ee: 0 Re Pe Wr ur % Received Accession No. Given by Place, *,*No book or pamphlet is to be removed from the hLab- oratory without the permission of the Trustees, nn 7 “ EN Loreita Y 7 Se sn Kr BC a r Rt 4 gt R;rı F u u a3 50 2 Biologisches Centralbatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Professor der Botanik Professor der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Professor der Physiologie in Erlangen. Neunter Band. 1889—1890. Mit 23 Abbildungen. Erlangen, 1890. YyYerlzse von Kdauward Besold. Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Inhaltsübersicht des neunten Bandes. I. Botanik. Seite Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt 1 Kronfeld, Zur Blumenstetigkeit der Bienen und Hummeln 28 Kerner von Marilaun, Ueber den Duft der Büten . . 32 Kronfeld, Ueber Polyphyllie bei Pinus Mughus Scop. ni Panis ae vestris L. ee N Br ne Dr Keller, Die W ehe der onen DEE er ET Ludwig, Ueber veue pflanzenbiologische Untersuchungen . . . . . . 129 Keller, Die Vegetation arktischer Länder . . 161 Frank, Untersuchungen über die Ernährung der Pilarse et Stickstoff und über den Kreislauf desselben in der Landwirtschaft . . . . . 1% Kraus, Grundlinien zur Beurteilung des Gerbstoffs . . .» 2. 2 0... 49 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen . . . er Bokorny, Ueber den Ort der Wasserleitung in den Pasnzan, 510. 2890822 Kronfeld, Neuere Beiträge zur Biologie der Pflanzen . . . 393 Wiesner undMolisch, Ueber den Durchgang der Gase durch die BaanzeN 382 Vosmaer, Neuere Arbeiten über Schwämme .. 405 Ludwig, Die botanischen Aufgaben der von 0. aaa Palanren lakustrischen Stationen . . EN 414 Prazmowski, Das Wesen und die Bau Bedahtung der Wurzet knöllchen der Erbse . . . . 417 Keller, Die Transpiration der Pisnzen and: Be Ahhänsirkeit von bern Beankäneen RR . 449 Godlewski, Ueber die Birlontiche Be 1: Buolorunpser eher NUNGON ER ee nee re Derran AS wol Wiesner, Biologie, der Pllanzemis. u ans en ann ee ee Neerminsktı, Weber Alenronkötner.... a. a a ge nr ee 03 de-Vries, IntrazellulareSPangenesis .... “.. 0. mel. Seen ee 0040 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen . . . 2,0044. 00% Steinhans, Beitrag zur Lehre von den sogenanntrn een kan 574 Lukjanow, Ueber die Hypothese von Altmann betr. die Struktur des ZellenkemeR.n 2.28, Eee A ne La IV Inhaltsübersicht. Seite Palladin, Einfluss des Sauerstoffs auf den Zerfall der Eiweißstoffe in den Pflanzen . . ie 0 LO Pjelajew, Ueber die Sn nakshen en oaciden BE EL N 0 Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung ... . . ee IT Kühn, Die Würmfäule, eine neue Erkrankungsform der el. 2.8670 II. Zoologie. Gruber ‚Biologische -Studien.an#Protozoen . u 2 een ae ei - Emery, Ueber myrmekophile Insekten . . . BB EUER 0 Sluiter, Ein merkwürdiger Fall von Metdalismas A a a ‘von Fischer, Ein kömerfressendes Reptil . . . . ER | Kowalevsky, Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkrotionsdrzang Re al von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Polypomedusen . . . 47 derselbe, Neuere Untersuchungen über Anthozoen . . . . ..... 54, 755 Zacharias, Bericht über eine Na Exkursion an die Kraterseen der. -Bittele 1.0... ee 5010 von Lendenfeld, Bömorkungar zu meiner Kritik ' von Vanhöffen’s Arbeit über die Medusen des „Vettor Pisani“ . . 64 Semon, Ueber den Zweck der Ausscheidung von feier Schwefelsäure bei Meeresschnecken . . . N a ERS von London feld, Das System der Spongien ee iin Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan . . . . . 136 Baur, Die systematische Stellung von Dermochelis Blainv. . 149, 180, 618 Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungs- Organe - ... nen 2.002.209, 989,8499 Carriere, Bau a Entwieklüng des uses en Tohnfiißigen Crustaceen und der Arachnoiden . . . a I A ED Blochmann, Ueber die Teenie Wendeinnben der Blattläuse, speziell über den Generationszyklus von Ühermes abietis 1 re Schuberg, Ueber Grassia ranarum Fisch . . . . 284 Simroth, Bemerkung zu Herrn Semon’s Aufsatz über die Anchar dung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken . . . 2 .2.2..2..2837 Wasmann, Zur Bedeutung der Palpen bei den Insekten . . . . " ..803 Zacharias, Zur Fortpflanzung der Rindenläuse . . ee Dreyer, Betrachtungen über den Bau der Riizenödinechalen her re En Graber, Ueber den Bau und die phylogenetische Bedeutung der embryo- nalen »Bauchanhänge: der Insekten! . 2... urn. x 355 Dreyfus, Zu Prof. Blochmann’s Aufsatz: „Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse, speziell über den Generationszyklus von Chermes abielis . . . EEE RS 200 Tarnani, Die Genitalorgane ken Thelyphonns Sa ee 3 Emery, Neuere Arbeiten über die Ontogenie der re ee Tech El Grassi, Ueber Grassia ranarum Fisch . . . . 424 Nusbaum, Zur Frage der Segmentierung des Koimstreifong nd der Bauchanhänge der Insektenembryonen . . . 3% Bjelajew, Ueber die männlichen Prothallien bei aan danteniden . 539 Radoszkowski, Ueber Genitalanhänge der Hymenopteren . . . 539, 543 Inhaltsübersicht. V Seite Mitrophanow, Ueber Zellgranulationen . ...... zen Mon ondenteldz: Darwıns, Korzlienrite 2... 202 a neu RO Bichimenzt Parasıtische Schnecken... ... 2.0 enlarge. 0.00 LEN Haeckel, Die Radiolarien . . 619 Ritzema Bos, Die Bubenmndieten a Bodens und er Be enatds 674, 705 Sluiter, Ueber die Entstehung der Korallenriffe in der Javasee und Branntweinbai, und über neue Korallenbildung bei Krakatau . . . 737 III. Anatomie, Anthropologie, Histologie, Entwick- lungsgeschichte. Leydig, Bemerkungen zum Bau der Nervenfaser . . . ie Beh) Mitrop en Entwicklung der motorischen Nervenentigungen in den quergestreiften Muskeln der Amphibien . . . 317 List, Ueber die weiblichen Geschlechtsorgane und es Eibildung Bei parasitischen Copepoden (Gastrodelphyiden). . . . . 327 Brandt, Ueber den Zusammenhang der Glandula Aare nit Has Parovarium resp. der Epididymis bei Hühnern . . . 522 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Natenle ne werden? . . a ie a LEE, 205035 21,600,4025 Hoyer, Ueber die Stnzhin den Milz een 303 Looss, Ueber die Beteiligung der Leukocyten an den Zerfall der ee im Froschlarvenschwanze während der Reduktion desselben. Ein Bei- trag zur Phagocytenlehre . . . 595 Ballowitz, Ueber Verbreitung und Bedeutung ‚Teinfägeriker rnkeieten in den Geweben und Gewebselementen des tierischen Körpers . . 650 Schlosser, Ueber die Modifikationen des Extremitätenskelets bei den einzelnen, Sängetierstämmen, . 0. u ann le IV. Physiologie. Carriere, Zusatz zu Tiebe, Die vergleichenden Versuche über das no von Insekten und Wirbeltieren . . EEE RD Nasse, Ueber fermentative Vorgänge in den Organen a: Tierkörpers 95 Mroczkowski, Ueber die Entstehung eines die Eiweißstoffe (Fibrin) in der Art des Trypsins (Pankreas-Ferments) verdauenden Körpers in den keimenden Samen und im Hühnereiweiße bei Einwirkung der Luft auf dasselbe . . . EEE NEN RE TIERE 07. Nasse, Ueber die Chemie des Glutins MB Mehr en, 8 Eu Krüger, Die Barium - Verbindungen des Can RERE 157 Tiebe, Plateau’s Versuche über die Fähigkeit der Inter Bowes- ungen wahrzunehmen . . 22 309 Langendorff, Aeltere und neuere De stahton re di Sehlddene 426, 460 Lehmann, Ueber die Biologie des Bacterium phosphorescens Fischer 479 Bütschli, Ueber die Struktur des Protoplasmas . . . 2 2 .2.2..2...560 VI Inhaltsübersicht. Seite Exner, Ein physiologisches Paradoxon, betreffend die Innervation des Kehlkopfs:, un 2... ; } BR RR RR TE se 16% Ko; Verworn, Psycho -phy Stologische Protistanstudien En RE 123 Zwaardemaker, Das Olfaktometer . . . ee N) Rosenthal, Physiologisch - Calorimetrische alien Re RS V. Verschiedenes. Nasse, Ueber Gärungen und Fermentationen En en Ve Taczanowski, Ueber abnormes Nisten einiger Vögel . OR: 91 Bonnet, Die lan Hunde im Hinblick auf die ar: erworbener Eigenschaften . . ; ; 2 Wilekens, Ueber die Vererbung Ben Haartatpe nn a En zur»Pormvererbung. beivPferden. 1:01 ea Sache A ae 1223 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung . . .. 234, 437, 467 Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Aneen NH Hieer 2 5 1) Loew, Cibansche Bewegung . . - ED TEN TERN Zur Frage nach der Vererbung Enorbener iganschätten ae Sl Trejdosiwiez, Ueber die sarmatische Fauna des Gouv. Lublin . . . 542 Braune und O. Fischer, Ueber den Schwerpunkt des menschlichen Körpers mit Rücksicht auf die Ausrüstung des deutschen Infanteristen 698 Zacharias, Bilder und Skizzen aus dem Naturleben . . . 2... ..701 Schulz. Untersuchungen über den Einfluss der Mikroorganismen auf die Oxydationsvorgänge im Erdboden . . . ERLE URN b 702 Geissler, Beiträge zur Frage der Geschlecht varhältanee der Beprenn 761 Rosenthal, Ueber die fäulniswidrige Wirkung des Chinolins . . . . 767 Bioloeisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je.2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 1. März 1889. M.1 Inhalt: Burdon Sandersen, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. — Gruber, Biologische Studien an Protozoen. — Emery, Ueber myrmekophile Insekten. — Kronfeld, Blumenstetigkeit der Bienen und Hummeln. — Carriere, Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. — Sluiter, Ein merkwürdiger Fall von Mutualismus. — von Fischer, Ein körnerfressendes Reptil. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. K. k. zoologisch-botan. Gesellschaft zu Wien. Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea- Blatt. Von Prof. J. Burdon Sanderson in Oxford. [Zweite Mitteilung ')]. In der Arbeit, welche ich der Royal Society im Jahre 1881 vor- legte, beschrieb ich die Resultate von Experimenten, die ich zu ver- schiedenen Zeiten während der vorangegangenen fünf Jahre angestellt hatte, sowie die Schlüsse, die ich zur Zeit im stande war daraus zu ziehen. Diese Schlüsse mögen hier kurz wiederholt werden: Wenn die elektrische Beziehung zwischen gegenüberstehenden Punkten der untern und obern Fläche des Blattes von Dionaea in geeigneter Weise untersucht wird, während der Reizung des Blattes, entweder durch Berühren eines seiner reizbaren Haare oder dadurch, dass ein In- duktionsstrom durch die entgegengesetzte Blatthälfte geleitet wird, so findet man, dass der Erregung nach wenigen Hundertteilen einer Sekunde eine plötzliche elektrische Störung folgt, die weniger als eine halbe Sekunde dauert und während welcher die untere Fläche negativ in Beziehung zur obern wird, und dieser Störung folgt gegen das Ende der ersten Sekunde nach der Reizung eine Aenderung von geringerer Kraft, aber von längerer Dauer und mit entgegen- gesetztem Zeichen. Aus der Art und Weise und der relativen Dauer (der Zeitverhält- nisse) dieser Aenderungen, welche zusammen die „Erregungsstörung“ 1) Vergl. Biolog. Centralblatt, Bd. II, 1832, S. 4831—500. Die hier im Aus- zuge gegebene Arbeit ist ausführlicher in den Trans. Royal Society London, Vol. 179 (1888) p. 417—449, Pl. 69—70 veröffentlicht worden. IX, 1 ) Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. („exeitatory disturbance“ or „response“) ausmachen, wurde geschlos- sen, dass die erste von derselben Natur wie die Erregungswirkung oder der „Aktionsstrom“ der Tierphysiologie ist und dass sie be- trachtet werden muss als der Ausdruck einer molekularen Verände- rung, ähnlich der, welche in Nerven, Muskeln oder elektrischen Or- ganen unter analogen Bedingungen eintritt. Was die zweite anbe- trifft, welche als der „Nacheffekt“ bezeichnet wurde, so zeigte sich erstens, dass sie nur dann eintrat, wenn das Blatt nicht unmittelbar vorher gereizt worden war; zweitens, dass sie im Zusammenhang stand mit dem vorausgehenden und dem folgenden elektrischen Zu- stande der beiden „abgeleiteten“ Oberflächen, und zwar in solcher Weise, dass jede Reizung dahin ging, die untere Fläche relativ positiver zu machen, als sie vorher war, relativ weniger negativ, falls sie vorher negativ war, und dass, wenn das Blatt wiederholten Reizungen unterworfen wurde, die andauernde elektrische Beziehung zwischen gegenüberliegenden Punkten seiner obern und untern Fläche nach und nach sich änderte in der Weise, dass die untere Fläche mehr und mehr positiv wurde, je länger die Beobachtung andauerte. Es wurde ferner beobachtet, dass in einem beliebigen Blatt eine ähn- liche Aenderung viel rascher hervorgebracht werden konnte, wenn durch den Teil, der zur Untersuchung diente, ein sehr schwacher galvanischer Strom in der Richtung des Nacheffekts geleitet wurde, also von der obern nach der untern Fläche. Diese Thatsachen wiesen klar darauf hin, dass das, was man nach du Bois-Reymond den Blattstrom nennen würde, nämlich der andauernde Spannungsunterschied zwischen den beiden Ober- flächen, eine physiologische Beziehung zu den Erscheinungen hat, welche oben als Erregungsstörung zusammengefasst worden sind. Was das Wesen dieser Beziehung anbelangt, so schienen die That- sachen darauf hinzuweisen, dass sie in Uebereinstimmung mit der „Präexistenz-Theorie“ war, dass nämlich die „Erregungs-Störung“ nicht als die Ursache einer neuen elektromotorischen Aktion („Aktions- strom“ Hermann) zu betrachten ist, sondern als das Resultat einer plötzlichen Verminderung einer vorher schon vorhandenen elektromo- torischen Kraft (im Sinne du Bois-Reymond’s könnte man sagen, eine negative Schwankung des Blattstromes). Eine der fundamentalen Thatsachen der tierischen Elektrizität besteht darin, dass in allen erregbaren Geweben z. B. der muskulösen Substanz des Ventrikels des Froschherzens, bei der Teile der Ober- fläche gereizt oder verletzt worden sind, die letztern gegenüber der nicht gereizten oder nicht verletzten negativ sind, oder dass mit an- dern Worten alle erregbaren Gewebe die Fähigkeit besitzen, relativ negativ zu werden, wenn sie entweder gereizt oder verletzt werden. Ueber diese Behauptung hinaus, welche gar keine physikalische Theorie über das Wesen der beobachteten Beziehung einschließt, ist Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. 3 es nach meiner Ansicht nicht notwendig, für jetzt hinauszugehen, weil diese Thatsache genügt, um als eine Grundlage einer Vergleichung zwischen den elektrischen Erscheinungen des Erregungsprozesses in Pflanzen und Tieren zu dienen. Wenn das oben angegebene Gesetz, dass ein Uebergang vom weniger aktiven zum mehr aktiven Zustand (d. h. vom ungereizten in den gereizten) von einer clektrischen Aenderung in der Richtnng relativer Negativität begleitet ist, auf Pflanzen ebenso wie auf Tiere Anwendung findet, so sollten wir erwarten, dass im normalen Zustand des Blattes die obere Fläche, als der Sitz der sensitiven Haare und dem- gemäß der größten Thätigkeit, der untern gegenüber positiv sein und die Reaktion auf eine Erregung in einer Verminderung seiner Positivität bestehen würde. Wir sollten auch erwarteu, dass jene mehr allmählichen Aenderungen, welche sich in der Pflanze durch den Verlust des Turgors kund thun und welche wir den Wirkungen einer Verletzung im tierischen Gewebe vergleichen können, elektrisch sich in gleich allmählichen Aenderungen des in Frage stehenden Teiles in negativer Richtung kund geben würde. Ist es nun sicher, dass im Blatt von Dionaea der Verlust des Turgors, welcher das Schließen des Blattes veranlasst, in den der obern Fläche naheliegenden Zellschiehten lokalisiert ist und dass diese Schichten am meisten reizbar sind: so sollten wir erwarten, dass völlige „Frische“ des Blattes durch relative Positivität (mit auf- steigendem Blattstrom) angezeigt würde, während verminderter Turgor durch verminderte Positivität oder Aequipotentialität und völlige Schlaffheit durch relative Negativität (mit absteigendem Strom) an- gezeigt würde. Und wenn infolge der Gründe, welche ich in meinem frühern Aufsatze vorgebracht habe, es zugegeben wird, dass der Reizprozess oder die Reizänderung im plötzlichen Negativwerden der gereizten Zellen besteht gegenüber den nicht oder weniger gereizten benachbarten Zellen, so folgt daraus mit Notwendigkeit, dass die vorzüglich reizbaren Zellen der obern Schichten am leichtesten diese Veränderung erleiden und dass die Veränderung den Charakter einer „negativen Schwankung“ im Sinne du Bois-Reymond’s haben wird, d. h. dass sie sich in einer Verminderung des vorher bestehenden Spannungsunterschiedes kund thun wird. Als Folge hievon müssen wir erwarten, dass das Zeichen der primären Erregungsreaktion unter allen Verhältnissen entgegengesetzt dem des Spannungsunterschieds in der Ruhe ist, d. h. wenn der Blattstrom aufsteigend ist, so muss die Erregungsreaktion absteigend sein. Wie im Folgenden gezeigt werden wird, stehen diese Folgerungen mit den Thatschen in Ueber- einstimmung. Als ich meine Untersuchungen des Dionaea-Blattes im Jahre 1885 wieder aufnahm, nahm ich als Ausgangspunkt die Veränderung in der elektrischen Beziehung zwischen der obern und untern Fläche, 1 4 Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. welche erzeugt wird, wenn man durch sie einen schwachen absteigen- den Strom leitet. Die Untersuchung dieser Veränderung führte bald zu der Entdeckung, dass der Zustand des Blattes, den ich als normal bezeichnet hatte und in welchem die obere Fläche der untern gegen- über negativ ist, nicht der ursprüngliche ist, sondern ein Uebergangs- stadium nach dem Zustande verminderter Thätigkeit hin darstellt. Es stellte sich heraus, dass man kein Recht hat, die elektrischen Erregungswirkungen, welche diesen Zustand begleiten, normal zu nennen, obgleich sie größere Intensität besitzen als die, welche man beobachtet, wenn das Blatt in seinem ursprünglichen Zustand ist, kurz gesagt, dass in kräftigen Blättern, die mit Erfolg für das Ex- periment vorbereitet worden sind, dem Zustande, welcher vordem als normal bezeichnet wurde, ein anderes Stadium vorausgeht, in welchem der „Blattstrom“ aufsteigend, der Erregungsstrom absteigend ist. Als Entschuldigung für meinen damaligen Irrtum kann ich angeben, dass das primäre Stadium rasch in das sekundäre übergeht und dass die Erscheinungen, die der letztere darbietet, viel leichter zu beobachten sind. Ich will noch hinzufügen, dass ich bei meinen neuen Unter- suchungen Gelegenheit gehabt habe, die alten zu wiederholen und dass, obgleich ich gelernt habe, dieselben besser zu verstehen, ich an den Thatsachen selbst nichts zu korrigieren habe. Dieselben waren richtig, aber nicht vollständig. Experimenteller Teil. Die angestellten Versuche beziehen sich erstens auf die Verände- rung oder „Modifikation“, welche in den elektromotorischen Eigen- schaften der Lamina des Blattes im ungereizten Zustande dadurch hervorgerufen wird, dass ein elektrischer Strom dureh sie geleitet wird und zweitens auf die entsprechende Veränderung in ihrem Ver- halten, wenn sie mechanisch oder elektrisch gereizt wird. 1. Die erste Versuchsreihe wurde angestellt, um den Einfluss von Strömen zu studieren, die durch die Lamina senkrecht zur Fläche geleitet wurden, und zwar entweder von unten nach oben (1) oder von oben nach unten (|) im ruhenden Zustande des Blattes. In jedem Versuche wurde der Effekt der Durchströmung durch zwei nicht polarisierbare Elektroden abgeleitet, die an zwei Stellen angelegt worden waren, die eine an den Raum zwischen den drei sensitiven Haaren auf der obern Fläche, die andere an eine ihr genau auf der untern Fläche gegenüberlegende Stelle, wie dieses schon in meinem frühern Aufsatz beschrieben worden ist (siehe Biol. Centralbl. Bd. II 5.489 u. folg.). Der äußere Strom wurde durch dieselben Elektroden geleitet. Die angewandte Methode sei folgendermaßen kurz beschrieben: Mittels eines Rheotoms, das für die Untersuchungen speziell kon- struiert worden war, wird ein äußerer Strom, dessen Stärke reguliert Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. 5 und (wenn nötig) gemessen werden kann und dessen Dauer in den verschiedenen Experimenten von -1;“ bis „5“ betrug, durch die La- mina geleitet. Nach einer „Uebertragungszeit“ von etwa -1;“ wird der elektrische Strom während einer Dauer von -1; geschlossen. Der dadurch hervorgerufene Ausschlag (wenn ein solcher überhaupt statt- findet) wird notiert. Da der vorhergehende Spannungsunterschied in der Weise kompensiert worden ist, so wird, im Falle kein Ausschlag statt hat, angezeigt, dass der durchgeleitete Strom keine Wirkung ausgeübt hat, während jeder beobachtete Ausschlag von ihm erzeugt und als solcher aufgezeichnet wird. Das Rheotom macht drei Umdrehungen in der Minute, der Strom- schluss findet daher in Abständen von 20° statt. Bei jeder Umdrehung wird der Ausschlag notiert. In dieser Weise erhält man eine Reihe von Zahlen, welche den Zustand der Lamina an den abgeleiteten Stellen in den aufeinanderfolgenden Perioden des Stromschlusses andeuten. In einigen Versuchen wurde der äußere Strom nur einmal ein- geleitet, nämlich unmittelbar vor der ersten Schließungsperiode. Hiebei ergiebt sich, dass die Nachwirkung der Durchströmung immer ab- steigend (t) ist, welche Richtung der eingeleitete Strom auch immer gehabt haben mag; wenn der Strom relativ schwach ist, so nimmt die Nachwirkung allmählich ab und verschwindet in wenigen Sekunden, wenn jedoch etwas stärkere Ströme angewandt werden, so ver- schwindet die Nachwirkung nur teilweise und hinterlässt eine perma- nente Aenderung in derselben Richtung. Wenn der eingeleitete Strom absteigend war, so war die Nach- wirkung der Durchströmung 4—5 mal so groß, wie wenn er auf- steigend war. In andern Versuchen wurde der äußere Strom unmittelbar vor jeder einzelnen Schließungsperiode eingeleitet, also in Intervallen von 20“. Wenn in diesem Falle der äußere Strom mäßige Stärke hat, so sieht man leicht, dass der Vorgang der „Modifikation“ rasch statt- findet. Bei einem Blatte z. B. war vor der Durchströmung die untere Fläche der obern gegenüber negativ (Spannungsunterschied — 140 Kom- pensatorstrichen); es reduzierten 4 Durchströmungen den Spannungs- unterschied auf 0, hienach wurde die untere Fläche der obern gegen- über positiv, und jede Durchströmung vergrößerte die Wirkung, bis sie 320 Kompensatorstriche erreichte. Bei Anstellung dieser Beobachtungen wurde gefunden, dass das Verhältnis zwischen der Stromstärke und der elektromotorischen Kraft, von der die erstere erzeugt war, während des Vorganges der „Modi- fikation“ sich änderte und zwar in einer Weise, die anzeigte, dass der elektrische Widerstand des Blattes vermindert wurde. Beim Messen des Widerstandes vor und nach der „Modifikation“ zeigte sich, dass er immer vor derselben größer war als nachher — zuweilen 3 mal größer — aber in einigen Fällen sogar 6—5 mal. 6 Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. 2. Wirkung der Durchströmung auf die Reizänderung. Die Methode der Untersuchung bestand darin, dass die elektrischen Er- scheinungen des Erregungsvorganges im Blatte vor der Durchströmung mit denen verglichen wurden, welche nach ihr, also im „modifizierten“ Blatt, beobachtet wurden. Ich habe dieses in 3 verschiedenen Weisen gethan: a) Durch direkte Beobachtung der Schwingungen des Gal- vanometers, welche der mechanischen Reizung der sensitiven Haare der gegenüberliegenden Blatthälfte folgen, wenn die Elektroden in der oben beschriebenen Weise angelegt waren. b) Durch Beobachtung derselben Wirkung mit Hilfe des Rheotoms. ce) Durch Verbindung der ableitenden Elektroden mit dem Kapillarelektrometer und photographi- scher Aufzeichnung der Resultate. Es ergab sich dabei folgendes: a) Sowohl im „nicht modifizierten“ wie im „modifizierten“ Blatte ist die galvanometrische Wirkung, wenn die entgegengesetzten Flächen des Blattes abgeleitet werden, eine Doppelschwankung. Ihr Charakter im „modifizierten“ Blatte ist in meinem frühern Aufsatze ausführlich beschrieben worden. Im nicht „modifizierten“ Blatte unter- scheidet sie sich jedoch davon in folgender Weise: Die Schwankung ist nicht so groß; die erste Phase, die immer aufsteigend ist, äußert sich einfach in einem Vorschlag der Nadel. So betrug die Doppel- schwankung bei dem oben erwähnten Blatte in der nicht durch- strömten Lamina, wenn die relative Negativität der untern Fläche im Ruhezustande 140 Kompensatorstrichen (negativ) entsprach, nur 1 2 | 24. Nach 15 Durchströmungen, von deren jede 0,03“ dauerte, war sie 1 34 | 45. Nach weitern 15, als die untere Fläche positiv war (Spannungsunterschied —350 Kompensatorstrichen), war sie ? 105 \ 14; d. h. beim Fortgang der „Modifikation“ wird die Wirkung immer größer und der erste Ausschlag der Nadel wird, wenn mit der zweiten verglichen, so groß, dass sie die herrschende Richtung der Wirkung darstellt. Beobachtungen, die in dieser Weise gemacht werden, sind von Wert, da sie einfach sind und leicht wiederholt werden können; allein um eine genauere Vergleichung des Erregungsvorganges in den beiden Zuständen anstellen zu können, ist es notwendig, ihre Zeit- verhältnisse zu untersuchen. Zu diesem Zwecke muss ein Apparat benutzt werden, mittels welchen die Reizwirkung während succes- siver Perioden nach der Reizung von ;1;“ Dauer nämlich während des 1., 2., 3., 4. u. s. w. Zehntels einer Sekunde abgeleitet und beobachtet wird. Ich habe den benutzten Apparat (das Pendel-Rheotom) in meinem frühern Aufsatz beschrieben und habe hier nur hinzuzufügen, dass ich mit Benutzung eines sehr langen Pendels jetzt im stande bin, meine Beobachtungen bis ans Ende der ersten Sekunde auszu- dehnen. Wenn, wie in den andern Versuchen, die ableitenden Elek- troden an die entgegengesetzten Flächen einer Blatthälfte iz. B. der rechten) angelegt werden und die reizenden Elektroden an die andere, so ergaben ‚sieh die folgenden Resultate: Er Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. 7 Zeit nach der Reizung der entgegengesetzten Hälfte | | Vor der Durchströmung | Nach der Durchströmung 0,05 — — — — Anfang der Wirkung ‚Anfang der Wirkung 0,20” — — — — — Aufsteigender Vorschlag, Aufsteigende Wirkung, Veränderung des die sich steigert zum Zeichens 0,40" — — — — — Absteigende Wirkung, Maximum die sich steigert zum 0,69" — — — — — Maximum — — — — Abnahme 0,80 — — — — — Abnahme — — — — — a 1,00" — — — — — rg nee. EEE ni Der sachkundige Leser wird wissen, dass in diesen Versuchen der Spannungsunterschied, der vor der Reizung zwischen den obern und untern Flächen bestand, kompensiert wurde, so dass zur Zeit, als der Kreis des Galvanometers geschlossen war, die Nadel auf Null stand und dass sie bei Abwesenheit einer Wirkung dort geblieben sein würde. Es muss auch erwähnt werden, dass die maximale auf- steigende Wirkung 2, 3 oder 4 mal so groß war wie die maximale absteigende Wirkung. Das wichtigste Ergebnis dieser Versuche be- steht darin, dass die elektrische Wirkung stets absteigend ist im Moment der größten Reizthätigkeit, nämlich in der Mitte der ersten Sekunde nach der Reizung einer Blatthälfte, die nicht durehströmt worden ist, obgleich sie bei ihrem Anfange aufsteigend ist; dass sie dagegen aufsteigend in einer „modifizierten“ Blatthälfte ist und dass ferner, wenn durch die Wirkung der Durchströmung die obere Fläche der untern gegen- über negativ geworden ist, die Umkehrung des Zeichens von einer entsprechenden Umkehrung des Zeichens der Reizwirkung begleitet wird, so dass das letztere wie vorher grade entgegengesetzt dem erstern bleibt. Eine dritte Methode, um die Reizwirkung vor und nach der „Modifikation“ zu vergleichen, wird durch Anwendung der Piroto- graphie ermöglicht. In meinem frühern Aufsatze gab ich eine Dar- stellung meines ersten Versuchs, die Photographie zur Aufzeichnung der elektrischen Erscheinungen lebender Wesen nutzbar zu machen. Ich habe seit der Zeit zahlreiche Photographien in ähnlicher Weise hergestellt, von denen eine Anzahl meinem ausführlichern Aufsatze über diesen Gegenstand (Phil. Trans. Roy. Soc. London Vol. 179, p. 417 ff.) beigegeben sind. Der Holzschnitt giebt die Form, welche für die Lamina im nicht „modifizierten“ Zustande charakteristisch ist. In dem beim Versuche angewandten Blatte war die untere Fläche zur Zeit, als die Photographie angefertigt wurde, stark negativ zur obern. Nachdem während eines Bruchteils einer Sekunde ein äußerer Strom durchgeleitet worden war, wurde sie positiv und rie? dann eine 8 Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. Bewegung der Quecksilbersäule hervor, deren photographische Auf- zeichnung der entspricht, welche ich im Jahre 1882 als die normale bezeichnet hatte. Wenn diese beiden photographischen Aufnahmen mit dem Resultate verglichen werden, das mit Hilfe des Pendel- Rheotoms sich ergeben hatte, so wird man sehen, dass sie ihm ent- sprechen. IIIIIILINIILLLUDLILIELLLELILELLIUERLIEELILDEEEIEEEELLEEOEEEELUDEENEIDEEEEDIEEIEEUNN) Erklärung. Photographische Kurve von drei aufeinander folgenden mecha- nischen Reizungen. Ableitungspunkte an entgegengesetzten Stellen der einen Hälfte des Blattes. Reizung der Haare der andern Hälfte. Unten photographische Zeitmarkierung. 10 Teilstriche = 1 Sek. Zu vergleichen mit der Kurve S. 489 meines ersten Aufsatzes. Es ist vielleicht angebracht zu erwähnen, dass die wichtigsten Thatsachen, die im Vorhergehenden erwähnt worden sind, sehr leicht zu demonstrieren sind. Jedes Galvanometer, das genügt, um die ge- wöhnlichen elektromotorischen Erscheinungen am Muskel zu zeigen, kann in der folgenden Weise dazu benutzt werden. Man schalte in den Kreis des Galvanometers eine Wippe ohne Kreuz ein, die, wenn nach rechts gedreht, das Blatt mit dem Galvanometer verbindet, da- gegen, wenn nach links gedreht, dasselbe ausschaltet. Man leite dann den Strom eines Daniell’schen Elements in solcher Weise ein, dass derselbe im Blatt absteigend ist. Darauf kompensiere man und bestimme die dazu nötige Kraft. Hierauf errege man das Blatt durch Berührung eines sensitiven Haares auf der andern Blatthälfte und beobachte die dadurch hervorgerufene Doppelschwankung. Dann leite man durch die Lamina mittels der nichtpolarisierbaren Elek- troden den Strom eines Daniell’schen Elements während einiger Sekunden und drehe die Wippe zurück. Wenn die Richtung des Blattstromes nicht umgekehrt worden ist, so wiederhole man die Durebleitung; ist sie dagegen umgekehrt, stelle man wieder durch Kompensation die dazu nötige Kraft fest. Darauf errege man noch einmal und vergleiche die zweite Reizwirkung mit der ersten. Falls ein Kapillarelektrometer anstatt des Galvanometers angewandt wird, so ist das Resultat sogar noch augenscheinlicher. Sehluss. In den Schlussfolgerungen, welche ich meinem ersten Aufsatze über den hier behandelten Gegenstand angefügt hatte, versagte ich Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. 9 es mir, eine Theorie zu formulieren über die Beziehung, welche zwischen den beschriebenen elektrischen Erscheinungen und der Eigenschaft des Blattes von Dionaea durch Bewegung auf mechanische oder elektrische Reize zu reagieren besteht, eine Eigenschaft, welche das Blatt dieser Pflanze vor andern auszeichnet. Ich will jetzt versuchen so klar wie möglich anzugeben, worin ihre Bedeutung besteht in Beziehung auf eine der fnndamentalsten Fragen der Physiologie — die Frage, nach der Art und Weise, in welcher das erregbare Protoplasma der Pflanzen oder Tiere auf Reize oder Verletzungen reagiert. — In Verbindung hiermit erscheint es mir notwendig dem Leser die Anschauungen vorzuführen, welche hervorragende Pflanzenphysiologen über diesen Gegenstand noch bis vor kurzem hegten, und ich kann dieses wohl am besten dadurch thun, dass ich auf die sehr ausführ- liche Behandlung des Gegenstands in Sachs’ „Vorlesungen über Pflanzenphysiologie“ hinweise. Sachs definiert Reizbarkeit als die Eigenschaft, mittels welcher Organismen auf Reize reagieren. Diese Reaktion, sagt er, ist physio- logisch, nicht physikalisch, und kommt dem Protoplasma zu, und er betont, dass die Wirkung weder ähnlich noch auch proportional dem Reize zu sein braucht ($. 719). Reizbare Teile sind nach ihm im Zustande labilen Gleichgewichts, jedoch mit dem Zusatz, dass jede Störung dieses labilen Gleichgewichtes eher oder später wieder aus- geglichen wird. Den Zustand der Störung charakterisiert er als einen, „in welehem die gleiche Reizursache nieht mehr wirksam sein kann“. Zuletzt bemerkt er, dass „die animalischen Reizwirkungen den vegeta- bilischen meist überlegen“ — „es vergehen mehrere Sekunden und Mi- nuten ja selbst Stunden, bis die lokale Reizung einen Weg von 10 bis 20 oder 30 em zurückgelegt hat“. Was das Blatt von Dionaea anbetrifit, so bin ich einverstanden mit der Definition, mit der Sachs beginnt. Es ist außer allem Zweifel, dass die Reaktion des Blattes auf einen Reiz einen physiologischen, keinen physikalischen Vorgang darstellt und dass die Wirkung der Ursache nicht proportional ist. Aber weiter kann ich nicht mit ihm gehen. Es ergibt sich nämlich aus den folgenden Stellen, in welchen er das Wesen dieser Wirkung diskutiert, dass er mit der physiologi- schen Reaktion die mechanischen Wirkungen verwechselt, welche die Reaktion schließlich hervorbringt, lange nachdem sie selbst aufgehört hat zu existieren. Die einzige Wirkung der Reizung, welche Sachs anerkennt, ist eine Veränderung in der Form oder, genauer ausge- drückt, die Reaktion allein, deren sichtbares Zeichen eine Aenderung in der Form darstellt. Wir verstehen dagegen unter einer Reaktion auf einen Reiz eine molekulare Veränderung, die der Ursache auf dem Fuße folgt, und die fortgepflanzt wird, so weit das er- regbare Protoplasma kontinuierlich zusammenhängt; und wir erkennen ihre Existenz, messen ihre Dauer und bestimmen die 10 Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. Geschwindigkeit, mit der sie sich verbreitet, nicht an sichtbaren Be- wegungen der Organe, welche der Reaktion nach verhältnismäßig langen Zeiträumen folgen, sondern an den elektrischen Störungen, welche der unmittelbare Ausdruck der molekularen Ver- änderung sind. Der Beweis, dass Sachs, wenn er von der Fort- pflanzung der Reaktion spricht, die Fortpflanzung sichtbarer Wir- kungen allein meint, liegt in dem, was ich oben von der Geschwindig- keit dieser Fortpflanzung und der Unwirksamkeit einer zweiten Reizung angeführt habe. Die größte Geschwindigkeit der Fortpflanzung eines Reizes, welche er anerkennt, ist 10 em in einigen Sekunden. Wenn wir unter einigen Sekunden 2 oder 3 verstehen, so würde das für eine Sekunde etwa 4 em geben. Bei Dionaea ist die Geschwindigkeit bei gewöhnlicher Temperatur 20 cm in der Sekunde, das heißt, Reaktion tritt an einer bestimmten Stelle, welche sich 1 cm von der gereizten Stelle befindet, 0,05 Sekunden nach der Reizung ein. Wenn Sachs sagt, dass nach einer Reizung eine zweite ohne Wirkung ist, so meint er hier in äbnliceber Weise wie vorhin, dass wenn das Blatt von Dionaea sich geschlossen oder das von Mimosa in die Schlafstellung gegangen ist, oder wenn die Staubfäden von Cnicus oder Centaurea sich gestreckt haben, dass sie diese Veränderungen nicht wieder durch- machen können, bevor sie Zeit gehabt in den ursprünglichen Zustand zurückzukehren. Sollte es wirklich möglich sein, dass Sachs nicht erkennt, dass der Grund, warum dieses der Fall ist, nichts mit Proto- plasma oder seiner physiologischen Reaktion auf Reize zu thun hat? Diese Bewegungen können nicht wiederholt werden, nicht weil das Organ seine Erregbarkeit verloren hat, sondern einfach weil aus mechanischen Gründen eine solche Wiederholung ausgeschlossen wird Sie beruhen auf einer Wasserabgabe gewisser Zellen, wodurch deren Turgor verloren geht, und dieser kann nur wieder hergestellt werden, wenn die Zellen Zeit gehabt haben, sich nach und nach wieder zu füllen. Weiter (S. 794) behauptet Sachs, dass Pflanzen 1) keine Nerven und 2) dass sie auch nichts dem Entsprechendes besitzen. So gewiss wie das Erste wahr ist, so irrig ist das Zweite. Das Wesen eines Nerven besteht darin, dass er erregbar ist, dass die Wirkung einer Erregung fortgepflanzt wird und dass die Erregung unmittelbar darauf wiederholt werden kann mit derselben Wirkung wie das erste mal. So weit wir wissen, ist diese Erregung nur durch eine begleitende elektrische Veränderung charakterisiert, und ihre einzige wesentliche Bedingung ist, wie von Newton!) schon klar angedeutet wurde, eine Kontinuität der Substanz auf dem Wege, den die Erregung nimmt. In allen diesen Beziehungen stimmt die Reizwirkung in dem Proto- plasma der Zellen des Blattes mit der Reizwirkung im Nerven voll- 4) Vergl. Frage 24 am Ende des 3. Buches der „Optics“ in Horsley’s Aus- gabe von „Newton’s works“, Vol. IV, p. 226. Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. ]1 ständig überein — der einzige Unterschied liegt in der Geschwindig- keit der Fortpflanzung der Erregung und der Form und Verteilung der Pfade, welche sie einschlägt. Es lässt sich übrigens darthun, dass der Unterschied in der Geschwindigkeit unwesentlich ist, wenn wir an ähnliche Unterschiede erinnern in Beispielen, die der Physio- logie der Tiere entlehnt sind. Im Nerven verbreitet sich die elek- trische Veränderung 100 mal so schnell wie im Blatte von Dionaea (bei ersterem 30 m in der Sekunde, bei letzterem 30 em bei hohen Temperaturen), in gewöhnlichem gestreiftem Muskel 10 mal (3m) so schnell, dagegen im Muskelgewebe des Ventrikels des Froschherzens nur halb so schnell (15em). Da niemand daran zweifelt, dass in diesen drei aus dem Tierreich angeführten Fällen das Wesen des Vorgangs dasselbe ist, so wird man auch zugeben müssen, dass die relativ langsame Fortpflanzung bei Dionuea (die überdies bedeutend größer ist, als Sachs annimmt) mit dem Wesen der Sache nichts zu thun hat. Nachdem so Sachs’ Vorstellung der Reizbarkeit klar gelegt worden ist, bleibt noch übrig zu untersuchen, wie er sich den von mir beobachteten Erscheinungen selbst gegenüber verhält. Verleugnet er sie oder lehnt er einfach ab, ibre Bedeutung anzuerkennen? Die Antwort auf diese Frage findet sich in der oben zitierten 37. Vor- lesung, in welcher er im Anschluss an meine Beobachtungen über die elektrischen Begleiterscheinungen der Reaktion seine Theorie über ihr Wesen vorbringt. Irritation verursacht eine Wanderung des Wassers — Wanderung des Wassers elektrische Störung. Er gibt daher die Existenz einer elektrischen Störung, welche der Reizung folgt, zu, aber indem er einen Grund für dieselbe angibt, lässt er sonderbarerweise einen Punkt ganz außer betracht; er vergisst, dass die elektrischen Erscheinungen vorbei sind, bevor ihre angenommene Ursache ins Dasein gerufen wird, und dass ihre Intensität außer allem Verhältnis größer ist als die der von Kunkel untersuchten osmotischen Ströme, von denen sie hervorgerufen sein soll. Wenn es zugegeben werden kann, dass der Erregungsvorgang im Blatte von Dionaea wesentlich derselbe ist wie der, welcher der Reizung von tierischen Organen und besonders von Nerven und Or- ganen, die zum Nervensystem gehören, folgt, so können uns die Be- ziehungen, welche wir zwischen den beobachteten Erscheinungen bei Pflanzen feststellen können, dazu leiten, die korrespondierenden Be- ziehungen bei Tieren besser zu verstehen, grade so wie das Studium des Erregungsvorgangs bei Tieren eine sichere Basis für seine Unter- suchung bei Pflanzen darbietet. Wie in der Einleitung gezeigt wurde, wird von einigen angenommen, dass in der Physiologie der Tiere die Wirkung eines Reizes als eine einfache Störung eines vorher vor- handenen Zustandes elektrischer Thätigkeit anzusehen ist, während andere annehmen, dass der elektrische Ausdruck der Reizwirkung 12 Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. als etwas ganz Neues entsteht. Im Blatt von Dionaea zeigen die beobachteten Thatsachen in überzeugender Weise, dass zwei Reihen von Erscheinungen — die des gereizten und die des ungereizten Zu- standes — durch unlösbare Bande mit einander verknüpft sind, dass jede Veränderung des Zustandes des ruhenden Blattes eine korrespon- dierende Veränderung in der Weise, in welcher es auf einen Reiz reagiert, bedingt, und dieser Zusammenhang besteht darin, dass das Zeichen (die Richtung) der Reaktion dem des vorangegangenen Zu- standes entgegengesetzt ist, so dass, wenn der letztere sein Zeichen in der Richtung von ! nach | verändert, das des letztern von | nach T verändert wird. Diese merkwürdige Beziehung, deren Entdeckung und experi- mentelle Darlegung das wichtigste Ergebnis meiner Untersuchungen in letzter Zeit gewesen ist, kann nur so aufgefasst werden, dass die konstant wirkenden elektrischen Kräfte, die ihren Ausdruck in dem andauernden Spannungsunterschied der entgegengesetzten Oberflächen finden, sowie die mehr vorübergehend wirkenden Kräfte, welche durch Reizung ins Dasein gerufen werden, denselben Sitz haben — und der Gegensatz zwischen ihnen ist in Uebereinstimmung mit dem allge- meinen Prinzip, dass, wenn die Eigenschaft, welche ein Organ be- fähigt, die Reizänderung zu erleiden, durch relative Positivität ausgedrückt wird, so wird der Zustand der Auslösung durch relative Negativität ausgedrückt. Auf die Beziehung zwischen der Erregungsreaktion (dem Aktions- strom) und der vorausgehenden elektrischen Differenz (dem Blatt- strom) wird Licht geworfen dureh die Beobachtung des Einflusses, welcher auf beide durch äußere galvanische Strömung ausgeübt wird. Wir haben gesehen, dass, wenn ein solcher Strom durch ein Blatt während einer sehr kurzen Zeit geleitet wird, er eine dauernde Wir- kung hervorbringt, eine Wirkung, die immer dieselbe Richtung hat, nämlich die der Erregungsströmung, welche Richtung der äußere Strom auch immer gehabt haben mag. Aber dieser Einfluss wird stärker ausgeübt, wenn die Richtung des äußern Stroms absteigend ist (wenn sie also mit der der hervorzubringenden Wirkung überein- stimmt), als wenn sie aufsteigend ist. Bei tierischen Organen, die dem Blatte analog sind, besonders in dem elektrischen Organ des Zitterrochens und des gewöhnlichen Rochens, finden wir, dass die Richtung der dauernden Wirkung eines Stroms, der durch die Scheiben oder Platten geführt wird, immer normal ist; welche Richtung der Strom auch immer haben mag, die Riehtung der dauernden Wirkung ist immer die der natürlichen Entladung des Organs, allein ein homo- nymer Strom ist stets von größerer Wirkung als ein soleher mit ent- gegengesetzter Richtung. In der Anwendung von du Bois-Rey- mond’s Ausdruck „positive Polarisation“ auf die Nacheffekte von voltaischen galvanischen Strömen, die durch Muskeln und Nerven Burdon Sanderson, Die elektrischen Erscheinungen am Dionaea-Blatt. 15 geleitet werden, wird eine ähnliche Beziehung angedeutet, die jedoch durch andere Bedingungen, die hier nicht diskutiert werden können, kompliziert wird. Für das Blatt wie für die elektrischen Organe kann jedoch die Beziehung sehr einfach ausgedrückt werden und zwar für beide in denselben Ausdrücken. Die Wirkung, welche der äußere Strom zurücklässt, bleibt stets in derselben Richtung; ihre Intensität, nicht ihr Zeichen, hängt von der Richtung des Stroms ab, dem sie ihre Entstehung verdankt. Fasse ich die Thatsachen, welche sich im Laufe meiner Unter- suchungen ergeben haben, kurz zusammen, so kann ich sagen: 1) Im Blatte von Dionaea ist die obere Fläche zuerst der untern gegenüber positiv. Infolge einer Reizung wird sie plötzlich negativ. Diese Veränderung, welche die erste Phase der Erregungsstörung darstellt, dauert den größten Teil der ersten Sekunde nach der Reizung. Es geht ihr häufig eine momentane Aenderung in entgegengesetzter Richtung voraus. 2) Darauf unterliegt es einer allmählichen Veränderung, welche im experimentellen Teil dieser Arbeit mit dem Ausdruck „Modifi- kation“ bezeichnet worden ist. Diese besteht in der Verringerung der Negativität der obern Fläche und ihrer schließliehen Ersetzung durch relative Positivität. Diese Aenderung ist begleitet 1) von einer Um- kehrung des Zeichens der Erregungsstörung und 2) (später) von einer Verminderung des elektrıschen Widerstandes des Blattes. 3) Auf die erste Phase der Erregungsstörung folgt sowohl in dem „modifizierten“ wie in dem nicht „modifizierten“ Zustande des Blattes, wenn dieses nicht unmittelbar vorher gereizt worden ist, ein Nach- effekt, der immer das entgegengesetzte Zeichen hat. Wenn das Blatt unmittelbar vorher gereizt worden ist, so bleibt die zweite Phase aus. 4) „Modifikation“ kann nach Belieben hervorgerufen werden, wenn man einen elektrischen Strom durch das Blatt von der obern nach der untern Oberfläche oder in umgekehrter Richtung leitet, selbst wenn dieser Strom so schwach ist, dass auf den Stromschluss keine Erregungsreaktion folgt. Sie ist eine lokale Wirkung, die nicht fort- geleitet wird. Ein Blattflügel kann „modifiziert“ sein, ohne dass dieses bei dem andern eintritt, und selbst ein Teil eines solchen Flügels, ohne dass die umgebenden Teile „modifiziert“ werden. 5) Wenn eine fortgeleitete Erregung einen Teil des Blattes er- reicht, welches „modifiziert“ worden ist, so ruft sie eine modifizierte Reaktion hervor, deren Richtung in der ersten Phase aufsteigend ist und eine Reaktion mit entgegengesetztem Zeichen in den nicht „mo- difizierten“ Teilen. Eine Anzahl Fragen, die sich beim Studium dieses Gegenstandes aufdrängen, bedürfen noch weiterer Untersuchung. Von diesen will ich nur zwei hervorheben. 14 Gruber, Biologische Studien an Protozoen. Die eine bezieht sich auf die Ursache der Verminderung des elektrischen Widerstandes, welche den Vorgang der „Modifikation“ begleitet, besonders seine Beziehung zu dem Aufhören des Turgors der Zellen. Die andere bezieht sich auf den Vorgang, durch welchen der „modifizierte“ Teil seinen ursprünglichen Zustand wieder gewinnt, sowie auf die Zeit, welehe dazu erforderlich ist. Ich werde mich dieser Fragen näher annehmen, sobald ich dazu Gelegenheit finde. Biologische Studien an Protozoen. Den biologischen Untersuchungen an Protozoen wird seit einigen Jahren in der Wissenschaft großes Interesse entgegengebracht und mit Recht, denn manche wichtige allgemeine Frage hat hier schon ihre Lösung gefunden oder wird sie voraussichtlich noch finden können. Vor kurzem hat Maupas, der ausgezeichnete Protozoenforscher in Algier, eine Arbeit publiziert, betitelt „Recherches experimentales sur la multiplication des infusoires ceilies“"), welche an der Hand sorg- fältigster Experimente eine ganze Fülle wichtiger, meist neuer That- sachen ergeben hat. Es scheint mir geboten, in diesem Blatte weitere wissenschaftliche Kreise damit bekannt zu machen, um so mehr als das französische Archiv, in welchem Maupas Arbeit erschien, obgleich wohl sehr verbreitet, doch nicht jedermann zugänglich ist. Bei dieser Gelegenheit sei mir erlaubt, auch einige eigne Beobachtungen mit einzufügen. Die Idee, welche Maupas bei seinen Versuchen geleitet, war die, Infusorien unter den günstigsten Bedingungen möglichst lange unter schärfster Kontrole von Generation zu Generation weiterzuzüchten und dabei etwa eintretende Veränderungen zu beobachten. Dazu war zu- nächst nötig, die Lebens-, insbesondere die Ernährungsweise jeder zu verwendenden Species genau kennen zu lernen, und «darüber gibt uns der Verf. sehr genaue Aufschlüsse, auf die ich hier nicht näher ein- gehen will. Nun galt es, die jeder Art am besten zusagende Nahrung in ausreichender und sich stets erhaltender Menge zu beschaffen, und dies gelang M. durch Züchtung von kleinern Infusorien (Uryptochilum nigricans) für die Fleischfresser und durch Herstellung von Mehl- dekokten sowie Erziehung von Spaltpilzen für die Pflanzenfresser. Die Züchtung geschah unter dem Deckglas in der feuchten Kammer. Letztere konstruierte M. rationell in einer Weise, dass ein möglichst flacher und vollkommen mit Feuchtigkeit geschwängerter Luftraum geschaffen ward. Er bediente sich niederer Schalen, teilweise mit reinem Sande gefüllt, in welchen Glasleisten zum Auflegen der Objekt- träger gesteckt waren; der Wasserspiegel reichte bis dieht unter den Öbjektträger und die Leisten waren so hoch geschnitten, dass zwischen AM in: Archives de zoologie experimentale et generale, 2. Serie, Tome 6, Nr. 2, p. 165—277 mit 3 Taf. Gruber, Biologische Studien an Protozoen. 45 dem Wasser und einer die ganze Schale hermetisch verschließenden Glasplatte nur noch ein Luftraum von wenigen Millimetern Höhe übrig blieb. Maupas benutzte Regenwasser zu den Versuchen, und das Auslesen der Infusorien geschah mittels feiner Pipetten; die Tempe- ratur wurde genau berücksichtigt. Die Versuchstiere wurden jeden Tag kontrolliert und die Resultate in einem Tagebuch verzeichnet, das in 6 Kolonnen das Datum, die Temperatur, die Zahl der Individuen, die Zahl der Teilungen innerhalb 24 Stunden, die Totalsumme der Teilungen von Beginn des Versuchs an und etwaige besondere Be- merkungen enthielt. Der Gang des Versuchs war der, dass zunächst ein Infusorium und zwar womöglich ein eben aus der Konjugation hervorgegangenes isoliert wurde; hatte dieses sich nach einer Anzahl von Tagen durch Teilung etwa bis auf einige hundert Individuen ver- mehrt, so wurde eines derselben wieder isoliert und die übrigen ver- niehtet oder zu anderweitigen Versuchen verwandt. Dies wurde so lange fortgesetzt, bis das Experiment seinen gleich zu besprechenden Abschluss fand. Maupas verwandte Infusorien von 20 verschiedenen Species und beobachtete die Kolonien nie kürzere Zeit als 14 Tage, meist mehrere Wochen und sogar Monate lang. So dauerte u. a. der Versuch mit Stylonychia pustulata, den M. am eingehendsten und mit Wiedergabe des genauen Tagebuchauszugs beschreibt, vom 27. Februar bis zum 10. Juli. Das Hauptresultat, zu welchem die Beobachtungen geführt, ist, dass bei allen Versuchen die Generationen der durch Zweiteilung sich fortpflanzenden Infusorien sich, ohne dass dazwischen Konjugation erfolgt, nicht beliebig vermehren lassen. Ohne Ausnahme trat nach einer gewissen Anzahl von Teilungen, meist nach mehrern hundert, eine allmählich immer mehr zunehmende Degeneration des ganzen Organismus auf, welcher die Tiere schließlich zum Opfer fielen. Die Veränderungen können sich bei den verschiedenen Arten verschieden bethätigen, bei den einen verschwindet ein Teil der Bewimperung, bei den andern ist dies nicht der Fall, nur die Gestalt verändert sich; immer nehmen aber die Infusorien an Umfang ab, werden schwach, verlieren die Fähigkeit Nahrung aufzunehmen, und immer zeigen sich weitgehende pathologische Veränderungen an den Kernen. Dieselben verlaufen in verschiedener Weise: Bei einigen Arten treten am Makronucleus Einbuchtungen auf, welchen dann eine Durchschnürung und ein Zerfall in mehrere Stücke nachfolgt. Es zeigen sich ganz dieselben Bilder, die bei degenerierenden Metazoenzellen so oft zur fälschlichen. Annahme einer direkten Kernteilung geführt haben. Bei andern Arten, und zwar Oxytrichinen, verschmelzen die beiden durch einen dünnen Verbindungsfaden vereinigten Kernstücke zu einem wurst- förmigen Körper, der unter allerlei Veränderungen seinen Chromatin- gehalt immer mehr zu verlieren scheint. Auch die Mikronuclei wer- den von der allgemeinen Degeneration ergriffen und zwar in der Weise, 16 Gruber, Biologische Studien an Protozoen. dass sie allmählich zerfallen und schließlich ganz verschwinden, oder dass sie im Gegenteil eine pathologische Vermehrung, bis zu 8 an der Zahl, eingehen. Maupas fasst den Gang der „senilen Degeneration“ mit folgen- den Worten zusammen (p. 261): „Nous avons vu, en effet, qu’une des premieres et plus importantes degradations de la senescence, consiste dans l’atrophie d’abord partielle, puis complete, des organes de la sexualite. Les individus affeetes de ce premier degr& de degeneres- cenee peuvent encore continuer & vivre et se multiplier; mais cette vie a quelque chose d’anormal, puisqu’elle est devenue completement inutile. Eux et toute leur descendance sont, en effet, voues a une mort inevitable. Ils vivent encore d’une vie individuelle, mais ils sont mort A la vie de l’espece. L’instinet sexuel n’est pas pour cela entiere- ment aboli; mais au lieu de contribuer ä la regeneration et A la con- servation de l’espece, il accelere au contraire la destruction et la disparition de ces generations d’atrophies. Simultanement et conse- eutivement ä cette atrophie sexuelle, la degradation senile attaque les autres parties de l’organisme. Le nueleus, regulateur et dominateur des fonetions vegetatives, se desorganise peu A peu. Les Echanges nutritifs s’affaiblissent graduellement, les phenomenes d’assimilation perdent peu & peu de leur activite primitive. L’energie generale de Vorganisme diminue; la taille se reduit. Puis, lorsque cette degra- ddation est arrivee A son maximum d’effet, de nouveaux organes s’atro- phient et disparaissent entierement. La nutrition elle m&me devient alors impossible et l’organisme deforme et ratatine, perdant toute faculte de vivre et de s’entretenir, meurt par dissolution totale de son etre. Telle est Ja marche de la senescence, amenant la mort naturelle du eilie“. Diese letzten Worte enthalten das, was Maupas als das Hauptresultat seiner Versuche ansieht; er will den natürlichen Tod dureh Abnützung und Altern, begleitet von einer senilen Degene- ration des einzelligen Organismus bei den Ciliaten, also bei Mono- plastiden, nachgewiesen haben. Die Idee von der Unsterblichkeit der Einzelligen, welche, wie Maupas selbst mitteilt, schon Ehrenberg und Dujardin vorgeschwebt hatte und die in neuerer Zeit durch Weismann zur wissenschaftlichen Theorie ausgearbeitet wurde, soll durch diese Befunde als falsch erwiesen werden. Es finde auch bei den Einzelligen eine Abnützung des Organismus statt, äußere Defekte würden allerdings regeneriert, das sei aber auch bei den Vielzelligen der Fall, während bei Monoplastiden wie bei Polyplastiden die durch das Altern bedingten regressiven Metamorphosen nicht korrigiert wer- den könnten. Ich werde mich mit der Widerlegung von Maupas’ Ansicht, dass bei den Einzelligen derselbe natürliche Tod existiert wie bei den Vielzelligen kurz fassen können. Er beweist ja selbst deren Unsterbliehkeit, indem er sagt: „Chez les infusoires eilies oü nous la connaissons (Ja mort nämlich) maintenant avec preeision, elle Gruber, Biologische Stndien an Protozoen. 1er affaiblit peu & peu la vitalite des rejetons d’origine agame et finit par les rendre inaptes & s’entretenir et & se reproduire. Son action deletere est compensee et annulde par le rajeunissement sexuel ou conjugaison“ (p. 272). Diese sogenannte Verjüngung kommt nun aber in der Natur bei den Ciliaten immer vor, resp. muss nach Maupas vorkommen, sonst wären ja schon längst alle Infusorien ausgestorben. Diejenigen Individuen, welche durch Zufall nicht zur Konjugation gelangen, gehen allerdings zu grunde, die Materie der andern aber lebt in der That ewig fort. Maupas hat also nur nachgewiesen, dass manche der höchst- organisierten Einzelligen, der eiliaten Infusorien sich pathologisch ver- ändern und schließlich zerfallen, wenn sie nieht konjugieren, wie die meisten Metazoeneier sich nicht ohne Befruchtung entwickeln können; er fügt aber selbst hinzu, dass er weit entfernt sei, diesen Satz jetzt auch auf die übrigen Protozoen auszudehnen. Der komplizierte Organismus dieser eiliaten Infusorien ist auf die Konjugation angepasst, und diejenigen Individuen, welche nicht dazu gelangen, sterben also eines accidentellen Todes, grade so wie nach Weismann die nicht zur Befruchtung gelangenden, befruchtungs- bedürftigen Sexualzellen eines accidentellen Todes sterben!). Nicht glücklicher ist Maupas in der versuchten Widerlegung des angeb- lich Weismann’schen Grundsatzes, wonach absolute Gleichheit bei den durch Teilung entstandenen Nachkommen eines monoplastiden Individuums bestehe; er sagt, anfangs seien die Teilstücke allerdings der Mutter gleich, aber schon nach 50—100 Teilungen sei dies nicht mehr der Fall, indem sich, wie seine Versuche zeigen, die Tiere physiologisch und morphologisch immer mehr verändern (p. 267). Wenn aber in Wirklichkeit immer nach 50—100 Teilungen die Nach- kommen von der Mutter schon sehr verschieden wären und dies so weiter ginge, wo blieben dann die Arten, die ja doch bestehen? Uebrigens hat ja Weismann ausdrücklich hervorgehoben, dass im Gegensatz zu den Polyplastiden die Monoplastiden es sind, wo die im Leben des Individuum erworbenen Eigenschaften vererbt werden, mit andern Worten er hat eine Variabilität der Einzelligen angenommen. Maupas ist ein Anhänger der Theorie, welche mit den Cyklen, die bei Protozoen von den Konjugationsperioden begrenzt werden, das Metazoenindividuum direkt in Parallele bringt. Die Infusorien-Individuen, welche durch Teilung aus einem Exkonjugierten hervorgegangen, ent- sprechen danach den vom Ei abzuleitenden Zellen des Metazoenkörpers. Dabei wird aber vergessen, dass beim Vielzelligen der Cyklus vom Ei bis wieder zum Ei zu rechnen ist, und dass dieser immer schon abgeschlossen ist, ehe die Vermehrung der Körperzellen aufgehört hat. Bei einigen Metazoen trennen sich die Keimzellen schon während 1) Weismann, Ueber Leben und Tod. Jena 1884. IX, 2 18 Gruber, Biologische Studien an Protozoen. der Furchung, und die somatischen Zellen liegen folglich ganz außer- halb des Cyklus. Ich erwähnte vorhin, dass Maupas trotz der schönen Resultate, die ihm seine genauen Versuche ergeben haben, sich nicht verleiten ließ, für seine Schlüsse eine allgemeine Giltigkeit zu verlangen. Es ist dies eine Bescheidenheit, die man anerkennen muss! Dagegen scheint er mir in der Polemik gegen Weismann nicht den richtigen Ton getroffen zu haben. Wenn er sagt, Weismann hätte zuerst experimentieren sollen, ehe er theoretisierte, seiner Hypothese fehle jetzt, da er (Maupas) ihr die Basis entzogen, jeder wissenschaftliche Wert u. dergl. mehr, so ist dies zum mindesten undankbar; denn die Detailforscher — zu denen ich mich selbst auch rechne — sollten nie vergessen, dass sie die Anregung zu ihren Arbeiten durch be- stehende Theorien von allgemeiner Bedeutung erhalten, und Maupas wäre vielleicht nicht auf die Idee gekommen, seine Züchtungsversuche anzustellen, wenn nicht Fragen wie die von der Unsterblichkeit der Einzelligen durch die wissenschaftlichen Spekulationen W eismann’s u. a. in den Vordergrund gedrängt worden wären. Wenn man auch Maupas’ theoretische Folgerungen als verfehlt ansehen muss, so bleibt der Wert seiner empirischen Beobachtungen unangetastet, und ich möchte jetzt noch einige interessante Einzel- heiten daraus hervorheben: Eine merkwürdige Erscheinung ist es, dass bei einigen Arten, wenn die Degeneration schon begonnen hatte, große Neigung zur Konjugation zwischen Abkömmlingen derselben Urmutter vorhanden war, eine „hypersthesie sexuelle“, wie Maupas es nennt, und zwar besaßen dann die Infusorien nur noch einen oder gar keinen Mikronucleus mehr. Die Neigung zur Vereinigung kann also auch ohne Gegenwart des Mikronucleus vorhanden sein, Ja sogar in unnatürlich gesteigertem Maße, doch ist diese Konjugation ohne Mikronucleus erfolglos, unfruchtbar, und die Tiere gehen zu grunde. Es wirft dies ein bedeutendes Licht auf die große Bedeutung, welche dem Mikronucleus bei der Konjugation zukommt. Auf die vegetativen Funktionen, die Ernährung, Exkretion und auf die Ver- mehrung hat er dagegen gar keinen Einfluss, denn bei Stylonychia pustulata fand 100 Generationen hindurch lebhafte Vermehrung der Tiere ohne Mikronucelei statt. Auch in der Natur kommen ab und zu Kolonien von Infusorien vor, welche des Mikronucleus entbehren. So schrieb mir Herr Dr. F. Jiekeli im April 1884 aus Jena, dass er ein kleines Paramaecium beobachtet, bei dem er weder bei Teilungs- noch bei Konjugationszuständen einen Nebenkern (Mikronueleus) auf- zufinden vermochte. Er schiekte mir einige sorgfältig ausgeführte Präparate, welche mich von der Richtigkeit seiner Behauptung über- zeugten. Ich selbst fand im Dezember 1886 in einem kleinen Wasser- behälter meines väterlichen Gartens in Genua eine aus zahlreichen Individuen bestehende Kolonie eines großen Paramaecium, allem An- Gruber, Biologische Studien an Protozoen. 19 scheine nach P. aurelia, wo auch alle, oder wenigstens die meisten Individuen ohne Mikronucleus waren; bei ganz wenigen war wohl ein sich färbender Körper neben dem Makronucleus vorhanden, doch ließ es sich auch da nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es ein Mikro- nucleus sei oder nicht. Die Tiere schienen übrigens vollkommen frisch und waren, wie gesagt, auffallend groß. Wie solche Fälle zu erklären sind, ist schwierig zu sagen; denn mit den „senil* degene- rierten Individuen Maupas’ wird man sie wohl kaum in Parallele ziehen können, da man nicht einsieht, was sie von einer fruchtbaren Konjugation abgehalten haben würde. Vielleicht stammten sie von Individuen ab, die durch pathologische Einflüsse ihre Mikronuclei ver- loren hatten, dann wieder in günstige äußere Verhältnisse kamen, sich kräftig vermehrten und so eine große Kolonie kleinkernloser Nach- kommen erzeugten. Nach Maupas müssten sie sämtlich dem Tode geweiht gewesen sein, da eine erfolgreiche Konjugation nicht mehr möglich war. In der That verschwand die von mir beobachtete Kolonie auch bald, allerdings vielleicht auch durch den Eintritt starken Frostes zerstört. Auch der Makronueleus kann zerfallen, ohne dass sich am In- fusorium äußerlich Anzeichen davon wahrnehmen lassen, und ohne dass die Nahrungsaufnahme verhindert wäre; eine reguläre Vermeh- rung scheint aber dann nicht mehr möglich zu sein, und das stimmt ja vollkommen mit der Ansicht, die ich mir auf die neuern Versuche über künstliche Teilung und über Konjugation bei den Infusorien ge- stützt von den beiden Kernformen gebildet habe; dass nämlich der Makronucleus vorwiegend das „histogene“ Plasma enthalte, während der Mikronucleus nur aus „Keimplasma“ bestehe, das nur bei der Konjugation zur Verwendung kommt. Die Ansicht, wonach die Vermehrung der Infusorien direkt nach der Konjugation eine gesteigerte sei, um dann gegen das Ende des Cyklus allmählich abzunehmen, weist Maupas an der Hand seiner Versuche zurück; es war davon durchaus nichts zu bemerken. Bei Stentor coeruleus und hauptsächlich Leueophrys patula hat Maupas bei Nahrungsmangel Teilung ohne nachheriges Wachstum beobachtet, wobei die Individuen also immer kleiner wurden; bei Zufuhr von Nahrung wuchsen sie wieder und teilten sich dann auf reguläre Weise. Auch ich habe seinerzeit bei meinen Versuchen mit Stentor coeruleus zwei Teilungsarten unterschieden!), „eine solche, welche eintritt, wenn das Individuum durch Wachstum eine gewisse nicht überschreitbare Größe erreicht hat“ und eine zweite Art der Vermehrung „durch rasch und in bestimmten Zeitintervallen auf ein- ander folgende Teilungen, ohne dazwischen liegendes Wachstum, also verbunden mit stetiger Abnahme des Körperumfangs bis zu einem 1) Beiträge zur Kenntnis der Physiologie und Biologie der Infusorien. Ber. d. Naturf.-Ges. zu Freiburg i./B., Bd. I, Heft 2, 1886, S. 21. 2# 20 Gruber, Biologische Studien an Protozoen. bestimmten kleinsten Maß“. Wie Maupas mit Recht hervorhebt, waren meine Versuche nicht sorgfältig genug, um mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, dass bei der Abnahme der Körpergröße nicht Nahrungsmangel mit im Spiel war, denn ich hatte in den Paramä- cien, die ich den Stentoren gab, nieht die richtige Nahrung für sie ausgewählt; doch sagte ich damals schon, was jetzt auch Maupas in derselben Weise vertritt, „diese letztere Vermehrungsart, für deren Existenz ich oben den Beweis gegeben, würde eintreten, wenn die Infusorien unter ungünstigen Bedingungen sich befinden und es für die Erhaltung der Art wünschenswert erscheint, rasch eine große Anzahl von Individuen hervorzubringen. Maupas meint (pag. 245): „sous la forme naine (v. Leucophrys) elles eireulent rapidement et peuvent s’eloigner des points oü la nourriture est Epuisee.“ Den zweiten Satz möchte ich dagegen nicht unterschreiben: „En outre, ces petits individus, devenus extremement nombreux en tres peu de temps, ser- vent & alimenter les gros retardataires, qui ne se sont pas meta- morphos&s, et, dans le cas d’extr&me disette, l’espece sera ainsi con- servee par une sorte d’autophagie“, indem nämlich die großen Indi- viduen die kleinen gierig auffressen. Wenn ich ferner sagte, „am Ende dieser beschleunigten Teilungen würde dann eine Periode der Konjugation eintreten“, so bestätigt dies Maupas nicht nur für die durch Hunger verkleinerten Leucophrys, sondern sagt (p. 245): „la Leucophre n’est d’ailleurs pas le seul Cili& se preparant & la conju- gaison par une serie de bipartitions rapides, produisant des genera- tions de formes naines. J’ai, en effet, observ& des phenomenes ab- solument identiques chez le Didinium nasutum, V Enchelys farcimen et le Prorodon teres.“ Ich habe einmal im freien und zwar in einem laufenden Brunnen Zwergformen von Stentor coeruleus längere Zeit hindurch beobachtet. Es waren lauter winzige Tierchen, die alle nur ein einziges Kernglied enthielten. Teilung habe ich zu öftern malen beobachtet, aber keine Konjugation, wie denn diese grade bei Stentor gewöhnlich zwischen Individuen von normaler Größe erfolgt. Bei festsitzenden Infusorien, die sich also nicht aufzusuchen haben, sind anscheinend die konjugierenden Tiere niemals Zwergformen (z. B. Spiro- chona, Dendrocometes). Letztere werden überhaupt deshalb entstehen, um die Individuenzahl zu vermehren und die Vereinigungen zu er- leichtern. Unzweifelhaft zeigt sich dies bei den Flagellaten (z. B. bei den Volvocinen, bei Haematococcus u. a.) und bei den Schwärmern der Vorticellinen. Mit Sicherheit scheint aus Maupas’ Versuchen hervorzugehen, dass Nahrungsmangel viele Infusorien zur Eneystierung veranlasst. Er hat dies zu wiederholten malen beobachten können. Maupas hat ferner gesehen, dass Infusorien, die von einer Mutter abstammen, unter ganz übereinstimmenden äußern Bedingungen Unterschiede in der Vermehrungsfähigkeit zeigen können, was also auf individuelle Gruber, Biologische Studien an Protozoen. > - Unterschiede hindeute. Auch ich habe in der mehrfach erwähnten Arbeit bei Stentor coeruleus dasselbe beobachtet und gesagt, „dass darin eine Andeutung zu sehen ist, dass die morphologische und physiologische Kongruenz der durch Zweiteilung entstandenen Tochter- individuen doch keine ganz absolute ist.“ Ein sehr wichtiger Faktor bei der Vermehrung der Infusorien ist die Temperatur, und Maupas hat darüber sehr genaue Beobachtungen angestellt. Es hat sich gezeigt, dass eine Temperatur von 20 Graden Celsius am günstigsten wirkt, während z. B. Euplotes patella sich bei unter 12—13° C nicht mehr vermehrte und bei 5—6° C zu grunde sing, eine allzu starke Steigerung der Wärme natürlich auch schädlich war. Doch verhalten sich verschiedene Infusorienspecies überhaupt sehr verschieden, was die Raschheit der Vermehrung betrifft. Maupas berechnet, dass eine Stylonichia bei 25—26° C durch Vermehrung in 6'!/, Tagen 1 Kilogramm Protoplasma liefern könnte, und dass sie in der 150. Generation, also am Ende des dreißigsten Tages, eine Menge von Individuen erzeugen würde, deren Zahl 1 mit 44 Nullen wäre und die zusammengedrängt eine Kugel darstellen müssten, welche eine Million mal größer als die Sonne wäre. So wichtig die Tem- peratur für die Vermehrung der Infusorien ist, so wenig hat das Licht einen Einfluss darauf; denn Maupas züchtete Tiere in abso- luter Finsternis und fand, dass sie sich grade so oft teilten als solche, die sich unter sonst ganz gleichen Bedingungen im vollen Lichte befanden. Einen merkwürdigen Einfluss soll nach Maupas die Art der Nahrung auf die Gestalt einiger Infusorien ausüben. Genau hat er dies nur bei Onychodromus grandis — einem Hypotrichen — unter- sucht. Gab er den Tieren große Infusorien zu fressen, so wurden sie sehr viel umfangreicher, als wenn er sie mit kleinen fütterte, auch die Gestalt ward eine andere und sogar in der Beborstung waren Unterschiede vorhanden; die kleinen Individuen glichen dann fast vollkommen einer Stylonichia pustulata, mit Ausnahme ihres immer vierfachen Kerns. Nur die kleinen Individuen konjugierten und en- eystierten sich. Maupas zieht aus dieser Beobachtung den Schluss, dass wir hier den experimentellen Beweis dafür finden, dass spezifische, ja sogar generische Unterschiede rasch ohne Einfluss der Naturzüchtung erlangt werden können. Er vergleicht damit die bekannten Versuche von Schmankewitsch über den Einfluss des Salzgehaltes des Wassers auf die Gestalt von Artemia salina. Ich möchte nur ein- wenden, ob es sich beim Maupas’schen Versuch nicht einfach um die Menge und nicht um die Art der Nahrung handelt, also um kleiner werden und verändern durch Nahrungsmangel, so wie in den oben angedeuteten Fällen. Damit würde auch der Umstand stimmen, dass die kleinen die Konjugationstiere sind. Um eine Umwandlung der 39 Gruber, Biologische Studien an Protozoen. Art handelt es sich übrigens da natürlich nicht, denn die abweichen- den Charaktere werden ja nicht fixiert, sondern entsprechen nur einem vorübergehenden Zustande. Ich habe selbst in der letzten Zeit einige Versuche angestellt, welche den direkten Einfluss der äußern Bedingungen, speziell des umgebenden Mediums auf den Protozoenorganismus darthun. Das Heliozoon Actinophrys sol lebt bekanntlich sowohl im Süßwasser als auch im Meere. Die marine Varietät zeichnet sich dadurch aus, dass ihr Plasma dicht, körnig und vakuolenarm ist, während die Aeti- nophrys des süßen Wassers außerordentlich reich an Vakuolen ist und meistens eine schaumige Struktur hat. Nur selten findet man Indi- viduen von körnigem Aussehen. Gewöhnt man nun eine marine Form allmählich an das Süßwasser, so nimmt ihr Plasma schon nach kurzer Zeit die blasige Beschaffenheit der Süßwasserform an, von welcher sie nicht mehr zu unterscheiden ist. Um sicher zu sein, dass diese Strukturveränderung wirklich auf dem Einfluss des Wassers und nicht auf andern durch die Isolierung bedingten pathologischen Einflüssen beruhe, machte ich den Gegenbeweis d. h. ich verwandelte durch allmähliches Zuführen von Salzwasser die Tiere wieder in die marine Actinophrys. Zudem hielt ich Tiere aus dem Süßwasseraquarium unter denselben Bedingungen in der feuchten Kammer, aber ohne Zusatz von Süßwasser, und diese blieben unverändert. Auch eine Seewasser-Amöbe, welche ich seinerzeit als Amoeba erystalligera beschrieb und deren Protoplasma sonst gar keine Vakuolen enthält, wurde durch allmähliches Ueberführen in Süßwasser außerordentlich vakuolenreich, ohne ihre Beweglichkeit einzubüßen. Es handelt sich da natürlich aueh nicht um die direkte Umwandlung einer Art in eine andere, sondern nur um den Nachweis, dass äußere Einflüsse direkte Umgestaltungen hervorrufen können, die aber nicht fixiert werden, sondern nach Aufhebung dieser Einflüsse wieder verschwinden. Die umgewandelten marinen Actinophrys hielten sich mehrere Wochen lang in der feuchten Kammer, doch glaube ich, dass sie sich auf die Dauer doch nicht in Süßwasserformen umwandeln lassen, aus dem Grunde, weil ihnen die kontraktile Vakuole fehlt und diese jedenfalls nur allmählich dureh Naturzüchtung und nicht plötzlich entstehen kann. Auch bei vielen eiliaten Infusorien des Meeres wurde die kontraktile Vakuole von mehrern Forschern vermisst, sei es dass sie wirklich fehlt, sei es dass sie nur außerordentlich langsam pulsiert ). Wenn wir in der Vakuole ein Organ sehen, welches das von außen vorzugsweise auf endosmotischem Wege in den Körper auf- genommene Wasser wieder zu entfernen hat, und wir annehmen, dass das Salzwasser weniger leicht eindringt als das süße Wasser, so würde sich die geringere Entwicklung der Vakuolen oder das gänz- 1) Vergl. Bütschli, Protozon in Bronn’s Klassen u. Ordnungen d. Tiere. Ciliaten S. 1414. Emery, Ueber myrmekophile Insekten. 25 ar) liche Fehlen derselben bei Meeresprotozoen leicht erklären lassen. Dass es im Meere überhaupt Arten ohne Vakuole gibt, deren nächste Verwandte im süßen Wasser eine solche besitzen, deutet darauf hin, dass die Bedeutung der Vakuole als Exkretionsorgan wohl sehr neben- sächlich ist, wie dies auch Bütschli (l. e.) ausgesprochen hat. Bei den eben erwähnten Versuchen mit Actinophrys sehen wir, dass in der That das süße Wasser sofort viel reichlicher in den Körper eindringt als das Seewasser, und daher das Auftreten der vielen Flüssigkeitsblasen bei den Tieren. Lässt man übrigens das Süßwasser zu rasch einwirken, so gehen die Tiere gleich zu grunde; haben sie sich aber durch allmähliches Verdünnen des Meerwassers entwöhnt, so sind sie interessanterweise in demselben Maße gegen Seewasser empfindlich und sterben, wenn man solches zu plötzlich zufließen lässt. Meine Ausführungen waren im wesentlichen dazu bestimmt, auf die Untersuchungen Maupas’ hinzuweisen, dessen weitern Publi- kationen, die sich auf die Konjugation der Ciliaten beziehen sollen, man mit Spannung entgegensehen darf!). Prof. Dr. A. Gruber (Freiburg). Ueber myrmekophile Insekten. E. Wasmann, Ueber die Lebensweise einiger Ameisengäste. Deutsche entom, Zeitschrift, 1886: S. 49—66; 1887: S. 108—122. Derselbe, Beiträge zur Lebensweise der Gattungen Atemeles und Lome- chusa. Tijdschr. voor Entom. XXXI. (Sep.-Abdr.) 84 p. 1888. Die mit andauerndem Fleiß fortgeführten Beobachtungen von Wasmann über die Lebensweise myrmekophiler Käferarten und über ihre gastlichen Beziehungen zu den Ameisen beanspruchen darum ein ganz besonderes Interesse, weil unsere Kenntnis jener merk- würdigen Insekten bis jetzt eine sehr mangelhafte war. Es waren wohl eine große Anzahl beständiger oder zufälliger Gäste der Ameisen- nester entdeckt und Verzeichnisse derselben zusammengeschrieben worden; leider lagen über das Wesen ihrer Beziehungen zu ihren Wirten nur sehr wenige zuverlässige Beobachtungen vor. Dieselben zeigten hauptsächlich, dass gewisse Formen wie C/aviger, Atemeles 1) Dieser Aufsatz war bereits dem Druck übergeben, als ich durch die Güte des Verfassers eine Mitteilung von Nussbaum erhielt (Sitzungsber. d. niederrh. Ges. für Natur- und Heilkunde in Bonn, 7. Jan. 1888), in welcher N. in der Frage bezüglich der Unsterblichkeit der Einzelligen ebenfalls Maupas entgegentritt. Kurz darauf erschien auch Lieferung 53—55 von Bütschli’s Protozoa (Bronn’s Kl. u. Ordn. d. Tiere) in welchen M.’s Arbeit auch schon Berücksichtigung fand. Da Bütschli in der eben erwähnten Frage wesent- lich auf Maupas’ Standpunkt zu stehen scheint (S. 1591 Anmerkung), so muss sich meine Kritik in gleicher Weise auch gegen seine Ansicht wenden. J4 Emery, Ueber myrmekophile Insekten. und Lomechusa von den Ameisen gepflegt werden, nnd dass letztere durch Belecken der gelben Haarbüschel am Hinterleib der Käfer einen ihnen wohlschmeckenden Stoff zu gewinnen scheinen; ferner dass Atemeles und Lomechusa von den Ameisen gefüttert werden. — Wasmann richtete seine Aufmerksamkeit besonders auf die Lebens- weise der in Limburg vorkommenden Arten von Atemeles und Lome- chusa, beobachtete aber dabei noch verschiedene Staphyliniden und andere myrmekophile Arthropoden. Er schlägt folgende biologische Einteilung der Myrmekophilen vor: 1) Arten, welche in wirklich gastlichem Verhältnis zu den Ameisen stehen und von denselben gepflegt und gefüttert werden (Atemeles, Lomechusa, Claviger). 2) Arten, welehe von den Ameisen zwar geduldet, oder sonst nicht bemerkt, aber nicht besonders freundlich behandelt werden (Dinarda, Haeterius, Formicoxenus ete.). Sie leben meist von toten Ameisen oder von faulenden Vegetabilien. 3) Ameisenfressende Arten, welche meist von den Ameisen als Feinde verfolgt oder aus Not geduldet werden (Myrmedonia, Quedius brevis ete.): hierher können auch die eigentlich am Leibe der Ameisen schmarotzenden Tiere gerechnet werden (z. B. gewisse Fliegen der Gattung Phora). Diese drei Kategorien gehen vielfach in einander über und die sub 1) und 2) angeführten Tiere zeigen in ihrer Lebensweise manche Anklänge an das räuberische Wesen der 3. Reihe. Atemeles und Lomechusa haben sich besser als die übrigen Myrme- kophilen an das Zusammenleben mit Ameisen angepasst, indem sie die Sitten ihrer Wirte in hohem Grade angenommen haben: deshalb bietet ihr Verkehr mit den Stammbürgern der Kolonie viel Aehnlich- keit mit jenem der Ameisen unter einander. Die am besten bekannten Arten von Atemeles, A. paradoxus und A. emarginatus, werden hauptsächlich in den Nestern von Myrmica- Arten gefunden, seltner bei andern Ameisen, unter diesen meist bei der Gattung Formica. A. pubicollis scheint im Gegenteil regelmäßiger bei Formica (F. rufa und F. sanguinea) als bei Myrmica vorzukommen; da aber diese Art in Limburg nicht lebt, konnte Verf. darüber keine Studien anstellen. A. paradoxus und A. emarginatus finden sich bei Myrmica im Frühling bis Anfang Mai und im Herbst; sie überwintern in der Erde mit den Ameisen; im Sommer werden sie von den Myr- mica nicht geduldet, dagegen findet man sie während dieser Jahres- zeit öfter bei Formica, namentlich bei F. fusca. Die Vermutung liegt nahe, dass Atemeles die Nester von Myrmica im Frühling verlässt, um zu Formica zu ziehen; sie wird durch folgende Thatsachen wahr- scheinlicher: beide Atemeles- Arten paaren sich im Frühling in den Nestern von Myrmica, doch findet daselbst weder Eierablage noch Emery, Ueber myrmekophile Insekten. 25 Entwicklung der Larven statt. Dagegen sind bei Formica-Arten öfter im Sommer blinde Staphyliniden-Larven gefunden worden, welche nach Wasmann wahrscheinlich zu Atemeles gehören; die Wande- rung von einer Ameisenart zur andern würde also zur Fortpflanzung des Käfers in Beziehung stehen. — Atemeles sind lebhafte Tierchen ; ihre Fühler sind beständig in Bewegung und betasten jeden lebendigen oder leblosen Gegenstand. Wird ein Atemeles von einer gereizten Ameise in feindseliger Art angegriffen, so sucht er zuerst seine Geg- nerin durch Trillern mit seinen Fühlern auf ihren Kopf zu beruhigen und krümmt dabei seinen Hinterleib in die Höhe; genügt dieses Manöver nicht, so wird die Hinterleibsspitze gegen den Feind gerichtet und daraus eine Ladung eines besondern Geruches abgegeben. Dieser Geruch, der demjenigen der Myrmica sehr ähnlich, aber viel stärker ist, scheint auf die Ameise eine betäubende Wirkung zu üben. Gewöhnlich sind aber die Beziehungen der Atemeles zu den Ameisen durchaus freundliche; diese Käfer gehören zu den eigentlichen Haus- tieren der Ameisengesellschaften. Atemeles wird, wie gesagt, von den Ameisen gefüttert: der Käfer bettelt eine vorübergehende Ameise an durch Betasten mit den Fühlern und Belecken ihrer Mundgegend. „Die Ameise füttert den Atemeles wie sie ihresgleichen füttern würde, „indem sie mit zurückgelegten Fühlern den Kopf erhebt und auf ihre „vorgestreckte Unterlippe einen Tropfen treten lässt, den der Käfer „gierig ableckt. Beim Beginne meistens, manchmal noch während „der Fütterung, streichelt der Käfer mit lebhaften und schnellen Be- „wegungen der Vorderfüße die Kopfseiten der Ameise; zum Schlusse „beleckt er meist abermals die Mundgegend“. Ueberdies füttert auch manchmal ein Ateimneles seinesgleichen, und es wird sogar ausnahms- weise eine Ameise von einem Atemeles gefüttert. Doch können unsere Käferchen auch selbständig fressen: sowohl Honig und Zucker als tote Insekten werden von denselben verspeist; aber die Atemeles be- nehmen sich manchmal als echte Parasiten der Ameisengesellschait, indem sie die unbedeckten Puppen ihrer Wirte anfressen. Dieses ergibt uns den Grund, weshalb diese Käfer bei Myrmica zu der Zeit, wo im Frühling viele Puppen im Neste sind, nicht mehr geduldet werden, während sie bei Formica, deren Puppen wenigstens eine Zeit lang durch ein Cocon geschützt sind, noch freundliche Aufnahme finden !). Tote Atemeles werden von Myrmica nie gefressen, sondern wie verstorbene Ameisen ihrer Art aus dem Neste fortgetragen. Ate- meles frisst dagegen sowohl tote Ameisen als verstorbene Individuen seiner Art gerne an. 4) Die vermutlichen Atemeles-Larven leben bei Formica als willkommene Gäste und werden von den Ameisen beleckt und gefüttert, schaden aber dabei auch der Brut ihrer Wirte, namentlich den Eiern, welche sie öffnen und auf- saugen; sie führen also eine halbparasitische Lebensweise und werden dennoch von den Ameisen nicht nur geduldet, sondern auch gepflegt und geschützt. 26 Emery, Ueber myrmekophile Insekten. Atemeles wird von den Ameisen in zweifacher Weise beleckt. Zunächst wird ein Käfer zum Zwecke der Reinigung grade wie eine Ameise beleckt; die leckende Ameise beginnt meistens beim Kopfe des Käfers; an den gelben Haarbüscheln des Hinterleibes wird aber die Beleckung eifriger, ungeduldig und ist offenbar eine naschende; dabei wird der Käfer selbst aufgeregt und gibt dieses durch schnel- lere Bewegung der Fühler, sowie durch eine zitternde Erschütterung des ganzen Leibes kund. Manchmal putzt ein Atemeles eine Myrmica oder einen andern Atemeles. Im ganzen zeigt sich Atemeles in seinen gastlichen Verhältnissen zu den Ameisen viel zudringlicher gegen seine Wirte als diese ihm gegenüber. Der Käfer ist durch seine merkwürdige Anpassung an das Leben der Ameisen von letztern durchaus abhängig geworden, und trotzdem er auch von selbst fressen kann, ist er nicht im stande, getrennt von seinen Wirten, lange zu leben. Lomechusa strumosa (die einzige in Mittel-Europa vorkommende Art der Gattung) lebt fast nur bei Formica sanguinea, ausnahmsweise bei andern Formica-Arten. Dieser Käfer ist viel größer, plumper und unbeholfener als die Atemeles-Arten; sein Geruch ist ganz verschieden und scheint dem Ameisensäure-Geruch des Wirtes ähnlich zu sein. Seine Beziehungen zur F. sanguinea sind ungefähr dieselben wie jene von Atemeles zu Myrmica; im ganzen verhält sich aber der Käfer der Ameise gegenüber mehr passiv, letztere mehr aktiv; er wird öfter gefüttert als Atemeles und zwar nicht wie eine erwachsene Ameise, sondern wie eine Ameisenlarve, indem er seinen kleinen Kopf in den Mund der fütternden Ameise steckt, welche ihm mit Hin- und Her- bewegung ihres Kopfes die Nahrung eingibt. Ob auch Fütterung einer Lomechusa durch ihresgleichen stattfindet, bleibt noch zweifel- haft. Ebenso wie Atemeles frisst Lomechusa auch von selbst und zwar oft sogar an lebenden Larven und Puppen ihrer Wirte. Das schwerfällige Tier wird von den Ameisen öfter im Neste herumge- führt und dabei an einem Fühler oder an einem Beine gezogen, auf welehe Weise ihm nicht selten Verletzungen verursacht werden. Die Beleekung von seiten der Ameisen geschieht wie bei Atemeles. Die Bierablage findet innerhalb des Nestes statt, woselbst nach Sahl- berg die Larven leben. Lomechusa scheint also noch vollkommener als Atemeles der gast- lichen Lebensweise bei Ameisen angepasst zu sein und ist von ihren Wirten in noch höherem Grade abhängig geworden. Von diesen zwei im höchsten Grade myrmekophilen Gattungen weichen die übrigen Staphyliniden, welche bei Ameisen leben, in ihren Sitten bedeutend ab. Fast alle leben von tierischer Kost und sind von mehr oder weniger räuberischer Natur. Sie werden von den Ameisen geduldet, oder wissen sich vor ihren Angriffen durch be- sondere Verteidigungsmittel zu schützen. Die nur wenig schädliche, Emery, Ueber myrmekophile Insekten. 27 hauptsächlieh von Leichen lebenden Dinarda und die. räuberischen Myrmedonia- Arten besitzen in dem Geruch, den sie von der Hinter- leibsspitze abzugeben vermögen, eine sichere Abwehr. Der flinke und kräftige Quedius brevis entschlüpft durch seine behenden Bewegungen, wenn er unvorsiehtig in einen Haufen von Ameisen geraten ist. — In dieser Beziehung beanspruchen die Beobachtungen von P&eringuey über die Lebensweise verschiedener Paussiden in Südafrika ein be- sonderes Interesse. Die Ameisen verschiedenster Arten, welche jene Paussiden bewirten, lassen die Käfer ruhig an ihren Larven fressen und begnügen sich damit, ihre Brut von der Nähe des gefürchteten Hausraubtieres nach Möglielikeit zu entfernen, wenn dasselbe einen Haufen von Larven angreift. Der Käfer scheint seinerseits den Ameisen keinen Gegendienst zu leisten und von denselben keinerlei Pflege zu genießen; er kümmert sich um die Ameisen gar nicht und braucht auch keineswegs seine explodierende Fähigkeit zu benutzen, um vor den Angriffen seiner kriegerischen Wirte sich zu schützen, welchen er eine wunderbare Furcht einzuflößen scheint. Andere Myrmekophilen werden von den Ameisen durchaus nicht bemerkt, wie z. B. die winzig kleinen Oligota, Homalota talpa, Myrme- coxenus, Monotoma, die Histeriden ete. Aehnlich verhält sich die kleine Gastameise Formicoxenus, welche innerhalb des Nestes der Wald- ameise (Formica rufa) ihre eigne Haushaltung einrichtet. Alle eigentlich myrmekophile Insekten folgen den Ameisen in ihrer Wanderung, wenn sie ein altes Nest für ein neues verlassen; ebenso verschwinden sie bald in den tiefern Höhlungen des Baues, wenn die oberflächlichern Gemache künstlich eröffnet worden sind. Lomechusa und Atemeles werden dabei von den Ameisen sogar mit Gewalt fortgeschleppt. — Während die Ameisen verschiedener Arten und selbst die Bürger verschiedener Bevölkerungen derselben Art gegen einander feindlich gestimmt sind, können die Myrmekophilen von einem Nest ins andere ungestraft wandern oder künstlich ge- bracht werden und finden bei dem fremden Volke die gleiche Behand- lung, wie in der frübern Heimat. Sie können sogar von einer Ameisenart zu einer andern transportiert werden, und von manchen Arten, bei welchen sie in der Regel nicht vorkommen, werden sie in freund- licher oder nicht feindseliger Weise empfangen. Ueber letztere inte- ressante Verhältnisse, welche Wasmann als „internationale Bezieh- ungen der Ameisengäste“ bezeichnet, verspricht uns der verdiente Forscher weitere Mitteilungen. Allgemeine Folgerungen über den Ursprung und die Ausbildung der Myrmekophilie hat bis jetzt Wasmann nicht ausgesprochen; er behält sich dieselben für eine spätere Zeit vor. Es liegt uns auch fern, über diesen schwierigen Gegenstand eine eigentliche Theorie aufzustellen; einige Resultate ergeben sich aber beinahe von selbst 28 Kronfeld, Blumenstetigkeit der Bienen und Hummeln. ne aus den oben erwähnten Thatsachen. Dass gepanzerte Käfer, wie die Histeriden, welche dureh ihr hartes Chitin gegen Angriffe ge- sichert sind, oder winzig kleine Tierchen, welche wie Oligota, Mono- toma und andere für die höchst unvollkommenen Sehwerkzeuge unserer Ameisen beinahe unsichtbar sind, von letztern geduldet werden, hat nichts sonderbares. Das interessanteste Problem, welches durch die Beobachtungen Wasmann’s seiner Lösung nahe gebracht wird, ist der Ursprung der in höchstem Grade myrmekophilen Aleochariden- Gattungen Atemeles und Lomechusa. Die parasitären Beziehungen dieser Tiere zu den Ameisen einerseits und die Art, auf welche sich Atemeles ebenso wie Dinarda und die von Raub lebenden Myrmedonien durch das riechende Sekret ihrer Analdrüsen zu verteidigen wissen anderseits, geben uns den leitenden Wink. Die Ahnen von Atemeles und Lomechusa waren ohne Zweifel räuberische Aleochariden. Ihre ursprüngliche Lebensweise tritt noch heute, trotz der merkwürdigen neu erworbenen morphologischen und biologischen Charaktere, klar zutage, ebenso wie beim zahmen Haushund das Raubtier und beim zivilisierten Menschen der Urwilde noch immer in gewissen instinktiven Hand- lungen sich enthüllt. C. Emery (Bologna). Zur Blumenstetigkeit der Bienen und Hummeln. Von Dr. M. Kronfeld. (Aus Verhandl. der zool.-botan. Gesellsch. zu Wien, Bd. XXXVII, 4.) Soll der Besuch der Immen für die Blüten nützlich sein, so ist es nötig, dass die Besucher nieht von einer Art zur andern schwärmen, sondern kürzere oder längere Zeit nur eine Species befliegen. Nach Delpino!) fiel schon Aristoteles die Blumenstetigkeit der Bienen auf. Zahlreiche weitere Beobacht- ungen an Bienen und Hummeln wurden zum Beweise derselben an- geführt. Drei gleichfalls hiehergehörige und, wie ich glaube, instruk- tive Beispiele sind in den folgenden Zeilen bekannt gemacht. I. Am 14. August vorigen Jahres stand ich vor einem Gurken- beete; die gelben Blüten waren von Bienen lebhaft besucht. Ich vertrieb zehnmal eine Biene und sah dieselbe sofort umkehren und wieder auf die Gurkenblüten fliegen, obschon in nächster Nähe Beete mit Blumen der verschiedensten Art standen. Da die Blüten von Cucumis sativus L. bekanntermaßen diklin-monöeisch sind, so ist es klar, dass das beobachtete Insekt für die Belegung mit Erfolg thätig war. II. In einem rechteckigen Beete von 5 m Länge und 0,75 m Breite befinden sich Aster chinensis L., Goreopsis tripteris L., Helichry- sum bracteatum N ent., Papaver orientale L., Scabiosa atropurpura L., 1) Ulteriori osservazioni sulla dicogamia, II, Milano 1875. Kronfeld, Blumenstetigkeit der Bienen und Hummeln. 39 Tagetes patula und T. erecta L. und Zinnia elegans Jaeg. bunt durch- ‚einander gemengt in voller Blüte. Am 17. August sah ich drei Bienen zu, die bloß auf Zinnia elegans Pollen und Nektar sammelten und hierauf davonflogen. Die übrigen Blumen waren für die Tiere förm- lich nicht vorhanden. III. Am 24. Mai dieses Jahres nahm ich ein großes Weibchen von Bombus hortorum L. in acht, welches beharrlich an Tragopagon major Jacg. flog. Es war auf einer Wiese bei Weidlingau nächst Wien. Ungeachtet der Gräser blüten auf jener Lokalität mit Trago- pogon major: Anthriscus silvestris Hoffm., Campanula patula L., Galium Cruciata L., Leucanthemum vulgare Lam., Mwyosotis inter- media Lk., Plantago media L., Ranunculus acer L., Trifolium pra- tense L., Veronica Chamaedrys L., endlich Vieia sepium. Obwohl diese Pflanzen gleich dem Bocksbart in vollem Flor standen und Campanula patula, Leucanthemum vulgare, Ranuneulus acer, Trifolium pratense und Vieia sepium in der Augenfälligkeit mit demselben wetteiferten, besuchte die Hummel innerhalb 10 Minuten wohlgezählte 28 Tragopogon-Köpfe, ohne auch nur ein einziges mal auf einer andern Art verweilt zu haben. Es machte gradezu den Eindruck, dass die Hummel nur Tragopogon sehe und im übrigen für die Blumenwelt blind sei. Die Imme setzte sich zunächst auf die Strahlblüten des Körbcehens und drang von hier aus gegen das Zentrum vor. Während sie den 2 cm langen Saugrüssel in die Scheibenblüten schob, drehte sie sich im Kreise herum und fegte so mit dem haarigen Leibe reichlich Pollen zusammen. Unvermeidlich musste sie einen Teil derselben auf dem nächsten Blütenkopfe an den Narben abstreifen. Merkwürdig war, dass die Hummel kein einziges mal einen schon besuchten Blüten- kopf zum zweiten mal anflog, obschon die Tragopogon - Exemplare dicht bei einander standen und während der 10 Minuten kaum die Area von 5 Quadratmetern überschritten wurde. Nach dieser Zeit schwang sich die Hummel auf, rastete eine Weile auf einem Blütenkopfe von Leucanthemum vulgare — ohne zu saugen oder Pollen zu sammeln — und flog dann, mit der reichen Beute von den Tragopogon-Köpfen beladen, ins weite. Diese drei Beobachtungen thun dar, dass einzelne Exemplare von Apis mellifica und Bombus hortorum während einer bestimmten Dauer ein und derselben Blumenart treu bleiben!). Die Blumenstetig- keit der Immen — theoretisch ein Postulat — offenbart sich also 4) Dalla Torre (in Katter’s Entomolog. Nachrichten, 1876, S. 171) er- zählt, dass er ein Exemplar von Bombus pratorum L. var. B. bimaculata Krehb. mit Tinte signierte und dann zusah, wie dasselbe einen Tag lang Hieracium Auricula, einen zweiten Calamintha alpina, einen dritten Campanula pusilla besuchte. Bombus terrestris flog der Reihe nach innerhalb dreier Tage an Calamintha alpina, Campanula pusilla und Prunella vulgaris. 30 Sluiter, Ein merkwürdiger Fall von Mutualismus. auch in der Praxis. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die vom Neste abermals zurückgekehrte Hummel nach Tragopogon major Leucanthe- mum vulgare oder eine andere Pflanze befliest. Aber man darf nach dem Angeführten behaupten, dass die Imme nicht während eines Aus- fluges auf Tragopogon und Leucanthemum wnbeständig saugt und sammelt. Denn durch ein solches Benehmen würde sie die irrationellste Vermischung der Generationsprodukte bei den Blumen bewirken; sie würde aufhören ein nützlicher, eutroper Besucher zu sein. Zusatz zu Tiebe, Die vergleichenden Versuche Plateau's über das Sehvermögen von Insekten und Wirbeltieren. In: Biolog. Centralbl. VIII, 23. Zu dem Referat des Herrn Gymnasiallehrers Tiebe in Stettin über Plateau’s Versuche möchte ich einige Bemerkungen beifügen, damit der alte Spruch „qui tacit, eonsentire videtur* nicht in Anwendung kommen kann. Meine Zusätze beziehen sich nur auf die Einleitung S. 725—726. Dieselbe ist ein Auszug aus Plateau’s Einleitung zu seinen Versuchen IV. Teil, die selbst so kurz ist, dass das historische Bild sich etwas verschiebt; bei der nochmaligen Kürzung tritt das natürlich in erhöhtem Maße ein — womit ich übrigens Herrn Tiebe keinen Vorwurf machen will. Es ist nun, um kurz zu sein, unrichtig, dass erst Patten die Beziehungen zwischen Ocell und Fächerauge richtig dargestellt habe, und es ist eine nicht nur unerwiesene, sondern gradezu falsche Behauptung, dass der Krystallkegel ein Netzwerk von Nervenfasern sei; es ist drittens die Theorie des Sehens, welche durch Plateau’s sinnreiche und schöne Versuche bestätigt wird, nicht erst durch diese neuen anatomischen „Ergebnisse“ ermöglicht, sondern schon etwas älter. Plateau hat übrigens in seinen frühern Abhandlungen ebenso wie in der jüngst erschienenen fünften der historischen Gerechtigkeit immer genüge gethan und scheint nur eben damals — wie das bei allen, die nicht selbst sehr eingehend anatomisch auf diesem Gebiete gearbeitet haben, leicht verständlich ist — durch die ebenso künstlerisch schönen als in jeder Beziehung kühnen Abbildungen Patten’s geblendet worden zu sein, J. Carriere (Straßburg). C. Ph. Sluiter, Ein merkwürdiger Fall von Mutualismus. Zool. Anz., XI, 278. Einen merkwürdigen Fall von Mutualismus beobachtete Verf. in Batavia zwischen einigen Arten der Fischgattung Trachichthys Shaw (Amphiprion Bleeker) und einigen großen Aktinien. Letztere sitzen auf toten Korallen- stücken fest, und zwischen ihren zahlreichen, bis 2 em langen Tentakeln schwimmen drei bis vier kleine, schön gefärbte Fische umher, welche die Tentakeln nur sehr leise und somit ohne Schaden berühren. Verf. setzte Exem- plare einer bis 5 em langen Art in ein Aquarium, wo keine Aktinien sich befanden, zu größern Fischen, und alsbald wurden jene von letztern aufgefressen. Dabei suchten sie unaufhörlich nach einem geeigneten Zufluchtsort und be- trachteten als solchen z. B. ein vielfach verästeltes Korallenstück, oder in einem Falle die Stacheln einer Echinothrix calamare; aber schließlich fielen Fischer, Ein körnerfressendes Reptil. 1 sie ohne Ausnahme ihren Verfolgern zur willkommenen Beute. Mit der Aktinie aber konnte Verf. unter sonst ganz gleichen Bedingungen die Fischehen mehrere Monate am Leben erhalten. Sie wagen sich alsdann nur selten und bloß zur Erhaschung ihrer Beute von ihrem Gastfreunde hinweg, aber auch dann nur auf ganz kleine Entfernungen Bei jedweder Näherung eines fremden Gegen- standes (Hand, Stab ete.) fliehen sie zwischen die Tentakeln der Aktinie zurück. „Ja sogar, wenn man die Aktinie mit dem Korallenstücke, auf welchem sie befestigt ist, aus dem Wasser heraushebt, geben die Fische sich lieber mit ihrem Gastfreunde gefangen, als dass sie ohne Schutz im Wasser blieben und so gewiss ihrem Untergang entgegengingen“. Die Aktinie verhilft den Fischen auch mit zu ihrer Nahrung. Die Beute der erstern wird von letztern ausgenützt, ehe sie in den Magenraum jener gelangt. Folgendes beobachtete Verf. bei Trachichthys Clarkii Cuv. und einer Bunodes- Art mit ziemlich langen Tentakeln. Wenn man ein größeres Stück Fleisch in der Nähe der Aktinie ins Wasser wirft, lässt der Fisch dasselbe „bis etwa 2 dm von der Aktinie hinabsinken, kommt dann schnell aus seinem Schlupfwinkel heraus, packt das Fleisch, schleppt es mit sich und drückt es mit einigen kräftigen Schlägen des Schwanzes gegen die Scheibe und Tentakel der Aktinie. Letztere wird hierdurch aufgefordert, das Fleisch sogleich mit den Tentakeln zu umfassen. Jetzt zieht und zupft unser Fisch wieder kleine Fasern von der Beute ab. Hat aber die Aktinie das Stück bis zum Munde hinbefördert und fängt sie an, es in den Magenraum einzustülpen, ohne dass der Fisch sich noch satt gegessen hat, so zieht letzterer es aus dem Munde hervor und bringt es wieder mehr an den Rand zwischen die Tentakel, wo er mit Zupfarbeit fortfahren kann“. Als einen Vorteil für die Aktinie betrachtet Verf. den lebhafteın Wasserwechsel, verursacht durch das Umherschwimmen des Fisches, dann aber die Zuführung einiger Beute durch denselben. Der größere Vorteil liegt aber offenbar auf der Seite des Fisches. Joh. von Fischer, Ein körnerfressendes Reptil. Zool. Anz., XI, 273. Selten sind Reptilien, welche überhaupt Pflanzen fressen, noch seltener solche, welche, wie nach des Verf. Erfahrung Uromastix acanthinurus Bell, vorwiegend herbivor sind. Neben animalischer Nahrung nehmen auch pflanz- liche zu sich z. B. Plestiodon Aldrovandi Dum. et Bibron (süße Früchte), Lacerta ocellata Daudin (Kirschen, Weinbeeren, Datteln), Stellio vulgaris Daudin (Salatblätter). Körner aber sah Verf. noch keine Art fressen, außer Uromastix Hardwickii Gray, und zwar bevorzugt diese Art Körnernahrung durchaus. Verf. erhielt einige Stücke derselben aus Bengalen, die unterwegs nichts zu sich genommen haben konnten. Dieselben kamen froststarr an, er- holten sich im Terrarium bald, verschmähten aber jede Nahrung. Aus der Untersuchung der nach drei Tagen abgesetzten Exkremente zog Verfasser den Schluss auf Körnerernährung und reichte den Tieren Reis, Mais und Hirse. Mit Gier fielen sie darüber her und „zermalmten sogar den harten Mais mit Leichtigkeit“. Außerdem nahmen sie auch Heu und Stroh an, aber durchaus keinen frischen Salat wie Uromastix acanthinurus. Dagegen tranken die Tiere, was letztgenannte Art nie thut. Nebenher fraßen sie auch Mehlwürmer und Heuschrecken. 