untersuchung der so ver- einfachten Verhältnisse am Hirn niederer Wirbeltiere, wo ganze Ge- biete gewissermaßen eliminiert erscheinen, neue Einblicke in seine Zusammensetzung, in die Art, wie hier die Bahnen verknüpft und verschlungen sind. Darin also liegt die Bedeutung dieses Eee der erst von wenigen betreten ist, aber bestimmt scheint, Licht auf manche dunkeln Beziehungen im Bau des Gehirns der höchsten Lebewesen und damit auch des Menschen, zu werfen. Von diesem Gesichtspunkte aus muss man die Arbeit des vergleichenden Anatomen beurteilen. Hat schon die Ergründung jeder wissenschaftlichen Thatsache an sich ihren Wert, weil sie ein Schritt weiter ist zur Erkenntnis der Wahr- heit, ohne Rücksicht auf den augenblicklichen praktischen Nutzen, so lässt sich hier der Erfolg für spätere Zeit noch gar nicht absehen. Eine scheinbar unvermittelt dastehende unbedeutende Thatsache kann, sobald nur erst das benachbarte Gebiet gewissermaßen topographisch abgesteckt und aufgenommen ist, plötzlich eine ungeahnte Bedeutung gewinnen. Und wie der vereinzelte Fund eines römischen Meilen- steins im tiefsten Waldesdunkel uns mit einem male den verlorenen Zug der alten Römerstraße erschließt, so kann eine einzige Beobach- tung der vergleichenden Hirnanatomie uns Ausblicke eröffnen, deren ferne Grenzen sich nicht ahnen lassen. Zum Aufbau dieses Forschungsbaues der Zukunft ist indess der Baugrund kaum geebnet. Noch ragen aus demselben die Trümmer veralteter, durch Jahrzehnte lange Duldung gewissermaßen geheiligter Anschauungen. Schon die vergleichend anatomische Deutung der Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 501 hauptsächlichsten Hirnabschnitte bei den verschiedenen Wirbeltier- klassen erweist sich als schwankend und streitig. Nirgends aber treten diese Gegensätze stärker zu tage, als am Gehirn der Fische, wo man doch grade erwarten sollte, dass die Verhältnisse am ein- fachsten sind und somit leicht verständlich sein müssen. Was hier dem einen als Riechlappen erscheint, ist für den andern Großhirn, die Vierhügelregion, das Gebiet des embryonalen Mittelhirns, wird teilweise als Zwischenhirn gedeutet, das Kleinhirn des einen heißt bei dem andern Mittelhirn; kurz, die Verwirrung und Subjektivität in der Auffassung und Deutung der einzelnen Hirnabsehnitte ist eine grenzenlose und beim ersten Anblick gradezu entmutigende. Und dabei kann man nicht einmal behaupten, dass dieses Gebiet, das noch Haller als einen Ager parum eultus bezeichnen konnte, in den letzten Jahrzehnten ein besonders vernachlässigtes war. Im Ge- genteill Grade hier arbeitete der später als Reisender bekannt ge- wordene Miclucho Maclay unter den Augen eines unserer größten deutschen vergleichenden Anatomen; grade hier wurde zuerst von einem sorgfältigen Forscher, Fritsch, die exakte Methode der lücken- losen Schnittserien herangezogen, um ganz zu schweigen von älteren Arbeiten, die den Namen eines Camper, Haller, Arsaky, Carus, Treviranus, Tiedemann, Cuvier, Gottsche, Joh. Müller, v. Bär, Stieda u.a. tragen. — Diese Namen, unter denen die ersten Anatomen der letzten hundert Jahre glänzen, beweisen aber schon an sich, welchen außerordentlichen Reiz der Bau des rätsel- haften Fischgehirns von jeher auf die Forscher ausübte. Haller leiht diesem Anteil Ausdruck in folgenden Worten: Est tamen etiam huie cerebro sua elegantia suaque peculiaris fabriea, neque unguam ceredo nos partium corporis animalis utilitatem recte perspecturos, nisi plenam habuerimus peculiaris in quaque specie fabricae enumerationem. Tune enim, quae in ea fabrica per plurimas species communia erunt, eadem erunt instrumenta functionis, quae iisdem speciebus animalium com- munis fuerit; et quae fabrica cuique speciei peculiaris erit, eam pro- habile fuerit, ad peculiares ejus speciei functiones pertinere. Ich habe mir daher zur Aufgabe gesetzt, Ihnen heute ein Bild vom Bau dieses Gehirns der Fische, insonderheit der Knochenfische, zu entwerfen, gewissermaßen ein Beispiel für die Art der Forschung auf diesem Gebiete und für die Ziele, die dabei verfolgt werden. — Denn die Methode ist es, die auch da unsern Anteil erregt, wo der Gegenstand der Forschung selbst uns fern liegt. — Anderseits hoffe ich aber, durch eine kurze, gewissermaßen populäre, d. h. auch dem Nichtanatomen verständliche Darstellung, weitere, namentlich experimentell physiologische Forschungen auf diesem Gebiete zu er- leichtern, die vielleicht nicht minder wichtige Erfolge liefern werden, als die rein anatomische Untersuchung. Bevor ich indess auf meine eigentliche Aufgabe eingehe, gestatten 502 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. Sie mir eine kurze Darstellung der Genese des Wirbeltiergehirns im allgemeinen, weil dieselbe für das Verständnis des heutigen Organs und der Beziehungen seiner einzelnen Abschnitte unerlässlich ist. Der so wunderbar zusammengesetzte und scheinbar verwickelte Bau des höchst stehenden Säugetiergehirns lässt sich auf ein äußerst einfaches Schema reduzieren, das uns in seiner embryonalen Anlage gegeben ist. Dieses Schema ist aber gleichzeitig der Grundplan sämt- licher, noch so sehr von einander abweichender Wirbeltierhirne bis zu den Fischen abwärts. Man kann im allgemeinen sagen, die ver- schiedenen Formen des ausgebildeten Gehirns in den niederen Abtei- lungen der Wirbeltiere stellen dauernd gewordene niedere embryonale Stadien des Gehirns der höheren Wirbeltiere dar. Die Aufgabe der vergleichenden Hirnanatomie ist es nun, die Homologien der einzelnen Teile des Organs in den verschiedenen Tierklassen festzustellen und genetisch zu erklären, d. h. auf die typische embryonale Grundlage zurückzuführen. Diese Grundlage ist bekanntlich folgende: Aus der ursprünglich flächenartig ausgebreiteten Medullarplatte, die eine Verdiekung des medialen Teils der äußern Keimschicht, des Ektoderms oder Epiblasts darstellt, entsteht, indem die Ränder der Platte sich erheben, einander entgegenwachsen und schließlich ver- schmelzen, 'erst eine offene Halbrinne, dann ein geschlossenes Rohr, das sogenannte Gehirnrohr. An seinem Kopfteil gliedert sich dasselbe durch seichte Einschnürungen, zwischen denen das Rohr entsprechend erweitert erscheint, in zunächst drei hinter einander liegende Ab- schnitte, deren Hohlräume kontinuierlich in einander übergehen. Es sind dies die drei primären Hirnbläschen oder Stammbläschen. Das vorderste ist das sogenannte Vorderhirnbläschen (Protencephalon), das zweite das Mittelhirnbläschen (Mesencephalon), das dritte das Hinterhirnbläschen (Epencephalon). — Letzteres verschmälert sich all- mählich nach hinten und geht so in das Rückenmarksrohr über. Zunächst entstehen nun am Vorderhirnbläschen zwei laterale Ausbuchtungen, die sogenannten primären Augenblasen. Dieselben schnüren sich allmählich vom Bläschen ab, bis sie schließlich als zwei rundliche Bildungen nur noch durch einen schmalen, röhrenförmigen Stiel mit ihm zusammenhängen. Aus diesem ursprünglich hohlen Stiel wird der spätere Sehnerv. — Auch am Hinterhirnbläschen entwickelt sich durch eine weitere Einschnürung eine Zweiteilung, die zur Bil- dung des sogenannten Nachhirns (Metencephalon) führt. Viel wich- tiger ist indess eine Veränderung am Vorderhirnbläschen, welche die Bildung der Großhirnhemisphäre einleitet. — Es entsteht nämlich an der vordern Wand desselben eine knospenartige Ausbuchtung, zu- nächst unpaar, und kontinuierlich in das Vorderhirn übergehend. Es ist dies das sogenannte sekundäre Vorderhirn (Protencephalon see.), während man jetzt das erste Stammbläschen, aus dem es hervorging, Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 503 als primäres Vorderhirn oder auch als Zwischenhirn bezeichnet. Durch eine seichte faltenförmige Vertiefung grenzt sich das erstere vom letzteren dorsal- und lateralwärts ab, während an der Basis der Uebergang ohne Grenzen stattfindet. Somit haben wir nunmehr 5 Hirnbläschen, nebst den vom Zwischenhirn aus hervorgegangenen bei- den Augenblasen. Aus dieser einfachsten embryonalen Anlage entsteht nun das so verwickelte Organ durch Vorgänge, die sich sämtlich auf ganz ele- mentare Wachstumserscheinungen zurückführen lassen: örtliche Ver- diekungen und Verdünnungen der Wandungen der Hohlräume, Fal- tungen und Einstülpungen, Knickungen und Biegungen der ursprüng- lich graden Längsachse des Rohrs, sekundäre Verwachsungeu sich berührender Binnenflächen. Immer aber bleibt der ursprüngliche Hohlraum des Organs allseitig geschlossen. Die Auffassung des Or- gans, welche von einem offenen 4. oder 3. Ventrikel spricht, wo der Verschluss nur durch die Pia mater bewirkt wird, ist eine irrtümliche und in den neueren Darstellungen allgemein verlassene. Eine gene- tische Betrachtung ergibt nämlich, dass das Epithel, das die dem Ventrikelbinnenraum zugekehrte Oberfläche der bindegewebigen Pia mater tiberzieht, und als Ependym bezeichnet wird, durch Reduktion aus den ursprünglich markig, d. h. in Nervensubstanz angelegten Wandungen des Medullarrohrs hervorgeht. Ependymepithel und mar- kige Wandung sind also homologe Bildungen, aus gleicher Anlage hervorgegangen und demgemäß auch am fertigen Organ unmittelbar ineinander übergehend. Dieser Uebergang findet in der Weise statt, dass der Saum, mit welchem sich die Epithelschicht an die markige Wandung anschließt, vielfach noch das Gepräge einer dünnen marki- gen, also aus Nervensubstanz bestehenden, Platte trägt. So entstehen jene lamellösen Umsäumungen, die man am 4. Ventrikel als Obex und Alae pontis (Ligula, Ponticulus) bezeichnet, während man am Eingang in den dritten Ventrikel die vom Conarium ausgehenden Markleisten der Taenia thalami optiei vorfindet. — Der weitere Ab- schluss des Hohlraums wird aber durch eine einfache Lage meist flimmernden Zylinder- oder Pflasterepithels bewirkt, welches unmittel- bar in die epitheliale Auskleidung der markigen Wandungen, das so- genannte Ependym im engern Sinne übergeht. Die Pia mater, die sich nach außen daran schließt, gehört nicht der ursprünglichen Hirn- anlage an, sie ist bindegewebiger Natur und entstammt der mittlern Keimschicht, dem Mesoderm der sogenannten Kopfplatten. — Denken wir uns nun jene einfachste epitheliale Ependymschicht, die also ei- gentlich reduzierte Hirnwandung ist, durch Wucherungen, welche von der Pia mater ausgehen, ins Innere der Binnenräume des Gehirns eingestülpt, so entstehen die sogenannten Telae chorioideae, d.h. vom Epithel bekleidete Pialamellen. — Tragen dieselben noch gelappte Fortsätze oder Zotten, in deren bindegewebigem Stock kapilläre Ge- 504 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. fäßschlingen verlaufen, so haben wir die Adergeflechte, Plexus chori- oidei, vor uns. — Auf diese Weise finden wir im Innern der Hirn- höhlungen komplizierte Bildungen, die von außen in dieselben einge- wuchert sind und nicht der ursprünglichen Hirnanlage, sondern dem umgebenden Bindegewebe angehören, aber dabei überall die verdünnte Hirnwandung vor sich einstülpen. Die Schicht ist das Epithel der Adergeflechte. — Wir sehen also im Bau des Gehirns überall ein eigentümliches Substitutionsverhältnis zwischen medullaren und epi- thelialen Teilen obwalten, welches uns nur die embryologische That- sache ins Gedächtnis zurückruft, dass die epitheliale Oberhaut und das Zentralnervensystem einer gemeinsamen Anlage entstammen, dem Ektoderm. Denselben Vorgang, die Umwandlung medullärer Hirn- wandung in eine Epithelialschicht, finden wir ja auch am Auge vor, wo das Pigmentepithel dem nicht eingestülpten proximalen Teil der primären Augenblase entspricht. Diese gegenseitige Beziehung anscheinend so ati von einander verschiedener Gewebe müssen wir nun stets im Auge behalten, wenn wir uns an die vergleichend anatomische Betrachtung des Gehirns der Wirbeltiere begeben. Ihrer Vernachlässigung und Unkenntnis seitens der Forscher ist es hauptsächlich zuzuschreiben, dass namentlich das Verständnis des Fischgehirns bisher unmöglich war, weil grade hier, wie wir sehen werden, jene Substitution medullärer Wandungen durch einfache Epithellagen, wie sie bei den höheren Wirbeltieren besonders im Dach des 3. und 4. Ventrikels gegeben ist, in viel umfangreiche- rem Maße platzgreift. Anderseits eröffnet aber dieses Verhältnis die weitgehendsten Ausblicke auf die Möglichkeit einer Entwickelung des Organs, selbst in seiner höchsten bisher erreichten Gestaltung beim Menschen, wie wir sie bei keinem andern Körperteil kennen. — Wenn wir, im Sinne der Evolutionstheorie, eine allmähliche Entwickelung der Organismen aus niederen Stufen zu der höchsten bisher erreichten, dem Menschen, für die Vergangenheit in Anspruch nehmen, so dürfen wir eine solehe auch für die Zukunft nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Wir können uns, wie dies ja auch thatsächlich durch Häckel in seiner Anthropogenie geschieht, vorstellen, dass auch der Mensch in seiner jetzigen Entwickelungsform nicht Endpunkt, sondern nur Durchgangsstadium des ewig fortwirkenden Evolutionsgesetzes ist, dass aus ihm sich in ungemessenen Zeitläuften auf Erden ein Wesen entwickelt, so viel höher an Intelligenz und Begabung über dem jetzi- gen Durchschnittsmenschen stehend, wie dieser über dem Affen. — Mag man der monistischen oder ai enen Naturanschauung hul- digen; selbst diejenigen, welche im Gehirn nur ein Werkzeug der Seele sehen, müssen mit der Vervollkommnung dieses Werkzeuges auch einen Fortschritt in seinen Bethätigungen zugestehen. Es ist nun Jedenfalls von Bedeutung, dass im menschlichen Gehirn, gleichsam Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 505 zur Zeit noch zusammengefaltet und auf den engsten Raum beschränkt, wie die Blätter der Pflanzenknospe, in den häutigen Einstülpungen der, Plexus ehorioidei Gebilde sich vorfinden, welehe unter einem ver- änderten Entwickelungsgang sich zu medullaren Wandungen, die der Gehirnrinde gleichwertig sind, umzubilden im stande wären. Diese Plexus sind gewissermaßen eingestülpte epithelial und embryonal gebliebene Hirnmantelwindungen, und der folgerichtig denkende Evolutionist kann mit Recht in ihnen Zukunftsorgane sehen, dazu bestimmt, in der phylogenetischen Weiterentwickelung des Menschengehirns eine vor- erst gar nicht abzusehende Rolle zu spielen. — Wenn ich aber, auf einen Augenblick den Boden der nüchternen Thatsachen verlassend, diesen vielleicht gewagten Ausschau in die Zukunft der menschlichen Entwiekelung versuche, so ziehe ich diese Konsequenz nur aus der Existenzberechtigung der Evolutionslehre überhaupt. Diese Lehre hat einen Januskopf, und ich sehe nicht ein, weshalb bloß das in die Vergangenheit schauende Antlitz die Augen aufhaben soll, wo das in die Zukunft schauende gewisse rätselhafte Befunde der Gegenwart verständlich machen kann. — In diesem Sinne handelt es sich beim vorliegenden Fall nicht um ein müßiges Spiel der Phantasie, sondern um einen Erklärungsversuch thatsächlicher Erscheinungsformen. — Wir kennen eine Anzahl sogenannter rudimentärer Organe, gewisse Körperteile, die, um mit Häckel zu reden, im Laufe der Jahrtausende allmählich außer Dienst getreten sind, weiche bei unseren tierischen Vorfahren bestimmte Funktionen verrichteten, welche aber für uns selbst ihre physiologische Bedeutung verloren haben. Ich erinnere nur an den Wurmfortsatz des menschlichen Blinddarms. — Neben diese Kategorie kann man als gleichberechtigt, wenn auch nicht gleich gut begründet, weil die Vergleichsobjekte fehlen, die Zukunitsorgane stellen, als deren Urbild ich die Plexus chorioidei des Gehirns an- sehen möchte. Gehen wir nach dieser orientierenden Einleitung nun an die ver- gleichende Betrachtung selbst, so finden wir folgendes: Unter den Kennzeichen, welche das Gehirn der übrigen Wirbel- tiere von dem der Säugetiere auf den ersten Blick unterscheiden lassen, nimmt die auffallende relative Entwickelung des Mittelhirns den ersten Platz ein. Schon bei den Vögeln finden wir ein stark entwickeltes Zweihügelpaar, freilich hier in einer Lage, die einiger- maßen die Homologie zu ziehen erschwert. — Die Vierteilung dieser Region, die bei den Säugern besteht und ihr den Namen der Corpora quadrigemina verschafft hat, ist nämlich durch Wegfall der Querfurche zu einer Zweiteillung geworden. — In diesem Zustand verharrt nur der Zweihügel, jetzt meist als Lobi bigemini bezeichnet, bei Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen. Nur bei gewissen Schlangen, mit Sicherheit, wie ich bestätigen kann, bei der Riesenschlange (Python tigris) finden sich wieder vier deutlich unterscheidbare Hügel, doch 506 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. bedarf es erst eingehenderer Untersuchungen, ob diese. Vierteilung der Vierhügelteilung des Säugetierhirns gleichzuachten ist. Mit der stärkern Entwickelung des äußern Umfanges geht eine Vergrößerung des Hohlraums dieses Hirnteils, des Aquaeductus Sylvii, Hand in Hand. Während derselbe beim erwachsenen Menschen einen engen, nur spaltförmigen Verbindungskanal von wechselndem Quer- schnitt zwischen 3. und 4. Ventrikel darstellt, überall umgeben von dieken Markmassen (Fig. 1, !/, nat. Gr.), finden wir bei den niederen Wirbeltieren eine geräumige Höhle. Der Querschnitt derselben ist zum größeren Teil ein T- oder anker- ee Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. förmiger: ein senkrechter medianer Spalt läuft beiderseits dorsal in zwei Seitenarme aus. Somit gleicht die Figur dem Querschnitt des menschlichen Aquaeductus im Beginn und am Ende seines Verlaufs. Bei manchen Reptilien, z. B. den Krokodilen, springen noch zwei eigentümliche Körper mit konvexer Oberfläche ins Innere hervor, in- dem sich die beiden Seitenwandungen hügelartig gegen die Median- ebene hervorwölben (Fig. 3, Alligator, schwach vergr.). Aehnliches zeigt der Zweihügel der Amphibien, z.B. des Frosches, nur sind hier, worauf bisher noch nicht genügend Gewicht gelegt wurde, die beiden Hügel in der Medianebene verwachsen. Dadurch entstehen im Quer- schnitt (Fig. 4, Vergr.: 6 lin.) zwei Hohlräume, die aber vor und hin- ter der Verwachsungsstelle zusammenfließen. Ueberall entsteht so eine dünne dorsale Decke dieses Hirnteils, welche durch eine Längs- furche in zwei symmetrische Hälften zerfällt. Entsprechend dieser buchtet sich das mediane Verbindungsstück der beiden Dachhälften ins Innere der Zweihügelhöhle ein. Bei den Vögeln (Fig. 2 Taube, Vergr. ce. 2 lin.) tritt insofern ein etwas anderes Verhalten ein, als hier der mediane Teil der Decke außerordentlich dünn ist, während erst die seitlichen Teile eine bedeutende Verdiekung und die charak- teristische Schichtenbildung des mikroskopischen Baus erkennen las- sen. — Ueberall aber ist die Grenze dieser Zweihügelregion durch zwei Gebilde gegeben, die aus dorsalen Einfaltungen der Hirnwände hervorgehen: durch die Commissura posterior vorn und die Valvula cerebelli anterior hinten. Gehen wir nach diesem kurzen vergleichend anatomischen Ueber- blick der Zweihügelgegend an die Betrachtung des Knochenfischge- hirns, so überrascht uns hier die außerordentliche Größe derjenigen Hirnpartie, welche unmittelbar nach vorn an das Kleinhirn sich an- Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 507 schließt, also auf den ersten unbefangenen Blick als Zweihügel er- scheint. — Bei fast allen Fischen, vielleicht mit Ausnahme der Mor- myren, ist es der ansehnlichste Abschnitt des Gehirns überhaupt, so bedeutend überragt er die vor und hinter ihm gelegenen Teile, und die charakteristische Gestalt des Knochenfischgehirns wird wesentlich durch ihn bedingt. Daher hat auch diese Gegend von je her die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gezogen. Sie wurde, weil man den Ursprung der Sehnerven daselbst erkannte, meist als Lobi optiei bezeichnet. Dieselben stellen ein durch eine tiefe Längsfurche ge- trenntes Hügelpaar dar, deren dorsale Wölbungen stark konvex her- vortreten. Entfernt man die dünne markige Decke, die von den Au- toren als Teetum loborum optieorum bezeichnet zu werden pflegt, und Fig. 5 stellt einen 4,7 s<£ lin: vergrößerten Querschnitt durch die Lobi optiei (Mittelhirn) der Forelle an der Austrittsstelle der Nervi oculomotorii dar. Die Lobi inferiores und der Saccus vasculosus sind ebenfalls vom Schnitt ge- troffen, gehören aber selbstverständlich dem Protencephalon an. welche dorsal den Binnenraum abschließt (Fig. 5. t. 1. o.) und blickt nun von oben in letzteren, so findet man denselben ausgefüllt bezw. begrenzt von Gebilden, deren Deutung lange Zeit zweifelhaft war, und die noch bis zuletzt Gegenstand des Zwiespalts blieben. Zunächst schiebt sich eine zungenförmige Markmasse, die mit dem Kleinhirn in direkter Verbindung steht, von hinten her in den Hohlraum (Va. vergl. Fig. 6.). Die dorsale Oberfläche dieser Masse kann 2, 4, ja vielleicht 6 hügelartige Erhabenheiten zeigen, indem sie von ent- sprechenden sich senkrecht kreuzenden Längs- und Querfurchen durch- setzt wird. So entsteht bei erster Betrachtung ein Bild, wie an der Oberfläche der Vierhügel der Säugetiere, eine Aehnlichkeit, welche die älteren Anatomen thatsächlich verführte, in diesem Gebilde, das sie als Eminentia quadrigemina bezeichneten, ein Seitenstück der Vier- hügel zu sehn. Vermeidbar wird dieser grobe Irrtum und verständlich der Bau des Gebildes erst, wenn man sagittale, d. h. dorsoventrale Längsschnitte durch die Medianebene des Gehirns anfertigt. Dann erkennt man, dass jenes Gebilde nichts weiter ist, als eine mächtige Faltenbildung, die an der vordern Grenze des Kleinhirns stattfindet, und deren nach 508 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. vorn gerichtete Umbiegung, der Scheitel, sich tief unter das Dach der Zweihügelregion schiebt, indem sie den hintern Teil ihres Binnen- raums fast ganz ausgefüllt. — Unter ihr verläuft ein enger, spaltför- miger Verbindungsgang zwischen 3. und 4. Ventrikel, der eigentliche Aquaeduetus Sylvii. — Die dorsale Verbindung zwischen der Valvula Terl. T'l.o. Comm.p. al Al) N = Bi - a hl in ISIN 2.1. ee Fig. 6. Fig. 6: Forellengehirn, (5 - lin:) dorsoventraler Längsschnitt nahe der Me- dianebene. B. o. Bulbus olfactor. T.1 o. Teetum lobor. optie. N. I. Nervus olfact. Tor. 1. Torus longitudinalis C. st. Corpus striatum. V. e‘ u. ec‘ Ventrieulus communis Comm a. Commissura anter. VclV. A quartus Comm. p. Commissura poster. Ag. Sy. Aquaeduetus Sylvii Pa. Pallium M. obl. Medulla oblongata (+. pin. Glandula pinealis Ö. fr. Os frontale N. II. Nerv. opticus Va. Vaivula cerebelli I. Infundibulum mit Ventrie. II. Cbl. Cerebellum L. i. Lobus inferior G. h. Ganglion habenulae S. v. Saccus vasculosus H. Hypophysis und dem Teetum loborum opticorum wird durch die einfache Ependym- zellenschicht dargestellt, welche hier die in den Spalt zwischen Klein- hirn und Zweizügel eindringende Piafalte überzieht (Vergl. Fig. 6.) Ueber die Deutung dieses Hirnteils als Valvula gibt am besten die Entwiekelungsgeschichte Aufschluss: Schon frühzeitig entsteht nämlich bei Knochenfischembryonen im Bereich der Gegend des Hinterhirns, also dieht vor der Stelle, wo sich später die verdünnte Decke des 4. Ventrikels findet, eine tiefe Querfalte der dorsalen Hirnwand, die sich auch lateral fortsetzt, so dass nunmehr eine scharfe oe zwischen dem vordersten und dern übrigen Teil des embryonalen Medullarrohrs gegeben ist. — Im Sa- sittalschnitt können wir zwei Blätter, ein vorderes und ein hinteres, dieser Falte unterscheiden, die vorn in dem Scheitel der letzteren in einander umbiegen. Dieser Scheitel legt sich rechtwinklig gegen die Richtung der Falte selbst nach vorn um. Die hintere Lamelle der letzteren erfährt alsbald eine Verdiekung in ihrer ganzen Ausdehnung Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochengsche. 509 bis zu ihrer Umbiegungsstelle in die Dorsaldecke des Hirnrohrs, ebenso die Wandungen des umgebogenen Scheitels. Aus ersterer geht das Cerebellum hevor, welches von oben gesehen als ein median ausge- schweifter leistenartiger Saum an der vordern Grenze des 4. Ven- trikels erscheint. Hinter der Kleinhirnleiste verdünnt sich nämlich die dorsale Hirnwandung entsprechend, und zwar im Bereich einer Zone, die einem hohen gleichschenkligem Dreieck mit nach hinten gekehrter Spitze entspricht. Durch diese durchsichtige Decke blickt man von oben in den durch Erweiterung des dritten Hirnbläschen- binnenraums entstandenen 4. Ventrikel. — Der vordere, aufsteigende Faltenschenkel verdünnt sich ebenfalls, am stärksten da, wo er m das dorsale Dach des Mittelhirns übergeht, bis schließlich die ur- sprünglich markig angelegte Verbindung nur noch auf eine einfache Zylinderepithellage reduziert erscheint, die sich eng an das umgebende Bindegewebe der Pia mater anlegt. Aus dieser einfachsten Falte entsteht allmählich durch weitere einfache Wachstumsvorgänge (lokale Verdickung, sekundäre Falten- bildung im Bereich des umgebogenen Scheitels u. s. w.) jenes schein- bar so zusammengesetzte Gebilde, welches wir am fertigen Knochen- fischgehirn als Valvula cerebelli bezeichnen. Es fragt sich, ob dieselbe lediglich Teile enthält, die auch der Valvula des Säugetiergehirns zukommen. Wahrschemlich sind auch Teile der beiden benachbarten Hirnabschnitte in die Faltenbildung hineingezogen, und es wird wesentlich bei der Beantwortung dieser Frage darauf ankommen, wo man die konventionelle hintere Grenze des Mittelhirns beim Säugetier annimmt. Wird dieselbe durch die Kreuzung der Nervi trochleares in der Valvula gegeben, so würde der vor dieser gelegene vordere Abschnitt der ventralen Falte und die ganze dorsale dem Mittelhirn zuzureebnen sein. — Während in betreif der Deutung dieses Binnengebildes des Mittelhirns eine vollständige Uebereinstimmung unter den jetzt lebenden Forschern herrscht, be- stehen um so mehr Zweifel, wie man ein anderes Gebilde zu deuten habe, welches sich am Dach, dem Teetum loborum opticorum der Autoren, vorfindet. — Es ist dies ein doppelter, symmetrischer Längs- wulst, der in der Medianebene des Teetum, da, wo dessen beide Hälften sich zu einem First vereinigen, unter diesem, entsprechend der mittlern Längsfurche, die außen sichtbar ist, von der später zu besprechenden Commissura posterior aus nach hinten zieht, um, sich allmählich verdünnend und auseinanderweichend, vor dem Kleinhirn zu enden (Fig. 5 und 6 tor. 1.). — Im einzelnen finden sich freilich bei den verschiedenen Fischen mancherlei Abweichungen von der eben gegebenen, der Forelle entnommenen Schilderung, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Man hat dieses Gebilde als Torus longi- tudinalis bezeichnet, ein Name, der, weil er keine Deutung vorweg- nimmt, beibehalten werden kann. %: 510 Cieslar, Einfluss des Lichts auf die Keimung der Samen. Die älteren Autoren, Carus, der ihn zuerst am Hering auffand, dann namentlich Gottsche, der ihn bei den verschiedensten Knochen- fischen näher untersuchte, bezeichnen und deuten diesen Wulst als Fornix, eine Deutung, der sich in neuester Zeit auf Fritsch anschloss. Die mediane Verbindung der beiden Seitenhälften des Teetum, die über ihm liegt, homologisieren sie folgerichtig dem Corpus callosum der Säugetiere. Ich habe an anderer Stelle gezeigt, dass eine solche Deutung völlig unzutreffend und unstatthaft ist. — Wir haben es lediglich mit einem besonders entwickelten Teil des Mittelhirns zu thun, der dem Gehirn der Knochenfische eigentümlich ist. Entwiekelungsgeschichtlich lässt sich die relativ späte Bildung des Torus longitudinalis nach- weisen, so dass er beim ausgeschlüpften Lachsembryo noch nicht er- kennbar ist. Hier findet sich, im Gegensatz zu dem spätern bleiben- den Zustand, grade in der Medianfurche die dünnste Stelle des Tecetum, während die beiden Seitenhälften des letzteren relativ sehr viel dieker sind, als später. Der Querschnitt zeigt hier einen breiten Spalt mit senkrechten lateralen Wänden, während die dünne Verbin- dungsbrücke des Daches winklig eingefaltet ist, derart, dass die Ge- stalt eines M entsteht. Die senkrechten Wände sind mit langen Epen- dymepithelzellen bekleidet. — Nach allem, was ich selbst beobachtete, scheint der Torus an der Binnenfläche des Dachfirstes als eine Depen- denz dieses Ependymepithels zu entstehen, doch bin ich mit meinen Untersuchungen noch nicht zum Abschluss gekommen. Den Amphibien und Reptilien fehlt dieses Gebilde durchaus, allein es ist auffallend, dass sich bei einer Anzahl derselben hinter der Com- missura posterior ebenfalls eine außerordentliche Entwickelung des Ependymepithels im Bereich des dorsalen Teils des Aquaeduetus Sylvii findet. Namentlich beim Alligator sieht man dies sehr schön. Es wird weiterer Prüfung bedürfen, ob diese Ependymwucherung mit der Entwiekelung des Torus longitudinalis der Knochenfische einen homologisierenden Vergleich gestattet. (Schluss folgt.) Adolf Cieslar, Untersuchungen über den Einfluss des Lichtes auf die Keimung der Samen. Forsch. a. d. Geb. d. Agrikulturphysik, herausg. v. E. Wollny. VI. 8.270— 29. Ob das Licht Einfluss habe auf die Keimung der Samen oder nicht, und welchen Einfluss es habe, darüber sind seit Ingenhouß, dem Vater der Pflan- zenphysiologie, die verschiedensten Ansichten ausgesprochen worden. Noch aus jüngster Zeit liegen in bezug darauf zwei diametral entgegenstehende Aeußerungen vor, indem Stebler (Vierteljahrsschr. d. Züricher naturf. Ges. 1880 $. 102) auf grund von ihm ausgeführter Versuche behauptete, dass das Licht auf die Keimung der Samen günstig einwirke, während Nobbe (Land- Cieslar, Einfluss des Lichts auf die Keimung der Samen. 511 wirtschaftliche Versuchsstat. Bd. XXVII (1882) Heft 5 8. 347) erklärt, „dass das Licht auf die Keimung der Samen keinen oder einen nachteiligen Einfluss ausübt, indem es den Vorgang retardiert und dadurch unter Umständen, bei langsam keimenden Samenarten, die Keimpflänzchen den sich entwickelnden Pilzen überantwortete.*“ Verf. ist der Ansicht, dass man auf die Frage nach der Lichtwirkung bei der Keimung nicht mit einem einfachen „ja“ oder „nein“ antworten könne, dass vielmehr das Licht im Vereine mit verschiedenen anderen Faktoren bei der Keimung verschiedener Samen verschiedene Effekte erziele. Zahlreiche von ihm im pflanzenphysiologischen Institut der K. K. Wiener Universität an- gestellte Versuche mit Maiskömern, Gerste und kleinen Grassamen ergaben ihm, dass ohne Ausnahme nicht nur keine Schädigung durch Licht geschähe, sondern dass dieses sogar vielfach den Keimakt auffallend begünstige. So schwankte bei Mais und Gerste das Keimprozent innerhalb enger Grenzen, einmal zu gunsten der Lichtwirkung, ein anderes mal, aber selten, zu gunsten der Verdunkelung. Aehnlich bei verschiedenen Grassamen, während bei Poa nemoralis von 100 Samen im Lichte 44, im dunkeln nur 7 zur Keimung ge- langten, und auch bei Agrostis stolonifera die Zahl der gekeimten Samen im Lichte (73) merklich größer war als im dunkeln (56). Bei Uynosurus eristatus wurde beobachtet, dass die Keimung im Lichte schneller vor sich gehe, die Keimungsenergie also durch das Licht erhöht wird. Allgemein ist die Ent- wickelung der Keimpflanzen im Lichte eine bedeutend gleichmäßigere als im dunkeln. Ebenso erfolgt die Einwurzelung im Lichte besser, die Nebenwurzeln werden stark positiv geotrop und dringen sofort in die Erde ein. Und was Zuwachs und Länge angeht, so zeigten sich bei einigen Versuchspflanzen, na- mentlich bei Agrostis stolonifera, die Dunkelkeimlinge, trotzdem das Licht das Wachstum retardiert, weit hinter den Lichtkeimlingen zurückgeblieben, wie auch der bloß hei den Lichtkeimlingen beobachtete Wurzeldruck, die großen Wasserperlen an den Blattspitzen der Lichtkeimlinge, für den höheren Turgor derselben zeugt. Steht es demnach außer allem Zweifel, dass das Licht für die Keimung nicht unbedingt notwendig ist, so steht es doch ebenso zweifel- los fest, dass es in vielen Fällen eine günstige Wirkung übt. Um die Natur und Art dieser Lichtwirkung zu enträtseln, hat Verf. mit denjenigen Samen, welche die größte Differenz in den Keimprozenten im Lichte und im Dunkeln aufweisen, mit Poa nemoralis, erweiterte Versuche bei verschiedenen Temperaturen und mit verschiedenfarbigem Licht angestellt. Bei allen Ver- suchen zeigte sich eine begünstigende Wirkung der schwächer brechbaren Strahlen, in erster Linie des gelben und sodann des weißen Lichts, während die violetten Strahlen und die Dunkelheit bei der Keimung hemmend wirken. Vergleicht man 4) die in den einzelnen Versuchsreihen erhaltenen Keimprozente mit den Temperaturen, bei denen die Versuche angestellt wurden, so zeigt sich, dass mit steigender Temperatur der Unterschied der Keimprozente im lichten und im dunkeln geringer wird. Verf. schließt daraus, dass als erste Ursache der günstigen Lichtwirkung auf die Keimung „der Umsatz von Licht in Wärme“ anzusehen sei. 2) Der im weißen und gelben Lichte stets auftretende Wurzeldruck, das Fehlen desselben im dunkeln und das nur spärliche Auftreten desselben im violetten Lichte lässt, wie Verf. annimmt, als weitern Erfolg des Lichts „die Bildung osmotisch wirkender Substanz“ erscheinen, welche Keimung und Wachstum begünstigt. 512 Councler, Aschengehalt der Blätter. 3) Aus den günstigen Keimergebnissen im gelben Lichte ergibt sich als fernere Ursache der bessern Keimung im Licht die Begünstigung der Chloro- phylibildung und der Kohlensäureassimilation im Keimlinge durch das Licht. Dieser Umstand erklärt auch die schon von Regel (Gartenflora März 1882) beobachtete Thatsache, dass Samen, welche große Mengen von Reservestoffen enthalten, wie z. B. Mais, Gerste, Raps u. s. w. im dunkeln ebensogut keimen, wie im Licht, während Samen von außerordentlicher Kleinheit, die demnach mit Reservestoffen wenig ausgestattet sind, wie eben die von dem Verf. zu den Versuchen verwendeten Samen von Poa nemoralis, und auch die Samen von Nicotiana macrophylla, mit denen Verf. grade zum Zweck der Feststellung dieser Thatsache Versuche anstellte, eine bessere Keimung im Lichte aufweisen. 4) Endlich wirkt das Licht auch insofern günstig auf das Keimen der Samen, als es, wie bei Samen der verschiedensten Art festgestellt wurde, un- zweifelhaft das Eindringen der Keimpflanzen in den Boden erleichtert. 5) Bringt man die von Paushon nachgewiesene Thatsache, dass das Licht die Sauerstoffaufnahme in keimenden Samen beschleunigt, in Zusammenhang mit der andern, gleichzeitig von Mulder und von Baranetzky beobachteten, dass der Zutritt von Sauerstoff zu den keimenden Samen in den eiweißartigen Körpern gewisse Umänderungen bewirkt, wodurch dieselben teilweise in Fer- mente umgewandelt werden, welche den Umsatz von Stärke in Baustoffe zu- wege bringen, so dürfte hierin, wie Verf. zum Schluss hervorhebt, ebenfalls ein Moment liegen, welches uns die Begünstigung der Keimung durch das Licht erklären kann. Schließlich erwähnt Verf. noch, dass iu einer ihm nachträglich zur Kennt- nis gekommenen in Nobbe’s landwirtsch. Versuchsstat. v. J. 1832 erschienenen Arbeit auch die Herren A. Mayer und F. J. von Pesch zu dem Resultat kamen, dass bei Samen von Poa pratensis und Dactylus glomerata im Lichte gewöhnlich eine bedeutende Mehrkeimung stattfindet. Ed. Seler (Berlin). ©. Councler, Aschengehalt der Blätter in Wasserkultur ge- wachsener Bäumcehen verglichen mit denjenigen auf festem Boden erwachsener. Die landw. Versuchsstationen. 1883. S. 241—245. Abgefallene Blätter eines Bäumcehens von Adlanthus glandulosa, welches in Nobbe’scher Nährstofflösung gezogen worden war, zeigten einen sehr hohen Gehalt an Kali und Phosphorsäure. Die unter den gleichen Verhältnissen gesammelten Blätter von Negundo raxinifolia enthielten in 100 Teilen Asche 9,90 Phosphorsäure, 36,91 Kali, während die von Bodenpflanzen abstammenden, abgefallenen Blätter in 100 Teilen Asche nur 1,91 Phosphorsäure und 13,88 Kali enthielten. Diese Be- obachtungen bestätigen die von Nobbe, Hänlein und dem Verfasser schon früher aufgefundene Thatsache, dass die an Kali und Phosphorsäure relativ reiche Nährflüssigkeit der Wasserkulturpflanzen die Rückwanderung dieser Stoffe erschwert. Kellermann (Wunsiedel). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biolog oisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der er in Erlangen. 24 Nummern von je % Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IW. Band. 1. November 18$4. Nr. 1. Inhalt: Neeisen und Ehlers, Ueber den Rauschbrandpilz. — Schenek, Untersuchun- gen über die Bildung von zentrifugalen Wandverdickungen an Pflanzenhaaren und Epidermen. — "Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstam- mungslehre. II. — Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische (Schluss). — Schröter, Anthropologische Studien am Becken lebender Menschen. — Bes- sey, Hybridismus bei Spirogyra. — Zacharias, Das Mikroskop. Neelsen und Ehlers, Ueber den Rauschbrandpilz. Neelsen, Sitzungsber. der Naturf. Gesellschaft zu Rostock. 26. Jan. 1884. — Ehlers, Untersuchungen über den Rauschbrandpilz. Inaug. Dissert. Rostock. 1834. Diese unter Leitung von Neelsen im Rostocker pathologischen Institut ausgeführten Untersuchungen beschäftigen sich mit dem Er- reger einer Krankheit, der in manchen Gegenden unter dem Rindvieh ein bedeutender Prozentsatz zum Opfer fällt. So namentlich in Fran- ken, im oberbayrischen Gebirge, in Schleswig-Holstein, im Kreise Norderditmarschen ete. Die wichtigsten Erscheinungen dieser früher mit dem Milzbrand verwechselten Krankheit sind flache, schmerzhafte Anschwellungen an den Extremitäten, die mit schaumiger dunkelroter Flüssigkeit erfüllt sind und beim Darüberstreichen ein knisterndes durch Gasblasen bedingtes Geräusch hören lassen. Der Anwesenheit dieser lokalen Entzündungsherde gesellen sich schwere allgemeine Erscheinungen bei, Steigen der Körperwärme, Beschleunigung des Pulses und der Atemzüge; nach kurzer Zeit (1—2 Tagen) erfolgt der Tod. Selten fehlen die genannten Emphyseme, es treten dann Magen- Darmkatarrh, Muskelzittern, beschleunigtes Atmen, frequente Herz- aktion ete. in den Vordergrund. Es ist diese Form der Krankheit als intestinale, als Rauschbrand ohne Lokalisation bezeichnet worden. Als anatomische Veränderungen, welche sich zunächst innerhalb der Geschwülste bemerklich machen, sind zu nennen Durehtränkung des unter der Haut und zwischen den Muskeln gelegenen Gewebes 33 514 Neelsen und Ehlers, Ueber den Rauschbrandpilz. mit einer roten schaumigen Flüssigkeit, Erweichung und Schwarzfär- bung der von Gasblasen durchsetzten Muskelmassen, Erfüllung der Lymphgefäße mit Gasblasen und Erweiterung derselben. Daneben findet sich Schwellung der Leber, der Nieren und des Herzfleisches, meist Vergrößerung der Milz und kleinere blutige Herde im Bauchfell, Herzbeutel, Magen und Darmkanal ete. Hervorgerufen wird der Rauschbrand durch einen Spaltpilz, ein Clostridium, und die Infektion erfolgt durch kleine Wunden von außen her, bei der intestinalen Form durch Eindringen des Pilzes in den Darmkanal mit der Nahrung. Aehnlich wie beim Milzbrand findet er sich im Tierkörper, sei es im Blut oder in den Geweben, nicht nur in der vegetativen Dacillus- (Stäbehen-)Form, sondern es lassen sich gleichzeitig immer auch schon eine Menge sporenbildender Individuen nachweisen, die dann dem Gattungstypus entsprechend zitronen- oder keulenförmig angeschwollen sind. Ein Stillstand der Krankheit durch diesen Uebergang des vegetativen in den Ruhezustand ist nicht zu konstatieren. Die Impfungen, welche die Verf. mit dem Rauschbrandpilz an Meerschweinchen anstellten, hatten unter gleichen Erscheinungen eine ganz ähnliche, den Tod der Tiere eben so schnell herbeiführende Krankheit zur Folge. Nur die eigentümliche Gasentwicklung in den erkrankten Körperteilen trat immer mehr in den Hintergrund und schien bei fortgesetzten Impfungen ganz zu verschwinden. Rückim- pfungen von da auf Kälber erzeugten wieder völlig typischen Rausch- brand. Außerhalb des Tierkörpers gezüchtet zeigt der Pilz einige inter- essante Eigentümlichkeiten, die teilweise an analoge Erscheinungen und Resultate bei den Buchner’schen Milzbranduntersuchungen erinnern. Aus der bacillen- und sporenbildenden Keulenform geht er auf künst- lichen Nährsubstraten in einen andern „Entwicklungseyelus“ über; die Stäbchen bilden durch fortgesetzte Teilungen eine große Menge von Gliedern, die allmählich immer kürzer werden und endlich runde Zellchen, Coccen darstellen. Diese Coccen auf ein anderes Nährme- dium außerhalb des Tierkörpers geimpft erzeugen wieder Stäbchen- generationen, die endlich mit Coccen abschließen, im Tierkörper da- gegen unter gewöhnlichen Rauschbranderscheinungen wieder die spo- renbildende Clostridium-Form. — Außerhalb des Tierkörpers zeigt un- ser Pilz außerdem eine eigne Akkommodationsfähigkeit, indem er sich vom Tier direkt nur auf geronnenes Blutserum mit Erfolg über- tragen lässt. „Direkte Impfungen vom Tier auf Nährgelatine miss- lingen immer.“ Erst nachdem er sich an das Serum angepasst oder gewöhnt hat, gelingen Impfungen auf Nährgelatine, die Verf. in zweierlei Form in Anwendung brachten, als Peptongelatine und solche, die mit pflanzlichem Eiweiß versetzt war. Auf allen diesen Substraten brei- tete sich der Pilz weniger oberflächlich, als vielmehr in Gestalt eines Schenck, Wandverdickungen an Pflanzenhaaren und Epidermen. 515 konischen Zapfens, der in das Nährmedium eindrang, aus. „Wenn diese Beobachtungen scheinbar eine Analogie zu den Buchner’schen Angaben über Umzüchtung des Milzbrandbacillus bieten, und ebenso die allmähliche Aenderung der chemischen Thätigkeit im Meerschwein- chenkörper mit den Pasteur’schen Angaben über Umzüchtung patho- gener Pilze in Uebereinstimmung zu sein scheint, so weicht doch der Rauschbrandpilz insofern in seinem Verhalten wesentlich von den durch die genannten Autoren beschriebenen Organismen ab, als er bei keiner der Umzüchtungen auch nur die geringste Ein- buße seiner Virulenz erkennen lässt. Mag er in beliebig vielen Generationen im Meerschweinchenkörper oder auf Nährgelatine gezüichtet sein, bei der Uebertragung auf das Rind erzeugt er den typischen Rauschbrand in derselben Intensität wie bei den direkten Impfungen von Rind auf Rind.“ C. Fisch (Erlangen). H. Schenck, Untersuchungen über die Bildung von zentri- fugalen Wandverdickungen an Pflanzenhaaren und Epidermen. Inaug. Diss. Bonn 1884. 1 Tafel. Nachdem durch Schimper, Strasburger und Schmitz die Appositionstheorie für das Wachstum der Zellmembranen wieder in den Vordergrund gestellt war, haben sich die nachfolgenden Einzel- untersuchungen ohne Ausnahme als Bestätigungen derselben erwiesen. Gegenüber der, wie es scheint, in die Objekte hineingetragenen In- tussuszeptionstheorie haben genaue Beobachtungen immer nur die Lehre vom Wachstum durch Anlagerung von Lamellen bekräftigt und scheinbar widersprechende Einzelfälle durch entwicklungsgeschicht- liche Untersuchung ihr untergeordnet. Auch die vorliegende Arbeit, zu der wohl die Anregung von Strasburger ausgegangen ist, klärt wieder einen solchen scheinbaren Widerspruch auf, die Bildung von zentri- fugalen, d.h. außerhalb des Zellenlumens befindlichen Verdiekungen an Pflanzenhaaren und Epidermiszellen, bei ersteren meist in Gestalt von Höckern, bei letzteren als Cutieularfalten auftretend. Nach der verschiedenen Entstehungsweise unterscheidet Verf. vier Kategorien von solchen Protuberanzen und bezeichnet die erste der- selben als Höckerbildung durch Ausbuchtung der primären Zellwan- dung. Er beobachtete dieselbe an den Haaren verschiedener Organe von Papilionaceen (Medicago arborea ete.) und Boragineen ete. Ueberall kommen hier die Höcker durch Ausbuchtung der primären, meist bald eutieularisierten Membran und Ausfüllung der Hervorwölbungen durch die angelagerten sekundären Verdiekungsschichten zu stande. Die zweite Abteilung solcher extrazellulärer Verdiekungen bezeichnet 33 516 Schenck, Wandverdickungen an Pflanzenhaaren und Epidermen. Verf. als Cutieularknötehen und -Falten. Es sind kleine rundliche oder (bei Epidermiszellen) in die Länge gestreckte Verdiekungen, die als reine Cuticularbildungen aufzufassen sind. Sie entstehen durch chemische Metamorphose der äußeren Zellwandschichten, durch Auf- nahme von Cutin in dieselben und durch die damit verbundene schon von Strasburger nachgewiesene oder doch äußerst wahrscheinlich gemachte Volumvergrößerung. Eine dritte Form der Höckerbildung kommt durch Einlagerung einer Substanz, die chemisch und physikalisch nicht näher zu defi- nieren war, vom Verf. aber für einen gummi- oder schleimartigen Kör- per gehalten wird, zwischen Cutieula und Celluloseschichten zu stande. Dabei können zweierlei Entwicklungsarten eintreten. In den meisten Fällen wird jene Einlagerung zu einer Zeit eingeleitet, wo die sekun- dären Verdiekungsschichten schon zur Ablagerung gekommen sind, so an den Haaren der Doldenknospenschuppen verschiedener Cornus- Formen, bei verschiedenen Compositen ete. Anders ist dies bei den Haaren von Deutzia und verschiedenen Crueiferen, bei denen ähnlich der ersten der genannten Bildungsarten die Höcker als Ausbuchtungen der primären Membran angelegt werden und die innere Cellulose- schicht später glatt unter den Höckern vorbeizieht, die mit einer an- ders lichtbrechenden Substanz von körnigem Aussehen erfüllt sind. — Der ganze Typus erinnert an die Sekretion in Drüsenzellen, wobei Verf. sich der de Bary’schen Anschauung zuneigt, der zufolge die Sekrete erst in der Wandung entstehen und nicht aus dem Zellinnern durch sie hindurch transportiert werden. Als vierte und letzte Form der Höckerbildung bespricht Verf. die durch vorspringende Kryställchen von Caleiumoxalat gebildeten, die in ausgeprägtester Form bei den bekannten Idioblasten von Nym- phaca und Nuphar auftreten. Auch hier werden durch Anlagerung der Krystalle an die primäre Membran unter gleichzeitiger Aussackung der letzteren und spätere Ueberschichtung durch die Verdickungsla- mellen jene Vorsprünge nach außen bedingt. Aehnliche nachträgliche Einbettung von im Plasma gebildeten Krystallen ist von Pfitzer bei Citrus beobachtet und bei verschiedenen anderen Pflanzen, hauptsäch- lich aus der Verwandtschaft der Cupuliferen. Durch die angeführten Beobachtungen ist also nachgewiesen, dass auch für diese Fälle zentrifugaler Wandverdieckung die Appositions- theorie vollkommen zur Erklärung ausreicht. C. Fisch (Erlangen). Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 517 Nägeli, ©. v., Mechanisch-physiologische Theorie der Ab- stammungslehre. Mit einem Anhang: 1) Die Schranken der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, 2) Kräfte und Gestaltungen im molekularen Gebiet. München u. Leipzig. Oldenbourg 1884. gr. 8°. 53 Bogen u 822 Seit. (14 Mark.) U. Das wirkende Prinzip, dass in Pflanzen und Tiergeschlechtern entstandene Abweichungen sich erhalten und steigern, und durch Ge- nerationen hindurch nicht gleichmäßig alle, sondern vorzugsweise nur gewisse so und so beschaffene Individuen sich fortpflanzen, setzt die Abstammungslehre Darwin’s in den Kampf ums Dasein. Dieser un- ablässige, überall vorhandene ewige Kampf wäre das eigentliche Weltferment. Was der Engländer überall um sich her vor Augen hatte, die Thätigkeit in seiner Heimat, das hat er von der Menschen- welt auf den Haushalt der Natur übertragen: die Konkurrenz. Ganz anders Nägeli. Wie wir schon gesehen haben, liegt bei ihm das den Fortschritt bedingende Prinzip im Innern der Organis- men, in dem Idioplasma in seinen Elementen, den Micellen. Den äußeren Einflüssen wird, ganz im Gegensatz zu der Selektionstheorie, nur ein sekundärer Einfluss zugeschrieben. Es lohnt sich, den Aus- führungen des Verfassers der mechanisch-physiologischen Theorie der Abstammungslehre zu folgen. Die Erörterungen über die äußeren Einflüsse sind nach zwei Richtungen hin von Bedeutung: bezüglich der Wirkungen auf den Organismus und bezüglich der Anpassung. Wenn die inneren Ursachen ein stetiges Fortschreiten vom Einfacheren zum Zusammengesetzteren bedingen und die äußeren Verän- derungen aus den inneren micellaren Anlagen hervorgehen, so muss die fortschreitende Organisation und Arbeitsteilung im allgemeinen durch die inneren Ursachen bewirkt werden; aus den äußeren Ur- sachen wäre dieselbe überdem ganz unerklärlich. Dagegen erscheint fast als selbstverständlich, dass die Anpassung an die Außenwelt, die Mannigfaltigkeit und spezielle Beschaffenheit der Gestaltung, Organi- sation und Arbeitsteilung nur Folge der äußeren Einflüsse sein können; zudem ließen sich dieselben kaum aus inneren Ursachen ableiten, da diese für sich allein unter allen Umständen eine übereinstimmende Beschaffenheit bewirken würden. In dieser Weise wird also der An- teil der inneren und äußeren Ursachen geschieden; jenen ist die wesentliche Konstruktion, der Aufbau aus dem Groben, diesen die äußere Verzierung, jenen das Allgemeine, diesen das Besondere auf Rechnung zu setzen. Vorerst ist denkbar und fast gewiss, dass der gleiche äußere Einfluss, er mag seinerseits irgend eine Beschaffenheit haben, in verschiedenen Organismen oder zu verschiedenen Zeiten in dem nämlichen Organismus die dauernden Eigenschaften in ganz un- 518 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. gleicher Weise modifiziert, weil der Weg von der Angriffsstelle bis zur Organisation des Idioplasmas durch zahllose Verschlingungen und Umsetzungen verläuft und daher notwendig zu verschiedenen, selbst scheinbar entgegengesetzten Resultaten führen muss. Wenn alle die Organismen treffenden Einflüsse berücksichtigt werden, so müssen jedenfalls zwei Arten der äußeren Einwir- kung getrennt werden, die unvermittelte und die vermittelte. Bei der unvermittelten Einwirkung ist der Prozess im wesentlichen mit den Folgen beendigt, welche sofort und zwar in analoger Weise wie in der unorganischen Natur zu stande kommen, so dass man sie auch unschwer als die Folgen der bestimmten Ursache erkennt. Intensiveres Licht vermehrt in den grünen Pflanzengeweben den Re- duktionsprozess und die Ausscheidung von Sauerstoff, Kälte verlang- samt den Chemismus der Gewächse, Mangel an Wasser bringt Ver- welkung, reichliche Nahrung lebhafteres Wachstum hervor. Diese unmittelbare Einwirkung wird im allgemeinen keine dauernde Ver- änderung im Idioplasma zurücklassen. — Bei der vermittelten Einwirkung, die man im allgemeinen als Reiz bezeichnen kann, tritt eine mannigfaltige Uebersetzung ein. Die Ursache bewirkt eine ganze Reihe aufeinander folgender molekularer Bewegungen, die uns ver- borgen bleiben und die in eine sichtbare Erscheinung auslaufen, deren ursächliche Beziehung zu dem ursprünglichen Angriff wir uns nicht mehr vorstellen können und die vielfach etwas ganz anderes ist, als was wir von demselben erwartet haben. Sehr häufig erzeugt der Reiz eine Reflexbewegung und gewöhnlich macht sich seine Haupt- wirkung grade an der gereizten Stelle geltend, und zwar bei einem schädlichen Eingriff in der Weise, dass der Organismus sich bereit macht denselben abzuwehren. — Außer der allgemein bekannten Reaktion, welche im tierischen Organismus auf eine Verletzung oder einen heftigen Reiz mit Blutandrang und Neubildung von Gewebe antwortet, erinnert Nägeli an die Reaktion lebender Pflanzen- gewebe. Nicht immer bewirkt der Reiz das Herbeiströmen von plastischen Stoffen und das Auftreten von Neubildungen. So ver- hält es sich mit den schwächeren Reizen, welche Licht, Wärme, Kälte, mechanische Angriffe ausüben. Ein Reiz, der nur selten oder nur eine kürzere Zeit lang einwirkt, hinterlässt, wenn er auch von heftigen Reaktionen begleitet ist, keinen bemerkbaren Eindruck auf das Idioplasma. Eine Person, die noch so oft von Wespen ge- stochen wurde, oder eine Eiche, die auf den Stich der Gallwespen noch so viele Galläpfel erzeugt hat, vererbt davon nichts Sichtbares auf die Nachkommen. Eine Familie, deren Glieder in mehreren auf- einander folgenden Generationen die Blatternkrankheit bestanden oder mit Kuhpocken geimpft wurden, hat davon keine bemerkbaren erb- ‚lichen Folgen. Dauert der Reiz aber während sehr langer Zeiträume, also durch eine sehr große Zahl von Generationen an, so kann er, Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 519 auch wenn er von geringer Stärke ist und keine wahrnehmbaren so- fortigen Reaktionen hervorruft, das Idioplasma doch so weit verän- dern, dass erbliche Dispositionen von bemerkbarer Stärke gebildet werden. Dies scheint wenigstens für die Wirkung des Lichtes zu gelten, welehe viele Pflanzenteile der Sonne zu-, einige auch von derselben abwendet und für die Wirkung der Schwerkraft, welche die meisten Stengel emporrichtet, die Wurzeln nach unten zu wachsen veranlasst. Man könnte zwar meinen, dass diese Wirkungen in ihrer vollen Stärke unmittelbare Folgen der äußeren Ursachen seien und dass es nieht der Annahme einer erbliehen Disposition bedürfe. Doch ist diese Meinung unmöglich, weil es Pflanzenteile gibt, die sich ge- genüber von Licht gleichgiltig, und auch solche, die sich grade um- gekehrt als andere ähnliche Pflanzenteile verhalten. Daraus geht wohl hervor, dass das Idioplasma unter dem Einfluss der Reize sich ungleich ausgebildet hat, und dass es vermöge dieser ungleichen erblichen Beschaffenheit den einen Organen das Vermögen gibt, auf den Reiz, den das Lieht oder die Schwerkraft ausüben, in einer bestimmten Weise, andern Organen in entgegen- gesetzter Weise, und noch anderen gar nicht zu reagieren. Die erb- lichen Folgen sind in den Organismen überhaupt doppelter Art. Ent- weder werden Organisation und Funktion in sichtbarer Weise ver- ändert, oder es wird, indem der Organismus scheinbar gleich bleibt, bloß die molekulare Beschaffenheit so weit modifiziert, dass dieselbe ein anderes Vermögen erlangt, auf Reize zu reagieren. Ein Beispiel, dass in der Pflanze bloß das Vermögen ausgebildet wurde, auf eine äußere Einwirkung zu reagieren, ist die Wurzelbildung, die bei be- stimmten Pflanzenarten dann eintritt, wenn gewisse Stengelteile mit Wasser in Berührung kommen, während anderen Stengelteilen der gleichen Arten und den nämlichen Stengelteilen anderer Gattungen diese Erscheinung mangelt. Die Fähigkeit der Pflanzenorgane, sich durch Wachstum zu drehen und zu krümmen, damit sie eine günstige Lage und Richtung erlangen, oder Wurzeln zu treiben, ist offenbar nicht durch innere Ursachen erzeugt worden, sondern es hat sich das Idioplasma unter dem langdauernden Einflusse des Lichtes und der Schwerkraft sowie des Wassers (letzteres bei Sumpfpflanzen) all- mählich so umgebildet, dass es nun auf den Reiz dieser Agentien zu antworten vermag. Weniger gewiss als die Ursachen der Reizbarkeit sind im all- gemeinen diejenigen, welche die sichtbaren Anpassungen in der Or- ganisation und Funktion bewirkt haben. Ueber einige derselben wird zwar kaum ein Zweifel bestehen können. Den Schutz, den die Tiere kalter Klimate in ihrer dieken Behaarung und diejenigen weniger kalter Gegenden in ihrem Winterpelz finden, hat ihnen die Einwir- kung der Kälte auf das Hautorgan gegeben. Die verschiedenen Waffen zur Abwehr und zum Angriff, den die Tiere in den Hörnern, 52) Nägeli, Mechanisch-physiologische "Theorie der Abstammungslehre. Krallen, Stoßzähnen u. s. w. besitzen, sind durch den Reiz, der beim Angriff oder bei der Verteidigung auf bestimmte Stellen der Körper- oberfläche ausgeübt wurde, nach und nach entstanden und größer geworden. Diese Auffassung schließt nicht, wie Ref. glaubt, den Darwin’schen Gedanken der Selektion aus, sondern sie erweitert ihn. Denn denken wir, eine haarlose Herde von Mastodonten sei infolge des Sinkens der Temperatur aus einem warmen Gebiet von 15° mittlerer sahres- temperatur allmählich in ein solches von nur 8° versetzt worden, und der Reiz der Kälte habe eine dicke Behaarung hervorgerufen, so ist nach Nägelis eigner Voraussetzung nicht zu erwarten, dass alle Individuen diese Waffe zur Abwehr der Kälte erhielten. Bei vielen war die Behaarung unvollkommen, bei manchen blieb sie trotz des Reizes aus. Diese letzten beiden Kategorien mussten aber ohne diese Waffe zu grunde gehen, und es kam zu einer Selektion. Wir müssen anerkennen, dass der dunkle Vorgang der Anpassung durch die Er- örterungen Nägeli’s in hohem Maße verständlicher wird. Wir lernen die einzelnen Angriffspunkte ahnend begreifen, wenn wir den Reiz verfolgen, der zunächst nur die molekulare Beschaffenheit so all- mählich und erst nach Generationen vielleicht modifiziert, dass die- selbe ein anderes Vermögen erlangt, auf Reize zu reagieren. Die Natur hat ja mannigfache Mittel, abgesehen von den Haaren, um den Organismus z. B. der Fische, Amphibien ete. trotz des Wärmever- lustes dennoch zu erhalten, aber auch bei ihnen bewirkte die Umän- derung des Idioplasmas durch alle verschiedenen Instanzen hindurch, endlich auch zuletzt eine — Selektion. Wir sind also vollkommen einverstanden mit der Voraussetzung, dass die verschiedenen Waffen zur Abwehr und zum Angriff, welche die Tiere in den Hörnern, Krallen, Stoßzähnen u. s. w. besitzen, durch den Reiz auf bestimmte Stellen nach und nach entstanden und größer geworden sind, allein der Begriff einer Selektion wird dadurch doch noch nicht entbehrlich. Sagt N. doch selbst S. 144, wo es sich um die Wirkungen des Lichtes auf die Pflanzen handelt: Es wäre denkbar, dass in einem noch unbestimmten Organ je nach dem Aus- schlage, welcher von der Kombination der Molekularkräfte abhängig ist, unter den gleichen Verhältnissen die einen Individuen der näm- lichen Sippe sich positiv, die andern sich negativ verhielten, und dass dann die Konkurrenz die Entscheidung gäbe, welche Individuen Be- stand haben und welche zu grunde gehen. Die Ursachen anderer und namentlich der bei den Pflanzen vor- kommenden Anpassungen geben dem Nachdenken noch reichen Stoff. Die frühesten Gewächse waren Wasserbewohner; sie akklimatisierten sich nach und nach an eine feuchte, dann an eine trocknere Luft. Es gibt jetzt noch viele niedere und auch einige höhere Pflanzen, die im Wasser und außerhalb desselben leben können. Sowie nun in Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 521 der Urzeit die Gewächse aus dem Wasser kamen, wirkte die Ver- dunstung als Reiz auf die Oberfläche. Das partielle Austrocknen verursachte daselbst eine negative Spannung, die man beispielsweise auch in der Rindenschieht eines austrocknenden Tropfens von Gummi- schleim leicht nachweisen kann. Außer dieser veränderten Kom- bination der Molekularkräfte bestand der Reiz ferner noch in der reichlicheren Zufuhr von Sauerstoff und verursachte die chemische Umwandlung der oberflächlichsten Celluloselage in Korksubstanz. So haben die Landpflanzen die erbliche Fähigkeit erlangt, die äußerste Celluloseschieht ihrer Epidermiszellen zu verkorken. Wachsen die Organe mit dem Aelterwerden in die Dieke, so wird das aus Kork bestehende Oberhäutchen zerrissen; die Verdunstung und der Zutritt von Sauerstoff wirken nun auf das unterliegende Zellgewebe ein und der Reiz veranlasst die Bildung einer mehrschichtigen Korkzellenhaut, welcher Vorgang bei andauerndem Diekenwachstum sich von Zeit zu Zeit wiederholt. Man kann die Bedingungen künstlich berstellen. Wenn man Kartoffeln, welche gleich den übrigen Landpflanzen die Fähigkeit erlangt haben, eine solche Korkhaut (die Kartoffelschale) zu bilden, quer durchschneidet und die Schnittfläche der Verdunstung und der Einwirkung der Luft aussetzt, so entsteht innerhalb der- selben eine schützende Korkhaut. Bewahrt man dagegen die Schnitt- fläche vor der Verdunstung und der Lufteinwirkung, indem man sie auf eine Glasplatte oder einen Teller legt oder in Wasser bringt, so bleibt die Korkbildung aus und es tritt Fäulnis ein. Die Land- pflanzen haben außer dem weichen Zellgewebe, welches die Ernährung und auch die Leitung der Stoffe besorgt, diekwandige, durch Ver- holzung festgewordene Zellen, die das Holz und den Bast zusammen- setzen. Diese verholzten Gewebe verrichten mechanische Funktionen und sind deshalb auch mechanische genannt worden. Sie tragen und stützen die weichen Gewebe, sie bewahren die Organe vor dem Zerbrechen und Zerreißen. Den Wasserpflanzen, welche weder ihr eignes Gewicht zu tragen, noch der Gewalt der Winde zu wider- stehen haben, mangeln die mechanischen Zellen fast gänzlich. Die- selben bildeten sich erst und zwar vorzugsweise aus den dünnwan- digen, langen und engen Zellen der Gefäßstränge, als die ursprüng- lichen Wasserbewohner zu Landbewohnern wurden. Viele Beispiele, z. B. die kletternden Pflanzen, die farbigen Blumen- kronen, die Honigdrüsen, die dimorphen und trimorphen Blüten werden noch angeführt, bei denen die Anpassung, welche als Reaktion auf einen äußern Reiz eintritt, stets ein Bedürfnis befriedigt und sich somit als nützlich erweist. Ein Beispiel wird diese Auffassung deutlich machen. Es handle sich um den Schutz der Landpflanzen gegen das Verdunsten. Dieselben sind die Nachkommen von Wasserpflanzen, die von Wasser- mangel nichts wussten. Ihr Idioplasma war so beschaffen, dass es einen Organismus erzeugte, welcher das Durchdrungensein mit Wasser 522 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. und somit das Vorhandensein dieses Mediums voraussetzte. Als die Gewächse das bisherige Medium mit feuchter Luft vertauschten, wurde die genannte Voraussetzung nicht mehr erfüllt. Die aus dem Idioplasma hervorgehende Pflanzensubstanz, welche nun etwelcher Verdunstung ausgesetzt war, empfand also den Mangel von etwas, das ihr bisher nicht mangelte, und dieser Mangel konnte als Reiz wirken, welcher zu den von außen wirkenden Reizen hinzakam — oder, anders ausgedrückt, dieser Mangel konnte der Reaktion des Organismus auf die äußeren Reize die bestimmte Richtung geben, so dass die Anpassung in einer zur Befriedigung des empfundenen Be- dürfnisses dienenden Weise erfolgte. Es gibt nun aber auch Anpassungen, wo dem Anscheine nach die äußeren Einflüsse keine Rolle spielen und wo das Be- dürfnis, welches befriedigt wird, nicht als Reiz wirken kann. Hierher gehören die zahllosen Erscheinungen, die sich unter dem Namen Sorge für die Brut zusammenfassen lassen. Die Keime werden von den Eltern entweder eine Zeit lang ernährt, oder sie werden von denselben mit Nährstoffen ausgestattet, von denen sie leben, bis sie sich selbst nähren können. Man wird wohl zu der Behauptung geneigt sein, dass die äußeren Einwirkungen hier sich nicht geltend machen, so dass als Reiz nur das Bedürfnis übrig bliebe; aber dasselbe müsste gleichsam eine Fernwirkung in die Zukunft zu stande bringen. Das Bedürfnis nach Nahrung, welches der Keim empfindet, müsste eine derartige Umstimmung im Idioplasma hervor- bringen, dass das erwachsene Individuum die Neigung empfände, seine Keime besser mit Nährstoffen zu versehen. Vor dieser Miss- lichkeit vermag folgende Erwägung zu bewahren. Um die Anfänge der Sorge für die Brut aufzufinden, müssen wir zu dem Ursprunge der niedrigsten bekannten Organismen und selbst noch weiter hinuntersteigen. Auf der ersten Stufe dieses Reiches findet erst Zunahme des primordialen Plasmas statt; auf der zweiten kommt regelmäßige Teilung hinzu und zwar mittels des aus ge- ordneten Micellen bestehenden Plasmahäutchens, welches die kleinen individuellen Plasmatröpfehen umschließt; auf den folgenden Stufen schreitet die Organisation des Rindenplasmas fort bis zur Beweglich- keit des ersten Tieres (Moners) und zur Cellulosemembranbildung der ersten Pflanze. Schon auf der zweiten Stufe mochte die Ausstattung für die Zukunft und somit die Sorge für die Brut beginnen, insofern schon hier aus irgend einem Grunde (Eintritt kälterer Temperatur, teilweiser Wassermangel, Ausgehen der Nährstoffe) ein periodisches Stillstehen der Vegetation statthatte. Dabei konnte selbstverständlich nicht einfach das Wachstum oder die Teilung in jedem beliebigen Stadium aufhören, um später an dem gleichen Punkte wieder fortzu- fahren. Da die ungünstige Veränderung der äußeren Umstände all- mählich eintrat, so mussten zuerst diejenigen Lebensprozesse zur Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 593 Ruhe gelangen, die am empfindlichsten davon getroffen wurden, in- dessen die anderen noch einige Zeit fortdauerten. Es musste die Teilung als das Spätere und Kompliziertere schon aufhören, indess die Substanzzunahme als das Ursprüngliche und Einfachere noch thätig war. So finden wir auch bei den Gewächsen als allgemeine Erscheinung, dass schädliche Einflüsse, welche die Fortpflanzung un- terdrücken, das Wachstum noch gestatten. — Beim periodischen Uebergang in die Vegetationsruhe fand also jedesmal eine Störung des regelmäßigen Wechsels zwischen Teilung und Wachstum statt, wobei das letztere begünstigt war und die in den Ruhestand sich begebenden Individuen durch Umfang und Masse sich vor den übri- gen Generationen auszeichneten. Diese Störung musste sich in dem Idioplasma geltend machen und eine entsprechende Veränderung des- selben bewirken, also erblich werden. Die erbliche Eigenschaft aber musste, da die bewirkenden Ursachen stets eintraten, sich allmählich steigern; und diese Ursachen sind wenigstens im Pflanzenreiche auf allen Stufen thätig, da jährlich durch äußere Umstände eine Vege- tationsruhe veranlasst wird. Es musste also die Neigung, unter ge- wissen Verhältnissen die Zellteilung aufhören und an ihrer Stelle eine Vermehrung des Inhaltes eintreten zu lassen, immer größer wer- den und bemerkbarere Folgen hervorbringen. Ueberdies ist daran zu erinnern, dass die verschiedenen Anlagen im Idioplasma nicht unabhängig nebeneinander liegen, sondern dass sie zusammen ein einziges System bilden, in welchem die Teile sich gegenseitig be- dingen. Wenn nun auch eine äußere Ursache zu wirken aufhört, so kann doch die Anlage, die sie erzeugt hat, mit dem fortschreitenden Komplizierterwerden des Idioplasmas sich weiter aus- und umbilden. Was uns daher bei den höheren Organismen als voraussehende Sorge und, wenn hier allein betrachtet, als unverständliche Einrichtung er- scheint, ist nichts anderes als eine ererbte, durch natürliche Ursachen hervorgerufene und weitergebildete Eigenschaft. Sowie das Idio- plasma durch die inneren Ursachen komplizierter wird, so nimmt unter Mitwirkung der äußeren Reize die frühere Anpassung des Idio- plasmas unter Beibehaltung ihres Charakters eine neue, der statt- gehabten Weiterbildung entsprechende Form an. Und in gleichem Maße wie das Idioplasma verändert sich der entfaltete Organismus, indem er sich in zahlreichere Teile gliedert und seine Anpassung demgemäß weiter ausbildet und verbessert. Wenn aber während der inneren Vervollkommnung die äußeren Reizwirkungen sich ver- ändern und lange genug andauern, so wird natürlich sowohl die An- passung des Idioplasmas, als die des entfalteten Organismus eine andere. — Die anschaulichsten Belege für die Weiterbildung und die Veränderung der Anpassung finden wir im Tierreiche. Zu den be- merkenswertesten Produkten, an denen die äußeren Einwirkungen » 524 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. Teil haben, gehören die Sinnesorgane. Sie behalten während der ganzen Phylogenie des Tierreiches den nämlichen Charakter, da sie die gleichen Bedürfnisse zu befriedigen haben; sie werden aber ent- sprechend der höheren Organisation des ganzen Individuums immer komplizierter. Die Ausbildung des so hoch entwickelten Gesichts- und Gehörorgans der Wirbeltiere aus den einfachsten Anfängen bei den niederen Tieren ist nicht durch den Einfluss der Licht- und Ton- schwingungen erfolgt, sondern, indem das Idioplasma durch die inneren Ursachen eine reichere Gliederung gewinnt, bewirkt es die entsprechende reichere Gliederung auch an den genannten Organen, wobei die fortdauernde Einwirkung der Licht- und Tonsehwingungen »loß den Anpassungscharakter der Organe erhält und möglicherweise noch steigert. — Beispiele wie auf gleicher Organisationsstufe das Idioplasma und die entsprechenden Organe sich ungleich anpassen können, geben uns bei niederen und höheren Tieren die Anhangs- organe, welche für die verschiedensten Bewegungen ausgebildet wurden. Die phylogenetische Entwicklung besteht also darin, dass das Idioplasma durch die inneren Ursachen stetig komplizierter wirdund dabei unter dem Einfluss der gleichbleibenden oder sich ver- ändernden äußeren Reizwirkungen seinen Anpassungscharakter beibehält oder wechselt. Sowie die Micellscharen in dem ldioplasma an Zahl zu- nehmen, wird notwendig auch der Organismus komplizierter, weil ja seine Ontogenie darin besteht, dass eine Schaar nach der andern in Wirksamkeit tritt und sich an dem Aufbau in der ihr eigentümlichen Weise beteiligt. Der Weg von der Keimzelle bis wieder zur Keim- zelle wird also in einer Abstammungsreihe immer länger, die Indi- viduen erheben sich auf immer höhere Organisationsstufen und bilden eine größere Menge von Organismen, wobei sich die Verrichtungen scheiden und auf verschiedene Organe verteilen. Auffassungen der verschiedenen Phasen von Anlagen und von sichtbaren Merkmalen, wie z. B. Vererbungsanteil der beiden Eltern bei der geschlechtlichen Fortpflanzung (S. 198), oder die Unterschiede von Rasse und Varietät führen den Verfasser zu einer Kritik der Darwin’schen Theorie von der natürlichen Zuchtwahl (S. 284), worin er unter anderem seine Theorie mit derjenigen der direkten Bewir- kung bestimmter formuliert. Nach Nägeli’s Ansicht wurde der jetzige Zustand der organischen Reiche ebenfalls durch die Verän- derung der Individuen und durch die Verdrängung herbeigeführt. Aber die kausale Bedeutung dieser beiden Prozesse ist eine andere: nach Darwin ist die Veränderung das treibende Moment, die Se- lektion das richtende und ordnende; nach Nägeli’s Theorie ist die Veränderung zugleich das treibende und das richtende Moment. Nach Darwin ist die Selektion notwendig; ohne sie könnte eine Vervollkommnung nicht stattfinden und würden die Sippen in dem nämlichen Zustande beharren, in welchem sie sich einmal befinden. Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 525 Nach Nägeli’s Ansicht beseitigt die Konkurrenz bloß das weniger Existenzfähige; aber sie ist gänzlich ohne Einfluss auf das Zustande- kommen alles Vollkommneren und besser Angepassten. Der Unter- schied zwischen den beiden Theorien offenbart sich am deutlichsten, wenn wir uns fragen, wie die Reiche wohl beschaffen wären, wenn die Konkurrenz ganz mangelte. Nach der Selektionstheorie müsste mit dem Auftreten der Geschleehtsdifferenz die Entwicklung der Reiche bei mangelnder Konkurrenz aufgehört haben, weil nun eine ungehemmte Kreuzung die organische Welt in einem Chaos festge- bannt hätte. Nach der Theorie der direkten Bewirkung würden sich dagegen auch bei fehlender Konkurrenz alle Organismen, die wir Jetzt kennen, gebildet haben; es wäre in der nämlichen Zeit aus der ein- zelligen Alge ein Eiehbaum und aus dem Infusorium ein Säugetier geworden; aber es wären neben den jetzt lebenden Wesen auch noch die Abkömmlinge aller derjenigen vorhanden, welche der Kampf ums Dasein verdrängt und vernichtet hat. Auf den untersten Stufen der lebenden Wesen bei den niedrigsten Pflanzen und Tieren geschieht die Vermehrung auf ungeschlechtlichem Wege. Hier hat die Selektion noch keine Bedeutung, ein Umstand, der besondere Beachtung ver- dient. Hat nämlich eine Veränderung in einem Individuum begonnen, so kann sie sich stets in den Nachkommen desselben vererben und weiterbilden, weil keine Kreuzung sie stört. Der Kampf ums Dasein entfernt das weniger Existenzfähige und in zu großer Zahl Vorhan- dene, aber er befördert nicht die Veränderung. Nach Nägeli’s An- sicht nun verhalten sich die geschlechtliechen Organismen ganz wie die ungeschlechtlichen, so dass der Fortschritt in der Organisation seinem Wesen nach überall der nämliche ist. Der Grund der ver- schiedenen Ansichten liegt in der Vorstellung über die Natur der Veränderung, und hierin besteht der Kernpunkt der Differenz zwischen den beiden Theorien. Nach der Meinung Darwin’s ist die Veränderung beliebig, richtungslos, daher in verschiedenen Individuen ungleich; nach Nägeli’s Ansicht hat sie einen bestimmten Charakter und daher in den verschiedenen Individuen eine gewisse Ueberein- stimmung. Der Erfolg der einen und der andern Annahme lässt sich leicht einsehen. Eine Sippe variiere in ihren Individuen und die Verän- derungen seien, wie Darwin es voraussetzt, ganz ungleich geartet, so werden die extremen Formen in der Regel nicht erreicht. Die Möglichkeit hierzu ist zwar nieht ausgeschlossen, aber die Wahrschein- lichkeit ist außerordentlich gering. Es müssten nämlich grade zwei Individuen, die nach der nämlichen Richtung hin zu variieren ange- fangen haben, sich begatten, und es müssten ihre Nachkommen durch eine Reihe von Generationen immer nur unter einander sich kreuzen. Da aber eine allgemeine Kreuzung zwischen den Individuen einer Sippe statthat, so erfolgt eine stete Ausgleichung zwischen den be- 526 Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. Ix ’ h) {=} {=} gonnenen Veränderungen, und die Sippe bleibt in der Mitte ihres ganzen möglichen Formenkreises, wenn nieht die künstliche oder na- türliche Zuchtwahl wirksam eingreift und einer bestimmten Verän- derung durch Entfernung der übrigen das Feld einräumt. Wenn aber dem entgegengesetzt in der fraglichen Sippe die Umbildung in allen Individuen nach der nämlichen Richtung stattfindet, so kann sie durch die Kreuzung nicht gestört werden. Verändern sich in einem be- stimmten Falle die übrigen Eigenschaften in den verschiedenen Indi- viduen allseitig, eine Eigenschaft dagegen einseitig, so macht die Kreuzung alle anderen Variationen unmöglich, lässt aber die eine sich ungehemmt ausbilden. Zeigt beispielsweise die Behaarung diese gleichmäßige Abänderung, so wandelt sie sich in der ganzen Sippe so um, wie etwa in der Nachkommenschaft eines übereinstimmenden Paares, das sich nach der Migrationstheorie in die Einsamkeit be- geben hätte, um da einen neuen Stamm zu gründen, oder dem es nach der Selektionstheorie gelungen wäre, im Kampfe ums Dasein alle übrigen Individuen zu vernichten. Ein ähnliches Verhalten, wie eben für eine Sippe angenommen wurde, zeigen nun nach Nägelis Ansicht allgemein die natürlichen Sippen. Es gibt bei allen ein ge- wisses Gebiet von Eigenschaften, in welehem die Variationen all- seitig, und andere Gebiete, in denen sie einseitig erfolgen. Die Variationen des ersten Gebietes unterliegen im großen und ganzen den Gesetzen, die nach Darwin für alle Variationen maßgebend sein sollten. Sie sind die unmittelbaren Folgen von klimatischen und Er- nährungseinflüssen, bestehen in mannigfaltigen Störungen der nor- malen Vorgänge und werden durch die Kreuzung zum Teil unschäd- lich gemacht, entwickeln sich zuweilen aber zu anormalen Merkmalen, die in der Kultur erhalten bleiben und Rassen bilden, im natürlichen Zustande jedoch von den normalen und lebenskräftigen Individuen durch die Konkurrenz beseitigt werden. Kreuzung und Konkurrenz haben in diesem Falle eine konservative, die Sippe im dem einmal bestehenden Zustande erhaltende Wirkung. Von zwei Theorien, die, wie es hier der Fall ist, einander aus- schließen, muss die eine falsch sein; die richtige aber muss sich als wahr erweisen, man mag sie von irgend einer Seite betrachten, und ihr darf keine Thatsache und kein Gesetz widersprechen, während kein logischer Weg von einer Thatsache oder einem Gesetze aus zu der falschen Theorie führen kann. Nägeli ist der Ueberzeugung, dass die Selektionstheorie in jedem Falle, wo ein thatsächlicher An- halt gegeben und ein logisches Verfahren möglich ist, sich entweder als unhaltbar oder als weniger wahrscheinlich erweist. Der Unter- schied der beiden Theorien lässt sich in seiner allgemeinsten Form folgendermaßen aussprechen. Nach der Selektionstheorie bringen un- bestimmte Ursachen (die äußeren Einflüsse) in den verschiedenen Individuen unbestimmte und nicht zu analysierende Wirkungen (die Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. 597 fe) ’ oO > | individuellen Veränderungen) hervor, von denen eine, die nützlichste, durch Verdrängung der mit den übrigen Wirkungen behafteten Indi- viduen allein Bestand gewinnt. Die Theorie der direkten Bewirkung dagegen setzt bestimmte, teils bekannte, teils zu erkennende Ursachen voraus, welche bestimmte Wirkungen, die morphologischen und phy- siologischen Eigenschaften der Organismen unmittelbar zur Folge haben. Nach der Selektionstheorie, welche die Veränderungen in un- bestimmter Weise, also in jedem Teil des Organismus, selbst in jeder Zelle und nach allen Richtungen hin eintreten lässt, ist die bestehende organische Welt nichts anderes als ein Einzelfall von einer unend- lichen Zahl von Fällen, von denen viele, vielleicht alle durchprobiert und bis auf den einen unbrauchbar befunden wurden. Dies hat als ein blindes Walten von Naturkräften Anstoß erregt. Allein seitens der Naturforschung würde in dieser Beziehung allerdings kein Be- denken bestehen, da, wenn auch die Ursachen erforscht sind, doch ihr erster Grund uns unbekannt bleibt und daher überall in der Natur schließlich von einem blinden, d. h. uns unverständlichen Geschehen gesprochen werden kann. Nach der Theorie der direkten Bewirkung dagegen ist Bau und Funktion der Organismen in den Hauptzügen eine notwendige Folge von den der Substanz innewohnenden Kräften und somit unabhängig von äußeren Zufälligkeiten. Auch wenn die klimatischen Veränderungen und die Wanderungen der Organismen in früheren Perioden sich wesentlich anders gestaltet hätten, so mussten die Organisationsstufen grade so, und die Anpassungen konnten nicht viel anders werden, als sie jetzt sind. Damit treten die Organismen in Uebereinstimmung mit den anderen individuellen Gestaltungen der Materie, namentlich mit den Krystallen, deren Bau ebenfalls im wesentlichen von den der krystallisierenden Substanz innewohnenden Kräften und nur in unwesentlichen Dingen von den äußeren Umständen abhängt. Die Theorie der direkten Bewirkung, welche alles Wesentliche an den Organismen aus bestimmten Ursachen hervorgehen lässt, setzt der Forschung ein klares und auf exakte Weise zu erreichendes Ziel, nämlich für die bekannten bestimmten Ergebnisse die noch unbekannten bestimmten Ursachen zu erforschen. Die Selektionstheorie hat sich, indem sie von unbestimmten kleinen Ursachen und unbestimmten kleinen Wirkungen ausgeht, ihre Auf- gabe schwieriger gemacht als jene Theorie oder auch leichter, je nach der Art, wie sie dieselbe erfüllen will. An diese geistvollen Erörterungen knüpfen sich noch Kapitel über die phylogenetische Entwickelungsgeschichte des Pflanzenreiches; über den Generationswechsel in phylogenetischer Beziehung (S. 426); über Morphologie und Systematik als phylogenetische Wissenschaften (8..455). Hoffentlich haben die vorstehenden Abrisse aus dem umfang- reichen Werke den Wunsch erzeugt, tiefer in dasselbe einzudringen. 598 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. Auch die härtesten Gegner werden die scharfe Logik anerkennen müssen und den großen Nutzen, der in den feinen Unterscheidungen liegt: Bene docet, qui bene distinguit. Die Forschung braucht immer noch mehr Erklärungsgründe für diese Mannigfaltigkeit der organischen Formen. Die erste Aufgabe besteht ja darin, die verborgenen Mittel und Wege auszuspüren, wel- che die Natur in Anwendung gebracht hat und noch bringt, sich zu differenzieren. Wir kennen noch immer nicht genug. Nägelis Buch wirkt nach dieser Seite hin anregend in hohem Grade, und man wird vielen seiner Gedanken sympathisch entgegen kommen, wenn man erwägt, dass sie sowohl wie jene Darwin’s zur Lösung des großen Rätsels zusammenwirken. Kollmann (Basel). Das Gehirn der Knochenfische. Vortrag, gehalten in der Gesellschaft für Heilkunde zu Berlin am 20. Juni 1884. Von H. Rabl-Rückhard. (Schluss.) Kehren wir zur Betrachtung des Bodens des Binnenraumes, nach Entfernung des Teetums, zurück, so fallen zwei weitere Modellierungen desselben ins Auge, die jederseits lateral von der Valvula cerebelli ge- legen sind. Dieselben gehören den Seitenwandungen des Mittelhirns an und stellen zwei sichel- oder halbmondförmige Wülste dar, mit meist rundem, dickerem vorderem und dünnem spitzem hinterem Ende, die, mit ihrer Konkavität nach innen gerichtet, beiderseits die Valvula umfassen (Fig. 5, tor... Sie werden als Tori semieireulares Halleri Fig. 5 stellt einen 4,7 >£ lin: vergrößerten Querschnitt durch die Lobi optiei (Mittelhirn) der Forelle an der Austrittsstelle der Nervi oculomotorii dar. Die Lobi inferiores und der Saceus vaseulosus sind ebenfalls vom Schnitt ge- troffen, gehören aber selbstverständlich dem Protencephalon an. bezeichnet, von Gottsche und Fritsch für die Thalami optiei ange- sehen, während sie offenbar nichts anderes sind, als dieselben Ver- Rabl-Riückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 599 diekungen der Seitenwand und Basis an der Binnenfläche des Mittel- hirns, welche wir oben bei den Reptilien und Amphibien kennen ge- lernt haben. Endlich hat die Sucht, im Mittelhirn der Knochenfische allerlei Teile des Großhirns der höheren Wirbeltiere zu suchen, noch zu einer ebenfalls durchaus unzutreffenden Bezeichnung einer Bildung Anlass gegeben, die in Gestalt zahlloser feiner Faserbündel von den Tori semieireulares in die lateralen Teile des Tectums einstrahlt, des so- genannten Stabkranzes (Fig. 5, cor. r.). Schon aus dieser kurzen Darstellung dürfte der verwickelte Bau des Mittelhirns der Knochenfische hervorgehen. Es kann daher nicht wunder nehmen, wenn über die Deutung der eben besprochenen Teile bis in die neueste Zeit die lebhaftesten Streitigkeiten herrschten. Weil man im Mittelhirn der Säugetiere keine Homologien für diese Teile fand, suchte man sie in deren Großhirn, und so kam es, dass, wie gesagt, der Torus longitudinalis als Fornix, das Dach der Lobi optiei Tor!. 1 | : 1 | M.obl. Ä Fig. 6. Fig. 6: Forellengehirn, (5 { lin:) dorsoventraler Längsschnitt nahe der Me- dianebene. B. o. Bulbus olfactor. T. 1 o. Teetum lobor. optie. N. I. Nervus olfact. Tor. 1. Torus longitudinalis C. st. Corpus striatum. V. ce‘ u. ce“ Ventrieulus ecommunis Comm. a. Commissura anter. Ve iv: 3 quartus Comm. p. Commissura poster. Ag. Sy. Aquaeductus Sylvii Pa. Pallium M. obl. Medulla oblongata G. pin. Glandula pinealis Ö. fr. Os frontale N. II. Nerv. opticus Va. Valvula cerebelli I. Infundibulum mit Ventrie. III. Cbl. Cerebellum L. i. Lobus inferior G. h. Ganglion habenulae S. v. Saccus vasculosus H. Hypophysis als Großhirnrinde, dessen mediane Vereinigung als Corpus callosum, die Tori semicirceulares als Thalamus optieus gedeutet wurden. Be- sonders war es G. Fritsch, welcher diese alte, schon von Gottsche aufgestellte Deutung wieder aufnahm und gegen Stieda, der in diesem Hirnabschnitt lediglich Mittelhirn sah, durchzuführen suchte. 34 530 Rabl-Rickhard, Das Gehirn der Knochenfische. Die Lösung dieser Frage der Homologisierung lag offenbar auf dem Gebiete der Embryologie. Zeigte diese, dass das fragliche Ge- biet lediglich aus dem zweiten Hirnbläschen, dem Mesencephalon, her- vorging, ohne irgend welche Beteiligung des vor ihm gelegenen Ab- schnitts, des Protencephalon, so war schon damit die Notwendigkeit der Deutung als Mittelhirn, d. h. Zweihügel, gegeben. — So ver- lockend dann auch gewisse äußere und oberflächliche Aehnlichkeiten auf einen Vergleich mit gewissen Großhirngebilden hinwiesen, so musste doch ein solcher Versuch von vornherein als ebenso unstatt- haft wie hoffnungslos zurückgewiesen werden. — In einer 1882 er- schienenen Arbeit: „Zur Deutung und Entwickelung des Gehirns der Knochenfische* führte ich, auf grund eingehender Beobachtungen an Forellen- und Lachsembryonen, den strikten und unanfechtbaren Nach- weis, dass Entwicklungsvorgänge, wie sie Fritsch als notwendige Vorbedingung für seine Deutung des Mittelhirns voraussetzen musste, überhaupt nicht vorkommen, dass im Gegenteil die Entwicklung lehrt, Fig. 9. Bis410. Fig. 7—10. Frontale Schnitte durch das Großhirn von einem Schafembryo von 2,7 em Länge (nach Kölliker, Entwickelungsgesch. S. 520), der Taube des Alligators und des Frosches €. st.: Stammlappen bezw. Streifenkörper, P. Hirnmantel pl. Plexus chorioidei (auf Fig. 8—10 weggelassen). Tr. o. Traetus optiei. V. III. Ventrieulus tertius V. 1. Ventrieulus lateralis, auf 7, 8, 9 durch das Foramen Monroi kommunizierend. wie der fragliche Gehirnabschnitt lediglich dem zweiten Hirnbläschen entstammt, und nur dem Zweihügel der übrigen Wirbeltiere gleichge- stellt werden kann. Somit war die ältere, von Stieda herrührende Deutung wieder als zu Recht bestehend erwiesen. Dieselbe begründete sich wesent- lich auf dem vergleiehend anatomisch geführten Nachweis, dass das Teetum loborum optieorum der Knochenfische sich in seinem mikro- Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 531 skopischen Bau eng an die Mittelhirndecke der Amphibien, Reptilien und Vögel anschließt. Zu gleichen Schlüssen waren später Bellonci und Schulgin gelangt, und in einer 1882 erschienenen ausführlichen Arbeit über dasselbe Gebiet schloss sich Mayser der Stieda’schen Deutung an, ohne zur Zeit seiner Veröffentlichung von meiner ent- wicklungsgeschichtlichen Arbeit Kenntnis zu haben, somit also völlig unabhängig von mir auf anderem Wege zu denselben Schlüssen ge- langend. Ich hatte mieh bei meiner Beweisführung, außer auf die embryo- logischen Thatsachen, wesentlich auf die Lage der Zirbeldrüse und hinteren Kommissur gestützt, um daraus schon die Unmöglichkeit einer Deutung im Sinne von Fritsch herzuleiten. Die Zirbel, be- kanntlich beim Menschen ein unbedeutendes, bis 12 mm im sagittalen, 8 im transversalen und 4 im vertikalen Durchmesser (Schwalbe) messendes graurötliches Knötchen, von der Gestalt eines Pinienzapfens, liegt hier, vom oberen hinteren Ende des dritten Ventrikels ausgehend, auf den vorderen Vierhügeln, in deren Längsrinne, auf. Durch ihre untere Lamelle hängt sie kontinuierlich mit der Commissura posterior zusammen. — Ueber die Bedeutung dieses rätselhaften Gebildes wusste man nichts; sein mikroskopischer Bau ließ, wenigstens auf grund des Befundes an Säugetieren und Vögeln, vermuten, dass man es mit einer drüsenartigen Bildung zu thun habe, doch fehlte der Drüse ein Aus- führungsgang. — Erst die embryologische und vergleichend anatomi- sche Betrachtung warf ein helleres Licht auf die Bedeutung dieses Körpers. Durch die Untersuchungen von Mihalkovics wurde fest- gestellt, dass die Zirbeldrüse bei Säugetieren und Vögeln als eine handschuhfingerartige Ausstülpung der Decke des ersten Hirnbläschens des primären Vorderhirns oder Zwischenhirns, an der Grenze des Mittelhirns, entsteht, welche oben, unmittelbar unter der Epidermis des Schädeldachs, blind endet, während sie unten in der Höhlung des Zwischenhirns einmündet. — Durch Götte für die Amphibien, durch Balfour für die Knorpelfische, war eine ganz analoge Ent- stehung nachgewiesen, obgleich ersterer noch gewisse Beziehungen zwischen dieser Ausstülpung und der Epidermis (bei der Unke) auf- fand, die vorerst der weiteren Bestätigung bedürfen. Aus diesen Beobachtungen ging einerseits hervor, dass die Zirbel- drüse thatsächlich zu gewissen Zeiten des Embryonallebens einen aus- gesprochen drüsigen Bau und einen Ausführungsgang besitzt, mit- tels dessen sie in den dritten Ventrikel mündet, und dessen Rest in dem sogenannten Processus infrapinealis der Säugetiere und des Men- schen noch erkennbar bleibt; anderseits aber musste man sie gene- tisch als einen nur epithelial, d.h. drüsig umgewandelten Bestandteil, besser Divertikel, der gemeinsamen Medullarwand und ihres Hohl- raums, des späteren dritten Ventrikels, bezeichnen. Hand in Hand mit diesen Feststellungen auf dem Gebiete der 34° 532 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. Embryologie gingen die Untersuchungen, welche sich auf die Form und Größe des fraglichen Organs im fertigen Organismus der niederen Wirbeltiere bezogen. Hier waren es namentlich Götte und Ehlers, denen wir die Kenntnis der Zirbel bei Amphibien und Knorpelfischen verdanken, während ich selbst ihr Vorhandensein beim Alligator und später, gegen Stieda, bei der Schildkröte bestätigte. Ehlers wies nach, dass bei den Knorpelfischen die Zirbel ein langgestrecktes fadenförmiges Hohlgebilde ist, welches an der Grenze zwischen Mit- tel- und Zwischenhirn in der Medianebene sich von der Oberfläche der Hirndecke erhebt, aus den Hirnhäuten heraustritt und dann frei als ein Faden die Schädelhöhle in der Richtung nach vorn oben durch- setzt, um schließlich mit einem erweiterten kopfförmigen Ende, weit vor der vorderen Grenze des Großhirns, in das Schädeldach einzu- dringen. Letzteres zeigt bein Hai (Acanthias) eine Lücke in der Knorpelsubstanz, in der der Endknopf locker eingebettet liegt. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich bei den Amphibien, in- sonderheit den Batrachiern, wo man den Endknopf der Zirbel vor der Schädelwand unter der Haut liegend findet. Stieda bezeichnete die- selbe irrtümlich als „Stirndrüse“, und erst Götte wies deren Zusam- menhang mit einem Stiel nach, der dem proximalen Teil der Knor- pelfischepiphyse entspricht. Ueberall, soweit die Zirbel aufgefunden war, hatte ihre Wurzel, d. h. ihre Einmündung in den dritten Ventrikel, einen ganz bestimm- ten Sitz, nämlich an der Grenze zwischen primärem Vorder- und Mit- telhirn, dicht vor der Commissura posterior. Damit ist aber, wie zu- erst Ehlers?!) betonte, ein sicherer Anhalt für die Bestimmung der Homologien der einzelnen Hirnabschnitte bei den verschiedenen Wir- beltierklassen gegeben. — Schon vor ihm hatte v. Mihalkovies dasselbe Argument gegen die Fritsch’sche Deutung des Knochen- fischgehirns verwertet?), noch früher Stieda damit die Gegenbaur- Miklucho-Maeclay’sche Auffassung des Fischgehirns zu widerlegen versucht?). Als ich, nach einer nochmaligen Feststellung der Lage der Zirbel bei den verschiedenen niederen Wirbeltieren, im Jahre 1880 mich in gleichem Sinne aussprach®), fehlte noch das Schlussglied der Kette, die Sicherstellung des Befundes bei den Knochenfischen selbst, ebenso der Nachweis, dass sich hier die Entwicklung der Zirbel ganz gleich wie bei den übrigen Wirbeltieren verhalte. In einer 1882 4) Die Epiphyse am Gehirn des Plagiostomen (Zeitschr. f. wiss. Zool. XXX, Suppl., S. 630) 1878. 2) Entwickelungsgeschichte des Gehirns, 1877, 8. 67. 3) Ueber die Deutung der einzelnen Teile des Fischgehirns (Zeitschr. f. wiss. Zool. XXIII, S. 443). 4) Das gegenseitige Verhältnis der Chorda ete. bei Haifischembryonen (Morphol. Jahrb. VI. Bd. 4. Heft, S. 555 ff.). Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 939 erschienenen weiteren Arbeit!) führte ich diesen Beweis: nach Unter- suchungen an der Bachforelle und am Lachs ergab sich, dass auch bei den Knochenfischen die Zirbel in völlig gleicher Weise und glei- cher relativer Lage entsteht, ein Ergebnis, das durch eine spätere Arbeit ©. K. Hoffmanns?) eine volle Bestätigung fand. Aber auch in bezug auf die Zirbel im fertigen Knochenfischge- hirn galt es noch eine Lücke auszufüllen. Die bisherigen Beschrei- bungen waren teils ungenau, teils falch. So wurde ieh notwendiger- weise dahingeführt, die Verhältnisse an der ganzen dorsalen Seite des vor dem Mittelhirn gelegenen Abschnitts des Knochenfischgehirns genauer zu erforschen. Dieser Abschnitt hatte nicht minder verschiedene Deutungen er- fahren, als die eben besprochenen Lobi optici. — Im allgemeinen han- delt es sich um zwei rundliche paarige Körper, die unmittelbar vor den Lobi optiei gelegen, durch einen medianen Längsspalt von ein- ander und durch einen Querspalt von diesen geschieden sind. Fast stets sind sie bedeutend kleiner, als das Mittelhirn, nur bei einigen Fischen, z. B. Coris julis, nach einer von Fritsch gegebenen Abbil- dung (a. a. O. Taf. II Fig. 22) zu urteilen, erreichten sie dieses an Größe oder übertreffen es gar. Vor diesen beiden Körpern liegen abermals zwei rundliche, noch kleinere Organe, aus denen zwei zum Riechorgan ziehende Nerven- stränge hervorgehen. Auch ihre Größe wechselt sehr nach den ver- schiedenen Fischarten. — Gewöhnlich bezeichnet man dieselben als Tubereula olfaetoria oder Bulbi olfactorii. Die erstgenannten hinter ihnen folgenden Körper tragen, ent- sprechend der ihnen gegebenen Deutung, bei den verschiedenen Schrift- stellern die verschiedensten Namen. — Die älteren Forscher be- zeichneten sie als Hemisphaeria, Lobi anteriores, (Lobi olfaetori). Stieda sah in ihnen das Homologon des Vorderhirns, während Fritsch in ihnen nur das Stirnhirn der höheren Wirbeltiere erblickte. Die Sehwierigkeit, ja Unmöglichkeit einer vollständigen Homologisierung der einzelnen Hirnabschnitte der Knochenfische mit denen der übrigen Wirbeltierklassen war besonders durch den scheinbar durchaus ab- weichenden Bau dieser sogenannten Hemisphaeria bedingt. Das Großhirn sämtlicher Wirbeltiere lässt sich auf ein äußerst einfaches Schema zurückführen. In seiner einfachsten Gestalt wird es durch das Vorderhirnbläschen des embryonalen, noch dreigegliederten Hirn- rohrs gegeben. Diese einfachste Form scheint in der Tierreihe nicht mehr vertreten zu sein. Im Querschnitt würde sich dieselbe als ein 4) Zur Deutung und Entwickelung des Gehims der Knochenfische (Arch. f. Anat. und Physiol., Anat. Abt. 1882, 8. 111 ff.). 2) Zur Ontogenie der Knochenfische (Arch. f. mikr. Anat. XXIII, 5.45 ff. 1883). 534 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. ting von medullaren, ein kreisförmiges Lumen einschließenden Wän- den darstellen. Die nächste embryonale Stufe zeigt, wie oben aus- einandergesetzt, die beiden Hemisphärenbläschen als vordere seitliche Knospen des nunmehr als primäres Vorder- oder auch Zwischenbirn bezeichneten bisher vordersten Bläschens. Der Hohlraum desselben wird zum 3. Ventrikel, der der Hemisphärenbläschen steht zunächst mit ihm beiderseits durch eine weite Oeffnung, das sogenannte Fora- men Monroi, in offener Verbindung. Nunmehr treten Verdiekungen der ursprünglich gleich dicken Medullarwände auf. Die eine sich ver- diekende Stelle ist am unteren Teil des Zwischenhirns gelegen. So. entstehen hier die Sehhügel, welche, medianwärts einander entgegen- wachsend, den 3. Ventrikel Dis auf einen schmalen senkrechten Spalt verengern. Eine andere Stelle liegt nach vorn und außen von der eben beschriebenen. Hier wuchert ein mächtiger, von der ventral- lateralen Medullarwand ausgehender Hügel mit konvexer Oberfläche in den Hohlraum der Hemisphären hinein — der sogenannte Stamm- teil, (Stammlappen Reichert) oder die Insel, deren freie nach dem Binnenraume gekehrte Oberfläche zum Streifenhügel wird. Fig. 7 stellt den Querschnitt des embryonalen Großhirns vom Schaf nach Kölliker vor, und lässt die eben geschilderten Verhältnisse ohne weiteres erkennen. Der untere Teil der medialen Mantelwandungen ist bereits zur Bildung des Ependyms der Plexus und Tela chorioidea media verdünnt und gefaltet. Dieser zweiten Entwicklungsstufe ent- spricht das fertige Gehirn der Amphibien, Reptilien und sogar der Vögel. Ueberall haben wir jetzt eine Sonderung des Großhirns in zwei Hauptteile: einerseits die basallaterale Verdiekung, den Stamm- teil, (C. st.) anderseits den schalenartig diese umhüllenden nicht verdickten Rest des Medullarrohrs der Hemisphären, den sogenannten Mantel oder Pallium (P). Der mehr oder weniger spaltförmige Rest des ursprünglichen Hemisphärenlumens, welcher zwischen beiden gelegen ist, wird Seitenventrikel (V. 1.) genannt. Je höher das Gehirn ent- wickelt ist, umsomehr verkleinert sich derselbe, indem die Oberfläche des Stammteils in immer weiterer Ausdehnung mit der Innenfläche des Mantels verwächst. Die weiteren Veränderungen, welche der Bau des Groß- und Zwischenhirns durch die in der Medianebene der dor- salen Hirndecke sich abspielenden Bildungsvorgänge, insonderheit durch die sogenannte Fissura pallii und die von hier aus in die Sei- tenventrikel einwuchernden Plexus chorioidei erfährt, lasse ich, als nicht unbedingt für das Verständnis des vorliegenden Gegenstands erforderlich, bei Seite. — (Vergl. Fig. 7, 8, 9, 10). Wie war es nun möglich, den Bau der sogenannten Hemisphäre der Knochenfische in diesen scheinbar gemeinsamen Grundplan einzu- reihen? Hier hatte man augenscheinlich keine Sonderung in Mantel und Stammteil, sondern ein solides paariges Gebilde vor sich. Der zwischen denselben befindliche enge, senkrechte Spalt führte in einen Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochengsche. ay}5) lang ausgezogenen basalen Hirnteil, der mit seiner Spitze nach hinten gerichtet war und sich ebenfalls durch eine ganz besondere Entwick- lung auszeichnete. — Dass man das Homologon des Trichters der übrigen Wirbeltiere vor sich hatte, konnte keinem Zweifel unterliegen. Derselbe trug jederseits ein rundliches bezw. ovales Anhangsgebilde, dessen meist enges Lumen in offener Verbindung mit dem Trichter- hohlraum stand — die sogenannten Lobi inferiores. (Fig. 5, 6. 1. 1.). Auch über dieses Gebilde fehlte es nieht an abenteuerlichen Deutun- gen. Eine der ältesten, schon von Cuvier und Gottsche zurück- gewiesene Auffassung war die als Homologa der Corpora mamillaria s. eandieantia des Menschen, zu der eine gewisse oberflächliche Aehn- lichkeit in der Gestaltung und Lage verleiten konnte. — Freilich setzte Cuvier an die Stelle der zurückgewiesenen Deutung eine noch weniger statthafte. Fritsch!) spricht sich wieder neuerdings für diese Homologisiernng aus. — Ich kann mich nur den Einwürfen Meyer’s?) gegen dieselbe anschließen, dass die Corpora candicantia überall, wo sie vorkommen (sicher nur bei den Säugetieren erwiesen) immer in engster Beziehung zu dem Fornix stehen, und dass es so- mit von vorn herein unwahrscheinlich ist, sie da so enorm entwickelt vorauszusetzen, wo ein Fornix überhaupt vermisst wird. — Ihre Ent- wicklung erscheint ebenfalls geeignet, den Gedanken an eine Homo- logisierung mit den Corpora candicantia zurückzuweisen: ich fand an den Salmoniden, dass sie als laterale Ausbuehtungen des ursprüng- lich gradwandigen Infundibulums entstehen, und zwar zu einer Zeit, wo der, wie oben erwähnt, erst sehr spät auftretende Torus longitu- dinalis, den Fritsch irrtümlich für den Fornix der Knochenfische ansah, noch gar nicht vorhanden ist?). Zwei weitere Gebilde, die sich am Infundibulum der Knochenfische vorfinden, will ich nur mit wenigen Worten erwähnen. Zunächst ist es die Hypophysis cerebri. Sie zeigt meist eine verhältnismäßig be- deutende Größe und schließt sich in Bau und Entwicklung an das gleiche Organ der übrigen Wirbeltiere an. Viel weniger erforscht und bis in die letzte Zeit hinein falsch dar- gestellt ist dagegen ein zweites Anhangsgebilde des Trichters, wel- ches hinter der Hypophysis zwischen den paarigen Lobi inferiores liegt, der sogenannte Saceus vasculosus (Fig. 5, 6. 8. v.) — Gottsche beschreibt ihn als einen membranösen, gefäßreichen Sack, während ältere Forscher darin eine zweite Hypophysis sahen. Auch Fritseh sieht in ihm nur einen bäutig begrenzten gefäßreichen Hohlraum und spricht die Vermutung aus, dass man in ihm den hinteren der bei den Säugetieren vereinigten beiden Hypophysenlappen vor sich habe. — I)-1.26..859024; 2) 1. e. S. 269. 3) Vgl. Zur Deutung und Entwickl. ete. Taf. VII, Fig. 16, 1. i. 536 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. Stieda beschäftigt sich mit dem Bau desselben und beschreibt be- reits richtig, ebenso wie neuerdings Ussow'), die drüsige Zusammen- setzung und den in das Infundibulum mündenden Ausführungsgang. Auch erwähnt er, dass der Saceus beim Hecht nicht vorkomme. Meine eignen an der Forelle angestellten Untersuchungen?) ha- ben ergeben, dass es sich um eine sehr zierliche verzweigte tubulöse Drüse handelt, die von einem Blutsinus allseitig umspült wird und mit einem Ausführungsgang in den Triehter mündet?). Beim Fehlen oder wenigstens dem Zurücktreten wirklicher Gefäße ist der bisherige Name möglichst unzutreffend, und ich schlage statt seiner den der In- fundibulardrüse vor. Dieses Gebilde von dem hintern Teil der Hypo- physe der höheren Wirbeltiere herzuleiten halte ich für bedenklich, weil die eigentliche Hypophyse der Knochenfische schon deutlich zwei Abschnitte erkennen lässt, die denen jener durchaus entsprechen. Na- mentlich unterscheiden sich beide sehr auffallend in ihrem Bau bei der Forelle, wo der kleinere vordere eine Anzahl runder Drüsenkugeln enthält, die innen von einer Zylinderzellenlage ausgekleidet sind und einen engen Hohlraum enthalten. Somit besteht im Bau eine gewisse Aehnlichkeit mit dem der Schilddrüse der Säugetiere ®). Kehren wir nach dieser Besprechung der an der ventralen Seite des betreffenden Hirnteils gelegenen Gebilde zur Betrachtung der dor- salen paarigen Hügel, der sogenannten Hemisphaeria, zurück! Dass dieselben dem Großhirn angehörige Gebilde seien, konnte, schon mit Rücksicht auf ihre direkte Verbindung mit dem Infundi- bulum, keinem Zweifel unterliegen. Allein man sah sich, auf grund ihrer scheinbar soliden Bildung, genötigt, dem Gehirn der Knochen- fische einen von dem aller übrigen Wirbeltiere durchaus abweichenden Typus unterzulegen, weil hier eine Sonderung von Mantel und Stamm- lappen nicht vorzuliegen schien. Auch Fritsch wusste sich dieser scheinbaren Thatsache gegenüber nicht anders zu helfen, als dass er die dem Großhirn mangelnde Rindenentwicklung in das Mittelhirn verlegte und dessen Dach (Tectum loborum opticorum s. 0.) dem Groß- hirnmantel homolog ansah. Auch hier sollte die Entwicklungsgeschichte das Dunkel mit 1) De la structure des lobes accessoires de la moelle &piniere de quelques poissons osseux (Arch. d. Biolog. 