32 Kerner von Marilaun, Ueber den Duft der Blüten. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. K. k. zoolog.-botan. Gesellschaft zu Wien. Versammlung am 5. Dezember 1888. Herr Hofrat Prof. Dr. Anton Kerner von Marilaun hielt einen Vor- trag „über den Duft der Blüten“ Nach einer Darlegung der Begriffe Geruch und Duft, von denen der erstere nur für die Empfindung, der letztere dagegen für die Eigenschaft des, die Empfindung hervorrufenden Objektes an- gewendet werden kann, besprach der Vortragende den Zweck der Düfte im Pflanzenreiche. Derselbe kann Anlockung oder Abhaltung von Tieren sein. Die Blütendüfte teilte der Vortragende in folgende fünf Gruppen, die sich bei Berücksichtigung der die Düfte vorwiegend hervorrufenden chemischen Ver- bindungen ergeben: Indoloide Düfte (Stapelia, Rafflesia, Aristolochia- Arten, Aroideen u. a.), aminoide Düfte (COrataeygus, Pyrus, Pachysandra, Sangui- naria, Allanthus, Castanea u.a.), terpenoide Düfte (Lavandula, Dictamus u.a.), benzoide Düfte (Caryophyllus, Dianthus- Arten, Hyacinthus, Asperula, Orchideen, Syringa, Robinia, Viola ete.). Ausgehend von der Darlegung der Theorie des Duftes und der Geruchsempfindung besprach der Vortragende die Ursachen der Verschiedenheit der Düfte, sowie des verschiedenen Wahrneh- mungsvermögens für diese bei den Tieren. Ferner schilderte er die mannig- fachen Anpassungen der Pflanzen an das Geruchsvermögen der Tiere. Schließ- lich zeigte der Vortragende, in welcher Weise eine Bezeichnung der Blüten- düfte und eine Verwertung derselben für die Systematik möglich wäre. Zu diesem Zwecke Fisst sich die Mehrzahl der Düfte der Blüten auf bestimmte Typen zurückführen, und als solche wären zu nennen: Der Fliederduft, Gaisblatt- duft, Akazienduft, Vanilleduft, Aurikelduft, Veilchenduft, Hyazinthenduft und Nachtschattenduft. Preis-Ermässigung des Biologischen (entralblattes Band IV. Um neu eintretenden Abonnenten die Anschaffung der ganzen Serie zu erleichtern, liefern wir bis auf weiteres Exemplare Biologisches Centralblatt Band I—VIll (18831—1888). (Ladenpreis des Bandes 16 Mark.) (statt Mark 128.—) zu dem ermässigten Preis von Mark 80.— Zu beziehen durch jede Buchhandlung sowie durch die Verlagsbuchhandlung von Eduard Besold. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Erriolesieh in rn 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis, des ] Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. RX. Band. 15. März 1889, nn. Inhalt: Kon Bier ‚sky, Ein N Beine zur Rennkmıs der nee (Erstes Stück, ) — von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Polypomedusen. — von Lenden- feld, Neuere Untersuchungen über Anthozoen. — ®. Zacharias, Bericht über eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel. — von Lendenfeld, Bemerkung zu Vanhöffen’s Arbeit über die Medusen des „Vettor Pisani*. Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Von Prof. A. Kowalevsky in Odessa. Den Ausgangspunkt meiner Untersuchungen über die Exkretions- organe bildeten die bekannten Arbeiten von Heidenhain, Chrzon- sczewsky und Wittich, nach denen in der Niere der Wirbeltiere zwei physiologisch verschiedene Abteilungen zu unterscheiden sind, nämlich die Malpighi’schen Körperchen und die Harnkanälchen (Tubuli contorti). Die ersten scheiden Wasser und leichtlösliche Salze wie Chlornatrium, die andern den Harnstoff, vielleicht auch Harn- säure und deren Salze aus. — Diese beiden Abteilungen der Niere haben nach den Untersuchungen der oben genannten Forscher be- stimmte Beziehungen zu zwei Farbstoffen, dem karminsauren Ammon und dem indigschwefelsauren Natron resp. Indigokarmin. Der erste wird von den Malpighi’schen Körperchen, der zweite von den Harnkanälchen abgesondert resp. ausgeschieden. Die Untersuchungen von Heidenhain, Wittich und Chrzon- sezewsky beziehen sich nur auf Wirbeltiere, und es war zu erwarten, dass dieselben Farbstoffe auch bei den Wirbellosen von entsprechen- den Organen ausgeschieden werden. — In dieser Richtung wurden auch verschiedene Versuche gemacht, namentlich von E. Schindler!) für die Insekten, B. Solger?) für die Cephalopoden. Die beiden Herren führten diesen Tieren Indigokarmin ein und fanden, dass 1) E. Schindler Balıike zur Kenntnis der Malpighi’schen Gefäße der Insekten. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 30, 1878, 8. 587. 2) B.Solger, Zur Physiologie der sogenannten Venenanhänge der Cephalo- poden. Zoologischer Anzeiger, 1831, Nr. 88. IX, 5 34 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. derselbe von den Malpighi’schen Gefäßen bei den Insekten und von den Venenanhängen bei den Cephalopoden ausgeschieden wurde. Mit dem Karmin wurden in Form von einfachem Pulver, wie es in den Handel kommt, Fütterungsversuche angestellt, besonders von Herrn E. Metschnikoff!) an verschiedenen Crustaceen (Daphniden, Branchipus und Estheria), und von mir an den Fliegenlarven?), außer- dem in den letzten Jahren von Herrn Hugo Eisig?), dessen Resultate in seinem großen Werke letztens publiziert wurden. Da aber alle diese Untersuchungen ziemlich vereinzelt standen, so schien es mir von einem gewissen Interesse, dieselben methodisch auf die Repräsentanten der verschiedenen Typen auszudehnen und auch andere Substanzen anzuwenden, und so einige Anhaltspunkte für unsere morphologischen und vergleichend-physiologischen Spekulationen zu gewinnen. Obgleich ich meine Untersuchungen auf die Repräsentanten der meisten Metazoen ausgedehnt habe und vielleicht bei den Würmern oder Echinodermen anfangen müsste, ziehe ich es, da namentlich bei diesen meine Resultate am unvollständigsten sind, vor, mich anfangs an solche Formen zu halten, deren Exkretionsorgane besser bekannt sind und an denen ich auch bestimmtere Resultate erhalten habe. Ich werde mit den Arthropoden beginnen und dann die Mollusken und Würmer besprechen, und endlich einige Angaben über die Echino- dermen und Ascidien machen. In meiner Mitteilung werde ich mich nicht streng an das zoo- logische System halten, sondern anfangs solche Formen besprechen, bei denen es mir gelungen ist, die Erscheinungen möglichst deutlich zu beobachten. Die Methode meiner Untersuchung bestand darin, dass ich in den Körper der untersuchten Tiere verschiedene Farbstoffe einführte, wozu ich, nach der Größe des Tieres mich richtend, die Farbstoffe in den Körper einspritzte oder die kleinern Formen mit denselben fütterte. Von den Farbstoffen gebrauchte ich Karmin in Pulver, karmin- saures Ammon, Indigokarmin resp. indigschwefelsaures Natron, Aliza- rinblau und nach dem Vorschlage des Herrn E. Metschnikoff auch Lakmus; es wurden gelegentlich auch einige andere Farbstoffe ge- braucht, welche ich im speziellen Teile angeben werde. Die Organe wurden dann entweder frisch untersucht oder mit Alkohol behandelt und später in Schnitte zerlegt. 1) Herr E. Metschnikoff teilte mir seine Untersuchungen nur münd- lich mit. 2) Zum Verhalten des Rückengefäßes und des guirlandenförmigen Zellen- stranges der Musciden während der Metamorphose. Biologisches Centralblatt, Bd. VI, S. 75. n 3) Hugo Eisig, Die Capitelliden. Fauna und Flora des Golfes von Neapel. XVI. Monographie, Berlin 1887. { Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 35 Alle Farbstoffe, die ich gebrauchte, wurden mir von Dr. Georg Grübler in Leipzig (Dufourstraße Nr. 17) geliefert, und ich bin seiner Firma sehr verbunden für die Reinheit der von ihm gelieferten Reagentien und Farbstoffe. Crustaceen. Spritzt man einem Astacus eine lprozentige Lösung von karminsaurem Ammon ein, so bemerkt man schon nach einigen Stunden, dass das Endsäckehen!) der Antennendrüse sich zu färben beginnt und allmählich immer mehr und mehr rot wird; im Laufe von zwei oder drei Tagen hat die Färbung ihr Maximum erreicht, und wenn man jetzt die Zellen der Endsäckchen untersucht, so findet man, dass dieselben voll von roten Bläschen resp. Körnchen sind. Die Kerne der Zellen bleiben ganz normal und weiß, nur die Körnchen nehmen die rote Farbe auf. — Die Körnchen sind ziemlich gleichmäßig in die Zellen gelagert und füllen dieselben fast vollständig aus; an der Peripherie resp. an den Enden der Zellen, welche nach dem Lumen der Drüse gerichtet sind, sammeln sich diese Körnchen zu kleinen Klumpen an, welche sich von der Zellsubstanz ab- trennen und in das Lumen der Drüse fallen. Diese mit roten Körnchen erfüllten Klumpen bilden das Ausscheidungsprodukt der Endsäckchen. Bei Grobben, auf der Fig. 12, sind diese Zellen sehr naturgetreu abgebildet, und die auf der rechten Seite der Abbildung dargestellten Hervorragungen der Zellen bilden namentlich diese Klümpchen, welche in das Lumen abfallen. Spritzt man die 1prozentige Lösung des Indigokarmins resp. indigoschwefelsauren Natrons ein, so wird der blaue Farbstoff nur von dem Harnkanälchen aufgenommen und ab- geschieden, und das Endsäckchen bleibt ganz ungefärbt. Die Ab- scheidung des Indigokarmins wird besonders von den Teilen des Harnkanälchens ausgeführt, welche die oberflächliche Schicht der Drüse ausmachen, dagegen bleiben die innern Teile der Drüse meistens un- gefärbt. Was die Art der Abscheidung des Indigokarmins betrifft, so ist es ganz verschieden von dem, was man im Endsäckchen sieht, namentlich sammeln sich die blauen spindelförmigen Krystalle des Indigokarmins unter den Zellen der Harnkanälchen und bilden hier eine mehr oder weniger dicke Schicht je nach Quantität der einge- spritzten Substanz und nach der Zeit der Einspritzung. — Die Krystalle liegen aber immer unter den Zellen, und ich habe dieselben nie im Lumen der Zellen selbst gesehen. Das Plasma der Zellen erschien bei frischen Zellen etwas grünlich, bei konservierten aber auf den Schnitten war dasselbe immer ungefärbt. In dem Teile der Zelle jedoch, welche nach dem Lumen der Drüse gerichtet ist, sieht man, bei einigen Zellen schon vom Kerne aus, bei andern etwas höher ‚ Reihen von 1) Ich nehme die Benennungen an, welche Grobben in seinen Studien ' über die Antennendrüse der Crustaceen eingeführt hat. 3% 36 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgäne: blauen Fäden, die sich fest zu Bündeln vereinigen und gegen die Oberfläche der Zelle eine ganz dichte blaue Schicht bilden. Diese blaue Schicht, welche in den Zellen selbst wurzelt, und deren innere Grenze in Form von allerfeinsten Fäden bis zum Kern und. selbst bis zum Boden der Zelle reicht, ist in der Ausscheidung begriffenes Indigokarmin. Wenn diese Stäbehen, welche vielleicht aus einer Reihe von allerfeinsten Körnchen bestehen, in das Lumen der Drüse ge- langen, geben dieselben den Ursprung der hier gelagerten Krystalle. — Die Kerne der Zellen bleiben immer ungefärbt. Nachdem mit diesen beiden Farbstoffen die Teile der Antennen- drüse bestimmt wurden, welche den entsprechenden Farbstoff aus- scheiden, habe ich eine Mischung von gleichen Teilen des karmin- sauren Ammons und Indigokarmins gemacht und dieselbe eingespritzt. Obgleich die beiden Substanzen gut gemischt und miteinander mehrere mal gekocht waren, so ging doch im Körper eine Differenzierung vor; rot wurde das Endsäckehen und blau das Harnkanälchen der Drüse gefärbt. Die Färbung der entsprechenden Teile war ganz ähnlich, als wenn die Farbstoffe gesondert eingeführt waren. Dieser Versuch mit Karmin und Indigokarmin bewies uns, dass die Voraussetzungen von Weismann!) und Grobben?) ganz richtig waren, wenn dieselben die Endsäckehen der Antennen resp. Schalen- drüsen funktionell den Malpighi’schen Kapseln verglichen haben. Die Harnkanälchen des Astacus und der Wirbeltiere entsprechen ein- ander auch in Beziehung auf das Indigokarmin. — Als ich dies konstatiert hatte, machte ich einen Versuch mit der Einspritzung der von P. Ehrlich?) empfohlenen Substanzen, nament- lich Alizarinblau und Indophenolweiß. Nur der erste Farbstoff gab mir dabei bestimmte Resultate, und namentlich färbte sich dabei das Endsäckchen blau und das Harnkanälchen braun, d. h. der in dem letztern abgeschiedene Farbstoff hatte eine solche Farbe, wie dieselbe in trockenem Zustande oder in der gleich vorbereiteten Flüssigkeit ist. Dabei aber muss nieht angenommen werden, dass er in der Weise ausgeschieden wurde, wie er in den Körper eingeführt war; im Gegen- teil, nach der Einspritzung nimmt der Farbstoff eine blaue Farbe an, aber bei der Ausscheidung durch die Harnkanälchen wird er wieder braun. — Dann habe ich eine schwache Lösung von Eisenchlorid im Laufe von mehrern Tagen zu kleinen Portionen in den Körper des Astacus eingeführt. Als ich später die Tiere öffnete und die Antennendrüse mit angesäuerter Lösung des gelben Blutlaugensalzes behandelte, färbte sich in der Drüse das Endsäckchen und der ober- 4) Weismann, Ueber Bau und Lebenserscheinungen von Leptodora hyalina. Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. XXIV, S. 394. 2) C. Grobben, Die Antennendrüse der Crustaceen. Arbeiten aus dem zoologischen Institute und der zoologischen Station in Triest, Bd. III, S. 12. 3) P. Ehrlich, Das Sauerstoffbedürfnis des Organismus, 8.21, Berlin 1885 B 7 . Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. an flächliche Teil der Harnkanälchen intensiv blau, d. h. die blaue Färbung war in den Teilen zu sehen, welehe Karmin und Indigokarmin aus- scheiden. Dabei muss ich aber bemerken, dass die Einwirkung der angesäuerten Lösung des gelben Blutlaugensalzes die Zellen tötete und dabei der in der Zelle aufgelöste Farbstoff die Kerne färbte. Endlich habe ich noch eine konzentrierte Lösung von Lakmus- tinktur eingespritzt, wobei sich erwies, dass das Endsäckchen sich ins Rote färbte und ein kleiner Zusatz von Alkali diese Farbe ins Blaue umsetzte. Die Färbung haftete an denselben oder wenigstens an ganz ähnlich aussehenden Bläschen, welehe sich auch durch karmin- saures Ammon färbten. Die rote Färbung nach der Einführung der blauen Lakmustinktur bewies, dass die Reaktion in den Zellen der Endbläschen sauer war, was die Umwandlung ins Blaue bei Alkalizusatz ganz unwiderleglich konstatierte. — Die Harnkanälchen nehmen den Lakmus nicht auf. — Die Färbung des Endsäckchens geht bei Astacus ziemlich schwach vor sich und ist in keiner Weise mit der tiefroten Färbung zu vergleichen, welche man bei Palaemon mit demselben Reagens erzeugt. — Ueber die Abschei- dung des Indigokarmins und des Eisens durch die Harnkanälchen muss noch bemerkt werden, dass diese Ausscheidung besonders in dem Teile des Kanälchens vor sich geht, welcher unmittelbar dem Endsäckchen folgt und welcher als grüner Streifen oder Sack von Wassilieff!) und als hellgrüner Abschnitt von Grobben unter- schieden ist. Der folgende Abschnitt, der als durehsichtige weiße Schleife von Wassilieff und von Grobben als weite, blasse Abteilung be- nannt ist, nimmt an diesen Ausscheidungen fast gar keinen Anteil. — Daraus könnte man schließen, dass man in der Antennendrüse des Flusskrebses drei physiologisch verschiedene Abteilungen zu unter- scheiden hat: 1) das Endsäckchen mit saurer Reaktion, 2) den Anfangs- teil der Harnkanälchen, wo Indigokarmin ausgeschieden wird und wo, wie wir später beweisen werden, eine alkalische Reaktion herrscht, und 3) noch eine dritte Abteilung, die weiße Schleife, welche für die erwähnten Substanzen lange indifferent bleibt; bei größern Massen und bei der andauernden Einführung des Farbstoffes lagern sich in dieser Abteilung auch kleinere Mengen des Indigokarmins ab. Palaemon. Die Antennendrüse des Palaemon, welcher hier bei Odessa vor- kommt, besteht aus den Teilen, welche bei Grobben auf $.7 genau beschrieben sind, nur mit dem Unterschiede, dass ich finde, das die Schlingen der Harnkanälehen bedeutend weiter nach hinten reichen und sich selbst unter den Eierstock bis zum Herzen ziehen. 1) Wassiliew, Ueber die Niere des Flusskrebses (Russisch). Warschau 1879. 38 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Ich habe mit dem Palaemon dieselben Versuche gemacht, welche ich oben bei Astacus beschrieben habe, und die Resultate waren in allen Einzelheiten dieselben — nur mit dem Unterschiede, dass die Reaktionen bei Palaemon schneller und eklatanter sind. So wird bei der Einspritzung von blauer Lakmustinktur das End- säckchen tiefrot, was man bei Astacus nicht findet, wo es kaum blass gelblichrot wird, außerdem sind die sich färbenden Körperchen ganz verschieden. -- Beim Astacus waren es kleine runde Körnchen, die ziemlich gleichförmig in dem Zellenplasma zerstreut waren, hier sind es große, helle, hyalin aussehende, eckige Plättehen, welche zu zwei oder drei in der Zelle liegen und vom Lakmus tiefrot werden; das karminsaure Ammon färbt auch diese Plättchen rot. Bei Grob- ben auf der Fig. 8 sind die Zellen des Endbläschens von Palaemon nicht ganz richtig dargestellt, ich finde die Kerne verhältnismäßig viel kleiner und in dem Plasma die sich färbenden Plättchen. Auch hier kann man nach der Art der Abscheidung drei Ab- teilungen unterscheiden: das Endsäckchen, mit saurer Eigenschaft der Zellen, dann eine Abteilung, welche der grünen Abteilung der Harn- kanälchen des Astacus entspricht und welche das Indigokarmin aus- scheidet, und endlich eine dritte Abteilung, welche weder Karmin noch Indigokarmin abscheidet. Was die Lagerung dieser einzelnen Abteilungen betrifft, so findet man, dass das Endsäckehen beim Palaemon von den Klumpen der Harnkapälchen durch einen Stiel abgesetzt ist und das Indigokarmin von den Windungen der Harn- kanälchen abgeschieden wird, welche auf der entgegengesetzten Seite des Klumpens liegen. Ich fand gewöhnlich das Indigokarmin in vier oder fünf äußern Windungen, wogegen die an das Endsäckehen anstoßenden Windungen leer davon waren, ganz so wie bei Astacus,. — Bei der Einspritzung von Lakmus fielen mir bei Palaemon zwei rote Streifen an jeder Kieme auf. Als ich diese Streifen genauer untersuchte, erwies es sich, dass es eigentlich auf jeder Seite des Körpers acht solche doppelte Streifen gebe, die an den fünf Paar Kiemen und an den Anhängen der Kieferfüße sieh befinden. Unter- sucht man diese Streifen näher, so erweisen sich dieselben als feste Zellenstränge, die an beiden Seiten des Schaftes liegen, namentlich an den Kanälen, durch welehe das von den Kiemenfäden zurück- kehrende Blut sich zum Herzen begibt. Diese Zellenstränge bestehen aus dicht anliegenden Zellen, in denen man solehe Plättchen findet, welche wir schon oben im Endsäckehen gesehen haben. Diese Plättchen haben eine stark ausgesprochene saure Reaktion und werden tiefrot von Lakmus. Karmin färbt dieselben bei weitem nicht so schön wie Lakmus. — Wenn man Schnitte aus diesen Teilen der Kiemen vorbereitet und dieselben über Ammoniakdämpfe hält, so werden diese Körperchen tiefblau. — Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 39 Bei Einspritzungen der Mischung von Indigokarmin und Karmin in den Körper von den kleinen, hier in Odessa anzutreffenden Pagurus erwies sich, dass bei denselben die Harnkanälchen der Antennendrüsen ganz anders gebaut sind als bei andern Dekapoden. Namentlich ziehen sich dieselben längs des Darmkanals von der Basis der zweiten Antenne an bis zum Endteil des Darmes im Abdomen, bestehen aus strohgelben Zellen, welche energisch Indigokarmin abscheiden. — Die Endbläschen konnte ich nicht auffinden, übrigens ist diese Beob- achtung mit Pagurus nur angefangen. In den Kiemen findet man auch bei Pagurus dieselben Stränge mit sauren Zellen, wie dieselben auch beim Palaemon auftreten, nur scheint diese Reaktion nicht so scharf zu sein und die Plättehen in den Zellen sind kleiner. Mysis. Schon vor mehrern Jahren hat mein Freund Metschnikoff Fütterungsversuche mit Karmin an der Mysis angestellt und dabei acht rote Röhrchen an der Basis der Thorakalfüßchen gesehen, ohne dieselben weiter zu untersuchen. — Ich habe auch diese Ver- suche wiederholt, stellte dieselben aber nicht an der Mysis, sondern an der ihr sehr nahestehenden und bei uns sehr gemeinen Parapodopsis cornutum an; ich fand auch bei ihr die Körnehen, welche in dem Basalgliede der Füßchen liegen. Durch diese Röhrchen muss das Blut passieren, welches sich von den Fülschen zum Herzen begibt, und hier wird es von einem Teile seiner Elemente gereinigt, wie dies auch bei Palaemon vor sich geht. Die Wandungen dieser Röhrchen bestehen aus einer Reihe von sehr platten Zellen mit mittelgroßen Kernen, und um dieselben in dem Protoplasma liegen runde Körnchen, die energisch die rote Färbung aufnehmen. — Die Einspritzung von Lakmus in den Körper der Mysis konnte ich, wegen der Kleinheit der Tiere, nicht ausführen. Bei der Fütterung mit Lakmus färbte sich der Leberinhalt ziemlich rot, und besonders die mittlern Teile der Leberschläuche; aber die Drüsen, die von Karmin sich färbten, wurden nicht rot. Die Tiere vertrugen einen langen Aufenthalt im Lakmus nicht. Das Endsäckehen der Antennendrüse färbte sich nicht mit Karmin und Lakmus und blieb ganz ungefärbt. Ich stellte auch andere Füt- terungsversuche mit Parapodopsis an, besonders fiel gut aus die Fütterung mit Alizarinblau, dabei färbte sich sehr schnell das Harn- kanälchen der Antennendrüse ins braune. Die braune Färbung sam- melte sich in Form von braunen Körnchen an der Innenwand der Harnkanälchen. Bei Fütterung mit Indigokarmin färbten sich ins Blaue dieselben Teile der Harnkanälchen, welche von Alizarinblau braun wurden. Die Färbungen der Harnkanälchen ins braune durch Alizarinblau und ins blaue durch Indigokarmin beweisen, dass die Harnkanälchen hier 40 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. dieselben Beziehungen zu den Farbstoffen aufweisen, wie wir sie beim Flusskrebse gesehen haben. Der Umstand, dass das Endsäckchen hier nicht durch Karmin ins rote sich färbt, scheint mir davon abzu- hängen, dass es bei Parapodopsis sehr wenig entwickelt ist und dass seine Rolle die Drüsen in den Füßchen übernehmen. Hier beobachten wir eine Erscheinung, auf welehe wir bei den Insekten noch zurück- kommen werden: nämlich die Rolle der Endsäckchen spielen die Zellen der Leibeshöhle, neben denen oder zwischen denen das von dem Leibe zum Herzen fließende Blut zu passieren hat. Nebalia. Im Jahre 1886 habe ich auch einige Fütterungsversuche mit Nebalia angestellt und fütterte dieselben mit Alizarinblau und Kar- min. Bei Fütterung mit Alizarinblau bemerkte ich, dass in den vordern Antennen an der Basis der Riechfäden, also in den zu den- selben gehörenden Ganglienzellen, gewisse Körperchen eine tiefblaue Farbe annahmen, und weiter an der Basis der acht Tkorakalfüße sich Gruppen von Zellen ins braune färbten. Diese Gruppen von Zellen bildeten Drüsen, die entsprechend den Fußdrüsen der Parapodopsis, Mysis und Palaemon in dem Raume liegen, durch welchen der Blut- strom von den Thorakalfüßen resp. Kiemen sich zum Herzen begibt. Bei Fütterung mit Karmin habe ich eine intensive rote Färbung der Körnchen in den Riechganglien gesehen. Während meiner Anwesenheit in Triest hatte Prof. Claus auch Fütterungsversuche mit Nedalia angestellt, wobei er dieselben mit Indigokarmin, Lakmus und Karmin fütterte. Bei der Fütterung mit Indigokarmin färbten sich die Drüsen in den Füßchen ins blaue; bei Lakmus und Karmin färbten sich die Körnchen in den Riechganglien und Endsäckchen, Antennendrüse und Schalendrüse tiefrot. Wenn wir diese Resultate zusammenstellen, so ergibt sich, dass bei den Nebalien die Drüsen in den Füßchen ganz anders reagieren als die denselben entsprechenden Drüsen der Mysiden. Bei den erstern färben sich dieselben bei Alizarinfütterung ins braune, bei Indigo- karminfütterung ins blaue, zeigen also die Reaktion resp. Funktion, welche den Harnkanälchen eigen ist, bei den Mysiden aber und den meisten andern Dekapoden die Funktion, welche meist vom End- säckchen geleistet wird; mit andern Worten, bei Nebalien war die Reaktion der Kiemen resp. Thorakalfußdrüsen alkalisch, bei allen andern sauer. — Squilla mantis. Während meines Aufenthaltes in Triest, im Laufe des Monates September vorigen Jahres, hatte ich Gelegenheit, auch die Sqwilla mantis auf ihre Sekretionsorgane zu untersuchen. Ich habe derselben karminsaures Ammon, Indigokarmin, deren Mischung, und Lakmus- Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 41 lösung eingespritzt. — Sogleich zeigten sich einige Organe, deren An- wesenheit unbekannt war; erstens war es die Schalendrüset), welche durch die rote Färbung ihres Endsäckchens bei Karmin- und Lakmus- Einspritzung sich auszeichnete; zweitens ergaben sich in den Kiemen- füßen und auf allen Wegen, die das Blut von den Kiemen zu dem Herzen führen, besondere Zellen, welche sich rot färbten und also dieselbe Reaktion zeigten wie die entsprechenden Zellen bei Palaemon und Mysis. Die sauer reagierenden Zellen treten in Form anfangs zerstreuter einzelner Zellen schon in den Kiemenfäden in den Schäften auf, in welchen die Kiemenfäden sitzen, und bilden schon zusammenhän- gende Stränge, welche an der Basis der Kiemenfüße größere kom- pakte Drüsen zusammensetzen. Man findet dieselben Zellen an allen Venengängen von den Kiemenfüßen aus bis zum Perikardium, und schon in den ältern Schriften kann man dieselben auffinden als Wandungen der „canaux branchio-cardiaques“, wie dieselben von Milne-Edwards?) z. B. abgebildet und beschrieben sind. — Wurde Indigokarmin allein oder gemengt mit karminsaurem Ammon eingeführt, so traten Vorgänge ein, welche andere Crustaceen nicht aufweisen. Es wurde nicht vom Harnkanälchen der Schalendrüse abgeschieden, sondern von den Leberschläuchen und besonders von den hintern, welche im Telson liegen. Das Indigokarmin kam so in den Darmkanal, dessen Inhalt es auch tiefblau färbte. Die Aus- scheidung des Indigokarmins durch die Leberschläuche deutete auf deren alkalische Reaktion, und wirklich wird auch die blaue Lakmus- tinktur von den Leberschläuchen ausgeschieden, wobei dieselbe auch in deren Lumen ihre blaue Farbe bewahrt. — Die Leberschläuche ließen also hier dieselben Beziehungen erkennen, wie die Malpighi’schen Gefäße bei Insekten, welche ebenfalls das Indigokarmin ausscheiden und, wie wir später sehen werden, eine alkalische Reaktion haben. — Phyllopoden. Herr E. Metschnikoff fütterte verschiedene Phyllopoden, namentlich Daphniden, Branchipus und Estheria mit Karmin und fand, dass bei allen diesen Crustaceen die Endsäckehen ihrer Schalendrüse und ein kleiner Rest der Antennendrüse sich mit Karmin färben. Ich habe diese Versuche wiederholt und kann die- selben vollständig bestätigen’ und so weit vervollständigen, dass ich alle diese Crustaceen mit Lakmus fütterte und eine rote Färbung des Endsäckehens erzielte. Die Färbung der Harnkanälchen konnte ich durch Fütterung nicht erzielen, und nur bei den größern Branchipus 1) Die Schalendrüse ist sehr entwickelt bei den Squillen. Sie wurde bis Jetzt bei den Larven der Mysiden von Prof. Claus beobachtet. 2) Milne-Edwards, Histoire Naturelle des Crustaedes. Atlas, planch. 9, Fig. 2a und Fig. 3dd, 42 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. ist es mir gelungen, denselben Indigokarminlösung einzuspritzen. Die meisten der Tiere gingen dabei zu grunde, aber bei denjenigen, welche diese Operation ertrugen, erhielten die Harnkanälchen eine schöne Färbung. Somit wurde also für die Phyllopoden bewiesen, dass bei denselben das Endsäckchen und die Harnkanälchen ihrer Schalen- drüse gleich der Antennendrüse funktionieren. Bei Fütterung der Daphniden mit Lakmus erwies sich eine sonderbare Beziehung ihres Riechganglions zum Lakmus. Sehr schnell nach dem Zusatz von Lakmus zu dem Wasser, in welchem die Daph- niden leben, färben sich in den Zellen der Riechganglien anfangs größere Räume oder Bläschen ins blaue, später treten neben denselben rote, viel kleinere Bläschen auf, so dass man in den Ganglienzellen saure und alkalische Teile hat. Hier ist noch zu erwähnen, dass ich solche Körper, nur aber stark saure d. h. mit Karmin sieh rot-, und mit Alizarinblau tiefblau färbende, schon bei Nebalia beobachtet habe. Bei den Nebalien waren alle Bläschen sauer, hier aber bei den Daphniden finden wir neben einander liegende saure und alkalische Elemente. Insekten. Im Jahre 1886 publizierte ich im „Biolog. Centralbl.“ (Bd. VI 8. 75) einige von meinen Beobachtungen über die Rolle der perikardialen Zellen und des guirlandenförmigen Zellenstranges bei den Museiden. Es wurde damals von mir bewiesen, dass die Perikardialzellen sowie der guirlandenförmige Zellenstrang aus Zellen bestehen, welche die Aufgabe haben, das Blut zu reinigen und die dem Blute beigemengten fremden oder sogar schädlichen Substanzen aus demselben zu extra- hieren, in ihr Protoplasma aufzuspeichern resp. aufzunehmen und in diesem Zustande dieselben aus dem Kreislauf des Organismus gewisser- maßen zu isolieren. Da die Zellen des guirlandenförmigen Zellen- stranges und der Perikardialzellen keine Ausführungsgänge nach außen haben, so mussten die von ihnen aufgespeicherten Substanzen in denselben bis zum Tode resp. dem Zerfall dieser Zellen bleiben, was für die Zellen des guirlandenförmigen Stranges und der hintern großen Perikardialzellen auch bewiesen ward, da dieselben bei der Metamor- phose von den Phagocyten aufgefressen werden. — Diese Untersuchungen über die Rolle der Perikardialdrüsen wurden von mir noch im Jahre 1886 auf andere Insekten ausgedehnt, und. es ergaben sich dabei gleiche Resultate; es wurden besonders die Larven der verschiedenen Cu/ex- Arten, die verschiedenen Larven des Chiro- nomus, die Corethra- und die Ephemera-Larven darauf untersucht. — Bei Chironomus- und Culex-Larven erschien die rote Färbung der Perikardialzellen am allerschnellsten; setzte man dem Wasser, in welchem diese Larven sich befanden, fein zerriebenes Karminpulver zu, so färbten sich die Perikardialzellen nach zwei oder drei Tagen sehr schön und intensiv, wobei sich auch erwies, dass dieselben bei Ohiro- Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 43 nomus aus Gruppen von kleinen Zellen bestehen, bei Culex- Larven aber in je einem Abdominalsegment um das Herz. Vier Paar große Zellen liegen dort fast in derselben Weise, wie die 13 Paar großen Perikardialzellen bei der Fliegenlarve, nur mit dem Unterschiede, dass diese Zellen zu je vier in jedem Segmente vorkommen. Diese Zellen färbten sich sehr schön auch mit Methylenblau und besonders mit Vesuvin. — Bei Corethra wollte es mir lange nicht gelingen, diese Zellen zu färben, bis ich in die Gefäße, wo die Corethra-Larven lebten, Daphniden zusetzte. Der Darm der Daphniden wurde immer mit von Karmin- pulver oder Vesuvin oder Methylenblau gefärbten Abfällen gefüllt, und mit den Daphniden gelangte der Farbstoff auch in den Corethra- Darmkanal. Von hier aus kam er dann ins Blut und wurde nun von den Perikardialzellen aufgespeichert. Dabei färbten sich auch verschiedene Körnchen in dem Protoplasma der Darm-, Muskel-, Tracheen- und Hypodermis-Zellen. Auch die Blutkörperchen aller dieser Insektenlarven enthielten fettartig aussehende Körnchen, welche intensiv blau oder gelb gefärbt waren; besonders im Protoplasma der Muskeln waren die gefärbten Körnchen sehr schön zu beobachten. Die Muskelsubstanz blieb ganz weiß, nur im Protoplasma dieser Zellen waren die Körnchen gefärbt. Die Aufspeicherung des Farbstoffes in Perikardialzellen der Corethra-Larven, besonders des Vesuvins und Methylenblaus, ging so weit, dass diese Zellen fast ganz schwarz wurden, und dann beobachtete ich, dass einzelne davon auch abfielen; ich habe diesen Vorgang nicht genauer verfolgt, jedenfalls aber habe ich beobachtet, dass, wenn diese Zellen sehr intensiv gefärbt wurden, also nicht mehr funktionieren konnten, dieselben eckig wurden, un- regelmäßige Umrandungen bekamen und endlich verschwanden. Die Larven, welche so weit gefüttert wurden, lebten auch ohne Perikardial- zellen fort; wie lange aber, kann ich nicht bestimmt sagen. Bei der Metamorphose des Chironomus und Culex sah ich ganz bestimmt diese gefärbten Zellen auch in die Imago übergehen, wie es von mir schon für die Musca angegeben wurde. Bei Ephemeriden-Larven ist mir diese Färbung auch gelungen, und besonders schnell und schön mit Vesuvin. Bei Ephemeriden aber haben wir nicht einzelne Perikardialzellen, sondern schon bedeutend entwickelte Drüsen, welche die Form von Dreiecken haben und mit einer Seite desselben an das Herz anstoßen. — Diese Drüsen bestehen aus kleinen Zellen. Weiter dehnte ich diese Fütterungsversuche auf verschiedene Schmetterlingsraupen aus, wobei ich die Blätter, mit welchen Bombyx mori und Hyponomerte malinella gefüttert wurden, mit Karmin, Methylen- blau oder Vesuvin bestäubte oder mit den aufgelösten Farben färbte. Diese Versuche waren aber nicht glücklich genug. Eigentlich drang von Methylenblau mehr als von andern Farben ein, aber dabei färbten 44 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. sich verschiedene Körnungen im Darmkanal, in Muskeln und Speichel- drüsen, auch färbten sich einige Dotterelemente der sich ausbildenden Eier und verschiedene Bläschen in den sich bildenden Spermazellen; aber die Perikardialzellen färbten sich nicht. — Da ich von jetzt an mit größern Insekten zu operieren begann und die Fütterungsversuche keine erwünschte Färbung gaben, so kam ich auf den Gedanken, die Farben in den Körper direkt einzuführen und spritzte nun mittels einer Pravatz’schen Spritze durch den Fuß der Larve Karmin und andere Stoffe ein. — Die Einspritzungen des karmin- sauren Ammons ergaben sogleich die gewünschten Resultate in der allerprägnantesten Weise. Die sogenannten Flügelmuskeln, welche bei den Raupen vom Herzschlauch nach rechts und links gehen, sind bekanntlich von Zellen bedeckt, welehe besonders stark das karminsaure Ammon aufnehmen und deshalb sich sehr intensiv färben; diese Zellen liegen zwischen den verschiedenen Muskelbündeln und bilden ein wahres Maschen- werk, welches das Blut bei seinem Zutritt zum Herzen zu passieren hat; dabei wird es aber von fremden Körpern gereinigt, und diese lagern sich in den Perikardialzellen ab. — Bei den Schmetterlings- raupen beschränken sich die Perikardialzellen nicht nur auf die Um- gebung der Herzens, sondern größere und kleinere Stränge der Zellen setzen sich nach den Seiten fort und bilden zwischen dem Fettkörper ein vollständiges Netz von körnigen Zellen. Dieses Netz besteht aus größern und kleinern Strängen und Maschen. Die größten Stränge und Maschen sind an den Seiten des Körpers gelagert, besonders in der Umgebung der Stigmata und der großen seitlichen Tracheenstämme, welche von denselben öfter ganz umsponnen sind. — Diese Zellen werden mit den Zellen des Fettgewebes öfters zu- sammengeworfen, obgleich sich dieselben durch verschiedene Kenn- zeichen unterscheiden, besonders allerdings durch ihr Verhalten zu Karmin. Diese Zellen, die ich Perikardialzellen resp. Perikardial- Sewebe nennen möchte, sind nicht mit den von Herrn Frenzel be- schriebenen peritrachealen Zellen des Mehlwurmes zu verwechseln, welche ein ganz besonderes und auch sehr verbreitetes Gewebe bilden. Ein ganz ähnliches System von Zellensträngen habe ich auch bei den Raupen von Sphinx ligustri, Saturnia pini, Sponomenta molinella und noch einigen andern beobachtet. Besonders schön ist das Gewebe bei den Larven von Athalia spinorum, welche die Blätter der Berberissträucher abfressen, ausge- bildet. Hier geht vom Herzen ein zierliches Netz von Zellen aus, welches eine ganz selbständige und vollständige Schicht bildet, zwischen zwei Lamellen vom Fettkörper liegend. Es besteht-nämlish der Fett- körper bei den Larven von Athalia aus zwei Lamellen, von denen die eine den Darmkanal umgibt, die andere dieht den Wandungen des Körpers anliegt. Zwischen diesen zwei Lamellen liegt ein regel- Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 45 mäßiges Netz von Maschengewebe, dessen Stränge aus den Perikardial- zellen bestehen. Bei Einführung des Karmins wird nur dieses Zellen- netz tief tingiert, dagegen bewahren das Fett und andere Gewebe ihre natürliche Farbe. — Es wurden weiter in dieser Beziehung mehrere andere Insekten untersucht, namentlich verschiedene Orthopteren, Forficula, Blatta, Periplaneta, Acridium, Gryllotalpa, Anisoplia - Arten, Oryetes-Larven, und bei allen erwies sich das Gewebe als anwesend und zeigte die- selbe Beziehung zu karminsaurem Ammoniak. — Ein zweites Reagens für dieses Gewebe erhielt ich in den Eisen- salzen, und ich gebrauchte gewöhnlich das Eisenchlorid (FeCl],). Eine lprozentige Lösung dieses Salzes wurde von mir in den Körper der meisten von den oben erwähnten Insekten eingeführt, und eine oder einige Stunden später wurden die Insekten mit Chloroform oder Aether getötet oder auch lebend eröffnet und die Eingeweide mit einer schwach mit Salzsäure versetzten Lösung des gelben Blutlaugen- salzes begossen. Alle Stränge und Netze des Perikardial- Gewebes färbten sich auf einmal blau und namentlich dieselben Zellen, welche sich durch Karmin rot färbten. Das bewies mir, dass diese Zellen auch das Eisen in derselben Weise absorbieren, als sie es mit dem Karmin machten. — Allerdings wurde das Eisensalz auch von vielen andern Geweben mehr oder weniger aufgenommen, besonders auch die Muskeln färbten sieh dabei öfters blau, zum Teil auch die Speichel- drüsen resp. Serieterien der Raupen. — In der letztern Zeit erhielt ich für dies Gewebe noch ein drittes sehr wichtiges Reagens, dessen Beziehung zu den Perikardialzellen der Anisoplia-Larve von meinem Freunde E. Metschnikoff ent- deckt wurde. Mit seinen Untersuchungen über die intrazellulare Verdauung beschäftigt, führte er in die Anisoplia-Larven eine Emulsion von blauem Lakmus ein und bemerkte am folgenden Tage, dass das Herz von zwei roten Strängen umgeben war. Bei näherer Untersuchung zeigte sich, dass die rote Farbe von der Färbung der Perikardialzellen abhing. — Herr Metschnikoff teilte mir seine Beobachtung mit und gestattete mir, dieselbe weiter auszuarbeiten. — Ich machte nun Fütterungs- und Einspritzungsversuche mit Lakmus, und es erwies sich dabei, dass bei den Musca-Larven die Zellen, welche bei Fütterung mit Karmin sich rot färbten, jetzt, bei Fütterung mit Lakmus, auch eine rote Farbe annahmen. Ebenso bei den Mus- eiden die großen Zellen am hintern Teile des Herzens, die Stränge an dessen mittlerem Teile und alle Zellen des guirlandenförmigen Zellen- stranges. Bei der Einwirkung von schwacher Ammoniaklösung oder deren Dämpfen wurden die Zellen blau, damit war es unzweideutig bewiesen, dass in den Zellen eine saure Reaktion besteht. Bei den Einspritzungen der blauen Lakmuslösung in den Körper der Musciden- Larven färbten sich alle diese Zellen tiefrot. 46 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Die Versuche mit Lakmuslösung wurden an fast allen Insekten angestellt, von welchen ich oben sprach, und ergaben überall das- selbe Resultat; es wurden namentlich wieder die Blatta und Peripla- neta, die Larven der Musca, Ephemeriden, Eschna, Tenebrio molitor und Oryetes untersucht, und bei allen erwies sich dasselbe; wir können also behaupten, dass die Perikardialzellen eine saure Reaktion besitzen. Die Fütterungsversuche mit Lakmus ergaben auch einige nicht uninteressante Resultate über die Reaktion des Darmkanals bei den Musciden, Blattiden und den Tenebrioniden. Es war die Möglichkeit vorhanden, verschiedene Abteilungen des Darmkanals in Beziehung auf ihre alkalische oder saure Reaktion genauer abzugrenzen. Ob- gleich man schon seit den Untersuchungen von Plateau wusste, dass im Darme der Insekten saure und alkalische Reaktionen vorkommen, so wurden die Grenzen derselben nicht genauer bestimmt. Bei den Fütterungsversuchen mit Lakmus hat man dies sehr leicht in der Hand. So hat es sich bei den Musca-Larven erwiesen, dass bei der Lakmus- fütterung der Saugmagen, Oesophagus, Proventrieulus mit seinen blin- den Anhängen immer blau bleiben resp. alkalisch reagieren, der Mittel- darm in seiner obern Partie auch blau bleibt, aber in seiner untern Hälfte eine Abteilung hat, die intensiv rot wird, also eine stark saure Reaktion darstellt. Der Hinterdarm bleibt immer blau, hat also eine alkalische Reaktion. Beim Imago der Fliege bleiben dieselben Verhältnisse, nur be- merkt man hier eine sonderbare Erscheinung in den Rektaltaschen. Gewöhnlich ist der Inhalt der Rektaltaschen blau resp. alkalisch; lässt man aber die Tasche auf dem Objektträger etwas länger liegen, so tritt um die Rektalpapillen herum ein roter Saum auf; derselbe wird immer breiter und breiter, und endlich wird der ganze Inhalt der Tasche rot. Da aber die Fliegen, welche mit Lakmuslösung gefüttert werden, immer blaue Kottropfen abscheiden, so scheint die saure Ab- scheidung der Rektalpapillen nur dann bemerkbar, wenn der Austritt des Inhalts der Rektaltasche etwas verzögert ist. Bei den Larven des Tenebrio molitor bleibt auch der Inhalt des Vorderdarms blau, aber in einem Teile des Mitteldarmes wird er rot resp. sauer. Nachdem ich die Verhältnisse der Perikardialzellen zu Karmin untersucht habe, wollte ich die Versuche von E. Schindler!) über die Abscheidung des indig-schwefelsauren Natrons resp. Indigokarmins wiederholen und verfuhr in der Weise, wie es Schindler angab, nur mit dem Unterschiede, dass ich die Malpighi’schen Gefäße frisch untersuchte. Dabei hat sich übereinstimmend mit Schindler erwiesen, dass das indigschwefelsaure Natron begierig von den Malpighi’schen 4) E. Schindler, Beiträge zur Kenntnis der Malpighi’schen Gefäße der Insekten. Zeitschrift für wissensch, Zoologie, Bd. 30, 1878, S. 587. U von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Polypomedusen. 4X Gefäßen absorbiert wird und sich in denselben in Form von kleinen nadelförmigen Krystallen ansammelt, und dass diese Krystalle allmählich in den Hinterdarm übertreten; dabei aber habe ich, im Gegensatz zu Sehindler, nie die Färbung der Kerne beobachtet. Wenn man die mit blauem Farbstoff erfüllten Malpighi’schen Gefäße frisch untersucht oder gleich in starken Spiritus oder in die von J. Frenzel vorge- schlagene Sublimat-Spiritus-Lösung wirft, so bleiben die Kerne immer ungefärbt. — Auch auf den aus so aufbewahrten Gefäßen gemachten Schnitten blieben die Kerne immer ungefärbt. Daraus erwies sich, dass die Kerne bei der Ausscheidung des indigschwefelsauren Natrons sich nieht färben, resp. sich auch nicht beteiligen. Allerdings, wenn die Gewebe des Versuchstieres absterben, oder wenn man die Mal- pighi’schen Gefäße in schwachem Spiritus aufbewahrt, so löst sich der Farbstoff wieder auf und färbt dann die Kerne, wie es überhaupt an toten Geweben erscheint, wo die Kerne stärker tingiert werden. — Es muss die Angabe von Heidenhain!) über die Färbung der Kerne der Hund- und Kaninchen-Niere auch einem Aufbewahrungsfehler zu- geschrieben werden, da überhaupt lebende Kerne die Farbstoffe nur in den allerseltensten Fällen aufnehmen. (Schluss folgt.) Neuere Untersuchungen über Polypomedusen. Von R. v. Lendenfeld. G. J. Allman, Report on the Hydroida, Second Part. The Zoology of the Voyage of H. M. S. „Challenger“. Part. 70. Dieser Bericht umfasst die Hydroiden mit Ausnahme der Plumu- larien und Hydrocorallinen. Allman geht auf die Medusen nicht ein, sondern beschreibt nur die Polypenstöcke, Nährtiere und Blasto- style (Gonophoren). Dieses Vorgehen erscheint in solchen Fällen, wo freie Medusen im Zeugungskreise vorkommen, nicht gerechtfertigt und hat zur Folge, dass Allman neue Arten beschreibt, die in Wirklichkeit nichts anderes sind als die Nährtiere schon bekannter Medusen. Als Beispiel möge Hypanthea dienen (8. 26), dessen neue Arten nichts anderes sind als Varietäten meiner Kucopella Campanu- /aria, die ich vor Jahren genau beschrieben und abgebildet habe. Auffallend selten sind im Challenger-Material europäische Formen, und Allman glaubt aus seinen Beobachtungen den Schluss ziehen zu sollen, dass die Verbreitungsgebiete der einzelnen Arten sehr klein sind. Es kontrastiert dies mit der weiten Verbreitung der Bryozoen- Arten. Für die neuen Formen hat Allman mehrere neue Gattungen und zwei neue Familien aufgestellt. Von besonderem Interesse ist die 1) Mikroskopische Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Nieren, Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. X, S. 35 u. fg., Taf. II, Fig. 26, 27 n. 38. 48 von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen tiber Polypomedusen. neue, riesige Tubularide Monocaulus imperator, deren Stamm 1!/, em dick und 2 Meter lang wird und deren Tentakel-Kranz einen Kreis von 25 em Durchmesser ausfüllt. Für die „Stützlamelle* führt unser Autor die neue Bezeichnung „Mesosarc“ ein und sagt davon, dass sie nicht mit dem Mesoderm oder der Mittellage des Embryo verwechselt werden darf’; eine Schicht, welche in der Entwicklung der Hydroiden nicht vorkommt. Mit dieser Behauptung bin ich gar nicht einverstanden, und ich möchte dies- bezüglich auf meine (Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 47, S. 269) seiner- zeit publizierten Anschauungen hinweisen. Auf das eingehende Resümee unserer Kenntnis der Hydroiden, welches die Einleitung des Werkes bildet, kann ich nicht näher ein- gehen. Es enthält nichts neues, und es sind die darin enthaltenen zitierten Angaben recht unvollständig und zum Teil sogar unrichtig. Allman proponiert, die „Ordnung Hydroida“ in sechs Unter- ordnungen nach den Verschiedenheiten im Bau der Nährtiere einzu- teilen, ohne Rücksicht auf die Medusen. Ich halte dieses für einen verwerflichen und ganz unwissenschaftlichen Vorgang und gehe daher darüber hinweg. Einige der neuen Formen sind wahre Tiefseetiere. Folgende kommen unter 1000 Faden vor: Japanisches und Nordpacifisches Gebiet. Monocaulus imperator . . 1875 und 2900 Faden. Australisches Gebiet. Halisiphonia megalotheca . . . . . 2600 Faden. Azorisches Gebiet. CUryptolaria humilis . © . - . .... 1000 Faden. Australisches Gebiet. Cryptolaria abyssicola . » .» -» . . 2600 Faden. Sargassisches Gebiet. Oryptolaria difusa . . 2»... . 2500 Faden. Der Beschreibung der einzelnen Gattungen und Arten entnehme ich folgendes: Der riesige, bereits oben erwähnte Monocaulus imperator entbehrt jeder Spur eines Perisarks und besitzt eine hoch entwickelte, dicke, fibrillöse und außerordentlich elastische Stützlamelle. Die neue Gattung Diplocyathus, welche Allman zu den Halecidae stellt, zeichnet sich dadurch aus, dass in der Achsel jedes Nährtierastes ein Wehr- tier sitzt. Es bildet diese Gattung einen Uebergang von den Campanu- lariden zu den Plumulariden. Einen ähnlichen Uebergang vermittelt die interessante, neue Gattung Perisiphonia, bei welcher der polypen- tragende Stamm von einer diehten Masse schmalerer Röhren umrankt wird, welehe auf der Außenseite Wehrtiere tragen. In den neuen Grammaria-Arten ist der Stamm von den langen, anliegenden Stielen der Nährtiere in ähnlicher Weise umringt. Ailman vereinigt die Gattung Sertularella Gray mit Sertularia und beschreibt eine bedeu- von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Polypomedusen. 49 tende Anzahl neuer Arten. Ich kann mir nicht reeht denken, dass alle diese wirklich neu sind. Thuiaria hält unser Autor aber auf- recht. Interessant sind die beiden neuen Sertularia-ähnlichen Gat- tungen Stawrotheca und Dictyocladium, welche rankenartige Zweige erzeugen, die sich derart an andere Aeste anheften, dass der ganze Stock netzartig wird. Das Coenosark von I/dia erscheint nicht als eine einfache, kon- tinuierliche Röhre, sondern es besteht aus zwei Reihen polyedrischer Kammern. Jeder Kammer sitzt ein Hydrant auf. Wegen dieser Eigentümlichkeiten errichtet Allman für I/dia eine eigne Familie: Ididae. $S. J. Hiekson, On the Sexual Cells and the early stages in the Deve- lopment of Millepora plicata. Philosophical Transactions of the Royal Society of London. Bd. 179. 1883. B. p. 193—204. Taf. 38, 39. Hiekson sammelte Exemplare dieser Art in Celebes und studierte an denselben die Entstehung der Sexualzellen und die ersten Stadien der Entwicklung. Millepora plicata ist hermaphroditisch. Sowohl die männlichen wie die weiblichen Sexualzellen entstehen im Ektoderm der Coenosark-Kanäle. Sie liegen zwischen oder unter den andern Ektodermzellen und unterscheiden sich anfänglich von diesen nur durch ihre intensivere Tingierbarkeit. Die jungen Eizellen zeichnen sich durch ihren kleinen, auffallenden Nukleus aus. Sie nehmen eine spindelförmige Gestalt an, durchbrechen dann die Stütz- lamelle und nehmen ihren Platz im Entoderm ein. Diejenigen Zellen, aus welchen sich später die Spermaballen ent- wickeln, erreichen im Ektoderm eine bedeutendere Größe als die Eizellen, besitzen einen größern Nukleus, durehbreehen ebenfalls die Stützlamelle und kommen dann im Entoderm zu liegen. Gleichzeitig vergrößert sich der Nukleus, und seine Zusammensetzung aus einem groben Netzwerk tritt deutlicher hervor. Später zerfällt das Kern- netz in einen Haufen von hakenförmigen Stücken, und diese teilen sich in kleine Fragmente, welche schließlich den überwiegenden Teil der ganzen Zelle einnehmen. Diese Samenmutterzellen wandern — wahrscheinlich mit Hilfe amöboider Bewegungen — in zentrifugaler Richtung, in der Regel in die Daetylozoide, doch zuweilen auch in die Gastrozoide hinein. In den Dactylozoiden werden sie frei und fallen in die Höhle derselben. Gleichzeitig berstet ihre zarte Hülle, und die freien jungen Sperma- tozoen füllen in diehten Massen den Gastralraum des Daetylozoids aus. Hierauf dringen sie abermals ins Entoderm ein, die Leibeswand baucht sich zwischen den Tentakeln divertikelartig aus, und in den so gebildeten Taschen reifen die Spermatozoen. Solche Spermasäcke bilden sich auf einem Dactylozooid eins bis fünf. Aus gewissen An- gaben könnte man schließen, dass hiebei die Spermatozoen wieder 1X, 4 50 von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Polypomedusen. ins Ektoderm gelangen. Die Beschreibung ist, ebenso wie der be- schriebene Vorgang, etwas unklar. Die Eizelle nimmt, im Entoderm angelangt, rasch an Größe zu, gewinnt eine ovale Gestalt und bildet einen Stiel, mit dem sie sich an die Stützlamelle heftet. Sie soll dann Pseudopodien erzeugen und wandern, später sich wieder festheften, die Pseudopodien einziehen, nach einander zwei Richtungskörperehen ausstoßen und schließlich befruchtet werden. Mehrere Spermatozoen können in eine Eizelle ein- dringen. Nun erscheint der Nukleus, der seit dem Ausstoßen der Richtungskörperchen undeutlich war, wieder. Er zerfällt in zahlreiche Körperchen, die sich zerstreuen und bald je ein Plasmaklümpehen an sich ziehen. Dies ist nach Hiekson das Morula-Stadium. Der Embryo löst sich nun von seiner Ansatzstelle los und wandert in das nächste Gastrozooid hinein. Dort mag er sich anheften oder nicht und wird zu einer soliden Blastophere. Hierauf sollen die Embryonen ihr Flimmerkleid erlangen und geboren werden. Hickson vermutet, dass die Embryonen durch den Mund des Gastrozooids aus- gestoßen werden. Andeutungen einer Invagination wurden in einzelnen Fällen beobachtet. Auf die theoretischen Betrachtungen Hiekson’s kann hier nicht eingegangen werden, nur wäre hervorzuheben, dass er mit Recht auf den Zellteilungsmodus im Ei eingeht, der insofern einzig dasteht, als sonst nur Eier mit beträchtlichem Dotter in dieser Weise ihre Ent- wicklung beginnen, und das Ei von seiner Millepora keinen Dotter enthält. Was die systematische Stellung der Milleporiden und Stylasteriden (Hydrocorallinae) anbelangt, kommt Hickson zu dem Schlusse, dass sie zwar wohl Hydroiden, aber mit Hydractinia und den übrigen nicht näher verwandt sind, und dass sie nicht von medusoiden Vorfahren abstammen. In diesem Punkte besteht eine erfreuliche Ueberein- stimmung zwischen den Anschauungen Hiekson’s und dem Referenten. H. V. Wilson, The Structure of CUunoetantha Octonaria in the adult and Larval Stages. Studies from the Biological Laboratory John Hopkin’s University, Baltimore, Bd. 4, Nr. 2, p. 95—107, Taf. 1—3. Wilson macht eine Reihe von Angaben über den Bau und die Entwicklung dieser Meduse, deren Lebensweise jener ihrer europäischen Verwandten ähnlich ist. In keiner Periode der Entwicklung besitzt die Meduse Schirm- kanäle, und die Entodermlamelle junger Exemplare ist durchaus ein- fach. Im ausgebildeten Tier modifiziert und verdiekt sich dieselbe am Rand in der Nähe der Sinnesorgane. Wilson scheint geneigt, die phylogenetischen Hypothesen Häckel’s über die Entstehung der Marcomedusen anzunehmen, gibt aber an, dass die Tentakeln seiner Onnoctantha keineswegs durch Wan- von Lendenfeld, Nenere Untersuchungen über Polypomedusen. 91 derung ihre endgiltige Lage gewinnen. Die vier primären Tentakeln behalten ihre ursprüngliche Lage bei. Ihre Entfernung vom Rand wird durch das Wachstum intertentakulärer Lappen und des Velum verursacht, welch letzteres die Einschnitte zwischen den Lappen aus- füllt. Das Velum biegt sich ein, und so wird die persistierende Scheibenwand der Meduse gebildet. Auch die sekundären Tentakeln wandern nicht. Doch glaubt Wilson, dass dies coenogenetische Errungenschaften sind. W.K. Brooks, The Lifehistory of Epenthesis Me Cradyi n. sp. Studies from the Biologieal Laboratory, John Hopkin’s University, Balti- more, Bd. 4, p. 148—162, Taf. 13—15. Brooks fand in dem Gebiete der Bahamainseln eine Meduse, welche er Epenthesis Me Cradyi nannte und welche sieh von allen andern Eueopiden und Hydromedusen überhaupt dadurch unterscheidet, dass an den Sexualorganen derselben (auf den vier Perradialkanälen) Blastostyle mit Chitinpanzer sprossen, welche ihrerseits durch Knospung Medusen erzeugen. Die Blastostyle vermehren sich nicht durch Knospung auf einander, sondern entstehen alle getrennt und direkt von der Meduse. Das Ektoderm derselben ist kontinuierlich mit dem Ektoderm der Meduse. Das Entoderm ist aber nicht in Kontinuität mit dem Ento- derm der Meduse. Die Leibeshöhle der Blastostyle ist nirgends mit dem Kanal- system der Meduse in Verbindung. Brooks vergleicht seine Meduse mit Lang’s Gastroblastea raf- faelii und scheint geneigt, die letztere als eine Epenthesis in Anspruch zunehmen. Während nach Lang Gastroblastea raffaelii zu den Velelliden hinführen könnte, scheint Brooks seine Epenthesis Mecrudii als eine Form anzusehen, welche zu den gewöhnlichen Siphonophoren hinführt. J. W. Fewkes, On Certain Medusae from New England. Studies from the Newport Marine Laboratory. Bulletin of the Museum of Com- parative Zoology at Harvard College, Bd. 13, Nr. 7, p. 209—140, Taf. 1—6. Nach einigen faunistischen Bemerkungen über die Vermischung der borealen mit der südlichen Medusenfauna an den Küsten Neu- Englands, mit besonderer Berücksichtigung der Bay von Fundy, geht Fewkes auf eine Aufzählung und Beschreibung der einzelnen, dort vorkommenden Cnidarier ein. Fewkes gibt eine genaue Beschrei- bung des Baues und der Entwicklung der bekannten Nanomia cara A. Ag., der ich folgendes entnehme: Das Tier erreicht eine Länge von über einen Meter, hat eine hohle bewegliche Axe, die Schwimmglocken nehmen das obere Drittel des schlangenförmigen Tieres ein und stehen so dieht, dass dieser Teil der Nanomia völlig unbiegsam wird, und dies umsomehr, als jede 52 von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Polypomedusen. Glocke zwei Randfortsätze besitzt, welehe mit ähnlichen Fortsätzen benachbarter Glocken ineinandergreifen. Jede Glocke hat vier Radial- kanäle und einen Ringkanal. Die Deckstücke sind rechteckig oder dreieckig und werden von je einem diagonalen, unverzweigten Kanal durchsetzt. Von dem basalen Wimperwulst der Nährpolypen, welcher einer „increased development of the middle layer of the body“ seine Ent- stehung verdanken soll, geht der Tentakel ab, und hier sitzen auch die tentakelartigen Knöpfe. Im Entoderm finden sich Reihen großer Zellen, welche Fewkes für Leberzelien halten möchte. Jeder Polyp trägt einen langen zweigtragenden Tentakel mit Knöpfen. Es gibt auch Tentakel ohne Knöpfe, doch diese entspringen nicht von Polypen, sondern von den „Tastern“. Die Knöpfe der echten Tentakel werden dadurch gebildet, dass sich der Zweig (sie kommen nur auf den Zweigen vor), becherförmig erweitert. Vom Grunde des Bechers ent- springt ein intensiv rotbraunes, dickes, gewundenesGebilde, von dessen Ende der Terminalfaden abgeht. Eigentümlich gebaut sind die Taster, welche zwischen den Nähr- polypen vom Stanıme entspringen. Zwischen je zwei Polypen ent- springen je ein ausgebildeter Taster und zahlreiche junge Taster. Sie sind sackförmig, distal geschlossen und nicht gestielt. Nahe der Basis enthält jeder Taster einen rundlichen, rotgefärbten Körper (oil- globule). Von dem Taster entspringt je ein unverzweigter Tentakel. Männliche und weibliche Glocken kommen neben einander auf einem und demselben Stocke vor. Nanomia ist demnach nicht diöeisch, wie Agassiz annahm, sondern monöeisch. Die Sexualglocken bilden Gruppen an der basis der Taster. Sie besitzen vier Radialkanäle und einen Ringkanal. Das Velum ist entwickelt. Randtentakel fehlen. Das Sperma findet sich im Mundrohr. Die weiblichen Glocken ent- halten nur je ein Ei. Fewkes bezweifelt, dass Nanomia sich durch Knospung ver- mehren könne, wie Agassiz seinerzeit glaubte. Er verfolgte die Ent- wieklung des Eies und macht darüber folgende Angaben: Das Ei ist durchsichtig und besteht größenteils aus einem Plasma- netz, welches von einer dünnen Lage durchsichtigen Plasmas um- schlossen wird. Die Entwicklung beginnt mit der Bildung einer Furche, umgeben von einem oberflächlichen Faltenkranz. Nachdem die Eizelle in zwei Hälften geteilt ist, tritt die zweite Furchungsebene auf. Dabei werden die Teilungsebenen derart gebrochen, dass zwei kleinere, im Querschnitt dreieckige, und zwei größere, im Querschnitt viereckige gegenüberliegende Zellen entstehen. Der älteste beobach- tete Embryo bestand nur aus 8 Zellen. Besonders interessant ist die neue Sarsia, welche Fewkes unter dem Namen Hydrichthys mirus n. g. n. sp. beschreibt. Der Polypen- stock dieser Form lebt nämlich parasitisch auf einem Fisch (Seriola von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Polypomedusen. 55 zonata Uuv.) und ist seiner Lebensweise in eigentümlicher Art ange- passt. Die Meduse ähnelt einer Sarsia vollkommen, und es ist des- halb nicht nötig sie hier zu beschreiben. Der Polypenstock besteht aus einem Netzwerk von Röhren, welches der Haut des Fisches an- liegt und von dem Gonophoren und fadenförmige Gebilde (modifizierte Polypen) sich erheben. Das basale Netz ähnelt der Basalplatte von Hy- dractinia. Sie ist so fest an den Fisch angewachsen, dass es schwierig ist sie davon loszulösen. Leider macht Fewkes keine Angaben darüber, ob etwa Wurzelausläufer oder dergleichen vorhanden sind, welche von der Basalplatte aus in den Körper des Fisches eindringen. Von der Basalplatte erheben sich zwei Arten von Bildungen: 1) verästelte Gonophoren und 2) kurze unverästelte Röhren. — 1. Die verästelten Gonophoren bestehen aus einem röhrenförmigen Stamm, der am Ende offen ist und zahlreiche, hohle aber terminal geschlos- sene Zweige trägt. An diesen sprossen die Medusen; von einer Chitin- hülle ist nirgends eine Spur. 2. Die kurzen unverästelten Röhren sind terminal offen, haben ein diekes Entoderm und machen den Eindruck rudimentärer, tentakelloser Polypen. Fewkes vergleicht die verästelten Gonophoren mit den analogen Gebilden von Velella und meint, dass die Hydrichthys-Meduse der Ohrysomitra sehr ähnlich sei. J. W. Fewkes, On a new Plıysiphore, Pleophysa, and its Relationships to other Siphonophoras. Annals and Magazine of Natural History. May 1888. p. 317-322. Taf. 17. Fewkes beschreibt eine neue interessante schon länger unvoll- kommen bekannte Siphonophore, welche er als Repräsentanten einer eignen Familie von Physophoreen: Pleophysidae, ansieht. Die wesent- liche Eigentümlichkeit dieses Tieres besteht darin, dass es eine Art Kapuze besitzt, welche über die Schwimmblase teilweise hinwegzieht. Diese Kapuze ist außen mit Papillen besetzt. Fewkes meint, dass die Kapuze ein modifiziertes Nektosom ist und dass die Papillen der- selben die Schwimmglocken repräsentieren. Derjenige Axenteil, der bei den eigentlichen Physophoriden Polypen trägt, ist zu einer rundlichen Masse reduziert Schwimmglocken und Deckschuppen fehlen. C. F. Krukenberg, Der Wasseraustritt aus der Gallertscheide der Me- dusen. Vergleichend physiologische Studien, Reihe2, Abt.4, p. 1—59. Um den Einfluss der Zusammensetzung des umgebenden Mediums auf die Flüssigkeiten im Körper von Wassertieren — zunächst Me- (dusen — festzustellen, prüfte Krukenberg den Chlorgehalt der Gallerte einer Anzahl von Medusen von verschiedenen Standorten und auch den Chlorgehalt des Meerwassers, dem sie entnommen wurden. Der Salzgehalt verschiedener Medusenarten ist so ziemlich der gleiche. Der Salzgehalt der Gallerte ist bedeutender als jener 54 von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Anthozoen. des umgebenden Wassers, und der Unterschied im Salzgehalt von Wasser und Tier ist in dem Falle der in salzarmem Wasser leben- den Medusen größer als bei jenen, welche in stark salzigem Wasser leben. Wenn man Stücke der Schirmgallerte von Medusen liegen lässt, so verlieren sie allmählich einen großen Teil des in denselben ent- haltenen Wassers. Mit diesem Exsudat-Wasser experimentierte Kru- kenberg. Die Wasserabgabe wird natürlich von äußern Umständen wesentlich beeinflusst. Hierüber gibt Krukenberg eingehende Ta- bellen, denen folgendes entnommen wird: Die Flüssigkeitsabgabe in einem gegebenen Zeitraum ist weitaus bedeutender, wenn die Gallertstücke in der Luft liegen, als wenn sie sich in destilliertem oder in Meerwasser befinden. Aehnlich wie Luft wirkt auch Oel auf die Gallertstüicke. Wenn man die Gallerte mit nieht giftigen Salzen bestreut, so ist der Flüssigkeitsverlust bedeu- tender als ohne solehe Zugabe. Das einzige Alkaloid, welches einen wesentlichen Einfluss auf die Flüssigkeitsabnahme ausübt, ist Veratrin, welches eine Steigerung desselben bewirkt. Bittersalzpulver entzieht der Gallerte zuerst eine salzärmere und später eine salzreichere Flüssigkeit. Die Flüssigkeit, welehe durch Lösungen von Alkaloiden ausgezogen wird, ist viel salzreicher als jene, welche durch reines destilliertes Wasser der Gallerte entzogen wird. Bei Anwendung von Oel, besonders Rhieinusöl, ist der Salz- gehalt der austretenden Flüssigkeit bedeutend geringer als bei Be- rührung der Gallertstücke mit Luft. Nach einer Einwirkung der Schwermetallsalze ist die durch Bittersalz entziehbare Flüssigkeitsmenge unter die Norm herabgesetzt. Durch Zusatz von Chloroform oder Alkaloiden wird dagegen die Quantität der an Bittersalz abgegebenen Flüssigkeitsmenge gesteigert. Noch kräftiger wirkt in diesem Sinne .die Essigsäure. Neuere Untersuchungen über Anthozoen. Von R. v. Lendenfeld. F. W. Krukenberg, Die nervösen Leitungsbahnen in dem Polypar der Aleyoniden. — Vergleichend physiologische Studien 2 IV S. 59. Ehe der Verfasser auf seine im Roten Meer angestellten Experi- mente an Aleyonien (Xenia) eingeht, giebt er einige interessante Re- sultate von Versuchen an solitären Aktinien, speziell Arptasia Wenn man zwei dieser Tiere durch je einen Axialschnitt in zwei Hälften teilt, so dass diese in dem einen Falle bloß durch die Fußplatte und im andern bloß durch die Mundplatte zusammenhängen, und wenn man dann eine dieser Hälften durch Applikation von Eisessig reizt, so erkennt man, dass 1) Nervenstränge den ganzen Polypenleib durch- ziehen; 2) dass die Mundscheibe nervöse Reize viel besser vermittelt - von Lendenfeld, Neuere Untersuchungen über Anthozoen. 35 als die Fußplatte und 3) dass sensible Reize von der Sohle zur Mund- scheibe leichter fortgeleitet werden als in umgekehrter Richtung. Was nun die Versuche an Xenia betrifft, so wäre in erster Linie hervorzuheben, dass sich die einzelnen Polypen wie Sagartia verhalten. Die Wirkung schwacher Reize ist eine beschränkte, und auch wenn man den Reiz gradatim verstärkt, so reagiert längere Zeit bloß der gereizte Tentakel. Wie bei Sagartia kann man einen ganzen Ten- takel rasch abschneiden, ohne dass die Nachbartentakel hiedurch beeinflusst werden. Abgetrennte Tentakel bleiben über eine Stunde empfindlich. Die Kontraktionen der Tentakel lebender Xenien lassen keine Spur einer rhythmischen Bewegung oder anderer Regelmäßigkeit, etwa in der Reihenfolge der kontrahierten Tentakel erkennen. Die Tentakelbewegungen sind selbständige und direkte, durch äußere Reize hervorgerufene Reflexbewegungen. Wird ein Tentakel hin- reichend stark ‚gereizt, so pflanzt sich der Reiz von der Tentakelbasis aus zunächst auf die andern Teentakeln fort, welche sich zusammen- ziehen, und hernach erst auf die Seitenwände des Körpers. In bei- den Fällen schreitet die Muskelkontraktion von dem Reizpunkte aus in radialer Richtung fort. Wird die Körperwand an einer Stelle gereizt, so beugen sich in erster Linie die grade über dem Reizpunkte gelegenen Tentakeln, und häufig bloß diese, woraus Krukenberg schließt, dass die Nerven in der Körperwand größtenteils longitudinal verlaufen. Reizt man einen einzelnen Polypen stark, so kontrahiert sich nicht nur er, sondern auch seine Nachbarn. Hieraus schließt Kru- kenberg auf die Existenz eines Kolonialnervensystems bei Xenia. Durch Injektion von Essigsäure in den Stamm und durch andere Versuche kommt unser Autor zu dem Resultat, dass im der That Stamm und Aeste von einem oberflächlich gelagerten Nervennetz durchzogen werden. Krukenberg wendet sich gegen die Angaben Keller’s, nach denen die Xeniententakel sich ähnlich wie der Medusenschirm rhyth- misch kontrahieren sollen. Er sagt hierüber (S. 75): „..... so bin ich doch nie so glücklich gewesen, von jenen von Keller sogar gezählten rhythmisechen Kontraktionen auch nur die leiseste Ahnung wahrzunehmen.“ A. Ortmann, Studien über Systematik und geographische Verbreitung der Steinkorallen. Zoologische Jahrbücher, Band III, S. 143. Ortmann lässt auf seine Beschreibung der Steinkorallen im Straßburger Museum einige Angaben über die geographische Ver- breitung der einzelnen Gattungen folgen, welche von allgemeinerem Interesse sind. In dem tropischen Korallengürtel lassen sich zwei Faunengebiete unterscheiden: die indo-pacifische und die ostamerikanische. Abge- 56 Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 56 y sehen von einigen Tiefseeformen haben diese beiden Gebiete nur zwei Arten gemein: Heliastraea annularis und Siderastraea radians. Das ostamerikanische (atlantische, der Ref.) Gebiet lässt sich weiter in ein westindisches und brasilianisches trennen. In letzterem fehlen viele der verbreitetsten westindischen Gattungen. Dem entgegen ist Acanthastraea dem brasilianischen Gebiete eigentümlich. Die neun Gattungen, welche sowohl im paeifischen (indopa- cifischen Ortm.), als auch im atlantischen (ostamerikanischen Ortm.) Gebiet vorkommen, sind sämtlich alttertiären Formen sehr ähnlich. Die atlantischen Paritiden sind konservativ, während die pacifischen neuere Formen aufweisen. Die Fungien, von denen keine fossilen Vertreter bekannt sein sollen |? Ref.|, sind auf das pacifische Gebiet beschränkt. Aus diesen und andern Thatsachen schließt Ortmann, dass die Verbindung zwischen dem atlantischen und pacifischen Korallengebiet bald nach der Alttertiärzeit unterbrochen worden sei. Aus diesem Grunde fehlen im pacifischen Gebiet diejenigen Formen, welche seit jener Zeit im atlantischen entstanden sind. Ortmann glaubt, wie aus der Anmerkung hervorgeht, dass die Landenge von Panama zu jener Zeit entstanden sei und die Gebiete trennte. So viel ich mich erinnere, sagte Lesseps in einem seiner Berichte an die Kanal- Gesellschaft, kommt dort auch Kreide vor. Bericht über eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel. Von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. Der Laacher See und die südwestlich davon gelegenen Maare der Eifel stellen Wasserbeeken dar, welche einstmaliger vulkanischer Thätigkeit ihre Entstehung verdanken. Das Terrain, in welchem diese Seen befindlich sind, besteht aus den sogenannten Koblenzer Schichten des Devon, d. h. aus abwechselnd auf einander folgenden Lagen von Thonschiefern und eigenartigen Sandsteinen. Ein Kranz von bewal- deten Höhen, deren Fuß sich bis zum Wasserspiegel erstreckt, umgibt den Laacher See und steigert dessen landschaftliche Schönheit. Die Maare sind in geologischer Hinsicht dem Laacher See voll- kommen gleichgeartet; zwischen ihnen und letztern waltet lediglich ein Größenunterschied ob. Sie bilden mehr oder minder umfängliche (triehterförmige) Einsenkungen, die eine ansehnliche Tiefe besitzen und mit Wasser angefüllt sind. Dieses entstammt größtenteils den direkten atmosphärischen Niederschlägen, andernteils aber auch zu- fließenden Quellwässern. Auf Anregung des Herrn Geheimrat Prof. Franz Leydig (Würz- burg) unternahm ich es im Juli und August des verflossenen Jahres (1888), die niedere Fauna dieser Wasserbeeken festzustellen, und ich Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel, 57 erhielt zur Ausführung meines Vorhabens ein Reisestipendium von der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Für diese Spende statte ich der genannten Körperschaft an dieser Stelle meinen ver- bindlichsten Dank ab. Die Tierwelt der Eifelmaare (inkl. derjenigen des Laacher Sees) ist im Sommer 1880 von Leydig selbst durchmustert worden!). Indess hat sich dieser Forscher lediglich auf die Uferfauna beschränkt und seine Aufmerksamkeit ausschließlich den im seichtern Wasser leben- den Würmern, Krustaceen und Weichtieren zugewandt. Dagegen kam es mir (mit Rücksicht auf meine bisherigen Seendurchforsehungen in Nord- und Mitteldeutsehland) darauf an, in erster Linie die Frage zu beantworten: ob sich in so vollständig abgeschlossenen Wasserbecken, wie die meisten Kraterseen der Eifel sind, ebenfalls eine pelagische Fauna angesiedelt habe, und von welcher Zusammensetzung dieselbe sei. Freilich habe ich nicht alle Maare mit gleicher Gründlichkeit unter- suchen können, weil ich durch den Mangel an Fahrzeugen in meinen Absichten sehr behindert wurde. Unter solehen Umständen war ich genötigt, das Pulvermaar, das Holzmaar und das Maar von Schalkenmehren lediglich vom Ufer aus mit dem feinen Netz (welches an einem 3 Meter langen Stabe befestigt war) abzufischen. Die größte Ausbeute hat unstreitig der Laacher See geliefert, den auch Leydig bereits (l. e.) als besonders artenreich bezeichnet hat. In der nachstehenden Liste sind die in der pelagischen Zone ange- troffenen Species mit einen Sternchen (*) markiert. Für erwähnens- wert halte ich die Thatsache, dass bei mondloser Nacht unternommene Bootfahrten keine andern Ergebnisse zur Folge hatten, als die am hellen Tage ausgeführten. Ich fand stets nur dieselben Krebs- und Rädertiere vor; ihr Auftreten erschien niemals von Licht oder Dunkel- heit beeinflusst. 1. Laacher See. Große 3 Mer tr rg Haller 414,4353:he Maximale Tiefe: . . . . 50m Höhenlases 2. 32..2.2 2... 7291:m üxd: M. Charakteristisch für dieses Wasserbecken ist sein ungewöhnlicher Reichtum an Diatomaceen und andern Algen. Dr. W. Migula (Karls- ruhe) hat die Freundlichkeit gehabt, das von mir gesammelte phyko- logische Material einer Durchsicht zu unterziehen. Es wurden darin allein 25 Species von Diatomaceen konstatiert Darunter waren viele Exemplare von Pinnularia nobilis. Eine auffällige Erscheinung bot auch das massenhafte Auftreten von Oyelotella operculota in der zen- tralen Zone des Laacher Sees dar. Jeder Tropfen Wasser, der von dort entnommen wurde, enthielt stets mehrere Exemplare der genann- 1) Fr. Le y dig, Ueber Verbreitung der Tiere im Rhöngebirge und Main- thal, mit Hinblick auf Eifel und Rheinthal, Verhandl. d. Vereins d. preuß. Rheinlande u. Westf., 37. Jahrg., 1881. 58 Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. ten zierlichen Kieselalge. Im übrigen stellte sich die Anwesenheit folgender Repräsentanten der Fauna für diesen See heraus: Wassermilben: Atax crassipes O. F. M.; Atractides ovalis Könike; Axona versicolor O. F. M.; Hygrobates longipalpis Herm.; Nesaea rotunda Kramer. Krebstiere: * Daphnella brachyura Liev.; * Sida eristallina O.F.M.; * Daphnia longi- spina Leydig; * Daphnia vitrea Kurz; Simocephalus vetulus OÖ.F.M.; Scapho- leberis mucronata (var. cornuta) O. F. M.; * Bosmina longirostris O. F. M.; Bosmina cornuta Jur.; Acroperus leucocephalus Koch; Eurycercus lamellatus 0. F. M.; Alona tenuicaudis G&. 0. Sars; Oyelops viridis Fischer; Cyclops tenwicornis Claus; Cyelops signatus Koch; Uyclops maarensis Vosseler n. 8p.; * Oyelops strenuus Fischer; * Diaptomus coeruleus Fischer; Cantho- camptus minutus Baird; Notodromas monacha O. F. M.; Uypris fuscata Jur.; Gammarus pulex Fabr.; Asellus aquaticus Geofr. Würmer: Mesostoma lingua OÖ. Schm.; Mesostoma viridatum M. Sch.; Stenostom« unieolor OÖ. Schm.; Vortex cuspidatus O.Schm.; Dendrocoelum lacteum Oerst.; Polycelis nigra OÖ. F. M. Chaetogaster sp.; Lumbriculus variegatus OÖ. F.M.; Nais proboscideaO. F.M.; Nais elinguis OÖ. F.M ; Clepsine bioculata Sav. * Polyarthra platyptera Ehrb.; * Monocerca bicornis Ehrb.; * Anuraea longispina Kellic.; * Anuraea cochlearis Gosse; Colurus uncinatus Ehrb.; Fureularia gibba Ehrb.; * Notommata sp. (wasserhell, durchsichtig); * Cono- chilus volvox Ehrb.; Philodina eitrina Ehrb. Weichtiere: Limnaea auricularia, var. lagotis Schr.; Physa fontinalis L.; Planorbis contortus L.; Planorbis spirorbis L. Hohltiere: Spongilla fluviatilis Lbk. Urtiere: Amoeba proteus Aut.; Uentropyxis aculeata Ehrb.; Difflugta oblongaEhrb.; Arcella vulgaris Ehrb. Peridinium tabulatum Lf.; Ceratium hirundinella Bergh. Hinsichtlich der Wassermilben aus dem Laacher See bemerkt Herr Könike (der die Bestimmung dieser Tiere freundlichst über- nommen hatte), dass dieselben außerordentlich im Wachstum zurück- geblieben seien. Dasselbe ließ sich inbetreff der Exemplare - des Diapt. coeruleus aus demselben See konstatieren, so dass irgendwelche ständige Ursache vorhanden sein muss, welche das Ernährungsleben der Hydrachniden sowohl wie das der Kruster beeinträchtigt. Es wäre nicht unmöglich, dass die vom Grunde des Laacher Sees so massenhaft aufsteigende Kohlensäure die Schuld an dem verminderten Wachstum der kleinen Wassertiere trüge. Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 59 Im Hinblick auf die vorstehende Liste der Rotatorien ist der Umstand zu betonen, dass Polyarthra platyptera, welche Imhof in so vielen Alpenseen konstatiert hat!), mir im Laacher See zum ersten mal als Mitglied der pelagischen Fauna bekannt geworden ist. In den norddeutschen Seen habe ich diese Species im freien Wasser niemals angetroffen und dieses auch ausdrücklich in meinen Berichten erwähnt?). In der Aufzählung, welche OÖ. Nordquist (vergl. Zool. Anzeiger, Nr. 254, 1887) von der pelagischen Fauna der größern Finnischen Seen gegeben hat, vermisse ich unter den Rotatorien Polyarthra platyptera gleichfalls, und es scheint demnach, dass dieses Rädertier nach Norden hin weniger verbreitet ist. Mit Ausnahme eines Copepoden, welcher dem CUyelops agilis Koch nahesteht, aber doch spezifisch von demselben unterschieden ist, ergaben sich aus dem Laacher See keine völlig neuen Funde. Dr. J. Vos- seler (Tübingen) hat jenen C’yelops, weil seine Anwesenheit in allen Eifelmaaren konstatiert werden konnte, Oycelops maarensis genamt. Diese neue Art differiert von ©. agilis hauptsächlich durch kürzere Antennen, schwächer entwickelte Mundteile, lange Schwimmbeine und stark verlängerte Furca. Eine Detailbeschreibung dieses Cyc/ops wird Dr. Vosseler unter Beigabe von Abbildungen im „Archiv f. Natur- geschichte“ folgen lassen. ll. @emündener Maar. ErroßeeR nr ee a ihn Maximale Tiefe: nn Höhenlase ra... 00,8 Est m.d. M In der Uferzone dieses kleinen Wasserbeckens waren nur wenige Algenspecies zu bemerken. Nach Migula’s Bestimmungen Bulbochaeta Ppygmaea, Ulothrix zonata, Cladophora fracta, Spirogyra sp. und Penium digitus. Für dieses Maar ist als interessantestes Ergebnis die Auffindung des Diaptomus graciloides Lilljeb. zu melden. Dichte Scharen dieses Calaniden bevölkerten das seichtere Uferwasser und gaben ihm einen rötlichen Schein. Die Farbe der Tierchen ist ein grelles Zinnober- rot, und ihr Körpermaß ist beträchtlich geringer als das von Diapt. gracilis, mit dem sie sonst nahe verwandt sind. Von letztgenannter Species unterscheidet sich die Lilljeborg’sche Form besonders durch die Gestalt der rudimentären Fußpaare. Für Deutschland ist Diapt. graciloides vollständig neu; er wurde bisher nur in den größern Seen Schwedens gefunden. Prof. W. Lill- Jeborg hat unlängst eine Diagnose dieses neuen Calaniden veröffent- 1) E. O0. Imhof, Studien über die Fauna hochalpiner Seen des Kantons Graubünden, 1837. 2) O0. Zacharias, Zur Kenntnis der pelag. und litoral. Fauna nordd. Seen. Zeitschr. f. wisseusch. Zoologie, 45. Bd., 1887. 60 Zacharias, Bericht iiber eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. licht!); aber nach derselben blieb die Identität zwischen dem Kruster des Gemündener Maars und dem notorischen Diapt. graciloödes zweifel- haft. Erst nachdem Herr Dr. Vosseler durch die Freundlichkeit des Professor Jules Richard in Paris konservierte Exemplar des schwedischen Calaniden erhalten hatte, war die vollkommene Ueberein- stimmung der beiden Species festzustellen. Dies ist ein schlagendes Beispiel dafür, dass die Identifikation nach den wortreichen Beschrei- bungen der Autoren nicht immer möglich ist. Eine primitive Zeich- nung leistet in den meisten Fällen mehr, als die pedantischste schrift- liche Diagnose. Dr. Vosseler wird auch diese Species im „Archiv f. Naturgeschichte“ beschreiben und abbilden. Die wiederholt von mir vorgenommene Abfischung des Gemündener Maars (wobei mir Herr Hötelbesitzer Hommes jun. in dankens- wertester Weise behilflich war) ergab außer Diapt. graciloides noch folgende Species. Wassermilben: Arrenurus Bruzelüi Könike; Hygrobates longipalpis Herm.; Piona lutes- cens Herm.; Limnesia maculata OÖ. F. M. Krebstiere: ®= Daphnella brachyura Li&v.; * Ceriodaphnia megops G. O. Sars; Pleu- roxus truncatus O. F. M.; Acroperus leucocephalus Koch; * Uyclops strenuus Fischer; COyclops tenwieornis Claus; Uyelops agilis Koch; Cyelops maarensts Vosseler n. sp.; (yeclops fuscata Jur.; Canthocamptus Sp. Würmer: * Oonochilus volvox Ehrb.; * Asplanchna helvetica Imhof. Dendrocoelum lacteum Oerst.; Polycelis nigra OÖ. F. M. Weichtiere: Linnaea truncatula O.F.M.; Physa fontinalis L.; Planorbis albus O.F.M.; Ancylus flwviatilis OÖ. F. M. Urtiere: Centropyxis aculeata Ehrb.; Difflugia pyriformis Perty; Arcella vul- garis Ehrb. Dinobryon stipitatum Stein. Die Asplanchnen und Conochilus- Kolonien waren in sehr großer Anzahl zugegen. Auf mein Ersuchen hatte Herr Hommes die Liebens- würdigkeit, das Gemündener Maar nochmals um die Mitte des Sep- tember und anfangs Dezember (1888) abzufischen. Aber die Durch- sicht dieser Fangergebnisse ergab nach keiner Richtung hin neues. 1) Lilljeborg, Description de deux espöces nouvelles de Diaptomus du Nord de l’Europe, Bull. Soe. Zoolog. de France, 1888. Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 61 Ill. Pulvermaar bei &illenfeld. GEobese Sean. una ha Höhenlage: .. . .. .„ 400’m.n.d.M. Nach dem Laacher See ist dieses Maar die größte Wasseransamm- lung in der Eifelgegend. Leider konnte ich dieselbe nur sehr mangel- haft (vom Ufer aus) abfischen, da auch nicht das primitivste Fahrzeug zur Verfügung stand. Bei Anwendung des Handnetzes erhielt ich folgendes Ergebnis: Wassermilben: Arrenurus Bruzelüi Kön.; Atax spinipes O. Fr. M.; Hydrochoreutes ungu- latus Koch; Hwygrobates longipalpis Herm.; Limnesia maculata OÖ. Fr. M.; Marica musculus OÖ. Fr. M. Krebstiere: Ceriodaphnia megops G&.0.Sars; Scapholeberis mucronata OÖ. Fr.M.; Acro- perus leucocephalus Koch; Alona tenwicaudis G.O. Sars; Pleurowus truncatus O. Fr. M.; Oyelops tenwicornis Cls.; Cyelops agilis Koch; Cyclops maarensis Vosseler n. sp.; Canthocamptus sp.; COypris fuscata Jur.; Cypris fasciata 0. Fr. M. Würmer: Nais proboseidea OÖ. Fr. M.; Nephelis vulgaris Moqu. Tand. Mesostoma lingua O0. Schm.; Vortex euspidatus OÖ. Schm. Hohltiere: Hydra fusca L.; Hydra rubra Lewes (?). Urtiere: Centropyzis aculeata Ehrb.; Difflugia pyriformis Perty; Arcella vul- garis Ehrb. Leydig erwähnt'), dass er im Pulvermaar Hydren von blass- orangener Farbe gefunden habe. Ich kenne aus demselben Wasser- becken außer der gewöhnlichen braunen Art nur solche, welche bei auffallendem Lichte hochrot aussehen. Dieselben unterschieden sich nur dureh das Kolorit von der gemeinen /l. fusca. Demnach ist Hydra rubra wohl nur als eine Varietät dieser letztern zu betrachten. IV. Holzmaar. Kröoßenies el enahrin Sue A:,uha Hokenlagea- en. 7285... 2% Fra: 850 mr .d:M, Dieses Maar ergab aus dem gleichen Grunde wie das vorige eine nur geringe Ausbeute. Ich ermittelte als Bewohnerschaft desselben folgende Species. Wassermilben: Arrenurus Bruzelii Kön.; Piona torris O. Fr. M. Krebstiere: Sida eristallina O.Fr.M. und deren rosenrote Varietät?); Scapholeberis mucro- nata O. Fr. M.; Eurycercus lamellatus O.Fr.M.; Ohydorus sphaerieus O.Fr.M, 4) Leydigl. ce. 8. 1%. 2) Vergl. O0. Zacharias, Zur Kenntnis etc. nordd. Seen, 1837, 5. 266. 62 Zacharias, Bericht über eine z00l. Exkursion an die Krat erseen der Eifel. Oyclops tenuicornis Cls.; Oyelops agilis Koch; Cyclops maarensis Vos- seler; Diaptomus castor Jur. Würmer: Mesostoma lingua ©. Seh. V. Maar bei Schalkenmehren. Größest Hr na Bear ‚erlSeha, Höhenlage IR NE 390 an rdeM. Die Abfischung konnte hier gleichfalls nur vom Ufer aus ge- schehen und war sehr erschwert, weil hohe Schilfwälle den Zugang zum Wasser teilweise versperrten. Was ich unter solehen Verhält- nissen feststellen konnte, ist folgendes. Wassermilben: Atractides ovalis Kön.; Nesaea luteola G. 1. Koch; Linnesia maculata OÖ. Fr. M.; Piona lutescens Herm. Krebstiere: Sida eristallina O©. Fr. M.; Scapholeberis mucronata OÖ. Fr. M.; Eurycercus lamellatus OÖ. Fr. M. Würmer: Nais proboscidea O. Fr. M.; Nephelis vulgaris Moqu. Tand. Mesostoma viridatum M. Seh. Dendrocoelum lacteum De. Urtiere: Arcella vulgaris. Leydig hat hier s. Z. eine Anzalıl von Mollusken gesammelt, deren Namen ich zur Vervollständigung der Fauna dieses Maars noch anführe. Es sind: Valvata cristata OÖ. Fr. M., Bythinia tentaculata L., Limnaea stagnalis L., L. auricularia L., Pisidium fossarinum Clessin, Planorbis cortortus L., Pl. corneus L. und Pl. carinatus OÖ. Fr. M. Zum Vergleich mit den Eifelmaaren, habe ich nach Beendigung der dortigen Exkursion 2 Seen auf der Höhe des Vogelsberges in Hessen untersucht, und die daselbst erzielten Ergebnisse teile ich hier gleichfalls mit. Sie beziehen sich auf Wasserbecken, welche bei den Dörfern Obermoos und Niedermoos im Kreise Steinau ge- legen sind. VI. See von Obermoos. Größe: u, as INT ohbahe Höhenlage: =... 22.0383 4.2131 252465:m ga 7M: Hier war ein vorzügliches Boot vorhanden, welches eine eingehende Durehforschung ermöglichte. Eine staunenswert üppige Vegetation von Anabaena los aquae färbte das ganze Wasser spangrün. Das Ergebnis mehrerer Kreuz- und Querfahrten war folgendes. Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 63 Wassermilben: Arrenurus globator OÖ. Fr. M.; Hydrachna ylobosa de Geer; Hydrochoreutes ungulatus ©. L. Koch; Lünmnesia maculata O. Fr. M.; Nesaea alpina Neum.; Nesaea nodata O.Fr.M.: Nesaea rotunda Kram.: Nesaea variabilis C.L.Koch; Piona lutescens Herm. Krebstiere: * Daphnella brachyura Liev.; Ceriodaphnia megops G.O.Sars; * Daphnia longispina Leydig; Daphnia Schödler! G. O0. Sars; Eurycercus lamellatus 0. Fr. M.; Acroperus leucocephalus Koch; Pleuroxus truncatus O, Fr. M,; * Diaptomus coeruleus Fischer. Würmer: Mesostoma viridatum M. Sch.; Mesostoma lingua ©. Sehm.; Mesostoma Ehrenbergii 0. Schm.; Vortex cuspidatus O. Schu. Nais proboseidea OÖ. Fr. M.; Nephelis vulgaris Moqu. Tand, Urtiere: Centropyzis aculeata Ehrb. Die Crustaceen und Hydrachniden waren hier in erstaunlicher Individuenzahl vertreten. Ebenso massenhaft trat Mesost. Ehrenbergii auf; die Wasserpflanzen in der Uferzone waren förmlich damit be- setzt. Eine derartige Häufigkeit dieser Turbellarie habe ich bisher nirgends beobachtet. VII, See von Niedermoos. Größen Dar wet Een Höhenlagen ! 17... 722.222 446 m.U..d. M: Wassermilben: Hydrachna globosa de Keer; Limnesia histrionica Herm.; Limnesia ma- eulata OÖ. Fr. M.; Marica musculus O. Fr. M.; Nesaea alpina Neum.; Nesaea luteola C. L. Koch; Nesaea nodata O.Fr.M.; Nesaea rotunda Kram.; Nesaea variabilis ©. L. Koch. Krebstiere. * Daphnella brachyura Lievin; Sida cristallina OÖ. Fr. M.; * Daphnia longispina Leydig; Daphnia Schödleri G. O0. Sars; Acroperus leucocephalus Koch; Chydorus sphaericus OÖ. Fr. M.; * Cyelops strenuus Fischer; * Diap- tomus coeruleus Fischer, Würmer: Stenostoma leucops OÖ. Schm.; Mesostoma viridatum M. Sch.; Mesostoma lingua O. Schm. Polyeelis nigra OÖ. Fr. M. Urtiere: Arcella vulgaris Ehrb. Peridinium tabulatum St. Meine Vermutung, dass diese beiden hessischen Seen wegen ihrer ähnlichen Höhenlage mit den Maaren der Eifel eine weitergehende Uebereinstimmung zeigen möchten, hat sich — wie die vorstehenden Verzeichnisse ergeben — nicht bestätigt. Hervorzuheben wäre nur, dass der See von Obermoos den Vortex cuspidatus mit dem Laacher 04 von Lendenfeld, Bemerkung zu Vanhöffen’s Arbeit. See und dem Pulvermaar gemein hat. Anderwärts kam mir diese Turbellarie bis jetzt nicht zu Gesicht. Ferner ist zu bemerken, dass der dem Koch’schen Cyelops lucidulus nahestehende ©. strenuus Fisch. im Laacher See und Gemündener Maar ebenso wie im Niedermooser See als Mitglied der pelagischen Tiergesellschaft auftritt. Diese Wahrnehmung habe ich hinsichtlich der norddeutschen Seen nicht gemacht, und halte sie deshalb der ausdrücklichen Anführung für wert. Trotz des Umstandes, dass ich aus Mangel an Kähnen nur zwei Eifelmaare in gründlicher Weise untersuchen konnte, ist durch die erhaltenen Resultate doch die Möglichkeit gegeben, einen Vergleich zwischen der Fauna jener einheimischen Wasseransammlungen und derjenigen anderer Kraterseen anzustellen. Dies soll im folgenden Abschnitt geschehen. (Schluss folgt.) Bemerkung zu meiner Kritik von Vanhöffen’s Arbeit über die Medusen des „Vettor Pisani“. Von R, v. Lendenfeld. Vanhöffen schreibt mir, dass in meinem Referate über seine Arbeit!) sich einige Irrtümer finden sollen, und er wünscht, dass ich dieselben berichtige. Ich enthalte mich darüber, ob meine Angaben z. T. irrtümlich waren oder nicht, jeden Kommentares und lasse hier eine wörtliche Abschrift von Vanhöffen’s „Berichtigungen“ folgen: „1) Ist es nicht meine Ansicht, wie Sie glauben, dass die Größe der Nesselwarzen zur Artunterscheidung der Pelagien benutzt werden soll, sondern die Beschaffenheit der Nesselwarzen, ihre Größe, Form und Faltung. 2) Von Desmonema gab ich keine neue Genusdiagnose, sondern behielt die von Agassiz aufgestellte bei, weshalb Desmonema Annasethe Häckel und Desm. imporiata Häckel ausgeschieden und zu Cyanea gestellt werden müssten. 3) Es ist nicht richtig, dass gewisse Gattungen ausgelassen wurden, weil ich sie nicht recht unterbringen konnte, sondern die 3 neuen Arten Phyllorhiza punctata v. Lendenfeld, Pseudorhiza aurosa v. Lendenfeld und Monorhiza Haeckelii Haacke wurden nur in der Anmerkung erwähnt, da ich nach den vorhandenen Beschreibungen und Abbildungen kein sicheres Urteil über die “estalt ihrer Mundarme gewinnen konnte. 4) Aus der Zusammenstellung der Medusen nach ihren Fundorten ergab sich, dass im roten Meer keine Semaeostomen und an der paeifischen Küste Nordamerikas keine Rhizostomen vorkommen, nicht, wie Sie berichten, fast keine. 5) Es ist überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, dass die Semaeosto- men keineswegs auf die kältern Meere beschränkt sind, da ich ja nur angab, dieselben wären in gemäßigten Zonen stärker vertreten. 6) Zwei Ausnahmen, denen Beobachtungen an allen übrigen bekannten — mehr als 70 Arten — Rhizostomen gegenüberstehen, können eine auf letz- tern Befund segründete Regel nicht hinfällig machen“. 4) ‚Biol. Gentralblatt, ee VII: Nr. 22382720. Verlag von Ednar ad Be ‚sold i in Erlangen. — Druck von ı Junge & Sohn i in Erlangen. Biologisches Öentralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX, Band. 1. April 1889. Nr. 2. Inhalt: Kowalevsky, Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. (Schluss.) — 0. Zacharias. Bericht über eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel. (Zweites Stück.) — Semen, Ueber den Zweck der Ausscheidung von freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. — Aus den Verhandlungen ge- lehrter Gesellschaften. Naturforschende Gesellschaft zu Rostock. — K. k. zool.-botan. Gesellschaft zu Wien. Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Von Prof. A. Kowalevsky in Odessa. (Schluss..) In weleher Weise der Farbstoff in das Lumen der Malpighi- schen Gefäße gelangt, ist mir nicht ganz klar geworden, und nur bei Acridium migratorium schien es mir ziemlich deutlich, dass der Durchtritt oder die Abscheidung an den allerdünnsten, peripherischen Teilen der Zellen vor sich geht. Im Moment der Abscheidung er- scheinen die Zellen der Acridien wie mit einem blauen Saume um- geben, und da die Säume der benachbarten Zellen an einander stoßen, so entsteht ein regelmäßiges blaues Netz, dessen Maschen von den ungefärbten Zellkörpern ausgefüllt werden. Etwas Aehnliches beobachtete ich auch bei den Larven von Tenebrio molitor, obgleich nicht so deutlich. — Alle von mir untersuchten Insekten erwiesen dieselbe Beziehung zum indigschwefelsauren Natron und karminsauren Ammon; das erstere wurde nur von den Malpighi’schen Gefäßen, das letztere von den Perikardialzellen resp. vom Perikardialgewebe aufgenommen oder ausgeschieden. — Es war auch hier die Frage, wie es sich ver- halten wird, wenn man die beiden Farbstoffe zusammen injiziert. Ich habe mir deshalb eine Mischung dargestellt, welche aus gleichen Teilen von 1prozentigen Lösungen des indigschwefelsauren Natrons und karminsauren Ammons bestand, schüttelte und kochte diese Mischung mehrere mal und nun führte ich dieselbe in den Körper der meisten oben erwähnten Insekten ein. Die Erscheinung war IX, d 66 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. die, welche zu erwarten war. Der blaue Farbstoff wurde von den Malpighi’schen Gefäßen aufgenommen, das Karmin von den Peri- kardialzellen. Nie wird Karmin von den Malpighi’schen Gefäßen und das indigschwefelsaure Natron nie von den Perikardialzellen auf- genommen. Dabei wurde der Inhalt der Malpighischen Gefäße von mir auf deren Alkaleszenz untersucht, wobei sieh ergab, dass er immer alka- lisch reagiere; es wurde dabei außer Lakmus auch die sehr empfind- liche, von Prof. Ehrlich vorgeschlagene Alinazinsulfosäure ange- wendet. — Wenn wir die Erscheinungen bei den Insekten mit denen ver- gleichen, welche wir bei den Urustaceen gesehen haben, so erweist es sich, dass wir hier Verhältnisse antreffen, die uns besonders daran erinnern, was wir zum Teil bei Mysis (Parapodopsis), zum Teil bei Squilla mantis beobachtet haben. Mit der Mysis stimmen diese Ver- hältnisse in Beziehung auf Karmin; namentlich Karmin färbt bei der Mysis so wie bei den Insekten nur die Zellen, welche auf dem venösen Strome zum Herzen liegen, resp. die Perikardialzellen. Mit der Sqwilla stimmen die Verhältnisse der Insekten darin überein, dass erstens das Indigokarmin bei den einen und den andern von Anhängen des Darm- kanals aufgenommen wird, das Karmin von den Zellen, die auf den venösen Strömen des Blutes liegen. — Bei Syuwilla finden wir also dieselben Erscheinungen, wie bei jedem Insekt, nur mit der Kompli- kation, dass wir bei derselben eine auf Karmin reagierende Schalen- drüse haben; übrigens findet man auch bei den Insekten z. B. Mus- ciden den guirlandenförmigen Zellenstrang. — Ueberblicken wir diese Vorgänge im Vergleich zu den Crusta- ceen, So müssen wir sagen, dass bei den Insekten die Funktion der Antennen- oder Schalendrüse in der Weise getrennt ist, dass die Funktion der Harnkanälchen von den Malpighi’schen Gefäßen über- nommen wird; das Endbläschen hat kein entsprechendes Organ, und seine Rolle spielen die Perikardialzellen. Mollusken. Die Mollusken wurden auch von mir untersucht, wobei ich meistens die schon oben erwähnten Substanzen anwendete und hier haupt- sächlich mit den Einspritzungen des Farbstoffes mich begnügte. Fütterungsversuche wurden auch angestellt, besonders an Cyelas, Tellina und einigen andern, ergaben aber keine bestimmten Resultate. Spritzt man einem Pecten eine Mischung von einprozentigen Lösungen von karminsaurem Ammon und Indigokarmin in gleichen Teilen ein, so bemerkt man nach einem Verlauf von etwa einer Stunde, dass die Bojanus’schen Organe, welche zu beiden Seiten des Fußes von Peeten liegen, ganz blau geworden sind und die An- Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 67 hänge an den Herzvorhöfen, welche neuerdings so treftlich von Grobben unter dem Namen der Perikardialdrüsen beschrieben wurden!), ganz rot werden. — Der tief violette Farbstoff, welchen die einprozentige Mischung des ammoniakalischen Karmins mit Indigokarmin darstellt, wird im Körper von Pecten in seine zwei Bestandteile zerlegt, wobei das Bojanus’sche Organ das Indigokarmin, die Zellen der Perikar- dialdrüse das karminsaure Ammon aufnehmen. — Wenn wir etwas näher untersuchen, in welcher Form diese Farb- stoffe in den entsprechenden Organen sich anhäufen, so finden wir, dass in den beiden Fällen die Ausscheidung in verschiedener Weise vorgeht. — Die Ausscheidungszellen des Bojanus’schen Organs enthalten bekanntlich kleinere oder größere Vakuolen, in denen das eigentlich abgeschiedene Harnkonkrement liegt. Diese Zellen wurden sehr trefflich schon von Leydig dargestellt?), nur sieht man jetzt, dass in der Vakuole um das schon abgesonderte Konkrement spindelförmige tiefblaue Krystalle des indigoschwefelsauren Natrons liegen. — Die Abscheidung des Salzes geht ganz an derselben Stelle und in derselben Vakuole vor sich, wo die Harnsalze von Peeten ausgeschieden werden. Rund um das Konkrement liegen zu einem oder mehrern die blauen Krystalle, und die Zahl derselben wächst nach der Menge des ein- gespritzten Farbstoffes und nach der Zeit der Untersuchung. — Untersucht man ein Tier eine Stunde oder 10 Stunden nach der Ein- spritzung der gleichen Mengen, so wird man im ersten Falle nur wenige Krystalle, im zweiten viele Krystalle in der Vakuole finden; zu gleicher Zeit mit der Abscheidung des blauen Farbstoffes in dem Bojanus’schen Organ nimmt der Körper seine normale Färbung an. Dieselben Krystalle, die man in den Vakuolen findet, trifft man auch in der Höhle resp. den Ausführungsgängen des Organs an. Mit einem Worte, das Indigokarmin wird in derselben Weise abgeschieden wie die andern Harnabsonderungen der Drüse. — Wenden wir uns jetzt zu der Perikardialdrüse, so sehen wir deren Zellen tief karminrot. Bei näherer Untersuchung dieser Zellen erweist sich, dass dieselben eine große Anzahl von kleinen Körnchen enthalten, die mehr oder weniger tief, je nach der Zeit der Untersuchung und der Masse des eingespritzten Farbstoffes, rot gefärbt sind. Setzt man einem andern Pecten eine konzentrierte blaue Lösung von Lakmustinktur ?) zu, so bemerkt man bei demselben, dass die Perikardialzellen sich auch rot färben und dass diese Färbung von 1) C. Grobben, Die Perikardialdrüse der Lamellibranchiaten. Arbeiten aus dem zoologischen Institute zu Wien, Bd. VII, 1888. 2) Fr. Leydig, Vergleichende Histologie, 1857. 3) Die Versuche an Pecten wurden in Sewastopol im Winter 1888/89 vor- genommen, bevor die Untersuchung von Dr. Grobben erschien. 68 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. denselben Körnchen abhängt, welche auch die rote Karminfärbung hervorriefen. — Um sich zu überzeugen, dass diese rote Färbung vom Lakmus abhängt, braucht man nur einen Tropfen Ammoniak oder Kali- oder Natronlauge zuzusetzen, und die Zellen werden tief blau. — Damit wird bewiesen, dass die Ablagerungen in der Peri- kardialdrüse eine saure Reaktion haben. — Am Pecten geht die Reaktion am besten und raschesten vor sich, deshalb führe ich ihn in erster Reihe an; es wurden aber außer Pecten auch andere Lamellibranchiaten untersucht, die alle dasselbe Resultat ergaben. So wurden Cardium, Venus, Tellina-Arten aus der Umgebung von Odessa und Sewastopol geprüft und dieselben Er- scheinungen beobachtet, wobei ich bei Venus noch ein besonderes zungenförmiges Organ am Darme unter dem Herzen fand, das sich auch so wie die Perikardialdrüse färbt. — Unsere einheimischen Unio und Anodonta wurden auch in dieser. Beziehung untersucht, und es zeigte sich, dass bei ihnen die Pro- zesse dieselben sind, nur gehen sie viel langsamer vor sich. Führt man in den Körper von Anodonta oder Unio Lakmus ein, so muss man drei bis vier Tage warten, bis ihre große Perikardialdrüse an- fangs gelblich und später rötlich wird. Die. Prüfung mit Alkalien beweist, dass diese Färbung von rotem resp. saurem Lakmus abhängt. Außer den Lamellibranchiaten wurden von den Gastropoden ver- schiedene Helix und die Paludina vivipara geprüft. Dabei zeigte sich, dass bei der Einspritzung der oben angeführten Mischung die Tiere anfangs ganz violett werden, bald aber, nach Verlauf von ein oder zwei Tagen, wird der blaue Farbstoff von dem Bojanus’schen Organ ganz aufgenommen und die Tiere werden rot; mit der Zeit verschwindet auch die rote Färbung. Was die Ablagerung des Indigo- karmins betrifft, so wird es, wie bei Peeten, nur viel deutlicher und klarer in den Vakuolen der Nierenzellen in Form von blauen spindel- förmigen Krystallen abgelagert. Man trifft öfters die einzelnen Konkre- mente der Niere ganz umsponnen von den Krystallen des Indigokarmins. In Triest wurden von mir einige Gastropoden untersucht, nament- lich die Doriopsis, Fissurella und die Haliotis; die Abscheidung des Indigokarmins von den Zellen des Bojanus’schen Organs wurde auch hier deutlich beobachtet, dagegen konnte ich die Ausscheidung des Kar- mins nicht hervorbringen. Es färbten sich bei Haliotis die Anhänge der Vorhöfe, welche von H. Wegmann beschrieben sind, schwach rot, aber es war nicht besonders deutlich. — Letzthin ist eine Monographie der Haliotis erschienen, in welcher Herr H. Wegmann!) eine besondere Drüse, die an dem Ausführungs- 1) Henri Wegmann, Contributions a l’Histoire Naturelles des Haliotides. Archives de Zoologie experimentale publiges par Lacaze-Duthiers, 2. Serie, Tome II, p. 326. Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 59 gange des Bojanus’schen Organs liegt, als das linke Bojanus’sche Organ beschreibt. Das eigentliche Bojanus’sche Organ der Haliotis, das was Herr Wegmann als das rechte Bojanus’sche Organ be- schreibt, ist eine gelbliche Drüse, die hinten und unten vom Perikardium liegt: bei den Einspritzungen des Indigokarmins wird diese letzte Drüse mehr oder weniger tiefgrün von der Beimischung der blauen Farbe. — Die Drüse, die Herr Wegmann als das linke Organ, als zu dem Bojanus’schen Organ gehörend beschreibt, ist eine ganz besondere Drüse, deren Innenwand von einer großen Zahl von hohlen Papillen bedeckt ist, welche wie Handschuhfinger in die Drüse hinein- ragen. Der Hohlraum ist von Blut durchströmt, und es gelang mir öfters, diese Papillen prall mit Karmin zu füllen. Sie erinnern zum Teil an die Venenanhänge der Cephalopoden. Die Versuche an Cephalopoden, welche ich in Triest anstellte, wurden an jungen Sepien, Eledone und Sepiola vorgenommen. — Es wurde denselben in der üblichen Weise die schon erwähnte Mischung des Indigokarmins und karminsauren Ammons und eine kon- zentrierte Lakmuslösung in Meerwasser eingespritzt. — Besonders überzeugend fielen die Versuche an der Sepiola und an den Sepien aus, bei denen bekanntlich das Kiemenherz und sein Anhang ungefärbt sind. Bei den Sepien färbte sich bei der Ein- spritzung der Mischung, wenn die Tiere noch 3—4 Stunden lebten, das Kiemenherz rot, und die Venenanhänge resp. Nieren schieden kleinere oder größere Mengen des Indigokarmins aus. — Bei der Einführung der Lakmuslösung färbten sich auch die Kiemenherzen rot, der Anhang der Kiemenherzen blieb in beiden Fällen ungefärbt. — Bei Zusatz von Alkalien zu dem von Lakmus rot gefärbten Kiemenherzen färbte sich dasselbe in tietblauer Farbe. — Ich habe nur eine ganz muntere Sepiola erhalten und spritzte derselben nur Karmin ein. Das Tier lebte noch 24 Stunden und wusde dann untersucht. Die Kiemenherzen wurden ganz karminrot, der Kiemenherzanhang blieb weiß. Auf den Sehnitten untersucht erwies sich, dass die rote Färbung von sehr großen roten Bläschen (Körnchen) herrührte, welche in den meisten Zellen des Kiemenherzens sich vorfanden. Bei Eledone wurde die Ablagerung des Indigokarmins seitens der Nierenanhänge schon vor längerer Zeit von Herrn Solger!) beob- achtet. Bei dem schon im normalen Zustande so tief pigmentierten Kiemenherzen der Eledone waren die Erscheinungen der Färbung nicht sehr deutlich, doch hatte ich einige Fälle, wo nach der Einfüh- rung der Mischung die Kiemenherzen ganz karminrot und die Venen- anhänge tiefblau wurden. — 1) B.Solger, Zur Physiologie der sogenannten Venenanhänge der Cephalo- poden. Zoolog. Anzeiger, 1881, Nr. 88. 70 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. N Die Versuche an den Sepien und der Sepiola beweisen, dass bei denselben die physiologische Rolle der Perikardialdrüsen der La- mellibranchiaten von dem drüsigen Gewebe der Kiemenherzen selbst, aber nicht von deren Anhängen ausgeführt wird. — Dentalium wurde auch in den Kreis meiner Untersuchungen ge- zogen. Es gelang mir, mehrere Exemplare mit meiner Mischung zu injizieren, wobei das Karmin und Indigokarmin verschiedene Körnchen in den Blutkörperchen und Bindegeweben färbten. Nur beziehungs- weise seltener nahmen die beiden auch von Lacaze-Duthiers beschriebenen Bojanus’schen Drüsen das Indigokarmin auf. Dann erschienen dieselben als blaue oder grüne Drüsen. Die Schnitte durch dieselben zeigten, dass das Indigokarmin in den Zellen des Organs in Form von blauen Körnchen und Bläschen lag, aber nieht in Form von Krystallen, wie bei den andern Mollusken, und auch nicht in besondern Vakuolen, die hier übrigens auch nicht vorkommen. Dass das Indigokarmin von denselben Elementen abgeschieden wird, welche auch die Harnsalze abscheiden, beweisen besonders die Mollusken, da wir hier die Ablagerung des Indigokarmins nicht nur in derselben Nierenzelle, sondern namentlich in derselben Vakuole der Zelle vor sich gehen sehen — beide Ausscheidungsprodukte resp. Harnkonkremente und Indigokarmin finden sich in derselben Vakuole der Zellen. Dieser Befund ist für uns in der Beziehung wichtig, als wir bei unsern Untersuchungen die Organe, welche das Indigokarmin aus- scheiden, als solehe Organe ansehen können, welche die Urate überhaupt ausscheiden und in die Kategorie der echten harnabson- dernden Organe gestellt werden können; diese Organe haben auch immer eine alkalische Reaktion. Somit haben wir bei den Mollusken die Organe, welche die Rolle der Malpighi’schen Körperehen und der Tubuli contorti der Wirbel- tiernieren erfüllen. Vermes. Für die Würmer resp. Anneliden ist es schon längst durch die Herren Meyer und Eisig bekannt, dass deren Seg- mentalorgane bei den Fütterungsversuchen mit Karmin dasselbe ausscheiden; allerdings sind die Beobachtungen nur auf wenige limi- cole und terricole Formen beschränkt. Ich stellte anfangs meine Untersuchungen mit den mir in Odessa mehr zugänglichen Tieren Nereis cultrifera, Lumbricus und einigen Hirudineen an; in Triest wurden noch andere Anneliden in dieser Beziehung beobachtet. Nereis cultrifera und besonders deren kleinere Exemplare sind ein sehr bequemes Objekt. Wird karminsaures Ammon eingespritzt, so sammelt es sich bald in den knäuelartigen Klumpen der Segmental- Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. ra organe, die ganz rot werden. Die Färbung ist an kleine Körnchen der Zellen gebunden, wobei der Wimpertrichter immer ungefärbt bleibt. Führt man blaue Lakmustinktur ein, so werden auch die Segmentalorgane rot und zwar ziemlich intensiv, was auf einen be- deutenden Säuregehalt hinweist. Der Zusatz des Ammoniaks macht dieselben sogleich tiefblau, was also einen vollständigen Beweis liefert, dass wir es hier mit einer sauern Reaktion zu schaffen haben. Die Einspritzung der Mischung von karminsaurem Ammon und Indigokarmin führt zu einer Rotfärbung der Segmentalorgane in der- selben Weise, wie es auch bei reinem Karmin geschah; das Indigo- karmin wird meistens von den Blutkörperchen aufgenommen, und zum Teil färbt es in jedem Segmente besondere Organe, welche an der Rückenseite der Segmente liegen und aus drüsenartigen Zellen der Haut bestehen, unter denen man immer eine große Anhäufung der Blutkörperchen sieht. Die Stellen, welche so das Indigokarmin bei Nereis aufspeichern, sind auch an normalen Tieren zu sehen; dies sind Stellen mit Anhäufungen von braunen oder gelben Körpern, die in jedem Segmente und besonders in den hintern liegen. Diese Stellen nun speichern auch das Indigokarmin auf. Tötet man mit Alkohol eine so bearbeitete Nereide und spannt sie dann auf oder nimmt nur die Haut der Rückenseite, so gewinnt man ein Präparat, wo diese blauen Organe in jedem Segmente sich metamerisch wieder- holen und den Eindruck besonderer regelmäßiger Segmentarbildung machen. — Eine nähere Beschreibung derselben werde ich bei der ausführlichern Publikation geben. Was den Lumbrieus befritit, so sind seine Verhältnisse kompli- zierter, entsprechend dem viel kompliziertern Baue seiner Segmental- organe. Die Fütterungsversuche, die ich an demselben anstellte, wollten mir nicht gelingen, und dasselbe geschah auch Herın Kü- kenthal, welcher deshalb meint, dass die Segmentalorgane des Lumbricus das Karmin nicht ausscheiden. Die Einführung des Kar- mins in die Leibeshöhle beweist, dass es nicht so ist, und dass auch beim Lumdricus wie bei andern Anneliden die Ausscheidung des Karmins seitens der Segmentalorgane vor sich geht: aber nicht das ganze Segmentalorgan, sondern nur ein relativ kleiner Teil des- selben scheidet Karmin aus. Namentlich wenn wir die Zeichnung von Gegenbaur!) nehmen, so wird das Karmin durch den Teil des Rohrs ausgeschieden, welchen Gegenbaur in die dritte Schlinge verlegt (5) und mit dem Buchstaben d bezeichnet, oder mit dem Teile des Organs, welcher zwischen / und e liegt. In allen Seg- menten und viele mal habe ich diesen Versuch gemacht, und immer 1) C. Gegenbaur, Ueber die sogenannten Respirationsorgane des Regen- wurms. Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. 4, 8. 222, Taf. XII, Fig. 1. 7) Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane, nur dieser Teil des Segmentalrohrs schied Karmin aus. — Was das Indigokarmin betrifft, so kann ich noch niehts Genaueres sagen über die Art seiner Ausscheidung; in den Segmentalorganen findet man manchmal Krystalle dieses Farbstoffes, aber sie scheinen aus der Leibeshöhle, durch die Wimpern der Wimpertrichter eingeschwemmt zu sein; ich fand dieselben zerstreut an verschiedenen Stellen und dabei nicht konstant und nieht in allen Organen. — Dagegen ist die Karminabscheidung regelmäßig und genau an einen bestimmten Ab- schnitt gebunden. Die Chlorogenzellen schemen eine Rolle zu spielen bei der Aus- scheidung des Indigokarmins, wenigstens saugen dieselben ihn stark auf und werden dabei ganz grün; ihre gewöhnliche gelbe Farbe, ver- mischt mit der blauen Farbe des Indigokarmins, gibt diese mittlere Färbung. Die Blutgefäße werden auch öfters ganz blau, als ob sie injiziert wären. Bei Einführung von blauer Lakmustinktur findet man, dass derselbe Teil des Segmentalorgans, weleher Karmin abscheidet, von Lakmus rot wird, aber auch in einer andern Abteilung und auch in der breiten äußersten Schlinge, welche von Gegenbaur Muskelschlauch a’ a“ genannt wird, findet man eine rötliche Flüssigkeit, welche bei Ein- wirkung von Alkali blau wird. Von den andern Anneliden wurden von mir Aphrodite und Po- /ynoe aculeata untersucht, wobei ich die oben angeführte Flüssigkeit einspritzte. Karminsaures Ammon und Lakmus gaben eine rote Färbung der Segmentalorgane; Indigokarmin wurde von denselben nicht aufgenommen. Weiter untersuchte ich mehrere von den sogenannten Annelida sedentaria, bei denen die Segmentalorgane aus wenigen Paaren be- stehen und in Form von größern Schlingen in der vordern Abteilung des Körpers liegen. Ich kam bei denselben noch zu keinen ganz be- stimmten Resultaten. Einige von den Gephyreen wurden auch untersucht, und diese Gruppe scheint mir ein sehr wertvolles Material für solche Art der Untersuchung zu geben. Ich hatte ziemlich ungünstige Objekte, nämlich einige kleine Bonellien und Phascolosoma und eine größere Zahl von Aspidosiphon strombi. Bei Phascolosoma und Aspidosiphon färbten sich bei der Einspritzung von Indigokarmin und Karmin die beiden Exkretions- resp. Segmentalorgane ins Blaue, obgleich die Färbung nicht besonders intensiv war; rot wurden die Zellen, welche den Hinterdarm seitens der Leibeshöhle bedecken resp. das Peri- toneum. Da aber Aspidosiphon einen großen Wimpertrichter besitzt, so drangen durch denselben auch verschiedene Zellen aus der Leibes- höhle, sowohl solehe, die Indigokarmin, als auch solche, die Karmin aufgenommen hatten, und machten die Reaktion etwas unrein. Bei Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Rs Einführung von Lakmus färbten sich ins Rote die Zellen, welche den Hinterdarm von der Leibeshöhle aus bedecken, resp. dieselben, welche Karmin aufnahmen. — Die Bonellien, die ich untersuchte, waren ziemlich schwach und lebten nicht lange nach der Einspritzung, jedoch konnte ich mit einiger Gewissheit die saure Reaktion der Zellen auf den sogenannten kiemenartigen Anhängen des Hinterdarms erkennen. Die Wimpertriehter selbst blieben immer ungefärbt, und nur die darunterliegenden Zellen nahmen Karmin auf und wurden von Lakmus rot, obgleich auch diese beiden Reaktionen schwach ausgeprägt waren. Sipunculus nudus wäre für solehe Arten von Untersuchungen ein höchst geschätztes Objekt gewesen, ich konnte mir aber kein einziges Exemplar verschaffen. Hirudineen. Von den Hirudineen wurden unsere einheimischen Clepsine, Ne- phelis und Hirudo untersucht: bei den zwei ersten Genera fand ich, dass das Karmin von den Zellen der knäuelförmig verflochtenen Gänge der Segmentalorgane aufgenommen und ausgeschieden wurde. Es färbten sich auch ins Rote einige im Körper zerstreute Zellen. Das Indigokarmin färbte wie bei den Regenwürmern die Blutgefäße oft ins Blaue; auch färbten sich ins Blaue die Muskeln und die in der Leibeshöhle zerstreuten Zellen. Die meisten von den letzten aber nahmen Karmin auf. Es fanden sich bei Olepsine zerstreut im Parenchym eine große Zahl von hellgelben Zellen, die weder Indigo- karmin noch Karmin aufnehmen. — Die Verhältnisse bei "den Hirudineen sind sehr verwickelt, und ich konnte dieselben noch nicht näher aufklären. Echinodermen. Von den Echinodermen wurden Versuche mit Asteriden, nämlich Astropecten aurantiacus und A. pentacanthus, und Echiniden, Eehinus microtuberculatus und Strongylocentratus lividus angestellt. — Bei Astropeeten habe ich die Einspritzungen in zweifacher Weise vorgenommen: erstens wurde ein Ambulakralfüßchen eingestochen und durch dasselbe die Flüssigkeit in das Wassergefäßsystem einge- führt; die Einspritzung gelingt bei größern Tieren sehr leicht und die Astropecten leben nachdem sehr gut. Zweitens wurden die Ein- spritzungen auch in die Leibeshöhle vorgenommen. — Bei der Einspritzung des Karmins wurde das ganze Ambulakral- system rot; nach Verlauf von ein oder zwei Tagen aber begann diese Rötung zu verschwinden, wobei von den innern Organen die Tiede- mann’schen Körperchen mebr oder weniger tiefrot wurden. Bei der Untersuchung der dieselben zusammensetzenden Zellen zeigte sich, dass die im Innern der Drüse liegenden Zellen (vergl. dabei die Beiträge 2, & R > ; s Ä (4 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. zur Histologie der Echinodermen von Ö. Hamann. Asteriden. Heft 2, 1885, Taf. V, Fig. 47 u. 48) mit großen Körpern von Karmin erfüllt sind, aber auch von allen übrigen, die Wandungen dieser Drüsen zusammen- setzenden Zellen enthielt fast jede ein Karminkörperchen. — Indigo- karmin habe ich in denselben nieht nachweisen können. — Die Reak- tion mit Lakmus war nicht ganz deutlich. Diese Zellen aber nehmen sehr energisch Bismarekbraun ein, und solche mit Bismarckbraun imprägnierte Zellen fand ich in größern Mengen auch auf der Ober- fläche der Tiedemann’schen Drüse, was an ein Austreten dieser Zellen aus dem Wassergefäßsystem in die Leibeshöhle denken ließ. An denselben Asteriden, bei denen die Tiedemann’schen Körper schön rot gefärbt wurden, also bei Einspritzung in die Ambulakral- füßchen, untersuchte ich auch das sogenannte Herz oder, wie es Ha- mann nennt, „das Organ des schlauchförmigen Kanales“. Dies Organ und seine Zellen blieben dabei ganz ungefärbt, auch bei allerstärkster Ueberfüllung des Wassergefäßsystemes mit Farbstoff. Die Einspritzungen in die Leibeshöhle haben keine bestimmten Resultate ergeben, wobei aber doch einige mal bei der Einspritzung von Karmin und Lakmus die schlauchförmigen Organe die rötliche Farbe annahmen. — Die Tiedemann’schen Körper aber wurden nie bei den Ein- spritzungen in die Leibeshöhle gefärbt. — Bei den Echiniden konnte ich die gefärbten Flüssigkeiten nur in die Leibeshöhle einspritzen, wobei, wenn die Tiere einige Tage noch lebten, bei mehrern von denselben das drüsige Organ, welches neben dem Steinkanal liegt, die sogenannte ovoide Drüse von Köhler, sich dicht mit Karmin imprägnierte. Die Tiedemann’schen Körper der Echiniden färbten sich dabei nie; die Einspritzungen in das Wassergefäßsystem sind mir nicht ge- lungen. Wenn wir diese Beobachtungen an den Echinodermen zusammen- fassen, so scheinen die Tiedemann’schen Körper als Exkretions- organe des Wassergefäßsystems und das sogenannte Herzresp. die ovoide Drüse als Exkretionsorgan der Leibeshöhle zu fungieren; beide Organe scheinen dieselbe Reaktion zu haben, welche den Segmentalorganen der meisten Anneliden entspricht, d. h. Karmin abzusondern und eine schwache saure Reaktion zu haben. — Ontogenetisch wäre dieses Resultat eigentlich ganz begründet, da das Wassergefäßsystem nur ein sehr früh abgeschnürter Teil der Leibeshöhle ist. — Bei den Echiniden habe ich deutlich Kontraktionen der ovoiden Drüse gesehen; wenn es auch keine regelmäßigen Pulsationen waren, so waren es doch wiederholte Zusammenziehungen des ganzen Organs. =! wa Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Aseidien. Von den Aseidien wurden die in Sewastopol häufigen Ascidia (Phallusia) mentula und eine Art von Molgula untersucht. Die Phallusia mentula, welche in Sewastopol sich findet, ist in der Beziehung sonderbar gebaut, dass alle ihre Organe in einer Stroma liegen, die aus einer Anzahl von Bläschen besteht, in denen abgerundete Konkremente liegen. Diese Bläschen mit Konkrementen ziehen sich zu den Seiten des Kiemensackes fast bis zur Mitte des- selben, liegen aber hier einzeln isoliert. Sie sind von verschie- dener Größe, und man findet jüngere, die nur aus einigen Zellen bestehen und im Innern nur ein kleines, mit klarer Flüssigkeit er- fülltes Lumen haben, bis zu solehen, die schon mit freiem Auge sichtbar sind und größere, braune, zusammengeklebte, rundliche Kon- kremente enthalten. — Wird der Aseidia mentula Indigokarmin eingespritzt, so lagern sich in den Sekretbläschen, um die schon vorhandenen Konkremente, Krystalle des Indigokarmins ab, ganz in der Weise, wie sich dieselben bei den Mollusken um die Konkremente des Bojanus’schen Organs ablagern. — Die Rolle des mit dem Indigokarmin eingespritzten Karmins auf- zuklären ist mir nicht gelungen; viele Blutkörperchen und Muskeln färbten sich ziemlich intensiv rot, aber ich fand keine bestimmten Karmin aufspeichernden Organe. — Bei der Mo/gula findet man bekanntlich einen großen Harnsack, der neben dem Herzen liegt; die Wandungen des Harnsackes be- stehen aus kleinen Zellen, welche die Konkremente in das Lumen ab- scheiden; diese Konkremente liegen im Harnsacke ganz lose, und wenn man die Mo/gula hin und her senkt, so fallen auch die Konkremente auf die entsprechende Seite, wie Sand in einem mit Wasser gefüllten Gefäße. — Wird der Mo/gula Indigokarmin 4 Karmin eingeführt, so wird der Indigokarmin von den Wandungen des Harnsackes aufge- nommen und abgeschieden, in demselben Lumen, wo die Konkremente liegen. — Die Art der Karminabscheidung konnte ich nicht bestimmen. Somit besitzen die Ascidien Organe, welche den Harnkanälchen der Wirbeltierniere physiologisch entsprechen. Es ist vorauszusetzen, dass die bei den Ascidien so verbreitete Hypo- physis die Ausscheidung des Karmins ausführen müsste, und in diesem Falle hätten auch die Aseidien die beiden die Nierenorgane zusammen- setzenden Teile resp. die drüsige Partie mit den sauer, die andere mit den alkalisch-reagierenden Zellen, wie fast alle untersuchten Tiere. — Es ist mir noch nicht gelungen, das zu beweisen; jeden- falls aber zwingen uns die so stark entwickelten Harnkonkremente absondernden Organe der Ascidia (Phallusia) mentula und Molgula, 76 Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. welche Indigokarmin abscheiden, resp. nur alkalisch -reagierende Zellen besitzen, für die Rolle der Malpighi’schen Körperchen der Wirbeltierniere oder Endbläschen der Crustaceenniere andere Or- gane zu suchen, und vielleicht ist die Hypophysis diese zweite Hälfte der Nierenorgane, da auch schon längst von Julin!) die Hypophysis der Ascidien als Kopfniere überhaupt gedeutet wurde. Da wir aber eine echte Niere, d. h. eine Harnkonkremente ab- sondernde Abteilung der Niere schon haben, entsprechend dem Bojanus’schen Organe der Mollusken, so können wir in der Hypo- physis nur den uns fehlenden Teil suchen, welcher dem Endsäckchen der Crustaceen, den Perikardialdrüsen der Lamellibranchiaten und dem Malpighi’schen Körperchen der Wierbeltierniere entspricht. — Diese Untersuchungen sind noch bei weitem nicht abgeschlossen. In dem Bismarckbraun habe ich noch ein wichtiges Reagens für das Endbläschen gefunden, konnte dasselbe aber noch nieht auf alle Objekte ausprobieren. Da aber der Umfang der Arbeit die Kräfte eines Einzigen bedeutend übersteigt, so hielt ich es für besser, selbst die noch unvollständigen Untersuchungen zu publizieren, um vielleicht auf diese meiner Ansicht nach vielversprechende Methode die Auf- merksamkeit der Forscher zu lenken, besonders wenn man dieselbe auf die Larven und deren Metamorphose anwendet. (Ein Nachtrag folgt.) Bericht über eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel. Von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. (Fortsetzung statt Schluss.) VIlI. Vergleichende Studien. Zu solchen bietet A. Brandt’s Aufsatz im „Zool. Anzeiger“ von 1879 (Nr. 39) über die Durchforschung armenischer Alpenseen in erster Linie Material dar. Der Genannte untersuchte unter andern auch den Goktschai, einen See von riesigen Dimensionen, welcher 1904 m ü. M. liegt und vulkanischen Ursprungs ist. In diesem fand er eine niedere Fauna vor, welche unverkennbare Aehnlichkeit mit derjenigen des Laacher Sees zeigt. Es fanden sich Cladoceren, Cy- clopiden, Cypris- Arten und Gammarus pulex; ferner Hydrachniden und Würmer (Nephelis, Olepsine, Naidinen), ebenso Mollusken (Lim- näen, Pisidien) und eine Form von Spongilla. Dazu kam auch noch eine rötliche Hydra, welche an Leydig’s Fund im Pulvermaar er- innert. Leptodora hyalina wurde vermisst. 4) Ch. Julin, Recherches sur l’organisation des Ascidies simples. Arch, de Biologie, Vol. II, 1881. Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 77 Von ganz besonderem Interesse sind für uns aber die Resultate, welche Prof. Jules Richard (Paris) bei einer neuerdings (1887) vorgenommenen Untersuchung von fünf Kraterseen in der Auvergne erhalten hat!). Aus der betreffenden Abhandlung ist zu ersehen, dass in jenen Wasserbecken nicht nur Cladoceren und Copepoden, sondern auch Hydrachniden, Rädertiere und Cilioflagellaten zugegen waren. Ich teile nachstehend das Verzeichnis der einzelnen Species mit, welches Prof. Richard mir zu übersenden die Güte hatte. Wassermilben: Atax crassipes OÖ. Fr. M.; Axona versicolor OÖ. Fr. M.; Nesaea reticulata Kram.; Nesaea rotunda Kram. Krebstiere: * Daphnia longispina Leydig; Hyalodaphnia cucullata Sars var. apicata Kurz; Polyphemus pediculus de keer; * Daphnella Brandtiana Fischer; * Holopedium gibberum Zaddach; Sida cristallina OÖ. Fr. M.; * Ceriodaphnia pulchella G. O. Sars; * Bosmina longirostris OÖ. Fr. M.; Alona affinisLeydig; Acroperus leucocephalus Koch; Chydorus sphaericus Jurine; * Diaptomus eoeruleus Fischer; * Oyelops strenuus Fischer; Cyelops eoronatus Claus. Würmer (Rädertiere): * (onochtlus volvox Ehrb.; #* Asplanchna helvetica Imhof; * Asplanchna Girodi de Guerne; Anuraea eurvicornis Ehrb.; Anuraea cochlearis Gosse; * Anuraea longispina Kellie. Urtiere: Veratium longicorne Perty. * Die Mitglieder der pelagischen Fauna sind hier gleichfalls mit einem Sternchen (*) bezeichnet worden. Von den angeführten 25 Arten kommen 12 auch in den Maaren der Eifel vor, und es verdient wiederholte Erwähnung, dass Cyelops strenuus hier ebenso wie in den Auvergne-Seen außerhalb der Ufer- zone, im freien Wasser, zu finden war. Manche Species scheinen sich gleich gut für das Leben in kleinen Tümpeln, wie für den Aufent- halt in großen Seebecken zu eignen. Dies ist, nach Jules Richard’s Beobachtung, auch mit Diapt. castor der Fall, den ich in Nord- und Mitteldeutschland bisher nur als Lachenbewohner antraf, während ihn der genannte französische Forscher im Lae Pavin aus der pelagischen Region fischte. Die Anwesenheit von Leptodora hyalina war trotz aller Bemühungen für keinen der fünf Auvergne-Seen nachzuweisen. Wie in der Eifel, so scheint diese Species auch im Bezirk des Mont-Dore, wo Professor Richard seine Forschungen anstellte, vollständig zu fehlen. Das war im Sommer 1887. 1) J. Richard, Sur la faune pelagique de quelques lacs d’Auvergne. Compt, rendus des Scances de l’Acad&mie des Sciences 1857 (Novembre). 78 Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. Zu derselben Zeit etwa untersuchte Dr. Jules de Guerne, ein anderer französischer Zoolog, mehrere Kraterseen auf den Azori- sehen Inseln, über deren niedere Fauna bisher so gut wie nichts bekannt war. Aus seinem Berichte !) ist zu entnehmen, dass auch auf diesen weit draußen im Ozean gelegenen Eilanden eine pelagische Tierwelt — freilich nur aus wenigen Repräsentanten bestehend — konstatiert werden konnte. Im Lagoa grande auf San Miguel (der ungefähr die Größe des Laacher Sees besitzt und auch beinahe so tief ist) fanden sich außer Daphnella brachyura Lievin die pela- gischen Rotatorienformen Asplanchna Imhofi de Guerne und Peda- lion mirum Hudson vor, untermischt mit Exemplaren von Chydorus sphaericus Jur. und Oyelops viridis Fischer. Dagegen scheint Lep- todora hyalina in diesem und in allen übrigen azorischen Wasser- becken zu fehlen. Im Schlamm des Lagoa grande ließen sich noch zahlreiche Exemplare von Difflugia pyriformis Perty und die An- wesenheit einer winzigen Turbellarie (Mesostoma viridatum M. Sch.) nachweisen. In einem kleinern See auf Fayal (500 m üb. M.) war nichts von einer pelagischen Fauna zu spüren. Dagegen wimmelte es von zahlreichen Bewohnern der Uferzone, hauptsächlich von Alona cos- tat« G. O.Sars und Chydorus sphaericus Jurine. Dazwischen zeigten sich auch Pleuroxus nanus Baird, Cyclops viridis Fischer, eine Species von Canthocamptus und Uypris virens (?) Jurine. Dr. de Guerne sammelte auch einige Arten von Wassermilben; dieselben sind jedoch noch nicht bestimmt worden. Der nämliche See enthielt in der Uferregion Nais elinguis OÖ. Fr. M. und von be- schalten Rhizopoden Arcella vulgaris, Centropyxis aculeata Ehrb. und andere Difflugien. Kleine Wasserkäfer, Insektenlarven und eine Species von Pisidium waren auch vorhanden. Neuerdings (Sommer 1888) hat M. de Guerne seine Exkursionen auf den Azoren fortgesetzt und hauptsächlich Kraterseen auf den Inseln Pieo und Flores untersucht. Die neu gewonnenen Ergebnisse sind noch unpubliziert, aber Dr. de Guerne hat mir auf mein Er- suchen einige nähere Mitteilungen darüber gemacht, die ich an dieser Stelle verwerten darf. Darnach ist Daphnella brachyura die vor- herrschende Form (type dominant) in der pelagischen Fauna der Azoren. In manchen Wasserbecken existiert sie so massenhaft, dass es möglich wäre, in einer einzigen Stunde mehrere Liter davon mit dem Handnetz zu erbeuten. Daneben treten als tychopelagische Species fast überall Chydorus sphaericus und Pleuroxus nanus auf. In der pelagischen Zone des Lagoa funda auf Flores fischte Dr. de Guerne am 2. August 13838 Daphnella brachyura in großen 1) 7 ‚de Guerne, Excursions zoologiques dans les iles de San Miquel et Fayal (Acores). Paris 1388. Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 79 Mengen zugleich mit zahlreichen Exemplaren des Brachionus pala Ehrb. In der Tiefe desselben Sees wurde das Vorhandensein einer üppigen Vegetation von Diatomeen und Desmidiaceen entdeckt. In einem andern See der Insel Flores (Lagoa raza da Lumba) befand sich Daphnella brachyura in Gesellschaft einer Anuraea (brevi- spina ?), und machte mit dieser zusammen die ganze pelagische Fauna aus. Asplanchnäen fand de Guerne in den Wasserbecken der genannten beiden Inseln (Flores und Pico) nicht. Betrefis der An- wesenheit von Cilioflagellaten daselbst konnte ich noch keine Auskunft erhalten, weil das mitgebrachte Material erst in nächster Zeit eingehend untersucht werden soll. Sind die vorstehend mitgeteilten Ergebnisse auch sehr fragmen- tarisch, so lässt sich doch so viel aus ihnen entnehmen, dass die nie- dere Tierwelt aller isoliert gelegenen Wasserbecken eine gewisse Gleiehförmigkeit in ihrer Zusammensetzung aufweist, die von dem geologischen Charakter des Terrains, in welchem die betreffenden Seen gelegen sind, ganz unabhängig ist. Es spielt dabei nur die Fähigkeit der Tiere eine Rolle, aktiv oder passiv wandern zu können. Die Anwesenheit von Wasserkäfern und Wasserwanzen in einem hochalpinen See oder isoliert gelegenen Maar erscheint uns nicht rätselhaft, weil wir wissen, dass diese Insekten rasch und an- dauernd zu fliegen vermögen. Sie wandern aus eigner Initiative von einem Wasserbecken zum andern und bedürfen keines Vermittlers zu einer Ortsveränderung. Dagegen liegt die Art und Weise, wie ein isoliertes Wasserbecken mit Rotatorien, Urustaceen und Protozoen bevölkert wird, nicht so klar auf der Hand, obgleich es a priori feststeht, dass diese Tiere an den Lokalitäten, wo wir sie vorfinden, nicht entstanden sein können, sondern lediglich durch Verschleppung, resp. passive Wanderung, ihren neuen Wohnplatz erworben haben müssen. Für solche Translozierungen sind zweifellos die umher- schweifenden Schwimmvögel, die an ihrem Gefieder die Eier solcher Organismen (oder letztere selbst) aus dem Wasser mit fort- nehmen, verantwortlich zu machen, während der Wind wohl haupt- sächlich bei der Fortführung von encystierten Protozoen auf weite vertikale oder horizontale Strecken hin in betracht kommt. Hieraus wird ersichtlich, dass die Laune des Zufalls bei der geographischen Verbreitung der mikroskopischen Tiere (und Pflanzen) einen bestim- menden Einfluss ausübt. Es darf uns daher nicht verwundern, wenn benachbarte Wasserbecken in betreff ihrer niedern Fauna nicht selten erheblich differieren, wogegen weit von einander entfernte in der- selben Hinsicht oft überraschende Aehnlichkeiten zeigen. Ss0 Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. Tritt das gesetzmäßig Erfassliche unter diesen Umständen in der räumlichen Verteilung vieler niederer Süßwasserorganismen zurück, so macht es sich doch wieder in den merkwürdigen Anpassungen geltend, welche bei fast allen solchen Wesen, die durch passive Wan- derung verbreitet werden, zu entdecken sind. Natürliche Auslese hat hier offenbar unermessliche Zeiten hindurch gewirkt, und diejenigen Abweichungen im Bau sowohl wie im physiologischen Verhalten summiert, durch welche einzelne Gattungen und Arten von vornherein zu passiver Migration besser disponiert waren, als andere. Eins der interessantesten Resultate dieses Züchtungsprozesses liegt in den Ver- tretern jener Fauna vor uns, welche den Grundstock der Bewohner- schaft hoch und isoliert gelegener Seen bilden, in die sie lediglich durch Import aus einem schon damit bevölkerten Wasserbecken ge- langen konnten, aber niemals durch aktive Einwanderung. Zu diesem Grundstock gehören außer zahlreichen Protozoen hauptsächlich Rädertiere, Crustaceen und Mollusken. Repräsentanten dieser Tiergruppen werden, wie sich aus den sehr umfassenden Forschungen Imhof’s und auch aus meinen eignen Wahrnehmungen in verschie- denen Teilen Deutschlands ergibt, am häufigsten von See zu See verpflanzt. In einem Schlusskapitel soll an einigen Beispielen gezeigt werden, dass das Vermögen zu passiven Wanderungen wirklich durch spezielle Einrichtungen in der Organisation mancher Tiere hochgradig gesteigert wird. Man muss wohl, wie ich schon oben aussprach, an- nehmen, dass bei allen diesen Erwerbungen Zuchtwahl ins Spiel kam. (Schluss folgt.) Ueber den Zweck der Ausscheidung von freier nl säure bei Meeresschnecken. Von Dr. Richard Semon in Jena. Angeregt durch die Stahl’schen Untersuchungen über die Schutz- mittel der Pflanzen gegen Tierfraß) unternahm ich im Herbste vorigen Jahres an der zoologischen Station zu Neapel eine Anzahl gleich- laufender Versuche, die darauf abzielten, ähnliche Schutzvorrichtungen bei Tieren gegen die Angrifie anderer Tiere aufzufinden. Man kann die Schutzvorrichtungen bei Tieren wie bei Pflanzen in zwei Hauptgruppen einteilen, in chemische und mechanische Schutz- mittel. Die augenfälligsten dieser Einrichtungen sind in beiden orga- nischen Reichen längst als solche erkannt worden, so zum Beispiel der giftige Saft vieler Pflanzen, das giftige Hautdrüsensekret der Kröten und Salamander, die Dornen und Stacheln der Aloe- und Cactus-Arten, die Panzer und Gehäuse zahlreicher Tiere. 1) E. Stahl, Pflanzen und Schnecken. Jen, Zeitschrift f. Naturw., Bd. 22. (Siehe auch das Referat über diese Arbeit von Prof. F. Ludwig in dieser Zeitschrift, VII. Bd., S. 481.) Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. S1 Dass man aber die Verbreitung derartiger Schutzmittel weit unter- schätzt und viele Einrichtungen im Pflanzenkörper, die in hervor- ragendem Maße Schutzfunktionen ausüben, bisher ganz missverstanden hat, hat Stahl an zahlreichen und überzeugenden Beispielen nach- gewiesen. Es ist an und für sich sehr wahrscheinlich, dass eine genauere Untersuchung der Tiere in dieser Richtung und von diesem Gesichts- punkt aus ähnliche Resultate erzielen wird. Zwar besitzen die Tiere im allgemeinen in ihrem Bewegungsvermögen, welches sie zur Flucht und zur Verteidigung anwenden können, ein vielgestaltiges Schutz- mittel, welches den Pflanzen durchaus mangelt. Aber auch viele Tiere sind an den Boden festgeheftet oder in ihren Bewegungen so langsam, dass sie ihren Feinden eine wider- standslose Beute sein würden, besäßen sie nicht anderweitigen Schutz. Als solcher springt der Besitz eines Panzers, eines Gehäuses, die Armierung mit Batterien von Nesselkapseln ete. sofort in die Augen. Wie steht es aber mit den scheinbar wehrlosen Ascidien, mit den zahl- reichen Nacktschnecken und Gephyreen und andern unbewehrten und ungepanzerten Geschöpfen? Eine solitäre Aseidie, Ciona intestinalis, hat sich im Neapeler Aquarium in sämtlichen Bassins angesiedelt. Sie scheint ganz schutzlos zu sein, muss aber chemisch so stark geschützt sein, dass sich kein Geschöpf an ihr vergreift. Manche Nacktschnecken können Gifte (Ap/ysia) und Säuren ausspritzen; ihr Fleisch ist daneben aber noch so stark chemisch geschützt, dass, wenn man nach ihrem Tode ihr Fleisch in unverändertem, unausgelaugtem Zustande andern sogenannten omnivoren Tieren gibt, dasselbe von fast allen zurück- gewiesen wird. Es wäre leicht, noch zahlreiche andere Beispiele an- zuführen. Da mich von Anfang an die mechanischen Schutzmittel besonders interessierten, habe ich ihnen vorwiegend meine Aufmerksamkeit zu- gewandt und mannigfache Versuche in dieser Riehtung angestellt — wie ich gleich sagen will, ohne zu schließenden Resultaten gelangt zu sein. Zwar hatte ich es insofern leicht, als ich die von Stahl fertig ausgebildeten, ebenso sinnreichen als einfachen Methoden schon vor- fand. Derartige Untersuchungen lassen sieh aber nicht in ein paar Monaten zum Abschluss bringen, zumal das Experimentieren mit Meerestieren im beschränkten Raume kleiner Aquarien besondere Schwierigkeiten mit sich bringt. Es interessierte mich besonders, die Funktion der in der Haut vieler Tiere zerstreuten Spieula zu ermitteln, deren Vorkommen in solchen Fällen unerklärlich scheint, wo sie so spärlich und zerstreut auftreten, dass eine Stützfunktion entschieden auszuschließen ist. Als besonders markante Beispiele führe ich an: aus der Klasse der Cölenteraten Alcyonium, aus der der Echinodermen die Holothurien, IX, 6 89 Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. besonders die Chirodoten, aus der Klasse der Aseidien Didemnunn. Diese Beispiele ließen sich vermehren; besonders ist beinahe die ganze Klasse der Schwämme durch den Besitz derartiger zerstreuter Spieula ausgezeichnet. In letzterer Klasse kommt es indess häufig zu einer so massenhaften Anhäufung von Spicula, dass hier meisten- teils eine Stützfunktion nicht mehr auszuschließen ist, es sogar in den ausgeprägtesten Fällen (Hexaetinelliden) zur Bildung eines zusammen- hängenden Skelets kommt. Auch das Skelet der Seesterne, Seelidien und Seeigel nimmt, wie die Entwieklungsgeschichte lehrt, von zerstreuten drei- oder vier- strahligen Kalknadeln seinen Ausgang. Ich bemühte mich nun nachzuweisen, dass jene zerstreuten Spieula, die weder die Körperwände stützen können noch auch Muskeln zum Angriffspunkt dienen, Schutzfunktionen ausüben, indem ich Fütterungs- versuche ohne Entfernung der Spieula und nach Entfernung derselben anstellte. Natürlich konnte ich mich bei diesen Versuchen nur soleher Formen bedienen, die Kalkspieula besitzen. Letztere lassen sich leicht durch Säuren auflösen; Konkretionen aus Kieselsäure lassen sich dagegen nicht ohne Zerstörung der organischen Teile, die ja nachher verfüttert werden sollen, beseitigen. Diese Versuche haben, wie gesagt, noch keine abschließenden Resultate ergeben; vor allem deshalb nicht, weil, wie ich erst ganz zuletzt entdeckte, viele der benutzten Objekte neben ihrem mechani- schen auch noch chemische Schutzmittel besitzen. Letztere müssen wenigstens manchen Tieren gegenüber erst beseitigt werden, ehe die Nahrung für jene genießbar wird. Eine derartige Häufung der Schutz- mittel ist auch von Stahl bei Pflanzen beobachtet worden. Sie er- schweren und komplizieren die Versuche. Meine Versuche im einzelnen will ich nicht ausführlich berichten, da die Ergebnisse noch nicht klar und eindeutig genug sind. Um derartige Resultate zu erhalten, muss die Untersuchung eben durch einen langen Zeitraum hindurch fort- gesetzt werden. Ich hoffe also, dass mein so leicht erklärlicher Miss- erfolg nicht andere Forscher abschrecken wird, den interessanten Gegenstand weiter zu verfolgen. Meine Untersuchungen hatten aber in einer scheinbar zunächst ganz abliegenden Richtung ein Ergebnis, das eine interessante und viel diskutierte Frage der Biologie betrifft. Sehon längst ist bekannt, dass sehr häufig in dem Maße, als ein Organismus sich mit Schutzmitteln versieht und die Stärke dieser Mittel steigert, ganz in gleichem Schritte einer oder der andere Ver- folger dieses Organismus, der auf ihn als auf seinen Unterhalt mehr oder weniger vollständig angewiesen ist, seine Angriffswaffen steigert, dieselben den verstärkten Schutzmitteln anpasst. Eine solche An- passung, die man treffend auch als Gegenanpassung, Contre-Adaption, bezeichnet hat, kann in vermehrter Unempfindlichkeit gegen Gifte, in Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. 85 Gleichgiltigkeit gegen einen Geschmack, der den meisten andern Lebewesen unangenehm ist, ja in Vorliebe für einen solchen, in Ver- stärkung der Kraft uud Schärfe der Kauwerkzeuge seinen Ausdruck finden. Diese Anpassung kann so weit gehen, dass ein Tier in seinem Geschmacksbedürfnis oder seiner Bewaffnung schließlich so einseitig ausgebildet ist, dass es sich nur noch von der Gruppe derjenigen Organismen ernähren kann, deren Schutzmittel die einseitige Aus- bildung seiner Angriffswafien oder seines Geschmacks verursacht haben. Stahl bezeichnet derartig einseitig an gewisse Nahrungsobjekte an- gepasste Tiere als Spezialisten. Von der höchsten Stufe des Spezia- lismus, wie wir sie bei manchen Raupen finden, die nur noch von einer Pflanzenart zu leben im stande sind, bis zu den sogenannten omnivoren Tieren finden sich alle Uebergänge. Während meiner Experimente in Neapel über die Bedeutung der Kalkspieula als Schutzmitttel machte mich nun Herr Salvatore Lo Bianco, als ich mit ihm die Erscheinung des Spezialismus besprach, darauf aufmerksam, dass manche Meeresschnecken, so Dolium und Tritonium, vielleicht Spezialisten für durch Kalkspieula geschützte Tiere seien, da schon mehrfach in Neapel beobachtet worden war, dass sie beim Abtöten Holothurien in halbverdautem Zustande aus- geworfen hatten. Einer weitern Untersuchung waren jene ausge- worfenen Holothurien nicht unterzogen worden. Uebrigens war früher auch schon von Panceri beobachtet worden, dass Meeresschnecken Tiere fressen, deren Gewebe von Kalkspieula durchsetzt sind. So hatte Panceri im Magen eines Pleurobranchus testudinarius ein Didemnum!), im Oesophagus und Proventrieulus von Dolium galea kleine Holothurien wie Phyllophorus, Bruchstücke von Bryozoen, Spi- cula von Kalkschwämmen gefunden?). Er hatte aus diesen Funden aber ganz andere Schlüsse gezogen, als, wie ich nachzuweisen ver- suchen werde, aus ihnen zu ziehen sind. Ich versuchte nun, die erwähnte Frage experimentell zu lösen, indem ich meinen Versuchen sehr enge Grenzen steckte und vorwiegend die biologische Seite berücksichtigte. Die weitere Ausführung be- sonders in physiologisch-chemischer Beziehung muss einem in diesem Fache geschulten Forscher überlassen bleiben. Ich will nun zunächst meine Experimente oder einfacher gesagt Fütterungsversuche kurz schildern, dann die einzelnen Punkte analy- sieren. In das große Bassin, das im Neapeler Aquarium von Dolum galea, Tritonium nodiferum, Aplysia und Pecten bewohnt wird, brachte ich ein großes Exemplar von Holothuria Poli. Dasselbe maß in aus- 1) P. Panceri, Ricerche sugli organi che nei gasteropodi segregano l’acido solforico. 1868. 2) P.Panceri, Gli organi e la scerezione dell’ acido solforico nei gastero- podi. Atti della. R. Accademia delle seienze fisiche e matematiche. Vol. IV. 1869. 6* 84 Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. gestrecktem Zustande 21 cm. Eine halbe Stunde später hatte ein Tritonium nodiferum von 28 cm Länge das Tier etwa 5 em unterhalb des Vorderendes gepackt und begann es trotz seiner verzweifelten Fluchtversuche langsam zu verschlingen. Nach 10 Minuten nahm ich der Schnecke die noch vollständig lebenskräftige Holothurie ab. In dem Bereich, innerhalb dessen die Holothurie gepackt und teil- weise in den Rüssel der Schnecke hineingezogen war — es war ein Stück von ungefähr 4 em im Umkreis — war die Epidermis und die oberflächlichern Lagen der Outis zerstört, die Kalkplatten lagen in großer Menge entblößt. Halbzerstörte Kalkplatten konnte ich nicht auffinden, ein Umstand, der nachher erklärt werden soll. Die Holo- thurie wurde darauf wieder in das Bassin zurückgebracht; sie wurde bald darauf von einem andern Tritonium ergriffen und innerhalb von 4 Stunden verschlungen. Am nächsten Tage legte ich 2 große Exemplare von Asterias glacialis in denselben Behälter. Der eine Seestern wurde nach 10 Mi- nuten von einem Tritonium nodiferium ergriffen, der andere nach un- gefähr einer halben Stunde ebenfalls von einem Tritonium. Das ersterwähnte Tier war nach 3 Stunden vollkommen in das Innere der Schnecke aufgenommen. Der andere Seestern aber wurde langsamer verschlungen, und da dieser Fall genauer beobachtet wurde und er als Beispiel für zahl- reiche weitere Versuche dienen kann, will ieh ihn etwas ausführlicher beschreiben. Diese Asterias hatte einen Radius (von Scheibenmitte bis Arm- spitze gemessen) von 130 mm, also einen Durchmesser von 260 mm und ein Gewicht von 134 g. Das Tritonium, welches sie verschlang, besaß eine Schale von 295 mm Längsdurchmesser. In 4 Stunden war die Asterias in das Innere der Schnecke aufgenommen bis auf eine Armspitze, die noch nach 8 Stunden aus dem Rüssel der Schnecke herausragte. Am nächsten Morgen war auch diese Spitze verschwunden. Während der Aufnahme und der Verdauung, die etwa 24 Stunden in Anspruch nehmen dürfte, lagen die betreffenden Schnecken regungslos auf demselben Fleck. Die übrigen Schnecken kriechen aber von allen Seiten zu einem solchen Platze herbei, wo ein Echinoderm ergriffen und verzehrt wird. In einem Falle entriss ein größeres Tiritonium, das später hinzugekommen war, einem kleinern eine schon halb ver- schlungene Holothurie. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Schnecken durch den Geruchssinn zu ihrer Beute geleitet werden, und in der That hat auch für unsere Nase ein Seestern, den man zerbricht oder verletzt, einen eigentümlichen Geruch. Aus dem ganzen Verhalten der in dem Aquarium befindlichen, täglich mit anderer Nahrung (Fischen) reichlich versehenen Schnecken ging deutlich her- vor, dass Seesterne und Holothurien eine bevorzugte Speise für sie ausmachen. Eine allgemeine Unruhe bemächtigte sich der ganzen Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. 5 Gesellschaft. Dabei kamen übrigens die flinkern Tritonien den lang- sameren Dolien fast regelmäßig zuvor. Seeigel, die sich viel rascher von der Stelle bewegen können, als Seesterne und Holothurien, ent- kamen, soweit ich beobachtet habe, stets ihren Feinden. Um nun auf unsern Fall zurückzukommen, war am nächsten Morgen die Asterias im Innern der Schnecke verschwunden. Letztere hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Ich nahm die Schnecke und legte sie in einen Behälter mit sehr wenig Wasser, ein gutes Mittel um das Tier dahin zu bringen, den noch unverschluckten Mundinhalt auszu- werfen. Nach einer halben Stunde spie die Schnecke den Rest eines Seesternarmes aus, weiter nichts, weder an diesem noch auch an dem folgenden Tage, während dessen sie noch in dem kleinen Behälter ge- halten wurde. Diejenigen Schnecken, welche in dem großen Behälter gelassen wurden, spieen gar nichts aus. Bei einem Tritonium, dem 36 Stunden nach der Aufnahme eines Seesterns der Magen geöffnet wurde, fand sich derselbe vollkommen leer. Wie schon erwähnt, blieben die Tiere, wenn man sie ungestört ließ, während 24—36 Stun- den der Verdauung vollkommen unbeweglich an einer Stelle liegen. Untersucht man nach dieser Zeit den Platz genauer, so findet man eine Anzahl von weißglänzenden, harten Fragmenten, die größtenteils aus kohlensaurem Kalk bestehen. Ich habe diese Fragmente, denen keinerlei organische Bestandteile beigemischt waren, mehrmals sorg- fältig gesammelt. Ihr Gesamtgewicht schwankte zwischen 3 und 5 g. In einigen Fällen ließ sich noch ungefähr erkennen, dass diese Kalkstücke stark angegriffene Reste von Skeletelementen von See- sternen waren. In den meisten Fällen waren es aber nur minimale, undefinierbare Bröckchen. Der in dem vorherbeschriebenen Falle ausgeworfene Armrest wog 8g, also !/,- des Gesamtgewichts des betreffenden Seesterns. An seinem proximalen Ende war das Kalk der verschiedenen Platten größtenteils zerstört, so dass zwar die Form noch einigermaßen er- halten ist, derselben aber nur noch geringe Mengen von Kalkgerüst zu grunde liegen. Im distalen Ende, das die eigentliche Armspitze repräsentiert, ist das Kalkgerüst der Platten noch ziemlich gut er- halten, obwohl auch hie und da angegriffen. Die Stachel sind durch- weg zerstört, die Epidermis und oberflächlichen Bindegewebslagen sind entfernt. Das noch übrige organische Gewebe ist erweicht und hat seine Widerstandsfähigkeit verloren. Aehnliche Versuche habe ich auch mit andern Seesternen wie Astropecten, Echinaster, Ophidiaster, Luidia angestellt und immer dieselben Resultate erhalten. Selbst Exemplare von Asterias glacialis von gewaltiger Größe und von soleher Kraft, dass es für einen Menschen nicht leicht ist, sie von einer Unterlage, an die sie sich angeheftet haben, abzureißen, unterlagen widerstandslos ihren Feinden. Es fragt sich nun, welche Deutung wir den oben mitgeteilten Beobachtungen zu geben haben. 86 Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. Seit Troschel!) in Messina die Entdeckung machte, dass Dolium galea eine Flüssigkeit auszuspritzen vermöge, die außerordentlich reich ist an freier Schwefelsäure, ist diese merkwürdige Thatsache der Ausgangspunkt zahlreicher Untersuchungen gewesen. Drei Fragen waren es, die sich sofort den Naturforschern aufdrängen mussten: 1) Welches Organ produziert diese Säure? 2) Welche physiologisch-chemischen Vorgänge finden bei der Ausscheidung statt und ermöglichen die Bildung eines Stoffes, der sonst ganz allgemein in dieser Konzentration auf orga- nische Substanzen zerstörend wirkt? 3) Welches ist der Zweck der Ausscheidung? Die erste Frage ist eine morphologische, die zweite eine physio- logische, die dritte endlich gehört in das Gebiet der Biologie. Meine Beobachtungen haben allein auf letztere Frage bezug, und ich werde daher in den folgenden Auseinandersetzungen sie allein berücksichtigen. Zur Orientierung sei bemerkt, dass das saure Sekret in zwei großen Drüsenmassen erzeugt und aufgespeichert wird, die meist sym- metrisch zu den Seiten des Magens liegen. Die langen Ausführgänge führen nicht in den Magen, sondern sie steigen zu den Seiten der Speiseröhre empor und münden an deren Eingang rechts und links neben der Radula. Die Frage nach dem Zweck der Sekretion einer so starken Säure ist zwar von den meisten Autoren berührt worden, die in morphologi- scher oder physiologischer Beziehung über die Schwefelsäureausschei- dung der Schnecken gearbeitet haben. So viel mir bekannt geworden ist, hat aber nur Panceri in den beiden oben zitierten Arbeiten dieser Frage einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Was den Zweck der Ausscheidung anlangt, so wären vier ver- schiedene Möglichkeiten in betracht zu ziehen: 1) Die Säure dient den Tieren zum Einbohren in Kalkfelsen. 2) Die Säure dient als Verteidigungswaffe. 3) Die Säure ist ein Ausscheidungsprodukt des Körpers ähnlich wie der Harnstoff, hat also gar keine Funktion mehr zu erfüllen. 4) Die Säure ist bei der Verdauung beteiligt. Die erste Möglichkeit ist ohne weiteres auszuschließen, da keine der Schnecken, welche durch bedeutende Säureproduktion ausgezeichnet ist, oder auch deren nähere Verwandten in Felsen bohrt. Starke Säure- produktion fand Panceri bei folgenden Arten: von Prosobranchiern bei Dolium galea, Cassis sulcosa, Cassidaria echinophora, Tritonium 1) Troschel, Poggendorftf’s Annalen, Bd. 93, 1854, S. 614 oder Journal für prakt. Chemie, Bd. 63, 1854, S. 170; aus dem Monatsbericht der Berliner Akademie, 1854. Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. 87 nodiferium, T. hirsutum, T. corrugatum, T. eutaceum; von Opistho- branchiern bei Pleurobranchidium Meckelii, Pleurobranchus tubereulatus, P. testudinarius, P. brevifrons. Ferner wurden noch bei verschiedenen Murex- Arten Spuren von Schwefelsäure gefunden. Dagegen ist die zweite Möglichkeit, nämlich die, ob vielleicht die Säure die Funktion hat, als Verteidigungswaffe zu dienen, eingehender zu prüfen. Dass die Tiere unter Umständen, die freilich als ganz ungewöhnliche betrachtet werden müssen, jenes Sekret als Waffe be- nutzen, daran lässt sich nach den Beobachtungen des Entdeckers jenes merkwürdigen Sekrets, Troschel’s, nicht zweifeln. Er schreibt: „Als man einem Tiere (Dolium galea) die dünne Schale in der Gegend der Spira zerschlug, streckte es sich weit aus der Schale und hob auch den Rüssel so weit aus dem Munde hervor, dass er eine Länge von 6—7 Zoll und eine Dicke von 1 Zoll erhielt. Mit diesem Rüssel fuhr das Tier nach allen Seiten umher, wie wenn es sich verteidigen wollte. Als man den Rüssel nahe vor seinem etwas trompetenartig erweiterten Ende mit zwei Fingern anfasste, spritzte das Tier plötz- lich einen dicken Strahl einer glashellen Flüssigkeit aus, der einige Fuß weit auf den Fußboden des Zimmers fiel, auf dessen Kalk- platten man sogleich ein stark schäumendes Aufbrausen sah“. Die Flüssigkeit enthielt nach Bödeker 2,7%), freie und 1,4%), an Basen gebundene Schwefelsäure und außerdem 0,4%, freie Salzsäure. Aehn- liche Resultate wie Troschel erhielt Panceri bei Pleurobranchidium und bei Pleurobranchus aurantiacus, aber auch bei ihnen erst nach langdauernder Reizung und Misshandlung der Tiere. Obschon nun diese Experimente ganz klar beweisen, dass unter Umständen das Sekret zur Verteidigung benutzt wird, ist damit seine eigentliche Funktion noch keineswegs aufgeklärt. Panceri macht in dieser Beziehung mit Recht folgendes gegen Troschel geltend: „E strano perö, che animali provisti di chonchiglie robustissime come quelle dei Tritonium, che solo a colpi di martello si possono infran- gere, e di piu chiuse completamente da grossi operculi cornei, abbiano la stessa secrezione dei pleurobranchi dal corpo molle privo di ogni guscio, come il Pleurobranchidium, ovvero provisto di tenuissime con- ehiglie interne. La sola retrazione basta a difendere i Tritonium e gli altri, e lo stesso Dolium, abbenche manchi di operceulo e mostri ampia superficie del piede allo scoperto quando & retratto, presenta quest’ organo cosi duro nella contrazione, che non sarebbe possibile ad aleuno dei piu temibili abitatori del mare di portargli offesa. Posto anche che, come a difesa, si giovassero della ejaeulazione del liquido acido, questo si diffonderebbe tosto nell’ acqua, perdendo ogni efficacia*. Panceri kommt aufgrund dieser, wie mir scheint, durchaus rich- tigen Erwägungen zu dem Schlusse, dass (die Funktion des Sekrets unmöglich in erster Linie die einer Verteidigungswaflfe sein könne. Da er nun aus später zu erörternden Gründen auch jede bei der Ver- Ss Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. dauung wirksame Thätigkeit der sauren Ausscheidung ausschließen zu müssen glaubt, sieht er sich zu dem Schlusse gedrängt, die saure Ausscheidung der erwähnten Schnecken einfach für ein Exkret zu erklären, durch das die schwefelsauren Verbindungen des Meerwassers, die durch das offene Gefäßsystem der Tiere in ihr Blut und ihre Säfte eingetreten sind, wieder ausgeschieden werden. Er erklärt die Säure für das „caput mortuum“ chemischer Reaktionen und vergleicht sie direkt mit dem Harnstoff. Zu ähnlichen Schlüssen kommt Maly!), der die Säure für ein Exkret, ein Nebenprodukt anderer noch unbe- kannter Prozesse hält, wie etwa die Auscheidung und Entleerung der Gallenfarbstoffe in den Darm bei den Säugetieren. Die Auffassung des ausgezeichneten italienischen Forschers ist an und für sich wenig wahrscheinlich und entbehrt so durchaus jeder positiven Begründung, dass wir sie wohl auf sich beruhen lassen können, bis sich irgendwelche thatsächliche Anhaltspunkte zu ihrer Aufstellung oder Widerlegung bieten werden. Ist es wohl glaublich, dass eine derartige Ausscheidung der in das Blut gedrungenen Schwefel- verbindungen in Form von ziemlich konzentrierter Schwefelsäure sich bei einer Anzahl verwandtschaftlich gar nicht zusammengehöriger Schnecken entwickelt haben soll, während doch alle Schnecken inbezug auf das umgebende Meerwasser unter gleichen Bedingungen leben?! Alle Autoren, die über das uns beschäftigende Phänomen ge- schrieben haben, fassen die Möglichkeit ins Auge, die Flüssigkeit könne bei der Verdauung eine Rolle spielen. So weit ich aber die Literatur kenne, haben sich alle gegen diese Möglichkeit ausgesprochen. Drei Gründe sind für diese Ablehnung bestimmend gewesen. Erstens hielt man die Beteiligung des Saftes bei der Verdauung, die man sich immer nur im Magen vorgehend dachte, deshalb für sehr unwahrscheinlich, weil dann das Sekret der dieht neben dem Magen liegenden Drüsen zuerst in den langen, der Speiseröhre paral- lelen Ausführgängen den weiten Weg bis zur Mundöffnung aufwärts hätte machen müssen, um dann rückwärts dieselbe Strecke durch die Speiseröhre zum Magen zurückzulegen. Ferner schien es nach den Befunden von Troschel und von Panceri sicher, dass der Saft gar nicht in den Magen gelangte. Denn es wurde im Magen verschiedener hierhergehöriger Schnecken Spicula von Schwämmen, Holothurien, Aseidien gefunden, deren Kalk- substanz noch unverändert aus kohlensaurem Kalk bestand und bei Benetzung mit dem sauren Sekret sich unter Aufbrausen in schwefel- sauren Kalk verwandelte. Hieraus schloss man, dass das Sekret gar 1) R. Maly, Notizen über die Bildung freier Schwefelsäure und einige andere chemische Verhältnisse der Gastropoden, besonders von Dolium galea. Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissenschaften, Bd. 81, 1880. Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. 89 nicht während der Nahrungsaufnahme, sondern zu andern Zeiten nach außen ergossen würde. Drittens endlich hat Krukenberg!) nachgewiesen, dass die acidogenen Drüsen von Cassidaria keine Enzymdrüsen sind, und Maly?), der das Sekret von Dolium galea untersuchte, konnte fest- stellen, dass es weder peptische noch tryptische noch amylolytische Wirkung besäße. Alle drei Gründe zusammen schienen eine Beteiligung des Sekrets bei der Verdauung auszuschließen. Nur Krukenberg lässt die Möglichkeit offen, dass die Ausscheidung dazu beitragen könne, die aufgenommene Nahrung der peptischen Verdauung zugänglich zu machen. Wunderbar erscheint ihm aber dann immer noch der Säure- reichtum und die große Menge des Sekretes, deren Deutung durch einen Nutzen bei der Verdauung nicht geliefert werde. Wie ich glaube, rücken die oben mitgeteilten Beobachtungen die ganze Frage in ein anderes Licht. Es scheint unzweifelhaft und soll später noch ausführlich bewiesen werden, dass das Sekret bei der Verdauung insofern eine Rolle spielt, als es den kohlensauren Kalk zerstören hilft, der den Geweben der meisten Tiere eingelagert ist, welche die Lieblingsnahrung jener Schnecken bilden. Insofern ist es in der That nicht sowohl beim Verdauungsprozess als beim Kauprozess wirksam, und von diesem Gesichtspunkt aus erklärt sich ganz unge- zwungen alles, was bisher wunderbar ader besser gesagt unverständ- lich erschien. Zunächst hat die Thatsache nichts Wunderbares mehr, dass die Drüsen nicht in den Magen sondern mittels sehr langer Ausführgänge direkt neben der Radula ausmünden. Wir werden nachher sehen, dass hier eine äußerst zweekmäßige, eigentlich selbstverständliche Ein- richtung geschaffen ist. Auch der Mangel eines Enzyms oder Ferments wird uns nicht wundern; hat doch das Sekret mit der Verdauung der organischen Teile der Nahrung nichts zu thun. Ebenso wenig wird es uns befremden, dass wir gelegentlich auch unzerstörte Kalk- teilchen im Magen unserer Tiere fmden. Bei der großen Menge von Kalk, der zerstört werden muss, ist es ja sehr begreiflich, dass ab und zu auch einige unzerstörte Partikelehen in den Magen gelangen. Die Hauptfrage ist die: da kein Zweifel darüber bestehen kann, dass unsere Schnecken, vor allem Tritonium und Dolium, äußerst kalkreiche Tiere fressen und auflösen, geschieht die Zerkleinerung und Auflösung der Tiere bloß auf mechanischem Wege und durch Auflösung der organischen Substanzen, oder wird auch das Kalkskelet 1) €. Fr. W.Krukenberg, Ueber die Verdauungsvorgänge bei den Cephalo- poden, Gastropoden und Lamellibranchiaten. Untersuchungen des physiologischen Instituts der Universität Heidelberg, Bd. II. DINGE, 90 Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. der Tiere auf chemischem Wege angegriffen und zerstört? Die letz- tere Alternative ist nun unbedingt zu bejahen, denn die Unmöglich- keit, einen großen Asterias allein mit den mechanischen Mitteln zu zerkleinern, wie sie ein Tritonium in seinem Kauapparat besitzt, liegt auf der Hand. Dass aber die Auflösung des Tieres nicht etwa von einer Verdauung der organischen Bestandteile desselben seinen Aus- gang nimmt, wird durch den oben beschriebenen Fall der halb auf- gelösten Armspitze bewiesen. Die am meisten angegriffenen (proxi- malen) Teile derselben enthalten gar keinen Kalk mehr, sondern nur noch organische Reste. Gegen die Spitze hin bessert sich der Erhal- tungszustand und nimmt auch der Kalkgehalt im Hautskelet zu. Ich erinnere dabei daran, dass die Spitze am spätesten von dem Tritonium in die Mundhöhle aufgenommen wurde. Da wir also an einer chemischen Zerstörung des Kalkskelets nicht zweifeln können, haben wir uns nach dem chemischen Agens umzusehen, das so bedeutende Wirkungen hervorbringt. Von diesem Standpunkt aus wird uns nun weder die Menge noch die Konzentration der von den Schnecken ausgeschiedenen Mineralsäuren unerklärlich erscheinen. Die Angaben über die Konzentration des Sekrets schwanken un- gemein. 2,18, ist der niedrigste, 4,25°/, der höchste!) Prozentgehalt an freier Schwefelsäure, der angegeben wird. Salzsäure wurde eben- falls in wechselnden Mengen 0,4°/, bis 0,6°, gefunden, also immer in so kleiner Menge, dass diese Säure gegen die Schwefelsäure ganz zurücktritt. Ich habe eine Anzahl von Asterias glacielis auf das Gewichts- verhältnis ihres Skelets zum gesamten Körpergewicht untersucht, indem ich zuerst die ganzen Tiere wog und dann die organischen Stoffe durch langdauerndes Kochen in Kalilauge zerstörte. Das Gewicht des Kalkskelets betrug fast in allen Fällen über !/, des gesamten Körpergewichts. Aus einer Analyse von Brunner in Oskar Schmidt’s Zoologie entnehme ich, dass die Skeletplatten von Eehinus lividus nach Abzug der organischen Bestandteile etwa 96°/, kohlensauren Kalk und 4°, andere Salze enthalten. Demnach, wenn wir eine ähnliche Zusammen- setzung auch für Asteriden zugrunde legen, was wir wohl dürfen, da es auf minutiöse Bestimmungen hier nieht ankommt, würde eine Asterias glacialis von 135 g Körpergewicht ein Skeletgewicht von 45 g be- sitzen, und hiervon würden weit über 40 g auf den kohlensauren Kalk fallen. Um 1 g kohlensauren Kalk in schwefelsauren Kalk zu ver- 4) Preyer (Sitzungsber. d. niederrhein. Ges. f. Natr. u. Heilk. zu Bonn, 1866, 8. 6—9) fand sogar 4,88%, freie Schwefelsäure. Seine Analyse wurde jedoch an lange Zeit hindurch aufbewahrtem, nicht an frischem Sekret vor- genommen, Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. 91 wandeln, braucht man 0,98 g reine Schwefelsäure, für 40 g also 39,28 Schwefelsäure. Rechnen wir nun 4°/, als die durchsehnittliche Säure- konzentration des Sekrets, wobei wir den Durchschnittswert für Schwefelsäure etwas zu hoch setzen, um der Einfachheit wegen ganz von der in geringer Menge vertretenen Salzsäure abstrahieren zu können, so finden wir, dass 980 g, also etwa ein Liter des Sekrets dazu gehören würde, um allen kohlensauren Kalk des Seesterns in schwefelsauren Kalk zu verwandeln. Nun wird allerdings nicht aller kohlensaurer Kalk in schwefelsauren verwandelt, sondern wir finden nach der Mahlzeit immer noch einige unveränderte Kalkbrocken, die gleich beim Kauen durch den Mund ausgeworfen wurden, oder auch unangegriffen den ganzen Verdauungstraktus passiert haben. Auch ist denkbar, dass bei der starken Kohlensäure-Entwicklung sich geringe Mengen Kalk direkt in dem kohlensäurereichen Wasser gelöst haben. Dem steht aber auf der andern Seite entgegen, dass gar nicht alle Säure ausschließlich auf den Kalk hat wirken können, sondern mit organischen Geweben in Berührung gekommen und mit diesen Ver- bindungen eingegangen ist. Diese Werte lassen sich nieht bestimmen, und meine Reehnung hat keinen Anspruch auf vollkommene Genauig- keit, sondern kann nur eine ungefähre Vorstellung von der verbrauchten Flüssigkeitsmenge geben. Darauf kommt es aber hier allein an. Vielen Lesern wird sieh schon die Frage aufgedrängt haben: welchen Nutzen hat es für die Schnecke, den kohlensauren Kalk des Seesterns oder des Schwammes in schwefelsauren zu verwandeln, da doch auch der schwefelsaure Kalk in Wasser nur wenig löslich ist? Warum wird nicht allein Salzsäure ausgeschieden, der den Kalk wirk- lich lösen würde? Dieses Bedenken ist leicht zu beseitigen. Bringt man nämlich einen Seestern oder eine Ophiure in schwefelsäurehal- tiges Wasser und setzt so lange neue Säure zu, bis aller kohlensaurer Kalk in schwefelsauren verwandelt ist, so erfolgt allerdings keine Auflösung des Kalkskelets. Nimmt man nun aber das Tier zwischen die Finger, so lässt sich das Skelet mit leichter Mühe durch gelindes Reiben in ein feines Pulver zerbröckeln, was vorher bei Formen mit starkem Skelet vollkommen unmöglich gewesen wäre. Nun hat es für die Schnecke durchaus keinen Nutzen den Kalk aufzulösen, sondern das Tier braucht ihn nur in einen Zustand zu bringen, in welchem er den Zutritt der eigentlichen Verdauungssäfte zu den organischen Geweben nieht mehr hindert. Dies geschieht auf die Weise, dass successive kleine Skeletpartien durch Schwefelsäure in schwefelsauren Kalk verwandelt und dann mittels der Feile, die das Tier in seiner Radula besitzt, zerbröckelt werden. Ich stelle mir dies so vor: das Tier zerbröckelt die Oberfläche einer starken Skelet- platte, die es mit der Säure angeätzt hat. Kommt es nun auf tiefere Stellen, auf welche die Säure noch nicht eingewirkt hat, und wo daher der kohlensaure Kalk der Radula stärkern Widerstand ent- 99 Semon, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken, gegensetzt, so lässt es aus den dicht neben der Radula gelegenen Oeffnungen der Ausführwege der Säuredrüsen einige weitere Tropfen des Sekrets austreten. Diese Einrichtung bringt eine Ersparnis des ohnehin schon in großer Menge erforderlichen Sekrets mit sich. Dass dem so ist, dass die Schnecke nicht blindlings ihre Nahrung mit Schwefelsäure überschwemmt, schließe ich aus zwei Befunden. Füttert man die Schnecken mit Fischen, so wird mittels der Radula das Fleisch aufs sauberste vom Skelet abgeschält, dieses selbst aber, das dem Prozess keinerlei Hindernisse in den Weg legt, in unange- sriffenem Zustande wieder ausgeworfen. Es ist leicht sich hievon zu überzeugen und liefert den klaren Beweis, dass die Schnecke ihre Säure nur da bei dem Kauprozesse ausscheidet, wo eine Umhüllung oder Durchdringung der Gewebe mit Kalk diese der Zerkleinerung und weitern Verdauung unzugänglich macht. Aber dass auch bei solchen Objekten nur immer kleine Stellen mit Säure angeätzt werden, und der schwefelsaure Kalk sofort von der Radula fortgebürstet wird, lehrt folgender Befund. Jenes oben erwähnte Armstück, dessen Kalk schon größtenteils entfernt war, das aber immer noch reichliche Kalk- reste enthielt, wurde auf seine chemische Zusammensetzung unter- sucht. Ich vermutete nämlich, dass der übrig gebliebene Kalk größten- teils schwefelsaurer Kalk sein würde. Dies war aber nicht der Fall, es fand sich sogar weniger schwefelsaurer Kalk als bei gewöhnlichen Tieren, eine Thatsache, die sehr auffällig ist, die aber vielleicht durch die Annahme ihre Erklärung findet, dass das Tier bei seinem starken Verbrauch an Schwefelsäure alle Schwefelverbindungen, die ihm zu- gänglich werden, sofort löst und aufnimmt, um sie wieder in Schwefel- säure zu verwandeln. Eine genauere chemische Untersuchung wird hierüber Licht schaffen und wird wahrscheinlich noch viele neue und wiehtige Thatsachen zutage fördern, die mir verborgen geblieben sind. Ueberhaupt ist eine gründliche Untersuchung des Gegenstandes vom physiologisch- chemischen Standpunkte aus durchaus notwendig. Zu einer derartigen Arbeit fühlte ich mich nicht befähigt und bin daher allen diesbezüg- lichen Fragen möglichst ausgewichen. So viel aber wird, wie ich hoffe, festgestellt sein, dass wir in den oben erwähnten Meeresschnecken Spezialisten zu erblicken haben, die die Schutzanpassung, die viele Meerestiere durch Bedeekung und Durchdringung ihrer Gewebe mit Kalkausscheidungen entwickelt haben, durch eine Gegenanpassung, die Ausscheidung freier Mineralsäuren, aufwiegen und überbieten. Wahrscheinlich steht auch die bedeutende Größe, die die meisten der hierhergehörigen Schnecken erreichen, mit der leichten und mühelosen Art ihres Nahrungserwerbs in einem gewissen Zusammenhang. Denn die Holothurien und Seesterne, die in soleher Menge den Boden der Meere bevölkern, sind ihnen schutzlos preisgegeben. Von praktischem Interesse ist es dabei, dass die räuberischen, den Austernbänken so Nasse, Ueber Gärungen und Fermentationen, g: BL) schädlichen Seesterne in Dolium und Tritonium furchtbare Gegner besitzen, letztere Tiere also zu den entschieden nützlichen zu rechnen sind. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Naturforschende Gesellschaft zu Rostock. Sitzung vom 28. April 1888. Herr OÖ. Nasse sprach über Gärungen und Fermentationen. Der Vortragende gedenkt im Eingang der aus der Lehre von der Alkohol-Gärung bekannten Thatsachen von dem verschiedenen Verhalten der Kohlehydrate gegenüber der Bierhefe Saccharomyces cerevisiae. Als nicht gärungsfähig kennt man von den weiter verbreiteten Kohle- hydraten die der Stärkegruppe, insbesondere Amylum, Glykogen und Inulin, sowie den Milchzucker. Als indirekt gärungsfähig in dem Sinne, dass durch ein in der Hefe vorgebildetes und aus derselben leicht zu gewinnendes lösliches Ferment oder Enzym das betreffende Kohlehydrat zunächst in gärungsfähige Kohlehydrate umgewandelt wird, kennt man bis jetzt einzig den Rohrzucker. Bemerkenswert muss der Vergleich des Rohrzuckers mit den ihm nahestehenden Kohlehydraten Maltose und Milchzucker erscheinen, insofern dieselben ganz wie der Rohr- zucker durch verdünnte Säuren unter Wasseraufnahme in zwei Moleküle von der Formel C,H,,0, zerspalten werden (daher ihr Name: Saccharobiosen), da- gegen von jenem Enzym der Hefe, dem Invertin, gar nicht angegriffen werden. Als direkt gärungsfähig endlich sind zu nennen nebst der eben er- wähnten Maltose zwei Kohlehydrate der sogenannten Traubenzuckergruppe: Dextrose und Levulose. Ueber eine in dieselbe Gruppe gehörige Zuckerart, die Laktose, eines der beiden Spaltungsprodukte des Milchzuckers, lauten die Angaben in der Literatur verschieden, bald wird dieselbe als direkt gärungs- fähig bezeichnet, bald nicht. Neuerdings schien Klarheit in die Angelegenheit gekommen zu sein durch eine Untersuchung von Bourquelot (Compt. rend. CVI S. 283. 1888), nach welcher reine Laktose allerdings der alkoholischen Gärung nicht fähig sein, wohi aber die Gärung eingehen soll, wenn gleichzeitig eine der direkt gärungsfähigen Zuckerarten zugefügt wird. Es soll in diesem Falle die Laktose vollständig vergären, freilich im günstigsten der unter- suchten Fälle, nämlich wenn auf 1 Molekül Laktose 1 Molekül Dextrose zu- gefügt wird, erst in 5 Tagen, bei geringerem Zusatz von Dextrose erst nach Wochen. Diese Art der Gärung, die man „sekundäre Gärung“ nennen könnte; bietet offenbar großes Interesse. Es ließe sich aufgrund derselben u. a. ver- stehen, wie in den Organismen oder dem Protoplasma Stoffe, für welche eine zerlegende Kraft nicht nachzuweisen ist, doch zerlegt und schließlich ganz verbrannt werden. Es knüpfte sich ferner daran die naheliegende Frage, ob es auch eine „sekundäre Fermentation“ gibt. Hierunter wäre der Vorgang zu begreifen, dass eine Substanz, die an und für sich durch ein bestimmtes Ferment nicht gespalten würde, doch der Spaltung unterläge, sobald gleichzeitig ein spezifisches Substrat dieses Fermentes zersetzt würde. Von vornherein erschien die Möglichkeit einer solchen sekundären Fermentation nicht undenkbar, wenn man ausging von der vor Jahren von dem Vortragenden erwiesenen Thatsache, dass bei jedem Fermentprozess im ersten Moment das Enzym mit seinem Sub- strat zu einer wenn auch nur losen Verbindung (Molekular- Verbindung) zu- 4 Nasse, Ueber Gärungen und Fermentationen. sammentritt, und der daran geknüpften Vorstellung, dass im zweiten Moment, nämlich bei der Trennung der losen Verbindung, das Substrat, welches durch das Eingehen der Verbindung bereits in sich gelockert wird, nun in zwei oder mehr Atomkomplexe zerfalle. In diesem Gedankengang fortfahrend konnte man sich nun weiter noch vorstellen, dass das ebenfalls gelockerte Enzym bei dem Freiwerden aus der losen Verbindung sich an ein an und für sich nicht zersetzbares Molekül anlagere und dessen Zerfall veranlasse. In Gemeinschaft mit Herrn Dr. Krüger sind nun von dem Vortragenden Versuche angestellt mit Maltose und Milchzucker sowie auch Glykogen und Glykosiden zugesetzt zu Invertin + Rohrzucker, mit Inulin, Rohrzucker und Glykosiden zugesetzt zu Ptyalin + Glykogen, mit Glykogen und Rohrzucker zugesetzt zu Emulsin + Saliein, endlich auch noch mit Amygdalin zugesetzt zu Leberbrei + Saliein — niemals ist aber von den zugesetzten Stoffen auch nur eine Spur umgewandelt worden, auch nicht bei naher Beziehung des zu- gesetzten Stoffes zu dem Substrat. Somit ist die sekundäre Fermentation ge- fallen, es bleibt der Satz bestehen, dass jedes Ferment nur ganz bestimmte Stoffe (oder auch nur einen) zersetzt, welche in dem Vorstehenden als seine Substrate bezeichnet worden sind. Was nun die Beobachtungen von Bourquelot über die Gärung der Lak- tose angeht, so muss auch hier von der Bezeichnung derselben als sekundäre Gärung aus verschiedenen Gründen abgesehen werden. Zunächst dürfte die Erscheinung der Alkoholbildung durch Laktose über- haupt in anderer Weise aufzufassen sein, als Bourquelot meint. Es ist als sicher anzunehmen, dass die angewendete Hefe von vornherein nicht rein ge- wesen ist — Bourquelot würde gewiss nicht verfehlt haben, die Reinheit hervorzuheben — und noch mehr ist es sicher, dass bei der langen Dauer der Versuche die der Hefe beigemischten (und weiter noch hinzugekommenen) niedern Organismen verschiedener Art sich vermehrt haben. So steht man denn einem äußerst verwickelten Vorgang gegenüber, dem Wesen nach übrigens nicht verschieden von der ebenfalls nur sehr langsam und stets nur bei Gegen- wart verschiedener Organismen verlaufenden alkoholischen Gärung von Flüssig- keiten, welche Milchzucker enthalten. Es ist nun denkbar — nur eine der Möglichkeiten soll erwähnt werden —, dass die Laktose selbst überhaupt nicht vergoren ist in den Versuchen von Bourquelot, sondern zur Ernährung der Organismen gedient hat, welche ihrerseits wieder bei der guten Ernährung Kohlehydrate gebildet haben, ähnlich wie die glykogenfreie Leber des ge- hungerten Tieres bei Einführung verschiedener Zuckerarten u. s. w. wieder glykogenhaltig wird. Diese neu gebildeten Kohlehydrate mögen dann im wei- tern Verlauf schließlich vergoren sein wie bei der sogenannten Selbstgärung der Hefe. Kurz, alkoholische Gärung der Laktose im gewöhnlichen Sinne des Wortes ist jedenfalls nicht erwiesen, und Zweifel an derselben sind zum min- desten gestattet. Weiter ist aber auch noch ganz unabhängig von diesem Erklärungsversuch das Verhältnis der Alkoholgärung zu einem einfachen Fermentprozess, dessen Prototyp etwa die so klar liegende Invertierung des Rohrzuckers ist, zu be- rühren. Auch bei dieser Betrachtung kommt man dazu, die sekundäre Gärung abzulehnen, und zwar aus einem prinzipiellen Grunde. Weil die alkoholische Gärung des Traubenzuckers ihrem Hauptteil nach ebenso durch eine chemische Formel wiederzugeben ist wie die Invertierung des Rohrzuckers, ist man oft geneigt gewesen, sie der letztern als vollkommen gleichbedeutend an die Seite zu stellen. Die allerdings nicht abzuleugnende Thatsache, dass es bis dahin | | | Nasse, Fermentative Vorgänge in den Organen des Tierkörpers. 95 niemals gelungen ist, ein alkoholbildendes Enzym aus der Hefe (oder aus einem der vielen andern alkoholbildenden Organismen oder aus Teilen der- selben) darzustellen, ist gegen solche Nebeneinanderstellung hauptsächlich in das Feld geführt worden. Aber dieser Thatsache möchte wegen der großen Zersetzlichkeit vieler Enzyme u. s. w. der Vortragende doch weit weniger Gewicht beilegen als der andern, dass es niemals gelungen ist, extra corpus einfach durch Erwärmung Traubenzucker in Kohlensäure und Alkohol zu spalten, während alle bis dahin bekannten wirklichen enzymatischen Prozesse auch durch Wärme allein bewerkstelligt werden können. Umsetzungen unter Be- teiligung noch anderer Moleküle des Protoplasma und vielleicht auch mehrerer Moleküle der betreffenden Kohlehydrate dürften daher wohl erst die Alkohol- bildung als Endresultat haben. Die Frage, ob die hierzu notwendige Zerspal- tung der Zucker-Molekile nicht doch durch ein Enzym der Hefe zu stande komme, bleibt dabei natürlich eine offene; einstweilen lässt sich ebenso viel und ebenso wenig für die Bejahung derselben anführen, wie für ihre Verneinung. Sitzung vom 23. Februar 1889. Herr OÖ. Nasse berichtet ganz kurz über fermentative Vorgänge in den Organen des Tierkörpers. An Versuchen, die einfachen Spal- tungen, welche innerhalb des Protoplasmas stattfinden und im Wesen sich von den durch die sogenannten chemischen Fermente oder Enzyme bewirkten durchaus nicht unterscheiden, auch durch Auszüge aus den Zellen zu bewerk- stelligen, hat es nicht gefehlt. Meist ist der Erfolg ein negativer gewesen, und so kehrte immer wieder die Anschauung zurück, es wäre die extrazelluläre Verdauung von der intrazellulären gänzlich verschieden, es wirkten in den Zellen eigenartige protoplasmatische Kräfte, verschieden von den enzymatischen. Nicht zum Ziele gekommen mit den Auszügen von Organen ist u. a. auch Herr Grisson, der der Gesellschaft vor etwa zwei Jahren seine Beobacht- ungen über die Zersetzung gewisser Glukoside durch Leber und Nieren mit- geteilt hat. Dem Vortragenden ist es aber jetzt gelungen, wässerige Auszüge aus den betreffenden Organen herzustellen, mit welchen die Zersetzungen von Glukosiden und verschiedenen andern ähnlich gebauten Substanzen unter Aus- schluss jeglicher Fehlerquelle ausgeführt werden können. Von diesem positiven Erfolg aus weiter gehend wurde dann besonders die Zuckerbildung in der Leber, d. i. die Verzuckerung des Glykogens, bekanntlich wohl zu unter- scheiden von der diastatischen Zersetzung durch Speichelferment u. s. w., näherem Studium unterzogen. Es gilt bei allen diesen Untersuchungen aber in erster Linie ein Mittel aufzufinden, welches die Mitwirkung von Protoplasma irgend welcher Art aus- schließt, die Enzyme dagegen in ihrer Thätigkeit gar nicht stört. Die Biochemie hat sich vor gar nicht langer Zeit wiederholt bemüht, nicht zu praktischen Zwecken, sondern nur um die sogenannten organisierten Fermente von den unorganisierten unterscheiden zu können, solche Substanzen aufzufinden. Zu den besten und gleichzeitig in der Verwendung bequemsten dieser Substanzen gehört unzweifelhaft das Chloroform; den dasselbe von neuem empfehlenden Bemerkungen von Salkowski muss man vollkommen beistimmen. Ueberlässt man nun Leberbrei in Wasser verteilt und mit Chloroform ver- setzt sich selbst, so tritt die Verzuckerung des Glykogens vollkommen ein, und auch noch weiter zugesetztes Glykogen wird vollkommen verzuckert. Das- selbe gilt von den Muskeln. Immerhin möchte man bei derartigen Versuchen 06 Kronfeld, Polyphyllie bei Pinus Mughus Scop. und Pinus silwestris L. den Einwand erheben können, es sei noch nicht alles Protoplasma zerstört oder unwirksam gemacht — diesem Einwand begegnen wieder Versuche mit wässerigen Auszügen von Leber und Muskeln: auch diese verzuckern Glykogen vollständig, verzuckern ferner Maltose, die durch diastatische Enzyme auch bei langer Digestion kaum angegriffen wird, nicht dagegen sind sie im stande, tohrzucker und Inulin umzuwandeln. An den Organen, welche im Chloroformwasser zerteilt sind, treten nun aber wichtige Veränderungen ein: sie werden sauer, und auch in den wäs- serigen Auszügen geht die Säurebildung weiter; es unterliegt keinem Zweifel, dass auch sie auf einem Fermentprozess beruht. Dabei wird ein Teil der Eiweißkörper wnlöslich; erst wenn die Säurebildung und Ausscheidung der Eiweißkörper einen gewissen Grad erreicht hat, gelingt es, einen gut filtrier- baren wässerigen Auszug zu erhalten, in welchem dann mit der Säuerung auch das Ausfallen von Eiweißkörpern noch weiter zu gehen pflegt, rasch bei Körper- temperatur, langsamer bei Zimmertemperatur. Hierbei müssen auch die Fermente zu Boden gerissen und so (vorübergehend oder auch dauernd) unwirksam ge- wacht werden. Es erklärt dieser Umstand gewiss zum größten Teil das so häufige Misslingen der Versuche, fermentartige Substanzen aus dem Proto- plasma zu gewinnen. Von der Isolierung der Fermente der Leberzellen ist einstweilen abgesehen worden, weil eine wesentliche Förderung von derselben nicht zu erwarten war. Ausführliche Mitteilung der noch nicht nach allen Richtungen hin abge- schlossenen Untersuchung wird an einer andern Stelle erfolgen. — K. k. zoolog.-botan. Gesellschaft zu Wien. Versammlung am 5. Dez. 1888. Herr Dr. M. Kronfeld sprach „über Polyphyllie bei Pinus Mughus Scop. und Pinus silwestris L.*. Während Pinus Fremontiana Endl. auf den seitlichen Kurztrieben in der vegetativen Region je ein Laubblatt (Nadel) trägt und Pinus Mughus Scop., P. Pumilio Hänke, P. nigra Arn., P. silvestris L., P. uliginosa Neum. Scheiden mit je zwei Blättern besitzt, haben die Vertreter der Sektion Taeda dreiblätterige und die der Sektion Strobus fünfblätterige Scheiden. Abnormerweise treten nun auch bei Pinus silvestris, Pumilio und Mughus dreinadelige Scheiden auf. Bei Pinus silvestris beobachtete Reichardt sogar auch fünfnadelige Scheiden. Von Pinus Pumilio gibt Stenzel das Vor- kommen dreinadeliger Scheiden an. Beck fand Pinus Mughus gewöhnlich wit drei Nadeln auf der Raxalpe. Und der Vortragende hatte Gelegenheit, solche bei Pinus Mughus und P. silvestris zu untersuchen. Die Exemplare, gesammelt von Prof. A. v. Kerner, befinden sich beide im Wiener Universi- tätsherbarium. Die Zweige zeigen unter normalen Scheiden reichlich solche mit drei Nadeln eingestreut. Es dürften diese Fälle als Belege für die Verwandt- schaft der mitteleuropäischen Pinus- Arten vorzüglich mit der Sektion Taeda angesehen werden. Der Querschnitt des Blattes einer Art aus dieser Sektion, so Pinus tuberculata Gordon, ist nicht wie bei den zweiblätterigen Pinus- Arten im Umrisse eine halbe Ellipse, sondern ein Kreissektor mit drei Kanten, einer abgerundeten äußern (untern) und zwei ebenen innern (obern) Seiten. Mit diesem Querschnittsbilde stimmt jenes überein, welches ein Blatt aus dem dreigliederigen Nadelbüschel von Pinus Mughus und P. silestris ergibt. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 15. April 1889. Nr. 4. Inhalt: Keller. Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. — 0, Zacharias, Bericht über eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel. (Schluss.) — von Lendenfeld, Das System der Spongien. — Kowalevsky,. Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane (Nachtrag). Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. 1. A. Tschirch, „Beiträge zur Kenntuis der Wurzelknöllchen der Legu- minosen“. Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, V, Jahrgang. 2. A, Prazmowski, „Ueber die Wurzelknöllchen der Leguminosen“. Botanisches Centralblatt, Bd. 36, 1888 (IV. Quartal). 3. M. W. Beyerinck, „Die Bakterien der Papilionaceenknöllchen“. Bot. Zeitung, 46. Jahrgang, Nr. 46—50. Die Literatur über diesen Gegenstand ist eine so umfangreiche geworden, das Interesse, das ihm die Botaniker zugewandt haben, ein so bedeutendes, dass eine zusammenfassende Orientierung an der Hand dieser drei neuesten Veröffentlichungen um so gerechtfertigter sein mag, als durch die beiden letzten Arbeiten das Rätselhafte der Er- scheinung, die Ursache ihrer Entstehung, wenn nicht endgiltig gelöst, so doch der Lösung um ein erhebliches genähert wird. Die drei Arbeiten sind auf alle Fälle drei wichtige Etappen im Studium der Wurzelknöllchen. Als allgemein verbreitete Vorkommnisse in der Familie der Pa- pilionaceen will sie Tschireh als normale Bildungen betrachten, die in zwei entwieklungsgeschichtlich differenten Formen auftreten, als Anschwellungen des zentralen Wurzelbündels (Zu- pinus) und als seitlich der Wurzel ansitzende Knöllchen (alle übrigen von T. untersuchte Leguminosen). An der Bildung der Knöllchen des ersten Typus hat die Rinde keinen Anteil. Sie gehen vielmehr durch lebhafte Teilung aus 2—3 Reihen parenchymatischer Zellen hervor, welche zwischen dem Siebteile und der Endodermis liegen. Das Zentrum der Anschwellusg nimmt ein auf dem Quer- schnitte halbmondförmiger Gewebekörper ein, welcher die bald für Bakterien, bald für geformte Eiweißkörper oder Bakteroiden erklärten IX, 7 98 Keller, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. Körperchen enthält. Nach T.’s Beobachtungen fällt ihre Bildung mit der Entfaltung der Laubblätter zusammen oder folgt doch dieser bald. Um die Zeit der Samenreife geht ihre Entleerung vor sich, indem zu- nächst die mittlern Teile der Anschwellung gelöst werden. Zur Zeit der Samenreife ist die Entleerung vollendet, die Knöllchen sterben ab. Die Knöllchen des zweiten Typus gehen aus der Rindenpartie hervor, welche unmittelbar außerhalb der Endodermis liegt. Den zentralen Teil bilden die Bakteroidenzellen. Bei den mehrjährigen Pflanzen nimmt ein fortwachsendes Bakteroidengewebe die Spitze ein, während weiter zurück später alles entleert wird; bei den ein- jährigen, deren Knöllchen schnell zu voller Größe heranwachsen, wird zur Zeit der Samenreife dasselbe völlig entleert. Die bakterienartigen Gebilde im Zellinnern des Bakteroidengewebes sind keine Organismen, keine Bakterien. Ihre Kultur „auf festem und flüssigem Substrat, auf fester und halbflüssiger Gelatine unter Zusatz aller möglichen Nährsubstanzen“ gelingt nicht, ebenso wenig die „eines Extraktes der Knöllehen selbst und des Bodens“. „Weiter wird man in der Auffassung, man habe es mit geformten Inhalts- bestandteilen zu thun, durch den stets zu beobachtenden Vorgang der Auflösung bestärkt.“ Die Entwieklungsgeschichte derselben, welche sie als ein „aus dem Plasma durch Differenzierung desselben“ ent- stehendes Produkt erkennen lässt (Brunchorst), spricht ebenfalls gegen ihre Bakteriennatur, und endlich ihre mit den gewöhnlichen Gestalten der Bakterien nur selten übereinstimmende Form. Das Fehlen der Knöllchen in sterilisiertem, also wohl auch „chemisch verändertem“ Boden zeigt nur, „dass die Knöllchen in einer gewissen, direkten oder indirekten Beziehung zu den Bodenbestandteilen stehen.“ Sie sind geformtes Eiweiß, welches wegen der verhältnismäßig großen Resistenz gegenüber von Reagentien nicht ein Ferment sein kann. „Fermente pflegen gegen Reagentien nur wenig beständig sich zu erweisen und selbst bei geringen chemischen Eingriffen der Zersetzung anheimzufallen. Nur die pilzlichen Fermente machen hiervon eine Ausnahme. Unter diese sind ja aber die Bakteroiden nicht zu rechnen, da sie, wie auch aus ihrem ganzen Verhalten Reagentien gegenüber hervorgeht, keine Pilze sind.“ Ein zweites eigenartiges Element der Knöllchen, die „Hyphen“, scheint denselben hin und wieder zu fehlen (Zupinus), also nicht als konstanter Begleiter der Bakteroiden aufzutreten. Allgemein fasst man sie als Pilze, entweder Hyphen oder Plasmodienstränge, auf. Tschireh bezweifelt ihre Pilznatur. Wohin sind sie zu rechnen? „Gegen Reagentien verhalten sie sich ziemlich indifferent. Durch Jod werden sie lichtgelb und körnig, wie überhaupt alle stärkern Reagentien ihr sonst so homogenes Aussehen in ein körniges ver- wandeln. Farbstoffe speichern sie wenig. Sie lösen sich weder in Chlorzinkjod, noch den Mineralsäuren, selbst in Schwefelsäure und ee Keller, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. 99 Salpetersäure und chlorsaurem Kali nicht; auch nicht in Kali; Jod und Schwefelsäure färbt sie nicht blau. Ihr Verhalten stellt sie in die Nähe der Eiweißstoffe.“ Folgendes sind die wichtigsten Momente ihrer Entwicklungs- geschichte (bei Robinia). In den äußern Rindenpartien erscheinen die Fäden zunächst als rundliche Protuberanzen, die an der Membran ansitzen. Oft treten sie in unmittelbarer Nähe des Zellkerns auf, ohne dass jedoch „Beziehungen ihrer Entstehung zum Zellkern“ mit Sicherheit nachgewiesen wären. In den weiter nach innen liegenden Zellen ragen die Protuberanzen in den Zellraum hinein und „durch- ziehen unter wiederholten, oft sehr bizarren Krümmungen den Raum der Zelle“. Am Ende sind sie oft kropfig angeschwollen. Noch weiter innen erscheint die Protuberanz als wurmförmig gekrümmter und gewundener Faden. Ueber die Beziehung der Bakteroiden zu diesen Hyphen gewann T. keinen sichern Einblick. „Ein direktes Hervorgehen der Bak- teroiden aus den Fäden konnte ich in keinem Falle mit Sicherheit einwurfsfrei konstatieren, vielmehr gewinnt man aus zahlreichen Bil- dern den Eindruck, als ob die Fäden sich auflösen, dann das Plasma sich differenziert und die Bakteroiden bildet.“ Das Fadenstadium erschiene sonach gewissermaßen als ein Vor- läuferstadium zur Bakteroidenbildung, das aber m den Fällen, wo die Fäden fehlen, auch übersprungen werden kann. Worin besteht die Funktion der Knöllchen? Sie werden als Ei- weißbildner und Eiweißspeicher aufgefasst. Letzteres nimmt auch T. an, er schließt es namentlich aus dem Umstande, dass ihr Inhalt zur Zeit der Samenreife von der Pflanze verbraucht wird. Gegen die Annahme einer Symbiose zwischen Pilz und höherer Pflanze sind natürlich alle die Gründe anzuführen, welehe bereits gegen die Bak- teriennatur der Bakteroiden und die Pilznatur der „Hyphen* angeführt wurden. Absorptionsorgane können sie nicht sein, da die äußersten Zellen der Knöllchen stets verkorkt sind. Seine Anschauung, dass die Knöllehen vorübergehende Reservestoffspeicher sind, be- gründet Verf. etwa in folgender Weise. In stickstoffärmerem Boden entstehen sie in reichlichern Mengen als in stiekstoffreichem, im Beginn der Vegetationsperiode bilden sie sich, füllen sich nach und nach, erreichen zur Blütezeit den Höhepunkt ihrer Entwicklung und werden zur Samenreife entleert. „Die Pflanze braucht viel Stickstoff, aber erst zu einer spätern Zeit. Sie durchstreicht aber weite, stick- stoffarme Bodenstrecken (normale Standorte der Papilionaceae). Sie werden daher, um den für die Samenbildung nötigen Stickstoff aus jeder der durchstrichenen Schichten sich völlig zunutze machen zu können, irgendwo eines vorläufigen Speichers für denselben bedürfen. Diese Speicher sind die Knöllehen, die nach und nach, je nachdem die Pflanze Stiekstoff zugeführt erhält, sich bilden. Tritt dann bei T7* 100 Keller, Die Wurzelknöllehen der Leguminosen. der Samenbildung das starke Stickstoffbedürfnis hervor, so werden die Speicher geleert.“ Der Umstand, dass statt eines großen viele kleine Knöllchen an einem Individuum entstehen, ermöglicht eine Entleerung, „die sich völlig an das allmähliche Reifen verschiedener Fruchtanlagen anpasst, denn wenn die Entleerung eines Knöllchens vor sich geht, pflegt dieselbe ohne Aufenthalt zu Ende geführt zu werden.“ Schnelle Entleerung sichert die Kleinheit der Bakteroiden. Die Natur des Reservestoffbehälters der Knöllchen äußert sich auch im anatomischen Bau. Durch die sie umschließende oft dieke Kork- schicht und das Fehlen der Wurzelhaare werden dieselben nach außen völlig abgeschlossen, während die Lage der Gefäßbündel und deren Verzweigung die Stoffzufuhr nach beiden Richtungen hin in sehr vor- teilhafter Weise regelt. Woher das in Form von Bakteroiden ab- gelagerte Eiweiß stammt, ist schwer zu sagen. Sollte die chemische Natur der Bakteroiden jenen Gliedern der Eiweißgruppe konform sein, welche nur im Dunkeln entstehen, dann dürften die Knöllchen auch als Eiweißbildner in Anspruch genommen werden. Vielfach in diametralem Gegensatze zu Tschireh’s Unter- suchungsergebnissen stehen die Resultate, zu denen Prazmowski gelangte. Er stellt sich in erster Linie die Frage: Sind die Knöllchen normale Bildungen der Leguminosenwurzel, oder werden sie durch Infek- tion von außen erzeugt? Die Antwort auf diese Frage gibt er mit folgenden Worten: „In allen den Töpfen, welehe nach der Sterilisierung mit wässerigem Erdauszug infiziert waren, bildeten sich sowohl an der Hauptwurzel, wie auch an den Nebenwurzeln recht zahlreiche Knöllehen; ihre Zahl war besonders groß (20—30) dann, wenn der Erdauszug nicht filtriert wurde, aber auch dann noch ziemlich bedeutend, wenn zur Infizierung ein filtrierter Erdauszug gebraucht wurde. In gleicher Weise fanden sich zahlreiche und wohl ausgebildete Knöllchen an den Wurzeln derjenigen Pflanzen, welche in mit zerriebenem Bak- teroidengewebe der Knöllehen infizierten Töpfen gewachsen waren. Dass sie sich auch in den Kontrolltöpfen, welche mit nicht sterili- sierten Materialien angefüllt waren, entwickelt haben, braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden; nur das wäre zu erwähnen, dass sie sich in Gartenerde äußerst zahlreich, im Flusssand sehr spärlich gebildet haben. Dagegen konnte in allen Töpfen, welche nach erfolgter Sterilisation mit ausgekochtem Wasser begossen wur- den und nicht infiziert waren, bei sorgfältigster Durchmusterung der Wurzeln nicht ein einziges Knöllchen aufgefunden werden.“ So gehen also T. und P. in ihren Anschauungen von Anfang an auseinander. Und da der Versuch, zumal wenn er stets ein übereinstimmendes Resultat hat, vor bloßen Erwägungen die Vorhand hat, so scheint es uns, dass Prazmowski beizupflichten sei. Die Infektion vollzieht sich nur im jugendlichen Zustande der Wurzeln. Wie stellt sich die mikroskopische Untersuchung zu den Kulturversuchen? Werden Keller, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. 101 Knöllehen in frühesten Stadien ihrer Entwieklung, wo sie kaum mit der Lupe als Anschwellungen zu erkennen sind, untersucht, „so findet man an dieser Stelle eigentümliche, gewöhnlichen Pilzhyphen nicht unähnliche Fäden, welche Wurzelhaare und Epidermis durchwachsend in das subepidermale Gewebe der Wurzel eindringen.“ Diese Pilz- fäden, durch starken Liehtglanz ausgezeichnet, erscheinen in unver- sehrtem Zustande als homogene, in sanften Krümmungen und Biegungen verlaufende Schnüre. Reagentien lassen sie als einfache, unseptierte Schläuche erscheinen, deren plasmatischer Inhalt „mit winzigen stäb- chenförmigen Körperchen gemengt“ ist. Ein Teil der Fäden verän- dert sich zu verschieden gestalteten Blasen und Schläuchen. Bersten deren Membranen unter dem Einflusse von Quellung verursachenden Reagentien, dann quillt der plasmatische Inhalt hervor, der auch die kleinen stäbehenförmigen Körperchen in großer Menge enthält. „Gegen Reagentien verhalten sie sich ebenso wie die sogenannten Bakteroiden des Knöllchens, und sie sind auch nichts weiter als jugend- liene Bakteroiden.“ Sobald die Pilzfäden in die tiefern Schichten der Rinde ein- gedrungen sind, beginnt infolge lebhafter Zellteilung die Anschwellung für das bloße Auge schon sichtbar zu werden, und das Knöllchen zeigt auch schon die differenten Gewebepartien, welche dasselbe späterhin kennzeichnen. Die äußere Zone, welche den Vegetations- scheitel des Knöllchens bildet, besteht aus kleinen, dem Anscheine nach pilzfreien Zellen, im innern Parenchym sind die Zellen größer. Sie enthalten „zahlreiche Pilzfäden, die im vielfachen Windungen und Krümmungen verlaufen und sich stellenweise zu blasenförmigen An- schwellungen von verschiedener Gestalt und Größe erweitern.“ Da- zwischen treten Zellen mit dunkel gefärbtem, stark körnigem Inhalte auf, die ersten Anfänge des Bakteroidengewebes. „Es sind dies wahre Bakteroidenzellen, denn werden dieselben durch Druck oder auf andere Weise geöffnet, so ergießt sich aus ihnen ein schleimiger fadenziehender plasmatischer Inhalt, in welchem Myriaden von Bak- teroiden schweben.“ In diesem Stadium erscheinen sie stets als einfache Stäbchen. So ist also das Bakteroidengewebe derjenige Teil des Knöllehens, in welchem der „Knöllehenpilz“ sich am stärksten entwickelte, und die Bakteroiden selbst sind keine geformten Eiweißkörper, „sondern sie stellen „„in- nere Gebilde des Pilzplasmas““ dar, welche lange Zeit vor Entstehung des Bakteroidengewebes in den Pilz- fäden und Pilzschläuchen enthalten sind.