1882, S. 605 ff.). 2) Das Großhirn der Knochenfische ete. Taf. XI. Fig. 1, 17, 18. 3) Dieser Sinus, der auch von Ussow am Saccus vasculosus von Trigla gefunden, aber augenscheinlich nicht richtig erkannt wurde, scheint nicht überall vorzukommen. Bei Gadus callarias finde ich vielmehr den Saceus ähn- lich gebaut, wie ihn Stieda für Gadus lota beschreibt: hier sind die Zwi- schenräume zwischen den Drüsenschläuchen durch ein streifiges, faseriges Ge- webe ausgefüllt, und im Ueberzug des Saccus finden sich Gefäße. 4) Vergl. das Großhirn der Knochenfische und seine Anhangsgebilde. Dat. xl. Fj2.1,0cH% Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 537 einem Schlage erhellen. — Bei der Untersuchung, die ich über die Entstehung der Zirbeldrüse bei den Salmoniden anstellte, erkannte ich zweifellos die Bläschennatur auch des Vorderhirns. Ich sah, wie in früheren Entwicklungsstadien eine Wand von relativ ansehnlicher Dieke dorsal von den bereits vorhandenen „Hemisphaeria“, in Verbin- dung mit diesen, einen allseitig geschlossenen Hohlraum begrenzte, der nichts anderes sein konnte, als das Homologon des 3. Ventrikels, in weiter Verbindung mit dem rudimentären Binnenraum der Großhirn- hemisphären. Es handelte sieh nur noch um die Beantwortung der Frage: was wird, im fertigen Knochenfischgehirn, aus dieser dorsalen, ursprünglichen medullaren Wand des am Embryo zweifellos als hohl vorhandenen Hirnrohrs? Von vorn herein lag die Möglichkeit nahe, dass man diese dünne Decke bei der bisher üblichen Präparations- methode entweder zerstört oder übersehen hatte. Gewöhnlich bricht man die Schädeldecke fort und entfernt die Fettmassen, welche bei vielen Fischen, z. B. den Cyprinoiden, die Kopfhöhle über dem Ge- hirn ausfüllen, wobei die Pia mater meist mitgenommen wird. — Um dies zu vermeiden, wurden entsprechend gehärtete unversehrte Köpfe, nötigenfalls nach vorheriger Entkalkung, in Celloidin eingebettet und so in toto in Schnittserien zerlegt. Da zeigte sich dann folgendes: Die sogenannten Hemisphaeria sind die ventrale Begrenzung eines an- sehnlichen Hohlraums, der dorsal überall von der bindegewebigen Pia mater abgeschlossen wird. Derselbe steht in direkter Verbindung mit dem senkrechten Spalt zwischen ihnen. Die Pia mater ist überall von einer einschichtigen Lage von Zylinderzellen innen ausgekleidet. Diese erhebt sich an der hinteren Grenze der Markhügel, welche vor den Hemisphaeria liegen und meist als Bulbi olfaetorii bezeichnet werden, steigt als Fig. 11. Frontalschnitt durch die Hemisphaeria des Barsches. Die Stammlappen (C. st.) berühren sich in der Medianebene, ohne indess mit einander zu verschmelzen. V. III: Ventriculus tertius. V. e. Ventrieulus communis P. Hirnmantel, in eine einschichtige Epithellage verwandelt, (am Öriginalschnitt collabiert und daher hier rekon- struiert mit vereinzelten rudimentären Plexus.) (pl ) selbständige Lage zum Schädeldach empor, hier unmittelbar unter ihm hinziehend, und senkt sich vor der Commissura posterior als eine breite quergestellte Falle (vergl. Fig. 6 bei V‘.) in den Ventrikelhohl- raum ein. Seitlich geht diese Epithellage ohne Unterbrechung in den lateralen Rand der Hemisphaeria über (Fig. 11). Die genetische Identität dieser Epithellage mit der früher relativ und absolut viel dieckeren dorsalen Begrenzung des embryonalen Protencephalons ist völlig zweifellos. Derjenige Teil des medullaren Hirnrohrs, der am Großhirn der übrigen Wirbeltiere zum Hirnmantel wird, erscheint so- 538 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. mit am Knochenfischgehirn auf eime einfache, wahrscheinlich flim- mernde Zylinderepithellage!) reduziert, die sogenannten Hemisphaeria sind Binnengebiide des so allseitig geschlossenen Hohlraums und stellen lediglich Verdickungen des basalen Teils der Medullarwand des Protencephalons dar — kurz gesagt, sind nicht Homologa des gan- zen Großhirns, sondern nur des Stammhirns, des Streifenhügels. — Bulbi olfaetorii, epitheliale Decke, Hemisphaeria und Infundibulum gehören zusammen und stellen vereint das Großhirn der Knochen- fische dar. Auf diese Weise ist mit einem Schlage die Kluft beseitigt, das Knochenfischgehirn in den allgemeinen Bauplan des Wirbeltierhirns eingeführt und sind die zweifelhaften Homologien seiner einzelnen Teile sicher gestellt. — Es lässt sich nicht leugnen, dass dieser Be- fund an Großhirn der Knochenfische etwas Ueberraschendes hat, und anregende Fernblieke in die Art, wie wir uns die Hirnthätigkeit die- ser Tiere vorzustellen haben, eröffnet. Wir sehen hier einen der wichtigsten Hirnteile, in dessen Ganglien wir bei den übrigen Wirbel- tieren die höchsten geistigen Funktionen thätig denken, und an dem durch die Arbeiten von Fritsch und Hitzig, sowie H. Munk eine Differenzierung der physiologischen Leistung erschlossen ist?), die seine Wichtigkeit noch hebt, in eine einfache Zylinderepithellage ver- wandelt, von der wir uns allenfalls vorstellen können, dass sie Liquor cerebrospinalis sezerniert, nicht aber, dass sie der Sitz einer Nerven- thätigkeit, des Seelenlebens sei. An sich freilich liegt ja im Bau einer Ganglienzelle ebensowenig ein Schlüssel für das Verständnis der Art dieser Thätigkeit, wie in dem einer Zylinderepithelzelle. — Sind denn aber jene Gebilde, die wir im Zentralnervensystem als einfache zylindrische Ependymzellen die Hohlräume auskleiden sehen, blos sezernierende Zylinderzellen? Bekanntlich haben verschiedene Beobachter an diesen Zellen lange basale Ausläufer nachgewiesen, die sich tief ins Innere der nervösen Substanz verfolgen lassen, und rechnen diese Zellen zu den sogenannten Neuroepithelien, einem Mit- telding zwischen Epithel- und Nervenzelle. — Aehnlich könnte man 1) Neuerdings ist dieses Epithel auch von anderer Seite konstatiert wor- den (Sagemehl, Beitr. z. vergl. Anatomie der Fische, II. Morphol. Jahrb. BAERTRAS:AEN): 2) Der Befund am Knochenfischgehirn wirft ein interessantes Licht auch auf jene physiologischen Versuche, die sich die Frage der Lokalisation der psychischen Thätigkeit an der Rinde des höheren Wirbeltiergehirns zur Auf- gabe gestellt haben. Bei den Knochenfischen fehlt eine Seh-Hör-Sphäre ete., weil überhaupt das Organ dazu nicht mehr den spezifischen Charakter des Nervengewebes trägt. So entsteht die Frage: sehen, hören diese Tiere über- haupt mit Bewusstsein oder sind ihre scheinbar bewussten aus solchen Sinnes- eindrücken resultierenden Handlungen nur reflektorisch vermittelte Akte eines seelenblinden und -tauben Hirnes ? Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. 539 auch die epithelial gebliebene Großhirnrinde der Knochenfische auf- fassen, und in sie den Sitz einer wenn auch minimalen seelischen Thätigkeit vorlegen. — Immerhin steht aber das Großhirn hier auf einer so niedrigen Entwieklungsstufe, dass das Gehirn der Knochen- fische auf einen „blödsinnigen Refiexapparat“ reduziert erscheint, in- dem ihm grade die Ganglien- und Faserschichten des Großhirns, welche bei den übrigen Wirbeltieren der Sitz der höchsten Seelen- thätigkeit sind, abgehen !). — Damit ist aber eine Vereinfachung der Beziehungen der Nervenbahnen und Ursprünge gegeben, die für eine spätere eingehende Untersuchung die besten Aussichten eröffnet. In der That sind wir hier trotz einer Anzahl wertvoller Arbeiten von Stieda, Fritsch, Meyser nur am Anfang der Bahn, und es be- durfte vor allem erst der sichern Begründung der Homologien der einzelnen gröberen Abschnitte des Gehirns, um erfolgreich weiter vor- zudringen. Dieses Beispiel des Knochenfischgehirns genügt aber, hoffe ich, um die Wichtigkeit der vergleichenden anatomischen Betrachtung dar- zulegen. Wir sehen hier ein durch hundert Jahre erörtertes Problem auf eine höchst einfache Weise unter Anwendung dieser Methode und der Embryologie endgiltig gelöst und dadurch erst den Weg für wei- tere Forschungen eröffnet. Noch einige Worte über die Zirbeldrüse und deren Deutung! — Auch über dieses Gebilde bei den Knochenfischen sind wir erst jetzt 1) Neuerdings und unabhängig von mir entdeckte Ahlbohrn (Unter- suchungen über das Gehirn der Petromyceten, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXIX. S. 191 ff.) dass derselbe Vorgang, der bei den Knochenfischen den Mantel des Großhirns in eine Epithellage verwandelt, beim Neunauge (Petromyzon Planeri) sich sogar auf einen Teil des Daches der Lobi optici, unmittelbar hinter der Commissura posterior, erstreckt. -— Derselbe wird ebenfalls nur von einer mit plexusartigen Falten versehenen epithelialen Marklamelle gebildet, ja bei der Larve (Ammocoetes) vertritt diese Lamelle das ganze Tectum loborum opti- corum, so dass hier der dorsale Verschluss des Mittelhirns und des Hinterhirns (im Bereich der Decke des IV. Ventrikels) einen rein epithelialen Charakter trägt. — In derselben Weise, wie nun in der aufsteigenden Tierreihe zunächst dieser Plexus chorioideus mesencephali „eliminiert“ wird, der sich noch bei den Neunaugen findet, verwandelt sich der Plexus chorioideus protencephali secundarii der Knochenfische bei den höher stehenden Wirbeltieren in allmählich immer mächtiger werdende Rindenschichten von medullärem Charakter, kann aber, wie bei den Säugetieren im Bereich des Septum pellueidum, bei den Vögeln (vergl. Fig. 8) in der Ausdehnung der medialen Mantelwände („strahlige Scheidewand“*) noch sehr verdünnt bleiben. Beim höchsten Wirbeltier, dem Menschen, ist diese Umwandlung, welche zugleich mit einer zunehmenden Ver- wachsung der einander zugekehrten Stammlappen- und Manteloberfläche und daher mit einer Verkleinerung der Seitenventrikel einhergeht, vorerst zum Ab- schluss gekommen, der Plexus chorioideus protencephali primarii aber persi- stiert als Pl. ch. ventriculi tertii. (Vergl. die Fig. 7—10). 540 Rabl-Rückhard, Das Gehirn der Knochenfische. vollkommen unterrichtet, dank den eingehenden Untersuchungen Cattie’s bei den verschiedenen Fischarten, denen sich die meinigen über die Salmoniden, Cyprinoiden und Esox anschließen, die über erstere übrigens vorausgehen. Man muss danach den Knochenfischen eine sehr ansehnliche Epi- physis zusprechen, welche meist mit einem dünnen wahrscheinlich hohlen Stiel dicht vor der Commissura posterior entspringt und mit einem distalen keulen- oder platt kuchenartigen, aus vielfachen Drü- senvertikeln gebildeten Körper weit nach vorn reicht. (Fig. 6, G. pin). Sie liegt mit diesem unmittelbar unter dem dorsalen Schädeldach, manchmal, wie z. B. bei der Forelle, sogar in eine Grube an dessen Innenfläche eingelassen. — Somit bewahrt die Epiphyse hier den Charakter einer verzweigten tubulösen Drüse mit offenem Ausführungs- gang in den 3. Ventrikel, der bei den höheren Wirbeltieren verloren geht, anderseits bleibt aber eine Verbindung mit dem Schädeldach permanent bestehen, wie wir sie jetzt durch Ehlers bei den Knor- pelfischen, durch Stieda und Götte bei den Amphibien, kennen. Neuere, von mir an der Schildkröte angestellte Untersuchungen wiesen dieses Verhalten auch hier nach. Bei den höheren Wirbeltieren findet sich diese innigere Beziehung der Glandula pinealis zur Schädeldecke nur im embryonalen Zustande, schwindet aber mit der stärkern Entwicklung der benachbarten Hirnteile, so dass schließlich nur ein unbedeutendes, in der Tiefe zwischen Kleinhirn und Großhirn verstecktes Gebilde übrig bleibt, wie wir es beim Menschen kennen. Somit erfährt die Zirbel in der aufsteigenden Tierreihe eine allmähliche Rückbildung und gehört in die Gruppe der sogenannten rudimentären Organe. Von jeher er- schien sie als ein durchaus rätselhaftes Gebilde, über dessen Bedeu- tung und Funktion die verschiedensten Vermutungen ausgesprochen wurden. — Zu diesen ist eine neue Hypothese gekommen, die ich im Jahre 1882 aufstellte, und die, unabhängig von mir, da der Verfasser meine Mitteilung übersehen hatte, jetztauch Ahlborn!) ausspricht. — Die Entstehung dieses Organs als eine hohle Ausstülpung der Hirn- wand, ihre Gestalt, die einem hohlen, gestielten Bläschen entspricht, die periphere Lage dieses Bläschens bei niederen Wirbeltieren dicht unter der Schädeldecke fordern gradezu zu einem Vergleich mit dem Sehorgan auf. — Dazu kommt, dass, wie Ahlborn hervorhebt, die Zirbel mit dem Thalamus optieus, also der optischen Hirnregion, eng verknüpft erscheint. — Auf grund dieser Aehnlichkeiten haben wir Beide die Vermutung ausgesprochen, „dass die Glandula pinealis der Wirbeltiere alsRudimenteinerunpaaren Augenanlage anzusehen ist.“ 1) Ueber die Bedeutung der Zirbeldrüse (Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. XL, S. 331 ££.). Schröter, Studien am Becken lebender Menschen. 541 Von großer Bedeutung erscheint in dieser Beziehung, worauf ich bereits an anderer Stelle aufmerksam machte, ein Befund bei den Sauriern, den Leydig zuerst festgestellt hat. Hier beobachtet man (bei Eidechsen und Blindschleichen) im spätern Embryonalleben auf dem hintern Teil des Kopfes einen in dessen Mitte gelegenen un- paaren ringförmigen schwarzen Pigmentfleck, der in seiner Form wie eine Iris erscheint. — Dieser Fleck ist um so auffallender, weil der Embryo, mit Ausnahme des Augenpigments, für die Betrachtung mit dem bloßen Auge fast völlig weiß erscheint. — Am erwachsenen Tier liegt an seiner Stelle ein eigentümlicher kugliger Körper unmit- telbar im Rete mucosum der Epidermis, außerhalb des hier ein Loch enthaltenden Scheitelbeins. — Leydig vermochte sich indess nicht von einem Zusammenhang dieses Gebildes mit dem distalen Zirbel- ende zu überzeugen. In neuester Zeit kat nun Strahl nachgewiesen, dass dieser „Leydig’sche Körper“ ein abgeschnürtes und in der Schädelwand isoliertes Stück der Glandula pinealis ist, dessen einer Teil pigmenthaltig wird?). So hätten wir also damit einen Befund gewonnen, der meine und Ahlborn’s Hypothese von der Bedeutung der Zirbel zu stützen geeignet ist. Das Schädeldach der riesigen fossilen Enaliosaurier der Lias, des Ichthyosaurus nnd Plesiosaurus, besitzt ein unpaares großes Loch, welches seiner Lage nach mit dem Loch im Scheitelbein der Saurier übereinzustimmen scheint. Vielleicht lag auch hier das viel ent- wickeltere Zirbelorgan mit seinem distalen Endteil zu tage, und man könnte sich vorstellen, dass seine Leistung nicht sowohl die eines Sehorgans, als die eines Organs des Wärmesinns war, dazu bestimmt, seine Träger vor der zu intensiven Einwirkung der tropischen Sonnen- strahlen zu warnen, wenn sie in träger Ruh, nach Art ihrer noch le- benden Vettern, der Krokodile, sich am Strande und auf den Sand- bänken des Liasmeeres sonnten. — Doch das sind Vorstellungen, die, weit ab vom Wege exakter Forschung, nur als ein interessantes Spiel wissenschaftlich angeregter Phantasie gelten können, aber doch nieht phantastischer erscheinen, als manche anderen, ernstlich erörterten und später als lebensfähig anerkannten Hypothesen. Paul Schröter, Anthropologische Studien am Becken lebender Menschen. Doktordissertation. Dorpat. 1884. 8. 82 S. mit 5 Tabellen und 1 Holzschnitt. Die Untersuchungen sind auf Anregung des Unterzeichneten aus- geführt worden mit besonderer Berücksichtigung der vor kurzem ver- 1) Sitzungsber. d. Gesellsch. z. Bef. d. ges. Naturwiss. zu Marburg 1884. NLR3. 542 Schröter, Studien am Becken lebender Menschen. öffentlichten Arbeit Prochornik’s über die Beekenneigung. Der Verfasser schiekt seinen Untersuchungen eine kurze literarische Ueber- sicht voraus; aus dieser sei hier nur mitgeteilt, dass die Abhandlung von Plosz (zur Verständigung über ein gemeinsames Verfahren zur Beekenmessung), dem Verfasser erst zu Gesicht kam, als er bereits seine Beobachtungen abgeschlossen hatte. — Was die Methode der Untersuchung betrifft, so hat der Verfasser sich genau an das Pro- ehornik’sche Verfahren gehalten, doch hat er sich zum Messen einen eignen Apparat konstruiert, auf dessen Beschreibung hier nicht ein- gegangen werden kann. Der Apparat eignet sich zu beliebigen Mes- sungen an lebenden Menschen und wird an einem andern Orte aus- führlich geschildert worden. — Der Verfasser untersuchte 64 Polinnen, 40 Jüdinnen, 50 Polen, 62 Juden und 65 Russen und nahm an jedem Individuum 13 Maße, darunter auch das Maß der Körpergröße; die Winkel der Beekenneigung wurden nach der Methode von Pro- chornik bestimmt und mit Hilfe der Prochornik’schen Tabellen be- rechnet. — Die gefundenen Maße sowie die berechneten Werte sind in 5 Tabellen übersichtlich zusammengestellt. Die Resultate der Un- tersuchungen sind in Kürze folgende: 1) Die Beckenmaße verschiedener Nationalitäten bezw. Rassen sind verschieden. Die größten Beckenmaße besitzen die deutschen und österreichisehen Frauen, kleinere die polnischen Frauen, die kleinsten die Jüdinnen. Unter den Männern haben die Russen die größten Beckenmaße, dann folgen die Polen und zuletzt stehen die Juden. Frauen deutsche österreichische poln. jüdische (Dohme, Schröder) (Schrenck) (Schröter) Spin. ilei ant. sup. 26,3 cm 26,0 cm 26,10 em 23,10 cm 22,60 cm Cristae ilei 29:30, 29,045 28,80 „ 2,1904 26.06 „ Trochanter _ 31.50. % Sl) 3514, DIA, Conjugata ext. 20,0% 20055, 20,345 Aken ale 18,10 „ Höhe d. Becken — — _ 18,06 „ 17,200, Beckenumfang _ — —_ 82,81, She Männer Russen Polen Juden Spinae ilei ant. sup. 23,56 cm 23,20 cm 22,29 em Cristae ilei 28,36 „ 2.08 5 2628, Trochanter I lalal SL Conjugata ext. 1922er oe I Höhe des Beckens 20147, 18,9798 18,51 „ Beckenumfang 83561, 81,225; 78,63 „ Der Verfasser untersuchte ferner das Verhältnis der einzelnen Beckenmaße zur Körperlänge und fand das Prochornik’sche Resultat bestätigt. Die Beckenmaße stehen in direktem Verhältnis zur Kör- perlänge. Die betreffenden Zahlen können hier nicht wiederholt wer- Bessey, Hybridismus bei Spirogyra. 545 den. (Eine Erörterung der Frage, ob das Verhältnis bei den bis- her untersuchten Rassen das gleiche, ist nicht vorgenommen worden). 2) Die Beckenneignng (Neigung der „anthropologischen Becken- ebene“) zum Horizont ist bei verschiedenen Nationalitäten bezw. Rassen verschieden: Deutsche Esten Polen Juden tussen Mittel der (Prochornik) (Holst) (Schroeter) Beckenneigung g‘ 51° — 43° 420 43 2 54° 36° 41° 40° — Normalbreite der Beckenneigung 50—60° — 40-—50° 30—40° 40—50° Darnach findet man die stärkste Neigung bei den deutschen Frauen, eine geringere bei den polnischen, dann bei den jüdi- schen, die geringste beiden estnischen Frauen. Bei den Männern ist die Reihenfolge dieselbe: die stärkste Neigung findet sich bei Deutschen, dann folgen Polen und Russen und zuletzt die Juden. "Auffallend ist ein Resultat nämlich, dass — im Gegensatz zu der gewöhnlichen Annahme, nach welcher die Beckenneigung der Männer geringer ist als die der Frauen, — bei der polnischen und jüdi- schen Nationalität das Verhalten ein umgekehrtes ist; die Becken- neigung der polnischen und jüdischen Männer ist stärker, als die der polnischen und jüdischen Frauen. 3) Die Beckenneigung ist bei einem und demselben Individuum keine konstante (Meyer und Prochornik); eine Veränderung der Stellung der Individuen ruft eine Veränderung der Beckenneigung hervor. L. Stieda (Dorpat). C. E. Bessey, Hybridism in Spirogyra. The American Naturalist. Vol. XVII. Nr. 1. 1884. January. Einen interessanten Fall von Bastardbildung zwischen Individuen zweier verschiedener Spirogyrenspecies hatte Verf. im August 1883 Gelegenheit zu beobachten. Die beide Arten betreffenden Sp. majuscula und protecta unter- scheiden sich von einander so sehr, dass über ihre spezifische Verschiedenheit kein Zweifel sein kann. Sp. majuscula besitzt mehrere sehr flach gewundene Chlorophylibänder, der Zellkern ist sehr deutlich und die Außenwände zwi- schen den Zellen sind Nach. Bei Sp. protecta dagegen findet sich nur ein eng gewundenes Spiralband, der Zellkern ist, wenn überhaupt, schwer zu Gesicht zu bekommen und die Querwände zeigen die bekannte sogenannte Doppelfalte. Zwischen zwei Individuen dieser Arten nun wurde die Kopulation beobachtet. Beide Arten waren übrigens in dem Teich, dem das Material entnommen wurde, in ziemlich gleicher Menge vorhanden. Eine anscheinend vollkommen normal gebildete Dauerspore war das Resultat der Kopulation Interessant ist die Beobachtung, dass die Form der Dauerspore mehr derjenigen von Sp. protecta sich nähert als der von Sp. majuscula. Die normalen Zygosporen der ersteren waren in demselben Teich mehr länglich oder ellipsoidisch, während die der 544 Zacharias, Das Mikroskop. zweiten kugligen Umriss zeigten. Dabei fungierte Sp. majuscula als männ- licher und $. protecta als weiblicher Faden, so dass hier die Ausgestaltung der Spore sich dem mütterlichen Typus anschloss. C. Fisch (Erlangen). Otto Zacharias, Das Mikroskop und die wissenschaftlichen Methoden der mikroskopischen Untersuchung in ihrer ver- schiedenen Anwendung von Dr. Julius Vogel. Vierte Auflage, vollständig und neu bearbeitet von Otto Zacharias unter Mitwirkung von Prof. Dr. E. Hallier in Jena und Dr. Ekalkowsky ebend. Aus den uns vorliegenden Lieferungen des obengenannten, noch nicht vollkommen herausgegebenen Werkes ersehen wir zur Genüge, dass die Gesichtspunkte, welche den Verfasser bei der Ausarbeitung dieses Buches leiteten, geschiekt gewählte waren, und dass es eine glücklich vermittelnde Stelle einnimmt zwischen den Werken für den Fachmikroskopiker und den populär geschriebenen Anleitungen zum mikroskopieren. Dieses nicht zu unterschätzenden Vorteiles wegen wird es Studierenden und Aerzten höchst willkommen sein. Nament- lich über die Theorie des Mikroskops, die Hilfsapparate des Mikros- kopikers sowie in einer Anleitung zum Gebrauch des Mikroskops und zur Vorbereitung der zu untersuchenden Gegenstände bietet es dem Leser das wissenswertheste und allgemein anwendbare in gefälliger Form dar. Wir werden später, wenn erst die Lieferungen vollzählig er- schienen sind, Gelegenheit nehmen, genauer und eingehender über den Wert des Buches zu berichten. C. B. Soeben erfcien in unferem Verlage: E Wasmanz S. J. Der Trichterwickler. — Eine nalturwiffenfhaftlige Studie über den Thierinftinft. — Mit einem Anbange über die neuefte Biologie und Syftematif der Rhynditesarten und ihrer Verwandten, (Attelabiden, Nhynditiden und Nemonygiden.) Mit Holzihnitten und 3 Zafeln. 17 Bogen. 8. Preis 3 Mark 60 Pfg. BR. Handmann S. J. Die internationale electrijche Ausitellung in Wien 1883. Ein Ueberfihtsbild der vorzüglichften bisherigen Leiftungen auf electrifhem Gebiete. Mit Holzfchnitten und 6 Tafeln. A Bogen. 8. Preis 1 Mar. Münfter i. W. Aschendorff’jhe Buchhandlung. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 15. November 1884. Nr. 18. Inhalt: Fisch, Die neueren botanischen Forschungen über Protoplasmaverbindungen benachbarter Zellen. — Lemoine, Die Phylloxera der Eiche, — V. traber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. — Cohnstein und Zuntz, Unter- suchungen über das Blut, den Kreislauf nnd die Atmung beim Säugetierfötus. — Zacharias, Ueber den Inhalt der Siebröhren von (Cucurbita Pepo. — De Vries, Ueber die periodische Säurebildung der Fettpflanzen. — Rattke, Die Verbreitung der Pflanzen. — Wollny, Untersuchungen über den Einfluss der Pflanzendecke und der Beschattung auf die physikalischen Eigenschaften des Bodens. Die neueren botanischen Forschungen über. Protoplasma- verbindungen benachbarter Zellen. Literatur: I) Thuret-Bornet, Etudes physiologiques 1878. — 2) Tangl, Ueber offene Communication zwischen Zellen des Endosperms ete. Pringsheim’s Jahrb. XII. — 3) Strasburger, Bau und Wachstum der Zellhäute 1882. — 4) Hillhouse, Einige Beobachtungen über den intercellularen Zusammenhang von Protoplasten. Bot. Centralbl. XIV. 1883. — 5) Gardiner, Open Communi- cation between the Cells in the Pulvinus of Mimosa pudica. Quarterly journal of Microse. Se. 1882. — 6) Russow, Ueber Perforation der Zellwand ete. Sitz.-Ber. Dorp naturf. Ges. 1883. — 7) Gardiner, On the continuity of the protoplasm throught the Walls of cells. Phil. transact. royal soc. P. III. 1885. und in Arb. des bot. Instit. in Würzburg III, f. — 8) Sehmitz, Befruchtung der Florideen. Sitz.-Ber. Berl. Akad. 1883. — 9) Berthold, Ueber das Vor- kommen von Protoplasmain Intercellularräumen. Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch. II. 1.1884. — 10) Terletzki, Ueber den Zusammenhang des Protoplasmas benach- barter Zellen und über Vorkommen von Protoplasma in Zwischenzellräumen. Ber. d. bot. Ges. II, 4.1884. — 11) Hieck, On protoplasmatie continuity in the Florideae. Journal of Bot. XXL. 1884. — 12) Pfurtscheller, Ueber die Innen- haut der Pflanzenzelle, nebst Bemerkungen über offene Communication zwischen den Zellen. Wien 1883 — 13) Tangl, Zur Lehre von der Kontinuität des Protoplasmas im Pflanzengewebe. Sitz.-Ber. d. Acad. Wissensch. I. Juni 1834. Wien. — 14) Schaarschmidt, Magy. Nov. Lapok 1884. 87. Das in der genannten Literatur aufgespeicherte Material, welches den Anschauungen von Sachs sich anschließend einen gewaltigen 3 546 Fisch, Protoplasmaverdickungen benachbarter Zellen. Umscehwung unserer Kenntnisse vom pflanzlichen Zellenleben herbei- zuführen geeignet ist, bedarf um so mehr einer zusammenfassenden Betrachtung, als es fast täglich anschwillt und unübersichtlich zu werden droht. In vorzüglicher Weise ist es vor einiger Zeit von Klebs in der Botanischen Zeitung 1884 Nr. 28 behandelt worden. Bis auf das seither Hinzugekommene glauben wir völlig seiner Arbeit folgen zu dürfen. Bekanntlich ist zuerst Sachs vollbewusst der bis in die neueste Zeit herrschend gebliebenen Schleiden’schen Zellentheorie entgegen- getreten, welche in der einzelnen Pflanzenzelle das Pflanzenindi- viduum zer’ &5oxynv, einen selbständigen Elementarorganismus erblickte, im Pflanzenkörper also nur einen Komplex von Individuen, die den verschiedenen vegetativen und fruktifikativen Funktionen gemäß in eine mehr oder weniger weit gehende Arbeitsteilung sich einge- lassen hätten. Schon Hofmeister hatte, von den Erscheinungen des Wachsens von Vegetationspunkten ausgehend, ziemlich klar darauf hingewiesen, dass in der Gesamtheit der wachsenden Organe die Causa efficiens gegeben sei, die Teilung und Anordnung der Zellen dagegen als das Sekundäre, Abgeleitete aufgefasst werden müsse. Sein geistreicher Vergleich des Wachsens eines Vegetationspunktes mit der Vorwärtsbewegung und Verzweigung eines Myxomyceten- plasmodiums dürfte am besten geeignet sein, seine Denkweise zu cha- rakterisieren. Sachs sprach dagegen zuerst mit voller Bestimmtheit aus, dass jede Pflanze im Grunde genommen nur ein einziger ein- heitlicher und zusammenhängender Plasmakörper, und infolgedessen alle Zellbildungsvorgänge nichts als eine fortgesetzte Zerklüftung dieses durch alle Teile der Pflanze sich erstreekenden Protoplasmas seien, Zerklüftungen durch ein an die Außenmembran sich anschließen- des orthogonaltrajektorisches System von Scheidewänden. Natürlich ergab sich dabei die stillschweigende Voraussetzung einer kontinuier- lichen Verbindung aller Zellen durch diese Scheidewände hindurch, für welche Voraussetzung Nägeli in seiner „mechanisch-physiologi- schen Theorie der Abstammungslehre“ !) mechanisch-theoretische Be- gründungen zu bringen versuchte. In den oben zitierten Abhandlun- gen ist nun in der That diesen theoretischen Forderungen Genüge geleistet durch den thatsächlichen Nachweis vielfältiger direkter Protoplasmaverbindungen zwischen verschiedenen Zellen einer Pflanze. Im Jahre 1878 fand zuerst Bornet gelegentlich der Untersuchung einer Anzahl von Salzwasserflorideen derartige Verbindungen auf, ohne indess seiner Entdeckung allgemeine Bedeutung beizulegen. Eine solche anzunehmen nahm darauf Tangl, dem bald Strasbur- ger folgte, Anlass, als er am Endosperm der Samen von Strychnos- Formen gleiche Beobachtungen machte. Strasburger bestätigte 1) 8. 56 fi. Fisch, Protoplasmaverdickungen benachbarter Zellen. 547 dieselben und fügte den bekannten neue Beispiele hinzu. Sowohl Verbindungen durch die Gesamtheit der Membran hindurch, als haupt- sächlich solche, welche sich auf den Flächenraum der sogenannten Tüpfel beschränkten, wurden festgestellt. Gardiner fand sodann siebartige Durehbrechungen der Tüpfelschließhäute in den Parenchym- zellen der Blattgelenkpolster von Mimosa pudica, Hillhouse im Rindenparenchym einer großen Anzahl von Holzpflanzen, und Russow, Gardiner und andere, zuletzt wieder Tangl, haben die Anzahl der Beobachtungen sodann vermehrt und verallgemeinert. Die Methoden, nach welchen die protoplasmatischen Verbindungs- fäden zwischen den Zellen sichtbar gemacht werden sollen, sind sehr zahlreich und verschiedenartig. Am verbreitetsten und besten dürfte die von Russow ausgearbeitete sein. Nach derselben werden von frischem Material genommene Schnitte mit einer wässerigen Jodlösung durchtränkt und darauf mit einer fast konzentrierten Schwefelsäure behandelt. Es kann nach Auswaschen mit Wasser dann noch Fär- bung mit verschiedenen Farbstoffen (Anilinblau, Gentianviolett ete.) hinzutreten. Auch Gardiner hat mehrere vorzügliche Präparations- methoden angegeben und dabei für die Quellung der Zellwand Schwe- felsäure und Chlorzinkjod verwandt (nach Pfurtscheller und Tangl ist auch Kalilauge zu empfehlen). Das einfachste Verfahren dürfte das sein, dass man Schnitte von frischen Geweben mit Jod färbt und darauf längere Zeit in Chlorzinkjod liegen lässt. Die ausgewaschenen Schnitte wurden mit Hoffmannsblau gefärbt, „welches in 50prozentigem mit Pikrinsäure gesättigtem Alkohol gelöst war.“ Die so erhaltenen Präparate zeigen nun ungefähr folgendes. Bei weitaus der größern Zahl der Fälle findet die Protoplasmaverbindung in den Tüpfeln statt. Dabei zeigt sich die Schließhaut dieses Tüpfels äußerst fein siebartig durchbrochen, in der Weise, wie das in viel größerem Maßstabe bei den Siebplatten der Siebröhren der Fall ist (die übrigens von Nägeli mit in das Bereich dieser Erscheinungen gezogen wurden). In die Tüpfelkanäle dringen Vorsprünge oder Forsätze des Zellenplasmas ein, und zwischen den korrespondierenden benachbarten Zellen sieht man dann äußerst zarte Fädehen verlaufen, die in den meisten Fällen eine bogige Richtung zeigen und sich durch ihre Färbung als Protoplasma ausweisen. Die Anzahl dieser Fäden ist sehr verschieden und dürfte wohl noch in keinem Falle sicher be- stimmt sein. Bei Rindenparenchymzellen, auch anderen Gewebeele- menten beobachtete man sie in der Anzahl von 3—5; nach Gardiner sollen sie im Endosperm der Palmenfrüchte ziemlich zahlreich sein. Letzteres stimmt jedoch sicher nicht für das Endosperm von Phytele- phas, und so dürfte wohl eine endgiltige Bestimmung noch nicht ge- macht sein. Die Gestalt der Fädehen ist nicht immer eine einfach und gleichmäßig fadenförmige, sondern zeigt häufig kleine Ausbuch- tungen, knötchenförmige Anschwellungen ete., die zu sehr komplizier- 3b* ds! 48 Fisch, Protoplasmaverbindungen benachbarter Zellen. ten Bildern führen können, wie dies namentlich Tangl nach seinen neuesten Untersuchungen der Epidermiszellen von Zwiebelschalen des Allium Cepa ausführt. Welche Bedeutung diesen Unregelmäßigkeiten und ob ihnen überhaupt eine Bedeutung beizulegen ist, steht zur Zeit dahin, da zu Verallgemeinerungen die Zahl der vorliegenden Unter- suchungen noch nicht ausreicht. Es ist nicht unwahrscheinlich, wie es auch schon einzelne Forscher zugeben, dass es sich dabei nur um künstlich durch die Präparation hervorgerufene Bilder handelt. Vielleicht interessanter noch als alle diese Fälle, bei denen die Kommunikation durch die Schließmembranen der Tüpfel stattfindet, sind diejenigen, bei denen die Zellwand in toto als Verkehrsweg be- nützt wird. Das prägnanteste Beispiel ist hier das Endosperm der Samen von Strychnos nux vomica, von Tangl zuerst beschrieben. Auf ihrer ganzen Flächenausdehnung zeigen sich in demselben die Membranen durchsetzt von feinsten meist etwas gekörnten Protoplasma- strängen, die von einer Zelle in die andere verlaufen. Sie bilden förmlich ein dichtes Streifensystem, das oberflächlich mit manchen durch Schichtungsverhältnisse hervorgebrachten Aehnlichkeit hat. In dem Endosperm der Brechnuss, von Tamus ete. kommen fast keine Tüpfel vor. Andere Pflanzen dagegen, von denen namentlich von Gardiner eine ganze Anzahl aufgezählt werden, zeigen sowohl die verdickten Membranen, als die Schließhäute der Tüpfel von Plasma- fäden durchsetzt. Zu den letzteren gehört z. B. das Endosperm der Samen von Asperula, Lodoicea ete. Fragen wir uns jetzt nach dieser orientierenden Uebersicht über die Gesamtheit der bezüglichen Erscheinungen, in welehen pflanz- lichen Geweben bis jetzt jene Plasmakommunikationen nachgewiesen sind! Von Russow wurde hauptsächlich im Rindenparenchym einer großen Anzahl von Pflanzen dieser Nachweis geführt (das beste und leichtest zu demonstrierende Beispiel ist nach Strasburger das Rindenparenchym von Rhamnus Frangala), Pflanzen, die aus den ver- schiedensten Familien stammten. In gewöhnlichem teils chlorophyll- haltigem, teils chlorophylilosem Parenchym zeigte ihre allgemei- nere Verbreitung Gardiner; erwähnt seien nur die Blattstielpolster von Mimosa pudica, Robinia, Phaseolus und anderen Leguminosen; ebenso wies er ihr Vorkommen im Endosperm einer großen Anzahl von Palmen und anderen Pflanzen nach. Bornet, Schmitz und Hick untersuchten diesbezüglich mit Erfolg die Florideen und Verf. dieses kann nach eignen neuesten Erfahrungen denselben eine andere Alge, Fuecus vesiculosus anschließen. Für Farne liegen gleiche Beobachtun- gen von Terletzki vor ete., so dass der Schluss berechtigt erschei- nen dürfte, dass nicht nur an den verschiedensten Teilen einer Pflanze, sondern auch bei allen höheren Pflanzen diese Protoplasmaverbin- dungen vorkommen. — Terletzki ist der erste, welcher sich allge- mein die Frage vorlegte, an welchen Zellformen an den verschiedenen Fisch, Protoplasmaverbindungen benachbarter Zellen. 549 Organen einer Pflanze diese Erscheinungen sich vorfänden. Allge- mein giltige Ergebnisse liegen indess bis jetzt nicht vor, und wir müssen uns auf einige spezielle Angaben beschränken. Bei Pteris aquilina konnte er Verbindungen zwischen den Parenchymzellen, den Geleitzellen und Siebröhren unter sich feststellen, außerdem auch zwischen Geleitzellen und Siebröhren, was Russow nicht gelungen war. Zwischen anderen Gewebesystemen wiederum fehlten sie, was allerdings noch nicht als abschließendes Ergebnis betrachtet werden darf. Auch nach der neuesten Publikation von Fischer über das Siebröhrensystem der Cueurbitaceen ist es wahrscheinlich, dass in Jugendlichem Zustand alle Zellen in der bezeichneten Weise verbun- den sind, wie in der That Russow schon beobachtet hat, dass die Primordialtüpfel der Cambiumzellen der Koniferen von Fäden durch- setzt sind. Ueber die Entstehung der siebartigen Wanddurchlöcherung sind wir bisher noch im ungewissen. Dass sie gleichzeitig mit der Mem- branbildung eintrete ist allerdings nicht nur wahrscheinlich, sondern nach den eingangs gemachten Bemerkungen eigentlich notwendig. Ob aber, wie Russow will, die nach der Teilung des Kernes aus- gespannten Plasmafäden bestehen bleiben und um sie herum die Mem- bran sich anlege, bedarf jedenfalls erst der Bestätigung. Die Poren in den Siebplatten der Siebröhren scheinen nach allem, was wir bis jetzt darüber wissen, sekundär zu entstehen und insofern nicht als Analogiebeweis herangezogen werden zu dürfen. Alle die bis jetzt aufgeführten Beobachtungen erfahren noch eine wichtige und eigentümliche Beleuchtung durch eine fernere Ent- deekung, die wir vor allem Russow und Berthold, dann aber auch Terletzki verdanken, die Entdeckung nämlich von dem Vorkommen von protoplasmatischen Massen in den Interzellularräumen. In den Blattgelenkpolstern von Mimosa pudica, in der primären Rinde ver- schiedener Sträucher (Cornus mas, Ligustrum ete.) sowie im Paren- chym mancher Farnrhizome wurde Intercellularplasma aufgefunden, mit teils direkt nachweisbarer, teils wahrschemlicher Verbindung mit dem Intrazellularplasma. Schon jetzt also dürfen wir, ohne zu viel zu sagen, den Proto- plasmaleib der Pflanze als ein zusammenhängendes Ganze betrachten, entsprechend der Organisation jener vielbesprochenen Caulerpa, die, äußerlich in die verschiedensten Organe differenziert, in der That nur aus einem größeren Zelllumen besteht, für dessen Festigung und Aussteifung durch quer und in anderen Richtungen verlaufende Cellu- losebalken gesorgt ist. Mit anderen Worten, die „Individualität“ der Zellen ist beseitigt. Die Frage nach der Uebertragung dynamischer Reize von Zelle zu Zelle durch die verbindenden Plasmafäden ist von Gardiner und, Russow zuerst angeregt. Tangl hat in seiner neuesten Untersuchung an den Zwiebelschalen von Allium Cepa in der 550 Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. That Resultate erhalten, die als experimentelle Beweise für eine solche gelten können. „Das Symplasma der Epidermis besitzt die Fähigkeit, Wundreize von Zelle zu Zelle, auf größere Entfernungen von der Stelle aus, wo ihre unmittelbare Einwirkung erfolgt, fortzuleiten.“ Wie auch auf Fragen der Stoffmetamorphose und Stoffwanderung die dargestellten Erscheinungen einwirken müssen ergibt sich von selbst. „Jedenfalls eröffnen diese neuen Untersuchungen über den Zusammen- hang des Protoplasmas benacbbarter Zellen der weitern Forschung ein neues, hochinteressantes Feld.“ C. Fisch (Erlangen). Victor Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. Revue Seientifique 1884. Nr. 24. Lässt sich aus dem eingehenderen Studium der Organisation der Phylloxera die Intensität der von ihr verursachten Verheerungen ver- stehen, die Wirkung oder Nutzlosigkeit der zu ihrer Bekämpfung in Anwendung gebrachten Mittel? Kann man anderseits noch auf die Entdeckung neuer Mittel oder erfolgreichere Verwendung der schon vorgeschlagenen hoffen? Das war der Gedankengang, der mich zu einem speziellen Studium dieses verderblichen Insektes veranlasste, welches grade durch seine Kleinheit am leichtesten gegen Angriffe sich schützt. Wie soll man einen Feind bekämpfen, der zu gewissen Zeiten nur mit der größten Schwierigkeit erkannt werden kann, selbst bei Anwendung ziemlich beträchtlicher Vergrößerungen ? Da ich, zum Glück für unsere Gegend (Marne), meine Untersu- chungen nicht an der Phylloxera des Weinstockes anstellen konnte, habe ich die Eichen - Phylloxera dazu verwandt, die auf der Unterseite der Blätter dieses Baumes in meiner Umgebung ziemlich häufig ist. Sie unterscheidet sich, was äußere Ausgestaltung und Lebensgewohnheiten anbetrifft, wenig von ihrer gefürchteten Gattungsverwandten, wie schon die vortreffliehen Mittheilungen Balbianis gezeigt haben. Anderseits scheint sie der Untersuchung weit weniger Schwierigkeiten in den Weg zu legen als die Phylloxera des Weinstocks; wenigstens habe ich verhältnismäßig leicht eine Anzahl anatomischer Einzelheiten klar legen können, welehe in den Arbeiten nicht erwähnt sind, die uns jedoch in allem Uebrigen eine recht vollständige Kenntnis des Feindes unserer Weinberge gegeben haben. Diese Bemerkung lässt indess das Studium der Geschlechtsorgane aus dem Spiel, auf welche sich die schönen Untersuchungen Balbiani’s beziehen, welche letzteren wir bald aus seinem sehnlichst erwarteten Werke kennen lernen werden. Ich muss mich hier auf allgemeine Andeutungen in bezug auf die aufzuklärenden Thatsachen beschränken. Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. 551 Wie die Wein- Phylloxera kann auch die der Eiche im Verlaufe ihrer Entwicklung fünf Zustände oder aufeinanderfolgende Lebens- abschnitte darbieten; dieselben sind je durch eine Häutung voneinan- der geschieden, deren Notwendigkeit in der allmählichen Größenzu- nahme des Körpers des Insekts bedingt ist. Der erste Lebensabschnitt beginnt mit dem Ausschlüpfen aus dem Ei. Das Insekt ist in diesem Zustande merkwürdig durch seine Kleinheit, durch die drüsenförmigen Höckerchen, welche seiner Ober- fläche ein rauhes Aussehen geben, und durch seine Transparenz. Es erreicht so kaum den fünften Teil der Länge des fertigen, flügellosen Tieres. Während dieses ersten Stadiums wächst das Insekt allmäh- lich heran, und man kann leicht das aus zwei Ganglienmassen ge- bildete zentrale Nervensystem wahrnehmen, welches nach jedem der seitlichen, aus je drei sogenannten Ocellen zusammengesetzten Augen Nervenfäden abgibt. Diese Augen sind bei der am Licht lebenden Eichenlaus höher ausgebildet als bei der im dunkeln lebenden Reb- laus, bei der sie bedeutend kleiner sind. — Ebenso sendet das Gehirn Nerven in die Antennen. Diese Organe, welche den Kopf überragen und auf demselben förmliche mit Fühlhaaren versehene Hörner dar- stellen, sind länger und schlanker bei der Eichen - Phylloxera, kürzer und massiver bei derjenigen des Weinstockes. Die Antennen zeigen bei der einen wie bei der andern Form zwei Organe, welche aus einer uhrglasförmigen Membran gebildet sind, die von einem dickeren Rande eingefasst ist. An dieselben setzt sich je ein dickes Nerven- bündel an. Ist das vielleicht ein Gehörorgan? Diese Erklärung scheint nicht unwahrscheinlich; denn es ist das besagte Gebilde bei weitem entwickelter bei der Reblaus, die im finstern lebt und auf ihr Gehör viel mehr angewiesen ist, als bei der am Licht lebenden Eichenlaus. Der untere Teil des Nervensystems besteht aus einer bauchstän- digen Masse, von der nach den verschiedenen Körperteilen auslau- fende Nerven sich abzweigen. Mit einiger Vorsicht kann man auch die verschiedenen Muskeln der Eichen - Phylloxera untersuchen. Sie sind stark und zahlreich und haben überreichlich Kraft, um die einzelnen Glieder gegen einander zu biegen und infolge dessen auf die Gegenstände der Umgebung einen Druck auszuüben. Daraus folgt, dass die Phylloxera zur Vor- wärtsbewegung einen festen Stützpunkt nötig hat, wie die Oberfläche der Weinstockwurzeln oder ein fester Boden ihn bietet; und vielleicht kann man sich so auch erklären, weshalb sie sich nicht in einem aus beweglichen Elementen bestehenden Medium ausbreitet, wie z. B. in sandigem Terrain. Bevor die Eichen- Phylloxera an den Blättern sich festsetzt, schwellen ihre Klauen an und krümmen sich. Das unterste Fußglied endigt bekanntlich bei beiden Arten mit einem starken hohlen Haar, 559 Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. welches eine Art kleine Kugel trägt und beim Andrücken ohne Zweifel zur Befestigung dient. Diese Kugel ist bei der Eichenlaus, die sich an der untern Blattfläche festhalten muss, am größten. Die Verdauungsorgane geben uns durch ihren Bau Aufschluss über die gelegentlich so rapid verlaufenden Verheerungen, welche das Insekt veranlasst. Gleich die Mundöffnung ist mit drei starken Spitzen besetzt, die die Rolle eines Bohrorgans spielen. Bei der Reb- laus, welche die Wurzelrinde zu durchbohren hat, sind dieselben bei weitem stärker und fester, als bei der Phylloxera der Eiche, deren Angriffe sich nur gegen die Blattepidermis richten. Nach Belieben können sich diese bohrenden Nadeln in eine Art von Trichter zurückziehen, den sie so in ein Saugorgan umwandeln. Der ganze, zugleich bohrende und saugende Apparat ist besonders kräftig, dank seiner Größe und der Unterstützung, die er im Ver- dauungstraktus im engern Sinne findet. Der letztere besteht aus einem Schlauch, der kaum die Länge des Körpers überschreitet und nacheinander mehrere Aussackungen trägt. Eine erste bedeckt un- mittelbar das Saugorgan und man kann direkt die Bewegungen seiner Wände verfolgen. Die folgende fungiert als Magen; sie ist verhält- nismäßig schwach sichtbar. Dann kommt der Darm mit seinen kon- tinuirlichen Bewegungen, die man mit denen des Herzens vergleichen kann. Diese so schnellen und vielseitigen Bewegungen scheinen im Inhalt des Darms einen förmlichen Kreislauf unterhalten zu müssen, woraus erklärlich wird, wie ein so kleines Tierchen, wie die Reblaus ist, so enorme Mengen von Saft absorbieren kann. Die Verdauung der Nahrungsmittel wird anderseits in eigentümlicher Weise durch die Wirkung von großen Speicheldrüsen beschleunigt, welche nahe beim Kopf liegen, und durch zahlreiche andere Drüsen, welche auf der Oberfläche des Darmes kleine Warzen bilden. Die Atmungsorgane der Phylloxera haben für uns eine ganz be- sondere Bedeutung, da auf dieselben die Bekämpfungsmittel Rück- sicht zu nehmen haben; die einen, wie z. B. das Unterwassersetzen, müssen sie mechanisch zu grunde richten, die anderen tötende Gase in dieselben einzuführen suchen. Sie bestehen aus einer Reihe von verzweigten Röhren, den Tra- cheen. Diese Tracheen und ihre Verzweigungen können bis an die Oberfläche der Organe, in denen sie sich verteilen, verfolgt werden. Nach außen öffnen sie sich durch kleine Oeffnungen, sogenannte Stig- mata, die allerdings bei Phylloxera weniger zahlreich sind als bei anderen Insekten. Es sind vier kleine Paare am Abdomen und zwei große am Thorax. Die letzteren und wichtigeren liegen zwischen und an der Abgangsstelle der Gliedmaßen, wobei ihnen durch die Luftblase, die sich dort erhält, ein ganz besonderer Schutz gewährt wird. Es ist deshalb die Phylloxera vorzüglich gegen das Ersticken Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. 553 gesichert, wie sie sich denn auch längere oder kürzere Zeit unter Wasser lebend erhält. Während so der Respirationsapparat ein sehr vollkommener zu nennen ist, sind die Zirkulationsorgane sehr einfach, sie bestehen aus einem sehr langen und schlanken dorsalen Gefäß. Das Innere des Körpers ist namentlich in jugendlichen Stadien reich an Fettkörpern, welche dem Insekt zur Not längere Zeit ohne Nahrung von außen her zu leben erlaubt. Grade sie erschweren das Studium auf das äußerste, und sie müssen daher durch besondere Be- handlung entfernt werden. Außerdem besitzt die Eichenlaus noch rötliche, drüsige Kör- perchen, die wahrscheinlich mit der Lebensweise in Zusammenhang stehen. Die Geschlechtsorgane befinden sich noch in rudimentärem Zustande. Hat sodann die Phylloxera diesen ersten Lebensabschnitt durch- laufen, so erfährt sie eine Häutung, deren Beobachtung sehr interes- sant ist. Sie schlüpft förmlich aus ihrer ersten Haut heraus, die sich von vorn nach hinten spaltet und am Körper entlang nach dessen hinterem Ende gleitet, um sieh hier als kleine, unregelmäßig gefaltete Masse anzusammeln, in der noch die Hülle der Füße zu erkennen ist. Die junge Phylloxera-Haut ist zuerst unendlieh dünn, und unbestritten ist das Insekt in der Jugend so der tödlichen Einwirkung von Giften am leichtesten zugänglich. Aber bald verdickt sich die Haut, na- mentlich bei der Reblaus. Reblaus und Eichenlaus durchleben diese zweite Entwicklungs- stufe unter kontinuierlicher Weiterentwicklung ihrer verschiedenen Organe, vorzüglich der Geschlechtsorgane und der roten Drüsen, die ich schon erwähnt habe. Die Chitinverdiekungen der Haut springen dagegen nicht mehr so sehr vor. Nach einer zweiten Häutung kann sodann das Insekt zum Mutter- tier werden. Die Unterscheidungsmerkmale beider Arten haben sich mehr und mehr ausgeprägt, die Haftapparate und Antennen der Eichenlaus haben sich andauernd vergrößert, während dagegen die entsprechenden Teile der Reblaus immer reduzierter geworden sind, be- sonders die Antennen unterscheiden sich durch ihre Kürze sehr von denen der andern Form. Die Geschlechtsorgane sind jetzt auf der Höhe ihrer Entwicklung angelangt; sie bestehen aus Reihen von schlauch- förmigen Ovarien, deren Zahl um so beträchtlicher zu sein scheint, je weniger die Jahreszeit vorgerückt ist. In diesen Schläuchen ent- wiekeln sich die Eier, die in der Reihenfolge, wie sie zur Reife kommen, durch eine breite Tubenöffnung nach außen gelangen. An dieser Oeffnung treffen noch drei accessorische Organe zusammen; das eine von ihnen ist unpaarig und median gelegen und ist gleich- sam nur erinnerungs- oder wiederholungshalber da: es ist das eine sogenannte Kopulationstasche, welche sich bei dem Weibchen wieder- 554 Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. findet, um hier die befruchtende Flüssigkeit aufzunehmen. Nun aber erzeugt, wie bekannt, das Muttertier entwicklungsfähige Eier ohne Zuthun des andern Geschlechts. — Auf jeder Seite der Mündung öffnen sich ferner sogenannte Talgdrüsen, welche aus dem engen Halsteil und einem erweiterten Innenraum bestehen. Diese Drüsen scheinen bedeutenden Anteil an der Bildung der dicken Hüllen zu haben, welche den Inhalt des Eies so energisch beschützen. Ein- gehendere Beobachtung der Eichenlaus hat mich erkennen lassen, dass in diese Talgdrüsen lange Kanäle einmünden, die von einer kleinen sphärischen Masse überlagert sind. Ich will hier nicht auf die äußerst sorglose Art und Weise ein- &chen, mit der das Muttertier seine Eier regellos um sich ablegt. Die in dieser Periode abgelegten Eier sind so zahlreich und folgen mit soleher Schnelligkeit aufeinander, dass die Zerstörung ‚einer An- zahl derselben so zu sagen ohne Einfluss auf die allgemeine Ent- wieklung und Vermehrung der Phylloxera-Kolonien bleiben muss; dies ist jedoch nieht mehr der Fall bei denjenigen Eiern, aus denen geschlechtliche Individuen hervortreten sollen; deren Anzahl ist immer ziemlich beschränkt. Das bis dahin so sorglose Muttertier wird jetzt ganz besonders vorsichtig beim Ablegen dieser wichtigeren Produkte und wählt dazu fast immer mehr oder weniger geschützte Winkel aus. Das ungeflügelte Muttertier kann je nach der Jahreszeit ge- wöhnliche Eier erzeugen, aus denen ihm gleiche Individuen hervor- gehen, oder solche, die männlichen oder weiblichen Insekten den Ursprung geben. Die männlichen Eier lassen sich leicht an ihrer geringeren Größe und der rötlich- braunen Färbung erkennen, die weiblichen dagegen an ihrem größeren Umfang und ihrer mehr blassen, bräunlichen Farbe. Es sei gleich hier bemerkt, dass die männlichen und weiblichen Individuen, welche aus den von flügellosen Müttern gelegten Eiern hervorgehen, sich weniger in Größe und Gestalt von dem gewöhnlichen Phylloxera-Typus unterscheiden, als diejenigen seschleehtlichen Individuen, die aus von geflügelten Müttern gelegten Eiern stammen. Es ist das eine Thatsache, welche mir noch nicht beachtet zu sein scheint, ebenso wie verschiedene Einzelheiten in der Organisation des Weibehens, bei dem mehrere Ovarialschläuche sich entwickeln, und wie das relative Volumen des Verdauungstraetus, welcher, obgleich einer obern Oefinung immer ermangelnd, häufig eine untere zeigt. Seine Wandung ist übrigens dureh die Untersuchung der sie zusam- mensetzenden Elemente, seines Inhalts, sowie seiner Kontraktionen auf das evidenteste nachgewiesen. Bei der Reblaus hat man noch nicht Gelegenheit gehabt die Existenz von diöcischen, von flügellosen Tieren gelegten Eiern zu konstatieren. Doch zurück zu der Entwicklung der gewöhnlichen Eier. Ich habe dieselbe so zu sagen Schritt für Schritt verfolgen können, na- Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. 555 mentlich bei Sinken der Temperatur, wo die Entwicklungsvorgänge eine für die Beobachtung äußerst günstige Verlangsamung erfahren; aber ich muss mir hier genügen lassen, auf die Art und Weise des Schutzes einzugehen, den die sich entwickelnde Phylloxera erfährt. Beim gewöhnlichen Insektenei bildet sich unmittelbar unter der Ei- schale und auf der Oberfläche des Eiinhaltes in einer Meristemschicht, die Blastoderm genannt wird, jene zarte Linie aus, die bei weiterer Entwieklung zur Larve wird. Bei der Phylloxera dagegen bildet der Blastodermsack gradezu eine Schutzhülle, die so sehr nur als solche fungiert, dass sie sich zu bestimmter Zeit dunkel färbt, ohne Zweifel um den Embryo, der sich in ihrer Mitte entwickelt, gegen die schäd- liche Einwirkung der Lichtstrahlen zu beschirmen. Wie sinnreiche Sehutzmittel haben sich also hier herausgebildet, um unsern Feind während der empfindlichsten Periode seiner Entwicklung zu schützen! Wir finden zu äußerst am Ei eine Schale aus mehrfachen Schichten gebildet und von zahlreichen feinen Poren durehbohrt, um der Luft den Zugang zu ermöglichen; ein äußerer, körniger Ueberzug verhin- dert aber ebenso den Eintritt von Wasser und gestattet infolge dessen die Entwicklung des Bies mitten in diesem Medium. Darauf folgt das für Licht undurehdringliche Blastoderm, endlich eine dritte Schicht, die aus Nährmaterial gebildet wird, und erst mitten in dieser entwickelt sich der Embryo in Gestalt eines um sich selbst gewun- denen Bändehens. Dieser Faden wächst und verzehrt dabei all- mählich die ihn umgebende Nahrung, die verschiedenen Organe treten allmählich eins nach dem andern auf, bis endlich das junge Tier die schützende Blastodermhülle berührt; das Ausschlüpfen steht nun be- vor. Aber wie kann die junge Phylloxera diese dicke Schale, die sie so lange beschützt hat, durchbrechen? Am obern Ende des Blasto- dermsackes hat sich eine Art von braungefärbtem Kamm herausge- bildet, der zum ersten mal bei der Reblaus von Cornu beschrieben ist. Er fungiert förmlich wie eine kleine Säge, deren Zähne all- mählich die äußere Eischale einschneiden und zerstören, so dass sie sich von oben nach unten spaltet und ihre Hälften ausbreitet, wie unsere Fruchtkerne; die Phylloxera braucht jetzt nur noch den Blasto- dermsack zu durchbrechen, dessen Widerstandsfähigkeit eine ziemlich geringe ist. Sie verlässt so das Ei und kann sich auch gleich be- wegen. Sie versenkt bald ihren Rüssel in das Blatt, auf dem sie sich entwickelt hat, und beginnt die Reihe der drei Lebensstadien, die wir bis jetzt beschrieben haben. Viele Tiere gelangen nicht über das dritte dieser Stadien hinaus, dasjenige also des flügellosen Muttertieres; andere unterliegen einer dritten Häutung, die durch die rotbraune Farbe angezeigt wird, und gehen in das sogenannte Nymphenstadium über. Während desselben erleidet die Eichenlaus eine Reihe von Veränderungen, deren haupt- sächlichste in der Vergrößerung der Klauen und Antennen bestehen 556 Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. und in dem beiderseitigen Auftreten von je zwei rückenständigen Höckern, aus denen sich allmählich die Rudimente der Flügel her- vorbilden. Bald streift die Nymphe ihre Hülle ab und zeigt dann die neuen Bewegungs- und Tastorgane, welche die geflügelte Form charakterisieren. Wir sind so bei dem fünften Stadium angelangt, bei dem aus- gebildeten Insekt, dem geflügelten Muttertier. Die zuerst gefalteten und stummelförmig zusammengeschrumpften Flügel dehnen und breiten sich allmählich aus und bilden so beiderseits ziemlich mächtige Decken. Aber wie schlank und schmächtig ist der Körper des Tieres selbst, so zart, dass man beim ersten Erblicken von geflügelten Phyllo- zera-Individuen .unwillkürlich erstaunt. Die kleinsten Mücken und Fliegen, die abends bei uns herumschwärmen, erscheinen wie Riesen gegenüber diesen winzigen Feinden, die schon einem so großen Teil unserer Weinberge Verderben gebracht haben. Die vier Flügel, die übrigens schon häufig genug beschrieben sind, sind im Verhältnis zum Körper, den sie tragen sollen, so enorm entwickelt, dass, wenn man die wirkliche Flugweite der Phylloxera bei vollkommen ruhigem Wetter kennt, man sofort versteht, wie die geringste Luftbewegung sie ergreifen und weit forttragen muss, ebenso wie die leichten Pflanzensamen. Aber diese Samen keimen passiv da, wo sie nieder- fallen, während die Phylloxera, um die Eier, die ihre Rasse fort- pflanzen sollen, an einem sichern Ort abzulegen, die sinnreichsten Manipulationen vornimmt, dank den ausgezeichneten lokomotorischen und Tastorganen, mit denen sie ausgerüstet ist. Das flügellose Muttertier, welches bei beiden Formen der Phyllo- zera ungemein regungslos sich verhält, trägt auf beiden Seiten nur je einen aus drei Ocellen oder kleinen Augen gebildeten Fleck. Die geflügelte Form zeigt dagegen vor jedem dieser Flecke ein großes kugelförmiges Auge, aus hunderten von Ocellen gebildet, welches ihm den Ueberblick über ein großes Gesichtsfeld möglich macht und noch verstärkt wird durch die einfachen, vorn am Kopfe liegenden Augen. Jenes uhrglasförmige Organ an den Antennen, welches wir als Gehörorgan bezeichnen zu können glaubten, hat seine Oberfläche bedeutend vergrößert, während ein zweites gleiches Organ weiter unten entstanden ist. Die überaus verlängerten Antennen können mit ihren Tasthaaren einen verhältnismäßig großen Raum bestreichen. Die Füße, welche gleichfalls eine besonders kräftige Ausbildung er- fahren haben, sind wohl geeignet einen festen Halt auf der Ober- fläche des Körpers zu gewähren, auf denen das geflügelte Insekt sich aufhält. Dagegen hat der Verdauungstractus nur noch eine sekun- däre Rolle zu erfüllen; auch ist er blasser und weniger beweglich geworden, wie denn ebenfalls das Bohr- und Saugorgan in ihren Dimensionen bedeutend zurückgegangen sind. Wir wollen einen Augenblick bei dem wunderbaren Instinkt stehen Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. 557 bleiben, mit dem das geflügelte Muttertier seine Eier in den verbor- gensten Winkeln zu verbergen sucht. Um die Geschicklichkeit dar- zuthun, mit welcher das Insekt alle Umstände benutzt, die es im Augenblick der Eiablage verbergen können, wird es genügen, fol- gende Thatsache anzuführen. Ich hatte ein mit Schimmel bedecktes Blatt vor mir, auf dem sich geflügelte Tiere befinden mussten. Bei Anwendung der Lupe war nichts zu erkennen, und es bedurfte schon einer stärkern Vergrößerung, um unter diesem natürlichen Schleier zwei eierlegende Insekten wahrzunehmen. Die Eichenlaus kann zwar ihre Eier auf den Blättern am Baume selbst ablegen, aber in den meisten Fällen scheint sie den Baum zu verlassen, unzweifelhaft um sich unter den niedrigen Gewächsen in der Umgebung zu verbergen. Die diöcischen, von einem geflügelten Muttertier gelegten Eier sind in jeder Hinsicht den von ungeflügelten stammenden zu vergleichen. Die relative Durchsichtigkeit der weiblichen Eier ist für das Studium der Entwicklungsgeschichte überaus günstig, und wenn ich nicht fürchtete, die mir gesteckten Grenzen zu überschreiten, würde ich auf diese komplizierten Vorgänge näher eingehen. Uebrigens sind die Embryonen der diöeischen Phylloxera-Eier ebenso vollständig gegen schädliche, von außen kommende Einwirkungen geschützt, wie die schon beschriebenen. Die Art und Weise des Ausschlüpfens unter- scheidet sich ein wenig von der gewöhnlichen Form, infolge Fehlens des resistenten gezähnten Kammes, den wir dort erwähnt haben; man findet statt dessen nur eine Reihe bleicher und wenig konsistenter Zellen. Die Eihüllen blättern sich förmlich ab, langsam und nach- einander, und im Augenblick, wo das junge Insekt sie verlässt, bilden sie ein kleines Säckehen, das allmählich am hintern Leibesende zu- sammensinkt. Das Ausschlüpfen erinnert in diesem Fall sehr an die Erscheinung der Häutung. Die geschlechtlichen männlichen und weiblichen Indi- viduen, die aus von geflügelten Tieren gelegten Eiern stammen, unter- scheiden sich wesentlich durch ihre Kleinheit und abgerundete Ge- stalt von dem normalen Typus. Ich habe Schritt für Schritt die Ent- wieklung des Nervensystems und der Geschlechtsorgane verfolgen können. Die letzteren reduzieren sich beim Weibchen auf eine ein- fache Tube, in welcher ein einziges Ei sehr schnell zur Reife kommt: es ist das also ein sicherer Gegensatz zu denjenigen Weibchen, die von ungeflügelten Müttern stammen und bei denen die Entwicklung mehrerer Eibehälter und das weniger schnelle Reifen des einzigen so- genannten Wintereies von mir beobachtet ist. Das Männchen unterscheidet sich ebenfalls in den beiden Fällen. Ich habe die suecessive Entwicklung seiner innern Organe verfolgen können, ebenso auch eines eigentümlichen Apparates, der sich nach außen vorstülpen kann, und der bisher nicht beachtet worden ist. 558 Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. Aber der Punkt, in dem sich die geschlechtlichen Individuen, je nach dem sie von flügellosen oder geflügelten Tieren erzeugt sind, unter- scheiden, ist die Reduktion der Verdauungsorgane. Bei den ersteren haben wir gesehen, dass der Darmtraktus noch ziemlich ansehnlich war, wenn auch ohne jede obere Oeffnung. Bei den letzteren aber reduziert er sich auf einen einfachen spindelförmi- gen, bräunlichen Schlauch, über dessen Natur man nicht ohne wei- teres ein Urteil abgeben würde, wenn nicht die erwähnte Mittelform als Wegweiser diente. Uebrigens fällt ja auch die Funktion des Verdauungskanals bei der geschlechtlichen Form vollkommen weg, deren Zweck es einzig und allein ist auf geschlechtlichem Wege Eier zu erzeugen, die mit einer ganz besondern Lebensthätigkeit begabt sind. Diese „Lebenskraft“ geht von ihnen auf den daraus hervor- gehenden Embryo über und auf die von ihm abstammenden Genera- tionen. Diese so unerwartete Eigentümlichkeit der geschlechtlichen Tiere scheint mir seine Erklärung in den äußeren atmosphärischen Verhält- nissen zu finden. Zur Zeit, wo das flügellose und vor allem das ge- flügelte Muttertier seine Eier ablegt, sinkt die äußere Temperatur und oft tritt schon eine empfindliche Kälte ein. (Ich habe im Sep- tember und Oktober 1883 das Ablegen und die Entwicklung der diöcischen Eier beobachtet). Unter diesen Bedingungen würden die gewöhnlichen Eier anderer Insekten in ihrer Entwicklung einhalten, bis zur Rückkehr günstigerer Temperaturverhältnisse. Bei dem Ei der Phylloxera macht sich ein entgegengesetztes Verhalten geltend. Der Lauf der organischen Entwicklung ist gleichsam überreizt; da sie sich aber nicht mehr auf den ganzen Embryo ausdehnen kann, lokalisiert sie sich, sozusagen, auf einen Teil der Geschlechtsorgane, die so ein vorzeitiges Wachstum erfahren. Die geschlechtliche Phylloxera, sowohl das Männchen wie das Weibchen, kann demnach einem vorzeitig ausgeschlüpften Insekten- embryo verglichen werden, und dieser Zustand der Nichtreife ist es, welehen uns seine Ernährungsorgane darzubieten scheinen, und wel- cher so sehr mit der völligen, man möchte sagen übermäßigen Aus- bildung der Geschlechtsorgane kontrastiert. Es ist gewissermaßen ein befremdendes Schauspiel, das diese Umänderung der gewöhnlichen Verhältnisse bietet; bei Eintritt der Kälte eine vorzeitige Entwicklung an Stelle eines Stillstandes! Ich kann hier nieht auf alle von mir festgestellten Einzelheiten im Bau der geschlechtlichen Tiere eingehen, weder des Männchens, wo ich die sehr eigentümliche Entwicklung der Spermatozoiden verfolgt, noch des Weibchens, bei denen ich die verschiedenen Reifezustände des Eies untersucht habe. Dieses Ei wird bald in gradezu erstaun- licher Weise ausgestoßen; denn es ist ja bekannt, dass das Volumen des Wintereies nicht viel kleiner als das des weiblichen Tieres selbst ist. Lemoine, Die Phylloxera der Eiche. 559 Auch die einzelnen Phasen des Sexualaktes selbst, der von all- gemein physiologischem Gesichtspunkt aus sehr interessant ist, lasse ich hier unberücksichtigt. Balbianı hat schon festgestellt, dass derselbe nicht auf den Blättern, deren Abfall bevorsteht, vor sich geht, sondern auf den Zweigen selbst, in der Nähe der Knospen, die im nächsten Frühling zur Entwicklung gelangen. Demgemäß bleibt das Männchen auf dem Zweig, wo es bald zu grunde geht, während das Weibehen sich unter eine Deekschuppe flüchtet um hier ein Ei zu legen. Dies ist das Winterei, welches eine ganz besondere Resi- stenzfähigkeit seiner Wand besitzt und gleichzeitig mit einer Art von Befestigungsstiel versehen ist. Dieser Stiel, den ich vorzüglich vor der Eierablage untersuchte, ist sehr interessant durch den Kanal, welcher ihn seiner ganzen Länge nach durchläuft und das Innere des Eies mit der Außenwelt in Verbindung bringt. In diesem Kanal habe ich Spermatozoiden angetroffen, die allmählich in das Innere der Keimscheibe einzudringen schienen. War dies Eindringen ein normales oder ein zufälliges? Balbiani hat die Gegenwart von Spermato- zoiden in einem Loch oder einer Mikropyle festgestellt. Wie dem auch sei, später schien mir die Höhlung des Stieles ausgefüllt zu werden, gleichzeitig wie der Stiel selbst anfing sich zu drehen. Am Ende seiner Entwicklung glaube ich am untern Ende des Winter- eies eine kuglige Masse beobachtet zu haben, die ganz der von Bal- biani beim Blattlausei beschriebenen glich. Balbiani hat ebenfalls der Akademie der Wissenschaften das Resultat seiner Untersuchungen über die Ausstoßung des Wintereies und über das Auftreten der ersten Frühlingsgeneration mitgeteilt, welche, obgleich sie sich sehr dem normalen Typus nähert, doch noch einige der Eigentümlichkeiten der geschlechtlichen Individuen bewahrt haben dürfte, von denen sie erzeugt ist. Man weiß auch durch die Arbeiten dieses gelehrten Forschers, dass das Winterei der Phylloxwera vastatrix an ganz bestimmten Stellen jedoch zwischen den Unebenheiten und Rissen der Oberfläche des Weinstocks abgelegt wird. Es ist nicht meine Aufgabe hier auf die daraus folgenden praktischen Maßregeln einzugehen oder spezieller die immense Bedeutung zu betonen, welche die Zerstörung aller Win- tereier haben würde. 560 Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. Ueber die Mechanik des Insektenkörpers !). Von Prof. V. Graber. I. Mechanik der Beine. 1) Fr. Dahl, Beiträge zur Kenntnis des Baus und der Funktionen der Insek- tenbeine. Inaug.-Dissert, mit3 Tafeln. Berlin, Nikolai 1834. — 2) Tuffen West, The foot of the Fly, its structure and action ete. Transaetions Linn Soe. XXI. 1862. — 35) Rambouts, de la faculte, qu’ont les mouches de se mouvoir sur le verre — Extrait des archives du Musee Teyler; ser II. p. 4. 1883. — 4) H. Dewitz, Ueber die Fortbewegung der Tiere an senkrechten glatten Flächen vermittelst eines Sekretes. Pflüger’s Arch. f. d. ges; Phys. Bd. XXXIII mit 3 Taf. — 5) Derselbe unter dem gleichen Titel im Zool. Anzeiger 1884, Nr. 172. — 6)G. Simmermacher, Untersuchungen über Haftapparate an Tar- salgliedern von Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zoologie. 10. Bd. 1884. S. 481 - 556. mit 3 Tafeln. Trotz der vielseitigen und z. T. auch sehr eingehenden Unter- suchungen, welche von jeher über die verschiedenen mechanischen Einriehtungen und Vorgänge des Insektenorganismus angestellt wur- den, gibt es doch noch immer, was bei der Mannigfältigkeit der be- treffenden Bildungen und der oft ganz immensen Schwierigkeit ihrer anatomischen Analyse und physiologischen Deutung, auch nicht wun- der nehmen darf, eine Menge von Problemen, die noch gar nie bear- beitet wurden und auch von veralteten Irrtümern, die der Rektifizie- rung mit Hilfe der vervollkommneten Untersuchungsmethoden harren. Referent selbst war bei der Ausarbeitung seines Insektenbuches, un- geachtet letzteres einen mehr populären Zweck verfolgte, auf das eifrigste bemüht, speziell auf dem Gebiete der Insektenmechanik so viele neue Untersuchungen anzustellen, als es die sehr beschränkte Zeit überhaupt gestattete. Mit aufrichtiger Freude muss nun Ref. konstatieren, dass seit dem Erscheinen jenes Buches und z. B. wie manche Autoren aner- kennen, angeregt durch dasselbe gerade tiber das in Rede stehende Gebiet eine Reihe wichtiger Studien gemacht wurden, und er betrachtet es als eine höchst angenehme Pflicht, soweit seine Zeit hinreicht, über die allerbedeutendsten Ergebnisse derselben Bericht zu erstatten, wobei diesmal die auf die Mechanik der Beine bezüglichen Arbeiten zur Sprache kommen sollen. 1) Als Grundlage für die Betrachtung des Mechanismus der In- sektenbeine kann am besten die sub 1 angeführte, unter Leitung des 4) Zwar brachten wir in Nr. 14 dieses Bandes unserer Zeitschrift einen Aufsatz von Herrn Professor Emery in Bologna, welcher teilweise bezüglich des behandelten Gegenstandes mit diesem sich deckt. Nichtsdestoweniger glauben wir, dass auch dieser zweite Artikel, welcher den Gegenstand noch eingehender behandelt und manche neue Gesichtspunkte enthält, unsern Lesern willkommen sein wird. Red. d. Biol. Centralbl. Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. 561 um die Pflege der Zoo-Physiologie hochverdienten Prof. Möbius entstandene schöne Arbeit von Dahl dienen, da sich dieselbe fast über sämtliche hier in Betracht zu ziehenden Verhältnisse verbreitet. D. hebt zunächst einige beachtenswerte Punkte bezüglich der Stellung und Zahl der Insektenbeine hervor. Im Gegensatz zu den höhern Wirbeltieren, wie den Säugern und Vögeln, bei welchen die Fuß- oder Stützpunkte der Beine gerade unter dem zu tragenden Rumpf oder nahe an den Seiten desselben liegen, sind bekantlich die Insekten- beine vielfach und analog wie bei gewissen niederen Wirbeltieren d. i. den Reptilien und Amphibien, stark nach außen gekehrt, was für die Erhöhung der Gleichgewichtserhaltung oder Stabilität von Wichtigkeit ist. Als ganz besonders vorteilhaft erweist sich aber diese Schrägstellung der Insektenbeine für das Klettern. Wäh- rend nämlich u. A. den Säugern, da ihre Vorder- und Hinterkrallen stets nach derselben Richtung d. i. gegen die Kopfseite gekehrt sind, das Abwärtsklettern in der Regel sehr schwer fällt, ist es für die In- sekten ziemlich einerlei, ob sie auf einer vertikal stehenden Fläche mit dem Kopf nach oben, unten oder auch seitwärts hinlaufen, denn sie hängen, wie man leicht beobachten kann, immer an zwei oder auch an drei samt den Krallenspitzen nach oben gerichteten Beinen. Was die Sechszahl der Insektenbeine betrifft, so betrachtet sie D. ganz mit Recht als ein sehr günstiges Minimum, indem dieselbe zu- mal für das Klettern vollständig ausreicht, aber, ohne die Lokomo- tionsfähigkeit zu beeinträchtigen offenbar nicht weiter vermindert werden darf. Eine Reduktion in der Zahl der zur Ortsbewegung ver- wendbaren Beine resp. eine partielle Verkümmerung derselben kommt nur ganz ausnahmsweise bei solchen Insekten wie z. B. bei gewissen Tagschmetterlingen vor, welche die Beine lediglich beim Ausruhen vom Fluge als Fixierungswerkzeuge gebrauchen. Sehr eigentümlich ist u. A. das Verhalten gewisser Mücken z.B. Culex pipiens, die beim Sitzen und Gehen die Hinterbeine in die Höhe halten und, ähnlich wie beim Flug, als Balancierstange verwenden. Uebergehend auf den mechanischen Bau der Insektenbeine, so ist es ein Hauptverdienst Dahl’s dass er als der Erste gewisse schon traditionell gewordene irrtümliche Anschauungen über die Muskulatur dieser Gliedmaßen und speziell des Endabschnittes derselben beseitigt. Das Bein der Insek- ten und der Arthropoden (Krebse, Spinnen ete.) überhaupt ist, me- chanisch betrachtet eine mehr oder weniger starrwandige (durch Aus- stülpung vom Stamm her entstandene) Chitinröhre, die sich, und zwar ganz analog wie die Wirbeltierextremität in mehrere vom Stamm ge- gen das Ende sich meist verjüngende und in der Regel winklig gegen einander gebrochene Stücke, Hüfte, Schenkelring, Schenkel, Schiene und mehrteiligen Fuß oder Tarsus gliedert. Was nun die die einzel- nen Beinabschnitte gegen einander bewegenden Muskeln anlangt, se wusste man zwar schon früher, dass die Zahl derselben weit geringer 36 562 Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. als bei den Wirbeltieren ist. D. zeigte aber, dass noch wenige ak- tive Bewegungsvorrichtungen vorhanden sind, als bisher hauptsäch- lich auf grund der alten Strauss-Dürkheim’schen Darstellung allgemein angenommen wurde, indem insbesondere die Streckung ge- wisser Fusteile nur passiv, d. i. durch die Federkraft der aus ihrer Gleichgewichtslage gebrachten elastischen Gelenkhäute erfolgt. Das Detail ist kurz folgendes. Im obersten Beinabschnitt, der Hüfte, finden sich drei Muskeln zur Beugung und einer zum Strecken des nächst- folgenden Gliedes d. i. des Trochanters, wobei ein Beuger aber vom Stamm selbst ausgeht, also wenn Ref. diese von Langer, Lucae u. s. f. gebrauchte Bezeichnungsweise hier einführen darf, ein soge- nannter zweigelenkiger Muskel ist. Im zweiten bekannlich meist sehr kurzen Beinstück, dem Schnabelring (Trochanter), ist nur ein einziger an der Schenkelbasis angreifender Muskel, der weder allein zum Ab- ziehen (Strauss-Dürkheim) noch (Burmeister) ausschließlich zum Heben des Beines dient, sondern nach D. ein Einwärtsroller oder Pronator ist, der insbesondere bei Insekten mit relativ wenig dreh- barer Hüfte, wie z. B. bei den Laufkäfern, große Bedeutung erlangt. Das Auswärtsrollen wird dagegen durch die Elastizität der durch die Pronation angespannten Gelenkhaut besorgt. Der dritte Abschnitt, der Schenkel, (Femur) besitzt zunächst zwei Muskeln zur Fortbewe- gung des folgenden Beingliedes d. i. der Schiene, nämlich einen Beu- ger, der namentlich bei springenden Insekten oft kolossale Dimensionen annimmt, und einen Strecker. Außerdem befindet aber sich im Schen- kel noch ein dritter Muskel, der unser besonderes Interesse verdient. Er entspringt am obern Ende des Schenkels und spitzt sich ungefähr in der Mitte desselben zu einer dünnen aber äußerst derben Sehne zu, die durch die Schiene und alle Fußglieder hindurchgeht und sich unter später zu beschreibenden Verhältnissen an der Ventralseite der Krallen, zu deren Beugung sie dient, ansetzt. Ref. möchte beisetzen, dass sich dieser Muskel der Insekten von dem sonst sehr analogen Endglied — resp. Krallenbeuger der Wirbeltiere (M. flexor digit. comm. profundus) u. A. dadurch wesentlich unterscheidet, dass sein Ur- sprungspunkt um einen Beinabschnitt höher hinauf gerückt erscheint, insoferne ja der Wirbeltierkrallenbeuger unten von der Schiene aus- geht, und dass dadurch von andern Verhältnissen, wie der Mitbewe- gung der folgenden Abschnitte, abgesehen, die Schiene der Insekten mehr entlastet wird und auch sich schlanker gestalten kann, als wenn der in Rede stehende Muskel von ihr ausginge. Die schon eingangs erwähnte relativ große Dürftigkeit in der Muskelausstattung des In- sektenbeines zeigt sich ganz besonders am Endabschnitt oder Fuß (Tarsus), der mit Einrechnung der für sich beweglichen Krallen häufig nicht weniger als sechs (Zehen-) Glieder enthält. Während nämlich wie Ref. kurz in Erinnerung bringen will, bei gewissen Wirbeltieren 7. B. den Vögeln, jedes Zehenglied einen besonderen Beugemuskel Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. 565 besitzt und außerdem zur Dirigierung des Gesamtfußes noch einige an der Fußwurzel angreifende Muskeln hinzukommen, sind zur Be- wegung des Insektentarsus summa summarum nur zwei Muskeln vor- handen, und mit Rücksicht darauf, dass der kontraktile Abschnitt des einen, nämlich des schon erwähnten Krallenbeugers im Schenkel und der Bauch des andern d. i. des an der Ventralseite des ersten Tar- susgliedes angreifenden in der Schiene liegt, darf man sagen, dass im Insektentarsus gar kein Muskel sich befindet, ein Ver- halten, das Ref. wie z. T. noch aus dem Spätern hervorgehen wird, auf grund eigener Nachuntersuchungen durchaus bestätigen muss. Mit bezug auf die landläufige von Strauss-Dürkheim herrührende z. T. offenbar schematische Auffassung, nach welcher dem Fußwurzel- und dem Krallenbeuger ein besonderer Streekmuskel gegenüberstände, von denen der des Krallenbeugers im Metatarsus liegen sollte, ist noch besonders zu betonen, dass der Insektenfuß gar keine kontraktilen Extensoren hat, sondern dass die Wiederaus- streekung der gebeugten Krallen und übrigen Fußteile lediglich durch die Federkraft der bei der Flexion angespannten Gelenkhäute ge- schieht. Speziell hinsichtlich der Krallenstreekung ist aber noch einer eigentümlichen zuerst von Dahl beschriebenen Differenzierung der betreffenden Gelenkhaut, nämlich der von ihm wie Ref. glaubt, nicht recht passend als Streekplatte bezeichneter Bildung zu gedenken, über die sich in Kurzem freilich schwer eine deutliche Vorstellung geben lässt. Schneidet man, wie Ref. behufs der Orientierung über diese Verhältnisse sich zu empfehlen erlaubt, vom Endglied eines Hirschkäferfußes die Chitindecke der rechten und linken Seite weg und reimigt das Präparat durch Kochen in Kalilauge von den nicht- chitinösen Weichteilen, so lässt sich (am zweckmäßigsten unter dem Präpariermikroskop) leichtfolgendes erkennen. Die dünne blasse Sehne des Krallenbeugers schwillt nahe dem Gelenk zu einer dieken brau- nen und wie äußere Chitingebilde mit Rauhigkeiten versehenen Platte an, die aber keineswegs einen starren Fortsatz einer Kralle bildet, sondern mit dem Krallenpaar durch eine dünne Gelenkhaut knorplig verbunden ist. Diese Endanschwellung der Beugesehne ist aber ei- gentlich nichts anderes als der dorsale Teil einer taschenartigen ven- tralen Einsenkung am Ende des Fußes und die unter ihr liegende zweite Platte dieser Tasche, mit der erstern und dem ventralen Inte- gument des Fußes durch eine dünne faltige Randhaut verknüpft, stellt, was Dahl nicht beachtet hat, eine Rinne oder Führung vor, in weleher die nach außen etwas wulstig vorspringenden Sehnenplatte sich auf- und niederbewegen kann. Da diese Platte schräg im das Lumen des Beines hineinragt, glaubt D., dass sie beim Zurückweichen infolge der Kontraktion des zugehörigen Muskels wie ein Stengel wirke, bezw. dass sie bei Erschlaffung des Muskels durch den Druck der verdrängten Blutflüssigkeit wieder zurückgeschoben würde und 36 564 Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. dadurch die Streckung der Krallen bewirke resp. unterstütze, wozu Ref. nur bemerken will, dass an seinem Präparat auch nach Eröffnung des Fußes also nach Eliminierung der erwähnten Druckkraft noch immer völlige Streekung der vorher durch künstliches Anziehen der Sehne ganz eingeschlagenen Krallen eintrat. Dahl gibt nun weiter eine zwar kurze aber ungemein instruktive Uebersicht der z. T. höchst merkwürdigen Modifikationen, die das Insektenbein als Bewegungs-, als Fang- und Reinigungsorgan zeigt. Ein ganz besonderes Interesse verdienen aber die grade in jüngster Zeit zum Gegenstand lebhafter und nicht sehr erquicklicher Streitig- keiten gemachten Haftvorrichtungen, über die Ref. denn auch im nächsten Artikel z. T. auf grund eigener zur Klärung der Ansichten unternommener Untersuchungen etwas eingehender berichten wird. Dahl behandelt zunächst die die Bewegung in der Erde betrefien- den Beinmodifikationen. Dieselben beruhen im Anfang auf einer starken Entwicklung der Schiene, die behufs leichterer Wegräumung der Erde und zum bessern Anstemmen meist mit rechenartigen Bor- stenkränzen versehen ist, während der Fuß, welcher für solche Lei- stungen zu muskelschwach ist, entweder der Verkümmerung unter- liegt, oder wie z. B. beim Palmbohrer (Calandra palm.) in eine be- sondere Rinne der Schiene eingeklappt werden kann. Gewisse an den Grabfuß erinnernde Schienenfortsätze bei nichtgrabenden Imagines z. B. bei Bibio wären aus dem Umstand zu erklären, dass ihre Lar- ven graben. Dagegen glaubt D., dass das gelegentliche Fehlen der Schienensporen bei grabenden Insekten durch andere Einrichtungen kompensiert werde, wie denn beim Kampf ums Dasein doch stets nur die Summe aller erhaltungsmäßigen Eigenschaften einander das Gleichgewicht halten müssen. — Bezüglich anderweitiger lokomotori- scher Anpassungen sind namentlich die für die Bewegung auf dem Wasserspiegel hervorzuheben. Es handelt sich hiebei um zweierlei Prinzipien nämlich erstens um die Anwendung mit Luft gefüllter Hohl- räume und dann um den Widerstand, den troekne und etwas einge- fettete Körper der Befeuchtung mit Wasser entgegensetzen. Ersteres Prinzip kommt u. A. beim Taumelkäfer (Gyrinus) zur Anwendung, dessen von mächtigen Tracheensäcken erfüllte Schienen und Tarsen wirkliche den Körper tragende Flöße vorstellen. Auf dem andern Prinzip dagegen beruhen die eleganten Bewegungen der Wassertreter (Hydrometra u. Velia). Die langen Beine dieser Wanzen sichern zu- nächst ihre möglichst gleichmäßige Belastung und geben ferner im Verein mit der dichten Behaarung der Füße eine große Berührungs- fläche. In analoger Weise wird das Dahingleiten auf dem Wasser bei gewissen Fliegen, den Doliehopoden und Ephydrinen durch einen langen gefiederten Anhang zwischen den Haftlappen erleichtert. Indem die Klettereinriehtungen der Insektenbeine später bei Be- sprechung der Haftorgane zur Behandlung kommen, mögen hier zu- Graber, Ueber die Mechauik des Insektenkörpers. 1030) nächst noch jene rein mechanischen Anpassungen, welche als Reini- gungswerkzeuge dienen, Erwähnung finden. Dahin gehören vor Allem gewisse bürstenartige Ueberzüge an den Endteilen der Füße, die zur Reinigung des ganzen Körpers von Blumen- oder anderem Staub die- nen und welche z. T. schon von älteren Entomologen wie Reaumur, De Geer, Ratzeburg u. A. als solche erkannt wurden. Besonders interessant sind aber die speziell zum Durchziehen und Scheuern der benetzten oder beschmutzten Fühler vorhandenen Differenzierungen der Vorderbeine, welche z. T. zwar auch schon von früheren For- schern entdeckt aber nicht immer richtig gedeutet wurden. Die Ein- richtung besteht u. A. aus einer Art behaarter ösenartiger Zange, durch welche der Fühler durchgezogen wird. Das interessanteste an der der Sache ist aber der Umstand, dass man es hiebei nicht mit homo- logen d. h. an der gleichen Beinstelle auftretenden Differenzierungen zu thun hat, in dem dieselben bald am ersten Fußglied, bald an der Schiene vorkommen. Am ersten Ort findet sich das Reinigungsorgan u. A. bei den Blumenwespen, bei denen ein mit einem halbkreisförmi- gen Ausschnitt versehenes Fußglied den einen Schnabel der Zange und der mit einer sichelartig ausgeschnittenen Haut versehene Schie- nensporn den andern Schenkel bildet. Am letztern Ort, d. i. an der Schiene liegt dagegen das Organ u. A. bei den Schmetterlingen, wo- bei der vorerwähnte Sporn gegen die Mitte der Schiene hinaufrückt und u. A. von H. Landois ganz unrichtigerweise mit den Trommel- felldeckeln am tibialen Ohr der Heuschrecken verglichen resp. als ein auf ein Gehörorgan deutendes Gebilde erklärt wurde. Aehnlich [ob aber homolog oder konvergent steht in Frage] verhält sich das Organ bei gewissen Käfern z. B. den Carabiden, wo es bereits von Latreille entdeckt worden, nur wandelt sich hier der Schienenausschnitt zu einem förmlichen Spalt um. Eine dritte, den Kurzflüglern z. B. La- throbium zukommende und recht hübsche einschlägige Einrichtung be- steht darin, dass das Bein ober und unter der Kniebeuge, durch wel- che der Fühler gezogen wird, mit Ausschnitten und Borstenbeinen versehen ist; hier indess sowie bei den früher genannten Bildungen kommen mancherlei und z. T. zu interessanten Vergleichungen Anlass gebenden Abweichungen und Uebergänge vor. Ref. kommt nun zur Besprechung jener eigentümlichen ausschließ- lich auf die Tarsen beschränkten Haftvorrichtungen der Beine der Insekten, womit diesen Tieren teils das Klettern an vertikalen oder überhängenden glatten Flächen teils — was aber nur die Männchen derselben betrifft, — das feste und ohne Intervention von Klammer- werkzeugen wie Krallen etc. erfolgende Anhaften am Weibchen er- möglicht wird. Bedenkt man, dass es, und zwar selbst bei Anwen- dung des Mikroskopes kaum möglieh ist, eigentlich zu sehen und zu beurteilen, worin denn das Haften eines Fliegen- oder eines Dytieus- fußes seinen Grund habe, so wird man es ganz hegreiflich finden, 566 Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. dass es die Entomologen schon von alters her an Versuchen zur Er- klärung dieser Erscheinung nicht fehlen ließen. Sehen wir von eini- gen ganz mystischen Deutungen wie z. B. von der smoky substance Hockes (Micrografia, 1667) ab, so waren es von jeher im Grunde genommen nur zwei Anschauungen, die man kurz als Kleb- und Saugtheorie bezeichnen kann. Erstere findet sich bereits in Henry Power's Experimental Philosophy London 1664 ausgesprochen, er- hielt aber erst viel später (1844) durch Blakwall’s Beobachtungen, dass gewisse Insekten beim Laufen über Glas Spuren einer Flüssig- keit hinterlassen, eine thatsächliche Grundlage. Einer Erwähnung der Saugtheorie hingegen begegnen wir zuerst (1788) bei Gilbert White!), der aber zur Unterstützung des durch Luftdruck bewirkten Haftens der Fußlappen zugleich auch die Absonderung einer klebri- gen Flüssigkeit annimmt. Nachdem die Untersuchung der betreffen- den Einrichtungen lange Zeit fast völlig vernachlässigt worden war, sind nun in neuester Zeit hierüber mehrere Arbeiten erschienen, un- ter denen die eingangs zitierten von Tuffen West (2), H. Dewitz (4 u. 5 vergl. Nr. 14 dieses Blattes), Simmermacher (6) und Dahl (1) die namhaftesten sind. Leider weichen die Angaben und Anschauungen dieser Forscher und zwar, wie sich zeigen wird, z. T. infolge allzu flüchtiger Analyse der betreffenden Gebilde, so weit von einander ab, dass es äußerst schwer hällt, den der Sache ferner stehenden Leser in Kurzem entsprechend zu orientieren, zumal sich Ref. nicht auf das Detail sondern nur auf die allerwesent- lichsten von den betreffenden Autoren im Allgemeinen nicht präzis genug hervorgehobenen Fragepunkte einlassen kann. Indem Ref. kurz vor- ausschickt, dass Tuffen West und Simmermacher der Luftdruck- und Dewitz der Klebtheorie huldigen, während Dahl in gewissem Sinn eine später näher zu bezeichnende Mittelstellung einnimmt, wol- len wir uns zunächst über die für die erstgenannte Theorie vorge- brachten Thatsachen orientieren, wobei wir uns füglich, da Tuffen West vorwiegend nur eine Beschreibung der äußern Verhältnisse der tarsalen Haftanhänge gibt, auf Simmermacher’s Arbeit allein be- schränken können. — Die meiste Berechtigung hat die Luftdruck- theorie offenbar für gewisse sexuelle Haftorgane nämlich für die mehr oder weniger verbreiterten Tarsen der Männchen der Dyticiden, über welche S., soweit es die äußern Verhältnisse anlangt, eine auch in phylogenetischer Beziehung wichtige sehr ausführliche vergleichende Darstellung gibt. Die Vordertarsen der genannten Schwimmkäfer z. B. von Dytieus, Aeilius u. 8. w. tragen auf beweglichen Stielen ein- gelenkte z. T. fast stecknadelkopfgroße, schüsselartige, sehr elasti- 1) Geschichte der gemeinen Stubenfliege von dem Herausgeber des Neue- sten aus dem Reich der Pflanzen, herausgegeben von J. Ch. Keller, Maler in Nürnberg. Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. 567 sche Chitingebilde, die dem äußern Habitus nach ganz gewiss an un- zweifelhaft als Saugnäpfe wirksame Gebilden der Kopffüßler und gewisser Würmer erinnern und die auch von allen oben genannten Autoren, wie es scheint nur mit Ausnahme von Dewitz, als solche angesehen werden. Der exakte Beweis, dass hier der einseitige Luft- druck das wesentliche Agens ist, wurde indess noch nicht geliefert. Der ausgezeichnete Experimentator Plateau!) hat uns u. A. wohl gezeigt, dass die in Rede stehenden Organe das 12—15fache des Körpergewichts der betreffenden Käfer zu tragen vermögen, wir wis- sen aber nicht, was die tragende Kraft ist. Das entscheidende Ex- periment dürfte bei der Größe gewisser Dyticidensaugnäpfe wohl aus- zuführen sein. Man müsste nur nach Entfernung aller kleinen Saug- näpfe die großen (resp. nur eine) an der Seitenwand durchbohren, und dann (natürlich am lebenden Tier!) ihre Haftkraft prüfen. Aber auch auf die zweite Fundamentalfrage, wie nämlich der einseitige Luftdruck, der höchst wahrscheinlich die Hauptursache des Haftens der Dyticidenfüße ist, erzeugt wird, ist noch keine allseitig befriedi- gende Antwort gegeben. Bei den oben erwähnten echten Saugnäpfen der Weichtiere, der Würmer, der Stachelhäuter u. s. f. ist die Sache sehr leicht erklärt. Der Saugnapf oder die als solche funktionieren- den Körperstelle wird, aber auch hier meist unterstützt von einer schleimigen Absonderung, luft- resp. wasserdicht an die Haftfläche angedrückt, worauf durch Kontraktion der in den Wänden des Saug- napfes selbst oder wenigstens an dessen Grund (Stachelhäutersaug- füße) angreifenden Muskeln der Binnenraum desselben erweitert und so der äußere Ueberdruck erzeugt wird. Nach der Darstellung Sim- macher’s gewinnt es nun den Anschein, als ob der Mechanismus der Dytieidensaugnäpfe insofern ein analoger wäre, als er von Muskeln spricht, die sich an die Stiele der Saugnäpfe ansetzen und eine will- kürliche Bewegung derselben (in welchem Sinne und zu welchem Zweck ist allerdings nicht gesagt) ermöglichen sollen. Es heißt näm- lich S. 487: „Die Bewegung der Tarsen wird vermittelt durch einen kräftigen Muskel, weleher den ganzen Fuß parallel seiner Längsachse durchzieht, am Chitinpanzer eines jeden Tarsalgliedes festsitzt und aus einzelnen Muskelfibrillen besteht .... Diese Muskeln setzen sich sowohl an dem (innern) Ende der einzelnen Stielchen, wie an der allgemeinen Wand des Chitinpanzers an und können erstere regieren.“ Ref. könnte hier auf die überaus unklare Fassung bezüglich des Ur- sprungs und der Insertion der fraglichen Muskeln hinweisen, hält dies aber insofern für überflüssig, als nach seiner eigenen Untersuchung, jene Gebilde, die S. als Muskel erklärt und in ganz unkenntlicher Weise abbildet, gar keine Muskeln sondern Drüsenzellen mit einem 4) Un mot sur le mode d’adherence des mäles de Dyticides aux femelles etc. Ann. de la Soc. entom. de Belgique XV. 1871—1872 p. 105. 568 Graber, Ueber die Mechanik des Insektenkörpers. chitinisierten und auf das Allerdeutlichste als hohl zu erkennenden schmalen Ausführungsgänge sind). Wenn aber eine Nachinnenbe- wegung des Saugnapfbodens durch besondere Muskeln ganz auszu- schließen und wohl auch nicht anderweitige evacuirende Gewebe oder Einrichtungen im Weichkörper des Tarsus anzunehmen sind, so müs- sen zur Herstellung eines Saugnapfleerraums offenbar andere Kräfte wirksam sein. Als solche können angenommen werden einerseits die Elastizität des früher plattgedrückten Saugnapfs und anderseits ein von der Haftfläche weg, also ein nach außen gerichtetor Zug des gan- zen Haftbeins. Abgesehen davon aber, dass die Vorstellung, nach welcher das Sichfesthalten an einen Gegenstand gewissermaßen aut einer Entfernung von demselben beruhe, für uns etwas ganz Eigen- tümliches hat, ist diese Erklärung noch mit einer andern Schwierig- keit verbunden. Um nämlich einen äußern Ueberdruck zu erhalten ist es in diesen Fällen notwendig, dass während des Andrückens der Saugnäpfe an die Haftgäche der Inhalt derselben, sei er nun wie hier Wasser oder aber Luft, wenigstens teilweise beseitigt werde. Letz- teres scheint nun allerdings an den Dyticussaugnäpfen durch die ra- diären von den elastischen Stützleisten gebildeten Rinnen und bei ge- wissen andern Formen durch die schief abgestützte Mündung der Saugbecher geschehen zu können; dem Ref. sind aber doch noch nicht alle Verhältnisse wie u. A. auch die der plattenförmigen Anhänge genügend klargestellt und er glaubt ferner, dass jedenfalls, ehe eine definitive Entscheidung möglich ist, Experimente mit künstlichen den natürlichen Saugbechern möglichst genau nachgeahmten Vorrichtungen angestellt werden müssen. Außer bei den Dytieiden hat Simmacher mehr oder weniger saugbecherartige Haare u. A. an den Vordertarsen der Männchen bei mehreren Carabiden, Cieindeliden ferner bei Necro- phoras und Silpha nachgewiesen; Ref. muss aber gestehen, dass bei einigen dieser Anhänge der Nachweis, dass sie am Ende wirklich eine erweiterte Mündung haben, ganz außerordentliche Schwierigkeiten bietet. Besonders interessant sind die unzweifelhaft offenen Haar- becher gewisser Laufkäfer, insoferne das erweiterte dünnhäutige End- stück derselben wie ein Luftrohr mit einer spiralförmigen Verdickung versehen ist, die ganz dazu angethan erscheint, den zusammenge- drückten Becher wieder aufzurichten. Becherartig erweiterte und offene Hafthaare kommen aber nach S. nicht nur zum sexuellen Ge- brauche bei den Männchen gewisser Käfer sondern auch als Kletter- organe so z. B. bei Hylobius, Timarchia, Lina, Cassida u. 8. w. vor. 1) Ref. möchte bei dieser Gelegenheit die Bemerkung einschalten, dass es einem angehenden Forscher wie Simmermacher, der in der feinern In- sektenanatomie noch so wenig Erfahrung zeigt, nicht wohl ansteht, gegen an- dere verdiente Entomologen wie Dewitz, so schwere Verdächtigungen zu äußern, wie solche z. B. auf S. 507, 530 und 549 zu lesen sind. Graber, Ueber die Mechanik der Insektenkörper. 569 Auffallenderweise lässt aber S. die letzteren nicht wie Tuffen West durch Luftdruck sondern bloß durch Adhäsion haftend wirken, wo- bei er zugleich und in Uebereinstimmung mit Dahl und Dewitz annimmt, dass diese durch das feste Andrücken der verbreiterten Haarenden an die Unterlage bewirkte Adhäsion noch durch die aus den Röhrchen tretende Flüssigkeit bedeutend verstärkt wird. An die- ser Stelle möchte Ref. einschalten, dass, wie schon die oben erwähnte Anwesenheit zahlreicher Drüsen im männlichen Dytieidenfuß schließen lässt, wohl auch das Haften der betreffenden durch Luftdruck wirk- samen Saugnäpfe durch ein vom Fuß abgesondertes Sekret unterstützt werden dürfte, was Simmermachber ganz positiv in Abrede stellt, indem er S. 529 sagt: „Die Befestigung der Röhrehen (der Bockkäfer) wird bewirkt durch Einlenkung wie bei den Carabiden, Dytieiden und Silphiden, so dass (!) also aus ihnen kein Sekret austritt, sondern sie lediglich als Saugapparate wirken ohne durch Feuchtigkeit unter- stützt zu werden.“ Die Ausmündung der tarsalen Dytieidendrüsen geschieht aber wahrscheinlich nicht durch den Stiel des Saugnapfes, der zwar an der Wurzel keineswegs wie S. behauptet, abgeschlossen ist, sondern durch die Simmermacher entgangenen kleinen runden Poren, wel- che in Form eines zierlichen Kranzes die Basis der chitinösen Stiel- tasche umgeben!). Indem wir nun zum Haftproblem der Kletterfüße zurückkehrend zunächst noch die wichtige Thatsache vorausschicken, dass sämtliche Autoren beobachten konnten, dass beim Klettern eine vom Fuß selbst stammende Flüssigkeit ausgeschieden wird, wollen wir noch in gedrängtester Kürze die Hauptpunkte angeben, in wel- chen dieselben von einander abweichen. Vor allem sei erwähnt, dass S. allerdings in höchst unklarer Weise (S. 543) die Anschauung ausspricht, dass speziell die Fixierung der sogenannten Haftlappen, wie sie sich am ausgeprägtesten bei den Fliegen finden, nicht nur durch die Adhäsion und Befeuchtung, son- dern zugleich auch durch Luftdruck erfolge. Nachdem aber Dahl in Uebereinstimmung mit Dewitz konstatiert hat, dass u. A. bei Vespa erabro und Locusta unter dem kletternden Fuß keine Spur eines ringsum abgeschlossenen Hohlraums zu sehen ist, kann von einer Saugwirkung der Haftlappen wohl kaum mehr die Rede sein. Die zweite Hauptdifferenz speziell zwischen Simmermacher und Dewitz ist dann die, dass Letzterer der beim Klettern ausgeschiedenen Flüs- sigkeit eine klebende Eigenschaft zuschreibt, während ersterer die- selbe entschieden in Abrede stellt. Nach des Ref. Meinung wären zur Schlichtung des Streites zunächst Versuche darüber anzustellen, welches Gewicht die Adhäsionskraft einer nieht klebrigen sondern 1) S. stellt die ganze Tasche des Saugnapfstieles von eckigen Löchern durchbrochen dar. 570 Cohnstein und Zuntz, Blut, Kreislauf und Atmung beim Säugetierfötus. bloß befeuchteten Fläche von der Größe der Summe der Haftflächen eines Insektes zu tragen vermöge. Wenn aber auch ein nichtklebri- ges Adhäsionssekret ausreichte, kann ein durch die Klebrigkeit der Ausscheidung bedingtes Plus an Tragkraft ja doch von Nutzen sein. Wohl mit Fug und Recht weist Dewitz darauf hin, dass die zu ähnlichem Zwecke entleerten Sekrete gewisser Insektenlarven und weichleibiger Wirbellosen wie z. B. der Schnecken, der Hydra u. s. f. entschieden etwas klebrig sind, ohne dass die betreffenden Tiere des- halb Gefahr laufen, wenn sie an einer Stelle länger verweilen, förm- lich festgeleimt zu werden. — Was endlich die Stellung Dahl’s be- trifft, so charakterisiert sich dieselbe einmal dadurch, dass er bei gewissen zumal sexuellen Hafthaaren z.B. auch bei Silpha wirkliche Saugwirkung anzunehmen scheint und dann noch dadurch, dass er die flüssige Ausscheidung des Kletterfußes nicht als ein Drüsensekret sondern als durch die Haut ausgeschwitztes Blut betrachtet. Abgesehen davon aber, dass das Haftsekret nach seiner eigenen Er- fahrung nicht wie Blut mit Wasser, wohl aber mit Oel mischbar ist, muss diese Anschauung auch insofern entschieden zurückgewiesen werden, als an vielen jener Hafthaare, die er für geschlossen ansieht, sowohl von Dewitz als von Simmermacher deutliche zur Entlee- rung des Sekretes hinreichende Oeffnungen nachgewiesen sind. Ins- besondere muss Ref. betonen, dass die Sohle des Locustafußes nicht, wie Dahl behauptet, aus soliden Stäbchen besteht und also wie eine Bürste haftend wirkt, sondern dass die betreffende Chitinhaut von sehr dicht stehenden Kanälen durchsetzt ist, die sich gegen die Ober- fläche hin pinselartig verzweigen und im furchenartig vertieften Um- kreis einer meist 6maligen Oberflächenfacette ausmünden. Ref. schließt mit dem Wunsche, dass die mehrgenannten deutschen Fachgenossen den Gegenstand noch eingehender erforschen und dass sich zumal die gegenwärtig noch herrschenden schroffen Gegensätze zwischen Dewitz und Simmermacher bald ausgleichen mögen. J. Cohnstein und N. Zuntz, Untersuchungen über das Blut, den Kreislauf und die Atmung beim Säugetierfötus. (Aus d. tierphysiol. Laborat. d. landw. Hochschule zu Berlin. Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 34.) Unsere Kenntnis der Ernährung und der physiologischen Lebens- bedingungen des Fötus im Mutterleibe reicht kaum über das Gröbste der qualitativen Vorgänge hinaus. — Was bisher über die quantita- tiven Verhältnisse des fötalen Stoffwechsels, verglichen mit dem des geborenen Tieres ausgesagt wurde, beruht nur auf ziemlich unsicheren Analogieschlüssen, welche zu mehr oder weniger wahrscheinlichen Cohnstein und Zuntz, Blut, Kreislauf und Atmung beim Säugetierfötus. 571 Hypothesen verwertet wurden. — In der oben eitierten Arbeit haben wir uns bemüht, wenigstens für den einen Teil des Stoffwechsels, die Oxydationsprozesse, die Materialien zu einer exakteren Kenntnis zu sammeln. — Es konnte schon längst keinem Zweifel unterliegen, dass durch das fötale Blut allen Organen der Frucht Sauerstoff in Form von Oxyhämoglobin zugeführt wird. Zweifel hatte gezeigt, dass, unter Umständen wenigstens, das Nabelvenenblut mit hell arterieller Farbe aus der Placenta in den Körper des Fötus zurückfließt. Ref. hatte im Anschluss hieran die Leichtigkeit, mit der sich Differenzen der Sauerstoffspannung durch die Scheidewände der Placentargefäße hindurch nach beiden Richtungen hin ausgleichen, demonstrirt, und durch Bestimmung der Zeit, innerhalb welcher der Fötus seinen annähernd der Größe nach bekannten Sauerstoffvorrath nach Ab- sperrung neuer Zufuhr aufbraucht, konstatiert, dass der Oxydations- prozess im Fötus sehr viel träger ist als am geborenen Tiere (im Anschluss an Pflüger’s Deduktionen). — Die vorliegende Arbeit bestätigte jenen Schluss und gestattet die Intensität der Oxydationsprozesse in den verschiedenen Stadien des fötalen Lebens schärfer abzumessen. — Die Größe der Sauerstoff- zufuhr zu den Organen hängt ab vom Hämoglobingehalt und der Menge des sie durchströmenden Blutes. Der erstere wurde auf dop- pelte Weise, durch Zählung der Blutkörperchen und durch direkte co- lorimetrische Hämoglobinbestimmung (nur bei Föten von über 6 g Gewicht ausführbar) festgestellt. — Es ergab sich, dass die so bestimmte respiratorische Kapazität des Blutes im Laufe der Ent- wicklung stetig zunahm, dass sie aber selbst beim reifen Fötus noch etwas hinter den entsprechenden Werten im Blute der Mutter zurück- blieb. In den frühesten zur Beobachtung herangezogenen Stadien der fötalen Entwicklung, bei Kaninchen von unter 1 g Gewicht fand sich im Cubmm. nicht !