“ Die anfänglich äußerst kleinen, einfach stäbehenförmigen Bak- teroiden nehmen mit der Entwicklung des Knöllchens an Größe zu; oftmals sind sie zu zwei und mehr mit einander verbunden, ein Um- stand, welcher für ihre Vermehrung durch Spaltung zu sprechen 102 Keller, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen, scheint, wenn schon dieselbe direkt nie wahrgenommen wurde. Die endgiltige Form, welche dieselben annehmen, ist für verschiedene Wirte verschieden; stäbchenförmig sind sie bei Phaseolus und Lupinus, gabelig oder verzweigt bei Pisum, Vieia und Medicago, einfach und birnförmig bei Trifolium. Die weitere Entwicklung der Knöllehen ruft auch in den Bak- teroidenzellen wichtige Veränderungen hervor. In ihnen treten in größerer Zahl Vakuolen auf, während sich die Zellen gleichzeitig vergrößern. Jene bilden schließlich einen zentralen Zellsafttropfen, „während das Plasma mit den Bakteroiden sich gegen die Wand zurückzieht und deutlich netzige Struktur annimmt. In diesem Zu- stande geben die Bakteroidenzellen beinahe dasselbe Bild wie die von Plasmodiophora Brassicae durchwucherten Zellen der Kohlwurzel kurz vor der Sporenbildung.“ Vielleicht, dass auch beim Kuöllchen- pilz die netzige Struktur des Bakteroidenplasmas das Vorstadium der Sporenbildung ist. Bei der Erbse sah Verfasser im gleichen Sehnitte „neben Bakteroidzellen mit netziger Struktur des Plasmas andere Stadien der Sporenbildung bis zu fertig gebildeten Sporen.“ Dies sind Kolonien von Bakteroiden, welche durch etwas Plasmasubstanz zusammengehalten werden. Sie haben nunmehr wieder die Form winzig kleiner stäbehenförmiger Körper. „Die Bakteroiden kehren also zur Zeit der Sporenbildung zu ihrer ursprünglichen Form eines kleinen, einfachen Stäbchens zurück.“ Die Frage nach dem Wesen der Bakteroiden und der Rolle, die ihnen im Leben des Pilzes zukommt, kann auch Prazmowski nicht durch Experimente beantworten, wie er auch über die Bedeutung der Knöllchen sich nicht in bestimmter Weise äußert. Beyerinck steht insofern auf dem gleichen Boden wie Praä- mowski, als er die Entstehung der Papilionaceenknöllchen ebenfalls auf die Infektion der Wurzeln zurückführt, wenn er auch im einzelnen sehr erheblich von ihm abweicht. Er stellte sich wesentlich zur Auf- gabe, die Natur des infizierenden Organismus klar zu legen. Zur vorläufigen Orientierung geben wir folgende Sätze der Einleitung zu seiner Abhandlung wieder: „.... Zur Umgehung jeder Zweideutig- keit hebe ich schon hier hervor, dass diese Bakteroiden aus einer von außen in die Wurzeln einwandernden Bakterienart, welche ich Baeillus Radicicola nenne, entstehen und nicht, wie Brunchorst meint, autonome Bildungen des pflanzlichen Protoplasmas sind. Die Bakteroiden sind metamorphe Bakterien, welche ihre Entwicklungs- fähigkeit verloren haben und als geformte Eiweißkörperehen fungieren können. Sie sind durch eine kontinuierliehe Bakterienreihe von stu- fenweise ungleicher Vegetationskraft mit der normalen Form von Bacillus Radieicola verbunden.“ In 13 Abschnitten bespricht Verf. die Stellung und Struktur der Knöllehen; ihr Schicksal, namentlich die Entleerungserscheinungen; ee u na EEE WER Keller, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. 103 das Bakteroidengewebe und die Bakteroiden; die Entstehung der Knöllehen dureh Infektion; die Kultur des Baeillus Radieicola aus den Knöllehen; den Bau und die Lebensverhältnisse dieses Bak- teriums, seine verschiedenen Varietäten; die Entwicklung der Bak- teroiden und der Schleimfäden; das Vorkommen der Bakteroiden an andern Stellen als in den Knöllehen, ihre Reviviscenz; das Vorkommen des Bacillus Radicicola außerhalb der Knöllchen, die Art und Weise der Infektion, die Funktion der Papilionaceenknöllchen und die Er- nährungsbedingungen von Bacillus Radieicola. Es kann natürlich nicht in der Aufgabe unserer orientierenden Darlegung liegen, alle diese Abschnitte in gleicher Einlässlichkeit zu referieren, zumal es dienlicher sein wird, bei den vielen wesentlich verschiedenen Anschauungen des Verf. gegenüber jenen anderer Au- toren etwas zu verweilen. Die Knöllehen als umgewandelte Wurzelorgane sind in der Regel in den Seitenwurzelreihen angeordnet. Ihre gewöhnliche Stellung ist an der Basis der Seitenwurzeln. „Die Spalten in der primären Rinde, welche bei der Seitenwurzelbildung entstehen, sind nämlich die eigent- liehen Eingangspforten für Bacillus Radieicola, welcher von da aus die nächsten rhizogenen Zellen infiziert. Die Knöllehen machen zwei Phasen durch, die der Entwicklung und die der Erschöpfung. Während des ersten Zustandes werden die in die Zellen eingedrungenen Bak- terien mehr oder weniger vom Protoplasma eingeschlossen. Dabei verlieren sie ihre Vegetationskraft, verwandeln sich schließlich in die wachstumsunfähigen Bakteroiden. Die nicht eingeschlossenen Bak- terien bleiben wachstumsfähig. Die Erschöpfung kann auf zweierlei Weise stattfinden: Dieselbe beruht entweder auf einem Entleerungs- vorgang durch die Pflanze, wobei wachstumsunfähige Reste zurück- bleiben können, oder auf Bakterienüberwucherung, wobei in den Zellen neben überaus zahlreichen leicht kultivierbaren Individuen von Baeillus Radicicola auch wachstumsunfähige Bläschenbakteroiden ent- stehen. Wie Tsehirch, so sieht auch Verf. in den Bakteroiden „geformte Eiweißkörperchen“. Ihre Entstehung aber erklärt er in ganz anderer Weise. „Die Pflanze züchtet sie zum Zwecke lokaler Eiweißanhäufung aus Bacillus Radicicola.* Sie sind also „Organe des pflanzlichen Protoplasmas, entstanden aus eingewanderten Bakterien.“ In bezug auf Entleerung und Schicksal, dem sie schließlich an- heimfallen, sind drei Bakteroidenformen unterscheidbar: die normalen auch von den andern Autoren unterschiedenen, die im typischen Bak- teroidengewebe angetroffen werden — die Hemmungsbakteroiden, die außerhalb des Bakteroidengewebes fast in allen übrigen Zellen der Knöllchen oft auch in andern Wurzelteilen vorkommen — und die Bläs- chenbakteroiden, welehe infolge starker Bakterienvermehrung im Bakteroidgewebe sich bilden. Die Hemmungsbakteroiden sind zwei- armig, aber viel kleiner als die normalen. 104 Keller, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. Der überall im Boden anwesende Baecillus Radieicola, welchen Verf. bei seinen Kulturen aus den Knöllchen in mehr oder weniger bedeutenden Mengen erhielt, infiziert die Wurzeln und verursacht dadurch die Knöllchenbildung. „Wahrscheinlich ergießen die Papilio- naceenwurzeln gewisse Stoffe in den Boden, welche B. Radicicola anlocken, und bei ausbleibender Knöllchenbildung dürfte diese Ab- sonderung eine abnorme gewesen sein oder gänzlich gefehlt haben.“ In humusreichem Boden unterbleibt die Knöllchenbildung oder sie ist spärlich, wohl deshalb, weil der den Baeillus reichlich enthaltende Humusboden Stoffe enthält, „welche diese Bakterien ebenso stark anlocken wie die Papilionaceenwurzeln und daher der Infektion vor- beugen.“ Die Kultur des B. Radicicola aus den Knöllchen geschah auf Gelatine, welcher nach sorgsamer Sterilisation der Rinde die zerrie- benen Knöllehen beigemischt waren, oder indem auf die Schichte der unvermischten Gelatine Impfstriche von dem Inhalte der Knöllchen gezogen wurden. Auf armen Nährböden erfolgt ein schnelles Wachstum. Solche Kulturen brachten die Erkenntnis, dass wenn auch die aus verschiedenen Papilionaceenarten kultivierten Bakterien nicht alle völlig identisch sind, sie doch immerhin nur einer Art ange- hören. Aus der Vegetationskraft der erhaltenen Bakterienkolonien, d. h. aus ihrer Größe, kann man auf die vorkommenden Formen schließen. „Je größer die erstern sind, desto mehr besitzen die Stäbehen und Schwärmer normale Bakterienform, je kleiner dagegen, desto mehr werden die Elemente der Kolonie den verzweigten Bak- teroiden ähnlich.“ Die Vegetationskraft der Kolonien steht in um- sekehrtem Verhältnis zur „Länge der Zeit, während welcher die in die Zellen hineingewanderten Bakterien sich in dem Cytoplasma ein- geschlossen befanden.“ Die Kultur lange eingeschlossener erzeugt Kolonien, deren Elemente die größte Annäherung an die Bakteroiden- form zeigen. Der Baeillus Radicicola, aus dem die sonderbar gestalteten Bak- teroiden von Vicia, Ervum, Trifolium, Pisum, Medicago, Penista Meli- cotus hervorgehen, bildet kleine, im Durchmesser etwa !/, mm hal- tende wässerige Kolonien. Die größern derselben bestehen aus einer Mischung von Stäbchen und Schwärmern. Erstere sind 4 w lang und 1 uw diek. Außerordentlich klein sind die Schwärmer (0,9 u lang und 0,18 u breit), kleiner als die kleinsten pathogenen Mikroben. Diese Kleinheit mag wohl die Annahme rechtfertigen, „dass B. Radieicola in die geschlossenen Perieambiumzellen der Papilionaceenwurzeln ein- zudringen vermag, ohne irgend eine Läsion zu verursachen oder vor- zufinden.“ Die Schwärmer sind gewöhnlich bakteroidenähnlich oder kugelig-dreieckig. Ihr hinteres Ende besitzt einen Geißelfaden. Die kleinen Kolonien enthalten Stäbehen, die eine Reihe von Uebergangs- bildungen zwischen den gewöhnlichen Stäbchen und den Bakteroiden Keller, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. 105 zeigen. Die echte Bakteroidenform tritt in diesen Kolonien allerdings nur selten auf. Die kleinen Stäbchen sind unsymmetrisch spindel- förmig, indem sie in der Mitte einseitig gebuckelt erschemen. Die Stäbehen zeigen hier meist keine Eigenbewegung. Ihnen sind zahl- reiche, schnell sich bewegende Schwärmer beigesellt. Vergleichen wir die wenig differenzierten Bakteroiden (Phaseolus, Ornithopus, Lotus, Cytisus, Robinia, Lupinus, Caragana) mit den zu- gehörigen Bacillen, „so ergibt sich als einzig direkt wahrnehmbarer Unterschied die Gegenwart der Schwärmer in den Kolonien, während dieselben gewöhnlich in den Bakteroidenpräparaten fehlen.“ Die Schwärmer sind den gewöhnlichen beweglichen Stäbchen ähnlicher. Beiden Typen wohnt nun zwar eine nicht unerhebliche erbliche Kraft inne. Aber zwei verschiedenen Arten entsprechen sie doch nicht, denn „die Reihen der aus jeder besondern Papilionacee zu züchtenden Baeillenkolonien weisen identische Glieder auf.“ Auf die Wiedergabe der einlässlichen Beschreibung der verschie- denen Varietäten des Bacillus Radicicola können wir an dieser Stelle verzichten. Fragen wir weiter nach der Entwicklung der „Schleimfäden“ („Hyphen“ anderer Autoren) und der Bakteroiden. Mit Pilzhyphen haben erstere nach Beyerinek absolut nichts zu thun. Sie er- scheinen vielmehr als Produkte der Kerntonnen, wie sie denn auch die Verbindung zwischen den Kernen darstellen. Die ersten Ent- wieklungszustände der Bakteroiden stimmen vollkommen mit den Scehwärmern überein. Durch eine Reihe von Uebergangsstadien sind sie mit den fertigen Bakteroiden, die sich netzartig an einander reihen, verbunden. Der genetische Zusammenhang zwischen Bakterien und den Bak- teroiden wird namentlich auch durch das gelegentliche Vorkommen von Bakteroiden an andern Stellen wie in Knöllchen und durch deren Reviviscenz erwiesen. Die in andern Wurzelzellen vorkommenden Bakteroiden sind kleiner als jene des Bakteroidengewebes. Sie ge- hören zu der früher erwähnten Form der Hemmungsbakteroiden. So können also alle Zeilen der Wurzelrinde Bakteroiden erzeugen, allein sie thun dieses nur für so weit, als Bakterien in dieselben einge- drungen sind. „Daraus muss notwendigerweise geschlossen werden, dass die Bakteroiden aus Bakterien und nicht aus Mikrosomen entstehen“. Die Reviviscenz d. h. das Werden schnell beweglicher Bakterien aus jungen in allseitig geschlossenen Zellen ruhenden Bakteroiden beobachtete Verf. in Präparaten der Knöllchen von Caragana arborea. Nach den bisherigen Darlegungen wurde der Bacillus Radieicola aus den Knöllehen auf geeignetem Nährboden kultiviert. Verf. konnte denselben aber auch aus allerlei Wasser- und Bodenproben isolieren, Da derselbe weder Zellulose aufzulösen vermag, noch Stärke ver- ändert, so kann das Eindringen der Schwärmer nur durch die in der 106 Keller, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. Zellwand vorhandenen Poren geschehen. Vielleicht hat man hier an die Heitzmann’schen Löcher zu denken, durch welche die Protoplasma- körper zweier benachbarter Zellen mit einander in Verbindung stehen. Die Knöllehen haben nach Verf. zweifellos eine ernährungsphysio- logische Funktion, wenn auch natürlich der Nutzen dieser lokalen Eiweißanhäufung für die verschiedenen Papilionaceen sehr ungleich sein wird. „Groß erscheint derselbe für die einjährigen Kräuter, wo die Entstehung der Knöllchen eine frühzeitige, die Bakterienbildung und die spätere Entleerung eine regelmäßige, die Gesamtmasse der Knöllehen und der Bakteroiden in bezug auf die Masse der Nähr- pflanze eine nicht unbeträchtliche, die Differenzierung der Bakteroiden eine sehr vollkommene ist. Untergeordnet dagegen erscheint der Nutzen bei den baumartigen Formen, bei welchen die Knöllehen erst spät und unregelmäßig erscheinen, ja oft gänzlich fehlen, und bei welchen die an sich weniger differenzierten Bakteroiden mehr der unregelmäßigen Entleerung durch das Vorhandenbleiben wachsender Bakterien anheimfallen, so dass wir dabei an rudimentäre Organe zu denken veranlasst werden.“ Sind die Knöllchen den Bakterien nützlich? Für den Fall, dass die Knöllehen der Bakterienerschöpfung anheimfallen, will Verf. den Nutzen für unwiderleglich erachten. „Die Knöllchen zerfallen dabei schließlich unter Befreiung der eingeschlos- senen Bakterien und fungieren deshalb als Brutstellen, durch welche die Bakterienzahl im Boden gehoben und für die Bakterien schäd- liche Einflüsse vielleicht überstanden werden.“ So kommt also diesen Knöllehen eine doppelte Funktion zu. „Die Papilionaceenknöllchen sind Bakterienceeidien, nützlich für die Nährpflanze, insoweit die nor- malen Bakteroiden als Eiweißvorrat fungieren, — nützlich für die Bakterien, insoweit die zahlreichen mit wachstumsfähigen Bakterien erfüllten Knöllchen bei deren Absterben als Herde für die Verbreitung der Bewohner fungieren müssen.“ Der Bacillus Radicicola wirkt nicht stickstoffbindend. Da ferner die ursprüngliche Infektion nur zu einer ganz unbedeutenden Ver- mehrung der Körpersubstanz der Pflanze Veranlassung gibt, so kann der Nutzen der Bakterien nicht auf einer Stiekstoffanhäufung auf kosten von außen in die Knöllchen einwandernder Stoffe beruhen. Eine Bedeutung erlangt der Baecillus durch sein Verhalten zu den Nährstoffen, welche schon in der Pflanze gegenwärtig sind. Er ver- mag „im Gegensatze zu dem pflanzlichen Protoplasma auf kosten von Asparagin ohne die Gegenwart von Kohlenhydraten üppig zu wachsen, d. h. diesen Körper in eine Proteinsubstanz umzubilden.“ So verwerten also die Papilionaceen in den Wurzeln, in denen das Protoplasma, der Mithilfe des Lichtes bar, kein Eiweiß zu bilden vermag, hierzu Bakterien. Die Knöllchenbildung stellt somit einen Fall symbiotischer Vereinigung dar. Dr. Robert Keller (Winterthur). A en a a ae En nn m Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 107 Bericht über eine zoologische Exkursion an die Kraterseen der Eifel. Von Dr. Otto Zacharias in Hirschberg i./Schl. (Schluss. ) IX. Ueber Anpassungserscheinungen im Hinblick auf passive Migration. Positive Beweise dafür, dass Schwimmvögel zur Verbreitung von kleinen Wassertieren beitragen können, liegen mehrfach vor. F. A. Forel (Morges) wurde 1876 durch eine Beobachtung Alois Hum- bert’s in Genf zu der Ueberzeugung gebracht, dass mindestens die Entomostraken auf solche Weise gelegentlich verpflanzt werden. Humbert hatte nämlich Wintereier von Cladoceren dem Gefieder von wilden Enten und Tauchern anhängend gefunden. Diese einzige Wahrnehmung warf mit einem mal Licht auf das sonst rätselhafte Vorkommen von zahlreichen Species niederer Organismen in völlig isolierten Wasseransammlungen. Neuerdings hat Jules de Guerne!) die gewöhnliche Wildente (Anas boschas 1.) darauf hin untersucht, welchen Anteil dieselbe an der Translozierung von mikroskopischen Repräsentanten der Süb- wasserfauna haben möge, und er hat bei sorgfältiger Untersuchung der kleinen Schlammbrocken, welche an den Füßen dieser Vögel be- findlich zu sein pflegen, gefunden: dass darin nicht selten zahlreiche Cysten (tierischer oder pflanzlicher Provenienz), Diatomeen, Desmidia- ceen, Eier von Cladoceren und Statoblasten von Bıyozoen enthalten sind. Eine durch 2 Monate fortgeführte Kultur solcher Brocken in einer geringen Wassermenge ergab lebende Nematoiden, Rädertiere (Philodina), mehrere Rhizopoden (Trinema enchelys z B.) u. derg]. Inbetreff der Verbreitung von Algen hat Dr. W.Migula (Karls- ruhe) vor kurzem interessante Mitteilungen gemacht, die sich auf die mikroskopische Besichtigung einzelner Körperteile von Wasserkäfern sründen?). Der Genannte fand, dass Eudorina elegans, Pandorina morum, Scenedesmus obtusus und andere Algen, von denen eine Liste publiziert wird, durch solche Käfer (zum Teil in der Form von Dauer- zuständen) notwendig verschleppt und ausgesäet werden. Migula resumiert seine Ansicht in folgendem Passus: „Da die Wasserkäfer besonders des Nachts häufig ihren Aufenthalt wechseln, und sicher oft weit entfernte Gewässer besuchen, so vermitteln sie gewiss in allen den Fällen die Verbreitung der Algen, wo es sich um kleine Wasseransammlungen handelt, die wohl für Wasserkäfer, aber nicht 1) de Guerne, Sur la dissemination des organismes d’eau douce par les palmipedes. Compt. rend. hebd. de la Soe. de Biologie, Tom. V, Nr. 12, 1888, Paris. 2) W.Migula, Die Verbreitungsweise der Algen. Biol. Gentralbl., Bd. VII, Nr. 17, 1888. 108 Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel, für Wasservögel von Interesse sind. Das konstante Vorkommen von Algen an Wasserkäfern lässt sogar darauf schließen, dass diesen bei dem Transport der Algen eine größere Rolle zukommt, als den Wasservögeln oder der Luft. Es mag sich in Wirklichkeit so ver- halten, dass die Luft kleinste und der Austrocknung widerstehende Formen verbreitet, Wasservögel den Transport zwischen weit ent- fernten Gegenden vermitteln, während die Wasserkäfer in ausge- dehnter Weise für die Ausbreitung einer Species innerhalb enger räumlicher Grenzen thätig sind“. Dass mit den Algen zugleich auch Cysten von Protozoen, Bier von Würmern ete. verschleppt werden können, wird niemand als etwas Unwahrscheinliches betrachten. Als eine Erfahrung, die gleichfalls hierher gehört, führe ich an, dass es mir gelang, aus vertrocknetem Möwenkot (vom Kunitzer See bei Liegnitz) in mit destilliertem Wasser angesetzten Kulturen schon nach 14 Tagen große Mengen von Amöben zu züchten. Nach etwa 4 Wochen traten auch Muscheltierchen und eine Species von Dileptus in der nämlichen Kultur anf, wogegen die Amöben dann gänzlich verschwunden waren. Es scheint demnach so, als ob Dauerzustände von Rhizopoden und Infusorieneysten den Darmtraktus der Möwen (und anderer Schwimmvögel) unbeschadet passieren könnten, um bei Ausstoßung der Fäces (falls die Vögel inzwischen nach einem andern Wasserbecken übergesiedelt sind) in dieses verpflanzt zu werden. Eine derartig große Widerstandsfähigkeit der betretfenden Uysten ist wohl ohne Zweifel als das Ergebnis fortgesetzter Selektion, und damit als eine spezielle Anpassung im Hinblick auf passive Wanderung zu be- trachten. OÖ. Nordquist (Helsingfors) hat unlängst!) die Vertreter der pelagischen Süßwasserfauna daraufhin angesehen, ob sie im Besitze irgendwelcher spezieller Hilfsmittel seien, die ihren Transport von einem See zum andern erleichtern könnten, und er ist geneigt, den langen Abdominalfortsatz bei Bythotrephes longimanus, die Spina bei den meisten pelagischen Daphniden- Arten, die langen gekrümmten Antennen des ersten Paares bei Bosmina, sowie die auffallenden Dornen und Stacheln bei Anuraea und Ceratium für Bildungen zu halten, welche bei passiven Wanderungen von sehr großem Nutzen sind und der Verbreitung der Art Vorschub leisten. Dieser Ansicht wird man gern beipflichten, wenn man sich die abenteuerlichen Gestalten des Bythotrephes und der Anuraea longispina Kellicott?) aufmerksam betrachtet. Es ist sehr wohl möglich, dass die groteske Stachel- bewehrung bei letzterer Species auch das Schwimmen erleichtert, insofern dadurch die Oberfläche des Tierchens vergrößert wird, oder dass die langen Dornen des vordern und hintern Körperendes als 1) Zoolog. Anzeiger, Nr. 255, 1887. 2) Eine Abbildung dieses merkwürdigen pelagischen Rädertiers habe ich in der Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. 45, Taf. 15, Fig. 5, 1837, gegeben. u nun en Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 409 „Balancier- Organe“ (im Sinne P. E Müller’s) fungieren, wenn sich die Anuraea mittels ihres Wimperapparates im Wasser fortbewegt. Nehmen wir aber anderseits von der frappanten Thatsache Kenntnis, dass das in Rede stehende Rotatorium anscheinend eine kosmopoli- tische Verbreitung besitzt, und dass es auch in einer großen Anzahl hochgelegener Alpenseen (bis zum Lej Cavloccio, 1908 m ü. M. hinauf) vorkömmlich ist, so müssen wir eine ganz besondere Geeignetheit dieser Form zur passiven Migration voraussetzen, und können dieselbe nur darin erblicken, dass die langen, zugespitzten Dornen die Anhef- tung an das Gefieder von Vögeln in hohem Maße begünstigen. Das schließt natürlich keineswegs aus, dass jene Gebilde ihrer Besitzerin auch noch andere Vorteile gewähren. Genau dasselbe gilt vom Ab- dominalfortsatz des Bythotrephes und den spitzig zulaufenden Hörnern der Ceratien. Erstern hat Schödler bereits für einen Haftapparat erklärt, mit dem sich das Tier an einen Gegenstand befestigen könne, um seine Nahrung bequemer zu erhaschen. Der feine Zähnchenbesatz jenes Fortsatzes schien diese Meinung einigermaßen zu unterstützen. Aber W. Weltner (Sitzungsber. der Ges. naturf. Freunde, Nr. 9, Berlin 1888) wendet hiergegen mit Recht ein, dass man nicht einsehen könne, an welche Gegenstände sich eine pelagisch lebende Cladocere im Wasser anheften solle. Mit dieser Reflexion bricht Weltner seine Kritik der Schödler’schen Auffassung ab. Ich halte nun mit Nordquist dafür, dass jene und ähnliche Bildungen bei pelagisch lebenden Organismen dazu dienen, die weite Verbreitung der be- treffenden Arten zu bewirken, und meine aus diesem Grunde, dass die ersten Andeutungen solcher Anheftungswerkzeuge durch den Pro- zess der natürlichen Auslese gesteigert werden mussten. Dies gilt auch von manchen Einrichtungen, welche wir bei den Bewohnern der Uferzone und kleinerer Gewässer antreffen. So stimmt z. B. der lange, hakenförmig gebogene Stiel des Eies von Vortex truncatus Ehrb., welcher sich überall leicht befestigt, trefflich zur weiten horizontalen und vertikalen Verbreitung der genannten Turbellarie, die selten in einem größern Tümpel fehlt und sogar in der Litoralzone von Hoch- seen heimisch ist!). Mittels seines Stieles vermag sich das Vortex-Ei leicht an Algenfäden oder an der Beinbehaarung von Wasserkäfern zu verankern, so dass es durch diese Insekten oder durch andere lebende Transportmechanismen leicht einen Ortswechsel erfahren kann. Uebrigens ist vielen Turbellarien auch dureh deren harte, undureh- lässige Eischalen ein weiter Verbreitungskreis gesichert, insofern hier- durch die Möglichkeit gegeben ist, dass der Wind die Eier weit fort- führen kann, ohne deren lebendigen Inhalt zu gefährden. Mesostoma viridatum ist vielleicht noch verbreiteter als Vortex truncatus, und dieser Thatsache entsprechend sind die winzigen braunen Eier dieses 1) Vergl. OÖ. Zacharias, Ueber die Verbreitung der Turbellarien in Hochseen. Zool. Anz., Nr. 295, 1888. 140 Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. Strudelwurms von großer Widerstandsfähigkeit gegen Druck und Trockenheit. Manche Turbellarien besitzen sogenannte „Klebzellen“ in der Nähe des hintern Körperendes, und höchst wahrscheinlich dienen die- selben gelegentlich auch dazu, ihren Besitzern eine Luftreise zu ermög- lichen. Jene Zellen sind bei manchen Prorhynchus- Species einer so energischen Thätigkeit fähig, dass man die Tiere oft eher zerreißen, als von ihrer Befestigungsstelle loslösen kann. Andere weitverbreitete Tiere (wie Leptodora und die Asplanchnäen) besitzen einen weichen und biegsamen Körper, der leicht an den Gegenständen, mit denen er in Berührung kommt, adhäriert. Dadurch wird ein weiter Transport auch ohne besondere Anheftungswerkzeuge ermöglicht; aber die Ankunft der Wanderer an einer entfernten Station ist hierbei nieht in gleicher Weise gesichert, wie in dem Falle, wo Dornen, Haken oder Klebzellen vorhanden sind. Dies erklärt, wes- halb Zeptodora in vielen Seen, wo sie den Naturbedingungen nach anwesend sein könnte, vermisst wird. Man findet dann immer, dass solche Wasserbeeken von andern weit abliegen, aus denen der Import hätte geschehen können. Das Fehlen der Leptodora in den Maaren der Eifel, in den Seen der Auvergne und in den stehenden Gewässern der Azoren erklärt sich — wie mir scheint — aus der Unsicherheit der Verschleppung mittels bloßer Adhäsion befriedigend. Liegen mehrere Wasseransammlungen nahe beisammen, so wird die Fauna derselben im Laufe der Zeit immer gleichmäßiger. Dies wird dureh den Verkehr der Sumpf- und Schwimmvögel ohne weiteres verständlich. Es findet auf diese Weise ein beständiger wechselseitiger Austauseh der einzelnen Species von niedern Wassertieren statt. Würmer, die wie die kleinen Oligochäten (Nais, Chaetogaster u.s. w.) mit zahlreichen Büscheln von Hakenborsten ausgerüstet sind, haben eine außerordentlich weite Verbreitung, und dies legt den Gedanken nahe, dass sie durch jene Borstenbüschel bei passiven Wanderungen wirksam unterstützt werden. Eine spezielle Anpassung im Hinblick auf Migration glaube ich in den merkwürdigen langen und mit zahlreichen Widerhaken ver- sehenen Rückenborsten von Nais hamata Timm sehen zu sollen, ob- gleich diese Species bis vor kurzem nur aus der Umgebung von Würzburg bekannt war. Im verflossenen Sommer habe ich jedoch deren Vorkommen auch im kleinen Koppenteich (Schlesisches Riesen- gebirge, 1168 m ü.M.) entdeckt, und dies unterstützt die Ansicht, dass das Tierchen in hervorragender Weise zu passiven Wanderungen be- fähigt ist. Wenn man spezieller auf ihre Anwesenheit im Detritus unserer Seen und Teiche achten wollte, würde man wahrscheinlich finden, dass sie eine sehr ausgedehnte Verbreitung besitzt, ohne deshalb irgendwo in großer Individuenzahl vorhanden zu sein. Eine ganz vorzügliche Geeignetheit zur Vornahme passiver Wan- UA Re‘ Zacharias, Bericht über eine zool. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. 111 derungen müssen wir auch bei vielen Species von Wasserschneeken und Muscheln voraussetzen, denn diese Mollusken kommen selbst noch in den höchstgelegenen Gebirgsseen vor. Fand doch A. Brandt selbst in dem 1904 m hoch gelegenen Goktschai (Armenien) Limnäen, Planorbis carinatus und Pisidien. Das Pisidium fossarinum Clessin konstatierte A. Wierzejsky in 21 Seen der hohen Tatra, und einer Notiz Imhof’s zufolge ist die nämliche Bivalve sogar auf dem Splügen zu finden. Nach einer wertvollen Beobachtung Darwin’s scheint hauptsächlich nur den ganz jungen Schnecken das Vermögen zu wei- ten Wanderungen beizuwohnen, wie sich aus folgender Stelle aus dem Kapitel über geographische Verbreitung in der „Entstehung der Arten“ ergibt!). Der betreffende Passus ist auch sonst inbezug auf die Frage wichtig, die wir in diesem Abschnitt behandeln. Darwin sagt: „Wenn eine Ente sich plötzlich aus einem mit Wasserlinsen bedeckten Teiche erhebt, so bleiben oft einige dieser kleinen Pflanzen auf ihrem Rücken hängen, und es ist mir vorgekommen, dass, wenn ich einige Wasserlinsen aus einem Aquarium ins andere versetzte, ich ganz ab- sichtslos das letztere mit Süßwassermollusken des erstern bevölkerte. Doch ist ein anderer Umstand vielleicht noch wirksamer. Ich hängte einen Entenfuß in einem Aquarium auf, wo viele Eier von Süßwasser- schnecken auszukriechen im Begriffe waren, und fand, dass bald eine große Menge der äußerst kleinen Schnecken an dem Fuße umher- krochen und sich so fest anklebten, dass sie von dem herausgenom- menen Fuße nicht abgeschabt werden konnten, obwohl sie in einem etwas vorgerücktern Alter freiwillig davon abgefallen wären. Diese frisch ausgeschlüpften Mollusken lebten an dem Entenfuße in feuchter Luft 12—20 Stunden lang, und während dieser Zeit kann eine Ente oder ein Reiher wenigstens 600—700 englische Meilen weit fliegen und sich dann in einem Sumpfe oder Bache niederlassen“. Im Anschluss an diese Mitteilung berichtet Darwin noch über einen ihm von Lyell erzählten Fall, wonach ein Wasserkäfer ( Dyticus) mit einer ihm anhaftenden Napfschnecke (Ancylus) gefangen worden war. Ueber andere nicht minder interessante Fälle, welche insbe- sondere die passiven Wanderungen von Muscheln betreffen, referiert Darwin in einem Aufsatze der englichen „Nature“ vom Jahre 18822). Dass zahlreiche Arten von Wasserschnecken und auch ein Pisidium in den Maaren der Eifel existieren, wird aus den eingangs vorge- führten Listen ersichtlieh. Was die Verbreitung der Süßwassercölenteraten anlangt, so sind passive Wanderungen von seiten der Spongilla-Arten mittels der im Herbst von ihnen produzierten Gemmulae, welehe den Winter- eiern anderer niederer Tiere entsprechen, sehr leicht ausführbar, und 1) Ch. Darwin, Entstehung der Arten. Deutsch. Uebers. von V. Carus. 1870. S. 413. 2) Ch. Darwin, On the dispersal of freshwater Bivalves. Vol, XXV. 1882. 112 Zacharias, Bericht über eine z001. Exkursion an die Kraterseen der Eifel. es begreift sich hierdurch die Anwesenheit von Spongilla fluviatilis im Laacher See, sowie die Existenz eines „grünen Süßwasserschwamms“ in dem von Brandt untersuchten Goktschai. Wie schon erwähnt, kamen in letztgenanntem See auch Hydren vor, deren Auftreten hier und in den Eifelmaaren verständlich wird, wenn wir uns in Erinnerung bringen, dass diese Polypen gegen Ende des Sommers sehr diekschalige Eier produzieren, die auf ihrer Oberfläche eine kno- tige oder stachlige Skulptur besitzen. Diese Fortpflanzungskörper sind sehr widerstandsfähig und können leicht durch Luftströmungen oder wandernde Vögel verschleppt werden. Durch ihre rauhe oder stachlige Beschaffenheit sind sie auch wohl geeignet, nach Art der Kletten sich an das Gefieder schwimmender Vögel anzuhängen, so dass sie beim Auffliegen von diesen mit fortgenommen werden. Es ist auch keineswegs unmöglich, dass dergleichen resistente Eier mit Scehlammbrocken von Sumpfvögeln verschluckt und später mit dem Kote in die Uferregion eines andern Wasserbeckens verpflanzt werden. Nach einigen Beobachtungen von M. Nussbaum über die Lebens- zähigkeit eingekapselter Organismen!) muss man dies sogar für ganz wahrscheinlich halten. Die kosmopolitiseche Verbreitung vieler Protozoen, hauptsächlich diejenige der Difflugien und Arcellen (die fast nirgends fehlen, wo etwas Feuchtigkeit vorhanden ist) geschieht wohl vorwiegend durch den Wind, wenn er über die Böden ausgetrockneter Tümpel hinfegt. Doch wird es auch vorkommen, dass manche Formen mit den Schlammklümpehen, die an den Schwimmfüßen wilder Enten ete. hängen bleiben, einen Ortswechsel erfahren. Spezielle Anpassungen scheinen bei diesen niedern Organismen sehr selten vorkömmlich zu sein. Doch ist mir ganz neuerdings eine Difflugia bekannt geworden, die ungemein zahlreich in den ständig feuchten Sphagnum-Rasen an gewissen Stellen auf dem Riesengebirgskamme zu finden ist. Herr Prof. 0. Bütschli, dem ieh eine Zeiehnung dieser höchst merk- würdigen Form einsandte, meint, dass dieselbe der Difflugia corona Wallich nahestehe, welehe Leidy in seinem bekannten Rhizopoden- werke eingehend beschrieben hat. Doch stimmt die Zahl der Stacheln mit Leidy’s Angaben nicht, auch die Färbung ist verschieden, so dass jene Species und die meinige schwerlich identisch sein dürften. Ich finde an der im Riesengebirge heimischen Form immer nur 8 stachelartige Fortsätze, während Difflugia corona deren gewöhnlich 3—7, manchmal aber auch 11 besitzen soll. Eine frappante Ueberein- stimmung zwischen beiden Species zeigt sich indess darin, dass die Stacheln bei denselben in einen gekrümmten kleinen Fortsatz aus- laufen. Bei meiner Form hat dieser Fortsatz stets die Gestalt einer scharfen Kralle, und die damit bewehrten Stacheln sehen wie ebenso 1) Zoolog. Anz ‚ Nr. 7, 1887. von Lendenfeld, Das System der Spongien. 113 viele Zehen eines Raubvogels aus. Jedes Exemplar der von mir ge- sammelten Difflugien besitzt an allen 8 Stacheln konstant diesen Krallenfortsatz, während Leidy in seiner Beschreibung sagt, dass bei D. corona diese merkwürdige Bildung „not unfrequently“ vor- komme. Aber nach ihm ist dieselbe in zahlreichen Fällen von einem so ausgeprägten Charakter: „that one cannot avoid the impression, that it has been specially seleeted“. Ich muss diese Ansicht im Hin- blick auf die mir vorliegenden Difflugien vollkommen teilen und in denselben ein interessantes Beispiel dafür erblieken, dass auch bei Protozoen gelegentlich spezialisierte Haftorgane zur Ausbildung gelangen, die lediglich den Zweck (sit venia verbo) haben können, passive Wanderungen zu begünstigen. Ich werde in nächster Zeit die hier zitierte schlesische Species näher untersuchen und beschreiben. Auf Vollständigkeit kann dieses Kapitel nicht Anspruch machen. Es war auch gar nicht meine Absicht, alle Thatsachen zusammenzu- stellen, welche den neuen Gesichtspunkt zu illustrieren geeignet sind, unter dem ich hier gewisse morphologische Charaktere der Süßwasser- organismen betrachtet habe. Nur was sich wie von selbst darbot und was dazu dienen konnte, die weite Verbreitung vieler Gattungen und Arten über außerordentlich große Bezirke zu erklären, habe ich aufgrund eigner Erfahrungen und mit Benützung der einschlägigen Literatur in aller Kürze vorgeführt. Nachschrift. An der Arbeit der Speciesbestimmung (Fauna betr.) haben sieh außer dem Verfasser, welcher die Identifizierung der Cladoceren, Rädertiere, Turbellarien und Protozoen über- nahm, folgende 3 Herren, denen ich hier meinen verbindlichsten Dank abstatte, beteiligt: Ferd. Könike (Bremen) . . Hydrachniden Dr. J. Vosseler (Tübingen) . Copepoden. Dr. W. Müller (Greifswald . . Ostracoden. Das System der Spongien. Von R. v. Lendenfeld. Durch die Monographien über die verschiedenen Abteilungen der Kieselschwämme, welche neuerlich erschienen sind, und durch meine im Drucke befindliche Monographie der Hornschwämme sind wir in den Stand gesetzt, ein System der Spongien aufzustellen, welches einige Existenzberechtigung für sich hat. Auf die ältern Systeme von Gray und Carter einzugehen ist hier ziemlich überflüssig, nur wäre zu erwähnen, dass die von Gray benützte Einteilung der Spongien in Calcarea und Silicea von spä- tern Autoren adoptiert und auch in dem unten folgenden System bei- behalten worden ist. I 3 114 von Lendenfeld, Das System der Spongien. Von spätern Systemen sind nur jene von Vosmaer und mir in betracht zu ziehen. Das Vosmaer’sche System gibt eine vorzüg- liche Darstellung unserer Kenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse der Spongien vor dem Erscheinen der oben erwähnten Monographien; es unterscheidet sich von dem folgenden in vielen und wesentlichen Punkten. Ueber mein eignes System will ich nichts weiter sagen, als dass es ein Entwicklungsstadium unserer Kenntnis dieses Gegenstandes darstellt, welches zwischen dem Vosmaer’schen und dem folgenden mitten inne steht. Wenn wir das Tierreich nach den allgemein anerkannten Prin- zipien einteilen, so ergibt sich als logischer Schluss, dass die Spongien einen eignen Typus innerhalb der Cölenteraten darstellen. Wir teilen die Tiere in monozelluläre, oder wenn polyzelluläre, isozelluläre Tiere ohne Archenteron: Protozoa — und in polyzellu- läre, heterozelluläre Tiere mit Archenteron: Metazoa. Die Spongien sind polyzellulär und heterozellulär mit Archen- teron: also Metazoa. Wir teilen — nach Hertwig’s Cölomtheorie — die Metuzoa in solche mit einfacher Leibeshöhle: Coelentera, und in solche, deren Leibeshöhle in zwei von einander vollständig getrennte Teile, den Gastralraum und das Cölom geschieden ist: Coelomata. Alle Teile der Leibeshöhle der Spongien sind mit einander in Kommunikation, ihre Leibeshöhle ist einfach: die Spongien sind daher Coelentera. In diesem Sinne sind die Cölenteraten nieht ein Typus, sondern sie stellen eine höhere Abteilung dar. In diese Abteilung gehören außer den Spongien auch die Oni- daria (Claus), die Polypomedusen, _Anthozoen und Ütenophoren. Diese drei letztgenannten Gruppen sind untereinander viel näher ver- wandt als mit den Spongien, und es erscheint vorteilhaft, innerhalb der Abteilung Coelentera zwei Typen zu unterscheiden, den einen für die Spongien, den andern für die übrigen Coelentera. Diese beiden Typen unterscheiden sich hauptsächlich in folgen- den Punkten. Das Kanalsystem der Spongien ist durchgehend, das der COnidaria ist eöcal. Die Gastrula der Spongien entsteht durch Einstülpung, jene der Cnidaria meist durch Delamination. Die Spongien haben Kragenzellen, die Onidaria nicht. Die Spongien entbehren beweglicher Anhänge und Nesselzellen, bei den Cnidaria sind solche, oder ihre Homologa (Greifzellen der Ütenophoren) vorhanden. Die Epithelien der Spongien bleiben stets einfach, und die Organe entwickeln sich aus Zellen der Mesogloea; bei den Cnidaria bleiben die Zellen der Mesogloea (Stützlamelle) stets einfach, und die Organe von Lendenfeld, Das System der Spongien. 115 entwickeln sich aus den Epithelien, wobei die letztern mehrschichtig werden. Jedenfalls reichen diese Unterschiede hin, um die Aufstellung eines eignen Typus für die Spongien innerhalb der Cölenteraten zu rechtfertigen. Der wesentlichste Unterschied zwischen den Spongien und den andern Cölenteraten ist der letztgenannte: der mesodermale Charakter der Spongienorgane und der epitheliale Charakter der Organe der andern Cölenteraten. Aus diesem Grunde habe ich den beiden Typen Namen beigelegt, in welchen dies ausgedrückt wird. Ich nenne den Typus der Spon- gien Mesodermalia, und jenen der andern Coelentera, die Polypo- medusen, Anthozoen und Ütenophoren enthaltend, Epithelaria Meine Annahme, dass die Spongien einen eignen Typus reprä- sentieren, steht im Einklang mit den Anschauungen von Schulze und Vosmaer. Ehe wir zur Einteilung dieses Typus schreiten, müssen wir versuchen, einen Einblick in den Stammbaum der Spongien zu ge- winnen. Es ist anzunehmen — und darin stimmen alle neuern Autoren überein —, dass die Schwämme mit Hornskelet, sowie jene, welche gar kein Skelet besitzen, von Spongien abstammten, die ein Kiesel- skelet besaßen. Paläontologie und vergleichende Anatomie stützen in gleichem Maße diese Annahme. Obwohl nun fundamentale Unterschiede in den Formen der Kiesel- schwammnadeln bestehen, so steht doch der Annahme nichts im Wege, dass alle Kieselspongien monophyletisch, von solchen Schwämmen herzuleiten seien, welche sich daran gewöhnt hatten, Kieselsäurehydrat- Gebilde von unbestimmter Form in ihrem Körper auszuscheiden. Diesen Schwämmen stehen offenbar jene gegenüber, welche statt des Kiesels kohlensauren Kalk auszuscheiden begannen, und wir kommen daher zu dem Schlusse, dass die Kragenzellen führenden, aber skeletlosen Urschwämme sich in zwei divergierenden Richtungen entwickelten. Die einen gewöhnten sich Kalk auszuscheiden: I. Classis Calcarea; die andern aber deponierten Kieselsubstanz in ihrem Körper: II. Classis Silicea. Die ursprünglichen Kalkschwämme waren den Urschwämmen insofern ähnlich, als sie einen sackförmigen Gastralraum ohne Di- vertikel besaßen; erst später bildeten sich Anhänge — Geißelkammern. In allen diesen Formen besteht das Entoderm durchaus aus Kragen- zellen: 1. Ordo Homocoela. Später trat eine Differenzierung des Entoderms ein. Die Kragen- zellen zogen sich in die Divertikel, Geißelkammern zurück, während der Gastralraum selbst und die Kanäle, welche die Kammern mit ihm verbanden, mit entodermalen Plattenzellen ausgekleidet wurden: 2. Ordo Heterocoela. gr 116 von Lendenfeld, Das System der Spongien. Der Silicea-Stamm, repräsentiert durch hypothetische Ursechwämme mit einem Skelet, welches aus Kieselnadeln von undeterminierter Form bestand, teilte sich frühzeitig in zwei Aeste. Einige dieser Spongien waren dünn, lamellös oder röhrenförmig; andere massig. Die Geißelkammern der erstern durchsetzten die dünne Lamelle oder Röhrenwand quer und waren sack- oder finger- hut-förmig und groß. Die Geißelkammern der letztern hingegen viel kleiner und kuglig. In beiden Gruppen nahmen die Kammern den ganzen Raum ein. Die undeterminierten Kieselbildungen lagen na- türlich in den Septen zwischen den Kammern, und sie passten sich naturgemäß der Gestalt dieser Septen an. Schulze hat nachgewiesen, dass die Räume zwischen den großen sackförmigen Kammern der ersten Gruppe geeignet sind, sechsstrahlige Nadeln zu beherbergen, während die Räume zwischen den dicht- gedrängten kugligen Kammern der zweiten Gruppe, gleich einem Kugelhaufen, vierstrahlige Räume zwischen sich frei lassen. So geschah es denn, dass die Kieselnadeln eine determinierte Gestalt annahmen. Die Nadeln der ersten Gruppe werden zu Sechs- strahlern: I. Subelassis ZTriaxonia; die Nadeln der andern Gruppe wurden zu Vierstrahlern: II. Subelassis Zeiraxonia. Bei weiterer Entwicklung büßten in diesen beiden Aesten des Silicea - Stammes viele Nadeln einige Strahlen ein, und es entstanden schließlich Stabnadeln. Die meisten der Angehörigen des Triaxonia- Stammes behielten zahlreiche drei- bis sechsstrahlige Nadeln bei: 1. Ordo Hexactinellida. Einige jedoch verloren ihre Nadeln ganz und gar, und bei den meisten von diesen wurde das Kieselskelet durch Sponginnadeln oder Sponginfasern ersetzt: 2. Ordo Hexaceratina. Der Tetraxonia-Ast teilte sich frühzeitig dichotom, und wir beobachten in beiden Zweigen desselben eine Tendenz, die vierstrahligen Nadeln der Urtetraxonia durch Reduktion der Strahlenzahl in Stab- nadeln zu verwandeln. Doch es wird dieser Zweck in den beiden Zweigen in verschiedener Weise erreicht. In dem einen Zweig werden außer den Vierstrahlern auch noch polyaxone, sternförmige Nadeln angetroffen, in dem andern aber ıneniskoide Spangen oder hakenförmige Nadeln. Sowohl die Sterne wie die Meniskoide sind Mikrosklere. Der Zweig, in welchem die Sterne vorkommen, ist jener, in welchem die Stabnadeln durch Reduktion dreier Strahlen aus den Vierstrahlern entstanden sind. Diese Nadeln erscheinen demnach als Einstrahler (Monacte). Dieser Zweig behält die charakteristischen Eigentümlichkeiten der Urtetraxonia viel mehr bei als der andere und bildet samt dem Tetraxonia- Stamm die 1. Ordo Chondrospongiae. Der andere Zweig mit meniskoiden Nadeln (Mikroskleren) um- fasst Spongien, deren Stabnadeln durch Verlust zweier Strahlen von Lendenfeld, Das System der Spongien. 117 aus den Vierstrahlern entstanden und somit Zweistrahler (Diacte) sind. Dieser Zweig zeichnet sich überdies auch noch dadurch aus, dass die denselben repräsentierenden Spongien Hornsubstanz oder Spongin sezernieren, welches die Stabnadeln verkittet. Mit fort- schreitender Entwicklung der Spongien dieses Zweiges nimmt die Masse des Spongins zu und die Nadeln werden rudimentär (Cerao- chalina, Siphonella, Thallassodendron, Aulena ete.). Schließlich gehen die Nadeln ganz verloren und das Skelet besteht aus Sponginfasern, in welche meist Fremdkörper eingebettet sind. Dieser Zweig bildet die 2. Ordo Cornacuspongiue. Es würde uns hier zu weit führen, auf die phylogenetischen Ver- hältnisse der einzelnen Familien einzugehen, doch seien mir noch folgende Bemerkungen über den Spongien -Stammbaum gestattet. Die Urform des Calcarea-Stammes wird durch die Asconidae repräsentiert. Aus diesen haben sich nach der einen Seite die Serie Homodermidae — Syconidae — Sylleibidae, die in dieser Reihenfolge aus einander hervorgegangen sind; nach der andern die Leucopsidae entwickelt, von denen einerseits die Teichonidae, anderseits die Leuco- nidae abzuleiten sind. Der Silicea- Stamm wird durch keinen existierenden Schwamm repräsentiert. Dem Triaxonia-Stamm nahe stehen die Hyalonema- tidae, von denen einerseits die übrigen Lyssacina und anderseits die Dictyonina abzuleiten sind. Vom Lyssacina-Aste geht ein Zweig ab (Ordo Hexaceratina), der einerseits die skeletlosen Halisarcidae und anderseits die mit einem Hornskelet ausgestattete Serie Darwinellidae — Aplysıllidae abgibt. Dem Tetraxonia-Stamm nahe stehen die Cortieidae, von denen einerseits die Thrombidae, anderseits die Plakinidae abgehen. Der Thrombidenast trägt die meisten Familien der Choristida (Tetraeti- nelliden), die Zithistida, die Oluvulina und Oligosilicina. Die Axinellidae und Spongillidae betrachte ich als Endformen der Clavulina. Die Oligosilicina, die ebenfalls Endformen dieser Gruppe sind, umfassen die Familien Astropeplidae, Chondrillid«e und Chondro- sidae, die letztern sind vollkommen skeletlos. | Von den Plakinidae sind einerseits die skeletlosen Oscurellidae und anderseits die Cornacuspongiae abzuleiten. Der Cornacuspongien- Ast verzweigt sich trichotom zu den Familien Heterorrhaphidae, Desmacidonidae und Homorrhaphidae. Von diesen sind durch Ersatz der Nadeln durch Spongin oder Fremdkörper hervorgegangen: aus den Heterorraphidae die Spongelidae, aus den Desmacidonidae die Aule- n’dae und aus den Homorrhaphidae die Spongidae. Zu dem folgenden System, welches auf diesen Grundsätzen auf- gebaut ist, sind die Einteilung der Calcarea von mir!), der Hexaeti- 4) R. v. Lendenfeld, Die Verwandtschaftsverhältnisse der Kalkschwämme Zoologischer Anzeiger, Bd. 8, 1885, S. 211—215. 118 von Lendenfeld, Das System der Spongien. nellida von Schulze!) und der Hornschwämme von mir?) unverändert anfgenommen. Die von Ridley, Dendy?) und Sollas*) neuerlich aufgestellten Systeme sind so weit als thunlich beibehalten und alle von diesen Autoren errichteten Monaktinelliden- und Tetraktinelliden- Familien beibehalten worden. Die Gruppierung der Familien dieser Autoren musste jedoch vielfach geändert werden. Die höhern systematischen Begriffe, bis zu den Familien herab, sind mit Diagnosen versehen, Subfamilien und Sippen sind angegeben und sämtliche von mir anerkannte Genera von Spongien aufgezählt. Phylum Mesodermalia Lendenfeld. Coelentera mit durch- gehendem Kanalsystem, mesodermalen Organen, entodermalen Kragen- zellen. Ohne Nesselzellen oder bewegliche Anhänge. I. Classis Calcarea Gray. Mesodermalia mit Kalkskelet. 1. (1) Ordo Homocoela Pol&jaeff emend. Calcarea, deren Ento- derm ausschließlich aus Kragenzellen besteht. 1. (1) Familia Asconidae Haeckel emend. Homocoela wit ein- fachem Gastralraum ohne Geißelkammern. — AscettaHaeckel, Ascilla Haeckel, Ascissa Haeckel, Ascaltis Haeekel, Ascortis Haeckel, Asculmis Haeckel, Ascandra Haeckel. 2. (2) Familia Homodermidae Lendenfeld. Homocoela von radial symmetrischer Gestalt mit zentralem röhrenförmigem Gastralraum und radial gestellten sackförmigen Geißelkammern. — Homoderma Len- denfeld. 3. (3) Familia Leucopsidae Lendenfeld. Homocoela, welche als Asconkolonien erscheinen, deren ziemlich mächtig entwickeltes Meso- derm die Gastralräume der einzelnen Asconpersonen zu einen Ganzen vereint. Von außen führen kleine Poren in dieselben; nach innen münden sie mit größern Oeffnungen in einen gemeinschaftlichen Hobl- raum. — Leucopsis Lendenfeld. 2. (2) Ordo Heterocoela Pol&jaetf emend. Calcarea, deren Ento- derm im zentralen Magenraum und in den Kanalwänden aus Platten- zellen, und in den Divertikeln desselben — den Geißelkammern — aus Kragenzellen besteht. 1. (4) Familia SyconidaeHaeckel emend. Heterocoela mit radial gestellten zylindrischen Geißelkammern, welche direkt in den zen- tralen Gastralraum münden. I. Subfamilia Syconinge Lendenfeld. Sycetta Haeckel, Syerlla Haeckel, Sycyssa Haeckel, Sycaltis Haeckel, Sycortis Haeckel, Syculmis Haeckel, Sycandra Haeckel. 1) F. E. Schulze, Hexactinellida. Report on the Scientifie Results of the Voyage of H. M. S. „Challenger“. Zoology, vol. 21, 1887. 2) R. v. Lendenfeld, A Monograph of the Horny Sponges. Royal So- ciety, London 1889. 3) 8. 0. Ridley and A. Dendy, Monaxonida. Report on the Scientific Results of the Voyage of H. M. S. „Challenger“. Zoology, vol. 20, 1887. 4) J. W. Sollas, Tetractinellida. Report on the Scientific Results of the Voyage of H. M. S. „Challenger“. Zoology, vol. 25, 1888. von Lendenfeld, Das System der Spongien, 119 II. Subfamilia Uteinae Lendenfeld emend. Grantessa Lenden- feld, UteScehmidt, Amphoriscus Haeckel, Grantia Fleming, He- teropegma Pol&jaeff, Anamixilla Polejaeft. 2. (5) Familia Sylleibidae Lendenfeld. Heterocoela mit zylin- rischen Geißelkammern, welehe nicht direkt in das Oskularrohr münden, sondern mit demselben durch ein wohlentwickeltes abführen- des Kanalsystem in Verbindung stehen. I. Subfamilia Vosmaerinae Lendenfeld. — Vosmaeria Len- denfeld. II. Subfamilia Polejnae Lendenfeld. — Polejna Lendenfeld. 3. (6) Familia Leuconidae Haeckel. Heterocoela mit kugligen Kammern und verzweigten Kanälen. — Leucetta Haeckel, Leueilla Haeckel, Leucyssa Haeckel, LewcaltisHaeckel, Leucortis Haeckel, Leuculmis Haeckel, Leucandra Haeckel. | 4. (7) Familia Teichonidae Carter. Heterocoela ohne Gastralraum. Die einführenden Poren liegen auf der einen und die ausführenden auf der andern Seite des plattenförmigen Schwammes. Teichonella Carter, Eilhardia Polejaeff. II. Classis Silicea Gray. Mesodermalia wit einem Skelet, welches aus Kieselnadeln oder Hornfasern besteht, oder ausnahmsweise fehlt. Ohne Kalkskelet. I. Subelassis Triaxonia Schulze emend. Silicea mit großen, sackförmigen oder unregelmäßigen Kammern mit weiter Mündung, mit wenig entwickeltem Mesoderm. Skelet ist in der Regel vor- handen, es besteht aus triaxonen Kieselnadeln oder markhaltigen, fremdkörperfreien Hornfasern, zu denen sich ausnahmsweise triaxone Hornnadeln geseller. 1. (3) Ordo Hexactinellida Schmidt. Triaxonia mit Kieselskelet. I. Subordo Lyssaeina Zittel emend. Hewactinellida, deren Na- deln entweder sämtlich isoliert bleiben, oder zum Teil später in un- regelmäßiger Weise durch Kieselmasse verlötet werden. I. Tribus Hexasterophorae Schulze. Lyssacina mit scharf von einander abgesetzten, fingerhutförmigen Kammern und mit Hexastern im Parenchym. 1. (8) Familia Euplectellidae Gray. Dünnwandige röhren- oder sackförmige Hexasterophora, in deren Hautskelet hexakte Hypoder- malia mit längerem radialem Proximalstrabl vorkommen. I. Subfamilia Euplectellinue Schulze. Enuplectella Owen, Rega- drella Schmidt. II. Subfamilia Holascinae Schulze. Holascus Schulze, Ma- lacosaccus Schulze. II. Subfamilia Taegerinue Schulze. Tuegeria Schulze, Wal- teria Schulze. Euplectellidae incertae sedis. Habrodietyum Wyville Thomson, Dictyocalyx Schulze, Rhabdodietyum Schmidt, Eudietyum Marshall, Rhabdopectella Schmidt, Hertwigia Schmidt, Hyalostylus Schulze. 120 von Lendenfeld, Das System der Spongien. 2. (9) Familia Asconematidae Schulze. Hexasterophora mit pentakten oder hexakten Pinulae im Dermal- und Gastralskelet, mit Diskohexastern im Parenchym und pentakten Hypodermalia und Hypogastralia. I. Subfamilia Asconematinae Schulze. Aulascus Schulze. II. Subfamilia Sympagellinae Schulze. — Sympagella Schmidt, Polyrhabdus Schulze, Balanites Schulze III. Subfamilia Caulophacinae Schulze. — Caulophacus Schulze, Trachycaulus Schulze. 3. (10) Familia Rossellidae Schulze. Hexasterophora, deren Dermalia des distalen Radialstrahls entbehren. — Lanuginella Schm., Polylophus Schulze, Rossella Carter, Acanthasceus Schulze, Bathy- dorus Schulze, Rhabdocalyptus Schulze, Cruteromorpha Gray, Aulochone Schulze, Caulocalye Schulze, Aulocalyc Schulze, Eury- plegma Schulze. II. Tribus Amphidiscophora Schulze. Lyssaeina mit Amphidisken, aber ohne Hexaster im Parenchym. Die Kammern sind nicht scharf von einander abgesetzt, sondern erscheinen als ziemlich unregelmäßige Aussackungen der Gastralwand. 1. (11) Familia Hyalonematidae Schulze. Amphidiscophora mit zahlreichen pentakten Pinulae sowohl in der Gastral- wie in der Dermalmembran. I. Subfamilia Ayalonematinae Schulze. — Hyalonema Gray, Pheronema Leidy, Poliopogon Wyville Thomson. II. Subfamilia Semperellinae Schulze. — Semperella Gray. II. Subordo Dietyonina Zittel. Hexactinellida, deren größere parenchymale Hexaecte sich von vornherein in mehr oder minder regel- mäßiger Weise zu einem zusammenhängenden, festen Gerüste ver- binden. I. Tribus Uneinataria Schulze. — Dictyonina mit Uneinaten. I. Subtribus Clavularia Schulze. — Uncinataria, welche neben den pentakten Hypodermalia und Hypogastralia, Gruppen radiär ge- stellter Clavulae besitzen. & 1. (12) Familia Farreidae Schulze. — Clavularia, deren Diktyonal- gerüst im den jüngsten Körperpartien ein einschichtiges Netz mit quadratischen Maschen bildet, von dessen Knoten nach beiden Seiten konische Zapfen abgehen. — Farrea Bowerbank. II. Subtribus Scopularia Schulze. — Uncinataria wit radiär ge- stellten Scopulae neben den pentakten Hypodermalia und Hypo- gastralia. 1. (13) Familia Buretidae Schulze. — Scopularia, welche aus anastomosierenden Röhren bestehen, die ein unregelmäßiges Gerüst oder einen Kelch bilden. Das Diktyonalgerüst wird gleich anfangs mehrschichtig angelegt, so dass selbst an den Röhrenenden das Netz nie einschichtig ist. — Zurete Semper, Periphragella Marshall, Lefroyella Wywille Thomson. von Lendenfeld, Das System der Spongien. 121 2. (14) Familia Melittionidae Zittel. — Scopularia von der Form einer verästelten Röhre oder eines Kelches.. Das Diktyonalskelet bildet bienenwabenartige Zellen, welche die Wand durchsetzen, und durch je eine kegelförmige eingezogene mit Kragenzellen besetzte Membran abgeschlossen werden. — Aphrocallistes Gray. 3. (15) Familia Coseinoporidae Zittel. — Kelehförmige Scopu- /aria, deren Wände von Triehterkanälen durehsetzt werden, die ab- wechselnd innen und außen ausmünden. — Chonelasma Schulze. 4. (16) Familia Tretodietyidae Schulze. — Scopularia mit un- regelmäßig angeordneten Kanälen, welche das Diktyonalgerüst schräg im gewundenen Verlaufe durchsetzen. — Hexactinella Carter, Cyr- taulon Schulze, Fieldingia Kent, Scelerothumnus Marshall. U. Tribus Inermia Schulze. — Dictyonina ohne Uneinate. 1. (17) Familia Maeandrospongidae Zittel. — Inermia, deren Körper aus maeandrisch gewundenen anastomosierenden Röhren be- steht, zwischen denen vestibulare Lakunen liegen. — Dactylocalyx Stuchbury, Scleroplegma Schmidt, Margaritella Sehm., Myliusia Gray, Aulocystis Schulze. 2. (4) Ordo Hexaceratina Lendenfeld. — Triaxonia mit Horn- skelet, oder ohne Skelet. 1. (18) Familia Darwinellid«e Lendenfeld. — Hexaceratina mit einem Skelet, welches aus Hornfasern und Hornnadeln besteht. — Darwinella F. Müller. 2. (19) Familia Aplysillidae Lendenfeld. — Hexaceratina mit einem Skelet, welches aus Hornfasern besteht; ohne Hornnadeln. — Janthella Gray, Aplysilla Schulze, Dendrilla Lendenfeld. 3. (20) Familia Halisareidae Vosmaer emend. Skeletlose Hexa- ceratina. — Bajulus Lendenfeld, Halisarca Dujardin. II. Subelassis Tetraxonia Schulze emend. Silicea mit einem komplizierten Kanalsystem, kleinen rundlichen oder ovalen Kammern, hoch entwickelter mesodermaler Grundsubstanz und mit einem Skelet, welches aus tetraxonen oder monaxonen Kieselnadeln oder einem Netz- werk von Hornfasern besteht, in welchen in der Regel selbst gebildete (monaxone) Kieselnadeln oder Fremdkörper enthalten sind. Selten besteht das Skelet bloß aus zerstreuten Fremdkörpern, oder fehlt ganz. 1. (5) Ordo Chondrospongiae Lendenfeld. Tetraxonia mit einem Skelet, welches aus tetraxonen oder monaxonen Megaskleren besteht, die nicht in Hornfasern eingebettet sind. Mikrosklere, wenn vorhanden, stellar, niemals meniskoid. Selten skeletlos. I. Subordo Lithistida Schmidt. Chondrospongiae mit desmaren Megaskleren. I. Tribus Hoplophora Sollas. Lithistida mit besondern Dermal- nadeln. I. Subtribus Tröaenosa Sollas. Hoplophora mit dermalen Triaenen und Mikroskleren. 122 von Lendenfeld, Das System der Spongien. 1. Familia Tetracladidae Zittel emend. Triaenosa mit tetra- krepiden Desmen. — Theonella Gray, Discodermia Bocage, Raco- discula Zittel, Kaliapsis Bowerbank, Neosiphonia Sollas, Rimella Schmidt, Collinella Schm., Suleastrella Schm. 2. (22) Familia Corallistidae Sollas. — Triaenosa mit mono- krepiden, tuberkeltragenden Desmen. — Corallistes Schmidt, Ma- candrewia Gray, Callipelta Solla=, Daedalopelta Sollas, Hetero- phymia Pomel. 3. (23) Familia Pleromidae Sollas. Triaenosa mit glatten, mono- krepiden Desmen. — Pleroma Sollas, Lyidium Schmidt. II. Subtribus Rhabdosa Sollas. Hoplophora, deren Dermalnadeln kleine Amphistrongyle oder Scheiben sind. Die Desmen sind monokrepid. 1. (24) Familia Seleritodermidae Sollas. BRhabdosa mit kleinen dermalen Amphistrongylen und Sigmaspiren im Innern. — Selerito- derma Schmidt, Aeciculites Schmidt. 2. (25) Familia Neopeltidae Sollas. Khabdosa, deren Dermal- nadeln monokrepide Scheiben sind. — Neopelta Schmidt. 3. (26) Familia Oladopeltidae Sollas. Rhabdos« ohne Mikrosklere, deren Dermalnadeln stark verzweigte, tangential ausgebreitete Desmen sind. — Siphonidium Schmidt. II. Tribus Anoplia Sollas. Lithistida ohne besondere Dermal- nadeln und ohne Mikrosklere. 1. (27) Familia Azoricidae Sollas. Anoplia mit monokrepiden Desmen. — Azorica Carter, Tretolophus Sollas, Gastrophanella Schmidt, Setidium Schm., Poritella Schm., Amphibleptula Schm,, Tremaulidium Schm., Leiodermatium Schm, Sympyla Sollas. 2. (28) Familia Anomocladidae Zittel. Anoplia mit akrepiden Desmen, mit zylindrischen Aesten, die von einer zentralen Anschwel- lung ausstrahlen. — Vetulina Schmidt. II. Subordo Choristida Sollas. Chondrospongiae meist mit einem Skelet, welches aus regelmäßigen, mit einander nicht gelenkig ver- bunden tetraxonen und monaxonen, selten bloß monaxonen Megaskleren und häufig Mikroskleren, welche stets stellar sind, besteht. Wenn alle Megasklera monaxon sind, dann sind stets Sterraster vorhanden. I. Tribus Sögmatophora Sollas. Choristida mit Sigmaspiren. 1. (29) Familia Tetillidae Sollas. Sigmatophora mit schlanken Protriaenen. — Tetilla Sehmidt, Chrotella Sollas, Cinachyra Sollas, Craniella Schmidt. 2. (30) Familia Samidae Sollas. Sigmatophora mit Amphitriaenen. Samus Gray. R ll. Tribus Astrophora Sollas. Choristida mit Astern. I. Subtribus Streptastrosa Sollas. Astrophora mit Spirastern. 1. (31) Familia Thenidae Sollas. Streptastrosa ohne Rinde. — Thenea Gray, Poeeillastra Sollas, Sphinctrella Schmidt, Chara- cella Sollas, Triptolemus Sollas, Staeba Sollas, Nethea Sollas, Plakinastrella Schulze. von Lendenfeld, Das System der Spongien. 125 zı) 2. (32) Familia Pachastrellidae Sollas. Streptastrosa mit Rinde mit Calthropen, aber olıne Triaene. Mikrosklere: Spiraster, Spheraster und Mikrorhabde. — Dercitus Gray, Pachastrella Schmidt, Calthro- pella Sollas. II. Subtribus Kuastrosa Sollas. Astrophora mit Euastern, ohne Spiraster und Sterraster, mit Triaenen, aber ohne Calthrope. 1. (33) Familia Stellettidae Sollas. Euastrosa mit Ampbhioxen, Megaskleren und mit Orthotriaenen, oder Plagiotriaenen, oder Dieho- triaenen, zuweilen auch Anotriaenen. I. Subfamilia Homasterina Sollas. — Myriastra Sollas, Pilo- chrata Sollas, Astrella Sollas. II. Subfamilia Zuasterina Sollas. — Anthastra Sollas, Stelletta Schmidt, Dragmastra Sollas, Aurora Sollas. 1lI. Subfamilia Sanidasterinae Sollas. — Tribrachium W eltner, Disyringa Sollas, Ancorina Schmidt, Tethyopsis Stewart, Stryph- nus Sollas. IV. Subfamilia Rhabdasternia Sollas. — KEeionema Bower- bank, A/gol Sollas, Papyrula Schmidt, Psammastra Sollas. III. Subtribus Sterrastrosa Sollas. Astrophora mit Sterrastern. 1. (34) Familia Geodidae Vosmaer. Sterrastrosa mit tetraxonen Megaskleren. I. Subfamilia Erylinae Sollas. — Erylus Gray, Caminus Gr., Pachymatisma Bowerbank. II. Subfamilia Geodinae Sollas. — Geodia Lamarck, Uydonium Fleming, Synops Vosmaer, /sops Sollas. 2. (35) Familia Placospongidae Sollas. Sterrastrosa ohne tetra- xone Nadeln mit monaxonen Megaskleren. — Placospongia Gray, Antares Sollas. Ill. Tribus Meguselerophora nov. Choristida ohne Mikrosklere. 1. ı36) Familia Tethyopsillidae Lendenfeld. Megasclerophoru, deren Nadeln in radialen Bündeln angeordnet sind. — Tethyopsilla Lendenf., Proteleia Dendy u. Ridley. IV. Tribus Mieroselerophora Sollas. Choristida olıne Megasklere, Mikrosklere, wenn vorhanden zwei- bis vierstrahlige Aster, Kan- delaber oder Mikrotriaene, selten skeletlos. Ohne Rinde. 1. (37) Familia Pakinidae Sehulze. Microsclerophora mit weicher, hyaliner Grundsubstanz und einem Skelet, welches aus zwei- bis vierstrahligen Astern besteht. — Plakina Sehulze, Plakortis Schulze. 2. (33) Familia Corticidae Vosmaer. Microsclerophora, deren mesodermale Grundsubstanz in gewissen Körperteilen weich und hyalin, in andern knorpelhart ist. Mit vierstrahligen Astern und Kandelabern. — Corticium Schmidt, Calcabrina Sollas, Corticella Sollas, Rhachella Sollas. 3. (39) Familia Thrombidae Sollas. Microsclerophora mit kör- niger, zellenreicher Grundsubstanz und einem Skelet, welches aus 124 von Lendenfeld, Das System der Spongien. Trichotriäenen und zuweilen auch Amphiastern besteht. — Thrombus Sollas. 4. (40) Familia Oscarellidae Lendenfeld. Microsclerophora ohne Skelet. — Oscarella Vosmaer. III. Subordo Olavulina Vosmaer emend. Chondrospongiae mit einem Skelet, welches aus monaxonen, niemals tetraxonen Megaskleren besteht. Mikrosklere häufig vorhanden, stellar. I. Tribus Thallossospongiae nov. Clavulina des Meeres ohne (Gemmulae. 1. (41) Familia Tethidae Gray emend. Thallassospongiae, deren Skelet aus radialen Bündeln von Stylen oder Tylostylen besteht, ohne Öbone. Mikrosklere, wenn vorhanden Aster oder Mikrorhabde. — Tethya Lamark, Tethyorrhaphis Lendenf., Tuberella Keller, Co- /umnites Schmidt. 2. (42) Familia Sollasellidae Lendenf. Thallassospongiae mit einem Skelet, welches aus unregelmäßig gelagerten Amphioxen oder Stylen besteht. Ohne Mikrosklere. Mit Chone. — Magog Sollas, Sollasella Lendentf. 3. (43) Familia Dorypleridae Sollas. Thallassospongiae ohne Chone, mit einem Skelet, welehes aus amphioxen Megaskleren und sroßen Oxyastern besteht. — Dorypleres Sollas. 4. (44) Familia Spirastrellidae Ridley u. Dendy. Thalasso- spongiae mit meist tylostylen Megaskleren. Mikrosklere stets vor- handen: Spiraster oder Discorhabde, welche besonders an der Ober- fläche in größern Mengen auftreten. — Spirastrella Schmidt, Pa- pillina Schmidt, Raphyrus Bowerbank, Papillisa Lendenfeld, Latrunculia Bocage. 5. (45) Familia Epipolasidae Sollas. Thallassospongiae ohne Chone mit amphioxen Megaskleren, welche teilweise in Bündeln an- geordnet und teilweise regellos zerstreut sind. Mikrosklere vorhan- den: langgestreckte Aster. — Amphius Sollas, Asteropus Sollas, Coppatias Sollas. 6. (46) Familia Scolopidae Sollas. Thallassospongiae mit einer Rinde, welehe aus radialen diehtstehenden Amphioxen besteht. Das Stützskelet besteht aus amphioxen Megaskleren. Mikrosklere vor- handen: Amphiaster. — Scolopes Sollas. 7. (47) Familia Suberitidae Vosmaer. Thallassospongiae ohne Chone und ohne Mikrosklere. — Suberites Nardo, Polymastia Bo wer- bank, Poterion Schlegel, Pleetodendron Lendenf., Tentorium Vosmaer, Trichostemma Sars, Quasillina Norman, Stylocordyla Wyville Thomson, Rhizaxinella Keller, Cliona Grant. 8. (48) Familia Axinellidae Ridley u. Dendy. Thallassospongiae mit großen Subdermalräumen, deren Skelet aus Bündeln von Am- phioxen oder Stylen besteht, welche in der Regel in der Mitte der Sehwammäste eine starke axiale Skeletsäule bilden, von der Zweig- fasern garbenförmig gegen die Oberfläche ausstrahlen. Sponginkitt von Lendenfeld, Das System der Spongien. 125 zuweilen vorhanden. Mikrosklere, wenn vorhanden AÄster, Spirule oder Trichodragme. I. Subfamilia Hemiasterellinae nov. — Hemiasterella Carter, kEpallax Sollas. II. Subfamilia Spirophorellinae nov. — Dendropsis Kidley u. Dendy, Spirophorella Lendenf. II. Subfamilia Thrinacophorinae nov. — Thrinacophora Ridley. IV. Subfamilia Axinellinae nov. — KRaspailia Nardo, Acanthella Schmidt, Axinella Schmidt, Hymeniacidon Bowerbank, Pha- kellia Bowerb., Ciocalypta Bowerb. I. Tribus Potamospongiae Gray. Clavulina des süßen Wassers mit Gemmulae. 1. (49) Familia Spongillidae Gray. Potamospongiae mit einem Skelet, das aus kurzen häufig gedornten Amphioxen, Stylen oder Amphistrongylen besteht; pflanzen sich mittels Gemmulae fort, die von einem eignen Skelet umgeben sind, welches aus Amphidisken oder stachligen Amphioxen besteht. — Spongilla Lamarck, Ephy- datia Lamouroux, Tubdella Carter, Parmula Carter, Hetero- meyenia Potts, Lubomirskia Dybowski, Lessepsia Keller, Uruguaya Carter, Potamolepis Marshall. IV. Subordo Oligosilieina Vosmaer emend. Chondrospongiae ohne Stützskelet. Mikrosklere, wenn vorhanden Spheraster oder Oxyaster. Mit wohlentwickelter Rinde, körniger Grundsubstanz, kleinen Kammern und engen Kanälen, ohne Subdermalräume. 1. (50) Familia Astropeplidae Sollas. Oligosilicina mit Oxyastern und kleinen Amphioxen (zweistrahligen Oxyastern) — Astropeplus Sollas. 2. (51) Familia Chondrillidae Lendenf. Oligosiliecina mit Spher- astern. — Chondrilla Schmidt. 3. (52) Familia Chondrosidae Lendenf. Oligosilieina ohne Na- deln. — Chondrosia Nardo. 2. (6) Ordo Cornacuspongiae Vosmaer emend. Tetraxonia mit einem Skelet, welches entweder aus monaxonen, niemals tylostylen durch Spongin zusammengekitteten Megaskleren; oder aus Spongin- fasern ohne eingelagerte Nadeln besteht. In der Regel finden sich Fremdkörper in den nadelfreien Fasern. Zuweilen besteht das ganze Skelet aus zerstreuten Fremdkörpern fast ohne Spongin. Mikrosklere wenn vorhanden meniskoid, niemals stellar. 1. (53) Familia Desmacidonidae Ridley und Dendy. Cornacu- spongiae mit chelen and andern meniskoiden Mikroskleren oder, wenn diese fehlen, mit Skeletfasern in welche schräg abstehende Nadeln eingesenkt sind. I. Subfamilia Esperellinae Ridley und Dendy, Esperella Vos- maer, Esperiopsis Carter, Oladorhiza Sars, Chondracladia Wyville Thomson, Hamigera Gray, Desmacidon Bowerbank, Artemisina Vosmaer, Phelloderma Ridley u. Dendy, Jophon Gray, Jotrocha 126 von Lendenfeld, Das System der Spongien. Ridley, Axinoderma Ridley u. Dendy, Melüderma Ridley und Dendy, Melonanchora Carter, Forepina Vosmaer. II. Subfamilia Eetyoninae Ridley und Dendy. Olathriodendron Lendenfeld, Myailla Schmidt, Clathria Schm., Clathrissa Len- denfeld, Echinonema Uarter, KRhaphidophlus Ehlers, Plumohali- chondria Carter, Plocamia Schmidt, Acarnus Gray, Echinodietyum Ridley, Agelos Duchassing und Michelotti, Kalikenteron Len- denfeld, Plectispa Lendenfeld, Echinoclathria Carter, Thallaso- dendron Lendenf., Olathriopsamma Lendenf. 2. (24) Familia Anlenidae Lendenfeld. Cornacuspongiae von retikulöser Struktur mit ausgedehnten und oft komplizierten Vestibular- räumen mit kleinen Geißelkammern und einem harten Skelet, welches aus einem dichten Netz, starker, oft sandführender Fasern besteht, an den oberflächlichen Fasern finden sich zuweilen abstehende Nadeln, ohne Mikrosklere. — Aulena Lendenfeld, Hyattella Lendenf. 3. (55) Familia Heterorrhaphidae Ridley u. Dendy. Cornacu- spongiae mit einem Skelet, welches aus schlanken, häufig stylen Megaskleren besteht, die entweder frei oder in Hornfasern liegen. Meniskoide Mikrosklere häufig vorhanden, niemals Chele. I. Subfamilia Stylotellingae Lendenfeld. — Stylotella Lenden- feld. Il. Subfamilia Phloeodietyiniae Ridley u.Dendy. — Rhizochalina Schmidt, Oceanapia Norman. Ill. Subfamilia Gellinae Ridley und Dendy. — Gellius Gray, Gelliodes Ridley. IV. Subfamilia Tedaniinae Ridley u. Dendy. — Tedania Gray, Trachytedania Ridley. V. Subfamilia Desmacellinae Ridley und Dendy. — Desmacella Schmidt. VI. Subfamilia Hamacanthinae Ridley und Dendy. — Vomerula Schmidt. 4. (56) Familia Spongelidae Vosmaer. Cornacuspongiae mit sroßen, ovalen Geißelkammern mit weiter Mündung, mit hyaliner Grundsubstanz und einem Skelet, welches aus nadelfreien fremdkörper- reichen Hornfasern, oder aus zerstreuten Fremdkörpern besteht. Mikro- sklere, wenn vorhanden Sigme, grade oder gekrümmte Amphistrongyle oder Style, oder ovale Kieselkörper. I. Subfamilia Phoriosponginae Lendenfeld. — Phoriospongia Marshall, Sögmatella Lendenfeld. II. Subfamilia Spongelinae Lendenfeld. — Haastia Lendenf., Psanmmopemma Marshall, Spongelia Nardo. 5. (57) Familia Homorrhaphidae Ridley u. Dendy emend. — Cornacuspongiae mit einen Skelet, welehes aus amphioxen oder amphi- strongylen, selten stylen Megaskleren besteht, die durch Spongin ver- kittet werden, oder in Sponginfasern eingelagert sind. Mikrosklere ausnahmsweise vorhanden, dann Toxe. Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. 197 I. Subfamilia Renierinae Ridley und Dendy. — KHalichondria Fleming, Petrosia Vosmaer, Foliolina Schmidt, Reniera Nardo, Reniochalina Lendenfeld. II. Subfamilia Chalininae Ridley und Dendy. I. Gruppe Chalinorrhaphinae Lendenfeld. Chalinorrhaphis Len- denfeld. II. Gruppe Hoplochalininae Lendenf. Hoplochalina Lendenf. III. Gruppe Cacochalininae Lendenfeld. — Cacochalina Schmidt, Cladochalina Lendenf., Chalinopora Lendenf., Chalinella Lendent. IV. Gruppe Pachychalininae Lendenfeld. — Pachychalina Schm., Challinissa Lendenf., Ceraochalina Lendenf. V. Gruppe Plakochalininae Lendenf. — Plakochalina Lendenf., Cribrochalina Schmidt, Euplakella Lendenf., Platychalina Ehlers, Antherochalina Lendenf. VI. Gruppe Siphonochaliniae Lendenf. — Phylosiphonia Lendenf., Siphonochalina Schm., Toxachalina Ridley, Siphonella Lendenf. VII. Gruppe Arenochalininae Lendenf. -— Arenochalina Lendenf. VII. Gruppe Euchalininae Lendent. Dactylochalina Lendent., Euchalinopsis Lendenf., Euchalina Lendenf., Chalinodendron Ldf. 6. (58) Familia Spongidae Schulze emend. Cornacospongiae mit kleinen kugligen oder birnförmigen Kammern, mit mehr oder weniger körniger Grundsubstanz, und einem Skelet, welches aus einem Netzwerk von Hornfasern meist mit eingelagerten Fremdkörpern be- steht. Selten ist das Skelet aus mehr oder weniger verkitteten Sand- körnern zusammengesetzt. Ohne selbstgebildete Nadeln. I. Subfamilia Zusponginae Lendenf. — Chalinopsilla Lendent., Phyllospongia Ehlers, Leiosella Lendenf., Coscinoderma Carter, Euspongia Bronn, Hippospongia Schulze. II. Subfamilia Aplisininae Lendenf. — Thorecta Lendenf., Thorectandra Lendenf., Lufaria Polejaeff, Aplysinopsis Lendenf., Aplysina Nardo. III. Subfamilia Drwinellinae Lendenf. — Druinella Lendent. IV. Subfamilia Halminae Lendenfeld. — Oligoceras Schulze, Dysideopsis Lendenf., Halme Lendenf. V. Subfamilia Sielosponginae Lendenf. — Stelospongia Sehm., Hicinia Nardo. Ein Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Von Prof. A. Kowalevsky in Odessa. [Nachtrag')]. Während des Druckes des in den vorigen zwei Nummern dieses Blattes enthaltenen Aufsatzes wurden einige weitere Untersuchungen in dieser Rich- tung angestellt, welche ich hier kurz zusammenfasse. Ich habe einen Hund mit Echinococeus-Blasen enthaltender Leber gefüttert, und dann wurde während dreier Wochen der Nahrung des Hundes karminsaures A) Vergl. die vorhergehenden Nr. 2 und 3, 128 Kowalevsky, Beitrag zur Kenntnis der Exkretionsorgane. Ammon beigemischt. Das Wassergefäßsystem der Taenia Echinococeus wurde ziemlich rot gefärbt; besonders rot waren die größern seitlichen Stämme. Versuche mit Indigokarminfütterung sind insofern misslungen, als die ent- sprechenden Hunde keine Taenien enthielten. Es ist aber vorauszusetzen, dass indigokarmin um die sogenannten Kalkkörperchen sich ansammeln könnte. — Bei längerer Karminfütterung der Mellina adriatica, welche zu der Familie der Terebelliden gehört, haben die innern Schlingen ihrer Segmentalorgane resp. Nephridien viel Karmin aufgespeichert. — Somit wären die innern Schlingen der Nephridien der Annelida sedentaria, welche meist einen ganz spezifischen Bau besitzen, denjenigen Teilen der Harnorgane entsprechend, welche ich als sauer reagierende Teile bezeichnete. — Von den Arthropoden wurden einige Skorpionen und Spinnen unter- sucht, denen ich karminsaures Ammon in die Beine einspritzte. Dasselbe wurde von den Blutkörperchen gierig aufgenommen, so dass das Herz tiefrot erschien, wobei aber die Färbung von den hier angehäuften Blutkörperchen abhing. Außer den Blutkörperchen färbte sich ein Teil der Coxaldrüse der Skorpionen und namentlich der Teil, welchen Prof. Lankester „medullary substance* nennt, tiefrot. — Dieser Teil entspricht also dem Endsätckchen der Crustaceen, und die andere aus großen Zellen bestehende Abteilung wäre dem Harnkanälchen zu vergleichen. Ferner habe ich an einigen Wirbeltieren Versuche mit der Einspritzung von Lakmus vorgenommen. Nach der Einspritzung des blauen Lakmus bei Mäusen, Kaninchen, Hunden und Tauben wird der Harn oder werden die Harn- konkremente deutlich rot, und bei Zusatz von Alkalien nehmen dieselben die blaue Farbe an; die Rötung bei den Tauben, Mäusen und Hunden geschieht einige Minuten nach der Einspritzung. Von welchen Teilen der Niere das Lakmus abgeschieden wird, konnte in den meisten Fällen nicht bestimmt wer- den. Nur zweimal ist es mir gelungen, die blaue Färbung der Harnkanälchen zu konstatieren. Das war bei einer Maus, der ich den blauen Lakmus in die Leibeshöhle einspritzte. Die Niere wurde ganz blau; auf den Schnitten waren viele Harnkanälchen tiefblau gefärbt, und die Farbe war an die Körnchen von deren Zellen gebunden. Die Kerne der Zellen waren ungefärbt. — Einen zweiten ganz ähnlichen Fall habe ich an einigen Kaulquappen von Bufo cinerea beobachtet, bei denen auch einzelne Harnkanälchen der Niere bei der Einspritzung des blauen Lakmus in die Leibeshöhle blau gefärbt wur- den. Wie bei der Maus, so waren auch bei der Kaulquappe die Malpighi- schen Körperchen der blaugefärbten Harnkanälchen ungefärbt. - Ich erkläre mir diese Erscheinung in der Weise, dass das Lakmus, wenn es von den Malpighi’schen Körperchen auch abgesondert wurde, sogleich mit dem Wasser weiter nach unten verdrängt wird und in den Harn gelangt. Wenn die Harnkanälechen auch das blaue resp. alkalische Lakmus absondern, so wird dasselbe durch die überwiegend saure Reaktion des Harnes wieder rot. Jedenfalls wird erstens der Harn von der Einspritzung des blauen Lakmus sehr bald rot, und zweitens habe ich einige mal ganz deutlich die blaue Lakmus- färbung der Harnkanälchen beobachtet. 4) R. Lankester, The Coxal Glands of Zimulus, Scorpio and Mygale. Quarterly Journ. of Mieroscop. se. Vol. XXIV. 1884. p. 156 und Taf. VIII Fig. 7 N. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Diologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. E. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 1. Mai 1889. Nr. 5. Inhalt: Ludwig, Ueber neue pflanzenbiologische Untersuchungen. — ÜCarriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. — Baur, Die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. (Erstes Stück.) — Mroezkowski, Ueber die Entstehung eines die Eiweißstoffe verdauenden Körpers. — Aus den Ver- handlungen gelehrter Gesellschaften. Naturforschende Gesellschaft zu Rostock. — Internationale Kongresse für Botanik und Zoologie. Ueber neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Von Prof. Dr. F. Ludwig. Blütenbiologie. Literatur: Robertson Charles, Notes on the mode of pollination of Asclepias. Bot. Gaz. Vol. XI. Nr. 10. p. 262—269. Plate VII. Derselbe, Insect relations of certain Asclepiads. Ibid. Vol. XII. Nr. 9. p. 207—216. Pl. XI; Nr. 10. p. 244—250. Derselbe, Fertilization of Calopogon parviflorus Lindl. Ibid. Vol. XI. Nr. 12. p. 288—291. Derselbe, Effect of the wind on bees and flowers. Ibid. Vol. VII. Nr. 2. p. 33—34. Elliot and Trelease, Observations on Oxalis. Contributions from the Shaw Shool of Botany. Transact. of the St. Louis Ac. of Se. Vol>V. "Nr. 1. 4P::278— 291. Pammel L. H., On the pollination of Phlomis tuberosa L. and the Per- foration of flowers. Ibid. p. 241—277. Pl. 6, 7. Tomes A., The fiy-eatching habit of Wrightia coceinea. Calcutta 1888. Scient. mem. by. med. office. of the army of India. p. 41—43. Bot. C. AXXVI. 92122. Ludwig F., Biologische Notizen. Deutsche botan, Monatsschrift VI. Januar 1888. 8. 5—9. Schultz Aug., Beiträge zur Kenntnis der Bestäubungseinrichtungen und Geschlechtsverteilung bei den Pflanzen. Dr. 0. Uhlworm und Dr. F. H. Hänlein, Abhandlungen aus dem Gesamtgebiete der Botanik. Kassel 1888. 103 S. und 1 Taf. IX. g 130 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Ludwig F., Eine Befruchtung durch Schneeken. Sitzungsberichte der Gesellschaft naturf. Freunde zu Berlin 1889. Nr 1. 8. 17. Rathay Emerich, Ein zweiter Beweis für das Bestehen weiblicher Reben. Die Weintraube. Zeitschr. f. Weinbau u. Kellerwirtschaft. Klosterneuburg. 15. Juli 1888. Nr. 29. S. 337—339. Kerner A. von Marilaun, Ueber das Wechseln der Blütenfarbe an einer und derselben Art in verschiedenen Gegenden. Oesterr. bot. Zeitschrift, 1889, Nr. 3, S. 77—78. Die Blütenbiologie, deren Grundlagen durch europäische Biologen — vor allen durch Darwin, Delpino, Hermann Müller — ge- legt worden sind, ist gegenwärtig in ein Stadium größerer Vertiefung eingetreten. Nachdem man einmal über die allgemeinern Beziehungen zwischen den bestäubenden Insekten und den ihnen angepassten Blüten- formen hinweg ist, beginnt man jetzt, einmal unter Berücksichtigung aller bisher von den verschiedensten Forschern aufgedeckten Gesichts- punkte einzelne Pflanzengruppen und ihre Bestäubungsvermittler einer subtilern Untersuchung zu uuterziehen, anderseits aber die an den verschiedenen Punkten der Erdoberfläche in ungleichem Grade erfolgten Anpassungen vergleichend zu studieren. In beiden Richtungen macht sich zu gunsten der Biologie — wie auch in andern botanischen Dis- ziplinen, z. B. der Mykologie — neuerdings in Amerika eine rege Thätigkeit bemerkbar. Aus diesem Erdteile haben wir daher auch zunächst eine Reihe wichtiger Schriften zu besprechen. Wir beginnen mit den Untersuchungen und Beobachtungen von Charles Robertson, welche an Asclepiadeen des Staates Illinois ausgeführt worden sind. Bekanntlich wird unser einheimisches Vincetoxicum officinale mittels des Rüssels kleiner Fliegen, Arauja durch den Rüssel der Hummeln und Stapelia durch den Rüssel von Tagfliegen bestäubt, welche beim Ausbeuten der Nektarien in die hornigen Klemmkörper gelangen und diese mit den daran befestigten Pollinien aus den Blüten herausholen. Die Nektarien liegen hier vor dem Klemmkörper, indem sie mit den Staubgefäßen abwechseln. Bei der großen Mehrzahl der Asclepiadeen dagegen wechseln die Honigbehälter mit den schwärz- lichen Hornklemmen ab. Hier werden zumeist durch besondere Füh- rung in den Anhängseln der Antheren die Beine der Insekten in die Klemme gebracht. Mit dieser Gruppe der Asclepiadeen hat sich Robertson eingehend beschäftigt und hat in sehr zahlreichen Fällen die Art und Weise, in welcher die Pollinien aus der Blüte heraus- gezerrt werden, in die Narbenkammer gelangen und in dieser an dem durch ein „Knie“ mit dem Klemmkörper (corpuseulum) verbundenen Träger zurückgehalten werden. So fand Robertson, dass bei den Asclepias- Arten mit kleinern Blüten wie Aselepias vertieillata und A. incarnata nur oder doch vorwiegend die Härchen und Sporne der Tarsen und Beine der Insekten in die Klemme geraten, durch die Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 131. der Krallen regelmäßig aber nur die Pollinien der größten Art A. Sulli- vontii entfernt wurden, während man bisher glaubte, dass die Krallen dabei die Hauptrolle spielen. Bei Acerates longifolia bleiben die Klemmkörper mit ihren Pollinien an den feinen Härchen der ganzen Unterseite des Thorax und des Abdomens, die zuweilen über 100 Klemm- körper tragen, hängen. (Bei einer von Robertson gleichfalls näher beschriebenen Orchidee Calopogon parviflorum, deren Fruchtknoten ungedreht bleibt, deren Labellum oben bleibt, werden die Pollinien der am häufigsten bestäubenden Augochlora an den ersten Hinterleibs- ring angeklebt.) Von den untersuchten Aselepiadeen nähert sich Asclepias verti- cillata in Farbe, Zugänglichkeit des Nektars ete. mehr gewissen Um- belliferen und hat vorwiegend kleine kurzrüsselige Besucher der Gat- tungen Halictus, Odynerus, Cerceris, Crabro, Pompilus, Priocnemis, Myzine; bei Asclepias incarnata, A. Cornuti und A. Sullivantii nimmt die Zahl der langrüsseligen Insekten mit der Größe des Gyno- stegiums zu. Bei A. incarnata waren die häufigsten Bestäubungs- vermittler Bombus separatus, Sphex, Tachytes, Papilio und Danais. Bei A. Cornuti traf Robertson 17 Hymenoptera, 17 Falter, 6 andere Schmetterlinge, 14 Diptera, 5 Käfer und 4 Hemiptera, also 64 Arten, während Herm. Müller in Deutschland 31 Arten beobachtet hat. Die Liste des letztern zeigt bemerkenswerte Abweichungen im Be- stäuberkreis. — Bei der größten Art A. Sullivantii wurden 16 Hyme- noptera, 11 Falter, 2 sonstige Lepidoptera, 3 Diptera, 1 Käfer und 1 Hemipteron gefangen. Bei A. tuberosa, das mit seiner orange- roten Färbung den Tagfaltern angepasst ist, wurden 9 Hymenopteren, 11 Falter und 2 sonstige Insekten gefangen. Hummeln wurden hier nicht gesehen. A. purpurascens wies 6 Hymenoptera, 16 Tagfalter und 2 andere Insekten auf. In allen Fällen hat Robertson die Art der Anheftung der Pollinien festgestellt. Die Colibris, Aegeriadae und Sphingidae, welche schwebend den Nektar ausbeuten, sind nutz- lose Gäste, welche ungestraft davon kommen, während sonst unge- betene und ungeschickte Gäste gefangen und getötet werden. Dabei ergibt sich wieder eine stufenweise Anpassung der einzelnen Arten. Von den 4 Arten Asclepias vertieillata, A. incarnata, Cornuti und Sulli- vantii fängt die erste, wie es scheint, keine ihrer Besucher; bei der etwas größern A. incarnata wurden nur wenige zu Pelopaeus caemen- tarius und Colletes gehörige Individuen festgehalten und getötet. Bei A. Cornuti haben kleinere kurzbeinige Insekten bereits Mühe, die Retinacula abzureißen und müssen häufig den Besuch der Blüten mit dem Leben büßen, und A. Sullivantii wies eine große Anzahl ge- fangener und verendeter Iesekten der Gattungen Megachile, Halictus, Astata, Lucilia, Trichius, Pamphila, Scepsis und Apis auf. In beson- ders großer Menge wird unsere Honigbiene, dieser bei uns so ge- schickte Bestäubungsvermittler, mit den Klemmkörpern zurückgehalten 9 139 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. und getötet. Es erscheint zuerst unerklärlich, dass sich die Pflanze den Hummeln und nicht diesen in großer Zahl auftretenden Bestäu- bungsvermittlern angepasst hat, oder dass, falls einmal die Pflanze eine ihr ungünstige Blüteneinrichtung erhalten hatte, sie nicht im Lauf der Zeit gewitzigt worden ist und der Pflanze fern bleibt. Die Er- klärung ergibt sich aber sofort, wenn man bedenkt, dass unsere Honig-Biene der Fauna von Illinois von Haus aus nicht angehört. Robertson hat auf einem kleinen Fleck in 17 Tagen 671 tote Bienen in den Blüten des A. Sullivantii gefunden, in einer Dolde bis zu 7 Stück. Die Kadaver verbreiten einen derartigen Geruch, dass der ursprüng- liche Besucherkreis der Pflanze durch dieses Hinzukommen unserer Biene eine wesentliche Veränderung erfahren haben dürfte. — Auch Ameisen, Spinnen und sehr regelmäßig Podisus spinosus besuchen die Blüten, um die gefangenen Bienen zu rauben. Viele derselben werden erst in ihrem hilflosen Zustand durch diese Tiere getötet. — Bei Acerates longifolia und A. viridiflora sind die eigentlichen Bestäuber Hummeln, besonders Bombus scutellaris und B. separatus, bei ersterer demnächst am häufigsten Bembex nubillipennis, doch tra- gen hier auch unsere Honigbiene, Megachile (2), Polistes, Odynerus, Cerceris (2), Myzine, Trichia, Thecla, Orysophanus, Scepsis die Pollinien von einer Blüte zur andern. — Die bereits erwähnte Orchidee Calopogon parviflorus hatte in Or- lando, Florida, folgende Bestäuber: Bombus separatus, Halictus, Augo- chlora festiva, A. sumptuosa, A. n. Sp., Odynerus histrio, Mesograpta marginata, Papilio Philenor, Pamphila sp. — In einem kleinern Aufsatze berichtet Robertson über Beobacht- ungen, die er bei windigem Wetter gemacht. Er traf da zahlreiche Insekten, welche stets beim Besuch der Blumen dem Wind (der ihnen häufig die Blütenköpfe zuwendete und die Blumendüfte zutrieb) ent- gegenflogen. So war es z. B. bei Bombus Pennsylvanicus, dem Haupt- bestäuber der Physostegia Virginica. — A. Tomes hat die Fliegenfalle von Wrightia coccinea beschrieben. Dieselbe gleicht nach dieser Beschreibung fast völlig der Klemmfalle der Apoceyneen, wie sie Ref. früher beschrieben hat. W.G. Elliot und W. Trelease haben neue Untersuchungen über den Trimorphismus nordamerikanischer Oxalis-Arten angestellt. Elliot hat für die 3 Formen von O. Sucksdorfii, welche früher als Varietät der Oxalis corniculata galt, die Längen der ent- sprechenden Sexualorgane bestimmt und die Resultate graphisch dargestellt. Trelease wählt die gleiche graphische Darstellung, welche ein klareres Bild über die obwaltenden Verhältnisse gibt für verschiedene verwandte Formen und Arten von Oxalis. Das Vor- kommen der Formen gestaltete sich bei O. Sucksdorfii und O. violacea nach folgendem Verhältnis. Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 193 Langgriffelige Form mittelgriffelige kurzgriffelige 0. Sucksdorfü 25 54 21 O. violacea 63 0 37 O. violacea, welches vermutlich anderwärts trimorph ist, fand Trelease nur in der lang- und der kurzgriffeligen Form. L. H. Pammel gibt in dem ersten Teil seiner Abhandlung eine sehr eingehende, auf sorgfältigem Studium der einschlägigen Literatur beruhende vergleichende Beschreibung der Phlomis tuberosa L., welche ein ähnliches „Charniergelenk“ der Unterlippe besitzt, wie dies Loew für Phlomis Russeliana, Mac Leod bei Scutelloria alpina beschrieben hat. Normale Bestäuber sind die Hummeln Bombus separatus (Rüssel 11 mm), B. Pennsylvanicus (10 mm), gelegentlich D. vagans (?), auch Anthophora und Melissodes besorgen regelmäßig das Bestäubungs- geschäft, während Xylocopa violacea ausschließlich Einbruchsdiebstähle begeht. — Diese Einbruchsdiebstähle der Hymenopteren, welche von Herm. Müller zuerst in das rechte Licht gestellt worden sind, bilden den zweiten Teil der lesenswerten Abhandlung. Nach neuen eignen und frühern Beobachtungen führt Pammel gegen 150 Pflanzenspecies mit den Hymenopteren (vorwiegend Bombus und Aylocopa) auf, welche zum Schaden der Pflanze die Blüten durchlöchern, um den Nektar zu entwenden (er hat dabei 119 biologische Abhandlungen benutzt). In Europa treibt Bombus mastrucatus handwerksmäßig dieses Zer- störungswerk, danach nur gelegentlich D. terrestris, B. pratorum; in Nordamerika durchlöchert Aylocopa violacea am häufigsten die Blumen. Die Honigbiene benutzt nur gelegentlich die Perforationen, welche durch andere Insekten gemacht worden sind, z. B. bei Lamium album die von Bombus alticola, B. mastrucatus, B. terrestris, bei L. Galeob- dolon die von Bombus terrestris. — Die umfangreiche Arbeit von Aug. Schultz enthält sehr ins einzelne gehende Untersuchungen über Bestäubungseinrichtungen, Formschwankungen, Blühfolge und Dehiscenz, Dichogamie und Ge- schlechterverteilung bei einer großen Anzahl von Pflanzen Deutsch- lands. Seine Beobachtungen scheinen uns, abgesehen von mancherlei völlig neuen Entdeckungen, die sie enthalten — z. B. dem Vorkommen großblütiger zygomorpher Stöcke bei Epilobium hirsutum ete. ete. — besonders dadurch wichtig, dass sie in denselben Gebieten, nämlich in Halle a. S., inNord- und Mittel-Thüringen und im Riesen- gebirge gemacht worden sind. Bei der detaillierten Untersuchung ergeben sich eine ganze Anzahl lokaler Abweichungen z. B. bezüglich der Diehogamie (Proterandrie, Proterogynie), des Vorkommens weib- licher Stöcke neben den hermaphroditen, bei den Pflanzen des Riesen- gebirgs z. B. einige wesentliche Abweichungen der Bestäubungsein- richtungen von denen der Alpen oder der nordischen von Warmingete. untersuchten Blumen. Die Abhandlung beweist, wie vorsichtig man 134 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. sein muss mit seinem Urteil über abweichende an anderem Ort ge- machte Beobachtungen, da die Anpassungen an die Bestäubungsver- mittler oft in ungleichem Grade und in ungleicher Richtung an den verschiedenen Orten erfolgt sind. Schultz hat dies selbst zu wenig berücksichtigt, sonst würde er seine Einzelbeobachtungen in manchen Fällen nicht in so schroffer Weise denen anderer berufener Biologen gegenübergestellt haben, wie er es thut. — Der Raum verbietet uns, des näheren auf diese Einzeluntersuchungen, welche der Fachbiologe. doch selbst lesen muss, einzugehen. Die kurzen Notizen des Referenten beziehen sich auf die Be- stäubungseinrichtungen von Cardamine amara (verglichen mit ©. pra- tensis), Malachrum aquaticum (verglichen mit Stellaria nemorum), das eigentümliche von den Biologen bisher nicht beachtete mehrfache Abblühen der Inflorescenz von Polygonum Bistorta und die Geschlechts- verhältnisse von Magnolia Yulan. Im Gegensatz zu dem von A. Schultz (in der oben besprochenen, später erschienenen Arbeit) für Halle a. S. ete. Mitgeteilten fand Ref. Malachium aquaticum um Greiz sehr ausgeprägt gynodiösisch, dagegen Stellaria nemorum, das er jahrelang beobachtet hat, sehr selten mit kleinblütigen weiblichen Stöcken. Letztere traten an einer Stelle, wo vordem weibliche Stöcke vergeblich gesucht wurden, in großer Zahl nach einer längern Ueber- schwemmung des Ortes auf. — Einen eigentümlichen Fall einer doppelten Bestäubungsanpassung bei heiterem Wetter und bei anhaltendem Regenwetter hat Ref. im Juni des vorigen Jahres bei Greiz beobachtet. Bei anhaltendem mehrtägigem Regenwetter, bei welchem die Insekten das gewohnte Bestäubungsgeschäft nicht vollziehen konnten, wurde Chrysanthemum Leucanthemum durch eine Naktschnecke, Limax laevis Müll., besucht. Die Schnecke, welche ich auf hunderten von Blütenköpfen traf, und welche offenbar durch die weißen Randfahnen, an denen sie fraß, herbeigelockt wurden, bewegten sich auf dem Blütenkopf derart, dass eine Befruchtung der Blütenköpfe, die ohne jenen Bestäuber in der Regenzeit unfruchtbar geblieben wären, herbeigeführt werden musste. — Eine wiehtige praktische Verwertung hat die Pflanzen- biologie neuerlich beim Weinbau gefunden, nachdem Räthay die Geschlechtsverhältnisse der Reben und ihre Bedeutung für den Weinbau zum Gegenstand besonderer Untersuchungen gemacht hat. Das Haupt- werk desselben ist inzwischen in Nr. 24 Bd. VIII dieser Zeitschrift besprochen worden. Einen direkten Beweis für das Bestehen weiblicher Reben hat Räthay nachdem durch direkte Versuche er- bracht und a. a. O. mitgeteilt. Wir heben zum Schluss noch einen Aufsatz Kerner’s von Marilaun hervor, dessen an interessanten bio- logischen Kapiteln so reiches Buch „Das Pflanzenleben“ bereits, ähnlich wie Brehm’s Tierleben, einer Verbreitung im Volke sich Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 135 erfreuen dürfte, und der kürzlich erst wieder in dieser Zeitschrift (IX. Bd. S. 32) über die bisher so vernachlässigten Blumendüfte gehört worden ist. Der berühmte österreichische Biologe hat in dem vor- liegenden Aufsatz darauf hingewiesen, dass an dem bunten Blu- menteppich unserer Wiesen selten alle Blumenfarben zugleich beteiligt sind, dass vielmehr in der Melırzahl der Fälle neben dem grün nur noch zwei Farben vorherrschen, bald weiß und rot, bald blau und gelb, bald violett und orange. Vorzüglich sind es also kontrastierende Farben, welche gleichzeitig neben einander auftauchen. „Da die Blüten- farbe als eines der wichtigsten Anlockungsmittel für die blüten- besuchenden und den Pollen übertragenden Insekten gilt, so dürften wohl auch bei diesem Farbenkontraste die erwähnten Insekten in betracht kommen, und man könnte die Erscheinung in nachfolgender Weise zu erklären versuchen. Gesetzt den Fall, auf einer Wiese stehen tausende von blauen Glocken der Campanula barbata. Wenn sich zwischen denselben die gelben Sterne der Arnica montana er- heben, so werden diese jedenfalls vielmehr auffallen, als wenn jene blauen Glockenblumen nicht vorhanden wären. Dasselbe gilt auch umgekehrt von den Glockenblumen, deren blaue Farbe durch die Gegenwart der kontrastierenden orangefarbenen Sterne der Arnica wesentlich gehoben wird. Es dürfte sich auch das Wechseln der Blütenfarbe an ein und derselben Art in verschiedenen Gegenden auf die für die betreffenden Pflanzen mit Rücksicht auf den Blumenbesuch vorteilhaften Farbenkontraste erklären. Ange- nommen, es hätte sich auf einer Wiese mit vorwiegend rot blühenden Pflanzen eine violette Glockenblume angesiedelt, und einzelne Exem- plare derselben erzeugten, wie dies nicht selten ist, weiße Blüten. Diese würden im Kontrast mit dem Rot der Umgebung mehr Aus- sicht auf Insektenbesuch und Frucht- und Samenbildung haben als die blauen. Mit der Zeit würden die weißen Glockenblumen das Uebergewicht bekommen können über die blauen, wie das umgekehrte Verhältnis eintreten könnte auf einer Wiese, wo orangegelbe Blumen vorherrschen, hier würden die violetten Glocken zahlreicher besucht werden. — In der Umgebung des Brenners trägt Campanula Tra- chelium weiße, in den Thälern der östlichen Kalkalpen blaue Blüten; Viola calcarata zeigt auf den Wiesen der Hochgebirge in den west- lichen Zentralalpen blaue, in den östlichen Alpen in Krain gelbe Blumen. So blüht Astragalus vesicarius hier gelb, dort violett, Me- littis Melissophyllum in Südtirol nur weiß, in Niederösterreich und Ungarn weißpurpurn. Achnliches gilt für Nigrittella angustifolia, Anacamptis pyramidalis, Anemone alpina (gelb und weiß), Melampyrum pratense (blassgelbe und purpurrote Deckblätter). 36 Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. 0) ) o Oo Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. Seit de Graaf und Spencer uns mit dem Parietalorgan der Reptilien bekannt gemacht haben, sind eine größere Anzahl von Un- tersuchungen über diesen Gegenstand erschienen, teils in kompila- torischer Form, teils als Originalarbeiten. Im Folgenden werde ich mich darauf beschränken, die Resultate der jüngsten Abhandlungen auf diesem Gebiete, welche sowol den Bau des ausgebildeten Organs, als dessen Entwicklung behandeln, darzulegen. Da ich selbst seit ungefähr 1!/, Jahren dieses Organ nach beiden Richtungen hin ver- folge, bin ich in der Lage, meine eignen Erfahrungen gelegentlich zum Vergleich heranziehen zu können. Nachdem von verschiedenen Seiten die Befunde de Graaf’s und Spencer’s bei den Reptilien in der Hauptsache bestätigt worden waren, wandten sich J. Beard und Ph. Owsiannikow der Unter- suchung des Parietalorgans der Cyclostomen zu. Die eingehendste und beste Darstellung desselben in seinen verschiedenen Teilen und deren Beziehung zum Gehirn verdanken wir Ahlborn!), während die genannten Forscher den histologischen Bau eines bestimmten Ab- schnitts und dessen Bedeutung als „Parietalauge“ darzulegen suchen. — Die Epiphyse der Petromyzonten, deren allgemeinen Bau ich zunächst dem Leser in die Erinnerung zurückrufen möchte, ist nicht median, sondern links seitlich der Medianebene gelegen; diese Verschiebung scheint durch die sehr ungleichmäßige Ausbildung des Ganglion habenulae (einer lokalen Verdiekung der hintern Zwischenhirndecke) verursacht zu sein, dessen rechte Hälfte viel mächtiger ist als die 4) Ph. Owsiannikow, Ueber das dritte Auge bei Petromyzon fluviatilis. Mem. de /’Acad. Imp. des sc. de St. Petersbourg. VII. Serie. Tom. XXXVI. Nr. 9. St. Petersbourg 1888. J. Beard, The parietal Eye of the Cyelostome Fishes. Quart. Journ. of Mier. Sc. Juli 1888. Ahlborn, Untersuchungen über das Gehirn der Petromyzonten. Zeit- schrift für wiss. Zoologie, XXXIX. Ed. B&raneck, Ueber das Parietalauge der Reptilien. Jenaische Zeit- schrift f. Naturwissenschaft, 21. Neue Folge 14 1888. C. K. Hoffmann, Weitere Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Reptilien. Morphol. Jahrbücher, Bd. XI, 1886. „Reptilien“. Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreiches, Bd. VI, Abt. III, 63. u. 64. Liefg., 1888. (Zu meinem Bedauern war es mir nicht möglich, den Schluss des Kapitels „Epiphyse und Parietalauge“ abzuwarten, da sonst sich die Besprechung der obigen Untersuchungen noch länger verzögert hätte.) A. Peytoureau, La glande pinsale et le troisitme oeil des vertöbres. Paris, O. Doin, 1887. Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. 137 linke !). Das Organ zerfällt zunächst in einen vordern (distalen) bläschenförmigen Abschnitt und in den hintern (proximalen) Stiel. Letzterer entspringt ursprünglich zwischen der Commissura posterior und dem Ganglion habenulae; bei dem erwachsenen Petromyzon ist die Verbindung aber in ihrem proximalen Teile bis zur Unkenntlich- keit zurück gebildet, beziehentlich streckenweise geschwunden. Der zum größern Teil solide, in seinem vordern Abschnitt hohle Epiphysenstiel mündet in den hintern, untern Abschnitt der Epiphysenblase in Form einer trichterförmigen Röhre, deren untere Wand als eine tiefe Rinne in das Epithel der untern Bläschenwand eingeschnitten bis ungefähr in die Mitte derselben hinzieht. Das Bläschen besteht aus zwei Teilen, einer dorsalen größern und einer dicht darunter gelegenen kleinern, ventralen Blase, welche gewöhnlich getrennt sind, zuweilen aber durch eine kleine Oeffnung in Verbindung stehen. Während das große, rechte Ganglion habenulae nicht gegliedert ist, entsendet das kleinere linke einen Faserstrang nach vorn, welcher in einer ganglienartigen An- schwellung (Zirbelpolster) grade unter der Epiphyse endigt, so dass die untere Wand des ventralen Bläschens nur durch die Pia mater von ihr getrennt ist. In der Mitte ist die Pia mater aber durch eine kreisförmige Oeffnung unterbrochen, durch welche zahlreiche Fasern aus dem Ganglion habenulae (Endanschwellung) in die Wand des Bläschens ausstrahlen. Diese Verbindung ist keine ursprüngliche, sondern tritt erst im Laufe der spätern Entwicklung durch Resorption der Pia mater und Verwachsung ein. Die Epiphyse ist in das Epithel (Ependym) des Plexus chorioideus des primären Vorderhirns eingebettet, welches namentlich das untere Bläschen seitlich umgibt, aber auch an dem obern stellenweise in die Höhe steigt und wie das übrige Ventrikelependym aus Flimmerzellen besteht. Die Epiphyse entwickelt sich (6. Tag nach dem Ausschlüpfen) als breite, vorn abgeplattete, nach hinten zurückgewölbte Aus- stülpung im hintern Teile des Zwischenhirndaches, die sich schnell bis auf eine feine Spalte abschnürt, das ventrale Bläschen ist am 11. Tage noch nicht vorhanden. Bei Ammocoetes ist das Ganglion habenulae noch nicht gegliedert, die Epiphysenblase liegt fast grade über demselben. Unabhängig von einander hatten ferner Rabl-Rückhard und Ahlborn die Zirbeldrüse der Wirbeltiere als rudimentäre Augen- anlage gedeutet, aber ohne Beweise aus der feinern Struktur des Organs beibringen zu können. 1) Ich folge in der Anwendung von „rechts“ „links“ Ahlborn und den andern Antoren, obschon mir aus der Darstellung nicht immer klar wurde, ob mit diesen Bezeichnungen die wirkliche Lage der Organe gemeint ist, oder ob sie, wie ich annehme, direkt nach dem mikroskopischen Bilde gegeben wurden. 138 Carricre, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. Während Ahlborn nur farblose Epiphysenbläschen untersucht hatte, fanden Owsiannikow und Beard in denselben dunkles Pig- ment, so dass die Aehnlichkeit mit dem Parietalorgan der Saurier in die Augen sprang. Owsiannikow traf es gelegentlich unpigmen- tiert, Beard bei Petromyzon häufig, bei Ammocoetes selten schwarzes Pigment darin. Pigmentierte Organe von Petromyzon sind nach letz- terem in eine tiefe Aushöhlung der Schädelkapsel eingebettet, welche bei pigmentlosen fehlt, obschon die Blase in beiden Fällen in Form und Größe wenig Unterschied zeigt. Owsiannikow beschäftigte sich mit dem feinern Bau der zwei Bläschen, des Stieles und des Zirbelpolsters, und bestätigt zunächst die schon von Ahlborn beschriebenen Verhältnisse dieser Teile zu einander. Im einzelnen fand er dann die untere Wand des dorsalen Bläschens dieker als die obere, welche, aus Zylinderzellen bestehend und unregelmäßig ins Lumen vorspringend, als Linse aufgefasst wer- den kann, während die erstere die Retina darstellt; in ihr lassen sich fünf Sehiehten unterscheiden: Fasern, Nervenzellen, Zellen kleiner Art und pigmentierte Stäbehen mit glänzenden Ansatzstücken, welche haarförmig in das Lumen hineinragen; die Härchen finden sich auch an den innern Enden der Linsenzellen. An der Eintrittsstelle des Nervenrohrs findet sich eine Anhäufung von Nervenzellen (Ganglien- knoten). In dem ventralen Bläschen zeigt sich die gleiche Struktur wie in dem dorsalen, die einzelnen Elemente sind sogar besser erhalten wie dort, die Stäbehen nieht pigmentiert (dagegen einmal die obere Wand). Da dieses Organ alle histologischen Eigenschaften des obern Bläschens und des Auges überhaupt hat, kann es nach Owsiannikow als viertes Auge angesehen werden. Das Polster, auf welchem es ruht, besteht aus einem doppelten Ganglion, dessen Fasern sich kreuzen und in das Bläschen eintreten; außer diesen erhält es noch regelmäßig einen Zweig vom obern Augennerven. Die Parietalaugen der Larven (Ammocoetes) sind weniger ent- wickelt, die äußere Wand (Linse) derselben ist dünn und glatt; bei zweijährigen Ammocoetes setzt sich ähnlich wie bei dem dorsalen, so auch bei dem ventralen Bläschen das Lumen eine ganze kurze Strecke weit in das Ganglion fort. Mit Ahlborn sieht auch Owsiannikow in dem ventralen Bläschen ein Derivat des dorsalen, findet dagegen, dass die erste Anlage der Parietalaugen sich vor der Anlage der paarigen Augen zeige, was nach Mitteilungen, welche Professor Goette aus einer noch nicht veröffentlichten Untersuchung mir zu machen die Freundlichkeit hatte, unrichtig ist. Während des Lebens des Ammocoetes findet eine beständige Wei- terentwieklung des Parietalorgans wie der Augen statt. Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. 139 Eingehendere und genauere Mitteilungen über den feinern Bau dieser Organe macht Beard an der Hand von größern Abbil- dungen. Bei dem erwachsenen Petromyzon ist das Organ äußerlich durch einen breiten, weißen (pigmentlosen) Fleck hinter der Nasenöffnung bezeichnet, die Schädelkapsel ist unter diesem Fleck stark verdünnt, und zwar ist die Aushöhlung bei Petromyzon marinus noch tiefer als bei P. fluviatilis, woraus auf eine höhere Entwicklung des Parietal- organs bei ersterem zu schließen wäre. Ueber den Bau der äußern Wand (Linse) der dorsalen Blase stimmen beide Autoren überein, Beard zeichnet ihre Kerne auf- fallend dicht an der Innenseite der Linse, und findet wie Owsian- nikow im Innern der Blase geronnene Flüssigkeit. Die Innenwand (Retina) besteht aus drei Schichten, der pigmentierten Stäbchen -, der Kern- und der granulierten Ganglienzellenschieht, und wie ge- lungene Schnitte durch ein pigmentloses Organ zeigten, sind in der Stäbcehenschicht palissadenförmige „Stäbehen“ und seltene, spindel- förmige „Zapfen“ zu unterscheiden, deren Kerne innerhalb dieser Zellen liegen. Das verdünnte zentrale Zellende geht in eine kurze, bipolare Zelle (Kernschicht) über und deren zentraler Fortsatz in eine Gang- lienzelle. Die Retina würde also in ihrem Bau ungefähr mit der von Hat- teria oder Varanus (nach Spencer) übereinstimmen. In bezug auf die Topographie schließt sich Beard ganz Ahl- born an, mit dem Bemerken, dass das ventrale Bläschen niemals Pigment besitze, niemals Aehnlichkeit mit einem Auge zeige und bei dem Erwachsenen keine weitere Entwicklung aufweise als bei der Larve — steht also in diesem Punkte im schroffsten Gegensatze zu Owsiannikow. Bei Ammocoetes findet sich infolge der geringen Entwicklung des Hautpigments auch kein scharf umschriebener pigmentloser Fleck über dem Parietalorgan, dessen äußere Wand Beard gleich Ow- siannikow dünn und abgeflacht findet, und nur der Lage, nicht dem Bau nach mit der Parietallinse der Saurier vergleichen kann. Die meist pigmentlose innere Wand ist dieker und besteht aus läng- lichen Zellen (Stäbchen) mit dem Kern in der Basis, welche an dem Hohlraum des Bläschens glatt abschneiden; unter diesen Zellen ist noch eine Schicht mehr zerstreuter Kerne, und nur bei drei Ammo- coetes waren die Stäbehen mehr oder weniger in tiefschwarzes Pig- ment gehüllt. Der röhrenförmige Eintritt des Epiphysenstiels in das Epithel der untern Wand, welchen Owsiannikow so deutlich abbildet, scheint Beard nicht aufgefallen zu sein. Bei Myzxine fand letzterer die Epiphyse in Form eines breiten, abgeflachten, pigmentlosen Organs, das mit dem Thalamencephalon 140 ‚arriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. durch einen soliden, runden und dieken Stiel verbunden ist und dessen Wandung wenig Differenzierung aufweist. Wie verhalten sich nun die Schlüsse, welche beide Autoren aus ihren Untersuchungen ziehen? Dass Owsiannikow das ventrale Bläschen ebenso gebaut findet wie das dorsale, und es deshalb als „viertes Auge“ bezeichnet, während Beard das Gegenteil sieht und ausspricht, habe ich schon erwähnt. Ebenso kommt Owsiannikow aus dem Verhalten der Parietal- augen zu der Ansicht, dass Petromyzon kein degenerierter Fisch sei, und dass die Parietalaugen hier weniger degeneriert seien als bei Eidechsen; Beard dagegen sieht in der Veränderlichkeit des Organs und dem schwankenden Verhalten der Pigmentierung sowohl bei Er- wachsenen als bei Larven, sowie in dem Mangel einer Linse einen Hinweis auf die Degeneration des Parietalorgans bei Petromyzonten. Owsiannikow schließt mit der Bemerkung, dass die Hypothese, welche in dem Parietalorgan ein Organ für Wärmeempfindung sieht, für Petromyzonten nach der Lebensweise der Tiere unzutreffend sei, während für ein Lichtempfindungsorgan der Bau dieses Bläschens spräche. Die Art des Auftretens und Degenerierens dieses Organs ließe schließen, dass es in der Vorzeit eine allgemeine Verbreitung in der Wirbeltierreihe und eine tiefere, physiologische Bedeutung gehabt habe, bei der heutigen Organisation der Wirbeltiere aber seiner ursprünglichen Bedeutung nicht mehr entspräche und überflüssig ge- worden sei. Beard stellt ebenfalls eine Reihe von theoretischen Betrachtungen an, indem er zunächst Leydig’s Anschauung, dass das Parietalorgan zu dem System der Sinnesorgane der Seitenlinie gehöre und den Leuchtorganen (Bauchaugen) der Fische parallel zu stellen sei, als unbegründet zurückweist, da die Seitenorgane sich alle selbständig entwickelten, ohne Beziehung zum Zentralorgan, während es sich mit dem Parietalorgan grade umgekehrt verhält. Dann wendet er sich gegen Spencer’s Hypothesen über die Ableitung des Parietalorgans vom Auge der Tunicatenlarve, indem Spencer letzteres an das falsche Ende der Reihe gestellt habe (wenn es überhaupt herein gehöre); denn die Degeneration der Tunicaten sei hinlänglich er- wiesen. Ebenso seien Spencer’s Schemata über die phylogenetische Entwicklung des Organs zwar an sich richtig, aber ihre Reihenfolge falsch; auch richtig geordnet zeigten sie nicht, was sie sollten, son- dern einerseits (Fig. 4, 5, 6, 7) gewisse Stadien der Ontogenie, an- derseits solche der Degeneration (Fig. 6, 8, 10, 11, 12, 9). Wenn die Phylogenie des unpaaren Auges derjenigen der paarigen Augen zu vergleichen wäre, müsste notwendig auch die Retina vom sogenannten Vertebratentypus sein, d. h. aus der äußern Lamelle entstehen. Das ist aber nicht der Fall. Das Parietalorgan sei eine jüngere Bildung als die paarigen Augen; zuerst legten diese sich, noch vor Verschluss Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. 141 des Neuralrohres, an, dann erst konnte sich das Parietalorgan in der Mittellinie bilden. Den Grund, weshalb dann die innere Wand der Blase sich zur Retina umgewandelt habe, sucht Beard in der An- nahme, dass die Epithelien der Mediannaht nicht für Sinneswahr- nehmungen empfänglich seien und infolge dessen die äußere Blasen- wand nicht durch das Licht gereizt werden konnte, sondern nur die innere, welche ursprünglich zu der dorsalen Wand der paarigen Augenanlagen gehört habe; so wurde jene zur Linse, diese zur Re- tina. (Dann müsste doch nach dem gleichen Recht bei Schnecken die äußere Wand der Augenblase zur Retina werden und nicht die innere — denn jene wird zuerst von dem einfallenden Lichte ge- troffen und Epithelnähte sind hier nicht vorhanden, sondern alle Zellen, welche in die Einstülpung eingehen, ursprünglich gewiss gleichwertig. Vergl. Carri@re, Sehorgane der Tiere) }). Das Parietalauge findet sich also bei den niedersten Fischen gut entwickelt, dagegen wahrscheinlich nicht bei lebenden Elasmo- branchiern und Ganoiden; eine kreisrunde Stelle auf dem Os dubium eines placodermen Ganoiden (Zittel, Bd. III Heft 1 S. 155 Fig. 161) ist, wie Beard meint, einem Foramen parietale verdächtig ähnlich. Beard’s deutliche Abbildungen und seine klare Darstellung der histologischen und anatomischen Verhältnisse der Epiphysenblase sind wohl ebenso zu bevorzugen wie die Ansicht, dass das Parietalorgan der Petromyzonten degeneriert und in weiterer Entartung begriffen sei, und seine Ausführungen über die Beziehungen des Organs zum Auge der Tunicatenlarve und die Phylogenese nach Spencer; da- gegen lässt er ganz auffallenderweise die von Ahlborn zuerst be- schriebenen Verhältnisse des obern Bläschens zum Stiel außer acht, welche Owsiannikoff in Text und Abbildungen darstellte, und beide Autoren vernachlässigen eine meiner Ansicht nach wichtige Frage, besonders wichtig, wenn man dieses Parietalorgan als ein höheres Sinnesorgan, ein Auge in Anspruch nimmt. Ich meine den merkwürdigen Umstand, dass nach Ahlborn die ursprüngliche Ver- bindung der Epiphysenblase mit dem Gehirn, der Stiel, welchen Ow- siannikoff direkt als Nerv bezeichnet, bei dem erwachsenen Tiere eine Strecke weit geschwunden und aufgehoben ist, also nicht als Nerv funktionieren kann, während dafür eine sekundäre Verbin- dung mit dem Gehirn und Innervierung von dem Ganglion habenulae aus vikarierend (?) eingetreten ist. Aus dem auffallenden Widerspruch beider Forscher über den Bau des ventralen Bläschens darf man doch wohl nicht, ohne weitere 1) Beard dürfte, falls er seinen theoretischen Betrachtungen auch Längs- schnitte und das zu grunde legen will, was wir durch Hoffmann über die früheste Entwicklung der Epiphyse bei Reptilien wissen, zu dem richtigen Schlusse kommen, dass auch die Retina aus „Nahtzellen“ entsteht. 449 Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. Untersuchungen angestellt zu haben, folgern, dass einer von beiden unrecht haben müsse — vergleiche unten über das Parietalorgan von Anguis. Owsiannikoff untersuchte auch die Parietalorgane verschie- dener Saurier, und es ist sehr interessant, einzelne seiner Befunde mit denen de Graaf’s, Spencer’s, Beard’s, Hoffmann’, Bera- neck’s zu vergleichen. Ich will zunächst erwähnen, dass seiner An- sicht nach der Umstand, dass das Foramen parietale Licht durch- lässt, die vollkommene Rückbildung des Organs verhindert habe. Bei einer Lacerts agilis war das Foramen durch eine dünne Knochenplatte ausgefüllt, auf deren Unterseite in einer Grube das Auge lag. Trotzdem die Knochenlamelle nur sehr dünn war, war die Haut darüber pigmentiert; die Linse war wie die Retina normal entwickelt, letztere stark pigmentiert. Chamaeleo vulgaris; während das von Spencer beschriebene Exemplar als Parietalorgan eine aus Flimmerzellen bestehende Blase mit gleichmäßiger, pigmentloser Wandung zeigte, fand Owsianikoff bei einem andern Individuum ein wohlentwickeltes Parietalauge mit deutlicher Linse und zweischichtiger pigmentierter Retina mit deut- lichen Stäbchen. Ebenso auffallend sind die Abweichungen, welche Anguis fra- gilis nach den verschiedenen Autoren zeigt. De Graaf hatte — abgesehen von den nur von ihm beobach- teten, von allen andern Autoren vermissten und als Gerinnsel ge- deuteten farblosen Zellen und Stäbchen innerhalb des Ringes pigmentierter Zellen — die Retina als zweischichtig und die Linse als von der Retina getrennt beschrieben. Spencer fand die Linse mit der Retina durchaus zusammenhängend, ebenso Owsiannikoff und Beraneck, während sie nach Beard deutlich von ihr getrennt ist, und Hoffmann über diesen Punkt bei allen von ihm untersuchten Sauriern im Zweifel blieb; meine Präparate zeigen auf das entschie- denste den innern Zusammenhang beider Teile, die Grenze nur durch die — auf einer Seite plötzlicher als auf der andern — beginnende Pigmentierung der Retina gebildet. Alle genannten Autoren geben außerdem an, dass zwischen dem hohlen Epiphysenstiel und dem Parietalorgan keine Verbindung bestehe — auf einem mir vorlie- genden Präparate endigt der Stiel in einer Entfernung vom Parietal- organ, die etwas kleiner ist als dessen größter Durchmesser, und ist mit demselben durch einen sehr dieken, aus Fasern, Zellen, ver- zweigten sehr dünnen Blutgefäßen und andern weiten, dünnwandigen Gefäßen (Venen?) gebildeten Strang verbunden. Dieser Strang hätte keinem der frühern Beobachter entgehen können, wenn er bei ihren Exemplaren vorhanden gewesen wäre. Die Retina, sehr regelmäßig gebaut, besteht bei meinem Exemplar aus einer innern Lage von hellbraun pigmentierten Stäbchenzellen und Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. 143 einer äußern, von jener scharf gesonderten mehrschichtigen Lage von Zellen mit kleinen kugeligen Kernen; in letzterer finden sich gelegentlich dicke Pigmentbrocken. Die Retina meines Exemplars zeigt also bis auf den Größenunterschied denselben Bau wie Spencer's Varanus gigan- teus, während Owsiannikoff sein Exemplar mit Hatteria punctuta verglich, und Beraneck anderseits die Retina des erwachsenen Tieres weniger differenziert fand als die des Embryo. Die dem Stiele zugekehrte Wand der Blase zeigt eine kleine, halb- kugelige, nach dem Stiel gerichtete Vorwölbung — es ist ein Divertikel der Blase mit sehr kleinem Hohlraum, der Hauptsache nach von den Zellen der innern Schicht (Stäbchenzellen ant.) gebildet. Aufden Sagittal- schnitten liegt es als kleines Bläschen neben (hinter) dem größern Bläschen, aber innerhalb der bindegewebigen Hülle des Organs; ver- mutlich besteht eine gekrümmte Verbindung zwischen beiden Hohlräumen. Es ist wohl kaum zweifelhaft, dass diese Bildung nicht einem zweiten Bläschen, vergleichbar dem ventralen von Petromyzon, son- dern der Art, wie dort sich der hohle Stiel mit dem Parietalorgan verbindet, entspricht. Vergl. Nachtrag. Wie bei Spencer’s Exemplar enthält auch bei dem meinigen das blinde Ende des Stiels dasselbe Pigment wie die innere Schicht der Bläschenwand. Hoffmann findet auch gewisse Differenzen im Bau der Linse bei Hatteria punctata. Ueber die Entwicklung des Parietalorgans schließlich liegen zwei Abhandlungen vor, von ©. K. Hoffmann und von Ed. Beraneck. Hoffmann untersuchte sehr junge Stadien von Tropidonotus natrixe und von Lacerta. Die Epiphyse kommt auch bei den Sauriern an der Uebergangsstelle vom Zwischenhirn in das Mittelhirn zur An- lage. Letztere entspricht nicht dem vordern Neuroporus, der ungefähr auf der Mitte des Vorderhirns liegt, und bildet sich erst nach dessen Verschluss. Etwas ältere Tiere zeigen an der Zwischenhirndecke zwei Ausstülpungen, von denen die vordere, an der Grenze von Vorder- und Zwischenhirn, mit dem blinden Ende nach rückwärts gerichtet ist und die Anlage des Ependyms und des Plexus ehor. des dritten Ventrikels darstellt. Die hintere an der oben bezeichneten Stelle, mit nach vorn gerichtetem blindem Ende, besteht aus zwei Ausbuchtungen, von denen die vordere sich bald als selbständiges Bläschen abschnürt; die hintere bildet den Epiphysenstiel. Das Bläschen, aus hohen Zylinderzellen bestehend, wächst mit dem Größerwerden des Embryo, beim ganz ausgewachsenen Tiere liegt es unter dem Foramen parietale. Beraneck’s jüngstes Stadium von Laucerta ist ungefähr gleich dem von Hoffmann Fig. 3 abgebildeten, die noch offene Doppel- einstülpung bei einem Embryo von 3 mm Länge; bei 4 mm Länge war die Blase abgeschnürt und die Linse schon angelegt, bei 6 mm Länge Stiel und Blase getrennt, aber berührten sich noch. Die proxi- 144 Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. male Höhlung des Epiphysenstiels war verengt und nicht mehr mit der Hirnhöhle in Verbindung. Bei einem Embryo von 28 mm Länge war die Retina noch fast pigmentlos und in ihr eine äußere, ein- schichtige Kernlage deutlich gegen die innern Schichten abgesetzt, was auch bei Angwis von frühen Stadien an zu beobachten ist und ich für Lacerta bestätigen kann. Das Organ steht in keiner Ver- bindung mit dem Stiel. Aehnlich verläuft die Entwicklung von Anguis, wovon Beraneck keine ganz jungen Stadien vorlagen. Hier verengt sich das Lumen im Laufe der Entwicklung etwas mehr, indem die Blase sich stärker abflacht. Bei einem ältern Embryo ist der Stiel vollkommen von der Blase getrennt, liegt aber ihrer hintern untern Wand dicht an. Von ihm — aber nieht aus ihm entspringend — zieht ein aus Fasern und Kernen bestehendes Bündel zu der Blase und dringt etwas nach hinten zu in ihre untere Wand ein — „wahrscheinlich ein rudimentärer Augennerv“. Bei einem noch ältern Embryo ist dieses Bündel nicht mehr vorhanden. Dem absprechenden Urteil Beard’s über B&öraneck’s Unter- suchung kann ich mich nieht in gleichem Maße anschließen; gewiss, er wurde zum Teil durch seine Konservierungsmethode getäuscht — die aus den innern Enden der Zellen hervorgehenden und den Hohlraum von Blase und Stiel erst teilweise, dann ganz erfüllenden breiten Zacken existieren nieht — nur feine Fädehen (Cilien?) finden sich zuweilen von der Bläschenwand ausgehend, und unzweifelhafte Cilien im Kanal. Dagegen scheinen mir die Abbildungen im übrigen vollkommen glaubwürdig, und ich hege nicht den geringsten Zweifel daran, dass bei Angwis fragilis die Linse im Zusammenhang mit der Retina entsteht, wenn auch in spätern Stadien, wie Beard abbildet und beschreibt, sie sich von derselben mehr oder weniger deutlich absetzt; eine ursprüngliche Trennung von Linse und Retina anzu- nehmen liegt hier ebenso wenig Grund vor als bei Lacerta, wo es nach meinen Serien von Embryonen unmöglich ist, auch nur daran zu denken. Auch eine andere Angabe Beraneck’s kann ich be- stätigen — es betrifft das die Linse, und zwar erstens ihren ganz richtig wiedergegebenen Bau, und zweitens die merkwürdige, vorüber- gehende Einstülpung derselben, welche nicht etwa nur durch eine Verdiekung der innern Seite, sondern durch eine Hineinwölbung der ganzen Linsenwand in das Lumen der Blase hervorgebracht wird. Man kann, wenn die Einstülpung den höchsten Grad erreicht hat, auf Schnitten zwei ineinanderliegende, unzusammenhängende Ringe, deren äußerer Retina, deren innerer Linse ist, finden. Wenn die Retina sich pigmentiert, flacht sich die Linse wieder ab und die Ein- buchtung verstreicht fast oder ganz vollständig. Ich muss aber noch ein anderes erwähnen. Nach beiden Autoren löst sich die Verbindung der Blase mit dem Stiel sehr frühe und voll- Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan, 145 ständig. Ich fand unter einer Anzahl von Embryonen aus demselben Nest, die alle nicht mehr jung waren und wenig in der Entwicklungs- stufe differierten, — die Pigmentierung der ventralen Bläschenwand hatte bei den meisten begonnen, das Organ war von außen als schwarzes Diaphragma zu erkennen — einen noch pigmentlosen, bei welchem die dorsale Wand des Bläschens noch im Zusammenhange mit dem Stiel war, während auf der Ventralseite Bläschen - und Stiel- wand sich eben trennten. Bei mehreren andern, etwas weiter ent- wickelten, waren Bläschen und Stiel etwas auseinander gerückt; von ersterem gingen wenige, aber sehr deutliche Fasern zu dem blinden, auf eine kurze Strecke massiven Ende des Stiels und in der Axe des hohlen Stiels lag ein Bündel Fasern, welches am inneren Ende fehlend gegen das äußere zu ganz schwach begann und sich mehr und mehr verstärkte, wobei einzelne Fasern von den Zellen der Wand her an das Bündel herantraten. — | Ich führe diese Varietäten aus der Entwicklung des Organs aus demselben Grunde an wie weiter oben diejenigen der ausgebildeten Organe — einmal um die Aufmerksamkeit derer, die sich vielleicht gegenwärtig mit dem Parietalauge befassen, darauf hinzulenken und auf die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten der Untersuchung aufmerksam zu machen, dann aber, weil mir in dieser großartigen Variabilität ein weiterer Hinweis auf die geringe Bedeutung dieses Organs in jetziger Zeit zu liegen scheint. Ob es früher eine größere oder allgemeinere besessen hat? Beraneck betrachtet das Parietalauge von Anguis wie von La- certa als rückgebildetes, jetzt funktionsloses, im Verschwinden be- griffenes Organ; ebenso Beard, welcher zur Erklärung der Degenera- tion, die ja eigentlich das Schwierigste und Unerklärlichste an der ganzen Sache ist, in betracht ziehen zu müssen glaubt, dass es ohne Zweifel unter der Konkurrenz mit den viel besser ausgestatteten Seitenaugen zu leiden hatte. Be&eraneck macht darauf aufmerksam, dass bei Lacerta die erste Spur des Organs sich erst zeige, wenn in den paarigen Augen die Linse schon abgeschnürt sei, also sehr spät, und hält infolge dessen die paarigen Augen für älter als das Parietalorgan, welches erst durch eine sekundäre Anpassung der Epiphyse an Sehfunktion bei einigen Tierformen (Saurier, Enaliosaurier und fossile Amphibien) zum Parietalauge geworden sei. Die Zirbeldrüse selbst sei bei den meisten Wirbeltieren nie zu einem Sehorgan differenziert gewesen, sondern habe in der Oekonomie des Tierkörpers noch eine andere Rolle spielen müssen, so dass sie sich nicht einfach als „degeneriertes Auge“ betrachten ließe !). 1) Ich glaube, dass diese Anschauung Beraneck’s,: welcher also in der Epiphyse (Stiel und Blase) ein allen Wirbeltieren gemeinsames Organ von bis 1X. 10 146 Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. Zu dieser Frage könnte auch ein Vorkommen von Interesse sein, welches sich bei Lacerta ocellata findet; hier ist nach Spencer das Pinealauge hoch entwickelt, die charakteristische pigmentlose Schuppe darüber vorhanden, und in dem Os parietale das bekannte Foramen. Wie ein Präparat des hiesigen zoologischen Instituts zeigt, liegt aber über dem Foramen parietale ein sehr dicker und massiver Haut- knochen. Wie kommt es, dass in diesem Falle das Foramen und das „Auge“ nicht geschwunden sind, während eine Liehtwirkung durch den dieken Knochen vollkommen ausgeschlossen ist? Es ist hier ungefähr dasselbe normal, was Owsianikoff bei Lacerta agilis pathologisch fand, und mit ähnlich unerwartetem Erfolge. Von den mehr kompilatorischen Abhandlungen war mir die von Julin!) noch nicht zugänglich, da das Bülletin scientif. du Nord auf den deutschen Bibliotheken leider noch zu selten vorhanden ist. Ich bedaure das um so mehr, als nach Peytoureau „ce memoire, loin de devoir &tre regard& comme un simple resume, constitue une oeuvre fort remarquable.“ Peytoureau gibt im ersten Teile seiner Abhandlung einen aus- führlichen Ueberblick über die Entwicklung unserer Kenntnisse und Anschauungen von der Epiphyse im allgemeinen, in dem zweiten be- handelt er besonders das Parietalorgan von den Ascidien bis zu den Säugetieren mit Berücksichtigung der darüber bis zum Jahre 1887 inkl. erschienenen Untersuchungen. Seine Darstellung ist durch eine größere Anzahl von Abbildungen erläutert, welche den Untersuchungen van Beneden’s und Julin’s über die Ascidien, Ahlborn’s, Balfour’s, Seott’s, Rabl-Rückhard’s, Wiedersheim’s über die Petromy- zonten und Fische, de Graaf’s und Spencer’s über die Amphibien jetzt unbekannter Bedeutung sieht, das sich bei einer oder der andern Gruppe selbständig (unabhängig) zu dem Parietalorgan entwickelt und einer zweiten Funktion angepasst habe, dann aber wieder degeneriert sei — am meisten dem über das Parietalauge und die Epiphyse thatsächlich bekannten entspricht. Folgerichtig müsste man dann eine Bildung des Parietalorganes, wie sie Cyelodus zeigt, nicht als ein rückgebildetes Organ, sondern als unveränderte Epiphyse auffassen u. 8. w. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch ausdrücklich auf etwas hinweisen, was zwar aus Spencer’s Abhandlung und Abbildung klar hervorgeht, aber anscheinend nicht genügend bei der Aufstellung von Hypothesen berücksichtigt wird; dass nämlich zwischen der Größe des Foramen parietale und der Größe und Ausbildung des Parietalorganes, sowie der Lage des letztern zu erstern (ob darunter, daneben, darüber), gar keine Beziehung besteht, dass hier der Knochenbau keine Schlüsse auf die von uns mit ihm in Beziehung gebrachten Weichteile gestattet. Nach dem vorliegenden Material ist der gern gezogene Schluss von der bedeutendern Größe namentlich eines fossilen Foramen auf eine höhere Ausbildung des Organes unzulässig. 4) Julin, De la signification morphol. de l’Epiphyse des Vert&bres. Bull. scientifi. du Nord, 2e serie, 10° annec., 1837. Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. 147 und Reptilien entnommen sind, und gibt so eine vielen gewiss will- kommene Uebersicht des Baues dieser Organe. Im dritten Kapitel zieht der Autor seine Schlüsse aus dem vorher Mitgeteilten, und kommt zur Ansicht, dass die Entwicklung der Epiphyse identisch mit derjenigen der paarigen Augenblasen und das immer mit einem Foramen parietale verbundene Parietalorgan der Saurier ein echtes Zirbelauge sei, zweifellos hoch entwickelt bei fossilen Vertebraten. Er findet das Stirnauge wieder bei den Larven der Ascidien, den erwachsenen Pyrosomen und Salpen und nimmt als wahrscheinlich an, dass die Vorfahren der Wirbeltiere drei Augen hatten, von denen jJenachdem das paarige oder das unpaare sich erhielt, das andere mehr oder weniger verschwand. Während Wiedersheim') in einer ältern Notiz die Parietal- organe als noch funktionierend betrachtete, schloss sich Kölliker?) Spencer’s Anschauung über dieselben an und legte besondern Nach- druck darauf, dass bei keiner der Gattungen, bei welchen ein Teil des Augenstiels in einen Nerven umgewandelt zu sein scheint, ein Zusammenhang dieses Nerven mit dem Gehirn nachgewiesen ist, wäs auf die Entwicklung des Nervus opticus vom Auge aus gegen das Gehirn hinweise. Kölliker stellt dann drei Gruppen von Seh- organen auf: 1) Echte Hirnaugen, die nur aus der Medullarplatte hervor- gehen und auch die Linse aus derselben erzeugen — Auge der Ascidienlarven, Zirbelauge. 2) Oberhaut oder Epiblastaugen, die ganz und gar aus dem Ektoderm entstehen — Augen der Mollusken und noch anderer Wirbellosen. 3) Augen, die aus der Medullarplatte und dem Ektoderm sich bilden, höhere Augen im Gegensatze zu den andern einfachen. — Paarige Augen der Wirbeltiere, Augen von Astacus. Schließlich möchte ich mir noch eine Bemerkung zur Termino- logie erlauben. Alle Autoren sprechen von den Gebilden, welche die proximale Wand des Parietalorgans zusammensetzen, als „Stäbchen“; das ist durchaus falsch und erregt eine unrichtige Vorstellung. Es handelt sich nach den genauesten bisherigen Untersuchungen in allen Fällen höherer Differenzierung um palissadenförmige oder prisma- tische, pigmentierte oder pigmentlose Zellen; Stäbchen sind in bestimmter Weise veränderte Teile von Zellen, die bei Wirbeltieren am distalen Ende der Zelle zur Ausbildung kommen. Wenn man also durchaus nicht einen indifferenten Ausdruck — wie Palissaden- zellen oder den altbekannten: Zylinderzellen — benutzen will, aus 4) Anatomischer Anzeiger, I, 1886. 2) Sitzungsber. d. physik. med. Gesellschaft zu Würzburg. Jahrgang 1887. 10° 148 Carriere, Neuere Untersuchungen über das Parietalorgan. Furcht, dadurch das Sehorgan von vorneherein zu diskreditieren, dann möge man sagen: Stäbchenzellen, und so eine Beziehung zu den allgemein anerkannten Sehorganen ausdrücken, aber nicht „Stäbehen“ allein. Fast ebenso steht es mit dem Ausdruck „Linse“ für die distale Wand des Organs; wo gibt uns die vergleichende Anatomie das Recht dazu? Meiner Ansicht nach müssten Ausdrücke, welche derart Un- klarheit verbreiten können, im Interesse der Aufrichtigkeit wissen- schaftlicher Forschung vermieden werden. Warum soll man die durch- sichtige Wand nicht einfach mit dem guten und harmlosen, von Hensen für derartige Fälle geschaffenen Namen „Pellueida“ nennen, und in den wenigen Fällen, in welchen sie linsenförmig ist, dies Ad- jektiv beifügen ? Nea (Chrtar>a’e: Nach Abschluss des Manuskripts erschien und erst nach Absen- dung desselben erhielt ich die jüngste Mitteilung über das Parietal- organ; da sie in dieser Zeitschrift veröffentlicht und jedem Leser dieses Aufsatzes zur Hand ist, glaube ich dieselbe nicht dem Inhalte nach eingehend referieren zu dürfen und nur einige Bemerkungen zufügen zu müssen. Zwei Punkte scheinen mir darin von besonderer Bedeutung. Einmal das offene Zugeständnis Leydig’s!), dass er frühere An- sichten über diesen Gegenstand als irrige bezeichnen müsse, und ich glaube, dass wir für diese Aufrichtigkeit dankbar sein und hoffen dürfen, dass ein von solcher Seite gegebenes Beispiel recht viel Nach- ahmung finde. Dann seine neue Auffassung des Organs, nach welcher er dasselbe nicht mehr für ein Sinnesorgan, geschweige denn für ein Auge halten zu können erklärt. Wenn Leydig dabei zu dem Schlusse kommt, dass das Parietal- organ ein in Rückbildung begriffener Gehirnteil sei, der, so lange er noch wirke, dem Lymphgefäßsystem diene, und es mit dem vordern Neuroporus in Verbindung bringt, so scheint mir das nicht von der Hand zu weisen zu sein; aber es ist darauf aufmerksam zu machen, dass die Beweise hiefür ebenso noch ausstehen wie für die gegen- teilige Ansicht. Und den Punkt, auf welchen alles ankommt und worum sich doch hiebei alles dreht, die Frage: wie kommt grade die Epiphyse der Reptilien zu dieser eigentümlichen Ausbildung und nach dieser wieder zur Degeneration — hat er leider unberührt beziehungs- weise unbeantwortet gelassen. Soll ich nun noch auf Einzelheiten in Leydig’s vorläufiger Mitteilung eingehen, so scheint es mir nicht ganz glücklich, wenn 1) F. Leydig, Das Parietalorgan der Reptilien und Amphibien kein Sinneswerkzeug. Biolog. Centralblatt, Bd. VII, Nr. 23. Baur, Die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. 149 Leydig die ihm früher begegnete Verwechslung des sogenannten Plexus chorioideus des dritten Ventrikels mit der Epiphyse grade durch die von Hoffmann gegebene (von mir oben besprochene) Ent- wicklungsgeschichte dieser Teile erklären und die engere Zusammen- gehörigkeit beider Gebilde aufrecht erhalten will. Wichtiger dagegen, dass verschiedene seiner anatomischen Befunde sich mit den meinigen decken, wie der dieke, bindegewebige, gefäßreiche Strang zwischen dem blinden Ende des Epiphysenstiels und dem Parietalorgan von Anguis, und wie das von ihm bei dem Embryo gefundene „Nebenscheitel- organ“ mit dem von mir beschriebenen Divertikel des Bläschens; wenn Leydig weder den Strang noch den Stiel, noch den Nerv B&ra- neck’s als Nerv bezeichnen kann, so befinden wir uns hier ebenso in Uebereinstimmung wie über die „Innervierung“ des Parietalorgans der Amphibien, von welchem ich schon vor einem Jahre Präparate demonstrierte, welehe deutlich zeigten, dass nicht Nervenfasern an das Organ heran, sondern als Hautnerven dicht an ihm vorbeiziehen!). Unklar blieben mir die Angaben über Lymphräume innerhalb des Epithels des Parietalorgans, und vielleicht wichtig, aber eben- falls noch einer genauern Darstellung bedürftig erscheint mir der von Leydig beschriebene „Porus“ in der Epidermis oberhalb des Parie- talorgans. J. Carriere (Straßburg). Die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. Von Dr. G. Baur, New-Haven, Conn. Synonyma: 1816: Dermochelys?) Blainville. Bullet. des Sciences, par la Soeiete philomatique de Paris. Annde 1816. p. 119 (irrtümlicher Weise p. 111 gedruckt). 1820: Sphargis Merrem. Versuch eines Systems der Amphibien. 8 10. 1822: Coriudo Fleming. Philosophy of Zoology. Vol. I. p. 271. 1829: Dermatochelys Lesuour in Cuv. Regne anim. Nouv. ed. II. p. 14. 1830: Scytine Wagler (auf den Tafeln einiger Exemplare seines Werkes „Nat.-Syst. der Amph.“ nach Agassiz). 1832: Chelyra Rafinesque?). Atlantic Journal and Friend of Know- ledge. Vol. I. Nr. 2. Philadelphia. Summer of 1832. p. 64. 4) Ich erwähnte letztern Befund nicht in dem Referat, da ich meine eignen Untersuchungen immer nur so weit heranzuziehen beabsichtigte, als die Angaben der betreffenden Autoren es nötig erscheinen ließen, nicht selbst vorläufige Mitteilungen machen wollte. 2) Baur G., Dermochelys, Dermatochelys oder Sphargis. Zool. Anzeiger, Nr. 270, 1888. 3) RafinesqueC.S$., Description of two new genera of Soft shell Turtles of North America. Atlantic Journal and Friend of Knowledge. Editor C. S. 150 3aur, Die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. Historischer Ueberblick. Schneider!), der zum ersten mal die Schildkröten in eine be- sondere Gruppe zusammenfasste, stellt Dermochelys zu diesen (1783). Laeepede?) bringt ebenfalls Dermochelys zu seinen „Tortues de mer“. Brongniart?) stellt im Jahr 1799 für sämtliche Seeschildkröten das Genus Chelonia auf. Oppel*) (1811) war der erste, welcher die Seeschildkröten in zwei Unterabteilungen trennte: a) Testa in scutella divisa. e. g. Chelonia mydas. b) Testa integra, longitudinaliter sulcata. e. g. Chel. coriacea. 1816 errichtet Blainville°) für Chelonia coriacea das Genus Dermochelys. Merrem®) folgt Oppel und, da er Blainville’s Arbeit übersah, errichtet er das Genus Sphargis für Chelonia coriacea. Zwei Jahre später nennt Fleming”) die Gattung Coriudo. Gray®°) war der erste, welcher für Dermochelys eine besondere Familie vorschlug, die er Sphargidae nennt. Rafinesque. Vol. I. Nr. 2. Philadelphia. Summer of 1832 p. 64—65 sagt: „The following account was prepared for the Philosophical Society of New York in October 1816; but not published at the time. It is now given as written 16 years ago“. 1)SchneiderJohannGottlob, Allgemeine Naturgeschichte der Schild- kröten nebst einem systematischen Verzeichnis der einzelnen Arten. Leipzig1783. S.299. 1. „Testudines marinae pedibus primiformibus prioribus longioribus“. 2) De La Cepede, Histoire naturelle des quadrupides ovipares et des Serpens. Tome I. Paris 1788. p. 34. 3) Brongniart Alex., Essai d’une classification naturelle des Reptiles. Magasin encyclopedique, ou Journal des Sciences, des Lettres et des Arts redige par A. L. Millin, Bd. V, 6. 1799. p. 184-201; Bulletin des Sciences, par la Soci6te Philomatique. Nr. 35 et 36 an 8 de la Republique (1800) p. 81—82, 89—91; M&moires presentes a l’Institut des Sciences, Lettres et Arts, par divers Savans, et lus dans des Assemblees. Sciences mathematiques et physiques. Paris. XIV. 1805. vol.I. p. 587—636. (Hier schreibt Brongniart Chelone.) 4) Oppel Michael, Die Ordnungen, Familien und Gattungen der Rep- tilien. München 1811. 8. 9. 5) Blainville H. de, Prodrome d’une nouvelle distribution systematique du rögne animal. Bull. des Sciences par le Soc. philom. de Paris 1816 p. 119 (irrtümlicher Weise gedruckt p. 111). 6) Merrem Blasius, Versuch eines Systems der Amphibien. Marburg 1820. 8. 19. 7) Fleming John, The Philosophy of Zoology. Winburgh 1822. Vol. II. pag. 271. 8) Gray J. E., A synopsis of the genera of Reptilia and Amphibia with a description of some new species. The Annals of Philos. New Series. Vol. X. London 1825. p. 194—213. Baur, Die systematische Stellung von Derinochelys Blainv. 151 Haworth!) stellt Dermochelys zu den Schildkröten, die er „Forni- cata edigitata“ nennt (1825). Fitzinger?) gebraucht den Namen Sphargis und stellt das Genus in seine Familie Carettoidea (1826). Bell schließt sich Gray an 1828. Ritzen?) stellt „Sphargis“ zu den Seeschildkröten Eretmochelo- nes 1828. Wagler*) nennt nach dem Vorgang Lesneur’s’) das Leder- schild Dermatochelys und stellt sie zu den ruderfüßigen Schildkröten. Oiacopates. In seinem Atlas soll Wagler auch den Namen Scytine gebraucht haben). 1831 gibt Gray’) seine Familie Sphargidae wieder auf, indem er „Sphargis“ zu seiner Familie Cheloniadae stellt. Bonoparte®) teilt die Chelonidae in zwei Unterfamilien: Sphargi- dina mit „Sphargis“ und Chelonina. 1832. Wiegmann und Ruthe°?), Dumeril et Bibron!P) sowie Fitzinger!!) stellen Dermochelys zu den Seeschildkröten, aber in keine besondere Familie. 1843 nimmt Fitzinger!?) eine besondere Familie Dermatoche- Iydae für „Dermatochelys“ an. 1855 teilt Gray!3) die „Cheloniadae“ in Sphargina und Chelonia- nina. 1844 nahm er nur eine Familie an!#). 1) Haworth Adrian, A binary arrangement of the Class Amphibia- Tilloch Philos. May. LXV. 1825. p. 272—373. 2) Fitzinger L. J., Neue Klassifikation der Reptilien. Wien 1826. 8. 5. 3) Ritzen F. A., Versuch einer natürlichen Einteilung der Amphibien. Nova Acta Physico-Medica Ace. Caes, Leop. Carol. Bonnae 1828. p. 269— 272. 4) Wagler Joh, Natürliches System der Amphibien. München, Stuttgart und Tübingen. 1830. 8. 133. 5) Lesneur in Cuv., Regne an. Nouv. Ed. II. p. 14. 1829. 6) Agassiz L., Contributions to the Natural History of the United States of America. Vol. I. Boston 1857. p. 371. 7) Gray John Edward, Synopsis Reptilium. London 1831. p. 8. 8) Bonaparte C. L., Saggio d’una distribuzione metodica degli Animali Vertebrati a sangue freddo. Rome 1832. p. 6. 9) Wiegmann A. F. A. und Ruthe J. F., Handbuch der Zool., 1832. 40) Dumeril A.M.C. etG.Bibron, Erpet. generale. Tome II. Paris 1855. 11) Fitzinger Leopold, Entwurf einer systematischen Anordnung der Schildkröten. Ann. des Wiener Mus., I, 1836, S. 110. 12) Fitzinger L., Systeme Reptilium. Fasciculus primus. Amblyglenae. Vindobenae. 1843. p. 30. 13) Gray J. E., Catalogue of Shield Reptiles in the Collection of the British Museum. London 1855. p. 71. 14) Gray J. E., Catalogue of the Tortoises, Crocodiles and Amphiobaenians in the Collection of the British Museum. London 1844. p. 51. 152 Baur, Die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. Agassiz!) stellt Dermochelys in eine besondere Familie der Seeschildkröten „Sphargididae“. Strauch?) stellt Dermochelys in eine Unterabteilung der See- schildkröten; Sphargidinu. Von 1870 an acceptiert Gray seine 1825 für Dermochelys aufge- stellte Familie wieder, er nennt sie jetzt Sphargididae. 1871 isolierte Cope?) Dermochelys vollständig von den Seeschild- kröten, indem er eine besondere Gruppe Athecae für das Genus auf- stellte. Diese Gruppe stellt er den Oryptodira und Pleurodira gleieh- wertig und betrachtet sie als die älteste der ganzen Ordnung. Gervais*) scheint geneigt, diese Isolierung der Athecae anzu- nehmen. Rütimeyer?), einer der besten Kenner der Morphologie der Schildkröten, stellt Dermochelys zu den Thalassiten (Pinnata). 1872 sagt Cope®) von Protostega aus der Kreide: „The genus Protostega then belongs near the Sphargididae in the suborder Athecae, and is in some points to be approximated to the Chelonididae“. 1875 stellt Cope”) Protostega in eine besondere Familie Proto- stegidae. 1880 gab Seeley°) eine Klassifikation der Testudinata, in welcher er den Dermochelys eine isolierte Stellung gab; er stellt sie in die Gruppe Dermatochelydae, die er den Peltochelidae und Aspidochelydidae gegenüberstellt. 1) Agassiz L,, 1. e. p. 320-321. 2) Strauch Dr. Alexander, Chelonologische Studien, mit besonderer Beziehung auf die Schildkrötensammlung der kaiserlichen Akademie der Wissen- schaften zu St. Petersburg. Memoires de l’Ac. des Sciences de St. P&tersbourg. VID. Serie. Tome V. Nr. 7. St. Petersburg 1862. — Ders. 1865 in seiner Arbeit über die Verteilung der Schildkröten über den Erdball. Ibid. Tome VIII. Nr.13: 3) Cope E. D., On the homologues of some of the eranial bones of Rep- tilia and on the systematic arrangement of the Class. Proc. Am. Assoc. Adv. >61. Vol. RI. 05932357187 4) Gervais P., Osteologie du Sphargis Luth. (Sphargis corriacea). Nouv. Arch. du Mus. Tom. VII. Paris 1872. 5) RütimeyerL., Die fossilen Schildkröten von Solothurn und der übrigen Juraformation. Neue Denkschriften der allgemeinen Schweizerischen Gesellsch. für die ges. Naturw. Bd. XXV. Zürich 1873. 6) Cope E. D., A description of the Genus Protostega, a Form of Extinct. Testudinata. Proc. Am. Philos. Soc. Philad. Vol. XII. Philad. 1873. p. 432. 7) Cope E. D., Check-List of North American Batrachia and Reptilia. Bull. U. St. Nat. Mus. Nr. 1. Washington 1875. p. 16. — Cope braucht den Namen Protostegidae auch schon 1873. On the phylogeny of the Genera of Testudinata. — E. V.Hayden, Sixth Annal. Rep. N. S. Geol. Survey. Washing- ton 1873. p. 649. 8) Seeley R. G., On Psophophorus polygonus. Quart. Journ. Geol. Soc. Vol. XXXVI 1880. p. 412. Baur, Die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. 153 Dollo!) acceptiert Cope’s Ideen, ja er geht noch weiter, indem er die „Athecae“ sämtlichen andern Testudinaten), welche er Theco- phora nennt, gegenüberstellt. Gegen diese Anschauung sprach ich mich 1886 mit den folgenden Worten aus?): „Diese Absonderung der Dermatochelydae ist keine natürliche, sondern eine absolut künstliche. Die Dermatochelydidae sind die am meisten spezialisierten d. h. am besten an das Wasser angepassten Formen der Cheloniidae, von welchen sie nicht getrennt werden können“. Do1llo?) hält dem gegenüber seine Anschauung fest. A. Smith Woodward) schließt sich der Anschauung Dollo’s vollkommen an, er sagt: „there can be little doubt that this arrange- ment will become universally adopted“. Im März 1888 habe ich mich wiederum gegen diese Ansicht aus- gesprochen’); ebenso später im zoologischen Anzeiger, Nr. 285. Benlenger®) hat in neuester Zeit sich gegen meine Anschau- ung ausgesprochen. Für eine Isolierung von Dermochelys von den übrigen Seeschild- kröten haben sich also Cope, Seeley, Dollo, A. Smith-Wood- ward, Benlenger und Günther ausgesprochen; während alle übrigen Autoren diese Form mit den „Pinnata“ zusammenbringen. 4) Dollo L., Premiere note sur les Ch&loniens du Bruxellien. Bull. Mus. Roy. d’Hist. Nat. Belg. Tom. IV. 1886. p. 79. 2) Baur G., Osteologische Notizen über Reptilien. Zool. Anz., Nr. 238, 22. Nov. 1886, S. 687. 3) Dollo L., Psophophorus. Annales de la Soc. scient. de Brux. 1887. p. 139—176; Premiere note sur les Cheloniens oligocenes et N&ogenes de la Belgique; Bull. Mus. Roy. d’Hist. Nat. Belg. Tom. V. 1888. p. 59—96. 4) A. Smith Woodward, On „Leathey Turtles“, Recent and Fossil, and their Oceunence in British Eocene Deposits. Proc. Geologisto Ass. Vol. X. Nr. 1. 1887. p. 5—6. (Diese Arbeit erschien vor Dollo’s Bemerkungen im Oktober 1887.) 5) Baur G., Unusual dermal ossifications. Science, New-York. March 23. 1888. p. 144. 6) Benlenger G. A., Remarkson a Note by Dr. G. Baur, on the Pleuro- doran Chelonienes. Ann. Mag. Nat. Hist. Oct. 1888. (Schluss folgt.) 154 Mroczkowski, Entstehung eines die Eiweißstoffe verdauenden Körpers. Ueber die Entstehung eines die Eiweißstoffe (Fibrin) in der Art des Trypsins (Pankreas-Ferments) verdauenden Körpers in den keimenden Samen und im Hühnereiweiße bei Ein- wirkung der Luft auf dasselbe. Von Dr. Mroczkowski. (Aus dem physiologischen Laboratorium des Herrn Prof. Tarchanoff.) Darwin, Gorup-Besanez und andere haben, wie bekannt, in Pflanzen (Gorup-Besanez in den keimenden Samen z. B. der Gerste) ein die Eiweißkörper in der Art des Pepsins verdauendes Ferment gefunden. Gestützt auf meine in dieser Richtung nach dem Vorschlag des Herrn Prof. Tarchanoff vorgenommenen Versuche kann ich jedoch behaupten, dass in keimenden Samen!) eher ein Ferment von der Beschaffenheit des Trypsins, als von der des Pepsins vorkommt. Die zerstoßenen Samen wurden mit Glyzerin bearbeitet, hierauf der Glyzerinauszug mit absolutem Alkohol gefällt und end- lich aus diesem Niederschlage, welcher 2 Wochen unter dem Alkohol gehalten wurde, das Ferment mit kaltem Wasser extrahiert. Es hat sich herausgestellt, dass 5—10 Tropfen dieses Glyzerinauszuges aus den keimenden Samen, welcher eine sehr schwach saure Reaktion zeigte, hinzugefügt zu 15—20 cem Wasser, oder einige Kubikzenti- meter der wässerigen Lösung des unter dem Alkohol gestandenen Niederschlages hinreichend sind, um in 12 Stunden bei 35—40° © eine ziemlich große Quantität von Fibrin bei schwach saurer oder neutraler Reaktion der Flüssigkeit zu lösen. Aber in einer 0,2pro- zentigen Lösung vonHCl war keine Verdauung des Fibrins zu beobachten. Fibrin löste sich in soleher Art, wie bei der Wirkung des Trypsins, d. h. es zerfiel in kleine Stückchen (oder bildete sogar einen feinen Staub), welche, allen ihren Reaktionen nach, wie Globulin sich verhielten. Und in dieser so erhaltenen Fibrinlösung konnte man mit Hilfe der Biuretreaktion das Vorhanden- sein von Pepton in einer nicht unbedeutenden Menge nachweisen. Hier ist jedenfalls zu bemerken, dass die eiweißlösenden Pflanzen- Fermente überhaupt ihre Wirkung äußern können bei einer nicht so streng begrenzten Reaktion der Flüssigkeit, wie es mit gewöhnlichem Tıypsin oder Pepsin der Fall ist. Z. B. das Papayotin (Präparat von Merck), welches am besten das Fibrin (bei 35—40° C) bei saurer Reaktion der Flüssigkeit (in 0,1°/, und sogar 0,2°/, HCl) verdaute, hat sich auch bei alkalischer Reaktion wirksam erwiesen und ver- daute, zwar merklich nicht so rasch, das Fibrin in !/,- und sogar 1prozentiger Sodalösung, wobei die Biuretreaktion in beiden Fällen (bei saurer und alkalischer Reaktion der Flüssigkeit) fast gleich 1) Weizen, Roggen und Erbsen. Mroczkowski, Entstehung eines die Eiweißstoffe verdauenden Körpers. 455 intensive rosarote Färbung zeigte. — Bei allen diesen Verdauungs- versuchen mit dem Fermente der keimenden Samen machte ich die Verdauungsflüssigkeit aseptisch durch Hinzufügen soleher desinfizieren- der Mittel, welche die Entwicklung der Bakterien unmöglich machten, doch ohne die Einwirkung des Ferments merklich zu schädigen. Als solche Mittel wurden Salieylsäure in 1:600 (1:800) und Chininum muriatieum in 1:200 gebraucht, wobei das Mikroskop nach Beendigung der Versuche keine Bakterien zeigte. Es ist klar, dass dieses trypsin- ähnliche Ferment aus den Eiweißkörpern der keimenden Samen ent- standen ist infolge der Zersetzungen, welche die Eiweißkörper er- litten haben. Vielleicht wäre es nicht unmöglich, diese Zersetzungen von den Bakterien abhängig zu machen, welche ich in dem Nieder- schlage, gebildet durch Versetzen des Glyzerinauszuges mit Alkohol, gefunden und welche, auch nach 2wöchentlichem Stehen unter ab- solutem Alkohol, Kulturen auf Agar-Agar, Gelatine und Bouillon gaben und als eiweißlösend (mit Bildung von Globulin und sogar Pepton) sich erwiesen. — Jetzt war es meinerseits ganz natürlich, dass ich, nach dem Vorschlage des Herrn Professors Tarchanoff, einen Ver- such unternahm, auch in andern, sich zu zersetzen beginnenden Eiweiß- körpern ein trypsinähnliches Ferment zu suchen. Als solchen Ver- suchsstoff hat mir Professor Tarehanoff vor allem das in vacuo getrocknete Hühnereiweiß vorgeschlagen, welches der Einwirkung der Luft während einer Woche unter einer Glasglocke über konzentrierter Schwefelsäure ausgesetzt gewesen, wobei eine merkliche Fäulnis nicht zu konstatieren war. Der Glyzerinauszug von diesem Hühnereiweiße wurde mit absolutem Alkohol versetzt und der Niederschlag 2 Wochen unter Alkohol gehalten, um das Eiweiß unlöslich zu machen. Nach- dem dieser Niederschlag in vacuo getrocknet und mit Wasser be- arbeitet worden war, erwies sich das hierbei erhaltene wässerige Filtrat als ein sehr kräftig auf Fibrin wirkendes und löste in 12 Stun- den große Quantitäten von Fibrin bei 35—40° C unter Bildung von Pepton und Globulin bei neutraler oder schwach alkalischer Reaktion der Flüssigkeit!). (Das frische Hühnereiweiß enthält kein Ferment.) Aber es genügten 0,2°/, HCl, um alle Verdauung des Fibrins zu ver- hindern. Um die Entwicklung der Bakterien in der Verdauungs- flüssigkeit unmöglich zu machen, wurde auch hier Salicylsäure oder Chininum muriaticum in dem Verhältnisse von 1:600 (1:800) der erstern und !/,°/), des zweiten hinzugefügt, wobei das Mikroskop, nach Beendigung des Versuches, keine Bakterien zeigte. Die wässerigen Lösungen dieser Fermente, welche ich aus den keimenden Samen oder dem Hühnereiweiße erhielt, verlieren nach einmaligem Aufkochen ganz und gar ihre Fähigkeit, Fibrin zu verdauen. Im Dotter des- selben Eies, der (gesondert vom Weißen) durch Einwirkung der Luft 1) Sogar in !/,prozentiger Sodalösung. 156 Nasse, Ueber die Chemie des Glutins. etwas verändert war, habe ich eine diastatische Wirkung auf Amylum (welche umgekehrt dem veränderten Hühnereiweiße fehlte), aber keine peptische (tryptische) beobachtet. — Aus diesen Versuchen geht her- vor, dass das Trypsin-Ferment ein Derivat von Eiweißkörpern ist und bei der Zersetzung derselben erhalten werden kann. Meine Versuche waren schon vollendet, als mir die Arbeit von Professor E. Salkowski: „Ueber das eiweißlösende Ferment der Fäulnisbak- terien und seine Einwirkung auf Fibrin“ (Zeitschrift für Biologie XXV, 1 und das Referat im Centralblatt für Physiologie, Nr. 20, S. 514, 1889) bekannt wurde, in welcher Prof. E. Salkowski in Fibrin, das einige Tage bei S’ R gelegen, Trypsin, gebildet durch Fäulnisbakterien, gefunden hat. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Naturforschende Gesellschaft zu Rostock. Sitzung vom 23. Februar 1889. Herr O0. Nasse spricht über die Chemie des Glutins, zu welcher Herr Dr. A. Krüger durch eine in dem Institut für Pharmakologie und physio- logische Chemie ausgeführte Arbeit einen neuen Beitrag geliefert hat. Der Vortragende gedenkt, bevor er auf diese Arbeit selbst eingeht, ganz kurz der bereits vorliegenden Untersuchungen über das Glutin. Ein großer Teil der- selben hat sich mit den Zersetzungsprodukten des Glutins beschäftigt und so hauptsächlich die innern Unterschiede zwischen Glutin und seiner Muttersubstanz, dem Eiweiß, festgestellt. Als besonders wichtiges Ergebnis muss hierbei die Thatsache des Fehlens von Tyrosin unter den Zersetzungsprodukten des Glu- tins und anderseits des Fehlens von Glykokoll unter den Zersetzungsprodukten des Eiweißes erscheinen. Sehr viel weniger ist im Gegensatz zu den Eiweiß- körpern erreicht mit Darstellung und Untersuchung von Verbindungen des Glutins, zum Teil sicher nur aus äußern Gründen, weil diese Verbindungen, welche das Glutin sowohl mit basischen wie mit sauren Körpern bildet, schwierig zu handhaben sind. Noch geringer sind aber die Erfolge der Bestrebungen, Glutin aus Eiweiß zu gewinnen. Ohne Zweifel findet bei der Entstehung des Glutins aus Eiweiß eine Spaltung in der Tyrosingruppe des Eiweißmoleküls an der in beistehender Formel des Tyrosins durch den schrägen Strich ange- deuteten Stelle statt OH / GH, . Halblutzuchten . . . . 1866 - „ arabische Voll- und Halbblutzuchten 861 - Die englischen Vollblutzuchten gehören teils den österreichisch-ungarischen Privatgestüten, teils dem ungarischen Staatsgestüte Kisber an, dem auch die Farbenvererbungen der englischen Halbblutzuchten entnommen sind. Die Farben- vererbungen der arabischen Voll- und Halbblutzuchten gehören dem ungarischen Staatsgestüte Babolna an. Die wesentlichen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sind die folgenden: 4) Englische Vollblutpferde vererben auf je 1000 Paarungen gleich- farbiger Eltern 856 mal ihre Haarfarbe; bei Farbenkreuzung erben nach 1000 Paarungen 437 Fohlen die Farbe des Vaters, 508 die Farbe der Mutter, 55 andere Farben. Bei Farbenreinzucht wird die Fuchsfarbe (976 mal auf 1000 Paarungen), bei Farbenkreuzung die braune Haarfarbe am häufigsten vererbt; die letztere auf je 1000 Paarungen 529 mal von braunen Hengsten, 615 mal von braunen Stuten; die Rappfarbe wird bei Farben- kreuzung am seltensten vererbt: auf je 1000 Paarungen 116 mal von Rapp- hengsten, 22 mal von Rappstuten. 2) Englische Halbblutpferde vererben auf je 1000 Paarungen gleich- farbiger Eltern 873 mal ihre Haarfarbe; bei Farbenkreuzung erben nach 1000 Paarungen 367 Fohlen die Farbe des Vaters, 555 die Farbe der Mutter, 78 andere Farben. Bei Farbenreinzucht wird die Fuchsfarbe (946 mal auf 1000 Paarungen), bei Farbenkreuzung die braune Haarfarbe am häufigsten vererbt: die letztere auf je 1000 Paarungen 554 mal von braunen Stuten; die Rappfarbe wird bei Farbenkreuzung am seltensten vererbt: auf je 1000 Paarungen 132 mal von Rapphengsten, 210 mal von Rappstuten. 3) Arabische Voll- und Halbblutpferde vererben auf je 1000 Paarungen gleichfarbiger Eltern 837 mal ihre Haarfarbe; bei Farben- kreuzung erben nach 1000 Paarungen 313 Fohlen die Farbe des Vaters, 566 die Farbe der Mutter, 121 andere Farben. Bei Farbenreinzucht wird die Schimmelfarbe (900 mal auf 1000 Paarungen), beiFarbenkreuzung eben- falls die Schimmelfarbe (729 mal von Schimmelstuten), dann die braune Farbe (551 mal von braunen Stuten) am häufigsten vererbt; am seltensten 224 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. wiederum die Rappfarbe (125 mal von Rapphengsten, 190 mal von Rappstuten auf je 1000 Paarungen). 4) Das Auftreten anderer Haarfarben als die der Eltern ist in der Regel die Folge eines Rückschlages auf die Haarfarbe eines der Voreltern. Wohl am häufigsten wird die Fuchsfarbe durch Rückschlag oder Ahnenerbschaft übertragen. 5) Die Haarfarbe vererbt sich ungleich nach dem Geschlechte der Nachkommen. Die braune Haarfarbe vererbt sich häufiger auf Stuten und zwar in größerer Zahl bei Farbenkreuzung; im ganzen entfallen auf 1000 braune Hengste 1091 braune Stuten. Die Schimmelfarbe vererbt sich etwas häufiger auf Stuten bei Farbenreinzucht, häufiger auf Hengste bei Farben- kreuzung; im ganzen entfallen auf 1000 Schimmelhengste 948 Schimmelstuten. Auf 1000 Fuchshengste entfallen 1013 Fuchsstuten, auf 1000 Rapphengste 1036 Rappstuten. Es ist möglich und nicht unwahrscheinlich, dass die häufigere Vererbung der braunen Haarfarbe auf Stuten die Folge der bessern inner- mütterlichen Ernährung ist, wodurch auch die weibliche Geschlechtsbildung begünstigt wird. 6) In der Mehrzahl der Fälle vererbt einer der ungleichfarbigen Eltern mit seiner Haarfarbe auch seine Körperform. Deutscher Verein für Öffentliche Gesundheitspjlege. Fünfzehnte Versammlung zu Strafsburg i./E. in den Tagen vom 14. bis 17. September 1889 (unmittelbar vor der am 18. September beginnenden Ver- sammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Heidelberg). Tagesordnung: Samstag, den 14. September. I. Die hygienischen Verhältnisse und Einrichtungen in Elsass-Lothringen. Referent : Geh. Medizinal-Rat Dr. Krieger (Strafsburg i.|E.). II. Mafsregeln zur Erreichung gesunden Wohnens. Bericht der auf der letzten Versammlung erwählten Kommission. Die Verhandlung wird eingeleitet durch die Referenten: Oberbürgermeister Dr. Miquwel (Frankfurt a.!M.), Oberbaurat Professor Bau- meister (Karlsruhe). Sonntag, den 15. September. Ausflug nach dem Odilienberg oder nach der Hohkönigsburg bei Schlettstadt oder nach dem Hohbarr bei Zabern. Auch ist eine Besichtigung der Jllhochwasserableitung. bei Erstein in Aussicht ge- nommen. Montag, den 16. September. III. Anstalten zur Fürsorge für @e- nesende. Referenten: Geheimrat Professor Dr. v. Ziemssen (München), Bürgermeister Back (Strafsburg ü.|E.). IV. Mafsregeln zur Bekämpfung der Schwindsucht. Referent: Professor Dr. Heller (Kiel). Dienstag, den 17. September. V. Eisenbahnhygiene inbezug auf die Reisenden. Referenten: Eisenbahndirektor Wichert (Berlin), Professor Dr. Löffler (Greifswald). Beitrittserklärungen zu dem deutschen Verein für öffentliche Gesund- heitspflege (Jahresbeitrag 6 M.) nimmt der Unterzeichnete entgegen. Frankfurt a.|M., Mai 1889. Der ständige Sekretär: Dr. Alexander Spiess. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. BReess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Phy siologie in Erlangen. 24 Nummern \ von je 2 "Bogen bilden einen , Band. Preis des "Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. en: 1889, > Lak Nr f2\ Bash: a, Auge der zehnfüßigen en und Arachnoiden. — Fricke, Ueber psychische Zeitmessung (Zweites Stück). Bau und Entwicklung des Auges der zehnfüßigen Crusta- ceen und der Arachnoiden. Es erscheint mir angezeigt, die Besprechung neuerer Unter- suchungen über die Entwicklung und den Bau des Urustaceenauges an das Werk von Reichenbach!) anzuknüpfen, welches schon ein- mal, aber ohne nähere Berührung dieses Kapitels, im VIII. Bande dieser Zeitschrift kurz besprochen wurde. Wie ich zunächst hervor- heben muss, gibt Reichenbach richtig an, dass in dem Auge des Flusskrebses die Corneazellen und die Kıystallkegelzellen zwei ge- sonderte Schichten bilden, und auch bei dem erwachsenen Tiere sind in der entsprechenden Anordnung beide vorhanden und die zuge- hörigen Kerne nachzuweisen. (Während meine frühern Präparate die Kerne der Krystallzellen auch heute noch nicht mit einiger Sicherheit erkennen lassen, sind sie in einer spätern Serie deutlich zu sehen. Es scheint, dass ich damals einem Reagens zu großes Vertrauen schenkte und dieses grade den Teil der Krystallzellen, in welchem die Kerne liegen, so verdunkelte bezw. fixierte, dass die Kerne nicht zu erkennen waren); ich bitte somit in den „Sehorganen“ S. 168 Fig. 130 bei der Zeichnungserklärung zu ändern: „2 Corneazellen, 3 äußerer Teil des Krystallkegels, der Rest der Kıystallzellen mit den Kernen.“ Das Auge von Astacus entwickelt sich nach Reichenbach aus einer Einstülpung des Ektoderms, indem eine solide Zellmasse (Augenfalte) sich von einer Grube her unter die vor der Grube ge- legene Ektodermstelle schiebt. Letztere, die Epidermislage, zuerst ein-, bald aber vier- bis fünfschichtig, soll die Cornea- und die 1) Dr. Heinrich Reichenbach, Studien zur Entwicklungsgeschichte des Flusskrebses. Abhandl. der Senckenb. naturf. Gesellsch. Frankfurt 1886, IX, 15 326 Carriere, Auge der zehnfüßigen Crustaceen und Arachnoiden. Krystallkegelzellen liefern, während aus der Augenfalte durch Spal- tung in zwei Ballen einerseits die Retina, anderseits eine „Innen- wand“ hervorgehen, von denen letztere bald mit der Außenwand (Retina) und dem Sehganglion in innigen Zusammenhang tritt. Zwischen Krystallkegellamelle und Retina wandern Mesodermzellen ein, welche sich pigmentieren. Das Ganglion optieum entsteht als Ektodermverdickung im Augen- segment, in unmittelbarer Berührung mit der Einstülpung und dem Gehirn. Die Entwicklung vollzieht sich im Naupliusstadium und den darauffolgenden Stadien. Die Deutung, welche Reichenbach den einzelnen Teilen bei der Embryonalentwicklung des Auges gibt, lässt sich aber mit den Verhältnissen, die das Auge des erwachsenen Tieres bietet, nicht vereinigen. Wenn eine Mesodermschicht zwischen die Ektodermanlage der „Krystallkegelschicht“ und die Retina eindränge, müsste zunächst aus der Basalmembran der betreffenden Epithelstelle eine scharfe Grenze, eventuell eine präretinale Membran hervorgehen. Dann müssten aber auch die eingewanderten Elemente in entspre- chender Lage und Zahl sich im Auge vorfinden. Beides ist nicht der Fall. Was zunächst die Abbildungen Reichenbach’s betrifft, so ist das, was Reichenbach in Figur 225 als Mesodermschicht (Pg. m.) bezeichnet, gar nicht dasselbe, wie in Figur 224, wie die Vergleichung beider Abbildungen zeigt. Eine Grenzlinie, die schon bei schwächerer Vergrößerung so deutlich ist wie die in Fig. 224 zwischen „Krystall- kegel“- und Mesodermschicht befindliche, könnte bei stärkerer Ver- größerung nicht spurlos verschwinden, ebenso wenig wie die sehr deutlichen schwarzen Fasern, welche in Fig. 224 als Verlängerung der „Krystallkegel“ durch die Mesodermschicht ziehen. Vergleicht man die ältern Embryonalstadien mit dem erwachsenen Auge, so stellt sich zunächst heraus, dass die „Mesodermschicht“ vollkommen zu Recht besteht und an dem entsprechenden Platz liegt. Nur schiebt sie sich nicht zwischen „Krystallkegelschicht“ und „Re- tina“ ein, sondern zwischen Retina und den äußersten Abschnitt des Ganglion opticum. Die schwarzen Fasern sind auch jetzt noch darin vorhanden, es sind die pigmentierten, nach innen ausgewachsenen Enden der Retinulazellen (oder die an diese antretenden Nervenfasern, wenn man will. Die deutliche Grenze, welche zwischen der Meso- dermschicht und der „Krystallkegelschicht“ hinzieht, ist die Basal- membran des Epithelbezirks, aus welehem das Auge hervorgeht, und findet sich in dem erwachsenen Auge entsprechend als Basalmembran der Hypodermis wieder, welche kontinuierlich von allen Seiten her unter der Retina hinzieht. Es wäre also die Deutung der verschiedenen Teile dahin ab- zuändern, dass aus der Epithelverdiekung K.K. nicht nur Krystall- kegel und Pigment, sondern auch Retina hervorgehen, aus der Außen- wand der Augenfalte dagegen nicht Retina, sondern der äußerste Oarriere, Auge der zehnfüßigen Crustaceen und Arachnoiden. 397 Abschnitt des Ganglion optieum. Damit wäre dann allerdings die Entwicklung des Fächerauges wieder dahin vereinfacht, dass diop- trischer Apparat und Retina nieht an verschiedenen Stellen, sondern von einer Anlage her entständen, dass die Einfaltung Reichen- bach’s somit in keiner direkten Beziehung zum Auge stehen könnte. Und doch gibt eine neuere Untersuchung mit aller Bestimmtheit eine deutliche Einstülpung als erste Anlage des Krebsauges an — aber der Wert der einzelnen Falten erscheint hier ein anderer als Reichen- bach annahm. (Ich hatte obige Betrachtungen schon niedergeschrie- ben, ehe ich Kingsley’s Abhandlung erhielt). Kingsley!) findet bei Orangon vulgaris in den frühesten Stadien ganz wie Reichenbach zuerst eine Einsenkung, dann Einstülpung der Augenanlage. Die Einstülpung ist aber hier hohl und ihr Lumen bleibt lange Zeit kemntlich; die Augenblase ist schräg nach innen gerichtet und legt sich unmittelbar unter das Ektoderm, so dass ihre Außenwand dessen Innenwand dicht anliegt. Wir haben also drei übereinander liegende Zellschichten, deren mittlere und innerste fast in ihrer ganzen Ausdehnung getrennt sind; die Höhlung zwischen ihnen verflacht sich, aber verschwindet nie ganz. Die äußerste Zell- schicht, das Ektoderm, wird zur Cornea, die mittlere (Außenwand der Blase, Retinogen) zur Retina, (bildet also die ganzen Omma- tidien, dioptrischen Apparat und Retinula), die innerste (Innenwand der Blase, Gangliogen) zu der Ganglien- und Nervenkette im Stiele des erwachsenen Auges. Während der ersten Differenzierungs- erscheinungen im Gangliogen und Retinogen schieben sich zwischen beide in die Höhlung der Augenblase Mesodermzellen ein, welche bis zum Ausschlüpfen des Embryo ihren Charakter als einschichtige Lamelle bewahren, dann vermutlich die pigmentierte Zellmasse bilden, welehe die Nervenfasern zwischen den Ommatidien und dem äußersten Ganglion umgibt. Während die Retinawand einheitlich bleibt und in ihr Krystall- kegel und Retinula entstehen, spaltet sich die Ganglienwand in zwei Ganglien, deren weitere Entwicklung nicht in den Rahmen dieser Besprechung gehört. Gleichzeitig mit der Gruppierung der Retinazellen zu Omma- tidien treten die Kerne der Ektodermlamellen entsprechend zu je vier zusammen und erzeugen die zugehörige Cornea. Das Pigment tritt zuerst an der distalen Seite der Retinawand auf. Während Reichenbach die mögliche Umkehrung der Retina- zellen nicht berührt, welche nach seiner Darstellung auch nicht un- bedingt nötig wäre, gibt Kingsley folgerichtig an, dass bei Orangon die Retinazellen infolge der Einstülpung umgekehrt sein müssten. Von der histologischen Differenzierung der Retina an und über 1) J. S. Kingsley Se. D., The developement of the Compound Eye of Crangon. Journal of Morphology, Vol. I, Nr. 1, November 1887, Boston. 19° 398 Carriere, Auge der zehnfüßigen Crustaceen und Arachnoiden. dieselbe sind die Angaben Kingsley’s unsicher und zum teil un- brauchbar. Den Grund davon gibt er selbst an in der Bemerkung, dass — vermutlich infolge der Härtungsmethode — die Zellgrenzen auf den Schnitten nicht genügend zu erkennen waren, um sie abbilden zu können, so dass er nur nach Lage, Richtung ete. der Kerne ur- teilen konnte. Es ist somit zu bedauern, dass Kingsley ohne feste Grundlage, und obwohl er Patten’s Hypothesen in wesentlichen Punkten nicht bestätigen konnte, in zu großem Vertrauen auf des letztern Glaubwürdigkeit ein Schema des jungen Ommatidiums aufstellt, welches eigentlich nur eine Kopie nach Patten darstellt. Bei aller Klarheit, welche die Darstellung von Kingsley aus- zeichnet, und der Uebereinstimmung, welche hier zwischen der Em- bryonalentwicklung und dem ausgebildeten Auge besteht, bleibt doch ein sehr wichtiger Punkt, die Umwendung der Retina, welehe mit der Stellung der Ommatidien im ausgebildeten Auge und mit ihrer Innervierung noch nicht in Einklang zu bringen ist. Da ich bald an anderer Stelle die wichtigen Untersuchungen von Bertkau!), Mark?) und Parker?) ausführlich würdigen zu können hoffe, will ich hier nur erwähnen, dass die in der Entwicklung des Crustaceen- Auges noch vorhandene Lücke von Parker bei einer andern Arthropodengruppe ausgefüllt wurde. Die beiden Mittelaugen (oder, wie man jetzt richtiger sagen müsste „das Doppelauge“) des Skorpion gehen aus einer zunächst unpaaren medianen Einstülpung hervor, welche taschenförmig mit deutlichem Lumen von vorn nach hinten gerichtet ist. Das darüberliegende Ektoderm erzeugt die Linsen, die mittlere Lamelle wird zur Retina, und der Antritt des Nerven (noch vor der Differenzierung der Zellen zu den Bestand- teilen des definitiven Auges) erfolgt an dem ursprünglich innern (jetzt nach außen gerichteten) Ende dieser Zellen. Bei den Wirbeltieren treten bekanntlich die Sehzellen in dieser Lage, mit Ausbildung des Stäbehens am ursprünglich äußern Ende in Thätigkeit; in den Sehzellen des Skorpion dagegen findet nach dieser ersten Lageveränderung der ganzen Retinalamelle eine zweite Um- wälzung im Innern einer jeden einzelnen Sehzelle statt, indem der Kern aus dem ursprünglich innern Ende der Zelle in das jetzt nach innen gerichtete Ende rückt und gleichzeitig die Nervenfasern, ihre Ansatzstelle verändernd, dieselbe Wanderung an das ursprünglich äußere Ende vollführen und dieses in jeder Beziehung auch noch dadurch zu einem definitiv innern sich umgestaltet, dass die Rhab- 1) Bertkau Ph., Beiträge zur Kenntnis der Sinnesorgane der Spinnen: 1. Die Augen der Spinnen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. XXVI, 1886. 2) Mark E. L., Simple Eyes in Arthropods. Bull. of the Museum of Com- parative Zoölogy at Harvard College, vol. XII, Nr. 3, Cambridge Mass. 1887. 3) Parker G. H., The Eyes in Scorpions. Bull. of the Mus. of Comp. Zool. at Harvard College, vol. XII, Nr. 6, Cambridge Mass. 1837. Carriere, Auge der zehnfüßigen Crustaceen und Arachnoiden, 2399 DZ ZE domere an dem jetzt nach außen gerichteten Ende zur Ausbildung gelangen. Diese „innere Umkehrung“ ist allerdings nicht beobachtet, son- dern aus den durchgreifenden Verschiedenheiten in der Lagerung der einzelnen Teile des embryonalen wie des ausgebildeten Auges er- schlossen worden. Sind die Untersuchungen Reichenbach-Kings- ley’s richtig, dann muss die gleiche innere Umwandlung auch an den Retinazellen des Flusskrebses stattfinden, und da es sich hiemit nicht nur um eine Umwälzung der Zellen, sondern auch unserer An- schauungen über das Wesen derselben handelt, ist eine Bestätigung und Durchführung dieser Untersuchung hier wie dort, auch über die Jüngsten Stadien hinaus an Material, welches uns die Zellkörper in vorzüglichem Erhaltungszustande zeigt, unumgänglich nötig. Mit Recht schließt Parker aus dem ursprünglichen Ansatz der Nervenfasern, dass die Retina schon vor der Einstülpung funktioniert haben, also ein einschichtiges Auge als Vorgänger des dreischichtigen angenommen werden müsste. Die in den Sehzellen des Skorpion - Mittelauges hinter den Kernen liegenden eigentümlichen Körper werden von Mark als Rudiment der ursprünglichen (vor der Umkehrung am distalen Ende entwickelten Rhabdomere) aufgefasst, und Parker’s Beobachtung, dass diese „Phaosphären“ in den einschichtigen Seitenaugen von Centrurus fehlen, würde zu gunsten dieser Hypothese sprechen. Da meine Untersuchungen aber die Angaben Ray-Lankester’s über das Vorkommen der Phaosphären in den Seitenaugen von Euscorpius italicus bezw. carpathicus, sowie deren Lage bald vor, bald hinter den Kernen vollkommen bestätigen, fällt die Bedeutung dieser Körper für die Mark’sche Hypothese hinweg; da ferner sowohl die Stelle ihres Vorkommens bei einer Species als dieses selbst bei verschiedenen Gattungen schwankt und unabhängig von ihnen immer Rhabdomere vorhanden sind, dürfte diesen Gebilden überhaupt kein besonderer Wert beizulegen sein. Auf die Untersuchung Parker’s, dem ich in allen wesentlichen Punkten (nur nicht in dem, dass „Phaosphären nicht immer sehr ver- schieden im Aussehen von Kernen seien“) nach meinen an einer andern Gattung gemachten Beobachtungen beistimmen kann, weiter einzugehen ist hier nicht der Ort. Als wichtig will ich hier nur noch hervorheben, dass durch sie zwar die Vermutung Patten’s über die Dreischichtigkeit des Spinnen- und Skorpion-Ocells zur Gewiss- heit erhoben, zugleich aber die Vorstellung, welche letzterer über die Entstehung und den Aufbau dieser Ocellen sich konstruierte, als falsch hingestellt wurde. Die Klarheit, mit welcher die Einstülpung und dreischichtige Anlage des Skorpionauges durch Parker geschildert und abgebildet ist, entzieht den Einwänden, welche ich früher gegen Locy’s Dar- 330 Carriere, Auge der zehnfüßigen Crustaceen und Arachnoiden. stellung der Entwicklung des Spinnenauges zu richten genötigt war, zum größten Teil den Boden. Was meinen Einspruch veranlasste, war hauptsächlich die Verallgemeinerung, welche die meisten Forscher auf diesem Gebiete ihren Resultaten gaben und der ich mich auch heute noch widersetzen muss. Ich habe, wie das in meiner „Ent- wicklung der Ocellen und Seitenaugen der Insekten“ des nähern gezeigt werden wird, zwei Arten von Entstehung des Auges zu unter- scheiden, entsprechend den beiden Hauptgruppen, in welche die Arthro- poden nach Entwicklungsgeschichte und sonstigen verwandtschaft- lichen Beziehungen zerfallen. Es sind das auf der einen Seite die Insekten, bei welchen sich Augen und Ocellen ohne Einstülpung bezw. nur unter Einsenkung entwickeln und die ursprünglich distalen Enden der Retinazellen dauernd nach außen gerichtet bleiben, auf der andern Seite die Arachnoideen (Spinnen und Skorpione) und Crustaceen, deren Augen durch Einstülpung und Abschnürung unter Umkehrung der Retina entstehen; für die Arachnoideen scheint mir das sicher zu sein, bei den Urustaceen noch genauerer Unter- suchung zu bedürfen; den Insekten würde außerdem ein besonderes Cornea-bildendes Epithel fehlen, den Crustaceen zukommen. Ein durchaus nicht unwesentlicher Unterschied innerhalb der zweiten Gruppe zeigt sich bis jetzt darin, dass bei den Arachnoideen aus der innersten (dritten) Schicht der Augenanlage die Augenkapsel, bei den Crustaceen dagegen die Augenganglien hervorgehen sollen. Mögen Crustaceen und Arachnoideen durch fernere entwicklungs- geschichtliche Untersuchungen einander noch näher kommen oder wieder weiter getrennt werden, immer bleibt die Kluft zwischen ihnen und den Insekten so groß, dass es unstatthaft erscheint, bei den einen gemachte Beobachtungen ohne weiteres auf die andern zu übertragen oder umgekehrt. Wie ich oben erwähnte, liegt die Hauptschwierigkeit bei der Entwicklung des Crustaceenauges durch Einstülpung und Abschnürung eines bläschenförmigen Gebildes in der Umkehrung der Retina, welche gefordert werden muss, falls sich dieselbe — wie Kingsley und Reichenbach angeben — aus der äußern Wand jener Blase ent- wickelt, von welcher aber bei dem ausgebildeten Auge keine An- deutung vorhanden ist. Patten (in den „Eyes of Molluses and Arthropods“, Mitt. zool. Stat. Neapel Bd. 6, 1886; P. hatte gleich- zeitig mit Reichenbach die besondere Corneazellenschicht im Deka- podenauge gefunden) ging bekanntlich der ganzen Schwierigkeit aus dem Wege, indem er die Sache nur theoretisch betrachtete, das Ommateum (Retina mit Ausnahme der Cornea) aus der innern Wand der Blase hervorgehen und die unbequeme mittlere Schicht (Außen- wand der Blase) einfach verschwinden ließ. Für die beiden jüngsten Bearbeiter dieses Gebiets besteht diese Schwierigkeit gleichfalls nicht, aber aus anderem Grunde. Obschon erst vorläufige Mitteilungen vor- Carriere, Auge der zehnfüßigen Crustaceen und Arachnoiden. 231 liegen, will ich die Resultate, zu welchen Parker!) und Herrick?) gekommen sind, bei der Wichtigkeit, welche sie besitzen, hier anfügen. Nach Parker zeigt sich bei dem Hummer das erste Auftreten des optischen Apparats in einem Paar von Ektodermverdiekungen am Vorderende des Embryo, wobei der oberflächliche Teil dieser Ver- dickungen die Retina, der untere das Ganglion des Auges entstehen lässt; beide Teile werden später durch eine Basalmembran getrennt. An gewissen Stellen wird der Zusammenhang beider Schichten durch diese Membran nicht aufgehoben — diese Verbindungen bleiben er- halten und bilden die Nervenfaserstränge des erwachsenen Auges °). Das Ommatidium des ausgebildeten Auges besteht aus mindestens 16 Zellen, zwei Corneabildungszellen unter jeder Fassette, und 4 Retino- phoren (Krystallzellen), welche mit fadenförmigen Ausläufern an der Rhabdomspindel vorbei und zwischen den Retinulazellen hindurch bis zur Basalmembran reichen, wo sie an der unter jedem Ommatid be- findlichen Verdickung derselben endigen. Dann 10 Pigmentzellen, zwei distale, welche den Krystallkegel umgeben und nach der Basal- membran zu fadenförmig verlängert sind, und acht proximale (eine von ihnen ist pigmentlos), welche der Rhabdomspindel eng anliegen und nach außen nicht weit über dieselbe vorragen. Die sieben pig- mentierten (Retinula-) Zellen gehen in dicke, die Basalmembran durch- setzende Nervenfasern über; die zwei distalen Pigmentzellen sollen gleichfalls in feinen Fasern durch die Basalmembran treten, möglichen- falls dürften sich diese schlankern Fasern, deren je zwei zu einem Ommatid gehören, als Blutgefäße erweisen, denn auch für solche müssen regelmäßige Oeffinungen in der Basalmembran ebenso erwartet werden, wie sie bei den Insekten für die Tracheenschläuche vor- handen sind. Da Parker (von dem Standpunkte der Patten’schen Hypothese aus) seinen Befund — dass nämlich die Retinula- und nicht die Krystallzellen (Retinophoren) mit den Nerven zusammenhängen — als sehr auffallend bezeichnet, dürfen wir wohl annehmen, dass er 1) Parker G. H., Proliminary account of the developement and histology of the Eyes in the Lobster. Oktober 1888. Proceedings of the American Academy 1888. 2) Herrick F. H., The developement of the compound Eye of Alpheus. Zoolog. Anzeiger, Bd. XII, Nr. 303, 1889. 3) Es ist vielleicht nicht überflüssig daran zu erinnern, dass nach neuern Untersuchungen auch bei den Wirbeltieren die Verbindung des Zentralorganes mit den Sinnesorganen nicht durch von ersterem auswachsenden Nervenfasern, die mit einem merkwürdigen Glück immer grade ein solches Organ treffen, hergestellt wird, sondern dadurch, dass sich zwischen beiden gelegene Zellen — seien es nun solche der ursprünglichen gemeinsamen Anlage beider Teile oder zwischen diese tretende indifferente Zellen (Bildungszellen) — in Nerven umwandeln. 939 Carriere, Auge der zehnfüßigen Crustaceen und Arachnoiden. diesem Punkte besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat und somit wertvolles Material für die frühere und gegen die Patten’sche Auf- fassung beibringt. Gleicherweise durch Delamination, durch selbstthätige Trennung eines Zellenhaufens in verschiedene Schichten lässt Herrick das Auge sich bilden, welcher die Entstehung des Auges von dem ersten Auftreten der Augenscheiben (Kopflappen) bis zum Larvenstadium auf Schnittserien verfolgte. Bei einer Garnele, Alpheus, besteht der Embryo zur Zeit der ersten Anlage der Augen aus drei Flecken (Haufen) von Zellen, der Ventralplatte und den beiden Augenscheiben; aus letztern entwickelt sich das ganze Auge mit seinem Ganglion. Wenn die Augenscheiben sich mit der Bauchplatte vereinigt haben, beginnt die Verdickung der erstern, und zwar einmal durch Vermehrung der Ektodermzellen durch Teilung sowohl in zur Oberfläche senkrechter als dieser paralleler Richtung (Emigration und Delamination), als auch wahr- scheinlich durch Anlagerung „indifferenter Zellen“ aus dem Dotter. Bei einem Alter des Embryo von einer Woche (Eunauplius) bilden die Koptilappen eiförmige, dichte Ektodermmassen, welche über die Oberfläche vorgewölbt sind, nach dem Auftreten von 7 Paar von Körperanhängen beginnt die Sonderung einer äußern Schicht großer, körniger Zellen, des Retinakeims (Retinogen) von der darunter liegenden Zellmasse, dem Ganglienkeim (Gangliogen), zwischen denen bei dem Stadium mit 10 Körperanhangspaaren eine Membran (Basalmembran des Retinakeims) aufgetreten ist. Der Retinakeim ist zu dieser Zeit nur noch an den Rändern einschichtig, bald beginnt die Sonderung seiner Zellen in die Ömmatidien, indem sich einerseits auf der Basalmembran aufsitzende Zellstränge in radiärer Richtung zu einem im Ganglienkeim gelegenen Zentrum anordnen, die Reti- nulae (Herrick verwendet die neuen Ausdrücke von Pattens, aber mit der alten Bedeutung, so dass ich der Verständlichkeit halber die bekannten Bezeichnungen benutze), anderseits außen sich eine Zellschicht abtrennt, die Corneaschicht, deren Zellen sich paar- weise gruppieren, so dass je zwei über eine Retinula zu liegen kommen. Unmittelbar unter dieser Schicht kommt die der Krystall- zellen (retinophoral layer) zur Ausbildung, welche zu je vieren an- geordnet die Krystallkegel bilden. Die Retinulazellen, zu sieben in röhrenförmige Bündel gestellt (später eine solide Säule bildend) be- gegnen sich mit den Gruppen der Krystallzellen und nehmen das spitzausgezogene innere Ende derselben in ihr äußeres auf. Die Krystallzellen erstrecken sich nicht weiter nach der Basalmembran zu, sondern endigen im äußern Abschnitt der Retinula. An der Basal- membran und an der Grenze von Retinula und Krystallzellen ent- wickelt sich ein Netzwerk von Chitin, zwischen den Ommatidien stehen zahlreiche unveränderte Ektodermzellen. ir aan Carriere, Auge der zehnfüßigen Crustaceen und Arachnoiden. 333 Bei der Larve findet sich kein spindel- oder säulenförmiges Rhabdom, wenn man nicht den innersten soliden Kern der Retinula, welcher ein Produkt dieser selbst ist, als solches betrachten will, und in dem Krystallkegel sind keine Nervenfasern zu finden. Weder eine Einstülpung noch irgend eine Art von Aushöhlung konnte während der Entwicklung dieses Auges beobachtet werden; wenn nun bei andern Garnelen eine Einsenkung den ersten Schritt zur Entwicklung des Auges bilde, so könne dem, wie das Beispiel von Alpheus zeige, nur sehr geringe Bedeutung zugemessen werden, und nur in der Beziehung, dass es sich dabei einfach darum handle, schnell eine große Anzahl von Ektodermzellen unter die Oberfläche zu bringen. Die Anordnung, welche die Zellen dabei erhalten, muss (wenn ich den Autor richtig verstehe) als vorübergehend und für die weitere Entwicklung des Organs gleichgiltig betrachtet werden. Ein Urteil über diese Mitteilungen und die Erörterung der Be- ziehungen, in welche sie mit den Ergebnissen Reichenbach’s und Kingsley’s zu bringen wären, erscheint mir ebenso wie ein Ver- gleich mit den übrigen hier besprochenen Abhandlungen vor dem Erscheinen der ausführlichen Untersuchungen ausgeschlossen. Ich begnüge mich, darauf hinzuweisen, dass ein prinzipieller Unterschied zwischen Einstülpung und Abblätterung nur dann besteht, wenn, wie das ja in einer Anzahl von Fällen sich findet, den Zellen des unter die Oberfläche gelangten Bläschens bereits ein bestimmter morpho- logischer und physiologischer Wert zukommt, mit andern Worten, wenn ein ursprünglich oberflächlich gelegenes Organ in die Tiefe rückt (z. B. Augen der Gastropoden, der Wirbeltiere, der Skorpione?). Wir würden diese Art der Einstülpung von einer zweiten zu trennen haben, welche nur das rohe Material zum Aufbau eines Organs in die Tiefe schafft, und welche, wie gesagt, von der Delamination nicht scharf abzugrenzen ist; hier ist die Lage der einzelnen Zellen bei dem Uebergang in die Tiefe bedeutungslos für ihre spätere Ver- wendung und Lage bei dem Aufbau des Organs, und hierher wären beispielsweise alle sog. soliden Einstülpungen und Einwucherungen, sowie die Anlage des Seitenauges der Crustaceen zu stellen. Was die Angaben der beiden letzten Beobachter über den innern Bau der Ommatidien betrifft, so sind die Unterschiede dabei von geringem Werte gegenüber den Punkten, in welchen sie übereinstimmen, indem sie die Krystallzellen ihrer frühern Bestimmung wiedergeben und des Ranges von Sehzellen, welcher ihnen ja verliehen worden war, ent- kleiden. Wenn nach der Ansicht des einen Autors diese Zellen in der Höhe der Kegelspitze endigen, nach der des andern gleich den äußern Pigmentzellen sich mit feinen Ausläufern bis zur Basalmembran erstrecken, so würde letzterer Fall, wenn er Bestätigung fände, eine schon von Patten ausgesprochene Modifikation unserer bisherigen Ansicht über den Bau des Arthropodenauges (nach welcher nur die 934 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. zwischen den Ommatidien stehenden, unveränderten Zellen der Augen- anlage auch im ausgebildeten Auge von der Cornea bis zur Basal- membran reichen) bilden. Welches von beiden für die Dekapoden Geltung hat, wird sich vielleicht schon nach dem Erscheinen der vollständigen Abhandlungen entscheiden lassen; die Frage, wie sich das Auge der Insekten in diesem Punkte verhält, hoffe ich in meiner schon erwähnten Untersuchung mit Bestimmtheit erledigen zu können. J. Carriere (Straßburg i. E.). Ueber psychische Zeitmessung. Von Dr. Karl Fricke. I. Die einfache Reaktionszeit. (Zweites Stück.) Nachdem wir im vorigen Aufsatze!) versucht haben, uns über die Bedeutung der verschiedenen Reaktionsweisen ein Urteil zu bilden, wenden wir uns jetzt von den gewonnenen Gesichtspunkten aus zu einer systematischen Betrachtung der neuern psychometrischen Er- gebnisse. Wir beginnen mit einer Besprechung derjenigen Unter- suchungen, welche den Einfluss der Stärke des angewandten Sinnes- reizes auf die Dauer der Reaktionszeit behandeln. Bei dem innigen Zusammenhange alles psychischen und physio- logischen Geschehens hat es von vornherein für uns ein Interesse, die Veränderungen kennen zu lernen, welche der einfachere, rein physiologische Vorgang des Reflexes durch verschiedene Grade der Reizstärke erleidet. Die Vergleichbarkeit desselben mit dem psycho- physischen Reaktionsvorgange ergibt sich nach unsern frühern Er- örterungen schon daraus, dass die eine der besprochenen Reaktions- weisen, die sogenannte muskuläre, in ihrem Ablauf als ein Hirnreflex zu betrachten ist. Ueber Reflexe hat J. Rosenthal in dieser Zeitschrift?) Unter- suchungen veröffentlicht, welche uns über diese Frage Aufschluss geben. Er geht aus von dem sogenannten Helmholtz’schen Phä- nomen, d. h. von der Erfahrung, dass die Zeit, welche zwischen dem Augenblicke der Reizung und dem Eintritte der Reflexbewegung ver- fliesst, 10—12 mal so groß ist, als die Zeit, welche zur Leitung in den peripherischen Nerven von ungefähr gleicher Länge erforderlich sein würde. Nun hat die Reflexbewegung die Eigentümlichkeit, dass sie bei so geringer Reizung, deren direkte Anwendung auf einen motorischen Nerven bereits zur Auslösung einer kleinen Bewegung genügt, noch nicht eintritt. Wird der Reiz auf die sensible Fläche verstärkt, so bedarf es bekanntlich schon einer bedeutenden Steigerung, um überhaupt eine Reflexbewegung zu erzielen; ist aber die Reizung bis zu dieser ausreichenden Größe angewachsen, so tritt die Bewegung 1) Biolog. Centralblatt, VI. Bd., 8. 673—690. 9) IV. Bd, $. 247 u. fg. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 2335 gleich mit einer ziemlich starken Muskelzuckung ein, welche sogar die durch den gleichen Reiz bewirkte direkte Muskelzuckung an Stärke und Dauer übertreffen kann!). Durch weitere Steigerung der Reizstärke wird nun nicht etwa die Stärke der Zuckung vermehrt, sondern die Reflexzeit bis zum Verschwinden des ursprünglichen Helmholtz’schen Phänomens verringert. Weitere Versuche über- zeugten den Verfasser, dass innerhalb der peripheren Nerven die Leitungsgeschwindigkeit von der Reizstärke unabhängig ist, und führten ihn zu dem Schluss, dass der Grund der anfänglichen Ver- zögerung in dem Mittelgliede zwischen sensibeln und motorischen Fasern, also in den zelligen Elementen der Reflexzentren zu suchen ist, die offenbar der Uebertragung des Reizes ein größeres Hindernis bieten. Von nicht geringerem Interesse erscheint ferner das weitere Ergebnis dieser Untersuchung, dass nämlich bei zunehmender Reiz- stärke auch der Weg des Nervenstromes eine Veränderung erleidet. Der genannte Verfasser stellte durch Versuche fest, dass eine Stelle im Rückenmarke von besonderer Wichtigkeit für das Zustandekommen des Reflexes ist. Dieselbe befindet sich im obersten Teile desselben und greift vielleicht noch etwas in das verlängerte Mark hinein. Während bei eben ausreichenden Reizungen die normale Leitungs- bahn erst bis zum Halsmark aufsteigen muss, um dort auf die moto- rische Seite übertragen zu werden, so findet bei Anwendung stärkerer teize der Uebergang schon an einer tiefer gelegenen Stelle statt, es tritt also eine Verkürzung der Reflexbahn ein. Dies wurde so- wohl für Reflexe, welche auf der gereizten Seite zu stande kamen, wie auch für die sogenannte Querleitung, d. h. für die Uebertragung auf die entgegengesetzte Körperhälfte, übereinstimmend nachgewiesen. Diese rein physiologischen Thatsachen sind jedenfalls geeignet, uns in mancher Hinsicht einen Fingerzeig zu geben, wie wir auch die Veränderungen psychischer Vorgänge bei Einwirkung verschieden abgestufter Sinnesreize aufzufassen haben. Bei Anwendung schwacher Reize werden wir von vornherein nicht die muskuläre, reflexartige Reaktionsweise, sondern in der Regel sensorielle Vorgänge voraus- setzen. Bei Verstärkung des Reizes dagegen werden wir — und zwar namentlich in allen denjenigen Abhandlungen, welche den grund- sätzlichen Unterschied der beiden Reaktionsweisen noch nicht beachtet haben, — die Möglichkeit eines unwillkürlichen Ueberganges von sensoriellen in muskuläre Reaktionen vermuten. Ueberhaupt werden wir geneigt sein, den Grund einer Aenderung in der Reaktionsdauer nicht in den peripheren Nerven sondern in den Zentralorganen zu suchen, und auch hier die Möglichkeit anzunehmen, dass die Leitung bei einer Aenderung der Reizstärke nieht immer in den gewohnten Bahnen bleibt, dass also der Stärke des Nervenstromes entsprechend 1) Vergl. W. Wundt, Physiol. Psychologie, 3. Aufl., I. Bd., S. 182. 336 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. bald höhere bald niedere Teile des Zentralorgans die Auslösung der beabsichtigten Reaktionsbewegung veranlassen. Um an die in dieser Zeitschrift!) bereits mitgeteilten Unter- suchungen wieder anzuknüpfen, gehen wir von den Versuchen von W. Wundt aus, welche zeigen, dass die einfache Reaktionszeit auf solche Sinneseindrücke, welche eben die Reizschwelle erreichen, für die verschiedenen Sinnesgebiete übereinstimmen, und zwar sowohl für den Tast- und Gehörssinn wie für den Gesichtssinn den extrem sensoriellen Wert von über 300 « erreichen: Reizschwelle: Mittel aus 24 Einzelversuchen: mittlere Schwankung?): Schall: 3312 50 Licht: 331 57 Tast: 324 32. Mit Recht bemerkt W. Wundt in der dritten Auflage seiner physiologischen Psychologie?) zu diesen Zahlen, dass es bei diesen schwächsten Reizen kaum möglich ist anders als sensoriell zu reagieren, da hierbei die Spannung der Aufmerksamkeit auf den Sinnesreiz gerichtet sein muss. Wir fügen hinzu, dass auch wohl der Gefühlswert eines derartigen Eindruckes nicht ausreichen dürfte, um unmittelbar eine Erregung der motorischen Organe zu veran- lassen, und dass es daher in diesem Falle außer einer Apperzeption des Sinneseindruckes auch stets eines besondern Willensimpulses zur Ausführung der Reaktionsbewegung bedarf. In neuerer Zeit hat nun G. O. Berger) den Einfluss verschie- dener Reizstärken auf die Dauer der einfachen Reaktion einer ein- gehenden Untersuchung unterzogen. Derselbe arbeitete mit acht ver- schiedenen Lichtstärken und mit je vier in ihrer Stärke abgestuften elektrischen und Schallreizen. Unter den Lichtreizen war l so ge- wählt, dass er eben die Schwelle erreichte, während VI die tausend- fache Stärke besaß, und als normale Intensität galt. Zu diesem Zwecke benutzte er das durch einen Induktionsstrom hervorgerufene Licht einer Puluj’schen Röhre?), während er die Abstufungen I—V dadurch erreichte, dass zwischen die leuchtende Platte und das Auge photometrisch genau bestimmte graue Gläser eingeschoben wurden. Die stärksten Reize VII und VIII erhielt er in einer wenigen genau vergleichbaren Weise mit Hilfe zweier verschieden starker Sammel- linsen. Als Endergebnis einer zehntägigen gemeinschaftlich mit J. M. Cattell ausgeführten Beobachtung ermittelte Berger aus je 150 Einzelversuchen folgende Zahlen: 1) 1. Bd, 8. 667. 2) Man versteht darunter das arithmetische Mittel aus den Abweichungen der einzelnen Reaktionen von dem Mittelwerte derselben. 3) 1887, I. Band, S. 285. 4) Philos. Stud., III. Bd., S. 38 u. fg. 5) Das Nähere a. a. O. S. 40. en Frieke, Ueber psychische Zeitmessung. DIL Biefteitke a | EI NE, ev | ve vu VI | EN RNRN B| 338 | 265 | 238 | 230 | 292 | 225 | 207 | 198 veaktionszeit: . (| 281 | 205 | 190 | 178 | 177 | 173 | 165 | 158 B| 26 | 18 | ı6 | 25 18 16 mitt]. Schwankung: ( a eson aatze | dor | 1Aal eis. 13 1. 16:.1,.19 Zunächst beweist diese Zusammenstellung zweifellos die Giltig- keit des von Wundt aufgestellten und von ihm für Schallreize, durch von Kries und Auerbach für elektrische Reize nachgewiesenen Gesetzes auch auf dem Gebiete der Lichtempfindung, dass nämlich sowohl die Dauer der Reaktionszeit wie auch die mittlere Schwankung derselben in umgekehrtem Sinne wächst wie die Reizstärke und zwar um so schneller, jemehr wir uns der Reizschwelle nähern. Wundt?) findet die Erklärung der so gefundenen Zahlwerte darin, dass namentlich in dem ersten bedeutenden Sinken der Reaktionszeit ein unwillkürlicher Uebergang von vollständigen zu verkürzten Reak- tionen zu erkennen ist; demgemäß hätten wir hier nicht nur eine Veränderung in der Dauer der psychischen Akte, sondern auch in der Zahl und Verknüpfung derselben. Die gleichfalls von Berger und Cattell angestellten Versuche mit Schall- und elektrischen Hautreizen?) bestätigen eine stetige Ver- kürzung der Reaktionszeit bei zunehmender Reizstärke, jedoch ohne dass sich bei dem schwächsten Reize, der hier zur Anwendung kam, eine auch nur annähernd so lange Reaktionsdauer ergeben hätte, wie für die Liehtempfindung, und wie sie von Wundt auch für Haut- und Schallreize in der Nähe der Schwelle gefunden waren. Inbetreff der bei diesen Versuchen angewandten Reaktionsweise ist der namentlich bei den Lichtreaktionen hervortretende Zeitunter- schied der beiden Beobachter von Interesse. Durchweg sind die Zahlwerte der einfachen Reaktionen Berger’s erheblich höher als die von Cattell, auch vermindern sich die des letztern verhältnis- mäßig schneller bei zunehmender Reizstärke als die von Berger. Wie der Verfasser bemerkt, ist der Grund dieser auffälligen Ab- weichung offenbar in dem Umstande zu suchen, dass Cattell voll- kommen reflexartig, ohne vorangehende Apperzeption und Willens- impuls zu reagieren pflegte, also nach der Bezeichnung Ludwig Lange’s „extrem muskulär“, während Berger nach seinem eignen Urteil diese Art der Reaktion nicht vollständig erreichte. Eine genaue Analyse seiner Bewusstseinszustände hat er freilich nicht beigefügt, jedoch ist es bemerkenswert, dass die von ihm für die Reizschwelle gefundene Reaktionszeit von 338 « mit der von Wundt ermittelten 1) Physiol. Psychol., 3. Aufl., II. Bd., S. 285. 2) Philos. Stud. a. a. O. S. 64 u. fg. 238 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. übereinstimmt, und wie diese als eine „extrem sensorielle“ zu deuten ist. Vergleichen wir ferner die Reaktionsdauer der beiden Beobachter bei der als normal bezeichneten Reizstärke VI, so ergibt sich, dass Cattell hier nach 173 co reagierte, also offenbar muskulär, während Berger 2250, also etwa 50 o mehr gebrauchte. Dieser Unterschied ist grade ausreichend, um in letzterem Falle noch einen Apperzep- tionsvorgang wahrscheinlich zu machen, oder mit andern Worten, die Dauer der Reaktion lässt hier auf eine Reaktionsweise schließen, die wir früher als eine verkürzte, d. h. keinen besondern Willensakt ein- schließende, aber doch noch sensorielle kennen gelernt haben. Die weitere Verkürzung der Reaktionszeit bei zunehmender Intensität des Reizes müssen wir nach Analogie der eingangs erwähnten physio- logischen Ergebnisse Rosenthal’s als eine Beschleunigung der Vor- gänge in der zentralen grauen Substanz betrachten, ohne dass in den Untersuchungen ein Anhaltspunkt für eine genauere Einsicht in die ursächlichen Verhältnisse gegeben wäre. Auch auf dem Gebiete der Temperatur-Empfindung hat das Wundt’sche Gesetz Bestätigung gefunden. Die Versuche von Gold- scheider, auf welche wir in einem andern Zusammenhange ausführ- licher zurückkommen werden, beweisen auch hier die genaueste Ab- hängigkeit der Reaktionszeit von der Intensität, ein Ergebnis, welches mit den Erfahrungen anderer Forscher (Exner, von Kries und Hall, von Vintschgau) auf diesem Gebiete im Einklang stehtt). Diesem sehr bemerkenswerten Einflusse der Intensität des Reizes gegenüber scheint die Qualität innerhalb desselben Sinnes- gebietes nur von untergeordneter Bedeutung zu sein. Die von G. ©. Berger über den Einfluss der verschiedenen Farben auf die Dauer der einfachen Reaktionszeit angestellten Versuche blieben erfolglos. Dies erscheint insofern auffallend, als S. P. Langley?) festgestellt hat, dass zum Sehen der Farben eine nicht unbeträchtlich verschiedene Energie erforderlich ist, also gleichsam auch Intensitätsunterschiede in betracht kommen. Nachdem Langley bereits früher gezeigt hatte, in welcher Weise sich die als Wärme messbare Energie der Sonnen- strahlen auf die einzelnen Abschnitte des Spektrums verteilt, suchte er mit Hilfe einer Methode, welche zur Bestimmung der Sehschärfe angewandt zu werden pflegt, den Schwellenwert für die Erkennung der Farben Violett, Grün, Scharlach- und Karmoisinrot zu ermitteln. Er 1) Goldscheider, Ueber die Reaktionszeit der Temperaturempfindungen. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1886—1887, Sitzung am 17. Juni 1887; Auszug im Biolog. Centralblatt, VII. Bd., S. 448 und in du Bois-Reymond’s Archiv, 1887, S. 470. 2) S. P. Langley, Energie und Sehen. American Journal of Science, 1888, Ser. 3, Vol. XXX, 8.359; vergl. naturwissenschaftl. Rundschau, IV. Jahrg., 1889, S. 69 u. fg. Ban Frieke, Ueber psychische Zeitmessung. 239 fand so, dass folgende Energiemengen!) erforderlich und ausreichend sind, um eine Lichtempfindung hervorzurufen: Violett (* —= 0,40 u) — 0,000 000 000 000 000 180.00 Grün EAN DENE) ET 166 SeharlachiitA— 0:08. u 2 es 17000 Karmoisin (=. 0, 15,6) = nr anne 340 000 00 Die Unsicherheit dieser Zahlen wird von dem Verfasser selbst bis zu einem gewissen Grade zugegeben. Indess ist es bemerkenswert, dass ähnliche Ergebnisse aus den Untersuchungen von J. M. Cattell und G. O. Berger hervorgegangen sind, soweit dieselben sich auf die Erkennungszeit einer Farbe bezogen. Die letztgenannten Ver- fasser fanden den schon von Kunkel?) aufgestellten Satz bestätigt, dass die verschiedenen Teile des Spektrums eine verschieden lange Zeit gebrauchen, um denjenigen Grad von Erregung hervorzubringen, welcher zur Wahrnehmung derselben hinreicht, auch wenn die Farben auf die gleiche Intensität reduziert sind. Cattell?) fand mit Hilfe seines Fallehronometers*) einen gesetzmäßigen, bei verschiedenen Per- sonen gleichmäßig wiederkehrenden Unterschied in der Einwirkungs- dauer der verschiedenen Farben, welche von 0,6 auf 2,75 ao anwachsen kann. Während die Netzhaut für Orange und Gelb am schnellsten empfindlich ist, so verlängert sich die Zeit der Einwirkung für Blau um 0,3 und für Rot noch um 0,1 o mehr. Grün gebraucht auffallen- der Weise sogar 0,2 o mehr als Blau, und Violett musste endlich 2—2,75 0 sichtbar bleiben, um richtig erkannt zu werden. Folgt auf den Eindruck der Farbe nicht Schwarz, wie in den aufgeführten Fällen, sondern Weiß, so verwischt dies den schon vorhandenen Ein- druck, und es bedarf einer erheblich längern Einwirkungsdauer der Farben, für Orange 6, für Violett 12,5 o, um richtig erkannt zu werden. Ebenso wird durch ein auf den Eindruck folgendes farbiges Licht die Zeit verlängert, und auch die Reihenfolge der Farben ver- ändert. Die gleiche Erfahrung machte man, wenn zur Beleuchtung der Farben nicht wie bisher Tageslicht, sondern Lampenlicht gewählt wurde. Dies alles beweist den weitgehenden Einfluss, welchen die äußere Anordnung der Versuche auf das Ergebnis auszuüben vermag und erklärt uns, weshalb wir keine volle Uebereinstimmung in den Untersuchungen Langley’s und Cattell’s erwarten dürfen. Am auffallendsten ist jedenfalls die Abweichung, welche sich bei Cattell in der Erkennungszeit der grünen Farbe kundgibt; während Grün 4) Die folgenden Zahlen sind Bruchteile einer Pferdekraft. Die Wellen- länge (A) des Lichtes ist in Tausendstel Millimeter («) ausgedrückt. 2) Pflüger’s Archiv, Bd. 9, S.206; vergl. Philos. Stud., Bd. III, S. 80 u. fg. 3) James Me Keen Cattell, Ueber die Trägheit der Netzhaut und des Sehzentrums. Philos. Studien, Bd. II, Tabellen auf S. 102—104. 4) Eine genaue Beschreibung und Abbildung dieses Instrumentes findet sich a. a. 0. S. 97 u. fg. und S. 307 u. fg. JA0 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. nach Langley des geringsten Kraftmaßes bedarf, um gesehen zu werden, fand sich bei Cattell für diese Farbe eine längere Erken- nungszeit als für Rot. Von andern Unterschieden der Untersuchungs- methode abgesehen, mag hier darauf hingewiesen werden, dass Cat- tell nicht wie Langley mit reinen Spektralfarben, sondern mit farbigem Papier arbeitete, welches nach seiner eignen Erklärung!) nicht so gesättigt war, wie die Spektralfarben. Auch in den Untersuchungen Cattell’s gibt sich die Bedeutung der Intensität des Eindruckes dadurch zu erkennen, dass ein ge- sättigtes Violett einer 200mal so starken Beleuchtung bedurfte, um bei derselben Einwirkungsdauer erkannt zu werden, als ein gesättigtes Orange; der Verfasser führt dies lediglich auf solche Helligkeits- unterschiede zurück, welche den Farben als solchen eigentümlich sind. Dem rein negativen Ergebnis Berger’s über den Einfluss der bloßen Qualität des Sinneseindrucks auf die Reaktionszeit scheinen die bereits früher in dieser Zeitschrift mitgeteilten Reaktionszeiten für Geruchs- und Geschmacks-Empfindungen zu widersprechen, indem diese von der Qualität des Reizes abhängig erscheinen. Frei- lich lassen grade hier die technischen Schwierigkeiten der Versuchs- anordnung von vornherein nieht denjenigen Grad der Genauigkeit in den Zahlenangaben erwarten, mit dem wir gegenwärtig auf andern Sinnesgebieten zu rechnen gewohnt sind. Unter verhältnismäßig einfachen Versuchsbedingungen fand Mol- denhauer?) folgende Zahlen für drei Beobachter. Ol. Menthae pip.: . . . . . 247—203—362 Ol. Bergamottae: . . . . . 268—212—374 BlARosarume nn ne rn. 27297 199 2330 Kampher: . . . 2 2.2.2... 246226496. Bei genauer Vergleichung der Zahlen müssen wir auch hier zu- geben, dass die Abhängigkeit von der Qualität nur scheinbar konstant ist. In den drei Reihen tritt uns deutlich ein grade umgekehrtes Ver- hältnis zwischen dem ersten und den beiden andern Beobachtern ent- gegen. Während in der ersten Reihe Rosenöl die längste und Kampher die kürzeste Reaktionszeit aufweist, so zeigen die beiden andern eine grade entgegengesetzte Abstufung. Noch bedeutend größere individuelle Abweichungen haben die Reaktionszeiten, welehe von Vintschgau und Hönigschmied?) für Geschmacksempfindungen ermittelten. A) Ar a0 ST100) 2) Philos. Stud., I. Bd., S. 606 u. fg. 3) v. Vintschgau und Hönigschmied, Versuche über die Reaktions- zeit einer Geschmacksempfindung. Pflüger’s Archiv, Bd. X, XI und XIV; vergl. Biol. Centralblatt, Bd. I, S. 670 und W. Wundt, Phys. Psych., 3. Aufl., I. Bd, 8.270: Frieke, Ueber psychische Zeitmessung. 341 Chlornatsumer en en 159,35—597 Zucker nn. 109,9-752 Phosphorsauses 2... 0.1 022, 160,6 Chmn se ® . 235,1—99. Trotz der großen Kedenneiten le beiden Reihen bleibt scheinbar für die bittere Geschmacksempfindung in beiden überein- stimmend das Ergebnis einer erheblich größern Reaktionszeit übrig; allein es zeigte sich, dass die Reaktionsdauer für Chinin sich ver- kürzte, sobald der Stoff statt an der Spitze, am Grunde der Zunge zur Anwendung kam. In diesem Falle waren die Reaktionszeiten nicht nur ungefähr gleich, sondern es wurde sogar auf Chinin noch etwas schneller reagiert, als auf Zucker. Damit ist aber die Ursache der anfänglichen Ungleichheit deutlich als eine nicht von der Qualität des Reizes, sondern von der Verteilung der Endorgane abhängige erkannt. Wenn uns auch vor der Hand ein sicherer Anhalt dafür fehlt, wie viel Grundqualitäten des Geschmackssinnes anzunehmen sind und wie die einzelnen Geschmacksfasergattungen verteilt liegen, so darf doch das Vorhandensein solcher Gattungen als wahrschein- lich, und insbesondere die Thatsache als erwiesen betrachtet werden, dass grade der vordere Teil der Zunge für die Empfindung des Bit- tern am wenigsten zugänglich ist. Wie bereits Kräpelin in dieser Zeitschrift!) berichtet hat, zeigt die Zunge für Tasteindrücke ein grade entgegengesetztes Verhalten, indem die Reaktionszeit vom Zungen- grunde zur Spitze abnimmt und für letztere auch kürzer ist als für die Körperhaut. Wir haben somit an der Zungenspitze, welche nach Weber die kleinsten Empfindungskreise des Tastsinnes aufweist, zu- gleich auch die kürzeste Reaktionszeit auf Tasteindrücke. Inbetreff des Hautsinnes finden sich abgesehen von diesem Verhalten der Zunge auch auf der ganzen Körperoberfläche große Verschiedenheiten, welche in neuerer Zeit durch von Vintschgau und Steinach?) einer genauen und sorgsamen Prüfung unterworfen sind. Im allgemeinen ergab sich, dass Reaktionen auf Hautreize im Gesicht kürzer ausfielen als an andern Körperstellen, z. B. an der Hand. Aber auch wenig weit von einander entfernte Stellen zeigten auffallende Verschiedenheiten, z. B. die Volar- und Dorsalseite der- selben Hand. Die Verfasser ziehen daraus den Schluss, dass der Grund weder in der Länge der Leitung noch in den psychischen Vorgängen, sondern in den Endapparaten liegen müssen. Bei Stei- nach ergaben sich für Druckreaktionen folgende Zahlenverhältnisse: Stirnmittelr ae il ar Sa ger 09 rechte Wange |. - REF RHLT (0E linke Hand Carpus Volarseite, Se nee linke Hand Radialwand Dorsum . . . . 109 A): Bd. S. 670. 2) M.v. Vintschgau und E. Steinach, Zeitmessende Versuche über den Temperatur- und Drucksinn. Pflüger’s Archiv, 1888, 43. Bd., S. 152—194. IX, 16 242 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Noch bedeutender waren die Unterschiede, welche die Reaktions- zeiten auf Kältereize von 21/,—5*/,° C aufweisen, und welche bei beiden Beobachtern bis zu 70 o anwachsen konnten: v. Vintschgau: Steinach: rechte Schlafen u. ma. va E02. 124 Iimkessehläter ara. m a... 7 2etl8 135 Stürnmitterr ze PO as le 116 rechte Wange. ans nyn.t 2 0.80 143 125 linke Wangerr ara tun 293162 116 Mitte. Carpus v8... 2. 2. 2.2.0203 152 Amtithenar an ans e nee. 22005206 197 Daumenballene "Tan. 20 .427220:206 194 Mitte des Ulnarrandes dorsal . . 211 172 Mitte des Radialrandes dorsal . . 209 172 Die individuellen Unterschiede lassen auf eine verschiedene, bei von Vintschgau mehr sensorielle, bei Steinach muskuläre Reak- tionsweise schließen. Die relativen Unterschiede für die verschiedenen Hautstellen sind aber trotzdem bei beiden Beobachtern im ganzen dieselben. Für Wärmereize von 48—49° C erwies sich bei Steinach der Unterschied von Gesicht und Hand als denen für Kälte entsprechend, während er sich bei von Vintschgau wesentlich vergrößerte. Es scheint demnach als ob die Hand des letztern für Wärme eine geringere Empfindlichkeit besitzt als für Kälte. Während es sich auch bei den letzten Besprechungen noch immer um Abweichungen handelte, welche sich auf dem Gebiete desselben Sinnes zu erkennen geben, so verdienen die großen Verschiedenheiten, welche die Sinnesgebiete unter einander in ihrer Reaktionsdauer zu erkennen geben, nicht minder unsere volle Beachtung. Unter allen Sinnesgebieten weisen ohne Zweifel die beiden che- mischen Sinne, Geruch und Geschmack die längsten Reaktionszeiten auf. Eine genaue psychologische Analyse ist uns zwar hier ebenso wenig wie bei allen frühern und bei allen nicht aus dem W undt’schen Laboratorium hervorgegangenen Arbeiten mitgeteilt. Indess liegt es in der Natur der Sache anzunehmen, dass diese Reaktionen insofern als sensorielle betrachtet werden können, als wohl der Sinneseindruck vor Ausführung der Reaktionsbewegung zum Bewusstsein gelangt sein muss. Jedenfalls steht dies in denjenigen Fällen außer Frage, wo neben dem chemischen Reize ein gleichzeitiger Druckreiz auf das Sinnesorgan einwirkte. Indess selbst unter Annahme extrem sen- sorieller Reaktionen erreichen die Zahlen mancher Beobachter eine Höhe, welche unter den sonst bekannten Größen für einfache Reak- tionszeiten beispiellos dastehen. Wir denken dabei namentlich an die zweite Reihe der oben mitgeteilten Zeiten für Geschmacksempfin- dungen, welche eine Dauer von 597 bis 993 « erreichen und an die Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 245 von Buccola (236 bis 680) und Beaunis (meist 400 bis S00 co) ge- fundenen Reaktionszeiten auf Geruchsempfindungen!). Ohne Zweifel sind die Unterschiede zum großen Teil auf Rech- nung der technischen Schwierigkeiten und Verschiedenheiten der Ver- suchsanordnung zurückzuführen, allein die durchgängige Höhe der Zahlen begünstigt doch die Vermutung, dass hier die Natur der che- mischen Einwirkung, welche erst allmählich bis zur ausreichenden Größe anschwillt, eine hervorragende Rolle spielt. Die bereits er- wähnten Versuche, welche den großen Zeitunterschied von Tast- und Geschmacksreaktionen der Zungenspitze, also derselben Körperstelle, ergeben, lassen kaum eine andere Deutung aufkommen. Die Zugänglichkeit der Zunge für spezifisch verschiedene Sinnesreize erinnert an das Verhalten unserer gesamten Körperhaut, in welcher wir ein Sinnesorgan für die grundverschiedenen Kategorien des Druckes und der Temperatur besitzen. Nach den Untersuchungen von Blix und Goldscheider gibt es überall auf der Haut nicht nur gesonderte Punkte für Druck- und Temperaturreize, sondern die letztern sollen sich sogar in solche für Wärme und für Kälte unterscheiden lassen ?). Alle Punkte besitzen die Fähigkeit, auf jede Art von Reizung mit der ihnen eignen Art der Empfindung zu antworten. Für das volle Verständnis dieser Lehre von den Druck- und Temperaturpunkten fehlt uns zwar die Unterstützung von seiten der anatomischen Unter- suchung, da diese Stellen keineswegs durch spezifisch verschiedene Endapparate der Hautnerven ausgezeichnet sind, die Verschiedenheit aber, welche sich in der büschelförmigen Ausstrahlung der Nerven- bündel an den unterschiedenen Punkten zu erkennen gibt, zur Zeit noch einer genügenden Ausdeutung entbehrt. Jedoch findet diese An- schauung wenigstens eine gewisse Analogie in den Verschiedenheiten, welche durch die Beobachtungen über die Reaktionszeit der Wärme-, Kälte- und Druckempfindungen festgestellt wurden. Die von einigen Forschern bereits früher ausgesprochene Vermutung, dass Kälte- und Wärmeempfindungen verschieden lange Zeit gebrauchen, um zur Wahr- nehmung zu gelangen, ist durch die umfassenden bereits oben er- wähnten Untersuchungen von Goldscheider?) als erwiesen zu be- trachten. Wir erwähnen hier von seiner Versuchsanordnung nur, dass die Reaktion durch einen Beisskontakt vermittels der Schneidezähne ausgeübt und auf einer sich drehenden Kymographiontrommel auf- gezeichnet wurde. Inbetreff der Reaktionsweise müssen wir aus dem Umstande, dass der Temperaturreiz durch Berührung einer abgekühlten oder erwärmten Metallkugel erfolgte, den Schluss ziehen, dass es sich hier ebenso wie bei den Untersuchungen über die chemischen Sinne um sensorielle Reaktionen handelt, insofern wenigstens eine 4) Vergl. W. Wundt, Physiol. Psychol., II. Aufl., I. Bd., S. 271. 2) Vergl.Hermann, Lehrbuch der Physiologie, 9. Aufl., Berlin 1889, S. 470. 3) Vergl. den ausführlichern Bericht im Biolog. Centralblatt, VII. Band, S. 446 u. fg. 16* 244 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. bewusste Empfindung des Temperaturreizes — verschieden von der Empfindung der gleichzeitig stattfindenden Berührung — der registrieren- den Bewegung vorangehen musste. Bei Anwendung von Kältereizen von ungefähr 15°C und von Wärmereizen von ungefähr 50°C wurde als Ergebnis von 2172 Einzelversuchen festgestellt, dass die Reak- tionszeit für Kälte vom Gesicht bis zu den untern Gliedmaßen von 135—255, für Wärme dagegen von 190—790 o anwächst. Ueberall kommt somit die Wärme langsamer zur Empfindung als die Kälte, und zwar vermehrt sich in auffallender Weise der Zeitunterschied beider mit der Entfernung der geprüften Hautstelle vom Gehirn; an den untern Gliedmassen wird diesen Zahlen zufolge die Erwärmung einer Hautstelle sogar über !/, Sekunde später wahrgenommen als eine Abkühlung derselben. Von diesem außergewöhnlich hohen Unter- schiede abgesehen finden die Ergebnisse Goldscheider’s eine Be- stätigung durch die zeitmessenden Versuche, welche M. von Vintseh- gau und E. Steinach!) unter ähnlichen Bedingungen über den Temperatur- und Drucksinn angestellt haben. Ausdrücklich wird in dieser Abhandlung hervorgehoben, dass der Reagierende seine ganze Aufmerksamkeit auf den Augenblick konzentrierte, in welchem die Temperaturempfindung anfıng, eben merklich zu werden ?), so dass wir die Reaktionen als sensorielle betrachten müssen. Die ermittelten Zahlen bestätigen zunächst das vorhin besprochene Goldscheider’sche Gesetz, indem sich ergab, dass auf Kältereizungen von 2?/,—6?/,° C durchweg schneller reagiert wurde als bei Anwen- dung einer Wärme von etwa 48—49° C. Aber auch in anderer Hin- sicht geben uns diese Versuche eine Bestätigung früherer Erfahrungen, indem sie zugleich unsern Gesichtskreis für das Verständnis derselben erweitern. Schon Kräpelin hat in seinem frühern Berichte?) darauf hingewiesen, dass nicht nur die Stärke des äußern Sinnesreizes für die Schnelligkeit der Reaktion maßgebend ist, sondern auch die sub- Jektive Empfindlichkeit der gereizten Stelle. Dies fand sowohl Goldscheider wie auch von Vintschgau und Steinach?) be- stätigt. Kräpelin weist darauf hin, dass man den Grund der Er- scheinung sowohl auf eine verschiedene Reizbarkeit oder Zugänglich- keit, aber auch auf eine verschiedene Zahl der getroffenen Nerven- endigungen zurückführen könne, und glaubt in Hinblick auf frühere Untersuchungen mit Recht, dass dem letztern Umstande eine Haupt- rolle zuzuschreiben ist. Gemeinschaftlich mit Hönigschmied hatte nämlich von Vintschgau nachgewiesen, dass bei größerer räum- licher Ausdehnung der gereizten Fläche eine entschiedene Verkürzung 4) Pflüger’s Archiv, 43. Bd., S. 152 u. fg. 2)2A28.0..8:4199. 3) Biolog. Centralblatt, I. Bd., S. 672 und vorher. 4) Zeitmessende Versuche über den Temperatur- und Drucksinn. Pflüger’s Archiv, 1888, 43. Bd., 8. 152—19. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 245 der Reaktionszeit eintritt, so dass unter diesem Gesichtspunkte die Extensität des Sinnesreizes in einem ähnlichen Verhältnisse zur Schnelligkeit der Reaktion erscheint, wie die Intensitität desselben. Indess fand schon Goldscheider, dass auch ein- und dieselbe Stelle nach wiederholter Reizung allmählich eine schwächere Empfin- dung gibt, und dass damit gleichzeitig auch die Zeitwerte der Reak- tion erheblich größer werden. v. Vintschgau und Steinach liefer- ten dann für Kältereize den bestimmten Nachweis, dass die von Minute zu Minute abgestumpfte Empfindung von einer immer weiter- gehenden Verlängerung der Reaktionszeit begleitet ist, wie folgende Zahlen lehren'): Kältereiz: auf der Stirnmitte: 2?2/.—2°/.’° von 141 bis 433 innerhalb 15‘ 627-6. ER UTTESA 33 EN 19‘ Kältereiz: rechte Wange: 2°/.—2*/.’° von 145 bis 485 innerhalb 15‘ le ” 161 „ 439 ” 15° Für Wärme führten die auf der Stirnmitte angestellten Versuche zu ähnlichen Ergebnissen: Wärmereiz: Stirnmitte: 48 —48?/,°? von 142 bis 384 innerhalb 10' 48%/.—49 a a 19' Dagegen ergaben sich für andere Hautstellen unregelmäßige Zahlen. Jedenfalls ist aber durch obige Angaben die Möglichkeit erwiesen, dass auch die subjektive Empfindlichkeit derselben Nerven- endigungen neben der Intensität und Extensität des Reizes von wesent- lichem Einflusse auf die Reaktionsdauer sein kann. Inbetreff des Drucksinues, mit dessen Untersuchung sich die zu- letzt besprochene Abhandlung gleichfalls beschäftigt, fand sich natur- gemäß eine geringere Reaktionszeit als für Temperaturreize. Für Stirnmitte und rechte Wange ergab sich die Dauer von 119 co, für die Volarseite des Carpus der linken Hand 126 und für den Radial- rand der dorsalen Seite derselben Hand 126 co, also Zahlen, welche sich den von andern Beobachtern ermittelten Reaktionszeiten bei elektrischer Hautreizung nähern, die extrem -muskulären etwa um 20 o übertreffen, aber um 80-90 « kürzer sind als die extrem- sensoriellen. Ein direkter Vergleich mit diesen Zahlen kann aber bei der Verschiedenheit der Versuchsbedingungen und namentlich in Anbetracht der Schwierigkeit, welche die schwerlich festzustellende Verschiedenheit der Reizstärke verursacht, hier nicht durchgeführt werden. Dagegen erklärt sich der Unterschied in den für Druck- 1) A, 20.8. 161 u. fg; 246 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. und Temperatur-Empfindungen gefundene Reaktionszeiten zwanglos in der von den Verfassern angegebenen Weise. Bei Druckreizen er- leidet die Epidermis einen Stoß, welcher sich direkt auf die End- apparate der Nerven überträgt; Temperaturreize dagegen müssen ähn- lich wie chemische erst allmählich bis zu einer bestimmten Höhe anwachsen, um für das Zustandekommen einer Empfindung auszu- reichen. Nicht so einfach erklärt sich freilich der gleichfalls fest- gestellte Unterschied zwischen Kälte- und Wärmereaktionen. Auch die Annahme gesonderter Kälte- und Wärmepunkte in der Haut würde uns nur in dem Falle einen Schlüssel zur ungezwungenen Lösung des Rätsels liefern, wenn sich der Nachweis führen ließe, dass die Kälte- punkte dichter liegen als die Wärmepunkte, so dass auch hier die Extensität des Reizes eine Rolle spielte. Außerdem ist es aber keineswegs ausgeschlossen, dass es bei allen bisherigen Versuchen noch nicht gelungen ist, die Intensität des Kälte- und Wärmereizes der Empfindlichkeit unserer Nervenendigungen dermaßen anzupassen, dass beide als verhältnismäßig gleich gelten könnten. Auch auf dem Gebiete der übrigen Sinne liegen Thatsachen vor, welche auf eine weitgehende Bedeutung des Verhältnisses der subjektiven Empfindlichkeit des betreffenden Sinnesgebietes zur Stärke des objektiven Reizes schließen lassen. Nur in einem Falle dürfen wir zweifellos dies Verhältnis für alle Sinne als gleich betrachten, wo es sich nämlich um solche Reize handelt, die eben die Schwelle des Bewusstseins erreichen. Wir haben bereits oben mitgeteilt, dass in diesem einen Falle Licht- und Schallreaktionen in ihrer Dauer mit denen des Hautsinnes bei elektrischer Reizung übereinstimmen, indem sie hier sämtlich die Höhe von etwa 330 « erreichen. Im übrigen aber — und zwar namentlich auch in allen mit Reizen von sogenannter normaler Stärke ausgeführten Untersuchungen — zeigen sich so bedeutende Abweichungen, dass eine Besprechung der dafür herangezogenen Erklärungsgründe unerlässlich erscheint. Nach den von Wundt!) mitgeteilten Tabellen wurden für sensorielle und mus- kuläre Reaktionsweise folgende Zeiten ermittelt: I. Sensorielle Reaktionen. Lieht: Schall: | elektr. Hautreiz: a. M.2) | m.8.2)| .M. | m.S. | aM. m. 8. Ludwig Lange. . 299 28 230 | Ja ee. 7% NikolaiLange.. — — 216 21 | 21 25 Götz Martius .. 291 39 — _ | —_ — Belkin ar kelle —— — 235 33 | — — 4) Physiol. Psychol., 3. Aufl., II. Bd., S. 267. 2) a.M = arithmisches Mittel; m. S. = mittlere Schwankung. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 947 II. Muskuläre Reaktionen. Licht: | Schall: ı elektr. Hautreiz: a.M| m.®. | a. M. m. S. | a.M. m. 8. — = eu Ludwig Lange. . 172 | 8 1124 | 8 | — _ NikolaiLange..—-— ı -— | 47 | SI 0105 6 Götz Martius .. 182 3 | — | —_ | —_ — Biehkinier.,. 24. al da Erg -- I | Aehnliche Unterschiede in der Reaktionszeit der einzelnen Sinnes- gebiete finden sich auch in den Angaben anderer Beobachter, wie aus den weitern von Wundt!) wie von Kräpelin?) gegebenen: Zu- sammenstellungen hervorgeht. Nur die offenbar muskulären Reaktions- zeiten zweier anderer Beobachter?) wollen wir hinzufügen, welche sich durch ungewöhnliche Kürze der Lichtreaktionen auszeichnen: Licht: Schall: Berger: 153 126 Cattell: 147 122 Wir haben grade die obigen Tabellen ausführlich mitgeteilt, um den Verdacht auszuschließen, dass die Verschiedenheiten etwa durch die Reaktionsweise veranlasst sein könnten. Auf allen Gebieten über- treffen die sensoriellen Reaktionen die muskulären um fast dieselbe Größe, welche 100 « übersteigt; nur die sensoriellen Schallreaktionen von Nikol. Lange sind verhältnismäßig kurz. Im übrigen aber sind die Liehtreaktionen überall um mehr als 50 « länger als die Schallreaktionen, und diese betragen wieder durchweg 20 o mehr als die des Hautsinnes. Nun liegt es am nächsten, bei der von einander so stark abweichenden Natur der Reize die Verschiedenheit in der rein pbysischen Einwirkung derselben auf das Sinnesorgan als Grund dieser auffallenden Thatsache zu betrachten, und es unterliegt kaum einem Zweifel, dass die Zeitunterschiede der Reaktionen sich wenigstens zum teil auf diese Weise erklären. Namentlich ist es die chemische Natur der Einwirkung des Lichtes auf die Netzhaut, welche die längere Dauer der Reaktionen dieses Organs wie bei den andern chemischen Sinnen bei zu einem gewissen Grade zu erklären vermag. Das Licht bedarf allerdings einer messbaren Zeit, um von dem Sinnesorgan der weitern Nervenleitung übermittelt zu werden. In seinen mehrfach er- wälhnten psychometrischen Untersuchungen hat J. M. Cattell?) ver- sucht, den Grenzen dieser Dauer durch Bestimmung einer Minimal- und Maximalzeit nahe zu kommen. Als Minimalgrenze betrachtet er die Dauer von 0,6—2,75 o, welche ein farbiges Licht auf die Netz- haut einwirken muss, um erkannt zu werden. Dass aber innerhalb 1) A. a. 0. 8. 268. 2) Biolog. Centralblatt, I. Bd., S. 665. 3) Philos. Studien, III. Bd., S. 325. 4) Philos. Studien, IH. Bd., 8. 320 u. fg. 248 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. dieser Zeit die Erregung der Netzhaut sich noch nicht der Nerven- leitung mitgeteilt hat, geht daraus hervor, dass die genannte Zeit dann nicht zur Erkennung der Farbe ausreicht, wenn nach derselben unmittelbar weißes Licht einwirkt; letzteres scheint den vorange- gangenen Eindruck der Farbe schon in der Netzhaut zu unterdrücken. Bei dieser Anordnung bedurfte violettes Licht einer Zeit von 12,5 o, um zur Wahrnehmung zu gelangen. Dieser Minimalzeit setzt der Verf. diejenige Zeit gegenüber, welche man durch die bekannten Versuche mit rotierenden Scheiben ermittelt hat, aus denen hervor- geht, dass Lichteindrücke mit einander verschmelzen, wenn sie in Zwischenräumen von 25 o auf einander folgen. Diese Zeit betrachtet er als Maximalgrenze. Dem entgegen wird, wie bereits Kräpelin!) berichtet, den Schallreizen dann gar keine Latenzzeit im Sinnesorgan zugemessen, wenn der Eindruck von einem Geräusch veranlasst wird, während für Töne nach der Berechnung von v. Kries und Auer- bach die Zeit von 9—10 Schwingungen vergehen soll, bis eine Wahr- nehmung des Tones eintritt. Da nun bei Reaktionsversuchen in der Regel Geräusche und nicht Töne als Sinnesreiz Verwendung finden, so würde sich allerdings ein gewisser Zeitunterschied von Licht- und Schallreaktionen schon aus der Art der physiologischen Reizungs- vorgänge ergeben. Indess dürften die für die Einwirkungsdauer der Lichtreize von Cattell ermittelten Zahlen doch keineswegs allein zur Erklärung der beobachteten Zeitunterschiede genügen. Auch bleibt die auffallende Thatsache völlig unerklärt, dass die Reaktionszeiten der genannten Sinne dann nahezu übereinstimmten, wenn der Reiz eben die Schwelle des Merklichen erreicht. Hier liegt offenbar eine verhältnismäßige Uebereinstimmung in der Stärke der Einwirkung vor, und zwar dürfte dies der einzige Fall sein, wo wir mit Bestimmt- heit sagen können, dass die Reizstärke des Schalles für die Empfind- lichkeit des Ohres dieselbe Größe darstellt, wie die des Lichtes für das Auge. Auf allen andern Stufen fehlt uns das objektive Maß zur Entscheidung der Frage, ob ein Schall eben so laut tönt, wie ein Licht hell leuchtet, auch der Begriff des normalen Reizes ist keine fest bestimmbare Größe. Nun ist es jedenfalls auffallend, dass in umgekehrtem Verhältnisse, wie die Reaktionszeiten wachsen, die Ge- fühlsbetonung der Sinne abnimmt. Ohne Zweifel ist dieselbe bei dem Hautsinne am stärksten, wie schon die populäre Bezeichnung desselben als Gefühlssinn zu erkennen gibt. Grade die Gefühlsbetonung ist aber auf die Uebertragung eines Sinneseindruckes in die Form der Bewegung von wesentlichem Einflusse, und mit Recht weist daher auch Kräpelin?) auf diesen Umstand hin, in welchem er eine Ursache des verschiedenen Verhaltens der genannten Sinne vermutet. Nur stimmen wir ihm darin nicht bei, wenn er den Hautsinn sowohl dem Gehörs- wie dem Gesichtssinne entgegenstellt. Es ist bekannt, dass 1) Biolog. Centralblatt, I. Bd., S. 666. 2) A. 2. 0.8. 669. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 249 auch unsere Gehörsempfindungen entschieden eine stärkere Gefühls- betonung einschließen, als die Wahrnehmung von Licht und Farben. Von den Gefühlen, welche melodische und harmonische Klangverbin- dungen zu erwecken vermögen, wollen wir hier ganz absehen. Aber auch Geräusche, insbesondere solche, welche bei den Reaktions- versuchen gebräuchlich sind, wie das Aufschlagen einer fallenden Kugel auf eine harte Unterlage, erwecken einen unangenehmen Gefühls- ton, der auch nach längerer Gewöhnung stärker bleibt als bei Licht- und Farbenreaktionen. Dass ferner Gehörsempfindungen auf Bewegungen namentlich rhytmischer Art von Einfluss sein können, ist gleichfalls eine bekannte Erfahrung. Das Marschieren und Tanzen nach dem Takte der Musik, die Ausführung gewisser reflexartiger Bewegungen auf Geräusche, selbst wenn dieselben nicht sehr stark sind, legen von einer leichten Beeinflussung der motorischen Organe durch Schallreize Zeugnis ab. Dass wir uns aber diesen Einfluss nicht etwa in der Weise zu denken haben, als ob bei Schallreaktionen der Uebergang in die muskuläre Reaktionsweise begünstigt würde, beweist die Thatsache, dass man auf diesem Sinnesgebiete ebensowohl absichtlich sensoriell wie muskulär reagieren kann, und dass die Zahlwerte beider Reaktionsweisen sich um dieselbe Größe von ein- ander unterscheiden, wie sensorielle und muskuläre Liechtreaktionen. Da es sich also nicht um einen Ausfall von Bewusstseinsvorgängen, also Funktionen der Großhirnrinde handelt, so werden wir den Grund des schnellern Ablaufs von Schall- und Hautreaktionen in gewissen subkortikalen Zentren suchen müssen, deren Mitwirkung sowohl bei muskulärer wie bei sensorieller Reaktionsweise in betracht kommt. Es könnte demnach den Anschein gewinnen, als ob die durch Seh- hügel bezw. Kleinhirn vermittelte Uebertragung der Nervenerregung auf die Bewegungsorgane weniger Zeit gebrauchte, als die Vermitt- lung der Vierhügel, welche letztern bekanntlich als das Reflexzentrum des Gesichtssinnes gelten. Man könnte daran denken, in der Natur und Lage dieser verschiedenen Zentralorgane, welche den Nerven- strom von der sensibeln auf die motorische Seite zu übermitteln haben, den Grund der besprochenen Ungleichheit zu suchen, und zwar um so mehr, als es keineswegs gleichgiltig zu sein scheint, durch welche Muskelgruppen die Reaktionsbewegung erfolgt. Nach Cattell!) tritt eine weitere Verlängerung der Reaktions- zeit auf Lichtreize dann ein, wenn die Reaktionsbewegung nicht wie gewöhnlich durch Oeffnung eines Telegraphenschlüssels mit der Hand ausgeführt wird, sondern durch die von den Sprachorganen hervor- gebrachten Schallwellen, welche in einem von dem Verfasser be- schriebenen und abgebildeten Schallschlüssel einen Kontakt aufheben, und noch mehr, wenn die Bewegung durch die Lippen auf einen gleichfalls daselbst dargestellten Lippenschlüssel übertragen wird. Er fand folgende Durchschnittswerte: 1) Psychometrische Untersuchungen I. Philos. Studien, IH. Bd., S. 312 u, fg. 250 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Cattell: Berger: —\ — N a.M. m.S. a... ms: Telegraphenschlüssel, rechte Hand: 146 11 150 13 n linke Hand: 147 14 155 12 Schallsehlüssel: 2. En 00200.29770 16 168 19 iippenschlussel:. u er an 176 13 188 hl Bei der ausgesprochen muskulären Reaktionsweise der beiden Ver- fasser, namentlich Cattell’s, kann die Verlängerung nur in der Natur der motorischen Reflexzentren begründet sein; es ließe sich allerdings auch denken, dass infolge der geringern Uebung der Reagierenden in dem Gebrauch des Schall- und Lippenschlüssels die letztgenannten Zahlen noch eine sensorielle Beimengung in Form eines bewussten Willensaktes enthielten. Letzteres wird aber dadurch unwahrschein- lich, dass ein Unterschied in der Reaktionszeit der rechten und der gleichfalls ungeübten linken Hand weder durch diese noch durch andere Untersuchungen festgestellt wurde. Auch E. Tischer!) be- obachtete abgesehen von den 4-—-10 ersten Zahlen keinen Unterschied zwischen den Reaktionen der rechten und linken Hand. J. Merkel?) kam sogar durch seine mit drei Personen angestellten Versuche zu dem Ergebnis, dass die einzelnen Finger beider Hände auffallend geringe Unterschiede in der Reaktionszeit erkennen lassen. Eine weitere Art, welche Cattell in Anwendung brachte, mit Hilfe der Sprache die Reaktionszeit zu bestimmen, war folgende. Derjenige, welcher auf den Lichtreiz reagieren sollte, sagte nach dem Erscheinen des Lichtes so schnell als möglich: „jetzt“. Auf dieses Wort öffnet ein zweiter Reagierender den Telegraphenschlüssel, wo- durch der Zeiger des Chronoskops angehalten wird. Subtrahiert man von der gefundenen Zahl die Reaktionszeit, welche der letztere für Schallreize zu haben pflegt, so enthält der Rest die Reaktionszeit des ersten für Lichtempfindungen. Natürlich wird durch diese Verknüpfung das Ergebnis weniger genau, indess stimmte es im allgemeinen mit den auf andere Weise vermittels der Sprachorgane gefundenen Zahlen überein ?). Nach diesen Erörterungen, welehe vorwiegend den Einfluss phy- sischer und physiologischer Verhältnisse auf die Dauer der Reaktion betrafen, bleibt uns noch übrig, die Bedeutung gewisser zentraler, psychischer und psychophysischer Zustände hervorzuheben. Ueber 4) E. Tischer, Ueber die Unterscheidung von Schallstärken. Philos. Studien, I. Bd., S. 534. 3) J. Merkel, Ueber die zeitlichen Verhältnisse der Willensthätigkeit. Ebendaselbst II. Bd., S. 88. 3) Cattell bemerkt mit Recht, dass man dies Verfahren in solchen Fällen mit Erfolg verwerten könne, wo es sich um ungeübte Personen, Kinder oder Wahnsinnige, oder um die Bestimmung von Reflexzeiten und Reaktions- vorgängen an Tieren handelt. Vergl. a. a. 0. 8. 326 u. fg. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 351 den Einfluss, welchen die Anspannung oder Sammlung der Aufmerk- samkeit auszuüben im stande ist, können wir uns nach dem, was bereits früher darüber gesagt werden musste, an dieser Stelle kurz fassen. Nur wegen der Bedeutung, welchen die Sammlung der Auf- merksamkeit für die Länge und Gleichmäßigkeit der Reaktionszeit besitzt, erwies sich ja, wie früher dargelegt wurde, die Einführung eines Signals vor der Reaktion als wünschenswert. Die Isolierung des Reagierenden hatte ferner nur den Zweck, seine Aufmerksamkeit vor störenden Einflüssen zu bewahren, da sich durch die Erfahrung herausgestellt hatte, dass namentlich disparate Sinnesreize im stande sind, die Aufmerksamkeit abzulenken und die Dauer der Reaktion sowie die mittlern Schwankungen derselben zu vergrößern. Am wich- tigsten aber war zweifellos die Erkenntnis, welche die neuern Unter- suchungen von Ludwig Lange gebracht haben, dass sich die Reak- tionszeit in einem auffallenden Abhängigkeitsverhältnis von der Richtung der Aufmerksamkeit und des Willens befindet. Wird die Aufmerksamkeit ungeteilt dem zu erwartenden Sinneseindrucke zu- gewandt, so gebraucht die nachfolgende sensorielle Reaktion etwa 100 o mehr, als wenn wir muskulär reagieren, d.h. die Aufmerksam- keit auf die beabsichtigte Reaktionsbewegung richten und durch den Willen einem niedern die Bewegung auslösenden Zentralorgane eine gewisse Spannung übertragen !). Im Verhältnis zu diesem bedeutenden Einflusse, welchen die Richtung der Aufmerksamkeit ausübt, erscheint der des Spannungs- grades nur von untergeordneter Bedeutung. J. M. Cattell hat auch diese Frage in seinen psychometrischen Untersuchungen be- handelt, indem er die Reaktionszeit bei gespannter, normaler und abgelenkter Aufmerksamkeit bestimmte. Letzteres suchte er zunächst durch Einführung eines störenden Schalles zu erreichen, fand aber bei Lichtreaktionen nur eine geringfügige Verlängerung von 2—10 o, bei Schallreaktionen wurde überhaupt keine Veränderung wahrge- nommen. Dagegen ergab sich eine erheblich größere Verlängerung dadurch, dass der Reagierende sich nebenbei damit beschäftigte, fort- gesetzt 17 zu addieren. Die folgende Tabelle?) enthält eine Zusammen- stellung der Ergebnisse, wobei die bei normaler Aufmerksamkeit ge- fundenen Zahlen gleich O gesetzt sind. | Berger: Gattell: Aufmerksamkeit ..... | gespannt abgelenkt | gespannt abgelenkt Elektrisches Licht... .. — 12 + 44 + 26 + 21 Induktionsschlag.... . . —h + 2 — 3 + 34 Mageglicht) un. ce. — 13 + 55 0 + 13 Deballenzen.. 203,3 3 .3.8..,0 — 23 + 31 | — 10 Al 1) Eine genauere Auseinandersetzung über diesen Punkt findet sich im ersten Teile dieser Abhandlung; Biolog. Centralblatt, VIII. Bd., 8. 683 u. fg. 2) Philos. Studien, III. Bd., S. 331. 252 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Eine besonders hohe Anspannung der Aufmerksamkeit scheint demnach nicht von bedeutendem Einflusse auf die Schnelligkeit der Reaktion zu sein. War dagegen das Bewusstsein durch anderweitige Beschäftigung in Anspruch genommen, so gelang es nicht, „die niedern Centra so gut in Bereitschaft zu setzen“, und es entstand eine Ver- zögerung von 20—30 co. Noch auffallender war der Einfluss des Zwischenraumes von Signal und Reiz auf die Länge und Bestän- digkeit der Reaktionsdauer. Wenn Cattell, anstatt in gewohnter Weise ?,/—’/," nach dem Signal den Reiz folgen zu lassen, die Zwischenzeit beliebig zwischen 1 und 15“ wechseln ließ, so ergab sich als Folge einer dadurch hervorgerufenen Unsicherheit nicht nur eine erhebliche Verlängerung der Reaktionszeiten auf Licht wie auf Schallreize, sondern vor allem ein bedeutendes Anwachsen der mittlern Schwankungen. Diese Versuche und Zahlen haben indess unmittelbar nur für die extrem-muskuläre Reaktionsweise, deren sich Cattell bediente, Geltung. Dem gegenüber beobachtete W. Wundt!) bei sensoriellen Reak- tionen eine auffallend größere Beeinträchtigung der Schnelligkeit, wenn die Aufmerksamkeit von dem erwarteten Sinnesreize abgelenkt wurde. Namentlich fand er eine bemerkenswerte Verzögerung der Reaktion bei völlig unerwarteten Eindrücken. Die Reaktionszeit konnte so bei stärkern Schalleindrücken bis zu !/, bei schwachen oft bis zu !/, Sekunde verlängert werden. Die Bedingungen der Beobachtung machen es wahrscheinlich, dass diese Verlängerung der sensoriellen Vorgänge nur die Apperzeptionsdauer betrifft, während für eine Hem- mung der Willenserregung kein Anlass vorliegt. Einen ähnlichen Gegenstand behandelt eine neuere Arbeit von H. Leitzmann?), welche von gewissen Störungserscheinungen bei der elektrischen Registrierung von Sterndurchgängen ausgeht. Die Abhandlung hat dadurch ein eigenartiges Interesse, weil die Unter- suchung nicht mit bewusster Rücksichtnahme auf derartige Störungs- erscheinungen angestellt wurde, sondern die letztern sich erst nach Abschluss der astronomischen Beobachtungen durch die Regelmäßig- keit ihres Auftretens bemerklich machten. Die Beobachtungen wurden in der Weise ausgeführt, dass das Zusammenfallen von Stern und Faden in dem Repsold’schen Meridianinstrument der Straßburger Sternwarte vermittels eines Tasterschlüssels auf elektrischem Wege registriert wurden. Es stellte sich dabei heraus, dass diese Regi- strierungen fast regelmäßig das Intervall einer Sekunde an einem bestimmten Punkte teilten. Abgesehen von unberechenbaren Ein- flüssen, die bei dieser Ablenkung in betracht kommen könnten, wird namentlich zur Erklärung dieser Thatsache der Umstand hervorge- 1) Physiol. Psychologie, 3. Aufl., II. Bd., S. 290 u. fg. 2) H. Leitzmann, Ueber Störungserscheinungen bei astronomischer Registrierung. Philos. Studien, V. Bd., $. 56 u. fg. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 255 hoben, dass der Registrierapparat in dem Beobachtungsraume jede Sekunde ein deutlich hörbares Signal gibt. In diesen regelmäßigen akustischen Reizen glaubt der Verf. die Quelle der besprochenen Er- scheinung zu finden. Es würde dies namentlich die von Wundt an- geführte Beobachtung der sogenannten Komplikationen!) bestätigen, dass nämlich eine Vorstellung dann eine Zeitverschiebung erleidet, wenn zu einem Eindrucke ein disparater Reiz hinzutritt. Im vor- liegenden Falle handelt es sich um Veränderungen der Apperzeptions- dauer je nach der zeitlichen Beziehung, in welehe ein Hauptreiz des Gesichtssinnes und ein akustischer Nebenreiz zu einander treten. Nach Leitzmann ist auch dem heutigen astronomischen Beobachter die ältere sogenannte Auge-Ohrmethode der Durchgangsbeobachtungen noch geläufig, nach welcher ein Sterndurehgang durch Abschätzung in Bruchteilen einer Sekunde nach dem Schlage der Sekundenuhr be- stimmt wird. Der Verfasser glaubt daher, dass infolge dieser Gewohn- heit, auf den Sekundenschlag zu achten, eine Ablenkung der auf die Durchgangszeit des Sternes geriehteten Aufmerksamkeit stattgefunden habe. Namentlich spricht für diese Auffassung die Thatsache der Selbstbeobachtung, dass, wie der Verf. schreibt, „beim Beobachten die störenden Sekundengeräusche schwache Innervationen in Zunge und Gaumen in Gang setzen, welche denen ähnlieh sind, die wir beim Zählen der Sekunde nach der Auge-Öhrmethode beobachtend wohl absichtlich ausführen, da sie uns den Takt der Zeit versinnlichen, dessen wir dort zur Fixierung des Sternortes in den Momenten der Sekunden so nötig bedürfen“?). Es würde demnach auch hier der Fall eintreten, den Nikolai Lange in einer schon früher erwähnten Untersuchung über die Schwankungen der sinnlichen Aufmerksamkeit behandelt. Obwohl die Dauer der optischen Schwankungen an sich kürzer ist als die der akustischen, so sind bei disparaten Sinnes- reizen doch beide Arten von Schwankungen, nachdem sie ihre Periode gewechselt haben, immer durch eine ganz bestimmte Zeitdauer von einander getrennt?). Grundbedingung für eine derartige Verschmelzung ist es aber jedenfalls, dass der Nebenreiz geeignet ist, die Aufmerk- samkeit des Beobachters auf sich zu lenken, sei es infolge einer Gewohnheit, wie im vorliegenden Falle, oder aus ähnlichen Gründen. Unter dieser Voraussetzung brauchen die störenden Gebräuche keines- wegs von bedeutender Stärke zu sein, um eine Zeitverschiebung zu bewirken, sondern können, wie N. Lange dargelegt hat, bis zur Reizschwelle abgestuft werden. Dagegen ist es sehr wohl denkbar, Ja sogar wahrscheinlich, dass bei solchen Beobachtern, denen die 1) Physiol. Psychologie, 3. Aufl., II. Bd., S. 334 u. fg. AN A22..0,8282 3) Nikolai Lange, Beiträge zur Theorie der sinnlichen Aufmerksamkeit . und der aktiven Apperzeption. Philos. Studien, IV. Bd., S. 400; vergl. auch Wundt, Physiol. Psychologie, 3. Aufl., II. Bd., $. 253 u. fg. I54 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Auge-Ohrmethode unbekannt ist, und welche auch nicht aus irgend einem andern Grunde an dem Sekundenschlage ein besonderes Interesse nehmen, die von Leitzmann beobachtete periodische Ablenkung aus- bleiben möchte. Ebensowenrig wie ein hoher Spannungsgrad der Aufmerksam- keit scheint auch die Ermüdung einen großen Einfluss auf die Dauer muskulärer Reaktionen zu haben. Cattell fand in aus- gedehnten Versuchsreihen (1950 Versuche), welche von frühem Morgen (7% 30‘) bis zum späten Abend (bei B. bis 11", bei C. sogar bis 1% 30° Nachts) mit ganz kurzen Pausen fortgesetzt wurden, nur eine geringfügige Verlängerung der Reaktionsdauer um ein paar Hundertteile einer Sekunde; auch die mittleren Schwankungen waren nur unbedeutend größer geworden. Dem scheint aber die auffallende Verlängerung, welche nach von Vintschgau bei Kältereizen ver- hältnismäßig schnell eintritt, zu widersprechen. Wie bereits oben mitgeteilt, wuchsen die Reaktionszeiten in dem kurzen Zeitraume von 15—19' fast auf das dreifache der anfänglichen Größe an !). Indessen liegt auf keinem andern Sinnesgebiete eine ähnliche Erfahrung vor, und wir sind daher wohl berechtigt, in diesem Falle eine eigenartige Abstumpfung der Endapparate in ihrer Empfindlichkeit gegen diese Art der Reizung anzunehmen. Eine Ermüdung der Zentralorgane und eine Verlangsamung der psychophysischen Vorgänge ist in letzterem Falle sicherlich ausgeschlossen. Wenn dagegen die Ermüdung sich bis zu dem Allgemeingefühl der körperlichen Mattigkeit steigert, oder auch, wenn das Allgemein- befinden z. B. durch Kopfschmerz gestört ist, so wird auch die Reaktionsfähigkeit in Mitleidenschaft gezogen. In solchen Fällen beobachteten von Vintschgau und Steinach eine Verzögerung der Reaktionszeit, welche auf der Stirnmitte bis 32, auf der rechten Wange bis zu 3550 anwachsen konnte. Diese Erfahrungen stützen sich auf zahlreiche und zeitlich mehrere Tage bis zu einem Monat von einander getrennte Versuche. Schließlich bleibt noch ein Gesichtspunkt von allgemeinem In- teresse übrig, von welchem aus wir die Veränderlichkeit der einfachen Reaktionszeit betrachten können, nämlich die Frage, welchen Einfluss wir der Uebung zuschreiben müssen. Diese Frage ist nicht für alle Fälle in gleichem Sinne zu beantworten. Wie bei dem Einflusse der Aufmerksamkeit weniger der Spannungsgrad als die Richtung der- selben in betracht kam, so ist es auch hier von wesentlicher Be- deutung, auf welches Ziel die Uebung gerichtet ist. Es ist un- zweifelhaft, dass man es durch Uebung dahin bringen kann, die Zeit der Reaktion immer weiter bis zu einer gewissen Grenze zu ver- kürzen. Es handelt sich hierbei um den schon früher besprochenen Uebergang von sensoriellen Reaktionen, welche erst nach voll- 1) Pflüger’s Archiv, 1888, 43. Bd., S. 161. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 255 zogener Apperzeption des Sinneseindrucks und mit bewusster Willens- erregung stattfindet, in muskuläre,-d. h. reflexartige Reaktionen. Diese Veränderung tritt nicht nur dann ein, wenn man absichtlich das geringste Zeitmaß der Reaktion zu erreichen sucht, sondern man muss zugeben, dass auch unwillkürlich die Reaktionszeit sich mit der häufigen Versuchswiederholung ganz von selbst verkürzt. Das von dem Licht- oder Schallreize zugleich mit der Vorstellung hervor- gerufene sinnliche Gefühl, welches für das Zustandekommen der aktiven Apperzeption wie der Willenserregung von Bedeutung ist !), verliert infolge der häufigen Wiederholung des Eindrucks seine ur- sprüngliche Lebhaftigkeit und Frische, so dass sich schließlich dem bloß perzipierten Sinnesreize unmittelbar die Reaktionsbewegung assoziativ anschließt. Von diesem Standpunkte aus behandelt u. a. auch J. M. Cattell?) den Einfluss der Uebung. Nur bei ungeübten Personen glaubt er einen Apperzeptions- und Willensprozess vor der Reaktionsbewegung annehmen zu müssen. Dagegen „wird die Reaktion oft gemacht, so wird der ganze Gehirnprozess automatisch, der Reiz schlägt von selbst den vorbereiteten Weg nach dem motorischen Zentrum ein und. löst den Bewegungsimpuls aus.“ Durch den Ver- gleich mit den Bewegungen einer der Großhirnrinde beraubten Taube kennzeichnet er die durch Uebung erreichbare Grenze der Verkürzung als eine bloße Reflexzeit. Wenn nun hierbei trotz der unvergleichlich häufigern Benutzung der rechten Hand sowohl im allgemeinen wie auch insbesondere zur Ausführung von Reaktionsbewegungen, sich doch weder aus seinen noch aus frühern Untersuchungen ein nennens- werter Zeitunterschied beim Gebrauche der ungeübten linken ergab, so ist dies nur ein augenfälliger Hinweis auf den zentralen Charakter dieser durch Uebung erlangten Verkürzung. Indessen ist es auch möglich dieser sich unwillkürlich einstellen- den Verknüpfung von Sinnesreiz und Reaktionsbewegung zu wider- streben. Es kann für das abgestumpfte ursprüngliche sinnliche Gefühl ein anderes, in wissenschaftlichen Interessen begründetes an die Stelle treten und den Assoziationsmechanismus unterdrücken. Durch eine Uebung in dieser Richtung lässt es sich erreichen, den Ausfall der bewussten psychischen Thätigkeiten zu verhindern und ihrem Ablauf eine den physiologischen Vorgängen nahe kommende Gleichmäßigkeit zu verleihen. Der Erfolg dieser Uebung gibt sich vor allem in der Verminderung der bei sensoriellen Reaktionen von vornherein sehr hohen mittleren Schwankungen zu erkennen. Auch bei Personen von großer Versuchserfahrung ist nach einer Unter- brechung oder bei Abänderung der Versuchsbedingungen fast regel- mäßig eine kurze Einübung erforderlich, um die in den ersten 1) Vergl. O0. Külpe, Die Lehre vom Willen in der neuern Psychologie. Philos. Studien, V. Bd, 1889, S. 435. 2) A. a. ©. Philos. Studien, III. Bd., S. 321 u. fg. 256 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Reaktionsversuchen sich kundgebenden unverhältnismäßig hohen Schwankungen zu vermeiden. Es ist bereis früher hervorgehoben, dass zur Ausführung gleich- mäßiger sensorieller Reaktionen nicht nur überhaupt ein höherer Grad von Uebung erforderlich ist, sondern dass die mittleren Schwan- kungen, welche als ein Ausdruck der erlangten Sicherheit gelten können, hier immer größer bleiben als bei muskulären. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Wird eine Bewegung häufig ausgeführt, so erfolgt sie schließlich ganz von selbst reflexartig unter Aus- schaltung oder Abkürzung der sensoriellen Bahnen. Dieser physio- logische Mechanismus erleichtert allmählich die Ausführung musku- lärer Reaktionen, aber für sensorielle ist er gradezu hinderlich, und zwar umsomehr, je öfter die Reaktionsversuche sich wiederholen. Es bedarf hier einer steten Willensspannung, welche sowohl auf die Apperzeption wie auf den nachfolgenden Bewegungsimpuls gerichtet sein muss, und um diese zu kontrollieren, einer steten auf die psy- chischen Vorgänge gerichteten Selbstbeobachtung. Eine einseitige Auffassung würde es aber sein, wenn wir infolge dieser Schwierigkeit, „weil wir in soleher Selbstbeobachtung im all- gemeinen gar nicht geübt sind“, und aus Furcht, „dass solche Ver- suche mit präzisem Resultat gar nicht ausgeführt werden können“ '), ganz darauf verzichten und ausschließlich die Ermittlung der größten Reaktionsgeschwindigkeit als „wohldefinierte Aufgabe“ ?) betrachten wollten. Dass sich auch auf sensoriellem Wege scharf begrenzte und wissenschaftlich brauchbare Ergebnisse erreichen lassen, hat die Er- fahrung bereits bewiesen, und weitere in Aussicht stehende Ver- öffentlichungen werden zahlenmäßig den Wert dieser Untersuchungs- weise bestätigen. In ihr haben wir vor allem das Mittel, durch welches die Reaktionsversuche eine ganz besondere psychologische Bedeutung erlangen können: die Uebung in der Selbstbeobach- tung, welehe von Kries im allgemeinen vermisst, ist nichts un- erreichbares, sondern findet grade in dieser fortgesetzten Analyse einfacher psychischer Zustände ihre sicherste Grundlage. Durch welche besonderen Versuchsanordnungen, die Uebung, gleichmäßig sensoriell zu reagieren, wirksam unterstützt werden kann, soll in einer weitern Besprechung der sogenannten zusammenge- setzten Reaktionszeit demnächst behandelt werden. 1) Vergl. J. von Kries, Ueber Unterscheidungszeiten. Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, XI. Jahrgang, S. 10. 2) Ebendaselbst S. 15. Mit einer Beilage der Verlagsbuchhandlung von Georg Thieme in Leipzig. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Diologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal 24 Nummern von je 2 Bogen Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX Band 1. Juli 1889. Nr. 9, Inhalt: Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. — Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse, speziell über den Generationszyklus von Ühermes abietis L.— Schuberg, Ueber Grassia ranarum. — Simroth, Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. — Preisausschreiben der Fürstlich Jablonowski’schen Gesellschaft. — 62. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Besprochen von Prof. Dr. F. Ludwig. 1. Bestäubungseinrichtungen etc. Literatur: Mac Leod Julius, Aanteekeningen omtrent den bouwen de bevruchting van eenige bloemen der Belgische flora, met drie houtsneden. Botanisch Jaarboek, uitgegeven doer het kruidkundig genootschap Dodonaea te Gent. I. 1889. p. 100—123. Id., Statistische Beschouwingen omtrent de bevruchting der bloemen door de insecten, met drie platen. Bot. Jaarb., p. 19—90. Kronfeld M., Ueber die biologischen Verhältnisse der Aconitum - Blüte. Mit 1 Tafel und 1 Kartenskizze. Engler, Bot. Jahrbücher, XI. Bd,, 4. Heft, 20. S. Die erste Arbeit von Mac Leod enthält weitere Untersuchungen der Bestäubungseinriehtungen bei Pflanzen der belgischen Flora. Derselbe fand gynodiözisch: Myosotis palustris bei Gent, Teuerium Scorodonia in Larsche (Luxemburg), Cirsium arvense und ©. lanceolatum bei Blankenberg und Gent. Die Blüteneinrichtungen werden genauer beschrieben bei: Cakile maritima, Geranium molle (bei Blankenberg noch in einer weiblichen Form, bei Gent nur hermaphrodit proterandrisch), Convolvulus Soldanella (Besucher Malachius, eine kleine Biene, Forficula), C. arvensis (hier unterscheidet Verf. nach Größe, Färbung, Geschlechtlichkeit 4 verschiedene Formen in Belgien), Cen- taurea Jacea, Samolus Valerandi. In der zweiten Arbeit hat derselbe Biologe auf statistischem Wege die Häufigkeit des Besuchs der verschiedenen IX, 17 YIH8 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Insektengruppen bei den verschiedenen Blumenklassen festzustellen versucht, indem er die bekannten Besucherlisten von Herm. Müller (Westfalen, Thüringen, Alpen) und von E. Löw (bot. Garten zu Berlin) zu grunde legte, aber durch besondere Ver- arbeitung des Materials die Widersprüche, welche die statistischen Verarbeitungen der genannten Forscher aufweisen zu eliminieren wusste. Das Zahlenverhältnis, in dem eine bestimmte Insektengruppe eine bestimmte Blumenklasse besucht, hängt hauptsächlich von 3 Fak- toren ab: 1) von der Blumenauswahl der Insekten d. h. der Neigung der Insekten, bestimmte Blumengruppen auszuwählen oder zu ver- schmähen, 2) von der Zusammensetzung der Flora und speziell den Verhältnissen, in denen die verschiedenen Blumengruppen in der Flora vorkommen, 3) der Jahreszeit. Der erste dieser drei Faktoren ist durch die Statistik zu bestimmen, die beiden übrigen Faktoren sind veränderliche, die zu eliminieren sind. Verf. sucht dies dadurch zu erreichen, dass er die statistischen Ergebnisse für die einzelnen Mo- nate — da er in dieser Zeit die Flora als unverändert betrachten zu können glaubt — und die verschiedenen Beobachtungsgebiete geson- dert zur Darstellung bringt. Die Resultate werden nach der gra- phischen Methode dargestellt, indem auf der Abseisse in gleichen Abständen die verschiedenen Blumenklassen — Pollenblumen Po, Blumen mit freiliegendem Honig A, Bl mit halbgeborgenem Honig AB, Bl mit vollkommen verborgenem Honig B, Blumengesellschaften mit voll- kommen geborgenem Honig B!, Bienen- und Hummelblumen 52, Falter- blumen Vd — eingetragen sind und die Ordinaten die Frequenz der Insektenabteilungen bezeichnen. Die Verteilung der Insekten in Gruppen ist mit Rücksicht auf ihre Blumenthätigkeit die folgende: Coleopteren, hemitrope Dipteren (Syrphiden, Conopiden, Bombyliden), langrüsselige Bienen, Falter u. s. w. — Die Abhandlung enthält 52 Doppelkurven, von denen die ausgezogenen „die allgemeine Insekten- linie“ für die einzelnen Blumenkategorien angibt, während die „spe- ziellen Insektenlinien“ punktiert sind. So enthalten beispielsweise die ersten 9 Kurven die Linien der allotropen Dipteren (neben den all- gemeinen Insektenlinien und zwar 1—7 für die subalpine Region in den Monaten Juni, Juli, August, September; 5, 6 für die alpine Region im Juli und August; 7—9 für den bot. Garten in Berlin im Mai, August, September. Ueberall, wo die Dipterenlinie sich über die all- gemeine Insektenlinie erhebt, darf man den Vorzug der Dipteren an- nehmen ete. Bei der Diskussion der einzelnen Kurven sind die kon- stanten Resultate mit + (überall Vorzug) oder — (überall Verschmähung) bezeichnet, die nieht konstanten, welche mittelmäßige Anziehung, Gleich- giltigkeit der Insekten für die bezüglichen Blumengruppen bedeuten, mit + bezeichnet. Die einzelnen Resultate müssen in der Arbeit selber nachgesehen werden. — Ueber die Beziehungen eines einzelnen Pflanzen- zu einem einzelnen Insektengenus, nämlich der Aconitum-Arten zu der Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 259 Gattung Bombus, hat M. Kronfeld eine wichtige monographische Bearbeitung veröffentlicht, in der u. a. gezeigt wird, dass der geogra- phische Verbreitungsbezirk von Aconitum völlig in den der Hummeln hineinfällt. Ein Referat über diese Arbeit ist bereits in Bd. VII S. 636 dieser Zeitschrift gegeben. 2. Verbreitungsmittel. Literatur: Mattei Giovanni Ettore, Disseminazione delle piante. Estratto dal Bolletino del Naturalista. Siena 1888. 14 8. Mac Leod J., Veronica arvensis en Veronica serpyllifolia, twee planten wier zaden door den regen uitgestrooid worden. Bot. Jaarboek utgeven door het kruidkundig genootschap Dodonaea te Gent. I. 18359 p. 91— 99. Heinricher Emil, Zur Biologie der Gattung Impatiens. Flora 1888. S. 1—19. 1 Taf. Steinbrinek C., Ueber die Abhängigkeit der Richtung hygrometrischer Spannkräfte von der Zellwandstruktur. B. D. B. Ges. 1883. Bd. VI. S. 385—398. Taf. XIX. Huth E., Die Hakenklimmer a. a. 0. S. 202-217. 2 Taf. u. 6 Abb. Id., Die Verbreitung der Pflanzen durch die Exkremente der Tiere. Samml. naturw. Vorträge, III. Bd., 1, Berlin 1889, 35 8. Ludwig F., Zur Verbreitung der Pflanzen durch die Exkremente der Tiere in Huth’s monatl. Mitteil., 7. Jahrg., Nr. 1, April 1889, S. 21. Id., Eine neue Wanderpflanze und ihre Beziehungen zu den Schützenfesten. Mitt. d. Verb. vogtl. Gebirgsver. Plauen. August 1888. — Huth, Monatl. Mitt., 1888/89, Nr. 6, S. 148—149. Ascherson P., Ueber biologische Eigentümlichkeiten der Pedaliaceen. Sitzungsber. d. bot. Ver. f. Gesamtthüringen, Bd. VII, Heft1u.2, S.1—2. Ludwig F., Ueber eine Pflanze, welche den Vögeln Leimruten stellt. Wissensch. Rundschau d. M. N. N., 1889, Nr. 33. Id., Ein mikroskopischer Schlingpilz in den Haaren von Bertya rotundifolia. Bot. Centralblatt, 1889, Nr. 11, S. 3. Lundström Axell N., Ueber einige verkleidete Früchte. Pflanzenbiol. Studien, 1887, I, S. 73—87. Eine übersichtliche kurze Zusammenstellung dessen, was man bis jetzt über die verschiedenen Verbreitungs- mittel der Samen weiß, hat Mattei, der Assistent Delpino’s, in dem Bolletino del Naturalista gegeben. Ueber die Anpassungen einzelner Pflanzen an die Aus- säung und Verbreitung der Samen und über die Verbrei- tungsmittel, welche von einzelnen Pflanzen benutzt wer- den, liegen eine Reihe neuer Arbeiten vor. Für die Gattung Impatiens hat Heinricher neue biologische Eigenschaften aufgedeckt. Die wichtigsten Ergebnisse seiner Arbeit lassen sich in folgende Sätze zusammenfassen: 1) Der Embryo aller Impatiens - Arten hat bereits im Samen 4 Nebenwurzeln angelegt, welche bei der Keimung sich rasch ent- wickeln und die Fixierung der jungen Pflanze im Boden sichern. I 260 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 2) Impatiens Balsamina, I. capensis und andere haben als Reserve- stoff in den Kotyledonen der reifen Embryonen ein Kohlehydrat in der Form von Zellwandverdiekungen abgelagert. 3) Ein gleiches Verhalten zeigen auch die Embryonen reifer Samen einzelner Gattungen und Arten der Papilionaceen, Caesalpiniaceen und Tropaeoleen. 4) Die Wandverdickungen bestehen bei /mpatiens Balsamina nicht aus Cellulose, sondern stehen stofflich dem Amyloid Schleiden’s nahe, sind vielleicht damit identisch. 5) Die Reservestoffnatur der Wandverdiekungen geht daraus her- vor, dass sie bei der Keimung wieder aufgelöst werden, die Zellen der Kotyledonen also dann zartwandig sind. Mit der Auflösung der Verdiekungen geht Hand in Hand das Erscheinen von Stärke. Bei der Ausbildung des Embryo im reifenden Samen hinwieder sehen wir, dass Stärke das Material zum Aufbau der Wandverdiekungen liefert. 6) Bei Impatiens Balsamina, I. capensis ete. ergrünen die Kotyle- donen nach der Auflösung der Wandverdiekungen und zeigen während ihrer langen Lebensdauer rege Assimilationsthätigkeit. 7) Der Funktionswechsel, welchen die Zellen des Kotyledonar- gewebes vollziehen, indem sie, ursprünglich Speicherzellen, zu assimi- lierenden werden, ist mit soweitgehender anatomischer Umgestaltung derselben verknüpft, wie eine solche kaum für einen zweiten Fall bekannt sein dürfte. 8) Die Speicherung von Kohlehydrat in der Form von Wand- verdiekungen stellt jedenfalls eine biologische Anpassung vor. 9) Die Bedeutung dieser Anpassung dürfte darin gelegen sein, dass Samen mit so beschaffenen Embryonen eine große Widerstands- fähigkeit gegen mechanische Verletzungen zeigen und wahrscheinlich damit auch im geringern Maße der Gefahr ausgesetzt sind, von Tieren als Nahrung verzehrt zu werden. — Die bei der Verbreitung und Eingrabung der Früchte der Geraniaceen, von Stipa pennata, Avena sterilis u. a. Gramineen und sonst in betracht kommenden hygroskopischen Spannkräfte hat C. Steinbrinek in einer neuern Arbeit in ihrer Abhängigkeit von der Zellwandstruktur einer eingehenden Untersuchung unterworfen. Er zeigt, dass da, wo die hygroskopischen Spannungen nicht durch die verschiedene Orientierung von Zellkomplexen bedingt werden, der verschiedene Verlauf der Poren und Streifen an den Geweben aus gleichgerichteten Zellen zur mechanischen Erklärung der Windungserscheinungen hinreicht. In der Orientierung der Streifen erblickt er das zweite dynamische Bauprinzip für die mit der Aussaat der Samen betrauten Organe wie in der hinsichtlichen Zahl und Riehtung gleichsam planmäßigen An- ordnung der Wandflächen das erste. „Man könnte den Unter- schied der beiden Prinzipien auch dahin charakterisieren, dass die Natur nach dem ersten derselben als angreifenden Faktor zur Er- Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 261 zeugung hygroskopischer Krümmungen unmittelbar den stärksten der Quellungskoeffizienten der Zellmembran, nämlich den radialen ver- wertet, während sie nach dem zweiten sich mit der Ausnutzung der tangentialeh Quellungsunterschiede begnügt resp. den Koeffizienten der Radialquellung nur unter Vermittlung der mit der Streifung zu- sammenhängenden Differenzen der Dehnbarkeit heranzieht“. Wahr- scheinlich kommt in den Fällen, die bisher ausschließlich nach dem ersten Prinzip gedeutet worden sind, häufig die Streifenlage unter- stützend hinzu. In der vorliegenden Arbeit hat aber S. nur Objekte mit parallelgestellten Zellen ausgewählt, um die Bedeutung der Streifen- richtung deutlich hervortreten zu lassen. Im speziellen Teil finden die verschiedensten Fälle von Längskrümmung, Querkrümmung, schiefer Krümmung (Windung) und Torsion ausführliche Behandlung; hier sei nur hervorgehoben, dass nach den Untersuchungen Stein- brinck’s solche Zellen eine besondere Rolle spielen, die auf der einen Seite quergestellte, auf der andern schiefe Tüpfel besitzen. Sie müssen beim Austrocknen winden. Ueber die Verbreitung der Sesamgewächse, der Pedaliaceen, hat Ascherson einige Mitteilungen gemacht. Kapselfrüchte finden sich außer beim Sesam nur noch bei einer Gattung, sonst aber sind allerlei Klettvorricehtungen und bei Therodiscus ist eine Flügelfrucht vorhanden. Die Klettenform bei Harpagophyton und einigen andern bezeichnet Ascherson als „Trampelklette“. Die Tiere treten sich diese festen mit hakigen Anhängseln versehenen Früchte in die Hufe und suchen sie durch heftiges Trampeln los zu werden. Dabei werden die Früchte zertreten und die Samen werden frei. Ueber die klebrigen Früchte der australischen Nyctagineengattung Pisonia habe ich selbst eine kurze Mitteilung gebracht. Die Frucht ist von einer zähklebrigen leimartigen Masse überzogen, in der sich in Südaustralien unsere Sperlinge häufiger und in großer Zahl fangen sollen, während einheimische Vögel, welche den fleischigen Samen nachgehen, bei dem Versuch sich zu befreien die Fruchtstände abbrechen und verschleppen dürften. Einer Mitteilung von Fritz Müller zufolge kommt eine derartige Pisonia mit klebrigen Früchten auch um Blumenau in Brasilien vor und außer Vögeln dürften dort auch Affen und andere baumbe- wohnende Säugetiere bei ihrer Verbreitung beteiligt sein. — Fruchtgehäuse, dieihreSameninfolge von Benetzung freilegen, sind schon von Steinbrink und Kirchner (Ber. d. D. bot. Ges., I, Heft 7, S. 339—347, Taf. XI und Kirchner, Flora von Stuttgart und Umgebung. Stuttg. 1888) beschrieben worden. Etwas eingehender beschreibt Mae Leod die hierhergehörigen Aussäungs- verhältnisse von Veronica arvensis und V. serpyllifolia. Die Früchtchen dieser Pflanzen öffnen sich nur durch Befeuch- tung, schließen sich wieder bei Trockenheit. Die Samen 362 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. werden durch Befeuehtung klebrig und können von selbst nicht aus der Frucht herausfallen. Sie können nur durch den Regen heraus- gespült und weiter verbreitet werden. Wegen ihrer Klebrigkeit bleiben sie meist zunächst an Teilen der Mutterpflanze haften, so dass sie nicht alle gleichzeitig vom Regen fortgespült, sondern nach und nach, einzeln, verbreitet werden. — Von einem neuen Gesichtspunkt hat AxellLundström die be- kannte Heterocarpie der Gattungen Calendula und Dimorphotheca be- trachtet. Bei der vom Cap stammenden Dimorphotheca kommen ohne Zwischenformen zwei deutlich unterschiedene Fruchtformen in dem- selben Fruchtstand vor, platte, geflügelte Windfrüchte — in der Mitte des Fruchtstandes und runzelige ungeflügelte Früchte am Rand. Letz- tere bleiben, wie ich in meinem Garten beobachtete, meist in dem Fruchtstand bis dieser fault und vom Regen zu Boden geschlagen wird. Ich habe daher immer geglaubt, es handle sich hier neben der Weiterverbreitung der Art durch die Windfrüchte um eine Sieherung ihres Fortkommens an Ort und Stelle. Lund- ström glaubt jedoch aus der Aehnlichkeit der letztern Samen mit den Larven der Cureulioniden u. a. Käfern, wie aus ihrem anatomi- schen Bau — die innere Fruchtwand ist von einer mächtigen Schicht von Steinzellen ete. gebildet und 5—6 mal dicker als die der Wind- früchte — schließen zu sollen, dass diese „larvenähnlichen Früchte“ durch insektenfressende Vögel und Insekten, besonders Ameisen, ver- schleppt werden. Bei Calendula werden 3 Haupttypen unterschieden und abgebildet: anemophile Früchte, Hakenfrüchte und larvenähnliche Früchte (sie gleichen zusammengerollten Mikrolepidopterenlarven). Ist hier wie bei vielen andern Samen Mimiery zwar nicht unwahr- scheinlich, so ist doch durch weitere Beobachtungen erst festzustellen, ob die Deutungen Lundström’s die richtigen sind. Anders verhält es sich dagegen mit den Samen von Melampyrum pratense, die an Größe, Gestalt, Farbe und Gewicht denAmeisencocons täuschend ähnlich sind. Hier haben Lundström und Adlerz thatsächlich beobachtet, dass die Melampyrum-Samen von den Ameisen eingetragen und wie Ameisenpuppen behandelt werden. Auch der Konsistenz nach gleichen die Samen den Cocons dadurch, dass die Samenschale, wenn die Frucht geöffnet wird, das Sameneiweiß und den Embryo in Form von einem dünnen, weichen Häutchen umschließt. Diese Samenschale wird dagegen, sobald als der Same in die Erde gelangt ist, abgeworfen, ihre Rolle ist nur auf die Zeit der Verbrei- tung beschränkt; nachher wird der Embryo von dem hornartigen Eiweiß geschützt. Besonderes Gewicht legt Lundström darauf, dass sich an den Melampyrum-Samen bei der Chalaza eine sackförmige, dunkler gefärbte Bildung gleich dem Exkrementsack an dem Hinter- teile des Cocons findet; denn jener Sack enthält eine eigentümliche Flüssigkeit, die aller Wahrscheinlichkeit nach, durch ihren Geruch, Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 963 die Ameisen heranlockt. Sie scheinen immer ihre größte Aufmerk- samkeit diesem Teil des Samens zu widmen, ohne jedoch daran zu fressen ete. Die sackähnliche Bildung vermodert oder fällt ab, sobald der Same in die Erde gekommen ist. Die Samen werden nach dieser Zeit von den Ameisen nicht weiter angerührt, sie keimen bald. Die starke Entwicklung des hypokotylen Stammteiles scheint der Keimung unter Steinen u. dergl. besonders angemessen. Die extranuptialen Nektarien von Melampyrum pratense stellen hiernach keine Schutzvorkehrung dar, sondern ein Locekmittel für die samenverbreitenden Ameisen. — Huth hat in einer nevern Arbeit gegen 100 Blütenpflanzen er- örtert, bei denen eine Aussäung durch Tierexkremente sicher beobachtet wurde und damit eine Fortsetzung seiner Ergänzungen zu dem grundlegenden Werke Hildebrand’s: „Die Verbreitungsmittel der Pflanzen“ gegeben. Hildebrand führt nur bei Phytolacca und Myristica Beobachtungen über Exkrementenverbreitung auf. Wir heben aus dem reichen Inhalt nur einiges hier hervor. Rinder und Pferde verbreiten durch Exkremente in Chile den Apfelbaum, in Nordamerika Arten von Lespedeza, Prosopis und Panicum, auf Jamaica eine Pithecolobium-Art und zwei Anona-Arten, in Ostindien Arten von Elaeocarpus. In Südafrika werden die Mesembryanthemum-Arten haupt- sächlich durch den Mist der Schafherden verbreitet und als Verbreiter des Kaffeebaumes ist der Palmroller, Paradoxus typus zu nennen. Die tropischen fruchtfressenden Fledermäuse säen mit ihrem Kote be- sonders Arten von Anona, Canarium, Mangifera, Eugenia, Nauclea, Achras, Ficus und Artrocarpus aus. Sodann sind Affen und Vögel bei der Verbreitung vieler Samen — sowohl durch Ausspeien der ungenießbaren Kerne als auch durch Entleerung mit dem Kote — thätig. — Merkwürdigerweise erstreekt man biologische Unter- suchungen fast stets nur auf die höhern Pflanzen, und doch gibt es, um bei den Aussäungseinrichtungen stehen zu bleiben, bei den Sporenpflanzen genau dieselben An- passungen. Ausschleuderungsmechanismen sind ganz ver- breitet z. B. im Pilzreich, klettige und hakige Sporen, Früchte und Mycelien (z. B. bei den Laboulbeniaceen, zahlreichen Rost- und Brandpilzen etc.) neben den der Windverbreitung angepassten nicht selten und so sind auch niedere Pflanzen, deren Sporen durch Exkremente verbreitet werden, recht häufig. So habe ich erinnert an die nur auf Kot vorkommenden eoprophilen Pilze (Pilobolus ery- stallinus, Ascobolus pulcherrimus, Peziza subhirsuta ete.), an Phallus impudicus, dessen Sporen durch die Exkremente von Aasfliegen verbreitet werden. Auch die „Trüffelfliege“, welche den Trüffel- jägern den Standorte der Trüffeln verraten soll, dürfte hierher ge- hören. Die Verbreitung der größern Hutpilze geschieht zweifellos 264 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. häufig durch Schnecken, unter denen es viele auf Pilzen lebende „Specialisten“ gibt. So fand Stahl Pilzsporen und Moossporen, die den Verdauungskanal der Schnecken passiert hatten, noch keim- fähig. — Eine eigentümliche Art der Samenverschleppung habe ich neuerdings bei Chrysanthemum suaveolens Aschs. beobachtet. Diese Pflanze, welche seit 1852 als Gartenflüchtling (aus den botan. Gärten der Universitätsstädte) und als Eisenbahnreisender (von Güter- bahnhöfen aus sich verbreitend) bekannt ist, tritt in Thüringen und im Vogtland sehr üppig auf Schützenplätzen auf, offenbar verschleppt durch Zelttuch der Schaubuden, Karussels ete. Die Orte, an welchen die Schützenfeste zur Zeit der Samenreife (Juli, August) abgehalten werden und die üblichen Fahrstraßen der wandernden Schaubuden, sind die Hauptstandorte dieser kamtschadalischen Kamille. Wie die erwähnte Arbeit Huth’s einen wichtigen Nachtrag zu einer besondern Art von Verbreitungsmitteln der Früchte und Samen liefert, so gibt derselbe Verfasser in einer zweiten Arbeit einen zu- sammenfassenden Ueberblick über die einer besondern Art der Aus- breitung des Individuums angepassten Pflanzen, welche man als Haken- klimmer bezeichnet. Darwin hatte nach der Art der Klimmorgane die Klimmpflanzen in Rankenträger, Wurzelklimmer und Hakenklet- terer eingeteilt, die letztern aber nur ganz kurz behandelt. Auch Fritz Müller hat sie nur beiläufig behandelt. Ein eingehenderes Studium hat denselben erst Treub 1883 gewidmet: In der ersten von 2 Abhandlungen über den Gegenstand teilt Treub unter anderem Beobachtungen über irritable Kletterhaken mit. Morphologisch be- trachtet sind die Kletterhaken aus und an den verschiedensten Teilen der Pflanze entstanden. Eine rückwärts gerichtete aus kleinen Lenti- cellen gebildete Rauhigkeit findet sich bei Phytocrene, Panicum divari- catum; stark rückwärts gerichtete Haare oder Borsten haben Galium Aparine, Asperugo, Cajophora, kleine Häkchen hat Scleria Flagellum, zweihakige Klimmhaare Gronovia; bei Dioscorea, verschiedenen Arten von Polygonum, bei Mimosaceen und Rosaceen finden sich bereits starke zum Teil verholzte Haken. Dieselben finden sieh nicht nur auf Stengeln und Zweigen, sondern z. B. auch auf der Unterseite der Blattrippe, wie bei Jodes ovalis und Tragia, ja selbst Ranken tragen zu ihrer Befestigung, nicht selten rückwärts gerichtete Borsten und Häkehen (Pouzolzia indica) oder die Spitze der Ranke selbst endet in einem außerordentlich wirksamen Greifhaken (Cobaea). Bei Calamus, Desmoncus entstehen die Kletterhaken als metamorphosierte Blättehen an der Mittelrippe paarig gefiederter Blätter, bei Ancistrocladus sind sie Teile eines Sympodiums, bei Uncaria, Pisonia, Hugonia abortierte Blütenstiele und bei Artabotrys bilden sie die verkümmerte Hauptaxe Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 265 einer Blütentraube. — Der Kletterhaken dient in den seltnern Fällen zum dauernden Festhalten der Pflanze an ihrer Stütze, häufiger jeden- falls zum ersten Erfassen einer Unterlage. Für ein sofortiges Er- greifen der Stütze bei einer etwa durch den Wind hervorgerufenen Bewegung des schwanken Kletterzweiges ist eine stahlharte scharfe Spitze des Hakens von großem Vorteil. Sie findet sich thatsächlich z.B. bei Calamus, Desmoncus, Artabotrys, Caesalpina Nuga, Dioscorea, Pisonia aculeata, Scleria Flagellum. Das systematische Verzeichnis der Hakenklimmer umfasst folgende Familien: Gramineen (Panicum divaricat klettert ähnlich wie unser Galium Aparine), Cyperaceen (Scleria Flagellum), Palmae (Desmoncus, Calamus), Smilacineen (S. lappacea, 8. aspera etc.), Dioscoreaceae, Phytocrenaceae (Jodes Phytocrene), Ancistrocladeae, Urticaceae (Pou- zolzia indica), Cannabaceae (Humulus Lupulus, H. Japonicus etec.), Acalyphaceae (Tragia), Nyetagineae (Pisonia aculeata L.), Borragina- ceae (Asperugo procumbens), Polygonaceae (Polygonum horridum Roxb., P. perfoliatum L.), Polemoniaceae (Cobeaa scandens), Bignoniaceae (Bignonia Unguis, Macfadyena uncinata DU., Spathodea uncata Spr.), Loganiaceae (Strychnos, Lasiostoma), Apocynaceae (Dipladenia), Rubia- ceae (Galium Aparine, viele exotische Arten, wie das amerikanische Galium uneinulatum DC., ferner Rubia-Arten und Arten von Asperula, wie Asperula Aparine MB., Uncaria), Loasaceen {Arten von Gronovia, Cajophora, Klap rothia, Selerothrix, Loasa, Mentzelia), Rosaceae (Rosa sempervirensL., R. recurva Roxb., Rubus australis Forst., R. sgarrosus\, Caesalpiniaceae, Mimosaceae, Papilionaceae (Dalbergia, Terammnus), Rhamnaceae (Ventilago maderaspatana), Sapindaceae, Aurantiaceae, Olacaceae (Olax mit reizbaren Haken), Eueryphiaceae, Büttneriaceae, Capparidaceae, Anonaceae, Dilleniaceae. Eine mikroskopische Schlingpflanze sei im Anschluss an diese Kletterpflanzen noch erwähnt, welche ich an der australischen Euphorbiacee Bertya rotundifolia antraf. Der 1—2 Fuß hohe Strauch trägt auf Blättern wie an den Zweigen dichtstehende gestielte Stern- oder richtiger Büschelhaare, die fast regelmäßig von einem mikro- skopischen Pilz Heterobotirys paradoxa Sacc. befallen sind. Derselbe umwindet mit der gleichen Regelmäßigkeit, mit der ein Convulvus oder eine Bohne ihre Stütze umwinden, von dem Stiel aus die einzelnen Strahlen der Büschel- haare und zwar fast ausnahmslos linksum. 3. Schutzmittel. Literatur. a. Ameisenpflanzen. Lundström Axel N., Myrmecophile Pflanzen. Pflanzenbiol. Studien II. Upsala p. 81—84. Ludwig F., Extranuptiale Saftmale bei Ameisenpflanzen. Humboldt 1889. [6] (of) [op Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. b. Milbenpflanzen. Lundström Axel N., Domatienführende Pflanzen. Pflanzenbiologische Studien II. Upsala p. 1—72, Taf. I—II. Ludwig F., Milbenhäuschen des Fonta-de-Conde-Baumes. Wissenschaftl. Rundschau d. M. N. N,, 1889, Nr. 33 ec. Schutzmittel gegen Schneckenfraß. Ludwig F., Einige Beobachtungen über die Beziehungen von Schnecken und Pflanzen. Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde zu Berlin, 1889. d. Sonstige Schutzmittel. Huth E., Ueber stammfrüchtige Pflanzen. Samml. naturw. Vorträge Il, Bd. VIII, Berlin 1888, 10 Seiten. Ders., Brennsäfte als Pflanzenschutz. Monatl. Mitt., VII, Nr. 1, Apr. 1889, p. 3—10. Dass die Zitterpappel durch die Wirkung ihrer Nektarien fast stets von Ameisen besucht wird, und dass diese Tierchen die Blätter gegen die vielen Insekten und Raupen schützen, ist mehrfach, z. B. durch Beobachtungen von Trelease hervorgehoben und be- wiesen worden und wird auch von Lundström durch Mitteilung einiger Beobachtungen begründet. Bei Christineburg nahe an Hudiksvall grub man vor einigen Jahren den Boden in einem Teil einer Espen- allee um, wodurch die da wohnenden Ameisen beunruhigt und vertrieben wurden. Lundström konnte da wahrnehmen (1884), wie die Blätter an allen Bäumen in diesem Teile der Allee schon frühzeitig von Insekten gänzlich zerstört waren, während die Bäume in dem übrigen Teile der Allee beinahe unbeschädigt und von Ameisen bevölkert waren. — Lundström war der erste, der auf eine eigentümliche Heterophyllie, auf eine Zwiegestalt der Blätter von Populus tremula hinge- wiesen hat. Die nektarabsondernden Drüsen finden sich nämlich nur auf den 2-3 ersten Frühlingsblättern des Zweiges, an gewissen Sprossen, besonders an Langtrieben, dann oft auch auf den 1—2 letzten Blättern. Die Stiele der nektarführenden Blätter sind kurz und beinahe gerundet, die der übrigen Laubblätter, denen am Grund die Nektarien mangeln, sind etwa doppelt so lang oben zusammengedrückt. Sie allein werden durch den leisesten Luftzug in steter Bewegung gehalten. Lundström bezeichnet sie als anemophil und ist der Meinung, dass Zoophilie und Anemophilie, wie sonst zur Bestäubung der Blüten und zur Verbreitung der Früchte, so hier zum Schutz der Blätter gegen Tierfraß erworben sei. Die Beobachtungen Delpino’s, dass die Nektarien der Vicieen Schutzameisen anlocken, werden von Lundström durch zahlreiche Beobachtungen bestätigt. Die Stipulae verraten in ihren ver- schiedenen Zellen eine gut durchgeführte Arbeitsteilung. Die keulenförmigen Haare sind honigabsondernd, die langen Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 267 honigfesthaltend, die mit dunkelviolettem Zellsaft expo- nierend etc. Bei der Untergattung Cracca fehlen die Nek- tarien, doch finden sich hier sehr oft Blattläuse, die gleich den Ameisennektarien Ameisen anlocken. Da die Blattläuse der Vicia Cracca keinen Schaden zufügen, können sie als völliger Ersatz für die Nektarien gelten. So wie die Nektarien bei Vieia augusti- folia, V. sativa ete. nahe der Stammspitze die reichlichste Honig- absonderung haben, so rücken diese „wandernden Nektarien“ die Blattläuse allmählich den zuwachsenden jungen Teilen nach und locken dadurch Ameisen nach denselben hinauf. — Bei den Blumen führen bekanntlich bei den Tag-Honigblumen meist bunte Zeichnungen, die sogenannten „Saftmale“ die Bestäubungsvermittler zum Nektar. Nachdem nun Schimper in seinem berühmten Werke über tropische Ameisenpflanzen auf dem Weg des Experimentes gezeigt hatte, dass die Ameisen kaum durch den Geruchssinn, wohl aber durch einen ausgeprägten Farbensinn zu den — häufig bunten — Nektarien ge- leitet werden, lag die Frage nahe, ob es nicht bei den extranuptialen Nektarien zu ähnlichen Anpassungen gekommen ist, wie bei den nuptialen in der Blume. Ich bin, bevor ich die Arbeit Schimpers las, zu dieser Frage veranlasst worden, durch die Beobachtung, dass die Rotfärbung junger Triebe, wie sie z. B. bei Cornus sanguinea, Acer campestre ete. häufig ist — vielleicht auch da ein Lockmittel — bei der Ameisenpflanze Vidurnum Opulus häufig derartig auf die Stengel- kanten und nektarientragenden Blattstiele konzentriert ist, dass die- selbe eine geeignete Verbindung der Nektarienpolster, welche am intensivsten gefärbt sind, darstellt, und dass thatsächlich die Ameisen, hauptsächlich den farbigen Weg zu gehen schienen. Zweifellos extra- nuptiale Saftmale trafich bei der Gattung Impatiens an. Sie führen beiImpatienscristata Wallr. u. 1. tricornis inForm einer schwärz- lich roten Punktreihe — vergleichbar einer schnurgraden Knopf- reihe — längs des Stengels von einem Nektarium zum andern, in den untern Regionen — der Lage der funktionierenden nierenförmigen Hauptnektarien entsprechend — abwechselnd rechts und links von Blattstiel zu Blattstiel, in der nektarienreichen Blüten- region beiderseitig. Es sind diese Punkte als rudimentäre längs des herablaufenden Blattrandes entstandene Drüsen zu betrachten — also eigentlich metamorphosierte Blattzähne Bei Impatiens Balsamina wird das extranuptiale Saftmal durch Trichome, durch rote Gliederhaare gebildet, welehe nicht selten nur in den abwechselnden Zellen Farbstoff bergen und hierdurch ein gekörneltes Aussehen erhalten. Dem unbewaffneten Menschenauge erscheinen diese nach oben in der Richtung der Axe orientierten Härchen wie ein Staubanflug, nur fällt einem bald auf, dass derselbe eine zu den Nektarien in bestimmter Beziehung stehende gesetzmäßige Verteilung zeigt. Aehnliche Trichome finden sich auch bei Sambucus- Arten mit 368 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. extranuptialen Nektarien. Bei Impatiens glandulifera Boyle sind die obern Stengel — bei manchen Exemplaren wiederum nur an den Kanten — blutrot gefärbt. Es scheint sich hiernach (da innerhalb derselben Gattung so verschiedene Anpassungen zu stande gekommen sind) bei den Ameisensaftmalen um verhältnismäßig junge Adaptionen zu handeln. Zweifellos wird sich aber die Zahl derartiger Vorkommnisse unschwer vermehren lassen). Eine der wichtigsten biologischen Arbeiten der letzten Jahre, welche aber leider bisher nicht genügend gewürdigt worden ist, ist die von Lundström über Acarodomatien und über Milbenpflanzen. In ihr wird der Nachweis geführt, dass es eine große Anzahl von Pflanzen gibt, welche — in ähnlicher Weise wie dies für manche tropische Pflanze bezüglich der Ameisen nachgewiesen ist — beson- dere Wohnungen, Domatien — für die Milben anlegen. Diese Milben- häuschen, welche unter gewöhnlichen Verhältnissen stets von Milben bewohnt werden, sind nicht zu verwechseln mit den Milbengallen, den Acarocecidien, die hauptsächlich durch die Gattung Phytoptus verursacht werden. Letztere sind pathologische oder antagonistische Bildungen, erstere dagegen natürliche mutualistische, wenn auch zwischen beiden in der Form eine gewisse Aehnlichkeit besteht. Die Milbenhäuschen werden auch von der Pflanze erzeugt in mil- benfreien Kulturen, wenn sie schon durch die Milben selbst eine Förderung erfahren, bei andauernder Fernhaltung der Milben ähnlich wie die ÜUtricularia-Blasen in tierfreiem Wasser allmählich rück- gebildet werden dürften. Die verschiedenen Formen der Milbenhäuschen (Domatien) können auf folgende Haupttypen zurückgeführt werden: 1) Haarschöpfe z. B. bei Tilia europaea, Strychnos Gardneri. 2) Zurückbiegungen oder Einfaltungen der Blattspreite, der Blatt- zähne, des Blattrandes, des Rhachisrandes etc.) z. B. bei Quercus Robur, Schinus, Ceanothus africanus. 3) Grübehen; ohne Haarbildungen z. B. bei Cofea arabica, Co- prosma Baueriana; mit Haarbildungen am Rande z. B. Psy- chotria daphnoides, Rudgea lanceolata, Faramea sp., Ichamnus glandulosa Ait.; mit Haarbildungen am Grunde z. B. Ana- cardium oceidentale L. 4) Täschehen (oder Düten) z. B. Elaeocarpus oblongus, E. den- datus, Psychotria sp., Lomcera alpigena. 5) Beutel z. B. Eugenia australis. Meist dürften die Milben bereits vom Samen aus an die Junge Pflanze kommen. Darauf deuten wenigstens die ersten vergeblichen Kulturversuche Lundström’s hin. In teils gekochter, teils geglühter Erde wurden ausgesät wohlgereinigte Samen von Tilia europaea, 4) Wir erinnern noch an die blutroten extranuptialen Saftmale von Sam- bucus nigra u. a. Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. 269 Rhamnus alaternus, Cofea arabica, Laurus nobilis und andern Do- matien führenden Bäumen und Sträuchern. Die Töpfe waren auch vorher erhitzt worden und wurden die ganze Zeit nur mit filtriertem und destilliertem Wasser bewässert. Sie wurden sorgsam vor hinauf- kriechenden Tierchen geschützt und in einem neuen, besonders für den Zweck eingerichteten Glaskasten aufbewahrt. Lundström’s Absicht, die ihm später erst auf andere Weise gelang, war zu sehen, wie die Domatien bei Milbenabschluss sich gestalteten. Er war daher höchst erstaunt, als er nach einiger Zeit auf den Keimpflanzen von Tilia und Rhamnus alaternus nicht nur die Domatien, sondern auch die Milben vorfand. Die Erklärung fand sich bei näherer Unter- suchung der Früchte und Samen. Bei den 7ilia-Früchten fand L. immer einzelne Milben innerhalb der harten Fruchtschale an einem bestimmten Platze, bei den Früchten von Rhamnus alaternus bewohnen sie besondere kleine Räumlichkeiten (die außer Zusammen- hang mit den Milben sich nieht erklären ließen — Domatien?), selbst bei Früchten von Cofea, welche für L. in Westindien gesammelt wurden, fanden sich Milben oder Milbeneier. — Unter den zahl- reichen Pflanzenfamilien, welehe L. untersucht hat, erwiesen sich einzelne als besonders ausgeprägt acarophil, so die Rubiaceen, Tilia- ceen (bei unsern Linden sind die häufigsten Bewohner der Milben- häuschen Tydeus foliorum (Schrank), Canestrini et Fanzago und Gamasus vepallidus Koch), Oleaceen, Bignoniaceen, Lauraceen, Cu- puliferen ete. Dagegen fand L. keine Domatien z. B. bei den ÜCor- diaceen, Sesamaceen, Burseraceen, Salicaceen ete., wie auch bei den Monoecotyledonen und Gymnospermen und — was am meisten be- merkenswert ist — sie scheinen auch bei allen Kräutern zu fehlen. Die meisten acarodomatienführenden Pflanzen gehören der heißen Zone an. — Sehr zierliche Acarodomatien, welche nach einer Mit- teilung von Fritz Müller regelmäßig von Milben bewohnt werden, habe ich an dem brasilianischen Fonta-de-Conde-Baum (Anona sp.) beobachtet und beschrieben. — So klar nun auch die Beziehungen dieser merkwürdigen Gebilde zu den Milben sind und so wenig sich dieselben ohne die Symbiose mit den Milben erklären lassen, die ja auch thatsächlich schon vom Samen an stets mit der Pflanze gesellig leben, so wenig ist bis jetzt die Beziehung der Pflanze bei dieser mutualistischen Symbiose klargestellt. Am meisten Wahrscheinlich- keit scheint es uns nach den Beobachtungen der Lebensweise, der Untersuchung der Fresswerkzeuge und der Exkremente der Milben seitens Lundström u. a. zu haben, dass die Milben das Blatt säubern von Pilzkeimen und andern mehr oder weniger gefährlichen Unreinigkeiten. Daneben glaubt L., dass auch die Exkremente der Milben, vielleicht auch deren Respiration den Fflanzen zu gute käme. Erwähnt sei hier noch, dass Lundström außer den Acarodomatien und den bekannten Myrmecodomatien der 270 Ludwig, Neue pflanzenbiologische Untersuchungen. Ameisenpflanzen noch Myco- und Phycodomatien unterscheidet. Zu letztern werden z. B. dieHöhlungen in den Azollablättern, zu erstern die Wurzelknöllchen der Leguminosen gerechnet, über die in einem ausführlichen Referat in dieser Zeitschrift erst kürzlich gehandelt wurde. — Zu den Untersuchungen Stahl’s über die Sehutzmittel der Pflanzen gegen Schneckenfraß habe ich kürzlich einige er- gänzende Mitteilungen gemacht, z. B. darauf hingewiesen, dass in kalkarmen Gegenden die Schnecken auch an Rhaphidenpflanzen (Zpi- lobium) gehen. Der Hopfen, Humulus lupulus, welcher nach den Ausführungen Stahl’s völlig gegen Schneckenfraß geschützt sein müsste, wird im Greiz derartig von Tausenden von Helix fruticum und H. nemoralis heimgesucht, dass die Blätter zuletzt alle siebartig durchlöchert erscheinen und diese sonst dekorativ wirkende Pflanze der Gegend zur Unzierde gereicht. Von sonstigen Schutzmitteln der Pflanzen ist noch die Rede in zwei neuern Abhandlungen von Huth. Die erstere enthält eine Ergänzung zu einer in den Monatl. Mitt. Bd. III S. 41 gegebenen Zusammenstellung der Pflanzen, welche sich durch ihre Brennhaare vor den Angriffen des Weideviehes schützen. Sie führt eine weitere Anzahl von Pflanzen auf, welche durch scharfe brennende Säfte geschützt sind. Bekannt sind die Eigenschaften von Polygonum Hlydropiper, von den roten Beeren des Üajennepfeffers, die wie auch die Paprikaschoten, die pflaumenähnlichen Früchte der Brennpalme, Caryota urens und die Samen des äthiopischen Pfefferbaumes Hab- zelia aethiopica u. a. noch mit grellroten Warnfarben ausgestattet sind. [Wir erinnern hier wie früher daran, dass auch niedern Pflanzen diese Schutzmaßregeln eigen sind, von Pilzen haben viele einen un- ausstehlich brennenden Geschmack, wie z. B. Lactarius piperatus und andere Milchschwämme, Boletus piperatus, von Lebermoosen Aneura pinguis ete.; auch finden sich so wie bei Conium ete. Schreckfarben z. B. bei Amanita muscaria ete.|. Durch den Brennsaft erregen lästiges Jucken der Haut: die Früchte der Zuckerpalme, Arenga saccherifera, der Brenn- palme, die Samen von Pfychosperma Rumphii Bl., Carica digitata. Von Antiaris toxicaria rufen schon die Ausdünstungen des Milchsaftes erysi- pelatöse Geschwülste hervor. Knowltonia rigida, vesicatoria, Cle- matis mauritiana crispa werden zu Blasenpflastern verwendet. Auch Ranunculus sceleratus, Daphne Mezereum, Ammania vesicatoria, Plum- bago zeylanica, P. scandens, P. coccinea, Cnidium venosum, Scilla ma- ritima gehören hierher. Bei Anacardium occidentale sitzt auf einem birnförmig angeschwollenen essbaren Fruchtstiel je eine nierenförmige wohlschmeckende Nuss. Diese ist aber von einer Schale mit einem ätzenden Oel umgeben. Letzteres wird zum Wegbeizen der Hühneraugen ete. verwendet. Hierher gehören noch Semicarpus Ana- Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. 271 cardium, Sinapis alba, Brassica nigra, Schinus molle, Cleoma gigantea, Moringa pterygosperma, die verschiedenen Pfefferarten, Euphorbiaceen (besonders Exeoecaria Agallocha und Hippomune Mancinella), Lobelia urens, Rhus varielobata ete. In einer zweiten der erwähnten Abhandlungen gibt Huth eine Zusammenstellung von stammfrüchtigen Pflanzen. Die bio- logische Bedeutung der Stammfrüchtigkeit dürfte nach Johow in vielen Fällen die sein, dass schwere, große Früchte, die von den schwächeren Zweigen nicht getragen zu werden vermögen, nur an dem Stamm einen geeigneten Halt finden. So sind z.B. die Früchte von Artocarpus integrifolia 40 em lang, 24 cm breit und 1!/,—2 kg schwer. Rumph betrachtet bei Durio ziöbethinus die Entstehung der Stammfrüchte als ein Schutzmittel gegen Papageien, denen die meisten Früchte an den jüngeren Zweigen erliegen. (Wallace betrachtet die Caulifloren als Anpassung an die Befruchtung durch Schmetter- linge, die in den Tropen den Schatten, also die untere Partie der Bäume aufsuchen). Was die morphologische Bedeutung der stamm- früchtigen Blüten anlangt, so gehen sie wie es scheint nie aus einer Neubildung, sondern stets aus sogenannten schlafenden Knospen hervor. Es werden 24 Familien, in denen stammfrüchtige Arten vor- kommen, näher erörtert. Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse, speziell über den Generationszyklus von Chermes abietis L. Von Prof. F. Blochmann. Schon manche der ältern Autoren, welche sich mit der Lebens- geschichte der Blattläuse beschäftigten, berichten uns von großen Blattlausschwärmen, welche zu bestimmten Jahreszeiten beobachtet wurden; auch war ihnen nicht unbekannt, dass bestimmte Blattlaus- Arten nur zu bestimmten Zeiten auf manchen Pflanzen anzutreffen sind, dass sie zu einer gewissen Zeit des Jahres vollständig von einer Pflanze, die vorher von ihnen dicht bevölkert war, verschwinden, um sich nach Verlauf einiger Monate wieder in großer Menge einzustellen. Speziell waren es die gallenbildenden Pemphiginen, bei denen man solche Beobachtungen machte, aber auch für Arten aus andern Familien erhielt man ähnliche Resultate. Durch die Beobachtungen neuerer Forscher, wie Derb&s, Courchet, Lichtenstein, Kessler, Targioni- Tozzetti wurde mit Sicherheit für eine ganze Reihe von Arten ein regelmäßiges Auswandern von einer Pflanze und Wiedererscheinen auf derselben zu einer andern Zeit nachgewiesen. Merkwürdigerweise gelang es jedoch in keinem Falle mit der wünschenswerten Genauig- keit festzustellen, wo irgend eine solche wandernde Blattlausart in der Zeit sich aufhält, in welcher sie auf der gewöhnlich von ihr be- wohnten Pflanze fehlte. Wollen wir die sonst bei Parasiten gewöhnliche 972 Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. Terminologie anwenden, so war der Zwischenwirt unbekannt. Ich schlage vor, „ursprüngliche“ oder „Hauptnährpflanze“ (definitiver Wirt) bei allen wandernden Aphiden diejenige Pflanze zu nennen, auf welcher die Geschlechtsgeneration lebt und das befruchtete Ei ablegt, „Zwischen- pflanze“ (Zwischenwirt) dagegen diejenige, auf welcher die betreffende Blattlausart nur in parthenogenetisch sich fortpflanzenden Generationen vorkommt. Es ist natürlich denkbar, dass mehrere verschiedene Pflanzen für dieselbe Aphidenart als Zwischenpflanze funktionieren, wie wir auch für manche tierische Parasiten mehrere Zwischenwirte kennen. Man stellte zwar zur Lösung der Frage nach der Wanderung mehr- fach Versuche an und Vermutungen auf; besonders Liechtenstein war in dieser Richtung thätig und hat seine Resultate in gegen 70 in den entomologischen Zeitschriften der ganzen Welt zerstreuten Auf- sätzen niedergelegt. Im folgenden möchte ich nun einen kurzen Ueberblick über die hinsiehtlich der Blattlauswanderung bis jetzt erlangten sichern Resul- tate und über die noch schwebenden Fragen zu geben. Der Haupt- zweck, den ich dabei im Auge habe, ist, die Aufmerksamkeit der Zoologen diesem interessanten Gebiete wieder etwas mehr zuzuwenden. Ich verzichte dabei natürlich auf vollständige Berücksichtigung der sehr umfangreichen und schwer zu beschaffenden Literatur — eine ausführliche Darstellung der Frage werde ich an anderer Stelle liefern — ich will nur an einigen der am besten bekannten Beispielen zeigen, was bis jetzt von diesen Dingen feststeht. Ein zur Orientierung recht geeignetes Beispiel ist die auf Ulmus campestris L. häufig vorkommende Tetraneura ulmi L., deren Ent- wieklungsgang durch Kessler!) in neuerer Zeit genauer untersucht wurde. Danach ist der Entwicklungsgang dieser Art folgender: Ende April, wenn die Knospen der Ulmen sich öffnen, stellen sich an den jungen Blättern kleine schwarze Tiere ein, welche aus den Winter über in Rindenritzen gelegenen Eiern entstanden sind, die im Spät- jahre von den befruchteten Weibehen dort abgelegt wurden. Diese Tiere bewirken durch ihren Stich auf der Unterseite der jungen Blätter die Entstehung einer blasenförmigen, etwa haselnußgroßen Galle, in welche sie eingeschlossen werden; in der Galle häuten sie sich 4 mal und gebären eine größere Zahl von Jungen, die, nachdem sie ebenfalls 4 Häutungen durehgemacht haben, Ende Juni die Gallen durch eine unregelmäßige, in der Wand derselben entstehende Oefinung verlassen. Sie tragen in ihren Eiröhren schon reife Embryonen. Sie fliegen von der Ulme fort, wohin ist noch unbekannt. Jedenfalls setzen sie 1) Kessler H., Die Lebensgeschichte der auf Ulmus campestris L. vor- kommenden Aphidenarten. Kassel (Progr. der Bürgerschule) 1878; Derselbe, Neue Beobachtungen und Entdeckungen an den auf U. campestris L. vorkom- menden Aphidenarten. Kassel 1830. (Progr.). Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. 275 ihre Embryonen auf eine andere Pflanze ab. Diese erzeugen auf der Zwischenpflanze geflügelte Nachkommen, die im August in Masse wieder an den Ulmen anfliegen und ihre Jungen in die Rinden- ritzen des Stammes absetzen. Dieses sind die Geschlechtstiere, Weibehen und Männchen ohne Flügel und ohne Rüssel, welche nach einer Häutung die Begattung vollziehen, worauf das Weibchen ein Ei in die Rindenritze ablegt, welches befruchtet ist und den Winter überdauert. Aus ihm geht im nächsten Frühjahre die die Galle er- zeugende Stammmutter hervor, von welcher wir ausgegangen sind. Denselben oder einen in den wesentlichsten Punkten ähnlichen Entwieklungsgang hat man noch für eine Reihe anderer Aphiden feststellen können. So besonders für die auf den Pappeln lebenden, gallenbildenden Pemphigus-Arten!), ebenso für die auf Pistacia Tere- binthus lebenden Pemphiginen ?). Auch für nicht gallenbildende Blattläuse wurde ein ähnlicher Entwicklungsgang festgestellt, so z. B. für Aphis padi, A. evonymi, A. viburni, A. sambuci, Schizoneura corni etc.?). Auch für manche Arten der Gattung Phylloxera wird eine solche Wanderung behauptet, wie ich glaube, mit Recht*). Allerdings wird sie von anderer Seite wieder direkt in Abrede gestellt. Es wird aber jeder, der die ziemlich umfangreiche und sehr zerstreute Literatur über diese Frage durchgeht, zur Ueberzeugung kommen, dass zwar das regelmäßige Fortwandern vieler Aphiden von ihrer Nährpflanze und ihre spätere Rückkehr zu derselben eine unumstöß- liche Thatsache ist, dass es aber noch für keine Art gelungen war, ohne Lücke den Entwieklungsgang zu verfolgen. Stets ist es die Zwischenpflanze, welche trotz mannigfacher Versuche nicht mit der wünschenswerten Sicherheit aufgefunden werden konnte. Zwar glaub- ten Liechtenstein und andere, für einzelne Formen 5) die Zwischen- pflanze gefunden zu haben; doch sind diese Angaben mit großer Vor- sicht aufzunehmen, da sie sich auf Arten beziehen, die von Verwandten nicht leicht zu unterscheiden sind und da die angestellten Versuche keineswegs die genügende Sicherheit zu geben scheinen. 