/,, der beim Muttertier vorhandenen Blutkörperchen und von diesen niedrigsten Werten an ließ sich ein allmähliches stetiges Wachsen der relativen Blutkörperzahl mit fortschreitender Entwicklung konstatieren. Die sehr geringe Zahl der Blutkörperchen bei den ganz jungen Föten wurde, jedoch nur zum kleinsten Teil, durch erheblichere Größe des einzelnen ausgeglichen und dem ent- sprechend ergaben die Hämoglobinbestimmungen zwar auch ein er- hebliches Minus beim Fötus, doch war dasselbe nicht ganz so groß, als man es nach den Zählungsresultaten erwartet hatte. Nachdem die geringe respiratorische Kapazität des Fötalblutes sicher gestellt war, erschien ein lebhafter Stoffwechsel nur möglich, wenn die eireulierende Blutmenge eine besonders große, oder ihr Um- lauf ein sehr beschleunigter wäre. — Die Menge des Blutes schien in der That einigermaßen kompensierend für die geringe Konzentra- tion desselben einzutreten. Erwachsene Tiere enthalten bekanntlich 572 Cohnstein und Zuntz, Blut, Kreislauf und Atmung beim Säugetierfötus. etwa 7°, ihres Körpergewichts an Blut. Bei reifen Föten fanden wir ähnliche Zahlen, bei sehr jugendlichen aber war die Blutmenge viel größer, sie betrug bei Kaninchen von 0,6 bis 1,4 g Gewicht 22,2°/, bis 19,1°/,. Diese große Blutmenge hat aber bekanntlich außer dem Fötalkörper noch die Placenta zu durehströmen, welche relativ um so größer ist, je kleiner der Fötus. Wollte man die Blut- menge kennen, welche den Geweben des Fötus Sauerstoff zuführt, so musste man die Verteilung der gesamten Blutmenge zwischen diesen und der Placenta untersuchen. Hierbei ergab sich, dass in den frühen Stadien die Hauptmasse des Blutes sich in der Placenta be- findet. Der Fötuskörper enthält nur 3,5 bis 5°/, seines Gewichtes. — Unter diesen Umständen (dünneres und zugleich weniger Blut) wäre ein Ähnlich lebhafter Sauerstoffverbrauch wie beim geborenen Tiere nur denkbar, wenn die Stromgeschwindigkeit im Fötus die beim Er- wachsenen erheblich überträfe. Erschien auch diese Annahme von vorne herein unwahrscheinlich, so war es doch erwünscht, sie direkt zu prüfen und dies gesehah durch Messung von Blutdruck und Strom- geschwindigkeit in den Nabelgefäßen größerer Säugetiere (Schafe). Es erwies sich als thunlich, bei hochträchtigen Schafen nach Eröffnung der Uterushöhle dureh einen möglichst kleinen Schnitt Kanülen in je eine Nabelarterie und Vene zu bringen und so nach bekannten Methoden Blutdruck und Stromgeschwindigkeit in den Na- belgefäßen zu messen. Die wichtigsten Resultate stelle ich in der folgenden Tabelle zusammen. Gewicht Blutdruck Stromgeschwindig- des Fötus. mittlerer in mm. keit in cem. pr. Sek. g. Arterie. Vene. Differenz. Arterie. Vene. 1290 43,2 29,0 14,2 0,319 | 11564 51,1 21,0 30,1 , Zwillinge 1320 50,5 34,0 16,5 0,079 0,078 1536 33,3 16,4 22,9 3600 83,7 32,6 al 0,364 Die gefundene Stromgeschwindigkeit ist sehr viel kleiner, als sie von Dogiel für analoge Gefäße des erwachsenen Tieres bestimmt wurde. Der Blutdruck ist in der Arterie niedriger, in der Vene we- sentlich höher, die den Strom des Blutes bedingende Druckdifferenz also sehr viel kleiner als im extrauterinen Leben. Genügten schon die mitgeteilten Daten zum sicheren Beweise, dass die Gewebe des Fötus sehr viel weniger Sauerstoff in der Zeiteinheit empfangen, also auch weniger gebrauchen, als die des erwachsenen Tieres, so war doch der direkte Beweis durch quantitative Bestimmungen der Blut- gase erwünscht. Diese ergaben, dass das in der Nabelarterie fließende venöse Blut des Fötus noch relativ sauerstoffreich ist, und dass dem entsprechend bei der Arterialisierung in der Placenta nur etwa die Hälfte der prozentischen Sauerstoffmenge aufgenommen wird, welche Cohnstein und Zuntz, Blut, Kreislauf und Atmung beim Säugetierfötus. 575 erwachsene Tiere im der Lunge ihrem Blute zuführen. — Aus der Gesamtheit der angedeuteten Erhebungen wird gefolgert, dass der Reife nahe Schafföten pro Kilo Körpergewicht in maximo !/, der von erwachsenen Tieren aufgenommenen Sauerstoffmenge consumieren, bei vollkommner Muskelruhe aber wahrschemlich nur !/,, bis Y,g. — In den früheren Stadien des Fötallebens muss der Oxydationsprozess nach dem oben Gesagten noch sehr viel geringer sein. — Zur Aufklärung der viel besprochenen Frage, ob der Fötus er- hebliche Mengen Harn absondere, liefern die besprochenen Blutdruck- verhältnisse einen guten Anhalt: Bei so geringen Druckdifferenzen zwischen Arterie und Vene würde beim geborenen Tiere die Harn- sekretion stille stehen. — Ueber die Veränderungen im Kreislauf und der Zusammensetzung des Blutes, welche der Geburtsakt nach sich zieht, wurde Folgendes ermittelt. Die bisher in den Fruchtanhängen eireulierende Blutmasse tritt zum größten Teil in den Körper des Neugebornen über. Die so gegebene Vermehrung der Blutmasse hält aber nur sehr kurze Zeit an; es beginnt alsbald eine Eindickung des Blutes durch Wasserver- lust, welehe das normale Volum wieder herstellt und natürlich eine entsprechende Zunahme des prozentischen Gehalts an festen Bestand- teilen, speziell an Blutkörperehen und Hämoglobin zur Folge hat. — So erklärt sich die seit lange bekannte hohe Konzentration des Blutes Neugeborener, welches bei vielen Tierarten konstant hämoglobin- reicher als das der Mutter ist, eine Thatsache, die man bisher irr- tümlich auch auf den Fötus bezogen hat, ohne der großen Revolu- tion, welche der Geburtsakt im Gefolge hat, Rechnung zu tragen. Die durch den Geburtsakt herbeigeführten Aenderungen im Blutdruck beim Neugebornen sind auch bisher vielfach falsch aufgefasst wor- den, mdem man eine Abnahme des Aortendrucks nach der Geburt statuierte. — Wir können jetzt nicht mehr zweifeln, dass er im Ge- genteil steigen wird und zwar aus zwei Gründen: 1) Die aus den Adnexen in den Fötuskörper übertretende Blutmenge ist viel größer als die, welche in den sich entfaltenden Lungen Platz findet. 2) Die Inspirationsbewegungen saugen Blut aus den Venen an, vermindern dadurch die von uns beim Fötus nachgewiesene hohe Spannung, welche die Venen ausdehnt. Die Verkleinerung der Venen muss aber einer stärkeren Füllung der Arterien zu gute kommen und also auch deren Spannung erhöhen. N. Zuntz (Berlin). 574 De Vries, Ueber die periodische Säurebildung der Fettpflanzen. E. Zacharias, Ueber den Inhalt der Siebröhren von Cucur- bita Pepo. Botanische Zeitung 1884. Nr. 5. S. 66—73. Der Verfasser untersuchte makrochemisch die an Stammquerschnitten von Oueurbita Pepo im Monate August und September aus den Siebröhren hervor- quellende Substanz. Dieselbe enthält Eiweißstoffe aus der Gruppe der Fibrine wie aus dem gesamten Verhalten des beim Stehen an der Luft sich ausschei- denden Körpers hervorgeht. Diesem Fibrin ist eine kleine Menge eines in künstlichem Magensaft und in Kalilauge unlöslichen Eiweißstoffes beigemengt. Fällt man die Eiweißstoffe durch starken Alkohol, so erhält man ein Filtrat, welches die Polarisationsebene nach rechts dreht; die damit angestellten Re- aktionen ergaben die Anwesenheit eines dextrinartigen Körpers, welcher von verdünnter Schwefelsäure in Glykose verwandelt wurde. Amylum war nicht vorhanden. Neben dem dextrinartigen Körper finden sich Stickstoffverbindun- gen und zwar außer Nitraten und Nitriten wahrscheinlich auch organische Stickstoffverbindungen; Säureamide fehlen. Der frische Saft zeigt alkalische Reaktion; die in Wasser leicht lösliche Asche desselben reagiert sehr stark alkalisch; sie enthält Kali, Phosphorsäure und etwas Magnesia. Auf Kalk wurde nicht geprüft Die mikrochemische Untersuchung ergab, dass der hauptsächlich an den Siebplatten angesammelte Schleim, sowie die Tropfenbildungen in denjenigen Zellen des Bastes, welche zu Siebröhrengliedern werden, Eiweißmassen sind, welche sich auf Zusatz von Blutlaugensalz-Alkohol-Eisenchlorid blaufärben und durch künstlichen Magensaft aus den sie umhüllenden „Plastingebilden“ her- ausgelöst werden. Von den Schleimansammlungen aus gehen durch die Sieb- poren Stränge, welche sich in dem angrenzenden Siebrohrglied zu Knöpfchen erweitern. Anscheinend sind auch diese Knöpfchen von dünnen „Plastinhäut- chen“ umgeben. Ueber die von Reinke eingeführte Bezeichnung Plastin entspinnt sich zwischen O. Löw und E. Zacharias eine Kontroverse, als deren thatsäch- liches Ergebnis hervorzuheben sein dürfte, dass Reinke’s Plastin nichts wei- ter ist, als ein stark verunreinigter, schwer löslicher Eiweißkörper, der sich erst nach Behandlung mit Kalilauge durch Blutlaugensalz-Alkohol-Eisenchlorid blau färbt. (Bot. Zeitung 1884. Nr. 8, 18 und 25.) Kellermann (Wunsiedel). Hugo de Vries, Ueber die periodische Säurebildung der Fettpflanzen. Vorläufige Mitteilung. Botanische Zeitung. 1884. Nr. 22 und 23. 8. 337—334 und 353— 358. Der periodische Wechsel im Säuregehalt der Crassulaceenblätter wird, wie der Verfasser experimentell nachweist, durch das Zusammenwirken dreier einzelner Erscheinungen zu stande gebracht. Erstlich findet eine stetige, von äußeren Einflüssen unabhängige Zersetzung der Säuren in den Pflanzen statt, zweitens wird die Zersetzung durch das Licht beschleunigt, endlich wird nachts eine erhebliche Säuremenge produziert, merkwürdiger Weise aber nur nach vorausgegangener Belichtung, so dass bei fortdauernder Verdunkelung die Säureproduktion sich auf die erste Nacht beschränkt; von da ab zeigt sich ein fortwährender Verlust von Säure mit abnehmender Intensität. Rattke, Die Verbreitung der Pflanzen. 575 Durch Erhöhung der Temperatur wird der Säureverlust beschleunigt; im direkten Licht ist die Zersetzung eine raschere, als im diffusen, aber auch sehr schwaches diffuses Licht ruft eine erhebliche Zersetzung der Säure her- vor. Verschiedenfarbiges Licht scheint auf die Schnelligkeit der Zersetzung keinen wesentlichen Einfluss zu haben. Die nächtliche Säureproduktion findet sich nur bei den Fettpflanzen, wäh- rend die meisten anderen Pflanzen entweder überhaupt nur einen geringen Säuregehalt besitzen oder bei hohem Säuregehalt keine nachweisbare Verän- derung oder eine geringfügige Abnahme erkennen lassen. Die Säurebildung bei den Fettpflanzen dauert grade eine Nacht und verteilt sich ziemlich gleich- mäßig über dieselbe; sie tritt auch dann ein, wenn die Beleuchtung im Kohlen- säure freien Raum oder hinter Kobaltglas stattfand. Die Menge der gebilde- ten Säure nimmt mit der Dauer der Beleuchtung zu. Dass auch schon in der ersten Nacht Säure verschwindet, ergibt sich daraus, dass bei Steigerung der Temperatur ein Säurezuwachs entweder unterbleibt oder sogar eine Vermin- derung des Säuregehaltes eintritt. Die Zersetzung der Säuren ist höchst wahrscheinlich ein Oxydationsvor- gang, bei welchem Kohlendioxyd gebildet wird. Findet diese Zersetzung im Lichte statt, so kann das Kohlendioxyd zur Bildung von Kohlehydraten ver- wendet und Sauerstoff ausgeschieden werden. Kellermann (Wunsiedel). W. Rattke, Die Verbreitung der Pflanzen im Allgemeinen und besonders in bezug auf Deutschland. Hannover. Helwing. 1884. In großen Zügen gibt die vorliegende Schrift eine kurze Uebersicht über die der Anordnung des Pflanzen auf der Erde zu grunde liegenden Thatsachen wobei hauptsächlich die Vermehrungs- und Migrationsfähigkeit, die Bedingun- gen der Pflanzenwanderung, die Verbreitungsmittel ete. besprochen werden und auch die Begriffe: Vegetationszentrum, Natürliche Floren u. s. w. ihre Er- klärung in allgemein verständlicher und richtiger, nicht einseitiger Weise fin- den. Auch der zweite Abschnitt, der die allgemeinen Bedingungen der An- ordnung der Pflanzen in Deutschland behandelt, ist in seiner klaren und nüch- ternen Ausdrucksweise als Uebersichtsskizze nur anzuerkennen. Im dritten, der nach Erdteilen gesondert die in Deutschland eingedrungenen oder einge- führten Arten aufführt, ist eine ziemliche Menge von Material aufgehäuft, so dass er bei Mangel anderweitiger Literatur recht wohl zum schnellen Nach- schlagen dienen kann. Die ganze Schrift, die natürlich nichts neues bietet und auch nicht bieten will, ist als allgemein verständliches Orientierungsmittel nur zu empfehlen. a C. Fisch (Erlangen). E. Wollny, Untersuchungen über den Einfluss der Pflanzen- decke und der Beschattung auf die physikalischen Eigen- schaften des Bodens. Forschungen a. d. Geb. d. Agrikulturphysik, herausg. von Wollny. VI. 197—256. Unter obigem Titel beginnt Verf. Bericht zu erstatten über eine Reihe von Versuchen, die von demselben unternommen wurden zur Vervollständigung 576 Wollny, Einfluss der Pflanzendecke auf die Eigenschaften des Bodens. früherer Versuche, deren Resultate Verf. schon früher (Berlin 1877) in einem besondern Werke unter demselben Titel publiziert hatte. Hatte Verf. bei seinen früheren Versuchen nur eine Erdart (humosen Kalksand) zur Anwen- dung gebracht, so wendet er jetzt 4 verschiedene Bodenarten an, Lehm, Kalk- sand, Quarzsand, Torf. Mit diesen Bodenarten wurden vier direkt auf dem durchlässigen Kalksteingeröll des Untergrundes ruhende Holzrahmen möglichst gleichmäßig gefüllt, deren jeder in 3 je 1 qm große Felder geteilt war. Von diesen 3 Parzellen wurde immer je eine mit Rasenstücken dicht belegt, eine andere blieb nackt, während die dritte mit einer !/, em starken Schicht aus kleingeschnittenem Stroh bedeckt wurde. In der vorliegenden Arbeit gibt Verf. zunächst Bericht über die unter diesen Umständen beobachtete Boden- temperatur. Es zeigt sich, dass die beschattete Pflanzendecke, sowie jede irgendwie geartete Bedeckung mit abgestorbenen Pflanzenteilen genau in der Weise wirkt wie ein schlechter Wärmeleiter, dass unter ihr der Boden im Sommer kühler, im Winter wärmer ist als der nackte Boden, dass sowohl die täglichen wie die jährlichen Temperaturschwankungen viel geringere sind, das Einsetzen der Temperaturänderungen viel langsamer erfolgt m dem bedeckten Boden, als in dem nackten. Der Grund dieser Erscheinung liegt auf der Hand. Der bedeckte Boden wird nicht unmittelbar von den Sonnenstrahlen erwärmt, sondern mittelbar durch die Luftschicht, die zwischen ihm und der Deckschicht von lebenden oder abgestorbenen Pflanzenteilen sich befindet. Und wenn die charakteristischen Wirkungen der Bodenbedeckung um so stär- ker hervortreten, nicht nur je mächtiger die Deckschicht ist, je dichter die Pflanzen stehen, je kräftiger sie sich entwickelt haben, sondern auch je stär- ker die Insolation ist, so dass also die betreffenden Temperaturunterschiede am größten im Sommer sind, so dürfte der Grund hiefür wohl darin zu suchen sein, dass durch die Pflanzenbedeckung die verdunstende Oberfläche vermehrt, also grade im Sommer und bei stärkerer insolation stärkere Abkühlung her- vorgebracht wird. Und vielleicht darf man auch noch in Anrechnung bringen, dass die unter Einfluss des Sonnenlichts vor sich gehende Assimilationsthätig- keit der Pflanze ohne Zweifel einen Teil der Sonnenwärme bindet. Ed. Seler (Berlin). Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben ist erschienen: Wie soll man Anatomie lehren und iernen. Rede von Prof. Dr. Waldeyer. gr. 8. 1884. Preis 80 Pf. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- zugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. Verlag. von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 1. December 1884. Nr 19. Inhalt: Marshall Ward, Bau, Entwicklung und Lebensweise einer blattbewohnenden Flechte.e — De Bary, Vergleichende Morphologie und Biologie der Pilze, Mycetozoen und Bakterien. — Frank, Ueber die Gummibildung im Holze nnd deren physiologische Bedeutung. — Eimer, Neue und alte Mitteilungen über Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. — Pouchet, Die Un- schädlichkeit des trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches.. — Seler, Notiz über Regenwürmer. H. Marshall Ward, On the Structure, Development and Life-history of a Tropical Epiphyllous Lichen (Strigula com- planata F &e). Transact. of the Linnean Society. Botany. Vol. II. Part. 6. 1884. Es erregte großes Aufsehen, als vor einigen Jahren D. Cunning- ham in Kalkutta eine parasitische, der Gattung Coleochaete nahe stehende Alge beschrieb, die auf den lederartigen Blättern verschie- dener baumartiger Gewächse, vorzüglich auf Ternströmiaceen lebte und die er Mycoidea nannte. Sie war vor allen anderen Algen aus- gezeichnet durch die Art und Weise der Bildung und Auskeimung von Zoosporangien, die völlig einer Peronospora glichen, und ebenso in der Ausgestaltung von Geschlechtsorganen, die mit denen der gleichen Pilze vollständige Homologie zeigten, also aus einem Oogo- nium- und sich anlegendem Antheridium-Zweig bestanden. Die Kei- mung der durch den nicht direkt verfolgten Sexualakt gebildeten Oosporen wurde von Cunningham gleichfalls beschrieben. — Auch beobachtete er schon das eigentümliche Schicksal vieler dieser Algen- thallusscheiben, die von Pilzuyphen umsponnen wurden und unter Lostrennung der einzelnen Zellen von einander einen vollständig aus- gebildeten Flechtenthallus bilden halfen, auf dem Pyceniden und Apo- theeien zur Entwicklung kamen. Ward beschreibt nun einen chloro- phylihaltigen Organismus, eine Alge, die er auf Zeylon aufgefunden und die namentlich häufig auf Citrus-Blättern vorkommt, mit der My- 37 578 De Bary, Morphologie und Biologie der Pilze, Mycetozoen und Bakterien. coidea übrigens viel Aehnlichkeit zu besitzen scheint. Auch sie breitet sich zwischen Cuticula und Epidermiszellen auf der Oberseite der Blätter in Gestalt flacher Scheiben aus, die, wie es scheint den Assi- milationsperioden entsprechend, bald mit einem roten ölähnlichen Stoff erfüllt sind, bald nur ihren gewöhnlichen grünen Farbstoff zeigen. Zoosporangien werden an ihnen gebildet ganz wie bei Mycoidea. Nur die charakteristische Struktur der Sexualorgane konnte Verf. nicht konstatieren und lässt die Möglichkeit durchschimmern, dass bei den Cunningham’schen Untersuchungen ein Irrtum untergelaufen sei. Indess interessieren uns hier diese Verhältnisse weniger. Wichtiger ist das Verhalten dieser Alge zu einem Pilzmycelium, das sich ihr häufig beigesellt und stets an den eigentümlichen Conglutinationen, die aus ihm und Algenzellen sich bilden, zu erkennen ist. Verf. konnte konstatieren, dass, wenn ein junger Algenthallus von dem Pilz be- fallen wird, meistens dies gleichbedeutend mit dem Untergang des erstern sei, dass aber gleichzeitig der Pilz selbst auch zu keiner weitern Entwicklung gelange, höchstens zur Bildung sogenannter kleiner Pyeniden. In vorgerückteren Stadien zeigt sich die Alge wi- derstandsfähiger und es kommt ein normaler, heteromerer Flechten- thallus zur Ausbildung, der auch charakteristische, gymnokarpe Apo- theeien entwickelt und systematisch als Strigula complanata bezeichnet ist. Es liegt also nicht eine der gewöhnlichen und normalen Pilz- Algen-Symbiosen vor, sondern eine Art Parasitismus, bei dem der nachteilige Einfluss auf den Wirt (die Alge) von dessen Alter ab- hängt, im günstigsten Falle also das Zustandekommen eines Flech- tenbions ermöglicht. C. Fisch (Erlangen). De Bary, Vergleichende Morphologie und Biologie der Pilze, Mycetozoen und Bakterien. Mit 198 Holzschnitten. Leipzig. Engelmann. 1884. 558 8. Seit mehreren Jahren wurde das Erscheinen des vorliegenden Buches sehnliehst erwartet, das schon in seiner ersten Auflage im Jahre 1866 als zweiter Band des von Hofmeister herausgegebenen Handbuches der physiologischen Botanik das allseitigste Interesse und die bewunderndste Anerkennung fand. Es sollte damals eine „ge- ordnete kritische Darstellung unserer Kenntnisse auf dem Gebiete der Morphologie und Physiologie der Pilze, Flechten und Myxomy- ceten“ geben, eine Aufgabe, die sich natürlich für die vorliegende Auflage durch die riesigen seitherigen Fortschritte der Botanik im allgemeinen und der Kryptogamen, spezieller Pilzkunde im beson- deren ungemein erweitern musste. Es stellte sich für den Verfasser heraus, „dass eine neue Auflage im strengen Sinne des Wortes schwer- De Bary, Morphologie und Biologie der Pilze, Mycetozoen und Bakterien. 579 lich das sein werde, was zeitgemäßen Wünschen entsprieht; und hier- nach entstand in dem Maße, als die Arbeit fortging, ein neues Buch, welches nur teilweise als neue Auflage des frühern gelten kann. Gegenüber den vielfachen Zusammenstellungen der Pilzphysiologie, wie sie von Sachs, Pfeffer und anderen geliefert sind, beschränkt sich Verf. in seinem Werke auf die Behandlung der morphologischen Verhältnisse der bezeichneten Pflanzenklassen, die selbstverständlich „ohne stete Beziehung auf die Erscheinungen, welche man die bio- logischen zu nennen pflegt, Lebensgewöhnungen, Lebensanpassungen“ nicht durchzuführen ist. Auf den Inhalt auch nur irgendwie einzugehen dürfte ohne Weit- läufigkeiten nicht möglich sein. Es sei hier deshalb nur kurz die Einteilung des Buches skizziert. Der erste Teil behandelt die Pilze, deren allgemeine Morphologie (histologische Eigentümlichkeiten, Thallusgliederung, Sporenbau etc.) zunächst besprochen wird. In dem „der Entwicklungsgang der Pilze“ überschriebenen, umfang- reichsten Abschnitt hat Verf. sodann nicht nur mit unendlichem Fleiß und Ausdauer alles über die einzelnen Gruppen bekannte zusammen- getragen, sondern namentlich die Summe gezogen aus seinen lang- jährigen berühmten mykologischen Untersuchungen. Er krönt damit in der würdigsten Weise das in seinen klassischen Saprolegnia- und Peronospora-Forschungen aufgeführte Gebäude, in ruhiger, objektiver Weise prüfend und abwägend. Die gesamte Fortentwieklung unserer Pilzforschung ist auf die hier gegebenen Direk- tiven und Andeutungen basiert, von hier muss der Aus- gangspunkt aller künftigen morphologischen und ent- wicklungsgeschichtlichen Untersuchungen genommen werden. Einzelnes aus dem unendlich reichen Material hervorzu- heben wäre zwecklos, die wichtigeren Teile werden gelegentlich für sich behandelt werden. — Die „Lebenseinrichtungen der Pilze“ ist der Titel eines fernern großen Kapitels, in dem die Keimungser- scheinungen, Vegetationserscheinungen ete. (Parasitismus, Saprophy- tismus, Flechtensymbiose ete.) ihre ausführliche Besprechung finden. Die Lebensgeschichte der Mycetozoen bildet den zweiten Teil des Werkes, die der Bakterien und Schizomyceten den dritten. Auch hier muss die Nennung dieser Rubriken genügen. Das Buch ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Myko- logie zugleich. Wie es in schöner und edler Weise unsere jetzigen Kenntnisse gewissenhaft zusammenfasst, so weist es scharfsinnig und präzis die Wege zu ihrer Erweiterung und Festigung an. Es ge- hört in jeder Beziehung zu den klassischen Werken der botanischen Literatur. 580 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. B. Frank, Ueber die Gummibildung im Holze und deren physiologische Bedeutung. Ber. d. deutsch. botan. Gesellschaft II. Jahrg. 7. Heft 1884. Die interessante Arbeit beschäftigt sich mit der Frage nach der biologischen Bedeutung der Gummibildung im Holze, die, so weit bis dahin bekannt, in der auffälligen, profusen Weise nur bei wenigen Laubbäumen konstatiert war. Versuche führten den Verf. dahin, „Gummibildung in einer gewissen Form als allgemeine Erscheinung der Laubhölzer aufzudecken, deren Eintritt überall willkürlich her- vorgerufen werden kann.“ Kleine und größere bis ans Holz reichende Flachwunden, die Verf. an verschiedenen Laubhölzern anbrachte, hat- ten im Umkreis der Wunde eine Bräunung des Holzes zufolge, die bisher, namentlich von Hartig, als Anfang der Wundfäule betrach- tet wurde. Mikroskopisch ließ sich aber leicht feststellen, dass die Färbung durch eine Verstopfung der Tracheiden und Gefäße durch Gummi herrühre, das in den Markstrahl- und Holzparenchymzellen entsteht. Ausgedehnte Untersuchungen zeigten dem Verf., dass diese beschränkte Form der Gummibildung an allen Holzwunden eintrete, z.B. auch an den Blattnarben, soweit der Querschnitt der Gefäßbün- del in betracht kommt. Die physiologische Bedeutung ist in dem Abschluss der verwendeten Stelle gegen Luft und Feuchtigkeit zu suchen, wie das Harz diese Funktionen bei den Coniferen übernimmt. Die profuse Gummosis der Amygdalaceen ist auf eine krankhafte Thätigkeit des Cambiums zurückzuführen und hat insofern mit der untersuchten normalen, als Schutzmittel dienenden Gummibildung nichts zu thun. Neue und alte Mitteilungen über Fettresorption im Dünn- darm und im Diekdarm. Von Prof. Dr. G. H. Theodor Eimer, Professor der Zoo- logie in Tübingen. Auf der Naturforscherversammlung zu Freiburg i. B. teilte ich in der Sitzung der Sektion für Anatomie und Physiologie am 20. Sep- tember 1883 folgendes mit!): 1) Schon vor längerer Zeit habe ich beobachtet, dass bei saugen- den Kätzchen, bei welehen das Bindegewebe der Mukosa des Darmes noch aus nicht festverbundenen, spindelförmigen, nach Art von glat- ten Muskelelementen gestalteten Zellen besteht, diese Zellen nach der Nahrungsaufnahme mit Fett vollgefüllt seien, so dass die Annahme sehr nahe liege, es sei dieses Fett durch amöboide Bewegung jener Zellen aufgenommen worden. 4) Vgl. den amtlichen Bericht dieser Versammlung S. 142. Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Diekdarm. 581 2) erinnerte ich daran, dass ich seinerzeit eine Aufnahme von Fett zwischen die Epithelzellen des Darmes hindurch — besonders bei Fledermäusen und bei Ratten — beschrieben habe). 3) Ferner erinnerte ich daran, dass ich nach Injektion von Farb- stoffen in Lymphsäcke und Blutgefäße des Frosches Iymphoide, mit dem Farbstoff erfüllte Zellen im Darmepithel und in der Darmhöhle wiedergefunden habe?). 4) wies ich darauf hin, dass ich seinerzeit zuerst experimentell an Tieren feststellte, dass der Diekdarm ganz normal resorbiert?) und bemerkte weiter, dass auf diesen Untersuchungen die Leube’schen Klystiere beruhen — richtiger sage ich, dass die Ernährung des Men- schen vom Diekdarm aus von neuem durch meine Untersuchungen angeregt worden ist, weil man schon früher Versuche mit Ernährung durch den Diekdarm gemacht hatte). Zu dieser Aeußerung veranlasste mich teils die unter den Fest- schriften der 56. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Freiburg i. B. erschienene Abhandlung Wiedersheim’s über die me- chanische Aufnahme der Nahrungsmittel in der Darmschleimhaut und deren Bezugnahme aufdie Mitteilung Stöhr’süber Durchwandern von lym- phoiden Zellen aus der Mukosa in die Darmhöhle, teils veranlasste mich dazu die Thatsache der Unbekanntschaft späterer Schriftsteller mit jenen meinen Ergebnissen und die andere, dass speziell meine Versuche und Auffassungen über Diekdarmresorption diesem Schick- sal verfallen, ja dass sie sogar in Verbindung mit ihrer schönen praktischen Verwertung niemals auch nur genannt worden sind. End- lich wollte ich in der Nachricht über ‚Fettaufnahme von seiten der Bindegewebszellen während der Resorption hinweisen auf ein sehr günstiges Objekt zur Bestätigung meiner Angaben über die Wege des Fettes in der Darmschleimhaut bei dieser Resorption. Da ins- besondere durch die Arbeiten der Genannten und durch diejenigen von Thanhoffer’s dieFrage von der Fettresorption von neuem in Fluss gekommen ist, so glaube ich im folgenden jene meine Erfahrungen näher hervorheben, bezw. das Neue in denselben genauer begründen 1) Vergl.: „Die Wege des Fettes in der Darmschleimhaut bei seiner Re- sorption“ in Virchow’s Archiv für pathologische Anatomie. 48. Band 1869. 2) Vergl. „Zur Becherfrage.“ Virchow’s Archiv 40. Bd. 1867. 3) Vergl. die Wege des Fettes etc. 1869. 4) Die Arbeit von Leube „Ueber die Ernährung der Kranken vom Mast- darm aus, nach physiologischen Experimenten und klinischen Beobachtungen“ ist erschienen im deutschen Archiv für klinische Medizin 1872. Sie führt an, dass im Anfang dieses Jahrhunderts Hood eine Art Verdauung an einem Stück Hammelbraten, das er in den Mastdarm einbrachte, zu bemerken ge- glaubt habe (Analitye physiology by Sam. Hood 1822) und dass Steinhäuser (Inaug. Diss. Lips. 1841) ebenso zum Ergebnis kam, dass Eiweiß im Dickdarm aufgelöst und resorbiert werde, so gering auch seine Verdauungskraft sei. 582 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. zu sollen. Ich beginne mit dem letzten der in Freiburg von mir be- rührten Punkte, mit der Diekdarmresorption. Dazu schicke ich voraus, dass meinen Versuchen über Fettresorp- tion überhaupt wesentlich die Methode zu grunde lag, den in Thätig- keit begriffenen Darm mit Ueberosmiumsäure zu behandeln, um durch Schwarzfärbung des Fettes die Bahnen, welche dasselbe einschlägt, zu ermitteln. Entweder tötete ich die Tiere nach normaler Nahrungs- aufnahme (z. B. Ratten, Fledermäuse), oder einige Minuten nachdem ich ihnen größere oder geringere Mengen von Oel oder Milch in den Magen, bezw. in den Darm gebracht hatte (Frösche, Fledermäuse). Auf S. 151 meiner Arbeit über die Wege des Fettes!) etc. heißt es: „In der That funktioniert nach meinen Erfahrungen der Dickdarm bei gewissen Tieren regelmäßig bei der Verdauung grade so wie der Dünndarm, oder aber er kann bei einer Reihe anderer ausnahmsweise der Resorp- tion (speziell der Fette) grade wie derDünndarm dienen. Bei Fledermäusen, welche frisch eingefangen und getötet worden waren, habe ich im ganzen Verlauf des Diekdarms durchaus dieselbe Verdauungsthätigkeit unter Beteiligung derselben anatomischen Ele- mente beobachtet wie im Dünndarm. Die Resorptionsthätigkeit des Bindegewebes erstreckte sich über den ganzen Darm, vom Pylorus bis zum After herab. Es handelt sich hier also um einen völlig nor- malen Vorgang, nicht etwa um einen durch „übertriebene Fütterungs- versuche erzwungenen“. — Kölliker (Würzb. Verh. 1856) hatte schon gefunden, dass die Epithelien des Diekdarms saugender Kätz- chen während der Verdauung normal Fett aufnehmen, und hatte die Vermutung ausgesprochen, dass der kurze Darm der Carnivoren wohl in seiner ganzen Länge resorbieren könnte im Gegensatz zu dem der Herbivoren. Allen es gelang Kölliker im Diekdarm nicht, Fett über die Epithelien hinaus, jenseits derselben im Gewebe zu finden. Ich hob hervor, es sei dies erklärlich deshalb, weil im Diekdarm keine größeren Chylusräume wie die zentralen Chylusgefäße des Dünndarms vorhanden sind — im Bindegewebskanalsystem desselben aber sei das Fett aus denselben Gründen bisher nicht gesehen worden, aus welchen man es hier auch im Dünndarm nicht gefunden hat. „Wendet man bei einer in Verdauung begriffenen Fledermaus die Osmiumsäuremethoden auf den Diekdarm an, so findet man die Lymphgefäße des Diekdarms bis zum After hinab mit dem charakteristisch gefärbten Fett erfüllt, und starke Vergrößerung zeigt im Bindegewebe der ganzen Schleim- haut, grade wie im Dünndarm, den feinverteilten Fettinhalt. Bei der Ratte und bei der Maus habe ich eine Verdauungsthätigkeit des Dick- darms im Normalzustande nicht beobachten können, ebensowenig 1) Virchow’s Archiv Bd. 48. Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. 583 gewöhnlich beim Frosch. Brachte ich jedoch einem Frosch größere Mengen Oel in den Magen, so resorbierte bei ihm der Dick- darm — in einzelnen Fällen sogar sehr ergiebig das Rektum bis voll- kommen zur Afteröffnung hinab grade so wie der Dünndarm. In solehen Fällen von Diekdarmverdauung ist besonders hübsch die Be- teiligung der Lieberkühn’schen Drüsen, speziell des zwischen densel- selben gelegenen Bindegewebes zu sehen. Aus den Versuchen mit dem Frosch würde sich somit ergeben, dass der Dickdarm auch da, wo er unter ganz normalen Verhältnissen dem Verdauungsgeschäft nicht obliegt, unter Umständen dasselbe mit übernehmen kann und weiter, dass Bindegewebe und Epithelium in Beziehung auf Befähi- gung zur Resorption dort ganz dieselben anatomischen Einrichtungen zeigen wie im Dickdarm“. Die letztere Folgerung bezieht sich darauf, dass ich schon vorher (S. 142) das Hauptergebnis meiner Untersuchungen in den Sätzen zu- sammengefasst hatte: „DasBindegewebe derganzenDarmschleimhaut, nicht nur dasjenige der Zotten, sondern auch dasjenige der Submukosa und sogar dasjenige, welches die Muskularis intestini durehsetzt,einschließlich allen und jeden Binde- gewebes des Diekdarms, stellt ein in unmittelbarem Zu- sammenhang mit dem Epithelium stehendes Kanalsystem der feinsten Art dar, welches die ausschließlichen Wege der Fettresorption abgibt oder (Diekdarm) abgeben kann.“ Ferner: „Der Uebertritt des Fettes aus diesem Kanal- system findet nicht nur in das sogenannte zentrale Chy- lusgefäß der Zotten, sondern er findet in alle Lymphge- fäße statt, wo solche vorkommen, sei es in der eigent- lichen Mukosa oder in der Submukosa oder in der Mus- kelschicht des Darms (Muscularis intestini) oder jenseits derselben. Dieser Uebertritt wird vermittelt durch die Ausläufer der Binde- gewebskörperchen“. .... Da diese Angaben nicht nur an sich mit meinen Methoden nicht allzuschwer zu bestätigen, sondern auch durch die Leube’schen Kly- stiere auf praktischem Wege thatsächlich bestätigt sind, so darf es wohl auffallen, dass in den Lehrbüchern der Physiologie überhaupt nur von Resorptionsthätigkeit des Dünndarms die Rede ist und in al- ter Weise die ausschließliche Bedeutung der zentralen Chylusgefäße von seiten des Lymphgefäßsystems dafür in Anspruch genommen wird. Dabei brauche ich wohl nicht hervorzuheben, dass man nach heutiger Auffasssung die Bezeichnung „Kanalsystem“ für die in Rede stehenden Bindegewebsstraßen nicht mehr anwenden wird. Doch darauf komme ich noch zu reden. 584 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Diekdarm. Ueber die Wege des Fettes im Bindegewebe der Dünn- darmschleimhaut selbst, worauf sich der erste der in Freiburg von mir berührten Punkte be- zieht, sowie über den dritten derselben betreffend die Aufnahme von Fett zwisehen die Darmepithelien und die Auswan- derung von Lymphzellen durch dieselben, möchte ich, be- vor ich auf die an saugenden Kätzehen gemachten Befunde und dann auf die Thanhofer’schen Angaben näher eingehe, noch folgendes her- vorheben: Zunächst erlaube ich mir zu bemerken, dass es nicht richtig ist, wenn z. B. das Lehrbuch der Physiologie von Landois sagt, Hei- denhain habe die Verbindung von Ausläufern der Epithelzellen des Darmkanals und von Ausläufern wiederum der Bindegewebskörper- chen mit dem zentralen Chylusgefäß gesehen, und es seien seine An- gaben seitdem von vielen Forschern bestätigt worden. — Heiden- hain’s Auffassung heruhte auf unmittelbarer Beobachtung nur in Be- ziehung auf den ersten Theil der Frage, in Beziehung auf die Ver- bindung der Darmepithelien mit Bindegewebszellen. Diese Thatsache ist seitdem durch mich und später auch durch andere bestätigt und, nachdem sie so lange zäh bestritten worden war, sichergestellt wor- den. Unter andern hat sie zuletzt von Thanhoffer!) vertreten. Aber als ich im Jahre 1867 und dann 1868 und 1869 zu gunsten ihrer auftrat, schien sie derart vollkommen widerlegt, dass kurz vor- her z. B. Frey weitere sie widerlegende Bemühungen Dönitz’ für sehr überflüssig erklären konnte?). — Die Annahme aber der Verbindung von Bindegewebskörperehen mit dem zentralen Chylus- gefäß durch Ausläufer von seiten Heidenhain’s beruhte auf Hypo- these. Ich habe die Lücke im Sinne Heidenhain’s durch unmittel- bare Beobachtung ausfüllen können, indem ieh nachwies, dass feinste Fetttröpfehen durch Ausläufer von Bindegewebskörperchen in die Chylusgefäße gelangen und, dass dieser Weg dann, aber auch nur dann sicher zu sehen ist, wenn man während der Resorption die Fär- bung mit Ueberosmiumsäure vornimmt. v. Thanhoffer erklärt sich für meine Angaben?) in dieser Beziehung. Dass die Annahme Hei- denhain’s auch von anderen Forschern durch thatsächliche Beobach- tung als richtig erwiesen worden wäre, ist mir nicht bekannt. Die neueren Befunde über die Resorption der Nahrung bei Spon- sien und anderen Zoophyten, sowie bei Turbellarien*) veranlassen 1) v. Thanhoffer, Beiträge zur Fettresorption und histologischen Struktur der Dünndarmzellen. Pflüger’s Archiv VII. Bd. 1874. 2) Vgl. meine Abhandlung über „die Wege des Fettes“ ete. a a. 0. 5.124 und Canstatt’s Jahresberichte für 1864 8. 49. 3) A. a. O0. S. 425, 430 und 432, auf welch letzterer Seite die Worte „nichts weniger als“ offenbar im Sinne des Autors zu streichen sind. 4) Metschnikoff, du Plessis, Graber, Graff. Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Diekdarm. 585 nun die Frage, wie mit ihnen die Annahme eines Weges von durch Ausläufer verbundenen Bindegewebszellen als Resorptionsweg in der Darmschleimhaut der höheren Tiere in Beziehung zu bringen sei. Jene Befunde zeigen, dass bei den genannten niederen Tieren, die Nahrung durch amöboide Bewegung der Darmepithelien gewissermaßen gefressen, aus ihnen von wandernden Bindegewebszellen des Meso- derms aufgenommen und von diesen verdaut worden, ebenso wie die Rhizopoden die gefressene Nahrung verdauen. Ein Uebergang zu der bei höheren Tieren bestehenden Einrichtung wäre in letzterer Be- ziehung die, dass die fraglichen Mesodermzellen einen Teil der auf- genommenen Nahrung in die Körperlücken, in den Kreislauf, bezw. in das Lymph- (Chylus-) Gefäßsystem abgeben würden, bis bei den höchsten Tieren die Einrichtung getroffen ist, dass sie alles dahin abgeben mit Ausnahme eines geringsten Teils vielleicht, welchen sie für sich selbst verdauen. Bedeutung wandernder Lymphzellen für die Resorption. Wiedersheim sagt nun in der erwähnten Abhandlung, nachdem er eigne, wie er meint, den Thanhoffer’schen entsprechende Be- obachtungen über die Art der Aufnahme der Nährstoffe durch die Epithelzellen des Darmes bei Spelerpes fuscus erwähnt hat: „Ob die gegen die Submukosa schauenden Fortsätze der Darmepithelien, wie dies Eimer zuerst gesehen und Thanhoffer bestätigt hat, mit den im Parenchym befindlichen „sternförmigen Bindegewebskörper- chen“ zusammenhängen, weiß ich nicht, es erscheint mir aber nach den später zu erwähnenden Untersuchungen Zawarykin’s sehr mög- lich. Wir hätten aber wohl, dem heutigen histologischen Standpunkt entsprechend, an Stelle der „sternförmigen Bindegewebskörperchen“ den Namen Lymphzellen zu setzen, und damit komme ich auf einen zweiten wichtigen Punkt, über welchen ich, gestützt auf eigne Un- tersuchungen, einige Mitteilungen machen möchte.“ Des weitern er- wähnt Wiedersheim nun, er sei durch die Arbeit Edinger’s über die Schleimhaut des Fischdarms (Arch. f. mikr. Anat. Bd. XIII. 1877) auf die Massen von Lymphzellen aufmerksam gemacht worden, die sich hier in der Submukosa ebenso finden, wie dies vom Säugetier- darm längst bekannt war. „Edinger fand sie dort nicht allein überall in der Submukosa zerstreut, sondern sah sie auch zwischen die Epithelien eindringen, so dass sie hier bald zwischen den Füßen derselben, bald höher oben zu treffen sind. Ja in manchen Fällen schien es, als ob sie unter fadenartiger Ausziehung sogar ins Darm- lumen auszutreten im begriffe wären, und nicht selten waren sie auch wirklich ganz hindurchgetreten.“ Wiedersheim fand nun mit Fleisch zusammen gefütterten Graphit bei einem ganz jungen Haifisch in den Lymphzellen des Oesophagus und des Mitteldarms — so zwar, dass sich dieselben tief schwarz gefärbt hatten. „Ja ich glaube“, sagt er, „den schwarzen Farbstoff, wenn auch viel spärlicher, da und dort im Innern 586 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Diekdarm. einzelner Epithelzellen gesehen zu haben.“ Wiederholte spätere Ver- suche an unseren Knochenfischen führten dagegen Wiedersheim im wesentlichen zu negativen Ergebnissen: es gelang ihm niemals, Farb- stoffpartikelchen innerhalb der Epithelien nachzuweisen — aber auch von den Lymphzellen waren sie nur selten aufgenommen worden. Wiedersheim veröffentlichte seine noch nicht abgeschlossenen Unter- suchungen nur deshalb jetzt schon, weil in der letzten Zeit vier den Gegenstand berührende Arbeiten erschienen sind. F. Hofmeister!) „erblickt in den Lymphzellen des Darmes die Mittel, dıe Peptone vor ihrem Uebertritt in den Säftestrom festzuhalten und zu binden. Wä- ren sie nicht vorhanden, so würden, wie Experimente beweisen, die direkt in die Blutbahn eingeführten Peptone zu Vergiftungserscheinun- gen führen und, falls der Weg zur Niere offen ist, schließlich zum größten Teil unverändert mit dem Harn wieder ausgeschieden werden; sie gingen also dem Organismus verloren.“ Es würden sonach die farblosen Blutkörperehen (Lymphkörperchen) bei der Ernährung des Organismus aus Eiweiß eine ähnliche Rolle spielen wie die roten bei der Atmung. „Wie letztere als Träger des Sauerstoffs fungieren, so fungieren jene als Träger der Peptone,-die sie, ohne ihre charak- teristischen Eigenschaften zu verwischen, toxisch indifferent machen und sie vor dem Uebertritt in den Harn bewahren.“ Stöhr?) beobach- tete eine massenhafte Auswanderung Iymphoider Zellen durch das Tonsillenepithel in die Mundhöhle und?) wiederum die Einwanderung von solehen Zellen aus der Submukosa (den solitären und eonglobier- ten Follikeln) und zwar des menschlichen Darmes zwischen die Darmepithelien, ja eine massenhafte Durchwanderung derselben ins Darmlumen unter normalen Verhältnissen. Ferner auch eine solche Durehwanderung durch das Epithel an den Balgdrüsen und an der Bronchialschleimhaut des Menschen und zahlreicher Säugetiere. Die physikalische Erklärung dieser Thatsachen betreffend, neigt sich Stöhr am meisten der Ansicht zu, dass es sich dabei um Ausschei- dung „verbrauchten Materials“ handle. Zawarykin endlich fand nach Behandlung des Darmes bei Hund, Kaninchen, Ratte mit Ueber- osmiumsäure Lymiphzellen mit tiefschwarzen Molekülen imprägniert zwischen dem Epithel. „Es schien ihm, als ob sie zwischen den Epi- thelzellen da und dort ins freie Darmlumen vordringen würden“, und zwar muss dieses, wie aus ihren mannigfaltigen Formen zu schließen ist, mittels amöboider Bewegungen geschehen. Aus dem „imterzellu- lären Stratum“ scheinen sie wieder ins adenoide Gewebe, in die Chy- 1) F. Hofmeister, Zur Lehre vom Pepton III. Ueber das Schicksal des Peptons im Blute. Hoppe-Seyler’s Zeitschr. f physiol Chemie Bd. V. 1881. 2) Ph. Stöhr, Zur Physiologie der Tonsillen, Bivlog. Centralblatt II. Bd. Nr. 12.1882: 3) Derselbe, Ueber die peripherischen Lymphdrüsen, Vortrag, physikal. med. Gesellschaft zu Würzburg 1885. Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. 587 lusgefäße und ins Blut zu wandern. Es ergibt sich der Schluss, dass die fettfreien Lymphzellen gegen das Epithel hinkriechen, dort zwi- schen die Zellen eindringen und, nachdem sie Fett aufgenommen ha- ben, wieder nach der Tiefe wandern!). Wiedersheim selbst war zu dieser Ansicht schon früher gleichfalls gelangt?). Ich möchte nun zunächst meine Freude darüber aussprechen, dass Arnsteins?) und meine eingangs berührten Angaben über Ein- wanderung von mit Farbstoff erfüllten Lymphzellen vom Bindegewebe der Darmschleimhaut, bezw. von den Lymph- und Blutgefäßen aus in den Darmraum, welche vor nunmehr 15 Jahren ausgeführt wurden, ihre Bestätigung, wenn auch spät, so doch in um so ausgiebigerem Maße gefunden haben. Meine Versuche waren in der Weise angestellt, dassichin heißem Alkohol gelöstes und in Wasser niedergeschlagenes Anilinblau in die Lymphsäcke von Fröschen injizierte — insbesondere in den Rückenlymphsack — und zwar in großen Mengen und zuweilen durch mehrere Tage wiederholt. Ich fand darauf Lymphkörperchen, welche Farbstoff aufgenommen hatten, im Blute, in der Darmschleimhaut und im Darmraume wieder, außerdem im Epithel und zwar in den Becher- zellen, welche ich, wie Arnstein, für die Durehgangswege der Lymph- zellen ansah®). Es würde nun also nach der Auffassung von Wiedersheim und Zawarykin die Nahrungsaufnahme im Darm teilweise in der Art stattfinden, dass Iymphoide Zellen ihre Fortsätze zwischen die Darm- 1) Zawarykin, Ueber die Fettresorption im Dünndarm Pflüger’s Archiv Bd. XXXI 1033. Vorstehende Angaben sind der Schrift von Wiedersheim entnommen. Ich bin an dem entlegenen Orte, da ich dieses schreibe, nicht in der Lage, die betreffenden Abhandlungen selbst einzusehen. 2) Vgl. Wiedersheim, a. a. O. S. 13. 3) Arnstein, Virchow’s Archiv f. pathol. Anat. Bd. 39, 1867. 4) Dieser Durchtritt von Lymphzellen durch das Epithel gibt mir Veran- lassung, auch auf eine Angabe zurückzukommen, welche ich noch früher ge- macht habe (Zur Fettresorption und zur Entstehung der Schleim- und Eiter- körperchen. Virchow’s Archiv. 38. Bd. 1867) und welche wiederholt angeführt wird. Ich glaubte danach annehmen zu müssen, dass Schleim- (und Eiter-) körperchen nicht nur als Inhalt der Becherzellen austreten, derart, dass dieser Inhalt ein Schleimkörperchen bilde, sondern dass durch Teilung solchen In- halts auch eine größere Anzahl von Schleim- bezw. von Eiterkörperchen, we- nigstens deren zwei, vier, acht, in den Becherzellen entstehen könnten. Es hat sich mir aber seitdem längst ergeben, dass die betreffende Beobachtung anders zu deuten sei. In meiner Abhandlung „Ueber die ei- oder kugelförmi- gen Psorospermien der Wirbeltiere“ (Würzburg, A. Stuber’s Verlag 1870) habe ich nämlich gezeigt, dass solche Psorospermien sowohl in den gewöhnlichen Epithelzellen wie in Becherzellen vorkommen und darin sich vermehren kön- nen. Derartige Vermehrungszustände gleichen zuweilen sehr einer Anzahl in- folge von Teilung dicht aneinander gelagerter Eiterkörperchen, und durch sie war ich auf die Ansicht geführt worden, es handle sich um eine solche Ver- mehrung innerhalb der Becherzellen, 588 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. epithelien hineinstreckten und das ernährende Fett in sich aufnähmen, dann in die Chylusgefäße und ins Blut zurückwanderten. Wie bemerkt, habe ich in meiner Abhandlung „Ueber die Wege des Fettes in der Darmschleimhaut bei seiner Verdauung“ (1869) schon erwähnt, dass ich zuweilen während der Resorption zwischen den Epithelzellen des Darmes in großer Menge Fett in feinsten Tröpf- chen gefunden habe, und ich sprach schon damals den Gedanken an eine interepitheliale Resorption aus, ohne jedoch die Sache ge- nauer zu verfolgen und ohne deshalb weitere Beweise für solchen Vorgang beizubringen. Uebrigens war es die normale Resorption der Fleder- mäuse und dann auch der Ratten, bei welchen derselbe am leichte- sten und häufigsten ausgiebig zu beobachten war. Auch eine Abbil- dung habe ich von dem betreffenden Verhalten gegeben!). Die An- gaben der zuletzt genannten Schriftsteller würden nun diese interepi- theliale Resorption noch wahrscheinlicher machen und meine Beobach- tung im Sinne derselben erklären und ergänzen. Da es bei derartigen Dingen so sehr auf günstige Objekte ankommt, so empfehle ich zur Untersuchung des von mir Gesehenen nachträglich ausdrücklich die soeben genannten Tiere. Diese Tiere sind nun aber auch außerordentlich günstig, um, we- nigstens unter Zuhilfenahme der damals von mir angewendeten Me- thoden, die kontinuierliche Verbindung der Darmepithelien mit dem darunter gelegenen Bindegewebe - durch Ausläufer zu zeigen. An den durch jene Methoden (Ueberos- miumsäure) erhärteten Präparaten habe ich bei Fledermäusen un- verhältnismäßig häufig eine Beobachtung gemacht, die ich auch sonst wohl, nur seltener, machte, nämlich die, dass einzelne Epithel- zellen durch ihren Ausläufer auf dem Bindegewebe der Zelle aufsaßen, unmittelbar mit demselben in Verbindung standen. Man könnte einwenden, dass, da es sich eben um erhärtete Präparate handelt, die Möglichkeit einer Verkittung beider nicht ausgeschlossen sei. Allein dagegen ist zu sagen, dass nun denn doch das Vorhan- densein der Verbindung der Ausläufer der Darmepithelien mit den darunter gelegenen Bindegewebszellen, wie sie auf grund der Isola- tionsmethode längst behauptet worden ist (Heidenhain), nach so vielen Beweisen füglich nicht mehr geleugnet werden kann. Nicht eine, sondern sogar mehrere Bindegewebszellen wurden in fester Verbin- dung mit der Epithelzelle isoliert. Mir selbst ist dies häufig genug ge- lungen, aber ich habe auch hunderte und hunderte von Versuchen dazu gemacht, was von seiten derjenigen, welche die entsprechenden An- gaben bestritten haben, kaum geschehen sein dürfte. Bei manchen Tieren sind die Ausläufer der Epithelien aber auch außerordentlich 1). A820, Taf V Eig7 20; Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. 589 lang, so dass sie einzeln jedenfalls auf dem Zottengewebe nicht sitzen bleiben können und dass sie bei dem Versuche der Isolierung meist abbrechen müssen. So beim Frosch; bei den Fledermäusen sind sie kürzer. Außerdem habe ich aber auch durch Anwendung von Ueber- osmiumsäure während der Resorption auf das bestimmteste die Wege des Fettes von den Epithelien dahin verfolgen können, dass sie un- mittelbar von den Ausläufern dieser aus in die Fäden und Zellen eines adenoiden Balkengerüstes führen, wie sich letzteres eben an erhärteten Präparaten darstellt. v. Thanhoffer hat auch diese An- gabe bestätigen können, und zwar gibt er in Fig. 6 der Tafel V sei- ner Abhandlung eine Abbildung, welche im wesentlichen durchaus dem entspricht, was ich in dieser Beziehung gesehen und auch ab- gebildet habe. Endlich fand ich feinste Fetttröpfehen in ungemein langen Ausläufern isolierter Epithelzellen. Es ist unzweifelhaft, dass ein aus untereinander verbundenenZellen bestehen- der, durch Ausläufer einerseits mit den Epithelzellen, anderseits mit dem zentralen Chylusgefäß in Verbin- dung stehendes „adenoides“ Gewebe alsStraße für dieBe- wegung der Nährstoffe, besonders des Fettes, dient. Es fragt sich nur 1) ob es die einzige solche Straße ist und ob nicht die in seinen Maschen gelegenen Lymphzellen denselben Zweck er- füllen und 2) ob es — nach vollendeter Entwicklung — als festge- fügtes System, als ständige Einrichtung aufgefasst werden muss oder als eine Verbindung von Zellen, welche wechselnd ist — sowie wir uns z. B. die Verbindung der Bindegewebszellen im Knochen zu den- ken haben, welche nach Bedarf entsteht, indem die Zellen durch ihre Ausläufer sich gewissermaßen die Hände reichen und so Ernährungs- wege durch den ganzen Knochen herstellen. In letzterem Falle würde der zähe Zusammenhang des Netzes in sich und mit den Epithelzellen, wie er nach Erhärtung mit Reagentien uns entgegentritt, eben auf die Erhärtung zurückzuführen sein. Einen Teil der zweiten dieser Fragen muss ich nun also auf grund eigner Beobachtung und der Beobachtung anderer dahin als entschieden ansehen, dass im fertig entwickelten Darm eine feste Verbindung — besser ausgedrückt: eine beständige Verbindung der Epithelialzellen mit den Bindege- gewebszellen der Schleimhaut besteht. Dabei braucht man aber nicht an ein festes Röhrensystem zu denken. Die Voraussetzung proto- plasmatisch weicher Zellen und entsprechend beschaffener Verbin- dungsfäden wird allein unserer heutigen Auffassung gerecht werden können. Und es ist trotzdem eine absolute Beständigkeit der Ver- bindung nicht notwendig vorauszusetzen. Ich habe selbst darauf hin- gewiesen, in welch reichlichem Maße die Epithelialzellen des Darmes fortwährend zu grunde gehen und dementsprechend sich ergänzen müssen!). Die Entstehung der Becherzellen ist ein Erzeugnis dieses 1) Ueber Becherzellen, Virchow’s Archiv 42. Bd. 1868. 590 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. Prozesses: die Becherzellen gehen, trotzdem sie später selbständige Gebilde sind, aus gewöhnlichen Epithelialzellen hervor und gehen zu grunde, nachdem sie ihren Inhalt entleert, nachdem sie damit ihre Aufgabe, als einzellige Drüsen zu wirken‘, erfüllt haben. Somit wer- den auch stets neue Verbindungen von Epithelialzellen mit Bindege- webszellen entstehen müssen, und die bestehenden Verbindungen wer- den mehr oder weniger zart sein oder starr und mehr oder weniger thätig im Dienste der Resorption. Alte starre unter ihnen mögen diesen Dienst ganz aufgegeben haben. Ebenso ist von vornherein nicht ausgeschlossen, dass die Zellen des Bindegewebsnetzes der Schleimhaut, auch wenn ihre Verbindung eine relativ beständige wäre, nun mit anderen sich verbinden, dass ein Wechsel in dieser Beziehung stattfindet, und dass bei verschiedenen Tieren und in verschiedenen Altern Verschiedenheiten darin gegeben sind. Bei niederen blasto- zoischen Tieren besteht eine beständige solehe Verbindung überhaupt nicht — sie kann sich erst bei höheren ausgebildet haben. Sie be- steht in der Jugend aber auch bei diesen nicht. Damit wäre die Be- ziehung eines Zustandes, in welchem nur freibewegliche Iymphoide Zellen die Uebermittelung der Nährmittel besorgen, zu einem solchen, in welchem sie zugleich durch ein mehr oder weniger festes Netz von Bindegewebszellen geschieht, gegeben: erst bei höheren Tieren und im vollkommen ausgebildeten Zustand derselben würde sich eine, wenn auch nur relative Trennung der freien Lymphkörperchen von festverbundenen vollziehen und würden damit zweierlei Resorptions- wege entstehen, welche nebeneinander thätig sind. Für die Feststel- lung dieses Uebergangs während der individuellen Entwicklung, nicht nur was das Morphologische — denn dies ist selbstverständlich, da im embryonalen Zustande alles Bindegewebe der Zotten aus amöboi- den Zellen besteht — sondern auch was das Physiologische betriftt, mögen die in Freiburg von mir mitgeteilten Beobachtungen über die Fettresorption bei jungen sau- genden Kätzchen dienen. Wir haben es auch in diesen Kätzchen mit einem ganz vor- züglichen Untersuchungsgegenstand in der hier in Frage kommenden Richtung zu thun, so dass meine Angaben ohne Schwierigkeit zu be- stätigen sein werden. In jenem Alter besteht die Darmschleimhaut der Kätzchen aus lauter dieht nebeneinander gelagerten, spindelförmigen, glatten Mus- kelzellen ähnlichen Zellen. Irgend ein adenoides Netzgewebe da- zwischen ist nicht zu unterscheiden: solches muss erst später aus den jetzt spindelförmigen Elementen hervorgehen. Diese spindelförmigen Zellen sind nun zur Zeit der Fettresorption vollkommen mit Fett er- füllt. Sie müssen das Fett ebenso aus den Epithelialzellen bekommen haben, wie sie es aneinander abgaben: dadurch, dass sie sich an einander legen und zeitweise protoplasmatisch verbinden durch ihre Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. 591 Ausläufer. Es steht somit jetzt die resorbierende Thätigkeit der Mu- kosa noch ganz auf der Stufe, welche sie bei niederen Tieren zeit- lebens durchaus, bei den höheren durch die freibleibenden Iymphoi- den Zellen nach den mitgeteilten Angaben teilweise beibehält und es ist anzunehmen, dass es im Leben amöboide Bewegungen dieser Zel- len sind, durch welche das Fett in sie aufgenommen und in ihnen weiterbefördert wird. — Bei voller Resorption ist das Bindegewebe der Schleimhaut derart mit Fett erfüllt, dass man nur noch Fett und da und dort darin die Kerne jener spindelförmigen Zellen zu sehen vermag. Erst die Isolierung gibt Aufschluss über die Gestalts- verhältnisse der letzteren. Ich gehe nunmehr zum letzten Teil der Behandlung meines Ge- senstandes über, indem ieh die epitheliale Fettaufnahme bei der Resorption bespreche. Ich beabsichtige keineswegs auf die verschiedenen zur Erklärung des Eintritts des Fettes in die Epithelial- zellen des Darmes aufgestellten Behauptungen einzugehen, um so we- niger, als ich die Literatur über den Gegenstand in meiner bezüglichen Arbeit ganz ausführlich mitgeteilt habe. Was wesentlich neues da- rüber erschienen ist, soll mich eben im folgenden beschäftigen. Her- vorheben muss ich nur, dass man bekanntlich sehon seit langer Zeit als einfachsten Weg für jene Erklärung den eingeschlagen hatte, dass man die Darmepithelien für nach dem Darm hin offen erklärte (Gruby und Delafond 1843, Brücke 1864), während man noch früher eine oder mehrere Oeffnungen an der Spitze der Zotten annahm (Lieber- kühn 1760), zuerst aber diese für ein Sieb von schwammartigem Bau hielt, welches die gröberen Teile des Speisebreies zurückhalte, dem feineren aber den Durchtritt gewähre (Helvetius 1723). Ich habe in früheren Arbeiten darauf hingewiesen, dass der Irrtum, wel- cher ersterer Behauptung zu grunde liegt, wohl wesentlich auf die Verwechslung mit den offenen Becherzellen zurückzuführen sei. Spä- terhin kam Letzerieh mit einer neuen verschlechterten Auflage jenes Irrtums, indem er behauptete, dass gradezu die Becherzellen selbst durch ihre Oeffnungen die Nährstoffe aufnähmen !). Der Kölliker'schen Annahme gegenüber, dass die von ihm und Funke entdeckte Streifung des Basalsaumes auf Poren zurückzuführen sei, durch welche das Fett in feinster Verteilung hindurchtrete, be- haupteten später (1857) Brücke’s Schüler Brettauer und Steinach, der Saum bestehe aus feinen Stäbehen, welche zum Zweck der Nah- rungsaufnahme auseinanderträten. Da dieses Auseinandertreten ein fächerförmiges sein müsste, die resorbierenden Zellen aber dicht gedrängt nebeneinander liegen, so ist seine Möglichkeit von vornherein nicht ganz zu verstehen. Es wird in der That auch niemand ge- 1) Letzerich: Virchow’s Archiv Bd. XXXVII und XXXIX. 599 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. lingen, dasselbe während der Resorptionsthätigkeit der Zellen zu sehen. Wohl aber kann man es häufig an isolierten Zellen sehen und zwar an solehen, welche nicht mehr ganz frisch sind, so dass es, wie auch Kölliker meint, eher als Leichenerscheinung wird aufgefasst werden müssen. Neuerdings tritt nun v. Thanhoffer mit der alten längst begraben geglaubten Ansicht, dass die resorbierenden Epi- thelialzellen durch eine Oefinung in die Darmhöhle mündeten, von neuem auf. Er behauptet, der Basalsaum umgebe nur die Basis jeder Epithelzelle in ihrem Umkreise wie eine Leiste oder ein Wall. Die- ser Wall würde die Oeffnung der Epithelialzelle einfassen. „Meines Wissens“, sagt v. Thanhoffer auf S. 403 seiner Abhandlung, „machte Wittich!) auf dieses Verhältnis zuerst aufmerksam, und ich kann es nach meinen vielfachen Untersuchungen nicht nur vielfach bekräfti- gen, sondern empfehle auch ein Verfahren, nach welchem sich jeder davon auf die schönste und leichteste Weise überzeugen kann.“ Die- ses Verfahren nun ist 15—20 Minuten lange Einwirkung einer ein- prozentigen Ueberosmiumsäure auf Darmstückchen des Frosches und Untersuchen in Glyzerin und Wasser. „Wir bemerken dann an vielen Stellen ein zierliches, durch Ueberosmiumsäure grünlichgelb tingiertes Gitterwerk, das sind die von den Zellen abgehobenen zusammenhängen- den Säume. Wir können uns auf diese Weise am einfachsten davon überzeugen, dass die Säume an den Zotten?) eine zusammenhängende Membran bilden“, dennoch sind sie kein organisches Ganzes (wie Wittich angenommen hatte), sondern sie seien nur verkittet, was die Möglichkeit der Loslösung einzelner Zellen unter Beibehalten ihres Saumteiles beweise. — Es sind mir jene von v. Thanhoffer geschil- derten Bilder nicht unbekannt — sie sind einfach zu beziehen auf Veränderung der normalen Verhältnisse durch Einwirkung der star- ken Ueberosmiumsäure. An frischen, mit destilliertem Wasser unter- suchten Zotten kann man nach v. Th. diese durchbrochene Membran mit ihren polygonalen Netzen auch sehen, aber nur auf kurze Zeit, weil infolge der Einwirkung des Wassers die Zelle aufquelle ete. — Dagegen darf doch mit Fug und Recht gesagt werden: wer möchte einen so zarten Gegenstand mit destilliertem Wasser untersuchen und die dabei sichtbaren Verhältnisse als normale beschreiben? — Es ist mir schwer verständlich, dass die Behauptung v. Th.’s vom Öftensein der Epithelzellen der Darmwand so ohne weiteres hat An- klang finden, sogar in Lehrbücher übergehen können, weil ein einzi- ger Blick in unser heutiges Mikroskop beweisen muss, dass die Than- hoffer’schen Angaben in dieser Beziehung nicht richtig sein können. Wären sie richtig — ich setze Untersuchung in Flüssigkeiten voraus, 1) Wittich, Zur Frage der Fettresorption, Archiv für pathol. Anatomie Bd: XTS. 37. 2) Nur nebenbei sei bemerkt, dass der Frosch keine Zotten auf der Darm- schleimhaut hat, wie v. Thanhoffer meint, sondern nur Längsfalten. Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. 595 welche die normalen Verhältnisse möglichst erhalten — so könnte ja bei Betrachtung der Zottengrenzen der Basalsaum nicht als ein un- unterbrochener Streifen erscheinen, er müsste vielmehr da und dort durch die offenen Mündungen der Epithelzellen unterbrochen sein, ebenso wie er durch jene der Becherzellen unterbrochen ist. Davon ist aber keine Spur zu sehen. Ebenso wenig ist bei Ansicht von der Fläche je ir- gend etwas zu finden, was die Angabe v. Th.’s rechtfertigen würde. Der Basalsaum überzieht als Deckel jede Epithelzelle vollständig. Auch steht er mit den benachbarten Säumen in nur leichter Verbindung derart, dass, wie gesagt, Fetttröpfehen zwischen den einzelnen Zellen eindringen können. v. Thanhoffer gibt nun an, die scheinbare Streifung des von ihm als Wall aufgefassten Basalsaumes rühre her von fadenförmigen Fortsätzen des Zellinhalts, welche innerhalb desselben emporgestreckt würden. Sobald sieh die Fortsätze zurückgezogen haben, gehe die Streifung verloren. Der Wall, welcher von v. Th. als wahrer oder konstanter Saum bezeichnet wird, erscheint breiter oder schmäler, je nachdem jene Fortsätze des Inhalts hinter ihm hervorragen oder nicht. Das erstere sei oft der Fall während des Hungerzustandes. Hiezu sei bemerkt: ich habe hervorgehoben!), dass während der Zeit der stärksten Resorptionsthätigkeit der Saum oft sehr verschmälert oder ganz geschwunden erscheint, so dass ich voraussetze, er werde zum Zweck der Nahrungsaufnahme da und dort aufgelöst, um sich alsbald wieder zu ersetzen. Auch andere haben die wechselnde Dicke des Basalsaums hervorgehoben, aber teilweise behauptet, dass er grade während des Hungerzustandes am schmalsten sei. — Ferner habe ich häufig eine allerdings äußerst feine nur schwer zu erkennende Längs- streifung am Basalsaum beschrieben, welche auch von Erdmann?) gesehen worden ist. Diese Längsstreifung findet sich an zwei (Erd- mann spricht von drei) oberen Blättern, welche sich in ihm erkennen lassen, während ein viertes, unterstes Blatt stets ohne die Längsstrei- fung, aber auch ohne Querstreifung gefunden wird. Dieses letztere Blatt ist als der Zellmembran zugehörig aufzufassen. Entsprechend jener Längsstreifung der obern Basalsaumblätter sah ich in Fällen, in welchen der Basalsaum „wie aus den zartesten, nach oben diver- gierenden Härchen gebildet zu sein schien, an diesen eine feine Quer- streifung?).“ — Somit habe ich dem Basalraum große Aufmerksamkeit zugewendet, habe aber niemals etwas gesehen, was dafür spräche, dass er im Sinne v. Th.’s verdickt erscheinen könnte durch hinter ihm auftretende Fortsätze des Zellinhalts, also durch eine Substanz, wel- che ihm selbst fremd wäre und deren Verschiedenheit von ihm doch 1) Die Wege des Fettes in der Darmschleimhaut ete. 2) L. C. Erdmann, Beob. über die Resorptionswege in der Schleimhaut des Diünndarms. TInauguraldissertation 1867. 3) Vgl. die Wege des Fettes etc. S. 158. 594 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. nicht allzuschwer zu erkennen sein müsste. So sollen jene Plasma- fortsätze in der That noch weniger lichtbrechend sein als der kon- stante Saum (v. Th. S. 405). Sehen sie über diesen hinaus, so er- scheinen sie starr, grade, beim Frosch ebenso wie bei den warm- blütigen Tieren. Nur beim Frosch aber gibt v. Th. an Bewegungen derselben gesehen zu haben, durch welche die zwischen sie ge- langten Fetttröpfehen ins Innere der Zellen befördert werden sollen. Wenn ich die Abbildungen v. Thanhoffer’s auf Taf. V ansehe, so kann ich kaum daran zweifeln, dass das, was er den konstanten Basalsaum nennt, nichts anderes ist als die unterste, niemals quergestreifte, einen Teil der Zellmembran ausmachende Schicht des Basalsaums, dass die von ihm gezeichneten Stäbchen aber, welche nach ihm Fortsätze des Zellinhalts sein sollen, den eigentlichen Basalsaum darstellen (v. Th. Taf. V Fig. 1,2,15). Dass dem so sei, wird eine Vergleichung mit meiner Fig. 8B, Taf. IV a. a. O. noch wahrscheinlicher machen. Nur wäre bei.v. Th. jene Zellmembran zu breit gezeichnet!). Zuweilen, sagt v. Th., finde man die Fortsätze un- terhalb des Saumes — dann nämlich, wenn sie weit in die Zelle zu- rückgegangen seien. Auf diese Weise will er die Angabe Fried- reich’s erklären, wonach die Poren zwischen den Stäbchen der Darmepithelien sich in feine Röhrchen fortsetzen sollen, welche im Zellinhalt bis in die Ausläufer der Zellen hinein sich erkennen lassen und welche die Wege für das Fett abgeben würden. Ich habe eine solche Streifung, welche in der That bis in das unterste Ende der Zellen hinein zu verfolgen war, in den Flimmerepithelien der Epidermis von Anodonta beschrieben?). Hier kann also jedenfalls von der An- nahme der Erklärung der Erscheinung, wie sie Thanhoffer gegen- über Friedreich gibt, keine Rede sein. Es handelt sich aber in meinem Falle um eine unmittelbare Fortsetzung der Flimmerhare in Fäden des Zellplasmas. v. Thanhoftfer hat die Bewegung der Plasmafortsätze an den Darmepithelien nur dann gesehen, wenn er dem Frosch das Rücken- mark oder die Spinalnervenwurzeln durchschnitt und wenn er unter Zusatz von Galle untersuchte. Ich habe nun die Versuche v. Th.s nachgemacht, habe mich unter Aufopferung zahlreicher Frösche und vieler Zeit daran abgemüht und habe so wenig wie einer meiner Schüler, den ich noch außerdem an die Arbeit setzte, irgend etwas der Art sehen können, was v. Th. beschreibt — insbesondere nichts von der Art, was er in seiner Fig. 3 abbildet, während ich mir seine anderen Abbildungen, wie gesagt, in ganz anderer Weise erkläre. 4) Sehr auffallend ist mir ferner, dass v. Th. sich auf $. 408 auf eine seiner Abbildungen (Fig. 2), welche Becherzellen mit aufgesetzten Stäbehen darstellt, beruft, als ob sie gewöhnliche Epithelzellen wären. 2) Weitere Nachrichten über den Bau des Zellkerns nebst Bemerkungen über Wimperepithelien. Arch. f. mikr. Anatomie 14. Bd. 1877. Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Diekdarm. 595 Ich würde mir aber jene Mühe vielleicht gar nicht genommen haben, wenn nicht Wiedersheim Thatsachen beschriebe, welche v. Th.’s Angaben zu bestätigen scheinen, und wenn nicht überhaupt die Frage so nahe läge, ob nicht amöboide Bewegung der Darmepithelien die Aufnahme der Nährstoffe in dieselben erklären könnte, auch abge- sehen davon, dass entsprechende Vorgänge bei niederen Blastozoen eben in neuerer Zeit beobachtet worden sind. Wiedersheim be- schreibt bei Spelerpes fuscus solche Epithelien, deren freie Ränder ohne jede scharfe Begrenzung, gleichsam offen, unregelmäßig gelappt, aufgefasert und da und dort wie eingerissen und in dickere Flimmer- haare zerfallend erschienen: es handelte sich um in amöboider Be- wegung befindliche Fortsätze, welche zuweilen wieder in den Zellen- leib zurückgezogen wurden. Bei genauerer Beurteilung von beiderlei Angaben ergibt sich aber nun, dass dieselben durchaus nicht gleichwertig sind. Wiedersheim hatte amöboide Fortsätze vor sich, welche die Nährstoffe fressen würden; v. Thanhoffer spricht von starren Stäbchen, welche die- selben zwischen sich hineinspielen sollen in den Zellenleib. Das sind doch durchaus verschiedene Dinge, und die Verschiedenheit ergibt sich noch klarer, wenn Wiedersheim die Stäbchen des Basalsaumes der höheren Wirbeltiere als Plasmafortsätze auffasst, welche morpho- logisch den Flimmerharen gleichwertig, ähnlich Pseudopodien von Rhizopoden die Nahrung aufnehmen würden !). Es ist nun immer nicht ausgeschlossen, dass ich bei meinen Ver- suchen — da die Bestätigung auch nach v. Th.’s Aeußerung dem Zu- fall bis zu einem gewissen Grade unterworfen sein würde — beson- deres Missgeschick gehabt habe. Indess darf ich vielleicht hervor- heben, dass es Professor Landois in Greifswald, der durch einen Schüler die Th.’schen Versuche gleichfalls hat nachmachen lassen, ganz ebenso wie mir gegangen ist. Er hebt in einem Briefe an mich übrigens hervor, er vermisse bei Th. die genauere Angabe der Art der Nervenverletzung, nach welcher die Erscheinung zu beobachten sein soll. Vielleicht kämen ganz besondere Verhältnisse in betracht, welche sich experimentell noch nicht völlig übersehen und beherrschen lassen. Ich gebe diese Möglichkeit vollkommen zu und will v. Th. keineswegs zumuten, dass er sich durch wimpernde Darmepithelien, wie sie — ich habe dafür einst selbst Fälle angeführt — auch im Darm des erwachsenen Frosches zuweilen noch vorkommen, oder durch 1) Wiedersheim führt zu gunsten der v. Th.’schen Auffassungen eine Bemerkung Zawarykin’s an, welche lautet: „die Zylinder scheinen tiefere Ver- änderungen zu erfahren; so ändert sich u. a. der Basalsaum, so dass dessen Stäbchen flächenhaft auseinandergehen und wie kurze Cilien aussehen“. Es ist hier wohl der Darm der von Zawarykin während der Resorption untersuchten Säugetiere gemeint. Aber es erscheint auf grund des früher mitgeteilten doch wohl fraglich, ob diese Angabe nicht in anderem Sinne zu deuten sei. 335 596 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Diekdarm. anderes habe täuschen lassen, möchte nun aber auf grund eigner Erfahrung noch einige Thatsachen hervorheben, welche immerhin bis auf weiteres gegenüber den Th.schen Angaben schwer ins Gewicht fallen dürften. Ich habe mich seinerzeit auf alle Weise abgemüht, Farbstoffe, welche ich mit der Nahrung in den Darmkanal der Frösche gebracht hatte, in den Epithelien derselben wiederzufinden. Es gelang mir dies nur in seltenen Fällen in spärlichstem Maße. v. Wittich, Donders, Funke erreichten nur negative Ergebnisse, während einige andere den Uebertritt von Quecksilber, Schwefel, Kohle ete. in die Epithel- zellen und ins Blut nach Fütterung solcher Stoffe behaupteten’). Es handelt sich dabei um Versuche am Frosch oder an Säugetieren, nicht an tiefer stehenden Tieren. Ich kann nach meinen lange und sorg- fältig fortgesetzten Bemühungen auf das bestimmteste erklären, dass jedenfalls beim Frosch ein solcher Uebertritt nur in eben bezeichneter Beschränkung geschieht. Ich mischte einen sehr feinen Niederschlag von Karmin mit Oel innig zu einem Brei und brachte ihn den Frö- schen in den Magen. Dabei ergab sich bei der an verschiedenen Tieren in verschiedenen Zeiträumen vorgenommenen Sektion die be- merkenswerte Thatsache, dass der Farbstoff sich sehr bald vom Oel getrennt hatte und durch den After abging, während das Oel größten- teils zurückblieb — so dass davon sogar noch am 14. Tage im Darm gefunden wurde — um nach und nach resorbiert zu werden?). Den mikroskopischen Befund anlangend, so traf ich mehrmals einige Kar- minkörnchen im Basalsaum und in seltenen Fällen auch einige in den Epithelien selbst. Es handelte sich um seltene Ausnahmen bei die- sem Vorkommen, wenn ich die Zahl meiner Versuche vergleiche und die Masse von Fett berücksichtige, welche dabei resorbiert wurde. (Zu ganz demselben Ergebnis war seinerzeit Moleschott gelangt). Im Basalsaum lagen die Karminkörnchen nicht in den Porenkanälchen, sondern in die Masse desselben eingebettet — es handelte sich um ziemlich grobe Körnchen. Ich muss annehmen, dass sie in den wei- chen Saum eingedrückt worden sind, nachdem ich gesehen habe, dass derselbe so weich ist, um sogar durch Oeltröpfehen Eindrücke er- fahren zu können. Dieser Befund schien mir schon damals gegen die Thatsache zu sprechen, dass die Darmepithelien die Nährstoffe mittels amöboider Bewegungen auffressen — es sei denn, dass, wie dies Wiedersheim hervorhebt, das Plasma der Darmepithelien der höheren Tiere, im Ge- gensatze zu demjenigen der niederen, die Fähigkeit hätte, die Nähr- stoffe gewissermaßen von den Nichtnährstoffen auszuwählen und jene aufzunehmen, diese aber zurückzuweisen. Bei Spelerpes fuscus 1) Vergl. meine Abhandlung die Wege des Fettes ete. S. 164. 165. 2) Ebenda S. 165, 166. Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm. 597 hat W. keine Versuche mit Farbstoffen gemacht, bei jungen Haifischen glaubte er den Graphit auch in den Epithelzellen wiedergefunden zu haben — bei späteren Versuchen an unsern Süßwasserfischen ge- lang ihm dies niemals, obgleich er auch hier „häufig genug Zellen zu Gesicht bekam, die an ihrem freien, gegen das Darmlumen zu schauenden Rande dieselben pseudopodienartigen Fortsätze tragen“ wie Spelerpes. (Angeführt muss übrigens werden, dass Wiedersheim, als er mehrere Jahre nach der ersten Beobachtung wiederum lebendes Material von Spelerpes in die Hände bekam, trotz aller Sorgfalt nicht im stande war, dieselbe noch einmal zu machen). Die Annahme einer solchen Auswahl nun erscheint aber ausge- schlossen bei der Art, wie v. Th. die Aufnahme der Nährstoffe sich denkt: es müssten doch die Stäbehen ebensogut Farbstoffkörnchen wie Fetttröpfehen in die Zellen hineintreiben, und wollte das Plasma der Zellen die Farbstoffkörnehen und andere Fremdkörper nicht auf- nehmen, so müssten dieselben sich bald zwischen den Stäbchen über der Zellenbasis anhäufen. Dazu kommt nun aber folgendes Positive: ich habe hervorgeho- ben, dass ich öfters — aber stets nur in sehr dünnen — Basalsäumen zahlreiche Fetttröpfehen angetroffen habe!). Dies zuerst bei Fleder- mäusen. „Die fetthaltigen Säume fanden sich immer nur an einer größern oder kleinern Reihe nebeneinander liegender Zylinderzellen ; hier sah dann die Zellenbasis wegen der geringen Dicke des Saumes und durch dessen Fettinhalt bei oberflächlicher Betrachtung wie ver- letzt, ich möchte sagen wie zerfressen aus (Fig. 18). — Dicht neben einer solchen resorbierenden Stelle kam nun häufig eine andere, an welcher die Basalsäume kein Fett enthielten, und diese Säume waren sämtlich etwa um das Dreifache dieker als die fetthaltigen (Fig. 15 bis 19 a. a. O.). Dasselbe Verhalten fand ich nun, nachdem ich es einmal erkannt hatte, auch bei anderen Tieren wieder, z. B. bei der Ratte. Immer enthielten nur sehr verdünnte Basalsäume Fett. — Diese dünnen Basalsäume nun fasste ich als gleichwertig auf mit der Schicht, welche ich als, wenn auch verdiektes, Basalstück der Zell- membran bezeichnet habe“. Demnach nahm ich an, dass der obere Teil des Basalsaumes zum Zweck der Resorption durch die Ver- dauungssäfte jeweils aufgelöst, der untere aber zum Durchtritt der Nährstoffe, bezw. des Fettes erweicht werde, wenn nicht in demsel- ben, wie dies Kölliker annahm, Poren sich befinden; in diesem Falle würden die Poren des übrigen Teils des Basalsaums wohl die Fort- setzung derselben sein, die Stäbchen aber als Kutikularausscheidung, welche zwischen den Poren stattfand, aufgefasst werden müssen. Gegen die Annahme von Poren in jener untersten Basalsaumschichte schien die Thatsache zu sprechen, dass das Fett dieselbe zuweilen 4) A. a. 0. $. 168, 169 Taf. V Fig. 15, 18, 19. 598 Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm, ununterbrochen erfüllt hat. Allein man kann dies vielleicht doch durch ein nachträgliches Zusammenfließen der feinsten Fettteilchen in einer an und für sich sehr weichen Membran nach deren Tode erklären. Bei Gelegenheit der Nachuntersuchung der v. Thanhoffer’schen Angaben fand ich nun aber wiederholt beim Frosch während der Re- sorption auf weite Strecken hin Fett in allerfeinster Verteilung auch in breiten Basalsäumen, und zwar in einer Anordnung, welche genau den Porenkanälchen entsprach; es waren die Kanälchen durch feinste Fettpartikelchen wie staubartig erfüllt. Unsere jetzigen guten Lin- sen werden vielleicht im stande sein, dieses Verhältnis häufiger er- kennen zu lassen. Auch jetzt habe ich niemals wirkliche Fetttröpfehen im Basal- saum finden können, und es ist anzunehmen, dass jene staubartig feinen Fettteilchen erst in den Epithelzellen selbst zu Tröpfehen zu- sammenfließen. Dass man aber solch feinst verteiltes Fett so selten im Basalsaum trifft, ist damit nicht erklärt, indess ist zweierlei mög- lich: entweder wird es in der Regel während der normalen Verdau- ungrasch durch die Poren desselben durchgleiten, oder es liegen die Ursachen des Befundes in den Umständen der Untersuchung. Was den letztern Punkt angeht, so findet bei Fröschen eine sehr starke Zusammenziehung des Darmes statt, sobald man Stücke desselben zum Zweck der Untersuchung ausschneidet. An derselben werden besonders auch die Zotten bezw. Schleimhautfalten beteiligt sein und sie werden durch ihre Muskelschichte auch dann noch eine Zusammen- ziehung erleiden, wenn man sie mit der flachgekrümmten Schere ab- schneidet, um sie unter das Mikroskop zu bringen. Jedenfalls ist es nieht unmöglich, dass durch diese Zusammenziehungen der Basalsaum entleert wird. Bei Warmblütern zieht sich der Darm schon infolge des Erkaltens in derselben Weise stark zusammen. — Auf der an- dern Seite spricht vieles für die zuerst ausgesprochene Auffassung, dafür, dass ein rasches Durchtreten des Fettes oder der Fettemulsion bezw. der Nährstoffe überhaupt in oben berührtem Sinne statthat. Denn es steht heute wie vor 15 Jahren die Frage, welche ich damals aufwarf: Warum tritt das Fett in solehen Massen, mit solcher Leichtigkeit in die Darmepithelzellen über, der Farbstoff nur in Aus- nahmefällen? — es steht diese Frage in innigster Beziehung zu der vom Verhalten des Basalsaums zu den Nährstoffen überhaupt. Die Lösung der letztern muss auch die der erstern bieten. Wie auf- fallend ist die frühe Trennung des in die Darmhöhle eingebrachten Farbstoffes von dem zugleich mit ihm eingebrachten Fette und das zähe Zurückbleiben des letztern! Einem Sieb haben die alten Schriftsteller die Darmschleimhaut verglichen, einem Sieb, welches nur die Nährstoffe durchlasse: Thatsache ist, dass das Darmepithel durchsiebt, dass es die unbrauchbaren Stoffe scheidet und zurück- hält. Von amöboider Zellenthätigkeit kennen wir bis jetzt ein Unter- Eimer, Fettresorption im Dünndarm und im Diekdarm. 599 scheidungsvermögen, welches dieselbe Aufgabe erfüllen könnte, nicht. Noch weniger würde sie durch die von v. Thanhoffer aufgestellten Einrichtungen erfüllt werden. Aber sie ist thatsächlich erfüllt: das Sieben, welches im Darm der höheren Tiere stattfindet, allerdings in einer Feinheit, von der man, als man diesen Vergleich zuerst machte, keine Ahnung gehabt hat, es stellt gegenüber der Arbeit amöboider Zellen, wie sie bei den niederen Tieren der Ernährung dient, einen Fortschritt dar, ähnlich dem der Leistung feinster Kochkunst gegen- über der rohen Nahrung des Feuerländers oder des Eskimo oder besser des Raubvogels, der seine Beute mit den Haaren verschluckt und diese als Gewölle wieder ausgibt. Und dieser Fortschritt er- scheint notwendig, entsprechend der feinen Ausbildung des höhern Organismus überhaupt, insbesondere auch seines Blutgefäßsystems. Ihm wiederum entsprechend, mit ihm im Zusammenhang sind bei den höheren Tieren die zur Lösung und zur feinern Verteilung der Nähr- stoffe dienenden Verdauungssäfte im weitesten Sinne des Wortes ver- vielfacht und vielfach wirksamer geworden!). Und endlich: warum treten die Nährstoffe nicht ein in die offenen Mündungen der Becherzellen ? Auch diese Frage findet ihre Erledigung, wenn wir uns den Ein- tritt der Nährstoffe in den Blutkreislauf bei den höheren Tieren ver- mittelt denken durch feinste Poren — wenn wir annehmen, dass der Basalsaum der Darmepithelien die physiologische Rolle spielt einer endosmotischen Membran, welche bei der Auswahl der durch sie hindurchtretenden Stoffe nicht allein passiv, sondern aktiv physika- lisch beteiligt ist. Nur die Poren in den äußeren Schichten des Ba- salsaumes sind sichtbar, die der inneren nicht und diesen letzteren mag ganz besonders jene Wirkung zukommen. So wies ich damals zur Beantwortung der Frage: Welches sind die Kräfte oder die günstigen Verhältnisse, die dem Fett den Uebertritt in die Zellen gegenüber anderen Körpern erleichtern? hin auf die Wistinghau- sen’sche Theorie, „welche zur Erklärung des Fetteintritts in die Zellen eine auf endosmotischen Vorgängen beruhende, durch die Galle ver- mittelte Verwandtschaft zwischen der Zellmembran und dem Fett an- genommen hat“ ?), auf deren nähere Aeußerung ich aber bier nicht eingehen will. Somit scheint mir bis heute keine Thatsache sicher festgestellt, welche die von mir damals angenommene Erklärung des Eintritts der Nährstoffe in die Epithelzellen des Darmrohres bei höheren Tieren unnötig machen und ersetzen würde — es sei denn die der interepithelialen Nahrungsaufnahme. Indess wird sich diese eben vielleicht im Sinne Wiedersheim’s (Wiedersheim a. a. ©. S. 14) als Ueberrest, als Erbstück alter Verhältnisse erweisen, ver- 1) Vergl. Wiedersheim a. a. 0. 8. 14. 2) Vergl. meine Abhandlung „die Wege des Fettes etc.“ 8. 173. 174. 600 öimer, Fettresorption im Dünndarm und im Diekdarm. mittelt durch amöboide Bindegewebszellen. Darüber muss die Zu- kunft entscheiden. Dass ich seitdem in einzelnen Fällen staubartig feine Nährstoffe in den Poren der oberen Basalsaumschiehten gesehen habe, lässt meine frühere Annahme von der Auflösung derselben zum Zweck der Ermöglichung der Thätigkeit der unteren nicht nötig er- scheinen — wenn ich nun aber bei meinen neueren Untersuehungen wiederum den Basalsaum während der Resorption sehr dünn ange- troffen habe, so bemerkte ich, dass dies eben dann der Fall war, wenn die Schleimhaut sich im höchsten Stadium der Erfüllung mit Fett befand, dann, wenn die Epithelzellen ganz satt mit Fetttröpfehen er- füllt waren !): es ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die betreffende Erscheinung zu erklären sei durch die Spannung, welche die Schleimhautoberfläche in jenem Zustand erleiden mag. Zuletzt möchte ich nicht vergessen zu erwähnen, wie meine Befunde und Schlüsse sich zu den Angaben Wiedersheim’s über Aufnahme der Nährstoffe durch amöboide Bewegung der Darmepithelzellen bei niederen Amphibien stellen: die Bestätigung der letzteren würde nur das Vorkommen eines Prozesses, welcher thatsächlich bei wirbellosen Tieren besteht, bis in die Reihen der Wirbeltiere hinauf beweisen, ohne dass dadurch die Prinzipien der Frage berührt würden. Dann würde aber ein Auswählen der Nährstoffe durch die Darmepithelzellen bei jenen Wirbeltieren kaum angenommen werden dürfen, wie denn Wiedersheim selbst die Aufnahme schwarzen Farbstoffes in die- selben bei seinen kleinen Haifischen — für den Fall der Bestätigung dieser Aufnahme — gradezu als Beweis für amöboide Thätigkeit ihrer Darmepithelien in Anspruch nimmt). Dass amöboide und endosmotische (oder koskinetische d.i. sieb- artige ?) epitheliale Aufnahme der Nährstoffe bei einer und der- selben Tierklasse, den Amphibien, vorkäme, könnte nicht überraschen, denn irgendwo muss die letztere doch zuerst auftreten — es würde aber noch weniger überraschen, wenn sich die interepitheliale Re- sorption, welche sogar bei den höchsten Wirbeltieren, bei Säugetieren vorkommt, als eine amöboide — und somit als Ueberrest, als Erb- stück aus uralter Zeit — thatsächlich sollte feststellen lassen. Eiland Rottum, 22. Sept. 1884. 1) In solchen Fällen habe ich kürzlich wieder Resorption des Fettes selbst im Mastdarm beim Frosch beobachtet, welcher sogar schon mit bloßem Auge durch weißliche Färbung der Mastdarmwand bei äußerer Betrachtung dersel- ben sich zu erkennen gab (nach starker künstlicher Oelfütterung). 2) Wiedersheim a. a. 0. S. 10. 3) To x00xıvov das Sieb. xooxıvosıdys siebähnlich. Bemerkung: Die nächste Nummer unseres Blattes wird eine hieran an- schließende Arbeit von Dr. Emil Brand in Leipheim bringen, „Die Chylus- resorption in der Dünndarmschleimhaut“. Red. d. Biol. Ctbl. Pouchet, Unschädlichkeit des trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches. 601 Die Unschädlichkeit des trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches. _ (Uebersetzt aus Revue scientifique Bd. 33 Nr. 9.) In einer Sitzung der Biologischen Gesellschaft zu Paris konnte Herr Deprez, Aufsichtsbeamter des Schlachthauses zu Paris, Ratten vorzeigen, welche länger als 3 Wochen mit im Lager- haus von Batignolles konfisziertem amerikanischem Fleisch ge- füttert worden waren. Diese Ratten befanden sich in vollkommen gesundem Zustande. Zugleich zeigte Herr Deprez Fleischstückehen von vorzüglichem Aussehen vor, die zur Ernährung derselben gedient hatten, sowie mikroskopische Präparate von diesem Fleisch, worin eingekapselte Triehinen zahlreich vorhanden waren. Die Leser werden uns vielleieht Dank wissen, wenn wir ihnen die ersten Phasen dieser amerikanischen Schweinefleischangelegenheit ins Gedächtnis zurückrufen, die kürzlich von der medizinischen Aka- demie infolge der Sendung der Herren Brouardel und Grancher nach Deutschland und des von Herrn Brouardel erstatteten Berichts endgiltig abgeschlossen ist. Es ist bekannt, dass die medizinische Akademie mit Stimmeneinheit, abgesehen von einer Stimme, sich da- hin ausgesprochen hat, dass der Genuss des amerikanischen Fleisches keine ernste Gefahr für den allgemeinen Gesundheitszustand in sich berge, und dass folglich weder die erlassenen Verbote, noch die seit 3 Jahren angewandten oder vorgeschlagenen Vorsichtsmaßregeln für die Zukunft Wert hätten. Das hieß doch offen verkündigen, dass man bis jetzt auf falschem Wege sich befunden habe, wenn man dieses Fleisch für gesundheits- gefährlich hielt. Nun ist es nieht ohne Interesse heute zu konstatieren, dass von Anfang an die Lehre von der Unschädlichkeit des amerikanischen Fleisches überzeugte Verteidiger gefunden hat und durch hunderte sowohl in Paris, als auch in der Provinz gemachte Versuche erprobt worden ist. Man kann mit Recht sich darüber wundern, dass die Regierung nicht früher sich darum bekümmert hat, zwischen zwei so klar ausgesprochenen Ansichten durch eine gelehrte Körperschaft oder irgend eine kompetente Kommission eine Entscheidung treffen zu lassen. Man würde auf diese Weise viel Streit, sehr beträcht- liche Ausgaben und vor allem Schwierigkeiten in den Handelsbe- ziehungen Frankreichs zum Auslande, von denen dasselbe noch nicht ganz frei ist, vermieden haben. Gegen Ende Januar 1881 arbeitete ein Schlachthausinspektor, Herr Rebourgeon, der augenblicklich beauftragt ist, Tierarznei- schulen in Brasilien zu errichten, im histologisch-zoologischen La- boratorium der Sehule für höhere Studien (&cole des hautes &tudes), der vorzustehen Herr Professor Robin und ich die Ehre haben. 602 Pouchet, Unschädlichkeit des trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches. Es war damals viel die Rede von triehinösem Fleisch, welches man in Lyon und anderen Orten Frankreichs konfisziert hatte. Herr Rebourgeon vermutete natürlich, dass die Trichine nicht weniger zahlreich in dem ins Lagerhaus von Batignolles zugeführten und dort in beträchtlicher Menge verkauften Schweinefleisch vor- kommen müsste. Nachdem Herr Rebourgeon die Parasiten in mikroskopischen Präparaten zu untersuchen gelernt hatte, die ihm von Herrn Me&gnin, Tierarzt bei der Armee und bekannt durch seine schönen Arbeiten über Eingeweidewürmer, zur Verfügung gestellt waren, hatte er nur wenig Mühe sich davon zu vergewissern, dass der beträchtliche Vorrat des in Batignolles lagernden amerikanischen Fleisches tri- chinenhaltig war. Teile von diesem Fleisch wurden in unser Labora- torium gebracht, dessen Direktoren sofort den Polizeipräfekt benach- richtigen zu müssen glaubten (Mitte Januar 1881) „von einem Um- stand, welcher — so sagten sie — die volle Aufmerksamkeit der Regierung erfordere, aber bei dem man sich wohl hüten müsste, die Gefahr zu übertreiben, besonders in Rücksicht auf die kulinarischen Gewohnheiten der Pariser.“ Ohne Zeit zu verlieren benachrichtigte der Polizeipräfekt den Handelsminister hiervon in einem Briefe vom 31. Januar (vergl. den „Bericht“ des Herrn Wurtz an den Senat). Mittlerweile hatte Herr Rebourgeon, unterstützt durch Hern Dr. Huet, beigeordnetem Direktor des histologisch -zoologischen La- boratoriums, mit Versuchen begonnen. Ratten bekamen als erste Nahrung trichinösen Speck, herrührend von den in Lyon durch Herrn Leeler bewirkten Konfiskationen. Vom 1. Februar an wurden sie mit Fleisch gefüttert, welches in Paris mit Beschlag belegt war, z. B. eingepökelte Lendenstücke, gesalzene Brust- und Schulter- stücke — alles Fleisch, bei dem die Zubereitung oder das Einsalzen vor höchstens 3 Monaten geschehen war. Diese erste Reihe von Ex- perimenten fiel durchaus negativ aus, wie übrigens alle folgenden. Sie wurde der „Biologischen Gesellschaft“ am 12. März 1881 mit- geteilt und in den Sitzungsberichten veröffentlicht. Die Herren Re- bourgeon und Huet hatten sich nieht damit begnügt, den Gesund- heitszustand dieser Ratten festzustellen: sie hatten dieselben getötet, um mit Muße sowohl alle gänzlich von Parasiten frei gebliebenen Muskeln als auch den Darm zu untersuchen, worin sie teils mehr oder weniger verdaute Triehinen vorfanden, teils noch lebend und in der Entwicklung oder Vermehrung begriffen. Das Seltsamste ist dass Herr Rebourgeon selbst mehr überrascht gewesen zu sein scheint von dem durch ihn konstatierten Ergebnis als irgend einer, dergestalt, dass er in dieser ersten Mitteilung nicht wagt, die Un- schädlichkeit des verwendeten Fleisches zu versichern. Aber er setzt seine Versuche fort und wird sich bald überzeugen lassen müssen. Pouchet, Unschädlichkeit des trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches. 605 Das triehinenhaltige Fleisch amerikanischen Ursprungs war dank der bewirkten Besehlagnahmen in unserem Laboratorium im Ueber- fluss vorhanden. Drei neue Tierserien wurden zu Versuchen ver- wendet: Ratten, Meerschweinchen und Kaninchen, deren große Em- pfänglichkeit für die Trichine seit langer Zeit erwiesen ist. Diese Tiere erhielten besonders Fleisch, welches von einer Sendung des Hauses Fowler in Chieago, von Sendungen aus Cineinnati und New- York herrührte, kanadischen Ursprungs war oder über England nach Frankreich gelangt war. Neben diesen regelrecht fortgesetzten Ver- suchen geschah noch ein anderer, von dem man erst später Kenntnis erhielt. Man entdeekte nämlich, dass im Laboratorium gehaltene Hunde mit amerikanischem Fleisch gefüttert worden waren, wodurch sich, da es ihnen nichts kostete, die mit ihrem Unterhalt (Wartung) beauftragten Diener Vorteil verschafft hatten. Es kam sogar vor, dass einer dieser Diener, Namens & ...., zuversichtlich gemacht, nicht mehr zauderte, heimlicherweise seinen Teil vom besten Schinken zu verzehren. G ...ist in der Pitie an einer Lungenentzündung gestorben, 19. Juni 1882, 7 Uhr abends, und ist am 21., zwischen 8 und 9 Uhr morgens, beerdigt worden. Ich wurde zu spät davon benachrichtigt, um den dirigierenden Arzt zu bitten, aufmerksam dessen Muskeln zu untersuchen, wie ich mir vorgenommen hatte, um darin nach trichinösen Kapseln zu forschen. Herr Rebourgeon hat alle seine Versuche und auch die vor- hergehenden Thatsachen vom Dezember 1881 an in einer Tabelle veröffentlicht, welche die Syndikatskammer für den Handel mit ameri- kanischem Sehmalz und Pökelfleisch in Bordeaux in einer großen Anzahl Exemplare verteilen ließ. Zu derselben Zeit, als diese Versuche in Paris angestellt wurden, wurden andere in verschiedenen Städten der Provinz gemacht. In Rouen war seit dem Monat Mai infolge einer Entscheidung des Bürgermeisters eine Kommission eingesetzt, um den Zustand des trichinenverdächtigen Fleisches ausländischen Ursprungs zu unter- suchen. Die Versuche wurden angestellt durch Herrn Dr. Pennetier, Verfasser einer Schrift über die Triehinen und die Triehinosis, welcher schon 1865 einen Bericht über die bekannte Epidemie von Haders- leben, die bekanntlich 101 Opfer forderte, veröffentlicht hat; es ist die schrecklichste, die man kennt. Herr Pennetier machte seine Versuche an Ratten und Kaninchen mit neun Stückchen trichinösen geräucherten Schinkens '). Herr Pennetier setzte bis zum Monat September seine Versuche immer mit demselben Resultat fort. 1) Das übrigens vollständig negative Resultat seiner Forschungen wurde der „Biologischen Gesellschaft“ in ihrer Sitzung vom 14. Mai mitgeteilt und in ihren Berichten veröffentlicht. (Notiz über die Unschädlichkeit gewisser trichinöser Fleischsorten.) 604 Pouchet, Unschädlichkeit des tricehinenhaltigen amerikanischen Fleisches. Zu Marseille war schon am 24. Februar ebenfalls eine Kom- mission ernannt worden und Herr Professor Marion hatte ebenfalls Versuche angestellt. „Ich habe“, so schrieb er uns, „drei Monate lang zwei weiße Ratten mit konfisziertem trichinösem Fleisch ge- füttert, der größte Teil dieses Fleisches enthielt zahlreiche Kapseln dieser Nematoden. Die beiden Ratten (eine männliche und eine weib- liche) haben mehr wie zwei Kilogramm trichinösen Schinken und Speck gefressen. Als alles verzehrt war, warf das Weibchen acht Junge. Die Alte und die Jungen befanden sich drei Jahre nachher noch wohl. Ich habe eine Autopsie nur bei den Jungen vorgenommen, aber die Alten, die das trichinöse Fleisch gefressen hatten, blieben eben so gut am Leben wie die Jungen, und ich kann sagen, dass diese Kost ohne Gefahr für dieselben gewesen ist.“ Während alle diese übereinstimmenden Erfahrungen von ver- schiedenen Seiten gemacht und veröffentlicht waren, sprachen sich mehrere Mitglieder der medizinischen Akademie und zwar die am meisten dazu berechtigten, Herr Colin, Professor im Alfort, der be- rühmte Herr Davaine, dem man die Entdeekung der Milzbrand- Bakterie verdankt, ferner Herr J. Gu&rin in der Sitzung am 22. Fe- bruar 1881 ihrerseits entschieden für die Unschädlichkeit des ameri- kanischen Fleisches und gegen den Nutzen von Einfuhrverboten sei- tens der Regierung aus, ferner erklärten sie, dass kein Fall von Trichi- nosis unter der Bevölkerung von Paris angezeigt worden war. Man hatte in der That nicht nur niemals in Paris diese Krankheit beobachtet, sondern man entdeckte sie auch später nicht, als man wusste, dass tau- sende Kilogramm von trichinösem Fleisch konsumiert worden waren. Sobald das Gerücht von dem Vorhandensein dieses Fleisches auf den Pariser Märkten sieh verbreitet hatte, hatte im den Hospitälern ein jeder der Triehinosis nachgeforscht. Die Triehinose ist eine wohlbekannte, ausführlich beschriebene Krankheit; es ist äußerst wenig wahrscheinlich, dass irgendwann diese Krankheit der Aufmerk- samkeit eines Aerztekollegiums der Hospitäler entgehen konnte. Aber man kam dem zuvor, man suchte; es gab keinen Mediziner keinen Direktor einer Klinik, keinen Assistenzarzt, der nicht begierig gewesen wäre, die Anwesenheit dieser Krankheit anzukündigen und zuerst die Aufmerksamkeit der gelehrten Gesellschaften darauf zu richten; aber trotz dieser enormen Achtsamkeit auf die Entdeckung einer Krankheit, deren Symptome vollkommen bekannt sind, gelang es in Paris nicht, einen Fall zu konstatieren. Man kann versichern, dass in Paris während der letzten drei Jahre keine Person an Trichi- nosis gestorben ist trotz des beträchtlichen und dauernden Verbrauchs amerikanischen Fleisches. Wenn die Regierung wenig geneigt schien darauf zu hören, was in der medizinischen Akademie gesprochen wurde, so fanden die Vor- stellungen der Handelskammern bei ihr keinen bessern Glauben. Pouchet, Unschädlichkeit des trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches. 605 Schon am Beginn des Jahres rührten sich die Syndikatskammern, namentlich die von Marseille, Havre und Bordeaux; zahlreiche von ihnen gesandte Deputationen hatten mit dem zuständigen Minister Zusammenkünfte gehabt, bei welchen mehr als einmal auf die sowohl im Laboratorium der Schule für höhere Studien zu Paris, als auch in der Provinz durch die Herren Penuetier, Marion u. s. w. ange- stellten Versuche hingewiesen wurde. Die Regierung erklärte, sie sei darüber genügend unterrichtet. Damals, als das Ministerium Gambetta (24. November 1881) ans Ruder kam, schien es einen Augenblick, als ob die Lage sich ändern würde. Herr Felix Faure, Unterstaatssekretär im Handels- ministerium, der von den Untersuchungen des Herrn Rebourgeon Kenntnis erhalten hatte, erbat sich eine Erklärung von uns, welche als Anfangspunkte toleranter Grundsätze, die von allen Seiten nach- drücklich verlangt wurden, dienen könnte, und welche die neue Regierung auf den Handel mit amerikanischem Fleisch anzuwenden sich vornahm. Diese Erklärung lautete folgendermaßen: „In Erwägung, dass von dem Tage an, wo das trichinöse Schweine- fleisch von einem Studierenden unseres Laboratoriums auf dem Markte von Villette zuerst untersucht worden war, dieses Fleisch in Ueberfluss vorgefunden und dass es folglich schon seit einiger Zeit von der Be- völkerung von Paris konsumiert worden war — „In Erwägung, dass schon vor dieser Zeit die Aufmerksamkeit der Professoren und der Direktoren der Kliniken, aller Hospitalärzte und Assistenzärzte auf diesen Punkt gerichtet gewesen war und dals es unmöglich (inadmissible) ist, dass eine vollständig bekannte und beschriebene Krankheit ihrer Diagnose und Autopsie entgangen wäre, dass man trotz alledem in den Pariser Hospitälern keinen Fall von Trichinose entdeckt hat, der dem importierten amerikanischen Fleisch zugeschrieben werden kann — „In Erwägung ferner, dass, wenn die summarischen Ergebnisse der Versuche mit den Meerschweinchen haben gewonnen werden kön- nen, andere zu verschiedenen malen wiederholte und in allen ihren Einzelheiten beschriebene Versuche mit in Villette konfisziertem Fleisch sowohl in unserem Laboratorium mit Ratten, Mäusen, Hunden, Meerschweinchen, als auch dureh Herrn Dr. Pennetier, Direktor des städtischen Laboratoriums zu Rouen, mit Kaninchen und Ratten fortgesetzt —, dass aber in keinem Fall diese Tiere von der Tri- chinosis befallen worden sind —, dass, wenn das Versuchsfleisch bisweilen Trichinen in unzählbarer Menge enthält, man doch, sobald man die zur Speisung dienenden Stoffe im Darme untersucht, die Ueberzeugung gewinnt, dass diese Trichinen nicht zunehmen, kein Geschlecht annehmen, sich nicht vermehren, sondern im Gegenteil dahinsiechen und verdaut werden; dass sie folglich im Schweinefleisch schon tot sind — 606 Pouchet, Unschädlichkeit des trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches. „In Erwägung endlich, dass es stets möglich sein wird, einen ent- scheidenden und unwiderlegbaren Beweis davon zu liefern, dass diese Trichinen bereits tot sind, indem man mit dem verdächtigen Fleisch eine gewisse Anzahl junger Schweine unter solchen Umständen füttert, die alle erfahrungsmäßige Garantie bieten; dass man aber von jetzt an überzeugt sein kann, dass ein solcher Versuch stets negativ ausfallen wird: „Aus diesen Gründen und indem wir alle etwa möglichen Aus- nahmefälle uns vorbehalten, wie z. B. wenn ein Irrtum über den Ur- sprung des Versuchsfleisches entstehen könnte, eine unzulängliche Zubereitung u. s. w., kommen wir zu folgenden Schlüssen : 1) dass, sowie die Sachlage jetzt ist, der allergrößte Teil, wo nicht die Gesamtheit des verbrauchten amerikanischen Fleisches gänz- lich unschädlich gewesen ist; 2) dass dieses Resultat nicht ausschließlich dem starken Kochen, wie es in den Pariser Küchen üblich ist, zuzuschreiben sein würde, weil beim allergrößten Teil oder bei der Gesamtheit dieses Fleisches die Parasiten bereits tot sind, wie es die Versuche zeigen; 3) dass man unzweifelhaft dieses Resultat der Art und Weise der Behandlung und der seit dem Schlachten des Tieres verflossenen Zeit zuschreiben kann; 4) dass folglich das in Frage stehende Fleisch, wenn es auch immer natürlich von geringer Qualität bleibt, keine Gefahr für den allgemeinen Gesundheitszustand bilden wird, um so weniger, wenn das Fleisch dem in Frankreich gebräuchlichen Kochen unterworfen worden ist“. Die neuen Anordnungen der Regierung schienen sich noch einige Zeit nach dem Sturze des Ministeriums Gambetta zu behaupten. Man gestattete, dass gut eingesalzenes Fleisch, welches dem im Handel mit dem englischen Ausdruck „fully eure“ bezeichnetem Muster entsprach, ohne irgend eine andere Formalität, als den Nach- weis des genannten Zustandes in Frankreich importiert werden konnte. Das Gesetz, welches diese neue Einrichtung bestätigte, wurde am 28. März 1882 von der Deputiertenkammer genehmigt; die Bericht- erstattung im Senat wurde Herrn Wurtz anvertraut, der mit großer Unparteilichkeit die gegenwärtigen Ansichten darlegte und keinen der Beweise ausließ, auf welche die Regierung während eines ganzen Jahres scheinbar so wenig Wert gelegt hatte. Er fügte noch die Ansicht des Herrn Vulpian, eines bedeutenden Professors der me- dizinischen Schule, hinzu, der ihn zu der Erklärung autorisiert hatte, dass auch er Ratten und Kaninchen in seinem Laboratorium mit trichinösem Fleisch gefüttert habe, ohne dass diese an der Trichinose erkrankt wären. Alles schien also in Ordnung zu sein, als man am Anfang des vorigen Jahres (1883) vernahm, dass, wenn man nicht mehr über Pouchet, Unschädlichkeit des trichinenhaltigen amerikanischen Fleisches. 607 mikroskopische Untersuchung sprach, es sich jetzt wieder darum han- delte, das von Amerika importierte Fleisch einem kostspieligen Ge- frierungsverfahren zu unterwerfen, um alle Triehinen, von denen man noch immer annahm, dass sie sich in lebendem Zustande in demselben befänden, in sicherer Weise zu töten. Der gesamte Handelsstand geriet von neuem in Aufregung (vergl. das Schreiben der Syn- dikatskammer des Handels mit amerikanischem Schmalz und Pökelfleisch an das Handelsministerium, 4. April 1883), während man neue Konfiskationen vornahm: alles schien wie- der in Frage gestellt. Um die Angelegenheit wieder aufihren wahren Standpunkt zu bringen, musste erst eine heftige Triehinosis-Epidemie in Deutschland ausbrechen und die Herren Brouardel und Gran- cher erst den Auftrag erhalten, sie daselbst zu studieren. Das Uebrige weiß man. Es wurde bewiesen und in der überzeugendsten Weise dargethan, wie kein Fall von Trichinosis in Paris beobachtet worden ist, dass das Vorhandensein von eingekapselten Trichinen in dem amerikanischen Speck — wenn man annimmt, dass einige dieser Würmer noch gelebt haben, was allerdings wenig wahrscheinlich und bis jetzt noch nicht bewiesen ist — in keiner Weise für den allge- meinen Gesundheitszustand eine Gefahr bildet, die irgendwelches Ein- schreiten auf gesetzlichem Wege erfordert. Dieses Ereignis gibt also nach drei Jahren allen denen recht, die von Anfang an die Unschäd. lichkeit dieses Fleisches behauptet und durch Versuche bewiesen haben. Man hat auch ohne Zweifel entgegengesetzte Experimente ge- liefert. In seinem Bericht an den Senat macht Herr Wurtz auf solche der Herren Johannes Chatin, Libon und Fourment auf- merksam. Es ist ein Prinzip in der Physiologie, dass ein jedes Ex- periment einen inneren Wert hat. Ein Experiment, sagt Claude Bernard, beweist immer etwas; aber ein Widerspruch hätte, so scheint es, genügt, um der Regierung die strenge Verpflichtung auf- zuerlegen, über eine Frage von so großer Bedeutung für unsern Na- tionalhandel eine genaue Untersuchung anzustellen. Sie hätte nur die Auswahl unter den Sachverständigen gehabt, wenn sie dieselbe der Akademie der Wissenschaften, der medizinischen Akademie oder dem Gesundheitsausschuss überlassen hätte. Sie wäre gut beraten gewesen, indem sie sich von vornherein hinter die große Autorität dieser gelehrten Körperschaften verschanzt hätte. Sie sind nicht zu Rathe gezogen worden oder sie sind es nur spät, und man kann heute berechnen, was es gekostet hat. Wir sind übrigens nicht am Ende der Schwierigkeiten, in die man sich verwickelt hat, und man wird auf die Angelegenheit noch wieder zurückkommen. Das aber gibt den neuen Versuchen des Herrn Deprez, die er mit dem zuletzt im Lagerhaus von Batignolles im Frühjahr dieses Jahres konfiszierten, trichinösen Fleisch gemacht hat, doppelte Wichtigkeit. 