1) Besonders Lichtenstein an verschiedenen Orten. Vergl. besonders: Considerations nouvelles s. l. generation des pucerons. Paris 1878; Comptes rendus, t. 90, 1880, p. 804—806 und t. 91, p. 339—340 ; De l’&volution biologique des pucerons en general et du Phylloxera en particulier. Paris, Bordeaux 1883; Monographie des pucerons du peuplier. Paris 1886. 2) Derbös A., Ann. des se. nat. (5) Zool. t. XV. 1872. Art. 8. ibid. (6) t. XI. 1881. Art.5; Courchet L., M&m. d. l. section des sciences de l’Acad. d. Se. et Lettres 1 de Montpellier, t. X, 1880, p. 1—98. 3) Kessler H, Nova Acta, t. XLVII, 1883 (1884) p. 105—140. 4) Lichtenstein J., Targioni-Tozzetti. 5) Z. B. von Pemphigus bursarius L. der Pappel soll die Zwischenpflanze Filago germanica sein, für Tetraneura ulmi der Ulme L., Oynodon dactylon Pers. oder Zea Mais L. IX, 18 274 Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. Es gelang mir nun, im letzten Jahre durch eine Reihe von einwurfsfreien Kulturversuchen, ebenso durch die Beobachtung im freien für eine Art, für Chermes abietis L., eine solche Wanderung zweifellos nachzuweisen und somit die ganze Lehre von den regel- mäßigen Wanderungen der Blattläuse wesentlich zu stützen). Der Entwicklungsgang von Chermes abietis L. gestaltet sich nun nach meinen Beobachtungen folgendermaßen: An der Knospenbasis der Fichte (Pinus Picea Duroi) findet man den Winter über bis ins Frühjahr kleine mit Wolle bedeckte, ungeflügelte Tiere von Chermes abietis, deren Herkunft später aus- einander gesetzt werden soll. Im Frühjahre, wenn die Knospen an- zuschwellen beginnen, nehmen diese Tiere auch an Umfang zu; sie häuten sich, und schon nach der ersten Häutung erhalten sie ein ganz anderes Aussehen. Während die sie bedeckende Wolle vorher grau- lichweiß aussah und aus lauter feinen Röhrehen bestand, sieht die nach der ersten Häutung erscheinende viel dichtere Wolle weiß aus und besteht aus feinen, soliden, etwas gewellten Fäden. Die Anzahl der Drüsenöffnungen auf einem Felde hat auch gegen vorher zugenommen. Die Tiere legen jetzt eine beträchtliche Anzahl gestielter Eier ab, aus welchen junge Tiere hervorgehen, die in die Zellen der ent- stehenden Galle einwandern und hier bis in den August wachsen und drei Häutungen durchmachen. Dann öffnen sich die Gallen, die Tiere, welche jetzt Flügelscheiden besitzen, wandern heraus und machen auf den zunächst stehenden Nadeln eine letzte Häutung durch, nach welcher sie als geflügelte Tiere erscheinen. Alle diese Tiere sind parthenogenetisch sich fortpflanzende Weibchen, wie schon lange be- bekannt. Der allergrößte Teil dieser geflügelten Weibehen fliegt nun von der Fichte, in deren Gallen sie aufgewachsen sind, fort und setzt sich auf den Nadeln der Lärche (Pinus Larix L.) fest. Hier senken sie ihren Rüssel in die Nadeln ein, scheiden auf der Oberfläche des Körpers ein wenig Wolle ab und legen ein Häufchen von ca. 40 ge- stielten Eiern ab, aus denen nach ca. 10—14 Tagen dunkelgrüne Junge hervorgehen, die eine bis zur Mitte des Körpers reichende Borstenschlinge haben (wegen der charakteristischen Anordnung der sogenannten Wachsporen ef. meine frühere Mitteilung) und kurze Zeit auf der Nadel, auf welcher ihre Mutter noch als Leiche sitzt, saugen, was durch die eingesenkten Stechborsten und ebenso durch das Exkret- tröpfehen, das sich fast stets am Hinterende findet, bewiesen wird. Durch die aufgenommene Nahrung haben sie sich für die Wanderung gestärkt, welche sie nun antreten. Sie begeben sich jetzt von den Nadeln auf die Zweige und wandern an diesen abwärts auf den Stamm. Hier kriechen sie in Rindenrisse, oder unter die Rinden- 1) Zuerst mitgeteilt dem Naturh, med. Verein Heidelberg in der Sitzung vom 2. Nov. 1888. Abgedruckt in: Verh. d. Naturh. med. Ver. Heidelberg, N. E, Bd.’ IV, Hefty2. Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. 275 schuppen und senken ihre Stechborsten in das Gewebe ein. In dieser Lage verharren sie den ganzen Winter hindurch, ohne dass man eine wesentliche Veränderung an ihnen bemerken könnte; sie nehmen nur allmählich an Körperumfang etwas zu. Mit dem beginnenden Früh- jahre fangen sie an stärker zu wachsen, häuten sich, entwickeln die Geschlechtsorgane — alle Tiere sind parthenogenetische Weibchen — und fangen dann Mitte April an eine Anzahl gestielter grüner Eier abzulegen, aus welchen nach einiger Zeit Junge hervorgehen, die den umgekehrten Weg einschlagen, welchen ihre Eltern gemacht haben. Sie wandern an dem Stamme aufwärts und setzen sich an die eben austreibenden jungen Nadeln, welche sie ansaugen, wodurch eine Ver- krümmung der Nadel bewirkt wird. Diese jungen Tiere unterscheiden sich von den Jugendzuständen ihrer Eltern dadurch, dass sie keine Wachsporen!) und nur eine sehr wenig ausgebildete, höchstens bis zur Körpermitte reichende Borstenschlinge haben. Auf den Lärchennadeln nun wachsen die Tiere allmählich unter mehrern (wahrscheinlich 4) Häutungen heran und werden zu geflügelten parthenogenetischen Weibehen, welche die Lärche verlassen [Mitte bis Ende Mai?)|, auf die Fichte fliegen, hier sich an der Unterseite älterer Nadeln niederlassen, eine Anzahl |ca. 8—10] gestielter Eier ablegen, aus welchen die ungeflügelten Geschlechtstiere Weibehen und Männchen entstehen, die an den Zweigen abwärts wandern und die Begattung vollziehen, worauf die Weibchen unter den Rindenschuppen diekerer Zweige und an den obern Teilen des Stammes ein (vielleicht auch zwei) ungestielte Eier ablegen, die mit ganz wenig weißlicher Wolle umgeben sind. Diese Eier entwickeln sich sehr langsam und im Oktober schlüpfen aus ihnen kleine Tiere mit langer Borstenschlinge, welche an den Zweigen aufwärts wandern und an der Knospenbasis sich festsetzen, ihre Stechborsten in den Knospenhals einsenken, etwas Wolle aus- scheiden und so den Winter über ruhen. Im Frühjahr, wenn die Knospen zu schwellen beginnen, wachsen sie unter Häutung heran und setzen eine große Menge gestielter Eier ab. Die aus diesen hervor- gehenden Jungen kriechen in die entstehende Galle und werden hier wieder zu geflügelten, parthenogenetischen Weibehen. Diese Wanderung der Ch. abietis von der Fichte zur Lärche und von da wieder zur Fichte zurück wurde von mir, wie oben bemerkt, nicht nur allein im freien beobachtet, sondern sie wurde durch eine ganze heihe auf das sorgfältigste ausgeführter Versuche gegen alle 1) Dreyfus, Zool. Anzeiger, Nr. 305 gibt an, unter ihnen auch solche mit Poren gefunden zu haben. 2) Dieses Datum ist bei der Korrektur eingefügt. Bei meinen Kulturen begann die Wanderung schon viel früher, da sie den Winter über im tempe- rierten Raume standen, 18% 276 Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. Zweifel sicher gestellt!). Ueberhaupt wird man nur durch sorgfältigste Kulturversuche die noch schwebenden gleich zu besprechenden Fragen 1) Zusatz bei der Korrektur! Auf meine erste Mitteilung über die Geschlechtsgeneration von Chermes (in dieser Zeitschrift, Bd. VII, Nr. 14, 15. Sept. 1887) folgten jetzt in kurzer Zeit eine ganze Reihe von Mitteilungen (von Cholodkovsky: Zool. Anz., Nr. 270, 299, 305; Dreyfus: Tageblatt der 61. Vers. d. Naturf. u. Aerzte zu Köln, Zool. Anz., Nr. 299; Ueber Phylloxerinen, Wiesbaden 1889; Löw: Zool. Anz., Nr. 299) über die Lebensgeschichte von Ohermes, über die ich hier weniges bemerken möchte. Zunächst ist mir daran gelegen, das Verhältnis der Dreyfus’schen Untersuchungen zu den meinigen klar zu stellen. Es fällt nämlich auf, dass Dreyfus in seinen Mitteilungen [Zool. Anz., Nr. 299; Ueber Phylloxerinen, Wiesbaden 1889, (Mai)] lediglich von einer Bestätigung seiner Resultate durch meine Mitteilung über die Lebens- geschichte von Ch. abietis L. spricht. So liegt die Sache aber keineswegs, und ich verwahre mich ausdrücklich gegen ein solches Verfahren, wie ich dies auch schon brieflich Herrn Dreyfus gegenüber gethan habe. Als Hauptergebnis meiner vorjährigen Untersuchungen muss gelten: Die direkt im freien beobachtete und durch eine Reihe von Versuchen kontrollierte Ueberwanderung des Ch. abietis von der Fichte zur Lärche und die Rückkehr von da auf die Fichte. Das letztere war damals von mir noch nicht direkt gesehen, war aber natürlich selbstverständlich und ließ sich außer- dem aus den Angaben von Ratzeburg, Kaltenbach, Kayser und aus meiner Beobachtung der aus dem befruchteten Ei im Oktober entstehenden Larven so gut wie direkt beweisen. Ich habe diese Resultate schon am 6. oder 7. September 1888 auf einem Spaziergange Herrn Prof. Grassi und Herrn Prof. Steiner auseinandergesetzt und ihnen die Tiere an Fichten und Lärchen demonstriert. Dreyfus dagegen hat keinen Teil der, Wanderung direkt beobachtet, sondern auf der Naturforscherversammlung nur die Vermutung ausgesprochen: „dass sich die Sache noch durch Emigration kom- plizieren könnte“. (Tagebl.d. 61. Vers. deutsch. Naturf. u. Aerzte zu Köln, 1888.) Er weist dann weiter auf die frappante Aehnlichkeit der im August auf Lärche und Fichte gleichzeitig beobachteten geflügelten Tiere und der Jungen derselben hin (das letztere ist nicht richtig; die Jungen unterscheiden sich auf den ersten Blick durch ihre Borstenschlingen. Ich habe dies Herın Dreyfus brieflich mitgeteilt und habe auch seine Bestätigung erhalten, in seiner später erschienenen Mitteilnng im zoologischen Anzeiger dagegen ist dieses Versehen noch unberichtigt geblieben). Dann sagt er: „Damit ist ein Zusammenhang der beiden Formen noch keineswegs erwiesen. Doch möchte ich anderseits denselben auch nicht für ausgeschlossen erklären, so wenig wie den Zusammen- hang zwischen Ch. abietis und Ch. obteetus. Auf diese doch sehr unbestimmten Aussprüche hin, die mir übrigens erst bei Ausgabe des Tageblattes durch die Güte des Verfassers zukamen (11. Januar 1889), sandte ich Herrn Dreyfus einen Abdruck meines Vortrages, in welchem die ganze Wanderung mit klaren Worten auf grund unanfechtbarer Beobachtungen und Versuche dargelegt war. Am 4. Februar erschien eine Mitteilung von Dreyfus im Zool. Anzeiger, in welcher er seine Ansichten über die Wanderung der Ch. abietis genauer darstellt, aber auch hier spricht er nur die „Vermutung“ der Zusammengehörig- keit aus. Nach einem Versuch, der doch solche Dinge überhaupt erst beweisen kann, sieht man sich auch hier vergebens um. Nach dem Gesagten kann also gar keine Rede davon sein, dass ich die Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. aut lösen können, da im freien sicher zwei verschiedene Arten Oh. abietis und Ch. strobilobius gleichzeitig in verschiedenen Generationen durch ein- ander vorkommen. Wahrscheinlich kommt sogar noch eine dritte Art vor, von welcher die im August ausfliegenden Coceineus - ähnlichen Gallen stammen, die nach Dreyfus Ch. tardus heißen muss. Damit ist aber der Entwicklungszyklus von Ch. abietis noch nicht vollständig erschöpft. Ich sagte oben, dass von den im August aus den Gallen auskommenden parthenogenetischen Weibchen der größte Teil auf die Lärche flöge. Ein Teil derselben und, wie meine Ver- suche lehren, besonders diejenigen aus den später sich öffnenden Gallen bleiben auf der Fichte, und zwar setzen sie sich meistens an die Nadeln der der Galle zunächststehenden Aestehen und legen hier ihre Eier ab. Aus diesen entstehen Junge, welche hinsichtlich der Anordnung der Wachsporen mit den Nachkommen der auf die Ergebnisse desHerım Dreyfus nachträglich bestätigt hätte. Man kann höchstens zugeben, dass er das, was ich direkt bewies, zur gleichen Zeit wahrscheinlich machte. So dürfte sich das Verhältnis eigentlich umkehren. Dreyfus behauptet dann in allen seinen Mitteilungen trotz meiner brief- lich erhobenen Einsprache, dass die von mir im Jahre 1887 beobachteten Ge- schlechtstiere nicht, wie ich sagte, zu Ch. strobilobius, sondern zu Ch. abietis gehörten. Dies ist aber nur eine Behauptung, für welche er den Beweis schuldig geblieben ist. Dreyfus hat auf der Fichte (Pinus Picea) überhaupt nur eine Art von Geschlechtstieren gefunden, denn wohin die auf Picea orientalis be- obachteten roten Geschlechtstiere gehören, ist noch zweifelhaft. Die von ihm auf der Fichte gefundenen Geschlechtstiere, die von der von ihm Ch. obtectus Ratzbg. genannten Form stammen, gehören jedenfalls zu Ch. abietis L. Nur ist dabei zu bemerken, dass Dreyfus ihre geflügelte Mutter mit Unrecht Obteetus nennt, denn Ratzeburg’s Ch. obtectus hat mit Ch.. abietis nichts zu thun und er hat nach Ratzeburg die größte Aehnlichkeit mit Ch. strobilobius, worauf ich Herın Dreyfus schon brieflich aufmerksam machte und was auch Cholodkovsky richtig hervorhebt. Der Ch. obtectus Ratzbg. ist, wie ich am Schlusse zeige, die von der Lärche auf die Fichte zurückkehrende Form (Remigrans) von Ch. strobilobius. Ich habe jetzt von meinen Kulturversuchen und aus dem Freien die Geschlechts- tiere beider Arten neben einander und kann nach Vergleichung dieser Tiere mit meinen Präparaten aus dem Jahre 1887 mit Bestimmtheit versichern, dass ich damals, wie ich angab, die 2 und d von Ch. strobilobius vor mir hatte. Ueberhaupt sind die Geschlechtstiere von Ch. abietis und Ch. strobilobius nicht sehr von einander verschieden. Die von Ch. strobilobius sind etwas größer. Was ich damals übersehen habe, ist, dass dieselben nicht von den aus den Gallen ausfiegenden Tieren stammten, sondern von den von der Lärche auf die Fichte zurückkehrenden. Dieser Fehler war wohl zu entschuldigen, da ich die Beobachtungen nur nebenbei auf Spaziergängen machte, aber auch, offen gestanden, nicht an einen so verwickelten Entwicklungsgang dachte. Ich habe aber diesen Fehler ohne fremde Anregung selbst wieder gut gemacht. Zu berücksichtigen ist noch, dass falls Ch. tardus Dreyfus als besondere Art existiert, was möglich ist, auch für diese Art noch die Geschlechtstiere gefunden werden müssen. 278 DBlochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. Lärche geflogenen übereinstimmen, sich aber hauptsächlich durch eine viel längere, bis zum Hinterende reichende Borstensehlinge leicht unterscheiden. Diese Jungen wandern an den Fichtenzweigen auf- wärts, setzen sich an der Basis der Endknospen fest und senken ihre Stechborsten hier in das Gewebe ein. Sie bedecken sich mit etwas Wolle und verharren hier bis zum nächsten Frühjahre, wo sie nach einer weitern Häutung ebenso wie die aus den befruchteten Eiern entstandenen Weibchen eine Galle erzeugen. Es fragt sich nun, in welcher Beziehung diese Tiere zu dem ganzen Entwicklungszyklus der Ch. abietis stehen. Das definitive Resultat werden erst über ein weiteres vielleicht auch über mehrere Jahre ausgedehnte sorgfältige Züchtungsversuche ergeben. Bis jetzt lassen sich nur folgende Vermutungen aufstellen: 1) diese auf der Fichte bleibende Generation ist ein Ausnahmefall, d. h. unter gewissen Um- ständen, die wir noch nicht näher kennen, bleiben die geflügelten Weibchen, welche eigentlich auf die Lärche fliegen sollten, auf der Fichte und erzeugen hier Nachkommen, die an die Knospenbasis wandern und hier ebenso, wie die aus dem befruchteten Ei entstan- denen Formen im nächsten Frühjahr Gallen erzeugen. Dieser Annahme eines nur zufälligen Verbleibens auf der Fichte steht als schwerwiegender Grund entgegen, dass zwischen den Nach- kommen der auf der Fichte bleibenden und denjenigen der auf die Lärche auswandernden Weibchen wichtige morphologische Diffe- renzen (Länge und Anordnung der Borstenschlinge) bestehen. Weiter scheint mir ein Zufall auch durch das Verhalten der geflügelten Weibchen selbst ausgeschlossen. Denn die für die Lärche bestimmten gehen nicht auf die Fichte und umgekehrt. Ich habe nämlich beobachtet, dass von den zuerst ausfliegenden Gallen die allermeisten Weibchen auf die Lärche fliegen, bei den später sich öffnenden ist es grade umgekehrt. Die meisten der aus ihnen hervorkommenden Weibchen bleiben auf der Fichte. So gelang es mir z. B. nicht, mit den später ausfliegenden Gallen zwei junge Lärchen noch ordentlich zu infizieren, trotzdem ich zu jeder etwa 20 eben sich öffnende Gallen brachte (unter einem Netze). Nur ganz wenige Weibchen setzten auf den Lärchennadeln Nachkommen ab, die allermeisten gingen an dem Netze zu grunde. In derselben Zeit gelang es ausgezeichnet Fichten zu infizieren !). Daraus scheint mir hervorzugehen, dass wir schon bei den geflügelten Weibehen eine Prädestination für Lärche resp. Fichte annehmen müssen. Man könnte also in den auf der Fichte bleibenden Weibchen eine Seitenlinie erblieken, in welcher stets par- thenogenetische geflügelte und ungeflügelte Generationen auf einander folgen. Ob die Zahl der Generationen eine unbeschränkte ist oder 1) Auch eine künstliche Uebertragung der auf der Lärche gebornen Jungen auf die Fichte zeigte, dass dieselben hier ausnahmslos zu grunde gehen. Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. 279 ne nicht, müsste die Beobachtung entscheiden. Auf die Möglichkeit einer solehen Annahme hat Dreyfus 1. ce. hingewiesen. Nach einer zweiten Annahme würden die auf der Fichte blei- benden geflügelten Weibchen ein notwendiges Glied in dem ganzen Generationszyklus des Ch. abietis ausmachen und dieser könnte sich dann folgendermaßen gestalten. 1) Aus dem befruchteten Ei entsteht die Stammmutter einer Galle (ungeflügelt parthenogenetisch). Spätjahr des ersten Jahres. 2) Ihre in der Galle aufwachsenden Nachkommen werden die ge- flügelten parthenogenetischen Weibehen, welche auf der Fichte bleiben und hier 3) ihre Nachkommen mit langer Borstenschlinge erzeugen, die wie- der als ungeflügelte parthenogenetische Weibeben eine Galle gründen (Frühjahr des zweiten Jahres). 4) Ihre Nachkommen sind wieder geflügelte parthenogenetische Weibehen, die auf die Lärche auswandern und 5) hier Junge erzeugen (Spätjahr des zweiten Jahres), welche auf der Lärche in Rindenritzen überwintern und im Frühjahre des dritten Jahres 6) eine Nachkommenschaft von geflügelten parthenogenetischen Weibehen erzeugen, die auf die Fichte zurückkehren und hier die ungeflügelten Geschlechtstiere Weibehen und Männchen hervorbringen, von welchen die Weibehen nach der Begattung befruchtete Eier ablegen, die bis zum Spätjahr des dritten Jahres ruhen und dann die Stammmutter einer neuen Galle (ein un- geflügeltes parthenogenetisches Weibchen) entlassen, die den Winter über an der Knospenbasis sitzt, im Frühjahr des nächsten Jahres eine Galle gründet, womit der ganze Entwicklungszyklus von neuem beginnt. In dieser Weise aufgefasst würde der ganze Entwicklungszyklus von Ch. abietis sich aus 7 Generationen zusammensetzen und sich auf drei Jahre ausdehnen. Welche Auffassung nun der Wirklichkeit entspricht, lässt sich nur durch sorgfältigste Kulturversuche ermitteln; denn die Beobachtung in der freien Natur wird nicht zum Ziele führen, weil es unmöglich ist hier die verschiedenen Generationen streng auseinander zu halten. Wie man sich überall mit Leichtigkeit überzeugen kann, sitzen an einer Knospe oft mehrere Individuen von Ch. abietis, und ihre Nach- kommen kriechen durcheinander in die entstehende Galle. Nun brauchen die die Galle gemeinschaftlich erzeugenden Stammmiüitter nicht gleichen Ursprungs zu sein, sondern einige können aus befruchteten Eiern entstanden sein, andere können von den auf der Fichte bleibenden geflügelten parthenogenetischen Weibchen erzeugt sein. Auf diese Weise könnten dann natürlich aus derselben Galle sowohl auf die Fichte als auf die Lärche fliegende Weibchen hervorgehen, ohne dass —1 Si 280 Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattlänse. man annehmen müsste, dass unter den Nachkommen einer und der- selben Stammmutter solche Differenzen bestehen. Um diese Fragen zu entscheiden, habe ich die nötigen Rein- kulturen angelegt; natürlich wird das definitive Ergebnis erst in zwei Jahren zu erwarten sein. Trotz der eben berührten noch nicht ganz aufgeklärten Punkte hat aber die Entwicklung von Ch. abietis ein großes Interesse, und zwar besonders deswegen, weil hier mit aller Sicherheit die regelmäßige Wanderung von einer Pflanze zur andern und wieder zurück zur ersten festgestellt ist. Ich habe schon in meiner frühern Mitteilung darauf hingewiesen, dass bei Ch. strobilobius höchst wahrscheinlich ähnliche Verhältnisse sich finden werden. Fast gleichzeitig hat auch Dreyfus diese Ver- mutung ausgesprochen und es wird jetzt ein leichtes sein, in diesem Sommer zu entscheiden, inwieweit diese Vermutung begründet ist!). Wenn nun auch durch den Nachweis einer regelmäßigen Wanderung bei Ch. abietis und Ch. strobilobius die Zahl der bisher unterschiedenen Chermes-Arten wesentlich eingeschränkt wird, so darf man doch nicht so ohne weiteres aufgrund der einmal festgestellten Migration gleich alles zusammenwerfen, wie dies neuerdings Cholodkowski thut, der die kühne Vermutung ausspricht, dass Chermes abietis und Ch. strobi- lobius nur verschiedene Entwicklungsformen derselben Art seien, zu welcher er alle bei uns vorkommenden Arten zählt und für die er den Namen Ch. coniferarum vorschlägt. Die Ansicht Cholodkowski’s braucht gar nicht eingehender diskutiert zu werden, da zweierlei Geschlechtstiere nachgewiesen sind. Wie bekannt, hat Lichtenstein sehr eigentümliche Ansichten über die Blattlausentwicklung, speziell über die Auffassung der ver- 1) Dreyfus hat im letzten Zoologischen Anzeiger Nr. 308 mitgeteilt, dass die aus einem Teil der Eier des den Winter über auf der Fichte lebenden sogenannten Ch. hamadryas Koch entstehenden geflügelten Weibchen auf die Fichte zurückwandern und hier Geschlechtstiere, die von Ch. strobilobius er- zeugen. Ich habe diese Versuche selbstverständlich auch angestellt und kann also in diesem Falle die Resultate von Dreyfus bestätigen. Gleichzeitig kann ich mitteilen, dass die aus den Gallen von Ch. strobilobius ausfliegenden Tiere auf die Lärche wandern. Ferner glaube ich auch, wie schon oben er- wähnt, dass Dreyfus das Richtige getroffen hat, wenn er die sog. II. Gallen- generation von Ch. strobilobius für eine besondere Art, die er Ch. tardus nennt, hält. Ich teile dieses hier nur durch die Notizen der andern Autoren veranlasst mit und möchte gleichzeitig die Bemerkung daran knüpfen, dass es im Interesse der Sache viel wünschenswerter wäre, mit der Publikation zu warten, bis man den Entwicklungsgang einer Art einigermaßen übersehen kann, statt fortwährende zusammenhanglose Beobachtungen und daran anknüpfende Vermutungen mitzuteilen und für jede außer Zusammenhang beobachtete Form einen neuen Namen aufzustellen. Ein solches Verfahren ist viel mehr geeignet, die ganze Frage zu verwirren als zu klären. Dies ist grade für die Entwick- lung von Ühermes von verschiedener Seite geschehen. (Zusatz bei der Korrektur). Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. 281 schiedenen Generation aufgestellt. Ich kann es unterlassen hier genauer auf dieselben einzugehen, da sie von verschiedenen Seiten schon Widerspruch erfahren haben und da sie wohl im allgemeinen als beseitigt gelten dürfen !). Dagegen möchte ich im Anschluss an die oben auseinandergesetzten komplizierten Fortpflanzungsverhältnisse der Aphiden eine einheitliche Nomenklatur für die verschiedenen Generationen vorschlagen und gleichzeitig auch für dieselben bestimmte Zeichen festsetzen, wodurch die Darstellung von Entwicklungszyklen bedeutend an Kürze und Uebersichtlichkeit gewinnen dürfte. Als Schema des Entwicklungsganges einer regelmäßig wandern- den Blattlausart will ich Tetraneura ulmi L. betrachten. Die vorgeshlagenen Benennungen und Zeichen wären folgende: I. Generation: Das aus dem befruchteten Ei entstehende, im Früh- jahr die Galle gründende parthenogenetisch sich fortpflanzende Weibchen heißt Fundatrix (Stammmutter) © [Liehtenstein: ebenso] II. Generation: Seine in der Galle aufwachsenden, lediglich aus ge- flügelten parthenogenetischen, aus der Galle der Ulme auswandernden Weibchen bestehenden Nachkommen heißen Emigrantes (2) |Liehtenstein: ebenso] III. Generation: Die von diesen auf einer andern Pflanze abgesetzten ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen heißen Alienicolae 2 |Lichtenstein: Gemmaentes?)] IV. Generation: Die von diesen erzeugten wieder auf die erste Nähr- pflanze (sp. Ulme) zurückkehrenden geflügelten, parthenogenetischen, die Geschlechtstiere erzeugen- den Weibchen heißen Remigrantes (2) |Liehtenstein: Pupiferae, Dreyfus: Sexuparae?°)] 1) Allerdings ist die verfehlte Idee von Lichtenstein, dass die auf die Hauptnährpflanze zurückkehrenden geflügelten parthenogenetischen Weibchen der Phylloxera keine Eier, sondern „einen kleinen, seidenen Cocon oder Püppchen“ ablegten, von Carri@ere vor nicht langer Zeit wieder aufgegriffen worden (Biol. Centralblatt, 1888, Nr. 24). Es legt aber natürlich Phylloxera ebenso- wenig wie Öhermes Puppen, sondern echte Eier, die sich ohne befruchtet zu sein, entwickeln. An dieser Stelle will ich noch bemerken, dass Carriere in seinem Aufsatze noch der Ansicht ist, dass bei Chermes die Geschlechts- tiere fehlen, während ich schon fast ein halbes Jahr vorher in derselben Zeit- schrift ihr Vorhandensein mitgeteilt hatte. 2) Wegen der Bedeutung dieser Ausdrücke vergl. Lichtenstein. 3) Im allgemeinen dürfte der Ausdruck „Sexuparen“ diese Generation richtig bezeichnen. Ich habe aber die allgemeine Bezeichnung Remigrantes gewählt, 982 Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. V. Generation: Die von diesen erzeugten Geschlechtstiere heißen Sexuales 2 d' |ev. (J')] |Liehtenstein: ebenso] Dazu ist zu bemerken, dass das von Witlaczil vorgeschlagene Zeichen 2 stets ein parthenogenetisch sich fortpflanzendes Weibchen bedeutet. Ein in Klammer gesetztes Zeichen (2), (S') bedeutet, dass die betreffende Form geflügelt ist. Das Zeichen @ bedeutet ein Weibchen, welches auf parthenogenetischem Wege Geschlechtstiere erzeugt, endlich bedeutet @ das aus dem befruchteten Ei entstandene parthenogenetisch sich fortpflanzende Weibchen (Fundatrix). Natürlich können bei verschiedenen Arten einzelne Generationen dieses vorderhand als typisch angenommenen Entwicklungsganges ausfallen, oder es kann auch eine Vermehrung derselben auftreten. Das erste ist z. B. bei Pemphigus spirothecae Pass. der Pappel der Fall, bei welchem, soviel wir bis jetzt wissen, keine auf eine Zwischenpflanze auswandernde und dort Nachkommen erzeugende Form vorkommt. Der Entwicklungszyklus für Pemphigus spirothecae Pass. ist folgender: I. Generation: Fundatrix ® erzeugt im Frühjahr die Galle und produziert in derselben eine Anzahl ungeflügelter, parthenogenetischer Weibchen: II. Generation: © deren Nachkommen zu geflügelten, parthenogenetischen aus der Galle auswandernden und auf die Rinde der Pappeln fliegenden Weibchen werden, III. Generation: Q welche hier endlich die Geschlechts- tiere IV. Generation: 2, d erzeugen. Eine Vermehrung der Generationen tritt bei Schizoneura corni Fbr. ein, deren Entwicklungsgang nach Kessler!) folgendes Verhalten zeigt: Die Nachkommen der Fundatrix sind teils geflügelte, teils ungeflügelte parthenogenetische Weibehen, die alle auf Cornus sangui- nea I. bleiben; beider Nachkommen sind geflügelte Emigrantes, die Ende Mai auf eine bis jetzt noch unbekannte Pflanze auswandern, von welcher im August, September und Oktober die Remigrantes auf weil auch leicht der Fall denkbar ist, dass die von der Zwischenpflanze auf die ursprüngliche Nährpflanze zurückkehrenden (9) die Geschlechtstiere erst durch Vermittlung einer Zwischengeneration erzeugen. 1) 29 u. 30 Ber. Ver. Naturk. Kassel 1883. S. 90—100. Ich kann diese Beobachtung zum Teil aus eigner Anschauung bestätigen. Blochmann, Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. 285 Cornus zurückkehren. Schematisch würde sich der Entwieklungs- zyklus also folgendermaßen darstellen: 2 Fundatrix N\ 2 ® Zee (2) Emigrantes | 2 Alienicolae \ Q ) Remigrantes N\ 2 g Sexuales Man sieht daraus, dass ich nur die Haupttypen mit besondern Namen belegt habe; ich glaube, dass dies auch zunächst ausreichen dürfte, wenn die Nomenklatur nieht zu kompliziert werden soll. Ich verzichte darauf, den Entwieklungskreis von Ch. abietis in der vorge- schlagenen Weise herzustellen, weil derselbe noch nicht in jeder Hin- sicht vollständig klar gelegt ist. Ich habe es weiter vermieden auf die Entwicklung von Phylloxera einzugehen, weil die Ansichten über die Generationsfolge und über Selbständigkeit der verschiedenen Arten bis jetzt noch so weit aus- einander gehen, dass eine Klärung derselben ohne eigne eingehende Beobachtungen nicht leicht herzustellen sein dürfte. Das ist ja bei Phylloxera vastatrix besonders bemerkenswert und für unsern Zweck interessant, dass eine größere nicht genau bestimmte Anzahl von ungeflügelten, parthenogenetischen Generationen unter günstigen Umständen auf einander folgen kann. Dies ist jedenfalls auch bei andern Aphiden noch der Fall und es scheint, dass diese Serien von unter einander gleichartigen Generationen an zwei Stellen des gewöhnlichen Entwicklungszyklus eintreten können, sie können von der Fundatrix abstammen oder besonders von den Emigrantes. Es hätte im Anschluss daran großes Interesse, die Versuche Kyber’s mit aller Sorgfalt nachzuprüfen. Das Wenige, was ich im Vorstehenden über die zyklische Ent- wicklung der Blattläuse sagte, zeigt, dass die Biologie dieser Tiere heute noch ebenso interessante Probleme bietet, als zu der Zeit, wo Bonnet die Parthenogenese bei ihnen entdeckte. Ich wies schon in meiner frühern Mitteilung darauf hin, dass die Wanderungen der Aphiden mit den Wanderungen zu vergleichen sind, wie wir sie sonst bei tierischen und pflanzlichen Parasiten finden, dass wir aber vorderhand in den meisten Fällen noch nicht recht einsehen können, welchen Vorteil ein solcher regelmäßiger Wechsel 984 Schuberg, Ueber Grassia ranarım. des Wirtes für den Parasiten hat. Ich würde mich freuen, wenn diese Zeilen zu weitern Beobachtungen über das fragliche Thema anregen würden. Ich musste dabei auf meine Beobachtungen an Ch. viridis etwas genauer eingehen, weil ich bei dieser Art ja die Wanderung zuerst mit aller Sicherheit konstatieren konnte. Ich that dies aber auch deswegen nicht ungern, weil in der letzten Zeit mehrere Forscher über diesen Gegenstand arbeiten. So schien es mir zweckmäßig, meine Untersuchungsergebnisse und die daraus sich ergebenden Fol- gerungen kurz zusammenfassen. Heidelberg, den 20. April 1889. Ueber Grassia ranarum Fisch. Von Dr. August Schuberg in Würzburg. Im Jahre 1881 ist von Grassi!) ein höchst eigentümlicher Or- ganismus im Blute des Laubfrosches aufgefunden worden, den er als „Monere (?) delle Raganelle“ einführte und den einige Jahre nachher Fisch?) als „Grassia ranarum“ eingehender beschrieben hat. Letzterer Autor wagte zwar kein definitives Urteil über die systematische Stellung des sonderbaren Wesens zu fällen, glaubte aber, dass es „später bei den sogenannten Heliozoen untergebracht werden müsse“. Das Material, an welchem Fisch seine Studien anstellte, stammte aus dem Magenschleim von Rana esculenta. Bald darauf fand Se- ligo°) „vielfach im Magenschleim von Rana esculenta sowohl als R. oxyrhinos (= R. arvalis) Körper, auf welche die Beschreibungen von Grassi und Fisch sich zu beziehen schienen.“ Obgleich er aber dieselben als „selbständig gewordene Flimmerzellen“ des Oesophagus betrachtete, hielt er es nicht für unmöglich, dass es sich bezüglich der Angaben der erstgenannten Forscher um Parasiten, möglicher- weise um einen Flagellaten der Gattung Lophomonas handle. Grassi®) hat die Vermutung Seligo’s®) kurzerhand zurückgewiesen — ohne übrigens neue Thatsachen beizubringen —, und Bütschli, der sich meines Wissens zuletzt über die Grassia ranarum ausgesprochen hat, 1) Grassi, Intorno ad aleuni protisti endoparassitieci. Atti degli Soc. Ital. di szience naturali, Vol. XXIV, 1881, p. 67. 2) Fisch, Untersuchungen über einige Flagellaten und verwandte Orga- nismen. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 42, 1885, 8. 117. 3) Seligo, Untersuchungen über Flagellaten. Cohn’s Beitr. z. Biologie d:; Pf; IV..Bq.,41887,48..147; 4) Grassi, Morfologia e sistematica di aleuni protozoi parassiti. Atti della Reale Acad. dei Lincei, Vol. IV, 1888, p. 5. 5) In der zuletzt genannten Abhandlung zitiert Grassi „Seligo* stets unter dem Namen „Seeliger“! — 6) Bütschli, Protozoen. (Bronn’s Klass. u. Ordn., Bd. I, 2. Aufl.) S. 1675. Schuberg, Ueber Grassia ranarum. 25 hielt es auf grund der von Fisch angegebenen kontraktilen Vakuole und Teilung nicht für unmöglich, dass dieselbe wirklich ein Tier sei, das dann an den Anfang der Ciliaten zu stellen wäre. Immerhin jedoch glaubte er, dass „eine eventuelle Berechtigung der von Seligo ausgesprochenen Zweifel nicht ganz außer acht gelassen werden könne.“ Mit Rücksicht auf die Sonderstellung der Grassia ranarum im System der Ciliaten erschien eine Lösung der Frage wohl wünschens- wert, und ich habe deshalb eine Untersuchung desselben vorgenommen. Dieselbe ergab, dass der fragliche „Organismus“ bei Rana fusca nieht nur im Magenschleim, sondern auch im Herzbeutel und in der Lunge vorkommt, ja dass man ihn sogar aus der Mundhöhle und dem Oesophagus sich verschaffen kann. Weiterhin aber gelangte ich zu dem Resultat, dass man es mit keinem wirklichen Tiere, über- haupt mit keinem besondern Organismus zu thun hat, sondern mit abgelösten Teilen von Flimmerepithelien. Ich nähere mich also der Vermutung Seligo’s und weiche nur darin von diesem Beobachter ab, als ich der Ansicht bin, dass die Beschreibungen und Figuren Grassi’s und Fisch’s keine ganzen Flimmerzellen, wohl aber ab- gelöste Teile von solchen darstellen. Dabei muss ich es jedoch als unrichtig bezeichnen, wenn Fisch von einer allseitigen Bewimperung spricht. Ich habe Körper auf- gefunden, welche der Beschreibung und Figur dieses Beobachters (und Grassi’s) — abgesehen von dem gleich zu erörternden zweiten Punkte — durchaus entsprechen, so dass ich an ihrer Identität nicht zweifeln kann. Immer aber ist es mir gelungen, durch Verschieben des Deckglases und die dadurch hervorgerufenen Lageveränderungen Stellen aufzufinden, an denen der „Organismus“ von Cilien frei war. Ich glaube daher, dass die gegenteilige Angabe Fisch’s auf dem Unterlassen der angeführten oder ähnlich wirkender Manipulationen beruhen dürfte. Der zweite Punkt, in welchem mir Fisch zu irren scheint, ist das Vorkommen der kontraktilen Vakuole. Da Vakuolen auch von mir beobachtet wurden, eine Kontraktion derselben jedoch bei stets scharfer Einstellung (!) auch bei längerer aufmerksamster Be- trachtung niemals wahrzunehmen war, so glaube ich, dass Fisch gelegentlieh irgend welche Vakuolen, die ohnehin meist klein sind, für kurze Zeit aus den Augen verloren hat und so zur Vorstellung kontraktiler Vakuolen gelangt ist. Sieht man vorderhand von der angeblichen Kontraktilität der Vakuolen ab, so können die als Grassia beschriebenen Körper ganz wohl als abgelöste Teile von Flimmerzellen aufgefasst werden. Denn es ist leicht zu beobachten, z. B. bei den Muscheln !), dass solche 1) Auch an künstlich verletzten oder geteilten Infusoren ist die ent- sprechende Beobachtung zu machen, wenn deren äußerste Körperschichten 256 Schuberg, Ueber Grassia ranarum. Zelltrümmer meistens das Bestreben haben sich abzurunden, wodurch dann natürlich mehr oder weniger das Aussehen einer vollkommen bewimperten Kugel erhöht werden kann. Das Auftreten von Vakuolen aber in verletzten Zellen ist gleichfalls keine seltene Erscheinung, zumal bei Anwendung von Zusatzflüssigkeiten, welche auch von Fisch benützt wurden (Kochsalzlösung). Was schließlich die von letzterem angegebene Teilung anlangt, so sind nicht nur bei verletzten Flimmerepithelien öfter Teilungszuständen ähnliche Zelltrümmer zu beobachten, sondern es können sich dieselben gelegentlich auch durch- schnüren. — Ich hätte nun nicht gewagt, der Ansicht Grassi’s und Fisch’s über die Tiernatur der fraglichen Körper entgegenzutreten — zumal letzterem eine Ungenauigkeit in der Beobachtung zu insinuieren, wenn ich nicht noch andere Gründe für meine Anschauung beizubringen im stande wäre. Dieselben sind folgende: Wenn man mit einem Skalpell oder Spatel die Oesophagus- Schleimhaut eines Frosches abschabt und die dadurch erhaltenen Epithelteile durch Zerreißen, Zerzupfen ete. weiter „präpariert“, so kann man sich leicht davon überzeugen, dass man auch auf diese Weise Körper erhält, welche den im Magen aufgefundenen gleichen. Dass man es nicht mit selbständigen Tieren zu thun hat, ist dann mit ziemlicher Sicherheit daraus zu entnehmen, dass man alle mög- lichen Uebergänge von ganzen Epithelfetzen und isolierten Epithel- zellen zu kleinen Trümmern vor sich hat, und dass man in günstigen Fällen solche finden kann, welche mit ihrer ursprünglichen Zelle noch zusammenhängen. Weiterhin aber stelle man dasselbe Experiment mit dem Herz- beutel und alsdann mit den Lungen an: in beiden Fällen kommt man zu gleichen Resultaten; nur gelingt es nicht so sicher und so oft Stückchen von Zellen zu erhalten, weil die Zellen etwas kleiner sind als im Oesophagus. Hat man nun vorher bei den Präparaten aus dem Oesophagus die Länge der Flimmerzelleneilien mit denen der sogenannten „Grassia“ verglichen, so wird man sich überzeugt haben, dass dieselbe vollkommen identisch ist; nimmt man aber auch hier Messungen vor, so ergibt sich zwar abermals, dass die Cilien des Flimmerepithels im Herzbeutel, bzw. in den Lungen, mit denen der an derselben Stelle gefundenen Grassia- Exemplare gleich lang sind, dass sie aber alle beide kleiner sind als die aus dem Oeso- phagus stammenden Elemente; insbesondere deutlich wird der Unter- schied, wenn man die aus der Lunge entnommenen „Organismen“ und Flimmerepithelien mit denen des Oesophagus vergleicht, dessen Cilien beinahe doppelt so lang sind als die der Lungen! nicht eine zu feste Beschaffenheit besitzen. (Vergl. Gruber, Ber. d. Naturf. Ges. zu Freiburg i./B., Bd. I, 1886, sowie Baltiani, Rec. Zool. suisse, 1888.) Simroth, Ueber Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meereschnecken. 287 Es ist wohl nicht allzu kühn, wenn man aus diesen auffallenden Beziehungen zwischen der Cilienlänge bei Flimmerzellen und bei Grassia ranarum, und ferner aus den erst angeführten, bei entsprechen- den Manipulationen leicht zu erhaltenden Uebergängen zwischen Zellen und Zelltrümmern den Schluss zieht, den ich eingangs schon erwähnte: dass nämlich die als Grassia ranarum beschriebenen Organismen nichts anderes als Trümmer von Flimmerepithelzellen darstellen! Das Vorkommen derselben im Blute hat schon Seligo mit dem Hinweis auf die Bewimperung des Perikardiums zu erklären versucht, und ieh bin gleichfalls der Ansicht, dass dieser Fund auf Verletzung des Perikardiums oder irgend eines andern flimmernden Organs an dem bei Grassi zur Verwendung gelangten Frosche beruhen möchte. Zum Schlusse möchte ich noch darauf hinweisen, dass schon öfter Trümmer von Flimmerepithelien zur Aufstellung besonderer Tierformen Veranlassung gegeben haben. Indem ich dabei ältere derartige Irrtümer, wie z. B. OÖ. Fr. Müller’s und C. E. v. Bär's (bei Muscheln) übergehe, möchte ich nur an den zuerst von Salis- bury!) als Asthmator ceiliaris beschriebenen Organismus erinnern, der später von Leidy auf abgelöste Flimmerepithelzellen zurück- geführt wurde. Bemerkung zu Herrn Semon’s Aufsatz über die Ausscheidung freier Schwefelsäure bei Meeresschnecken. Von Dr. H. Simroth in Leipzig. Die sehr sympathische Arbeit, die nach des Verfassers Ausspruch noch genauere chemische Untersuchungen erfordert, zu welchen sie anregen will, mag noch durch einen kurzen Hinweis ergänzt werden. Auch ich hatte von der Beobachtung des Herrn Salvatore Lo Bianco gehört und die Bedeutung der Schwefelsäure so aufgefasst wie Herr Semon, zugleich auch sie im letzten Winter im Kolleg vorgebracht. Letzterer verwirft jedenfalls mit Recht die Auffassung, als könne der Zweck der Säure Bohren in Kalksteinen sein. Nichts- destoweniger will mir scheinen, dass sie zwar nicht Felsen anbohren hilft, wohl aber Muschelschalen zum Zwecke des Aussaugens der Weichteile. Auf den Azoren kam sehr häufig Venus cassina mit kreis- runden Löchern, außen etwas weiter als innen, vor; nach der Häufig- keit des Zusammenlebens war wohl Purpura haemastoma der Misse- thäter. Sonst sieht man Donax u. a. mit ähnlichen, äußerst regel- mäßigen Verwundungen. Des Feindes Radula allein mag schwerlich die Arbeit leisten, wohl aber, wenn vorher eine Anätzung durch die Säure stattgefunden hat. Möchten künftige Untersucher auch diesen Fall mit in Rechnung ziehen! 4) Vergl. Bütsehli, Protozoen 8. 1676; die Arbeiten waren mir leider im Original nicht zugänglich. IS, 62. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, Preisausschreiben der Fürstlich Jablonowsküschen Gesellschaft für das Jahr 1892 Seitdem Bergmann und Leuckart zum ersten mal eingehender auf die Bedeutung hingewiesen haben, welche die Gröfsenverhältnisse der Fläche und Masse für das Verständnis der tierischen Organisation und Leistungsfähigkeit besitzen, haben die Besonderheiten des Flächenbaues verschiedentlich bei den Forschern Beachtung gefunden. Nichtsdestoweniger aber fehlt es fast gänzlich an planmäfsig und methodisch ausgeführten Untersuchungen darüber, wie grofs die absolute und relative Ausdehnung der Flächen sind, welche dem Tiere für Aufnahme und Abscheidung zugebote stehen. Die Gesellschaft wünscht deshalb eine auf exaktem Wege (durch Messung und Wägung) gewonnene Dar- stellung des Flächenbaues — wenn auch zunächst nur des Darmes, der Respirationsorgane und der Nieren — bei verschieden grofsen und leistungsfähigen höhern und niedern Tieren. Die Auswahl der Arten bleibt dem Bearbeiter überlassen. Preis 1000 Mark. Die anonym einzureichenden Bewerbungsschriften sind, wo nicht die Gesell- schaft im besondern Falle ausdrücklich den Gebrauch einer andern Sprache ge- stattet, in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache zu ver- Jassen, müssen deutlich geschrieben und paginiert, ferner mit einem Motto versehen und von einem versiegelten Kouvert begleitet sein, das auf der Aufsen- seite das Moito der Arbeit trägt, inwendig den Namen und Wohnort des Ver- Jassers angibt. Die Zeit der Einsendung endet mit dem 30. November des angegebenen Jahres, und die Zusendung ist an den Sekretär der Gesell- schaft (für das Jahr 1889 Prof. Dr. Wilhelm Scheibner, Leipzig, Schletter- stra/se 8) zu richten. Die Resuliate der Prüfung der eingegangenen Schriften werden durch die „Leipziger Zeitung“ im März oder April des folgenden Jahres bekannt gemacht. Die gekrönten Bewerbungsschriften werden Eigentum der Ge- sellschaft. F. Zarncke. W. Scheibner. R. Leuckart. W. Hankel. A. Leskien. W. Roscher, Präses. H. Lipsius. FP. Zirkel. G. Voigt. 62. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Heidelberg 17.—23. September 1889. Im Auftrage der Geschäftsführer der 62. Versammlung deutscher Natur- Jorscher und Aerzte haben wir die Vorbereitungen für die Sitzungen der Abteilung für Physiologie (Abteilung 10) übernommen und beehren uns hiermit die Herren Fachgenossen zur Teilnahme an den Verhandlungen dieser Abteilung ganz ergebenst einzuladen. Gleichzeitig bitten wir, Vorträge und Demonstrationen frühzeitig bei uns anmelden zu wollen. Die Geschäftsführer beabsichtigen Mitte Juli allgemeine Einladungen zu ver- senden und wäre es wünschenswert, schon in diesen Einladungen eine Uebersicht der Abteilungs-Sützungen, wenigstens teilweise, veröffentlichen zu können. Professor W. Kühne Professor A. Ewald Einführender Vorsitzender Schriftführer Heidelberg, Akademiestr afse 3. Neuenheim, Ufersir afse 264. Verlag, von n Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn i in Erlangen. ee nn Bioloeisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 15. Juli 1889. Nr10: Inhalt: Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. — Wasmann, Bedeutung der Palpen bei den Insekten. — Tiebe, Fähigkeit der Insekten, Bewegungen wahrzunehmen. — Zacharias, Fortpflanzung der Rindenläuse. — Mitropha- now, Entwicklung der Nervenendigungen in den quergestreiften Muskeln der Amphibien. Ueber den Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. Von Th. Bokorny. Verbrauch von Wasser und infolge dessen Zufuhr neuer Wasser- mengen findet in Pflanzen fortwährend in sehr mannigfaltiger Weise und an den verschiedensten Orten statt; doch überwiegt bei den meisten Pflanzen eine Art des Wasserverbrauches alle andern in solehem Maße, dass eine gesonderte Betrachtung der hiedurch be- dingten Wasserbewegung nicht bloß zulässig sondern auch geboten erscheint. Es ist das die Transpiration und der Transpirations- strom, welch letzterer schon seit langer Zeit Gegenstand der bota- nischen Forschung ist. Indem die Luft-Pflanzen aus den Blättern (vorwiegend) fast beständig Wasser abdunsten nach Maßgabe der Lufttrockenheit, der von den Blättern gebotenen Oberfläche, Dicke der Cutieula, Menge der Spaltöffnungen, und verschiedener äußerer Um- stände, geht von den Organen der Wasseraufnahme, den Wurzeln, ein Wasserstrom nach diesen Orten des Verbrauches hin, von dessen Mächtigkeit wir ein Bild gewinnen können, wenn wir die verbrauchten Wassermengen berücksichtigen. Nach v. Höhnel gibt 1 Hektar eines 115jährigen Buchenholzwaldes binnen einer Vegetationsperiode 2,4 bis 3,5 Millionen Kilogramm Wasser an die Luft ab; ebenso viel wird natürlich aufgenommen und durchströmt die Buchenstämme in der Riehtung der Wurzel nach den Zweigspitzen, um als Ersatz des ver- dunsteten Wassers zu dienen. Die Bahn dieses aufsteigenden Wasserstromes zu erkennen, haben sich viele Physiologen bemüht zum teil auf dem Wege des Experi- mentes zum teil durch Spekulation. Insbesondere hat v. Sachs viel IX. 19 390 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. zur Klärnng dieser Frage beigetragen durch Argumentation und Ver- suche. Doch ist bis jetzt eine völlig befriedigende Lösung der Auf- gabe noch nieht erbracht; folgende Zeilen sollen einen Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der diesbezüglichen Kenntnisse und Meinungen geben und auch den Standpunkt des Verfassers kenn- zeichnen, sowie er sich durch Studium der Literatur und eigne Ver- suche herausgebildet hat. Es kommt darauf an festzustellen, in welchen Ge- weben der Wurzeln, des Stammes und der Blätter sich das Wasser bewegt. Bezüglich dieser Frage gibt bei Holzpflanzen das alte oft wiederholte Verfahren, durch Wegnahme eines Rindenringes die Kon- tinuität aller das Holz umgebenden Gewebeschichten zu unterbrechen, insofern einige Auskunft, als (da das fehlende oder vertrocknete Mark nicht in betracht kommt) der Erfolg zeigt, dass durch die Operation die Wasserzufuhr zu den stark transpirierenden Blättern nicht wesent- lich beeinträchtigt wird; denn wäre dies der Fall, so müssten die Blätter in kurzer Zeit welken, ja verdorren, was nicht geschieht, wenn der ringförmig entblößte Holzkörper durch eine Ligatur vor dem Austrocknen geschützt wird. Da aber dieser ebenso einfache als schöne Versuch nur bei Pflanzen mit zusammenschließendem Holz- körper anwendbar ist, so können wir auf diese Weise nichts über die Wasserleitung bei Stämmen mit zerstreuten Holzbündeln wie denen der Farne und Monokotylen erfahren. Ueber die Schwierigkeit dieser Sache sagt Sachs in seiner Abhandlung über den aufsteigenden Saft- strom in transpirierenden Pflanzen!): „Zwar liegt der Analogieschluss, dass die Holzfasern überall dieselbe Bedeutung als Wasser leitende Elemente haben, wie bei den Coniferen und Dicotylen, sehr nahe und er wird durch die Wahrnehmung unterstützt, dass Holz im physio- logischen Sinne überhaupt nur in solchen Pflanzeu anzutreffen ist, bei denen durch Transpiration in der Luft eine rasche Wasserzufuhr nötig wird und dass die Holzmasse im allgemeinen mit der Trans- pirationsfläche zunimmt; und wenn derartige Erwägungen auch keinen Zweifel lassen, dass die zerstreuten Holzbündel ebenso wie der kom- pakte Holzkörper den aufsteigenden Wasserstrom leiten, so ist es doch ein gerechtfertigter Wunsch, durch Versuche dies anschaulich zu beweisen. Man hat bis auf die neueste Zeit geglaubt, diesen Be- weis dadurch erbringen zu können, dass man färbende Lösungen von abgeschnittenen Zweigen aufsaugen ließ; indem sich hierbei nur oder vorwiegend die zerstreuten Holzbündel färbten, schloss man, dass diese allein die farbige Flüssigkeit fortleiten und dass sie unter normalen Verhältnissen auch den aufsteigenden Wasserstrom führen. Der so geführte Beweis für diesen aus andern Gründen richtigen 1) Arbeiten des botan. Instituts zu Würzburg, Bd. I, S. 149. Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. 391 Schluss ist jedoch durchaus zu verwerfen. Die Färbung der Holz- bündel beweist eben nur, dass sie sich färben, d. h. den ihnen dar- gebotenen Farbstoff festhalten, aufspeichern; die Nichtfärbung der übrigen Gewebeschichten beweist ebenso nur, dass sie den Farbstoff nicht festhalten, nicht färbungsfähig sind; ob die färbende Flüssigkeit oder nur das Lösungswasser in alle Gewebeschichten eindringt, wird durch das genannte Versuchsergebnis nicht bewiesen, wie schon die tägliche Erfahrung bei mikrochemischen Reaktionen hinlänglich zeigt. Jeder Mikroskopiker weiß, dass ein Quer- oder Längsschnitt durch die verschiedenen Gewebeformen eines Stengels u. s. w., mit färben- den Lösungen behandelt, sich keineswegs in seiner ganzen Ausdeh- nung gleichförmig färbt; dass vielmehr nur gewisse Gewebeformen (besonders das Holz) die Färbung annehmen, während die andern farblos bleiben, obgleich in diesem Falle ja sämtliche Zellen des mikroskopischen Schnittes mit der färbenden Lösung in innigste Be- rührung kommen. Um nur ein Beispiel zu nennen, färbt das schwefel- saure Anilin auf einem mikroskopischen Schnitt nur die verholzten Zellen gelb, gleichgiltig ob sie dem Holz oder einem andern Gewebe angehören; alle nicht verholzten Zellen bleiben ungefärbt und ähnlich verhalten sich viele Farbstofflösungen. — Lässt man nun derartige Lösungen durch den Querschnitt eines transpirierenden Zweiges auf- saugen, so werden eben auch in diesem nur die färbungsfähigen Zellen sich färben, die nicht färbungsfähigen farblos bleiben, und es wird durchaus ungewiss bleiben, ob sich die Flüssigkeit nicht auch in diesen bewegt habe. Dass dies aber wirklich der Fall sein kann, habe ich bereits in meiner Mitteilung über die Porosität des Holzes grade für das schwefelsaure Anilin bewiesen. Stellt man einen Zweig von Annona ovata in eine Lösung dieses Salzes, so findet man nach einigen Tagen das Holz bis zur beträchtlichen Höhe hinauf intensiv gelb, das parenchymatöse Gewebe der Rinde und des Markes farblos. Mitten in dem farblosen Mark liegen jedoch vereinzelte Steinzellen, welche ebenfalls intensiv gelb gefärbt sind. Da diese das färbende Salz nur durch Vermittlung der umliegenden farblosen Markzellen erhalten können, so folgt, dass auch in diesen letztern sich das schwefelsaure Anilin bewegt hat. In diesem Falle ist es zudem un- gewiss, ob das Salz von unten her im Mark aufgestiegen ist, oder ob es im Holz aufsteigend von diesem aus quer in das Mark eindringt. Dass die im Holz aufsteigende Salzlösung quer hinüber in die Rinde geleitet wird, nicht in dieser aufzusteigen braucht, zeigt aber folgen- der Versuch. Von einer lebenden Tanne (Adies pectinata) wurde der Stammgipfel abgeschnitten. Einige Zentimeter oberhalb des Schnittes wurde ein ungefähr 1 cm breiter Rindenring weggenommen, und das entblößte Holz mit Stanniol dieht umwickelt. Der untere Schnitt blieb (im Winter) einige Tage in einer Lösung von schwefelsaurem Anilin, während die zahlreichen Blätter transpirierten. Als darauf der Stamm 192 292 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. gespalten wurde, war das Holz bis zu 30 em Höhe über der Ring- wunde gelb gefärbt. Die in der Rinde der Tanne bekanntlich liegen- den diekwandigen verzweigten Spikularzellen waren aber ebenfalls intensiv gelb geworden, obgleich sie durch mehrere Schichten farb- losen Gewebes vom Holz getrennt waren. Diese farblosen Zellen hatten also, ohne sich zu färben, das Salz aus dem Holz quer durch den Bast zu den Spikularzellen hinübergeleitet. Genau dasselbe Re- sultat erhält man bei Aesten von Populus dilatata, wo in der äußern Rinde eine Schicht sogenannter Steinzellen liegt, welche sich durch das im Holz aufsteigende Anilinsalz gelb färben. Demnach kann aus der Färbung auf den von der Flüssigkeit verfolgten Weg nicht ohne weiteres geschlossen werden; hätte die Anona im Mark, die Tanne und Pappel in der Rinde nicht Zellen, welche sich ähnlich wie das Holz färben, so hätte man glauben können, das schwefsaure Anilin habe sich ausschließlich im Holz und gar nicht im Parenchym bewegt. Durch diese Angaben soll nun keineswegs etwa behauptet werden, dass die Rinde und das Mark betreffs der Wasserleitung in trans- pirierenden Pflanzen dieselbe Rolle spielen wie das Holz; das wäre durchaus irrig; aber sie beweisen, dass es ganz unzulässig ist, aus der Färbung gewisser Gewebeschichten zu folgern, dass nur diese allein bei der Fortleitung der färbenden Lösung beteiligt sind. Wenn es also darauf ankommt, zu beweisen, dass die zerstreuten Holzbündel der Farne und Monokotylen den aufsteigenden Wasserstrom ebenso wie das kompakte Holz der Coniferen und Dikotylen leiten, so wird man sich nach andern Beweismitteln umsehen müssen; färbende Flüssig- keiten sind dazu unbrauchbar“. Wenn wir uns also nach Versuchsmethoden umsehen wollen, welche geeignet sind die vorliegende Frage zu entscheiden, so finden wir eine solche vor in der erwähnten Wegnahme eines Rindenringes bei Holzpflanzen, wodurch die Leitung in der Rinde unterbrochen wird und doch keine merkliche Störung der Wasserzufuhr eintritt. Diese Methode leidet aber daran, dass sie nicht allgemein anwendbar ist; ferner, möchte ich noch hinzufügen, gibt sie uns keinen Aufschluss darüber, in welchen Teilen des Holzes die Leitung stattfindet, ob im ganzen Holz oder in gewissen Zonen desselben; endlich beweist sie nicht mit voller Sicherheit, dass zur Wasserleitung nur das Holz diene, da ja möglicherweise der Holzkörper als alleiniger Wasserweg nötigenfalls wohl ausreichen aber an der unverletzten Pflanze doch durch Gewebe der Rinde in Ausübung jener Funktion unterstützt werden könnte. Dass wir Grund haben, für einzelne Fälle letzteres anzunehmen, wird später gezeigt werden. Hinsichtlich der Frage, ob bei Holzpflanzen der ganze Holz- körper der Wasserleitung diene, ist eine gewisse Entscheidung schon getroffen worden durch Untersuchungen R. Hartig’s und später A. Wieler’s. Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. 295 R. Hartig leitet!) aus analytischen Daten und aus Einsägungs- versuchen den Schluss ab, dass die Wasserleitung hauptsächlich im jüngern Splint vor sich gehe. Die Analyse gibt nach ihm indirekte Anhaltspunkte zur Beurteilung dieser Frage in der Größe und dem Wechsel des Wassergehaltes der einzelnen Holzteile. „Da ist zunächst interessant, dass bei der Birke die innern ältern Holzlagen sehr wasserreich, ja zu verschiedenen Jahreszeiten wasserreicher sind, als die jüngern äußern Holzschichten. Der ältere Holzkörper zeigt das ganze Jahr hindurch fast denselben Wasserreichtum, und nur zur Zeit der größten Wasserarmut, im Oktober, ist derselbe auffällig trockner. Die größte Veränderung des Wasserstandes zeigt dagegen der (jüngere) Splint, in welchem z. B. im Mai ca. 70°/, des Zelllumens, im Oktober nur 35°/, mit Wasser erfüllt ist. Wahrscheinlich erfolgt also auch im jüngern Splint der Birke die lebhaftere Strömung, wäh- rend der ältere Splint mehr ein Wasserreservoir für Zeiten der Not ist, ohne seine Wasserleitungsfähigkeit ganz verloren zu haben“. Einsägungsversuche ergaben, dass die Fähigkeit der Wasserleitung in solehem Notfalle (bei Unterbrechung der Leitung in den äußern Holzteilen) den innern Splintschichten der Birke, Buche und auch der Eiche nicht verloren gegangen ist, während der braune Kern der Eiche trotz seines sehr hohen Wassergehaltes ebenso wie die innern wasserarmen Holzteile der Fichte, Kiefer, Lärche und Tanne, sich auch an eingesägten Bäumen nicht mehr an der Wasserleitung zu be- teiligen vermögen“. A. Wieler kam 1888 durch Einpressen von Farbstofflösungen in abgeschnittene Zweige zum Schluss, dass „nur eine beschränkte Zahl Ringe an der Leitung beteiligt ist, und dass die Anteilnahme an der Leitung zentripetal abnimmt“?). Als z. B. bei einem Queck- silberdruck von 140 em Fuchsinlösung durch einen 6jährigen Zweig von Juglans ceinerea gepresst wurde, zeigte sich nach 4stündiger Ver- suchsdauer an einer 12 cm über der Schnittfläche ‘gelegenen Stelle nur der fünfte und sechste Ring gefärbt. Wieler fasst seine Resultate mit den Worten zusammen: „Sieht man vorläufig ab von der später zu erklärenden Thatsache, dass bei allen aufgeführten Versuchen mit Laubhölzern das Herbstholz des jüngsten Jahresringes schon sehr frühzeitig ungefärbt ist oder schwächer gefärbt erscheint als das übrige leitende Gewebe, so lässt sich bei allen Species (10 Species wurden untersucht, Verf.) vielleicht mit Ausnahme von Aesculus hippo- castanum feststellen, dass nur ein Teil des Spintholzes der Zweige leitet, und dass dieser Teil in verschiedenem Grade an der Leitung beteiligt ist, indem der letzte Jahresring den lebhaftesten Anteil an 1) Untersuchungen aus dem forstbot. Institut zu München II und Berichte der deutschen bot. Gesellschaft, 1889, Heft 2, S. 90. 2) Pringsheim’s Jahrbücher 1883 und Berichte der deutschen bot. Ges., VI, Heft 10. 294 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. derselben nimmt“. Einigermaßen zweifelhaft erscheint freilich, wie Wieler auch selbst erwähnt, die Anwendbarkeit dieser so gewon- nenen Resultate auf den Wasserleitungsvorgang in der lebenden Pflanze, da ja doch sehr ungewiss ist, ob das Wasser dort auch durch Druck emporgetrieben wird und nicht durch andere Kräfte, was Wieler freilich als feststehend anzunehmen scheint. Sollte die trei- bende Kraft, wie Sachs annimmt, das Imbibitionsvermögen der Zell- wände sein, so könnten die Wasserwege in lebenden unverletzten Bäumen möglicherweise andere sein, als sie Wieler in seinen Ver- suchen gefunden hat. Ferner ist bedauerlich, dass Wieler trotz der Sachs’schen Warnung wiederum zu Farbstoffen gegriffen hat, die ja |wenn man nicht sehr konzentrierte Lösungen anwendet!)| unter dem Mikroskop an Schnitten erst wahrnehmbar werden, nachdem sie von gewissen Gewebeteilen aufgespeichert worden sind, so dass das Ver- mögen Farbstoffe zu speichern für den Ausfall der Versuche mehr maßgebend ist als das Vermögen Wasser zu leiten. Wenn man aller- dings mit Wieler annimmt, dass das Speicherungsvermögen im ganzen Holzkörper das gleiche sei, fällt letzteres Bedenken weg. Um dem Einwand zu begegnen, dass seine Wasserleitungsversuche unter unnatürlichen Bedingungen angestellt seien, zu begegnen, ließ Wieler auch von transpirierenden abgeschnittenen Zweigen Methylenblau- lösung aufsaugen und erhielt hiebei ähnliche Resultate wie früher, wobei freilich wieder der Gedanke möglich ist, dass Wieler die am meisten färbungsfähigen Gewebeelemente gesehen hat, nicht die wasser- leitenden. Aehnliche Versuche, Farbstofflösungen durch Zweigstücke hin- durehzupressen und dadurch etwas über den natürlichen Wasserweg in Holzpflanzen zu erfahren, hat übrigens Fredr. Elfving schon 1882 angestellt?). „Ein 2 em langes Zweigstück (von Taxus baccata \.) wurde an einem Kautschukschlauch befestigt, in diesen etwas Eosin- lösung eingegossen und dann die Luft in dem Rohre einfach durch Blasen mit den Backen zusammengepresst. Bei diesem schwachen Drucke trat die Eosinlösung schon nach einer halben Minute an der freien Schnittfläche hervor und zwar nur im Splinte. Die ältern Holz- teile leiteten die Flüssigkeit nicht, was sich beim Längsspalten des Stückes sehr deutlich zeigte; der schön rote Splint war scharf gegen das ungefärbte Kernholz abgegrenzt“. Selbstverständlich können hier dieselben Bedenken gehegt werden wie bei den Wieler’schen Ver- suchen. Ob bei Holzpflanzen auch die Rinde an der Leitung beteiligt ist, kann nach den erwähnten Experimenten, wohl nicht durchaus negativ entschieden werden, wie bisher geschehen ist. Denn es ist sehr wohl möglich, dass letztere unter natürlichen Umständen mehr oder weniger 1) Wieler gibt leider die Konzentration seiner Lösungen nicht an. 2) Bot. Zeitung, 1882, 5. 708—723. Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. 995 beim Wassertransport mithilft, wenn auch die Versuche lehren, dass diese Unterstützung nicht durchaus nötig sei. Mir scheint sogar ein Ergebnis meiner Versuche direkt darauf hinzuweisen, dass bei ein- zelnen Holzgewächsen der Wasserstrom sich zum teil auch in der Rinde bewegt. Doch zuvor eine Darlegung der von mir angewandten Methode. Ich benütze zum Nachweis des Wasserstromes in den Pflanzen die vielfach gebrauchte Methode, eine wässerige Lösung gewisser Stoffe von der transpirierenden Pflanze aufsaugen zu lassen; der bei- gemischte wasserlösliche Stoff muss die dreifache Eigenschaft haben: 1) an keiner Stelle in der Pflanze festgehalten zu werden, 2) die lebenden Zellen nicht zu schädigen und 3) leicht in loco nachweisbar zu sein durch eine einfache mikrochemische Reaktion. Als Stoff von dieser Qualität betrachte ich den Eisenvitriol. Wenn die Versuche in dieser Weise ausgeführt würden unter thunlichster Einhaltung natür- licher Verhältnisse, dachte ich, könnte die Frage des Ortes der Wasser- leitung ihrer Lösung näher gerückt werden, auch bei Pflanzen ohne geschlossenen Holzkörper, überhaupt bei jeder beliebigen Anordnung der Gewebe. Dass der Eisenvitriol irgendwo in der Pflanze chemisch fest- gehalten wird, ist von vornherein nicht anzunehmen, da Stoffe, welche denselben binden könnten, nicht bekannt sind in Pflanzen. Freilich, wenn derselbe durch längeres Stehen der Lösung an der Luft oxy- diert ist, dann wird er durch den in den meisten Pflanzen vorhandenen Gerbstoff chemisch gebunden, so dass aus der Verteilung des Eisens in den Pflanzengeweben nach dem Aufsaugungsversuch nichts ge- schlossen werden könnte. Wir würden in solchem Falle nur die Orte des Eisenvitriol-Verbrauches kennen lernen, nicht die Wege des eisen- haltigen Wassers. Um richtige Resultate zu bekommen, muss man also die Lösung vor Oxydation schützen; doch braucht man dabei nicht so ängstlich zu sein, jede Spur Oxyd ausschließen zu wollen, da ja die etwaige Absorption dieses geringen Bruchteiles des auf- genommenen Eisens den Versuch nicht beeinträchtigt; der große Ueber- schuss von Oxydulsalz wird ungebunden bleiben und mit dem Wasser wandern. Dass eine Einlagerung des Eisenvitriols in die Membranen nach Art der Farbstoffe erfolge, ist auch nicht zu befürchten, da direkte Versuche hierüber, nach der Methode von Sachs!) ausgeführt, ein negatives Resultat ergeben. Wenn man einen Streifen gewöhn- lichen Filtrierpapieres mit einer Teilung versieht und dann (unten beschwert) in einen Glaszylinder einhängt, so dass das untere Ende in die am Boden befindliche Eisenvitriollösung (ich nahm 1prozentige) hängt, so steigt die Lösung durch Kapillarität in dem Filtrierpapier auf und imbibiert die Fasern, aus denen dasselbe besteht. Farbstoff- lösungen nun, die man auf diese Weise aufsaugen lässt, werden hiebei 1) Arbeiten des bot. Instituts zu Würzburg, 1882, S. 160 fg. 296 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. zerlegt, indem der Farbstoff in den untern Teilen des Papiers ab- sorbiert wird und das pure Wasser allein weiter empor wandert. Bei Eisenvitriol fand ich nur ein geringes Zurückbleiben des Eisensalzes hinter dem Wasser; von 13cm des benetzten Filtrierpapierabschnittes waren 12 eisenhaltig, der oberste, dreizehnte frei hievon. Zum Nach- weis des Eisens bediente ich mich hier wie bei den Experimenten mit lebenden Pflanzen des Ferrieyankaliums, welches mit Eisenvitriol noch bei großer Verdünnung eine makroskopisch und mikroskopisch wahrnehmbare Reaktion gibt; 1 pro mille Lösung von Eisenvitriol gibt damit flockigen tiefblauen Niederschlag, 1: 10000 intensive blaue Färbung, die auch unter dem Mikroskop bei 400facher Vergrößerung deutlich gesehen wird. Ferrocyankalium'!), mit dem ich eben- falls einen derartigen Versuch machte, zeigte keinerlei Zurückbleiben hinter dem Wasser, wäre also in dieser Beziehung noch günstiger, wenn nicht eine chemische Absorption derselben zu befürchten wäre; er wird von Eiweißstoffen bei Gegenwart von Säuren gebunden, und ist sogar als mikrochemisches Reagens auf Eiweißstoffe zuerst von Th. Hartig, später von E. Zacharias verwendet worden). Das Leben der Zellen wird durch Eisenvitriol nicht geschädigt, wenn er in geringer Konzentration angewandt wird; er gehört zu den nicht-giftigen Metallsalzen, wie ich aus meinen Versuchen ersah. Wenn man die wässerige Lösung in der Weise anfertigt, dass man 1 pro mille des krystallisierten Salzes in Wasser auflöst, was bei der Zu- sammensetzung dieses Salzes: feSO, + 7 aq (152 Gew. feSO, und 126 Gew. aq), nahezu !/, pro mille feSO, entspricht, so kann man damit operieren, ohne die Pflanzen irgendwie zu schädigen, wenigstens nicht bei kürzerer Versuchsdauer. Die angewandten Pflanzen oder Pflanzenteile bleiben hierbei turgeszent ; die Zellen, deren Membranen das Salz reichlich aufgenommen haben, zeigten sich bei verschiedenen Versuchen noch fähig zur Plasmolyse; die Farbe grüner Pflanzenteile blieb unverändert. Da die beiden eben genannten Bedingungen, nicht absorbiert werden und Unschädlichkeit, von dem von Sachs bei seinen Ver- suchen über die Steighöhe des Saftes angewandten salpetersauren Lithium in vollkommenster Weise erfüllt werden, so hätte ich ein- fach zu diesem Salze greifen können, wenn ich nieht unüberwindliche Schwierigkeiten rücksichtlich der dritten gestellten Bedingung vor- gefunden hätte, nämlich hinsichtlich des mikrochemischen Nachweises von Lithium in loco. Das Lithium in irgend einer Region der Versuchspflanze überhaupt nachzuweisen, ist bekanntlich nicht schwer; die spektralanalytische Methode gibt uns dazu schärfste 1) Dasselbe ist bekanntlich ebenfalls durch intensive blaue Fällung nach- zuweisen, wenn man ihm Eisenoxydsalz (etwa Eisenchlorid) zusetzt. 2) Siehe hierüber auch O. Loew über den mikrochemischen Nachweis von Eiweißstoffen. Bot. Zeitung, 1884, Nr. 16. Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. 297 Mittel an die Hand. Wenn es sich aber darum handelt, das Lithium in bestimmten vielleicht eng begrenzten Gewebestücken oder gar ein- zelnen Zellbestandteilen aufzufinden, genügt jene Methode trotz ihrer Empfindlichkeit nicht, da es nicht möglich ist, genau die Gewebe- bestandteile zur spektralanalytischen Untersuchung zu bringen, welche daraufhin geprüft werden sollen. Wir können nicht die 1 bis mehrern Collenehymschichten einer Pflanze herauspräparieren, ohne andere Gewebebestandteile mitzunehmen; es ist nicht möglich, von 3 Lamellen einer Zellhaut die eine wegzunehmen und zur Untersuchung zu bringen, die andere bei Seite zu lassen ete. Der Eisenvitriol erlaubt einen leichten Nachweis in loco durch die höchst empfindliche Reaktion, die er mit Ferrieyankalium gibt in Form einer intensiv blauen Färbung (Fällung). Um denselben in den Geweben nachzuweisen, braucht man nur Schnitte durch die Pflanzen- teile mit Ferrieyankalium!) (ich nahm gewöhnlich 1:10) zu betupfen; ein etwaiger Eisengehalt zeigt sich gewöhnlich durch scharf abge- grenzte Blaufärbung oder Blaugrünfärbung an. Um sich vorläufig zu orientieren und zugleich einen hübschen Vorlesungsversuch kennen zu lernen, braucht man nur ein (unter Wasser) abgeschnittenes Blatt von Rheum mit der Schnittfläche in die Lösung zu stellen und nach einiger Zeit lebhafter Transpiration (man nimmt am besten Jüngere nicht stark kutikularisierte Blätter) den Blattstiel 1 cm, 2 cm, 3 cm, 5 em, 10 cm... über der Schnittfläche zu durchschneiden; die neue Schnittfläche zeigt, mit Ferrieyankalium betupft, sofort scharf be- grenzte runde über den Querschnitt fast gleichmäßig verteilte blaue Stellen, welche den zerstreut liegenden Gefäßbündeln entsprechen. Die mikroskopische Untersuchung wird das weitere ergeben. Wenn man denselben Versuch mit einem abgeschnittenen beblätterten Ahorn- zweig macht, kann man hiemit auch die betreffenden Verhältnisse holziger Zweige einer vorläufigen Prüfung unterziehen. Doch möchte ich hiemit weder behaupten, dass es das ganz richtige sei, mit ab- geschnittenen Pflanzenteilen zu operieren, noch dass ich es ausschließ- lich so gemacht habe. Von früher (durch andere) zur Anwendung gekommenen Methoden schien mir keine den 3 gestellten Anforderungen zu entsprechen; die angewandten Lösungen waren entweder giftig oder (durch Absorption) zerlegbar, mitunter auch beides zugleich. Am ähnlichsten mit meinen Versuchen scheint noch das Experiment von Th. Hartig?) zu sein. Er durchbohrte zur Zeit des Saftsteigens Bäume in gleicher Höhe so, dass die beiden Bohrlöcher sich kreuzten. Nachdem die Oeffnungen bis auf eine geschlossen waren, wurde an diesem ein Gefäß mit holz- saurem Eisen befestigt, so dass diese Lösung in die sternförmige Höhlung des Holzes eindrang und hier imbibiert werden konnte. Die 1) In vielen Fällen ist es gut, dem Reagens eine Spur Salzsäure zuzusetzen. 2) Bot. Zeitung, 1853, S. 313. 298 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. Lösung stieg bis in die äußersten Aeste; nach der Fällung ergab sich, dass die Eisenlösung der Faserrichtung gefolgt war, denn noch in 40 Fuß Höhe war die Figur des schwarzen Sternes, von der Eisen- lösung herrührend, zu erkennen; dazwischen war das Holz gesund und ungefärbt geblieben. Hartig hat also eine Eisensalzlösung von der transpirierenden Pflanze aufsaugen lassen, aber nicht auf dessen Anwesenheit in den Geweben reagiert, sondern es dem Eisensalz überlassen, dass es seinen Weg selbst kennzeichne dureh Schwarz- färbung der Gewebe, welche jedenfalls von dem Gerbstoffgehalt der- selben herrührte. Das angewandte Salz wird ein Oxydsalz gewesen sein, welches mit Gerbstoff ohne weiteres reagiert. Nun ist klar, dass auf solche Weise nur diejenigen Stellen gezeichnet werden, welche von der Lösung berührt sind und gleichzeitig Gerbstoff enthalten; gerbstofffreie Wegstrecken würden, auch wenn sie von der Eisen- lösung passiert würden, nicht gekennzeichnet. Wenn wir somit in der 1°/,, Eisenvitriollösung ein geeignetes Mittel zur Aufsuchung der Wege des Transpirationsstromes erblicken dürfen, so haben wir, dem früher Gesagten gemäß, namentlich die Frage zu lösen, wie das Saftsteigen bei Pflanzen mit zerstreuten Gefäßbündeln stattfindet, und ferner die bis jetzt für Holzpflanzen vorhandenen Angaben zu prüfen. Auch die krautartigen Dikotylen, deren Gefäßbündel zwar im Ring geordnet aber nicht zusammen- schließend sind, bedürfen der Prüfung; kurz alle Pflanzen, bei denen das Ringelungsexperiment nicht anwendbar ist. Sachs glaubt, dass bei denjenigen Pflanzen, welche eines mäch- tigen Holzkörpers (nach Art der Holzpflanzen) entbehren, die Saft- leitung zum teil in den Wandungen der sklerechymatischen Elemente und wohl auch des Collenehyms, wenn ein solches vorhanden, statt- findet. Er sagt von den Monokotylen und Baumfarnen!): „Diese bilden bekanntlich keinen eigentlichen Holzkörper; verholzte Zellen finden sich zwar in den vereinzelt und isoliert verlaufenden Gefäßbündeln innerhalb des Gefäßteiles derselben, allein die Quantität dieses Gefäß- bündelholzes ist so gering, dass es unbegreiflich bleibt, wie durch diese dünnen, verholzten Stränge der mächtigen Blattkrone z.B. einer Dattelpalme ‘das nötige Verdunstungswasser zugeführt werden soll; zudem ist die Verbindung der Gefäßbündel im Palmenstamm der An- nahme ungünstig, dass nur die Gefäßteile der einzelnen Bündel die Wasserleitung besorgen könnten. Die Gefäßbündel der Palmenstämme beginnen unten als haarfeine Stränge, die sich nur mit äußerst schmalem Querschnitt an die ältern in das Blatt ausbiegenden Stränge ansetzen. Die Schwierigkeit scheint aber beseitigt, wenn man gleich- zeitig und vorwiegend die sklerenchymatischen, dieken, verholzten Gefäßbündelscheiden als die wasserleitenden Organe der Palmen, Dracaenen und anderer Monokotylen in Anspruch nimmt. In ihrem 1) Vorlesungen über Pflanzenphysiologie, 1887, S. 207. Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. 299 anatomischen und feinsten Bau, sowie durch ihre Verholzung gleichen diese Sklerenchymstränge ohnehin dem festern eigentlich wasserlei- tenden Teile des echten Holzes, und bei dem beträchtlichen Quer- schnitt derselben ist weit eher zu glauben, dass in ihnen die beträcht- liche Wassermenge, welche in der Blattkrone verdunstet, emporsteigt. Sollte sich diese Annahme, die ich für mehr als wahrscheinlich halte, bestätigen, so wird man auch die sklerenchymatischen Gefäßbündel- scheiden im Stamm und in den Blattstielen der großen Farne in derselben Weise in Anspruch nehmen dürfen“. Es sei gleich erwähnt, dass die Frage, ob sklerenchymatische Elemente leiten, schon experimentell geprüft worden ist. So unter- suchte Elfving!) die Sklerenchymzellen von Zea Mays auf diesen Punkt. Elfving verstopfte die Gefäße eines 3!/, em langen abge- schnittenen Internodiums von Zea Mays, woran der Holzteil der Ge- fäßbündel nur aus Gefäßen und Parenchym besteht, durch Injektion mit rot gefärbter Cacaobutter und schnitt dann eine dünne Schleibe von dem in das Fett getauchten Ende ab, um die oberflächlich an- haftende Injektionsmasse zu entfernen. Die mikroskopische Unter- suchung zeigte, dass weder die parenchymatischen Zellen, noch die Sklerenehymfasern, welche die Gefäßbündelscheide bilden, Fett auf- genommen hatten; die Gefäße waren hingegen vollständig verstopft. Als nun versucht wurde, bei einem Druck von 25 em Quecksilber Wasser durchzupressen, gelang dies nicht, woraus Elfving den Schluss zog, dass „die Sachs’sche Hypothese, wonach die Wasser- leitung bei den Monokotylen von den Sklerenehymsträngen vermittelt wird, durch Thatsachen nicht bestätigt wird“. Hingegen kann aller- dings eingewendet werden, dass die Schnittflächen der Wände doch mit einer dünnen Fettschicht überzogen gewesen sein können, und ferner, dass das Wassersteigen in der lebenden Pflanze vielleicht gar nicht durch Druckkräfte erfolgt. Nachstehend seien einige Versuche beschrieben, welche von Verf. nach der früher angegebenen Methode, Aufsaugen sehr verdünnter (1°/,0) Eisenvitriollösung durch transpirierende Pflanzen, angestellt wurden: Pelargonium zonale. Versuche mit abgeschnittenen Blättern sind zwar nicht in jeder Beziehung beweisend; namentlich kann aus Experimenten mit abge- schnittenen Pflanzenteilen die Steighöhe des Wassers in der unver- letzten Pflanze (d. h. in deren Gefäßteil) nicht sicher erschlossen werden, wie Sachs dargethan hat, weil infolge der Verdünnung der Gefäßluft das Wasser in .die angeschnittenen Gefäße hineinstürzt wie in einen luftverdünnten Raum. Zwar ließe sich das letztere vielleicht einigermaßen dadurch beseitigen, dass man das Abschneiden unter 1) Bot. Zeitung, 1882, S. 720. 300 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. Wasser vornimmt und die Pflanzenteile, ehe man sie in die Lösung bringt, eine Stunde unter Wasser belässt, wie Pfitzer vorschlägt; dabei soll nach letzterem der Minderdruck der Gefäßluft ausgeglichen werden und die Erfüllung der Gefäße mit Wasser sich erhalten, so lange die Pflanzenteile transpirieren. Doch wird dem von Sachs widersprochen, so dass wir am besten thun, uns jeglicher Schlüsse auf die Steighöhe des Wassers bei Versuchen mit abgeschnittenen Pflanzenteilen zu enthalten, soweit das Aufsteigen in dem Gefäßteil beobachtet werden kann. Anders verhält es sich natürlich mit solchen Gewebeelementen, welche nicht Gefäße sind und auch nicht von diesen Wasser, beziehungsweise Lösung bezogen haben können; sollte sich in solchen der dem Wasser beigemischte Stoff nachweisen lassen,. so brauchen wir bezüglich derselben die angeführten Bedenken nicht zu hegen. Der Blattstiel von Pelargonium zonale zeigt im Querschnitt einen Kreis von Gefäßbündeln, welche der Innenseite eines kontinuierlichen Sklerenehymringes anliegen, an Größe sehr verschieden sind und größere von Grundgewebe erfüllte Zwischenräume in tangentialer Rich- tung zwischen sich lassen. Im Zentrum des Blattstieles verläuft ein kräftiger Gefäßbündel mit nach oben liegenden Bastteil, der an Mäch- tigkeit des Bast- und Holzteiles alle andern Blattstielbündel übertrifft. Außerhalb des Sklerenchymringes liegt ein großzelliges Parenchym, welchem sich nach außen Collenechym und dann die Epidermis an- schließt. Am obern Ende des Blattstieles ändern sich die anatomischen Verhältnisse insoferne, als der Sklerenehymring Unterbrechungen zeigt, d. h. nur an der Außenseite der Gefäßbündel entwickelt ist, während die Lücken durch Grundgewebe ausgefüllt sind. Zugleich zeigt der zentrale Gefäßbündel (und zum Teil auch die peripherischen) eine etwas andere Ausbildung der Phloems, indem sich zwischen die sehr kleinen dünnwandigen Bastzellen größere mit eollenehymatisch ver- dickten Wandungen einschieben. Da die Verholzung der Membran nach Sachs in einem nahen Zusammenhang mit der Wasserleitung steht, insofern als das Wasser hauptsächlich in den verholzten Wandungen wandern soll, prüfte ich die Gewebe des Blattstieles auf verholzte Membranen und fand, bei Anwendung des so empfindlichen Niggl’schen Holzstoffreagens Indol (mit Schwefelsäure), dass außer den Holzteilen der Gefäßbündel der Sklerenehymring verholzte Wände besitze. Stellt man unter Wasser abgeschnittene Blätter (das Abschneiden muss unter Wasser, nicht an der Luft geschehen, da sonst die ange- schnittenen Membranen rasch ihre Leitungsfähigkeit einbüßen) von Pelargonium zonale mit dem angeschnittenen Blattstielende in eine wässerige Auflösung von Eisenvitriol 1:500 (etwa 1 em tief), so zeigt sich bei Sonnenschein das Salz schon nach !/, Stunde im ganzen 6-12 cm langen Blattstiel; Querschnitte durch den Stiel in verschie- Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. 501 denen Höhen geben mit Ferrieyankalium Blaufärbung an bestimmten Stellen. Am stärksten tritt letztere an den Wandungen der Epidermis- zellen!) und der zunächst darunter liegenden Collenehymschicht ein, schwächer im Sklerenchymring und den Gefäßbündeln; Mark und Rindenparenehym sind frei davon, wenn man die Querschnitte nicht grade unmittelbar an dem in die Lösung getauchten Ende des Stieles entnimmt, wo der Eisenvitriol in sämtliche Gewebe eingedrungen ist. Hier scheint also, wenn man die stärkere Blaufärbung in der Weise deutet, dass man an diesen Stellen die Eisenvitriollösung als in voller Stärke angelangt, an den schwächer gefärbten diluiert sich denkt, in der Epidermis und der subepidermalen Collenehymschicht ein be- sonders rasches Aufsteigen der Lösung stattzufinden. Dass das Eisen von dem Sklerenchymring oder der Gefäßbündeln her in die Epidermis gelange, ist nieht denkbar, da das zwischen Sklerenehym und Epi- dermis liegende mehrschichtige Rindenparenehym gänzlich eisenfrei ist; anderseits ist ein Aufsteigen in der Epidermis selbst sehr wohl denkbar, da diese eine zusammenhängende ununterbrochene Schicht bildet. Wie unschädlich die Eisenvitriollösung 1:500 für die Epidermis- zellen ist, geht daraus hervor, dass das Plasma derselben normale Plasmolyse ergibt, wenn man starke Salzlösungen darauf einwirken lässt. Wir können also annehmen, dass die Gewebe bei diesem Ver- suche normale Beschaffenheit behalten, was natürlich für die Ueber- tragbarkeit der Resultate auf den natürlichen Vorgang des Saftsteigens von großer Bedeutung ist. Das Aufsteigen des Eisenvitriols in dem Sklerenchymring und den Gefäßbündeln kann ebenfalls durch Ferri- eyankalium dargethan werden. Es macht sich aber in den Gefäß- bündeln auch von selbst kenntlich durch Schwarzfärbung der Blatt- nerven; nach 3 Tagen kann (bei lebhafter Transpiration) die ganze Blattnervatur schwarz erscheinen; mikroskopische Untersuchung lehrt dann, dass die lebenden gerbstoffführenden Zellen der Gefäßbündel wit dem oxydierten Eisenvitriol Gerbstoffreaktion ergeben haben, die Oxydation kann zum Teil außerhalb, zum Teil in den sauerstofi- führenden Zellen stattfinden. — Die Blätter blieben während der Ver- suchszeit frisch; erst nach 5 Tagen trat ein Welken der Blätter unter starker Rotfärbung ein. Ganze Topfpflanzen von P. zonale ließen nach längerem Verweilen in Eisenvitriollösung das Eisen als Bestandteil des ge- samten mächtigen Wurzelsystems erkennen; weiter war die Lösung bei meinem Versuch, der also jedenfalls zu früh unterbrochen wurde, nicht gedrungen. Um die Wurzeln möglichst mit der Eisen- vitriollösung in Berührung zu bringen, wurde die überschüssige Erde sorgfältig abgeschwemmt — mit möglichster Vermeidung jeder Ver- letzung des Wurzelsystems —, dann die Pflanze mit den (noch Erde haltigen) Wurzeln in die Lösung getaucht; ein Begießen des Topfes 4) Die Cuticula bleibt frei. 302 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. mit der Lösung, welches zuerst versucht wurde, führte nicht zum Ziele, wahrscheinlich, weil sich der Eisenvitriol mit den kohlensauren Erden des Bodens zu unlöslichen Verbindungen umsetzte. Sämtliche Wurzeln, dünne und dicke, zeigten dann starken Eisengehalt in dem Holzkörper und dem dünnwandigen Bast. Da einigermaßen stärkere Wurzeln immer mit Periderm (undurchlässigen Korkschichten) umgeben sind, konnte das Eisen nur von den Saugwurzeln her zugeleitet sein, wofür auch der Umstand spricht, dass das Rindengewebe frei von Eisen sich zeigte. Aus dem Versuche mit abgeschnittenen Blättern ersehen wir die interessante Thatsache, dass Epidermis und Collenehym unter Umständen als Wasserleitungsgewebe dienen können. Da die mikroskopische Untersuchung ferner lehrt, dass die Blau- färbung (also der Eisengehalt) ihren Sitz in der Membran hat, können wir in diesem Falle auch annehmen, dass die Lösung in der Membran emporgestiegen ist, was allerdings bei lebenden Zellen von vornherein nicht anders gedacht werden dürfte. Denn, dass dieselbe (oder auch nur das Wasser derselben) von der Zellmembran, in die sie doch jedenfalls zuerst gelangen muss, in das Plasma übertrete, dann wieder in die Zellmembran u. s. w., statt einfach in den Zellhäuten empor- zusteigen, die ja ein zusammenhängendes Gerüst von beträchtlichem Querschnitt darstellen, ist unwahrscheinlich. Zwar wissen wir seit Tang!’s Untersuchungen, dass die Protoplasten im ganzen Pflanzen- körper durch feine Verbindungsstränge zusammenhängen; doch dürften letztere einen zu kleinen Querschnitt haben, um eine so rasche Wan- derung zu gestatten. Das Experiment spricht, wie schon erwähnt, ebenfalls dagegen, indem das Eisen in der Wand seinen Sitz hat. Für jeden Fall müssen wir annehmen, dass eine Wanderung der Lösung in der Membran stattgefunden habe, auch wenn wir noch das aus- schließliche Emporsteigen des Wassers in den Zellhäuten aufgrund des gemachten Experimentes noch nicht zugeben wollten. Da nun die Sachs’sche Imbibitionstheorie eine solche Wan- derung in den Zellwänden fordert, erhält dieselbe hiemit eine direkte experimentelle Stütze, die noch weiter gestärkt wird durch zahlreiche an andern Geweben und Pflanzen von mir gemachte Beobachtungen, welche ebenfalls das Zellhautgerüst als Wasserleitungsbahn dargethan haben, wie später gezeigt werden soll. Lebende Holzzellen, Bastzellen ete. ergeben bei Aufsaugungsversuchen mit Eisenvitriol häufig ausschließ- liche Blaufärbung in der Wand beim Betupfen mit Ferrieyankalium. Für plasmafreie, Luft- und Wasser-erfüllte Zellen, wie die Tracheiden, Tracheen, Holzfasern, von denen das Wassersteigen im Lumen vorwiegend behauptet worden ist, ergeben sich aus den an- geführten Thatsachen wichtige Fingerzeige. Zwischen Verholzung der Wände und Wasserleitungsfähigkeit scheint nach dem Versuch mit Pelargonium zonale und andern Experi- Wasmann, Bedeutung der Palpen bei den Insekten. 305 menten kein direkter Zusammenhang zu bestehen, wie v. Sachs ver- mutet; denn Epidermis- und Collenchym-Wandungen geben keine Verholzungsreaktion und leiten doch. Bezüglich der vielfach erörterten Kräfte, durch die das Wasser in den Pflanzen steigen soll, ist im vorliegenden Falle (Epidermis und Collenchym) selbstverständlich, dass nur die Imbibitionskraft der Zell- wände in betracht kommen kann, welehe auch von Sachs als wich- tigste Ursache des Saftsteigens angesprochen wird. (Schluss folgt.) Zur Bedeutung der Palpen bei den Insekten. Von E. Wasmann N. J. Plateau kam vor einigen Jahren bei seinen Untersuchungen über die Bedeutung der Taster zu dem Sehlusse, dass dieselben für die Nahrungsaufnahme bei den nagenden Insekten unnötig seien!). Dieses auf Beobachtungen und Tasteramputationen an einigen wenigen Coleopterenarten gegründete Urteil kann meines Erachtens die Ansichten früherer Forscher über die funktionelle Bedeutung der Palpen nieht entkräften, obgleich seine Versuche über die Entbehr- lichkeit jener Organe neue interessante Aufschlüsse geben. Da ich seit mehrern Jahren teils mit der vergleichenden Morphologie der Mundteile bei den Insekten, teils mit Beobachtungen über ihre Lebens- weise mich beschäftigt habe, möge es mir erlaubt sein, einige Ergeb- nisse meiner Studien hier mitzuteilen und andere wenigstens anzu- deuten. Durch die vergleichende Morphologie der Mundteile bei den In- sekten wird man zum Sehlusse geführt, dass die Taster nicht funk- tionell bedeutungslos seien, sondern eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben in der selbstständigen Nahrungsaufnahme. Denn bei denjenigen Käfern und Hantflüglern, welche die selbständige Ernährungsweise mehr oder weniger aufgegeben haben und von andern Insekten ge- füttert werden, zeigt sich stets eine entsprechende Reduk- tion der Taster bis zur gänzlichen Verkümmerung der- selben. Die Belege hierfür fanden sich einerseits unter den echter Gästen?) der Ameisen und Termiten und anderseits, bei den sklaven- haltenden Ameisen. 2) Vergl. das Referat von Emery über meine Arbeiten über Ameisen- gäste im IX. Bd., 1. Heft. — In einer demnächst in der Tijdschrift v. Entomol, erscheinenden größern Studie „Vergleichende Studien über Ameisengäste und Termitengäste“* werde ich eine genaue Uebersicht der echten Gäste (ein- schließlich der Exoten) geben und namentlich die biologische Bedentung be- stimmter Organisationseigentümlichkeiten bei Ameisengästen und Termiten- gästen nachweisen. — Auf die Entwicklung des Gastverhältnisses zwischen 904 Wasmann, Bedeutung der Palpen bei den Insekten. Jene Pselaphiden, die nicht oder wenigstens nicht ausschließ- lich bei Ameisen zu wohnen pflegen, haben stark entwickelte, vier- gliederige Kiefertaster. Bei den Pselaphini erreichen sie manchmal fast die Hälfte der gesamten Körperlänge (daher ihr deutscher Name „Tastkäfer“). Dagegen zeigen jene Gattungen, die ihren normalen Wohnort nur in Ameisennestern haben, durchweg kürzere Kiefertaster ; hierher gehören für die europäische Fauna Batrisus, Abatrisops, Cen- trotoma, Chennium. Die letztgenannte Gattung hat bloß noch drei- gliedrige Maxillartaster. Wie in der Bildung der Antennen, die eine keulenförmige, gedrungene Gestalt annehmen, so nähern sich die Chennium auch in der Reduktion der Taster den Clavigeriden und stehen deshalb unter den einheimischen Pselaphiden auf der höchsten Stufe des Gastverhältnisses!). Die Clavigeriden („Keulenkäfer“) zeichnen sich nicht bloß aus durch die Exsudatbüschel, an denen sie von den Ameisen beleckt werden und durch die eigentümliche Fühlerform, die ihnen den Fühler- verkehr mit den Ameisen ermöglicht, sondern auch durch die Ver- kümmerung der Fußwerkzeuge, vorzüglich der Taster. Die Kiefer- taster der Clavigeriden besitzen nur ein einziges, über den Stamm der Unterkiefer kaum vorragendes Glied. Diese Bildung der Mund- teile ist (nach Reitter) das wichtigste systematische Merkmal der Clavigeriden gegenüber den Pselaphiden; es ist auch von großer biologischer Bedeutung. Die Clavigeriden sind nämlich sämtlich echte Gäste, die von den Ameisen gefüttert werden; sie nehmen ferner unter den echten Gästen die höchste Stufe ein, indem sie aus- schließlich auf diese Ernährungsweise angewiesen erscheinen, während andere echte Gäste (z. B. Atemeles und Lomechusa) nebenbei von der Ameisenbrut fressen. Wie in der Blindheit einiger Clavigeridengat- tungen (Olaviger und Aderanes) eine größere Abhängigkeit von ihren Wirten sich bekundet als bei ihren sehenden Verwandten, so ist das biologische Abhängigkeitsverhältnis der ganzen Clavigeridenfamilie in der Reduktion der Mundteile, speziell der Kiefertaster, zum sicht- baren Ausdruck gekommen. Wenn die Taster nicht von Wichtigkeit sind für die selbständige Nahrungsaufnahme, scheint es mir unbe- greiflich, weshalb bei dieser Familie die Kiefertaster verkümmert, bei verwandten selbständig sich ernährenden Pselaphiden dagegen sroß und stark entwickelt sind. Zu demselben Schlusse führt auch eine vergleichende Betrachtung der Mundteile myrmekophiler und termitophyler Staphyliniden. Aus dieser umfangreichen Familie sind bisher als echte Ameisengäste Käfern und Ameisen und der analogen Verhältnisse bei den sklavenhaltenden Ameisen kann ich in vorliegender Arbeit natürlich nicht näher eingehen. In spätern Arbeiten gedenke ich diese schwierigen Probleme eingehend zu unter- suchen. 1) Näheres in den „Vergleichenden Studien“. Wasmann, Bedeutung der Palpen bei den Insekten. 305 nur die Atemeles und Lomechusa, als echte Termitengäste die Carotoca und Spirachtha bekannt. Obgleich dieselben systematisch nicht un- mittelbar untereinander verwandt sind, so stimmen sie doch in den merkwürdigen Anpassungen überein, die sich auf die Symbiose mit ihren Wirten beziehen, in der anormalen Verdickung des Hinterleibes, in der Entwicklung besonderer Sekretionsbüschel oder leistenartiger Vorsprünge oder zylindrischer Anhänge!), besonders aber in der Bil- dung der Unterlippe. Während die Dinarda und Myrmedonia (die nächsten Verwandten der Atemeles und Lomechusa), die Calodera und Tachyusa (die nächsten Verwandten der Carotoca), ferner die Homa- lota (die nächsten Verwandten von Spirachtha) sämtlich eine schmale tiefgespaltene Zunge und lange, stark entwickelte Lippentaster be- sitzen, zeigen jene echten Ameisen- und Terminitengäste eine ab- weichende Form der Unterlippe: die Zunge vergrößert sich nämlich auf kosten der Lippentaster, und zwar in dem- selben Maße als die Selbständigkeit in der Nahrungs- aufnahme abnimmt. Die Atemeles, die neben der Fütterung durch die Ameisen noch ziemlich häufig selbständig fressen, haben schon eine breite ungespaltene Zunge und relativ kurzen Lippentaster als Myrmedonia und Dinanda, welche nie von Ameisen gefüttert werden. Bei den Lomechusa, die häufiger sich füttern lassen als die Atemeles, ist die Zunge verhältnismäßig größer und breiter, die Lippentaster kürzer als bei den Afemeles. Zunge und Lippentaster der termitophilen Carotoca sind mit jener von Lomechusa fast identisch. Bei Spirachtha ist die Zunge so groß und breit, dass sie den vordern Teil der Unter- lippe umschließt; die Lippentaster dagegen sind um so kümmerlicher. Die Lomechusa-Unterlippe, in demselben Sinne weitergebildet, würde zur Unterlippe von Spirachtha führen ?). Bei den myrmekophilen und termitopbilen Staphyliniden steht also die Entwicklung der Lippentaster in gradem Verhältnisse zur Selbständigkeit ihrer Nahrungsaufnahme. Mit der Rückbildung der Lippentaster verbindet sich hier eine Vergrößerung (namentlich Ver- breiterung) der Zunge, weil die Käfer dadurch den ihnen auf der Unterlippe der fütternden Ameise gebotenen Tropfen leichter und rascher auflecken können. Die Ameisen nehmen sämtlich ihre Nah- 1) Graber hat in seinem populärwissenschaftlichen Werke „Die Insekten“, II. Teil, 2 Hefte, S. 303, Fig. 94 einige dieser Hinterleibsanhänge bei Spirachtha inlebende Larven verwandelt. In Wirklichkeit hat Schiödte nur bei Carotoca Melantho, und zwar nur bei anatomischer Untersuchung des Hinterleibes, neben Eiern in verschiedenen Stadien auch Larven gefunden, die jedoch mit den Hinterleibsanhängen von Spirachtha gar keine Aehnlichkeit haben. Vergl. Schiödte, Carotoca och Spirachtha. Kopenhag. 1854. p. 16 und Tab. I Fig. 10, Tab. II Fig. 1 u. 8. 2) Man vergleiche hiezu die Abbildungen in meinen „Beiträgen zur Lebens- weise der Gattungen Atemeles und Lomechusa“ (Haag 1888) S. 58 (302) und in Schiödte’s „Carotoca och Spirachtha* Tab. I Fig. 6, Tab. II Fig. 5. IX, 2) 306 Wasmann, Bedeutung der Palpen bei den Insekten. rung durch Lecken zu sich und haben deshalb durchweg eine große, breit zugerundete Zunge. Man könnte somit die Zungenbildung der genannten echten Gäste unter den Staphyliniden gewissermaßen als eine Annäherung an die Zungenbildung ihrer Wirte bezeichnen. Bei den sklavenhaltenden Ameisen kann es in der Zungen- bildung nicht so klar hervortreten, ob sie von der Fütterung durch ihre Sklaven abhängig sind oder nicht, da sie in beiden Fällen durch Lecken ihre Nahrung aufnehmen. Hier ist die Selbständigkeit oder Unselbständigkeit ihrer Ernährungsweise in der Entwicklung der Taster um so klarer ausgedrückt. Formica sanguinea, die gar nicht abhängig ist von der Fütterung durch ihre Hilfsameisen hat gleich ihren übrigen nicht sklavenhaltenden Verwandten lange, sechsgliedrige Kiefertaster und viergliedrige Lippentaster. Polyergus rufescens, deren gewöhn- liche Ernährungsweise in der Fütterung durch die Sklaven besteht, hat verhältnismäßig dreimal kürzere Taster; die Maxillartaster haben bloß 4, die Labialtaster 2 Glieder. Strongylognathus testaceus, die zwar in anderer Rücksicht von ihren Hilfsameisen noch abhängiger ist als Polyergus, aber häufiger selbständig Nahrung zu sich nimmt, muss dementsprechend besser entwickelte Taster zeigen als jene. In der That haben ihre Palpen dieselbe Gliederzahl wie die Palpen ihrer Hilfsameisen (Tetramorium caespitum, Kiefertaster 4 gliedrig, Lippen- taster 3 gliedrig). Bei Anergates atratulus!), die in totaler und all- seitiger Abhängigkeit von ihren sogenannten Sklaven steht, finden sich nur noch verkümmerte Taster; die Kiefertaster sind zweigliedrig, die Lippentaster eingliedrig. Hiemit wäre aus verschiedenen Insektenordnungen und aus ver- schiedenen Familien innerhalb derselben der Nachweis erbracht, dass die Selbständigkeit der Nahrungsaufnahme in einer ge- setzmäßigen Beziehung steht zur Entwicklung der Taster. Die Reduktion der letztern scheint in einem ähnlichen Verhältnisse zu stehen zur unselbständigen Ernährungsweise wie die Reduktion der Augen zu der lichtfernen Lebensweise der höhlenbewohnenden Insekten und der hypogäen Ameisen. Doch scheint mir das erstere Verhältnis noch inniger und biologisch bedeutungsvoller zu sein. Denn es gibt Ameisenarten, z. B. manche Eeiton (Wanderameisen) die keine lichtferne Lebensweise führen?) und dennoch statt der Netz- augen höchstens einfache, den Ocellen gleichwertige Augen besitzen ?), 1) Da Anergates keine Arbeiterform hat, bezieht sich hier die Taster- bildung auf die Weibchen, nicht auf die Arbeiter wie in obigen Fällen. Dies ändert jedoch nichts an der Sache; denn die Weibchen und Arbeiter stimmen in der Entwicklung der Taster und Zahl der Glieder stets überein. 2) Den Zügen von Eeiton omnivorum und E. coccum in Südbrasilien be- gegnet man nicht selten am hellen Tage. 3) Bei Eeiton Hetschkoi verschwinden sogar die letztern. Wasmann, Bedeutung der Palpen bei den Insekten. 