608 Seler, Notiz über Regenwürmer. Sie stimmen in allen Punkten mit den vor drei Jahren durch Herrn Rebourgeon am Tag nach der ersten Konfiskation gemachten überein. Sie beweisen wieder einmal, dass, wenn unter der Bevöl- kerung von Paris niemals ein einziger Fall von Triehinosis beobachtet worden ist, dieses nicht allein an den kulinarischen Gewohnheiten der Franzosen liegt, sondern daran, dass die Trichinen, wenn deren im amerikanischen Speck vorhanden sind — und sie fehlen gar nicht darin — tot, vollkommen tot sind. Es würde heute noch von Interesse sein, im Handel befind- lichen Speck oder Schinken von nachweisbar ameri- kanischen Ursprung aufzufinden, worin noch lebende Trichi- nen vorkommen. Wir unserseits glauben, dass, wenn etwa das Faktum bewiesen werden sollte ohne jeglichen Grund eines etwa möglichen Irrtums, es eben durch seine Seltenheit eines der in- teressantesten sein würde, und wir die ersten sein würden, die auf dasselbe aufmerksam machten. G&. Pouchet. Notiz über Regenwürmer. In seinem bekannten letzten Werke über die Regenwürmer gibt Darwin an (S. 120), dass Würmer in allen Teilen der Welt gefunden werden und aut den isoliertesten Inseln vorkommen. Sie leben in Massen auf Island und sind bekannt von Westindien, St Helena, Madagaskar, Neu-Kaledonien und Tahiti. In dem antarktischen Gebiet wurden Regenwürmer von Kerguelen-Land durch Ray Lankester beschrieben. Darwin selbst hat sie auf den Falklandsinseln gefunden. — Da ist es nun eine interessante Thatsache, dass, wie Rob. Miller Christy aus Chigual St. James bei Chelmsford an den Herausgeber der Nature schreibt (Nr. 740 Jan. 3 1884), in Manitoba und den kanadischen Nordwest- territorien, d. h. also in dem ganzen Gebiet zwischen dem Winnipeg und den Rocky Mountains, Regenwürmer zu fehlen scheinen, während sie nicht weit da- von zu Toronto und in anderen Teilen am Ontario massenhaft vorhanden sind. Der Briefschreiber möchte den regelmäßig Jahr für Jahr über enorme Teile des Gebiets sich erstreckenden Präriebränden die Schuld daran zuschieben. Er findet, dass in demselben Gebiet auch Landschnecken absolut fehlen, wäh- rend Bäche, Ströme und Teiche von Süßwasserschnecken wimmeln. Der Ab- wesenheit der Regenwürmer schreibt der Briefschreiber es zu, dass die Massen von Diluvialgeschieben, die über der Fläche zerstreut sind, nicht schon längst unter dem Erdreich vergraben sind, desgleichen Schädel und Gerippe von Büf- feln, die in solchen Massen auf der Prärie vorkommen und daselbst offenbar schon lange Zeit gelegen haben. Der Briefschreiber beruft sich betreffs der Richtigkeit seiner Behauptung auf eigne Beobachtung, auf die Angaben der Ansiedler und auf das Zeugnis Leo Royer’s, der mit den Ingenieuren der Canadian Pacifie Railway mehrere Jahre in diesem Gebiet sich aufgehalten hat. Ed. Seler (Berlin). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. = Druck von Junge & Sohn in Erlangen. biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess wnd Dr E Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 94 Nummern von je 3 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band 15. December 1884. Nr. 20. glykogene Funktion der Leber und ihre Bedeutung für den Stoffwechsel. — Düsine, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses bei der Vermehrung von Menschen, Tieren und Pflanzen. — Sehlechter. Ueber die Ursachen, welche das Geschlecht bestimmen. — Albrecht, Vergleichend anatomische Mitteilungen. — Wollny, Ueber die Thätigkeit niederer Organismen im Bo- den. — Strasbureer, Das botanische Praktikum. — Utricularia vulgaris als Schädiger der Fischbrut. — Bjeletzky, Zur Physiologie der Fischblase. — Kellermann, Ueber das Vorkommen von Dopplerit im Fichtelgebirge. — Zopf, Die Pilztiere oder Schleimpilze. Die Chylusresorption in der Dünndarmschleimhaut. Von Dr. Emil Brand, praktischer Arzt in Leipheim bei Günzburg a. D.). Während die bisherigen Untersuchungen über Resorption von Fettsubstanzen meist des Froschdarmes als Untersuchungsobjekt sich 1) Nachdem der Herr Verfasser vor 10 Jahren in Würzburg bei mir über den Gegenstand zu arbeiten angefangen hatte und in der Arbeit durch meine Abberufung von Würzburg unterbrochen worden war, hat er dieselbe später als praktischer Arzt wieder aufgenommen und übergab mir, zufällig als ich mei- nen Aufsatz über Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm für das Biologische Centralblatt (vgl. dessen vorige Nummer) ebenabsendete, die hier folgenden Ergeb- nisse seiner Bemühungen. Diese kann ich nach mir von Herrn Dr. B. vorgelegten Präparaten im wesentlichen bestätigen, soweit sie sich nicht, was für die Wege des Fettes im Zottengewebe gilt, mit meinen eignen Angaben an sich decken. Die Methode des Herrn Dr. B. zeigt insbesondere, dass seine An- sicht über die Lage der Zottenmuskulatur richtig ist; sie führt die Epithe- lialauskleidung des zentralen Chylusgefäßes gut vor Augen und weist nach, dass diese aus großen platten Zellen besteht, deren Infiltration mit Fett während der Resorption jedoch näher zu beweisen wäre. Wichtig sind auch für den Stand der Frage gewiss die Nachrichten über die Resorptionsthätig- keit der Lymphzellen. Tübingen im November 1884. Eimer. 39 610 Brand, Die Chylusresorption in der Diünndarmschleimhaut. bedienten, habe ich mich bemüht, an den Zotten der höheren Säuge- tiere direkt die Wege des Chylus bis zu seinem Eintritt in das zen- trale Chylusgefäß aufzufinden. Nach verschiedenen Versuchen zeigte sich die Dünndarmzotte des Kalbes als die geeignetste für diese Zwecke. Untersucht man eine solche Zotte in ganz frischem Zustande während der Chylusresorption bei starker Vergrößerung, so sieht man die feinen Körnchen der Chylusmasse am Epithelialsaum der Zotte in lebhafter molekularer Bewegung begriffen, wobei ich eine Bewe- gung der Epithelzellen selbst nie wahrnehmen konnte. Die letzteren sowie das Parenehym der Zotte sind mit Chylusmasse gefüllt, die sich innerhalb des Chylusgefäßes ebenfalls in lebhafter molekularer Be- wegung befindet; das Schleimhautparenchym lässt keinerlei Bewegung der Chyluskörnchen erkennen. Der Darm wird behufs weiterer Untersuchung in 1 °/, Chrom- säurelösung gebracht und darin einige Monate erhärtet. Man trennt von dem erhärteten Darm alsdann einige Zotten mittels der ge- krümmten Schere und bringt dieselben in eine ziemlich konzentrierte wässerige Lösung von Säurefuchsin mit einigen Tropfen Essigsäure- zusatz, worin sie 12 Stunden liegen bleiben. Hierauf werden sie in Wasser und von da mit Glyzerin auf den Objektträger gebracht und mit einem Deckgläschen bedeckt. Führt man alsdann mit der Prä- pariernadel leise Schläge auf das Deckgläschen, wobei man jedesmal einen leichten Druck ausübt, so kann man mit einiger Uebung das ganze Parenchym der Zotte in seine einzelnen Teile zerlegen und ge- winnt einen Einblick in die Zusammensetzung der ganzen Zotte, wie es bei anderer Behandlungsweise kaum gelingt. Zunächst platzt der Epithelialmantel der Zotte und lässt den eigentlichen Schleimhautzylinder frei; bei weiterer Fortsetzung des Verfahrens (das am besten unter dem Präpariermikroskop ausgeführt wird) entweichen zahlreiche Iymphoide Zellen, weiterhin zerreißt der Schleimhautkörper und es zeigt sich gewöhnlich der Inhalt des Chy- lusgefäßes in Gestalt eines oben abgerundeten Zylinders aus koagu- lierter Chylusmasse, die hie und da einige Iymphoide Körperchen enthält. Sehr schön repräsentiert sich das eigentliche eytogene Ge- webe der Zotte, dessen Kerne beim Kalbe eine charakteristische, läng- lich ovale Form mit beiderseitig zugespitzten Enden darbieten. Die losgelösten Stücke des cytogenen Gewebes sind meist von Kapillaren begrenzt, deren Kerne den soeben beschriebenen sehr ähnlich sehen, sich jedoch durch die abgerundeten Enden unterscheiden (Fig. 1). Ferner kann man beträchtliche Abschnitte der Wand des zentralen Chylusgefäßes isolieren, welche dann eine vollkommen geschlossene Membran von feingranulierter Beschaffenheit darstellen, auf welcher sich von Strecke zu Strecke große rundliche Kerne mit mehreren Nucleoli zeigen — die Kerne der Plattenepithelien (deren mit Silber darstell- Brand, Die Chy lusresorption in der Dünndarmschleimhaut. 611 bare Begrenzungslinien bei dieser Behandlungsweise nicht sichtbar sind — Fig. 2). Fig. 1. Ein Stück Schleimhaut aus einer Zotte. Cytogenes Bindegewebe und Blutgefäßkapillaren. a) Kerne der Kapillaren. b) Kerne des Bindegewebsnetzes. A AN ro des Bindogeweh None c) ein Iymphoides Körperchen. b 7 ON Aa AN I Dicht an der Gefäßwand des Zentralchylusgefäßes und anscheinend mit derselben verwachsen laufen die glatten Muskel- fasern der Zotte in der Längsrichtung. In der Basis der Zotte zahl- Fig. 2. Ein Teil der Wand des zentralen Chylusgefäßes aus dem mittlern Teil der Zotte mit Muskelzellen. a) Wand des Chylusgefäßes. b) Kerne desselben. c) Kerne des adenoiden Gewebes. reicher, liegen sie mit den Spitzen an einander verkettet in langen Strängen, während sie in der Spitze der Zotte vereinzelter vorkommen, kürzer und schmäler werden und teilweise in schiefer Richtung ver- laufen. Mit den benachbarten Muskelzellen und dem umgebenden eytogenen Gewebe sind sie durch zarte, von der Seite ausgehende Fasern verbunden (Fig. 2). Wenden wir uns nach obiger Beschreibung der gewöhnlichen anatomischen Verhältnisse zur Betrachtung der (gewöhnlich allein) mit Chylus infiltrierten Spitze der Zotte. Hiezu kann man die mit Chrom- säure erhärteten Teile einige Zeit in Osmiumsäure legen, bis Schwarz- färbung der Chylusmassen eintritt. Doch sind die zu schildernden Verhältnisse auch bei Behandlung mit Säurefuchsin, mit Chlorgold und sogar ohne jede andere Färbung schon an Chromsäurepräparaten zu beobachten. 33% 612 Seegen, Die glykogene Funktion der Leber. Vor allem ist es auffallend, dass das mit Chylus imbibierte Pa- renchym viel schwerer zu isolieren und zu zertrümmern ist, als die nieht infiltrierten Teile. Bei einiger Uebung gelingt dies jedoch eben- falls, und man sieht alsdann das gesamte Parenchym der Zot- Fig. 3. Ein Stück der mit Chylus infiltrierten Zottenspitze. a) Kerne der Kapillaren. b) Kerne des adenoiden Gewebes. Sämtliche Abbildungen bei 420facher Vergrößerung (Leitz, Obj. 7 Okul. I). tenspitze, sowohl die Bälkchen, als die Maschen des Re- ticulums gleichmäßig mit feinkörniger Chylusmasse in- filtriert, nur die Kerne und Kapillargefäßlumen sind frei. Auch die innerhalb der Maschen des Retieulums liegenden Iymphoiden Zellen erscheinen mit Ausnahme ihres Ker- nes von Chylusmasse imbibiert. (Fig. 3). Dabei ist der koagulierte Chyluszylinder im Innern des Chylus- gefäßes vollkommen glatt besonders an seiner kegelförmigen Spitze zu isolieren, und da derselbe im Abguss die Gestalt der Chylushöhle gleichsam als natürliche Injektion darstellt, so ist von vorne herein nicht anzunehmen, dass dieselbe größere Oeffnungen besitzt, durch welche sie mit dem umgebenden Parenchym zusammenhängt, da sich sonst an dem isolierten Zylinder Verzweigungen zeigen müssten. Zu- sammengenommen mit der Thatsache, dass Oeffnungen in der isolier- ten Wand des Chylusgefäßes nirgends zu finden sind, spricht dies für die Annahme, dass die Chylusmoleküle die platten Zellen der Chylus- gefäßwand infiltrieren, von da in den zentralen Chylusraum austreten und sich hier ansammeln. Die glykogene Funktion der Leber und ihre Bedeutung für den Stoffwechsel. Von J. Seegen in Wien. Ich habe vor einiger Zeit Mitteilungen gemacht!) über eine Reihe von Versuchen, durch welehe es unzweifelhaft festgestellt ist, dass die Zuckerbildung in der Leber eine normale physiologische Funktion sei, dass sie, von der Art der Ernährung unabhängig, nur in ziemlich engen Grenzen schwanke. Bei Tieren verschiedner Gattung, bei Fleischfressern wie bei Pflanzenfressern, bei Hunden, Katzen und 1) Biologisches Centralblatt II, Bd. Nr. 19. Seegen, Die glykogene Funktion der Leber. 615 Kaninchen ete. wurden in der dem lebenden Tiere exeidierten und rasch in siedendes Wasser eingetragenen Leber 0,5—0,6 °/, Zucker gefunden. Es wurden ferner Versuche mitgeteilt, die es bewiesen, dass die Leber im stande sei aus Pepton Zucker zu bilden. Nach Peptonfütterungen sowie nach Injektion von Peptonlösungen in die Pfortader enthielt die bald darauf exeidirte Leber eine Zuckermenge die 2—-3 mal größer war als in der Normalleber. Es wurde durch diese Versuche die Fähigkeit der Leber Zucker zu bilden experi- mentell bewiesen, und auch zugleich in hohem Grade wahrschein- lich gemacht, dass das Pepton das Material bildet, aus welchem die normal funktionierende Leber den Zucker bereitet. Es handelte sich zunächst darum, den Umfang dieser Funk- tion kennen zu lernen, zu ermitteln, ob die Zuckerbildung nur ein nebensächlicher bedeutungsloser Vorgang sei, oder ob ihr eine höhere Bedeutung für den tierischen Haushalt zukomme. Dazu war es nötig die Abzugswege dieses Zuckers kennen zu lernen, und dies war nur möglich durch genaue Studien über den Zucker im Blute in den verschiedenen Stromgebieten, speziell in den zur Leber tretenden wie in den aus der Leber tretenden Gefäßbezirken. Meine Versuche, über die ich hier berichten will, wurden ausnahmslos an Hunden ausgeführt und zwar an Hunden, die einige Tage vor dem Versuche ausschließ- lich Fleisch als Nahrung erhalten hatten, oder denen durch 24—48 Stunden vor dem Versuche gar keine Nahrung gegeben war. Dadurch war der beirrende Einfluss, den eine Zucekereinfuhr mit der Nahrung haben konnte, ausgeschlossen, und der Zucker konnte mit vollem Rechte als im Tierkörper selbst gebildeter Zucker angesprochen wer- den. Ueber die Methode der Zuckerbestimmung im Blute muss die Originalarbeit?) nachgesehen werden. Die ersten Versuche hatten die Aufgabe festzustellen, ob und wie viel Zucker im Blute überhaupt vorhanden war. Es wurde zu diesem Zwecke das Blut aus der Carotis und aus dem rechten Herzen geprüft, in einer zweiten Versuchsreihe wurden das Carotisblut und das Pfortader- blut auf ihren Zuckergehalt geprüft, und in einer dritten Reihe das Ver- hältnis des Zuckergehalts der V. Portae zu dem der V. jugularis zu er- mitteln gesucht. Die nachstehenden kleinen Tabellen geben über- sichtlich die erhaltenen Resultate. Tabelle I. Tabelle II. Tabelle IH. Versuchs- Herz- Carotis- Versuchs- V.Portae Carotis Versuchs- Carotis V. jugu- nummer blut blut nummer nummer laris I 0,114 0,107 IV 0,135 0,152 IX. 0,110 0,117 1 0,154 0,161 V 0,108 0,128 X 0,107 0,127 I] 20.1320.0,145 VI 0,126 0,133 xI 0,124 0,143 vi 0,109 0,131 NEEHIESFERNDIRL 0,142 1) Seegen, Zucker im Blute, seine Quelle, seine Bedeutung. Pflüger’s Archiv Bd. 34. 614 Seegen, Die glykogene Funktion der Leber. Im Herzen und im Carotisblut ist der Zuckergehalt ganz gleich, in dem Zuckergehalte des Arterien- und Venenblutes ist das Verhält- nis kein konstantes, und nur zwischen dem Zuckergehalte der Pfort- ader und der Carotis ist ein zwar nicht bedeutender aber doch ziem- lich konstanter Unterschied. Alle meine Versuche haben als Resultat ergeben, dass das Blut aller Gefäßbezirke Zucker enthalte, und zwar ist dieser Zuckergehalt ein nicht unbeträcht- licher, er schwankt zwischen 0,1—0,15 °/,. In bezug auf die Größe des Zuckergehaltes im Herzen und im arteriellen Systeme stimmen meine Zahlen mit denen von Bernard ungefähr überein: er fand in den Versuchsreihen, die er an lebenden Tieren anstellte, gleichfalls 0,12—0,15 °/, Zucker, dagegen fand er stets einen gerin- gern Zuckergehalt im venösen Blute. Viele andere Forscher wie Bock und Hoffmann, Tieffenbach, v. Mering, Abeles fan- den gleichfalls Zucker im Blute, und heute besteht wohl kein Zweifel mehr darüber, dass Zucker ein normaler Blutbestandteil sei. Die von Pavy aufgestellte Theorie, dass die Zuckerspuren, die er im Tierblut fand, auf Rechnung des Widerstands der Versuchstiere zu setzen seien, wird wohl von ihm selbst nicht mehr aufrecht erhalten, seitdem es ihm gelungen ist, 0,05—0,09 °/, Zucker im Blute verschiedener Tier- arten nachzuweisen. Aber die Frage, woher der Blutzucker stamme, ist noch heute streitig. Bernard’s berühmt gewordener Fundamentalversuch, das in die Leber eintretende und das aus der Leber austretende Blut auf Zucker zu untersuchen, hätte diese Frage endgiltig entscheiden können, vor- ausgesetzt, dass dieser Versuch an lebenden Tieren angestellt worden wäre. Aber Bernard hatte diesen Versuch an toten Tieren ange- stellt, und als Pavy die Zuckerbildung in der Leber als einen post- mortalen Vorgang anscheinend nachgewiesen hatte, musste auch die Beweiskraft jenes Versuches schwinden, da es denkbar war, dass auch das der toten Leber entzogene Lebervenenblut den nach dem Tode gebildeten Zucker enthalten. Spätere Forscher auf diesem Gebiete haben es entweder ver- säumt, die beiden Blutarten, auf deren Vergleichung es ankommt, das Pfortader- und das Lebervenenblut, durch richtige Methode rein und unvermischt zu erhalten, oder sie haben an Tieren experimentiert, denen viel Zucker von außen zugeführt worden war, so dass der Un- terschied zwischen dem Zuckergehalte der beiden Gefäßgebiete ver- wischt wurde, oder doch nicht in prägnanter Weise zur Erscheinung gelangte; und so konnte es kommen, dass die Quelle der Zuckerbil- dung unerkannt blieb, und dass man grade in neuerer Zeit den Blut- zucker als aus der zucker- oder stärkemehlhaltigen Nahrung stammend angeschen hat, dass sogar in weiterer Konsequenz der in der Leber gefundene Zucker auf Blutzucker, also auf Nahrungszucker, zurückge- führt wurde, und dass somit die Thatsachen ganz verrückt wurden. Seegen, Die glykogene Funktion der Leber. 615 Meine Versuche wurden, wie erwähnt, ausnahmslos an fastenden oder an mit Fleisch genährten Hunden ausgeführt; sie wurden an le- benden Tieren ausgeführt, die kein Anästhetieum bekommen hatten. Die Hauptaufgabe war es, das Blut der Pfortader und das der Lebervene möglichst unvermischt zu erhalten. Das Pfortaderblut wurde durch eine von der Milzvene in den Pfortaderstamm vorgescho- bene Kanüle gesammelt; das Lebervenenblut sammelte ich entweder nach der von v. Mering angegebenen Methode durch eine in die V.cava bis zur Höhe der Einmündung der Vena hepat. vorgeschobenen Kanüle, nachdem die Cava oberhalb der Einmündung der Nierenvenen abgeschnürt war, oder es wurde eine Kanüle direkt in eine Lebervene eingeführt, nachdem dieselbe mittels Sperrpinzette vor ihrer Einmün- dung in die V.cava abgeklemmt war. Die Einzelnheiten der beiden Metho- den sind im Originale ausführlich beschrieben. Die Zuckerbestimmung geschah durch Titrierung mittels Fehling’scher Lösung. Sehr häufig wurde auch die Gärungsprobe benützt; doch entsprach die erhaltene Kohlensäuremenge nur ungefähr 70—80 °/, jener Zuckermenge, wel- che durch Reduktion des Kupferoxyds gefunden wurde. Es vergärt nicht aller Zucker, was wahrscheinlich die Folge des Salzreichtums der Gärungsflüssigkeit war. Ich hatte mich aber durch Darstellung einer reinen Zuckerlösung aus Ochsenblut (nach anderer Methode als der von mir gewöhnlich angewendeten) überzeugt, dass der Blutzucker mit Traubenzucker identisch sei. Die nachstehende Tabelle enthält die Resultate meiner Versuche. Tabelle IV. Versuchnummer V. port. V. hepat. Anmerkung Xu 0,126 0,200 _ XII 0,119 0,280 — XIV 0,109 *0,198 * Durch Gärung 0,141 XV Vo 20285 * Durch Gärung 0,220 XVI 0,105 0,369 Tier sterbend, Blut tropfenweise abfließend XVIl 0,112 *0,251 * Durch Gärung 0,200 XVIU 0,113 0,164 — XIX 0,138 *0,256 *® Direkt aus der Lebervene xXX 0,130 0,200 — XXI 0,121 0,189 _ XXII 0,132 0,196 — XXI 0,121 025 | Direkt durch die Kanüle aus der XXIV 0,112 0,256 $ Lebervene Mittel 0,11% 0,230 Die mitgeteilten Versuche ergaben als konstantes Resultat, dass das aus der Leber strömende Blut beträchtlich reicher ist an Zucker, als das in die Leber einströmende. Unter allen Versuchen ist nieht ein einziger, bei welchem dieser Unterschied im Zuckergehalte nicht in eklatanter Weise zur Erscheinung käme. Die Differenz liegt weit ab von jeder Fehlergrenze, und selbst die Gärungsproben, die nur mit Lebervenenblut angestellt wurden und bei denen die Ver- 616 Seegen, Die glykogene Funktion der Leber. särung nie eine vollständige war, ergaben einen beträchtlich höhern Zuckergehalt im Lebervenenblute. Die Differenz zwischen den beiden Blutarten ist nicht immer die gleiche. Ernährung, Tiergewicht und andere Umstände mögen die Größe der Differenz beeinflussen, doch können diese Detailfragen erst durch weitere Untersuchungen ihre Lösung finden. Vorerst war es um die Erledigung der Hauptfrage zu thun, wie sich der Zuckergehalt des aus der Leber strömenden gegen jenen des in die Leber einfließenden Blutes verhält, und zwar unter solehen Ernährungsbedingungen, durch welche kein Zucker von außen eingeführt wird; und es ergibt sich im Mittel aus 13 Versuchen, dass das aus der Leber fließende Blut nahezu doppelt so viel Zucker enthält, als das in die Leber gelangende’Blüt, und esistdurch diese Versucheunzweifelhaftfestgestellt, dass der Blutzucker aus der Leber stammt. Es war mir nun zunächst darum zu thun, einen Einblick in die Größe der Zuckerausfuhr aus der Leber zu erlangen, denn nur dann vermag man die Bedeutung zu erfassen, welche die Zuckerbildung für den Organismus hat. Die Größe der Zuckerausfuhr wäre nur dann zu bestimmen, wenn man im Stande wäre die Menge des Blutes genau zu messen, welches in der Zeiteinheit aus der Leber in den Kreislauf gelangt. Um mir von dieser Meng> eine annähernde Vor- stellung zu machen, habe ich einige Versuche angestellt, in welchen die Blutmenge gemessen wurde, welche in einer bestimmten Zeitein- heit aus der an ihrem Eintritt in die Leber unterbundenen Pfortader strömt. Man hat gewiss nicht das Recht, diese Ziffer genau für die- selbe zu halten, mit welcher das Blut durch die Leber strömt, — es ist denkbar, dass bei dem verwickelten Kapillarsystem der Leber die Strömung eine langsamere ist aber annähernd dürften doch die Ausströmungsgeschwindigkeiten gleich sein. Die Versuche wurden an kurarisierten Tieren ausgeführt, um hef- tige Bewegungen des Tieres und ungleichmäßiges Ausfließen zu ver- hüten. Das ausströmende Blut wurde in 50—100 ce haltenden Zylin- dern aufgefangen und die mittels Metronom gemessene Sekundenzahl notiert, welche das Anfüllen eines jeden Zylinders beansprucht hatte. Aus den Füllungszeiten bei gleicher Stromstärke wurde das Mittel ge- zogen und daraus die Ausflussgröße für 5 Sekunden bestimmt. Da es vorauszusehen war, dass die Ausflussgeschwindigkeit nach der Größe des Tieres verschieden sei, machte ich meine Versuche an 3 Tieren, deren Körpergewicht weit auseinander lag. Nachstehende Tabelle gibt die erhaltenen Resultate. Tabelle V. Versuchsnummer Tiergewicht Ausflussgeschwindigkeit Ausflussmenge in in Kilogr. per 5 Sekunden 24 Stunden inLitern XXXI 7 10,4 ce 1797 XXXI 10 13,9, 66 233,0 XXXII 41 DASDECE 423,3 Seegen, Die glykogene Funktion der Leber. 617 Wenn wir annehmen, dass das Lebervenenblut im Durchschnitt 0,1 °/, Zueker in der Leber aufnimmt, so werden innerhalb 24 Stun- den bei meinen 3 Versuchstieren 179, 233, 423 g Zucker aus der Leber in die allgemeine Zirkulation gelangt sein. In 100 g Trauben- zucker sind enthalten 40 g Kohlenstoff, für die Bildung von 423 g Zucker müssten verbraucht werden 173g Kohlenstoff. Diese sind enthalten in 322 ge Eiweißkörpern. Bei absoluter Fleischkost braucht also dieses 41 kg schwere Tier etwa 1300 g Fleisch, um den für die Zucker- bildung nötigen Kohlenstoff dem Körper zuzuführen. In einer Reihe von Fütterungsversuchen, angestellt an Hunden zwischen 30-40 kg überzeugte ich mich, dass diese, um auf ihrem Körperbestande zu bleiben, täglich eirea 1500 g Fleisch als Nahrung brauchen. Dieses Fleisch enthält ungefähr 200 g Kohlenstoff. Wenn davon etwa 10 g zur Bil- Bildung von Harnstoff verwendet werden, diente nahezu der gesamte übrige Kohlenstoff der Nahrung für die Zuckerbildung. Es sind dies nur annähernd richtige Zahlen, aber sie genügen, um die große Be- deutung der Zuckerbildung ins rechte Licht zu setzen. Die Zucker- bildung ist eine der wichtigsten Funktionen des Stoff- wechsels. Wann und wie die Umsetzung des Zuckers im Körper zu stande kommt, ist noch nicht aufgeklärt. Dass die Umsetzung kontinuierlich von statten geht, ergibt sich schon daraus, dass der Zucker sich niebt im Blute anhäuft und dass sein Bestand nur in sehr engen Grenzen schwankt. Die Blutmenge eines Tieres beträgt bekanntlich den 13. Teil seines Körpergewichtes; der für unsere Versuche z. B. verwen- dete Hund von 41 kg führt etwas über 3 kg Blut und mit diesem zirkulieren, wenn wir den Zuckergehalt zu 0,15 °/, annehmen (was gewiss zu hoch gegriffen ist, da das untersuchte Pfortaderblut nur 0,112 °/, enthielt), ungefähr 4,5 g Zucker. Da aber stündlich, bei der Voraussetzung, dass das Lebervenenblut nur 0,1°/, mehr enthält, un- gefähr 18 g Zucker dem Gesamtblute zugeführt werden, so müsste, wenn der Umsatz dieses Zuckers auch nur eine Stunde ruhte, das zirku- lierende Blut 4mal so viel Zucker enthalten, als es wirklich enthält. Wo die Umsetzung des Zuckers stattfindet ist gleichfalls nicht be- kannt; es ist indess wahrscheinlich, dass sie innerhalb aller Körperorgane und bei jeder Arbeitsleistung stattfmdet. Die Erwägung lag nahe, dass mit der Hemmung der Zufuhr des Lebervenenblutes der Ersatz für den verbrauchten Zucker aufhörte, und dass diese gestörte Zufuhr alsbald in der Abnahme des Blutzuekers zum Ausdrucke kommen müsste, wenn der Zuckerverbraueh kontinwierlich vor sich gehe. Darauf gründete ich nun meine nächsten Versuche, die darin bestan- den, das Carotisblut auf seinen Zuckergehalt zu prüfen, die Leber aus der Zirkulation auszuschalten und nach einiger Zeit abermals das Carotisblut auf Zucker zu untersuchen. Die Art, wie die Leber aus der Zirkulation ausgeschaltet wurde, 618 Seegen, Die glykogene Funktion der Leber. war folgende: nachdem Blut aus einer Carotis genommen war,- wurde der vorletzte Zwischenrippenraum links eröffnet, künstliche Respiration eingeleitet und ein durch eine Ligatur fest gezogener Faden um die Aorta gelegt. Hierauf wurde rechts der Zwischenrippenraum zwischen 6—7. Rippe geöffnet und ein durch einen Ligaturstab gezogener Fa- den um die V. cava gelegt, und nun zuerst der Faden um die Aorta, dann der um die V. cava straff angezogen. Durch den großen Eingriff sank der Blutdruck rasch, und das zweite Carotisblut wurde entnom- men, wenn der Blutdruck bis auf etwa 40 mm Quecksilber gesunken war, was bei dem ersten Versuch nach 70, bei dem zweiten Versuch nach 30 Minuten der Fall war. Das dritte kräftigere Tier widerstand dem Eingriff länger, und es wurden drei Analysen gemacht, die erste vor der Ausschaltung bei 140 mm Blutdruck, die zweite nach 40 Minuten bei 84 mm Blutdruck, die dritte bei dem fast sterbenden Tiere, als der Blutdruck auf 20 mm gesunken war. Die nachstehende Tabelle enthält die Resultate. Versuchsnummer Carotis I Carotis II Carotis III Zucker in %/, Zucker in ®/, Zucker in °, XXXIV 0,146 0,04 _ XXXV 0,136 0,06 — XXXVI 0,230 0,16 0,12 Die drei Ausschaltungsversuche ergaben also dasselbe Resultat, der Zucker sank beträchtlich, die letzte Blutprobe enthielt nur die Hälfte, im ersten Versuche kaum ein Drittel des ursprünglichen Zuckerge- haltes. Diese Abnahme ist natürlich nicht der Ausdruck für die Inten- sität der Zuekerumsetzung. Wenn man bedenkt, wie tief der durch die Operation geübte Einfluss war, dass der Blutdruck sehr rasch sank, dass also natürlich alle Körperfunktionen, alse alle Stoffwechselvor- gänge im hohen Grade alteriert waren, so ist es natürlich, dass die stattgehabte Zuckerabnahme auch nicht annähernd als Maß für den Verbrauch im normal funktionierenden Organismus angesehen werden kann. Aber es ist die beträchtliche Abnahme unter so anor- malen Verhältnissen um so bedeutungsvoller als Beweis, dass der Zuckerumsatz ein konstanter im Gesamtblute, oder in den von dem- selben durehströmten Organen stattfindender Vorgang des Stofl- wechsels sei. Die Resultate meiner Untersuchungen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: 1) Sie bestätigen, was bereits von vielen anderen Forschern nach- gewiesen wurde, dass Zucker ein normaler Bestandteil des Blutes ist. 2) Der Zueker ist nicht ein minimaler Blutbestandteil, er schwankt (mindestens bei Hunden) zwischen 0,1—0,15. 3) Das aus der Leber strömende Blut enthält doppelt so viel Zucker als das in die Leber einströmende Blut. Im Mittel aus 13 Untersuchungen fand ich im Pfortaderblute 0,119 %%, und im Lebervenenbluts 0,230 °/, Zucker. Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses. 619 4) Die Messungen des in einer Zeiteinheit aus der Pfortader aus- strömenden Blutes ergaben, dass die Blutdurchfuhr durch die Leber eine sehr beträchtliche ist. Bei drei Tieren von 7, 10, 41 kg wür- den auf Grundlage dieser Messungen innerhalb 24 Stunden 179, 233, 423 Liter Blut durch die Leber strömen. Wenn das Blut im Durch- schnitt 0,1 °/, Zucker in der Leber aufnimmt, würden diese Versuchs- tiere innerhalb 24 Stunden 179, 233, 423 g Zucker aus der Leber ausgeführt und in die allgemeine Zirkulation gebracht haben. 5) Der Zucker wird (mindestens bei Fleischfressern) aus den Ei- weißkörpern der Nahrung gebildet. Der allergrößte Teil des im ver- fütterten Fleische enthaltenen Kohlenstoffes muss für die Zuckerbil- dung verwertet werden. 6) Durch Ausschaltung der Leber nimmt der Zuckergehalt im Blute stetig ab. 7) DieBildung desZuckersin derLeberund dessen Um- setzung im Blute oder in den von dem Blute durchström- ten Organen zählen zu den wichtigsten Funktionen des Stoffwechsels. Karl Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses bei der Vermehrung der Menschen, Tiere und Pflanzen. (Sonderabdruck aus der Jenaer Zeitschrift für Naturwissenschaft Bd. XV. N. F. X. Bd.) Jena, Verlag von Gustav Fischer. 1884. XX u. 364 Seiten. Verfasser geht von der Thatsache aus, dass bei Tieren wie bei Menschen die männlichen und weiblichen Individuen stets und überall in einem ganz bestimmten Zahlenverhältnis zu einander stehen. Beim Menschen werden stets ungefähr ebensoviel Knaben wie Mädchen geboren, nämlich etwa 106 Knaben auf 100 Mädchen. Die Knaben sind also anfangs in der Mehrzahl; aber bei ihnen finden sich mehr Totgeburten und auch die Kindersterblichkeit ist bei ihnen größer. Durch die beiden letzteren Einwirkungen wird die Zahl der Knaben so stark beschränkt, dass die Anzahl der beiden Geschlechter zur Zeit ihrer höchsten Reproduktionsthätigkeit etwa die gleiche ist. Auch bei den Haustieren finden sich die beiden Geschlechter bei der Ge- burt in annähernd gleicher Zahl. Selbst für eine diöcische Pflanze (Mercuriulis annua) ist die Konstanz eines bestimmten Geschlechts- verhältnisses von Heyer nachgewiesen worden. Zur Feststellung dieses Geschleehtsverhältnisses gelangt man in- dess nur bei einer größern Zahl von Individuen. Bei einer klei- nern Zahl zeigt das Verhältnis die größten Schwankungen. Es ist allgemein bekannt, dass einzelne Eltern fast nur Knaben, andere nur Mädchen zu Kindern haben. Trotz dieser starken Abweichungen im einzelnen bleibt das mittlere Geschlechtsverhältnis ungeändert. Es 620 Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses. drängt sich uns die Frage auf, wie dieses wohl erreicht wird. Wie ist es denkbar, dass solehe Abweichungen hicht überhand nehmen? Auf welche Weise werden diese Schwankungen wieder korrigiert, wie reguliert sich also das Geschlechtsverhältnis? Die Antwort kann nur dahin lauten, dass diese Abweichungen von der Norm sich selbst korrigieren, dass ein Ueberschuss des einen Ge- schlechtes eine Mehrgeburt des andern bewirkt. Nur auf diese Weise ist es denkbar, wie ein solches bestimmtes Ge- schlechtsverhältnis konstant erhalten werden kann. Es liegt also die Vermutung sehr nahe, dass alle Tiere die für ihre Reproduktion sehr nützliche Eigenschaft haben werden, bei einem Mangel an Individuen des einen Ge- schlechtes mehr Junge von eben diesem Geschlecht zu produzieren. Für diese Vermutung gibt Verfasser zunächst Beweise aus dem Leben der Menschen durch Anführung folgender statistisch festge- stellter Thatsachen. Aeltere Erstgebärende zeigen einen großen Knaben- überschuss, der das Durehschnittsmaß bedeutend überschreitet. Eheliche Erstgeburten überhaupt zeigen einen großen Knabenüberschuss. Nach Beendigung jedes Krieges bemerken wir ein starkes Ueberwiegen von Knabengeburten. Herr Düsing setzt diese Thatsachen gleichwertig dem Mangel an Individuen des männlichen Geschlechtes, was im letztangeführten Falle ohne weiteres klar ist, in den beiden anderen Fällen sich aber aus der Erwägung ergibt: dass Erstgebärende und insbesondere ältere Erstgebärende längere Zeit auf die geschlechtliche Bean- spruchung warten müssen als Mehrgebärende. Ueberhaupt nimmt Herr Düsing an: dass alle Tiere durch natürliche Züchtung die Eigenschaft erlangt haben, im Falle sie stärker geschlechtliech beansprucht werden, mehr Individuen ihres eignen Ge- schlechtes zu produzieren. Diese Annahme stützt er durch zahlreiche Thatsachen, insbesondere aus der Zucht landwirtschaft- licher Haustiere. So ergibt sich z. B. aus 708410 Fällen von Ab- fohlungen in preußischen Gestüten, dass auf 100 weibliche Fohlen 98,18 bis 101,22 männliche Fohlen geboren waren, wenn ein Hengst 50 bis 70 Stuten gedeckt hatte, während auf 100 weibliche Fohlen nur 95,44 bis 97,35 männliehe entfielen, wenn 20 bis 49 Stuten von einem Hengste gedeckt waren. Verfasser erklärt die Thatsache der Mehrproduktion des eignen Geschlechtes bei stärkerer geschleehtlicher Beanspruchung wie folgt: die stärker beanspruchten Männehen befruchten mit relativ jungen Spermatozoen, und bei stärker beanspruchten Weibchen werden relativ junge Eier befruchtet. Aus relativ jungen Geschleehtsprodukten ent- Diüsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses. 621 steht also das gleichnamige Geschlecht, aus relativ alten (bei spär- licher geschlechtlicher Beanspruchung) das entgegengesetzte Geschlecht. Wäre indess das Moment der Beanspruchung das einzige in Frage kommende, so müssten — im Falle bei einer Gruppe von Tieren Mangel an Männchen herrsche — sämtliche Junge männ- lich werden. Es würde alsdann grade das Gegenteil von dem vorigen Zustande, ein kolossaler Ueberschuss an Männchen und ein Mangel an Weibchen eintreten. Später würde alsdann eine starke Beanspruchung dieser letzteren stattfinden und infolge dessen die zweite Geschlechtsfolge nur aus Weibchen bestehen. Trotzdem also hier die Tendenz besteht, das Geschlechtsver- hältnis zu regeln, so entsteht doch nur ein Schwanken von einem Extrem zum andern. Ein einziger Faktor kann also keine Regu- lierung zu stande bringen, weil er in seiner Wirkung stets über das Ziel hinausschießt. Es müssen demnach mehrere Momente sein, welche das Geschlecht bestimmen und welche auf beide Erzeuger in gleicher Weise einwirken. Hierzu gehört vor allem die stets schwankende Ernährung. Herr Düsing hält es. für eme nützliche Eigenschaft der Tiere, sieh in der Stärke der Reproduktion genaunach den vor- handenen Existenzmitteln zu richten, und er macht darauf aufmerksam, dass diese Regelung der Vermehrung mit Hilfe einer mehr oder weniger großen Zahl von Weibchen herbeigeführt werden kann. Zahlreich angeführte Thatsachen beweisen, dass die Orga- nismen wirklich die Eigenschaft haben, im Ueberfluss von Nahrung mehr Weibchen, im Mangel mehr Männchen zu produzieren. Ebenso wie das Geschlechtsverhältnis hat auch die Repro- duktion eine bestimmte Größe, die hauptsächlich be- stimmt wird durch die Sterblichkeit der Tiere. Unter gleichbleibenden äußeren Verhältnissen herrscht in der Reproduktion ein Schwanken um einen Gleichgewichtszustand; eine zu starke Ver- mehrung bewirkt — durch zunehmende Nahrungskonkurrenz und schlechtere Ernährung — wieder eine Verminderung derselben. Ein Tier, welches trotz Nahrungsmangel sich stark vermehrt, pflanzt sich schwächer fort!) als ein Tier, welches nur so viel Nachkommen er- zeugt, wie unter diesen Umständen leben und gedeihen können. Für die Stärke der Fortpflanzung wird es daher vorteilhaft sein, wenn die Tiere sich in der Stärke ihrer Vermehrung genau den vor- handenen Existenzmitteln anschmiegen, wenn sie die nützliche Eigenschaft haben, ihre Reproduktion den Bedingungen gemäß zu regeln. 1) Nach der Begriffsbestimmung des Verfassers wird die Vermehrung bestimmt durch die Anzahl der Jungen, welche ein Tier überhaupt hervor- bringt, die Fortpflanzung durch die Zahl der Jungen, welche zur Ausbil- dung und Vermehrung gelangen. 622 Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses. Man darf daher wohl vermuten, dass alle organisierten Wesen infolge ihrer Variabilität und mit Hilfe der natürlichen Züchtung nütz- licher Eigenschaften die Eigentümlichkeit erlangt haben, dass die wechselnde Ernährung erstens überhaupt einen großen Einfluss auf das Zeugungssystem hat, und zweitens dass diese dahin wirkt, bei Ueberfluss an Nahrung eine stärkere Reproduktion und bei Mangel eine schwächere eintreten zu lassen. Zahlreiche Thatsachen, welche Verfasser von Menschen, Tieren und Pflanzen anführt, beweisen die Richtigkeit dieser Vermutung. Beim Menschen insbesondere macht er aufmerksam darauf, dass eine bessere Ernährung und geringere Körperanstrengung die Raschheit der Ausbildung und die Leistungsfähigkeit der Geschlechtsorgane befördert; dass Städterinnen (mit durchschnittlich besserer Ernährung) um ein ganzes Jahr früher menstruieren als Bäuerinnen; dass nach fruchtbaren Jahren erheblich mehr Kinder geboren werden als unter normalen Verhältnissen, während nach einer Hungersnot das Ent- gegengesetzte der Fall ist; dass am Kap der guten Hoffnung die Frauen der Boeren ein sorgloses und unthätiges Leben führen, dabei aber viel Kinder gebären („ein Dutzend bis zwanzig ist gar nichts ungewöhnliches“), während die Hottentottenweiber dort — bei schwerer körperlicher Arbeit — selten mehr als drei Kinder haben und häufig unfruchtbar sind; dass in einem warmen Klima die Menge der Menstrualblutung zunimmt und die Geschlechtsreife frühzeitiger eintritt als in einem kältern; dass in warmer Jahreszeit mehr Kinder erzeugt werden als in kalter. Der Hausstand der Tiere wirkt ähnlich wie Ueberfluss; in- folge dessen zeigen die Haustiere eine frühere Geschlechtsreife, eine häufigere Brunst und eine größere Fruchtbarkeit. Auch die Kultur- pflanzen sind viel fruchtbarer als ihre wilden Stammformen. Dicht- gesäte Pflanzen, die sich gegenseitig die Nahrung streitig machen, kommen nieht zum Blühen, oder es folgt in gewissen Fällen (Spi- nacia) Vorwiegen des männlichen Geschlechts. Sowohl bei Tieren wie bei Pflanzen bewirkt die plötzliche und starke Aenderung der Lebensbedingungen eine Verminderung der Fruchtbarkeit. Auch in bezug auf das zeitliche Auftreten der Reproduktion richten sich die Organismen nach den Lebensverhältnissen, so dass die Vermehrung in die Zeit des Nahrungsüberflusses fällt, was als Anpassungser- scheinung aufzufassen ist. Verfasser beweist nun durch Anführung mehrerer Thatsachen den Satz: dass infolge eingetretener Arbeitsteilung insofern ein Un- terschied zwischen beiden Geschlechtern sich ausgebildet hat, als dem Weibchen die Funktion zukommt, den Stoff für den Auf- bau des Embryos zu liefern. Das weibliche Zeugungssystem beansprucht im allgemeinen mehr Nahrung als das männliche, und jenes ist daher weit empfindlicher gegen Ernährungsschwankungen, Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses. 625 59] als dies beim männlichen der Fall ist. Auch wenn in der Gefangen- schaft die Reproduktion vermindert wird, ist es besonders das weibliche Zeugungssystem, welches hiervon betroffen wird; denn bei sehr vielen gefangenen Tieren wird die Begattung ausgeübt, es wer- den aber keine oder nur wenige Junge geworfen. Hieraus geht her- vor, dass es weniger die Produktion von Samen, als vielmehr be- sonders die Ablösung der Eier sein muss, welche infolge der Ein- wirkung ungünstiger Verhältnisse zurückgehalten wird. Es ist demnach die Vermehrung der Tiere besonders von der Zahl der Weibchen abhängig. Die Tiere erlangen durch natürliche Züchtung die Fähigkeit, bei eintretendem Ueberfluss eine verhältnis- mäßig größere Zahl von weiblichen Individuen hervorzubringen und sich überhaupt in der Zahl der produzierten Weibchen nach den Ernährungsverhältnissen zu richten. Umgekehrt wer- den bei eintretendem Mangel relativ mehr Männchen geboren und die Zahl der Weibchen nimmt ab; alsdann tritt eine den ungünstigen Existenzbedingungen entsprechende schwache Vermehrung ein. Ist der Satz richtig, dass die Ernährungsverhältnisse von Einfluss sind auf die Geschlechtsausbildung, so müssen bei gleicher Nah- rungszufuhr sich mehr Tiere gleichen Geschlechtes aus- bilden. Daraus erklärt sich die Thatsache, dass Zwillinge mit ge- meinsamen Eihäuten und Doppelmissbildungen stets gleiches Geschlecht besitzen. Verfasser untersucht nun eingehend die Geschlechtsverhältnisse unter ungleichen Ernährungsverhältnissen, zunächst beim Menschen. Statistische Erhebungen ergaben die Thatsache, dass bei schlech- terer Ernährung ein Knabe, bei besserer ein Mädehen sich ausbildet. Der Knabenüberschuss ist auf dem Lande größer als in den Städten, weil der Städter sich durchschnittlich besser nährt als der Land- bewohner. Wohlhabenden Eltern werden verhältnismäßig weniger Knaben geboren als armen; nach den statistischen Erhebungen der Geburten im Bezirke Ottenstein von ©. Hampe war das Geschlechts- verhältnis der Knaben von wohlhabenden Eltern 104.5 (auf 100 Mäd- chen), von armen Eltern 115.0. Auch das Alter der Mütter hat einen bedeutenden Einfluss auf die Ernährung des Embryos. Aeltere Mütter lassen diesem eine nicht so gute Ernährung zu teil werden wie solche, die auf der Höhe der Reproduktionsfähigkeit stehen. Dasselbe gilt für allzu junge Mütter. Daher überwiegen die Knabengeburten bei älteren wie bei allzu jungen Müttern. Nach den Erhebungen von Bidder war das Geschlechtsverhältnis (Zahl der Knaben auf 100 Mädchen) bei Müttern, welche im Alter von 17-—21 Jahren geboren hatten: 122.2—130.1, im Alter von 22—29 Jahren: 104.6—109.9, im Alter von 30—40 und mehr: 112.5—131.5. Bei der Mutter aber ist zu unterscheiden das 594 Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses. relative und das absolute Alter. Je relativ jünger (im Vergleiche zum Vater) die Mutter ist, desto mehr Kinder werden zum männlichen Geschlecht bestimmt mittels der Qualitäten des Eies, die schon vor der Befruchtung vorhanden waren. Je absolut jünger aber die Mutter ist, desto mehr Kinder bilden sich zum weiblichen Geschlecht aus infolge der bessern Ernährung des Embryos (also lange nach der Befruchtung). Beim Manne dagegen fällt dieser Unterschied zwischen dem relativen und absoluten Alter fort. Bei ihm ist das absolute Alter wie das relative einem höhern Knabenüberschuss günstig. Auch in einzelnen Ländern zeigt der Knabenüberschuss einen bedeutenden Unterschied; es sind dies solche, welehe der Kultur erst erschlossen werden, in denen die körperliche Beschäftigung vor- herrschend ist, wie z. B. in Australien und in den neueren Staaten Nordamerikas. Ferner nehmen mit der Meereshöhe die Knabengeburten zu; mit der Rauhigkeit des Klimas tritt auch hier das Symptom des Mangels, ein größerer Geburtsüberschuss von Knaben auf. Aus glei- chen Gründen erklärt sich der Knabenüberschuss unter den in der kältern Jahreszeit erzeugten Kindern. Ein großes statistisches Ma- terial (10 Jahrgänge Geburten von ganz Preußen) stellt die Thatsache fest, dass in den fünf wärmeren Conceptionsmonaten (April bis Au- gust) der Knabenüberschuss stets unter dem Mittel bleibt, in den fünf kälteren (September bis November, Januar und März) steigt er stets über das Mittel. Eine Ausnahme findet statt in den Monaten Dezember und Februar, in welchen der Knabenüberschuss geringer ist, weil — wie der Verfasser annimmt — die ehelichen Conceptionen im Dezember (infolge der Weinachtsfeier) „aus leicht begreiflichen Gründen außerordentlich steigen“, was er für „eine Folge der zu- nehmenden Prosperität“ erklärt; im Februar nehmen infolge der Fast- nachtsfeier neben den ehelichen auch die unehelichen Conceptionen zu und die größere Zahl der letzteren bewirkt ein Sinken des Kna- benüberschusses. Dieser letzte Schluss ergibt sich aber aus den vor- geführten „großen Zahlen“ nicht, weil diese die ehelichen und un- ehelichen Geburten nieht trennen. Immerhin ist aber die Thatsache mehrfach festgestellt, dass bei den unehelichen Geburten der Knaben- überschuss geringer ist als bei ehelichen; es fragt sich nur, ob infolge der Fastnachtsfeier in Preußen die unehelichen Conceptionen so stark zunehmen, dass sich daraus der geringere Knabenüberschuss der Gesamtgeburten erklären lässt. Es ist endlich auch der Knabenüberschuss größer bei Müttern mit spärlicher Menstruation und kleinerer Placenta. Bei lebendig gebornen Tieren hängt die Ernährung derselben von der der Mutter ab. Mutterschafe, welche weibliche Lämmer ge- boren hatten, besaßen nach Martegoute durchschnittlich ein grö- ßeres Gewicht, als die, welche Bocklämmer geworfen hatten. Bei Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses. 625 eierlegenden Tieren hängt die Stärke der Ernährung des Embryos von der Größe des Eies, bezw. des Nahrungsdotters ab. Bei Hennen sollen die später gelegten Eier kleiner sein und meist Hähne liefern, Die Nahrungszufuhr ist bei der schon erschöpften Mutter eine mangel- hafte, es entsteht ein kleineres Ei, der Embryo erhält also weniger Nahrungszufuhr und er bildet sich zum männlichen Geschlecht aus. Der Hausstand der Tiere — der ähnlich wie Ueberfluss wirkt — begünstigt eine stärkere Reproduktion und eine der Zahl nach stär- kere Ausbildung des weiblichen Geschlechtes. Der Ueberfluss ist auch die Bedingung und die Ursache der thelytokischen Parthenogenesis. Die letztere, bei der sich infolge von Ueberfluss die Weibehen, ohne der Befruchtung zu be- dürfen, zur Hervorbringung einer möglichst zahlreichen Nachkommen- schaft parthenogenetisch reproduzieren, unterscheidet sich in Ursache und Wirkung gänzlich von der arrenotokischen Parthenoge- nesis, bei der infolge des anomalen Ausfalls der Befruchtung bei einem befruchtungsbedürftigen Weibchen, also bei Mangel an Männchen, eben solche, an denen es fehlt, aus den unbefruchteten Eiern hervor- gehen. In der gleichen Weise wie in der Form von Thelytokie be- wirkt Ueberfluss die ungeschlechtliche Vermehrung in der Form von Knospung, Teilung und Pädogenesis (ungeschlechtliche Vermehrung von Larven). Auch für Pflanzen gilt der Satz, dass Nahrungsüberfluss die Ausbildung des weiblichen, Mangel dagegen die des männlichen Ge- schlechtes begünstigt. Nach Mauz wird sowohl bei monöeischen wie bei diöeischen Pflanzen die Entwicklung des männlichen Geschlechts begünstigt durch Trockenheit, freien Einfluss von Licht und Luft; dagegen die des weiblichen durch Feuchtigkeit, guten Dünger, Mangel an Licht. Durch Anwendung der Diehtsaat — wobei sich die Pflanzen gegenseitig die Nahrung streitig machen — erzielte Hoffmann bei Spinatpflanzen eine bedeutende Vermehrung der Männchen. Während das Weibchen mehr den Stoff zum Aufbau des Embryo zu liefern hat, fällt dem Männchen die Aufgabe zu, das Weibchen aufzusuchen, das geduldig der Befruchtung harrt. Es liegt diesem ob, die geschlechtliche Mischung möglichst differenter Individuen her- beizuführen, d. h. Inzucht zu vermeiden. Bei Mangel an Männ- chen ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein verwandtes Weibchen befruchtet wird, d. h. die Stärke der geschlechtlichen Mischung ist gering, es findet mehr oder minder Inzucht statt. Bei Mangel an Weibehen wird das Männchen weit gehen müssen, ehe es ein solches findet. Die Wahrscheinlichkeit, dass es ein ihm verwandtes be- fruchtet, ist also sehr gering. Wenn nun die Männchen die Aufgabe haben, Inzucht zu vermei- den, so folgt hieraus, dass es eine nützliche Eigenschaft ist, unter solchen Verhältnissen mehr Männchen zu produ- 40 626 Düsing, Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses. zieren, unter welchen eine stärkere geschlechtliche Mischung von Nutzen ist für die Fortpflanzung der Tiere. Aufgrund der Züchtungsversuche mit zahmen Wanderratten von Crampe!) setzt Herr Düsing die Wirkungen der Inzucht gleich denen des Mangels, woraus folgt, dass sie wieder ausgeglichen wer- den können durch die des Ueberflusses. Diese Folgerung wird that- sächlich bestätigt durch die Crampe’schen Versuche, aus denen her- vorgeht, dass „die in Blutschande gezogenen Individuen anspruchs- voller, schwerer zu ernähren und zu erziehen sind als die Produkte nicht verwandter Eltern desselben Stammes.“ Verfasser bespricht dann noch einige „spezielle Anpassungen“, infolge deren sich noch besondere, die Geschlechtsausbildung beein- flussende Eigenschaften entwickeln können, und er erörtert schließlich die Entstehung des Geschlechtes. Sowohl der Same wie das Ei besitzen vermöge ihrer qualitafiven Beschaffenheit schon vor der Befruchtung eine bestimmte Ten- denz, sich zum einen oder andern Geschlecht auszubilden. Diese Tendenz kann unter Umständen sehon vor der Befruchtung gewechselt werden. So kann der Same, der sich anfangs zum männlichen Ge- schlechte neigte, infolge des zunehmenden Alters, z. B. bei Nicht- beanspruchung des männlichen Individuums oder bei längerem Aufent- halt in den weiblichen Ampullen, die frühere Tendenz verlieren und die entgegengesetzte, zum weiblichen Geschlecht bestimmende an- nehmen. Aber auch bei der Befruchtung wird das Geschlecht des Embryos noch nicht endgiltig bestimmt, vielmehr macht das zeitlich zuletzt eintretende Moment der Ernährung noch seinen Einfluss geltend. Die Beeinflussung der Geschlechtsausbildung durch mütter- liche Ernährung dauert nach Düsing beim Menschen drei Monate. Dass wirklich schon lange vor dem Beginn der endgiltigen Aus- bildung der Geschlechtsorgane der scheinbar hermaphroditische Em- bryo wenigstens die Tendenz besitzt, sich dem einen oder andern Geschlecht gemäß auszubilden, das ist wenigstens für einige Plagio- stomen von Semper direkt bewiesen worden. Herr Düsing hält es für alle Tiere für einen großen Nutzen, möglichst lange der äußern Gestalt nach hermaphroditiseh zu bleiben. Dadureh ist den Embryonen die Möglichkeit gegeben, noch sehr spät die Tendenz der Geschlechtsausbildung zu wechseln. Es können also auch noch sehr spät eintretende Umstände ihren Einfluss erfolgreich äußern, was ja sonst unmöglich wäre. „Hiermit ist eine Erklärung gegeben für die Thatsache, dass die Em- bryonen fast aller Tiere zuerst hermaphroditisch ange- legt erscheinen.“ 1) Ueber diese Versuche werde ich demnächst berichten. Schlechter, Ueber die Ursachen, welche das Geschlecht bestimmen. 697 Nachdem Verfasser noch den zwitterhaften Bildungen Rechnung getragen hat, denen er mit Leuckart und Pflüger einen vorwie- gend männlichen Geschlechtscharakter zuerkennt, schließt er zusam- menfassend mit folgenden Worten. „Nach alle dem, was wir gefun- den haben, kann von einer Vererbung des Geschlechtes, von der man früher sprach, überhaupt keine Rede sein. Die Art und Weise, wie sich das eine oder andere Geschlecht ausbildet, wird allerdings vererbt, aber die Entscheidung darüber, welches Geschlecht sich ausbildet, beruht nicht auf Vererbung, sondern es wird durch das Zusammenwirken von äußeren Umständen herbeigeführt. Die hierauf bezüglichen Eigenschaften der Organismen sind durch Anpassung an allgemeine oder spezielle Lebensverhältnisse erworben. Diese Um- stände können teils zu gleicher Zeit, teils nach einander auftreten und ihre Ursachen werden sich je nach Stärke und Art in ihrem ge- schlechtsbestimmenden Einfluss unterstützen oder bekämpfen. Je mehr sich die zuerst wirkenden Momente gegenseitig in ihren Wirkungen aufheben, desto leichter werden die folgenden ihren Einfluss zur Gel- tung bringen können. Wird z. B. ein Ei zu der Zeit befruchtet, wo die Tendenz desselben sich zum weiblichen Geschlecht auszubilden infolge des Aelterwerdens des Eies in die entgegengesetzte übergeht, wo also das Ei in bezug hierauf so zu sagen neutral ist, so wird die Eigenschaft des Samens desto leichter seine Wirkung ausüben können.“ Ein „Nachtrag“ bringt noch weitere Belege zu den früher er- örterten Sätzen. M. Wilckens (Wien). Joh. Schlechter, Ueber die Ursachen, welche das Geschlecht bestimmen. Revue für Tierheilkunde und Tierzucht (Beilage zur österr. Monatsschrift für Tierheilkunde). Wien 1884, Nr. 7 u. 8. Verfasser hat einige Faktoren untersucht, deren Einfluss auf 2064 Geburten von Pferden in einem großen Gestüt in Frage stehen. Zunächst hat er den Einfluss des absoluten und rela- tiven Alters von Vater und Mutter auf die Geschlechtsbildung der Frucht festgesteilt. Von den 2064 Geburten waren 1079 weiblich und 985 männlich, das durchschnittliche Geschlechtsverhältnis !) also wie 100 : 91.3. Die Stuten, welche im Alter von 4 bis einschließ- lich 8 Jahren gedeckt waren, brachten 674 weibliche und 640 männ- 1) Bei der Berechnung des Geschlechtsverhältnisses wird allgemein die Zahl 100 als Grundzahl für die weiblichen Geburten angenommen; Schlech- ter nimmt jene Grundzahl für die männlichen Geburten an, weshalb ich seine Geschlechtsverhältniszahlen -— um Uebereinstimmung herzustellen — um- gerechnet habe. 40 * 628 Schlechter, Ueber die Ursachen, welche das Geschlecht bestimmen. liche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 95.0), im Alter von 9 bis 12 Jahren 303 weibliche und 240 männliche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 79.2), im Alter von 13 bis 18 Jahren 102 weibliche und 105 männliche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 103.0). Im mittlern Lebensalter der Mutter, zur Zeit ihrer höchsten Kraft und Reife, wurden also mehr weibliche Nachkommen erzeugt, im höhern Lebensalter aber mehr männliche. Die Hengste erzeugten im Alter von 3 bis einschließ- lich 9 Jahren 582 weibliche und 530 männliche Fohlen (Geschlechts- verhältnis 91.1), im Alter von 10 bis 15 Jahren 403 weibliche und 363 männliche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 90.1), im Alter von 16 bis 22 Jahren 77 weibliche und 77 männliche Fohlen (Geschlechts- verhältnis 100). Die Zeit der größten Reife und Kraft ergibt also auch bei den Hengsten ein Uebergewicht von weiblichen Nachkommen. War das Alter von Vater und Mutter gleich, so wurden im Alter von 4 bis 12 Jahren etwas mehr weibliche, im Alter von 12 bis 16 Jahren bedeutend mehr (Geschlechtsverhältnis 250) männliche Früchte erzeugt. War der Vater älter als die Mutter, so überwog bei geringem Altersunterschied (der Vater 1 bis 8 Jahre älter als die Mutter) die Zahl der männlichen, bei größerem Altersunterschied die Zahl der weiblichen Früchte. War die Mutter älter als der Vater so wurden mehr weibliche Früchte erzeugt. Befanden sich beide Zeu- gende im jugendlichen Alter (von 4 bis 8 Jahren), dann war das Ge- schlechtsverhältnis der Früchte 100.1, im mittlern Alter (von 8 bis 12 Jahren) 80.0, im höhern Alter (von 12 bis 16 Jahren) 102.9. Im jugend- lichen und höhern Alter der Zeugenden werden also verhältnismäßig mehr männliche, im mittlern Alter derselben mehr weibliche Früchte erzeugt. Die zweite Frage betrifft den Einfluss, den die erste oder die wiederholte Paarung der Mutter auf die Geschlechtsbildung der Frucht ausübt. Aus der ersten Paarung entstanden 512 weibliche und 462 männliche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 90.2), aus wieder- holten Paarungen 568 weibliche und 512 männliche Fohlen (Ge- schlechtsverhältnis 90.2). Die erste und die wiederholten Paarungen haben also seitens der Mutter keinen Einfluss auf die Geschlechts- bildung der Frucht. Die dritte Frage betrifft den Einfluss der Jahreszeit auf die Geschlechtsbildung der Frucht. Die Stuten, die m der kalten Jahres- zeit (von November bis Februar) gedeckt waren, brachten 302 weib- liche und 281 männliche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 93.0), die in der warmen Jahreszeit (März bis Juni) gedeckten Stuten brachten 778 weibliche und 696 männliche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 89.5). Obwohl in den wärmsten Monaten (Juli bis Oktober) keine Paarungen stattfanden, so zeigt sich doch der größere Einfluss der warmen Jahres- zeit auf die weibliche Geschlechtsbildung. Die vierte Frage betrifft die geschlechtliche Kraft des Albrecht, Vergleichend anatomische Mitteilungen. 629 Hengstes während des Zeugungsvorganges. In der ersten Zeugungs- periode (von November bis Januar), in welcher nach Schleehter’s Annahme der Hengst sich im Besitze der größten Zeugungskraft be- fand, wurden erzeugt 153 weibliche und 143 männliche Fohlen (Ge- schleehtsverhältnis 93.5), in der zweiten Periode (von Februar bis April) 602 weibliche und 547 männliche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 90. 9), in der dritten Periode (von Mai bis Juni) 325 weibliche und 287 männliche Fohlen (Geschlechtsverhältnis 88. 3); es wurden also in der ersten Zeugungsperiode verhältnismäßig mehr männliche Früchte erzeugt. Da aber diese Periode in die kalte Jahreszeit fällt, welche die Erzeugung männlicher Früchte begünstigt, so erscheint der Ein- fluss der Zeugungsperiode zweifelhaft. Die fünfte Frage betrifft den Einfluss der Trächtigkeits- Dauer!) auf das Geschlecht der Nachkommen. Von den lebend gebornen Fohlen wurden getragen: die 908 Hengste 310226 Tage, die 1027 Stuten 350095 Tage, woraus sich eine mittlere Tragezeit von 341.7 Tagen für die Hengstfohlen und 340.9 Tage für Stutfohlen, oder eine längere Tragezeit von 0.3 Tagen für Hengstfohlen ergibt. Die sechste Frage bezieht sich auf das Vorwalten eines der bei- den Geschlechlechter bei Erstgeburten. Von 517 Erstgeburten _ waren 210 weibliche und 207 männliche (Geschlechtsverhältnis 98. 6), woraus sich im Vergleich zu dem durehschnittlichen Geschlechts- verhältnis von 91.3, ein Ueberwiegen der männlichen Früchte bei Erst- geburten ergibt. M. Wilckens (Wien). P. Albrecht, Sur les spondylocentres Epipituaires du cräne, la Non-existence de la poche de Rathke et la presence de la chorde dorsale et de spondylocentres dans le cartilage de la cloison du nez des vertebres. Communication faite & la Societe d’Anatomie pathologique de Bruxelles dans la seance du 9. mars 1884. Sur la valeur morphologique de la trompe d’Eustache et les derives de Tarc palatin, de lare mandibulaire et de Yare hyoidien des vertebres, suivi de la preuve que le Symplec- tico-hyomandibulaire est morphologiquement independant de Vare hyoidien. Communication faite a& la Societ& d’ Anatomie pathologique de Bruxelles dans la seance du 14. Mai 1884. In der erstgenannten Mitteilung, die durch vier Holzschnitte erläutert wird, hebt Albrecht zunächst hervor, dass das kraniale 1) Diese Frage hat offenbar mit der Geschlechtsbildung nichts zu thun, da die Trächtigkeitsdauer jene gar nicht beeinflussen kann. 630 Albrecht, Vergleichend anatomische Mitteilungen. Ende der Chorda dorsalis dorsalwärts von der Hypophyse im Dorsum sellae verläuft. Auch setzte sich bei einem cyelopischen Schweinschädel ein Ligament, Membrane elinopr&sphenoidale, vom vor- deren Ende des Dorsum sellae zur Vereinigung mit dem Sphenoideum anterius fort. Aus diesen Thatsachen schließt der Verf., dass der Clivus und jene Membran jede einen Komplex von Schädelwirbel- körperzentren darstellen, sowie auf die ventrale Lage der Hypophyse im Verhältnis zur Chorda, ferner aber, dass die Partie aclivienne des Basipostsphenoide ein Komplex von Hypapophysen ist, homodynam dem Vomer aller Gnathostomen. An mehreren Präparaten von Aftenschädeln und einem Antilopen- schädel zeigt Albrecht, dass der kraniale (vordere) Teil des Clivus ein besonderes Ossifikationszentrum, das Basiepisphenoide, besitzt, während der hintere oder kaudale Teil als Basiorthosphenoide be- zeichnet wird. Zufolge der Untersuchung eines Ziegenschädels ist zu schließen, dass die Membrana praesphenoidalis ein doppeltes Ossifikationszen- trum enthält, nämlich ein Basianasphenoide und ein davor gelegenes Basihypersphenoide, welche durch Synehondrosen verbunden werden. Es gibt also vier epipituäre Wirbelzentrenkomplexe. Zu densel- ben gehören nach richtiger Reihenfolge die sympathischen Nerven- geflechte der A. carotis interna, die Nn. trochlearis (3), oculomotorius (4) und abducens (5), zuletzt folgt der M. trigeminus (6). Die in Klammern stehenden Ziffern bezeichnen die jedem Nerv zukommende Schädelnervenzahl — welche Reihenfolge von der bisherigen III (4), IV (3), V (6), VI (5), wie man sieht, wesentlich abweicht. Vor dem Basihypersphenoide folgen dann noch das Basipresphenoide, das Basi- ethmoide und das Basirhinoide oder der Nasenscheidewandknorpel. Ueber die Lageverhältnisse der Hypophysis und des Basipost- sphenoide braucht nichts hinzugefügt zu werden. Der Verf. findet alle wesentlichen Schädelknochen der übrigen Gnathostomen bei den Säugetieren wieder. Besonders von der Anschauung ausgehend, dass das Alisphenoide (Lamina lateralis des Processus pterygoideus oss. sphenoidei) zu den Gesiehtsknochen und nicht zu den Schädelknochen gehört, stellt Albreeht eine sehr interessante Theorie in Hinsicht der Austrittsstellen der Schädelnerven aus dem knöchernen Schädel auf. Der Raum zwischen dem Alisphenoide, dem hintern Rand des Orbito- sphenoides, nebst der vorderen Fläche des Felsenbeines einerseits und der Dura mater anderseits ist in Wahrheit extrakraniell; derselbe kann als jederseits vorhandener „espace postfaciale* des Schädels be- zeichnet werden. Ein ähnlicher, zwischen der Lamina eribrosa oss. ethmoidei und der Dura mater jederseits vorhandener Raum ist der Espace prefacial des Schädels. Die wahre, von der Dura mater ein- geschlossene Gehirnhöhle fällt also keineswegs mit der knöchernen Schädelhöhle zusammen. Folglich liegen in Wahrheit die A. earotis Albrecht, Vergleichend anatomische Mitteilungen. 631 interna mit ihrem sympathischen Plexus, die Nn. oculomotorius, tro- chlearis, abducens, trigeminus, das Ganglion Gasseri, die Nn. petrosi superficiales major und minor in ihren betreffenden Verlaufsteilen außerhalb der wahren Schädelhöhle, die partiell nur von der Dura mater geschlossen wird; jene sind extrakraniell. Die Foramina lacerum anterius, ovale, rotundum, die Fissura orbitalis superior sind keines- wegs Intervertebrallöcher, auch nicht Komplexe von solchen, deren Trennung durch die knöchernen Wurzeln der Neurapophysen von Wir- beln wegen Nichtausbildung dieser Wurzeln weggefallen sind, sondern es sind Spalten und Löcher, welche dem Gesichtssebädel angehören. Das wahre Intervertebralloch des N. trigeminus liegt im Felsenbein und tritt als allseitig knöchern geschlossene Vagina nervi trigemini ossea s. Canalis trigemini, Albrecht, bei Tieren, als Varietät beim Menschen auf. Bei letzterem erscheint sie in der Norm als flache Impressio nervi trigemini (Ref.). Der N. trigeminus entspringt also bei allen Gnathostomen wie bei den Selachiern kaudalwärts von der A. carotis interna, kaudalwärts vom Felsenbein oder genauer: die Spitze desselben, das Prooticum, durchbohrend. Der Canalis caroti- cus des Felsenbeins ist wesentlich eine Vagina ossea der Arterie; die wahre Eintrittsstelle der letztern in die wirkliche Gehirnhöhle ist weder das Foramen caroticum externum, noch das internum, son- dern erst das Foramen clinoideocaroticum; letzteres liegt weit kra- nialwärts, sogar kranialwärts von der Austrittsstelle des eigentlich (s. oben) dritten Schädelnerven, nämlich des N. trochlearis. Die Rathke’sche Tasche, welche dem vorderen Lappen der Hypo- physis cerebri ihre Entstehung verdankt, existiert nach Albrecht gar nicht. Der Canalis eraniopharyngeus enthält keine Ausstülpung der Pharynxschleimhaut, sondern nur retropharyngeale Blutgefäße, namentlich Venen. Die ganze Hypophyse ist unabhängig sowohl von der primitiven Mundhöhle und vom Pharynx als vom Gehirn; der hintere Lappen ist keine Fortsetzung des Infundibulums. Die Hypo- physis ist eine Blutgefäßdrüse, homolog der ganzen Hypophyse bei den Fischen. Das wirkliche kraniale Ende des Gehirnes ist das In- fundibulum, zugespitzt wie (der Conus medullaris oder) das Filum terminale des Rückenmarkes; es bildet ein Filum terminale craniale, und die Nn. trochlearis, oculomotorius, abducens und trigeminus in ihrem Verlaufe außerhalb der eigentlichen (s. oben) Schädelhöhle bil- den eine Cauda equina anterior s. eranialis. Das ganze zentrale Ner- vensystem kondensiert sich also gleichsam nach dem Thorax hin und das Resultat dieser Konzentration sind die beiden Caudae equinae (superior und inferior beim Menschen). Jene Gehirnnerven durch- bohren die Dura mater erheblich nach vorn von ihren Ursprungsstellen. Das Basiethmoide und das Basirhinoide, oder der Craniostyle, unter welchem Namen sie vereinigt werden, sind ein vorderes oder oberes Steißbein: Coceyx anterior s. eranialis. In einem Falle war beim 632 Albrecht, Vergleichend anatomische Mitteilungen. erwachsenen Rinde die Chorda dorsalis in der ganzen Länge (15,5 em) der knorpeligen Nasenscheidewand erhalten und zeigte eine Reihe von sieben Ossifikationszentren, entsprechend ebenso vielen Schädelwirbel- körpern oder Metameren. Die Gesamtzahl der Schädelwirbelzentren beträgt nun, oder mit Hinzurechnung jener Ossifikationspunkte — 15. Während die kraniale Partie des Coceyx anterior gewöhnlich knor- pelig bleibt, verknöchert die kaudale Abteilung oder das Basiethmoide in der Norm. Letzteres kann beim ZRhinoceros tichorhinus mit dem knorpeligen Teil verschmelzen. Die Nasenscheidewand ist also eigent- lich eine Cauda anterior, ein Schädelschwanz! Die zweite Mitteilung ist mit 13 Holzschnitten ausgestattet, sie handelt von der Tuba Eustachii. Diese ist eine kranialwärts vom Unterkiefer gelegene Kiemenspalte, zu welcher der vor den Gehör- knöchelehen befindliche Raum der Paukenhöhle gehört. Um das Schlussresultat mit den eignen Worten Albrecht’s wiederzugeben: Done le spiraculum (des selaciens) et le canal tubo-pretympanique (trompe d’Eustache, espace preossieulaire ou pr&eepimandibulaire de la cavite du tympan), ont la valeur morphologique d’un sae branchial pr&emandibulaire. Diese Kiemenspalte liegt zwischen Unterkiefer- und Gaumenbogen, letzterer aber stellt mit einigen gleich zu erwähnenden Knochen eine Schädelrippe dar. Das Unterkiefergelenk ist eine Verbindung zwi- schen jenen beiden Kiemenbogen, dem Gaumen- und Unterkieferbogen; dazu kommt als dritter der Zungenbeinbogen. Zum Gaumenbogen gehört das Quadratum, welches Albrecht wie bekannt im Vorder- teil der Schläfenschuppe bei Säugetieren wiederfindet, ferner das Ali- sphenoideum, Pterygoideum und das Gaumenbein der Säuger. Dem Unterkieferbogen dagegen gehören die Gehörknöchelehen an — über deren Homologieen s. das Original. Die Betrachtung des Verfassers geht von der Artieulatio mandi- bularis aus. Die vordere Abteilung der Schläfenschuppe oder das Quadratum ist es, welche mit dem Unterkiefer durch das Gelenk sich verbindet. Die Homologien der einzelnen Stücke des Unterkiefer- bogens lassen sich längs der Wirbeltierreihe verfolgen; bei den Säu- gern besteht derselbe aus dem Stapes, Os lenticeulare, Ambos, Ham- mer und dem Unterkiefer. Der Zungenbeinbogen hat die bekannten Abteilungen: Processus styloideus, Ligamentum stylohyoideum, Cornu minus oss. hyoidei. Nach der bisherigen Ansicht sollte die Tuba Eustachii eine Kiemenspalte sein, welche zwischen Unterkieferbogen und Zungenbembogen sich befindet. Dies ist absolut falsch nach Al- breeht, die Spalte liegt kranialwärts vom Unterkieferbogen; sie be- findet sich zwischen letzterem und dem Squamosum, oder genauer zwischen dem Gaumenkiemenhogen und dem Unterkieferbogen. Jener Areus palatinus entspricht dem Gaumenfortsatz des Oberkieferbogens der Embryologen. Er setzt sich bei den Amnioten wie schon erwähnt Albrecht, Vergleichend anatomische Mitteilungen. 633 aus dem Squamosum, dem Quadratum, dem Alisphenoideum, dem Pterygoideum und dem Palatinum zusammen. Daher liegt die Tuba Eustachii, ganz wie dies zu erwarten war, zwischen dem Alisphenoi- deum und Pterygoideum: kranialwärts von der Mandibula, aber kau- dalwärts vom Palatinum, Pterygoideum, Quadratum und Squamosum. Ferner sind nun nach Albrecht die drei genannten Kiemenbogen: Gaumenbogen, Unterkieferbogen und Zungenbeinbogen homodynam mit den Rippen des Rumpfes. Die Kiemenspalte oder Interkostal- spalte zwischen den ersteren beiden wird wie gesagt zur Tuba Eu- stachii ete., diejenige zwischen den beiden letzteren geht bei den höheren Gnathostomen zu grunde, mit Ausnahme eines Restes an ihrem dorsalen Ende. Dies ist der hinter der oder kaudalwärts von der Gehörknöchelehenkette gelegene Teil der Paukenhöhle. Auch besitzen die Selachier in ihrem Spiraculum ein Homologon der Tuba nebst dem präossikulären Raum der Paukenhöhle und eine Andeutung, nämlich eine dem Spiraculumkanal homolog situierte Spalte hat der Verfasser bei einigen Teleostiern gefunden. Das Spiraculum ist mit- hin eine kranialwärts vom Unterkieferbogen gelegene Kiemenspalte. Der äußere Gehörgang der Säuger ist ein extracutaner Raum des Schädels und hat morphologisch nichts mit den Kiemenspalten zu thun. Der Luftgehalt des Raumes hinter den Gehörknöchelchen oder des dorsalen Restes der Kiemenspalte zwischen Unterkieferbogen und Zungenbeinbogen verdankt bei den höheren Gnathostomen nach dem Verfasser seine Persistenz einer sekundären Pneumatisation, welche denselben in Verbindung mit der Unterkiefergaumenkieferspalte bringt und als Ausstülpung derselben erscheinen lässt. Ob Ref. in dem letzterwähnten Punkte (sowie in einigen anderen) den Verfasser vollkommen richtig verstanden hat, muss dahingestellt bleiben. Die Schwierigkeiten sind für den Berichterstatter sehr groß. Zunächst liegen sie in der Sprache: nicht bloß im Französischen, denn ins Deutsche übersetzt würde die Sache nicht anders werden. Albrecht hat sich nach und nach eine fast ganz neue Terminologie gebildet, und wenn auch fortwährend auf die Quellen verwiesen wird, wo die Erläuterungen in früheren vorläufigen Mitteilungen desselben Verfassers zu finden sind, so nützt das nur wenig. Im Interesse der Leser, die jene Mitteilungen nicht zur Hand haben können, muss nämlich doch eine Uebersetzung in die gewöhnliche anatomische Ter- minologie vorgenommen werden, wobei natürlich die neuen, in den diesmal vorliegenden Abhandlungen vorkommenden Ausdrücke nicht unerwähnt bleiben dürfen. Ueber die betreffenden Dinge selbst kann sich Ref. keinerlei Ur- teil zuschreiben. Es ist zu hoffen, dass die vom Fundament aus neuen und überraschenden Anschauungen, welche fast jede Seite dieser Publi- kationen bringt, ebenso sicher begründet sich erweisen mögen, als sie logisch durchdacht sind. In letzter Instanz läuft die neue Anschau- 634 Wollny, Ueber die 'Thätigkeit niederer Organismen im Boden. ung auf eine vollkommene Homologisierung aller Teile des Kopfes aller Gnathostomen hinaus, diese Richtung der Untersuchung erinnert einigermaßen an Geoffroy St. Hilaire (Me&moires de l’Academie royale des sciences de Institut de France. 1826. T. VII, p. CXII), der sich bestrebte, in jedem Wirbeltierschädel 63 (7 x 9) gesonderte Knochen auffinden zu wollen. Eine so weit tragende Unter- suchungsreihe musste natürlich zunächst in vorläufigen Mitteilun- gen ans Licht treten. Zur speziellen Begründung der einzelnen wich- tigsten Punkte werden dann Abbildungen verschiedener pathologischer Schädel, Varietäten, Schädel von jungen Tieren, schematische Figuren und Deutungen der Holzschnitte bekannter entwieklungsgeschichtlicher Handbücher mitgeteilt, die von denjenigen der Verfasser der letzteren Lehrbücher durchaus abweichen. Hierauf konnte Ref. natürlich nicht eingehen; in betreff der Entwieklung der Hypophysentasche wenig- stens hat Kölliker (Grundriss der Entwieklungsgeschichte. 2. Aufl. 1834. 5. 245) bereits den entschiedensten Widerspruch erhoben). Man erhält zufolge jener Begründungsweise leider keinen Aufschluss, ob Jene fundamentalen Entdeckungen auf anderweitige ausgedehnte Un- tersuchungsreihen oder nur auf die letzterwähnten Einzelfunde basiert sind. Möchte der Verf. diesem Zweifel, sobald es seine Zeit erlaubt, gründlich abhelfen. W. Krause (Göttingen). Wollny, Ueber die Thätigkeit niederer Organismen im Boden. Deutsche Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege 1883 u. Deutsche Landwirtschaftliche Presse I—VII. 1883—84. Zu den wichtigsten Fragen für die hygieinische sowohl, als prak- tisch landwirtschaftliche Beurteilung und Behandlung des Bodens ge- hört entschieden die nach dem Schieksal der im Boden vorhandenen oder demselben künstlich zugeführten organischen Substanzen. Dass die unter gewissen Bedingungen bei der Zersetzung dieser organischen Körper sich bildenden: Kohlensäure, Wasser, Ammoniak und auch wohl Stickstoff Produkte eines Oxydationsprozesses sind, ist nicht sowohl von vorn herein wahrscheinlich, als vielmehr durch direkte Versuche und Beobachtungen von Boussingault, Fleck, v. Fo- dor ete. nachgewiesen. Dieser Prozess ist indess kein rein che- mischer, sondern zum weitaus größten Teil an das Vorhandensein niedriger Organismen gebunden. Schlösing und Müntz lieferten zuerst bezüglich der Umwandlung des bei dem Zertall organischer Substanzen sich bildenden Ammoniaks in Salpetersäure diesen Nach- 1) In bezug auf diesen Punkt bringen wir eine Mitteilung des Herrn Al- hbreeht in unserer nächsten Nummer. Anm. d. Red. Wollny, Ueber die Thätigkeit niederer Organismen im Boden. 635 weis. Starke Erhitzung, sowie Durchleitung von Chloroform, Schwe- felkohlenstoff (Warington) und anderen fäulniswidrigen Mitteln ver- hinderten die Nitrifizierung des Bodens völlig oder setzten sie auf ein Minimum herab. Geeignete Versuche ergaben als Erreger dieser Um- wandlung zahlreiche längliche, äußerst kleine Gebilde, die mit den von Koch, Cohn und Pasteur im Wasser aufgefundenen glänzenden Körperehen (eorpuseules brillants) große Aehnlichkeit hatten. Rein- kulturen derselben konnten zur Nitrifizierung beliebiger Mengen sterili- sierter Flüssigkeiten (Jauche ete.) oder Bodenmassen verwandt werden. In ähnlicher Weise konstatierte Wollny, dass auch die Oxy- dierung des Kohlenstoffes solchen niederen Organismen ihren Ursprung verdanke, indem durch geeignete Entfernung aller Organismen jener Prozess außerordentlich beschränkt wurde. Es ergab sich zwar, dass eine einfache langsame Verbrennung der organischen Substanz neben- hergehe, dass aber deren Leistung im Verhältnis zu derjenigen des ersteren Prozesses nur äußerst gering sei. Umgekehrt haben nun aber auch vielfache Untersuchungen er- geben, dass die Reduktion der Nitrate, die überall bei eintreten- dem Sauerstoffmangel sich geltend macht, niederen Organismen zu- zuschreiben ist. Schon Scehlösing, nach ihm Gayon und Du- petit, sowie Deherain und Maquenne wiesen dies überzeugend nach und kamen zu dem interessanten Resultat, dass außer den gänzlich reduzierend wirkenden Lebewesen auch solche mitwirken, die die betreffenden Nitrate nur in Nitrite zurückverwandeln. — Aus allen Daten geht jedenfalls mit Sicherheit hervor, dass die Zer- setzungsprozesse der organischen Substanzen des Bo- dens durch die Lebensprozesse niederer Organismen vermittelt werden, die überall im demselben in ungeheurer An- zahl verbreitet sind. Ueber die Natur derselben lässt sich allerdings vorläufig noch keine bestimmte Angabe machen — weder Koch’s noch Miquel’s Untersuchungen haben zu einem bestimmten Resultat geführt — indess dürfte nach Verf. sich allgemein sagen lassen, dass in den oberen und lockerern Bodenschiehten den Schimmelpilzen, in den tieferen und diehteren den Bakterien die bezüglichen Kraft- leistungen zufallen (? Rei.). Nach dieser Uebersicht über die Gesamtheit der bezüglichen Er- scheinungen geht Verf. zur Betrachtung der einzelnen Faktoren über, welche die Thätigkeit und Vermehrung der Mikroorganismen sowohl, als auch das Auftreten der verschiedenen Formen derselben im Bo- den beherrschen. Es sind das im wesentlichen die Luftzufuhr, Feuch- tigkeit, Wärme, das Licht, gewisse chemische Verbindungen etc. Was zunächst die Luftzufuhr betrifit, so hat sich ergeben, dass die Salpeterbildung von der Menge des zugeführten Sauerstofies abhängig ist, aber selbst bei einer beschränkten Sauerstoffzufuhr noch beträchtlich sein kann. Dass übrigens bei noch weiterer Be- 636 Wollny, Ueber die Thätigkeit niederer Organismen im Boden. schränkung der letzteren der Oxydations- in einen Reduktionsprozess umgesetzt wird, ist schon oben erwähnt worden. Auch für die Koh- lensäureproduktion ist die Luftzufuhr in ähnlicher Weise maßgebend, wenn auch festgestellt worden ist, dass die Kohlensäureentwicklung bei dem Ueberschreiten einer gewissen Grenze, bei welcher der Sauer- stofigehalt ungefähr 8°/, von der Luft beträgt, unabhängig von der zugeführten Sauerstoffmenge ist, und selbst dann nieht aufhört, wenn der Boden mit einem ‚andern Gase oder mit Wasser erfüllt ist (offenbar auf kosten des Sauerstoffes reduzierbarer Substanzen). — Für die Entwicklung des Salpeterfermentes scheint ein mittlerer Feuchtigkeitsgehalt des Bodens am günstigsten zu sein, während im übrigen der Zerfall der organischen Substanzen bis zu einer be- stimmten Grenze mit dem Wassergehalt zunimmt. Ein Plus übt eine retardierende Wirkung auf den Oxydationsprozess aus. Die Einwir- kung der Wärme macht sich in der Weise geltend, dass sowohl für den Salpeter- als auch für den Kohlensäurebildungsprozess eine Zu- nahme bis 50—60° C. wahrzunehmen ist, worauf ein schnelles Fallen der Kurve eintritt. Das Licht hat nach Soyka auf die Salpeterbildung eine hemmende Wirkung. Wie gewisse Stoffe die Zersetzungserschei- nungen in dieser oder jener Richtung beeinflussen können, dürfte von selbst einleuchten und ist oben teilweise schon angedeutet worden. — Es ergibt sich also im allgemeinen die Schlussfolgerung, dass die Funktionen der bei den Oxydationsprozessen im Bo- den beteiligten Organismen beschleunigt werden in dem Grade, in welchem die Intensität der einzelnen maßge- benden Faktoren zunimmt, dass bei der Erreichung einer gewissen Grenze ein Maximum der Leistung der Funk- tion eintritt, dass diese aber über jene Grenze hinaus wieder abnimmt, bis schließlich ein Stillstand eintritt und der Zersetzungsprozess, infolge des massenhafteren Auftretens von anderen, durch die geänderten Lebens- bedingungen in ihrer Thätigkeit und Vermehrung geför- derten Organismen, einen von dem vorigen wesentlich verschiedenen Charakter annimmt. Demnach würde das Maximum der Leistung eintreten, wenn die maßgebenden Faktoren alle in der gleichen Richtung unter den günstigsten Bedingungen einwirkten, was indess in der Natur sehr selten der Fall ist. Viel- mehr beeinflussen hier die versehiedenen Faktoren den Prozess meist in entgegengesetzten Richtungen und wirken sich entgegen. Es lässt sich aus dieser Thatsache mit einiger Ueberlegung leicht die Folgerung ziehen, dass die Zersetzungsprozesse im Boden in quanto und quali von demjenigen Faktor beherrscht werden, der im Minimum vorhanden ist. — An der Hand dieses Satzes sucht nun Verf. den eigentümlichen Verlauf der in der Natur im Boden sich abspielenden äußerst kom- Strasburger, Das botanische Praktikum. 637 plizierten Prozesse dem Verständnis näher zu bringen. Es sind nicht nur die physikalischen Verhältnisse des Bodens, sondern auch kli- matische und meteorologische Elemente, welche in betracht zu ziehen sind. Von den physikalischen Verhältnissen des Bodens behandelt Verf. seine Durchlässigkeit für Luft und Wasser, das allgemeine Ver- halten der Böden zum Wasser, ferner den Einfluss der Bodenwärme, die Wärmekapazität und Wärmeleitung der Bodenarten, die Lage des Bodens gegen die Himmelsrichtung, sowie die Bedeckung desselben mit Pflanzen oder leblosen Gegenständen etc. Alle diese Verhält- nisse, sowie auch die Besprechung der klimatischen und meteoro- logischen Einflüsse entziehen sich ihrer Natur nach einer Besprechung an diesem Orte, und es muss in bezug auf sie auf das Original ver- wiesen werden. C. Fisch (Erlangen). ®. Strasburger, Das botanische Praktikum. Anleitung zum Selbststudium der mikroskopischen Botanik für Anfänger und Fortgeschrittenere. Mit 182 Holzschnitten. Jena. Fischer. 1884. 664 Seiten. Das vorliegende Buch hilft in ausgezeichneter und erschöpfender Weise einem längst bestandenen und gefühlten Mangel ab. Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, durch dasselbe den Anfänger in die mikro- skopische Botanik einzuführen und den Fortgeschritteneren in dem Studium derselben zu fördern. Dass dabei seine Benützung nicht bloß ein Selbststudium voraussetzt, sondern auch an der Hand des Lehrers geschehen kann, ist wohl selbstverständlich. Dem Anfänger wie dem Fortgeschrittenen wollte Verf. Gelegenheit geben, sich nicht nur in der Beobachtung zu üben, sondern auch mit der ganzen, mo- dernen mikroskopischen Technik sich bekannt zu machen. Er ging dabei von dem Gedanken aus, dass grade die botanische Arbeit am Mi- kroskop geeignet sei, den Ausgangspunkt für mikroskopische Studien überhaupt zu bilden; es ist deshalb das Buch nicht bloß dem Botani- ker gewidmet, sondern allen, deren Beruf ein Vertrautsein mit dem Mikroskop erfordert. Durch eingehende Behandlung der Kultur- und Untersuchungsmethoden der Spaltpilze sowie anderer derartiger Ge- genstände ist den Bedürfnissen der Mediziner entgegengekommen. Ist doch grade für diese Untersuchungen die genaueste Kenntnis der mi- kroskopischen Technik erforderlich, so dass sie nur von demjenigen mit Erfolg betrieben werden können, der mit den Methoden der neuen Forschung vollkommen vertraut ist. Ueberhaupt ist die ganze neue Färbetechnik in eingehendster Weise zur Besprechung gekommen. Indem das Buch einerseits allgemeine botanische Kenntnisse vor- aussetzt, „wie sie etwa durch das Hören einer Vorlesung über allge- meine Botanik oder durch das Studium eines der neueren Handbücher 638 Vtrieularia vulgaris als Schädiger der Fischbrut. der Botanik zu erreichen ist“, so ist es anderseits doch so gehalten, dass es zu Anfang in bezug auf den Gebrauch der optischen Intru- mente die möglichst niedrigen Anforderungen stellt und erst ganz allmählich die an den Beobachter zu machenden Ansprüche steigert. Der Text ist durch den Druck in zwei Teile gesondert, von denen der mit größerer Schrift gedruckte für den Anfänger bestimmt und so eingerichtet ist, dass er denselben an äußerst praktisch und ge- schickt gewählten Beispielen vom Einfacheren zum Zusammengesetz- ten leitet, und in 34 Pensen mit den wichtigsten der am Mikroskop zu lösenden botanischen Aufgaben vertraut macht. Die 34 Pensen sollen ungefähr der Anzahl praktischer Uebungen entsprechen, die im Laufe eines Semesters mit Anfängern abzuhalten sind. — Der kleiner gedruckte Teil, der meist unmittelbar an den größern anschließt, ist dem Fortgeschrittenern zugedacht und behandelt schwierigere Pro- bleme, zum Teil mit die interessantesten der ganzen mikroskopischen Botanik. Dabei sind überall als Untersuchungsobjekte Pflanzen ge- wählt, die einerseits leicht zu beschaffen sind, dann aber auch eine nicht zu kurze Entwicklungsdauer haben. Sie kommen frisch oder als Alkoholmaterial zur Verwendung. Die Benützung des Buches wird durch vier sorgfältig gearbeitete Register erleichtert. Für den Botaniker von Fach finden sich gleich- falls eine Menge interessanter Andeutungen und Winke, der reichen Erfahrung des Verf. entstammend, die manche Erleichterung schaffen und viele Vorurteile beseitigen werden. Dem Lehrer dürfte es ein unentbehrliches Hilfsmittel beim Unterricht werden, unentbehrlich gleichfalls jedem Mikroskopiker. Lobend zu erwähnen sind noch die schönen und zum Teil neuen Holzschnitte, sowie auch die sonstige gute Ausstattung des Werkes. Utricularia vulgaris als Schädiger der Fischbrut. Die Utricularia ist eine wurzellose in stillem Wasser, halb unter, halb über der Oberfläche desselben schwimmende Pflanze, an deren verzweigten Blättern sich eigentümliche Blasen finden, die mit Wasser gefüllt sind und bei den verschiedenen Arten verschieden groß sind, oft jedoch einen Durch- messer von !/, Zoll erreichen. Früher hielt man diese Bläschen für Schwimm- blasen, da man meinte, dass sie mit Luft und nicht, wie es in der That der Fall ist, mit Wasser gefüllt seien; jetzt weiß man jedoch schon seit Jahren, dass sie die Verdauungsorgane der Pflanze und zugleich eine höchst einfache Vorrichtung zum Fang der tierischen Nahrung wie Insekten, Krustaceen, Fisch- laich u. s. w. sind. Seit einiger Zeit ist man nun auch darauf aufmerksam geworden, dass die Pflanze mittelst ihrer Bläschen auch kleine Fische fängt und dadurch außer dem wissenschaftlichen, auch commerzielles Interesse bie- tet. Die Bläschen sind birnförmig und besitzen am Ende eine Oeffnung, wel- che mit feinen Härchen besetzt ist, die nach Darwin zu große Tiere am Ein- tritt hindern; geschlossen ist die Oefinung durch ein Ventil, das dem leisesten Bjeletzky, Zur Physiologie der Fischblase. 639 Druck nachgibt, jedoch das einmal gefangene Tier nicht wieder fortlässt; durch das dahinter befindliche Wasser bildet diese transparente Platte nach Darwin’s Meinung außerdem wohl noch einen hellen Anlockungspunkt für die wasserbewohnenden Tierchen. Wenn dieselben gefangen sind, sondert die Pflanze nicht wie andere eine Verdauungsflüssigkeit von innen ab, sondern wartet bis die durch Sauerstoffmangel zu grunde gehenden Gefangenen in Fäulnis übergehen, wo ihre Körper in Flüssigkeiten umgesetzt werden, welche die Pflanze dann durch zahlreiche in der Blase angebrachte Papillen absor- biert. Nach Beobachtungen, welche Simms angestellt und in „Ihe Nature“ Nr. 769, mitgeteilt hat, dürften übrigens die feinen Fäden, welche die Oeff- nungen der Bläschen umgeben, mit Widerhaken versehen sein, welche die ein- mal gefangenen Fischehen ihrem Bestreben, zu entkommen, hindern und die- selben vielmehr immer tiefer in die Bläschen eindringen lassen; dann zeigte es sich auch, dass es ganz gleichgültig war, ob die Fische mit dem Kopf oder mit dem Schwanz zuerst in die Blase gelangten, der tödtliche Erfolg war stets gewiss. Behrens (Gütersloh). Bjeletzky, Zur Physiologie der Fischblase. Zur Physiologie der Fischblase hat Bjeletzky eine jetzt in den Abhand- lungen der Naturforschergesellschaft von Charkoff veröffentlichte Arbeit hin- terlassen. Der Verfasser, welcher darin alle innerhalb eines Zeitraums von mehr als 100 Jahren hierüber angestellten Untersuchungen berücksichtigt hat, gibt in der Arbeit eine äußerst genaue anatomische Skizze der Fischblase und eine Zusammenstellung aller in derselben angetroffenen Stoffe. Seine eignen Untersuchungen bezogen sich auf Exemplare der 6 Fischarten Cypri- nus carpio, Carassius vulgaris, Tinca vulgaris, Abramis brama, Idus melanotus und Perca fiuviatilis. Die in der Blase enthaltenen Gase sind Stickstoff (81 bis 96 %,, oft sogar 98 °/,), Sauerstoff (meist weniger als 10 °/,, selten 15 bis 20 %/0), Kohlensäure (meist 2 bis 5 °/,, jedoch sogar in einzelnen Fällen nur 0,6, selten mehr als 7 %,). Die Kohlensäuremenge hängt wesentlich von den Verhältnissen ab, in welchen der Fisch vor Anstellung der Untersuchung ge- halten wurde; mit der Sauerstoffmenge steht sie durchaus in keinem Zusam- menhange. Was die Entstehung der in der Fischblase enthaltenen Gase anbe- trifft, folgt erden Ansichten von Configliachi (Schweigger’s Journal für Chemie und Pharmaeie, Bd. 1, 1811) und meint, dass diese Gase weder durch die Verdau- ung noch durch Verschlucken von Luft an der Wasseroberfläche entstanden sind; Tiere nämlich, welche Monate hindurch unter Wasser gehalten wurden, so dass sie durchaus nicht an die Oberfläche kommen konnten, zeigten in ihren Blasen dieselbe Gaszusammensetzung wie Tiere, welche sich ganz frei hatten bewegen können. Bjeletzky ist vielmehr der Ansicht, dass beim Empor- steigen des Fisches an die Wasseroberfläche infolge des sich vermindernden Druckes ein Teil des Gases aus der Blase entweicht. Die wahrscheinlichste Quelle der Gase der Fischblase ist nach Configliachi darin zu suchen, dass die im Wasser enthaltene und mit demselben ins Fischmaul gelangende Luft auf irgend eine Weise, vielleicht so wie Erman ausgeführt hat, dem Wasser entzogen wird; sie verteilt sich im Blut der Kiemen, der Sauerstoff wird lang- sam vom Blut assimiliert, der Rest dagegen, Stickstoff und etwas Sauerstoff 640 W. Zopf, Die Pilztiere oder Schleimpilze. werden vom Blut an die Blase abgegeben. Auch Bjeletzky ist dieser An- sicht und betrachtet das Blut und auch die Lymphe als Quelle des Gasinhalts der Fischblase; im Gegensatz zu Configliachi lässt er die Gase jedoch nicht durch die roten Blutkörperchen abgesondert werden, sondern durch die Ka- pillargefäße der Schleimhaut der Blase, wiees Rathke und Joh. Müller an- genommen haben. Behrens (Gütersloh). Ueber das Vorkommen von Dopplerit im Fichtelgebirge. Von Dr. Kellermann in Wunsiedel. In dem ausgedehnten Torflager „Seelohe“, welches, soweit es bis jetzt aufgeschlossen ist, eine durchschnittliche Tiefe von etwa 6 m besitzt, wurde unlängst zunächst der das Torflager nach unten abschließenden Lettenschicht ein Mineral aufgefunden, welches von mir als Dopplerit bestimmt wurde. Bei Besichtigung der Verhältnisse an Ort und Stelle zeigte sich, dass das Vor- kommen des Dopplerits mit dem Vorhandensein von kleinen Wasseradern, welche sich in dem Torflager gebildet haben, zusammenhängt. Der Dopplerit entsteht als ein die Wände der Wasserkanäle auskleidender Niederschlag. Solche Wasserkanäle bilden sich naturgemäß da, wo das Wasser am Hinab- sickern in die Tiefe gehindert und gezwungen wird, dem Hindernis entlang sich eine Höhlung zu bohren. Daher findet sich der Dopplerit häufig unmit- telbar an den mächtigen Hauptwurzeln der Baumstümpfe, welche als die Ueber- reste eines durch die fortschreitende Vertorfung vernichteten Waldes noch wohlerhalten in der Tiefe des Torflagers vorhanden sind. Adolf Mayer’s Vermutung'), dass alkalische, die Moorschicht durch- dringende Wässer die Humussäuren auflösen und an bestimmten Stellen aus zur Zeit noch unbekannten Ursachen wieder absetzen, bestätigt sich sonach. W. Zopf, Die Pilztiere oder Schleimpilze. Nach dem neuesten Standpunkt bearbeitet. Sep.-Abdr. aus der Eneyklopädie der Naturwissenschaften. Breslau 1885. Zum ersten mal wird hier der Versuch gemacht, in durchgreifender Weise das Gebiet der genauer erforschten Monadinen mit dem der eigentlichen Schleim- pilze (Mycetozoen, Myxomyceten) zusammenzufassen; der Gesamtgruppe wird dabei eine „Grenzstellung zwischen Tier- und Pflanzenreich* angewiesen. Ve- getative und fruktifikative Zustände werden von gemeinsamem Gesichtspunkt in äußerst glücklicher Weise beobachtet und deren nahe Beziehungen in den beiden Hauptgruppen nachgewiesen. Die Folgerungen, die sich daraus für die systematische Betrachtung der niedrigsten Organismen insgesamt ergeben, sind äußerst interessante, worauf bei nächster Gelegenheit näher eingegangen wer- den soll. c. 1) Die landw. Versuchsstationen 1883. S. 313—315. Mit einer Beilage der Verlagsbuchhandlung Urban & Schwarzenberg in Wien. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. Inhalt: Johow, Zur Biologie der floralen und extrafloralen Schauapparate. — Fünf- stück, Reiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lichenen, — Moöbius, Drei Arbeiten über Foraminiferen. — Weismann, Zur Frage nach der Unsterblich- keit der Einzelligen. — Nasse, Ueber Synthesen im tierischen Organismus. — Crampe, Zuchtversuche mit zahmen Wanderratten. — Gressin und Bottard, Das Gift des Petermännchens. — Rippen auf dem Hinterhauptsbein von Mi- eropterus salmoides. — Das zoologische Laboratorium der Chesapeake-Bai. — Hansen, Ueber peptonisierende Fermente in Sekreten der Pflanzen. 1. Januar 1885. Nr. 21. Fr. Johow, Zur Biologie der floralen und extrafloralen Schauapparate. Sep.-Abdr. aus d. Jahrb. des k. botan. Gartens zu Berlin 1884. Wie eine Anzahl anderer Schilderungen, über die schon früher an dieser Stelle referiert worden ist, verdankt auch die vorliegende Zusammenstellung ihr Entstehen hauptsächlich den vielfachen Anre- gungen, welche Verf. eine Reise nach Westindien gebracht hat. Leider müssen wir uns im folgenden damit begnügen, aus der großen Reihe von Beobachtungen nur einige wichtige und besonders interessante herauszuheben. Wie die unendlich mannigfaltigen Mechanismen, welche der Siche- rung der Fremdbestäubung dienen, sind auch die Apparate zur An- lockung der Insekten durch Farbe und Duft, die Schauapparate, in den meisten Fällen an die Blütenregion gebunden. In der Blüte selbst ist es denn wieder vor allem die Krone, die als typischer Schauapparat fungiert; indess auch andere Kreise werden dieser Funktion ange- passt. Schon eine große Anzahl einheimischer Pflanzen zeigt für den Kelch eine solche Umbildung; Gattungen wie Caltha, Helleborus, Agui- legia ete. sind Beispiele dafür. Die herrlich gefärbten Kelehe der Fuchsien, mancher Gesneraceen ete. bilden Beispiele für tropische Pflanzen. Namentlich interessant in dieser Beziehung sind eimige Rubiaceengattungen, bei denen von den 5 Kelehzipfeln einer zu einem großen glänzend gefärbten Blatte auswächst und, da an der ganzen Infloreszenz nur wenige Blüten dies Verhalten zeigen, so als Schau- apparat für die ganze Infloreszenz dient. 41 642 Johow, Zur Biologie der floralen und extrafloralen Schauapparate. Wie die Kelchblätter können auch die Staubfäden, dann meistens durch zahlreiche Anhäufung und lebhafte Färbung, als Anlockungs- apparat dienen, so bei den Akazien und Mimosen, bei vielen Myrta- ceen ete. Hoch differenzierte staminale Schauapparate zeigen sich bei vielen Zingiberaceen, bei denen die Stamina täuschend korollinisch entwickelt sind. Die Fruchtblätter werden bei Irideen korollinisch, einige Aroideen, Palmen und Verwandte zeigen lebhaft gefärbte große Narbenstrahlen. Aber auch durch die Bildung von Blütenständen wird die Man- nigfaltigkeit der Schauapparate vergrößert; Beispiele dafür anzuführen wäre überflüssig. Interessanter ist der Fortschritt, der dadurch ge- geben ist, dass die Bildung des Laubes und der Blüten auf zwei ver- schiedene Vegetationsperioden verteilt ist, wie bei vielen unserer Obst- bäume und den Weiden, wo die Schauapparate ohne Bedeckung durch Laub frei zutage treten können. In den Tropen findet sich dieselbe Erscheinung, indem das Blühen vieler Bäume, namentlich Legumino- sen, an die kahle Vegetationsperiode gebunden ist, nachdem die Blät- ter bei Beginn der trocknen Jahreszeit abgeworfen sind. Wieder bei anderen tritt nur ein teilweiser Laubfall ein. Die weitest gehende Differenzierung in der Beziehung zeigt sich dann bei Eriodendron und Mangifera indica, bei denen eine bestimmte Partie des Baumes mit Blüten bedeckt ist, während gleichzeitig ein anderer Teil Blätter und Früchte trägt. Der Wechsel zwischen diesen beiden Regionen ist ein regelmäßiger. In dieselbe Kategorie biologischer Einrichtungen gehört wahr- scheinlich auch die Erscheinung scheinbar adventiver Blüten an äl- teren Aesten oder am Hauptstamm, wie beim Cacao- und Calabassen- baum (Orescentia COujete), bei der Caesalpiniacee Brownea. Wenn auch wahrscheinlich die mechanische Aufgabe des Tragens der schweren Früchte dieser Bäume der Grund ist, so schließt doch diese Bedeutung keineswegs die andere aus, „dass die unscheinbaren Blü- ten an einem von Blättern entblößten Ort augenfälliger hervortreten können, als in den Blattbüscheln der jungen Zweige.“ Die Myrtacee Couroupita guianensis hat eine dichtbelaubte Krone, während ihr Stamm scheinbar von einem Lianenfgeflecht umgeben ist, seitlichen unbe- blätterten Sprossen, an denen Blüten und Früchte auftreten. Ein ähnlicher Fall ist die Blütenbildung der von Eichler beschriebenen Anona rhizantha. Die Blüten entspringen hier nicht an den gewöhn- lichen Laubzweigen, sondern aus besonderen Sprossen, welche am Erdboden oder auch höher am Stamm, selbst aus den untersten dicken Aesten hervorbrechen, im allgemeinen des Laubes entbehren, sich in den Boden senken, unter demselben hinlaufen und nun die Blüten auf kurzen Seitentrieben, oft 3—5 Fuß vom Stamme entfernt aus dem Erdboden heraus zum Vorschein bringen. Den bisher erwähnten floralen Schauapparaten stehen nun die Johow, Zur Biologie der floralen und extrafloralen Schauapparate. 6453 extrafloralen, außerhalb der Blattkreise der Blüte liegenden gegenüber, von denen wir in unserer Flora nur wenige Repräsentanten haben (Melampyrum nemorosum, Astrantia, Cornus florida ete.), die aber in den Tropen in überaus großem Reichtum auftreten. Es braucht da nur an die Musaceen und Zingiberaceen erinnert zu werden. Nach ihrem phylogenetischen Ursprung lassen sich die extrafloralen Schau- apparate in zwei Gruppen sondern, in die primären und die sekun- dären, zur Verstärkung schon vorhandener floraler hinzugekommenen. Die ersteren mögen hier als reine extraflorale Schauapparate be- zeichnet werden; sie gliedern sich in kaulinische und phyllinische. Alle Schauapparate der Apetalen gehören hierher. Bei den Pipera- ceen, Amarantaceen, unter den Oyperaceen Formen der Gattung Khyn- chospora ete. fungieren die Bracteen der Blütenstände als solche. Zu nennen sind ebenfalls die gefärbten Spathen vieler Aroideen, die der Oyclantheen and Pandaneen. Als einziges Beispiel solcher Schau- apparate, die kaulinischer Natur sind, muss der gefärbte Gipfelteil des Spadix mancher Aroideen angeführt werden. Die sekundären extrafloralen Schauapparate sind ebenfalls wieder phyllinisch oder kaulinisch. Die häufigste Form ist die der einfach gestalteten, korollinisch gefärbten Bracteen, wie wir sie namentlich bei den Bromeliaceen (Aechmea ete.) antreffen. Auch einzelne Orchideen, viele Labiaten (Salvia, Selarea, Ajuga), Verbenaceen, Compositen ge- hören hierher. Besonders zu nennen ist unsere Linde mit ihrem hell- gelben, großen, dem Infloreszenzstiel angewachsenen Deckblatte. Oft ist nur eine gefärbte Basalpartie vorhanden, wie bei Ananas sativa und anderen. Schopfig angeordnete Schaubraeteen machen den Ueber- gang zu den korollinischen Hochblattinvolueren, wie wir sie bei Eu- phorbiaceen und Nyetagineen finden, wie sie auch bei Astrantia und Bupleurum vorkommen. Ihnen schließen sich an die gefärbten Spathen der Bananen, Heliconien, die zu den prachtvollsten Schauapparaten gehören. Scheidenblattinvolueren, durch Kombination spathaartiger Hochblätter zu stande gekommen, zeigen einzelne Rubiaceen (Cephaelis). Die letzte Kategorie solcher Einrichtungen sind die als Schau- apparate fungierenden gefärbten Infloreszenzachsen (Psychotria para- sitica, Begonia, Cissus ete.), die zu den Fällen hinüberführen, wo der gesamte Pflanzenkörper mit einer gezüchteten Schaufarbe zur Anlockung der Insekten ausgestattet ist ( Lryngium amethystinum, Orobanche ete.).— Ueber die biologische Bedeutung der sekundären extrafloralen Schau- apparate äußert sich Verf. folgendermaßen: „Für das Zustandekommen der sekundären extrafloralen Schaueinriehtungen wird unzweifelhaft in vielen Fällen einfach das Bedürfnis nach Verstärkung der Blüten maßgebend gewesen sein. Doch glauben wir für zahlreiche Beispiele noch einen andern biologischen Gesichtspunkt geltend machen zu kön- nen. Es scheint nämlich beachtenswert, dass die extrafloralen Schau- apparate nur bei Infloreszenzen und unter diesen wieder vorwiegend 41* 644 Fünfstück, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lichenen. bei solehen vorkommen, deren Blüten nicht gleichzeitig aufblühen, sondern eine auf einen längern Zeitraum verteilte Anthese haben. Diese Verlängerung der Blütezeit der Infloreszenz hat selbstverständ- lich große biologische Vorteile, anderseits schließt sie aber den großen Nachteil ein, dass die Wirksamkeit des Schauapparates da- durch erheblich vermindert wird. Besitzt die Pflanze nun in den Braeteen, Infloreszenzachsen etc. Organe, welche für die Dauer des Blühens der gesamten Infloreszenz als Schauapparate wirksam sind, so ist jener Nachteil wieder ausgeglichen.“ Zum Schluss teilt Verf. die besprochenen biologisch-morphologi- schen Einrichtungen vom Standpunkte der Physiognomik der Gewächse aus in zehn Gruppen. Er unterscheidet die Stern-, Schopf-, Spathen-, Bracteenform, die Form der Seitamineen, die Kätzchen-, Trauben-, Strauß- oder Schirm-, Korallenform und endlich die Form der totalen Schauapparate. M. Fünfstück, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Lichenen. Mit 3 Tafeln. Berlin 1884. TImaug. -Dissert. Die interessante Arbeit behandelt die Entwicklungsgeschichte der Apothecien von drei Flechtengattungen, Peltigera, Peltidea und Nephroma. Bekanntlich sind nach den schönen Untersuchungen von Stahl, durch welche für die Collemaceen das Apotheeium als Pro- dukt eines Sexualaktes erkannt wurde, alle Versuche auch für an- dere, namentlich heteromerische Flechten gleiche Verhältnisse auf- zufinden, fehlgeschlagen. Im Gegenteil ist durch Krabbe für ver- schiedene Lichenengattungen der rein vegetative Aufbau der Apotheeien höchst wahrscheinlich gemacht, für Sphyridium jedenfalls ein voll- kommen anderer Entwieklungsmodus, als er von Collema bekannt war, festgestellt worden. Ueber die Bedeutung der Spermatien aller dieser Formen (außer Collema) liegt ebenfalls eine Aufklärung bis jetzt nicht vor. — Die Untersuchungen Fünfstück’s nun sind wohl geeignet, in der großen Lücke, die zwischen Collema und den von Krabbe un- tersuchten Formen besteht, als Verbindungsglied zu dienen. Die jüngsten Anlagen der Apothecien, meist am wachsenden Rande des Thallus gelegen, treten in Gestalt einzelner, großzelliger Mycelfäden auf, die Aseogone genannt werden; die Zahl der Ascogone, welche eine einzelne Fruchtanlage enthält, ist eine ziemlich große; es schei- nen in einer bestimmten Schicht sich alle Mycelfäden partiell so um- zubilden. Außer durch ihre Größe weichen die Ascogonzellen auch dureh ihren homogenen, stark liehtbrechenden Inhalt von den übrigen Möbius, Drei Arbeiten über Foraminiferen. 645 Mycelzellen ab; sie bilden schließlich, indem sie sich von einander ablösen, eine ausgebreitete Lage, die in einem äußerst lebhaft wachsen- den und sich teilenden Hyphengeflecht eingebettet ist. Früh macht sich in dem letztern an dem der Thallusoberseite zugewandten Teile die Paraphysenbildung bemerklich, die in einer Streekung der Ele- mente derjenigen Schicht besteht, welehe der Ascogonlage direkt auf- gelagert ist. Eine dünne Rindenschicht bedeckt noch kurze Zeit die ’araphysen, wird aber baid durch Dehnung zerrissen. Mit Beginn der Paraphysenbildung fangen auch die Ascogonzellen an seitlich Aussprossungen zu treiben, die sich verlängern, sich verzweigen und dabei teilweise in die unteren Partien des Paraphysenlagers eindringen. Diese Aussprossungen bilden die ascogenen Schläuche, von deren Enden sich die Asci erheben und zwischen die Paraphysen hinein- wachsen. Von einer Andeutung im Innern dieser jungen Fruchtan- lagen stattfindender sexueller Vorgänge ist nirgends die Rede. Eben- sowenig können allerdings die Spermatien eine solche Bedeutung haben. Bei Peltigera malacea und FPeltidea fehlen sie vollständig, während in der Gattung Nephroma allerdings Spermogonien vorkom- men, aber, wie dem Verfasser schien, in rudimentärem Zustande. Zwischen den sexuellen Collemaceen also und den ihre Frucht- körper rein vegetativ aufbauenden Flechten (Cladonia ete.) bilden also die genannten Gattungen eine Stufe, auf der die Geschlechts- organe teilweise rudimentär geworden, teilweise ganz in Wegfall ge- kommen sind. Das weibliche Organ ist in seinem Hauptteil, dem Ascogon, noch vorhanden und versorgt mit ihm die Sehlauchbildung, eine Befruchtung aber findet nicht statt. Als interessante biologische Beobachtung sei noch angefügt, dass die Apotheeien vieler Flechten ungemein langsam sich entwiekeln, jedenfalls häufig zur vollen Aus- bildung mehrere Jahre nötig haben. Drei Arbeiten über Foraminiferen. A Goes, On the reticularian Rhizopoda of the Carribbean Sea. In: Kongl. Svenska Vetenskaps-Akad. Handling. B. 19. Nr. 4. Stockholm 1882. pp. 1—151. Tab. I XI. — W. B. Carpenter, Report on the specimens of the genus Orbito- lites colleet. by H. M. S. Challenger 1873—1876. In: Report of the seient. results ofthe Voy. of H.M. S Challenger. Zoology Vol. VII, P. XXI pp. 1-48. Pl. I-VII. London 1883 — H.B. Brady, Report on the Foraminifera, dredged by H.M. S. Challenger 1873—1876. In: Report on the scient. res. of the Voy. of H.M S. Challenger. Zoology, Vol. IX. ‚Text pp. I--XI und 1—814. 2 Karten und 114 Tafeln. Dr. Go&s lebte auf St. Barthelemy und dredschte in den Jahren 1865—69 bei den kleinen Antillen St. Barth, St. Eustatius, St. Martin, Anguila und den virginischen Inseln bis zu 730 m Tiefe. Der Grund 646 Möbius, Drei Arbeiten über Foraminiferen. bestand in den größeren Tiefen teils aus Globigerinenschlamm, teils aus grobem Korallensand. Da die Küsten der genannten Inseln steil abfallen, so liegen diese Tiefen im der Nähe derselben. Die Tempe- raturen nehmen nach der Tiefe zu schnell ab. Bei einer Oberflächen- wärme von 26° C. fand G. 550 m tief 14° und 1100 m tief nur noch 5° Wärme. Die Tiere der warmen Zone gehen nicht tiefer als 180 m. Bis dahin ist die Fauna sehr reich. 170—275 m tief leben u. a. pracht- farbige Spongien. Von 370—550 m an trifft man zahlreiche Foraminiferen an. Der Grund, den sie bewohnen, besteht 1) aus feinem amorphem Kalk- schlamm mit Fragmenten verschiedener Schaltiere; 2) aus eiförmigen Körpern von 0,25 mm Durchmesser aus zusammengepresstem feinem Kalkschlamm, wahrscheinlich Koprolithen; 3) aus Schalen von kleinen und jungen retikulären Rhizopoden, welche vorwiegend folgenden Gat- tungen angehören: Planorbulina, Orbiculina, Cornuspira, Miliolina; 4) aus größeren Rhizopodenschalen, hauptsächlich der Gattungen: Nodosaria, Globigerina, Pulvinulina, Planorbulina, Textularia, Amphi- stegina, Valvulina und Lituolina; 5) aus Schalenresten von Mollusken, unter welchen die pelagischen Pteropoden Oreseis, Hyalea und Ouvieria vorwalten; 6) aus Spongiennadeln, denen geringe Mengen von Radio- larien und Diatomeen beigemischt sind; 7) aus Konglomeraten toter Korallinen, Wurmröhren und anderer Schalenreste und einem an Fora- miniferen reichen Sande (wie auf dem sogenannten Pourtal&s-Plateau bei Florida). Im allgemeinen sind die Foraminiferen dieser Tiefen großwüchsig; so wird z. B. Nodosaria communis bis 20 mm lang. Auch die Gattungen Orbiculina, Cornuspira, Miliolina, Discorbina, Pulvinulina und Textularia werden hier größer als in der Litoralzone. Da Kieselsand in dem Tiefenschlamm fast fehlt, so sind die ag- glutinierenden Arten genötigt, sich mit Kalkkörpern zu bedecken. Nur einige Lituolina- und Valvulina-Arten suchen sich Kieselsand auf, während ihre nächsten Verwandten Kalksand verwenden. G. verwirft die Einteilung in „glasige“ (vitrious) und sandige (arenaceous) Gruppen, da in den Gattungen Nodosaria, Globigerina und Rotalina isomorphe glasige und sandige Arten vorkommen und spricht sich gegen die Aufstellung zu enger Speziesbegriffe aus. Die Ver- wandtschaft der Formen stellt er sich vor unter dem Bilde eines Netzes, dessen Knoten den Spezialbegriffen entsprechen. Die Längen der Internodien drücken Verwandtschaftsgrade aus. Die Varietäten der Spezies können versinnlicht werden durch Linien, welche von den Knoten ausstrahlen. Auf die Einleitung, der diese Sätze entnommen sind, folgt die Aufzählung von 65 untersuchten Arten und 22 Varietäten mit Bemer- kungen über deren Eigentümlichkeiten. Da der Verf. den Speziesbe- griffen einen weitern Umfang gibt, als die meisten früheren Autoren, Möbius, Drei Arbeiten über Foraminiferen. 647 so führt er fast bei allen Arten zahlreiche Synonymen an. Die Ab- bildungen stellen nicht bloß die äußere Form, sondern oft auch den innern Bau der Schalen sehr gut dar. In dem großen Foramimiferenwerke Brady’s werden 698 Spezies abgebildet und mit wenigen Ausnahmen auch ausführlich beschrieben. 71 Spezies sind neu. Bei jeder Art werden die bekannten Fundorte angeführt und bei den früher beschriebenen die Autoren und Syno- nymen aufgezählt. Das ungeheure Material, welches B. durchgear- beitet hat, lieferten die Expeditionen des Challenger (1873—76), Por- eupine (1869), Knight-Errant (1880), die Britischen (1875—76) und Oesterreichischen Nordpolarfahrten (1872—74). Da auf allen diesen Reisen nur wenig Küstensand gesammelt, sondern vorzugsweise in größeren Tiefen gedredscht wurde, so eröffnet uns dieses Werk zum ersten mal einen umfassenden Blick auf den Reichtum der Tiefsee- Foraminiferenformen. In den Ablagerungen am Meeresgrunde treten jedoch auch ge- wisse pelagische Foraminiferen massenhaft auf, die Gattung Globigerina in 7, Pulvinulina in 5 Arten, und die Gattungen Orbulina, Hastigerina, Pullenia und Sphaeroidina in je einer Art. In manchen Grundproben waren im ganzen 20—95 Foraminiferenspezies vertreten. Charakteristische Unterschiede zwischen pelagischen und Grund- foraminiferen konnte B. nicht entdecken, er fand aber, dass die pela- gische Fauna und die Grundfauna senkrecht unter jener in gewissen Beziehungen zu einander stehen. Da nun auf die Verbreitung der pelagischen Spezies die Oberflächentemperatur von großer Bedeutung ist, so soll diese nach Brady’s Ansicht auch die Verbreitung der Tiefseeforaminiferen mitbestimmen. Nach Untersuchungen von CE. R. A. Wright und J. T. Duncan enthalten Schalen von Orbitolites complanata, var. laciniata, 36,46 — 88,74 Prozent kohlensauren Kalk, 8,8— 12,52 Prozent kohlensaure Magnesia und 0,1—0,5 Prozent Kieselsäure. Einen noch höhern Kalkgehalt fand L. Schmelk in gereinigten Schalen von Biloculina ringens (aus Bilocu- linaschlamm), nämlich 92,05 Prozent und 7,61 Prozent in Chlorwasserstoff- säure unlösliche Substanz. Bei denjenigen Foraminiferen, deren Schale vorzugsweise aus Fremdkörpern zusammengesetzt ist, bildet den Mör- tel, der diese verbindet, entweder eine organische Substanz oder eine unorganische Masse. Schalen von Rhabdammina abyssorum vom Grunde des nordatlantischen Ozeans enthielten 94,7 Prozent Kieselsäure, 2,4 Prozent Eisenoxyd und 2,9 Prozent Kalkkarbonat. B. hat ein außerordentlich reichhaltiges Verzeichnis der Foramini- ferenliteratur vom Jahre 1565 bis zum Jahre 1884 auf 45 Quartseiten zusammengestellt. Er gibt einen Abriss der Geschichte der Klassifi- kation der Rhizopoden im allgemeinen und der Foraminiferen im be- sondern. Keines der früher aufgestellten Systeme findet seinen Beifall. Er ist mit W. B. Carpenter der Ansicht, dass die verschiedenen 648 Möbius, Drei Arbeiten über Foraminiferen. Foraminiferenformen um eine verhältnismäßig geringe Anzahl typi- scher Spezies zu gruppieren seien, und da er findet, dass die mikro- skopische Struktur der Schalen keine bestimmten Grundlagen für die Bildung von Hauptabteilungen darbietet, so löst er die ganze Ord- nung der Foraminiferen in Familien und Subfamilien auf, ohne diese wieder zu Subordnungen zu vereinigen. Die 10 Familien, welche er aufstellt, charakterisiert er folgendermaßen: 1. Familie. Gromidae. Hülle chitinös, imperforat, glatt oder be- deckt mit Fremdkörpern; mit einer oder zwei Mündungen für Pseudo- podien, welche lang, verzweigt oder netzartig sind. 2. Familie. Miliolidue. Schale imperforat, kalkig, bei manchen mit Sand inkrustiert; unter Umständen (z.B. im Braekwasser) ehitinös oder cehitinössandig; in großen Tiefen bisweilen aus einer dünnen homogenen Kieselhaut bestehend. 3. Familie. Astrorhizidae. Schale stets (aus Fremdkörpern) zu- sammengesetzt, gewöhnlich von bedeutender Größe und einkammerig, oft verzweigt oder radiär, bisweilen gegliedert durch Verengung der Wand, aber selten oder niemals durch vollkommene Scheidewände ab- geteilt. Vielkammerige Formen sind niemals symmetrisch. 4. Familie. Litwolidae. Schale sandig, äußere Form meist regel- mäßig. Kammerscheidewände oft unvollkommen, Kammern häufig labyrinthisch. Diese Familie umfasst sandige Formen, welche vielen porzellanartigen und glasartigen Typen isomorph sind. 5. Familie. Textularidae. Schale der größeren Arten sandig, mit oder ohne eine perforate kalkige Unterlage; kleinere Arten sind hya- lin und deutlich perforat. Kammern in zwei oder mehr alternierenden Reihen, spiral oder unregelmälig aneinander gelagert. Viele Spezies dimorph. 6. Familie. Chilostomellidae. Schale kalkig, vielkammerig, mit fei- nen Porenkanälen. Kammern mehr oder weniger umfassend, alle von einem Pol der Längsachse auswachsend, oder abwechselnd von beiden Polen oder spiral dreireihig. 7. Familie. Lagenidae. Schale kalkig, mit sehr feinen Porenka- nälen, einkammerig oder vielkammerig. Kammern gradlinig, gebogen, spiralig, alternierend oder (selten) zweigartig aneinander gefügt. Mündung endständig, einfach oder strahlig. Keine Zwischenkammer- masse und keine verzweigten Kanäle. 8. Familie. Globigerinidae. Schale frei, kalkig, perforat, mit weni- gen, stark gewölbten, spiralig geordneten Kammern. Eine oder mehrere deutliche Mündungen. Ohne Zwischenkammmermasse und verzweigte Kanäle. Alle größeren Arten leben pelagisch. 9. Familie. Rotalidae. Schale kalkig und perforiert, frei oder festsitzend. Die typischen Formen spiralig und „rotalienförmig“ d. h. derartig gewunden, dass auf der Mündungsseite nur die Kammern der letzten Windung, auf der Gegenseite aber alle Kammern Möbius, Drei Arbeiten über Foraminiferen. 649 sichtbar sind. Bald ist die eine, bald die andere dieser Seiten mehr konvex. Abweichende Formen evolut, ausgebreitet, zusammengehäuft oder unregelmäßig. Einige höhere Formen mit doppelten Kammer- wänden, Zwischenkammermasse und verzweigten Kanälen!). 10. Familie. Nummulinidae. Schale kalkig mit feinen Porenkanälen ; in der Regel frei, vielkammerig und symmetrisch spiralig. Die höher entwickelten Formen mit Zwischenkammermasse und mehr oder weni- ger ausgebildetem System verzweigter Kanäle. Nachdem B. die Familien und die unter ihnen stehenden Sub- familien und Gattungen charakterisiert hat, zählt er sämtliche Statio- nen auf, wo die von ihm untersuchten Formen gesammelt wurden mit Angaben über Zeit, Tiefe, Bodenbeschaffenheit und Temperatur und nennt die an jeder Station gefundenen Gattungen. Den größten Raum des Werkes, nämlich 624 Quartseiten, nehmen die Beschreibungen der Arten ein. An diesen wichtigen Hauptteil sind Tabellen angeschlossen, aus denen zu ersehen ist, welche Fora- miniferenarten an der Zusammensetzung der wichtigeren Bodenabla- gerungen des Meeresgrundes beteiligt sind, bis hinunter zum roten Ton (red elay), 4300 m tief. Ein Register sämtlicher beschriebener Arten und ihrer Synonymen beschließt den Text, dem zwei Stations- karten angehängt sind. Ein zweiter Band enthält 115 Tafeln vortrefflicher, z. T. kolorierter Abbildungen. Manche Spezies sind außerdem noch im Text durch gute Holzschnitte erläutert. In der Einleitung seiner Monographie der Gattung Orditolites stellt W. B. Carpenter die Geschichte der Untersuehungen dieser Gattung dar, und dann wiederholt er einige allgemeine Gedanken über die Klassifikation der Foraminiferen, welche er schon in früheren Ar- beiten ausgesprochen hatte. Danach soll der gewöhnliche Begriff von Spezies als einer Gemeinschaft von Individuen mit bestimmten Eigenschaften, welche von ähnlichen „Prototypen“ dureh Vererbung auf ihre Nachkommen übertragen werden, nicht anwendbar sein; denn wenn die Grenzen soleher Gemeinschaften erweitert würden, um einzuschließen, was man sonst Genera nennt, so würden sie so eng verknüpft sein durch Zwischenstufen, dass bestimmte Trennungslinien zwischen ihnen nicht gezogen werden könnten. Die Variabilität, sagt C., ist bei den Foraminiferen so groß, dass sie sich nicht bloß auf Eigenschaften ausdehnt, welche nach den üblichen Methoden der Systematiker als spezifisch angesehen werden, sondern sieh zum großen Teil sogar auf Genera, ja in einigen Fällen sogar auf Ordnungen erstrecken. Diesen Ausspruch begründet C. dadurch, dass er auf die frühere Einteilung der Foraminiferen von d’Orbigny hin- weist und auf die von ihm beschriebene neue Spezies Orbitolites tenwis- 1) Für die in dieser Familie vereinigten Formen hätten nach meiner An- sicht mehrere Familienbegriffe aufgestellt werden sollen. Ms. 650 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. sima, deren fünf verschiedene Entwicklungsstufen nach der d’Orbigny’- schen Einteilung in vier verschiedene Ordnungen verteilt werden müssten. Schließlich erklärt C. aber doch, dass thatsächlich beson- dere Formtypen durch Vererbung kontinuierlich übertragen werden, und dass diese Typen zum Zwecke einer wissenschaftlichen Beschreibung und systematischen Stellung mit bestimmten Art- und Gattungsnamen belegt werden müssen. Mit dieser letzten Bemer- kung stimmt er im Grunde meiner Kritik!) seiner schon in früheren Arbeiten ausgesprochenen Ansichten bei, obwohl er sie in einer An- merkung seiner Orbitolitesschrift zurückzuweisen versucht. Bei einem Besuche meines verehrten Freundes Prof. Carpenter in London im September vorigen Jahrs haben wir über diesen Punkt so eingehend gesprochen, dass ich annehmen darf, derselbe würde mir, was die Bildung der Speziesbegriffe bei den Foraminiferen betrifft, nicht ent- gegengetreten sein, wenn er, des Deutschen hinreichend mächtig, alle meine Auseinandersetzungen vollkommen verstanden hätte. In dem speziellen Teile werden zunächst die Eigenschaften der Gattung Orbitolites auseinandergesetzt und durch Holzschnitte veranschaulicht; dann folgen die Beschreibungen der Arten. Dieneue Spezies O.tenwissima ist eine bloß !/,,, Zoll dieke Scheibe, welche nur aus einer Schicht Kammern besteht. Die ersten 5—6 Windungen der Schale gleichen einer jungen Cornuspira mit Anfängen von Kammerscheidewänden fast wie bei Spiroloculina, dann folgen Kammerbildungen wie bei Peneroplis und Orbieulina, ehe die konzentrischen Kammern der typi- schen Orbitolites-Formen erscheinen. Diese neue Spezies ist im nord- atlantischen Ozean bis 3100 m tief, im Mittelmeere auch in geringen Tiefen gefunden worden. Die anderen genauer beschriebenen Arten mit mehreren Kammerschichten sind O0. marginalis Lam., O. duplex Carp. und O. complanata Lam. mit ihrer merkwürdigen großen Varie- tät /aciniata Carp. Sieben Steindrucktafeln veranschaulichen den äußern und innern Bau der Schalen in vorzüglicher Weise; auf einer achten Tafel sind abnorme und reproduzierte Schalen von O. complunata ab- gebildet. Kiel, den 23. November 1884. K. Möbius. Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. Von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. B. Seit ich vor einigen Jahren auf den Unterschied hinwies, der uns in der Dauer des Lebens bei einzelligen und vielzelligen Wesen, spe- 4) K. Möbius, Beiträge zur Meeresfauna der Insel Mauritius und der Sey- chellen, Berlin 1880 Foraminifera, S. 68. Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 651 ziell bei Protozoen und Metazoen entgegentritt, ist derselbe mehrfach Gegenstand der Erörterung geworden. Unabhängig von mir und fast gleichzeitig hat der leider so früh der Wissenschaft entrissene W.H. Rolph im seinem gedankenreichen Buch „Biologische Probleme“ die Sache berührt. Dann veröffentlichte Bütschli einige Reflexionen darüber, später folgte Götte mit einer eingehenden Abhandlung „über den Ursprung des Todes“ und zuletzt hat Möbius sich über diese Fragen geäußert. Dass in der That die Beziehungen zwischen den Individuen, welche successive auseinander hervorgehen, bei den Ein- zelligen eine andere ist als bei den höheren Vielzelligen, scheint kaum bestritten werden zu können, ist auch so auffällig, dass es jeder sehen muss, der überhaupt diesen Erscheinungen einiges Nachdenken zuwendet. Das einzellige Individuum vermehrt sich, indem es sich in zwei Hälften teilt, und von diesen ist jede gleich lebensfähig und enthält das Vermögen fernerer, soweit wir urteilen können, unbegrenz- ter Teilungen. Bei jeder Teilung geht das sich teilende Individuum genau in die zwei Hälften auf, es bleibt nichts übrig, es stirbt nichts ab. Bei den Metazoen ist dies anders, die Individuen pflanzen sich nur durch bestimmte einzelne Zellen fort, die sich im ihnen ausbilden, sie selbst aber sterben und es unterliegt keinem Zweifel, dass sie sterben müssen, sterblich sind. Den Einzelligen dagegen ist eine in ihrer eignen Natur begründete zeitliche Grenze nicht gesteckt, sie sind somit in gewissem Sinne unsterblich. Daraus folgt dann weiter, dass der natürliche oder physiologische Tod des Individuums erst mit der Entstehung der Vielzelligen auftrat, dass er mithin eine Anpas- sungserscheinung ist, nicht aber, wie man bis dahin angenommen hatte, ein unvermeidliches Attribut alles Lebendigen, eine Konsequenz des Lebens selbst. Diese meine Auffassung hat nicht überall Zustim- mung gefunden, zuerst trat ihr Götte in der oben angeführten Schrift entgegen und nun auch Möbiust). Die Einwände des erstern habe ich bereits in einer besondern Abhandlung?) zu entkräften versucht, die des letztern gaben den Anstoß zu vorliegendem Aufsatz. Wenn es sich hier um Erscheinungen handelte, die noch nicht genau genug gekannt wären, um heute schon eine sichere Beurteilung zuzulassen, oder um solche, deren Deutung der individuellen Meinung weiten Spielraum ließe, so würde ich darauf verziehten, sie jetzt nochmals einer Analyse zu unterwerfen, allein mir scheint das Gegenteil der Fall zu sein; wir haben auf diesem Gebiet einen recht soliden Boden von Thatsachen unter den Füßen, und ich meine, die Schlüsse daraus müssten bis zu einem gewissen Betrag auch ganz bestimmte und si- chere sein können. So möchte ich denn noch einmal versuchen, meine Meinung genauer darzulegen. 1) Das Sterben der einzelligen und der vielzelligen Tiere. Diese Zeit- schrift IV. Bd. Nr. 13 1884. 2) Ueber Leben und Tod. Eine biologische Untersuchung. Jena 1884. (452 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. Götte hat bekanntlich im Gegensatz zu meiner Behauptung vom gänzlichen Fehlen eines natürlichen Todes bei den Einzelligen die An- sicht aufgestellt, dass dieses Fehlen nur scheinbar sei, in Wahrheit aber auch im Entwieklungsgang der Einzelligen ein Tod vorkomme; er fasste die Enceystierung des Tieres, wie sie oft der Teilung vorhergeht, als einen Zerfall, als ein Herabsinken des lebenden Kör- pers zu toter organischer Materie auf, die sich später erst wieder neu belebt und dann zur Teilung schreitet. Ich glaube gezeigt zu haben, dass wir diese Deutung nicht annehmen können; weder geht der Tei- lung stets Enceystierung voraus, noch darf überhaupt die Eneystierung als ein ursprünglicher Vorgang aufgefasst werden, sie ist vielmehr eine sekundäre Einrichtung zum Schutz des Tiers gegen äußere Schädlichkeiten, gegen Einfrieren und Eintrocknen u. s. w, auch führt sie nicht eine völlige Auflösung des Organismus herbei, vielmehr häufig nur sehr unbedeutende, rein äußerliche Veränderungen, die nicht einmal jede Bewegung vollkommen ausschließen, geschweige denn als ein Tod betrachtet werden können. Möbius greift denn auch nieht auf diese Vorstellungen zurück, er bestreitet nicht, dass ein natürlicher Tod den Einzelligen fehlt, aber er meint, wenn auch das Individuum „bei seiner Fortpflanzung nichts zurücklasse, was stirbt“, so sei es dennoch nieht „unsterblich zu nennen, denn während der Teilung erlösche allmählich sein indi- viduelles Dasein“ und zwar gehe es „in dem Augenblick zu Ende, wo sieh die Tochtersprösslinge von einander trennen. Mit dem Ab- schluss der Teilung hört also das Mutterindividuum auf zu leben.“ Es fragt sich zunächst, was man hier unter dem Worte „Indivi- duum“ zu verstehen hat. Als ein „Individuum“ im physiologischen Sinn — und nur um ein solches kann es sich ja hier handeln — wird man jeden selbständig lebenden Körper betrachten können, der von anderen lebenden Körpern abgegrenzt ist. Verschwindet nun wirk- lieh das Muttertier bei der Teilung und wird aus ihm ein anderes Individuum? Was könnte dabei das Entscheidende sein? Gewiss weder die Form, noch die Masse, noch dıe Zusammensetzung aus Organen, Zellen, Molekülgruppen, Molekülen oder endlich Atomen; alles dieses kann sich ändern, ohne dass dadurch das Bion ein an- deres wird, und thatsächlich wechselt auch alles dies im Laufe des Lebens ein und desselben, unbestrittenen Bions; man denke an die Metamorphose, an das Wachstum, an den Zellverbrauch und Zellersatz und schließlich an den Stoffwechsel, auf dessen unausgesetzter Thätig- keit die Lebenserscheinungen beruhen. Um mit dem letztgenannten zu beginnen, so kann man unmöglich mit Möbius als Beweis dafür, dass die Teilungssprösslinge andere Bionten seien als das Mutterbion, geltend machen, dass dieselben zwar zuerst noch ganz aus derselben Substanz bestünden, dann aber während ihres Wachstums ebenso viel Weismann. Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 653 neue Substanz hinzufügten, als sie übernommen hätten, so dass dann also bei ihrer Teilung jeder Sprössling nur „höchstens !/, der groß- mütterlichen Leibesmasse“ enthalten könne, „bei der dritten Teilung nur höchstens !/,, bei der vierten höchstens !/,, bei der zelinten höchstens !/ioa,; von dem Leibe der Urmutter“. Einer solchen Auf- fassung glaubte ich vorgebeugt zu haben, als ich bei früherer Gelegen- heit schrieb: „Der Mann von heute besteht aus ganz anderen Molekü- len als der Knabe von vor 20 Jahren“ t), und doch sind beide für uns dasselbe Individuum. Nicht die Identität des Stoffes be- dingt die Identität der lebenden Person, sondern die Kontinuität des selbständigen, gegen andere abgegrenz- ten, lebenden Körpers! Grade diese aber wird bei dem Teilungs- prozess nicht aufgehoben, nur die Masse des Körpers wird ver- ringert, wie sie früher beim Wachstum vermehrt wurde. Aber auch Vermehrung oder Verminderung der Masse stempelt ein Bion nicht zu einem neuen, einem andern, als es vorher war, nimmt ihm nicht seine Individualität. Sagen wir denn bei einem Menschen, der den Arm oder das Bein, oder gar Arme und Beine verloren hat, er sei nun ein anderes Individuum geworden? oder wie groß muss der Ver- lust an Masse sein, damit die Individualität eine neue werde? Wie sollte also eine Amöbe oder ein Infusorium seine Individualität ver- lieren, wenn es ein Stück von sich abspaltet, betrage dies auch die Hälfte seiner Gesamtheit? Man könnte aber etwa versucht sein, die Teilsprösslinge eines Infusoriums deshalb als neue Individuen zu betrachten, weil sie viel- fach Teile neu bilden müssen. So muss z. B. bei der Querteilung der Infusorien die vordere Teilhälfte ein neues Hinterende bilden, die hintere Teilhälfte dagegen muss sich durch ein neues Vorderende mit Mund, adoraler Wimperzone u. s. w. zu einem vollständigen Bion er- gänzen. Entscheidet aber diese Hinzufügung neuer Teile über die In- dividualität? Halten wir eine geflügelte Heuschrecke für ein anderes Individuum als ihre flügellose Larve, oder den Frosch mit seinen vier Beinen für ein anderes Individuum als seine noch fußlose Kaulquappe ? Bloße Formänderungen können unmöglich die Individualität zerstören und zu einer neuen stempeln, so dass ich gar nicht einmal darauf hinzuweisen brauchte, dass bei den angezogenen Infusorien die neu zu bildenden Teile oft schon am Mutterindividuum entstehen, bevor noch die Teilung erfolgt ist, so lange also die Individualität der Mut- ter unbestritten besteht! Möbius beruft sich aber auch auf die Psyche. „Die Protozoen sind ebenso wie die Metazoen psychisch zentrierte Individuen. In den gesonderten psychischen Zentren der Teilungssprösslinge kann das frühere psychische Zentrum der Mutter nieht fortbestehen, weil 1) Dauer des Lebens S. 55. 654 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. deren individuelles, leibliches und geistiges Leben bei der Teilung er- lischt. Die Protozoen sind daher auch vom psychologischen Stand- punkte aus nicht unsterblich zu nennen.“ Ist aber dieses „Erlöschen“ nicht eine petitio prineipii? woher wissen wir, dass es erlischt? oder was hätten wir für ein Kriterium, die Psyche eines Infusoriums von der eines andern zu unterscheiden? Offenbar will das Möbius auch nicht behaupten, er meint nur, dass wir aus der Teilung der Masse, an welcher doch die Psyche hängt, folgern müssten, dass auch die Psyche geteilt und somit eine andere würde. Aber grade dieses „somit“ kann ich nieht zugeben, mir scheint vielmehr, dass die Psyche sich nicht halbieren lässt; auch scheint mir ein Grund zu der Annahme des „Erlöschens“ zu fehlen. Möbius selbst gibt ja zu, dass bei der Teilung eines Einzelligen niehts wirklich „stirbt“. Es könnte sich also nur um eine Herabsetzung der Lebensenergie, vielleicht um einen Scheintod oder selbst um einen momentanen völligen Stillstand des Lebens handeln. Ich will gar nicht weiter untersuchen, ob sich eine solche Hypothese dureh Thatsachen stützen ließe; gesetzt selbst, das Leben hörte auf, es stünde eine Zeitlang still, um nach der Teilung neu zu erwachen, wieso sollte es dann ein anderes geworden sein, als es vorher war, da doch die Substanz, an der es abläuft, zunächst noch genau dieselbe ist, die sie vorher war? Ein Frosch, eine Raupe, die aus dem gefrornen Zustand intakt wieder erwachen, sind noch dieselben Individuen wie vorher, und zwar in leiblicher wie in geisti- ser Beziehung; sie müssen nachher noch ebenso empfinden und ebenso auf die Empfindung reagieren wie vorher, dieselben Triebe und die- selben Vorstellungen haben; sollten sie Erfahrungen in ihrem früheren Leben gemacht haben, so werden ihnen diese jetzt ebenso zu gebote stehen, wie vor dem Winterschlaf, auch kann während desselben nichts neues hinzugekommen sein. Aber vielleicht könnte bei der Halbierung, wie sie die Teilung mit sich bringt, ein Teil des geistigen Gehaltes jeder Teilungshälfte verloren gehen? — Wir kennen das morphologi- sche Substrat der psychischen Funktionen bei soleh niederen Orga- nismen nicht mit Bestimmtheit; wir wissen nicht sicher, ob die ganze Masse des Tiers empfindet oder etwa bloß seine äußerste Schicht. Bei Infusorien ist wohl das letztere anzunehmen, offenbar aber hängt das psychische Vermögen auch des Infusoriums im wesentlichen nieht an der Masse der Materie, sondern an der Qualität derselben, diese aber bleibt bei der Teilung dieselbe. Man nehme an, der Mensch könne sich dureh Teilung in der Medianebene fortpflanzen, so würde sein Gehirn dabei in zwei symmetrische Hälften zerfallen, und eine jede von ihnen würde das Bewusstsein des „Ich“ mit sich nehmen und nicht minder den gesamten Inhalt der früheren Erfahrung. Durch die Teilung könnte der Inhalt des Bewusstseins nicht verändert wer- den, es könnte weder etwas davon wegfallen, noch etwas hinzukom- men, höchstens das Bewusstsein der Teilung selbst also eine neue Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 655 Erfahrung. In diesem Sinn sagte ich schon früher: „Stellen wir uns eine Amöbe mit Selbstbewusstsein begabt vor, so würde sie bei ihrer Teilung denken: ich schnüre eine Tochter von mir ab, und ich zweifle nicht, dass jede Hälfte die andere für die Tochter und sich selbst für das ursprüngliche Individium ansehen würde“). Die Erfahrungen, welche das Mutterbion gemacht hat, gehen auf jeden der Sprösslinge über und zwar nicht etwa halbiert, sondern voll und ganz; der In- halt des Bewusstseins und vollends das Selbstbewusstsein lässt sich eben nicht halbieren oder vielmehr nur so, dass jede Hälfte wieder dem Ganzen gleicht, und gradeso muss es sich auch mit dem „psy- chischen Zentrum“ der Amöbe verhalten. Ich habe aber damit noch nieht alles erschöpft, was gegen meine Ansicht vorgebracht werden könnte. Möbius stellt den Satz auf: „das individuelle Dasein“ des Protozoons gehe „in dem Augenblick zu Ende, wo sich seine Tochtersprösslinge von einander trennen“. Ich bin in der Lage eine Beobachtung hier mitzuteilen, die auf den er- sten Bliek eine frappante Bestätigung dieser These zu enthalten scheint. Eines der größten Infusorien, ein Stentor viridis, wurde in Teilung beobachtet. Das Tier hatte schon zwei vollständige Vorder- und Hin- terenden, und die beiden Teilhälften hingen nur noch durch eine ziem- lich schmale Substanzbrücke zusammen. Aber sie bewegten sich noch wie ein einziges Individuum, schwammen gleichzeitig aktiv vorwärts oder rückwärts; kam das vordere an ein Hindernis und wich ihm durch Rückwärtsbewegung aus, so schlugen in demsel- ben Moment auch die Wimpern der hintern Teilhälfte nach rückwärts u. 8. w. Die gemeinsame Aktion dauerte so lange, als noch eine schmale fadenartige Brücke die beiden Hälften verband, im Augen- blick aber, in dem sie sieh löste, schwamm die eine Hälfte hierhin, die andere dorthin ?). Solange also das Protoplasma der Teilhälften noch zusammen- hängt, handeln sie wie ein Bion. Was beweist diesnun? Ich glaube es beweist, dass sie auch als solehes empfinden, denn der Wille ist die Reaktion auf die Empfindung; sie fühlen sich also so lange als eins, als sie noch zusammenhängen. Das beweist, dass dies Gefühl der Einheit unabhängig ist nicht nur von der Größe und Masse, son- dern auch von der Gestalt des Bions, dass wir also der Individualität nach immer noch das eine ursprüngliche Bion vor uns haben, obwohl es jetzt aus zwei vollständigen Tieren besteht, die nur noch durch ein Fädehen zusammenhängen. Wenn aber das Fädchen zer- 4) Dauer des Lebens. S. 35. 2) Diese Beobachtung stammt von Prof. A. Gruber, der sie vielleicht gelegentlich einmal noch genauer veröffentlichen wird, sie wurde von ihm auch an anderen Infusorien gemacht, aber nirgends so auffallend gefunden, als bei dem durch Bewimperung und eigentümliche Körperform besonders günstigen Stentor. 656 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. reißt, haben wir dann nun auf einmal zwei neue Individualitäten, ist jetzt die Individualität der Mutter erloschen? Mir schiene es natür- licher, diese letztere jetzt als doppelt vorhanden zu betrachten; statt dem Bion I haben wir nun die Bionten Ta und Ib, nicht aber II und III. Eine Individualität lässt sich so wenig halbieren als das Selbst- bewusstsein, die Hälfte ist immer wieder ihrem physiologischen Wert nach gleich dem Ganzen. Ich glaube nun hinlänglich gezeigt zu haben, dass die Vorstellung, Mutter- und Tochtertiere seien verschiedene Individuen, nicht zutrifft, dass sie ein wesentliches Moment des Teilungsvorganges übersieht, nämlich die Identität der lebenden Substanz bei „Mutter“ und „Töchtern“. Sie hebt willkürlich das eine Moment hervor, dass statt einem Individuum nun zwei da sind, und bezeichnet diese als neue, vergisst aber, dass jede der Teilhälften nichts anderes ist, als eine Fortsetzung des Mutterindividuums. Wenn nun aber auch diese Ansicht unhaltbar ist und sich mit den Thatsachen nicht deckt, so will ich doch keineswegs bestreiten, dass auch die entgegengesetzte Ausdrucksweise in voller Schroffheit und mit dem Anspruch hingestellt, den Thatbestand zu erschöpfen, nicht genügen könnte. Es wäre jedenfalls sehr unpraktisch, wollte man darauf bestehen, dass Mutter und Sprösslinge ein und das- selbe Individuum wären, denn letztere sind eben doch zwei selb- ständige lebende Körper, und Zwei ist nicht Eines. Man könnte ja so schließlich zu dem Absurdum gelangen, dass alle Bionten einer Infusorienart, welehe heute leben, nur ein Individuum wären! Es kann auch nieht behauptet werden, dass die zwei Teilhälften je abso- lut gleieh wären, sie werden sich vielmehr von Anfang an so stark von einander unterscheiden, als eben die eine Hälfte eines Bions sich von seiner andern Hälfte unterscheidet, — häufig auch stärker, und im weitern Verlauf ihres selbständigen Lebens werden sie infolge ver- schiedener äußerer Einwirkungen noch weiter auseinandergehen. Wenn man also für die „selbständig lebenden Körper“ der Einzelligen („die Individuen“) nieht ein neues Wort erfinden will, wird man immerhin gut thun, sie als Individuen zu bezeichnen, obwohl man weiß, dass sie nach vor- und nach rückwärts mit anderen „Individuen“ identisch sind, und dass eine zeitliehe Grenze zwischen der Aufeinanderfolge der „Individuen“ nieht vorhanden ist. Man wird auch von Genera- tionen sprechen müssen, wenn man sich einander verständlich machen will, und wird nicht darauf beharren dürfen, dass Generationen in dem Sinne wie bei den Metazoen hier nieht vorkommen, da eben der Körper der einen Generation vollkommen in den der folgenden über- geht. Wollte man hier nur das eine Moment der Kontinuität der Individuen im Auge behalten, so würde man in denselben Fehler verfallen, in welehen diejenigen verfallen, welche nur das Moment der Trennung berücksichtigen. Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 657 Das Resultat dieser Betrachtungen ist also, dass unsere Begriffe vom „Individuum“ und der „Generation“, von „Mutter“ und „Tochter“ hier nicht ausreichen zur Bezeichnung der Sache. Es gibt keine Individuen bei den Protozoen im Sinne der Metazoen, und von diesen letzteren stammen die genannten Abstraktionen her. Ich kann hier nur wiederhoien, was Rolph!) grade in bezug auf die Fortpflanzung der Einzelligen sehr gut so ausgedrückt hat: „Eine durchgreifende Klärung der Generationsfrage ist auf der Grundlage des Individuums und der Individualität nicht möglich, sondern nur auf der Grundlage der Kontinuität des lebenden Protoplasmas. Um überhaupt von Individuen reden zu können, müssen wir den Zusam- menhang zwischen dem sich teilenden Tier und den Teilsprösslingen künstlich durchschneiden und „eine Diskontinuität einführen, wo die Natur eine Kontinuität zeigt.“ Alle solche Begriffe sind ja von uns erzeugte Abstraktionen, die in der Natur selbst nicht vorhanden sind, vielmehr von uns in sie hineingelegt werden; wie brauchen sie, ja wir können sie gar nicht entbehren, aber wir müssen nicht glauben, das Verständnis einer Erscheinung erlangt zu haben, wenn wir die- selbe in eines dieser Begriffsschemata glücklich hineingepresst haben. Es ist nötig, dies anzuerkennen und die Unzulänglichkeit des her- kömmlichen Begriffs der „Individualität“ in diesen Fragen sich einzu- gestehen. Soweit könnte die Differenz zwischen Möbius und mir als ein bloßer Wortstreit angesehen werden, allein sie geht tiefer, denn Mö- bius bestreitet die „Unsterblichkeit“ der Einzelligen nicht bloß in rein formalem Sinn, sondern auch im realen. Hinter dem Satz, dass die Individualität der Mutter bei der Teilung schwinde, steht bei ihm die Vorstellung von einem „Altern“ des Individuums. Wenn auch zugegeben wird, dass ein natürlicher Tod fehlt, so wird doch angenommen, „dass die Reizfähigkeit in den gealterten Individuen nach und nach schwächer werde“ und „endlich ganz erlösche“, um erst in den Teilsprösslingen „verjüngt“ wieder aufzuleben. Möbius steht mit dieser Vorstellung keineswegs allein, vielmehr wird gar manchmal von „senilen“ Erscheinungen bei Einzelligen gesprochen?). Nichts zeigt deutlicher, wie schwer es ist, eingewurzelte Vorstellungen los zu werden. Von den höheren Tieren haben wir einmal die dort ganz richtige Vorstellung gewonnen, dass jedes Individuum durch die Lebensvorgänge selbst sich abnützt und zuletzt dem natürlichen Tode verfällt, und nun tragen wir diese Vorstellung auf die ganze Lebe- welt über, auch auf die Einzelligen, bei denen bis jetzt auch nicht entfernt etwas derartiges bewiesen, oder auch nur wahrscheinlich ge- 1) Biolog. Probleme. S. 129 2) Vergl. z.B. Jikeli, Ueber die Kernverhältnisse der Infusorien 8.9 Zool. Anz. 1884. 42 658 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. macht worden ist. Es wird auch nicht bewiesen werden, denn es existiert nicht und kann nicht existieren, sonst müsste den Einzelligen das Leben längst ausgegangen sein, und wir könnten nur solche Ein- zellige auf der Erde haben, die durch Generatio aequivoca entstanden wären. Es scheint mir von großer Bedeutung, sich den tiefgreifenden Unterschied zum Bewusstsein zu bringen, der in dieser Hinsicht zwi- schen Einzelligen und Vielzelligen besteht. Auch Rolph ist hier nicht auf den Grund gedrungen, so vortrefflich auch alles andere ist, was er über die Teilung vorbringt, indem er sich über die fundamentale Verschiedenheit zwischen natürlichem und zufälligem Tod nicht klar wurde (S. 130); er meint, „es wäre denkbar, dass die ersten Geschöpfe sich dauernd durch Teilung und Konjugation vermehrt hätten, ohne dass überhaupt je von Zerfall, von Tod die Rede war. Trotzdem kann er (der Tod) und wird er sogar seit dem Ursprung des organischen Lebens existiert haben. Tod kann eingetreten sein durch mechanische Zerstörung oder durch chemische Auflösung oder endlich durch ungenügende Ernährung, durch Verhungern“. Ganz ge- wiss! auch durch Eintrocknen und durch allzugroße Kälte; aber der Tod aus solchen Ursachen ist kein physiologischer, kein natürlicher Tod, der in dem Leben selbst seine Wurzel hat, der ein unvermeid- lichesStadium, einEntwiceklungsprozessdes Lebens selbst ist! Grade darin liegt die Eigentümlichkeit der Protozoen, dass ihr Körper sich nicht durch das Leben abnutzt, dass er ein Teil der unsterblichen Substanz ist, welche die zahllosen Ketten der Lebensformen mit einander verknüpft und aus einan- der hervorgehen lässt. Ich halte dies nicht für eine bloße „Mei- nung“, der man auch eine andere gegenüberstellen könnte, sondern für eine physiologische Thatsache von außerordentlicher Tragweite, die recht deutlich zeigt, dass sich das Leben nicht ergründen lässt, wenn man es nur in seinen höchsten Formen erforscht. Aber Möbius beruft sich auf Beobachtungen, die er an einem Infusorium, Kuplotes harpa, gemacht habe, und die auf ein „Altern“ des Bions hindeuten sollen; er beobachtete im Infusorium „auffallende Bewegungen, welche der Teilung des Mutterleibes vorangingen und offenbar zur Verjüngung der Lebenssubstanz für die Tochterindivi- duen dienen“. Man hat bekanntlich schon mehrfach von „Verjüngungs- vorgängen“ bei Protozoen gesprochen, so vor allem seit Bütschli’'s Beobachtungen über die Konjugation der Infusorien; es ist möglich, ja wahrscheinlich, dass bei diesen die Bezeichnung in einem gewis- sen Sinn ganz gerechtfertigt ist, wenn man auch zur Zeit darüber noch nicht absprechen kann, indem zu Schlüssen auf die physiolo- gische Bedeutung der betreffenden Vorgänge zuerst wohl noch eine breitere Basis unserer Kenntnisse vom rein morphologischen Verlauf derselben gehört. Vor allem muss man sich aber darüber klar sein, was mit dem Ausdruck „Verjüngung“ gemeint sein soll. Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen, 659 Soll damit gesagt sein, dass ein oder mehrere Teile oder Organe des Tieres sich durch den Gebrauch abnutzen und deshalb durch ein Reserveorgan derselben Art von Zeit zu Zeit ersetzt werden müssen, so ist dagegen prinzipiell nichts einzuwenden; so gut bei den Meta- zoen die durch den Stoffwechsel verbrauchten Zellen durch junge Zellen wieder ersetzt werden können, so gut der abgenutzte Gift- stachel der Nemertinen durch einen „Reservestachel“ ersetzt wird, so gut die Moleküle des Protozoons durch den Stoffwechsel verbraucht und dureh neue ersetzt werden, so gut könnte auch ein ganzes Or- gan — oder nach dem Möbius’schen Vorschlag ein „Organulon“ der Protozoen von Zeit zu Zeit durch ein neues, inzwischen gebildetes ersetzt werden müssen, und es könnte davon die Unsterblichkeit des Individuums ganz unberühit bleiben. So hat man in der That auch die Bildung einer neuen Schale, wie sie bei einzelnen Rhizopoden be- obachtet wurde, eine „Verjüngung“ genannt!). Ganz etwas anderes ist aber die Vorstellung, als ob durch irgend einen Vorgang im Innern des Bions seine erlöschende Lebenskraft — um mich einmal kurz so auszudrücken — wieder neu angefacht werde. Diese Vorstellung liegt aber bewusst oder unbewusst dem Ausdruck „Verjüngung“ häufig und speziell auch in dem Möbius’schen Aufsatz zu grunde. Wenn die Lebenskraft im physiologischen Sinne, — d. h. also die zum Ablauf der Lebensfunktionen erforderliche Zusammensetzung des Körpers — bei den Eimzelligen in ähnlicher Weise darch die Lebensprozesse ver- loren ginge, wie dies bei den Vielzelligen thatsächlich der Fall ist, dann könnte sie unmöglich durch irgend einen noch so komplizierten Vorgang im Innern des einzelnen Tieres wieder gewonnen werden, denn wenn alle Teile des Tieres zu funktionieren aufhören, nicht aus äußerlichem Anlass, sondern weil sie nicht mehr die erforderliche chemischphysikalische Beschaffenheit dazu besitzen, dann ist das Tier tot und wird unter keinen Umständen wieder lebendig. Die Erneue- rung eines Organs ist denkbar, falls der übrige Körper ein Ersatzorgan hervorbringen kann, wer aber sollte das Ganze verjüngt hervor- bringen, wenn doch das Ganze schon tot ist? Wenn aber nicht das Tier als Ganzes durch das Leben abgenutzt und unbrauchbar wird, sondern nur in einzelnen Teilen, dann liegt eben der vorher be- sprochene Fall vor. Der Gedanke, dass die Konjugation der Einzelligen dem Befruchtungsvorgang der Vielzelligen entspreche, ist zuerst von Bütschli begründet worden, und wird heute wohl der An- schauung der meisten Biologen entsprechen. Er hat in neuerer Zeit wiederholte und sehr entschiedene Vertretung gefunden und ist ver- knüpft worden mit der Deutung beider Prozesse als „Verjüngungs- vorgänge“. So steht Vietor Hensen?), bekanntlich ebenso aus- 4) Jikeli, Ueber die Kopulation von Difflugia. Zool. Anzeiger 1834. 2) „Physiologie der Zeugung“*. Leipzig 1881. AD 1018) Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. gezeichnet als Morphologe wie als Physiologe, auf diesem Boden und sieht in beiden Vorgängen ein periodisches Anfachen der abnehmen- den Lebensenergie. Er vermutet, dass ohne diese Verjüngung die Fortpflanzung der Lebewesen ins Stocken geraten und schließlich ganz aufhören würde, und hält deshalb die Konjugation, resp. die Befruchtung für einen fundamentalen Lebensvorgang, der schon im Beginn des irdischen Lebens vorhanden gewesen sein müsse. Auch Eduard van Beneden vertritt schon seit einer Reihe von Jahren diese Ansicht und hat sie kürzlich in emem an bedeutungsvollen Beobachtungen und glänzenden Gedanken reichen Werke!) aufs neue entwickelt; er sagt gradezu: „la feeondation est la condition de la continuite de la vie. Par elle le generateur echappe Aa la mort.“ Obgleich auch ich Konjugation und Befruchtung für entsprechende Vorgänge halte, so kann ich doch der Ansicht der genannten Forscher in bezug auf die Bedeutung dieser Vorgänge nicht zustimmen. So sehr ich die Gründe zu schätzen weiß, welche für ihre Ansicht ins Feld geführt werden können, so scheinen sie mir doch nicht auszu- reichen, um Konjugation und Befruchtung in dem Sinn als fundamen- tale Vorgänge hinzustellen, wie es diese Forscher meinen. Ich er- kenne in ihnen zwar auch höchst bedeutungsvolle und tief greifende Vorgänge, die gewiss sehon sehr früh in der phyletischen Entwick- lung der Organismen aufgetreten sind, sehe aber keinen Grund, sie als die unerlässlichen Bedingungen für die Fortdauer des Lebens auf der Erde zu betrachten; ich sehe in ihnen keine Verjüngungsvorgänge in diesem Sinne. Es würde mich zu weit führen, wollte ich an dieser Stelle die Gründe ausführlich darlegen, die mich verhindern, Hensen und van Beneden in ihrer Deutung beizustimmen und ihnen meine eigne Ansicht von der Bedeutung der Konjugation und Befruchtung gegen- überzustellen, — ich muss mich hier darauf beschränken, diese Frage nur soweit zu berühren, als sie sich auf das Problem der Unsterb- lichkeit der Einzelligen bezieht. Man könnte mir offenbar einwerfen, dass eben grade die Existenz der Konjugation ein Beweis dafür sei, dass die Einzelligen eigentlich auch dem Tode verfallen seien und nur durch das Mittel der Konjugation wieder verjüngt und zu wei- terem Leben befähigt würden. Gegen diesen Gedanken lässt sich aber ein ganz strenger Beweis führen unter der von Bütschli, Bal- biani, Hensen und Rolph?) vertretenen, und durch van Be- neden’s neueste Entdeckungen noch wahrscheinlicher gemachten Voraussetzung, dass Konjugation und Befruchtung entsprechende Vor- gänge sind. Wenn dies nämlich so ist, dann kann in keinem Fall 1) „Recherches sur la maturation de l’oeuf, la f&eondation et la division cellulaire“, Gand u. Leipzig 1883. 2) „Biolog. Probleme*, Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 661 die Konjugation ein Vorgang sein, der dem Tode vorbeugt, weil nämlich der einzige physiologische Tod, den wir kennen, — der der höheren Organismen — nicht in die Periode der Befruchtung fällt, sondern vielmehr an das entge- gengesetzte Ende der Entwicklung des Individuums!). Die Befruchtung verhindert durchaus nicht den Tod des Individuums, vielmehr ist sie der erste Schritt dazu, insofern sie erst die Grund- bedingung zur Entwieklung des Individuums erfüllt. Erst dureh die Befruchtung wird das Individuum gesetzt, das später sterben muss, der Befrucehtungsprozess hebt also den Tod nicht auf, sondern er bedingt ihn vielmehr. Nun meint allerdings Hensen, die Befruchtung wirke „bele- bend“, und in gewissem Sinne ist das ja auch ganz riehtig; wir sehen ja, dass die Eizelle erst durch die Vereimigung mit der Samen- zelle den neuen Organismus hervorbringt. Wenn aber weiter gesagt wird: „Durch die normale Befruchtung wird der Tod vom Keim und dessen Produkten ferngehalten“, so kann ich dies nieht zugeben, falls damit der „natürliche“ Tod gemeint sein sollte. Denn wenn die Ei- zelle abstirbt, falls sie unbefruchtet bleibt, oder wenn die Samenzelle stirbt, falls sie keine Eizelle erreichen kann, so ist das sicherlich nieht der physiologische, d. h. der aus ihrem Entwicklungsgang resultierende Tod, sondern ein aceidenteller Tod, ein Tod, der lediglich aus äußeren Ursachen erfolgt, aus der Nichterfüllung gewisser äußerer Lebensbedingungen. Die Struktur der Samenzelle ist eben eine solehe, dass sie nur dann weiter leben und sich entwickeln kann, wenn ihr die Bedingung der Vereinigung mit emer Eizelle erfüllt wird, ganz so, wie die meisten tierischen Individuen nur dann weiter leben und sieh entwiekeln können, wenn ihnen Nahrung zu gebot steht oder Sauerstoff zur Atmung. So wenig wir von normalem Tod sprechen, wenn ein Tier verhungert, so wenig können wir das Ab- sterben von Samen- oder Eizelle bei Ausbleiben der Befruchtung einen normalen Tod nennen ?). Es ist ein zufälliger Tod, wie er an- jeder Stelle der Entwicklung des Individuums eintreten kann, wäh- rend der physiologische Tod nur an einer ganz bestimmten I) Ich habe absichtlich die parthenogenetische Entwicklung hier und später ganz bei Seite gelassen. Es schien mir weder nöthig noch nützlich, die Ent- wicklung obiger Gedanken damit zu belasten, an deren Beweiskraft dureh ihre Herbeiziehung doch nichts geändert worden wäre. 2) Damit soll nicht etwa gesagt sein, dass die Befruchtung ein Ernährungs- vorgang sei, wie Rolph meint. Von Ernährung kann wohl nur da geredet werden, wo die Substanz eines Wesens von dem andeın assimiliert, d.h. in seine eigne Leibessubstanz verwandelt wird Dies geschieht aber nicht beim Befruchtungsvorgang, vielmehr verschmelzen hier wie bei der Konjuga- tion nur zwei spezifisch gleichartige Plasma-Körper miteinander — falls wenigstens unsere heutige Vorstellung von diesen Vorgängen eine rich- tige ist. 5652 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. Stelle der Entwieklung auftreten kann, da er ja eben das Resultat der Entwicklung selbst ist. Diese Stelle ist aber nicht der Befruehtungsmoment. Somit kann unmöglich in der Befruchtung ein Vorgang gesehen werden, der dem Tod entgegenwirkt, und wenn die Konjugation das Analogon der Befruchtung ist, so kann auch in dieser nicht ein Mittel gegen den Tod liegen, sie kann keine „Verjüngung“ im Sinne einer Erhaltung der sonst erlöschenden Lebensenergie sein. Wenn nun aber selbst die Konjugation nicht in diesem Sinne aufgefasst werden kann, wie viel weniger jene Vorgänge, welche nach Möbius sich im einzelnen Individuum vor seiner Teilung abspielen. Es scheint mir undenkbar, dass ein Bion, welches alters- schwach geworden ist, sich aus sich selbst heraus wieder sollte verjüngen können. Vermöchte es das, so wäre es vorher nicht wirk- lich altersschwach gewesen, denn der Begriff des Alters schließt die Notwendigkeit des physiologischen Todes ein, und ein Bion, welches die Fähigkeit besitzt, aus sich selbst heraus diese Notwendigkeit zu beseitigen, ist eben nicht sterblich, sondern unsterblich. Damit greife ich natürlich nicht die Möbius’sche Beobachtung an Euplotes an, sondern nur ihre Deutung. Man wird mit Recht gespannt sein dürfen auf die genauere Mitteilung dieser Beobachtung, die in jedem Falle volles Interesse beanspruchen kann. Eine Periodizität in den Aeu- ßerungen der Lebensenergie zeigt sich ja auch sonst bei Protozoen ebenso deutlich als im Schlaf und Wachen mancher Metazoen. Erst neulich hat Jikeli!) darauf aufmerksam gemacht, dass während der Konjugation gewisser Infusorien und Rhizopoden ein „Stadium ge- sunkener Lebensenergie“ auftritt, ein Zustand, in dem die Tiere in hochgradige Unempfindlichkeit versinken. Es wäre ja denkbar, dass die Möbius’sche Beobachtung in ähnlicher Weise als periodisches Ab- und Wiederanschwellen der Lebensenergie zu verstehen wäre. Nach den bis jetzt vorliegenden kurzen Andeutungen scheint es sich indess eher um eine ähnliche Beobachtung zu handeln, wie sie A. Gruber seiner Zeit an Euglypha gemacht hat. Bei diesem in einer eiförmigen Schale steckenden Wurzelfüßer tritt eine rotierende Bewegung der Leibessubstanz ein, kurz ehe die Teilung des Tieres in zwei gleiche Hälften vollzogen ist, so dass also die Hauptmasse der Leibessub- stanz eine Zeit lang durch beide Teilhälften hindurch zirkuliert. Ich hatte kürzlich wieder Gelegenheit, diesen merkwürdigen Vorgang zu beobachten, und ich wüsste nichts anzuführen, was berechtigte, ihn in dem eben angedeuteten Sinn als ein periodisches Anschwellen der Lebensenergie zu deuten. Halten wir uns an das Thatsächliche, so bewirkt er eine möglichst gleichmäßige Mischung der Gesamtmasse des Doppeltiers, und dies scheint mir — wie ich früher bereits her- 1) „Zoologischer Anzeiger“ 1884. Nr. 174 u. 176. Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 663 vorhob — einen wertvollen Beweis dafür zu enthalten, dass die beiden Teilhälften des Tieres physiologisch gleich- wertig sein müssen, dass nicht etwa die eine „gealtertes“ Pro- toplasma enthält, die andere „verjüngtes“. Ich glaube, man darf es jetzt als eine feststehende Thatsache betrachten, dass die gewöhn- liche Zweiteilung der Einzelligen physiologisch gleichwertige, also gleich lebensfähige Individuen aus sich hervorgehen lässt, dass in der That — wie ich es früher ausdrückte — keiner der Sprösslinge der ältere, keiner der jüngere ist. Schwerlich war dies so ohne wei- teres selbstverständlich; ich wenigstens würde nicht gewagt haben, die Protozoen schlechthin als unsterblich zu bezeichnen, wenn nicht diese Thatsache vorgelegen hätte. Was hätte man gegen die Ver- mutung sagen wollen, dass stets die eine Teilhälfte aus älterem Pro- toplasma bestehe, das durch die Prozesse des Lebens von einer Tei- lung zur andern immer mehr abgenutzt werde, bis es schließlich die Fähigkeit zur Teilung ganz verliere und einem physiologischen Tod verfalle ? Man könnte übrigens trotz Euglypha auch jetzt noch manche Einwürfe gegen die hier vertretene Anschauung vorbringen, und es wundert mich, dass dies nicht längst geschehen ist; zunächst gegen die Gleichaltrigkeit der Teilstücke. Grade bei Euglypha, über- haupt bei vielen beschalten Wurzelfüßern, sind die Teilhälften wirk- lich ungleich, sobald man die Schale mit in betracht zieht. Denn die Schale reicht nur für die eine Teilhälfte hin, die andere aber bekommt eine neue Schale, die in sehr merkwürdiger Weise in Form einzelner Plättehen im Innern der alten hergestellt und dann während der Teilung auf der aus der alten Schale hervortretenden Teilhälfte ausgebreitet wird. Wenn sich die Sprösslinge trennen, kann man sie sehr wohl von einander an der hellern und dunklern (alten) Schale unterscheiden. Aehnliehes lässt sich bei manchen Infusorien beo- bachten, so z. B. bei den Vorticellinen der Gattung Cothurnia. Man könnte nun einwerfen, dass die ältere Schale sich allmählich abnützen müsse, dass sie unmöglich die Festigkeit und Dauerhaftigkeit besitzen könne, um durch Millionen und aber Millionen Generationen hindurch unverändert auszuhalten, dass somit das von ihr eingeschlossene Bion schließlich doch einmal dem Tode verfallen müsse, folglich nicht un- sterblich sein könne. Ich will ganz davon absehen, dass möglicher- weise das Tier die alte, sich abnützende Schale durch Ausscheidung von innen her verdieken, ja sich einfach eine neue Schale bilden könnte !), — der ganze Einwurf ist deshalb nicht stichhaltig, weil das Tier, sollte es wirklich durch die allmählich eintretende Ab- 1) Wie dies durch Clapar&de und Lachmann bei Arcella beobachtet wurde. Vergl. Bütschli in Bronn’s „Klassen und Ordnungen“. Rhizopoden S. 180. 664 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. nützung seiner Schale zu grunde gehen, einem künstlichen Tod verfallen wäre, wie die Millionen seines Geschlechts, die von anderen Tieren gefressen werden oder durch Trocknis u. s. w. zu grunde gehen. Als ein natürlicher, d. h. als ein im Wesen des Organismus selbst begründeter Tod könnte dies niemals gelten. Uebrigens ist doch auch nicht zu vergessen, dass, wenn nicht bei allen, so doch bei einer sehr großen Zahl von Protozoen unbeschalte oder aber en- eystierte Zustände mit den beschalten abwechseln, so dass die alten Schalen nach längerer oder kürzerer Zeit nicht mehr benutzt werden. In ähnlicher Weise könnte man auch versuchen, die höheren und kompliziert gebauten Infusorien zum Beweis gegen die Unsterblichkeit derselben heranzuziehen. Bei der Fortpflanzung durch Querteilung ergänzt sich, wie schon erwähnt, jede Hälfte zum Ganzen; verfolgt man nun eine der beiden Hälften weiter, ich will sagen die vordere, so teilt diese sich später wieder, und zwar so, dass ihre neugebildete Hinterhälfte sich durch eime neue Vorderhälfte zu einem neuen Bion ergänzt. Dieses Bion dritter Generation besteht also dann aus einer ganz neuen Vorder- und aus einer erst eine Generation alten Hinterhälfte, es wird somit wohl alle Griffel, Borsten, Wimpern, Haken, welche der Art eigentümlich sind, noch in völlig intakter Vollkommenheit besitzen. Anders bei demjenigen Sprössling, der sich aus jener Vorderhälfte zweiter Generation ergänzt hat; er ist nur in seiner Hinterhälfte neu, und von seinen Teilsprösslingen wird wiederum derjenige, der sich aus dem Vorderleib ergänzt, den mindestens drei Generationen alten, möglicherweise aber auch weit ältern Vorderleib beibehalten, und dieser Vorderleib würde, da er einem natürlichen Tod nicht verfällt, vielmehr bei jeder neuen Tei- lung sich wieder durch eine neue Hinterhälfte ergänzt, in alle Ewig- keit fortleben können! Dabei aber müssten sich notwendig die dem- selben eigentümliehen Griffel, Haken und Borsten abnützen, und falls sie von Wichtigkeit für das Leben des Tieres sind, müsste dieses dadurch früher oder später dem Tode vertallen. Dagegen ist aber erstens zu bemerken, dass eine Regeneration abgebrochener Borsten etc. bei den Infusorien durchaus nicht ausgeschlossen ist, und zwei- tens, dass ein Tod infolge solcher äußerer Unvollkommenheiten wie- derum kein natürlicher Tod wäre, sowenig als der Tod eines Men- schen, dem der Verlust seiner Augen das Aufsuchen von Nahrung oder die Verteidigung gegen einen Feind unmöglieh macht. Zu allem Ueberfluss kommt aber auch hier wieder in betracht, dass ein Ein- schmelzen jener Wimpern, Borsten und sonstigen Fortsätze periodisch d. h. nach einer Reihe von Generationen immer wieder einzutreten scheint, oft verbunden mit Eneystierung, sodass also diese Organe immer wieder von Zeit zu Zeit ganz neu gebildet werden, und schließ- lich sterben ja alle Protozoon- Arten durch aceidentellen Tod, durch Nasse, Ueber Synthesen im tierischen Organismus. bbHI Vertroeknen, Einfrieren, Gefressenwerden in so ungeheuren Massen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr langer Erhaltung solcher alter Teil- hälften eine sehr geringe ist. (Schluss folgt.) Ueber Synthesen im tierischen Organismus. In einem Vortrage vor der naturforschenden Gesellschaft zu Ro- stock hat der Verf. früher die Ansicht geäußert, dass die einzigen wirklich fasslichen chemischen Verbindungen, welche die lebenden Naturprodukte von den leblosen unterscheiden, die Fermente oder all- gemeiner gesagt fermentartigen Stoffe seien, Stoffe, begabt mit der bis jetzt unerklärlichen Fähigkeit, unter gewissen Bedingungen, ähn- lich der Wärme, die Zersetzungen anderer Atomkomplexe zu veran- lassen, und weiter, dass die Zersetzungen in den Organismen an die Thätigkeit solcher, zum Teil übrigens noch vollkommen hypothetischer, das heißt noch nicht als chemische Individuen isolierter Fermente ge- bunden seien. Der neben den Zersetzungen in den tierischen Organismen statt- findenden synthetischen Vorgänge war nur ganz kurz gedacht worden, doch konnte bereits darauf hingewiesen werden, dass zwischen den Zersetzungen und den Synthesen ein gewisser Zusammenhang bestehe, welcher sich unter anderem darin bekunde, dass bei Anwesenheit von manchen fremden Molekülen, wie z. B. von Chinin, beide Vorgänge geschädigt werden können. Der Zusammenhang ist aber, wie Verf. in einem zweiten, am 25. Oktober d. J. gehaltenen Vortrage berichtet, weit inniger; wie die Zersetzungen, so sind auch die Synthesen eine Funktion der Fermente, die Synthesen übrigens nur in den chlorophylifreien Organismen oder Teilen derselben. Zu diesem Satze wird man mit Notwendigkeit geführt, wenn man überlegt, unter welchen Bedingungen überhaupt Synthesen von wirk- lichen Atomverbindungen, nicht von Molekülverbindungen zu stande kommen. Es muss mindestens der eine der Konıponenten der neuen Verbindung — der Einfachheit wegen sei angenommen, es handelte sich stets nur um zwei Komponenten oder Paarlinge, die natürlich beide gesättigte Verbindungen sind — eine derartige Lockerung des Zusammenhangs seiner Atome erfahren, dass der andere sich mit ihm unter Sättigung von Atom-Affinitäten verbinden kann. Ob die Lockerung der Atome in dem zweiten Molekül auch gleich- zeitig mit der in dem ersten oder erst sekundär geschieht, so- wie, ob bei der Vereinigung sich ein oder mehrere Atomkom- plexe abspalten, ist für den ganzen Vorgang gleichgiltig. In den Laboratorien dient zu einer solehen Lockerung des Zusammenhangs der Atome in den meisten Fällen die Wärme, in den Organismen ge- nügt indess diese allein erfahrungsgemäß nicht; bevor man nun eine 666 Nasse, Ueber Synthesen im tierischen Organismus. neue Hypothese macht über die Kräfte, welche den Zusammenhang der Atome lockern, liegt es am nächsten anzunehmen, dass die be- kannten, wenn auch noch so hypothetischen Kräfte, die Fermente nämlich, welche, wie bereits erwähnt wurde, ähnlich der Wärme wir- kend Verbindungen zu zerlegen, also vorher auch zu lockern vermö- gen, bei den Synthesen im Spiele sind. Es gelingt nun aber auch den Beweis zu führen, dass mit Hilfe von Fermenten sich Atomkomplexe vereinigen, die ohne diese sich zu vereinigen nicht im stande sind. So lassen sich insbesondere leicht Aetherschwefelsäuren erzeugen. Am geeignetsten für solche Synthesen erschien Arbutin, das Glykosid der Folia uvae ursi, das durch das Ferment Emulsin unter Aufnahme von Wasser in Traubenzucker und Hydrochinon gespalten wird. Die beiden zuletzt genannten Körper sind im Momente der Spaltung des Arbutinmoleküls, vor der Verbin- dung des einen mit einem Atom Wasserstoff, und des anderen mit Hydroxyl gewissermaßen im Status nascens — von Molekülanfängen könnte man reden — in einem Zustand der Lockerung ihrer Atome, wie sie ein Ferment bei jedem einzelnen hervorbringen würde. Dass der Versuch der Synthese nicht direkt mit einem Ferment, welches das zur Synthese zu verwendende Hydrochinonmolekül lockert, ange- stellt worden ist, hat einen rein äußern Grund, nämlich den, dass ein solches Ferment zur Zeit noch nicht bekannt ist. Wenn man nun Arbutin in verdünnter wässeriger Lösung von Natriumsulfat mit Emul- sin digeriert, nach eimiger Zeit durch Erhitzen die Wirkung des Fer- mentes unterbricht und die Sulfate mit Chlorbarium ausfällt, so er- hält man beim Kochen des vollständig klaren Filtrates mit Salzsäure sehr bald einen neuen Niederschlag von Bariumsulfat, der nur von Zerlegung der während der Digestion gebildeten Hydrochinonschwefel- säure herrühren kann. Die Versuche können misslingen, wenn die Menge des Fermentes zu gering ist, da ja begreiflicherweise immer nur kleine Mengen von Aetherschwefelsäure gebildet werden, die mei- sten frei werdenden Hydrochinonanfänge sich nebst den Zuckeranfän- sen mit Hilfe von Wasser zu vollkommenen Molekülen schließen, so- zusagen der Schwefelsäure entschlüpfen. Zweifellos bildet sich im Tierkörper die nach dem Genuss von Arbutin im Harn auftretende Hydrochinonschwefelsäure auf die gleiche Weise, und man wird auch sieher dahin kommen, den fremdartigen Stoff, der das Arbutinmolekül wie das Emulsin lockert und spaltet, aus den tierischen Organen, in welchen die Synthese vor sich geht, zu isolieren. Anderseits gelingt es auch extra corpus während der Spaltung eines Atomkomplexes durch ein Ferment bei genügender Zu- fuhr von Sauerstoff am besten bei Digerieren mit Blut und häufi- gem Schütteln mit Luft — die Paarlinge teilweise ebenso zu oxydieren, wie sie im Tierkörper oxydiert, d. h. verbrannt werden. 0. Nasse (Rostock). Zen Crampe, Zuchtversuche mit zahmen Wanderratten. 667 Crampe, Zuchtversuche mit zahmen Wanderratten. Landw. Jahrbücher. Berlin 1883 Seiie 389—449 und 1884 Seite 699—754. Verfasser beginnt seine Berichterstattung über die Ergebnisse der durch 18 Geschlechtsfolgen fortgesetzten Zucht in naher Verwandt- schaft. Mit einem Paar, dessen Abstammung unbekannt ist, das aber aller Wahrscheinlichkeit unter einander verwandt war, ist die Zucht begründet worden. Dessen Nachkommen wurden in nächster Ver- wandtschaft fortgepflanzt, in der Regel rechte Geschwister, gelegent- lieh Eltern und Kinder mit einander gepaart. Die Stammbäume und Mitgliederverzeichnisse beweisen, dass nichts unversucht blieb, was, der allgemeinen Meinung nach, die Zucht hätte zu grunde richten müssen. Dieselbe ist aber nieht ausgestorben, sondern erhalten wor- den. Aus den Töchtern, Enkelinnen, Urenkelinnen u. s. w. eines Rat- tenpaares sind im Laufe von 7!/, Jahren rund 1500 Junge gezogen worden. Die Nachkommen der Familien von drei Weibchen des zwei- ten Wurfes und der von wilden Ratten (Mus decumanus Pallas) be- gründeten Familie zählten viele tausend Stück. Das Ergebnis dieser Versuche war, dass die Zucht in nächster Verwandtschaft — namentlich zwischen Brüdern und Schwestern — sich schädlich erwies, denn sie führte zu kleinen, leichten und schwer ernährbaren Tieren. Dessenungeachtet konnte die Zucht erhalten und sogar in ihren Leistungen gesteigert werden. Dies wurde bewirkt: einmal durch günstigere Gestaltung der äußeren Lebensbedingungen, sodann durch häufige Unterbrechung der Reihe der, ihrem Ursprunge und ihren verwandtschaftlichen Beziehungen nach gleichwertigen Vorfahren. Im allgemeinen hatte reichliehe Ernährung, sorgfältige Wartung und Pflege zur Folge, dass die Ratten schnellwüchsig wurden, wenige In- dividuen in der Ausbildung zurückblieben und verkümmerten. Fami- lienkreuzung bedingte leichtere Ernährbarkeit, stattlichere Länge und Schwere der Tiere im allgemeinen. Besondere Beachtung schenkte Verfasser der „Leistungsfähig- keit“ der zabmen Ratten. Er versteht unter „Leistungsfähigkeit“ einer- seits Lebensfähigkeit, Langlebigkeit und Gesundheit, anderseits das Vermögen, eine zahlreiche Nachkommenschaft hervorzubringen und zu ernähren. Die zahmen Ratten, deren Leistungsfähigkeit vermindert war und die eine lange Reihe fehlerhafter Eigenschaften zeigten, ver- dankten dies — wie Verfasser hervorhebt — „ihrer blutschänderischen Erzeugung“. Die wesentlichsten Mängel sind nach Crampe folgende: Die in nächster Verwandtschaft gezogenen Individuen sind nicht bedingungslos fortpflanzungsfähig; sie pflanzen sich meist dann noch mit nicht verwandten Individuen fort, wenn wiederholte Versuche, sie mit ihren Eltern, Geschwistern und Kindern fortzupflanzen, erfolglos gewesen sind. Die Zahl der Nachkommen der von nicht verwandten Männchen 68 Crampe, Zuchtversuche mit zahmen Wanderratten. abstanımenden Würfe ist größer als diejenige der Nachkommen von Vätern, Brüdern und Söhnen. Die in nächster Verwandtschaft erzeugten Tiere sind häufig gar nicht lebensfähig, sie sind schwer zu ernähren und schwer zu erziehen. Und ungeachtet alles Aufwandes und aller Pflege lässt ihre Körper- ausbildung, Fruchtbarkeit und Gesundheit viel zu wünschen übrig. Hieraus folgt, dass die Zucht in Verwandtschaft nicht am Platze ist, wo es sich um Bewahrung der erwähnten Eigenschaften handelt. Dieses ist aber immer der Fall und deshalb erscheint die im Rede stehende Zuchtmethode verderblieh. Im übrigen verursacht dieselbe sehr große Kosten. Denn die Ansprüche der Individuen an ihre äuße- ren Lebensbedingungen wachsen, je länger von der Zucht in Ver- wandtschaft Gebrauch gemacht wird. Die Zueht fällt der Verkümme- rung und Auflösung anheim, wenn diese Ansprüche unbefriedigt blei- ben, die Befriedigung derselben aber wird zur Ursache des Entstehens und der Entwicklung unbeabsichtigter neuer Eigenschaften, welche die Leistungsfähigkeit seiner Angehörigen und den Bestand des Stam- mes in nieht weniger hohem Grade bedrohen. In einer zweiten Versuchsreihe wurden zahme Ratten mit wilden gekreuzt. Die Ergebnisse waren folgende: Im allgemeinen gediehen die Mischlinge mehr oder weniger noch bei äußeren Lebensbedingungen, unter welchen die beiden an ihrer Herstellung beteiligten reinblütig gezogenen Stämme, die zahmen und wilden Ratten, verkümmerten ; unter günstigen äußeren Lebensbedingun- gen erreichten dieselben, bezüglich des Beginnes der Fortpflanzung, die Frühreife der zahmen Ratten und zugleich die Länge, Schwere, Fruchtbarkeit u. s. w. der wilden. Unter ungünstigen äußeren Lebensbedingungen gediehen die ein- viertelblütigen Mischlinge ganz vortrefflich; die halbblütigen bean- spruchten zum vollen Gedeihen vorzügliche Haltung, Ernährung und Pflege; die dreiviertelblütigen verkümmerten selbst unter den günstig- sten äußeren Lebensbedingungen. Um dieselben leistungsfähig herzu- stellen, bedurfte es besonderer züchterischer Maßregeln (Kreuzung wilder Ratten mit Angehörigen später Geschlechtsfolgen der in Inzucht gezogenen Mischlingsfamilien). In bezug auf Länge und Gewieht ergab der Zuchtversuch mit zahmen und wilden Ratten: 1) dass die längsten und schwersten Mischlingsmännchen kürzer, aber schwerer sind als die längsten und schwersten wilden Männchen. 2) dass die längsten und schwersten Mischlingsweibehen kürzer und leichter sind als die längsten und schwersten wilden Weibchen; 3) dass die Mischlinge an Länge und Gewicht die unter ganz (denselben äußeren Lebensbedingungen gezogenen besten zahmen Ratten übertreffen; Crampe, Zuchtversuche mit zahmen Wanderratten. HH 4) dass die zahmen Ratten an Länge und Gewicht weit hinter den wilden Ratten zurückbleiben: 5) dass die halbblütigen Mischlinge männlichen und weiblichen (Geschlechts die längsten und schwersten sind, die unterhalbblütigen und überhalbblütigen denselben an Gewicht beinahe gleich kommen, aber in der Länge zurückbleiben. Das Gedeihen der Kreuzungspro- dukte hängt ab von der Fähigkeit derselben, sich mit ihrer Außen- welt in Einklang zu setzen. Diese Eigenschaften können dieselben nach der Ansicht des Verfassers nur erhalten dureh Vererbung. Auf einen günstigen Erfolg der Kreuzung ist aber nur in dem Falle zu rechnen, wenn wenigstens der eine Teil der Eltern sich den äußeren Lebensbedingungen angepasst hat, die Kreuzung somit den Charakter der Blutauffrischung trägt. In bezug auf Frühreife zeigten sich die zahmen Ratten den Mischlingen überlegen; von diesen waren die halbblütigen weniger frühreif als die unterhalbblütigen und frühreifer als die überhalbblüti- gen. Die Nachkommen zahmer Weibehen und Mischlingsweibehen waren in der Regel frühreifer als die Nachkommen gleichen Blutes zahmer Männchen und Mischlingsmännchen. Mit der Frühreife nahmen Länge und Gewicht zu, womit erwiesen ist, dass früher Beginn der Fortpflanzung an sich die körperliche Ausbildung nicht beeinträchtigt. Hierbei muss aber berücksichtigt werden: 1) dass die Neugebornen der Erstlingswürfe im allgemeinen leichter sind als diejenigen der späteren Würfe derselben Weibchen; 2) dass die Jungen individuenarmer Würfe bei der Geburt ein höheres Gewicht besitzen als diejenigen individuenreicher; 3) dass die Gewichtszunahme der Jungen bis zur selbständigen Ernährung eine größere ist bei individuenarmen als bei individuen- reichen Würfen. Deshalb kann nieht in Abrede gestellt werden, dass Zuchtwahl, gerichtet auf Frühreife und Fruchtbarkeit, mit der Zeit zur Ausartung der Familien führen muss, namentlielı dann, wenn die Jungen indi- viduenreicher Erstlingswürfe Stammhalter der Familie werden. Dies war in den vorliegenden Versuchen mit zahmen Ratten die Regel, weil es darauf ankam, in nieht zu langer Zeit möglichst viele Ge- schlechtsfolgen zu erhalten. Der Verfasser hält es somit selbst für zweifelhaft, ob Zucht in nächster Verwandtschaft oder Zuchtwahl, ge- richtet auf Frühreife und Fruchtbarkeit, die in den letzten Geschlechts- folgen der zahmen Ratten auftretenden bedenklichen Erscheinungen verschulden. „Jedenfalls werden beide darauf von Einfluss gewesen sein.“ In bezug auf Fruchtbarkeit ergab der Versuch, dass die wil- den Ratten durchweg fortpflanzungsfähig waren; die in Gefangenschaft gehaltenen hatten sämtlich geworfen. Von den zahmen Ratten waren viele nicht fortpflanzungsfähig; von 221 zur Zucht benutzten Weibehen 670 Crampe, Zuchtversuche mit zahmen Wanderratten. 46 (20,8 °/,). Die Nachkommen der zahmen Ratten von wilden und von Mischlingen hätten, wie Verfasser meint, sämtlich geworfen, wenn es thunlich gewesen wäre, sie länger am Leben zu lassen. Dasselbe behauptet er nicht von den Nachkommen der Mischlinge und der wil- den Ratten; unter 43 Stück ?/,blütigen Weibehen befanden sich 6, die zweifellos unfruchtbar waren. Bei den zahmen Ratten hat mit dem Steigen der Frühreife der Prozentsatz der fortpflanzungsfähigen Weibehen zugenommen. Von den Mischlingen sind die frühreifen un- terhalbblütigen ohne Ausnahme fruchtbar; unfruchtbare sind nur un- ter den spätreifen überhalbblütigen vorhanden. Die längsten und schwersten Weibchen von Geschwistern und Geschlechtsverwandten wurden unter den frühreifen gefunden, die kürzesten und leichtesten unter den spätreifen. Die frühreifen und sämtliche fortpflanzungs- fähigen Mischlinge geraten auch unter ungünstigen Lebensbedingungen; die spätreifen und zum Teil nicht fortpflanzungsfähigen überhalbblüti- gen Mischlinge missraten auch ungeachtet der besten Haltung, Er- nährung und Pflege. Bei den zahmen Ratten hat mit der Frühreife nieht nur die Fortpflanzungsfähigkeit, sondern auch Länge und Ge- wicht zugenommen. Es stehen somit die genannten Eigenschaften in Beziehung zu einander. Größere oder geringere Frühreife, bezw. Spätreife, wird unter sonst gleichen Verhältnissen als der Ausdruck mehr oder minder vollkommener Anpassung an die bestehenden äußeren Lebensbedingungen anzusehen sein. Die Zahl der Individuen eines Wurfes ist veränderlich; 14 Junge in einem Wurfe brachten nur die wilden Ratten und die unterhalb- blütigen Mischlinge; 11 Junge war das Meiste bei den halbblütigen und 10 Junge bei den überhalbblütigen Mischlingen. Das größte und kleinste Maß der Leistungsfähigkeit der Mischlinge bezüglich der größeren und geringeren Zahl geworfener Individuen steht in Ab- hängigkeit von dem größeren und geringeren Anpassungsvermögen der Weibchen an die bestehenden äußeren Lebensbedingungen. Die -halbblütigen und überhalbblütigen Mischlinge gleichen den zahmen Ratten insofern, als dieselben sämtlich die Fähigkeit, unter den be- stehenden äußeren Lebensbedingungen zu existieren und ihren Stamm fortzupflanzen, nur auf kosten ihrer Leistungsfähigkeit und Frucht- barkeit erlangen. M. Wilckens (Wien). Gressin und Bottard, Das Gift des Petermännchens (Trachinus vipera). Die giftigen Eigenschaften von Trachinus vipera und der verwandten Ar- ten Trach. radiatus und Trach. araneus waren bereits den Alten bekannt; jetzt haben Gressin und Bottard den unter den Stacheln der ersten Rücken- Rippen auf dem Hinterhauptsbein von Mieropterus salmoides. HA flosse befindlichen Giftapparat genauer untersucht und auch das Gift ausführ- lichen Untersuchungen hinsichtlich seiner Beschaffenheit und Wirkung unter- worfen. Am Gründe der Stacheln finden sich jederseits Hautsäcke, in denen unten die das Gift absondernde Drüse ruht, deren Existenz bisher meist ge- leugnet wurde. Es entsendet diese Drüse eine Verlängerung in die beiden symmetrisch zu beiden Seiten des Stachels angebrachten feinen Kanäle und in das Innere des Stachels selbst. Die Zellen, aus welchen sich die Drüse zu- sammensetzt, sind polymorph und von verschiedenen Dimensionen, um so kleiner, je tiefer man in die Drüse eindringt. Ein Teil dieser Zellen ist mit feinen Körnehen angefüllt, der andere mit einer klebrigen Substanz, deren Liehtbrechung veranlassen könnte, sie für eine fettige Masse zu halten; dies ist jedoch irrig; die mit Aether behandelten Zellen zeigten durchaus nicht die Reaktion, wie sie bei Fettzellen auftritt. Die Aussonderung des Giftes geht nun in folgender Weise vor sich; wie die Schleimzellen gewisser Fische, so z. B. des Aals, füllen sich die der Drüse des Petermännchens und zerreißen dann unter der Wirkung der in ihnen enthaltenen Flüssigkeit, wie die histo- logische Untersuchung von Prof. Remy ergeben hat. Der Austritt des Giftes geschieht nach Gressin’s und Bottard’s Ansicht nicht freiwillig; damit das Gift in die Wunde dringen kann, muss der Fuß des Stachels, vielleicht unter dem Gewicht eines über das Tier hinschreitenden Menschen auf die Drüsen heruntergedrückt werden, wodurch das Gift dann in die feinen Kanäle des Stachels und so in die durch denselben hervorgerufene Wunde gepresst wird. Die Wirkung dieses Giftes steht außer allem Zweifel, denn selbst kräftigere Tiere erliegen dem Stiche des Fisches mittels der Stacheln. Das Gift hat das Aussehen einer bläulichen, nach dem Tode des Fisches leicht opalisieren- den Flüssigkeit, welche einen ein wenig zusammenziehenden, sonst keinen bestimmten Geschmack besitzt; auf vegetabilische Reagentien äußert es fast keine Wirkung, eher noch erscheint es etwas sauer als basisch; der nach dem trocknen bleibende Rückstand ist nicht wie das Krötengift in Alkohol löslich. Das Gift des Petermännchens scheint konvulsivische Erscheinungen hervorzu- rufen; es führt Paralyse und funktionelle Impotenz, jedoch erst nach einem wirklichen Starrkrampf herbei; dadurch unterscheidet es sich wesentlich von dem Schlangengift, das nach Uruetta sofortige Paralysc verursacht. Es scheint seine Wirkung besonders auf Rückenmark und Gehirn auszuüben, ebenso auf das Herz, wie die Versuche mit Fröschen, Fischen, Vögeln und kleinen Säugetieren erwiesen haben, die stets unter heftigem Schmerz, Konvulsionen und Muskel- kontraktionen zu grunde gingen. Behrens (Gütersloh). Rippen auf dem Hinterhauptsbein von Mieropterus salmoides. Dr. Thufeldt hat nach einer Mitteilung der biologischen Gesellschaft zu Washington Rippen auf dem Hinterhauptsbein von Micropterus salmoides an einer größern Anzahl von ihm untersuchter Exemplare vorgefunden. Sollte diese Thatsache noch nicht früher gefunden sein, so würde hier eine interes- sante Entdeckung von hoher morphologischer Bedeutung vorliegen, welche in die Theorie von der Segmentation des Schädels einen neuen Faktor einführen würde; auch beim Thunfisch Oreynus thynnus hat Dr. Thufeldt diese Rippen gefunden, und er meint, dass sie auch bei anderen Rhomboiden und Centrar- chiden auftreten werden. Behrens (Gütersloh). 672 Hansen, Ueber peptonisierende Fermente in Sekreten der Pflanzen. Das zoologische Laboratorium der Chesapeakebai. Die seit 6 Jahren bestehende zoologische Meeresstation der John Hop- kins-Universität ist in diesem Jahre wie bereits in den 3 letzten Jahren wie- der in Beaufort untergebracht. An Stelle des erkrankten Direktors des In- stituts Dr. Brooks hat Dr. Conn, dem vor nicht langer Zeit die Walker- preise der Bostoner naturwissenschaftlichen (Gesellschaft zuerkannt wurden und der jetzt in eine Stellung an der Universität zu Middletown berufen ist, einstweilen die Leitung des Laboratoriums übernommen, in dem außer ihm zu anfang August noch 9 andere Forscher arbeiteten. Nachrichten von Beaufort zufolge sollen die Forschungsresultate dieses Sommers äußerst günstige sein. Behrens (Gütersloh). A. Hansen, Ueber peptonisierende Fermente in Sekreten der Pflanzen. Sitzungsber. der Würzburger mediz Gesellschaft 1884. Nachdem durch die Versuche von Wittmack, Bouchet und Wurtz die Zweifel an der Thatsache, dass die Milchsäfte von Ficus Carica und Carica Papaya verdauende und Milchgerinnung hervorrufende Wirkung besäßen, be- seitigt waren, schien dem Verf. dennoch eine erneute experimentelle Begrün- dung erwünscht; zumal in den genannten Versuchen die Fermentwirkung ge- genüber der Wirkung von Pepsin nicht in irgend erheblichem Maße hervor- trat. Verf. hat bei seinen Versuchen bessere Resultate erzielt. 63 g feuchtes Fibrin ließ er bei 40° in 1'/, Liter 0,2 %,iger Salzsäure quellen und setzte dann 2 ee Milchsaft von Ficus Carica hinzu. Nach wenigen Minuten war aus der Fibringallerte eine vollständig dünnflüssige Lösung geworden. Etwas länger dauerte die Verdauung bei Behandlung des Fibrins mit Natriumkarbonat- lösung. Milch mit einigen Tropfen Feigenmilchsaft versetzt gerann beim Kochen sofort. Die Gerinnung beginnt bei 50%. Aus dem Feigenmilchsaft kann das Ferment durch Alkohol gefällt werden, ohne dabei eine Zersetzung zu erleiden. Auch die diastatische Wirkung des Ferments konnte mit Leich- tigkeit konstatiert werden Stärke und Glykogen waren in kurzer Zeit fast vollständig in Zucker verwandelt. — Erwähnt verdient zu werden, dass auch aus den getrockneten käuflichen Feigen sich ein Extrakt mit ausgesprochen peptonisierender Wirkung herstellen lässt, was für die praktische Medizin vielleicht von Bedeutung werden könnte. — Ausdehnung der Versuche auf die Milchsäfte anderer Pflanzen ergab negative Resultate. Weder Euphorbien, Papaver, Chelidonium, noch Taraxaceen und andere Pflanzen ließen ein pep- tonisierendes Ferment erkennen. Deutlich nachgewiesen wurde es dagegen in dem Kannensekret von Nepenthes. c. Berichtigung, In Nr. 20, S. 632, Zeile 5 von oben lies: „neun“ statt „nun“, Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Verlag von Eduard B Besold i in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. TV. Band 15. Januar 1885. Nr: 22 Inhalt: Pfeffer. Lokomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. — Leo Errera, Die große Wachstumsperiode bei den Fruchtträgern von Phycomyces. — Weismann. Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Finzelligen (Schluss). — Plateau, Fxperimente über die Muskelkraft der wirbellosen Tiere. — Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. — Marktanner- Turneretscher, Ausgewählte Blütendiagramme. — Wajgel, Zusammenziehung der zwei Arten von Petromyzon. — Hoppe-Seyler, Ueber Seifen als Blut- bestandieile des Blutplasmas und des Chylus. — Lehmann, Zur Bestimmung der Alkalien im Harn. — Pansch, Anatomische Vorlesungen für Aerzte und Studierende. — British Association for the Advancement of Science, W. Pfeffer, Lokomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. Unters. aus d. botan. Institut zu Tübingen. I. 3. 1884, Die vorliegende äußerst interessante und wichtige Untersuchung beschäftigt sich mit den Einwirkungen, die chemische Reagentien auf verschiedene frei bewegliche Zellen ausüben, so weit sie in Bewegung ausgedrückt werden. Leider gestattet der vorhandene Raum nicht, ausführlich auf die sinnreiche und lehrreiche Untersuchungsmethode des Verf. einzugehen und auch die erhaltenen Resultate lassen sich ohne Weitschweifigkeit nur in Gestalt kurzer Umrisse wiedergeben, zu denen des Verf. Zusammenfassung selbst die Handhabe bieten mag. Allgemein lässt sich sagen, dass für viele mit freier Ortsbewegung begabte Organismen oder Zellen durch gewisse chemische Stoffe An- regung zu lokomotorischen Richtungsbewegungen gegeben wird, unter der Voraussetzung, dass das Reizmittel in ungleicher Verteilung in der umgebenden Flüssigkeit vorhanden ist. Die Richtung der Bewegung geht nach der konzentrierteren Lösung hin, so lange nicht durch zu weit gehende Konzentration eine abstoßende Wirkung veranlasst wird. Nach mit den verschiedensten Stoffen angestellten Versuchen ergab sich, dass für die Spermatozoiden der Farne und von Selaginella Aepfelsäure und zwar frei oder als Salz das spezifische Reizmittel 43 674 Pfeffer, Lokomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. bildet, neben ihr nur noch (aber in weit schwächerem Grade) Malein- säure, während für die Laubmoose als Specifieum Rohrzucker festge- stellt wurde. Die Stoffe, welche das Einschwärmen der Samenfäden von Marsilia, Lebermoosen und Chara in das Archegonium dieser Pflan- zen veranlassen, konnten nicht bestimmt werden, wohl aber, dass der entleerte Inhalt der Archegonien als Reizmittel wirkt. Auch die Zoo- sporen von Chlamydomonas pulvisculus und Ulothrix zonata verhielten sich gegen alle Lösungen indifferent, für schwärmende Bakterien da- gegen ist jeder gute Nährstoff ein anlockendes Reizmittel. „Diesen Organismen kommt ein allgemeines Unterscheidungsvermögen gegen ein Mehr und Weniger von Nährstoffen zu, so wie sie auch ihre Rich- tungsbewegungen nach dem Sauerstoffbedürfnis regulieren.“ Ebenso konnte für Schwärmsporen von Saprolegnia anziehende Reizwirkung durch Fleischextrakt konstatiert werden, auf das auch Trepomonas agilis, eine Flagellate, reagiert. Erstaunlich groß ist die Empfindlichkeit der Samenfäden gegen Aepfelsäure, noch eine Lösung mit 0,001 °/, davon übt eine merkliche Reizwirkung aus, ebenso wie Rohrzucker in derselben Verdünnung auf Laubmoosspermatozoiden. Für Spaltpilze wurde die Reizschwelle nicht genau ermittelt, obgleich auch hier schon eine sehr geringe Menge eines guten Nährstoffes anziehend wirkt. Mit steigender Kon- zentration tritt endlich eine abstoßende Wirkung zu tage, die im all- gemeinen durch die höhere osmotische Leistung der Stoffe bedingt ist, woneben allerdings auch noch spezifische abstoßende Reize zur Geltung kommen können. „So weit die Konzentration nicht störend eingreift, ist das für die Beziehung zwischen Reiz und den in uns erweckten Empfindungen ermittelte Weber’sche Gesetz auch der Ausdruck für das Verhältnis zwischen Reiz und Reaktion der Samenfäden der Farne. Demgemäß muss, um eben merkliche Empfindung zu erzielen, der Zuwachs des Reizes stets in demselben Verhältnis stehen zu der Reizgröße, zu wel- cher er hinzu kommt. Hiernach wächst die Empfindung (Reaktion) nur in arithmetischer Progression, während der Reiz in geometrischer Progression zunimmt. Auch lehren diese Erfahrungen, dass Aepfel- säure in homogener Lösung, obgleich sie nieht richtend wirkt, doch einen Reiz auf die Samenfäden ausübt, welcher die Empfindlich- keit dieser mit steigender Konzentration der Aepfelsäure abstumpft. Diese für die Samenfäden der Farne näher verfolgten Beziehungen gelten wahrscheinlich auch für die Reizwirkungen auf Spermatozoen der Laubmoose und auf Bakterien. Natürlich wird dabei die Reiz- ursache durch die spezifische Natur der Stoffe, nicht durch die Dif- fusionsbewegung als solche bedingt. Es steuern die nach der kon- zentrierteren Lösung sich hinbewegenden Organismen in einer der Diffusionsbewegung entgegengesetzten Richtung. Durch die Reizung wird bewirkt, dass die Körperachse eine ganz bestimmte Richtung DE ER EEG, Leo Errera, Wachstumsperiode bei den Fruchtträgern von Phycomyces. 675 annimmt, es müssen also die ohnehin schon mit fortschreitender Be- wegung begabten Organismen nach bestimmter Richtung hin fortschrei- ten. Bei den Samenfäden geschieht dies ohne eine merkliche Be- schleunigung ihrer Bewegung, während die letztere bei den Bakterien lebhafter wird, schon deshalb, weil die Zufuhr von Nährstoffen, un- abhängig vom Richtungsreiz, eine beschleunigte Bewegungsthätigkeit hervorruft.“ Die Körperform der Samenfäden bleibt bei den Wanderungen durch Richtungsreize unverändert, die mechanische Ursache der Körperwen- dung muss in einer entsprechend modifizierten Thätigkeit der Wimpern gesucht werden. Allerdings wurde vom Verf. nicht entschieden, ob nur die Wimpern oder ob der ganze Körper gegen chemische Reize empfindlich ist; indess lässt sich zeigen, dass die Samenfäden der Farne gegen Kontakt sensibel sind, was sich bei Chlamydomonas so darstellt, dass Berührung der Wimpern oder andere äußere Ursachen ein vorübergehendes Stillstehen der sich ausstreckenden Wimpern ver- ursachen. Die schraubigen Samenfäden der Farne und von Marsilia dagegen werden durch mechanische Wirkungen länger gestreckt, „wenn sie sich in enge Kanäle eindrängen oder wenn der Samenfaden energisch vorwärts strebt, während sein hinteres Ende festgeklebt ist.“ Dass die spezifischen chemischen Reizwirkungen der Bedeutung und Lebensweise dieser Organismen zweckentsprechend sind, ist klar. Denn die Samenfäden werden dadurch zu der Eizelle, die Spaltpilze und Schwärmsporen von Saprolegnia zu ihrer Nahrung geführt, wäh- rend das Fliehen höher konzentrierter Lösungen Schutz gegen die nachteilige Wirkung dieser gewährt. „Die Reizmittel für Samenfäden sind spezifisch verschieden, doch scheint nach den Erfahrungen an Farnen und Moosen, in dem engern Verwandtschaftsbezirke derselbe Stoff als Reizmittel zu fungieren. Demgemäß ist es nicht darauf abgesehen, durch besondere Reizmittel die Vereinigung von Sexualzellen der einer Familie angehörigen Pflan- zen zu vermeiden, und in der That dringen, wenigstens bis an die Eizelle, die Samenfäden anderer Arten in das Archegonium eines Farnkrautes.“ Es dürften dies kurzgefasst die wichtigsten Resultate von Pfeffer’s Arbeit sein. Ein tieferes Eingehen ist in einem Referat unmöglich, es muss daher auf das Original verwiesen werden. C. Fisch (Erlangen). Leo Errera, Die große Wachstumsperiode bei den Frucht- trägern von Phycomyces. Bot. Ztg. 1884. Nr. 32—36. Schon im Jahre 1870 konstatierte Carnoy die merkwürdige Thatsache, dass bei manchen Mucorineen das Längenwachstum des 43* 676 Leo Errera, Wachstumsperiode bei den Fruchtträgern von Phycomyces. Fruchtträgers während der Entwicklung des terminalen Sporangiums vollständig sistiert werde, um nach Beendigung der letzteren auf das energischeste wiederzubeginnen. Carnoy fand, dass die größeren Mucor-Formen, namentlich der stattliche Phycomyces nitens bei der Entwicklung der Fruchtträger drei Perioden unterscheiden lassen. Während der ersten ist die Fruchthyphe spitz und zeigt ein mäßiges Längenwachstum, das in der zweiten ganz aufhört, um mit der Aus- bildung des Sporangiums abzuwechseln. In der dritten endlich be- ginnt es von neuem, um langsam ein Maximum zu erreichen und dann allmählich zu erlöschen. Bei kleineren Mucorineen fehlt diese dritte Periode, daher deren geringe Längenerstreckung. Später hat denn auch Brefeld dasselbe Phänomen beschrieben; eine genauere Fest- stellung desselben ist der Zweck von Errera’s Arbeit. Die Beo- bachtungen wurden an Phycomyces nitens angestellt, der auf Brot- würfeln kultiviert und unter einem viereckigen Glaskasten auf einer um eine vertikale Achse sich langsam drehenden Scheibe (um helio- tropische Reizbewegungen auszuschließen) beobachtet und gemessen wurde. So wurden über 75 Fruchtträger untersucht. Statt der drei von Carnoy aufgestellten Perioden konnte Verf. deutlich deren vier unterscheiden. Die erste beginnt damit, dass sich aus dem Mycelium ein orthotroper Zweig erhebt, die Fruchthyphe, welche zuerst mit zunehmender, dann mit längere Zeit konstanter, zuletzt mit abneh- mender Geschwindigkeit — immerhin im ganzen ziemlich langsam — senkrecht aufwärts wächst. Im zweiten Stadium beginnt der junge Fruchtkörper an seinem freien zugespitzten Ende kugelig anzu- schwellen, während gleichzeitig das Längenwachstum still steht. Die lebhaft gelb gefärbte Kugel vergrößert sich allmählich zu ihrem de- finitiven Umfang. Dabei ist der Träger gewöhnlich um ein Geringes kürzer geworden, weil die Kugel sich zum Teil auf kosten seines obern Endes ausgedehnt hat. Das dritte Stadium kennzeichnet sich dadurch, dass während 2—3 Stunden äußerlich Fruchtträger und Sporangien völlig unverändert bleiben, das letztere behält seine gelbe Farbe bei. Nach dieser Ruheperiode beginnt dann im vierten und letzten Stadium der Fruchtträger aufs neue energisch und ausgiebig zu wachsen, wobei die Wachstumsgeschwindigkeit schnell einen Maxi- malwert erreicht, um den sie mit geringen Schwankungen sich viele Stunden lang hält, um nachher allmänlich wieder auf Null zu sinken; die Membran des Trägers färbt sich schiefergrau, das Sporangium wird braunschwarz und ist völlig reif. Auch die Bildung der Colu- mella geht jetzt erst vor sich (? Ref.). Das vierte Stadium ist bei weitem das längste; die große Periode des Fruchtträgers dauert im ganzen vom ersten Erscheinen der Fruchthyphe bis zum Ende ihres Wachstums (bei 18—24° C.) etwa 3—5 Tage, wovon 1 Tag auf das erste, 2—3 Stunden auf das zweite, ebensoviel auf das dritte und der Rest auf das vierte Stadium kommen. Davon entfallen 12—18 Stun- Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 677 den auf die Zeit, während welcher die Wachstumsgeschwindigkeit nur wenig um das Maximum schwankt. In einer großen Zahl von Tabellen hat Verf. das Beweismaterial aufgeführt. — Der stündliche Zuwachs im mittlern Teil des vierten Stadiums betrug ungefähr 3,5 mm. Besonders interessant ist die Thatsache, dass sowohl die Bildung der Columella, als auch die Reifung der Sporen in das vierte Stadium fallen, da man doch annehmen sollte, dass dies in der Ruhe- zeit des dritten geschehen würde. Die wachsende Zone am Ende des Fruchtträgers ist streng lokalisiert, wie durch Anbringen von Marken festgestellt wurde. Selten erreicht sie die Länge von 1 mm, meistens ist sie 0,5 mm lang. Auch hierfür liegt ausführliches Ta- bellenmaterial vor. — In Uebereinstimmung mit den bekannten Eigenschaften wachsen- der Pflanzenteile lässt sich durch einen einfachen Versuch nach- weisen, dass der oberste Teil des Fruchtträgers von Phycomyces, der allein wächst, ganz vorwiegend dehnbar und gedehnt und am we- nigsten resistent ist. Verwundet man den nur durch seinen Turgor straff und aufrecht erhaltenen Faden, so muss er offenbar an der Stelle einknicken, für welche das Verhältnis des Biegungsmomentes zur Festigkeit des Fadens sein Maximum erreicht, und es geschieht dies nicht etwa an der Basis des Fadens, sondern 0,2—2 mm unter dem Sporangium, grade am untern Ende der Wachstumszone. — In der wachsenden Zone allein finden auch nur die Reizkrümmungen statt, die bei Phycomyces durch Tuschemarken oder leichte Berührungen in eigentümlicher Weise auftreten. Verf. schlägt vor, die durch Kon- taktreize hervorgerufenen Krümmungen (bei Wurzeln, Ranken ete.) mit dem Namen Haptotropismus zu bezeichnen. C. Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. Von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. B. (Schluss). Nicht so leicht sind die Einwürfe zu beseitigen, welche man gegen die Gleichwertigkeit der Teilsprösslinge in den Fällen von „Knospung“ machen könnte. Die Fortpflanzung der Einzelligen ist Ja nicht immer eine Teilung in zwei gleiche Hälften. Besonders bei den Acineten, den wimperlosen, festsitzenden Infusorien mit Saug- füßchen, spielt die Knospung eine große Rolle; ein oder mehrere Stücke schnüren sich von dem großen Körper des Muttertieres ab und schwimmen mittels Wimperkranzes davon, um sich anderwärts festzuheften und zur Acinete sich umzuwandeln. Hier kann Mutter und Tochter unterschieden werden, nicht nur der Größe, sondern auch 678 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. dem Bau nach, die Mutter geht auch nicht in die Töchter ganz auf, sondern sie bleibt in ihrer ursprünglichen Gestalt bestehen. Hier könnte man an ein Altern denken, an eine allmähliche Abnahme der Fähigkeit neue Knospen hervorzubringen, schließlich an einen natür- lichen Tod. Dass die Knospung vielmals in kurzen Zeiträumen sich wiederholen kann, ist zwar bekannt, aber der Beweis wäre noch zu führen, dass diese Fortpflanzung bei demselben Tier unbegrenzt fort- dauern kann. Es wäre also nicht unmöglich, wenn wohl auch nach den Erfahrungen bei den andern Protozoen unwahrscheinlich, dass hier ein Fall von Sterblichkeit eines Protozoons vorläge. Gesetzt nun, es sei so, es ließe sich nachweisen, dass eine Acinete auch bei guter Ernährung nur eine gewisse Zeit hindurch Schwärm- sprösslinge hervorbringe und dann aus innern Ursachen absterbe, so würde dies lehren, dass es bei gewissen Einzelligen schon zur Ein- richtung eines physiologischen Todes gekommen sei — die Unsterb- lichkeit der übrigen Einzelligen würde aber davon nicht berührt werden. Ich gestehe, dass ich solche Fälle nicht gradezu für unmöglich halte. Wir kennen ja die molekulare Struktur eines einzelligen Wesens so wenig, als die einer Zelle überhaupt, wissen auch nicht, wie dieselbe durch den Stoffwechsel verändert und wieder ad in- tegrum restituiert wird, wir können also auch a priori durchaus nicht darüber aburteilen, ob ein Zellkörper im stande ist, unbegrenzt fort zu funktionieren, oder ob ihn die Funktion allmählich aufreibt und zur Weiterfunktion unfähig macht. Unser Urteil kann somit nur auf der Erfahrung beruhen, und diese lehrt uns zwar auf der einen Seite in vielen Einzelligen unsterbliches Protoplasma kennen, auf der an- dern aber führt sie uns in den Körperzellen der Metazoen zahlreiche Beispiele von vergänglichen Zellen vor, die durch ihre Funktion dem Tode zutreiben und zwar häufig unabhängig vom Tode des ganzen Organismus. Die Zelle kann somit einen physiologischen Tod haben, und es ‚wäre — wie schon gesagt — im voraus nicht zu entscheiden, ob es nicht auch einzellige Organismen gibt, die sterblich sind. Aller- dings wäre dies nur in der oben angedeuteten Weise denkbar, dass das Muttertier mehrere oder viele Teilsprösslinge hervorbrächte und dann erst abstürbe, nicht aber so, dass bei jeder Zweiteilung die eine Hälfte dem Tode verfiele, denn dies würde die Vermehrung aus- schließen; eine Vermehrung ist aber nicht nur theoretisches Postulat, sondern kann auch durch die Erfahrung überall festgestellt werden. Sollte nun irgendwo bei Einzelligen eine solche Art von natürlichem Tod vorkommen, so würde derselbe doch immer nur eine entfernte Analogie mit dem Tod der Metazoen darstellen, insofern die Haupt- masse der Mutter doch stets in die Sprösslinge aufgehen müsste. Es wäre also gewissermaßen nur ein unbrauchbarer Rest, der bei der Fortpflanzung ausgestoßen würde und unfähig wäre, weiter zu leben. Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 679 Vielleicht sind die Erscheinungen der Keimbildung bei manchen Gregariniden und verwandten Wesen in diesem Sinne zu deuten. Hier teilt sieh nämlich nicht immer die Gesamtmasse des Tieres in zahlreiche, kleine Sprösslinge (Keime, Sporen), sondern ein Teil der Substanz des Muttertiers bleibt zuweilen unverbraucht und scheint später zu grunde zu gehen. Freilich zeigt anderseits das Vorkommen soleher Arten, bei welchen die Gesamtmasse des Körpers in die Sporenbildung völlig aufgeht, dass der ersterwähnte Fall keine tiefgreifende Bedeutung haben kann, und ich bin deshalb viel mehr geneigt, den unverbrauchten Rest des Muttertieres als eine Art von Exkret oder auch als eine Vorrichtung zur Erhaltung der Keime in der Keimkapsel anzusehen, denn als sterblichen Rest des Muttertiers!). Kommen doch auch besondere plasmatische Schläuche vor zur Aus- leitung der Keime aus der Keimkapsel (Cyste). Auch diese gehen natürlich später zu grunde und wandeln sich nicht etwa noch nach- träglich selbst in Keime um; es gibt also vergängliche, im Dienste der Keimbildung stehende Bildungen, die selbst nicht in die Keim- bildung eingehen, spezielle Anpassungen an eigentümliche Lebens- bedingungen. Ueberhaupt ist nicht zu vergessen, dass alle die Fälle, in welchen die Unsterblichkeit des einzelligen Organismus weniger klar hervortritt, nicht mehr die primäre Form der Fortpflan- zung, die äquale Zweiteilung besitzen, sondern Fort- pflanzungsformen, die von dieser abgeleitet werden müssen. Offenbar hängt die Veränderung der primären Fortpflan- zungsweise hier mit veränderter Lebensweise zusammen. Sämtliche Gregariniden leben bekanntlich parasitisch im Innern der Organe anderer Tiere, oder selbst im Innern von Zellen, und die Acineten haben durch Festwachsen an einer Stelle die ursprüngliche, schwär- mende Lebensweise der Infusorien aufgegeben, bedürfen also zu ihrer Verbreitung der Schwärmsprösslinge. Aber auch in diesen Fällen bleibt das Wesentliche in der Einzelligen - Fortpflanzung bestehen: das direkte Fortleben der Substanz des Muttertieres in den Tochter- tieren, mit anderen Worten: die Fähigkeit dieser Substanz, unbegrenzt weiterzuleben, nieht zu altern, sich nicht durch den Stoffwechsel ab- zunutzen. Inder Unsterblichkeit der Substanz, aus welcher der Einzelligen-Körper besteht, liegt der wesentliche und durchgreifende Unterschied von den Metazoen. Dieser Unterschied lässt sich aber noch in einer andern, vielleicht noch schärferen Weise fassen. Ich habe mich oben bemüht zu zei- gen, dass die Konjugation der Einzelligen nicht als ein Verjüngungs- 1) Vergl. die Arbeiten von Stein, Aim6, Schneider und Bütschli. Letzterer bezeichnet den „Restkörper“, welcher bei der Teilung der Mono- eystis-Zelle in Sporen übrig bleibt, als „Ausscheidungsprodukt* gewiss mit Recht (s. Bronn’s Klassen u. Ordu. Protozoen, Linf. 14, 15, 16 S. 551). 680 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. vorgang angesehen werden kann im Sinne einer Verhütung des sonst früher oder später eintretenden physiologischen Todes. Nun wird dies zwar kaum bestritten werden können, sobald man die Voraus- setzung zugibt, dass Konjugation und Befruchtung analoge Vorgänge sind; allein diese Voraussetzung wird vielleicht nicht von allen zu- gegeben werden. Jedenfalls will ich nicht versäumen, sie noch von einer andern Seite her zu beleuchten. Schon vor langer Zeit ist von Alexander Braun!) die geschlechtliche Fortpflanzung als Generationswechsel aufgefasst worden; viel später kam dann ein Student der Naturwissenschaften in Graz, Hans Reitter?), auf denselben Gedanken, wenn er ihn auch in etwas sonderbarer Weise entwickelte; weit klarer und umfassender wurde er 1880 von Rolph?) durchgeführt und zuletzt hat sich auch Balbiani ihm an- geschlossen *). Man kann die geschlechtliche Fortpflanzung als die Konjugation zweier Einzelligen betrachten, der Ei- und der Samen- zelle, durch welche der Grund gelegt wird zum Aufbau eines viel- zelligen Individuums, das dann seinerseits auf ungeschlechtlichem Weg wieder einzellige Individuen (Samen- und Eizellen) hervorbringt. Das, was bisher als ein Geschleehtsindividuum betrachtet wurde, wäre dann nur die geschlechtslose Amme, welche ihrerseits erst die einzellige Geschlechtsgeneration hervorbrächte, die Samen- und Ei- zellen, sei es dass ein und dieselbe Amme beide Arten erzeugt, sei es dass die Ammenform — wie beim Menschen und allen höheren Metazoen — dimorph ist (männliche und weibliche Individuen), und dann also entweder nur Samen- oder nur Eizellen hervorbringt. Es wird nicht ohne Interesse sein, die Berechtigung dieser Auf- fassung etwas näher zu prüfen. Offenbar lässt sich nichts dagegen einwenden, wenn man die Geschlechtszellen als einzellige Wesen auf- fassen will; es fragt sich nur, ob eine Nötigung zu solcher Auf- fassung vorliegt. Rolph behauptet dies. Dadurch, dass bei der Parthenogenese der eine Fortpflanzungskörper allein, nämlich die Eizelle zum fertigen Metazoon sich entwiekeln könne, sei bewiesen, das die Eizelle nicht erst durch die Befruchtung ein Individuum werde, sondern dass sie es schon vorher sei. Nun kann aber doch jede Zelle als Individuum betrachtet werden, jedenfalls kann das Kriterium, welches sie zum Individuum stempelt, nicht darin liegen, ob sich aus ihr ein Metazoon entwickelt oder nicht. Ein Infusorium, eine Amöbe sind auch Individuen, und wenn man auch von der rein morphologischen Definition des Wortes absieht, so würde es doch 1) „Ueber Parthenogenese“ Abhandl. d. Berl. Akad. 1856. S. 316. 2) „Die Protosphaera-Theorie“. Graz 1880. 3) „biolog. Probleme“ S. 143 u. f£. 4) Vorlesungen über Protozoen, gehalten am Collöge de France, publiziert im Journal de Micrographie 1881—82. Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 681 auch in physiologischem Sinn ganz freistehen, die Definition des „In- dividuums“ so einzurichten, dass mindestens doch jede freie, d. h. nicht in Gewebsbildungen eingehende Zelle darunter begriffen werden müsste. Nahrungsaufnahme und Lokomotion brauchten nicht verlangt zu werden, da ja zahlreiche, unzweifelhafte physiologische „Indivi- duen“ vorkommen, welche das eine oder andere nicht besitzen. Mir erscheint ein solcher „Beweis“ nur als ein Spielen mit Begriffen und bei Rolph zugleich als ein Abfall vom eignen Prinzip, da grade er den nur relativen Wert unserer Abstraktionen, speziell des Be- griffes vom „Individuum“ stark hervorhebt. Ich würde die Frage anders stellen, nämlich so: entsprechen die Geschlechtszellen der Metazoen den einzelligen Or- ganismen? haben sie sich aus jenen entwickelt? leiten sich ihre physiologischen Eigenschaften von jenen ab? Vielleicht ist man geneigt, diese Fragen ohne weiteres zu bejahen, indem man sagt, da die Vielzelligen sich nur aus Einzelligen ent- wickelt haben können, so müssen auch alle Zellen der ersteren aus dem Körper der Einzelligen herstammen, also auch die Keimzellen. Dies ist aber nur dann richtig, wenn auch die Metazoen schon in ihrer frühesten Zeit sich durch einzelne Zellen (Keime) fortpflanzten und nicht etwa bloß durch Teilung. Es wäre indess doch a priori denkbar, dass die ältesten Metazoen der Fortpflanzungszellen ganz entbehrt hätten, und dann würden sich solche erst später aus dem vielzelligen Organismus entwickelt haben und könnten folglich nicht als Abkömmlinge von Einzelligen angesehen, noch ihnen gleichgestellt werden. Nun lassen sich aber allerdings zahlreiche Gründe anführen, warum dies nicht so gewesen sein kann. Rein theoretische Argu- mente, wie z. B. die These von der Unentbehrlichkeit geschlechtlicher Fortpflanzung, dürfen zwar hier nicht mitsprechen, da bei ihnen irgend ein verborgener falscher Faktor das Fazit der Rechnung trüben könnte, aber einmal besitzen nieht nur die niedersten Metazoen schon die Fortpflanzung durch einzellige Keime, sondern sämtliche nie- derste, vielzellige Organismen, die wir überhaupt kennen, rechne man sie den Tieren oder den Pflanzen zu. Wohl sind nur ganz wenige Zwischenformen zwischen Protozoen und den eigentlichen aus Keimblättern sich entwickelnden Metazoen uns bisher bekannt geworden, und diese wenigen sind in bezug auf ihre phyletische Ab- stammung unsicher, allein auch die Vielzelligen, deren einzelne Zellen gleichartig sind, die „Homoplastiden“ Götte’s, besitzen alle die Fort- pflanzung durch Keime, d. h. durch einzelne Zellen und nicht bloß eine Vermehrung durch Teilung der ganzen Zellkolonie. Es liegt durchaus kein Grund zu der Annahme vor, dass sich dies geändert haben sollte, als die Homoplastiden sich zu Heteroplastiden weiter differenzierten, vielmehr lässt die Allgemeinheit der Fortpflan- zung durch einzellige Keime darauf schließen, dass sie eine funda- 682 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. mentale Bedeutung hat, und dass es keine Periode in der Entwick- lung der Vielzelligen und keine größere Gruppe derselben je gegeben hat, welche der Fortpflanzung durch solche Keime ganz entbehrte. Ist dies aber so, dann leiten sich die Keimzellen der Meta- zoen allerdings direkt von den einzelligen Organismen her, sind entstanden dadurch, dass Arbeitsteilung in einer Homo- plastiden-Kolonie die Zellen in Körper- und Fortpflanzungszellen schied; dann entsprechen also auch die Keimzellen der Metazoen den einzelligen Organismen, d. h. sie leiten ihre Fähigkeit, den ganzen Organismus hervorzubringen, von jenen ab. Daraus allein aber geht noch nicht die Berechtigung hervor, die geschlechtliche Fortpflanzung der Metazoen als Generationswechsel zu betrachten. Es muss zuerst untersucht werden, ob denn auch ein wirklicher Wechsel der Generationen hier vorliegt, ob wirklich die eine Generation stets die andere hervorbringt. Dies ist aber nicht so selbstverständlich, als es scheinen könnte. Ich suchte schon bei früherer Gelegenheit zu zeigen’), dass ge- netisch ein Gegensatz besteht zwischen dem Metazoon und seinen Geschlechtszellen, dass die spezifische Substanz (Keimplasma), aus weleher letztere bestehen, in Wahrheit nieht vom Körper des Metazoons proprio motu hervorgebracht wird, sondern dass sie vom Keim herstammt, gewöhnlich also von der befruchteten Eizelle, von welcher ein Teil unverändert übrig bleibt und nieht zum Aufbau des Metazoons selbst verwendet wird, sondern eben die Grundlage zur Bildung seiner Fortpflanzungszellen darstellt. Derselbe Gedanke, nur im reinen Cellulargewand, ist von M. Nussbaum?) ausgesprochen worden. Er lässt sich zunächst damit belegen, dass in manchen Fällen tierischer Entwieklung die Geschlechtszellen sich schon im Beginn oder Verlauf der Eifurchung von denjenigen Zellen abson- dern, welehe den Tierleib selbst zu bilden haben, von den „soma- tischen“ Zellen. Offenbar kann in diesen Fällen die Fortpflanzung nicht als Generationswechsel aufgefasst werden. Wohl sind auch hier zwei Formen von Bionten vorhanden: das Metazoon und die Ge- schlechtszellen, da aber die letzteren nicht vom Metazoon hervorge- bracht werden, vielmehr sich direkt von der vorhergehenden Ein- zelligen-Generation (dem befruchteten Ei) herleiten, so geht hier nicht abwechselnd eine Protozoon- und eine Metazoon- Generation aus einander hervor, sondern die unendliche Kette des Lebens wird von den Protozoen-Generationen allein gebildet, deren Individuen, die 4) „Dauer des Lebens“ S. 37; vergl. auch meine Schrift über „Leben und Tod“, Jena 1884. 2) „Zur Differenzierung des Geschlechts im Tierreich“ Arch. f. mikr. An. Bd, 18. S 1 und „über die Veränderungen der Geschlechtsprodukte bis zur Eifurchung, ein Beitrag zur Lehre von der Vererbung“ ebendas. Bd. 23. ER Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 685 Keimzellen, aber die Eigentümlichkeit haben, aus sich ein Metazoon hervorwachsen zu lassen. Die successive und scheinbar direkt aus einander hervorgehenden Metazoen-Individuen, z. B. die Generationen des Menschen erscheinen so gewissermaßen als Anhänge oder Ab- spaltungen von den Gliedern einer unendlichen Protozoen-Kette. Diese allein (die Geschlechtszellen) erhalten die Kontinuität des Proto- plasmas, die Metazoen-Individuen selbst übertragen ihre Individualität nicht direkt, sie sterben. Nun gibt es aber zahlreiche Fälle, in denen die Geschlechtszellen noch nicht wärend der Furchung oder der Embryonalbildung von den Zellen des Soma (Körpers) sich trennen, ja oft erst lange Zeit nach dem Beginn des selbständigen Lebens des aus dem Ei hervorgegan- genen Individuums. Hier entstehen sie also erst im fertigen Metazoon, sie werden als Zellen von diesem hervorgebracht, und es steht also nichts im Wege, die Fortpflanzung als einen Generationswechsel in dem oben angedeuteten Sinn zu betrachten. Daran wird auch da- dureh nichts geändert, dass sich — wie ich glaube — nachweisen lässt, dass der Stoff, das spezifische Keimplasma auch in diesen Fällen nicht vom Körper des Metazoons geliefert wird, sondern dass Keimplasmamoleküle vom Ei aus in die somatischen Zellen des Embryos übergehen und unter steter Vermehrung sich an denjenigen Stellen des Körpers einlagern, an welehen sie später die Geschlechts- zellen formieren. Als Zellen übernimmt hier der Organismus des Metazoons die einzellige Generation nicht, sondern nur als Moleküle); die unendliche Protozoenkette, welche in den vorher erwähnten Fällen in jedem Glied ein Metazoon absondert, ist hier unterbrochen, sie läuft nicht mehr in sichtbarer Zellengestalt durch die Metazoenindividuen hindurch, sondern löst sich in jedem jungen Metazoon zunächst in Moleküle auf, die sich im Körper zerstreuen und erst wieder zu ein- zelligen Individuen, d. h. zu Geschlechtszellen sammeln. Diese Art der Erzeugung von Geschlechtszellen ist zunächst nur für die Hydroiden nachgewiesen?), d. h. für Tierformen, deren ge- schlechtlich erzeugte Individuen meist noch keine Geschlechtszellen hervorbringen, sondern sich ungeschlechtlich durch Knospung ver- mehren und oft zu sehr großen Tierstöcken heranwachsen, ehe die geschlechtliche Fortpflanzung eintritt. Es lässt sich verstehen, warum hier die Abspaltung des Keimplasmas, welches für die Geschlechts- 1) Genauer gesprochen sollte es wohl heißen „Molekül-Gruppen“ oder nach Nägeli’s Vorgang „Micelle*; doch lasse ich absichtlich die Frage nach dem feinsten Bau des Keimplasma’s hier ganz aus dem Spiel, wie denn auch der Ausdruck „Keimplasma“ selbst nur im allgemeinen die Keimsubstanz be- zeichnen soll, ohne Etwas darüber auszusagen, in welchem Theil der Zelle, ob im Kern oder im Zellkörper, oder in Beiden dieselbe zu suchen sei. 2) Weismann, Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. Jena 1883. 684 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. zellen bestimmt ist, nicht schon während der Bildung des Embryos geschieht — die Geschlechtszellen kommen eben sehr viel später erst zur Verwendung; es lässt sich aber auch einsehen, dass die Reser- vierung bloßer Keimplasmamoleküle anstatt Keimplasmazellen in diesem Falle bedeutende Vorteile gewährte, indem dadurch eine Zer- streuung des zuerst noch minimalen Keimplasmavorrats durch den ganzen Tierstock hindurch möglich wurde, und so unter allmählicher Vermehrung des Keimplasmas zur gegebenen Zeit Geschlechtszellen in hunderten von Geschleehtsindividuen des Stockes gleichzeitig ge- bildet werden konnten. Soweit nun die bis jetzt bekannten Thatsachen zu blicken uns erlauben, ist eine so späte Trennung der Keimzellen von den somati- schen Zellen im Tierreich weniger verbreitet als die zuerst erwähnte Art der Keimzellenbildung; bei allen Wirbeltieren erfolgt die Tren- nung der Keimzellen von den somatischen Zellen schon während der Embryonalentwicklung, bei den Insekten, einem Teil der Crustaceen, verhält es sich ebenso, bei vielen Würmern, Echinodermen, Mollusken dagegen sind die Larven noch ohne jede Spur von Geschlechtszellen, sie werden demnach erst später differenziert. Man sieht also, dass die Zeit der Abspaltung der Keimzellen verschiebbar ist, und dass sie je nach den Umständen aus dem Beginn der Eifurchung bis in die Bil- dung der Keimblätter, oder des Embryo, oder bis in das freilebende Bion, oder selbst bis in spätere Generationen von Bionten verschoben wird, welche durch fortgesetzte Knospung aus jenem ersten hervor- gehen. Wenn es sich nun darum handelt, ob die geschlechtliche Fort- pflanzung der Metazoen als Generationwechsel zu betrachten ist oder nicht, so hängt die Entscheidung einfach daran, ob es das Metazoen- bion ist, welches die Geschlechtszellen hervorbringt oder das befruch- tete Ei selbst. Im erstern Fall haben wir Generationswechsel, im zweiten aber eine Kette von Protozoengenerationen mit angehängten Metazoenbionten. Wenn man also nur eine rein formale Entschei- dung sucht, so wird es sich darum handeln, zunächst zu bestimmen, in welchem Moment der Embryonalgenese das Metazoon beginnt. Das ist nun nicht bestimmt zu sagen, und ist auch gar nicht überall gleich. Zum Begriff des Metazoons gehört nicht nur eine durch Arbeitsteilung differenzierte Zellenkolonie, sondern auch die Spaltung derselben in zwei Keimblätter. Der Moment der Keimblatt- bildung wäre also maßgebend. Nun sind aber in vielen Fällen schon die zwei ersten Furchungskugeln in dem Sinne differenziert, dass aus der einen das äußere, aus der andern das innere Keimblatt hervor- geht, und es fragt sich, ob man in diesen Fällen schon die beiden ersten Furchungskugeln als Metazoon gelten lassen will. In vielen andern Fällen beginnt die Differenzierung des Keimblättermaterials erst viel später in der Embryonalgenese. Immerhin würde man mit Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 01079) Zugrundelegung dieser Definition vom ontogenetischen Anfang des Metazoons so ziemlich die meisten Metazoen früher entstehen sehen als ihre Geschlechtszellen, mithin ihre geschlechtliche Fortpflanzung als Generationswechsel zu betrachten haben. Doch gibt es davon Ausnahmen, so z. B. die Zweiflügler unter den Insekten, bei denen die Keimzellen sich vor der Anlage der Keimhaut, ja schon bei der ersten Teilung der Eizelle vom zukünftigen Leib des Metazoons abson- dern, bei diesen also wäre die geschlechtliche Fortpflanzung jedenfalls kein Generationswechsel. Vielleicht ließen sich auch die Daphniden ihnen beigesellen, da bei ihnen sich die Keimzellen sehr früh, wenn auch erst in späteren Stadien der Furchung abspalten. Nun ist aber offenbar die physiologische oder biologische Bedeu- tung der geschlechtlichen Fortpflanzung bei den Dipteren, Daphniden u. s. w. genau dieselbe wie bei den übrigen Metazoen, und wir wür- den so in die Lage versetzt, einen Vorgang von gleicher Bedeutung mit verschiedenen Namen zu nennen und in verschiedenen Kategorien unterzubringen. Dies wäre um so sonderbarer, als die frühe Abtren- nung der Keimzellen bei Dipteren und Daphniden aller Wahrschein- lichkeit nach eine sekundär erworbene Emrichtung ist, vielleicht mit der sehr früh beginnenden Fortpflanzung dieser Arten zusammenhän- gend. Wir stoßen hier wieder auf die Unzulänglichkeit unserer Be- griffe und Abstraktionen. Grade beim Generationswechsel tritt das ganz besonders hervor; wird doch immer noch darüber getritten, ob man die Fortpflanzung mancher Tierformen, z. B. der Bandwürmer als Generationswechsel zu betrachten habe oder nicht, und ist doch die kategorische Entscheidung dieser Frage einfach unmöglich, weil der Begriff der „Generation“ nicht überall in der Natur scharf aus- gebildet vorhanden ist, und weil bei den Bandwürmern alle möglichen Zwischenstufen zwischen einfacher Metamorphose (Caryophyllaeus) und scharf ausgesprochenem Generationswechsel (Coenurus) vorkommen. Ganz ähnlich verhält es sich bei der Frage nach der formalen Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. Auf der einen Seite stehen die Hydroiden und Phanerogamen, bei welchen kein Zweifel sein kann, dass die Keimzellen erst vom Metazoon selbst abgeschieden werden, auf der andern Seite die Dipteren und Dapbniden, bei wel- chen ihre Abtrennung der Bildung des Metazoons vorausgeht, und zwi- schen beiden würden sich wohl zahlreiche Zwischenfälle geltend ma- chen lassen, welche man je nach der Definition, welche man für den Heteroplastidenorganismus annimmt, zu der ersten oder der zweiten Gruppe zählen könnte. Jedenfalls haben wir hier überall den schein- baren Wechsel einzelliger und vielzelliger Generationen, mögen die ersteren nun direkt oder indirekt auseinander hervorgehen, und in diesem Sinn können wir allerdings sagen: die geschlechtliche Fort- pflanzung der höheren Organismen sei eine Art von Generationswechsel. Ist aber dieser Generationswechsel die primäreForm 686 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. der geschlechtlichen Fortpflanzung der Heteroplastiden? Wenn man nur die heutigen Metazoen ins Auge fasst, wird man ge- neigt sein, diese Frage zu bejahen, denn bei der größten Mehrzahl der Metazoen bilden sich die Keimzellen erst im Metazoon, und bei den wenigen, wo sie schon vor ihm entstehen, beruht dies wahr- scheinlich auf einer sekundären, zeitlichen Verschiebung. Dennoch glaube ich, dass es sich umgekehrt verhält, und dass die primäre Form der geschlechtlichen Fortpflanzung kein Genera- tionswechsel war. Wenn man die vielzelligen Organismen von den einzelligen her- leitet — und eine andere Ableitung gibt es nicht —, so müssen die ersten Vielzelligen „Homoplastiden“ im Sinne Götte’s gewesen sein, d. h. Zellkolonien, deren einzelne Zellen noch gleich waren und so- wohl die Ernährung als die Fortpflanzung vermittelten. Als dann später Arbeitsteilung eintrat, werden Heteroplastiden entstanden sein, d. h. Zellkolonien, bei welchen mindestens zweierlei verschiedene Zellen vorhanden waren, Keimzellen und somatische Zellen. Die Keimzellen dieser Urheteroplastiden allein bewahrten die Fähig- keit, das Ganze wieder hervorzubringen, sie überdauerten den Zerfall des Körpers, um dann wieder — sei es nach Konjugation mit einer andern Keimzelle, sei es vielleicht auch ohne eine solche — einen Furchungs- oder Teilungsprozess einzugehen, der zur Bildung einer neuen Zellkolonie führte. Dabei muss sich von vornherein Keimplasma und somatisches Plasma in Zellenform getrennt haben, jedenfalls müssen schon die ersten Furchungskugeln teilweise Fortpflanzungs- zellen gewesen sein, da ja bei den homvoplastidischen Vorfahren alle Zellen der Kolonie Fortpflanzungszellen waren, und die Differenzie- rung zu Heteroplastiden darin bestand, dass ein Teil der Koloniezellen die Fähigkeit der Fortpflanzung verlor. Zellen aus Keimplasma müs- sen also bei diesen Urheteroplastiden schon im Beginne der Onto- genese aufgetreten sein — von einem Generationswechsel kann also hier nicht geredet werden, viel eher etwa von einer Art Knospung, insofern hier jeder befruchtete Keim durch Zellteilung ein Metazoensoma aus sich hervorknospen lässt, ohne darin ganz aufzugehen. Doch auch hier entspricht der konventionelle Begriff nicht genau dem Vorgang selbst, weil man von Knospung nur da zu reden gewohnt ist, wo es sich um Bionten gleicher Ord- nung handelt, während wir es hier mit einem einzelligen Bion (der Keimzelle) zu thun hätten, welches ein mehrzelliges hervorknospen ließe. Denselben Einwurf könnte man freilich auch der Auffassung der sexuellen Fortpflanzung als Generationswechsel machen. Mag man nun aber die besprochenen Erscheinungen unter die genannten Begriffe subsumieren oder nicht, soviel scheint mir sicher, dass vom phyletischen Anfang der Metazoen an aufwärts die Fort- pflanzung durch Keime darauf beruht, dass diese die Träger Weismann, Zur Frage nach der Unsterbliebkeit der Einzelligen. 687 jenes unsterblichenProtoplasmas sind, welches auch die Grundlage des Körpers der Einzelligen ausmacht und welches allein die Kontinuität des Lebens, die phyleti- sche Entwieklung der Lebensformen aus einander er- möglicht, weil esallein die Fähigkeit besitzt, zu leben, ohne sich abzunützen. Auch da, wo die Keimzellen sich erst spät im gereiften Organismus differenzieren, stammt ihr spezifisches Plasma von der Eizelle, steht also in Kontinuität mit der unendlichen Plasmakette, welche von der ersten Entstehung des Lebens an durch die Protozoen zu den Metazoen emporführte. Mag die Trennung der Keimzellen und Körperzellen in der Ontogenese früher oder später geschehen, die Kontinuität des Keimplasmas bleibt immer gewahrt, und so wird man denn nicht irre gehen, wenn man die Fortpflanzung der Protozoen der Fortpflanzung der Metazoenkeimzellen durch Teilung gleichstellt, die Metazoenbionten selbst aber gewissermaßen als Knospen dieser Keimzellen auffasst. Diese Knospen sind ver- gänglich, sie verfallen dem Tod, das Keimplasma aber ist unvergäng- lich, es erneut und vermehrt sich in jeder neuentstandenen Metazoon- knospe und bildet die unsterbliche Grundlage, von welcher immer neue Generationen von Metazoenbionten hervorwachsen. In dieser Kontinuität des Keimplasmas liegt offenbar die Lösung des Rätsels von der Vererbung der Metazoen, welches von dem alten Standpunkt aus unlösbar ist, von dieser Auffassung aus aber bis zu demselben Punkt klar liegt wie bei den Protozoen. Bei diesen gibt es — wie schon erwähnt — keine zeitlich von einander abgegrenzten Indivi- duen, sondern das räumlich wohl abgegrenzte Bion geht zeitlich in Vorgänger und Nachfolger über, ist also in gewissem Sinne das- selbe Individuum und übernimmt folglich auch alle Abänderungen in Form und Zusammensetzung, welche sein Vorgänger etwa erlitten hat. Wenn nun aber der Teilungsprozess des Protozoons und der Fur- chungsprozess des Metazoeneies sich entsprechen, dann müssen auch die Vorgänge der Konjugation und der Befruchtung analog sein, denn sie leiten die Teilung bezw. die Furchung ein. Sie entsprechen sich auch insofern, als sie nicht unerlässliche Bedingung zum Eintritt der Fortpflanzung sind: nicht einer jeden Teilung eines Protozoons geht eine Konjugation voraus, und das Me- tazoenei entwickelt sich in manchen Fällen (Parthenogenese) ohne vorhergegangene Befruchtung. Wenn aber Konjugation und Befruch- tungsprozess sich entsprechen, dann kann auch die Konjugation nicht die Bedeutung eines „Verjüngungsvorganges“ im Sinne einer Vermei- dung des Todes haben, da — wie oben schon gezeigt wurde — der einzige physiologische Tod, den wir kennen, nicht die Keimzellen vor ihrer Vereinigung betrifft, sondern das Metazoon am Ende seiner Entwicklungsbahn‘ Einen Grund zu der Vermutung, es möchte in der Konjugation und dem Befruch- 688 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. tungsvorgang ein „Verjüngungs“-Vorgang in dem genannten Sinn ver- borgen liegen, könnte man deshalb nur in der Häufigkeit und der weiten Verbreitung dieser Vorgänge finden, in Verbindung mit der nicht weiter begründbaren Ansicht, dass der Lebensprözess, um un- begrenzt anzudauern, einer besondern „Verjüngung“ seines Substrats bedürfe.. Da diese Ansicht aber offenbar lediglich aus der Erfahrung herstammt, dass die höheren Organismen dem Tode verfallen, dieser Tod aber der einzige ist, den wir kennen, und weder durch Befruch- tungsprozesse beseitigt werden, noch überhaupt mit einem Stadium aus der Entwicklung der Einzelligen oder der Keimzellen parallelisiert werden kann, so wüsste ich nicht, womit man sie noch ferner stützen wollte. Will man aber dennoch daran festhalten, so muss man wenig- stens zugeben, dass der „Tod“, von dem man annimmt, dass er durch die Konjugation bezw. die Befruchtung beseitigt werden müsse, gänzlich unbekannt ist und nichts mit demjenigen Tod zu thun hat, den wir kennen: den Tod der höheren Organismen (Heteroplastiden). Für die Frage, auf die es hier in erster Linie ankommt, nämlich für die von mir angenommene „Unsterblichkeit“ der Einzelli- gen, ist dieser Punkt ganz gleichgiltig, da eben der „bekannte“ Tod jedenfalls nicht dureh Konjugation oder Befruchtung beseitigt wird, sondern nur ein unbekannter, da somit der tiefgreifende Unterschied zwischen Einzelligen und Vielzelligen dennoch bestehen bliebe, möchte selbst Konjugation und Befruchtung wirklich ein Verjüngungsvorgang sein. Grade darauf aber kam es mir an, diesen Unterschied klar zu legen, und um ihn kurz und scharf zu formulieren, bezeichnete ich die Einzelligen als „unsterblich“. Es bleibt zuletzt nun noch zu untersuchen, ob dieser Ausdruck dem Wesen der Sache entspricht. Der Ausdruck „unsterblich“ kam in den Naturwissenschaften bis- her nicht vor, weil man eben glaubte, dass Sterblichkeit das Los alles Lebendigen sei. So konnte denn auch der Sinn, den man mit dem Worte verband, — wie Möbius richtig bemerkt — nicht aus der Erfahrung stammen, er war ein „transzendenter Begriff“. Dennoch ließ er sich leicht definieren, er bedeutete einfach das Gegenteil von „sterblich“. In diesem Sinn schrieben die alten Hellenen ihren Göttern Unsterblichkeit zu; und zwar war dies körperlich gemeint, nicht bloß als eine Fortdauer der Seele nach dem Tode, wie bei „den Heiligen der Kirche und den Verstorbenen der Gläubigen“, deren Körper einbalsamiert oder getrocknet verehrt werden oder aber ver- wesen. Die griechischen Götter erfreuten sich bekanntlich eines Kör- pers und ewiger Jugend; sie konnten auch gar nicht sterben, wie Ares beweist, der nach Homer so schmerzhaft und tief verwundet wurde, dass er brüllte wie 10000 Krieger, — ohne doch zu sterben. Nun im Sinne der griechischen Götter sind die Protozoen freilich Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. 689 nicht unsterblich, sie können sterben und sie sterben in unendlichen Massen, aber sie können auch — soweit wir sehen — unbegrenzte Zeiträume hindurch weiter leben unter stetig sich wiederholenden Ab- spaltungen ihres Körpers, und auf dieser Fähigkeit beruht das Fort- bestehen ihrer Arten und die Entwicklung neuer Formen, beruht über- haupt die Entwicklung einer vielgestaltigen Organismenwelt. Fasst man also den Begriff der Unsterblichkeit ganz einfach als den Gegen- satz zur Sterblichkeit, somit dem Wortlaut entsprechend als Nicht- Sterblichkeit, so besagt er, dass die betreffenden Bionten nicht sterben müssen, dass sie einen natürlichen Tod, einen Tod aus innern Ursachen nicht besitzen, und so verhält es sich ja bei den Ein- zelligen. Ich glaube daher, dass das Epitheton unsterblich in der That für dieselben vollkommen zutrifft und dass kein anderes Wort unseres Sprachschatzes auch nur annähernd im stande wäre, den Gegensatz zwischen ihnen und den Metazoen ebenso bezeichnend aus- zudrücken. Man könnte ja ein neues Wort dafür erfinden, wenn man „unsterblich“ verwirft, jedenfalls aber sind die Einzelligen „nicht sterblich“, oder wenn man die Individualitätsfrage ganz herauslassen will: der Körper der Einzelligen ist nicht sterblich. Auf die rein philosophische Frage, ob diese Unsterblichkeit gleich ewigem Leben ist, braucht man sich dabei gar nicht einzulassen; übrigens habe ich mich darüber früher schon kurz ausgesprochen!) und zwar in demselben Sinn, in welchem Möbius am Schlusse seiner Betrach- tung sich äußert, indem er sich dabei irrtümlicherweise im Gegen- satz zu mir zu befinden glaubt. Die Resultate dieser Untersuchung lassen sich etwa in folgende Sätze kurz zusammenfassen: 1) Der Streit darüber, ob man recht thue, bei der Teilung der Einzelligen Mutter und Tochter als dasselbe Individuum zu bezeichnen oder als verschieden, ist ein bloßer Wortstreit, der nur insofern eine tiefere Bedeutung hat, als er zum Bewusstsein bringt, dass es bei den Einzelligen kein „Individuum“ in dem Sinne gibt wie bei den höheren Organismen, dass überhaupt unsere Abstraktionen, wie „Generation“, „Mutter“, „Tochter“ nieht ohne weiteres überall angewandt werden können, da sie eben künstliche Begriffe, nicht aber in der Natur vor- handene Dinge sind. 2) Der Gedanke eines „Alterns“ der Einzelligen ist nicht halt- bar, vielmehr besteht in physiologischer Beziehung ein tiefer Unter- schied zwischen Einzelligen und Vielzelligen darin, dass nur die letz- teren sich durch das Leben selbst aufreiben und zu einem natürlichen Tod treiben, während die ersteren durch den Stoffwechsel niemals derart verändert werden, dass das Leben dadurch unmöglich würde. 1) Dauer des Lebens S. 47 und 48. 44 690 Weismann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. Die Einzelligen haben keinen physiologischen Tod, ihre Körper sind unsterblich. 3) Konjugation bei den Einzelligen und der Befruchtungsprozess bei den Mehrzelligen sind analoge Vorgänge und sind nicht als „Ver- Jüngungsvorgänge“ im Sinne einer Vermeidung des physiologischen Todes aufzufassen; dieser letztere liegt vielmehr an einer ganz ver- schiedenen Stelle der Ontogenese und hat nichts mit diesen Vorgängen zu thun. 4) Der Körper der Einzelligen entspricht den Keimzellen der Me- tazoen, und die geschlechtliche Fortpflanzung dieser letzteren lässt sich unter gewissen Einschränkungen als ein Generationswechsel auf- fassen zwischen je einer Generation von Einzelligen (den Keimzellen) und einer Generation von Metazoenindividuen, welche ihrerseits auf ungeschlechtlichem Wege wieder die Generation von Einzelligen her- vorbringt. Genauer aber entspricht dem Thatbestand die Vorstellung, dass hier eine unendliche Kette von Einzelligen vorliegt, die Keim- zellen, von denen jede Generation ein ungeschlechtliches Metazoen- individuum von sich abspaltet oder als Knospe hervorsprossen lässt. Jedenfalls läuft hier neben der unendlichen Kette einzelliger Genera- tionen eine entsprechende Anzahl Individuen höherer Ordnung (viel- zellige Individuen) einher, welche nicht, wie die Einzelligen, unmit- telbar auseinander hervorgehen, sondern nur durch Vermittlung der Einzelligen. Diese Individuen höherer Ordnung allein haben ein physiologisches Ende, einen natürlichen Tod, die einzelligen Genera- tionen (die Keimzellen) sind potentia ebenso unsterblich wie die Pro- tozoen oder sonstige selbständige einzellige Organismen, denn sie gehen niemals in ihrer Knospe, dem Metazoon auf, sondern spalten sie nur von sich ab, um dann im Innern derselben unter ihrem Schutz und ihrer Ernährung weiter zu leben. Nachschrift. Als der vorstehende Aufsatz bereits druckfertig war, erhielt ich einen kurzen Artikel von C. S. Minot, betitelt: „Death and Indivi- duality“ !), in welchem meine Ansicht über die Frage des Todes, wie sie in den oben zitierten Schriften niedergelegt ist, besprochen, und mir nachgewiesen wird, dass ich nichts von der Sache verstehe („he misses the real problem“ — „his whole fabrie is illusory“ ete.). Ich habe es vielleicht nicht zu bedauern, dass ich auf den betreffenden Artikel nicht mehr genauer eingehen kann; ohnehin finden fast alle die Einwürfe, welche mir darin gemacht werden, in vorstehendem Aufsatz ihre Erledigung. Jedenfalls wird der Autor ersehen, dass auch mir der bloß relative Wert unsrer Abstraktionen, in speeie der des Wortes „Individuum“ nicht unbekannt ist. Was die eignen 1) „Science“ Vol. IV, Nr. 90. Plateau. Experimente über die Muskelkraft der wirbellosen Tiere. 69] Aufstellungen des Herrn Verfassers angeht, so darf man wohl ihre angekündigte ausführliche und hoffentlich auch bessere Begründung erst abwarten. — Ebenfalls erst nach Abschluss dieses Aufsatzes kam ich zur Kenntnis des neuesten Werkes von Strasburger!), auf dessen bedeutenden Inhalt ich um so lieber bezug genommen hätte, als ich in verschiedenen und wichtigen Punkten mit ihm übereinstimme. F. Plateau, Experimente über die Muskelkrait wirbelloser Tiere, Recherches sur la force absolue des muscles des invertebres. Academie royale de Belgique. I. partie, 1883: Force absolue des muscles addueteurs des Mol- lusques Lamellibranches. II partie, 1854 Force absolue des muscles flechis- seurs de la pince chez les Crustac&s Decapodes,. Plateau, dem die zoologische Wissenschaft schon eine große Anzahl wichtiger experimenteller Studien namentlich über gewisse mechanische Verhältnisse der niederen Tiere verdankt, hat neuerlich wieder eine Studie veröffentlicht, deren Ergebnisse im Zusammenhalt mit gewissen andern zum Teil vom gleichen Verfasser konstatierten Thatsachen wohl auf allgemeineres Interesse Anspruch erheben dürfen. Zum richtigen Verständnis des Zieles und der Bedeutung dieser Ar- beiten scheint dem Ref. aber eine kurze Orientierung über den Begriff der „Muskelkraft“ und die bisherigen einschlägigen Untersuchungen am Platze zu sein. — Unter „Muskelkraft“ im gewöhnlichen Sinn versteht man bekanntlich die Kraft, welche sämtliche Muskeln eines tierischen Körpers, oder gewisse an bestimmten äußeren Werkzeugen desselben wie z. B. an unserem Arm vorkommende Gruppen von solchen im Zusammenhange mit dem Hebelwerke, an dem sie als Zugvorrichtungen wirken, bei der Ueberwindung irgend einer Last hervorbringen. Mit Rücksicht darauf, dass hierbei die Kraftänßerung der Muskeln, gemessen durch die überwundene in Gewichten ausgedrückte Last, vielfach mit der Größe bezw. dem Ge- wicht des betreffenden Körpers oder Körperteiles verglichen zu wer- den pflegt, kann dieselbe füglich als relative Muskelkraft bezeichnet werden. Begreiflicherweise hat die Feststellung der spezifischen bezw. relativen Muskelkraft der verschiedenen Tiere im angedeuteten Sinne ein großes biologisches Interesse, da wir auf grund derselben wenigstens einigermaßen die Größe der Arbeitsleistungen der einzelnen Organismen zu beurteilen im stande sind. Was nun die thatsäch- liche Erforschung der relativen Muskelkraft anlangt, so kennt man 1) „Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den Phanero- gamen, als Grundlage für eine Theorie der Zeugung“. Jena, 1834. A4® 692 Plateau, Experimente über die Muskelkraft der wirbellosen Tiere. bekamntlich schon seit langem durch die tägliche Erfahrung die Größe derselben beim Menschen und bei verschiedenen zumal als Zug- oder Hebemaschinen in Verwendung stehenden Haustieren, man hatte aber bis vor kurzem keine exakten Angaben über die Leistungsfähigkeit irgend welcher wirbelloser Tiere. Die ersten, strengeren Anfor- derungen entsprechenden Untersuchungen dieser Art verdanken wir Plateau, der in der Mitte der sechziger Jahre die Zugkraft der Insekten prüfte !.. Es geschah dies, um die Methode nur ganz kurz zu kennzeichnen, in der Weise, dass er sie längs eines abgesteckten Weges über eine rauhe horizontal liegende Platte zu kriechen zwang, wobei sie vermittelst eines um ihren Körper geschlungenen und über eine Rolle laufenden Fadens ein bestimmtes Gewicht zu heben hatten. Das Ergebnis dieser Experimente war insoferne ein sehr überraschen- des, als sich herausstellte, dass die Zugkraft der untersuchten In- sekten im Vergleich zu ihrem Gewicht eine vielmal größere wie beim Menschen und gewissen Säugetieren ist. Während nämlich beispiels- weise ein Pferd nicht viel mehr als die Hälfte seines eigenen Ge- wichtes zu ziehen vermag, bewältigt ein Laufkäfer eirca das 17- und eine Honigbiene gar mehr als das 23fache der Körperlast. Das eben erwähnte Resultat kann nun leicht zur irrtümlichen Ansicht verleiten und hat, wie Plateau selbst hervorhebt, dies auch in der That ge- than, dass die Muskeln der Insekten und gewisser wirbelloser Tiere überhaupt an und für sich viel stärker als jene der höhern Tiere seien oder dass mit andern Worten ihre absolute Kraft einen höhern Wert erreiche. Letzterer Begriff soll gleich noch etwas näher erläutert werden. Die Kraft, mit der sich ein gereizter Muskel ver- kürzt, hängt bekanntlich abgesehen von seiner spezifischen Natur in der Weise von seiner Dieke oder richtiger dem physiologischen Querschnitt ab, dass z. B. ein Muskel, der an seiner dicksten Stelle 4 [Jem im Durchschnitt hat, bei seiner Verkürzung auch ein 4mal größeres Gewicht zu heben vermag, als ein Muskel derselben Qualität, der nur 1 Dem Dicke aufweist. Unter der absoluten oder spezi- fischen Kraft eines Muskels versteht man nun eben das Maximalge- wicht, das ein Muskel von bestimmter, sagen wir 1 Dem Dicke, bei der stärksten Zusammenziehung direkt, d. h. ohne Vermittlung von die Hubkraft erhöhenden Hebeln eben noch zu überwinden vermag. Es mag noch kurz beigefügt werden, dass derartige Messungen zuerst von Weber?) angestellt und dann mit Hilfe der von Helmholtz?) begründeten Ueberlastungsmethode unter andern auch von Schwann®) 4) Recherches sur la force musculaire des insectes (Bull. Acad. roy. d. Belgique 2. serie. t. XX, Nr. 11, 1865 et t. XXII. Nr. 11, 1866). 2) Wagner’s Handwörterbuch III. 2. S. 84. 1846. 3) Archiv f. Anatomie u. Phys. 1850. 8. 276; 1852. S. 199. 4) Müller’s Handb. d. Physiologie I. S. 59. 1837. Plateau, Experimente über die Muskelkraft der wirbellosen Tiere, 693 und Hermann!) und, speziell behufs Ermittlung der absoluten Mus- kelkraft im oben angegebenen Sinn, zuerst von Rosenthal?) gemacht wurden, dass aber alle diese Untersuchungen, deren Hauptergebnisse der Leser später kennen lernen wird, ausschließlich nur Wirbeltiere betreffen. Um nun auf die neuesten Arbeiten Plateau’s zu kommen, so verfolgen dieselben eben den Zweck, nicht nur die relative, sondern auch die absolute Stärke gewisser Muskeln von Wirbellosen zu ermitteln, und zwar untersucht Verf. in der ersten Arbeit die durch ihre Größe ausgezeichneten Schalenschließer der Muscheln und in der zweiten jenen mächtigen Muskel der vordersten Krabben- schere, der das bewegliche daumenartige Endglied gegen den be- kannten gegenüberstehenden Fortsatz des unbeweglichen vorletzten Gliedes bewegt. Wenden wir uns nun zur ersten Arbeit, wobei wir uns mit Uebergehung der zum Teil sehr anerkennenswerten, im ganzen aber doch ungenügenden früheren Studien dieser Art von Fick), L. Vaillaut*), Coutance) und Blanchard®) zunächst über die wichtigsten Untersuchungsmomente sowie über die Methode des Verf. orientieren wollen. Sieht man von den Weichteilen einer Muschel mit Ausnahme der bekanntlich bald in der Ein- bald in der Zweizahl vorhandenen Schalenschließmuskel ab, so kann dieselbe gleich der Krebsschere als eine Zange betrachtet werden, und es wird der Klappenapparat, wie unter andern Darwin’) beobachtete, auch in der That vielfach als solcher, d.h. um sich an fremden Gegenständen, mitunter auch an Tieren festzuklemmen, angewendet. Nur sind bei der Muschel be- kanntlich in der Regel aber (man denke an mit einer Schale fest- gewachsene Austern nicht immer) beide Zangenschenkel beweglich, während bei der Krebsschere nur ein Blatt mobil ist. Was die Be- wegung der beiden Muschelzangenschenkel betrifft, so geschieht die- selbe, wie man weiß, durch zwei Vorrichtungen. Das Oeffnen der Schalen beruht auf der Gegenwart eines elastischen Polsters, der am Schlossrand, also nahe dem Drehpunkt der Schalen sich befindet und ganz ähnlich wie eine zusammengedrückte Spiralfeder wirkt, während 1) Archiv f. Anatomie u. Phys. 1861. 8. 392. 2) Compt. rend. LXIV. p. 1143. 1867. 3) Beiträge zur vergl Physiologie der irritabeln Substanzen, Braunschweig 1863. 4) Recherches sur la famille des Tridaenid&s (ann. d. sciene. nat. Zool. 5. serie. t IV. 1865. p. 65). 5) De l’önergie et la structure musculaire chez les mollusques ac&phales (Paris. J. B. Bailliere, 1878, 63 pag. et 2 planches). 6) Revue internationale des sciences 1880. 7) On the dispersal of freshwater bivalves (Nature angl. vol. XXV. 6. avril 1882. p. 519), 694 Plateau, Experimente über die Muskelkraft der wirbellosen Tiere. das Schließen der Zange durch einen oder zwei Muskeln vermittelt wird, die sich, den Weichkörper durchbohrend, von einer Schale zur andern erstrecken und, was ihre bedeutende Wirkung abgesehen von ihrer großen Dicke erklärlich macht, an den betreffenden Krafthebeln unter rechtem Winkel angreifen. Um nun die relative und absolute Zugkraft dieses Muskels oder Muskelpaares (künftig soll der Kürze wegen alles nur auf einen Muskel bezogen werden) zu bestimmen, bediente sich Plateau des bereits von Vaillant (s. 0.) angewen- deten Suspensionssystems, welches im wesentlichen darin besteht, dass eine Schale mit Hilfe eines in die freie Randöffnung eingeführten Häkchens aufgehängt wird, während an die andere (hier untere) Schale auf ähnliche Weise eine Schale angebracht wird, auf welche so lange Gewichte aufgelegt werden, bis sie die Schale etwas (1 mm) abziehen, also mit andern Worten der Verkürzungskraft des durch die Einführung erwähnter Fremdkörper hochgradig gereizten und also ganz kontrahierten Muskels das Gleichgewicht halten. Zur Bestim- mung der Totalzugkraft des Schließmuskels wurden dann zu- nächst noch folgende Messungen vorgenommen. Vor allem war die Größe der Federkraft des elastischen Polsters zu bestimmen, die der Zugkraft des Schließmuskels entgegenwirkt und die also, um letztere zu erhalten, gradeso zum angehängten Lastgewicht addiert werden muss, wie das Gewicht der untern Schale selbst, die ja auch als Belastung mitwirkt. Die Messung der Federkraft geschah mit Hilfe eines um die obere durch Durchschneidung der Schließmuskeln klaffend ge- machten Schale geschlungenen Fadens, der durch einen die untere Schale tragenden Ring geht und solange mit Gewichten beschwert wird, bis die völlige Schließung der Klappe eintritt. Nebstdem musste dann noch die Länge des Lasthebels, also die Entfernung vom Dreh- punkt bis zum Angriffspunkt der Last (am freien Schalenrande) und die des Krafthebels d. i. der Distanz zwischen dem Drehpunkt und dem Anheftungspunkt des Schließmuskels (nahe der Mitte) der untern Schale gemessen werden. Aus diesen Größen berechnete nun Pla- teau zunächst die direkte Totalzugkraft des Schließmuskels in der Weise, dass er (nach einem bekannten Gesetz) die schon früher er- wähnte Totallast (Summe aus dem angehängten Gewicht, der untern Schale und der Oeffnungskraft des Schlossligamentes) mit dem Quo- tienten aus dem Last- und Krafthebel multiplizierte. Indem Referent sich bezüglich dieses Rechnungsverfahrens zu bemerken erlaubt, dass dasselbe insoferne fehlerhaft ist, als sowohl das Gewicht der untern Schale als auch die Elastizität des Schloss- bandes nicht auf den Lasthebel bezogen werden darf (der Schwer- punkt der Schale liegt ja nicht am Rande derselben —), muss er an- derseits aber auch gleich beisetzen, dass durch diese Inkorrektheit das Gesamtresultat insoferne nicht wesentlich beeinflusst wird, als das (von Plateau bezüglich des Hebels zu groß genommene) Ge- Plateau, Experimente über die Muskelkraft der wirbellosen Tiere. 695 wicht einer Schale im Vergleich zur Totalzugkraft des Muskels kaum in betracht kommt !), Was dann die Bestimmung der absoluten Kraft der Schalen- schließer betrifft, so ergibt sich dieselbe einfach aus der oben er- wähnten und hier ziemlich leicht auszuführenden Messung des Quer- schnittes, bez. durch die Reduktion auf 1 Dem. Die eigentlichen Ergebnisse dürften am besten aus einer vom Ref. nur im Auszug mitgeteilten tabellarischen Uebersicht zu ersehen sein, wobei die berücksichtigten Tierformen (Plateau untersuchte fast die dreifache Anzahl) nach ihrem Gesamtkörpergewicht geordnet sind. Tellina Miytilus Venus Ostrea Pecten solidula edulis verrucosa edulis mazxımus I. Gesamtkörpergewicht in g 2 30 33 39 91 II. Angehängtes Gewicht in g 700 905 5453 9026 9651 III. Oeffnungselastizität in g 76 1052 900 334 390 IV. Totalzugkraft des Schließ- muskels in g 1223 8767 12470 8550 19663 V. Verhältnis zwischen derSchließ- kraft und dem Körpergewicht 546 290 382 243 215 VI. Verhältnis zwischen d. Schließ- kraft u. dem Gewicht d. Schließ- muskels 15357 — _ 12215 1695 VI. Absolute Kraft des Schließ- muskels auf 1[_Jem Durchschnitt ing 3667 7984 12431 9867 3786 Aus den vorstehenden Werten ergibt sich zunächst, dass die To- talkraft des Schalenanziehers in der That, wie dies schon aus gelegent- lichen Beobachtungen zu entnehmen war, eine ganz enorme ist, indem sie (vgl. Kol. V) das Zwei- bis Fünfhundertfache des Körpergewichtes zu überwinden vermag. Um so interessanter ist nun aber auch das aus der letzten Horizontal - Kolumne ersichtliche Ergebnis betreffs der absolu- ten Muskelkraft, die im ganzen relativ konstant bleibt und, was das allerwichtigste, nicht wesentlich größer als bei den höhern Wirbeltieren sein dürfte. Man muss aber sagen „sein dürfte“, weil speziell für verschiedene Hauptbewegungsmuskeln des Menschen absolute Kraftwerte von 6 bis 10 kilogr. angegeben werden und eine genaue Fixierung derselben überhaupt noch nicht erzielt ist, ein Grund mehr, warum man alle Ursache hat mit den Plateau’schen Untersuchungen vorläufig sich zufrieden zu geben. Was man zu- nächst allenfalls noch wünschen möchte, das wäre eine bei ganz sroßen Formen vielleicht doch ausführbare experimentelle Lösung der Frage, wie es sich denn eigentlich mit der relativen Stärke der zwei 1) Beispielsweise betrug das Gewicht einer Schale bei Ostrea edulis im Mittel nur 15 g gegenüber einer Muskelwirkung von 8000 8. 696 Plateau, Experimente über die Muskelkraft der wirbellosen Tiere. schon dem Aeußern nach so verschiedenen Partien verhält, aus denen sich der Schließmuskel zusammensetzt. — Uebergehend auf die Ergebnisse der zweiten Arbeit betrefis der relativen und absoluten Stärke des Schließmuskels der Krabbenschere, so kann sich Ref. mit Rücksicht auf das Vorausgeschickte und den Umstand, dass die Untersuchungsmethode im wesentlichen dieselbe wie bei den Muscheln war, sehr kurz fassen !). Bezüglich der Praktik sei nur erwähnt, dass die Versuchskrabbe mit dem Bauch nach außen und dem Kopf nach oben an ein vertikal aufgehängtes Brett gebun- den wurde, worauf in ganz analoger Weise wie bei den Muscheln der fixe Schenkel der Scherenzange wieder separat befestigt, der untere oder mobile dagegen mit angehängten Gewichten belastet wurde. Etwas umständlich ist bei der weiteren Messung nur die Bestimmung des wirksamen (physiologischen) Querschnittes des Schließmuskels, da dessen an der bekannten großen Sehnenplatte be- festigte Fasern nicht wie am Muschelschließer parallel zu einander sind. Ganz ähnlich ferner wie bei den Bivalven sind auch hier die Längen zweier Hebelarme zu bestimmen, nämlich des Kraftarmes, der vom Drehpunkt des beweglichen Gliedes bis zum Angriffspunkt der Beugesehne reicht, und dann des Lastarmes, der, letzteren unter einem rechten Winkel schneidend, vom Drehpunkt bis zum Aufhänge- punkt der die Belastungsgewichte tragenden Schnur sich erstreckt. Nicht unwesentlich dürfte es sein noch zu bemerken, dass das Tier unmittelbar vor der Messung, um eine möglichst kräftige Kon- traktion des Scherenschließers zu bewirken, auf eine allerdings nicht sehr humane Weise, nämlich durch Einstechen von scharfen Instru- menten in den Körper gereizt wurde. Die, wie es scheint mit Außerachtlassung des allerdings wenig bedeutenden Gewichtes des beweglichen Scherengliedes und der öffnend wirkenden Elastizität des Gelenkes gemachten Berechnungen ergaben nun in bezug auf die absolute Muskelkraft pro DJem fol- sende Zahlen. rechte Schere linke Schere Carcinus moenas 858 8 1336 8 (große Indiv.) Carcinus moenas 961 1181 (kleine Indiv.) Platycarcinus pagurus 689 1026 Die absolute Muskelkraft der Krabben stimmt nach diesen Er- 1) Anmerkungsweise sei erwähnt, dass Plateau bereits im Jahre 1866 nach Vollendung seiner erwähnten Experimente an den Insekten die Schließ- kraft der Scheeren größerer Krebse und zwar zunächst mit Hilfe eines Dyna- mometers zu ermitteln den Plan hatte, und dass das jetzt angewendete Ver- fahren zuerst von L&6on Frederique ausgedacht wurde, der aber nieht zur Ausführung seiner nunmehr von Plateau übernommeneu Experimente kam. Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. 697 gebnissen insoferne mit jener der Muscheln überein, als auch unter letzteren Formen sind, bei denen sie zwischen 1!/, und !/, Kilo schwankt (bei Pecten opercularis z. B. beträgt sie nur 530 g); sie erhebt sich aber wenigstens bei den geprüften Arten nicht zu jener bedeutenden Höhe von 12 kg, welche sie bei gewissen Muscheln z. B. Venus verrucosa und Pectuneulus glycimeris erreicht !). Zuletzt mögen hier noch ein paar von Plateau zusammenge- stellte Daten bezüglich der relativen Stärke einzelner mechanischer Werkzeuge bezw. Vorrichtungen bei verschiedenen Organismen eine Stelle finden, und zwar geben nachstehende Zahlen an, wie vielmal der Widerstand, den die betreffenden Werkzeuge bezw. deren Muskeln zu überwinden im stande sind, größer ist als das Gewicht des Ge- samtkörpers. Mensch von 30 J. überwindet beim Nieder- drücken eines Dynamometers mit einer Hand das 0.70fache des Körpergew. Hund beim Anziehen des Unterkiefers B 8.25 & 5 Krokodil ebenso 122 - n Krabbe (Carcinus moenas) beim Schließen der rechten Schere u ) s » Muschel (Venus verrucosa) beim Schließen der Schalen „382.00 n n Erwägt man, dass, wie sich gezeigt hat, die Kraft der Muskeln an und für sich bei verschiedenen Tieren im ganzen und großen dieselbe ist, so ist klar, dass die so höchst auffallenden Unterschiede in der relativen Stärke einzelner tierischer Werkzeuge vorwiegend lediglich auf Differenzen in der Dieke der betreffenden Muskeln so- wie auf Verschiedenheiten bezüglich der zugehörigen Hebel- oder Kraftübertragungsvorrichtungen zurückzuführen sind. V. &raber (Czernowitz). H. Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Ana- tomie mit Einschluss der vergleichenden Histologie und Histogenie ?). Wer hätte nicht schon längst bei eigenen Untersuchungen oder bei Gelegenheit von Vorlesungen über den Bau und die Entwicklung tierischer Organismen das Bedürfnis eines neuen Lehrbuchs der ver- 1) Plateau vergleicht die Höhe der absoluten Muskelkraft der Krabben insoferne nicht ganz richtig mit jener der kaltblütigen Wirbeltiere — ausge- schnittener Gastrocnemius des Frosches — als er letzteren offenbar aufgrund einer irrtümlichen Auffassung von Rosenthal’s Angaben auf 1000-1200 gr taxiert (es ist dies der Wert für den bekanntlich nicht 1 TJem dieken ganzen Muskel), während 1 [Jem desselben nach R. 2,3—3 Kilo entsprechen. 2) 1. Lief. mikroskop. anat. Technik, Leipzig, Engelmann. 698 Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. gleichenden Histologie und mikroskopischen Anatomie gefühlt! Denn Leydig’s klassisches Werk, das zum ersten mal (1857) den ge- samten, damals schon gewaltigen Stoff in zusammenhängender Dar- stellung vortrug, war ohne neue Bearbeitung und ohne Nachfolger geblieben. Seit jener Zeit aber hat sich unsere Kenntnis von dem feinern Bau der Gewebe und Organe, sowie die Feinheit der Technik, die ja zum nicht geringen Teil den Fortschritt der Wissenschaft be- dingt, in hohem Grade vervollkommnet. Dem Autor eines jenes Ge- biet umfassenden Lehrbuches, wie es sein soll, erwächst daher keine leichte Aufgabe. Die Abfassung eines solchen Werkes wird aber anderseits dem Verfasser den Lohn ungeteilter Anerkennung bringen, wenn dasselbe, wie bei einem Gelehrten wie Fol nicht zu bezweifeln ist, in demselben Sinne fortgesetzt wird, in dem es begonnen wurde. Einstweilen hat der Verfasser die erste Lieferung, welche sich mit der Darstellung der mikroskopisch-anatomischen Technik beschäftigt, zum Abschluss gebracht. Gleich in diesem einleitenden Abschnitt hat er von ermüdender Weitschweifigkeit und unbefriedigender Kürze sich glücklich fern gehalten. Auf jeder Seite des fließend geschrie- benen Buches merkt man, dass hier ein Meister der Technik, der über vielseitige Erfahrungen verfügt, zu uns redet. Die Ausführungen des Autors werden durch 84 hübsche Holzschnitte, welche der Dar- stellung von Instrumenten, Apparaten, Testobjekten und dergl. ge- widmet sind, wirksam unterstützt. Der ganze Stoff ist in sieben Abschnitte geteilt, von denen die erten das Seeieren, Präparieren und Injizieren behandeln. Der Theorie und der Anwendung des Mikroskops ist ein besonderes Kapitel vor- behalten. Sodann folgt eine Auseinandersetzung über das Abbildungs- verfahren, die gewiss vielen sehr erwünscht sein wird. Die drei letzten Abschnitte tragen die Ueberschriften: Die Beobachtung leben- der Gewebe und die Fixierung und Erhärtung derselben, die Her- stellung mikroskopischer Präparate, die mikrochemische Untersuchung der Gewebe. Ein Anhang bringt zum Schluss noch eine Anleitung zur Herstellung von Mikrobenpräparaten (Kulturmethode u. s. w.). Ein Referat über eine Darstellung der mikroskopisch-anatomischen Technik kann der Natur der Sache nach nur aus einer Reihe einzel- ner, unter sich nur locker zusammenhängender Bemerkungen bestehen. Im Folgenden sollen einzelne Punkte, die, wie Ref. glaubt, besonders hervorgehoben zu werden verdienen, zur Sprache gebracht werden. — Als kaltflüssige, gerinnbare Injektionsmasse empfiehlt F. Metagelatine. Eine Leimlösung, die bei Gegenwart einer geringen Menge von Am- moniak mehrere Stunden im Wasserbade bei Siedehitze verweilte, geht nach und nach in einen Zustand über, in welchem sie nicht mehr beim Erkalten zu Gallerte gerinnt. Nach Zusatz von löslichem Ber- liner Blau oder Chromgelb und verdünntem Alkohol wird die Masse dünnflüssig, so dass sie mit Leichtigkeit bis in die feinste Kapillar- Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. 699 verzweigungen vordringt. Erst nach Einlegen in starken Alkohol oder in Chromsäure erstarrt die Masse. — Als Eintauehungsflüssigkeit für homogene Immersionssysteme empfiehlt F die von Brun (Genf) ange- gebene konzentrierte Lösung von reinem trocknem Jodzink in reinem Glyzerin, die leicht mit etwas Wasser sich abspülen lässt und die wegen ihres geringen Haftens am Objektiv und am Deckglase vor den harzigen Substanzen (verharztem Zedernöl u. dgl.) sich auszeich- net. — Sehr beherzigenswert ist, was Verf. über die bildliche Wie- dergabe mikroskopischer Objekte bemerkt. Er fasst seine Meinung in dem Satze zusammen: es fragt sich nicht, ob man getreu oder konventionell zeichnen soll, sondern lediglich, wie weit man in der konventionellen Richtung vorzugehen berechtigt ist. Vollen Beifall wird man ferner auch des Verf.’s Auseinandersetzung über die Un- tersuchung frischer und fixierter Gewebe zollen müssen. Neue Struk- turen sind fast ausnahmslos an fixierten Geweben entdeckt worden. Aber, wenn irgend möglich, sollte das lebende Objekt nachträglich zur Vergleichung herbeigezogen werden. Denn was man am lebenden Objekt sieht, ist von ganz besonderer Wichtigkeit. Es handelt sich Ja grade darum, diejenigen Vorgänge aufzuklären, wel- che das Leben ausmachen. Auf keinen Fall können frische, aber vor längerer oder kürzerer Zeit abgestorbene Gewebe die leben- den Teile ersetzen; man kann sogar mit Fug und Recht behaupten, dass solche abgestorbene Zellen von den lebenden unendlich mehr abweichen, als diejenigen, die man durch Reagentien momentan ab- getötet hat. Von speziellen Daten aus diesem Abschnitt sei die That- sache hervorgehoben, dass eigentümlicherweise Osmiumdämpfe viel leichter in die Tiefe der zu fixierenden Gewebe dringen, als Osmium- lösungen. Bei allen Säuren, besonders aber bei der sonst sehr lang- sam wirkenden Chromsäure tritt die Erstarrung der damit zusammen- gebrachten Gewebe viel schneller ein und dringt außerdem weiter in die Tiefe, wenn der Prozess in der Temperatur des Brütofens sich vollzieht. Was F. über die Nachteile der Gefriermethode für biologische Objekte bemerkt, ist sicherlich riehtig. Es bilden sich nicht nur zwischen den einzelnen Gewebslagen, sondern sogar innerhalb der Zellen Eiskrystalle, an deren Stelle, wenn man den noch gefrorenen Schnitt fixiert hat, Hohlräume erscheinen. Auch das erst nach dem Aufthauen fixierte Objekt erweckt, da es ja schon vorher abgestorben war, falsche Vorstellungen. Allein die Methode hat doch auch manche Vorzüge, und von dem Vorwurf, künstliche Höhlungen hervorzubringen, kann, wenn auch der Hergang dabei ein anderer ist, F. auch die „regelrechte Härtung durch chemische Mittel“ nicht freispreehen. Er empfiehlt die Gefriermethode zur raschen Herstellung von Uebersichts- präparaten, zur Beantwortung von Fragen, die sieh beim Sezieren aufdrängen, zur Vermittlung des richtigen Verständnisses der Lage- 700 Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. rungsbeziehungen der Organe und Organteile. Er hätte vielleicht noch hervorheben können, dass die Methode zum Studium gewisser Pigmente ganz unentbehrlich ist, solcher Pigmente nämlich, die in den gebräuchlichen Fixierungsmitteln verändert werden oder in Alkohol nicht beständig sind. An gefrornen Schnitten zeigt sich der Farben- ton aufs schönste erhalten, und auch die Topographie der Pigmente lässt sich an solchen dem Organismus fast unmittelbar entnommenen Präparaten mit aller Sicherheit feststellen (vergl. des Referenten „Bei- träge zur Kenntnis der Niere und besonders der Nierenpigmente nie- derer Wirbeltiere“ in Abh. d. Naturf. Gesellschaft zu Halle, Band XV, 1882). Aber noch in anderer Weise kann die Gefriermethode Ver- wendung finden. Es sei ein Gewebsstück in Müller’scher Flüssigkeit und hierauf in Alkohol gehärtet. Um bessere Schnitte zu erhalten, hätte man dasselbe wohl unter Umständen in Gummi einbetten und durch Einlegen in Alkohol die Einbettungsmasse schnittfähig machen können. Die Härtung in Alkohol verlangt aber auf alle Fälle eine Reihe von Stunden. In der kürzesten Zeit kann man dagegen ans Schneiden gehen, wenn man die mit Syrup versetzte Gummimasse (2 Teile Gummi, 4 Teile Wasser, 1 Theil Syrup) auf dem von Williams angegebenen und von Swift in London konstruierten Mikrotom durch eine Kältemischung oder durch Aetherspray zum gefrieren bringt. Ich habe das Instrument von Herrn Dr. Crooke aus Edinburg hand- haben sehen und verdanke der Freundlichkeit des genannten Herrn auch die oben mitgeteilte Notiz. Die Schnitte fallen vortrefflich aus und haben auch, nachdem die Masse durch Auswaschen in warmem Wasser entfernt ist, nicht das geringste von ihrer Tinktionsfähigkeit eingebüßt. Unter den neuen Einbettungsmassen hat selbstverständlich auch das Kollodium (Celloidin) Aufnahme gefunden, dessen große Vorzüge von F. gebührend hervorgehoben werden. Als den größten Nachteil derselben bezeichnet er es, dass die Konsistenz der Masse es nicht gestatte, Sehnittserien mit dem Mikrotom herzustellen. Nun, solche Schnittreihen lassen sich in der That in nahezu tadelloser Weise gewinnen, wenn man, abweichend von der ursprünglichen Vorschrift, die Masse nicht nur 24 Stunden in Alkohol von 0, 842 spez. Gew. verweilen lässt, sondern, wie mir Herr Dr. Schönlein (Halle) empfahl, den Block in einem nieht ganz hermetisch schließenden Glase; das nur wenig oder gar keinen Alkohol enthält, liegen lässt, bis er das Aussehen und die Konsistenz eines Rippenknorpels etwa erhalten hat; dies dauert ungefähr 8—14 Tage. Ich selbst habe auf diese Weise Batrachierembryonen in Schnittserien zerlegt, bei denen es mir darauf ankam, das Herausfallen von Dotterzellen sicher zu verhüten. — Es gibt bekanntlich eine ganze Reihe von Paraffinsorten, von denen jede ihren besondern Schmelzpunkt hat. Im allgemeinen wird eine Masse oder eine Mischung verschiedener Sorten, die bei 50° C. schmilzt, am Fol, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie. 701 zweckmäfigsten sein, da sie die riehtige Mitie hält zwischen unbe- quemer Härte und zu großer Weiche. Aber dabei wird doch zu be- denken sein, dass eine Masse, deren Konsistenz für die Bearbeitung im Winter nichts zu wünschen übrig ließ, in der wärmern Jahreszeit oder bei höherer Zimmertemperatur sich als zu weich erweisen kann. Es ist daher gut, wenn man es in der Hand hat, die Konsistenz eines schnittfertigen Paraffinpräparates noch nachträglich beliebig abzuän- dern. F. erreicht dies durch die Anwendung eines parabolischen Re- flektors, der die Hitze der Lampe (Petroleum) auf das eingeschmol- zene Objekt fallen lässt. Die Intensität der Wärmestrahlung kann durch Näher- und Weiterstellen der Wärmequelle nach Bedürfnis variiert werden. Auf diese einfache Weise kann zu hartes Paraffin leichter schneidbar gemacht werden. Derselbe Apparat dient zur Ab- kühlung einer zu weichen Masse, nachdem man in denselben statt der Lampe ein mit Eisstücken gefülltes Körbchen gesetzt hat. Aber trotz aller Vorsicht kann es doch vorkommen, dass sich von einem eingebetteten Objekt durchaus kein zusammenhängender Schnitt ent- nehmen lässt. Man überstreiche dann, wie F. empfiehlt, die Fläche, von der man den Schnitt abheben will, jedesmal mit einer dünnen Kollodiumschicht, der man natürlich Zeit lassen muss, einzutrocknen, ehe man das Messer darüber hinwegführt. Die mit Kollodium ge- tränkte Fläche kommt auf den Objekttiräger zu liegen. Für die Gruppierung der Farbstoffe dient die Art der Lokalisie- rung dem Verfasser als Kriterium. F. unterscheidet daher Kernfär- bungsmittel, Tinktionsmittel für Plasma u. s.w. Als neues Kernfärbe- mittel reiht F. dem Karmin, Bismarkbraun, Hämatoxylin und anderen das Ribesin an, einen Farbstoff, der aus den Häuten der Beeren von Ribes nigrum, der schwarzen Johannisbeere, gewonnen wird. Es stellt ein dem Böhmer’schen Hämatoxylin ähnliches, ganz exquisites Kernfärbemittel dar. Das rote Ribesin nimmt, wenn die Lösung schwach alkalisch gemacht wird, eine blaugrünliche Färbung an, und in demselben Farbenton erscheinen die damit tingierten Kerne. Der färbbare Teil des Zellkerns verhält sich also auch hier, wie überhaupt im allgemeinen, dem an ihn gebundenen Farbstoffe gegenüber wie ein schwach alkalischer Kör- per (S. 189). Es ist dies einer der wenigen Sätze, die sich zur Zeit hinsichtlich des Chemismus der Farbenbindung aufstellen lassen. Für die vortreffliehe Ausstattung des Buches wird der rühmlichst bekannte Name der Leipziger Verlagshandlung, ohne dass es besonderer Nachweise bedürfte, zur genüge Bürgschaft leisten. B. Solger (Halle a. S.). 702 Marktanner-Turneretscher, Ausgewählte Blütendiagramme. G. Marktanner-Turneretscher, Ausgewählte Blüten - Dia- gramme der europäischen Flora. Mit 192 Diagrammen auf XVI photolithographierten Tafeln. Wien. Hölder 1885. 75 S. 4 Mark. Bei der innigen Verknüpfung der Blütenmorphologie mit der Konstruktion von Blütendiagrammen will der Verf. dem Anfänger ein „handsames Werkchen* an die Hand geben, welches in gedrängter Kürze an prägnanten Beispielen die in Europa vertretenen Familien der Angiospermen vorführt. Die Tafeln sind teils nach der Natur angefertigt, größtenteils jedoch basiert auf Eichler’s „Diagramme“, sowie auf Baillon’s, Maout’s und Decaisne’s Arbeiten. Der Text, dem eine kurze, klar geschriebene Einleitung über die Blüte und die Diagrammatik im allgemeinen vorangeht, schließt sich in der Reihenfolge Eichler’s „Syllabus* und Wiesner’s „Elementen“ an und charakterisiert kurz die einzelnen Pflanzengruppen mit Hinweis auf die Diagrammtafeln. Letz- tere sind sauber und größtenteils richtig ausgeführt, auf Einzelheiten (wie Be- handlung der Gramineenblüte, der Rumex- und Polygonum-Blüteete.) soll hier nicht eingegangen werden. Das ganze sehr billige Buch kann als ausgezeichnetes Hilfsmittel beim systematischen Unterricht, namentlich aber beim Selbststudium empfohlen werden. C. Fisch (Erlangen). Leopold Wajgel, Die Zusammenziehung der zwei Arten von Petromyzon (P. Planeri und P. fluviatilis) in eine. Verhandlungen der kaiserl. königlichen zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien. Jahrg. 1883, XXXIL Bd., II. Halbjahr S. 311—319, Taf. XVU. Nach den vorliegenden Untersuchungen Wajgel’s sind die Differenzen, denen zufolge man die zwei Arten P. Planeri und P. fluviatilis unterscheiden wollte, höchst schwankender Natur. Bekanntlich suchten die Systematiker bisher den Unterschied der zwei Spezies in der Größe, der Stellung beider Rückenflossen, der Größe der Augen und besonders an der Bezahnung des Mundes. Was die drei ersten Charaktere anbelangt, so findet man leicht Uebergänge von einer zur andern Art, und wenn man bis dahin das Haupt- unterscheidungsmaterial auf den letzten legte, so gaben die eingehenden Be- obachtungen W.’s Resultate, die etwas abweichend von den bisherigen Be- schreibungen sind, aber ebenfalls mit ziemlicher Sicherheit darauf hindeuten, dass P. fluviatilis nur die ältere und ausgewachsenere Form von P. Planeri ist. Bezüglich des Vorkommens und der Laichzeit ist zu sagen, dass auch hier kein wesentlicher Unterschied aufzufinden ist, so dass man beide Petro- myzonten in eine Art zusammenziehen kann. Ü. B. F. Hoppe-Seyler, Ueber Seifen als Bestandteile des Blut- plasma und des Ohylus. Zeitschrift für physiol. Chemie Bd. VII 6. H. Der Verfasser tritt einer früher von Röhrig, neuerdings von Zawilski und Lebedeff aufgestellten Behauptung von der Abwesenheit von Seifen der Lehmann, Zur Bestimmung der Alkalien im Harn. 105 Palmitin-, Stearin- und Oelsäure im Blut und Chylus entgegen. Röhrig und seine Nachfolger hatten aus der Anwesenheit von Caleium- und Magnesium- verbindungen deduziert, dass Alkaliseifen in seinen Flüssigkeiten nicht vor- handen sein können. H-S. weist darauf hin, dass in jenen Flüssigkeiten sich auch Natriumkarbonat finde, welches die Bildung von Calcium und Magnesium- seifen verhindert. Aus dem Blut und Chylus ließen sich ohne irgend welche eingreifende Operation Alkaliseifen isolieren und durch die bekannten Reak- tionen als solche charakterisieren. Im Blutserum vom Rind, Pferd und Hund wurden 0,05—0,12 °/, fette Säuren der Seifen in mehreren Analysen gefunden, beim Menschen in einer Chylusaseitesflüssigkeit 0.255 °/, neben 0,723 °/, Fett. Ueber die Herkunft der Seifen lässt sich vorläufig noch nichts sicheres aus- sagen. — Durch diese Untersuchungen werden die Behauptungen Röhrig’s und Lebedeff’s hinfällig. R. Fleischer (Erlangen). Th. Lehmann, Zur Bestimmung der Alkalien im Harn. Aus dem Laboratorium der Dr. Brehmer’schen Heilanstalt. Zeitschrift für physiol. Chemie Bd. VIII H. 6. Die Bestimmung der Alkalien im Harn, wie sie zur Zeit nach der Angabe Neubauer’s häufig ausgeführt wird, erfordert außerordentlich viel Zeit und Mühe und ergibt nicht immer ganz übereinstimmende Resultate. Aus die- sem Grunde ist die Größe der Ausscheidung bei den verschiedenen Krankheits- prozessen noch wenig oder gar nicht gekannt, obwohl die wichtige Rolle, welche die Alkalien im Haushalt des gesunden und kranken Organismus spielen, all- gemein gewürdigt wird. Es muss deswegen jede neue Methode, welche schnell und leicht ausführbar ist und exakte Resultate liefert, mit Freuden begrüßt werden. Diesen Anforderungen soll nach Angabe des Verfassers die folgen- dermaßen modifizierte Methode entsprechen. Je nach der Höhe des spezifi- schen Gewichts des zu untersuchenden Harns werden 100 cem mit 3—4 gr Am- moniumsulfat versetzt in einer Platinschale verascht. Es resultiert in fast allen Fällen eine weiße Asche Dieselbe wird in heißer verdünnter Salzsäure gelöst, dann wird filtriert, ausgewaschen, das Filtrat mit Barytwasser bis zur alkalischen Reaktion gefällt und schließlich wird nach bekannter Weise ver- fahren. Zur Trennung von Chlorkalium und Chlomatrium empfiehlt es sich, das käufliche Platinchlorid, welches stets freie Säure enthält, die mit die- sem Reagens versetzte Lösung der Chloride der Alkalien auf dem Wasserbade zur vollständigen Trockne und dann nach Zugabe von Wasser zur Syrupkon- sistenz zu verdampfen und zuletzt 96 °/, Alkohol hinzuzufügen und den ent- stehenden Niederschlag quantitativ auf das Filter zu bringen. Aus den an- gefügten Beleganalysen geht hervor, dass die gewonnen Resultate gut über- einstimmen. R. Fleischer (Erlangen). A. Pansch, Anatomische Vorlesungen für Aerzte und ältere Studierende. Berlin, R. Oppenheim. 1884. Die Tendenz, die den Verf. bei Abfassung seines Werkes, dessen erster Teil uns vorliegt, leitete, gibt derselbe selbst an, mit den Worten: „die topo- 704 Die British Association for the Advancement of Science. graphische Anatomie des menschlichen Körpers mit Berücksichtigung der äußeren Erscheinung und der Bewegung seiner einzelnen Teile beim Lebenden und zwar in besonderer Beziehung auf die Bedürfnisse des praktischen Arztes, soll der Inhalt dieser Vorlesungen sein “ In einer längern Einleitung bespricht Verf. die verschiedenen Methoden und Instrumente bei anatomischen Arbeiten (Zeichnen, plastische Nachbildun- gen, Konservierungsmittel, Injektionsmethoden, topographische Untersuchungs- methoden) soweit sie dem praktischen Arzt dienbar sein können und geht dann über zur Besprechung der topographischen Verhältnisse von Wirbelsäule und Brust. Verf. geht dabei in einer von den meisten Lehrbüchern der topo- graphischen Anatomie verschiedenen Art zu Werke, indem er sich ferne hält von einer Anatomie der einzelnen Regionen und die topographischen Verhältnisse nicht schiehtenweise betrachtet, sondern er geht aus von den Skeletbestandteilen und baut um diese feste Grundlage die einzelnen Körper- bestandteile auf, um dann am Schlusse das Ganze noch einmal einer Durch- sicht von der Oberfläche aus zu unterwerfen. Verf. hat zur Darstellung dieser Verhältnisse die Form der Vorlesung gewählt und dadurch bewirkt, dass das Werk frei ist von dem trocknen Ton eines Lehrbuches und verbunden mit den zahlreichen, bei all’ ihrem Schematismus naturgetreuen und instruktiven Illu- strationen die Lektüre des Werkes zu einer leichten und angenehmen gemacht wird. Einzelne Kapitel, wie z. B. das Kapitel über Lehnen, Schulbänke ete., hätten vielleicht bei dem hauptsächlichen Zweck des Buches, als Lehrbuch der topographischen Anatomie zu dienen, etwas kürzer behandelt werden dürfen. F. Hermann (Erlangen). Die British Association for the Advancement of Science hat bei ihrer im August v. J. in Montreal abgehaltenen Jahresversammlung 1525 Pfund Sterling zur Förderung wissenschaftlicher Forschung bewilligt. Von den davon auf die biologische Sektion entfallenden 515 Pfund sind 100 für die zoologische Station in Neapel, 100 für den zoologischen Bericht, 30 zur Erforschung der Wanderungen der Vögel, 22 zur Erforschung der Fauna des Kilima-Ndscharo und der benachbarten Gebirge Ostafrikas, 10 für Poly- zoenforschung, 100 für die biologische Seestation in Granton und 150 für bio- logische Stationen an den Küsten des Königreichs bestimmt. Behrens (Gütersloh). K. F. Koehler’s Antiquarium in Leipzig. Vor Kurzem erschien und steht auf Verlangen gratis und franco zu Diensten: Cat. 408: Vergleichende Anatomie, Physiologie und Embryo- logie. 1176 Nummern. u. a. die Bibliothek des Dr. Theodor Schwann zuletzt Professor der Physiologie in Lüttich. enthaltend. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IV. Band. 1. Februar 1885. NE 23 Inhalt: Kiebs, Ueber die Organisation und die systematische Stellung der Peridineen. — Gruber, Ueber vielkernige Protozoen. — üruber, Ueber künstliche Teilung bei Infusorien. — Dewitz, Die Angelhaare der Chrysopenlarven. — Dewitz, Ein männlicher Geschlechtscharakter bei Catocala. — Albrecht, Ueber die Existenz oder Nichtexistenz der Rathke’schen Tasche. — Nasse, Zusammen- hang von Thätigkeit und Bau der Muskeln. — Otto, Die neueren Unter- suchungen über Hämoglobin und Methämoglobin. Ueber die Organisation und die systematische Stellung der Peridineen. Von Georg Klebs. 1) &. Klebs, Ueber die Organisation einiger Flagellatengruppen und ihre Be- ziehungen zu Algen und Infusorien. Untersuch. a d. Tübinger bot Institut 1883; 2) Fr. Stein, Der Organismus der Infusionstiere. III.- Abt. II. Hälfte. Die Naturgeschichte der arthrodelen Flagellaten. Einleitung und Erklärung der Abbildungen '833; 3) Gourret, Sur les peridiniens du Golfe de Marseille. Ann. du Museum d’hist. nat. de Marseille. Zoologie T. I 1883; 4) Pouchet, Contribution ä l’histoire des cilioflageiles. Journal de l’anat. et phys. XIX, 4. 1883; 5) K. Brandt, Ueber die morphologische und physiologische Bedeutung des Chlorophylis bei Tieren. Mitteilg. der zoolog. Station zu Neapel IV, 2. 1883; 6) E. von Daday, Ueber eine Polythalamie der Kochsalztümpel bei Deva in Siebenbürgen. Zeitschr. f. wiss. Zoologie XL, 3. 1884; 7) Pouchet, D’un oeil veritable chez les protozoaires. Comptes rendus des s6ances de la soc. de Biologie Nr. 36. 1854; 8) Georg Klebs, Ein kleiner Beitrag zur Kenntnis der Peridineen. Bot. Zeitg. Nr. 46—47. 1884. Die eigenartige Familie der Peridineen, welche zu dem Grenz- gebiet von Tier- und Pflanzenreich gehört, ist in den beiden letzten Jahren der Gegenstand zahlreicher, zum Teil ausführlicher Unter- suchungen geworden; allein im Jahre 1883 sind die 4 größeren Ar- beiten von mir, Stein, Gourret, Pouchet erschienen. Eine große Anzahl neuer Gattungen und Arten ist beschrieben worden; beson- ders das große Werk von Stein mit 25 vortrefflich ausgeführten | 45 706 Klebs, Organisation und Stellung der Peridineen. Tafeln lehrt eine Fülle neuer überraschender Formen kennen; ferner haben Gourret und Pouchet (4) neue Peridineen entdeckt. In folgendem mögen die Hauptzüge in der Organisation der Peridineen sowie die Frage nach ihrer systematischen Stellung behandelt wer- den, soweit die bisherigen Untersuehungen Aufklärung gebracht haben. Die Körpergestaltung der Peridineen ist außerordentlich mannig- faltig; am höchsten entfaltet sich der Formenreichtum bei den pela- gisch lebenden Meeresperidineen. Die allermeisten hierher gehörigen Organismen besitzen eine Querfurche, welche den Körper in eine vor- dere und hintere Hälfte teilt, beide bald ziemlich gleich, bald sehr ungleich an Größe und Ausbildung. Besonders charakteristisch ist der Bau der Zellhaut, welche, wie schon vielfach nachgewiesen, Cellu- losereaktionen zeigt. Außer sehr verschieden gestalteten häutigen oder stacheligen Fortsätzen zeichnet sich die Zellhaut durch ihre Täfelung aus; sie erscheint wie zusammengesetzt aus einzelnen Stücken oft in bestimmter Zahl und Anordnung; besonders Stein (2) hat diese Verhältnisse genau beobachtet und legt nach diesen Strukturen der Zellhaut einen Hauptwert für die Begrenzung von Gattungen bei, worin er viel zu weit geht, da selbst innerhalb einer Spezies Varia- tionen vorkommen. Die Zellhaut besitzt bei der Mehrzahl der Formen auch eine gewisse Sprödigkeit, zufolge deren sie leicht in einzelne Stücke zerfällt, welche bisweilen der Zahl der Tafeln entsprechen, in anderen Fällen dagegen nicht (Klebs 8); auch die Formen, welche eine anscheinend strukturlose Zellhaut besitzen, bei Stein der Gat- tung Glenodinium angehören, zeigen diesen Zerfall ebenfalls, sei es auf äußere mechanische Einwirkungen hin, sei es bei der Häutung von Individuen. Brandt (5) hat die Ansicht aufgestellt, dass die Zellhaut der Peridineen, speziell der Ceratium-Formen aus zwei schachtelförmig an der Querfurche übereinander greifenden Hälften besteht, in ähnlicher Weise wie bei den Diatomeen; doch konnte bei den allermeisten Peridineen ein soleher Bau bisher nieht nachgewiesen werden, und für die Ceratium- Arten beruht die Auffassung nur auf der unriehtigen Deutung der Beobachtung, dass bei manchen Indi- viduen die eine Leiste an der Querfurche besonders stark entwickelt wie ein Vordach über die Furche sich herüberlegt. Einer der wichtigsten Charaktere der Peridineen ist die Art und Weise der Bewimperung. Ich hatte früher (Klebs 1) nachgewiesen, dass bei den Süßwasser -Peridineen statt des bisher angenommenen Cilienkranzes in der Querfurche nur eine einzige, wellenförmig gefal- tete und schwingende Cilie!) sich befindet. Stein, Gourret, Pou- 1) Ich wende den Ausdruck „Cilie“ als den allgemeinsten an, welcher die der Bewegung dienenden, schwingenden Protoplasmafortsätze bezeichnet, und vermeide den Ausdruck „Geißel“, weil er leicht das Missverständnis erweckt, als ob es hier wie überhaupt auch bei den Flagellaten sich um etwas anderes handelt, als bei den Cilien der Algenschwärmer ete Wenn man mit „Geißel“ Klebs, Organisation und Stellung der Peridineen. 107 chet haben in ihren neueren Arbeiten noch immer den Cilienkranz gesehen und gezeichnet. Dagegen hat Daday (6) bei dem Amphi- dinium operculatum, einer Meeresform, welche er aber in einem Koch- salztümpel in Siebenbürgen fand, meine Beobachtung bestätigt, inso- fern er hier in der Furche nur eine einzige Cilie mit undulierendem Saum beschreibt. Meine eignen Beobachtungen haben meine An- schauung auch für die Meeresperidineen als die richtige nachgewiesen; denn alle genauer untersuchten Formen wie Glenodinium obliguum, Dinophysis acuta, rotundata, Jourdani, Amphidinium operculatum, Go- niodoma acuminatum, Peridinium divergens, Ceratium fusus etc. be- sitzen in ihrer Querfurche die wellenförmig schwingende Cilie. Der Ausdruck Oilioflagellata ist daher als ein falscher nicht mehr an- zuwenden, zumal er auch nicht so traditionell sich festgesetzt hat, dass eine Beseitigung irgend welche Schwierigkeiten machte. In den inneren Organisationsverhältnissen schließen sich die Meeresperidineen enge an die Süßwasserformen an. Sie besitzen ein Cytoplasma mit einem großen bisweilen hufeisenförmigen Kern, welcher der Hauptsache nach aus regelmäßig und parallel verlaufenden ge- gliederten Kernfäden besteht (Klebs 1,8, Pouchet4). Pouchet (4), und Gourret (3) beschreiben auch ein oder mehrere Kernkörperchen. Kontraktile Blasen konnten bisher von den meisten Forschern nicht beobachtet werden; nur Stein (2) gibt solche an, doch ohne nähern Nachweis. Dagegen zeichnen sich viele Meeresperidineen durch große nicht deutlich kontraktile Vakuolen aus, welche oft eine bestimmte Lage einnehmen und bei manchen Formen, besonders den diatomin- freien, den größten Raum des Zellinnern einnehmen. Die meisten Peridineen sind gelb bis braun gefärbt durch bestimmt geformte Diatomeenkörper, welche bald mehr scheibenförmig, bald mehr lang- gestreckt sind, bei den Ceratium - Formen vielfach sternartig zu- sammenhängen (Klebs 8). Doch gibt es auch Arten, welche, wie früher Bergh nachgewiesen hat, kein Diatomin entbalten, sondern farblos bezw. rötlich gefärbt sind; Gourret (8) hat auch von sonst diatominhaltigen Formen farblose Varietäten beschrieben. Im Cyto- plasma finden sich ferner in sehr wechselnder Größe und Anzahl die besonders lange, kräftige, in der Einzahl häufig vorhandene Cilie der Eug- lenen, Peranema bezeichnen will, so ist das, wenn auch nicht notwendig, doch durchaus berechtigt. Dagegen wenn man ganz allgemein von der Geißel der Flagellaten spricht im Gegensatz zu den Cilien der Myxomyceten - Algen- schwärmer etc., so erscheint das nicht ganz richtig, weil besondere Unter- schiede morphologischer oder physiologischer Art zwischen den Bewegungs- organen der niederen Tiere und Pflanzen nicht bekannt sind, abgesehen von kleineren Formverschiedenheiten, welche aber z.B. innerhalb der einen Gruppe der Flagellaten viel größer sind als zwischen zwei verschiedenen Gruppen, z. B. von Cryptomonaden und Algenschwärmern. Setzt man Geißel und Cilie als Synonyme, so bin ich damit auch ganz einverstanden. 45* 708 Klebs, Organisation und Stellung der Peridineen. Stärkekörner selbst bei solehen Formen wie Peridinium divergens, welche diatominfrei sind. Ferner tritt als Stoffwechselprodukt ein farbloses Oel auf. Sehr häufig finden sich bei den verschiedensten Peridineen gelb bis rot gefärbte ölige Massen, von mir als Oelflecke bezeichnet. Ehrenberg sah sie als Augenflecke an, was von den späteren Forschern Clapar&de, Lachmann und Bergh mir be- stritten wurde, weil sie je nach den Individuen in sehr wechselnder Form, Anordnung, Farbe vorhanden sind, vielfach auch ganz fehlen. Neuerdings hat Pouchet (7) wieder die Behauptung aufgestellt, dass die Peridineen Augenflecke besitzen. Zum Teil beruhen seine Angaben auf den Oelfleeken, und seine Ansicht ist daher ebensowenig begründet wie die von Ehrenberg, zumal Pouchet über den Bau, die chemische Natur dieser Körper nichts neues bringt. Anders ver- hält es sich mit der Beobachtung Pouchet’s, dass bei @ymnodinium spirale und Archimedis sich im Zusammenhange mit einer schwärz- liehen Pigmentmasse ein hyaliner, glänzender, keulenförmiger Körper befindet, an welchem sieh eine Hülle von einem innern Theile unter- scheiden lässt, erstere als „eornede“, letztere als „erystallin“ bezeichnet. Pouchet hält das Organ für ein rudimentäres Auge, was ja möglich ist, wenn auch eine nähere Untersuchung und Begründung noch sehr erwünscht wäre. Die Entwicklungsgeschiehte der Peridineen ist noch wenig auf- geklärt. Man weiß, dass sie sich hauptsächlich durch Zweiteilung fortpflanzen; dieselbe geht, wie ich nachwies und Pouchet bestätigte, der Länge nach vor sich, jedoch mit der Eigentümlichkeit, dass in vielen Fällen die trennende Längswand schief zur Hauptachse (letz- tere senkrecht zur Querfurche gedacht) verläuft. Genauere Angaben über den Vorgang der Teilung fehlen noch. Ueber eine geschlecht- liche Fortpflanzung der Peridineen ist bisher nichts bestimmtes be- kannt. Allerdings hat Stein auch in seinem neuesten Werke (2) an seiner Befruchtungstheorie der Flagellaten ete. festgehalten und behauptet die Entwieklung von Embryonen aus dem Kopulationspro- dukt der Kerne zweier verschmolzener Individuen. Jedoch ist her- vorzuheben, dass er nicht die Verschmelzung weder der Individuen noch ihrer Kerne direkt verfolgt hat. Seine „Keimkugeln“ d. h. die verschmolzenen Kerne sind eigenartige, stark lichtbrechende rund- liche Körper, welche bald vorhanden sind, dabei in wechselnder An- zahl und Größe je nach Individuen, bald auch fehlen, und neben welchen sich der Kern unverändert sicher nachweisen lässt (Klebs 1, 8). Es ist bisher nieht aufgeklärt, was für eine Bedeutung diese fraglichen Körper haben. Bei einem Exemplar von Ceratium fusus beobachtete ich, dass ein ähnlich aussehender, etwas eingeschnürter Körper sich aus dem Innern des Ceratium herauslöste und als eine nackte Peridinee, einem Gymnodinium vergleichbar, sich fortbewegte. Doch bleibt es noch zweifelhaft, ob wir es hier mit einem endogen Klebs, Organisation und Stellung der Peridineen, 709 gebildeten Sprössling oder einer parasitischen Form zu thun gehabt haben. Die eigentümlichen Doppelwesen, welche schon Ehrenberg sah und Stein wohl hauptsächlich zu seiner Kopulationstheorie ver- anlasst haben, sind allerdings noch nicht genügend aufgeklärt; doch möchte ich sie für unvollendete Längsteilungszustände ansehen, wie sie auch bei anderen niederen Organismen vorkommen; eine genauere Darlegung ihres Werdens und ihrer weitern Entwicklung wäre dringend notwendig. Was die interessante Beobachtung Pouchet’s betrifft, (Comptes rendus 1882, 4; ferner Brandt 5), nach welcher bei manchen Ceratium-Formen sich mehrere Individuen aneinander legen und zu Ketten sich vereinigen, so geht aus den bisherigen Beobachtungen hervor, dass es sich hier nicht um eine sexuelle Ko- pulation handelt. Vielmehr hat diese Vereinigung eine rein biolo- gische Bedeutung, ist eine Anpassungserscheinung an die pelagische Lebensweise, welche zahlreiche andere Organismen, Diatomeen, Sal- pen ete. zu ähnlicher Kettenbildung geführt hat. Erwähnt mag hier werden, dass auch die merkwürdigen Bildungen der langen seitlichen Hörner bei Ceratium tripos oder der breiten häutigen segelartigen Kragen von manchen Dinophysis-Arten auch wohl als das Schwimmen auf hohem Meere erleichternde Einriehtungen aufzufassen sind; über- raschend ist vielfach die Aehnlichkeit mancher Varietäten des so ver- änderlichen Ceratium tripos mit pelagischen Diatomeen, besonders Chaetoceras-Arten, welche sich in ähnlicher Weise durch lange Hörner- bildungen auszeichnen. Eine häufig eintretende Erscheinung ist das Abwerfen der Zell- haut und die Bildung einer neuen, was Stein und ich vielfach beo- bachteten. Besonders zeigt sich eine solche Häutung bei der Ver- änderung der äußeren Lebensbedingungen; ich möchte sie als einen schnell verlaufenden Eneystierungsprozess betrachten. Außerdem kennt man noch Dauerzustände, anderseits die eigenartigen ge- hörnten Oysten, welche unzweifelhaft den Peridineen angehören, aber über deren Zusammenhang mit bestimmten Arten nichts sicheres bisher bekannt ist. Hinsichtlich der systematischen Stellung gehen die Ansichten der einzelnen Forscher noch sehr weit auseinander. Pouchet und Stein nehmen eine engere Verwandtschaft zu den Noktiluken an; Stein vereinigt letztere mit den Peridineen zu seiner Gruppe der arthro- delen Flagellaten. Dieser direkten Vereinigung widersprechen aber die großen Differenzen beider Familien, denen wesentlich das nur gemeinsam ist, dass beide einzellige frei bewegliche Organismen vor- stellen. Die Art der Bewimperung, die Membran, der innere Bau, die Entwicklungsgeschichte sind bei beiden ganz verschieden, mit mindestens ebenso viel Recht könnte man die Peridineen direkt mit den Diatomeen vereinigen, in deren Nähe sie Warming wegen des gleichen Farbstoffes stellte. Es ist auch möglich, dass diese beiden 10 Gruber, Ueber vielzellige Protozoen. Gruppen bei weiterer Forschung sich noch näher treten, dass beson- ders unter den pelagischen Diatomeen sich Uebergangsformen finden. Vorläufig wird man nach meiner Meinung am besten thun, die Peri- dineen als eine besondere Gruppe zu den Thallophyten zu stellen. Die Gruppe der arthrodelen Flagellaten von Stein kann ich nicht als richtig anerkennen. Interessant ist es, dass aber auch nach an- deren Richtungen Verwandtschaftsbeziehungen der Peridineen all- mählich klarer hervortreten. Hierfür ist ein Organismus wichtig, welcher von Cienkowski zuerst als Exuviaella marina, dann von Stein als Dinopyxis laevis, von Gourret als Postprorocentrum maxi- mum beschrieben ist. Der Organismus ist eine Peridinee, entbehrt aber der sehr charakteristischen Querfurche. In dem innern Bau stimmt er ganz mit typischen Formen überein, seine Zellhaut zeigt auch Cellulosereaktionen, und, was das wichtigste ist, die Art seiner Bewimperung ist vollständig diejenige der Peridineen. Am vordern Ende des eiförmigen Körpers befinden sich zwei Cilien, eine lang ausgestreckte, die andere wellenförmig gefaltet und in horizontaler Lage getragen, vollkommen entsprechend der Furchencilie der typi- schen Formen. Wir sehen ja innerhalb der Reihe der Peridineen die Querfurche mehr und mehr nach dem einen Ende rücken, die beiden Körperhälften immer ungleicher werden, bei Amphidinium ist der eine Körperabschnitt schon sehr reduziert im Vergleich zum andern; bei Exwviaella ist er verschwunden, aber der wichtigste Charakter, die Art der Bewimperung, ist geblieben. Diese Exruviaella, an welche sich nach Stein, Gounet das Prorocentrum micans auszuschließen scheint, ist aber auch deshalb interessant, weil sie auf eine Verwandtschaft der Peridineen mit den gelben Algen der Radiolarien hinweist, welche bisher (vergl. Brandt 5) noch ganz isoliert gestanden haben. Schon die ruhenden Zellen dieser Algen schienen mir sehr auffallend an die ruhenden, von mir beobachteten Formen der Peridineen zu erinnern; wieBrandt zeigte, sind nun aber auch die Schwärmer dieser gelben Zellen sehr ähnlich der Exuviaella marina, sodass also damit eine nähere Beziehung von Peridineen und gelben Algen sehr wahrschein- lich wird, wenn auch die genauere Entwieklungsgeschichte der letz- teren erst die rechte Entscheidung bringen wird. Durch solche For- men wie Exwviaella tritt aber auch mehr, als ich selbst früher an- nahm, die Familie der Peridineen mit gewissen Flagellaten, besonders den Cryptomonaden in Verbindung, worauf Bergh zuerst aufmerk- sam gemacht hat. Ueber vielkernige Protozoen. Man hat sich in der neuern Zeit von der Irrigkeit der Auffassung überzeugt, dass jede Zelle nur einen einzigen Kern einschließen könne Gruber, Ueber vielkernige Protozoen. Tan und dass es sich da, wo wir im pflanzlichen oder tierischen Organis- mus oder aber bei Protisten vielkernige Zustände finden, um ein Syn- cytium von Zellen handeln müsse. Dagegen sprechen hauptsächlich die Protozoen, denn wir finden hier ganz nahe verwandte Arten einer Gat- tung, von welchen die eine viel- die andere einkernig ist, oder wir sehen sogar ein und dasselbe Individuum vom ein- in den vielkernigen Zustand übergehen. Die Fälle von Vielkernigkeit sind aber in den Gewebebestandteilen der Metazoen bis jetzt verhältnismäßig nur sel- ten, beobachtet und auch bei den Protozoen bilden sie noch die Min- derzahl, so dass jede Aufführung weiterer Beispiele von Interesse sein muss. Es sei mir daher gestattet im folgenden über einige neue Ar- beiten zu referieren, die uns mit multinukleären Infusorien und Rhizo- poden bekannt gemacht haben. Wenn man bei den Protozoen nur diejenigen Formen als viel- kernig bezeichnet, bei welchen die einzelnen Kerne nicht durch einen verbindenden feinen Strang vereinigt sind, so gehörten von den In- fusorien bis vor kurzem eigentlich nur zwei Gattungen in diese Kate- gorie, nämlich Zoxodes und Opalina '\, welche letztere bekanntlich durch eine große Zahl von Kernen ausgezeichnet ist. Neuerdings ist es nun Maupas gelungen, diesen fünf weitere Formen hinzuzufügen, welche er in seinem Werke über Morphologie und Anatomie der eiliaten In- fusorien beschrieben hat?). Die erste Art, welche zu den Holotrichen gehört, hat er Holophrya oblonga nov. spec. genannt und er sagt, dass die „eorpuscules nucleaires“ in großer Zahl, sogar bis zu hun- dert und mehr durch den ganzen Körper zerstreut liegen. Die Kerü- chen wechseln in der Größe zwischen 0,003 mm und 0,005 mm, sina aber unter sich vollkommen gleich und kuglig gebaut, so dass nie eines sich als Nebenkern von den andern unterscheiden lässt. Bei Lagynus elongutus Clap. u. Lachm., ebenfalls einem holotrichen Infu- sorium, finden sich dieselben Verhältnisse, und Maupas hat beobach- tet, wie die Kerne im Verhältnis zu ihrer Menge an Größe abnehmen, so dass dieselben in einem Exemplar, wo sie nur 8—10 an der Zahl waren, 0,005 mm, bei einem andern, wo sie nahe an hundert zählten, 0,0015 mm maßen. Auch hier sind keine Nebenkerne zu unterschei- den. Außer diesen sind es drei hypotriche Infusorien, bei welchen M. Vielkernigkeit nachgewiesen hat, nämlich Holosticha Lacazei nov. spec., Holosticha multinucleata nov. spec., und Uroleptus roscovianus nov. spec. Die Kerne sind auch hier kleine, etwa kugelförmige Kör- perchen, welche durch den ganzen Körper regellos verbreitet liegen und nur bei Anwendung von Reagentien sichtbar zu machen sind; eine 1) Wrzesniowski beschreibt zwar bei Lowodes rostrum einen Verbin- dungsstrang, derselbe ist aber weder von Balbiani, noch von Bütschli, noch auch von Maupas und von mir wieder aufgefunden worden. 2) Maupas, Contribution & l’&tude morphologique et anatomique des infu- soires cilies. Arch. de zool, experim. et gener. 2. Serie Vol. 1. 7) Gruber, Ueber vielkernige Protozoen. besondere Struktur lässt sich hier wie dort an den Nuclei nicht wahr- nehmen, höchstens dass sie manchmal körnig erscheinen. Bei Holo- sticha Lacazei hat M. neben den Kernen noch kleinere regelmäßig runde durch Karmin ebenfalls färbbare Körperchen aufgefunden, die er für Nebenkerne (nucleoles) hält. Ist diese Deutung riehtig, so er- gäbe sich die auffallende Thatsache, dass bei dieser einzigen Art Nebenkerne, bei den andern oben angeführten multinukleären Infu- sorien aber keine solche vorhanden wären. — Gleichzeitig mit Mau- pas publizierte ich einen Aufsatz, in welehem ich unabhängig von ihm zu ganz ähnlichen Resultaten gelangt bin!). Wie M. in Algier und bei Rosecoff, so fand ieh im Hafen von Genua und im Seewasser- aquarium des hiesigen Instituts einige vielkernige Infusorien, die zwar schon beschrieben worden waren, bei welehen aber die früheren Au- toren die Kernverhältnisse nicht erkannt hatten. Zunächst ist es Trachelocerca phoenicopterus Cohn, bei welcher die Kerne ein äußerst merkwürdiges Verhalten zeigen; denn dieselben sind winzige Körn- chen, welche in kleinen Gruppen beisammen liegen, die in einer Längs- reihe angeordnet sind. Manchmal findet sich um jede Gruppe ein hellerer Hof, wie wenn es sich um einen sehr blassen Kern mit vielen Kernkörperchen handelte. Auffallend ist es, wie gering dabei die Masse chromatischer Substanz im Verhältnis zum Protoplasma-Inhalt des Körpers ist; doch finden sich bei dem nämlichen Infusorium auch Zustände, wo das Gegenteil eintritt, wo nämlich die betreffenden Körnchen eine derartige Vermehrung eingehen, dass sie aus den ein- zelnen Gruppen austreten und schließlich emen großen Teil des Kör- pers erfüllen. Außer der Trachelocerca erwiesen sich mir noch zwei Oxytrichinen als vielkernig, nämlich Holosticha flava Cohn und Holo- sticha scutellum Cohn, Arten, die den von Maupas beschriebenen außerordentlich nahe stehen und welche dieselben Kernverhältnisse zeigen wie jene. Auch hier findet sich das Chromatin in einer großen Menge von Brocken annähernd kugliger Gestalt durch das ganze Infusorium verteilt, nur fand ich dieselben im Gegensatz zu Maupas in ein und demselben Individuum nicht immer alle gleich groß, ohne übrigens veranlasst gewesen zu sein, die kleineren Stücke als Neben- kerne anzusehen; von solehen konnte ich vielmehr nie etwas gewahr werden. Der Umfang der Kerne ändert sich auch bei diesen Arten mit der Zahl derselben, d. h. er wird immer geringer, je höher die letztere ist. Bei diesen einkernigen Formen muss eigentlich auch noch das holotriche Infusorium Choenia teres erwähnt werden, wo ich nach- weisen konnte, dass das Chromatin in einer Unzahl feiner Körnchen aufgelöst ist, so dass das mit Karmin gefärbte Infusorium selbst bei starker Vergrößerung nur mit roten Granulationen erfüllt erscheint. Die Frage, welche uns bei den besprochenen vielkernigen Infu- 1) Grub er, Ueber Kern und Kernteilung bei Protozoen. Zeitschr. f. wiss. Zool Bd. 40. Gruber, Ueber vielkernige Protozoen. 119 sorien hauptsächlich interessiert, ist die nach dem Verhalten der zahl- reichen Kerne bei der Teilung und Konjugation. Maupas behauptet, dass beim Teilungsvorgang die Kerne unberührt bleiben und einfach der eine Teil auf das eine, der andere auf das andere Tochterindivi- duum übergehe, so wie dies auch Bütschli von Loxades rostrum an- gibt"); nur bei denjenigen Infusorien, wo die Kerne durch einen ver- bindenden Strang vereinigt seien, könne eine Verschmelzung dersel- ben zu einer Masse vor der Teilung vorkommen, wie dies ja schon öfter beobachtet wurde. Dagegen muss ich anführen, dass ich bei Holosticha seutellum, wo die vielen Kerne gewiss keinen Zusammen- hang haben, vor der Teilung das Verschmelzen der zahlreichen Stücke zu einer Masse sicher habe konstatieren können; die Verschmelzung, welche eine gleichmäßige Verteilung der Kernsubstanz auf die Tochter- individuen bezweckt, ist aber nieht von Dauer, und noch lange bevor die beiden Hälften der Holosticha sich von einander getrennt haben, ist der Kern in denselben schon wieder in zwei, vier, acht und mehr Stücke zerfallen, wobei die Teilungen in beiden Tochterhälften genau gleichen Schritt halten. Wenn Maupas die Kernverschmelzung bei der Teilung leugnet, so ist es mir sehr wahrscheinlich, dass er durch den letzterwähnten Umstand irregeleitet wurde oder vielleicht irregu- läre Teilung, Zerreißung vor sich gehabt hat, die bei derartigen In- fusorien sehr häufig ist und die z. B. bei der vielkernigen Opalina eine normale Vermehrungsweise zu sein scheint. Bemerkenswert ist Maupas’ Beobachtung, dass die zahlreichen Kerne bei der Kon- Jugation gar keine Veränderungen eingehen, und zwar ist dies deshalb zu beachten, weil wir bei den einkernigen Infusorien infolge der Kon- Jugation einen Zerfall des Kerns in viele Stücke beobachten, also ge- wissermaßen ein vielkerniges Stadium eintreten sehen. Die Konjuga- tion führt also hier einen Zustand herbei, der dort fortwährend be- steht und nicht erst durch einen äußern Impuls hervorgerufen werden muss, von dem wir aber nicht wissen, warum er herbeigeführt wird. Viel häufiger als bei den Infusorien ist das Vorhandensein zahlreicher Kerne bei den Rhizopoden, wie dies ja schon seit längerer Zeit be- kannt ist, und die Zahl multinukleärer Arten wird sich jedenfalls im- mer noch bedeutend vermehren lassen. So habe ich bei zwei Formen, welche zwischen den eigentlichen Rhizopoden und den Heliozoen die Mitte halten, Vielkernigkeit nachweisen können, nämlich bei Biomyxa vagans Leidy und bei Myxastrum ligurium mihi, beide aus dem Ge- nueser Hafen?). Bei ersterer Art hatte schon Maupas?) die Viel- 4) Bütschli, Studien über die ersten Entwicklungsvorgänge ete. Abh. d. Senkenb. Naturf. Ges. Bd. !0. Frankfurt a. M. 1876. S. 76. 2) Gruber, Die Protozoen des Hafens von Genua. Nova Acta d. Ksl. Leop. Carol. d. Akad. d. Naturf. Bd. 46 Nr. 4. Halle 1884. 3) Maupas, Sur le Lieberkuehnia, Rhizop. d’eau douce multinuelee. Comptes rendus etc. Juillet 1882. Tome 95. pag. 191. 114 Gruber, Ueber vielkernige Protozoen. kernigkeit vorausgesagt, während die Gattung Myxastrum, die be- kanntlich von Häckel aufgestellt wurde, von ihrem Entdecker für ein Moner, also für kernlos gehalten worden war!). Sie besitzt aber im Gegenteil eine ganz erstaunliche Menge von kleinen kugligen Kernen, deren ich in einem Exemplar mehrere hundert zählte, so dass der Körper mit Kernen förmlich vollgestopft erschien, wodurch das Ver- hältnis der Chromatinmenge zu dem Volum des Körperplasmas ein ganz ungewöhnliches wurde. In der Abteilung der eigentlichen Rhizo- poden hat Maupas bei Lieberkuehnia?) zahlreiche Kerne entdeckt, während ich solche für Pleurophrys genuensis mihi beschrieben habe?). Ferner gelang es mir im der Sarkode eines sehr nieder stehenden Rhizopoden, des Trichosphaerium Sieboldi Schneider (= Pachymysxa hystrice mihi*) eine große Menge von kleinen Körnern nachzuweisen, die sich als Kerne oder wenigstens als aus Nuclein bestehend doku- mentierten. Außerdem habe ich in einer Arbeit, welche jetzt eben zur Publikation gelangt’), mehrere neue vielkernige Amöben einer Untersuchung unterworfen. Die erste derselben war schon früher un- ter dem Namen Amoeba proteus und princeps beschrieben worden, sie darf aber mit dieser alten von Ehrenberg aufgestellten Art nicht identifiziert werden und ich nenne sie Amoeba quinta, während vier andere Formen als Amoeba prima, secunda, tertia und guarta bezeich- net werden. Bei all diesen Rhizopoden finden sich die Kerne in größerer oder geringerer Zahl‘) im ganzen Körper zerstreut wie bei jenen oben beschriebenen Infusorien, nur mit dem Unterschied, dass dieselben hier die charakteristischen Merkmale des Zellkerns deutlich erkennen lassen, während jene kleinen Kügelchen uns auch bei star- ker Vergrößerung nur als homogene Chromatinbrocken erscheinen, mögen sie vielleicht auch eine kompliziertere Struktur besitzen. Auf den Bau dieser Amöbenkerne, der bei jeder Art wieder anders ist, habe ich mit die Diagnose für diese Formen begründen können, be- züglich welcher Angaben ich aber auf das Original verweisen muss. Das Vorhandensein zahlreicher Kerne, wie es bei solehen Amöben konstatiert werden kann, darf nieht verwechselt werden mit der zeit- weisen Kernvermehrung, die bei manchen Rhizopoden vorzukommen scheint. So findet sich z. B. bei der einkernigen Difflugia”) und bei 4) Häckel, Monogr, d. Moneren. Jen Zeitschr. f. Naturw. und Med. Bd. 4. 1868. 2) Re: 3) Protozoen des Hafens von Genua etc. 4) Gruber, Untersuchungen über einige Protozoen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 38 Nr. 1. 5) Gruber, Studien über Amöben. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 41. 2. Hft. 6) Bei einer großen Amoeba quinta konnte ich kürzlich deren etwa 500 zählen, 7) Man muss übrigens mit Deutungen auf diesem Gebiete vorsichtig sein. Ich besitze z. B. viele hundert Difflugien im Präparat, von welchen manche Gruber, Ueber vielkernige Protozoen. 715 der zweikernigen Arcella manchmal eine größere Zahl von Kernen, und auch bei einem ausnahmsweise großen Exemplare von Platoum stercoreum konnte ich deren acht nachweisen; aber dies sind nicht die gewöhnlichen Zustände, während bei den hier besprochenen Amöben die Vielkernigkeit die Regel, d. h. die spezifische Eigentümlichkeit des Rhizopoden ist. Meine Untersuchungen an ein- und vielkernigen Amöben gestatten an dieser Annahme keinen Zweifel, da ich die be- treffenden Arten Jahre hindurch beobachtet habe und mit Sicher- heit konstatieren konnte, dass es sich nicht etwa um vorübergehende Entwieklungszustände handelt. Wenden wir uns nun an die Frage nach der Bedeutung der Vielkernigkeit, so können wir leider weder hier noch bei den Infusorien eine sichere Antwort geben. Auf die Gestalt des Körpers und die Lebensäußerungen im Plasma hat die Zahl der Kerns jedenfalls gar keinen Einfluss; denn sehr ähnliche Arten können in diesem Punkt scharf auseinander gehen. Wenn die regulär gebaute Arcella normalerweise zwei symmetrisch angeordnete Kerne besitzt, so möchte man in der Zweizahl eine Konsequenz dieser Gestaltung sehen, anderseits habe ich aber jetzt eme Amöbe gefun- den!), die auch normalerweise zwei Kerne enthält, welche aber nach keinem Gesetz angeordnet sein können, da sie in dem beweglichen Körper nach allen Richtungen verschoben werden. Die einzige An- nahme, die gerechtfertigt erscheint, ist die, dass die größere Zahl von Kernen zu der Fortpflanzung in Beziehung stehe; denn wir wissen, dass bei den Radiolarien aus den einkernigen mit dem Wachstum vielkernige Individuen werden, welche dann den Schwärmsprösslingen Entstehung geben. Aehnliehe Vermehrungsweisen kennt man nun bei den Rhizopoden ebenfalls, wenn auch der Zusammenhang ihres Auf- tretens mit einer Kernvermehrung noch nicht sicher nachgewiesen ist. Fällt der Protozoenkörper plötzlich in eine große Zahl von Teilstücken auseinander, und soll jedes derselben eine Portion Kernsubstanz mit- bekommen, so ist dies eben nur bei einer vorherigen Zerteilung des Kernes möglich. Ich habe mich bis jetzt leider vergeblich bemüht, eine solche Art der Fortpflanzung bei den besprochenen vielkernigen Rhizopoden zu beobachten, bezweifle aber kaum, dass sie gelegent- lich vorkommen wird. Bei den Infusorien tritt sehr häufig, wie oben schon erwähnt, eine Zersplitterung des Körpers ein, wobei natürlich ein Splitter nur dann mit Wahrscheinlichkeit etwas Kernsubstanz er- halten kann, wenn entweder zahlreiche Kerne vorhanden sind oder der eine Nucleus vorher in Stücke zerfällt, was ich auch schon be- mit roten Kugeln gefüllt sind, die manchmal wie Kerne aussehen, die aber ebensogut Parasiten sein könnten, zumal der eigentliche Kern, wenn auch gleich tingiert, immer noch zu unterscheiden ist. Die zeitweise Vielkernigkeit der Difflugia kann ich also nicht sicher bestätigen. 1) Studien über Amöben etc. 16 Gruber, Ueber vielkernige Protozoen. obachtet habe. Die Frage ist nur die, ob solche kleine Trümmer des Infusoriums wirklich lebensfähig sind und ob jener Prozess nicht ein vollkommen pathologischer ist. Hier kommen uns die schönen Untersuchungen Zeller’s!) an den vielkernigen Opalinen der Frösche zu Hilfe, wo nachgewiesen ist, dass diese Zersplitterung schließlich bis zu ganz kleinen Stückehen führt, die gewöhnlich noch einen der Kerne enthalten und die sich mit einer Cyste umgeben, um dann später wieder zu normalen Tieren heranzuwachsen. Diese Beobach- tungen, an deren Genauigkeit nicht zu zweifeln ist, sind jedenfalls dazu angethan, am meisten Licht auf die Frage nach der Bedeutung der Vielkernigkeit zu werfen. Ein solcher Zerfall des Infusorienkör- pers hat natürlich mit der regulären Zweiteilung nichts zu thun, und wo es sich um diese handelt, nämlich um die Herstellung zweier gleiehwertiger Hälften, sehen wir demnach auch eine genaue Halbie- rung der Kernsubstanz vorangehen, was bei den Vielkernigen durch Zusammenfließen der zahlreichen Nuclei zu einer Masse bewirkt wer- den kann. Noch sehr zahlreich und unergründlich sind die Rätsel auf dem Gebiete der Protozoenkunde, dies sieht man auch aus den hier mit- geteilten Thatsachen. Aber lässt man sich durch den geringen Um- fang der gewonnenen Resultate nieht abschrecken, und ist man da- rauf bedacht, voreilige Schlüsse zu vermeiden, so wird die richtige Lösung mancher Probleme nicht ausbleiben und damit ein weiterer wichtiger Beitrag zur Erforschung des Lebens gewonnen sein. Ende November 1884. A. Gruber (Freiburg i. B.). Nachtrag. Der vorstehende Artikel war bereits dem Drucke übergeben, als mir die Arbeit von G&za Entz: „Ueber Infusorien des Golfes von Neapel“ (Mitteilungen aus der zoologischen Station von Neapel Bd. 5 Heft 3) zu Gesicht kam. Entz widerspricht darin meinen oben an- geführten Angaben über Vielkernigkeit bei Trachelocerca phönicop- terus, wo er einen einzigen und bei Holosticha Hlava und sceutellum, wo er je zwei Kerne beobachtet habe. Ich muss gestehen, dass ich hier vor einem Rätsel stehe; denn an der Richtigkeit meiner Angaben muss ich festhalten und dieselben sind jetzt noch durch Maupas’ besprochene Beobachtungen aufs entschiedenste gestützt worden. Dass es sich um Kernzerfall, verursacht durch Konjugation, handele, ist deshalb nicht möglich, da ich bei Holosticha scutellum die Teilung wie oben beschrieben konstatierte und Maupas bei seinen Formen sogar die Konjugation, vor und nach welcher die zallreiehen Kerne 4) Zeller, Untersuchungen über die Fortpflanzung und Entwicklung der in unsern Batrachiern schmarotzenden Opalinen. Zeitschr. f, wiss. Zool. Bd. 29. Gruber, Ueber künstliche Teilung bei Infusorien. zu“ keine Veränderung eingehen sollen. Ueberdies dehnen sich meine Beobachtungen auf längere Zeit aus, während Konjugationsperioden bekanntlich nicht lange andauern. Dass die eigentlichen Kerne sich auf unseren Präparaten nicht gefärbt hätten und die zahlreichen Ku- geln aus etwas anderem als Nuclein beständen, ist natürlich undenk- bar. Hoffentlich gelingt es einmal, die Ansicht von Entz mit der von Maupas und mir ausgesprochenen in Einklang zu bringen. Ueber künstliche Teilung bei Infusorien. Von Dr. A. Gruber. Professor der Zoologie in Freiburg i. B In einer Sitzung der Niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde zu Bonn wurden von M..Nussbaum sehr interessante Mitteilungen über künstliche Teilungsversuche gemacht, die er an In- fusorien angestellt hat!). Er zerlegte z. B. eine gut isolierte Oxytricha in zwei gleiche Hälften der Länge oder der Quere nach und fand, dass sich die Schnittränder bald mit neuen Cilien umgaben. Obgleich zuweilen Leibessubstanz oder sogar ein Kern bei der Operation ver- loren ging, hatten sich tags darauf die beiden Hälften zu normalen Tieren mit vier Kernen und Nebenkernen und den charakteristischen Wimperapparaten ergänzt. „Der Kopfteil hat ein neues hinteres Lei- besende, die rechte Hälfte eine linke neu gebildet“. Solche zu gan- zen Tieren wieder herangewachsene Infusorien vermehrten sich in der Folge durch spontane Teilung, und N. züchtete aus einer in zwei Teile zerschnittenen Oxytricha zehn normale Tiere, die sich späterhin alle eneystierten. Auch an Stücken von ungleicher Größe trat Rege- neration ein, kernlose Stücke dagegen schienen keine Lebensfähigkeit zu besitzen; denn sie gingen sehr bald zu grunde, und es scheint, „als ob zur Erhaltung der formgestaltenden Energie einer Zelle der Kern’ unentbehrlich sei.“ Aber auch kernhaltige Teile können zerfallen, wenn nämlich die Vernarbung der verletzten Stelle nicht schnell ge- nug eintritt. Dies beobachtete N. an den vielkernigen Opalinen, bei welchen ihm künstliche Teilungen nicht gelangen, während solche an- derseits von Botanikern an vielkernigen Pflanzenzellen schon mit Erfolg gemacht worden sind ?). 4) M. Nussbaum, Ueber spontane und künstliche Zellteilung. (Sep.-Abdr. aus den Sitzungsber. der Niederrhein. Gesellsch. für Natur- und Heilkunde zu Bonn. Sitzung der mediz. Sektion 15. Dez. 1884). 2) Uebrigens sind schon früher vielkernige Rhizopoden und Heliozoen mit Erfolg künstlich geteilt worden, so das große Actinosphaerium Bichhornüi durch Eichhorn selbst im vorigen Jahrhundert, dann durch Häckel im Jahre 1862, dasselbe und die Pelomyxa palustris durch Greeff (Ueber Actin. Eichhorn. etc., Arch. f. mikr. Anat. Bd. III 1867); ferner auch das Myxastrum radians 718 Gruber, Ueber künstliche Teilung bei Infusorien. Durch diese Versuche an Oxytricha glaubt N. bewiesen zu haben, dass es möglich ist, jede Zelle künstlich zu teilen, wenn es gelingt, die richtigen Bedingungen für das Experiment herauszufinden, und er zieht daraus noch weitere Folgerungen, die ich mit seinen eignen Worten wiedergebe: „Was Fol’s Beobachtungen zuerst gelehrt haben, und was von Pflüger und Strasburger gebührend hervorgehoben wurde, dass die Eizelle potentia ein Multiplum von „„Individuen““ darstelle, ist durch unsere Versuche in weiteren Grenzen bewiesen worden. „„Jede von der Zelle entfaltete Energie ist an ein teilbares Substrat geknüpft““. Die Teilbarkeit, die potentielle Mehrheit der einzelnen Zelle, tritt aber nicht erst während der natürlichen Teilung oder den Vorbereitungen dazu auf; etwa in der Weise, dass zu dieser Zeit jedes in Kern und Protoplasma enthaltene lebensfähige Partikel- chen seines gleichen neubilde und durch den komplizierten Vorgang der indirekten Kernteilung auf die Deszendenz übertrage; sondern ist zu allen Zeiten vorhanden.“ Merkwürdigerweise bin ich zu derselben Zeit ganz unabhängig von Nussbaum auf den Gedanken gekommen, künstliche Teilung bei Infusorien herbeizuführen, und als mir die oben referierten Mit- teilungen durch die Güte des Herrn Verfassers zugekommen waren, hatte ich eben einen Teil dieser Versuche zum Abschluss gebracht. Es sei mir gestattet, an dieser Stelle in Kürze einiges da- von mitzuteilen, während eine ausführlichere Darstellung an anderem Orte erfolgen soll. Mein Objekt war nicht Oxytricha, sondern Stentor coeruleus, der zwar ziemlich empfindlich ist, wegen seines bedeutenden Umfangs aber sich leicht in verhältnismäßig größeren Wassermengen etwa in Uhrschälchen, isolieren lässt. Ich erwähne noch, dass ich, um nicht durch Zufälligkeiten irre geleitet zu werden, eine sehr große Anzahl von Individuen zu Versuchen verwandt habe. Schneidet man einen Stentor quer in der Mitte durch und isoliert ‚die beiden Teile, sohat sich schon nach etwa 12 Stunden an der Schnitt- stelle des hintern Abschnittes ein vollkommenes Peristomfeld mit den großen Wimpern und der Mundspirale neu gebildet; das Stück da- gegen, an welchem die frühere Mundöffnung sich befindet, hat sich nach hinten ausgezogen und meist auf die solchen Infusorien eigen- tümliche Weise festgesetzt. Hat man einen Längsschnitt geführt, so dass das Peristomfeld in zwei Teile zerschnitten wurde, so schließt sich nieht nur die seitliche Wundfläche der beiden getrennten Stücke, sondern die Peristome bilden sich auch wieder vollkommen aus!). Zu durch Häckel (Monogr. d. Moneren. Jen. Zeitschr. f. Med. und Naturwiss. Bd. IV 1868) (bezüglich der vermutlichen Vielkernigkeit von M. radians 8. meine Beschreibung von M. liguricum. Nov. Acta Leop. Carol. Bd. 46. 4). 1) Es ist mir jetzt auch gelungen, Stentoren zu isolieren, bei welchen zu- gleich das Vorder- und das Hinterende abgetrennt und entfernt worden waren; Gruber, Ueber künstliche Teilung bei Infusorien, 71° ’ > (ja Io wiederholten malen habe ich Stücke durch Querschnitte abgetrennt, die bedeutend kleiner waren als die Hälfte des ursprünglichen Sten- tors, und auch diese haben sich zu vollkommenenen Tieren regeneriert. Ob auch solche Stücke lebensfähig d. h. regenerationsfähig sind, wel- che nichts vom Kerne mitbekommen haben, konnte ich bisher noch nicht mit Sicherheit entscheiden. Nussbaum möchte es leugnen, ich glaube aber, dass kernlose Stücke unter Umständen doch noch die Kraft haben zu wachsen und sich auf einige Zeit zu erhalten, wie ich dies früher in diesem Blatte mitgeteilt habe!). Ob dagegen kern- lose Splitter auf endogenem Wege wieder zu einem Kern gelangen können, ist eine andere Frage, die ich trotz einiger in dieser Hinsicht gemachten Versuche vorderhand nicht zu beantworten im stande bin. Sicher ist dagegen, dass ein kleiner Rest chromatischer Substanz ge- nügt, um aus sich wieder zu einem vollkommenen Kern heranzu- wachsen. Zellplasma kann anscheinend immer nur seinesgleichen, nie aber Kernplasma hervorbringen, das letztere ist mit anderen Worten kein Umwandlungsprodukt des erstern, und damit müsste auch die Möglichkeit freier Kernbildung ausgeschlossen sein. Auch ich habe beobachtet, dass Infusorien, die einer künstlichen Teilung unterworfen wurden, im stande sind, sich nachher spontan zu vermehren. In einem Urschälchen hatte ich 9 Stentoren isoliert, bei welchen die vordere Hälfte des Körpers entfernt worden war; die Stücke hatten sich tags darauf zu vollkommensn Tieren regeneriert und vier Tage später auf fünfzehn Individuen vermehrt, die ein paar Wochen am Leben blieben. Führt man einen Schnitt durch Stentor in der Weise, dass die beiden Stücke nicht vollkommen getrennt wer- den, so reißen dieselben meist von selbst noch vollends auseinander, manchmal durch Rotieren in entgegengesetzten Richtungen, wobei die verbindende Brücke schließlich zerrissen wird ?). Geht aber der Schnitt nicht sehr tief, so können auch Doppelmonstra entstehen, z. B. bei Längsschnitten Tiere mit zwei vollkommenen Vorderenden oder an- derseits solche, die mit zwei Hinterenden festgeheftet sind. Bei sol- chen Stentoren habe ich, so lange dieselben überhaupt am Leben er- halten werden konnten (7—8 Tage lang) keine spontane Trennung be- obachten können. Gelingt es einen scharfen Einschnitt in der Quere auch diese mittleren Abschnitte hatten sich am folgenden Tage vollkommen regeneriert. 4) Gruber, Ueber Einflusslosigkeit des Kerns auf die Bewegung, die Er- nährung und das Wachstum einzelliger Tiere. Biolog. Centralbl. Bd. III Nr. 19 1. Dez. 1883 (s. auch unten Anmerkung). 2) Nussbaum beschreibt diese Art des Lostrennens bei Opalina und sagt darüber: „es kommen somit zu den während der Teilung anderer Zellen wirk- samen Kräften bei Opalinen noch eigentümliche Drehbewegungen hinzu, die in der Art, wie sie ausgeführt werden, an Willensäußerungen erinnern.“ In die- sen Fällen handelte es sich um spontane Teilung der Opalina oder spontanen Zerfall, wie ich lieber sagen möchte (8. u.). 720 Gruber, Ueber künstliche Teilung bei Infusorien. zu führen, wobei die verbindende Brücke eine Zeit lang erhalten bleibt, so kann man dasselbe Phänomen beobachten wie bei Tieren, die in spontaner Teilung begriffen sind, dass nämlich die hintere und die vordere Hälfte übereinstimmende Bewegungen ausführen, so lange auch nur ein Faden von Protoplasma sie verbindet‘). Man kann dies bei allen in Teilung oder in Konjugation begriffenen Infusorien be- obachten, bei Stentor ist die Erscheinung aber besonders auffallend, durch die Größe des Objekts und durch die Deutlichkeit, mit welcher die synchronischen Bewegungen der großen Peristomwimpern an den beiden Teilstücken wahrzunehmen sind. Wenn eine beliebige schmale, sogar fadendünne Brücke genügt, damit die lose zusammenhängenden Stücke wie ein physiologisches Individuum sich verhalten, so beweist dies, dass die nervösen Leistungen nicht an bestimmte Bahnen ge- bunden sind, dass die Willensäußerung jedes Protoplasma-Element gleichmäßig beherrscht. Es kann kein umschriebenes Zentralorgan vorhanden sein, sondern jedes Plasmateilchen ist Zentralorgan und Leitungsbahn in einer Person, d. h. die nervöse Potenz im Körper der Zelle ist eine diffuse?). Es ist somit begreiflich, dass z. B. eine Volvox-Kolonie, wo die zahlreichen Einzeltiere dureh Protoplasmabrücken mit einander verbunden sind, sich in ihren Bewegungen wie ein ein- ziges Individuum verhält, je nach Bedürfnis vor und rückwärts schwimmt, sich im Kreise dreht, anhält u. s. w.; ich bin überzeugt, dass hier diese Brücken zur Herstellung einer nervösen Einheit vielmehr dienen, als etwa zu einer wechselseitigen Ernährung der Einzeltiere. Ich habe auch Versuche darüber angestellt, in welcher Weise die beigebrachten Wunden heilen, und gefunden, dass, wenn der Schnitt scharf war und genügend Wasser vorhanden ist, die Rindenschicht sich sofort über dem freigelegten weichen Innenparenchym wieder zusammenfügt und die Wunde verschließt; es gelingt auch zwei voll- kommen getrennte Stücke wieder zum Verschmelzen zu bringen, wenn man sie möglichst rasch wieder zusammen bringt, ehe noch die Rinde sich wieder geschlossen hat. Die Körperstreifen und Muskelfasern °) werden natürlich zuerst zerschnitten, die Enden klaffen auseinander und fügen sich nur allmählich wieder zusammen. Nicht immer finden sich die entsprechenden Enden wieder, es entstehen oft Unregelmäßig- keiten im Verlauf der Streifen, die hinteren Enden gabeln sich häufig 1) Hierüber ist auch von anderer Seite schon berichtet worden: s. Weis- mann, Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Einzelligen. Biol. Centralblatt dieser Band Nr. 21. 1. Jan. 1885. S. 655. 2) Es hindert dies nicht, dass nebenbei auch Fasern nervöser Natur sich finden könnten, wenn es sich z. B. um Innervierung von Wimpern handelt, welche in ungleichem Tempo zu schlagen haben, wie dies Engelmann bei Stylonychia gesehen zu haben glaubt (Engelmann, Zur Anatomie und Physiol. der Flimmerzellen. (Pflüger’s Arch. f. Physiol. XXI. 1880. S. 505). 3) Ueber diese Gebilde hoffe ich demnächst an anderem Orte etwas ge- nauere Angaben machen zu können. Gruber, Ueber künstliche Teilung bei Infusorien. 7124 und dadurch bleibt die Spur des Einschnittes für immer erhalten. Bemerkenswert ist es, dass die Gabelungen immer nur von hinten nach vorne erfolgen, nicht umgekehrt, was darauf hindeutet, dass die hinteren Enden es sind, die nach der Wiedervereinigung streben. Auch am normalen Tier sind die Muskelstreifen oft gegabelt und zwar auch so, dass die Gabelung nach vorne gerichtet ist, entsprechend der Dieckenzunahme des Stentors. Meine Versuche haben also zu densel- ben Resultaten geführt wie die von Nussbaum an Oxytricha ange- stellten, nichtsdestoweniger kann ich aber dessen oben zitierten Satz über die Teilbarkeit nicht wohl unterschreiben und muss gestehen, dass ich mich in die Nussbaum’sche Theorie, bezw. deren Anwen- dung auf diese Fälle nicht recht hineindenken kann, ohne übrigens selbst eine andere Erklärung für diese Vorgänge geben zu können. Ich glaube, man muss sich zunächst damit begnügen, gezeigt zu haben, dass auch die Einzelligen dieselbe Regenerationsfähigkeit be- sitzen wie so zahlreiche Vielzellige, nur dass bei ihnen die Regene- ration durch das Elementarteilchen, das Molekül, bewirkt wird, während bei letzteren die Zellen das Verlorengegangene wieder aufbauen. Bei den Metazoen müssen wir im Regenerationsvorgang zugleich ein Wachstum, bei den Protozoen mehr einen Funktions- wechsel, eine direkte Substitution anderer Elemente an Stelle der ver- lorenen erblicken, im übrigen gleichen sich aber die Prozesse voll- kommen. Wenn die Fähigkeit der Organismen, Teile, deren sie ver- lustig gegangen, wieder zu ersetzen eine so weit verbreitete ist, so dürfen wir wohl annehmen, dass sie für die Erhaltung der Art eine bedeutsame Rolle zu spielen hat. Bei den Metazoen liegt dies ja auf der Hand, bei den Protozoen ist es aber nicht von vornherein einzu- sehen, da dieselben im Leben selten Verletzungen davon tragen wer- den, jedenfalls nie solche, wie wir sie mit dem Skalpell hervorgerufen haben. Wenn wir aber trotzdem einen so hohen Grad des Regene- rationsvermögens bei den Infusorien vorfinden, so beruht dies vielleicht darauf, dass dieselben außer der regulären Zweiteilung manchmal die Erscheinung eines Zerfalls in kleinere, unregelmäßige Stücke aufweisen, welche sich dann unter günstigen Verhältnissen zu vollkommenen Tieren rekonstruieren können. Bei den Opalina-Arten ist diese Art der Fortpflanzung bekanntlich zur Regel geworden!), aber auch bei vielen anderen Arten ist ein Zerfall häufig zu beobachten, nur habe ich bei diesen bis jetzt noch nicht entscheiden können, ob er wirklich der Fortpflanzung dient. Wohl aber konnte ich bei Oxytricha feststellen, 1) Ich habe darüber in meinem Aufsatz über „vielkernige Protozoen“ (dieses Centralblatt, diese Nummer) schon gesprochen. Nussbaum hat bei seinen Untersuchungen an Opalina, auf die ich hier nicht näher eingegangen bin, den Unterschied zwischen dieser Art der Vermehrung und der regulären Zweiteilung nicht genug berücksichtigt (s. den Abschn. I der oben referierten Mitteilung von Nussbaum). 46 29 Dewitz, Die Angelhaare der Chrysopenlarven. dass auch spontan abgelöste Splitter wieder normale Gestalt erlangen können und es ist anzunehmen, dass sie dann auch lebensfähig sind !). Zum Schlusse möchte ich noch in einem Beispiel darauf hinweisen, wie übereinstimmend vielzellige Tiere und Infusorien in den bier be- sprochenen Erscheinungen sich verhalten können: Ein Infusorium schreitet zur regulären Teilung; schon ehe diese beendet, haben sich an dem hintern Stücke der Mund und die charak- teristischen Wimperapparate des Vorderendes angelegt: nach der Durchschnürung sind sogleich zwei kongruente Tochterindividuen vor- handen (z. B. Stentor). Bei einem proliferierenden Gliederwurm kön- nen wir dasselbe beobachten, das Kopfsegment mit allen ihm eignen Organen ist schon vor der Lostrennung vorhanden (z. B. Navis). Ein Infusorium zerfällt in ungleichmäßige Stücke, die sich erst nachher zur vollkommenen Form regenerieren (z. B. Opalina, Oxy- tricha). Ein Gliederwurm kann spontan an den Segmentgrenzen in mehr oder weniger Stücke zerfallen, die erst nachträglich das fehlende Kopf- oder Schwanzende wieder neubilden (z. B. Ütenodrilus mono- stylos?)). Ein Infusorium kann künstlich zerschnitten werden und die Stücke ersetzen die verlornen Teile wieder (z. B. Oxytricha, Stentor). Ein Gliederwurm kann zerschnitten werden und auch hier wachsen die Stücke wieder zu vollkommenen Tieren aus (z. B. Nais). Die Angelhaare der Chrysopenlarven. Von H. Dewitz. Es gibt mehrere Tiere, welche sich mit Gegenständen oder selbst anderen Tieren ?) bedecken, um sich vor ihren Feinden oder ihrer Beute zu verbergen. Chrysopen- (Florfliegen-) Larven tragen auf ihrem Rücken ein großes Packet umher, welches aus den Häuten der von ihnen ausgesogenen Blattläuse, oder aus Rindenstückchen u. Ss. w. besteht. Larven, welche ich im Oktober an Baumstämmen im Friedrichs- hain in Berlin beobachtete, wählten zur Verhüllung außer kleinen Rindenstückchen und Gespinnstmassen mit Vorliebe die grünen, an der Wetterseite den Baum überziehenden Algen. Sitzt das Tier still, so hat es Kopf und Hinterleibsende eingezogen, und man sieht dann 1) Ich möchte hier auch auf die von mir an Actinophrys sol gemachten Be- obachtungen verweisen (Untersuchungen über einige Protozoen. Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. 38 Heft 1). 2) M. Graf Zeppelin, Ueber den Bau und die Teilungsvorgänge des Otenodrylus monostylos. Zeitschr. f. wiss. Zool Bd. 39 Heft 4 1883. 3) Einsiedlerkrebse werden sogar von den ihrem Schneckengehäuse auf- sitzenden Actinien vertheidigt. H. Eisig, Ausland 1882. Nr. 35 u. 37. Kosmos (Vetter) Bd. XII. p. 388. Dewitz, Die Angelhaare der Chrysopenlarven. 723 nur ein grünes oder graues Klümpchen, unter dem man nie ein Tier vermutet. Die grünen Algen scheinen übrigens auf dem Rücken des Tieres gut zu gedeihen. Bereits Reaumur bewunderte die Geschicklichkeit, mit der eine Chrysopenlarve, welcher er die Bürde abgenommen hatte, neue, ihr dargebotene Gegenstände auf den Rücken packte. Meine Tiere nahmen, nachdem ich ihnen so vorsichtig als möglich die Bürde mit einer Pinzette gewaltsam entfernt hatte, kleine, in das Gefäß geworfene Papierstückehen zwischen die Kieferzangen, bogen den Kopf auf den Rücken und drückten das Papier an, welches dann auch bei den mannigfaltigsten Bewegungen des Tieres nicht abfiel. Es war mir anfangs unerklärlich, wodurch das Papier festgehalten wurde, bis ich die Chitinhaut des Rückens unter dem Mikroskop beobachtete und wahrnahm, dass die denselben besetzenden Härchen an der Spitze oder auch in ihrem ganzen Verlanf hakenförmig gebogen sind. Drückt das Tier nun einen Gegenstand wie ein Rinden- oder ein Papierstückehen zwischen diese Haken, so wird dasselbe natürlich festgehalten. Besonders geeignet sind sie, Gespinnstmassen zu befestigen, und in diesem Gewirr finden sich dann die grünen kugligen Algen, welche Jedenfalls auch mit den beiden Kieferzangen von der Rinde gekratzt und auf den Rücken gebracht werden. Da sieh in den vom Rücken des Tieres genommenen Massen stets zahlreiche Gespinnstfäden finden, so glaube ich, dass das Tier die Gegenstände, besonders die kleinen, zuerst überspinnt, damit sie mehr Zusammenhalt haben, und sich die- selben dann erst auf den Rücken packt. Es ist anzunehmen, dass auch die anderen Arten angehörenden, fremde Gegenstände auf ihrem Rücken tragenden Chrysopenlarven mit diesen „Angelhaaren“ ausgerüstet sind. Ebenso wie der Rücken dieser Tiere ist auch der Panzer einiger Krebse mit kreisförmig um- gebogenen Häkchen besetzt, an welche der Besitzer zur Maskierung Algen, Schwämme, Polypen u. s. w. hakt!). Einige Käferlarven, so die von Crioceris Merdigera, bedecken sich mit ihrem Kot, der seiner weichen Beschaffenheit halber auf dem Rücken auch ohne Häkchen haftet. Larven der Gattung Cassida tragen an den über dem After stehenden Dornen aufgespießt Haut- überreste und Kot. Eine kleine afrikanische Spinne befestigt nach Falkenstein?) die zur Maskierung dienenden Holzspähnchen auf ihrem Rücken mittels eines klebrigen Sekretes. 4) Sluiter und Graeffe, cf. zool. Anzeiger 1883 S. 99. 2) Afrikas Westküste. 1. Abt. — Das Wissen der Gegenwart, deutsche Universalbibliothek für Gebildete. Bd. 29. 8. 91. 46 * 794 Albrecht, Existenz oder Nichtexistenz der Rathke’schen Tasche. Ein männlicher Geschlechtscharakter bei Catocala. Von H. Dewitz. Aufmerksam gemacht von Herrn Professor Dr. Rüdorff beschrieb ich!) vor drei Jahren einen eigentümlichen Geschlechtscharakter der männlichen Ordensbänder (Catocalen). Derselbe besteht in einem Haarbüschel, welcher in einer Längsrinne der Mittelschiene verborgen liegt und sieh wie ein Fächer aus der Rinne herausheben lässt. Es folgten dann Beschreibungen dieses Apparates von Bailey?) und Haase). Letzterer beschreibt gleichzeitig ein plattes Anhangs- gebilde der Vorderschienen der männlichen Catocalen und vermutet, dass es als Kamm für den Haarbüschel diene. Dieser Ansicht kann ich nicht beipflichten, da sich besagtes Gebilde ebenso bei den Weibehen, wie auch in anderen Lepidopterenfamilien findet. Ab- gebildet ist dasselbe mehrmals von Herrich Schäffer). Nach Graberö) ist es ein weit hinaufgerückter Sporn, der zum durchziehen der Fühler dient. Ueber Existenz oder Nichtexistenz der Rathke’schen Tasche. Von Professor Dr. Paul Albrecht in Brüssel. In der soeben erschienenen 2. Auflage seines Grundrisses der Entwick- lungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere, Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1884, 8. 245 hat mich Herr Professor Dr. von Kölliker in bezug auf die von mir gegen die Existenz der Rathke’schen Tasche erhobenen Bedenken®) in heftigster, wenn auch, wie ich mit ehrerbie- tigstem Danke anerkenne, sachgemäßer Weise angegriffen. Es sei mir gestattet, mich hier in aller Kürze zu verteidigen. Es handelte sich bei den von mir vorgebrachten Bedenken zunächst nicht um meine Präparate über die Entstehung der Hypophysis, sondern um die Irrungen, deren sieh Herr von Kölliker bei der Deutung seiner eignen vorzüglichen Präparate nach meiner Ansicht schuldig gemacht hat. Ich glaube also, dass, ehe Herr von Kölliker den Streit auf fremdes Gebiet trägt, er sich zunächst darüber auszusprechen 4) Berliner entomol. Zeitschr. 1881. Bd. 25. S. 297. 2) Stettiner entomol. Zeitung 1882 Bd. 43. 8. 39. 3) Zeitschr. für Entomologie. Neue Folge. Heft 9. S. 15. 4) Systematische Bearbeitung der Schmetterlinge von Europa. Tafeln. Bd.4 2. B. 7.18.1217. 5) Biolog Centralbl. IV. Nr. 18. 6) P. Albrecht: Sur les spondylocentres &pipituitaires du cräne, la non- existenee de la poche de Rathke et la presence de la chorde dorsale et de spondylocentres dans le cartilage de la cloison du nez des vert&bres. Bruxelles, Manceaux, 1884. Albrecht, Existenz oder Nichtexistenz der Rathke’schen Tasche. 795 hat, ob ich ihm mit Recht oder Unrecht eine irrige Auslegung seiner Präparate vorgeworfen habe. Die ganze Angelegenheit ist so außerordentlich einfach, dass es nur der Beantwortung einer einzigen Frage bedarf, um sie zu ent- scheiden. Wird diese Frage mit nein beantwortet, so hat Herr von Kölliker recht; wird sie bejaht, so ist das Recht auf meiner Seite. Ehe ich diese Frage stelle, bitte ich den geehrten Leser, einen Blick auf die nebenstehende Figur zu werfen. Dieselbe ist von einem Glich& der Figur 308 auf Seite 509 der 2. Auflage der Entwicklungs- geschichte des Menschen und der höheren Tiere, Leipzig, 1879 des Fig. 1. Clich& der Fig. 308, S 509 der 2. Auflage der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere von v. Kölliker. Die von v. Kölliker gegebene Fi- gurenerklärung lautet: Fig 308: Längsschnitt durch Kopf "s- und Herz eines Kaninchembryo von 9 Tagen und 2 Stunden. ph Schlund; vd vordere Darmpforte; r Rachenhaut; p Parietalhöhle; Ak vordere Wand der- selben (Herzkappe, Remak) aus dem Entoderma und der Darmfaserplatte bestehend; a Vorhof; » Kammer; ba Bulbus aortae; kk Kopfkappe aus dem Entoderma allein bestehend; ks Kopf- scheide des Amnion aus dem Ektoderma allein bestehend; mr Medullarrohr; vh Vorderhirn ; mAh Mittelhirn; Ah Hinter- hirn; s Scheitelhöcker; ms mittlerer Schädelbalken Ratnke’s; ch vorderstes Ende der Chorda, an das Ektoderma anstoßend; A leichte Einbiegung des Ektoderma, aus welcher später die Hypophysis sich bildet. Vergr. 55mal. hE Herrn von Kölliker, das ich der Güte des Herrn Wilhelm Engel- mann in Leipzig verdanke, gezogen. In dieser Figur bezeichnet ms die primitive Sattellehne, das Dor- sum ephiphii primitivum. Hierin sind Herr von Kölliker und ich einig; denn derselbe bezeichnet in der Erklärung dieser Figur ms als mittlern Schädelbalken Rathke’s, und pag. 431 den mittlern Schädelbalken Rathkes als primitive Sattellehne. Meine Frage ist nun folgende: Ist (da zugegebenermaßen ms die primitive Sattellehne ist) die Strecke zwischen ms und A der spheno-ethmoidale Teil des Schädels, ja, oder nein? 126 Nasse, Thätigkeit und Bau der Muskeln. Ich bin überzeugt, ein jeder meiner Fachgenossen wird „ja“ ant- worten, und damit ist bewiesen, dassHerr von Kölliker den von mir auf S. 32 meiner Schrift als fundamental bezeichneten Fehler be- gangen hat. Herr vonKölliker behauptet nämlich auf S. 431, dass der ganze spätere spheno-ethmoidale Teil des Schädels sich bei 4 zwischen Chorda und Ektoderm noch bilden soll — dies ist falsch, denn der ganze spheno-ethmoidale Teil des Schädels ist bereits da und wird der ganzen Länge nach von der Chorda durchzogen: es ist eben die Strecke zwischen ms und A. Herr von Kölliker behauptet ferner in der Erklärung der in Frage stehenden Figur, dass A eine leichte Einbiegung des Ektoderms ist, aus welcher später die Hypophysis sich bildet. Dies ist ebenfalls unmöglich, denn da, wie wir soeben gesehen haben, die Streck& von ms bis A den ganzen spheno-ethmoidalen Teil des Schädels (zum ethmoidalen Teil auch noch das ganze Nasenseptum gerechnet) darstellt, so würde, wenn A wirklich die Rathke’sche Tasche oder die Anlage des spätern vordern Lappens der Hypophysis wäre, die Rathke’sche Tasche in diesem Falle nicht nur epichordal, sondern sogar dorsal über dem zukünftigen Septum narium liegen. Weder kann also sich der zukünftige Spheno-ethmoidal-Teil des Schädels bei % bilden, da er bereits vollständig ausgebildet in der Strecke ms bis h vorliegt, noch kann % die Rathke’sche Tasche sein. Das waren zunächst die beiden Hauptfehler, die ich Herrn von Kölliker in der Deutung seines sonst meisterhaften Präparates Fig. 308 vorzuhalten mir die Freiheit genommen habe. Ist aber, und dies ist von der allerhöchsten Wichtigkeit, die Strecke zwischen ms und % der von der Chorda dorsalis durehzogene spheno- ethmoidale Theil des Schädels, so gibt es weder einen prächordalen, noch einen prävertebralen Abschnitt des Schädels. Die genannte einfache Thatsache stürzt also dieganze Gegenbaur’sche Lehre vom prävertebralen resp. prächordalen Schädel der Wirbelthiere. Wegen des Weitern erlaube ich mir den Leser auf meine ge- nannte Schrift zu verweisen. Brüssel, den 29. November 1884. Zusammenhang von Thätigkeit und Bau der Muskeln. Wenn man erwägt, dass zur Zeit fast ganz unvermittelt neben- einander stehen die Thätigkeit der Muskeln und deren chemischer und anatomischer Bau sowie die mikroskopisch wahrnehmbaren Struk- 1) Rathke: Ueber die Entwicklung der Schildkröten. Braunschweig 1848. Seite 29. 2 ee Nasse, Thätigkeit und Bau der Muskeln. 27 turveränderungen und die Stoffveränderungen während der Thätigkeit, so möchte es wohl mehr als überflüssig erscheinen, sich schon mit den Beziehungen von gewissen Unterschieden in der Thätigkeitsweise zu dem Bau der Muskeln zu beschäftigen. Sicher handelt es sich dabei zunächst auch nur um ein Registrieren des thatsächlichen Ma- terials, aber mit der Zeit, wenn solches genügend vorhanden ist und sich eine Uebereinstimmung der Beobachtungen ergibt, werden diese Thatsachen ohne Zweifel auch zum Verständnis der Muskelthätigkeit selbst mehr oder weniger beitragen können. Von Unterschieden in der Thätigkeit der quergestreiften und will- kürlichen Muskeln, von denen allein hier die Rede sein soll, sind am frühesten diejenigen aufgefallen, welche die Schnelligkeit der Kontraktion betreffen. In den raschen Bewegungen der Flügel der Insekten und anderseits den langsamen Bewegungen der Extremi- täten der Schildkröte sind wohl annähernd die Grenzfälle gegeben, zwischen welche die willkürlichen Bewegungen der übrigen Tiere mit quergestreifter Muskulatur einzureihen wären. Besonderes Interesse erhielten diese Unterschiede, als festgestellt wurde, dass ein einziger Organismus Muskeln von verschiedener Schnelligkeit der Kontraktion — rasche und langsame Muskeln mögen dieselben heißen — besitzen kann und, wie als wahrscheinlich hinzugefügt werden darf, jeder Or- ganismus solche verschiedene Muskeln besitzt. Mochte auch wohl mancher bei Beobachtung der verschiedenen Muskelgruppen eines be- stimmten Tieres erkannt haben, dass dieselben sich mit ungleicher Schnelligkeit kontrahieren — als Beispiel sei angeführt das langsame Schließen der Schere des Flusskrebses im Gegensatz zu dem raschen schnellenden Zusammenklappen des Schwanzes — so gewannen solche Beobachtungen doch erst bestimmten Wert, als mit Hilfe des Myo- graphions der zeitliche Verlauf der aus Zusammenziehung und Er- schlaffung bestehenden Zuckung aufgezeichnet und gemessen wurde. Nach den neuesten Untersuchungen von Grützner!) kann sogar ein einzelner Muskel, den man anatomisch und so auch physiologisch als etwas einheitliches anzusehen gewöhnt war, rasche und langsame Muskelfasern, jede Art meist in Gruppen vereinigt, enthalten. Die völlige Uebereinstimmung dieser einzelnen Fasern mit denen, welche zu einem sogenannten Muskel vereinigt sind, zeigt sich auch in fol- sendem. Die Muskelsubstanz besitzt eine ihr eigne, von den Nerven unabhängige Erregbarkeit, welche in ‘einer bestimmten Beziehung steht zu dem Zuckungsverlauf, insofern nämlich regelmäßig die raschen Muskeln erregbarer sind als die langsamen. Ist der Muskel anatomi- schen Begriffs nun ein Gemisch von Gruppen von raschen und lang- samen Fasern, so zeigt auch jede der Gruppen die erwähnten Unter- schiede in der Erregbarkeit, infolge dessen je nach der Art des Reizes 1) Grützner, Breslauer ärztliche Zeitschrift. 1883. Nr. 18 und 24. 128 Nasse, Thätigkeit und Bau der Muskeln. die Bewegungen des gereizten Muskels ganz verschieden ausfallen und unter Umständen an den Muskelkurven längst beobachtete, aber erst durch die Untersuchungen von Grützner aufgeklärte Eigentümlich- keiten zum Vorschein kommen. Die Feststellung der angeführten Thatsachen stößt auf eine Reihe von Schwierigkeiten, welche der Erwähnung bedürfen. Es gibt näm- lich eine ganze Anzahl von Einflüssen, welche die Zuckungsdauer nieht unbedeutend verändern, und zwar wesentlich in dem Sinne, dass dieselbe verlängert wird. So wird die Bewegung der Muskeln lang- samer mit dem Alter, ferner bei unvollkommener Ernährung sowie in Krankheiten und bei Abkühlung, ganz besonders aber bei der Er- müdung der Muskeln. Hierdurch wird es offenbar notwendig, sich bei der Vergleichung verschiedener Muskeln nicht bloß an eine Spe- zies, sondern sogar an ein Individuum zu halten. Aber auch dann sind die Schwierigkeiten noch keineswegs vollkommen gehoben, es können nun noch Irrtümer entstehen, weil die Zuckungsdauer der verschiedenen Muskeln nicht in gleichem Grade verändert d. h. ver- langsamt wird. Es ermüden nämlich die raschen Muskeln weit schnel- ler als die langsamen, und so kann es sich ereignen, da man ja die vor dem Töten des Tieres von demselben geleistete Arbeit meist nicht genau zu bestimmen im stande ist, dass die rascheren Muskeln zu den langsameren geworden sind. Ebenso werden, wie hier noch hinzugefügt werden mag, die raschen Muskeln durch Gifte, insbeson- dere durch Blei, leichter geschädigt und entarten bei Nervendurch- schneidungen viel früher als die langsamen. Wenden wir uns nun zu der Frage, ob und inwieweit entsprechend der Verschiedenheit in der Kontraktionsgeschwindigkeit auch eine Verschiedenheit in dem Bau der Muskeln einer Tierspezies und wo- möglich eines Individuums zu erkennen ist und beginnen mit dem anatomischen Bau. Nach den vom Ref. am Krebs sowie am Ka- ninchen angestellten Beobachtungen und den damit übereinstimmenden von Ranvier unterliegt es keinem Zweifel, dass den rascheren Mus- keln stets eine geringere Entfernung der Querstreifen von einander (geringere Höhe der Muskelelemente) zukommt. Ob dieser Zusammen- hang ursächlicher Art ist, darüber lässt sich gar nichts sagen. Die von Engelmann festgestellte Thatsache, dass die Vergleichung ver- schiedener Tierarten eine Beziehung der Höhe der Muskelelemente zu der Zuckungsdauer nicht ergibt, vielmehr vollkommen ausschließen lässt, — zugleich ein Beleg für die Notwendigkeit der Beschränkung der Untersuchung auf eine Tierspezies — dürfte übrigens wohl nicht ohne weiteres als Grund gegen die Annahme eines ursächlichen Zu- sammenhangs geltend gemacht werden. Ein anderer anatomischer Unterschied, auf welchen schon vor längerer Zeit E. Meyer!) und 1) E. Meyer, Arch. f. Anat u. Physiologie. 1875. 8. 217. Nasse, Thätigkeit und Bau der Muskeln. 129 neuerdings wieder Grützner aufmerksam gemacht hat, besteht darin, dass die Fasern der raschen Muskeln dünner sind als die der langsamen. Grützner hat aus mikrochemischen Reaktionen auch schon auf Unterschiede im chemischen Bau der beiden Arten von Mus- kelfasern geschlossen: auf einen höhern Glykogengehalt der langsameren Fasern, under hatdurch quantitative Untersuchung von Pferde- und Kanin- chenmuskeln diesen Schluss bestätigen können. Dass die Glykogen- menge nicht in allen Muskeln die gleiche ist, weiß man seit längerer Zeit; so hatte Ref. u. a. gefunden, dass bei Kaninchen die Rücken- muskeln reicher an Glykogen sind als die Adduktoren des Oberschen- kels und umgekehrt bei Katzen die letzteren reicher als die Muskeln des Rückens. Eine genügende Erklärung für diese Unterschiede schien sich damals aus der oft genug bestätigten Thatsache ableiten zu las- sen, dass die thätigeren Muskeln stets ärmer an Glykogen sind als die weniger arbeitenden. Wenn es nun auch wahrscheinlich ist, dass die hückenmuskeln der Katze, die bei dem Sprunge derselben jedenfalls mitbeteiligt sind, sich rascher bewegen als die Adduktoren, somit eine Stütze für den von Grützner aufgestellten Satz in den Untersuchungen der Katzenmuskeln sich finden ließe, so ist doch anderseits, da der Glykogengehalt der Muskeln von verschiedenen gar nicht miteinander in Verbindung stehenden Umständen abhängen kann, von einer Um- kehr jenes Satzes zu warnen, d. h. man darf nicht ohne weiteres aus dem Glykogengehalt auf die Zuckungsgeschwindigkeit schließen. In einer ganz andern Gruppe von Muskelbestandteilen hat A. Danilewsky!) konstante quantitative Verschiedenheiten zwischen den beiden Muskelarten gefunden. Zur Bespreehung derselben ist zu- nächst etwas weiter auszuholen. Als Danilewsky Muskeln mit einer Salmiaklösung von 8—15 °/, behandelte, wodurch er neben dem Myosin Salze, Eiweißkörper und Kohlehydrate auszog, blieb ein Ge- bilde zurück, welches alle morphologischen Haupteigentümlichkeiten der normalen Muskelbündel besaß, insbesondere auch die Querstreifung deutlich erkennen ließ. Die Summe der so zurückgebliebenen Sub- stanzen, die man sich in einem festweichen Zustand befindlich denken soll, bildet also das Gerüst oder Stroma des Muskels und wird von Danilewsky als Bündelgerüst bezeichnet. Wurde nun unter den nötigen Vorsichtsmaßregeln in dem Salmiakauszug das Myosin (M) dem Gewichte nach bestimmt und ebenso das Trockengewicht des Bündelgerüstes (B), das freilich auch bei der sorgfältigsten Prä- paration untrennbar mit einschließen muss Bindegewebe, Gefäße und Nerven, so fand sich das Verhältnis M:B bei verschie- denen Tieren und bei verschiedenen Muskelgruppen desselben Tieres sehr verschieden. So kommen beim Frosch auf 1 M 0,81 B, bei der 4) A. Danilewsky, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. VII, 124. 1883. 130 Nasse, Thätigkeit und Bau der Muskeln. Taube (Brustmuskel) dagegen 5B. Fast ebenso groß können die Dif- ferenzen bei den Muskeln desselben Tieres sein: die Schenkelmuskeln der Tauben enthalten auf 1 M nur 1,22B, die Brustmuskeln dagegen, wie bereits angegeben, ungefähr 5B. Nicht bei allen Tierarten sind die Unterschiede so bedeutend, viel geringer sind dieselben z. B. beim Kaninchen. Werden sowohl die verschiedenen Tiere nach der freilich nur auf erfahrungsmäßigen Schätzungen beruhenden Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen als auch die einzelnen Muskeln derselben Tierart nach ihrer genau gemessenen Kontraktionsgeschwindigkeit gruppiert, so ergibt sich im allgemeinen ein Zusammenhang zwischen Bewegungs- schnelligkeit und Zusammensetzung der Muskeln, welchen Danilewsky dahin ausdrückt, „dass, je schneller die Kontraktionen und Erschlaf- fungen der Muskeln ausgeführt werden, desto reicher die letzteren an Gerüstsubstanzen im Verhältnis zum Myosin sind.“ Von einer Deutung dieser Thatsachen sieht Danilewsky mit Recht vorläufig ab. Es müsste ja natürlich die Natur des Bündelge- rüstes erst näher bekannt sein. Nur wenig hat Danilewsky bis jetzt darüber ermittelt, stelltaber weitere Untersuchungen und Mitteilungen in Aussicht. Von dem bereits ermittelten ist aber einiges bereits wichtig genug, um hier besprochen zu werden, hauptsächlich das Faktum, dass unter den Zersetzungsprodukten des Bündelgerüstes Myosin auftritt. Weiter weisen dann verschiedene Beobachtungen da- rauf hin, dass unter gewissen Umständen auch intra vitam Bündelge- rüst zu Myosin werden oder aus dem Bündelgerüst sich Myosin ab- spalten kann. So nahm bei der Erstickung von Spatzen das Myosin zu auf kosten des Bündelgerüstes, und so scheint regelmäßig, wenn die Muskeln nieht in gewohnter Weise benutzt werden, das Myosin rela- tiv an Menge zuzunehmen. Es ist endlich auch dem Hämoglobingehalt der Muskeln eine Be- deutung für die Schnelligkeit der Zuckung zugeschrieben worden: nach den ersten Arbeiten von Ranvier hatte es den Anschein, als ob da, wo rote und weiße Muskeln vorkommen, jene stets die langsameren wären. Dass dem aber nicht so ist, dass man also nicht, wie es noch in Grützner’s Mitteilungen geschehen ist, ganz allgemein die roten Muskeln den weißen gegenüber stellen darf, haben schon die auch auf diesen Punkt gerichteten Untersuchungen von E. Meyer gelehrt. Von der Länge der Zuckungskurven der raschen und langsamen Muskeln ist bis dahin die Rede gewesen, dieForm der Kurve dabei aber noch gar nicht berührt worden. Die längere Kurve könnte sich von der kürzern der Hauptsache nach dadurch unterscheiden, dass ihr absteigender Teil länger ist, die Erschlaffung also bei dem lang- samen Muskel mehr Zeit in Anspruch nimmt. Wenn Muskeln ermüden, so hängt in der That die Verlängerung ihrer Zuckungskurve fast nur von der Verlangsamung der Erschlaffung ab, und wenn man auch die extremsten Fälle der Kontraktionsgeschwindigkeit neben einander Nasse, Thätigkeit und Bau der Muskeln. 231 stellt, so wird der Unterschied der beiden Kurven wesentlich in ihrem absteigenden Teil gefunden werden. Aber umgekehrt gibt es bei Ver- gleichung von zwei in der Geschwindigkeit ihrer Bewegung nicht so sehr von einander abweichenden Muskeln zahlreiche Fälle, in welchen das sogenannte Stadium der steigenden Energie, die Kontraktion im engern Sinn des Wortes, bei dem langsamern Muskel das des raschern an Ausdehnung bedeutend überragt. Diese wichtige Thatsache geht aus den Kurven hervor, welche Cash!) unter Kroneck'er’s Leitung von Froschmuskeln zeichnen ließ. Die Arbeit von Cash, welche den Titel führt „Der Zuckungsverlauf als Merkmal der Muskelart“, muss uns veranlassen noch zu prüfen, ob etwa auch die Form der Muskel- kurve mit Eigentümlichkeiten des Baues der Muskeln zusammenfällt. Zwei Muskeln desselben Tieres von gleicher Geschwindigkeit der Kon- traktion aber möglichst ungleicher Form ihrer Zuckungskurve, letztere außerdem nach dem Beispiel von Cash gewonnen durch Maximalreize und bei einer den Verhältnissen der Querschnitte der Muskeln ent- sprechenden Belastung, wären zu solcher Prüfung zu verwenden. Je- der der beiden Muskeln muss aber ferner auch in sich gleichartig sein, dürfte nicht Fasern von versehiedener Kontraktionsgeschwindig- keit besitzen. Es lässt sich begreiflicherweise im voraus gar nicht sagen, nach welcher Richtung die Untersuchung zu zielen hat und ob überhaupt Differenzen in dem feinern Bau der Muskeln zu erwarten sind; vielleicht lohnt es der Mühe das räumliche Verhältnis der ein- zelnen Abschnitte des Muskelelementes zu einander zu bestimmen, insbesondere das Verhältnis der Querscheibe zu dem übrigen Raume, von dessen Schwankungen bei Insektenmuskeln Engelmann?) sich bereits überzeugt hat. Nicht allein der Zuckungsverlauf, das heißt Länge und Form der Zuckungskurve, charakterisiert die Muskelart, als drittes Merkmal der- selben ist noch hinzuzufügen die absolute Kraft des Muskels, die Kraft, welche gemessen wird durch ein Gewicht, dessen dehnende Kraft jener das Gleichgewicht hält. Vermutungen über Beziehungen zwischen der absoluten Muskelkraft und dem Bau der Mukeln sind auch schon ausgesprochen worden; dieselben sind für uns aber voll- kommen gegenstandslos, weil sie nicht auf Untersuchung von Muskeln . desselben Tieres, nicht einmal derselben Tierart fußen. Auch ver- dienen die meisten Bestimmungen der absoluten Muskelkraft noch nicht genügendes Vertrauen. 0. Nasse (Rostock). 4) J. Th. Cash, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1880. Suppl.-Band. S. 147. 2) Engelmann, Arch. f. die ges. Physiol. XXIII. S. 571. 1880. 182 Otto, Hämoglobin und Methämoglobin. Die neueren Untersuchungen über das Hämoglobin und das Methämoglobin. Von Jak. G. Otto, Assistent am physiologischen Institut zu Christiania. (Vortrag, gehalten in der physiologischen Sektion des internationalen Aerzte- kongresses zu Kopenhagen 1884.) Nachdem durch die bahnbrechenden Untersuchungen von Hoppe- Seyler die Bedeutung des Blutfarbstoffs für den Gasaustausch im Tierkörper festgestellt worden war, hat die wissenschaftliche For- schung sich sehr viel mit dem normalen Blutfarbstoff — dem Hämo- globin — und seinen Derivaten beschäftigt. Die Kenntnis derselben ist dementsprechend in den letzten Jahren sehr fortgeschritten, und obgleich wichtige Punkte bisher noch unaufgeklärt geblieben sind, darf man wohl gegenwärtig den Blutfarbstoff als eme der best studierten und bekannten Substanzen des tierischen Organismus bezeichnen. Einen kurzen Ueberblick über den jetzigen Stand unserer Kenntnis dieses wichtigen Stoffs werde ieh im folgenden zu geben mir er- lauben. Was zuerst die chemische Zusammensetzung des Hämoglobins be- trifft, so sind die Untersuchungen darüber auf lange noch nicht als abgeschlossen zu betrachten. Gewissermaßen sind in der letzten Zeit bedeutende Fortschritte gemacht, die Sache hat aber ihre eigen- tümlichen Schwierigkeiten, die wir mit den heutigen Hilfsmitteln kaum völlig zu überwinden vermögen. Namentlich gilt dies von den elementaranalytischen Ergebnissen, die bei sämtlichen — mit einer einzigen Ausnahme — untersuchten Hämoglobinen durchaus dieselben sind; wegen der hohen Molekulargröße der fraglichen Körper darf ihnen aber kein allzu großes Gewicht beigelegt werden. Wir waren deshalb bis vor kurzem nicht im stande mit eimiger Bestimmtheit zu ent- scheiden, ob der normale Blutfarbstoff der verschiedenen Tierspezies identisch ist oder nicht; die neueren Beobachtungen haben je- doch das letztere sehr wahrscheinlich gemacht. Als eine der ergie- bigsten Untersuchungsmethoden sowohl in qualitativer wie in quanti- tativer Beziehung hat sich die Spektralanalyse und die Spektrophoto- metrie erwiesen, und wir verdanken ihr viele Aufschlüsse über die näheren Eigenschaften der Blutfarbstoffe. Als Resultat einer Reihe von Untersuchungen von Hüfner, von Noorden und mir hat sich ergeben, dass sämtliche bis jetzt untersuchten Hämoglobine in spek- trophotometrischer Beziehung völlig identisch sind. Dies ist um so mehr auffallend, als Kossel und ich nachgewiesen haben, dass we- nigstens eines der Hämoglobine — das Pferdehämoglobin — eine von den übrigen ziemlich abweichende Zusammensetzung hat, was neuer- dings auch von Buchler bestätigt ist, obgleich die spektrophotome- trischen Konstanten keine Abweichungen von der Norm zeigen. Man Otto, Hämoglobin und Methämoglobin. 133 kann allerdings diese Thatsachen so deuten, dass die färbende Gruppe der verschiedenen Hämoglobine dieselbe sei, während das übrigblei- bende Komponent den Unterschied bedinge, aber auch eine solche Annahme reicht kaum zur Erklärung sämtlicher experimenteller Er- gebnisse hin. Die exakten Untersuchungen von Hüfner und seinen Schülern haben nämlich die Sauerstoffsättigungskapazität des Hämo- globins als Funktion seines Eisengehaits festgestellt. Nun liegt aber kaum ein Grund vor, den Eisengehalt desHämoglobins als der färben- den Gruppe desselben nicht angehörig zu betrachten; und demzufolge sollte nach obiger Voraussetzung der Eisengehalt und die Sauerstoff- sättigungskapazität sämtlicher Hämoglobine dieselbe sein, was aber thatsächlich nicht der Fall ist. Entweder muss man also annehmen, dass der Eisengehalt nicht allein der färbenden Gruppe angehörig ist, oder dass dieselbe nicht in sämtlichen Hämoglobinen identisch ist, was sich doch so schwierig mit den spektrophotometrischen Er- gebnissen vereinigen lässt, dass man vorläufig wohl die zuerst ange- führte Hypothese gelten lassen dürfte. Aus der Sauerstoffsättigungskapazität und der elementaren Zu- sammensetzung der Hämoglobine lässt sich das Molekulargewicht und die empirische Formel derselben berechnen, leider zwar nicht mit voller Genauigkeit, aber immer genau genug, um zu zeigen, dass die in dieser Beziehung untersuchten Hämoglobine — Hunde-, Pferde- und Schweinehämoglobin — nicht dasselbe Molekulargewicht hat. Aus allen den neueren Versuchen ist man somit wohl vorläufig wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit zu schließen berechtigt, dass die Hämoglobine verschiedenen Ursprunges verschieden sind, obgleich sie sich in spektrophotometrischer Beziehung durchaus iden- tisch erwiesen haben. Die nächste Frage, die uns bei den normalen Blutfarbstoffen in- teressiert, ist die Quantität, in welcher sie im Blute vorkommen. Es liegen hier sehr zahlreiche Analysen nach’verschiedenen Methoden vor, von welchen die meisten aber mit Fehlerquellen behaftet sind. Ohne in- dess hierauf weiter einzugehen, möchte ich mir nur erlauben die Aufmerksamkeit auf die von Vierordt zuerst eingeführte und später von Hüfner vorzüglich ausgebildete spektophotometrische Methode zu lenken. Eine mehrjährige Erfahrung und die fast tägliche Be- nützung derselben hat mir ihre große Bedeutung klargestellt, indem sie eine große Einfachheit der Ausführung mit Exaktheit der Resul- tate in der wünschenswertesten Weise vereinigt. Wenn man die nötige Uebung darin erworben hat, steht sie, nach meinen verglei- chenden Bestimmungen sowohl an reinen Hämoglobinlösungen wie an Blut, sämtlichen übrigen vorgeschlagenen Methoden weit voraus und gestattet, was grade von Wichtigkeit ist, die Bestimmung des Hämo- globingehaltes des Blutes in einer so minimalen Blutquantität, dass man dieselbe dem blutärmsten Individuum ohne Nachteil entziehen 134 Otto, Hämoglobin und Methämoglobin. kann, indem ein einziger Bluttropfen, durch einen Stich in das Ohr erhalten, vollständig genügt. Zahlreiche Hämoglobinbestimmungen an gesunden Menschen beiderlei Geschlechts haben mir auf diese Weise einen mittlern Gehalt von 14,5°/, Hämoglobin bei Männern, 13,3°/, bei Weibern ergeben. Außerdem besitzt die spektrophoto- metrische Methode noch den Vorzug, dass man mittels derselben gleichzeitig den Gehalt an Oxyhämoglobin und Hämoglobin bestimmen kann. Bekanntlich herrschen in dieser Beziehung verschiedene An- sichten, was das arterielle Blut betrifft, mdem Hoppe-Seyler u. a. glauben, dass das Arterienblut völlig mit Sauerstoff gesättigt ist, Pflü- ger u.a. dagegen, dass es neben Oxyhämoglobin auch noch kleine Mengen reduzierten Hämoglobins enthält. Meine eigne Erfahrung geht in der- selben Richtung wie die Pflüger’s, indem ich in dem arteriellen Blut von Hunden stets etwa 1°/, reduziertes Hämoglobin gefunden habe, was auch mit Hüfner’s Erfahrungen übereinstimmt. Auf diese Weise kann man sogar ohne Auspumpen und Gasanalyse direkt den Sauerstoffgehalt des arteriellen und venösen Blutes bestimmen, indem man die gefundene Oxyhämoglobinquantität nur mit der ein für alle- mal festgestellten Sauerstoffsättigungskapazität des Hämoglobins — 1,202 nach Hüfner — zu multiplizieren braucht, um gleich den Sauerstoffgehalt bei 0°C und Im Druck zu erhalten. Mehrere Kon- trolbestimmungen haben mir ergeben, dass die so gefundenen Werte vollständig mit den durch Auspumpung und Gasanalyse erhaltenen übereinstimmen, so dass kein Zweifel an der Richtigkeit der Resultate herrschen kann, obgleich einzelne Stimmen sich gegen die Anwendbar- keit der spektrophotometrischen Methode überhaupt erhoben haben. Die Verwertung der Spektrophotometrie zur gleichzeitigen Bestimmung zweier Farbstoffe neben einander ist in der letzten Zeit auch von Hüfner und Külz zum feststellen der Quantität Kohlenoxyd, welche das Blut in Berührung mit einer kohlenoxydhaltigen Atmosphäre auf- nimmt, angewandt worden, und ich selbst habe sie zur Bestimmung des Sauerstoffgehaltes im Methämoglobin benutzt. Mittels der Spek- trophotometrie kann man sich auch, was ich wiederholt gemacht habe, von der Richtigkeit der Angabe Heidenhain’s überzeugen, dass das venöse Blut farbstoffreicher ist als das arterielle. Der Wert der Spektrophotometrie zeigt sich übrigens vielleicht am besten dadurch, dass in den letzten 7 Jahren nicht weniger als 4 verschiedene Kon- struktionen zweckmäßiger Spektrophotometer vorgeschlagen worden sind, von welchen die von Vierordt und von Hüfner die am meisten verbreiteten sind, so wie der von Hüfner wegen Einfachheit des Gebrauchs wie Exaktheit der Resultate unbedingt den Vorzug verdient. Unter den Derivaten der normalen Blutfarbstoffe hat sich be- sonders das sogenannte Methämoglobin des allgemeinen Interesses Otto, Hämoglobin und Methämoglobin. 7135 erfreut. Es wurde zuerst von Hoppe-Seyler als spontanes Zer- setzungsprodukt des Hämoglobins beobachtet und bald nachher auch von anderen Forschern gefunden. Anfangs wurde die selbstän- dige Existenz oder Nichtexistenz desselben ziemlich lebhaft diskutiert, weil es in spektral-analytischer Beziehung eine große Aehnlichkeit mit dem Hämatin in saurer Lösung besitzt, nach und nach wurde aber dessen substantielle Natur mehr und mehr klar, bis es schließ- lich im J. 1882 Hüfner und mir gelang, den endgiltigen Beweis dafür zu liefern, indem wir das Methämoglobin aus Schweineblut krystallinisch darstellten und seine chemischen und physikalischen Eigenschaften näher studierten. Später ist es auch gelungen, das krystallinische Methämoglobin aus anderen Blutarten (Pferde- und Hundeblut) zu gewinnen, und es hat sich dann gezeigt, dass die Met- hämoglobine verschiedenen Ursprungs sich in keiner Weise weder chemisch noch physikalisch verschieden verhalten. Jedoch wird es wahr- scheinlich erscheinen, dass ebenso viele Methämoglobine wie Hämo- globine existieren, unter der Voraussetzung, dass die Hämoglobine aus verschiedenen Blutarten nicht identisch sind. Indess fehlen bis jetzt alle Beweise für die Verschiedenheit der Methämoglobine. Das Methämoglobin unterscheidet sich bekanntlich in zweierlei Beziehungen scharf von dem zugehörigen Oxyhämoglobin, erstens durch sein Spektrum, zweitens dadurch, dass es keinen beim Aus- pumpen austreibbaren Sauerstoff enthält. Dass es jedoch etwas Sauerstoff in lockerer Bindung besitzt, haben Hüfner und Külz bewiesen, welche fanden, dass die Einwirkung von Stickoxyd das Methämoglobin in Stickoxydhämoglobin umwandelt unter Bildung von salpetriger Säure aus dem überschüssigen Stickoxyd, d. h. dass das Stickoxyd einen gewissen Teil des Sauerstoffs des Methämoglobins austreibt und ersetzt. Es wurde nun die Frage sehr lebhaft diskutiert, ob das Methämoglobin mehr oder weniger Sauerstoff als das zuge- hörige Oxyhämoglobin enthält; dass es sauerstoffreicher als das re- duzierte Hämoglobin ist, geht schon daraus hervor, dass es mit redu- zierenden Mitteln behandelt in das letztgenannte übergeht. Hoppe- Seyler u. a. haben nun gefunden, dass diese Reduktion direkt statt- findet, und schließen daraus, dass das Methämoglobin sauerstoffärmer als das Oxyhämoglobin ist, während Jäderholm, Saarbach u. a. der gegenteiligen Ansicht huldigen, gestützt aufihre Erfahrungen, dass das Methämoglobin bei der Reduktion zuerst Oxyhämoglobin und dann reduziertes Hämoglobin bilde. Wie so oft liegt auch hier die Wahr- heit in der Mitte, indem ich (Februar 1883) nachgewiesen habe, dass das Methämoglobin gleichviel Sauerstoff wie das zugehörige Oxy- hämoglobin enthält, was auch die früheren entgegengesetzten Re- sultate genügend erklären kann. Die Methode, welcher ich mich dazu bediente, bestand in der Auspumpung einer Oxyhämoglobin- lösung von bekanntem Gehalt, die während des Auspumpens_ teil- 736 Otto, Hämoglobin und Methämoglobin. weise in Methämoglobin übergeführt wurde, nachheriger spektropho- tometrischer Bestimmung der beiden Farbstoffe und Vergleichung des „verschwundenen“ (d. h. in Methämoglobin übergeführten) Oxyhämo- globins mit dem erhaltenen Gasvolum. Es stellte sich dann heraus, dass die verschwundenen Mengen Oxyhämoglobin und Sauerstoff einander völlig entsprachen, woraus sich der Schlusssatz ergibt, dass Oxyhämoglobin und Methämoglobin gleich viel Sauer- stoff enthalten, weleher nurin dem Methämoglobin fester gebunden als indem Oxyhämoglobin ist. Dasselbe Resultat wurde gleich nachher von Hüfner und Külz durch eine ganz an- dere Methode erhalten, indem sie die durch Einwirkung von Stick- oxyd auf gleiche Mengen Oxy- und Methämoglobin gebildete salpe- trige Säure verglichen. Dies geschah mittels Zersetzung der letzteren durch Harnstoff und Messung des freigebliebenen Stickstoff- volums, welches sie bei beiden Stoffen gleich fanden. Es kann somit kaum ein Zweifel mehr über die Richtigkeit dieses Resultates herrschen. Damit dürften wohl vorläufig die Untersuchungen über die che- mische Natur des Methämoglobins als abgeschlossen betrachtet wer- den, indem gegenwärtig kaum zu hoffen ist, einen nähern Einblick in die Konstitution derartiger Körper zu gewinnen. Eine spätere, physiologisch sehr interessante Beobachtung hat jedoch v. Mering gemacht. Er wies nämlich nach, dass keine Met- hämoglobinbildung in defibriniertem Blute durch die gewöhnlichen methämoglobinbildenden Reagentien vor sich geht, solange die Blut- körperchen noch erhalten sind, dass dagegen eine solche gleich ein- tritt, sobald dieselben durch Wasser oder andere Mittel zerstört wurden. Es folgt hieraus mit großer Wahrscheinlichkeit, dass die Methämoglobinbildung im Organismus auch dann erst geschehen kann, wenn ein Teil der Blutkörperehen zu grunde gegangen ist. Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben ist erschienen: Das Sauerstoff-Bedürfniss des Organismus. Eine farbenanalytische Studie von Prof. Dr. P, Ehrlich. 1885. gr. 8. Preis: 3 Mark 60 Pf. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wün- schen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten an- zugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, Peyeln Institut“ zu richten. Verlag ı von Eduard B Besold inE Erlangen. _ Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. &. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Nr. 24. WB 15. Februar 1885. Inhalt: Fiseher, Untersuchungen über das Siebröhrensystem der Oucurbitaceen. — L. von Graff, Zur Kenntnis der physiologischen Funktion des Chlorophylis. — Wilekens, Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläonto- logie der Haustiere. 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären For- men desselben. — Hansen, Ueber das Chlorophyligrün der Fucaceen. — Kühn, Fruchtbarkeit der Gayalbastarde. — Marine Biological Association. A. Fischer, Untersuchungen über das >iebröhrensystem der Uucurbitaceen. Ein Beitrag zur vergleichenden Anatomie der Pflanzen. 4°. 1098. Mit 6 litho- graphierten Tafeln. Berlin 1884, Gebrüder Bornträger. Die Cueurbitaceen sind vor allen übrigen genauer untersuchten Gefäßpflanzen durch die ungewöhnlich reichliche Entwicklung und Gliederung des Siebröhrensystems ausgezeichnet. Sie boten daher den bisherigen Studien über den Bau und die Entwicklung der Sieb- röhren die bequemsten Objekte, über welche bereits mehrere Arbeiten vorliegen. Diese beziehen sich aber vornehmlich nur auf die einzelne Siebröhre, beziehungsweise die Glieder einer solchen, und suchen deren Entstehung und Struktur sowie die Beschaffenheit des Inhalts darzulegen. Im Gegensatze zu diesen Bestrebungen fasst die ange- zeigte, sehr interessante und inhaltsreiche Abhandlung vor allem die Verbreitung und Anordnung der Siebröhren bei den Cucurbitaceen ins Auge, vervollständigt aber auch manche entwicklungsgeschicht- liche Angaben, studiert die Endigungen des Siebröhrensystems in den Blättern und übt Kritik an den bisher veröffentlichten Anschauungen über das Wesen des Siebröhreninhaltes. Nebenbei wird gezeigt, dass die herrschenden Ansichten über die zeitliche Beziehung zwischen Längenwachstum und Ausbildung der Gewebe (Gewebeformung) we- nigstens für die Stengelglieder der Cueurbitaceen nicht zutreffen. Der Verf. beschreibt zunächst das Siebröhrensystem in der Spross- 47 138 Fischer, Untersuchungen über das Siebröhrensystem. achse von Cucurbita. Indem er die Entwicklung desselben in den heranwachsenden Internodien verfolgte, gelangte er zu dem interes- santen Ergebnis, dass dieselbe ihren Höhepunkt noch vor vollendeter Streekung der Internodien erreicht und hierauf wieder zurückschreitet. Bei Cucurbita besitzt die Region des Längenwachstums eine unge- wöhnlich große Ausdehnung und umfasst etwa 22 Internodien. Die Mehrzahl derselben (15) verlängert sich durch Zellteilung (meriste- matisches Wachstum), die übrigen durch Zellstreekung (ameristi- sches Wachstum). Entgegen der herrschenden, von Sachs aus- gesprochenen Ansicht, nach welcher die endgiltige Ausbildung der Gewebe erst nach vollendetem Längenwachstum eintritt, erreichen nun bei Cucurbita die Rindenschichten und einzelne Abschnitte des Siebröhrensystems schon während der meristematischen Streckung ihren fertigen Zustand, auf welchem die letzteren aber nur während des folgenden ameristischen Längenwachstums der Internodien ver- bleiben, um mit dem Abschluss desselben eine Rückbildung zu erlei- den, die zur Vereinfachung des Siebröhrensystems führt. Auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung, nach erfolgter meristematischer Inter- nodienstreckung, beschränkt sich dasselbe nicht auf die Gefäßbündel, sondern breitet sich in reichster Gliederung auch in der Rinde aus. Hier entstehen schon frühzeitig zahlreiche Siebröhren (im 5. Interno- dium, nach begonnener Ausbildung von solchen in den jungen Gefäß- bündeln), zunächst außerbalb der Anlage des „Steifungsringes“ — einer mehrschichtigen Ringzone diekwandiger Zellen. Etwas später treten auch an der Innenseite desselben rindenständige Siebröhren auf. Der Verf. nennt dieselben entozyklische zum Unterschiede von den äußeren, ektozyklischen. Die letzteren rücken zunächst bis dicht unter die Epidermis heran und kommen so vollständig innerhalb des noch unfertigen Kollenchyms zu liegen. In dem Maße, als dieses sich ausbildet und sie einschließt, vermehrt sich ihre Zahl durch das Auf- treten neuer Anlagen im eigentlichen Rindenparenchym, zwischen Kollenehym und Steifungsring (ektozyklische Siebröhren zweiter Serie). Die Längsstämmehen sowohl der ekto- als auch der entozyklischen Siebröhren treten durch zahlreiche radiale und tangentiale Queranasto- mosen — Kommissuren — miteinander in Verbindung. Solche stellen sich auch zwischen den entozyklischen Siebröhren und den Gefäß- bündeln her. Auf diese Weise entsteht außerhalb wie innerhalb des Steifungsringes ein reichgegliedertes Netzwerk rindenständiger Sieb- röhren, dessen Ausbildung mit dem Abschluss der meristematischen Streckung (im 16. Internodium) beendet ist. Der Steifungsring wird jedoch nicht von Kommissuren durchsetzt, und der äußere (ektozy- klische) Teil des Siebröhrensystems der Rinde kann somit nur in den Stengelknoten mit dem innern und durch diesen mit den Siebteilen der Gefäßbündel in Verbindung treten. Die rindenständigen (peripherischen) Siebröhren nebst ihren Kom- Fischer, Untersuchungen über das Siebröhrensystem. 159 missuren werden in bekannter Weise von Geleitzellen begleitet. Außer diesen sind meistens auch noch Nebenzellen vorhanden, d. h. Zellen, welche nach der Abscheidung von Siebröhrengliedern und Geleitzellen aus gemeinschaftlichen Mutterzellen übrig geblieben sind, gleichsam die Reste der letzteren darstellen; den einzelnen Siebröhren- strang mit seinen Geleitzellen und Nebenzellen bezeichnet der Verf. als Siebbündelchen. Zwischen je zwei benachbarten Siebbündelchen liegen auf dem Querschnitt gewöhnlich nicht mehr als 5—6 Rinden- zellen, und da auch die Kommissuren in der Regel nur durch ebenso viele Zellenlagen getrennt sind, so lässt sich die Häufigkeit der rin- denständigen Siebröhren annähernd ermessen. Diese reiche Gliederung des peripherischen Siebröhrensystems ist aber nur in wenigen, 2—3 Internodien der Sprossachse vorhan- den, nämlich, wie bereits angegeben, nur in denjenigen, welche ihre meristematische Streckung vollendet haben und in die „ameristische“ eingetreten sind. Die letztere wird sehr rasch zurückgelegt. Hat sie im 17. Internodium begonnen, so ist sie im 22. bereits erloschen, und damit ist auch das peripherische Siebröhrennetz außer Thätigkeit getreten und größtenteils unkenntlich geworden — obliteriert. Von nun ab beschränkt sich das Vorkommen von Siebröhren auf die Ge- fäßbündel und die Kommissuren zwischen diesen. Der geschilderte Entwicklungsgang des Siebröhrensystems in den Stengelgliedern der Kürbispflanze ist, wie der Verf. in einem beson- dern Kapitel ausführt, durch den Eiweißverbrauch in den heran- wachsenden Internodien bedingt. Die erstgebildeten ektozyklischen Siebröhren haben die zum Aufbau des Kollenchyms nötigen Baustoffe zu liefern und vielleicht auch die zahlreich entstehenden Haargebilde der Oberhaut zu ernähren. Für die erstere Aufgabe spricht die Be- schränkung ihres Vorkommens auf diejenigen Stellen des Rindenum- fangs, an welchen Kollenchymstränge zur Ausbildung kommen. Ist letzteres geschehen, und sind die dabei beteiligten Siebröhren voll- ständig von fertigem Kollenehym umgeben und durch dieses von der übrigen Rinde abgeschnitten, so entstehen zur weitern Ernährung der äußeren Rindenschichten ektozyklische Siebröhren zweiter Reihe zwischen Kollenchym und Steifungsring. Die plastischen Baustoffe, welche dieser zu seiner Entwicklung bedarf, werden ihm durch die an seiner Innenseite auftretenden entozyklischen Siebröhren geliefert. Demgemäß sind diese dort am häufigsten, wo sich die Zellen des jungen Steifungsringes am reichlichsten vermehren (im 13.—15. Inter- nodium). Die zahlreichen Kommissuren ermöglichen die Entleerung obliterierender Siebröhren nach den noch in Thätigkeit bleibenden Teilen des Systems, wirken als „zurückleitende“* Bahnen. Im Gegensatze zu den noch in Streckung begriffenen Stengel- gliedern sind die ausgewachsenen nur mehr in den Zuwachszonen der Gefäßbündel und Markstrahlen einer Eiweißzufuhr bedürftig. Für AT 740 Fischer, Untersuchungen über das Siebröhrensystem. diese genügt das hier auf die Bastteile der Gefäßbündel und ihre Kommissuren beschränkte, in den „oligomeren“ Zustand eingetretene Siebröhrensystem. Den Grund für die so nngewöhnlich reichliche Verstärkung des Siebröhrensystems in den heranwachsenden Stengelgliedern von Cu- curbita möchte Verf. in der raschen Entwicklung dieser Pflanze zu gewaltigen Ausmaßen erblicken, welche naturgemäß einen erhöhten Aufwand an Eiweißstoffen bedingt. Durch diesen wird aber „unseren Voraussetzungen gemäß der wagerechte Wirkungskreis der einzelnen Leitungsbahnen stark eingeengt und infolge dessen eine reichere Glie- derung des internodialen Siebröhrensystems notwendig.“ Auch im hypokotylen Glied treten während der meristematischen Streckung sowohl in der Rinde als auch im Marke Siebbündelehen auf, um nach beendetem Längenwachstum des ersteren zu obliterieren. Dagegen beschränkt sich in den Wurzeln der Kürbispflanze auch in der Region des Längenwachstums das Siebröhrensystem auf den Raum innerhalb der Schutzscheide, und verbreitet sich niemals in die Rinde, was sich aus dem überaus einfachen Bau der letztern zur genüge erklärt. In den Rankenstielen, deren anatomischer Bau mit dem der Stengelglieder übereinstimmt, durchläuft das Siebröhrensystem während des Wachstums dieselbe Gliederung wie in den letzteren. In den Rankenarmen ist das gleiche der Fall, doch beschränkt sich hier die Ausbildung entozyklischer Siebröhren auf die Unterseite, wo allein ein (unterbrochener) „Steifungsring“ zur Entwicklung gelangt. Mit dem vollständigen Fehlen eines solchen in den Blattstielen und stär- keren Blattnerven kommen die entozyklischen Siebröhren gänzlich in Wegfall. In den mittelstarken, feinen und feinsten Nerven bleiben wegen des geringen Durchmessers auch die ektozyklischen Siebröhren aus. Von den Endigungen des Siebröhrensystems in der Blattspreite wird weiter unten die Rede sein. Der Entwicklungsgang und die Gliederung des Siebröhrensystems in den Blütenstielen von Oucurbita sind wesentlich die nämlichen wie in den Stengelgliedern. Interessante Verhältnisse bietet der Frucht- knoten. Während sich die Siebröhren in den jüngeren Entwieklungs- zuständen desselben auf die Gefäßbündel beschränken, gelangt mit seiner zunehmenden Befruchtungsfähigkeit zunächst in der Wand und dann auch im Innern (namentlich im Leitgewebe der Pollenschläuche) ein reichgegliedertes System von Siebbündelehen zur Ausbildung. Diese werden nach der Befruchtung in der äußern, dureh meriste- matisches Wachstum sich gewaltig vergrößernden Wandschicht (Torus- schicht) noch erheblich vermehrt; im Innern des jungen Fruchtkno- tens, wo die Volumenzunahme fast ausschließlich durch Wasserein- lagerung bewirkt wird, während zur Ernährung der Samenknospen Fischer, Untersuchungen über das Siebröhrensystem. 7141 die vorhandenen Bildungsbahnen genügen, bleibt dagegen das Sieb- röhrensystem auf der erreichten Entwicklungsstufe stehen. Die Ausbildung von Siebröhren im Leitgewebe der Pollenschläuche, die nicht nur im Fruchtknoten, sondern auch in der Griffelsäule statt- findet, und zwar zu einer Zeit, in welcher die Gewebeformung bereits ihren Abschluss gefunden hat, deutet auf eine bisher nicht gewür- digte Aufgabe dieses Gewebes. Dasselbe dürfte die Pollenschläuche auf ihrem langen Wege von der Narbe bis zu den Samenknospen zu ernähren haben. Dass die ersteren sich hier unter günstigen Er- nährungsverhältnissen befinden, bezeugt ihre außerordentlich reich- liche Verzweigung. Kleine Seitenäste, welche gegen den Umfang des Leitgewebes gerichtet sind und bis zu den Siebröhren desselben vor- dringen, könnten bei dieser Nahrungsaufnahme eine Vermittlerrolle spielen. Die Untersuchung der Verbreitung des Siebröhrensystems in den Blättern führte den Verf. zur genauern Beobachtung des Verhaltens der hier ausgebreiteten Gefäßbündelenden. Dieselben sind wie die stärkeren Nervenstämme und die Gefäßbündel der Internodien bikollateral gebaut, d. h. sie führen einen obern (innern) und einen untern (äußern) Siebteil. Im jenem grenzt das letzte Siebröhrenglied mit seinem blinden Ende unmittelbar an das grüne Blattparenchym. Der untere Siebteil aber wird schließlich nur noch von einer (meist einfachen) Reihe plasmareicher, chlorophylifreier, niemals stärkehal- tiger Zellen gebildet. Die Wandung dieser „Uebergangszellen“ be- steht aus reiner Cellulose, verholzt niemals und scheint keine Tüpfel zu besitzen. Deutliche Siebröhren treten im unteren Siebteil also erst in einiger Entfernung vom freien Bündelende auf. Die Uebergangs- zellen rücken dann an die Flanken des erstern, bis sie endlich mit der Ausbildung eines farblosen „Nervenparenchyms“ um die stär- keren Bündelstämme des Blattes verschwinden. Da die oberen Sieb- teile im ausgewachsenen Blatte obliteiiert erscheinen, so möchte der Verf. annehmen, dass sie nur zur Ernährung der jungen, noch un- fertigen Blattbündel selbst dienen, während die unteren Siebteile des entwickelten Blattes die Bereitung von Eiweißstoffen aus den Assimi- lationsprodukten und die Weiterleitung der ersteren zu besorgen haben. Die oben mitgeteilten Angaben des Verf. über den Bau der Ge- fäßbündelendigungen im Blatte von Cxeurbita stimmen im wesent- lichen mit dem überein, was A. Koch kürzlich über den nämlichen Gegenstand veröffentlicht hat !). In den Bemerkungen über den Inhalt und die Obli- teration der Siebröhren setzt der Verf. zunächst ausführlich auseinander, dass die bis jetzt üblichen Präparationsmethoden den 1) Botan. Zeit. 1884. 142 Fischer, Untersuchungen über das Siebröhrensystem. Inhalt der Siebröhren in keinem Falle intakt zur Anschauung bringen konnten — eine Thatsache, welche schon von Nägeli!) wie auch vom Referenten ?) hervorgehoben worden war. Auch das vom Verf. versuchsweise angewendete Verfahren des Einlegens möglichst unver- letzter junger Pflanzen oder sehr siebröhrenreicher Pflanzenteile (junger Früchte) in Alkohol ergab keine untrüglichen Resultate. Wenn der Verf. meint, aus der Anordnung, welche der Siebröhreninhalt in vertrockneten Kürbisstengelgliedern zeigt, auf die inneren Zustände der Siebröhren noch lebender Internodien schließen zu können, so dürfte solchen Folgerungen auch keine erhebliche Beweiskraft zukommen. Während man bisher der Meinung war, dass in den Siebröhren neben dem charakteristischen „Schleim“, der das Lumen der Röhre in Strang- form durchsetzt und an den Siebplatten einseitige Ansammlungen bildet, noch eine wässerige Flüssigkeit als „Siebröhrensaft“ vorhan- den sei, möchte der Verf. annehmen, dass der eiweißartige Schleim seine Leitungsbahnen in der unverletzten Pflanze prall ausfüllt, und dass jene „gewöhnlich als typisch beschriebene Anordnung des Sieb- röhreninhaltes ein Kunstprodukt, eine Folge der durch die Verletzung der Pflanze herbeigeführten gewaltsamen Schleimentleerungen sei.“ Thatsächlich fand der Verf. in jungen Kürbisfrüchten, welche, ohne selbst verletzt zu werden, mit ihren Stielen abgeschnitten und gleich in Alkohol eingelegt wurden, alle Glieder des reich verzweigten Siebröhrensystems der Wandung von einem weißlichen oder gelb- lichen Schleim dicht ausgefüllt, und solehes kam gelegentlich auch in den internodialen Kommissuren zur Beobachtung. Der Schleim schien in diesen Fällen der Siebröhrenwand unmittelbar anzuliegen, wenigstens gelang es dem Verf. nicht, für denselben einen „Hüll- schlauch“ nachzuweisen ?). Auf das vom Verf. betonte ähnliche Ver- halten der Siebröhren in abgedorrten Internodien möchte der Ref. kein besonderes Gewicht legen, weil dasselbe doch nicht wohl ohne weiteres dem in der lebenden Pflanze herrschenden gleichgesetzt wer- den kann. Es ist möglich, dass die Ansicht des Verf. über den Sieb- röhreninhalt, welehe von der gewöhnlichen, durch eine allerdings un- vollkommene Untersuchungsmethode gewonnenen abweicht, wenigstens für Cueurbita das Richtige trifft. Solange jedoch der Verf. auch aus seinen Erörterungen das fatale Fragezeichen nicht wegschaffen kann, 1) Sitzungsberichte der Münchener Akademie, 1861 2) Beiträge zur Kenntnis des Siebröhrenapparates dicotyler Pflanzen, Leipzig 1880. 3) Wenn der Verf. bei dieser Gelegenheit sagt, dass auch die gegliederten Milchröhren keinen protoplasmatischen Wandbeleg besäßen, so hat er über- sehen oder vergessen, dass ein solcher für diese Organe neuerer Zeit von Treub und E. Schmidt beschrieben wurde (Bot. Zeit. 1882, Nr. 27 u. 28). Der Ref. Fischer, Untersuchungen über das Siebröhrensystem 7145 dürfte es sich empfehlen, die Vorstellungen anderer etwas weniger geringschätzig zu behandeln, als es in der vorliegenden Arbeit ge- schieht. Letzteres gilt auch für die Auseinandersetzungen des Verf. über die Schleimbewegung in den Siebröhren. Von dieser wissen wir zur Zeit fast nichts, und nachdem sich der Verf. ausdrücklich außer stande erklärt, jetzt schon „eine abgeschlossene Theorie der Sieb- röhrenmechanik*“ zu geben, so hätte er auch hier, in anbetracht der „Schwierigkeit des Problems“, den einschlägigen Versuchen anderer, aus den Zuständen gewaltsam entleerter Siebröhren wenigstens einige Anhaltspunkte zur Beurteilung der Beschaffenheit und Bewegung des Inhaltes zu gewinnen, eine etwas gerechtere Würdigung nicht ver- sagen sollen !),, Was der Verf. über die Wirkung der Durchbrechung der Siebplatten auf die Anordnung des Schleimes in den Siebröhren- gliedern, sowie über die Bewegung des letzteren (die jedoch kaum als wirkliche „Strömung“ aufzufassen sein dürfte) und über ihre Ur- sachen sagt, ist sehr beachtenswert, jedoch, wie es der Natur der Sache nach nicht anders sein kann, mehr oder minder hypotethischen Charakters. Dass übrigens, wenn eine Schleimbewegung in den Sieb- röhren überhaupt stattfindet, dieselbe nach „den Verbrauchsorten und nach den Bildungsstätten neuer Siebröhren gerichtet sein muss“, leuchtet ohne weiteres ein, und ein stichhaltiger Einwurf gegen die wohl all- gemein geteilte Ansicht, das Siebröhrensystem diene als „Wanderungs- bahn der Eiweißsubstanzen“, lässt sich zur Zeit nicht erheben ?). Eine nähere Kenntnis von diesen Eiweißsubstanzen besitzen wir gegenwärtig noch nicht. Sie sind jedenfalls vom Protoplasma ver- schieden, und man hat sie daher im Gegensatze zu diesem als nicht organisiertes (zirkulierendes) Eiweiß bezeichnet. Ihre Bildungsstätte möchte der Verf. in die Geleitzellen, im Blatte auch in die Ueber- gangszellen verlegen, welche beide sehr plasmareich sind und einen großen Zellkern besitzen, während in den offenen Siebröhrengliedern der Kern verschwunden und das Protoplasma auf einen äußerst dünnen 1) Der Ref. bezieht dies auf die Behandlung, welche den einschlägigen Stellen seiner „Beiträge zur Kenntnis des Siebröhrenapparates“ seitens des Verf. zu teil wird. Der letztere meint dieselbe dadurch zu rechtfertigen, dass er die Beobachtungs- und Darstellungsweise des Ref. in ein schiefes Licht stellt (S. 43, Note 1). Sachlich wird ein solches Vorgehen wohl kaum ge- nannt werden können. Der Ref. denkt übrigens auf diesen Gegenstand an einem andern Orte noch zurückzukommen. K. Wilhelm. 2) Die Vermutung Hanstein’s, dass die Siebröhren zur Verarbeitung und Fortleitung dynamischer Reize dienten und somit den tierischen Nerven vergleichbar wären, sowie die Hypothese Nägeli’s, welcher in den Siebröhren die Vermischung des aus den verschiedenen Organen der Pflanze stammenden „Idioplasmas“ vor sich gehen lässt, haben doch zu wenig thatsächlichen Bo- den, um ernstlich in betracht zu kommen. 144 Fischer, Untersuchungen über das Siebröhrensystem. Wandbeleg (Hüllschlauch), der nach dem Verf. sogar ganz fehlen kann, beschränkt ist, so dass man die letzteren nicht wohl als Ent- stehungsorte von Eiweiß betrachten kann. — Ueber die Bedeutung des gelegentlichen (bei Cucurbita jedoch niemals beobachteten) Auf- tretens von Stärkekörnern in den Siebröhren sind bis jetzt nur Ver- mutungen möglich. Die Ursache der „Obliteration“ älterer Siebröhren erblickt Verf. einzig und allein im Druck des umliegenden Gewebes. Anlass zu solchem gibt zunächst die ameristische Streckung der Stengelglieder, wobei die rindenständigen Siebröhren in die Länge gezerrt und dem- gemäß zusammengedrückt werden, und sodann das sekundäre Dicken- wachstum. Schließlich gibt der Verf. eine interessante Darstellung der Glie- derung des Siebröhrensystems in der Familie der Cueur- bitaceen. Dasselbe zeigt hier sechs Entwicklungsstufen. Auf der untersten (Alsomitra, Gerradanthus) fehlen peripherische Siebröhren und Kommissuren vollständig, und die Gefäßbündel sind einfach kollateral. Der folgende Typus (Lufa, Momordica, Thladiantha u. a.) ist von jenem nur durch die bikollateralen Gefäßbündel verschieden. Einen Fortschritt zeigt der Bryonia-Typus durch das Auftreten ento- zyklischer Siebröhren. Derselbe wird bei Cyelanthera, Eecballium, Colocynthis u. a. durch die Ausbildung weniger Kommissuren zwischen den einzelnen entozyklischen Siebröhren, sowie zwischen diesen und den einzelnen Gefäßbündeln vervollkommt. Eine höhere Entwiecklungs- stufe stellt der Lagenaria- Typus mit den Gattungen Citrulus, Cu- cumis, Sieyos u. a. durch das Auftreten zahlreicher soleher Kommis- suren dar, und im Oucurbita-Typus begegnen wir endlich der voll- kommensten Gliederung des Siebröhrensystems, welches nun auch ektozyklische Siebröhren und nach allen Riehtungen durch das Grund- gewebe ausgebreitete Kommissuren enthält. — Die Erklärung dieses verschiedenen Verhaltens nahe verwandter Pflanzen während der In- ternodienstreckung sucht der Verf. in der relativen Entwieklung, Zahl und Stellung der Gefäßbündel und in dem ungleichen Bestreben, den Siebröhreninhalt möglichst auszunützen. Eine Verwertung der Glie- derung des Siebröhrensystems zur Unterscheidung der untersuchten Gattungen und Arten erklärt der Verf. für unthunlieh; diese bei vielen Arten übereinstimmenden Verhältnisse liefern ebenso wenig brauchbare diagnostische Merkmale, als sie uns tiefere Einblieke in die Stamm- verwandtschaft der Oueurbitaceen gestatten. Der Verf. führt dies in einem besondern Kapitel: „das Siebröhrensystem und die natürliche Systematik“ näher aus, und wenn er auch nicht daran zweifelt, „dass durch sorgfältige Untersuchungen selbst zwischen nahe verwandten Arten anatomische Unterschiede sich werden ausfindig machen lassen“, so hegt er doch „gerechte Bedenken, anzunehmen, dass die anato- mische Systematik uns über das schwere Kreuz der Species und Sub- 7 Graff, Zur Kenntnis der physiologischen Funktion des Chlorophylis. 745 species, der Varietas und Subvarietas, der Formen «, 8 und y hin- weghelfen wird“. Die allgemein übliche morphologische Methode wird hier trotz ihrer Mängel immer den Vorzug verdienen, gelegent- lich aber in der gleichzeitigen Berücksichtigung des anatomischen Baues eine willkommene Unterstützung finden. — Wie man aus dem Vorstehenden, welches selbstverständlich nur das wichtigste aus der inhaltsreichen Arbeit des Verf. besprechen konnte, ersieht, hat der letztere seinen Gegenstand sehr eingehend und vielseitig behandelt. Eine sorgfältig ausgearbeitete Inhaltsüber- sicht erleichtert die Orientierung wesentlich, und die schön ausge- führten Figurentafeln unterstützen den Text auf das wirksamste. Dass die Darstellung hier und da etwas zu breit geriet, kommt an- gesichts der schönen Gesamtleistung des Verf. kaum in betracht. K. Wilhelm (Wien). L. v. Graff, Zur Kenntniss der physiologischen Funktion des Chlorophylis im Tierreich. Zoologischer Anzeiger 1834, VII, Nr. 177; 7 Seiten. Gegenüber der Behauptung von Brandt, dass Aydra viridis durch die ehlorophylihaltigen Zellen ihres Gewebes sich ernähre, führt der Verf. die Resultate einiger Kulturversuche an, welche nach ihm diese Ansieht widerlegen. In 8 Bechergläsern wurden je 3 Exemplare der Hydra gesetzt; 4 Gläser davon A, B, C, D erhielten Aquariumwasser, welches reich an niederen Organismen war; 4 andere E, F, G, H be- kamen filtriertes Wasser. Je zwei Gläser der beiden Abteilungen €, D und G, H wurden verdunkelt, die anderen A, BundE, F diffusem Lichte ausgesetzt. In A, C und E, G wurde das Wasser täglich gewechselt, in den anderen Gläsern B, D und F, H dagegen nicht, nur das nach einigen Wochen verdunstete nachgefüllt. Das Resultat war, dass in dem Verlauf von 35 Tagen ziemlich gleichzeitig am Ende der Zeit die 3 Exemplare in den Gläsern E und G abstarben, also in solchen, welche filtriertes Wasser enthielten; E stand hell, &@ dunkel. Nach dem 82. Tage waren auch die Exemplare in den dunkel gehaltenen Gläsern D und H gestorben; ersteres enthielt Organismen, letzteres keine. Nach dem 109. Tage, an welchem der Versuch beendet wurde, waren nur in den Gläsern A und B, welche beleuchtet waren und organismenhaltiges Wasser führten, je zwei Exemplare der Hydra viridis lebend geblieben; alle anderen waren tot. Nach dem Verf. geht aus diesen Versuchen klar hervor, „dass die Algen oder Pseudo- chlorophylikörper der Hydren keinerlei Bedeutung für die Ernährung derselben haben.“ Einen solchen Schluss aus den gegebenen Resultaten zu ziehen, hält Ref. für nicht berechtigt; dieselben sprechen weder für noch - 746 Graff, Zur Kenntnis der physiologischen Funktion des Chlorophylis. gegen die Ansicht von Brandt. Wenn man sehr kritisch sein wollte, müßte man sagen, dass Versuche mit so wenigen Exemplaren einer Spezies, bei welcher die individuellen Schwankungen nicht genauer bekannt sind, auch nicht viel beweisen können, um so weniger, als die erhaltenen Resultate wenig prägnant sind. Denn beispielsweise in dem dunkel gehaltenen Gefäß D mit Organismen waren die3 Hydra-Exemplare schon nach dem 63. Tage gestorben, in dem dunkel gehaltenen Ge- fäß H mit filtriertem Wasser aber erst am 82. Tage. Wenn man nun etwas mehr Vertrauen hat, dass weitere Versuche ein ähnliches Re- sultat zeigen würden, so könnte man doch nur sagen, dass bei längerer Kultur allein diejenigen Hydren gut fortzukommen scheinen, welche beleuchtet und denen kleine Organismen zugänglich sind. Wollte man noch vertrauensseliger sein, könnte man auch hinzufügen, dass ein längerer Aufenthalt in filtriertem Wasser schädlich wirkt. Damit würde die Ansicht, nach welcher die grünen Hydren auf die Dauer allein durch Ernährungsthätigkeit ihrer Algen fortleben können, zwar nicht endgiltig wiederlegt, aber nicht wahrscheinlich gemacht sein. Es geht nun aber auch aus dem ganzen Verhalten der Hydren hervor, dass diese Tiere lebhaft fressen. Die eigentliche Hauptfrage ist, ob neben der tierischen Form der Ernährung die grünen Hydren durch die Vegetation ihrer Algen bestimmte für ihr eignes Leben förder- liche oder vielleicht sogar notwendige Stoffe gewinnen, und diese Frage wird durch die Versuche des Verf. nicht berührt. Wollte man so schließen wie der Verf. es thut, so müsste man ebenso sagen, dass bei der Drosera, weil sie im dunkeln auf die Dauer nicht von tierischen Stoffen allein sich ernähren könne, anderseits dann am besten wächst, wenn sie beleuchtet und der Insektenbesuch nicht behindert ist, der Insektenfang keinerlei Bedeutung für die Pflanze habe. Ein soleher Schluss würde bei der Drosera noch berechtigter sein, weil die Thatsache vorliegt, dass die Drosera sich ganz gut eine Zeit lang auch ohne Insekten behelfen kann. Der entsprechende Versuch des Verf., die Kultur der Hydren in den dunkel gestellten Gläsern © und D, beide Organismen enthaltend, ist wenig beweis- kräftig. Denn in D waren die Exemplare am 63. Tage tot, früher selbst als die 3 Hydren in dem dunkel gestellten Gefäß H mit filtriertem Wasser; in © starben die 3 Exemplare erst zwischen dem 105. und 109. Tage, also ein so ungleiches Verhalten, aus dem sich sicheres nicht folgern lässt. Bei Droser« haben Ernährungsversuche, be- sonders diejenigen, welche Büsgen (Bot. Zeitg. 1883 Nr. 35—38) angestellt hat, dargelegt, wie sehr förderlich der Insektenfang für das Leben besonders die Fruchtbildung der Pflanze ist; und das Gleiche kann mit der assimilatorischen Thätigkeit der Algen für Hydra ver- bunden sein, wenn auch sonst hier die Verhältnisse so ganz anders liegen. In soweit hat allerdings der Verf. recht, wenn er die Beweiskraft Graff, Zur Kenntnis der physiologischen Funktion des Chlorophylis. 747 der Brandt’schen Versuche mit Hydra bestreitet; dieselben leiden an denselben Fehlern, wie seine eignen. Die Hauptstütze der Ansicht von Brandt ruht ja aber nicht grade auf Hydra, sondern auf den Radiolarien und seinen Versuchen mit Actinien. Ohne hier weiter auf eine Kritik derselben einzugehen, ist doch hervorzuheben, wie beson- ders für die Radiolarien alle bisher bekannten Thatsachen gradezu nötigen, eine eigenartige Symbiose von Algen und Tier anzuerkennen und auch die Brandt’sche Ansicht von der Thätigkeit der ersteren als Ernährungsorgane der letzteren bisher als die wahrscheinlichste anzunehmen. Nun ist es nicht notwendig, vielmehr sogar nicht wahr- scheinlich, dass in all den verschiedenen Fällen der Symbiose von Tier und Alge das Verhältniss der beiden Symbionten immer das Gleiche wäre, bei den Hydren, bei den Radiolarien, Actinien ete.; die nähere Untersuchung wird mancherlei Modifikationen auch in physiologischer Beziehung darlegen; hier liegt ein weites Feld vor für zahlreiche interessante Beobachtungen und vor allem für Experimente über die Lebenserscheinungen der niedern Tierwelt, welche ja bisher gegen- über der Physiologie einiger höherer Tiere etwas vernachlässigt worden ist. Zu solehen Versuchen, überhaupt neuen Beobachtungen anzuregen, sie zu fördern ist ein Hauptverdienst der von Brandt ver- teidigten Anschauung. Große Sorgfalt und Exaktheit ist bei diesen schwierigen und verwickelten Fragen allerdings sehr notwendig und hieran fehlt’s noch an manchen Stellen; besonders auf einige noch etwas zweifelhafte Beobachtungen von Geza Entz, auf welche mehrfach Brandt sich beruft, mag hier hingewiesen werden. Geza Entz!) behauptet, dass aus den Chlorophylizellen grüner Infusorien, nach dem Zerzupfen der letzteren, eine ganze Reihe verschiedenster Organis- men, wie Protococcaceen z. B. Scenedesmus, Raphidium, ferner Chlamy- domonaden, Euglenen, ja Algenfäden sich entwickelt haben, dass anderseits diese verschiedenen Algen und grünen Flagellaten sich in die Chlorophylizellen der Infusorien umwandeln, wenn sie von diesen als Nahrung aufgenommen worden sind. Referent, der sonst gern die großen Verdienste vou Geza Entz um die vorliegende Frage anerkennt, gesteht, dass er die Richtigkeit dieser Angaben bezweifelt; dieselben sind mindestens bisher so wenig begründet, dass man sie vor- läufig ganz beiSeite lassen muss. Die VersuchsanstellungvonGeza Entz zwingt zu einem solchen Zweifel. Er hat die grünen Infusorien in einem Uhrschälehen mit filtriertem Wasse rzerzupft und dann das Ganze, mit einer Glasglocke bedeckt, sich selbst überlassen. Nach einigen Wochen war eine mannigfaltige Algenflora entwickelt, welche einfach als ein Entwicklungsprodukt der Chlorophylizellen der Infusorien angenommen wird. Hiebei tritt uns dieselbe Erscheinung entgegen, wie vor einigen Jahrzehnten in der Mykologie, als man Hefezellen in Zuckerlösung 1) Biologisches Centralblatt II, S. 458—459. 748 Graff, Zur Kenntnis der physiologischen Funktion des Chlorophylis. aussäte und nun die ganze Schimmelflora von Mucor, Aspergillus-Arten, Penieillium, welche alle aus der ausgekochten Flüssigkeit hervorgingen, für Entwieklungszustände der einfachen Hefezellen annahm. Diese Auffassung wurde damals bald gründlich zerstört und ebenso wird es wohl mit den Behauptungen von Geza Entz geschehen; die Algen und Flagellaten sind wahrscheinlich in Form von Sporen oder Ruhe- zuständen von außen in die Kultur hineingekommen. Geza Entz scheint sich auch nicht die Tragweite seiner Beobachtungen, im Falle dass sie richtig wären, ganz klar gemacht zu haben. Wenn wirklich aus den so einfachen Chlorophylizellen von Stentor ete. die verschiedensten Protococeaceen, vor allem die schon so hoch organisirten Chlamydomo- naden und Euglenen sich entwickeln können, wäre die so vielfach be- sprochene Frage nach der Phylogenie von Flagellaten, den niederen Algen vollständig gelöst. Aber soweit sind wir noch nicht; Geza Entz müsste direkt unter dem Mikroskop verfolgt haben, wie allmählich die grünen Zellen des Stentor in die anderen Algen oder Flagellaten sich umwan- deln, alle Stadien dieser Umwandlung genau beschreiben und natur- getreu abbilden. Solange das nicht geschehen ist, ist ein Zweifel an der Richtigkeit der Angaben von Entz nicht bloß erlaubt, sondern gefordert. Soweit die bisherigen glaubwürdigen Thatsachen vorliegen, sind die Chlorophylizellen der Infusorien nieht Entwieklungszustände beliebiger Algen, sondern für sich existierende, selbständige Formen, welchen man bis auf weiteres ganz passend den Brandt’schen Namen Zoochlorella lassen kann. Eine genauere Entwicklungsgeschichte der- selben im freien Zustande wie innerhalb der Infusorien kann erst ihre wahre Stellung zu den näher bekannten niederen Algen darlegen. Die Bezeichnung Pseudochlorophylikörper ist besser zu verwerfen, denn sie ist, abgesehen davon, dass sie unbequem ist, auch irreführend, da die grünen Körper der Infusorien, gleichgiltig ob selbständige Algen oder Produkte der Tiere, Zellen mit Kernen und mit wirklichen Chloro- phylikörpern vorstellen. Um nun wieder auf die Arbeit von Graff zurückzukommen, so sind noch einige Beobachtungen desselben anzuführen. Merkwürdig ist es, dass Hydren, welche im dunkeln kultiviert waren, grün blieben; die Chlorophylizellen selbst des nach 109tägiger Verdunkelung ge- storbenen Exemplares waren in Form und Farbe unverändert, während es durch M. Schultze sowie den Verf. bekannt ist, dass z. B. Vortex viridis nach Ttägiger Verdunkelung seine grüne Farbe verliert. Zum Schluss bemerkt der Verf., dass es ihm gelungen ist, aus den Eiern grüner Exemplare am Vortex viridis farblose, der Chlorophylizellen gänzlich entbehrende Tiere zu ziehen. Von der seltenen Mesostoma viridatum fand er Exemplare, welche zum Teil reichlich, zum Teil spärlich mit Chlorophylizellen versehen waren. In den letzteren, welche verschieden groß und mattgrün gefärbt waren, wurden ein Kern, ferner Stärkekörnchen nachgewiesen. @. Klebs (Tübingen). Wilckens, Paläontologie der Haustiere. 74 Uebersicht über die Forschungen auf dem Gebiete der Paläontologie der Haustiere '). 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. Die paläontologische Entwicklung des Rindes lässt sich nur ver- stehen im Zusammenhange mit der paläontologischen Entwicklung der Wiederkäuer. Für die älteste Form der wiederkäuenden Huftiere — der Gruppe der halbmondzähnigen Paarhufer — erklärt W. Kowalevsky (Pa- laeontographiea, N. F.II 3 Seite 180) den Gelocus, welchen Aymard in den Kalksteinen von Ronzon bei Puy im französischen Departement Haute-Loire auffand und benannte. Diese Fundstätte bildet ein Grenz- gebiet von Eocän und Miocän; es sind dort noch echt eocäne Formen gefunden, wie Paloplotherium minus und Hyaenodon, neben miocänen Formen, wie Hyopotamus bovinus, Entelodon und ein vierzehiges Rhinoceros. Kowalevsky beschreibt das Gebiss des Gelocus; er kennt nur zwei Schneidezähne des Unterkiefers, im Zwischenkiefer sind schon keine Schneidezähne mehr vorhanden, „das Tier hat somit ein echt wiederkäuerartiges Gepräge.“ Der Unterkiefer enthält die volle typische Zahl der Prämolaren (vier) — wie bei allen alten Huf- tieren — und drei Molaren. Der Mittelfuß besteht aus zwei im Alter schwach verwachsenen Metakarpalien und Metatarsalien. So lange die Knochen ihre Epiphysen besitzen, bleiben auch die beiden Meta- tarsalknochen vollständig frei, mit dem Alter aber tritt eine Ver- wachsung ein, obwohl die Markröhren das ganze Leben getrennt blei- ben und die unteren Enden sehr weit von einander abstehen. Am obern Ende des Metacarpus kommen zwei kleine verlängerte Knochen- reste vor, die den 2. und 5. Finger darstellen und mittels kleiner Ge- lenkflächen an die untere Fläche des Carpus und Tarsus angeheftet sind. Die obere Fläche des Metacarpus und Metatarsus hat sich voll- ständig an die untere Fläche des Carpus und Tarsus angepasst; das Trapezoid ist schon mit dem Os magnum verwachsen und das Meta- carpale III breitet sich auf diese beiden Knochen aus; das Gleiche sehen wir am Tarsus, wo das Cuneiforme II mit dem Cuneiforme III verwachsen ist und gemeinschaftlich das vergrößerte Metatarsale III trägt. Die vierte Zehe hat sich auch auf die ganze untere Fläche des Uneiforme und Cuboideum verbreitet. Das Naviculare ist schon mit dem Cuboideum verwachsen und bildet mit ihm zusammen das bekannte Cubo-naviculare der Wiederkäuer. Etwas abweichend von dieser Beschreibung des @elocus communis ist die von H. Filhol („Etude des Mammiföres fossiles de Ronzon, 1) Vgl. Bd. IV Nr. 10 und 11 dieser Zeitschrift. “0 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. Haute Loire“; Ann. d. sc. g&ol. 1882. XII. p. 240); er bezeichnet die Zahnformel des Gelocus von Puy wie folgt: 9 Inc 0 7 Prem. ’ Mol. - 3 Während Kowalevsky mit Bestimmtheit behauptet, dass dem Zwischenkiefer von @elocus die Schneidezähne fehlen, erklärt Filhol (a. a. 0. 8. 245): „Sur toutes les pieces actuellement decouvertes, la portion anterieure du maxillaire superieur manque, et nous ignorons sil existait des ineisives superieures, ce qui ne parait pas probable.“ In seinen „Recherehes sur les Phosphorites du Querey“ (Ann. d. se. g6ol. 1877. VIII. p. 236) beschreibt Filhol das Gebiss von Gelocus curtus ebenfalls ohne, d. h. mit fraglichen oberen Schneidezähnen. Von einer dritten Form, Gelocus insignis (a. a. 0. S. 243), stand Fil- hol bloß ein Teil des Unterkiefers zur Verfügung. Vermutlich war Kowalevsky in der Lage, vollständigere Knochen von Gelocus zu untersuchen !). Die Mittelfußknochen von @Gelocus communis beschreibt Filhol wie folgt: Les metacarpiens constituent deux os absolument ind&pen- dants les uns des autres, ce sont le troisieme et le quatrieme meta- carpien qui se sont developpes alors que l’o rencontre seulement des traces du deuxieme et du einquieme doigt. Le deuxi&me me&tacarpien etait completement soude au troisieme, et se montrait sous la forme d’un petit stylet osseux. Quant au einquieme metacarpien il £tait egalement rudimentaire, seulement il etait tantöt soude ou tantöt libre. — Les metatarsiens sont soudes, et une profonde rainure verti- cale regne sur toute la face anterieure de l’os unique ainsi constitue. Cette disposition reste comme une preuve de l’ancienne ind&ependance des metatarsiens.“ Das Erscheinen einer Tierform, wie des Gelocus, sagt Kowa- levsky, war ein höchst wichtiges Ereignis in der Geschichte der Huftiere, und es musste einen großen Einfluss auf ihre Geschicke aus- üben. Der Gelocus erscheint noch inmitten einer ganz eocänen Fauna und als seine Zeitgenossen müssen wir fast sämtliche uns bekannten Gattungen von Paarhufern anführen, da er ja noch im Obereoeän von Hordwell vorhanden ist, welches dem Pariser Gips parallel ist. — Das kleine Geschöpf war freilich sehr unansehnlich, ja verschwindend unbedeutend im Vergleich mit der großen Zahl mächtiger Paarhufer, die in jener Periode und bis ins mittlere Miocän auf der Erde lebten. 1) In einer Anmerkung (a. a. O. S. 180) erklärt: K. „Es liegen mir Mate- rialien zu einer vollständigen Monographie dieser interessanten Form vor, die auch kürzestens folgen wird.“ Leider hat ein frühzeitiger Tod den verdienst- vollen Forscher an der Ausführung dieser Arbeit gehindert Es wäre sehr wünschenswert, wenn die von K. gesammelten Materialien über Gelocus von anderer Hand bearbeitet würden. 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. (51 Wie konnte es sich mit den großen Anoplotherien, Hyopotamen und Anthracotherien messen, die ja scheinbar alle Vorteile hatten das kleine Geschöpf ganz zu verdrängen. Und dennoch fiel das Ender- gebnis anders aus; es lag in dem kleinen Tiere der Keim einer bes- sern vorteilhaftern Organisation, eine neue Idee der Beschränkung (Reduktion) war in ihm enthalten, und so ungleich auch der Kampf sich gestaltete, nichtsdestoweniger hat das kleine Geschöpf über alle seine großen und mächtigen Zeitgenossen gesiegt; es liefert den An- fang einer großen Reihe von Geschlechtern, die bis jetzt auf der Erde fortleben. Betrachten wir das Skelet der neuen Formen, die als Nachfolger des Gelocns im Untereocän auf der Erde erschienen sind, so müssen wir uns überzeugen, dass die Beschränkung im Skelet bei ihnen schon so weit vorgeschritten ist, dass es nicht mehr möglich war, etwas weiteres an den Knochen zu beschränken. Die Oekonomie des Or- ganismus fordert ein möglichst einfaches Knochengerüst, und ein sol- ches hat sich in dieser Gruppe auch wirklich ausgebildet. Der Mit- telfuß war schon zu einem Knochen verwachsen, weiter konnte er sich nicht vereinfachen; andere Knochen, wie das Ellbogenbein, das Wadenbein, waren bis auf ganz unbedeutende Ueberreste ver- schwunden; zu einer schon so sparsam angelegten Organisation ge- sellte sich noch die Wiederkäuung, welche allen damit begabten For- men einen ungeheuern Vorteil über ihre Gegner geben musste. Die im Skelet nicht beschränkten vierzehigen Paarhufer (wie die Anoplotherien, Anthracotherien, Hyopotamen, Dichobunen), die gleich- zeitig mit Gelocus lebten, blieben omnivor. Die Vorteile, welche ein wiederkäuendes Tier vor einem omnivoren voraus hat, schildert K. wie folgt. Ein omnivores Tier muss seinen ganzen Bedarf an Nalı- rungsstoffen auf der Weide sammeln und zerkauen, während der Wiederkäuer auf der Weide nicht frisst, sondern nur die Nahrung sammelt, einen Vorrat macht, den er in späteren Stunden, während des Ausruhens oder selbst im Schlafe eigentlich zu kauen beginnt. Wenn es nur gewisse Stunden am Tage oder in der Nacht gibt, wo die Tiere, ohne großer Gefahr von seiten ihrer Feinde sich auszusetzen, auf die Weide gehen können, so wird in dieser kurzen Zeit der Wie- derkäuer vielleicht genug Nahrung zu seinem Unterhalte sammeln und in seinem Pansen aufstapeln, während für omnivore Tiere, welche ihre Nahrung zugleich sammeln und zerkauen müssen, solche Zeit zu kurz wird; sie werden dabei entweder an ungenügender Nahrung zu grunde gehen, oder sich Gefahren aussetzen müssen. Die Gattung Gelocus ist nach K. eine Abzweigung von dem Stamm- baume der eocänen Hyopotamiden; sie setzt sich gradlinig fort durch die Familie der Amphitraguliden, der Hirsche von Sansan und Pikermi bis zu den Hirschen der Gegenwart. Aber in dem Horizont von San- san — im mittlern Miocän — nimmt K. eine Abzweigung von dieser 152 Wilekens, Paläontologie der Haustiere. Linie der geweihtragenden Wiederkäuer an, die zu den Antilopen von Sansan führt. Diese Seitenlinie der hohlhörnigen Wiederkäuer führt durch die Antilopen von Pikermi zu den Antilopen der Gegenwart. Eine Nebenlinie dieser Antilopen bilden die Rinder der Gegenwart. Aus dem mittlern Miocän kennen wir keine Form des Rindes, aber nach dieser Zeit hat sich das Rind entwickelt aus den Antilopen. Der Gelocus, die Stammform aller wiederkäuenden Paarhufer, spaltet sich also in zwei Seitenlinien, von denen die eine den Geweihträgern, die andere den Hohlhörnern angehört; die letztere aber führt durch die Antilopen zu den Schafen, Ziegen und Rindern der tertiären und der gegenwärtigen Zeit. Die nahe Verwandtschaft der Antilopen zu den letztgenannten Hohlhörnern hat zuerst L. Rütimeyer („Beiträge zu einer paläont. Geschichte der Wiederkäuer“ in den Mitteilungen der naturf. Ges. in Basel IV. 1865) in betracht gezogen an Gebiss und Schädel; er er- klärt das Gebiß der Antilopen für „eine Art von Mutterlauge“ für die übrigen Hohlhörner. Die Schädelbildung lässt noch mehr als das Zahnsystem die Antilopen als einen Grundstock erkennen, „von wel- chem als einer sehr breiten und mit den Geweihträgern auf einzelnen Punkten fast kontinuierlichen Basis (Dieranoceros) einzelne Zweige sich bis zu den extremen Formen fortbilden, welche die Ochsen, in ge- ringerem Maße auch die Schafe zeigen. Der Antilopenschädel bleibt dem Bau des fötalen Wiederkäuerschädels mit wohl ausgebildetem und horizontal verlaufendem Parietalteil am treuesten, der Rinder- schädel entfernt sich davon am weitesten.“ Als Grenzformen zwischen Antilopen und Rindern erscheinen Herrn tütimeyer Catoblepas und Anoa. Catoblepas (das Gnu), von Thun- berg, Forster, H. Smith, Sundevall zu den Bovina gezählt, hat nach Rütimeyer unzweifelhaft sehr viel Aehnlichkeit mit dem afrikanischen Bubalus brachyceros. Seine Schneidezähne entsprechen denjenigen der Bovina, allein seine Backenzähne stehen den Ovina weit näher als ersteren. Der Schädelbau erscheint als ein „Kollektiv- typus“ zwischen zwei heutzutage trennbaren Formen, den Büffeln und den Antilopen, oder „vielleicht richtiger als eine bis zum Grade der Bubalina modifizierte Antilopenform.“ Jugendliche Schädel und die Untersuchung des Milchgebisses könnten wohl entscheiden, welche Merkmale ältern Rechtes sind. Allein schon der Umstand, dass die Schädel- und Gebissform der Bovina überhaupt als „terminal“ zu be- urteilen sind, spricht sehr zu gunsten älterer und direkterer Erbschafts- beziehungen des Gnu zu den Antilopen. Es scheint daher diese Form statt ein durch Divergenz entstandener Typus, wohl eher ein Ergebnis der Konvergenz des Antilopentypus zu demjenigen der Rinder zu sein, allein auf weit rascherem Wege und somit ohne so reichliche Verwischung der mütterlichen Form, wie bei den letzteren. Die Anoa oder Antilope depressicornis von Zelebes wurde vor 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. 753 Rütimeyer und von Turner als eine Form des Büffels erkannt, welche mit den Antilopen weder in äußeren noch inneren Charakteren irgend etwas gemeinsames hat, wie den Bau der hinteren Backen- zähne; denn die große Ausdehnung der Scheitel-Hinterhauptszone des Schädels ist nicht nur Besitztum erwachsener Antilopen, sondern auch Jugendliches Besitztum der Dovina. R. macht aufmerksam auf die große Aehnlichkeit (die sich „bis in die Details der Gefäß- und Ner- venöffnungen wiederholt“) zwischen Anoa und Hemibos triquetricornis, der Stammform der Büffel, welche Faleoner aus den miocänen Ab- lagerungen der siwalischen Hügel Indiens nach Europa gebracht hat. Rütimeyer schlägt vor, die Namen Hemibos und Anoa fallen zu lassen und diese beiden langscheitligen Büffel zu nennen: Probubalus sivalensis und celebensis, „trotzdem es sehr schwer wäre, beide von einander zu unterscheiden, wenn sie, von selber Größe, sei es fossil, sei es lebend, mit einander angetroffen würden.“ Innerhalb der Gattung Rind stehen die Büffel jedenfalls den An- tilopen am nächsten, was die Formen von Catoblepas und Anoa be- weisen, die von einigen Forschern den Antilopen, von anderen den Büffeln zugeschrieben werden. Die Wisente (Bisontina) gehen nach Rütimeyer als Familie auf der Straße der den Rindern zukömmlichen Schädelmetamorphose einen guten Schritt weiter als die Büffel, allein sie bleiben in der Mitte zwischen diesen und den Tuurina stehen. Erwachsene Wisent- schädel verhalten sich in der relativen Ausdehnung der einzelnen Sehädelknochen sehr ähnlich wie die Schädel junger Kälber unseres zahmen Kindes. Die immerhin noch erhebliche Anzahl von Wiederkäuern, welche nach Abzug der Büffel und Wisente unter dem Namen der Rinder im engern Sinne vereinigt werden können, weicht nach R. von dem pri- mitiven Bau des Wiederkäuerschädels insofern noch in höherem Maße ab als jene beiden Abteilungen, weil bei ihr der Scheitelteil des Schädels fast ganz in die Hinterhauptsfläche übergeht und die an der hintern Grenze des Stirnbeins gewöhnliche Kniekung der Profillinie somit auch an die hintere Grenze der ganzen Schädeloberfläche fällt; der Ansatz der Hörner wird dadurch an die Grenze von Stirn- und Hinterhauptsfläche verlegt. kütimeyer trennt diese Gruppe der Rinder in zwei Abteilungen, von welehen die eine vornehmlich in Asien zu hause ist (die Hodg- son’sche Gattung Bios) und durch größere Annäherung an die Grund- form sich als die morphologisch ältere ausweist; R. nennt sie Bibo- vina!). Die andere, welche im morphologischen Sinne den letzten 1) Für diese Abteilung habe ich in meinen „Grundzügen der Naturgeschichte der Haustiere* den deutschen Namen „Wisentrinder“ vorgeschlagen, da die Bezeichnung Bibos nur undeutlich darauf hinweist, dass sie eine Mittelstellung einnehmen zwischen den Wisenten und den eigentlichen Rindern. 48 754 Wilcekens, Paläontologie der Haustiere. und spätesten Abschluss der Rinder überhaupt bildet, zeigte bisher in Europa reichlichere Vertretung; R. nennt sie Taurina. In einem spätern Werke („Die Rinder der Tertiärepoche nebst Vorstudien zu einer natürlichen Geschichte der Antilopen“ in den Ab- handlungen der schweiz. paläont. Ges. vol. IV. 1877) unterscheidet Rütimeyer 5 Hauptabteilungen oder Gruppen der Familie Rind, die er in einer Uebersicht der fossilen und lebenden Formen wie folgt zusammenstellt. Miocän? u. Pliocän. Pleistocän. Lebend. Bubalus B. antiquus B. caffer B. brachyceros Buffelus B. sivalensis B. palaeindieus {B. indieus Bubalina B. Pallasii \B. sondaicus Probubalus ‚Pr.triquetricornis Pr. (Anoa)cele - \Pr. antilopinus bensis. Amphibos A. acuticornis Portaeina Leptobos L. Falconeri £ x L. Strozzii L. Frazeri Bibovina Bibos B. etruscus B. Palaeo-Gaurus (B. Gaurus ? B. Gavaeus B. sondaicus B. indicus ? B.brachyceros B. gruniens Bisontina Bison B. sivalensis B. priseus B. europaeus B. latifrons B. americanus Taurina Bos B. planifrons B. namadieus He primigenius BD. Taurus primigenius trochoceros Der Name „Buffelus“ stammt von Aldrovandi und Blumenbach. Die kursiv gesetzten sind gänzlich domestizierte Formen. Die Untersuchungen Rütimeyer’s über die Rinder der Tertiär- epoche stützen sich auf die Materialien zu Florenz und London; in London wurde ihm der gesamte Vorrat der von Faleoner und Caut- ley im Brittischen Museum niedergelegten Ueberreste fossiler Rinder aus den tertiären Gebieten (den Sewalik hills) von Indien zur Verfü- gung gestellt?). 1) Faleoner („Palaeontological Memoirs and Notes“ ed. by Charles Murchison, London 1868, vol. I p. 280) unterschied unter den „Sewalik fos- sils* sechs neue Arten von Rindern (Bovidae), die er nannte: Hemibos trique- triceras, Amphibos acuticornis, Amphibos elatus, Amphibos antilopinus, Bos si- valensis und Bos occipitalis. Da Falconer über die tertiären Rinder Indiens nur handschriftliche Notizen, aber keine systematische Beschreibung hinter- lassen hat, die von ihm aufgefundenen fossilen Ueberreste aber größtenteils von Rütimeyer untersucht und beschrieben sind, so verzichte ich an dieser Stelle auf die Wiedergabe der handschriftlichen Notizen Faleoner’s, welche von Ch. Murchison gesammelt und in dem oben erwähnten Werke herausge- 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. 755 Als Grundform der Büffel beschreibt R. zunächst den Probubalus (Hemibos Faleoner) triquetricornis, von dem er an 24 Schädeln des Britischen Museums unterscheidet: eine Normalform, eine Aepyceros- (hochgehörnte) Form, eine Trochoceros- (kreishörnige) und eine Aceros- (ungehörnte) Form. Diese Formen — die R. als individuelle oder Rassenvariationen der gleichen Art auffasst — stehen in nächster Be- ziehung zu dem noch lebenden Zwergbüffel (Anoa) von Zelebes. Eine andere Art von Probubalus nennt R. antilopinus; sie stammt aus dem siwalischen Sandstein und ist im Britischen Museum durch zwei erwachsene Schädel vertreten, die sich auszeichnen durch unge- wöhnliche Länge und Schmalheit des Gesichtsteiles, sowie durch un- gewöhnlich starke Rückwärtsrichtung der Hörer. R. stellt es jedoch in Frage, ob diese antilopenähnliche Art von Probubalus nicht eine Opisoceros- (rückwärts gehörnte) Form von Pr. triqueticornis sei. Mit dem Namen Bubalus sivalensis bezeichnet R. einen Schädel aus den siwalischen Hügeln, welche „nur mit geringen Modifikationen die wohl bekannte Form des lebenden Arni über den geologischen Horizont des davon doch mehr verschiedenen BDubalus palaeindicus hinauf bis in denjenigen von Probubalus triquetricornis führt.“ Der Schädel des siwalischen Büffels ist niedriger und stärker abgeplattet als derjenige des heutigen indischen Büffels, und die Hörner liegen auf ihrem ganzen noch vorhandenen Verlaufe in der Flucht der Stirn- fläche; sie sind also bei horizontaler Lage des Schädels schief auf- wärts geneigt, während sie beim Arni in der Regel abwärts geneigt sind. Eine engere Beziehung zwischen Bubalus sivalensis und Pro- bubalus — enger als sie der gemeinsame Plan der Büffelfamilie mit sich bringt — erklärt R. für ausgeschlossen. Vier riesigen Schädeln im Britischen Museum hat Falconer den Namen Bubalus palaeindicus gegeben; sie stammen aus der pliocänen, wo nicht gar pleistocänen Ablagerung von Nerbudda. Nach Rüti- meyer stimmen sie mit dem jetzigen wilden Büffel Indiens, dem Arni, so sehr überein, dass die Berechtigung eines besondern Namens für die fossile Form in Frage gestellt werden dürfte. Doch war der Nerbudda-Büffel etwas größer und sein Schädel stärker abgeplattet und breiter als der des Arni. Mit dem Namen Bubalus Pallasii benennt R. eine, geographisch allerdings von Nerbudda weit abgelöste Zwerggestalt von Dubalus palaeindicus; sie stammt aus dem Diluvium von Danzig und ihr erster Ueberrest ist zuerst im Jahre 1823 von C. E. v. Baer!) unter dem Namen Bos Pallasii beschrieben worden. Wegen seiner Achnlichkeit mit dem Nerbudda-Büffel erwähne ich ihn hier; ich komme auf ihn geben sind. Die von Falconer aufgefundenen diluvialen Formen vom Rind werde ich später erwähnen. 1) „De fossilibus mammalium reliquis in Prussia repertis*. 48 * 756 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. zurück unter den Rindern des Diluviums, ebenso wie auf den, von R. unter seinen tertiären Rindern aufgeführten Bubalus antiquus Ger vais. Unter dem Namen Amphibos acuticornis Faleoner beschreibt R. Schädelformen, die eine Mittelstellung einnehmen zwischen Büffeln und Rindern, insbesondere zwischen Probubalus und Bibovina. Diese Mit- telstellung kann jedoch keinen Uebergang zwischen beiden Gruppen andeuten, da Probubalus allmählich zu Büffelformen führt, die in Struk- tur des Schädels von 4mphibos weit entfernt sind. R. erblickt im Gegenteil im anatomischen Sinne in Amphibos eine Art von Parallele zu Probubalus triquetricornis, die vielleicht eine Linie nach den Bibo- vina hin eröffnet. Die allgemeine Form des Schädels von Amphibos ist im Vergleich zu Probubalus triquetricornis (der einzigen Büffelform, mit welcher Verwechslung möglich wäre) lang und schmal. Die größte Breite fällt auf die Augenhöhlen, obwohl dieselben nicht stark vorstehen, sondern eher, wie etwa bei Ziegen, oder auch bei den afrikanischen Büffeln, sich rasch zu den von dünnen Rändern um- gebenen Oefinungen verengern. Von den Augenhöhlen an nimmt die Breite des Schädels ab, sowohl nach hinten wie nach vorn. Die Stirn- zone erscheint für ein Rind ungewöhnlich schmal, und die Hornwur- zeln stoßen wie bei weiblichen Bibovinen in deutlichen Schultern der Stirnfläche, in die sie auslaufen, in der Mittellinie des Schädels zu- sammen. Der Scheitelteil des Schädels bildet — der stärkste Grund, um Amphibos den Büffeln zuzuzählen — eine selbständige und ver- hältnismäßig langgestreckte Zone von kaum geringerer Breite als die Öberkieferzone. Von der Stirnzone neigt er sich in der Regel weni- ger abwärts als bei friguetricornis und verläuft an jüngeren Schädeln sogar ziemlich horizontal. Die Kronennaht ragt mit stumpfem Win- kel bis zwischen die Hornwurzeln. Da die Scheitelfläche sich in Kanten gegen die Schläfe hinabbiegt, so erhält die Scheitelzone fast einen viereckigen Durchschnitt, sehr verschieden von der platten Form von Probubalus triquetricornis. Durch diese Selbständigkeit des Schei- telteiles unterscheidet sich Amphibos auch wesentlich von den Bibo- vinen, wo derselbe von dem Stirnteil bereits wie ein von letzterem bald zu unterdrückender Anhang abgeschnürt ist. Sehr charakteri- stisch ist bei Amphibos auch Form und Einsetzung der Hörner; sie sind getragen von starken frontalen Hornschultern, die nicht selten, wenn der Hornzapfen am Anfange der Hornscheide verdickt ist, deut- liche Hornstiele bilden, an welche sieh die Stirnrinnen bis zur Horn- scheide hinaufziehen. Die Hörner sind unter allen Umständen steiler gestellt als bei Probubalus triquetricornis; sie divergieren in schwäche- rem Winkel und verraten eine deutliche spiralige Drehung, wie etwa bei Tragelaphus unter den Antilopen, so dass die Fläche, die an der Wurzel die äußere ist, gegen die Hornspitzen zur obern wird. Sie erreichen unter Umständen eine sehr beträchtliche Länge, die mehreren Schädellängen gleichkommen kann. Der Gesichtsschädel 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. 757 zeichnet sich im Vergleiche zu Probubalus triquetricornis durch große Schlankheit aus, die wieder an Bibovinen erinnert. Die Wangenfläche ist niedriger, die Höhe der Zahnsäulen also geringer, die Zähne sind verschmälert und in ihrem ganzen Gepräge lockerer gebaut und weni- ger massiv als bei Probubalus. Eine eigentümliche Gruppe bilden die Portacina.. Rütimeyer hält Portax für eine ähnliche Wurzelform für die Bibovinen, wie sie Anoa für Büffel bietet, obwohl Portax mit allem Recht den Antilopen zugezählt wird. Eine Verkürzung der Stirnzone von Bibos mit gleich- zeitiger Unterdrückung des Stirnwulstes, der Art, dass der Hornansatz den Augenhöhlen genähert und das Scheitelbein, wie es allerdings bei dem jungen Gaur der Fall ist, ohne auf die Hinterhauptszone überzugreifen, mit als Dach der Hirnkapsel dient, würde zur Form von Portax führen. Ja noch mehr. Man kann nicht verkennen, dass zwischen Portax und die Jugendform von Bibos — nur abweichend durch stärkere und der Mittellinie des Schädels mehr genäherte Horn- wurzeln — sich Bos elruscus eindrängt. Portax, Bos etruscus, Bos sondarcus und Gaurus bilden so eine morphologische Reihe, deren Steigerung bezeichnet ıst durch immer weiteres Rückgreifen der Stirn- beine über einen erst selbständigen und gestreekten, dann immer mehr nach hinten abfallenden und endlich gänzlich in die Hinterhauptsfläche eingehenden Scheitelteil. Rütimeyer rechnet zu den Portaeinen, welche eine Mittelstellung bezw. einen Uebergang darstellen zwischen den Antilopen und den Bibovinen, die Gattung Leptobos, mit den tertiären Arten Falconeri und Strozziüi; eine dritte Art, Leptobos Frazeri, gehört der pleistocänen Epoche Indiens an. Von Leptobos Faleoneri aus den siwalischen Hügeln Indiens un- tersuchte R. im Britischen Museum vier gehörnte und einen unge- hörnten Schädel von der Form des Hirschkopfes, die ihn eine für Rin- der ungewöhnliche Leichtigkeit und Schlankheit des Körpers vermuten ließen!). Die Schädel der gehörnten Form sind im Vergleich zu der ungehörnten in ihrer ganzen Ausdehnung auffällig niedrig und platt und im Umriss ausgesprochen dreieckig oder oval; die Hörner sind schwach und dem Augenhöhlendach direkt oder nur wenig hinter die- sem und gänzlich am Seitenrande der Stirnfläche eingepflanzt. An dieser Stelle besitzt daher die Schädeloberfläche die größte Breite. Vor ihr verjüngt sich der Gesichtsschädel rasch in eine schlanke Schnauze. Nicht weniger typisch ist die Rolle, welche dem Stirnbeine und dem Scheitelbeine an der Bildung der Hirnkapsel zukommt. Die Kronennaht liegt wie bei der großen Mehrzahl der Hornträger dicht hinter den Hornwurzeln. Die Stirnzone nimmt daher trotz großer 1) Der Name Leptobos ist abgeleitet von Aserzros abgeschält (Afrw ich schäle), d. h. dünn, fein; also ein feines kleines Rind. 758 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. Breite in der Längsrichtung einen viel kleinern und die Scheitelzone einen viel größern Anteil an dem Schädeldache als bei irgend einem andern Rinde, etwa Anoa allein ausgenommen. Am nächsten steht Leptobos in dieser Beziehung dem Bos etruscus oder jungen heutigen Vertretern der Bibos-Gruppe. Denselben Plan wie bei Leptobos, nur mit schwächerer Bewaffnung und ausgedehnterer Scheitelzone, treffen wir aber bei Portax, wenn auch bei dieser Gattung die rauhen und stark gefurchten Hornzapfen durch eine scharf markierte Verdiekung von dem Stirnbeine sich abheben, während sie bei Leptobos wie glatte Ausläufer der Stirn erscheinen. Rütimeyer findet einen direkten Anschluss von Leptobos an an- dere Hornträger nur bei Portax!). Wenn er dennoch Leptobos, als Vertreter einer besondern Gruppe Portacina, den Rindern beizählt, geschieht dies weit weniger in Rücksicht auf Körpergröße, als weil bei Leptobos das Uebergewicht der Stirnzone über die Scheitelzone doch nach Rinderart weit über das Maß vun Portax hinausführt. „Mag auch dies zunächst nur Folge verhältnismäßig stärkerer Be- waffnung sein, so führt es eben doch den Plan der Antilope bis zu einem Grade weiter, den wir aus manchen Gründen Rind zu nennen genötigt sind.“ Die ungehörnte Form von Leptobos veranlasst R. zu der Frage, ob der hornlose Schädel den behornten, ja ob er überhaupt den Rin- dern beizuzählen sei. „Im Falle der Bejahung“ — sagt R.a. a. O. S. 162 — „eröffnet sich die Lehre, dass auch das Rind in tertiärer Zeit, so gut wie die Ziege in Bucapra Dawiesii, unter Umständen die Metamorphose von Jugend zu Alter durchlaufen konnte, ohne zu der als so typisch betrachteten Zuthat der Hornträger zu schreiten. Der erste Blick auf den fraglichen Schädel lehrte, dass er nach Größe, nach Gebiss und Gestalt nieht etwa auf jugendlicher Stufe stillge- standen sei, sondern dass er die volle Bahn der Art, nur mit Verzicht auf Ausrüstung zur Wehr durchlaufen habe. Die Hörner mussten also jetzt als individuelle und nebensächliche Zuthat erscheinen, da sich der Plan der Art auch ohne sie als durchführbar erwies. Wie bei Hirschen die Bildung frontaler Epiphysen nur an Flut und Ebbe sexueller Thätigkeit gebunden ist, so stellt sich jetzt sogar unter Rin- dern Hornlosigkeit als alter Grundplan des Familientypus heraus. Konnte Hornlosigkeit bei Probubalus noch etwa als individueller früher Stillstand in dem Wachstum der Hörner gelten, so erschien der horn- 1) Ueber Portax — das Nylghau — äußert sich R. an anderer Stelle wie folgt: „für unser Auge und unsere Sprache allerdings noch Antilope, für paläontologische Sprache aber viel mehr als Antilope. Nach einer Seite reicht es ja dem Leptobos, nach einer andern dem zierlichen, bald hornlosen (im weib- lichen Geschlecht) bald vierhörnigen Tetraceros, ja durch diesen sogar den zwergigsten unter allen Hohlhörnern, den Buschböcken Afrikas die Hand.“ 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. 759 lose Leptobos als eine bovine Parallele zu Hydropotes, Lophotragus, Moschus und so manchen asiatischen Vertretern der Hirsche, die den Kinderschuhen der Familie treu geblieben sind.“ Der hornlose Schädel von Leptobos Falconeri erscheint in seiner gesamten Ausdehnung gestreekter und schlanker, sowie auch niedriger als die behornten Schädel derselben Art. Die Oberfläche der Hirn- schale, die vielleicht auch durch Druck etwas flacher erscheinen mag, bildet in ihrer Gesamtheit von den Nasenbeinen an ein ziemlich regel- mäßiges Oval, dessen größter Querdurchmesser nahezu in dessen Mitte, in den hintern Augenhöhlenwinkel fällt. Der Gesichtsschädel ent- spricht, abgesehen von seiner gestreckten Form, bis in alle Einzel- heiten demjenigen des horntragenden Leptobos. Die Hinterhaupts- fläche erscheint höher und schmäler, da an dem hornlosen Tiere die Muskelkanten dieser Fläche viel schwächer ausgebildet sind. R. schreibt diesen hornlosen Schädel einem weiblichen Tiere zu, aber er ist nicht zweifelhaft, dass dieses derselben Familie angehört wie die behornte Form von Leptobos Falconer:. Eine zweite tertiäre Form von hornlosem Leptobos, welche Rüti- meyer L. Strozzüi nennt, stammt aus dem Arnothale. Zwei Schädel dieser Art, der eine dem Marchese Strozzi zu Pontassieva, der andere dem Museum zu Florenz gehörig, sind von R. abgebildet. Indem Rütimeyer das hornlose Rind Toskanas, so gut wie das- jenige Indiens, mit dem Gattungsnamen Leptobos bezeichnet, beabsich- tigt er damit keineswegs die beiden Formen, über deren Verschieden- heit als Art ein Zweifel nicht bestehen kann, als direkte Nachkommen eines und desselben nächsten Stammes hinzustellen. Er will damit vielmehr zum Ausdrucke bringen — was ihm das wichtigste Ergeb- nis der Vergleichung zu sein scheint — dass in Indien so gut wie in Europa der Struktur, die er dort wie hier Bibos nannte, ein Sta- dium vorausging, welches er mit dem Namen Leptobos bezeichnet. „Unter beiden Namen sind. also, wie es sich an Fossilien geziemt, viel weniger Rigentümliehkeiten äußerer Details, als Etappen in der geologischen Umbildung des Schädels verstanden.“ Von den Bibovina ist aus der Tertiärzeit nur eine einzige Form be- kannt: Bos (Bibos) etruscus. Faleoner gab diesen Namen einem Schädel, den er im Jahre 1856 im Museum zu Florenz!) fand; dann sah er einen andern Schädel derselben Art im Museum zu Turin?), der aus dem fossilen Lager der Astigiana in Piemont stammte, wo er in Gesellschaft gefunden wurde von Mastodon arvernensis, Elephas meridionalis, Hippopotamus major, Rhinoceros etruscus u.a. Faleoner beschreibt den ersterwähnten Schädel (Palaeont. Memoirs and Notes II. 1) Dieser Schädel hatte von Nersti den Namen Bos bombifrons erhalten. 2) Dieser Schädel erhielt später von Eug. Sismonda den Namen Bos stenometopon. 760 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. 481) wie folgt: The frontal plane extends a considerable way behind the offset of the horns, showing the two temporal fossae, which at their termination approach elose together, with an interval of only 2'/, inches. — The horn-cores are eylindro-conical and slender, and of considerable length; they streteh backwards and outwards with a gentle ceurve, nearly in the same plane as that ofthe brow, their eon- vexity being outwards, something like in domestie eattle. — The form of the brow, oceipital erest, and temporal fossae, the direction of the horns, and the size of the skull appear to distinguish this animal very remarkably from Bos primigenius and from Bos priscus. Nach Faleoner hat Rütimeyer („Versuch einer natürlichen Geschichte des Rindes“ II. 71) den Schädel von Bos etruscus ausführ- lieh beschrieben, dessen Knochenreste seit dem Jahre 1862 häufig ge- funden wurden im Arnothale, in den pliocänen Süßwasserablagerungen Piemonts, selbst nordwärts der Alpen (u. a. in den württembergischen Bohnerzen) und in der pliocänen Fauna der Auvergne!). R. fügt der Beschreibung von Faleoner hinzu, dass der Bau der Hirnkapsel von Dos etruscus noch in erwachsenem Zustande dem fötalen Schädel von Bos Taurus entspricht, allein er geht noch darüber hinaus und zwar nicht nur bis auf das Maß von Anoa und Hemibos, sondern bis zu dem von den normalen Wiederkäuern überhaupt erreichten Maß von Cervus. Die von Rütimeyer Taf. I Fig.5 skizzierte hintere Ansicht des Schädels von Bos etruscus setzt diese Analogie mit der Hirn- kapsel von Hirsch und Antilope in ein helles Lieht. Nur die Kamele und Moschustiere haben eine noch ausgedehntere Scheitelzone. R. schließt seine Beschreihung mit der Bemerkung: „Die gesamte Archi- tektur des Schädels von Bos etruscus lässt sich daher kurz dahin de- finieren, dass er mit einem Gesichtsteil von dem Gepräge der rund- hörnigen Bovina eine Hirnkapsel von dem Bau der Antilopen und der Hirsche verbindet, in gleicher Weise wie es der miocäne Hemibos für die Dubalina that.“ Bos etruscus ist die Stammform der heutigen Wisentrinder (Bibo- vina), zu denen gehören: der Gaur (B. Gaurus), der Gayal (B. Ga- vaeus), der Banting (B. sondaicus), der Zebu (B. indicus), der Yak oder Grunzochse (B. gruniens). Eine pleistoeäne Uebergangsform werden wir unter den diluvialen Rindern noch in dem Bos (Bibos) Palaeogaurus Faleoner’s kennen lernen. Von Taurinen hat Rütimeyer in seinem Werke über die Rin- der der Tertiärepoche keine tertiäre Form beschrieben, auch nicht den in seiner Uebersicht angeführten Bos planifrons. Fast gleichzeitig mit Rütimeyer hat R. Lydekker die fossilen Rinder untersucht, welche — größtenteils aus den siwalischen Funden 1) Rütimeyer schreibt auch den Schädel von Bos elatus Croizet’s in der Gallerie des Jardin des Plantes in Paris dem Bos etruscus zu. 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. 761 von Faleoner und Cautley — im Museum der asiatischen Gesell- schaft von Bengalen zu Kalkutta aufbewahrt sind. Lydekker hat seine Untersuchungen veröffentlicht in den „Memoirs of the geologieal survey of India“ vol. I. ser. X. 3 1878 unter dem Titel „Crania of Ruminants“ und vol. I. pt. IV. 1880 „Supplement to Crania of Rumi- nants“. Die Gattung Hemibos!) „definiert“ L. wie folgt: „Frontals concave, broader than long: horn-cores triangular in eross-seetion, short and straight, situated below the oceiput on a high ridge of the fron- tals; oecipital and parietal planes distinet: facial longer than frontal portion: orbit and horn-core approximated. Teeth and basioceipital of the Bovine type. Von Hemibos triquiceros Fale. beschreibt L. einen einzigen Schädel, dessen Charakteren er eine Mittelstellung anweist einerseits zwischen den Rindern, anderseits zwischen Antilopen und Ziegen; aber die überwiegenden Aehnlichkeiten hat Hemibos mit den Rindern gemein, während in der Form der Hornzapfen ein Unterschied von allen be- steht. Rütimeyer?) aber erklärt den von Lydekker abgebildeten Schädel des MHemibos triguiceros für den des Amphibos acuticornis. Von der Gattung Amphibos Fale. gibt L. die „Definition“: „Fron- tals flat or slightly hollcw, broader than long: horn-cores rounded in front, angulated behind, long and porrect at first, placed below the plane of the oceiput on a slight elevation of the frontals; parietals shorter than in last genus (Hemibos); facial nearly as long as the frontal portion; teeth of the Bovine type“. L. beschreibt mehrere Schädel von Amphibos acuticornis, aber einen derselben, der Taf. 24 abgebildet ist, hält Rütimeyer für Hemibos. Eine besondere, mit dem Namen Peribos belegte Gattung be- schreibt L., aber Rütimeyer weist ihm nach, dass Peribos der Fal- coner’schen Gattung Hemibos angehört. In seinem „Supplement“ gibt Lydekker die von Rütimeyer nachgewiesenen Irrtümer zu; er vereinigt nun unter dem Gattungsnamen Hemibos seinen Peribos und Amphibos und beschreibt unter dem Namen Hemibos oceipitalis: RKüti- meyers Probubalus triquetricornis, unter dem Namen Hemibos acuti- cornis: Rütimeyer’s Amphibos acuticornis und unter dem Namen Hemibos antilopinus: Rütimeyer’s Probubalus antilopinus. Der von Lydekker beschriebene Bubalus palaeindicus Fale. entspricht dem von Rütimeyer beschriebenen gleichnamigen Schädeln des Nerbudda- Büffels. Die von Lydekker unter dem -Namen Bubalus platyceros 1) Ich führe die von Lydekker beschriebenen Formen tertiärer Rinder in der Reihenfolge vor, wie sie Rütimeyer in seinen „Rinder der Tertiär- epoche* befolgt hat. Die Definitionen der Gattungscharaktere führe ich wört- lich an, weil sie kurz bezeichnend sind. 2) Als Nachtrag zu seinen „Rinder der Tertiärepoche“ gibt Rütimeyer Seite 151 eine Kritik der Beschreibung fossiler Rinder von Lydekker. 762 Wilckens, Paläontologie der Haustiere. beschriebenen Schädelstücke entsprechen dem Bubalus sivalensis Rüti- meyer's. Die Schädel der siwalischen Gattung der Büffel (palaeindi- cus und platyceros im Museum zu Kalkutta) „definiert“ Lydekker wie folgt: „Horn-cores placed below the plane of the oceiput, fre- quently triangular, forehead convex — broader than long, nasals very large and wide, oceiput rounded superiorly, and with distinet inden- tations of the temporal fossae; the superior border of the horn-cores coneave.“ Aus der plioeänen Schicht der Siwalikhügel enthält das Museum zu Kalkutta einen Wisentschädel, den Lydekker unter dem Namen Bison sivalensis Fale. beschreibt. Die Hornzapfen, die von vorn nach hinten zusammengedrückt sind, stehen an ihrem Ursprunge weit aus- einander und sitzen auf einem Kanıme (ridge), der beträchtlich unter der höchsten Erhebung des Schädels liegt; der obere Rand die- ses die beiden Hörner verbindenden Kammes ist konkav. Die Horn- zapfen vermindern sich allmählich und unregelmäßig im Durchmesser; ihre vordere Fläche ist konkav. Die Stirnbeine sind schwach ver- tieft zwischen den oberen Winkeln der Hornursprünge. Der mittlere Teil der untern Hälfte der Stirnbeine ist unmittelbar über der Spitze der Nasenbeine vorragend und aufgeblasen; eine an ihrer Außenseite konkave Firste zieht sich vom Außenwinkel des Hornursprungs zu dem obern Rande der Augenhöhle. Zwischen der Augenhöhle und dem Hornursprunge ist der Schädel von einer Seite zur andern be- trächtlich schmäler, die Augenhöhle und der Hornursprung sind nur durch einen kurzen Zwischenraum getrennt. Die Augenhöhle ist vor- stehend, von geringer Größe, nahezu kreisförmig, und ihre Achse sieht schief nach außen und vorn; die Spitze der Nasenbeine erstreckt sich aufwärts bis zum ersten Drittel des Durchmessers der Augenhöhle; der untere Rand der Augenhöhle ragt weit vor und er steht beinahe im rechten Winkel zur Oberfläche des Oberkiefers. Die vertikale Höhe vom Gaumen zu den Stirnbeinen ist nur gering; die Schläfen- gruben sind von bemerkenswerter Kürze und infolge der rückwärtigen Richtung der Hörner sehr niedrig. Der Hinterhauptskamm ist sehr hervorragend und von großer Dicke, namentlich an seiner Spitze; er bildet einen niedrigen und breiten Bogen mit einem kurz abgeplatte- ten Teil an der Spitze; an den Grenzen der Schläfengruben spaltet sich dieser Bogen jederseits in zwei Arme, welche die Gruben um- fassen, — die oberen Arme verbinden sich mit den Hornursprüngen. Die Gelenkhöcker liegen sehr tief am Hinterhaupt und sie sind durch eine tiefe Furche getrennt von den Drosselfortsätzen (paroceipital processes). Der Gaumen ist ungewöhnlich breit und die beiden Reihen der Backenzähne verlaufen nahezu parallel; die Gaumenbeine ver- längern sich um etwa einen Zoll hinter den letzten Backenzahn und ihr freier Rand ist hinten nieht getrennt durch das Pflugscharbein. Die Kronen der Backenzähne haben breite zentrale Elfenbeininseln; er De nn sei 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. 763 die mittlere accessorische Säule der Innenseite ist groß und mit einem verengerten Halse versehen. Es scheint Herrn Lydekker, dass die Charaktere dieses siwalischen Schädels in der Mitte stehen zwischen dem heutigen Wisent und dem Yak (Poephagus gruniens). Aber die lebende Gattung Poephagus ist jetzt beschränkt auf das Hochland von Tibet und sie wird selten tiefer gefunden als auf einer Erhebung von fünfzehntausend Fuß. Es ist eine interessante Frage zu erwägen, ob die verwandte fossile Art (Bison sivalensis) die Ebene oder das Hochland bewohnt hat. L. ist geneigt anzunehmen, dass er sehr wahrscheinlich ein Bewohner der Ebene oder niedriger Hügel war, weil, mit Ausnahme weniger Arten von Ziegen und Schafen, alle si- walischen Säugetiere Formen von Flachlandbewohner hatten und es unwahrscheinlich ist, dass wenigstens höher gelegenes Land sich auf dem alten Siwalikgebiete befand; überdieß sind sowohl der Wisent von Amerika wie der von Europa beide Flachlandformen. Eine sehr wahrscheinliche Theorie ist, dass der fossile Wisent der Siwaliks auf oder nahe der Ebene wohnte, und aus einer oder der andern Ursache in späterer Zeit veranlasst war in mehr und mehr hügeliges Land zu wandern, bis er endlich dem heutigen Yak den Ursprung gab, der nur in der verdünnten Atmosphäre des tibetanischen Hochlandes leben kann. Rütimeyer hält den eben besprochenen Schädel für vollkommen ausreichend, um die Anwesenheit des Wisents im Plioeän von Indien außer allen Zweifel zu stellen. Der Gruppe der Bisonten erwächst in chronologischer Beziehung aus dieser Thatsache eine neue Stamm- form, die dem im Diluvium von Europa und Asien verbreiteten Bison priscus, sowie dem gleichen Gebiete angehörigen noch lebenden Bison europaeus überaus viel näher steht, als etwa der, sei es pleisto- cänen, sei es lebenden Form amerikanischer Wisente. Aus den pliocänen Schichten der Siwaliks beschreibt Lydekker drei Formen, welche den Taurinen angehören: Bos planifrons, B. acutifrons und B. platyrhinus. Von Bos planifrons ist ein Exemplar mit dem obern Teile des Stirnbeines und dem größten Teile der Hornzapfen im Museum zu Kalkutta erhalten. Der Längsdurchmesser der Stirn ist größer als der Querdurchmesser; die Hornzapfen sitzen auf einem erhöhten Kamm unmittelbar über dem Hinterhaupt, so dass eine abgesonderte Scheitel- zone quer über der Rückseite des Schädels nicht vorkommt; die Stirnbeine sind nahezu eben; der Querschnitt der Hornzapfen ist einigermaßen elliptisch; das Hinterhaupt ist viereckig und seitlich nur leicht ausgezackt durch das hintere Ende der Schläfengruben. Alle diese Charaktere zeigen klar, dass dieses Exemplar der eigent- lichen Gattung Bos (den Taurinen) angehört, trotzdem der elliptische Querschnitt der Hornzapfen von der typischen Form dieser Gruppe verschieden ist. Wilckens, Paläontologie der Haustiere. —\ (op) Hm Der Schädel von Bos acutifrons ist ausgezeichnet durch einen sehr hervorragenden (in der Richtung der Pfeilnaht) längs verlaufen- den Kamm, der vom höchsten Punkte des Schädels bis zur Spitze der Nasenbeine reicht; dieser charakteristische Kamm (ridge) hat den Namen acutifrons veranlasst. Von diesem zentralen Kamm schrä- gen sich die Stirnbeine jederseits ab, rückwärts und auswärts, gleich den zwei Seiten eines Daches, so dass die Stirn zwei verschiedene Flächen hat. Infolge dieser besondern Gestaltung der Stirnbeine liegen die vorderen Ränder der Augenhöhlen beträchtlich unter oder hinter der Medianlinie der Stirn. Die Hornzapfen befinden sich auf der höchsten Erhebung des Schädels, unmittelbar über der Hinter- hauptsfläche; sie sitzen sehr schief an der Stirn, so dass der Zwischen- raum zwischen ihren unteren Winkeln nahezu das Doppelte der Länge des Zwischenraumes zwischen ihren oberen Winkeln beträgt. Der Querschnitt der Hornzapfen im halben Verlaufe ihrer Länge ist birn- förmig; die Spitze der Birne ist aufwärts gerichtet. Die zweite Hälfte des Hornzapfens ist nahezu zylindrisch; die untere Fläche ist langaus rund und glatt; an der Verbindungsstelle der Hornzapfen mit den Stirnbeinen findet sich eine leichte Ansehwellung („burr“). Ein großer Zwischenraum trennt die Augenhöhle von dem Hornursprunge ihrer Seite; zwischen diesen beiden Punkten ist der Schädel beträcht- lich in die Breite ausgedehnt. Die Augenhöhlen springen seitlich vor und sind ganz kreisrund; ihr vorderer Rand ist parallel mit der Längsachse des Schädels. Die Hinterhauptsgegend des Schädels ist sehr verschieden von der irgend einer andern Rinderart. Der Hin- terhauptskamm oder die obere Nackenlinie bildet einen sehr hohen schmalen Bogen, der sich aufwärts bis auf eine kurze Entfernung zum Gipfel des Schädels erstreckt, so dass der oberhalb der Nacken- linie gelegene Teil des Hinterhauptes zu einer sehr schmalen Zone verkürzt ist. Eine glatte, leicht konkave Fläche trennt die seitlichen Grenzen des Hinterhauptskammes von den Hornursprüngen. Die Fläche unterhalb des Hinterhauptskammes bildet ein unebenes Dreieck mit krummlinigen Grenzen. Die Schläfengruben erscheinen an der Hinterhauptsfläche als schmale dreieckige Schlitze unter den Horn- zapfen: diese Schlitze sind aufwärts und einwärts gerichtet und sie liegen weit unter dem Gipfel des Hinterhauptskammes. Lyddekker meint, dass der vorliegende Schädel eine Vereinigung von Charakteren darbietet, welehe es schwierig macht ihn irgend einer der lebenden Gattungen von Rindern zuzuweisen; er betrachtet diesen Schädel als beträchtlich abweichend von der typischen Form von Bos, aber nicht in dem Grade, um eine besondere Untergattung aufzustellen. Von Bos platyrhinus ist nur ein Exemplar mit der untern Hälfte des Schädels im Museum zu Kalkutta erhalten. Dieses Bruchstück ist ausgezeichnet durch die außerordentliche Breite und Flachheit der Nasenbeine. Außerdem unterscheidet sich dieser Schädel durch die 3. Die Abstammung des Rindes und die tertiären Formen desselben. 765 ungewöhnliche vertikale Höhe von den Kronen der Backenzähne bis zur Oberfläche der Stirn. Rütimeyer ist geneigt diesen Schädel — wegen seiner bedeutenden Dimensionen — irgend einem der siwa- lischen Vertreter der Primigeniusgruppe zuzuweisen. Ueber Dos plani- frons und B. acutifrons Lydekker’s äußert Rütimeyer folgendes. „Zum erstenmale treffen wir unzweideutige Vertreter der Taurinen im ächten Plioeän. Was die Berechtigung anbetrifft, diesen Gestalten eine morphologische Selbständigkeit gegenüber den übrigen fossilen Taurinen zuzuweisen, so wird darüber das Urteil wohl nicht schwanken dürfen. Meinesteils scheint mir aus dem Ueberbliek über die große Mannigfaltigkeit der Erscheinung, mit welcher im europäischen Plio- cän !) Bos primigenius auftritt, mit ziemlicher Sicherheit hervorzu- gehen, dass sowohl Bos planifrons wie acutifrons nur als Trochoceros- (kreisgehörnte) Gestalten von Dos primigenius betrachtet werden dürfen. Es würde mir leicht sein, auf einzelne Schädel in den Museen von Bologna, von Arezzo und hauptsächlich von Rom hinzuweisen, welche treue Parallelen bilden zu den genannten siwalischen Formen. Immer- hin ist nicht unerheblich, dass sowohl Dos acutifrons wie planifrons die allgemeine Abplattung des Primigenius-Schädels zu viel weiteren Graden führen, dass mit anderen Worten die Lufthöhlen der Stirn- zone an ihnen auf weit geringerer Entfaltung zurückbleiben als bei Dos nomadicus. Am wenigsten scheint mir Bos acutifrons eine be- sondere Durchführung des Primigenius-Planes anzudeuten. Das scharfe Vortreten einer Pfeilnaht und die daherige dachförmige Gestalt der Stirnfläche dürften doch wohl kaum mehr als individuelle Abwei- chungen sein, welche auch am Primigeniusschädel hier und da auf- treten. Immerhin bleibt es vollkommen gerechtfertigt, den pliocänen Vertretern der Primigenius-Gestalt einen gemeinsamen Artnamen zuzu- weisen, für den sich der von Lydekker trefflich gewählte, Bos plani- frons, am besten empfehlen dürfte.“ In seinen „Supplement“ bemerkt Lydekker in bezug auf Bos planifrons und Bos acutifrons gegen Rütimeyer: „I may mention that we have other imperfeet frontlets of these forms in the Indian Museum, showing that the eranial characters of the figured speeci- mens are constant. From the great differences in the form of the two skulls, already suffieiently pointed out in my deseriptions, I can- not but adhere to my opinion that these two skulls belong to per- fectly distinet species.“ Auf die Aehnlichkeit des Schädels von Bos planifrons mit dem von Bos primigenius hat übrigens Lydekker bereits selbst aufmerksam gemacht; Bos acutifrons dagegen scheint ihm in der Form seines Hinterhauptes, der Stirnbeine und der Horn- 1) In seiner (oben vorgeführten) „Uebersicht der fossilen und lebenden Rinder“ schreibt Rütimeyer den Bos primigenius dem Pleistocän zu; das hier erwähnte „Pliocän“ dürfte daher wohl aut einem Schreibfehler beruhen. 766 Hansen, Ueber das Chlorophyligrün der Fucaceen. zapfen so weit verschieden zu sein von Dos primigenius, „that I can- not consider them even closely allied, much less as belonging to the same species.“ Herr Lydekker hält Herrn Rütimeyer vor, dass dieser nicht erwähnt habe, dass die beiden indischen Arten gewiss nicht jünger seien als das Pliocän, während die europäische Art von pleistocänem Alter sei. M. Wilekens (Wien). A. Hansen, Ueber das Chlorophyligrün der Fucaceen. Sitzungsbericht der Würzburger phys. med. Gesellschaft. 1884. Im Hinblick auf die noch unsicheren Angaben über den Chlorophyligehalt der Fucaceen erschien es dem Verf. nach früheren Untersuchungen angezeigt, durch Darstellung des grünen Farbstoffes aus einer Fucus-Art über die Anwesen- heit und Menge des Chlorophyligrüns ein sicheres Urteil zu gewinnen. A priori ist zwar an seinem Vorhandensein nicht zu zweifeln, indess ist noch in neue- ster Zeit vonEngelmann behauptet, dass er den Fucaceen fehle und dass bei ihnen der braune Farbstoff dieselbe Rolle spiele, wie der grüne bei anderen Pflanzen. Verf ist es gelungen, mittels einer Trennungsmethode, die er früher schon angewandt hatte (Verseifung mit Natronlauge etc.), festzustellen, dass bei den Seetangen Chlorophyligrün und -gelb fast genau in denselben Quantitäten vorkommen, wie bei anderen Pflanzen. Aus 775 g lufttrocknem Fucus erhielt er 4,6 g Chlorophyligrün ohne die Verluste. Außer den beiden genannten Farbstoffen enthalten die Fucaceen den in Wasser löslichen braunen, das sogenannte Phycophain. — Das Spektrum des Fucus-Chlorophyligrüns be- sitzt nur vier Absorptionsbänder in der roten Hälfte, die des gelben Farb- stoffes drei in der blauen. Der braune dagegen weist ein Absorptionsband auf zwischen den Fraunhofer’schen Linien E und F. Das Spektrum eines ge- wöhnlichen alkoholischen Fucus-Extraktes setzt sich aus den Spektren dieser drei Farbstoffe zusammen. „Es ist somit festgestellt, dass die Fucaceen in demselben Maße Chlorophyligrün enthalten, wie die höheren Pflanzen. Der braune Farbstoff ist ein begleitendes Pigment, welches mit der Assimilation wohl kaum in Zusammenhang steht. Diese Ansicht dürfte abgesehen von den bekannten Analogien durch den Nachweis des Chlorophyligrüns besser be- gründet sein als Engelmann’s gegenteilige Meinung“. c. Fruchtbarkeit der Gayalbastarde. Bei den im Haustiergarten des landwirtschaftlichen Instituts ausgeführten Züchtungsversuchen ward unter anderem auch ins Auge gefasst, die Beziehun- gen des Hausrindes zudem Gayal oder Stirnrind, Bos frontalis Lamb. näher festzustellen. Dieses Wildrind ist durch ganz Hinterindien, namentlich in den westlichen Teilen des Gebiets verbreitet, soll aber auch in Bengalen und Assam vorkommen und am Südabhange des Himalaya mit dem Yak zusammentreffen. In manchen Distrikten, so insbesondere in der Bergregion Chittagongs wird der Gayal in größeren Herden auch gezähmt gehalten Nach den Angaben Kühn, Fruchtbarkeit der Gayalbastarde. 7167 in Brehm’s „Tierleben, 2. Aufl. 1877“ würde vorauszusetzen sein, dass diese Rinderart dem Hausrinde sehr nahe stehe, denn 8. 415 heißt es: „Mit anderen Rinderarten, beispielsweise mit dem Zebu paart sich der Gayal, und die aus solcher Vermischung hervorgegangenen Blendlinge sind ebenso gut unter sich, wie mit Verwandten wiederum fruchtbar.“ Prüft man jedoch die Grund- lagen, auf welche sich eine derartige Auffassung stützt, so lässt ihre Beschaf- fenheit eine erneute Prüfung des Sachverhalts dringend wünschenswert er- scheinen. Zu einer solchen bot sich mir die Gelegenheit durch die Munifizenz, mit welcher das Ehrenkomitee des Zoologischen Gartens zu Kalkutta dem hie- sigen landwirtschaftlichen Institut ein Paar jähriger, direkt aus Chittagong bezogener Gayals zum Geschenk machte, die am 18. Juni 1880 glücklich in Halle eintrafen und von denen der Bulle zu einer ausgedehnten Bastardzucht benutzt wurde. Er paarte sich willig mit Kühen der verschiedensten Rassen des europäischen und des asiatischafrikanischen Hausrindes oder Zebus. Es wurden im ganzen 19 Gayalbastarde (9 männliche und 10 weibliche) gezogen, von denen die älteren bereits zur Zucht verwendet werden konnten. Die bis- her gewonnenen Ergebnisse zeigten zunächst, dass bei Anpaarung, d.h.bei Paarung mit einem reinblütigen Bullen, die weiblichen Gayalbastarde fruchtbar sind. Am 15. August d. J. ward von einer noch nicht voll 23], Jahr alten Gayal-Westerwälder Kalbe nach einer Tragzeit von 281 Ta- gen ein Kuhkalb geboren, das von einem Devonshirebullen abstammt. Es wog zur Zeit der Geburt 25,5 kg bei einem Gewicht der Mutter von 361 kg und verspricht eine gute Entwicklung. Jetzt im Alter von 10 Wochen wiegt es 81 kg, nahm also pro Tag durchschnittlich 0,8 kg zu. Die Mutter ist gleichmäßig schwarz gefärbt, nur das Gesicht ist weiß, wie bei der reinblüti- gen Westerwälder Großmutter; das Kalb zeigt ebenfalls das weiße Gesicht von Mutter und Großmutter, im übrigen ist es von rotbrauner Farbe. Ferner wurde am 20. Oktober von einer grauschwarz gefärbten, am Gesicht, am Bauch und an den Beinen mit weißen Abzeichen versehene Gayal-Simmenthaler Kalbe nach einer Tragezeit von 286 Tagen ein schwarz und weiß geschecktes Bullenkalb geboren, das von einem Shorthornbullen abstammt und bei der Ge- burt 31,5 kg wog. Das Gewicht des genau 2!/, Jahr alten Muttertieres be- trug 454 kg. — Wird somit durch diese Versuchsergebnisse die Fruchtbar- keit der weiblichen Gayalbastarde bei Anpaarung bestätigt, so blieben da- gegen die Versuche ohne Resultat, wenn Gayalbastarde unter sich gepaart wurden. Jede der oben erwähnten Gayalkalben ward dreimal mit einem Gayal-Haderslebener Bastardbullen und einem Gayal-Ostfriesen vergeblich gepaart, sie nahmen aber sofort auf, als bei der einen ein reinblütiger Devon- bulle, bei der andern ein reinblütiger Shorthorn Verwendung fand. Analoge Ergebnisse wurden noch von zwei anderen weiblichen Gayalbastarden gewon- nen, niemals befruchteten die Gayalbastardbullen. Der eine derselben wurde 22mal zum Sprung verwendet, 9mal bei Gayalbastarden und 13mal bei ver- schiedenen reinblütigen Rassekühen des Hausrindes, stets aber ohne allen Er- folg, obgleich die Paarung immer willig und rasch sich vollzog, das bald nach dem letzten Sprung geschlachtete Tier auch durchaus normale Bildung aller Teile und insbesondere zahlreiche, lebhaft sich bewegende Spermatozoiden zeigte. Drei andere noch lebende Gayalbastardbullen wurden 14mal auf Ba- stardkalben und reinblütige Kühe verwendet, aber ebenfalls stets ohne Erfolg. Es erwiesen sich demnach bis jetzt die männlichen Gayalbastarde als völlig steril, sowohl bei Paarung der Bastarde unter sich wie bei Anpaarung. Somit bildet der Gayal eine selbständige Spezies und steht dem Hausrinde 768 Marine Biological Assoeiation. keineswegs so nahe, als von mancher Seite vermutet wurde. Zum völligen Abschluss dieser Untersuchungen ist es allerdings wünschenswert, dass noch eine vermehrte Zahl von Paarungen mit männlichen Bastarden ausgeführt und dass bei Paarung von Bastarden unter sich Blutsverwandtschaft derselben ver- mieden werde. Es sind deshalb noch Bastarde von einem zweiten Gayalbullen zu erziehen, wozu sich auch in unserem Haustiergarten die Möglichkeit bietet, da es mir gelungen ist noch ein zweites Paar Gayals aus Kalkutta zu erwer- ben, das am 12. September d. J. wohlbehalten in Halle eingetroffen ist. Be- merkenswert dürfte noch sein, dass die Gayalbastarde eine recht befriedigende und relativ frühe Entwicklungsfähigkeit zeigen, sich auch recht gut füttern und nach dem Ergebnis des einen geschlachteten Tieres eine vorzügliche Fleischqualität liefern — sie werden sich bei der weitern Prüfung möglicher- weise als recht nutzbare Tiere erweisen. Julius Kühn (Halle). Marine Biological Association. Aus den Festsetzungen der im März v. J. gegründeten Marine Biological Asso- eiation, deren Protektorat der Prinz von Wales übernommen hat, heben wir hervor, dass dieselbe nach dem Muster der zoologischen Station zu Neapel zunächst eine Station für etwa 10000 Pfund Sterling an der Küste des Ply- mouth-Sunds anlegen will, da dort sich nicht bloß günstige natürliche Verhält- nisse finden, sondern eine von der Stadtvertretung eingesetzte Kommission einen kostenfreien Platz zur Anlage des Instituts und außerdem 1000 Pfund Sterling Beisteuer angeboten hat. Das massiv aus Ziegelsteinen zu erbauende Gebäude soll eine Bodenfläche von etwa 100 Fuß Länge und 40 Fuß Breite erhalten und zwei Stockwerke hoch werden; es wird dicht am Meeresufer er- richtet, so dass das Meerwasser leicht in die Behälter des Laboratoriums ge- pumpt werden kann und zugleich damit leichte Kommunikation mit Fischerboten möglich ist; außerdem erscheint die Herstellung eines Hauses in der Nähe des Laboratoriums zu speziellen Experimenten über Fischbrut u. s. w. wünschens- wert, dann müssen auch auf dem zwischen dem &ebäude und der See gelegenen Landstreifen noch Teiche, welche den Gezeiten zugänglich sind, angelegt wer- den, jedoch so, dass die in ihnen zum Studium gehaltenen Tiere nicht fort können. Im Keller des Gebäudes soll ein großes Reservoir von mehreren tausend Gallonen Inhalt angelegt werden; im Parterre zwei gepflasterte Zim- mer, von denen das eine große Behälter zur Aufnahme von Seewasser enthal- ten, das andere zur Aufnahme und Untersuchung der täglichen Erträge der gefangenen Seetiere, sowie zum Präparieren der an entfernt wohnende For- scher zu versendenden Gegenstände dienen soll. Die Räume des obern Stock- werks sollen größere und kleinere Arbeitszimmer aufnehmen, die einstweilen für 10 Forscher berechnet sind, außerdem die Bibliothek, deren möglichste Vollständigkeit an Werken über marine Zoologie und Botanik, Fischzucht u. s. w. eine der Hauptbedingungen für eine ersprießliche Thätigkeit des In- stituts sein wird. Weiter soll das Gebäude noch Schlaf- und Wohnräume für einen Inspektor und einen Diener enthalten. Behrens (Gütersloh). Zur Notiz. Inhaltsübersicht und Register von Bd. IV erscheinen gesondert Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Nainen-Register. wnunnnn ann In dem folgenden Namenregister sind die Namen der Verfasser von in Bd. IV des Biol. Centralblattes enthaltenen Originalartikeln mit*, die Namen der Verfasser von Essays, zusammenfassenden Uebersichten, Referaten, Bespre- chungen u. s. w. mit 7 bezeichnet. Namen, welche nur im Texte der Artikel angeführt werden, sind ohne Bezeichnung gelassen. Abeles 614. Ackermann 288. Adamkiewiez 410. Agassiz 267, 479. Ahlborn 539. d’Albertis 428. * Albrecht 95—96, 724— 726. Albrecht 377, 414—415, 629— 634. Allmann 21. Althaus 119. Ameghino 332. Arlt 345. Arnold 345. Aırnstein 164, 587. Arsaky 501. Ascherson 230. Aufrecht 288. * Ayers 356—360. Aymard 749. Babes 277. Bail 481. Baillanger 464. Baker 309. Balbiani 12, 26, 362, 363, 370, 550 fg., 660. Balfour 116, 531. Bär, K. E. von, 308, 424, 501. Baranetzky 199, 353 fg., 92: Barbieri 221. de Bary 199, 289, 356, 449, 486, 578—519. + Bardeleben 378. Barrois 242. Baumann 221. Bäyer 219. Beaunis 92. t Behrens 192, 224, 287, 288, 639, 640, 671, 672, 768. Beil 206. Beneden 360, 363, 660. Bennett 307. Bentham 230. Bergh 707. Bermann 318. Bernard 614. Berner 461—465. Bert 64. Berthold 263, 545. Bertkau 203. Bessey 230, 543—544. Bidder 64, 623. Biechamp 230. + Biedermann 378—383. Biehringer, Joach., 422— 425. Biesiadecki 206. Bjeletzky 351, 639—640. Bizzozero 94. Blanchard 693. Bleuler 59. Blochmann 1?. Block 468. * Blytt, A., 33—48. Boas 333. Bock 614. Boguslawski 285. Böhm 259, 264—265. du Bois-Reymond 58, 63, 1201247378, 319, 382, 383, 489. Boll 53, 206. Bonnet 207 fg. Borggreve 234. Born 268, 371—374. Bornet 546. Borodin 98, 107. Bottard 670. Bouchard 278. Bougarel 108. Bourne 235 fg. Boussingault 634. Boutmy 277. Brady 645 fg. Branco 333 fg. * Brand 609—612. Brandt 98, 104, 705 fg., 745 fg. 49 ei) Brass 364, 368. Braun, A., 681. Brauns 288. Bravard 298 fg. Brefeld 316, 400, 417—420, 481. Brehm 343. Brenner 118. v. Bretfeld 351— 352 Brieger 315—317. Broca 1—74. Brock 235, 287. Bronn 242 fg, 265. Brooks 29. Brouardel 277. Brücke 410. Brun 699. Brunner 407. Bruns Q44— 24T. Bubnow 128. Buccola 465—471. Buchner 393. Budge 130. Bull 283. Bunge 31—32. Burchell 307. Burkart 207. Burmeister 307, 329 fg., 563. * Bütschli5—12, 113 — 116. Bütschli 389, 651 fg., 713. Buys-Ballot 38. Cabanis 426. Camper 501. Carnoy 675. Carpenter 645 fg. Cartia 210. Carus 424, 501. Cash 731. Cautley 300 fg. Chauveau 350. Chevreul 88. Christmar-Direking-Holm- feld 443—444. de Christol 139 fg. Chrschtschonowitsch 209. Ciaccio 209. Cieslar, Ad., 510—512. Claus 21. Cocchi 303, 308, 344. Cohn 277, 393, 635. Cohnstein 209. C. u. Zuntz 570—573 Collett 283. Configliachi 639. Le Conte 475. Cope 331 fg. Corona 277. Councler 512. Coutance 693. Crampe 667—670. Crisp 224, 288. Croöizet 295. Croll 38 fg. Cunningham 577. Cuvier50fg.,139 fg.,294fg., 501. Cybulski 209. Cyon 59 fg., 310 fg. Czermak 86. Daday 705 fg. Dahl 438, 568 fg. Danilewsky 349—351. Danilewsky 729 fg. Darwin, Ch, 2 fg. 193, 226 fg., 327, 428, 478, 491, 517 fg., 608, 638, 693. Darwin, Fr., 70. v. Deen 56. Defay 142. Deh£rain 655. Deiters 53, 212 fg. Dekay 308, 336. Delesse 37. Delpino 196 fg., 227. Dembo 349 fg. * Deregibus 48. Desor 267. Detlefsen 2. Detmer 259, 413. * Dewitz 722—724. ti Dewitz 202, 203. Dewitz 438, 560 fg. Diodorus Sieulus 281. Dietl 205 fg., 468. Donders 57, 160, 596. v. Drasche 270—272. Drechsel 272—275. Alphabetisches Namenregister. Drewsen 219. Drude 230. Dub 308. Duncan 647. Dupetit 635. Düsing 619— 627. Dutrochet 193. Eberle 407. Eberth 206 fg. Ebstein 91. Ecker 72, 286 fg., 340 fg. Edinger 585. Ehlers 215. Ehlers (u. Neelsen) 513 — 515. Eichler 642. Eichwald 295, 308. * Eimer 580—600. Eimer 209, 356. Elin 209. r Emery 438-443. Engelmann 97 fg., 162, 209. Entz 716, 747 fg. Erb 63. Erdmann 593. Erman 639. Errera 229, 675—677. Estor 280. Etard 277. Eulenburg 63. Eversmann 308. Ewald 64. rt Exner 458—461. Exner 54, 74 fg., 214 fg. Falconer 300 fg., 753 fg. Falkenstein 723. Fanzago 203. Fick 57, 83, 693. Filhol 749 fg. Filippi 424 Finkelstein 311. Fiquet 464. + Fisch 388, 419, 420, 422, 451, 453, 484—488, 513 — 515, 544, 545550, 575, 578,.637,..675, 202. Fischer 433. Fischer, A., 737—73. Fischer, E., 449 - 451. Alphabetisches Namenregister. Fleck 634. r Fleischer -32, 91, 128, 219,,.220,°2217°313, 314, 315, 384, 703 Flemming 209, 307, 334. v. Fodor 634 Fol 12, 697— 701. Forel 51. Forssell 420—422. Fraas 143 fg., 339 fg. Franck, Frangois, 94. Frank 107, 580. Fränkel 64. Fredericq 91—95, 201 fg. Frerichs 64. Fries 420. Fritsch, G , 501, 529 Tg. Forsyth-Major 303 fg., 344. 7 Fuchs, S., 215—218. Fünfstück 644-645. Funke 125 fg., 409, 596. Gaffron 116, 425—426. Gardiner 260, 545. Gaudry 335 fg. Gautier 277. Gayon 635. Geelmuyden 40. De Geer 565. Gegenbaur 21, 24,207, 318, 347, 374. Geikie, A., 478. Gerlach 53, 213. Germar 295. Gervais 299, 308, 331 fg. Gesner 308. Gevaert 229. Giacosa 49. Gianetti 279 Giebel 296 fg. Girard, Aime, 447. Giraud-Teulon 160. Goes 645 fg. Golgi 53. Goldscheider 119, 124. Goltz 64, 349. Gondot 475. Götte 272, 389,531, 651 fg., 681 fg. Gottsche 501, 528. Gourret 705 fe. Gräbe 221. Graber, V.,560 fg., 697 fg. Graff, L. von, 745—748. Grasset 280. Gray 230, 307, 344. Gressin 670. Griesbach 225. (Grobben 27. * Gruber 717—722. + Gruber 205, 710 fg. Gruber 374, 655, 662 Grünhagen 162. Grützner 57, 62, 84, 129, TEALe Gurwitsch 346. * Haacke 291 fg. Häckel 242 fg., 291 fg., 489, 504 fg., 714. Haller 501. Hallopeau 275—281. Hänlein 512. Hampe 623. Hann 38. Hansen 98, 108 fg., 113 fg., 483, 672, 766. Hartlaub 23. Hartsen 109. Hatschek 271, 458. Hayden 337. Heckel 230. Heiberg 444—447. Heidenhain 59 fg., 318 fg., 584. Helmholtz 55, 78, 83,86 fg.., 117 fg., 248fg., 466, 692. Henking 442. Henle 53, 94, 161, 345 fg. Henninger 412. Hensel 140 fg., 186 fg. Hensen 346, 659. Herbst 173. Hering 127, 378 fg. Hermann, L., 121, 378 fg., 693. + Hermann, F., 447. Herth 409. Hertwig 21, 203—205. v. Hessling 206. Heyer 225, 232, 619. Hick 545. a Hildebrand 197, 226. Hillhouse 260, 545. Hodgson 308. Hofacker-Sadler 462. Hoffmann 89, 614. Hofmeister 199, 355, 412, 587. Hoggan, F. E., 210. Hoggan, G., 210. Holmes 330. Hoppe-Seyler 93, 99, 107, 218 fg., 315 fg., 412, 702. Horteles 319. Hoyer 318. Huber-Wolff 51. Humboldt, A. von, 119, 475. Huxley 201, 224, 284 fg. Huyssen 288. Hyrtl 346. Jaccoud 279. Jacob 308. Jacobson 238. Jäderholm 383. Jäger 278. Jikeli 662. Ingenhouß 510. Jobert 205 fg., 295. Johannsen 233. Johow 289— 291, 641 —644. Jönssen 197 fg., 353. Johnston 308. r Jordan 438. Jordan 284 - 285. Jürgensen 64. 7 Karsch 51, 53, 456. Kaup 139, 296, 308. * Kellermann 640. + Kellermann 413, 447, 512, 574—575. Kerner 233. Kettler 285. Key 175. Kiesselbach 118. Kjeldahl 384. Kjellmann 266 fg. Kirchhoff 288. Kistiakowsky 409. * Klebs 705—710. 7 Klebs 291, 326, 748. 49* TED Alphabetisches Namenregister. Klebs 546. Leidy, Jos, 151 fg, 183, v. Mering 383—384, 614. Kleinenberg 272. 308, 331 fg., 413. Merkel 53, 169, 207 fg., 345. Knight 1. Lemoine 550—559. * Meyer, Arthur, 97 fg., 286. Koch 51—53, 288, 393, 635. v. Lendenfeld 243, 291 fg. Meyer, Fritz, 270. Koch, A, 741. Lesson 307 fg. Meyer, Herm. von, 139 fg., Kocks 416. Leube 64, 581. 296, 307. Kohl 193—195. Leuckart 423, 627. Meynert 212 fg. Köhne 227, 230. Lewis 277. Miclucho-Maclay 501. Kölliker 130 fg., 161, 174, Leyden 64. Miescher-Rüsch 136 206, 210, 535, 582, 634, Leydig 169, 210, 698. Mihalkovies 531. 724 fg. Liebe 340. Milne Edwards 188 7 Kollmann, 499, 528. Liebig 88 fg. Minot 5, 690. Kollmann 346 - 347. Lindenschmidt 342. Mitchell 336. Korschelt 363. Linn& 307 fg. * Möbius 389—392. Koschewnikoff 213. Livingstone 281. + Möbius 645—650. Kossel 409. Lockmann 124. Möbius 651 fg., 688 fg. Kowalewsky 144 fg., 749 Lotze 84. Mohl 193, 195. Krabbe 644. Löw, O.. 574. Mohn 38 fg., 44. Kräpelin 50—51, 468. Lubbock 224. Möhlenfeld 409. + Kraus, C., 352. Lucae 347—348. v. Mojsisovies 206, 209. Krause, C., 346. + Ludwig 197, 201, 234. Moleschott 596. 7 Krause, W., 96, 161— Ludwig 225, 230, 310 fg. Molisch 1—4. 182, 205—211, 247, 312, Lund 308, 328 fg., 331 fg. Moorcroft 308. 319,.346 fg., 445, 416, Luschka 345, 377. Moulinie 424. 448, 634. 7 Lustig 74—78. Möwes 225, 233. Krause, W., 95, 127, 317 Lydekker 307 fg., 760 fg. Mulder 409, 512. —319. Lyelle33,. 327: Müller, Joh., 55, 78 fg.,211, Kreidmann 311. 501. Kronecker 731. Magnus 232, 485. Müller, Fritz, 196fg., 225fg. Kruper 140. Maly 409 Müller, Herm.,196fg ‚225fg. 7 Kühn 766—768. De Man 191—192. Müller, N. J. C., 109. Kühne 64, 108, 199, 410. Mandelstamm 459. Müller-Thurgau 70. Kuhnt 345. Maquenne 635. Müntz 634. Kussmaul 255. Marey 93 fg. Murchison 306. Marktanner-Turneretscher Murray 478 702. Landois 94, 288, 565, 595. Marsh 183 fg. Nägeli 28, 279, 393, 488— Landwehr 314—315. Marshal 235 fg. 499, 517—528, 742. Langerhans 206, 208. Marshal Ward 577—578. TNasse665— 666, 726— 731. Lankester 224, 288. Martegoute 624. Nathorst 267. Lartet 142, 303, 306 Martin 338. v. Nathusius - Hundisburg Latreille 455, 565. Mattirolo 289. 340 fg. Latzel, Rob., 454—456. Maupas 711. v. Nathusius - Königsborn Layard 308. * Mayer, Sigm,, 129 fg. 288. Lebedeff 89. Mayzel 363. Naumann 343. Leboucq 374. Mc. Farland 43. Neelsen (u. Ehlers) 515 — Lefebvre 51. Mecznikoff 26 fg, 424. 515. + Lehmann, Vikt..224, 317, Meinert 455. Nehring 288, 340 fg. 407— 412. Meissl 89. + Nicati 54. Lehmann 50 fg., 59, 384, Meissner 347, 408. Nobbe 510 fg. 203: Menzbier 426 —438. Nordmann 297. Alphabetisches Namenregister. Nuel 91—9. Nussbaum24fg., 632,717fg., Nylander 174. + Obersteiner 74, 287. Odenius 205, 207. 7 Oerley 192. Oertel 312—313. D’Orbigny 649. * Otto 732—736. Paladino 209. Pallas 308. Palm 193. Pansch 703. Pasteur 276 fg., 315, 635. Paushow 512. Pavy 614. * Peracca 48 fg. Perris 50 fg. Pertschinsky 476. Peschel-Leipoldt 45. Peter 279. Petri 384. Pettenkofer 88. Petterson 36. Pfaff 119. Pfeffer 109 fg., 198 fg., 579, 673—675. Pfeiffer, Emil, 64. Pfitzner 207. Pflüger 57, 63, 251, 268 fg., 321. 12, 627. Pfurtscheller 545. Philippeaux 59, 64. Philippi 281 fg. Pick 257—200. Pietet 192. Pietrement 338. Plateau 567, 691—697. Playfair 224. Ploss 319—320. Plösz 313—314 Podcopaen 208. Pol&jaeff 241— 244. Poliakoff 318. Pomel 299, 308, 338. Potonie& 230, 232. * Pouchet 601—608. Pouchet 211, 705 fg. Pourtales 267. Pozzi 72. + Prazmowski 393 —406. Preyer 255. Pringsheim 5, 98 fg., 105 fg. Prochomik 542 fg. Prout 223. Przewoski 175. Purkinje 86. Wuatrefages 210. Quenstedt 140. *Rabl-Rückhard 499— 510, 528—541. + Rabl-Rückhard 444. Ranvier 53—54, 162, 180, 210. Rathke 725. Rattke 575. Ratzeburg 565. Rauber 346. Reaumur 50. Redtel 205. * Reess 481—483. Rehmann 340. Reichel 318. Reichert 210. Reinke 98 fg., 107 fg., 574. Reiss 333. Retzius 175. Rhein 350. Richarz 462. Ritter, J. W., 86, 119 fg. Robin 279 fg. Robineau-Desvoidy 50. Rogner 71—74. Rohlfs 288. Rolph 657 fg., 680 fg. Rombouts 438, 560 fg. Romiti 310, 415—416. Rosanoff 355. Rosenberg 374. * Rosenthal 54 fg., 78 fg., 116 fg., 154 fg., 247 fg. + Rosenthal 95, 471. Rosenthal 51, 61, 64, 466, 693 Rossbach 64. Rossi 164. Rost 265. Roth, Joh, 140. ts Roule 12. Roux 371—374. Rubner 89. Runge 63. Russow 260— 263, 545. Rütimeyer 141, 300 fg., 340 fg., 792 18: Sabatier 12. Sachs 1 fg., 70, 193, 19, 545, 579. Sacepine 113. Sadebeck 485. Salensky 271 fg. Salkowski 220. Salvadori 428. Sanson 307, 338, 341. Sappey 346. Saussure 265. Schaarschmidt 545. Schachowa 319. Schäfer 175. Schelske 468. Schenk 515— 516. Schiemenz 50. Schiff 56, 59 fg., 349. Schimper 97 fg., 101 fg., 108, 321— 326, 515. Schlagintweit 307. Schlechter 627 —629. Schleicher 198, 353. Schlösing 634. Schloth 308. Schmankewitsch 453 — 455. Schmerling 298. + Schmidt-Mülheim 275. Sehmitz 70, 97, 101 fg., 515, 542. Schneider 311. Schneider, J., 281. Schöbl 206 fg. Schönlein 700. Schotten 220—221. Schoyen 475—477. Schred 308. Schröter 449, 541—543. Schübeler 34. Schultze, M., 64, 210. Schulze, B., 89. Schulze, F. E., 209 fg., 242. Schulzen 221. 174 Alphabetisches Namenregister. Schützenberger 411. Schwager 189. Schwann 64, 408, 693. Schwalbe 53, 77, 345. Schwartz 288. Schwarze 342. Schweinfurth 471. Schwendener 193, 195, 289. Scott 226. Scoutetten 477. Seebohm 428. * Seegen 612—629. Seegen 64. + Seler 265, 268, 283 fg., 454, 471—473, 473 — 474, 475 — 477, 477— 480, 576, 608. Selmi 277. Semper 428, 458, 478, 626. Senator 312 fg. De Serres 298 fg. Sertoli 206, 209. Sesemann 346. Sewertzow 434 Shuttleworth 266. Siebold 187. Siliman 2832. Simmermacher 438, 560 fg. Skertchley 39. Smith 307 fg. r Solger 319, 701. Sommerfeld 265. Soxhlet 89. Spallanzani 164, 268. Spencer 256. + Spengel 241, 270, 272, 374, 413. Sprengel 196, 231. Stahl 197fg., 259, 353—356. Stebler 510. Steenstrup 422. Stein 705 fg. Steiner 63. Steinitz 296. Stich 122. + Stieda 543. Stieda 206, 211, 377, 501, 528. Stilling 212. Stöhr 581. Stossich 271 fg. Strasburger 260, 353, 363, 451 —453, 486, 515, 545, 637—638, 691. Strauss-Dürkheim 562 fg. Tangl 98, 101, 260, 545. Tarchanoff 222—224. Terletzki 545. v. Thanhoffer 581 fg. Theobald 309. Thomas 338, 423 fg. Thufeldt 671. Thuret-Bornet 545. Tiedemann 501. van Tieghem 69. Tieffenbach 614. Todd 161, 227 fg. Tournouer 338. Toussaint 339. Treviranus 501. Tschirch 97 fg., 105 fg. v. Tschudi 282, 429. Tuezek 217 fg. Tulasne 449, 485. Urban 225, 227. Vandevelde 315 —317. De Varenne 29. Vieg-d’Azyr 445. Vierordt 470. v. Vintschgau 120, 122, 468. Viti 310—312. Volta 119 fg. i Vosmaer 241-—-244. Vossius 345—346. De Vries 193, 574. Vulpian 59, 62, 64. Wagener, G. R., 130. Wagner, Andr, 140, 333. Wagner, Mor., 328. Wajgel 702. Waldeyer 132, 207. Wallace 436. Walter 346. Ward 577—578. Weber, E. H., 154, 158. Weber, Herm., 64. Weddell 331. Weinzweig 459. * Weismann 12 fg., 650 — 695, 677 691% Weismann 130, 361, 367, 389. Weiss 348—349. Wendt 318. Wiedersheim 374, 581. Wiesner 24. Wjeliky 206 fg. * v. Wielowiejski 360 fg. Wigand 257. + Wilckens 188, 344, 627, 629, 670, 749— 765. + Wilhelm 4, 263, 356, 745. Will, 175, 370. Williston 282. Willnik 267. Winter, G. S., 188. v. Wittich 130 fg., 238 fg., 361, 439, 596. Wittrock 265 —268. Wojeikoff 38, 285. Woldrich 344. Wolf, Theod., 329 fg. Wollny 575—576, 634— 637. Woronin 386. * Wortmann 65 fg. + Wortmann 4, 195, 260. Wright 647. Wrzesniowski 711. Wurtz 412. Young 192. Alphabetisches Nainenregister. 1648 Zacharias, E., 576. Zenker 132. Zuckerkandl 71 fg. Zacharias, O., 98, 107, 320, Zeppelin, Graf, 456—458. + Zuntz 570—573. 544. Zinn 346. Zurhelle 63. Zawarykin 585. Zopf 385—2838, 640. Zweifel 571. Zeller 219 fg., 716. Zöppritz 38, 42. Sachregister. A. Abstammung des Rindes 749 fg. Abstammungslehre, Mech.-physiol Theo- rie der —, von Nägeli 488 fg., 517 fg. Abwerfen der Scheren des Fluss- krebses 201. Acantephyra 19. Acern 263: Aceton 219. Actinosphaerium Eichhornü, Kernteil- ung bei 203. Actinotheca 189. Adventitia 162. Aegypten, Gräber des alten Aeg. 471 fg. Aethalium septicum 198. Aöranthes funalis 323. Affen, Tastapparat der Hand der menschlichen Rassen und der A. 346. Agrostis 511. Ajuga Iva 230. Ajuga reptans 234. Akebia quinata 232. Akkommodationsphosphen 86. Aktive Reaktion der Eizellen 20. Alectorolophus major 229. Alectorolophus minor 229. Alkalien im Harn 703. Almus 262, Alsine verna 233. Amerikanisches trichinenhalt. 601 fg. Amidophenylpropionsäure 221. Amidophenylessigsäure 221. Ammannia latifolia 230. Ammocoetes 210. Amphibien, Zwitterbildungen bei 235. Amphibien, Hermaphroditismus bei 268. Fleisch Amphihelia 189 Amphioxus lanceolatus 210. Ampbhoriscus elongatus 244. Amylum, Einfluss der Reaktion — auf den fermentativen Prozess 413. Amnioten 161 fg. Amöboide Zellen 133. Anaplasten 103. Analyse, Handbuch der qualitativen chemischen — von A. Meyer 286. Anatifera 191. Anamnioten 210. Anatomie des Kaninchens 317. Anatomische Notizen von Romiti 415. Anatomische Vorlesungen von Pansch 703. Anchippus 152, 183. Anchitherium 142 fg., 152. Anchitheridae 152. Anchomenus 361 fg. Ancylonema Nordenskiöldii 267. Angelhaare bei Chrysopenlarven 722. Anguis fragilis 168. Anisonema 453 fg. Anthurium palmatum 324. Anthophora pilipes 196. Anthropol. Studien am Becken lebender Menschen 541 fg. Apheleurhus nivalis 167. Aphrocalistes 189. Apocephalus rostratus 191. Apseudes 196. Arenaria ciliata 233. Argyropelecus hemigymnus 191. Artisteus 191. Arrenotokische Parthenogenesis 625. Artemia 283. Sachregister. Articarpus incisa 326. Ascaris mystax 31. Aschengehalt der Blätter 512 Ascomyces endogenus 486. Asconema 189. Ascones 242. Asinus 292, 297, 307 fg. Assoziationsfasern 213. Astacus 361. Atmosphäre, die Pflanze und die 264. Atmung und Kreislauf beim tierfötus 570 fg Atmungsplasma 365. Aurora 292. Aussterben arten 426. Auto-Allogamie 229. Autoplasten 103. Säuge- und Kreuzung von Tier- B. Baeillus subtilis 315, 394 fg. Bacillus anthracis 192, 394 fg. Bacterium termo 99. Bacterium subtile 398. Bakterien 276 fg. Bakterien, Genetischer Zusammenhang der Milzbrand — und Heu- — 393 Bakterien, Spaltungsprodukte der 315. Batrachospermum 102. Bathynectes 191. Bathypterois 191. Bau und Lebensweise der lipiphyten Westindiens 321. Bau und Thätigkeit von Muskeln 726. Becken, Anthropol. Studien am — leben- der Menschen 541. Begonia 326. Benzo&säure 221. Bertia 387. Beta vulgaris 257. Beugereflex 250. Bewegungsreize, Zwei neue pflanzliche 197: Bidder’sches Organ 238 fg. Biological Association, Marine — in England 288. Biologische Forschungen gebirge 320. Biologie und Morphologie der Pilze etc. 578 fg. im Riesen- I I I Bildung der Korallenriffe 477 fg. Blastostyl-Knospe 20. Blastogone Bildungsweise der Sexual- zellen 14. Blattbewohnende Flechte, Bau und Ent- wicklung einer 577. Blätter, Aschengehalt der 512. Blumen, Biologische Bedeutung des Farbenwechsels mancher 196. Blut, Wirkung desFerricyankaliums auf 383. Blut, Atmung und Kreislauf beim Säugetierfötus 570 fg. Blutplasma, Seifen als Bestandteil des 702. Blutgefäßsystem der Netzhaut, Unter- suchungen über das 244. Blütendiagramme, Ausgew. 703. Blütenformen, Verschiedene — an Pflanzen der nämlichen Art 225. Boden, Thätigkeit niederer Organismen im 634 fg. Bombinator igneus 210, 237, 373. Bombus hypnorum 197. Bombus hortorum 197. Bombyx 11. Bos etruscus 304. Bos primigenius 304. Botanisches Praktikum von Strasburger 637 fg. Bougainvillea 23. Botrytis einerea 199, Brisinga 1%. Brutsäcke, Medusoide 21. Brutsäcke, Polypoide 21. Bryonia dioica 231. Bubalus palaeindiceus 310. Bufo cinereus 210, 235. c. Campanularia 19. Campunalaria flewuosa 17. Callithamnion A02. CalWweria 490. Calystegia 194. Carica Papaya 228 fg. Cassia 326. Cassia Chamaeecrista 228, Cassia multijuga 228. Cassia neglecta 228. 718 Calamintha alpina 229. Campanula dimorphanta 230. Cardamine chenopodifolium 231, 234. Carya olivaeformis 234. Calcarea, Report on the 241. Camelus Sivalensis 310. Caesalpinia 326. Canis troglodytes 328. Carabus 361 fg. Capillitiumfasern 452. Catocala, Geschlechtscharakter 724. Centropkorus squamosus 191. Centrophorus erepidallus 191. Centrocymmus caelolepis 191. Cerastium arvense 232. Cerastium caespitosum 232. Cerastium alpinum 232. Cerastium glomeratum 232. Cerastium semidecandrum 232. Cerastium perfoliatum 232 fg. Centaurea jacea 233. Cercopithecus sabeus 312. Cerebrospinalnervensystem, Unabhän- gigkeit der Kontraktionen der Gebär- mutter von dem 349. Cervus tarandus 339. Ceratium 706. Cephalodien, Studien über 420. Cercaria macrocerca 423. Chlorophyll, Funktionen des — im Tier- reich 745. Chlorophy!!grün der Fucaceen 766. Chlorophylikörner 97 fg. Chlorophoren 103. Chloroplastiden 103. Chromatophoren 103. Chromoplasten 103. Chromoplastiden 103. Chilognathen , Endorgane an den Füh- lern der 113. Chritonactis 189. Chara 200. Chlamydomonas pulvisculus 201. Chauliodus 210. Chloroform, Schicksale des Jodoforms und — im Organismus 219. Chroococcaceae 266. Chlamydomonaceae 267. Chromogene des Harns Derivate 313. Chromatin 363. und deren Sachregister. Chironomus 363 fg. Chironomus Tipula 366. Chironectes variegatus 375- Chilopoda 455. Chylusresorption in der Dünndarm- schleimheut 609 fg. Chorda dorsalis 630. Challenger, Foraminiferen der — Expe- dition 645 fg. Chylus, Seifen als Bestandteile des 702. Chrysopenlarven, Angelhaare bei 722 fg. Cirroteuthys 190. Cirrophilus 191. Cilissa melanura 226. Cistus hirsutus 230. Cistus villosus 230. Clava 16, 19. Cladonema 25. Cladorhiza 189. Cleiosantha 230. Clusia rosea 324. Clostridium 514. Coprinus 4. Cönogone Bildungsweise zellen 14. Cordylophora 18, 22. Corydendrium 21 fg. Ooelopeltis insignitus Wag., Bemerkun- gen über 48. Conferva 101. Confervaceae 267. Colloidsubstanz 128. Colaenis Julia 196. Cornea, Nerven der 208. Convallaria majalis 229 fg. Collomia grandiflora 230, 234. Collomia Cavanillesii 230. Collomia linearis 230. Coryllus Avellana 234. Cora 289. Cora pavonia 289. Condylura ceristata, nasal rays in 356. Corethra plumicornis 368. Coprolepa 387. Codosiga 391. Coleochaete 102. Cristellaria 139. Oryptohelia pudica 189. Uryphiacanthus 230. Orescentia ÜOujete 325. Oryptobranchus japonicus 391. der Sexual- Sachregister. Otenodrilus monostylos, Bau und Tei- lungsvorgänge 456 fg. Oucurbita 232, 262. Cucurbita Pepo 67, 574. Cucurbitaceen, Siebröhrensystem 737. Cuscuta 100. Cucumis 232. COytisus 109. Cynosurus eristatus 230. Cytoplast 261. Dahlia 102. Danais erippus 196. Danthonia spicata 230. Darmepithelien, Verbindungen der D. mit dem Bindegewebe 588 tg. Darmparasiten, Sauerstoffbedürfnis der 31. Daphne 262. Darwin’s Kampf ums Dasein 517. Darwin’sche Krümmung 3. Dasypus punctatus 328. Dasyurus 375. Dentalina 189. Dentalium 190. Desmidiaceae 267. Desorea glacialis 267. Diatomaceae 267. Dickdarmresorption 582. Dietyonema 290. Didelphys 375. Dientomophilie 229. Differenz, psychrometrische 3. Diöcie 231. Diplopoda 455. Dipteracanthus 230. Distomum 425. Dopplerit im Fichtelgebirge 640. Dorocidaris 190. Dotter, Verhältnis zwischen D. und Eiereiweiß 222. Drehungen der Hand 444. Drosera, Ernährungsversuche 746 Dünndarm u. Dickdarm, Fettresorption im 580. Dünndarmschleimhaut, Chylusresorption in der D. 609 fg. Dytiscus 361 fg. Zchium 197, 233. Ei des Frosches, Einfluss der Schwere auf die Entwicklung 371 fg. Ei der Krebse 365. Ei der Insekten 365. Eiereiweiß, Verschiedenheit des E. bei Nestflüichtern und Nesthockern 222. Eiweißkörper, Die nächsten Verdau- ungsprodukte der E. 407. Eizellen, Aktive Reaktion der E. 20. Eizelle, Bemerkungen über die E. 360. Eiche, Phylloxera der E. 550 fg. Eichhornia 226. Eigengeschmack 122. Einzellige, Sterben der E. und vielzel- lige Tiere 389. Einzellige, Unsterblichkeit der E., 650 fg., 621 Sg. Eisfauna, Eisflora 265. Elasmonotus 191. Elater 368. Elektrolysen und Elektrosynthesen 272. Elöments de physiologie humaine 91. Elephas meridionalis u. E. antiquus 304. Elephas primigenius 339. Elodea canadensis 105 fg. Elmis 2831. Embryonale Entwicklungsmechanik 371. Endkapseln 169. Endkolben, zylindrische 163 fg. —, kuglige 166 fg. Endorgane an den Fühlern der Chilo- gnathen 113. Endothelscheide 162. Energien der Nerven, Die spezifischen 54 fg., 78.fg., 116 fg., 154 fg. Entosolemia 189, Entwicklungsmechanik, embryonale 371. Entwicklung, phylogenetische, nach .. Nägeli 524. Eohippus 184. Ephydra californica 283. Epidermen, zentrifugale Weandver- diekungen 515. Epihippus 185. Epiphyten Westindiens, Bau und Le- bensweise der 321. Epi-Plasma 483 fg. Epistylis 391. 780 Epitheliale Fettaufnahme 591 fg. Equus 138 fg., 183 fg., 294 fg., 327 fg. Eremurus spectabilis 197. Ernährung mit Hühnereiern 312. Erodium 229, 233 fg. Erophila 231. Erytrophoren 103. Erytrophyli 107 fg. Essbare Insekten 281 fg. Etiolierte Zellen 99. Eudendrium 18, 22. Eudorina 6 fg. Euglena 109. Euphrasia offieinalis 229. Euplectella 189. Euplotes harpa 390. Eurema 196 Eusordaria 387. Extraflorale und florale Schauapparate 641 fg. Fabricia 413. Faramea 226. Farbenwechsel mancher Blumen, Biolog. Bedeutung des F. 106. Farbstoff, Bedeutung des roten F. bei den Phanerogamen 257. Faserverlauf im menschlichen Rücken- wark 74. Fermente, peptonisierende, in Pflanzen- sekreten 672. Fermentativer Prozess, Einfluss der Reak- tion Amylum enthaltender Flüssigkei- ten 413. Ferricyankalium, Wirkung des F. auf Blut 383. Festuca elatior 230. Fettablagerung im Tierkörper 88. Fettaufnahme, epitheliale 591. Fettpflanzen, Säurebildung bei 574. Fettresorption im Dünndarm und im Dickdarm 580 fg. Fischblase, Physiologie der 639. Fischgehirn, Entwicklung des Gehirns der Knochenfische 499 fg., 528 fg. Flabellum 189. Flagellaten, Organisation und Stellung 705 fg. Flechte, blattbewohnende, Bau Entwicklung einer b. F. 577 fg. und Sachregister. Flechten, Entwicklung der F. 644. Fleisch, amerikanisches trichinenhaltiges 602 fg. Fliege, Ovarien der F. 365. Florale und extraflorale Schauapparate 641. Florfliegen 722 tg. Flusskrebs, Abwerfen der Scheren des F. 201. Foraminiferen 645 fg. Forschungen, biologische, im Riesen- gebirge 320. Fortbewegung von Tieren an senkrech- ten und überhangenden glatten Flä- chen 438 fg. Fraxinus 262. Froscheier, Entwicklung der F. bei Auf- hebung der richtenden Wirkung der Schwere 371. Fruchtbarkeit der Gayalbastarde 766. Fucaceen, Chorlophyligrün der F. 766. Fumaria capreolata var. pallidiflora 197. Furchen, Verhalten der F. an der Groß- hirnoberfläche 71. Fusus 190. (x. Galacantha, Galathodes 191. Galle, Physiologie der G 348. Ganglien des Gehirns 212. Gartner’sche Kanäle beim Weibe 416. Gastromyceten, Entwicklungsgeschichte der G. 449. Gayalbastarde, 760 fg. Geaster 451. Gebärmutter, Unabhängigkeit der Kon- traktionen der G. von dem Cerebro- spinalnervensystem 349. Gehirn der Knochenfische 499 tg., 528 fg. Gelenknervenkörperchen 169. Generationswechsel der Salpen 29. Genitalnervenkörperchen 171. Geophilus 203 Geranium sylwaticum 233 Geruchsorgane der Gliedertiere 50. Gasamtstickstoff, Bestimmung des G. im Harn 384. Geschlechtsbildung, 461 fg. Fruchtbarkeit der G. Ursachen der G. Sachregister. Geschlechtscharakter bei Catocala 714. Geschlecht, Ursachen, welche das G. bestimmen 627 fg. Geschlechtsverhältnis, Regulierung des G. 619 fg. Geschmacksknospen 121 Glandula pinealis der Wirbeltiere 540. Glechoma 233. Gliedertiere, Geruchsorgane der G. 50. Glockenkern 16. Glomeris 114, 202. Glykogen, Darstellung des G. in tieri- schen Organen 314. Glykogene Funktion der Leber 612 fg. Gräber des alten Aegyptens 471 fg. Grandry’sche Körperchen 179 Greifbewegung der Schlingpflanzen 194. Großhirnoberfläche, Verhalten der Fur- chen und Windungen an der G. 71. Großhirnrinde, Anatomie, Physiologie u. Entwicklungsgeschichte der G. 212. Gummibildung im Holze 580. Gynodimorphismus 232. H. Haftlappen bei Fliegen ete. 569 Haftvorrichtungen bei Tieren 564 fg. Haftwurzeln 323. Hämoglobin und Methämoglobin 732 fg. Hand, Drehurgen der H. 444 fg. Hand, Tastapparat der H. der mensch- lichen Rassen und der Affen 346. Handbuch der qual. chem. Analyse von A. Meyer 286. Harn, Alkalien im Harn 703. Harn, Bestimmung des Gesamtstickstoffs im H. 384. Harn, Chromogene des H. und deren Derivate 313. Harn, Indigo bildende Substanzen im Harn 213. Harn, Quelle der Hippursäure im Harn. 220. Hasenscharte 95. Hatteria sphenodon 319. Hatteria punctata 414. Haustiere, Paläontologie der H. 137 fg., 183 fg., 294 fg., 327 fg., 749 fg. Haut, Nervenendigung in der äußern Haut u. den Schleimhäuten 161, 205. sl Hefepilze, Botanische Untersuchungen über H. 417 fg. Hefepilze, Systematische Stellung der H. 481 fg., 484 fg. Helianthemum 230. Heliconius 19%. Heliotropium mutabile 197. Helminthocladia 109. Henle’sche Scheide 162. Herbst’sche Körperchen 177. Harıraphroditismus bei Amphibien 26*. Heterocoela 242 Heterodichogawie 234. Heteromesogamie 229 Heteroplastiden 391. Heterostylie 226. Heubakterien, Genetischer Zusammen- hang der Milzbrand- und Heubakterien 393. Hipparion 139, 187, 296. Hipparitherium 142. Hippidion 307, 308, 329 fg. Hippoideum 308. Hippopodius 19. Hippotherium 139 fg, 306. Hippotigris 307 fg. Hippursäure, Quelle der H. im Harn 220, Hirnwindungen des Menschen 236. Histologie des quergestreiftr.Muskels 129. Hofacker-Sadler’sche Hypothese 451 fg. Holtenia 189. Holz, Gummibildung im H. 580. Homocoela 242. Hottonia palustris 226. Hühnereier, Ernährung mit H. 312. Hyalonema 189. Hydra 745. Hydractinia echinata 17. Hydranthen-Knospe 20. Hydromedusen, Entstehung der Sexual- zellen bei den H. 12. Hydrotropismus, Untersuchungen über den H. 1. Hydrotropismus 198, 354. Hymenaster 1%. Hymenolichenen, Westindische 289. Hyoscyamus 234. Hypocopra 387. Hypohippus 152, 183. I & NG) I. Idioplasma, nach Nägeli 490 fg. Tlex aquifolium 34. Indigobildende Substanzen im Harn 218. Indoxylschwefelsaures Kalium 218. Infektionstoffe, Rolle der — bei Krank- heiten 275. Infusorien, Künstliche Teilung bei 717. Innenkolben 162. Innervation des Kehlkopfes 458. Insekten, Essbare 281. Insektenei 365. Insekten im menschlichen Körper 475 fg. Insektenkörper, Mechanik des 560. Insektenbeine, Schrägstellung der 438. Intraepithealer Nervenplexus 208. Interzentrale Nerven 56. Intermedium tarsi der Säugetiere und der Menschen 374. Interkanalhystem der Syconen 243. Jodoform, Schicksale des — und Chloro- forms im Organismus 218. Jodalbuminlösung 219. Iris Pseudacorus 229. Isis 189. Juglans regia 234. Juglans cinerea 234. K. Kälte, Einwirkung der — auf Mikroben 192. Kalium, Indoxylschwefelsaures 218. Kalium, Phenolischwefelsaures 218. Kalkschwämme 241 fg. Kaninchen, Anatomie des 317. Kanäle, Gartner’sche — beim Weibe 416. Keimstätte der Geschlechtszellen 14. Keimstätte, Zurückschieben derselben 16 fg. Keimprotoplasma, Kontiunität des — durch die Generationen hindurch 24. Keimbläschen des Eies 360 fg Keimfleck 361. Keimung der Samen, Einfluss des Lich- tes auf die 510. Key-Retzius’sche Körperchen 178. Kernteilung bei Actinosphaerium Eich- hornii 203° Kerngerüst 361. Sachregister. Kernkörperchen 361. Kernsaft 366. Kehlkopf, Innervation des 458 fg. Klebtheorie (Haftvorrichtungen bei Tie- ren) 566. Kleistogamie 230. Klima, Perioden des 37. Knautia 232. Knochenfische, Gehirn der 429 fg., 523 fg. Kolbenzellen 162. Kolbenkörperchen 168. Kommissurenfasern 213. Kontraktionen der Gebärmutter, Unab- hängigkeit der — vom Cerebrospinal- system 349. Kontraktion der Muskeln 727. Kontraktionszonen 369. Korallenriffe, Bildung der 477 fg. Konjugation der Einzelligen 659. Kontiunität des Keimprotoplasmas durch die Generationen hindurch 24. Körperchen, Terminale 161 fg Körperchen, Vater’sche 161, 172 fg. Körperchen, Pacini’sche 172 1g. Körperchen, Herbst’sche 177. Körperchen, Key-Retzius’sche 173. Körperchen, Grandry’sche 179. Körperchen, Meissner’sche 181. Körperchen, Leydig’sche 182, 210. Kragenepithel 242. Krankheiten, Rolle der Infektionsstoffe bei 275. Krebse, Ei der 365. Kreislauf und Atmung beim Säugetier- fötus 570. Kreuzung und Aussterben von Tier- arten 426 fg. Krümmung. Hydrotropische 3. Krümmung, Darwin’sche 3. Krümmung, Thermotropische 69. L. Lacerta 168. Lagena seminiformis 189. Lampyris 361. Längenwachstum von Pflanzenteilen, Wirkung der Wärme auf dasL. v.P. 65 fg. Längskolbenzellen 163. Lantana 196. Sachregister. Lebensweise, Bau und L. d. Epiphyten Westindiens 321. Leber, glykogene Funktion d. L. 612 fg. Lehrbuch d. vergl. mikrosk. Anat. von Fol. 697. Lemming, Wanderzüge des L. und das Scharlachfieber 283. Lepidium sativum 68. Leucandra aspera 242. Leucones 242. Leucosolenia 244. Leukoplastiden 103. Leuxilla 244. Leydig’sche Körperchen 182, 210, 541. Lichenen, Entwicklung der L. 644 Licht, Einfluss des L. auf die Keimung der Samen 510. Ligamentum teres 319. Lima excavata 19%. Linum 4, 102, 236. Lithospermum longiflorum 230. Lokomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. Lolium perenne 230. Lophohelia 189. Lumbrieulus variegatus 457. Lungenkrankheit der Schafe 51. Lychnis 231. Lycosa 361 fg. Lysimachia 229. Lythrum 226. M. Macroscincus 191. Maerurus 191. Malachium 233, Malacopoda 455. Malva 229. Manayunkia 413. Mandelsäure 221. Manubrium der Meduse 14. Maranta 228. Marginella 19%. Marine, Biological Association in Eng- land 288. Marsilia 200. Mastodon 327. Mechanisch-physiolog. Theorie der Ab- stammungslehre, nach Nägeli 488 fg., Hl fe: (85 Mechanik des Insektenkörpers 560 fg. Medusoide Brutstärke 21. Meeresströmungen, Ursachen der perio- dischen Veränderungen in der Stärke der M. 33 fg. Megatherium 327. Meissner’sche Körperchen 181. Menschliche Rassen, Tastapparat der Hand der M. R und der Affen 246. Mentha 232 fg. Menyanthes 226. Mercurialis annua 232 Mesocarpus 101. Mesohippus 185. Metachirus 375. Methämoglobin 722 tg. Micellen, bei Nägeli 493 fg. Microdelphys 375. Micropterus salmoides 671. Miescher’sche Schläuche 134. Mikroben, Einwirkung der Kälte auf 192. Mikroben 278 fg. Mikroskop, das, und die wissenschaft- lichen Methoden der mikroskop. Un- tersuchungen 544. Miliolidae 189. Milium amphicarpum 230. Milzbrand - und Heubakterien, Geneti- scher Zusammenhang der 393. Miohippus 185. Mitremyces 451. Möhringia 233. Morphologische Bedeutung der Richtungskörperchen 5 fg. Morphologie u. Biologie der Pilze578 fg. Mospea 189. Mucor 4, 198 fg. Mus 205. Musca 361, 366. Muskel, Histologie des quergestreiften M. 129 fg. Muskeln und Nerven, Sekundär-elektro- motorische Erscheinungen an M. und N. 378 fg. Muskeln, Bau und Thätigkeit 726. Muskelkraft wirbelloser Tiere 691 fg, Muskelzellenschläuche 132. Myosotis 197. Myriopoden der österr.-ungarischen Monarchie 454 fg. Myxomyceten, Biologie der M. 353. s0g. N. Nägeli’s Theorie der Abstammungs- lehre 488 fg., 517 fg. Nährschicht 368. Nahrungsschicht 364. Nährwurzeln 323. Nasal rays in Condylura eristata 356 fg. Naturforscher und Aerzte, 57. Ver- sammlung deutscher N. u. A. 237. Nematoden der Schaflunge 51. Nematoden der niederländ. Fauna 191. Nematocarcinus 191. Nephelis 361. Neraea 190. Nerven der Cornea 208. Nerven, Sekundär-elektromotorische Erscheinungen an Muskeln und N. 378. Nerven, Die spezifischen Energien der N. 54 fg., 78 fg., 116 fg., 154 fg. Nervenendigung in der äußern Haut und den Schleimhäuten 161 fg., 205 fg. Nervenknäuel 167. Nervenplexus 208. Nervenporen 208. Nervus depressor 310. Nervus opticus 345. Nesselkolben 292. Nesthocker, Verschiedenheit des Eier- eiweißes bei N. und Nestflüchtern 222 fg. Netzhaut, Untersuchungen über das Blutgefäßsystem der N 244 fg. Neurilemm der Nervenfaser 162. Neuroglia, Ueber N. 53 fg. Niederländische Fauna, Nematoden der NE.19T: Nukleomikrosomensubstanz 363. Nuculidae 190. v. Obelia 23. Octopus 190. Oestra hominis 475. Olynthus 234. Oniscus 361. Onychophora 455. Opalina 721. Oplophorus 191. Orbitolites 189. Sachregister. Orbulina 189. Organismen, Umgestaltungen von 0. in gleicher Richtung 22. Organismen, niedere, Thätigkeit der n. O. im Boden 634 fg. Organismus, tierischer, Synthesen im t. 0. 665 fg. Origanum 233. Ornithorhynchus 414. Orohippus 185 fg. Orthoamidozimmtsäure 219. Örthonitrobenzaldehyd 219. Orthonitrophenylproprionsäure 218. Örthonitrozimmtsäure 219. Öscillarieae 265. Osmia rufa 197. Östeodermidae 1%. Oxalis 226. Oxytricha 716 fg. Ovarien der Fliege 369. pP. Pachyeordyle 19. Pacini’sche Körperchen 172 fg. Pagurus 191. Paläontologie der Haustiere 137 fg., 183 fg., 294 fg., 327 fg., 749 fg. Palaeotherium 142. Palmellaceae 267. Pandorina 5 fg. Parahippus 152, 183. Parnidae 231. Parthenogenesis, thelytokische und ar- renotokische 625. Pauropoda 555. Pavonia hastata 230. Pectinidae 190. Pelobates fuscus 235. Peniagones 190. Pennatula 189. Pentacrinus 189. Pepton 407 fg. Perameles 376. Peridineen, Organisation und systema- tische Stellung 705 fg. Perioden des Klimas 37. Peripatus 116. Peri-Plasma 483 fg. Petermännchen (Trachinus vipera) Ent- wicklung des P. 287. Sachregister Petermännchen, Gift des P. 670. Petromyzon 210. —, Zusammenziehung der zwei Arten von P. 702. Pferdeartige Tiere des Tertiärs 137 Pflanze, Die P. und die Atmosphäre 264. Pflanzen, Winden der P. 193 fg. —, verschiedene Blütenformen an P. der nämlichen Art 225. —, Verbreitung der P. 575. Pflanzendecke, Einfluss der P. auf die Eigenschaften des Bodens 575. Pflanzenhaare, Zentrifugale Wandver- diekungen an P. 515 fg. Pflanzenphysiologie, Versuchswesen auf dem Gebiete der P. 351. Pflanzensekrete, peptonisierende Fer- mente in P. 672. Pflanzenzellen, Protoplasmaverbindun- gen benachbarter P. 545 fg. Pflanzliche Bewegungsreize, Zwei neue pP Br 197. Phalangista 375. Phanerogamen, Bedeutung des roten Farbstoffes bei den P. 257. Phascogale 375. Phascolarctos 375. Phascolomys 375. Phaseolus 67. Phenolschwefelsaures Kalium 218. Phenylproprionsäure 221. Philodendron 324. Phleum 230. Pholadomya 190. Phormosoma 190 Phycomyces 4, 199, 675. Phylloxera der Eiche 550 fg. Phylogenetische Entwicklung nach Nä- geli 524. Physiographie (Huxley-Jordan) 284. Physiologie humaine, Elöments deP.h91. — der Galle 348. — der Fischblase 639. Physiologische Funktion des Chloro- phylis im Tierreiche 745. Physis mediterranea 191. Picea 262. Pieris Aripa 196. Piled microphylla 326 Pilze, Morphologie und Biologie der P. 578 fg. 755 Pilzfrüchte, Anatomische Anpassung der P. an die Funktion der Sporen- entleerung 385. Pilztiere oder Schleimpilze (Zopf) 640. Plagusia lactea 191. Plantago 230 fg. Plastiden 103. Pleurotoma 190. Pliohippus 185. Plumularia 19. Podocoryne 16 fg. Poduridae 267. Polemonium coeruleum 233. Polychäten, Entwicklung der P. 270. Polychelen 191. Polydesmus 114. Polygaea Chamaejasme 197. Polygonum Fagopyrum 226. Polygordius 271. Polypoide Brutsäcke 21. Pomatoceros triqueter, Entwicklung von Prt.210. Pontederia 226. Pontophilus 191. Porifera 241. Porpita 24. Pourtalesia 190. Primula 226. Protohippus 152, 185. Protonema 266 fg. Protoplasmakörper, Zusammenhang der P. benachbarter Zellen 260. Protoplasmaverbindungen benachbar- ter Zellen 545 fg. Protozoen, vielkernige 710 fg. Prunus 262. Psammosphaera fusca 189. Pseudalius ovis pulmonalis 51. Pseudorhiza Haeckelii 291. Psygmobranchus 271. Psychoropotes 190. Psychologische Prozesse , elementarer p. P. 465 fg. Psychologische Untersuchungen Buccola 465 fg. Psychrometrische Differenz 3. Pteris aquilina 263. Ptomaine 277 fg. Pulmonaria 197, 226. Pyramidenzellen Zeitdauer von 50 8b Rt. Qualität, Unterschiede der Modalität 83. Quergestreifte Muskel, Histologie des 129. Querkolbenzellen 163. 119 Radialtuben 242. Rainey’sche Schläuche 134. Rana arvalis 26. Rana temporaria 236. Rana fusca 268, 373. Rana esculenta 373. Ranunculus 109. Ranunculus acer 233. Ranunculus repens 233. Ranunculus bulbosus 233. Ranunculus aquatilis 234. Rathke’sche Tasche 724. Rauschbrandpilz 513. Reaktion, Aktive, der Eizellen 20. Reflexe, Ueber 247. Reflexzeit 229. Regenwürmer, Notiz über 608. Regio olfactoria, Exper. Untersuchun- gen der 443. Reifungsstätte der&eschlechtszellen 19. Rhabdamina abyssorum 189. Rhamnus Frangula 261. Rheotropismus 198, 353. Rhingia 229. Rhipidonema 289. Rhinoceros etruscus 304. Rhinoceros homitoechus 304. Rhinoceros tichorhinus 339. Ribes aureum 197. Ribes sangwineum 197. Richardina 191. Richarz’sche Hypothese 464. Riehtungsbewegung, Lokomotorische, durch chemische Reize 673 fg. Richtungskörperchen, Morphologische Bedeutung der 5. Ricinus communis 258. Riffe, Korallen- 478 fg. Rind, Abstammung des 749 fg. Rindengrau des Gehirns 212. Riesengebirge, Biologische Forschun- gen im 320. Sachregister. Riesensalamander (Uryptobranchus ja- ponicus) 381. Rosa 109. Rossia 190. Roter Farbstoff, Bedeutung des, bei den Phanerogamen 257. Roter Farbstoff, Beziehung des, zur Stärkewanderung 257. Roter Schnee 265. Rothamsteder Wiesenkultur 473 fg. Rosenmüller’sches Organ 448. Ruellia 230. Rückenmark, Faserverlauf im mensch- lichen 74. S. Saccharomyces-Gruppe 481 Saepiola 190. Sagina Linnaei 233. Salenia 190. Salpen, Generationswechsel der 29. Salvia 232. Salvia cleistogama 230. Samen, Einfluss des Lichts auf die Keimung der 510 fg. Sarkolemmaschlauch 131. Sauerstoff, Einwirkung von, auf die Lebensthätigkeit niederer Organis- men. 315. Sauerstoffbedürfnis der Darmparasiten 3. Saugtheorie Tieren) 566. Säugetierfötus; Blut, Atmung und Kreis- lauf beim 570 fg. Säurebildung bei Fettpflanzen 574. Schafe, Lungenkrankheit der 51. Schaflunge, Nematoden der 51. Schilddrüse, Chemische Bestandteile der, des Menschen und des Rindes 128: Schleimhäute, Nervenendigung in der äußern Haut und den 161, 209. Schwann’sche Scheide 162. Scheren, Abwerfen der, des Fluss- krebses 201. Scheide, Schwann’sche 162. Scheide, Henle’sche 162. Schneeflora, Ueber Eis- und 265. Schneefauna, Ueber Eis- und 265. (Haftvorrichtungen bei Sachregister. Scharlachfieber, Wanderzüge des Lem- ming und das. 283 Schauapparate, Florale und extraflorale 641 fg Schleimpilze oder Pilztiere 640. Schnee, Roter 265. Schrägstellung der Insektenbeine 561. Schwere, Einfluss der, auf das Froschei 371. Schwere, Entwicklung der Froscheier bei Aufhebung der richtenden Wir- kung der 371. Seolopendrella 455 Scytonemeae 266, 290. Hydromedusen 12. Seifen als Bestandteile des Blutplasmas und Chylus 702. Seitensinnorgane 211. Sekret, Das, durch die Foramina repu- gnatoria entleerte, bei Glomeris 202. Sekundär-elektromotorische Erschei- nungen an Muskeln und Nerven 378. Selaginella 200. Selektion, Darwin’sche 520. Senkungstheorie Darwin’s 478 fg. Serpula uncinata 271 fg. Serpulide, Eine, aus dem süßen Was- ser 413. Sertularella 22. Sexualzellen, Entstehung der. bei den Siebröhren bei Üucurbita Pepo 574. Siebröhrensystem bei Cucurbita 737 fg Sinushaare 205. Solanum 109. Solanum rostratum 227. Solanum tuberosum 227. Solenoconchus 190. Somatische Zelle 365 Sonnentierchen 203. Sordarieen 385. Spaltungsprodukte der Bakterien 315. Spergula arvensis 234. Siphaerella nivalis 265 fg Sphaerobolus stellatus 449. Spindelfasern 262. Spirogyra 101. Spirogyra majuscula 106. Spirogyra, Hybridismus bei 543 fg. Sporenentwicklung, Anatomische An- passung der Pilzfrüchte an die Funk- tion der 385. Sprossung, Hefeartige 482. Spürhaare 205. Standortsmodifikationen 496. Stärke der Meeresströmungen, Ursache der periodischen Veränderungen in der 33. Stärkewanderung, Beziehungen des ro- ten Farbstoffes zur 257. Stellaria graminea 232. Stellaria glauca 232. Stellaria media 234. Stellung, Syst., der Hefepilze 481 fg. Stentor coeruleus 748. Stephanotrochus 189. Sterben der einzelligen und vielzelli- gen Tiere 389. Stereoplasma nach Nägeli 484 fg. 491. Sternförmige Zellen 208. Stickstoff, Bestimmung des Gesamt-, im Harn 384. Stomias barbatus 210. Stomies 191. Stratiomys 367. Strigula complanata 577 fg. Strongylus rufescens 51. Strongylus filaria 52. Strongylus paradoxus 92. Struthio camelus 319. Strychnus nux vomica 260. Stylodactylus 191. Subepithelialer Nervenplexus 208 Sutura transversa squamae oceipitis347. Synthesen im tierischen Organismus 665 fg. Sycones 242. Talpa 356 fg. Talpa europea 358 Tapir 143. Tastapparat der Hand der menschli- chen Rassen und Affen 346. Tasthaare 205. Tastkolben 180. Tastkörperchen 181. Tastzellen 154, 208. Tataeiweiß 222. Tegenaria 361. Teichomeilidae 242. Teilung, Künstliche, bei Infusorien 707. 188 Terebratula Wyvillei 190. Terminale Körperchen 161 fg., 206. Terminalfaser 162, 205. Terminalscheibe 180. Tertiär, Pferdeartige Tiere des 137. Thalia 228. Thelykotische Parthenogenesis 625. Theorie, Mech.-phys., der Abstam- mungslehre 488 fg. Thermotropische Krümmungen 69. Thury’sche Hypothese 464. Thylacis nasuta 376. Thylaeinus eynocephalus 376. Thymus 233. Tiere, wirbellose, Muskelkraft 691. Tierischer Organismus, Synthesen im 665 fg. Tierkörper, Fettablagerung im 88. Tillandsia usneoides 322 fg. Tillandsia bul'osa 325. Tod, Physiol. 661. Toxodon 327. Trachinus vipera 287, 670. Trematoden, Anatomie und Entwick- lung 422 fg. Trematoden, Nervensystem der 42. Trichia fallax, Entwicklung der Spo- rangien von 451. Trichinenhaltiges amerik. Fleisch, Un- schädlichkeit des 601 fg. Triehomanes sinuosum 326. Trifolium polymorphum 230. Triticum vulgare 67. Triton eristatus 235. Trochus 190. Trombidium 361. Trophoplasten 97. Trophotropismus 199, 355. Tropidonotus natrix 168. Tubularia 16. U. Ulothrixz 101. Ulwa 102 Umbellaria 189. Umgestaltungen von Organismen in gleicher Richtung 22. Unsterblichkeit der Einzelligen 650 fe. 5 677 fg Untersuchungen, Experim. psych., von Buccola 465 fg. Sachregister. Urkeimzellen 19. Urnatella graeilis 413. Uromelanin 314. Urorubin 313. Ursachen der Geschlechtsbildung 461 fg. Ursus spelaeus 339. Ustilagineen 417. Utricularia vulgaris als Schädiger der Fischbrut 648 fg. V; Valeriana dioica 231. Vallisneria 105. Varietät des Rosenmüller’schen Or- gans 448. Vater’sche Körperchen 161, Velella 24 Verbreitung der Pflanzen 575. Verdauungsprodukte, Die nächsten, der Eiweißkörper 407. Vermehrung der Menschen, Tiere und Pflanzen 619 fg. Versammlung, 57., deutscher forscher und Aerzte 287. Vespa erabro 113. Vielzellige Tiere, Sterben der einzelli- gen und 389. Vilfa 230. Viola trieolor 229. Volwox 6. Vorlesungen, Anatomische, von Pansch 703. 172. Tg: Natur- W. Wachstumsperiode, Die große, bei Phycomyces 675. Wandernde Zellen men 20. Wanderratten, men 667 fg. Wandverdickungen, Zentrifugale, an Pflanzenhaaren und Epidermen 515 fg. Wärme, Wirkung der, auf das Längen- wachstum von Pflanzenteilen 65. Weigelia rosea 197. Wellensinnorgane 211. Weib, Das, in der Natur- und Völker- kunde 319. Weib, Gartner’sche Kanäle beim 416. höherer Organis- Zuchtversuche an zah- Sachregister. 189 Westindiens, Bau und Lebensweise der Zellen, Sternförmige 208. Epiphyten 321. Zellen, Somatische 365. Westindische Hymenolichenen 289. Zellen, Zusammenhang der Protoplasma- Willemasien 191. körper benachbarter 260. Wiesenkultur, Rothamsteder 473 fg. Zellplatte 262. Winden der Pflanzen 193. Zellplattenelemente 262. Wirbellose Tiere, Muskelkraft 691. Zentrifugale Wandverdickungen an Pflanzenhaaren und Epidermen 515 fg. x Zoologisches Laboratorium der Chesa- peakebai 672. Xanthophyll 108 fg. Zoothamnion 391. Zuchtversuche an zahmen Wanderrat- 2. ten 667 fg. Zuchtwahl, bei Nägeli 495. Zea Mays 69. Zuckerrübe, Zuckerbildung in der 447. Zebra indica 308 Zurückschieben der Keimstätte 16 fg. Zellen, Wandernde 20. Zygnemaceae 267. Zellen, Etiolierte 99. Zwitterbildungen bei Amphibien 235. Berichtigungen. S. 750 Zeile 19 von oben lies l’on statt Vo. Ser AyaeS e „ hur von statt und von Turner. Sernoe> 35 „. unten lies Nesti statt Nersti. S . 7165 „22 „ oben lies namadicus statt nomadieus. Außerdem finden sich Berichtigungen auf Seite 64, 192, 4483, 672 von Band IV des Biologischen Centralblatts. u... EG en nette anne Fam nennen ERIEETTEIT R + Er zes