307 aber nagende Insekten!), die trotz der selbständigen Ernährungsweise verkümmerte Taster besitzen, sind mir nicht bekannt. Bei den Cureu- lioniden und Tomieiden ist die Kleinheit der Taster — verkümmert kann man sie hier nieht nennen — dadurch bedingt, dass diese Käfer mit ihrem meist rüsselförmig verlängertem Kopfe in Pflanzenteile sich einbohren; längere Taster wären in diesem Falle unmöglich, weil sie verletzt würden. Deshalb kann ich hierin keine Ausnahme von der obigen Regel erkennen. Welche Funktion die Palpen bei der selbständigen Ernährungs- weise zu erfüllen habeu, lässt sich aus diesen vergleichenden morpho- logischen Studien nur andeutungsweise ermitteln. Wahrscheinlich dienen sie meist vorzugsweise zum Aufsuchen und zur Prüfung der geeigneten Nahrung; denn sie treten bei jenen Insekten zurück, wo diese Funktion durch die Fütterung aus fremdem Munde entbehrlich geworden ist. Es ist zu beachten, dass bei manchen Insekten, die sich dergestalt füttern lassen, nur die Lippentaster sich reduzieren, während die Kiefertaster groß und gut entwickelt bleiben; es sind dies Ameisen- und Termitengäste von halbparasitischer Lebens- weise (Atemeles, Lomechusa ete.). Bei andern erstreckt sich die Re- duktion auch auf die Kiefertaster (Clavigeriden und sklavenhaltende Ameisen). In diesem Falle sind die Kiefertaster manchmal verhältnis- mäßig (d. h. im Vergleich zu den selbständig lebenden Verwandten) auffallender reduziert als die Lippentaster (Clavigeriden!). Da die Verkümmerung beider Tasterpaare erst auf der höchsten Stufe des echten Gastverhältnisses sich findet, bei jenen Gästen, die ausschließ- lich oder fast ausschließlich auf die Fütterung durch ihre Wirte angewiesen sind, so scheint die Reduktion der Taster an den Lippen- tastern zu beginnen, wie wir es bei Atemeles und Lomechusa sehen. Ich komme zum Schlusse noch einmal zurück auf Plateau’s Versuche. Dieselben beweisen zwar, dass einige Coleopteren ohne Taster sich zu ernähren vermögen; aber sie beweisen nicht, dass dieselben Tiere mit den Tastern sich nicht besser zu ernähren ver- mögen als ohne die Taster, und dass die tasterlosen Individuen nicht unterliegen würden in der Konkurrenz mit den übrigen. Da meine eignen Beobachtungen und Versuche über Nahrungs- aufnahme und Tasteramputation bei Coleopteren noch nicht abge- schlossen sind, gebe ich meine bisherigen Resultate hier nur kurz an. Manche Coleopteren gebrauchen bei der Nahrungsaufnahme regel- mäßig ihre Kiefertaster als Finger, um den Bissen leichter in den Mund zu schieben, z. B. Hydrophilus piceus. Andere, z. B. Staphylinus caesareus, berühren wenigstens mit ihren Kiefertastern jeden Bissen bei jeder neuen Bewegung der Kiefer. Einige Coleopteren 4) Ich rechne hiezu (wegen der Bildung der Oberkiefer) auch die Hyme- nopteren. 20 * 08 Wasmann, Bedeutung der Palpen bei den Insekten. können nach Verlust sämtlicher Taster keine Nahrung mehr zu sich nehmen, sondern verhungern (Hydrophylus piceus); andere vermögen zwar noch die Nahrung anfzufinden, fressen aber an derselben merk- lich unbeholfener als früher (Dytiscus marginalis und Cybister virens). Dytiscus marginalis kann auch umgekehrt nach Verlust beider Fühler noch mittels der Taster die Beute auffinden und an derselben wie gewöhnlich fressen; erst wenn man ihm Fühler und Taster amputiert, ist er zum Hungertode verurteilt. Solche Versuche dürften wohl ebensowenig gegen die funktionelle Bedeutung der Taster als gegen jene der Fühler sprechen. Darin stimme ich mit Plateau überein, dass die Taster manchen Coleopteren nicht absolut notwendig zu sein scheinen; durch seine Versuche ist dies zum erstenmal festgestellt worden. Auf die feinern Eigentümlichkeiten der Coleopterentaster, die ich bei einer beträchtlichen Zahl von Arten mikroskopisch untersucht habe !), kann ich hier nicht näher eingehen. Ich bemerke nur, dass die Gruppen zarter kegelförmiger bis stäbehenförmiger Papillen, die an der Tasterspitze, insbesondere an den Lippentastern der Staphy- liniden, vorkommen, wahrscheinlich als Tast- oder Geruchsorgane fungieren. Funktionell bedeutungslos sind sie jedenfalls nicht. Nachtrag. Bei den Arbeiterinnen der hypogäen oder kavernikolen Arten der Ameisengattung Dorylus F. (Typhlopone Westw.) sind (nach Ern. Andre) sämtliche Taster zweigliedrig, während bei den Weib- chen (Dichthadia Gerst.) die Lippentaster eingliedrig sind und die Kiefertaster ganz fehlen. Bei der hypogäen Ponera contracta Latr. sind die Lippen der $ zweigliedrig, die Kiefertaster nur eingliedrig, während bei der nicht hypogäen Pon. punctatissima Rog. auch die Kiefertaster zweigliedrig sind. Leider ist die Ernährungsweise dieser Arten nicht näher bekannt. Da bei den Ameisen die Arbeiterinnen das Aufsuchen der Nahrung besorgen, ist es bemerkenswert, dass die Weibchen jener Dorylus viel stärker reduzierte Taster haben als die Arbeiterinnen. Diese Erscheinungen sprechen jedenfalls nieht gegen meine Ansicht, dass die Entwicklung der Taster in einer gesetzmäßigen Beziehung zur Selbständigkeit der Nahrungsaufnahme stehe. Exaeten bei Roermond (Holland). 1) Bei den Staphyliniden allein über 40 Gattungen. Tiebe, Fähigkeit der Insekten, Bewegungen wahrzunehmen. 309 Plateau’s Versuche über die Fähigkeit der Insekten, Bewegungen wahrzunehmen. Von Gymnasiallehrer Tiebe in Stettin. Forel erzählt in seinem „Beitrag zur Kenntnis der Sinnes- empfindungen der Insekten“ (1878), dass Ameisen, welche ihrer Fühler beraubt, also allein auf den Gebrauch ihrer Augen angewiesen sind, ihr Nest durchaus nicht wiederzufinden vermögen und damit vollständig verloren sind. Dieses mangelhafte Sehvermögen zeigt sich auch bei unverletzten Exemplaren in der mannigfaltigsten Weise: sie sehen Puppen und Larven nicht, welche in ihrem Gesichtskreis liegen, ebensowenig in einer Ameisenschlacht ihre Gegnerin, solange dieselbe unbeweglich ist; sie sind hierbei ganz auf die Empfindung der Antennen angewiesen. Sowie aber die Puppen und Larven be- wegt werden oder die wahrhafte Feindin ihren Platz wechselt, dann wird die Aufmerksamkeit der Tiere erregt, sie vermögen also Be- wegungen deutlich wahrzunehmen, während sie unfähig sind, ruhende Objekte zu erkennen. Schon im Jahre 1875 hat Exner erörtert, wie die halbkugeligen Facettenaugen der Insekten solchen Wahrnehmungen in bewunderns- werter Weise angepasst sind. Ein Objekt, welches sich vor ihnen bewegt, befindet sich zu einer bestimmten Zeit immer nur im Ge- sichtsfeld einer bestimmten Gruppe von Facetten, um bald darnach aus diesem heraus- und in dasjenige einer benachbarten Gruppe ein- zutreten; es werden also die einzelnen Nervenfäden, in welche sich der Sehnerv auflöst, der Reihe nach erregt, und zwar in demselben Sinne, in welchem die Bewegung des Objektes erfolgt. Da die Ver- hältnisse dieselben sind, wenn der Gegenstand ruht, dagegen die Augen sich bewegen, so muss ein Insekt, wenn es fliegt, die Gegen- wart ruhender Körper deutlicher empfinden, als wenn es unbeweg- lich sitzt. Diese Anschauungen, welche wir auch bei Notthaft (1880) und Carriere (1885) !) finden, werden auch durch die jüngst veröffent- lichten experimentellen Untersuchungen Plateau’s ?), welche sich auf alle Ordnungen der Insekten und auf mehr denn 100 Arten erstrecken, bestätigt. Unter allen möglichen Verhältnissen des Naturlebens, in Gärten, auf Wiesen, öffentlichen Promenaden, den Dünen des Meeres u. 8. w., beobachtete Plateau stets, dass die Insekten durch seine Annäherung oder durch die Bewegung seines Armes aus ihrer Ruhe aufgescheucht wurden und flohen; ihr Vertrauen kehrte aber zurück, sowie er unbeweglich stehen blieb, Schmetterlinge, Bienen und Wespen kamen dann sorglos in seine Nähe, Libellen schwirrten mit hörbarem 1) Die Sehorgane der Tiere. München und Leipzig 1885. 2) Recherches experimentales sur la vision chez les arthropodes, bieme partie. Bull. de l’Acad. royale de Belg., 3. ser., tome XVI, Nr. 11; 1888. 310 Tiebe, Fähigkeit der Insekten, Bewegungen wahrzunehmen. Flügelschlag an seinem Ohr vorbei, Fliegen setzten sich dreist auf seine Kleider. Soweit bieten die Beobachtungen nichts, was über die Erfahrung selbst des gewöhnlichen Lebens hinausginge. Neu ist aber die überall durchgeführte sorgfältige Abschätzung der Ent- fernung, in welcher ein sich bewegendes Objekt die Aufmerksamkeit der Insekten zu erregen und die Tiere zu beunruhigen beginnt. Diese Entfernung ist bei den verschiedenen Arten und auch bei verschie- denen Individuen derselben Art eine verschiedene. Während mehrere Laufkäferarten (Carabus nemoralis, C. monilis, ©. auratus), Schwimm- käfer und Ohrwürmer für Bewegungen in ihrer Nähe kaum eine Empfindung haben, werden Sandlaufkäfer (Ciceindela) und Heuschrecken Locusta viridissima) auf 1 bis 1!/, Meter Abstand zur Flucht veranlasst. Hummeln nehmen Bewegungen des menschlichen Körpers oder eines Armes auf 25 bis 40 Centimeter wahr, Bienen auf 40 bis 60, Stuben- fliegen auf 40 bis 70, Schmeißfliegen auf 100 bis 150, Agrion ele- gans auf 50 bis 60, Libellula vulgata auf 150 bis 200, Tagesschmetter- linge meist auf 100 bis 150 Centimeter. Gegenstände von kleineren Dimensionen werden meist in viel schlechterem Maße erkannt, so die Bewegungen eines Fingers von Agrion elegans nur auf 10, höchstens 20 Centimeter Entfernung. Vielfach war die Beleuchtung von wesent- licher Bedeutung: Locusta viridissima reagierte in dem diffusen Lichte eines Zimmers auf Bewegungen kleinerer Objekte in ihrer unmittel- baren Nähe überhaupt nicht; saß sie im Freien auf einem schattigen Platz, so zeigte sie eine gewisse Beunrubigung erst, als die Hand sich bis auf 10 Centimeter genähert hatte, im Sonnenschein dagegen floh sie schon, wenn der Beobachter auf 1 Meter herangekommen war. In allen Fällen mussten die Bewegungen, um wahrgenommen zu werden, ziemlich lebhafte sein. Geschahen dieselben einigermaßen langsam, so ließen sich die Tiere in ihrer Sorglosigkeit nieht stören. Schon Exner hatte darauf hingewiesen, dass man Tagschmetter- linge mit dem Finger berühren könne, wenn man sich nur langsam und behutsam nähere. Plateau hat dies fast ausnahmslos bestätigt gefunden. Mochten Insekten in das Geschäft des Honigsaugens ver- tieft sein oder müssig auf Blättern und Mauern sitzen, immer gelang es, ihren Körper ein oder mehrere Male nach einander zu berühren oder zwischen die Finger zu nehmen, es glückte selbst bei Libellen, die doch nach den Erfahrungen der Insektenjäger äußerst scheu und deswegen äußerst schwer zu fangen sind. Forel geht soweit, diesen Tieren zuzuschreiben, sie vermöchten zu unterscheiden, ob ein sich ihnen nähernder Mensch mit einem Fangnetz ausgerüstet sei oder nicht, und sich im erstern Fall stets in einer solchen Entfernung zu halten, dass ihr Fang schlechterdings unmöglich würde. Im Gegensatz hierzu bezeichnet es Plateau nach vielfachen Erfahrungen als leicht, Libellen mit einem Netz aus weißem Tüll zu fangen. Nähert man sich mit einem solehen langsam, ohne das Schilf oder den Zweig zu Tiebe, Fähigkeit der Insekten, Bewegungen wahrzunehmen. 311 biegen, auf welchem das Tier sitzt, so erhält man dasselbe in seiner sorglosen Ruhe. Wenn es trotzdem auffliegt, so braucht man nur unbeweglich in der jeweiligen Stellung zu verharren; in vielen Fällen kehrt das Insekt nach derselben Stelle zurück und kann nunmehr durch ein einfaches schnelles Zuschlagen gefangen werden. Die Li- bellen meiden das Netz überhaupt nur, solange es bewegt wird. Stellt man sich aber ruhig an das Ufer eines Teiches, so kommen sie vertrauensselig in die Nähe und werden dann durch eine kurze und lebhafte Bewegung des Netzes gefangen. Mit mehreren Arten (Apis mellifica, Bombus hortorum, Calliphora vomitoria, Pieris brassicae und Pieris napi) hat Plateau zahlreiche Versuche auch in einem verdunkelten Zimmer angestellt und ihnen bei denselben die Wahl zwischen einer unbeweglichen und einer be- weglichen Oeffnung in den Fensterläden gelassen‘; die letztere war in eine rotierende Scheibe von 55 Centimeter Durchmesser zwischen Mittelpunkt und Peripherie eingelassen. Die Tiere wurden stets erst an das Halbdunkel des Zimmers gewöhnt und dann an einer Stelle losgelassen, welche von den beiden Oeffnungen gleichweit entfernt war. Eine Bevorzugung irgend einer Oeffnung trat nicht ein, wenn durch beide gleichviel Licht eindrang. War dies hingegen nicht der Fall, so strebten die Tiere immer der größern Helligkeit zu. Gewährte die bewegliche Oeffnung einer größern Lichtmenge Einlass, so suchten sie ihren Flug in auffälliger Weise deren rotierender Bewegung an- zupassen, indem sie ihr in Schraubenlinien zustrebten, sie bewiesen also auch hier das Vermögen, Bewegungen wahrzunehmen. Zugleich bahnen diese Versuche ein Verständnis für die Thatsache an, dass sich die Insekten trotz ihres schlechten Sehvermögens in dem Laub- werk eines Baumes z.B. mit Sicherheit bewegen und aus ihm leicht entkommen; sie streben wohl denjenigen Lücken zwischen den Blättern zu, welche der größten Lichtmenge Durchlass gewähren, und nehmen dieselben noch deutlicher wahr, wenn der Wind die Blätter und da- durch auch ihre Zwischenräme in Bewegung setzt. Hiermit sind die Untersuchungen Plateau’s über das Sehver- mögen der Gliedertiere zu einem vorläufigen Abschluss gelangt. Wir fassen zum Schluss die erlangten Resultate zusammen und bemerken dabei, dass dieselben mit früher oder gleichzeitig von andern Forschern (Exner, Forel, Carriere u. a.) angestellten Beobachtungen im Einklang stehen, wenn auch Abweichungen in Einzelheiten auftreten, wie z. B. ein Vergleich mit einzelnen Stellen des interessanten Buches von Sir John Lubbock „On the Senses, Instinets and Intelligence of Animals“ (1888) lehrt. Die mit einfachen Augen begabten Tausendfüße, Spinnen, Skor- pione und Schmetterlingsraupen unterscheiden hell und dunkel, nehmen auch beleuchtete Flächen von größerer Ausdehnung auf geringe Ent- fernungen wahr. Von eier freilich mehr oder weniger konfusen 312 Zacharias, Fortpflanzung der Rindenläuse. Wahrnehmung von den Grenzen und der Gestalt eines Körpers kann nur bei den Raupen und den Jagdspinnen die Rede sein; die Weite des deutlichen Sehens ist dabei eine äußerst geringe, sie beträgt nur 1 bis 2 Centimeter. Die letztgenannten Tiere und auch die Skorpione nehmen die Gegenwart sich bewegender Objekte besser wahr ‚als diejenige ruhender. In allem übrigen helfen sich sämtliche Arthro- poden, welche einfache Augen besitzen, durch das feine Wahr- nehmungsvermögen ihrer Fühler oder ihrer Beine (wie die Phalan- giden), oder ihrer Scheeren (wie die Skorpionen), oder besonderer Haarbüschel (wie einige Raupenarten). Die Benutzung dieser Organe, sowie die Fähigkeit, sich bewegende Objekte und größere beleuchtete Flächen wahrzunehmen, ermöglicht es den Tieren, ziemlich geschickt zwischen Hindernissen umherzulaufen, Beute zu machen und häufig ein Benehmen zu zeigen, welches einen oberflächlichen Beobachter zu der Meinung verleiten könnte, sie seien mit einem guten Gesicht begabt. Wenn ein Insekt einfache Augen neben den Facettenaugen be- sitzt, so sind die ersteren ohne jede Bedeutung. Den Facettenaugen ist eine genaue Wahrnehmung der Gestalt versagt, dagegen sind sie befähigt, raschere Bewegungen größerer Objekte auf 50, 100, 150, 200 Centimeter je nach der Art des be- treffenden Insektes deutlich zu empfinden. Diese Fähigkeit ermög- licht es den Insekten, im Fluge entgegenstehende Hindernisse zu vermeiden und Beute mit Sicherheit zu ergreifen (Libellen). Beim Umherkriechen dagegen nützen ihnen die Augen so gut wie nichts; nur Hymenoptera und Diptera nehmen das von im Wege stehenden Gegenständen entgegenstrahlende Licht oder die Schatten der Objekte wahr, alle übrigen Insektenordnungen müssen sich leiten lassen allein durch den Spürsinn ihrer für Berührungen und Gerüche äußerst em- pfindlichen Fühler. Wenn man Insekten vollständig blendet, so zeigen dieselben die merkwürdige Erscheinung, in senkrechter Richtung oder in einer bald steileren bald flacheren Schraubenlinie zu einer solchen Höhe zu er- heben, dass sie der Wahrnehmung scharfsichtiger Augen entgehen. Nur geblendete Nachtschmetterlinge machen, wie Plateau im einem Anhang zu seinem letzten Bericht angibt, eine Ausnahme. Zur Fortpflanzung der Rindenläuse. Den frühern Arbeiten von R. Leuckart!) über diesen Gegen- stand sind in neuester Zeit Untersuchungen von F. Blochmann?), 4) Die Fortpflanzung der Rindenläuse. Troschels Archiv für Natur- geschichte 1859. — Ferner: Die Fortpflanzung der Blatt- und Rindenläuse. Mitteil. des landwirtschaftl. Instituts der Universität Leipzig, 1875. 2) Ueber die Geschlechtsgeneration von Chermes abietis L. Eiologisches Centralblatt, 7. Band, S. 417, 1887. Zacharias, Fortpflanzung der Rindenläuse. 3:13 N. Cholodkovsky?°) und L. Dreifus*) gefolgt, welche uns mit höchst interessanten und bisher nur ungenügend erforscht gewesenen Thatsachen näher bekannt machen. Ganz besonders hat es sich Dr. Ludwig Dreyfus in Wies- baden angelegen sein lassen, Licht in die höchst komplizierten Fort- pflanzungsverhältnisse der Rindenläuse zu bringen, und seine darauf bezügliche Monographie (Ueber Phylloxerinen), deren erster Teil jetzt erschienen ist, legt das allergünstigste Zeugnis von dem unermüdlichen Fleiße des Verfassers und in gleicher Weise von dessen vorzüglichem Geschick in der Anstellung schwieriger Beobachtungen ab. Dem zweiten Teile dieser umfangreichen Arbeit — welcher in Vorbereitung ist — wird Dr. Dreyfus mehrere hundert Abbildungen der einzelnen Entwicklungsstadien bei den verschiedenen Species anfügen, wie die- selben durch sorgfältige Züchtungsversuche festgestellt worden sind. Alle diese Abbildungen sind bei gleicher Vergrößerung von dem Uni- versitätszeichner Peters in Göttingen — unter Aufsicht des Herrn Dreyfus — angefertigt. Dieser Teil verspricht also auch im Hin- blick auf die Systematik wertvoll zu werden. Im Eingange zu der in Rede stehenden Arbeit über Phylloxe- rinen motiviert der Verfasser diese von ihm gewählte Bezeichnung für die Familie der Rindenläuse hauptsächlich damit, dass die Reblaus nicht bloß die populärste, sondern auch die wichtigste Vertreterin der ganzen Gruppe sei, und weil der Name Chermesinae, der schließlich auch geeignet gewesen wäre, von dem italienischen Forscher Passerini bereits für eine Unterabteilung der Blattläuse in Anspruch genommen worden sei. Die Phylloxerinen bilden, wie aus einer vergleichenden Betrachtung erhellt, den Uebergang von den Coceinen zu den Aphidinen. Früher wurden sie mit sehr viel Unrecht den letztern zugerechnet. Aber ihr ganzer Habitus und auch ihre Entwicklung sind verschieden, so dass sie bei jeder Charakteristik der Aphidinenfamilie als Aus- nahme genannt werden mussten. Auch sind die Aphidinen vivi-ovipar (insofern sie den ganzen Sommer über parthenogenetisch lebende Junge gebären und nur die eine doppelgeschlechtliche Generation Eier legt), wogegen sich die Reb- und Fichtenläuse ausschließlich durch Eier fortpflanzen, also lediglich ovipar sind. Hierin besteht das durch- greifende Merkmal der Phylloxerinen. Dass sie auch sonst in ihrem Habitus, wie dem plumpen Körper mit rundem Kopfe (den auch die Geflügelten noch besitzen) ihre Verwandtschaft mit den Schildläusen dokumentieren, ist von geringerer Bedeutung. 3) Noch einiges zur Biologie der Gattung Chermes L. und Phylloxera Boyer de Fonsc. Zool. Anzeiger, 12. Jahrg., S. 60, 1889. 4) Ueber neue Beobachtungen bei den Gattungen Chermes und Phylloxera. Tagbuch der 61. Vers. deutsch. Naturforscher und Aerzte. Wissenschaftlicher Teil, Köln 1889, 8. 50 u. fg, — Neue Beobachtungen bei den Gattungen Chermes L. und Phylloxera Boyer de Fonsc. Zool. Anz., 12. Jahrg., 1889. — Ferner: Ueber Phylloxerinen. Wiesbaden 1889. (Inaugural-Dissertation.) 314 Zacharias, Fortpflanzung der Rindenläuse. Wie alle Schnabelkerfe (Rhynchoten), so gehören auch die Phyl- loxerinen zu den Insekten mit unvollständiger Verwandlung, d. h. es finden bei ihnen keine durehgreifenden Verschiedenheiten der ge- samten Organisation in den aufeinander folgenden Lebensperioden statt. Die Tiere häuten sich wohl mehrere mal, aber sie erleiden bei diesem Vorgange nur geringe äußere Veränderungen. Nach Dreyfus’ Forschungen häuten sich alle ungeflügelten Generationen der Phylloxerinen 3 mal und werden dann fortpflanzungs- fähig. Bei den geflügelten aber kommt noch eine weitere (4.) Häutung dazu, bevor das vollkommene Insekt erscheint. Die 3. Häu- tung, welche bei den ungeflügelten Tieren die Eierlegerin bringt, er- gibt hier die „Nymphe“, aus welcher nach abermaliger Abstreifung der Haut das geflügelte Insekt hervorgeht. Unter dem Nymphenstadium ist also die direkt zu den geflügelten Tieren hinführende Vorstufe (bei welcher schon deutliche Flügelscheiden sichtbar sind) zu verstehen. Es ist aber außerordentlich schwierig den ganzen Lebenszyklus für die Phylloxerinen festzustellen. Bei der Gattung Chermes schien es eine Zeit lang so, als ob männliche Tannenläuse überhaupt nicht vorkämen. Man war schon fast überzeugt, dass eine doppelt-geschlech- tige Generation bei diesen Tieren gar nicht existiere. Die temporär für Männchen gehaltenen Individuen erwiesen sich bei näherer ana- tomischer Inspektion stets wieder als Weibchen, so dass der ernst- liche Zweifel an dem Vorhandensein einer sogenannten Geschlechts- Generation vollkommen gerechtfertigt war. Da entdeckte F. Bloch- mann in Heidelberg (1887) die längst gesuchten Männchen bei der Fichtenlaus (Ch. abietis) und konstatierte bei ihnen zwei ansehn- liche Hoden mit reifen Spermatozoen und einen ziemlich langen mit Widerhäkchen besetzten Penis. Blochmann hatte auch wiederholt Gelegenheit, die Copula zwischen den beiden Geschlechtern im Freien zu beobachten. Die befruchteten Weibehen verkriechen sich dann, wodurch der Anschein entsteht, dass es viel mehr Männchen als Weibchen gebe. Nach Blochmann sollte der Entwicklungszyklus (aufgrund der beobachteten Thatsachen) wie folgt vor sich gehen'): 1) Die überwinternde (ungeflügelte) Generation pflanzt sich parthenogenetisch fort. 2) Aus den betreffenden Eiern geht eine geflügelte Generation hervor, die sich auf dieselbe Weise vermehrt. 3) Die so erzeugte Generation besteht aus männlichen und weib- lichen (ungeflügelten) Tieren, aus deren befruchteten Eiern wieder die erste Generation sich entwickelt. Nach Dreyfus, der auf Bloehmann’s Ergebnissen weiter zu fußen versucht hat, verhält es sich jedoch mit der Chermes- Entwick- lung nieht so einfach, als das obige Schema zu erweisen scheint. Der Wiesbadener Forscher macht es nämlich im hoben Grade wahr- 1) Vergl. Biol. Centralblatt, 7. Bd., Nr. 14, 1887. Zacharias, Fortpflanzung der Rindenläuse. 35 scheinlich, dass der Lebenszyklus der Fichtenlaus dadurch viel kom- plizierter sich gestaltet, dass aus Eiern einer und derselben Mutter verschiedene Tiere hervorgehen, welche zu der- selben Zeit einen ganz verschiedenen Entwicklungsgang durehmachen. Auf solehe Weise entstehen dann geteilte oder Parallelreihen, deren Kenntnis unerlässlich für das Verständnis der Lebensgeschichte der bezüglichen Species ist. Der scharfe Blick Leuekart’s traf demnach schon 1875 das Richtige, insofern dieser treffliche Zoolog es in seiner damaligen Publikation als wahrschein- lich bezeichnete, dass es dergleichen Parallelreihen bei Phylloxera geben möge. Durch die Erwägungen von Dreyfus (wie sie haupt- sächlich in Nr. 299 u. 300 des „Zoologischen Anzeigers“ zusammen- gestellt sind) umfasst die Chermes- Entwicklung einen Zeitraum von 2 Jahren und geht, wie folgt, vor sich: Erstes Jahr. I. Generation sitzt als überwinternder Adbietis am Knospenhalse der Fichte, und legt da Eier ab. II. Generation entwickelt sich in der Fichtengalle zum geflügelten Abietis, der im August ausfliegt. Ein Teil dieser Genera- tion wandert auf die Lärche aus und legt als Larieis Eier auf die Lärchennadeln. Aus dieser schlüpft die III. Generation. Diese überwintert als Zarieis unter der Rinde und in den Ritzen der Lärche. Aus ihren Eiern kommt Ende April des zweiten Jahres die IV. Generation, die gelben glatten Zaricis, welche Ende Mai aus“ fliegen und zum größten Teil auf die Fichte zurückwandern, wo sie als Obtectus Eier legen, aus denen die V. Generation, die zweigeschlechtige, auskriecht. Aus den nun befruchteten Eiern derselben entwickelt sich langsam vom Juli bis September das überwinternde Tier, die Stammmutter des nächsten Jahres, welche dann als I. Generation den Zyklus wieder von neuem beginnt. In dieser Weise gestaltet sich nach Dreyfus die Chermes- Ent- wicklung. Zur Begründung ihrer Thatsächlichkeit beruft sich Dr. Drey- fus auf den Umstand, dass die aus den Eiern des geflügelten Chermes abietis und Ch. laricis hervorgekommenen Jungen sich vollständig gleichen und sich höchstens in der Färbung verschieden zeigen. Ebenso waren auch die aus den befruchteten Eiern von Ch. obtectus entstam- menden Tiere nicht wesentlich von den vorigen differierend. Der einzige wirkliche Unterschied liegt in der Art, wie sich diese im äußern übereinstimmenden Formen weiter entwiekeln. Die Nachkommen der Adietis- und der zweigeschlechtigen Obfectus- Generation saugen sich nämlich an den Fichtennadeln fest, und zwar an dem Halse der neugebildeten Fichtenknospen, während diejenigen des Laricis (vom September bis März) auf den Lärchennadeln sich festsaugen (oder 316 Zacharias, Fortpflanzung der Rindenläuse. unter die Rinde der Lärche sich begeben), wo man ihre geflügelten Nachkommen im Mai des nächsten Jahres vorfindet. Dreyfus gibt nun zu bedenken, dass auf der Lärche im August plötzlich eine Menge geflügelter Chermes erscheinen, ohne dass eine einzige zu ihnen führende Nymphe zu finden ist, und dass ebenso im Frühjahr an der Fichte gelbe Fliegen auftreten, ohne dass ein zu ihnen hinleitendes Stadium anzutreffen ist, während jedoch die auf der Lärche erscheinenden Tiere solchen ähneln, die gleichzeitig auf in der Nähe befindlichen Fichten ausfliegen und die an der Fichte auftretenden denen, die sich etwa um die nämliche Zeit (Frühjahr) aus Nymphen entwickeln, die auf den Lärchennadeln leben und dort bald verschwinden. Hieraus zieht Dreyfus den Schluss, dass die in Frage kommenden 3 verschie- denen Species (Abietis, Laricis und Obtectus) sämtlich in den Entwick- lungszyklus einer und derselben Art gehören, d.h. zuChermes abietis Kltb. Die Chermes-Entwicklung würde also nach diesem neuen Schema eine bedeutende Komplikation durch den Umstand erhalten, dass sich in der II. Generation die Entwicklungsreihen teilen, insofern die eine auf der Fichte verbleibt, während die Individuen der andern auf die Lärche auswandert. Auf diesem Baume lebt demnach auch die aus den Eiern dieses Teiles hervorgehende III. Generation in Gestalt von gelblichen und grünlichen Insekten mit Aporigen Flaumdrüsen, welche Aehnlichkeit mit der I. Generation besitzen. Die auf der Fichte seßhaft bleibenden Tiere haben ein gelbbraunes Aussehen und ihr Entwicklungszyklus verläuft außerordentlich einfach. Die ungeflügelte I. Generation produziert hier Eier, aus welcher ge- flügelte Tiere ausschlüpfen, deren Eier wiederum eine überwinternde I. Generation bringen, die genau dasselbe Aeußere zeigt wie diejenige, mit welcher der Zyklus begann. Zur Stütze der Dreyfus’schen Ansicht sei noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die im August von der Fichte zur Lärche stattfindenden Wanderungen des Chermes abietis neuerdings auch durch Prof. Bloehmann in Heidelberg bestätigt worden sind. Cholodkovsky führt übrigens in einer kürzlich publizierten beachtenswerten Mitteilung!) mir nicht von der Hand zu weisenden Wahrscheinlichkeitsgründen die Möglichkeit aus, dass die letzte Sommer- generation von Oh. coccineus in Ch. viridis übergehe, woraus sich dann — bei der bereits verdächtig gewordenen Selbständigkeit der letzten Species — die Theorie ergibt, dass Chermes coccineus, Ch. viridis, Ch. laricis und Ch. obtectus sämtlich nur verschiedene Formen einer Art seien, deren einzelnen Generationen auf der Fichte, auf Pinus-Species und auf der Lärche lebt, so dass man dieselbe am besten wohl Chermes coniferarum zu nennen hätte. Als bloßer Referent in diesen schwierigen Dingen erlaube ich mir nicht über die Berechtigung der von Cholodkovsky aufgestellten 4) Weiteres zur Kenntnis der Ohermes- Arten. Zool. Anz., Nr. 305, 1889. Mitrophanow, Nervenendigungen in den quergestreiften Muskeln. 317 Ansicht zu urteilen. Es wird dies Sache des zunächst dabei interes- sierten Dr. Dreyfus sein, den ich dann auch den Entscheid über jene These des russischen Forschers anheimstellen muss. Es gehört dazu eine sehr gründliche Kenntnis der einschlägigen Beobachtungs- ergebnisse. Durch seine Untersuchungen über die Reblaus ist Dreyfus gleich- falls darauf geführt worden, dass der Entwicklungszyklus auch hier komplizierter sein müsse, als dies bisher angenommen wurde. Die Beobachtungen des Wiesbadener Forschers sind aber über diesen Punkt noch nicht abgeschlossen. Was er bis jetzt darüber anzuführen in der Lage ist, teilt er in Nr. 300 des „Zool. Anzeigers“ von 1889 und im „Tageblatte“ der 61. (Kölner) Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte (wissenschaftlicher Teil) mit. — Selbstverständlich ist es in einer so kurzen Besprechung nicht möglich, den außerordentlich reichen Schatz von Einzelbeobachtungen, welchen Dreyfus in seiner Phylloxerinen- Schrift niedergelegt hat, vor dem Leser auszubreiten. Es wird mit dem vorstehenden Aufsatz nur ein Hinweis auf die dankenswerte und mit sehr großer Umsicht ausgeführte Arbeit des in Naturforscherkreisen wohlbekannten Autors bezweckt, der den Besuchern des trefflich arrangierten Wiesbadener Kongresses speziell noch als äußerst rühriger Gruppenvorstand (Ab- teilung für Mikrologie) und tüchtiger Organisator in bester Erinnerung stehen dürfte. Dr. Otto Zacharias in Hirschberg 1./Schl. Paul Mitrophanow, Entwicklung der motorischen Nerven- endigungen in den quergestreiften Muskeln der Amphibien. Beilage Nr. 7 zum LIX. Bande der Bulletins der Kaiserl. Akad. der Wiss. 34 Seit. 1 Taf. St. Petersburg 1888. Die sicher nachgewiesenen Endigungen der motorischen Nerven- fasern zeigen an glatten und gestreiften Muskelfasern, in Blut- und Lymphherzen eine große Mannigfaltigkeit. Demungeachtet kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass alle Modifikationen auch der zu- sammengesetzten motorischen Endgebilde auf eine ursprünglich ein- fache Grundform sich zurückführen lassen dürften, welche als der Typus der Beziehung zwischen Muskel- und zugehöriger erregender Nervenfaser aufgefasst werden könnte. Vergleieht man die Angaben von Ranvier und Lawdowsky über die Endigungen der Nerven an glatten Muskelfasern, von Openchowski über die Nervendigungen im Herzen, von Weliky über die Nervenendigungen in den Lymph- herzen mit den allgemein bekannten Angaben über die Nerven- endigungen in den gestreiften Muskelfasern, so sieht man sich ver- anlasst eine stufenweise Entwicklungsreihe zu statuieren, welche mit der einfachen knopfförmigen Endigung an der glatten und Herz- muskelfaser beginnt, zu mehrfachen derartigen Verbindungen an den 318 Mitrophanow, Nervenendigungen in den quergestreiften Muskeln. gestreiften Fasern der Lymphherzen fortschreitet und in den vielfach verzweigten Nervenendigungen und den Nervenhügeln der gestreiften Skeletmuskeln gipfelt. Da indessen die verschiedenen Formen der motorischen Nervenendigungen bedingt sein können durch die ver- schiedene Form und Intensität der physiologischen Funktion der be- treffenden kontraktilen Elemente, so ist eine sichere Einsicht in das Wesen und die primäre Form der Verbindung zwischen Nerv und Muskel nur durch entwicklungsgeschichtliche Forschung zu erlangen, welche gleichzeitig auch geeignet ist, Aufschluss zu geben über die prinzipielle Frage, ob jene Verbindung eine im Embryo von Anfang an gegebene ist oder erst sekundär zu stande kommt. Eine solche entwicklungsgeschichtliche Untersuchung ist nun zunächst von Lawdowsky angestellt worden (s. d. Jahresber. über die Fortschr. d. Anat. u. Physiol. von Hofmann u. Schwalbe für 1885, Abtlg. I, S.488) und darauf von Trinchese (Archives italiennes de Biologie, 1886, T. VII, S. 376). Der erstere fand, dass die Nerven- fasern bei Embryonen von Eidechsen und Schlangen in Form einer Gabel mit zwei kurzen Enden mit den Muskelfasern in Verbindung treten, bei weiterem Wachstum aber immer zahlreichere Verzweigungen bilden. Nach Trinchese schnüren sich an den Muskelspindeln von jungen Exemplaren von Platydactylus mauritanicus Reihen von so- genannten Neurokokken oder besser Myokokken ab, welche einerseits mit der Substanz der Muskelfaser und anderseits mit den an der letztern entlang ziehenden Axenzylindern in Verbindung treten. Von Mitrophanow sind nun analoge Untersuchungen angestellt worden an Larven von Tritonen (beginnend vom 13. Tage der Ent- wieklung), von Siredon pisciformis (vom 26. Tage) und an jungen Exemplaren von Rana esculenta, welche ihr Larvenstadium soeben beendigt hatten. Er benutzte zur Präparation den Musculus sub- maxillaris (Ecker), welcher mittels einer Scheere aus seinen Ver- bindungen mit dem Unterkiefer getrennt, mit Nadeln von der Haut abgelöst, auf 20—30 Minuten der Einwirkung einer O,öprozentigen Chlorgoldlösung ausgesetzt, dann in Iprozentige Essigsäurelösung übertragen und nach in 1—2 Tagen erfolgter Reduktion mikroskopisch untersucht wurde. Auch nach Behandlung mit Flemming’scher Lösung, Färbung mit Wasserblau (einem neuen vom Verf. in An- wendung gebrachten Theerfarbstoff) und Einschluss in Kanadabalsam sind die topographischen Verhältnisse und die Nervenverteilung im Muskel sehr gut zu verfolgen, aber die Nervenenden sind an den stark gefärbten Muskelfasern nieht deutlich wahrnehmbar. Der Mus- culus submaxillaris besteht aus zwei symmetrischen Hälften, seine Fasern verlaufen parallel zu einander und zum hintern Rande der Opereularfalte. Derselbe ist aus dem Grunde so geeignet für die betreffenden Untersuchungen, weil er nieht nur leicht zu präparieren ist und anfänglich nur aus einer einschichtigen Faserlage besteht, sondern weil auch die Muskelfasern in relativ bedeutenden Abständen Mitrophanow, Nervenendigungen in den quergestreiften Muskeln. 319 parallel zu einander verlaufen und nur bei Axolotllarven die Zwischen- räume zwischen den Fasern von reichlicherem Bindegewebe und Pigmentzellen ausgefüllt werden. Bei Tritonenlarven ist das Binde- gewebe sehr spärlich und beeinträchtigt nicht im mindesten die Ver- folgung der zarten Nervenfasern, außerdem begünstigt der letztere Umstand bedeutend die Einwirkung der Goldlösung auf Nerven und Muskeln. Die gröbern der muskelversorgenden Nervenstämme liegen an dessen Unterfläche zwischen Muskel und Haut und bilden unter einander Geflechte, von denen die zu den Muskelfasern ziehenden Endäste entspringen. Bei Tritonenlarven sind diese Plexus ziemlich reichlich, bei Axolotllarven dagegen sehr spärlich; die Scheiden der ersteren enthalten zahlreiche, die der letzteren nur wenige Kerne. Bei Tritonenlarven liegen die Kerne vorzugsweise an den Knoten- und Verästelungspunkten, an welchen auch Austausch, Durelikreuzung oder Abzweigung der das Nervenästehen bildenden marklosen Nerven- fasern sieh vollzieht. Die sensiblen Nervenäste sind übrigens dünner, ihre Kerne länger, schmaler, liegen auch reichlich im Verlaufe der Aestchen und bilden stärkere Ausbuchtungen der Scheide. Je näher dem peripheren Ende, desto dünner werden die Nervenäste, die Anastomosen werden schwächer, die Kerne seltner. Die Endäste zweigen sich größtenteils von Knotenpunkten ab. Die letzten an die Muskelfasern tretenden terminalen Nerven- fäden werden bei jungen Tritonenlarven (bis zum 25. Tage) allmählich so dünn, dass sie schließlich nicht mehr wahrzunehmen sind, oder sie Jagern sich mit leicht verbreitertem Ende an die Muskelsubstanz an. Bei älteren Tritonenlarven werden die Muskelfasern zahlreicher, ebenso auch die Nervenverzweigungen. Die peripheren Aeste er- scheinen bedeutend dünner, bilden seltnere Anastomosen, auf größern Strecken sind sie frei von der Scheide, die Kerne finden sich nur an gröbern Arten und Knotenpunkten. Die peripheren Nervenenden sind also mehr gewachsen. Auch die Muskelfasern erscheinen dünner, enthalten weniger embryonales Protoplasma, aber mehr gestreifte Substanz, zahlreichere und größere Kerne, die oft breiter sind als die Fasern selbst und daher letztere überragen, auch oft zu zweien und mehr in einen Haufen zusammengelagert sind. An mit Gold gefärbten Präparaten erscheinen die einen Streifen gefärbt, die andern ungefärbt. Die peripheren Nervenäste kreuzen die Muskelfasern unter spitzen Winkeln und bilden verschieden lange Endäste. Letztere an das Muskelbündel sich anlagernd bilden stärker gefärbte Verdickungen, welche von der kontraktilen Substanz durch eine ähnliche körnige Schicht (Neuroplasma) gesondert werden, wie solche an den Knoten- punkten des Nervenplexus sich bemerkbar macht. Diese kleinsten Endplatten oder Anlagen von Doyere’schen Hügeln haben unregel- mäßig ovale Form und erstrecken sich über mehrere Streifen der kontraktilen Substanz. An vielen Stellen liegen die die Muskelfasern schräg kreuzenden Nervenfäden auf längeren Strecken (bis 15 Quer- 320 Mitrophanow, Nervenendigungen in den quergestreiften Muskeln. streifen überbrückend) der kontraktilen Substanz dicht an und treten mit derselben in nähere Verbindung mittels feinkörniger Substanz. In gleicher Weise kann der Faden konsekutiv mit einer zweiten, driten Muskelfaser in Verbindung treten, um schließlich an der letzten mit einer verbreiterten Platte oder hügelartigen Verdiekung zu endigen. Einfache primäre Formen der Nervenendigung finden sich am zahl- reichsten am Rande der Opercularfalte, wo auch die Muskelfasern dünner, mehr isoliert und augenscheinlich in der Vermehrung begriffen sind. Die im vorhergehenden beschriebenen im wesentlichen ganz entsprechenden Verhältnisse fand Mitrophanow bei Axolotllarven vom 26. Tage. — Die ursprüngliche Verbindung des Nerven mit einer Muskelfaser ist mithin ein einfacher Kontakt des verbreiterten Nervenendes, welches sich mittels der feinkörnigen Substanz an der Muskelsubstanz festheftet. Die Anlagerung und Befestigung des über mehrere Muskel- fasern hinziehenden Nervenfadens bildet eine Wachstumserscheinung des letzteren, aus der dann eine Differenzierung von gesonderten zu jeder Muskelfaser ziehenden Nervenästchen resultiert. Die Bildung der Endplatten ist ein Produkt der weiteren Differenzierung, indem die Vereinigungsfläche zwischen Muskel- und Nervenfaser immer aus- sedehnter wird, wobei das Ende der letztern sich zunächst gabelig verzweigt, dann verbreitert, höckerige Verdickungen zeigt, zahlreiche Seitenäste entwickelt, welche der Muskelsubstanz direkt anliegen und damit das schließliche Bild der Nervenendigung herstellt, wie es bei erwachsenen Tritonen sich darstellt. Bei Anwendung von Methylenblau nach Ehrlich’scher Methode bei ausgebildeten lebenden Fröschen treten die bekannten und viel- fach beschriebenen Verhältnisse der komplizierten Nervenendigung im gestreiften Muskel sehr deutlich zum Vorschein. Bei jungen Fröschen, welche das Larvenstadium soeben beendigt haben, ist die Nerven- endigung im Musculus submaxillaris viel einfacher. Die Endfaser liegt der Muskelsubstanz auf einer Strecke dicht an und zeigt Ver- diekungen, von welchen späterhin Verzweigungen ausgehen. Einzelne Endfasern zeigen bereits gabelförmige in entgegengesetzter Richtung ziehende Enden. Die von Mitrophanow erhaltenen Präparate ergeben somit ganz abweichende Bilder von motorischen Nervenenden, als die von Trinchese bei Platydactylus beschriebenen. Von aus der Muskel- substanz hervorgehenden „Neurokokken“ ist nichts wahrzunehmen, die Nervenenden werden vielmehr durch die Nervenfasern selbst ge- bildet und die körnige Substanz des Muskels beteiligt sich höchstens an der Erzeugung der motorischen Endplatte. Hoyer (Warschau). Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Bioloeisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 1. August 1889. Nr. I. Inhalt: Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen (Schluss). — List, Ueber die weiblichen Geschlechtsorgane und die Eibildung bei parasitischen Copepoden (Gastrodelphyiden). — Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. — Internationaler zoologischer Kongress zu Paris 1889. — Anzeige. Ueber den Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. Von Th. Bokorny. (Schluss.) Canna indica. An dieser Pflanze gelingt es verhältnismäßig leicht, den gesamten Weg des Saftstromes direkt experimentell zu verfolgen mit Hilfe der Eisenvitriol-Methode. Topf-Exemplare derselben lassen sich leicht, ohne Verletzung der Wurzeln, aus dem Topfe nehmen und dureh Abwaschen von dem größten Teil der anhängenden Erde befreien. Bringt man solche Pflanzen mit dem Wurzelsystem in 1 pro mille Eisen- vitriollösung und setzt die Blätter der Sonne aus, so kann man nach 12 Stunden das Eisen in der gesamten Pflanze mikrochemisch nach- weisen und hiermit den Weg des Wasserstromes erkennen. In den Wurzelspitzen findet sich das Eisen in sämtlichen Geweben, Epidermis, Rindengewebe und zentralem Gefäßbündel vor; die An- wesenheit derselben verrät sich gegen Schluss der Versuchsdauer schon an der unverletzten Wurzel ohne Zusatz von Reagens durch schwarze Färbung der Spitze (infolge Gerbstoffgehaltes) und kann mit Ferricyankalium in den einzelnen Geweben nachgewiesen werden. Schon eine kurze Strecke weiter oben findet sich der Eisenvitriol nur mehr im zentralen Gefäßbündel vor!), und zwar im Phloem mehr als im Gefäßteil; die Gefäßwandungen schienen mir frei von Eisen zu sein. In der Knolle, von der aus die langen Wurzeln größtenteils entspringen, zeigen die Phloemteile der zerstreuten Gefäßbündel Blau- färbung mit Ferrieyankalium; ebenso in dem daraus entspringenden 1) Ein direktes Eindringen des eisenhaltigen Wassers durch die Oberfläche älterer Wurzelteile findet nicht statt; das Periderm gestattet keinen Durch- gang und zeigt sich immer eisenfrei. 1X, 21 329 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. Stengel mit seinen großen im jugendlichen Zustand tutenförmig ge- rollten Blättern. Von den Blattstielen ergeben nur die der entfal- teten Blätter Blaufärbung in dick- und dünnwandigen Bastteilen der über den ganzen Querschnitt verteilten Gefäßbündel, ein Zeichen, wie der Eisengehalt hier wirklich den Gang des Transpirationsstromes anzeigt, da ja die eingerollten noch zum großen Teil versteckten Blätter nicht transpiriren. Unter der Epidermis der Blattstiele ver- laufen kleine Sklerenchymbündel, weleke durch mehr oder minder zahlreiche Vergesellschaftung mit echten Gefäßbündelelementen alle möglichen Uebergänge zu echten Gefäßbündeln zeigen; auch sie ent- halten Eisen, und zwar sehr deutlich in den Wandungen, wie denn auch an den wirklichen Gefäßbündeln des Blattes hauptsächlich der sklerenehymatische Teil des Bastkörpers Eisenvitriol erkennen lässt. Das eisenvitriolhaltige Wasser macht hier also folgenden Weg: Es wird von den Wurzelspitzen aufgenommen, wandert im zentralen Gefäßbündelzylinder der langen Wurzeln aufwärts und steigt von hier aus in den Gefäßbündeln bezw. Sklerenehymbündeln des Stengels und der mächtigen Blattstiele zu den Blattspreiten empor. Die Pflanzenteile haben dabei Turgor und überhaupt frisches Aussehen, trotzdem die Eisenvitriollösung darin emporgestiegen ist. Als besonders wichtig ist an dem Experiment mit unverletzten Canna-Pflanzen hervorzuheben, dass durch dasselbe die Sklerenechym- stränge als Leitungsbahnen für das Wasser direkt nachgewiesen wurden, womit eine von Sachs aufgrund theoretischer Erwägungen ausgesprochene Vermutung experimentelle Bestätigung gefunden hat. Ferner wird damit die Richtigkeit unserer üblichen Vorstellung von dem Gang des Wasserstromes in den Wurzeln ad oculos demonstriert. Das Wasser wird von den Wurzelspitzen aufgesaugt, geht durch das Parenchym hindurch in die zentrale Gefäßbündelmasse und wandert in dieser weiter. Das Rindenparenchym ist unfähig, das Wasser zu leiten; es bleibt bei den Versuchen immer eisenfrei. Die ältern Wurzel- teile sind nieht fähig Wasser aufzunehmen; sie ergeben in ihren äußern Geweben keine Spur von Blaufärbung mit Ferriceyankalium. Rheum. Rheum-Blätter empfehlen sich in zweierlei Hinsicht zu Studien über den Transpirationsstrom, erstens durch ihre starke Transpiration, zweitens auch dadurch, dass ihre Gefäßbündel gleichmäßig und nicht zu dieht über den Blattstielquerschnitt verteilt sind, so dass man hier eine klare Anschauung über den Gang des Wasserstromes in Pflanzen mit zerstreuten Gefäßbündeln bekommen kann. Letztere sind deutlich genug, um sie mit freiem Auge auf dem Querschnitt sehen zu können. Lässt man ein Rheum-Blatt einige Zeit in Eisenvitriol von 1: 500 stehen, und schneidet dann den dicken Blattstiel in Stücke von je !/, cm Höhe, so kann man durch Betupfen der jeweils obern Schnitt- Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. 323 fläche mit Ferrieyankalium auf einfachste Weise den Gang des Trans- pirationsstromes zur Anschauung bringen. Die Gefäßbündelquerschnitte werden, soweit die Lösung vorgedrungen ist, tiefblau und treten als distinkte Punkte auf dem Querschnitt scharf hervor. Bei einem der von mir angestellten Versuche welkte das Blatt schon nach 12 Stun- den aus unbekannten Gründen, während andere lebhaft transpirierten und turgeszent waren; bei ersterem zeigte sich nun, dass die Lösung nur 10 cm weit, d.i. bis zur Mitte des Blattstieles vorgedrungen war. Als Sitz der Blaufärbung erwiesen sich unter dem Mikroskop die Wandungen der Gefäßbündel, insbesondere der sklerenchymatischen Scheide. Außer den Gefäßbündelwänden zeigten meist auch die des subepidermalen Collenchyms starke Blaufärbung. Larix europaea (Lärche). Die Coniferen sind für die vorliegende Frage in mannigfacher Beziehung von Interesse und auch schon oft in die Diskussion über das Saftsteigen hereingezogen worden. Sie besitzen eine ausgiebige Transpiration, wie Versuche mit abgeschnittenen Zweigen lehren, und weisen anderseits wesentliche Abweichungen im anatomischen Verhalten auf gegenüber der großen Mehrzahl der sonstigen tran- spirierenden Pflanzen, speziell der Holzpflanzen. Wie bekannt, fehlen ihnen die Gefäße !), welche vielfach als hauptsächlichste Wasserleitungs- organe in Anspruch genommen worden sind; ihr Holz setzt sich aus Tracheiden zusammen, allseitig geschlossenen, wasser- und luft-erfüllten Zellen mit dicken verholzten Wandungen, welche an den radialen Flächen durch Hoftüpfel ausgezeichnet sind. Nach R. Hartig ent- hält jede Tracheide im Innern eine mehr oder weniger große Luft- blase und um dieselbe eine Wasserhülle, welche die Innenwand der Tracheide auskleidet; durch Druckdifferenzen (die Luft der obern Tracheiden ist dünner als die der untern) soll das Wasser von den untern Tracheiden in die obern getrieben werden; der Durchgang findet nach ihm an den durch eine sehr dünne Membran ausgezeich- neten Tüpfelstellen statt. Wenn das Wasser auf diese Weise in unsern Nadelhölzern gehoben wird, wandert es natürlich vorwiegend im Lumen der Tracheiden, in der Wandung nur insoweit, als die Tüpfelmembran passiert werden muss, damit das Wasser von einer Zelle in die andere gelange. Wenn wir einen Zweig von Larix europaea nach dem Abschneiden unter Wasser und einige Minuten langem Belassen in diesem (zur Ausgleichung der Druckdifferenz zwischen äußerer und innerer Luft) in 1°/,, Eisenvitriollösung bringen und 2 Stunden der Sonne aussetzen, so zeigt sich nachher das Eisen in allen Höhen des Zweiges. Bei einem von mir angestellten Versuch mit einem 5jährigen reichlich verzweigten Ast war dasselbe in dieser Zeit bis zu 90 em Höhe 1) mit Ausnahme weniger Gefäße in der Markkrone. 91# ui 394 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. emporgestiegen und noch unmittelbar unter dem Gipfel nachzuweisen; die Stärke der bei Zusatz von Ferrieyankalium an den Querschnitten erfolgenden Blaufärbung nahm von unten nach oben ab, was über- haupt bei allen Versuchen zu beobachten war, wenn sie frühzeitig unterbrochen wurden; von der zum Aufsaugen bestimmten Lösung waren 30 ce verbraucht worden, eine Menge, welche uns einen unge- fähren Begriff davon geben kann, welche Wassermengen aus einem Lärchenbaum täglich abdunsten. Wenn ein Zweig von 90 cm Länge binnen 2 Stunden 30 ce abgibt, dürfte die von einem kräftigen Baum an einem sonnigen Frühlingstage abgegebene Wassermenge nach Hunderten von Litern zählen. Was die Verteilung der mit Ferrieyankalium erfolgenden Blau- färbung anlangt, so zeigten sich allenthalben, auch schon an den untern Partien des Zweiges Rinde und Mark frei von Eisen; gefärbt war nur das Holz, und von diesem nicht alle Zonen. An dem fünf- jährigen untern Teil des Astes waren die beiden innern Jahresringe frei von Eisenvitriol, von den 3 äußern erwies sich hauptsächlich das Frühjahrsholz eisenhaltig, die im Frühjahr neu angesetzte noch nicht fertige äußerste Holzlage zeigte keine Spur von Blaufärbung mit Ferri- eyankalium. Wir sehen hierin eine neue Bestätigung des schon von R. Hartig gezogenen und durch Wieler’s Versuche bestätigten Schlusses, wo- nach nur die jüngern Holzlagen als Wasserleitungswege dienen sollen. Dass das noch eambiale Holz gar nicht leitet, dürfte sich als neues Faktum von Interesse den frühern schon bekannten Thatsachen an- reihen. Da ferner der Versuch mit Eisenvitriollösung binnen kürzester Zeit Aufschluss gibt — !/,stündiges Aufsaugen derselben durch einen kräftig transpirierenden Zweig dürfte vollkommen genügen zum Nach- weis jenes merkwürdigen Verhaltens der verschiedenen Holzringe — ist derselbe wohl auch geeignet, um die Wasserleitungswege im Coni- ferenholz während einer Vorlesung oder eines Practicums rasch zu demonstrieren. Auffallend ist die fast gänzliche Unfähigkeit des Markes, etwas von dem eisenhaltigen Wasser unter den genannten Versuchsbedingungen aufzunehmen; es färbte sich bei jenem Versuche kaum !/, mm hoch. Das Rindenparenchym ließ die Eisenlösung nur etwa 2 mm hoch steigen. Am merkwürdigsten aber erschien mir das fast völlige Un- berührtbleiben des innersten Holzringes von dem aufsteigenden Wasser- strom; es zeigte schon 1 mm über die Schnittfläche keine Spur von Eisen mehr. Wodurch wird das abweichende Verhalten dieser nach seinem Aufbau doch mit den andern Holzringen großenteils überein- stimmenden innersten Holzlage bedingt? Auch das Herbstholz einzelner jüngerer Jahresringe zeigt bei solchen Versuchen eine merkwürdige Leitungsunfähigkeit, die vorläufig auch noch der Erklärung harrt. Bokomy, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. 325 Dass auch hier die Verholzung der Wände wenigstens nicht allein bestimmend für das Wasserleitungsvermögen der betreffenden Gewebe sei, zeigte mir ein Versuch mit Indol und Schwefelsäure, wobei sich außer den sämtlichen Wänden des Holzkörpers auch die des Markes als verholzt erwiesen. Wäre die Verholzung der Wände allein maßgebend, so müsste erstens der ganze Holzkörper leiten und ferner das Mark bei der Wasserleitung beteiligt sein. Wie erwähnt, trifft beides nicht zu. Was endlich die viel ventilierte Frage anlangt, ob das Wasser in den Wandungen oder in den Lumina der Holzfasern emporsteigt, und bezüglich welcher v. Sachs das erstere, R.Hartig (und andere) das letztere behauptet, so führen meine Versuche zur Sachs’schen Anschauung. Denn bei meinen Experimenten zeigten sich immer die Wandungen der Holzelemente als der ausschließliche Sitz des mit dem Wasser aufsteigenden Eisens; sie färbten sich mit Ferrieyankalium stark grünblau; nie konnte ich eine so gefärbte Flüssigkeit in den Lumina der Zellen wahrnehmen. Auch als ich einen Lärchenzweig unter Eisenvitriollösung ab- schnitt und diese somit unter Ueberdruck in das Holz eintreten konnte, fand ich das Eisen nicht im Lumen der Tracheiden auf, wenigstens nicht in der Höhe von 10 cm über der Schnittfläche. Hingegen ist zu erwähnen, dass auch die Tüpfelmembran, ins- besondere der Torus, mit Ferrieyankalium blaue Farbe annahm [der Torus aufRadialschnitten als kreisrunde intensiv blaue Stelle sichtbar] !). Acer platanoides. Ein abgeschnittener Zweig von 60 cm Höhe mit vielen eben zur Entfaltung kommenden Laubtrieben saugte binnen 24 Stunden 20 ce Eisenlösung auf, die Blätter blieben völlig turgescent. Querschnitte in verschiedenen Höhen desselben zeigten beim Betupfen mit Ferri- cyankalium, dass die Eisenlösung nur im Holzkörper emporgestiegen war; die Zellwände desselben wurden grünblau, und zwar die des zweiten Jahrringes (wo ein solcher ausgebildet war) stärker als jene des ersten. Rinde, Bast und Mark waren völlig frei von Eisen. Dass auch in der unverletzten Pflanze das Aufsteigen des Saftstromes im Holzkörper stattfinde, zeigte mir ein Ver- such mit einer zweijährigen Keimpflanze von Acer platanoides, welche mit dem gesamten Wurzelsystem aus der Erde ausgegraben und mitsamt der nach leichtem Schütteln noch anhängenden Erde in Eisenvitriol 1: 500 gebracht wurde. Nach 24 Stunden zeigte Ferrieyankalium durch starke Blaufärbung des Holzkörpers die reichliche Anwesenheit von Eisen in Wurzel und Stengel an. Die Blaufärbung betraf nur die 1) Eine wirkliche experimentelle Lösung der Frage, ob das Saftsteigen in den Wandungen der Lumina vor sich geht, ist natürlich nur von Versuchen mit unverletzten Pflanzen zu erwarten; solche sind bereits in Gang. 326 Bokorny, Ort der Wasserleitung in den Pflanzen. Zellwände, diese aber ohne Unterschied, ob sie nun den Gefäßen, Holz-, Prosenehym- oder Parenchymzellen angehörten. An den Saugwurzeln einjähriger Keimpflanzen sah ich das Eisen im ganzen Rindenparenchym der Wurzelspitzen verbreitet, das ja von der Lösung passiert werden musste, damit es in die Gefäßbündel gelangte. Hydrangea japonica (Hortensie). Zweige dieser Pflanze, mit jungen Blättern, transpirieren sehr kräftig, so dass sie sich gut zu Versuchen wie den in Rede stehenden eignen. Bringt man so einen Zweig von etwa 50 cm Länge mit Blattkrone, d. h. einem frischen sich eben entfaltenden Trieb an der Spitze, in Eisenvitriol 1 : 500, so bemerkt man schon nach 1 Stunde, dass etwa 1 ce Lösung verschwunden ist, nach 24 h vielleicht ein Defizit von 20 ce Lösung. Zugleich lässt sich im Zweig das Eisen mit Leichtigkeit nachweisen. Schon nach !/, Stunde konnte ich dasselbe mit Ferrieyankalium in der Höhe von 15 cm über der Schnittfläche deutlich in Form grünblauer Färbung der Wandungen des Xylemringes nachweisen; nach 24 Stunden war das Eisen im Holzkörper des ganzen 45 em langen Stengels deutlich nachzuweisen, oben als schwach grünliche Färbung, in der Mitte und unten als intensiv blaue Färbung des Holzkörpers. Allenthalben zeigte sich das Eisen als gleiehförmige Einlagerung der Zellwände, nirgends im Lumen. Außer dem Holzkörper gab merkwürdigerweise noch ein anderes Gewebe Eisengehalt in den Wandungen zu erkennen, nämlich die äußern Lagen des dünnwandigen Bastes, welche vor dem übrigen Bast durch etwas bedeutendere Größe der Zellen und insbesondere durch hellen Glanz und schwache Verdickung der Wände an sich schon etwas hervorstachen. Sie zeigten bis in die obersten Partien des Sehösslings intensive Blaufärbung der Zellwände mit Ferrieyan- kalium. Da der gegen den Holzkörper zu vorliegende Bastteil un- gefärbt bleibt (wenigstens in einiger Höhe über der Schnittfläche), muss wohl angenommen werden, dass die Lösung in diesen Wan- dungen selbst in die Höhe steigt und nicht vom Holzkörper aus dahin gelangt. Zu erwähnen ist übrigens noch, dass der Wassertransport in diesen Bastwänden doch etwas langsamer vor sich zu gehen scheint; denn ich bemerkte an Zweigen, die !/, Stunde in Eisenvitriol gestanden hatten, das Eisen im Holzkörper bis zu 15 cm Höhe vor- sedrungen, im Bast erst bis 5 em. Was die Verholzung der Zoll- wände bei Hydrangea anlangt, so sei noch hervorgehoben, dass die erwähnten Bastzellwände keinerlei Verholzungsreaktion ergaben. Aus meinen Versuchen!) über den Ort der Wasserleitung in Pflanzen geht also hervor, dass verschiedene Gewebe daran beteiligt 4) Sie sind mit den aufgezählten bei weitem nicht erschöpft. List, Geschlechtsorgane und die Eibildung bei parasitischen Copepoden. 397 sein können. Vor allem sind es die Gefäßbündel, welche das Wasser leiten; durch Aufsaugen von eisenhaltigem Wasser lässt sich das so- wohl bei Pflanzen mit geschlossenem Holzkörper (Holzpflanzen), als bei solchen mit isolierten (im Kreis stehenden oder über den ganzen Querschnitt zerstreuten) Gefäßbündeln leicht demonstrieren. Außer- dem wurde bei einigen Pflanzen das Collenchym und das Seleren- chym als leitendes Gewebe experimentell erkannt. An den Gefäß- bündeln leitet gewöhnlich der Holzkörper, bisweilen aber auch der dünnwandige Bast. Von den Bestandteilen der leitenden Zellen scheint die Wandung als Bahn für den Transpirationsstrom sehr in betracht zu kommen. Weitere Studien über diese Sache sind beabsichtigt. Endlieh darf nicht unerwähnt bleiben, wie die Wasserleitung bei denjenigen Pflanzen vor sich geht, welche keine echten Gefäßbündel besitzen. Haberlandt hat diese Frage bei den Moosen experi- mentell geprüft ') und gefunden, dass der Zentralstrang des Moos- stämmchens die Wasserbahn sei. „Wenn man ein frisch abgeschnit- tenes unbenetztes Stämmchen von Mnium undulatum mit seinem blatt- losen untern Ende 1—2 mm in wässerige Eosinlösung tauchen lässt, so steigt dieselbe bloß im Zentralstrange und zwar mit ziemlich großer Schnelligkeit empor. Wegen der Durchsichtigkeit der Rinde kann man den roten Faden der Eosinlösung sehr deutlich mit un- bewaffnetem Auge verfolgen und nach gewissen Zeitintervallen die Steighöhe der Lösung abmessen.“ „Nach einer Stunde war die Eosin- lösung im Zentralstrang bis knapp unter die Spitze des Stämmchens gedrungen, während dieselbe nach gleicher Zeit in der Rinde bloß etwas über 2mm hoch gestiegen war. Der Versuch beweist also in klarster Weise das beträchtliche Wasserleitungsvermögen des Zentral- stranges.“ Vom Zentralstrang geht die Leitung in die Blattnerven über. Die mikroskopische Untersuchung ergab Anwesenheit des Farb- stoffes sowohl in den Zelllumina als in den Längswänden der Strang- zellen. Ueber die weiblichen Geschlechtsorgane und die Eibildung bei parasitischen Copepoden (Gatsrodelphyiden). Von Dr. Joseph Heinrich List, Privatdozent an der Universität Graz. Die weiblichen Geschlechtsorgane der Gastrodelphyiden (einem den Uebergang von den Notodelphyiden zu den Siphonostomen ver- mittelnden Copepodengenus) bestehen aus paarigen ÖOvarien, 1) Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Laubmoose, in Prings- heim’s Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. 17 S. 406 ft. 328 List, Geschlechtsorgane und die Eibildung bei parasitischen Copepoden. paarigen Ovidukten, einem Receptaculum seminis, und zwei Samenkanälen mit den äußern Geschlechtsöffnungen. Die Ovarien bilden mit den Ovidukten zwei U-förmig gebogene, mit den freien Schenkeln nach hinten sich erstreckende, überhalb und zu den Seiten des Darmkanales liegende Organe, deren innere Schenkel als die Ovarien, deren äußere Schenkel als die Ovidukte zu be- trachten sind. Und zwar funktioniert auch die Brücke, die die beiden Schenkel vorne verbindet, als Ovarium. Ovarium und Ovidukte sind von einer deutlichen Membran, die an der Innenwand auch abgeplattete Kerne erkennen lässt, um- geben. Beide Ovidukte erstrecken sich nun nach rückwärts, um in das sackförmige, in der Medianlinie liegende Receptaculum einzumünden. An dieser Einmündungsstelle zeigen die Ovidukte ein aus kubischen Zellen gebildetes Epithel, dem höchst wahrscheinlich die Bedeutung einer Schalendrüse zukommt. Aus dem Receptaculum führen zwei kurze, durch Muskeln zu er- weiternde Gänge in den als Duplikatur des vierten Thorakalsegmentes zu betrachtenden Brut- oder Matrikalraum, in welchem die Eier, nach ihrer Befruchtung im Receptaculum, ihre Entwicklung bis zum Nauplius durchmachen, um dann durch die unterhalb des Abdomens liegende, schlitzartige Oeffnung des Brutraumes ins Freie zu gelangen. Auf der Ventralseite des Receptaculum münden auch die beiden Samenkanäle ein, die außen mit den knapp an beiden Seiten des ersten Abdominalsegmentes liegenden äußern Geschlechtsöffnungen beginnen. Das Ovarium erscheint als ein mit polygonalen, aber nicht deut- lich von einander abgegrenzten Zellen vollgefülltes, annähernd zylin- drisches Gebilde, dessen Zellen aus fein granulierter Zellsubstanz bestehen, und die einen deutlichen Kern und ein scharf tingiertes Kernkörperchen führen. Nach vorne gegen die Brücke zu werden die Zellen und Kerne größer, und erstere auch deutlicher von einander abgegrenzt. Im Anfangsteile des äußern Schenkels kann man nun bereits die inBeihen sich abschnürenden, nach hinten allmählich an Größe zunehmenden Eizellen bemerken, die daselbst auch die Dotter- massen, wahrscheinlich auf dem Wege der Diffusion durch die Ovidukt- wandung, aufnehmen. Die Eizellen, die nun im ÖOvidukte allmählich heranreifen und hierbei die Wandung desselben sackartig ausdehnen, so dass die mit reifen Eiern gefüllten Ovidukte fast sämtliche Thorakalsegmente aus- füllen können, rücken dann allmählich nach rückwärts, um in das Receptaculum zu gelangen und daselbst befruchtet zu werden. Von hier gelangen dann die Eier in den Matrikalraum. Die Eier müssen also bei den Gastrodelphyiden ihren Wegdurch dasReceptaculum nehmen, umin den Matrikal- List, Geschlechtsorgane und die Eibildung bei parasitischen Copepoden. 329 raum zu gelangen, ein Verhältnis, welches Thorell!) auch be- reits für Notodelphyiden behauptete. Sehen wir uns nun das Ovarium auf Schnitten gut konservierter Tiere an, so können wir folgendes bemerken. An Tieren?), in deren Matrikalraume noch keine Eier sich be- finden, kann man im vordern Teile des Ovarium lebhafte Kernteilung sehen. An dem daranstoßenden Brücken- und Anfangsteile des äußern Schenkels konnten die gebildeten Eizellen mit ihrem großen ellipsoi- dischen Keimbläschen und scharf tingierten Kernkörperchen, welch letztere einen hellen Hof besaßen, beobachtet werden. Im Keimbläschen dieser Eizellen konnte man ein bereits im Ruhestadium befindliches, äußerst intensiv sich tingierendes Chromatinbalkenwerk wahrnehmen. Der Vorderteil des Ovarium erscheint demnach als der eigentliche Keimhberd, während die hintere Partie des Schenkels gewissermaßen ein latentes Keimlager darstellt, welches dazu bestimmt ist, für den Keimzellennachschub nach vorne zu sorgen. Auf diese Weise können immer und zu jeder Zeit Ei- zellen gebildet werden. Hiermit ist auch klar, dass die Eizellenbildung nicht etwa von der Begattung abhängig ist oder erst von derselben eingeleitet wird. . Nach Abgabe der Eier in den Matrikalraum, in welchem sich dieselben, entsprechend den beiden Oeffnungen im Receptaculum, in zwei Portionen lagern, kollabiert die unförmig ausgedehnte Ovidukt- wandung. Fassen wir nun die Resultate zusammen, so ergibt sich folgendes: 1) Die Bildung der Eizellen erfolgt bei den Gastrodelphyiden in dem mit polygonalen Zellen erfüllten Keimstocke oder Ovarium. 2) Die gebildeten Eizellen schnüren sich in Reihen ab und ge- langen in den Ovidukt, um daselbst die Dottermassen auf- zunehmen. 3) Der Ersatz für die abgelösten Eier geschieht in dem vordern Teile des Ovarium. 4) Der Hinterteil des Ovarium bildet gewissermaßen ein latentes Keimlager, dazu bestimmt, für den Nachschub der Zellen in den Vorderteil zu sorgen. 5) Die reifen, losgelösten Eier müssen, um in den Matrikalraum zu gelangen, das Receptaculum passieren, woselbst sie auch befruchtet werden. Bei der den Gastrodelphyiden verwandten Copepodengruppe, den Notodelphyiden, die sich ebenfalls durch die Ausbildung einer 1) T. Thorell, Bidrag till kännedomen om Krustaceer, som lefva i arter af slägtet Ascidia L. K.Vet. Akad. Handl., Bd.3, Nr. 8, 1859, Stockholm 1862. 2) Beobachtet an Gastrodelphys Myxicolae nov. spec. 330 List, Geschlechtsorgane und die Eibildung bei parasitischen Copepoden. Brutraumduplikatur (Matrikalhöhle) auszeichnen, finden wir die Eizellen- bildung in sehr merkwürdiger, bei den einzelnen Species abweichen- der Weise geschildert. Während Thorell!), der genaue Beobachter der Notodelphyiden, in seinem grundlegenden Werke über die Bildung der Keimzellen nichts näheres erwähnt, fand Buchholz?) bei einer Notodelphyiden- species (Doropygus gibber) in den mittlern und obern Abschnitten des Ovarium Eier von verschiedener Entwicklung, welche an der zarten Wandung des Ovarialrohres befestigt, mehr oder weniger starke Aus- buchtungen desselben verursachten®). Diese Eier waren von einem körnigen Dotter umgeben und lagen nicht dieht gedrängt, sondern ließen verschieden große Zwischenräume zwischen sich frei, in welchen zarte Zellen an den Wandungen des Schlauches befindlich waren, welche die eigentlichen Keimzellen darstellten. Eine Sonderung des Ovarium in einen keimbereitenden und dotterbildenden Abschnitt fand Buchholz nicht, sondern die Keimzellen entstehen gleichmäßig durch das ganze Ovarium zwischen den Eiern. Nur bei Goniodelphys schien ibm die Keimzellenbildung auf den vordersten Abschnitt des Ovarialschlauches beschränkt zu sein, indem hier die hintern, an den Uterus (von Buchholz so gedeuteter Matrikal- raum) angrenzenden Partien desselben dichtgedrängte, große Eier ent- hielten, welche schon ganz die Entwicklung der im Uterus befindlichen besaßen, während sie nach vorne zu an Größe abnahmen. Nach Kerschner*), dem wir ebenfalls Beobachtungen über die Eibildung bei Notodelphyiden verdanken, schnüren sich von dem Ovarium Eierfäden ab, und gelangen in die Ovidukte. In den letz- tern befinden sich außer nahezu reifen Eiern, Schnüre oder Fäden anderer Eier verschiedener Größen, von welchen eines (in der Mitte gelegen) die übrigen an Größe bedeutend übertrifft, neben fast reifen Eiern, auch wenn für die nächste Zeit eine Eiablage bevorsteht, Das sich rascher entwickelnde Ei dürfte nach Kerschner nach Erlangung der nötigen Größe abgestoßen werden; welches Loos die andern Eier des Fadens erfahren, konnte nicht ermittelt werden. Giesbrecht°), der sich eingehend mit der Eibildung bei Noto- delphyiden (Notopterophorus) beschäftigte, fand bereits bei ältern 4) T. Thorell a. a. 0. 2) R. Buchholz, Beiträge zur Kenntnis der innerhalb der Ascidien leben- den parasitischen Crustaceen des Mittelmeeres. Zeitschrift für wiss. Zoologie, Bd. 19, S. 99, 1869. 3) Buchholz hielt nämlich den Ovidukt, den er nur allein beobachtete, für das Ovarium. 4) L. Kerschner, Ueber zwei neue Notodelphyiden nebst Bemerkungen über einige Organisationsverhältnisse dieser Familie. Denkschriften der Wiener Akademie, Bd. 41, math. naturwiss. Klasse, 1879. 5) W. Giesbrecht, Beiträge zur Kenntnis einiger Notodelphyiden. Mit- teilungen der zoolog. Station zu Neapel, Bd. 3, 1882 List, Geschlechtsorgane und die Eibildung bei parasitischen Copepoden. 331 Tieren des vorletzten Entwicklungsstadiums (also im Stadium vor der letzten Häutung) an den Ovarialschläuchen Veränderungen vor. Es wächst nämlich der Querdurchmesser besonders der paarigen Teile der Schläuche, und das Epithel derselben fängt an, sich von der Wandung loszulösen. Dieser Prozess beginnt sowohl am vordern Ende als auch in der unpaaren Brücke und den benachbarten paarigen Stücken der Ovarial- schläuche und schreitet nach hinten allmählich fort. Die Epithelzellen lösen sich nun nicht einzeln, sondern in Längs- reihen ab, so dass daraus die spätere Anordnung in Schnüren erfolgt. Nach Beendigung des Prozesses der Ablösung der Keimzellen, der nicht etwa von der Begattung eingeleitet wird, ist auf der Wan- dung der Ovarialschläuche von dem Keimepithel nichts mehr zu finden. Die Wandung besteht nun aus einer äußern, strukturlosen Tunica propria, die innen von einer Protoplasmaschicht ausgekleidet ist. Diese Schicht birgt an manchen angeschwollenen Stellen Kerne. Dieselben liegen gleich nach Ablösung des Keimepithels einzeln in geringer Entfernung von einander; bald aber, wenn der Schlauch sich erweitert, treten statt der einzelnen Kerne Kerngruppen auf, die immer weiter auseinander rücken, je mehr der Schlauch anschwillt. Diese Kerne und die sie beherbergende Protoplasmaschicht ist nach Giesbrecht vielleicht schon vor Abstoßung des Keimepithels vorhanden. Der Ovarialschlauch hat nun in seiner gesamten Ausdehnung diese Beschaffenheit, in seinem ganzen Verlaufe ist derselbe als keim- bildendes Organ, als OÖvarium, zu deuten, während er später, eben- falls in seinem ganzen Verlaufe, als Ovidukt fungiert. Der Inhalt der Ovarialschläuche besteht nun überall aus den ab- gestoßenen Eizellen, die sämtlich in Form von einfachen Schnüren aneinander gereiht sind. Kurze Zeit nach ihrer Ablösung besitzen die Eierschnüre überall fast gleiche Dieke. Bald aber beginnen einzelne Zellen durch schnelleres Wachstum sich zu vergrößern. Diese sich vergrößernden Eizellen sind nicht etwa an bestimmten Stellen der Eierschnur zu finden, sondern sie können an den verschie- densten Punkten angetroffen werden. Andere Zelisn der Eierschnur vergrößern sich ebenfalls, und nehmen dann, bevor sie ihre bestimmte Größe erreicht haben in ihren peripherischen Teii fettartige, verschieden gefärbte Tröpfchen auf. Wenn diese mit Dottertröpfchen gefüllten Eizellen ihre endgiltige Größe erreicht haben, lösen sie sich aus dem Verbande der Eier- schnur und wandern in den Matrikalraum. Nach dem Austritte der abgelösten Eier in den Matrikalraum besteht der Inhalt der Ovarialschläuche aus den zurückgebliebenen Eierschnüren mit den verschiedene Größe erlangten und im Wachs- tume zurückgebliebenen Eizellen. 332 List, Geschlechtsorgane und die Eibildung bei parasitischen Copepoden. Wenn man aus einem reifen tingierten Weibchen den Ovarial- schlauch herauspräpariert, so findet man nach Giesbrecht hie und da tief tingierte Flecke, in welchen sich die Windungen der Eier- schnüre, die sich gegen diese Flecke hin allmählich verjüngen, ver- lieren. Wenn man sich den Bau der Flecke genauer ansieht, so findet man, dass dieselben aus einem Knäuel von Eizellen bestehen, in welchen ein Stück der Eierschnur hineingeht, und aus dem ein anderes heraustritt. Der ganze Knäuel scheint ebenfalls n Schnüren angeordnet zu sein. Diese Knäuel betrachtet nun Giesbrecht für Keimherde d.h. für die Zentren der nachträglichen permanenten Keimzellenbildung. Während also, wie vorstehend ausführlich beschrieben, bei den Notodelphyiden ein völlig abweichender Modus der Eizellenbildung statt hat, fehlt es doch auch nicht an Beobachtungen bei Copepoden, die eine Uebereinstimmung mit dem von mir bei den Gastrodelphyiden angegebenen zeigen. Nach Ed. van Beneden!) geht die Eibildung bei Chondranthus gibbosus in folgender Weise vor sich. Der Geschlechtsapparat be- steht aus einem an seinem innern, kolbig erweiterten Ende geschlos- senen Schlauch, an welchem seitliche Ausbuchtungen ansitzen, die im geschlechtsreifen Tiere eine bedeutende Entwicklung erlangen. In dem blinden Ende dieses Schlauches befindet sich fein gra- nuliertes, helles Protoplasma, in welches Kerne mit Kernkörperchen eingebettet sind. Diese Kerne werden nun zu den Keim- bläschen der jungen Eier, indem sich rings um sie ein Teil der gemeinschaftlichen Protoplasmamasse zu einem besondern Zellkörper abgrenzt. Diese jungen Eier rücken in dem Genitalschlauche immer weiter vor und werden durch die in ihnen auftretenden Dotterelemente immer dunkler und undurchsich- tiger. van Beneden nennt die seitlichen Blindschläuche mit Eiern, die mit zahlreichen Dotterteilchen versehen sind, im Gegensatze zu dem eibildenden blinden Ende des Schlauches, die er als Keimstock bezeichnet, Dotterstock. Wenngleich diese Deutung van Beneden’s von Ludwig?) zu- rückgewiesen worden, so kann ich mich doch auch nicht der Mei- nung letztern Forschers, wonach die vermeintlichen Dotterstöcke van Beneden’s Keimstöcke seien, anschließen. 1) Ed. van Beneden, Recherches sur la composition et la signification de l’oef, basees sur l’etude de son mode de formation et des premiers pheno- menes embryonnairs. M&m. cour. ete. publ. par l’Acad. roy. des sciences de Belgique, Tom. XXXIV, 1870. 2) H. Ludwig, Ueber die Eibildung im Tierreiche. Verhandlungen der phys. mediz. Gesellschaft in Würzburg, N. F., Bd. VII, S. 33, 1874. Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 333 Die seitlichen Blindschläuche, die bei geschlechtsreifen Tieren be- sonders entwickelt sind, führen reifende Eier und fungieren demnach als Ovidukte, ein Verhältnis, wie es auch in ähnlicher Weise bei den Gastrodelphyiden angetroffen wird. Betrachtungen über den Bau der Rhizopodenschalen. Von Friedrich Dreyer in Berlin. Während des bisherigen Verlaufes meiner Studien über Rhizopoden und speziell über Radiolarien haben sich mir verschiedene Betrach- tungen allgemeinern Charakters aufgedrängt. Aehnliche Ideen sind zum Teil schon von frühern Autoren berührt worden und finden sich an den verschiedensten Stellen der umfangreichen Literatur verstreut, verschiedene der im Folgenden zu besprechenden Punkte habe ich schon in die speziellen Untersuchungen des ersten Heftes meiner „Radiolarienstudien“!) eingeflochten, gleichwohl halte ich es für eine nicht undankbare Aufgabe, den vollständigen Gedankengang meiner Betrachtungen über den Bau der Rhizopodenschalen im Folgenden im Zusammenhange wiederzugeben, da er wie ich hoffe auch für manche, die sich nicht speziell mit der betreffenden Protistenabteilung beschäf- tigten, von Interesse sein wird. Schon bei oberflächlicher Betrachtung der ungeheuren Formen- menge der Rhizopoden kann man bei denselben eine wesentliche Ver- schiedenheit im allgemeinen Habitus der Schale wahrnehmen und hiernach 2 Formengruppen unterscheiden. Ein Teil der Rhizopoden besitzt eine Schale, welche von zahlreichen, gleichmäßig verteilten oder doch mehrern, jedenfalls mehr als 2 Poren durchbohrt ist und zeigt in der Mehrzahl der Fälle eine kuglige oder polyaxone Grund- form ohne scharf ausgesprochene verlängerte Hauptaxe. Ein anderer Teil der Rhizopoden zeigt eine deutlich ausgeprägte, meist verlängerte Hauptaxe der Schale, an deren einem, zuweilen auch an beiden Polen, sich eine Mündungsöffnung befindet. Diese Mündungsöffnung ist ent- weder die einzige Oeffnung, welche in der Schale vorhanden ist oder zeichnet sich bei perforierter Schalenwandung vor den Poren der Schale durch bedeutendere Größe, oft auch durch Randverzierungen und ähnliche Differenzierungen mancherlei Art aus. Nach den eben genannten Merkmalen kann man bei sämtlichen Rhizopodenschalen 2 Bauarten unterscheiden, die man passender Weise als perforat- 4) Friedrich Dreyer, Morphologische Radiolarienstudien. — I. Heft: Die Pylombildungen in vergleichend -anatomischer und entwicklungsgeschicht- licher Beziehung bei Radiolarien und Protisten überhaupt, nebst System und Beschreibung neuer und der bis jetzt bekannten pylomatischen Spumellarien. Jena, Gustav Fischer, 1889. 334 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. polyaxonen und pylomatisch!) -monaxonen Formtypus bezeichnen kann. Das hauptsächlichste und charakteristische Moment dieser beiden Formtypen ist die Beschaffenheit der Schalenöffnungen, ob gleichmäßig perforiert oder polymatisch. Erst in zweiter Linie kommt das Verhältnis der promorphologischen Axen in betracht, dasselbe ist in den meisten Fällen von der Beschaffenheit und Verteilung der Schalenöffnungen abhängig und steht mit derselben in Korrelation, es ist dies auch sehr natürlich, da die letzteren mit der Verteilung und der Verlaufsrichtung der nach außen tretenden bildenden Sarkode im ganzen übereinstimmen. Die dem polymatischen Formtypus ange- hörigen Rhizopoden sind der Natur der Sache nach ohne Ausnahme monaxon, das Pylom befindet sich an dem einen Pole der Hauptaxe. Die Rhizopodenschalen des perforaten Formtypus sind in der Regel kuglig-homaxon oder polyaxon, in einer Reihe von Fällen ist zwar auch hier eine verkürzte oder verlängerte Hauptaxe ausgebildet, nie hat dieselbe aber an ihren Polen ein Pylom aufzuweisen. Die mehr oder weniger gleichmäßige Perforierung übt ihrem indifferenten Charakter entsprechend auf die Form der Schale auch keinen nachhaltigen Einfluss von Bedeutung aus und ist daher über den perforaten Formtypus auch weiter nichts besonderes zu bemerken. Anders verhält es sich mit dem pylomatischen Formtypus. Hand in Hand mit der Ausbildung einer Hauptöfinung, einem Pylom, treten an der Rhizopodenschale eine Reihe von Umgestaltungen und Differen- zierungen auf, welche besonders auch dadurch interessant werden, dass sie unabhängig vom Baumaterial der Schale und selbständig in den verschiedensten Gruppen der Radiolarien und Thalamophoren ent- wickelt sind. Es geht daraus hervor, dass wir es hier mit 'reinen Analogiebildungen zu thun haben, welche, mit der Pylombildung in Korrelation stehend sich nur bei den Rhizopodenschalen finden, welche durch eine Hauptmündungsöffnung ausgezeichnet sind. Es dürfte sich daher wohl lohnen, auf diese Eigentümlichkeiten des monaxon-pylo- matischen Formtypus etwas näher einzugehen. Der regelmäßigste Begleiter der Pylombildung ist eine Längs- streekung der Schale in der Richtung der Hauptaxe, seltener ist die 1) Für die Hauptmündungsöffnung der Rhizopodenschalen habe ich in meinen „Radiolarienstudien“ das Wort „Pylom“ vorgeschlagen. Ich habe es dort in erster Linie für die an Radiolarienskeleten vorkommenden Mündungsöffnungen in Anwendung gebracht, besonders um einer Verwechslung vorzubeugen mit dem Oseulum (Häckel) der Zentralkapsel der Nassellarien und Phäodarien (Oseulosa Häckel). Da für die Hauptmündungsöffnung der Schale auch der Thalamophoren bis jetzt noch keine einheitliche Benennung existiert, dürfte es sich empfehlen, die betreffenden Bildungen der Rhizopoden überhaupt unter dem Begriffe „Pylom“ zusammenzufassen. Ueber die in vieler Beziehung in- teressante vergleichende Morphologie der Pylome und verwandter Bildungen vergleiche die ausführlichen Auseinandersetzungen im ersten Hefte meiner „Radiolarienstudien“. Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen 99D Hauptaxe verkürzt. Ist die Schale im Besitz von radialen Skelet- elementen, Stacheln u. dgl. so macht sich auch bei diesen ein ent- sprechender Einfluss geltend, dieselben ordnen sich, der Richtung der Hauptaxe folgend, in der Weise an, dass diejenigen der oralen Schalen- hälfte nach dem oralen Schalenpole zu gerichtet sind, die der aboralen nach dem aboralen resp. apikalen Pol. Meist geht dieser Ditfferen- zierungsprozess noch weiter, indem sich an den äquatorealen Partien der Schale überhaupt keine Stacheln mehr ausbilden und solche nur auf die beiden Pole beschränkt bleiben. Es resultiert dann eine lang- gestreckte, elliptische oder ovale Schale, deren einer Pol durch die Hauptmündungsöffnung eingenommen ist. Außerdem sind beide Pole der Hauptaxe durch Radialstacheln oder sonstige Gebilde ausgezeichnet; am ovalen Pol umstehen dieselben als radiale Randverzierungen mancherlei Art das Pylom, während der gegenüberliegende apikale Pol entweder mit einem Stachelbüschel, oder einigen meist regelmäßig gruppierten Stacheln oder einem einzigen starken Apikalstachel ver- sehen ist. Diese Ausbildung der Schale ist in den verschiedensten Abteilungen der Rhizopoden außerordentlich verbreitet und als Typus des monaxon-pylomatischen Formtypus zu betrachten. Entsprechende Formen finden sich bei Difflugia, Euglypha, Quadrula, Campascus, Lagena, bei zahlreichen polythalamen Thalamophoren, in größter Ver- breitung bei Nassellarien, pylomatischen Spumellarien, Challengeriden, Cireoporiden, Tuscaroriden, Medusettiden, Castanelliden. — An der Stelle einer Randbestachelung ist das Pylom zuweilen in eine Röhre ausgezogen. In manchen Fällen tritt auch am aboralen Pole ein Pylom auf, so dass die Schale, an beiden Polen der Hauptaxe von einer Mündungsöffnung durchbohrt, einen amphistomen Charakter er- hält. Alle diese morphologischen Charaktere des monaxon-pyloma- tischen Formtypus sind Erscheinungen verwandter Natur und stehen sowohl unter einander als auch mit der Pylombildung in naher Korre- lation. Dies erklärt sich einfach dadurch, dass allen dieselbe physio- logische Ursache an dem die Schale ausscheidenden Weichkörper zu Grunde liegt. Alle Eigentümlichkeiten des monaxon-pylomatischen Formtypus, die Pylombildung selbst mit eingeschlossen, sind zurück- zuführen auf eine einaxige Differenzierung des Sarkodekörpers, der seine Pseudopodien nicht mehr in allseitig gleicher Verteilung aus- sendet, sondern zum größten Teil oder sogar ausschließlich (imperforate Formen) von einem Punkte aus, nämlich durch das Pylom; nächst diesem Hauptausströmungsort ist die Sarkodeströmung am gegenüber- liegenden Pole am stärksten, ja sogar zuweilen, wie bei den ampbhi- stomen Rhizopoden, an beiden Polen gleich stark ausgebildet. Durch diese Orientierung des Weichkörpers in der Richtung einer Hauptaxe ist auch seine bildende resp. secernierende Thätigkeit nicht mehr allseitig gleichmäßig wirksam, sondern in entsprechender Weise lokali- siert, so dass beide Pole der Hauptaxe in der oben angedeuteten Art 396 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. und Weise durch radiale Anhangsgebilde mancherlei Art bevorzugt sind gegenüber den indifferenteren äquatorealen Schalenpartien. Bei einer sehr großen Anzahl von Fällen ist es durch Beobach- tung nachgewiesen, dass eine einseitig verstärkte Hauptsarkode- strömung durch das Pylom seinen Weg nimmt, ganz abgesehen von den imperforaten Thalamophoren und Radiolarien, bei denen ja der Natur der Sache noch sämtliche Pseudopodien durch das Pylom als einzige überhaupt vorhandene Oeffnung hindurchtreten müssen. Man kann daher wohl unbedenklich ein solches Verhalten als allgemein- giltige Regel aufstellen, ohne für jede einzelne pylomatische Rhizo- podenschale den direkten Nachweis zu fordern. Aus Gründen der Analogie, d. h. gestützt auf die zahlreichen wirklich beobachteten Fälle und das wohl von Niemandem angezweifelte harmonische In- einandergreifen der verschiedenen Teile eines Organismus ist diese Annahme wohl berechtigt. — Es könnte vielleicht noch eingeworfen werden, dass die Pylome der Rhizopoden von einem verstärkten Sarkodestrome durchzogen würden, beweise noch nicht, dass dieser letztere auch die Bildungsursache der Mündungsöffnungen sei, es könne im Gegenteil der umgekehrte Kausalnexus vorliegen, und die Sarkodestränge da hauptsächlich austreten, wo ihnen ein bequemer Weg geboten ist. Diesem Einwande gegenüber genügt einfach der Hinweis darauf, dass der lebendige Protoplasmakörper das Ur- sprüngliche und die Hartgebilde eine sekundäre Abschei- dung desselben sind. Der Weiehkörper bildet sich die Schale seinen Bedürfnissen entsprechend, statt sich umgekehrt nach der Schale zu richten; die Oeffnungen der Schale dienen natur- gemäß zum Durchtritt der Pseudopodien nach außen, kleinere Poren für einzelne, eine große Pylomöffnung für eine größere Menge von Pseudopodien. Bei einer Anzahl von pylomatischen Rhizopoden bleibt es nicht bei der Ausbildung einer Hauptaxe, sondern die Grundform derselben erfährt noch weitere Differenzierungen. Zunächst macht sich eine Verschiedenheit der Kreuzaxen geltend in der Weise, dass eine lange und eine kurze Kreuzaxe sich nachweisen lässt, welche beide auf- einander und auf der Hauptaxe senkrecht stehen. Das Resultat ent- spricht der Grundform der amphitekten Pyramide (Häckel), die hierher gehörigen Formen sind seitlich, d. h. parallel zur Hauptaxe, linsenförmig abgeplattet. Bei derartigen Rhizopodenschalen ist auch das Pylom oft nicht mehr rund, sondern schlitzförmig ausgezogen; etwa vorhandene Stacheln am aboralen Pole sind meist in der Rich- tung der langen Kreuzaxe orientiert, zuweilen ist die Peripherie der monaxon-linsenförmigen Schale gekielt. Es findet sich eine solche mehr oder weniger ausgeprägte amphitekt-pyramidale Promorphe bei Hyalosphenia, Quadrula, Difflugia, Euglypha, Gromia, Lagena (Fissurina Rss.), Lingulina, bei einzelnen polymatischen Spumel- Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 391 larien!), verschiedenen Nessellarien und durchgehendsin der Phäodarien- familie der Challengerida. Ein weiterer Schritt zu höherer Differenzierung ist der Uebergang zur eudipleuren (bilateral-symmetrischen) Grundform, welcher entweder von amphitekten oder auch direkt von einfach monaxonen Formen ausgehen kann. Derselbe findet in der Regel statt infolge einer Ver- lagerung des Pyloms, welches sich bei monaxonen und amphitekten Rhizopoden an einem Pole der Hauptaxe und zwar direkt senkrecht unter dem apikalen Schalenpole befindet, nach vorn resp. hinten, wo- durch ein Vorn und Hinten, Links und Rechts unterscheidbar wird. Interessant ist die Uebereinstimmung dieses Vorganges mit der Um- wandlung der Grundform bei der hypothetischen Entwicklung der Turbellarien ausCtenophoren (A.Lang): Die Ctenophoren und ursprüng- lichsten Turbellarien sind durchaus amphitekt gebaut; der Mund liegt auf der Mitte der Unterseite senkrecht unter dem agitalen Pole des Körpers, vorn und hinten, rechts und links ist noch nicht zu unterscheiden, dieser Unterschied entsteht erst durch die bei den meisten Turbellarien (Polyeladen) stattfindende Verlagerung des Mundes nach vorn oder hinten, wodurch dann auch die eudipleure Grundform gegeben ist. Außerdem werden manche Rhizopoden eudipleur durch eine ent- sprechende Anordnung der oralen und aboralen radialen Anhangs- gebilde oder durch eine Umbiegung des Mündungshalses der Schale. Eudipleure Ausbildung der Schale begegnet uns bei Difflugia, Trinema, Oyphoderia, Campascus, Lieberkühnia, Mikrogromia, Platoum, Plecto- phrys, Lecythium, vielen polythalamen Thalamophoren, einzelnen pylo- matischen Spumellarien?) und den Phäodarienfamilien der Challenge- riden, Medusettiden und Tuscaroriden. Eng an die eudipleuren Formen schließen sich die spiralgewun- denen Rhizopodengehäuse an und sind eigentlich nur als eine durch den gleich näher zu besprechenden terminalen Wachstumsprozess be- dingte Fortführung der eudipleuren Grundform zu betrachten. Es finden sich denn auch, besonders bei Süßwasserrhizopoden, ganz all- mähliche Uebergänge von einfach eudipleuren zu spiralig gewundenen Schalen. Besonders lehrreich sind in dieser Beziehung die Difflugien, bei denen alle Uebergänge von monaxonen zu eudipleuren und von diesen zu spiraligen Schalen vertreten sind; so ist z. B. Difflugia corona typisch monaxon, D. marsupiformis bei nach vorn verlagertem Pylom eudipleur, während endlich D. spiralis bereits einen halben 1) Von dieser Reihe der Erscheinungen auszunehmen sind dagegen die pylomatischen Discoideen und Larcoideen. Näheres hierüber siehe in meinen „Radiolarienstudien“, Heft I, S. 98—99. 2) Die bei einer großen Zahl von Nassellarien durch das Verhalten der Basal- und des Apikalstachels angedeutete Bilateralität ist ursprünglicherer Natur und gehört nicht hierher. Vergl. hierzu „Radiolarienstudien“, Heft I, S. 100, Anmerkung 2. IX, 22 335 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. Umgang einer Spirale deutlich erkennen lässt!). In ähnlicher Weise wie bei diesen ersten, vielleicht heute noch individuell schwankenden Anfängen der Süßwasserrhizopoden haben sich jedenfalls auch die oft hoch entwickelten, viele Spiralumgänge aufweisenden marinen Thalamophoren entwickelt, worauf unter andern auch die monaxone, zentrale Anfangskammer (sog. Embryonalkammer) hinweist. Nachdem wir im vorstehenden die Rhizopodenschalen inbezug auf ihre Form einer kurzen Betrachtung unterzogen haben, wollen wir sie jetzt von einem andern Gesichtspunkte aus, nämlich nach der Art ihres Wachstums etwas näher untersuchen. Hierbei tritt uns gleich auf den ersten Blick ein interessanter Parallelismus mit den soeben besprochenen beiden Formtypen entgegen. Ebenso wie bei den Form- typen können wir auch nach der Art des Wachstums bei den Rhizo- podenschalen zwei Haupttypen unterscheiden, welche sich den beiden Formtypen an die Seite stellen lassen und im ganzen und großen als eine durch Wachstum bedingte Fortsetzung der letztern aufzufassen sind. So entspricht dem perforaten Formtypus der konzentrische Wachstumstypus, dem pylomatischen Formtypus der terminale Wachs- tumstypus. Der konzentrische Wachstumstypus besteht wie schon sein Name sagt darin, dass der Weichkörper bei weiterem Wachstum um seine erste kuglige perforate Schale, welehe ihm allmählich zu klein wird, nach außen successive größere konzentrische Kugelschalen abscheidet. Die Schalen eines solchen Systems ineinandergeschachtelter Gitter- kugeln werden untereinander durch radial verlaufende Stäbe, die so- genannten Radialbalken, verbunden. Das Wachstum der auf die erste Schale folgenden Hohlkugeln geht sogar in einer großen Anzahl von Fällen (vielleicht stets?) von den Radialbalken aus, indem die nach außen als Radialstacheln frei ausstrahlenden Enden derselben ein System von seitlichen Apophysen aussenden, welche untereinander verwachsen und die nächste Schale zum Abschluss bringen. Dies ist die typische und ursprüngliche Form des konzentrischen Schalen- wachstums; sie findet sich, wie das konzentrische Wachstum über- haupt, nur bei Radiolarien und zwar bei Sphaeroideen, vielen Pru- noideen, den Phacodisciden und den Phraetopeltiden. Modifikationen erfährt dieses ursprüngliche Verhalten dadurch, dass das Wachstum nieht mehr allseitig, sondern statt dessen nur in bestimmten Rich- tungen stattfindet. So wachsen die scheibenförmigen Discoideen nur in einer Ebene durch Ansatz von konzentrischen Ringen, viele Pru- noideen nur in der Richtung einer Axe, indem sich bei denselben an beiden Polen successive eine Reihe von kuppelförmigen Kugelsegmenten ansetzt. Beide Modifikationen lassen sich aber leicht auf ein System von konzentrischen Kugeln zurückführen und naturgemäß in der Weise 1) Vergl. „Radiolarienstudien“, Heft I, Taf. VI, Fig. 88, 89, 90. Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 339 erklären, dass bei den Diseoideen nur die in der Wachstumsebene gelegenen Teile der Gitterkugeln als Ringe, bei den Prunoideen nur die an den beiden Polen der Hauptaxe, in welcher das Wachstum stattfindet, befindlichen Kugelsegmente zur Entwicklung kommen. Wie wir gesehen haben, findet bei dem konzentrischen Wachs- tumstypus ein Anwachsen von neuen Schalenteilen ursprünglich nach allen Richtungen des Raumes hin gleichmäßig statt oder bei den zu- letzt erwähnten modifizierten Erscheinungsweisen doch in wenigstens mehr als einer Riehtung. Im Gegensatze hierzu wachsen die Schalen des terminalen Wachstumstypus nur in einer Richtung weiter. Ebenso wie der konzentrische Wachstumstypus an den perforaten Form- typus, so schließt sich der terminale Wachstumstypus an den pyloma- tischen Formtypus an. Das terminale Schalenwachstum geht in der Weise vor sich, dass der Sarkodekörper einer pylomatischen Schale, sobald ihm diese zu klein wird, zum teil aus dem Pylom hervorquillt und vor diesem eine 2. Schale (hier gewöhnlich Kammer oder Glied genannt) ansetzt, welehe durch ein neues endständiges Pylom nach außen mündet. Bei dem weitern Wachstum des Weichkörpers wieder- holt sich dieser Prozess in bestimmten Intervallen immer wieder, vor dem Pylom der 2. Kammer wird ein 3. angebaut, vor dieser ein 4. und so fort. Es entstehen so kürzere oder längere Kammerreihen, welche an ihrem Ende, dem Mündungspole der jüngsten Kammer, weiterwachsen. Die Kammerreihe ist entweder grade, wie bei Cyr- toideen und Nodosarien, oder gebogen wie bei Dentalina, oder endlich zu einer Spirale eingerollt (z. B. Cristellaria) ähnlich den Schalen der Nautiloiden und Ammoniten, nur befindet sich bei den letztern der Weichkörper ausschließlich in der letzten, jüngsten Kammer, während bei den Rhizopoden sämtliche Kammern von dem Sarkode- körper ausgefüllt werden. Während sich unter den beiden Formtypen sämtliche Rhizopoden- schalen unterbringen lassen, ist dies bei den Wachstumstypen nicht der Fall, aus dem einfachen Grunde, weil bei vielen Rhizopoden ein nachträgliches Wachstum der Schale überhaupt nieht stattfindet. Es sind dies die einschaligen resp. einkammerigen Formen ohne sekun- däres Wachstum!), welche sowohl im perforaten als auch pylomatischen Formtypus, sowohl bei Radiolarien als auch bei Thalamophoren in ziemlicher Anzahl nachweisbar sind und zu den Schalen mit sekun- därem, nach einem der beiden Wachstumstypen stattfindenden Weiter- wachsen in einem gewissen Gegensatz stehen. Interessant ist es, dass sich diesem morphologischen Unterschiede, wie es scheint, auch 4) Auch einige monothalamen Thalamophoren zeigen ein sekundäres Schalenwachstum, wie besonders die Cornuspiriden. Diese pylomatischen Formen gehören natürlich dem terminalen Wachstumstypus an und sind daher hier auszunehmen. 22” 340 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. ein physiologischer an die Seite stellen lässt. Verworn!) machte nämlich die Beobachtung, dass künstliche Verletzungen der Schale von einem einkammerigen Rhizopoden (Difflugia urceolata Carter) nicht ausgebessert wurden, während dies bei mehrkammerigen Rhizo- poden, wie nach den Untersuchungen des Verfassers an Polystomella crisp« und denen Carpenter’s an Orbitolites tenuissima und O0. com- planata, in ausgedehntestem Maße der Fall ist. Aus diesen Befunden ist mit dem Verfasser der Schluss zu ziehen, dass die Fähigkeit des Weichkörpers, Schalenmaterial zu sezernieren, nur so lange andauert, wie das normale Wachstum der Schale selbst, woraus sich dann das soeben erwähnte verschiedene Verhalten der ein- und mehrkammerigen Rhizopoden erklärt. Wie schon erwähnt wurde, sind die beiden Form- und Wachs- tumstypen in der Weise mit einander verbunden, dass die Schalen des perforaten Formtypus nach dem konzentrischen Wachstumstypus, die pylomatischen Schalen dagegen nach dem terminalen Wachstums- typus sich weiter entwickeln. Von dieser Regel ist meines Wissens nur eine wirkliche Ausnahme bekannt und zwar die der Phäodarien- familie der Canosphaerida. Die Angehörigen dieser interessanten Gruppe besitzen nämlich eine kleine zentrale pylomatisch-monaxone Markschale, welche in weitem Abstande von einer großen kugelrunden homaxonen Gitterkugel umgeben ist, beide Schalen sind durch lange Radialbalken mit einander verbunden. Es wird hier jedenfalls der zur Zeit der Abscheidung der Markschale vorhandene einseitig orien- tierte Sarkodestrom während des Verlaufs der weitern Entwicklung rückgebildet, um wieder einer gleichmäßig radiären Anordnung Platz zu machen. Nachdem wir nun in kurzen Umrissen das Verhältnis der mehr- schaligen zu den einschaligen Formen kennen gelernt haben, drängt sich uns natürlich die Frage auf, welche von den letztern, den Schalen ohne sekundäres Wachstum, wieder als die ursprünglichsten zu betrach- ten sind. Eine genauere Untersuchung der in betracht kommenden Ver- hältnisse lehrt uns, dass eine eindeutige Antwort auf diese Frage jedenfalls überhaupt nicht zu geben ist. Die perforaten, mehr oder weniger bomaxonen Monothalamen zeigen in fast allen Fällen ein ursprüngliches Verhalten, dies lässt sich aber mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit auch für viele pylomatische Einkammerige annehmen. Anderseits ist jedoch höchstwahrscheinlich ein großer Teil der pylomatischen Monothalamien erst sekundär aus perforaten kugligen Formen hervorgegangen. Dies wird besonders durch einige wichtige gelegentlich vorkommende Uebergangsformen höchst plausibel gemacht. So schwankt die Zahl der Poren bei der kugelrunden Schale 4) M. Verworn, Biologische Protistenstudien. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XLVI, S. 455—470 u. Taf. XXXI. Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 341 von Mikrokometes von 5—1, so dass im letztern Falle bereits die Andeutung einer monaxon-pylomatischen Ausbildung vorliegt und bei Thurammina und Orbulina ist zuweilen ein Schalenpore durch bedeu- tendere Größe vor den übrigen ausgezeichnet. Bei Radiolarien findet sich die sekundäre Entstehung eines Pyloms in großer Verbreitung und verweise ich inbezug hierauf auf die ausführliche Behandlung dieses Punktes in meinen Radiolarienstudien (Heft I: Die Pylom- bildungen). Während nach dem Vorstehenden ein Formtypus in den andern übergehen kann, ist dies durchaus nicht der Fall bei den Wachstums- typen. Nie kommt es vor, dass eine Form, welche eine Zeit lang terminal gewachsen ist, sich später dem konzentrischen Wachstum zuwendet oder umgekehrt. Es kann nach den gegenwärtigen Beob- achtungen wenigstens als ausnahmslose Regel gelten, dass dieselbe Form stets ihrem einmal gewählten Wachstumstypus treu bleibt. Be- sonders bezeichnend ist hierfür das Verhalten der pylomatischen Spumellarien. Außer bei manchen einschaligen bildet sich auch bei vielen Spumellarien, bei welchen bereits mehrere konzentrische Kugel- oder Ringsysteme vorhanden sind, ein Pylom aus, gleichwohl fahren diese Formen aber ungestört fort, konzentrisch zu wachsen, ohne dass der Einfluss des Pyloms so wichtig wäre, das konzentrische Wachstum zu unterdrücken und die Schale terminal weiter wachsen zu lassen. Die betreffenden Rhizopoden vermögen wohl ihren Formtypus, nicht jedoch ihren Wachstumstypus zu ändern. — In dem bisher gesagten war verschiedene mal von Entwicklungs- resp. Umbildungsvorgängen der Rhizopodenskelette die Rede; inbezug hierauf ist noch Folgendes in Erinnerung zu bringen. Zur genetischen Erklärung der unzähligen Differenzierungserscheinungen sind je nach den verschiedenen eimzelnen Befunden 3 Möglichkeiten gegeben. Eine große Anzahl von Bildungen ist auf einfaches appositionelles Wachs- tum zurückführbar, andere Veränderungen sind im Gegenteil nur durch Schwund von früher vorhandenen Skelettpartien zu erklären, während endlich gewisse Veränderungen nur durch Biegung der be- treffenden Skeletteile verständlich sind. Wenn wir nun in betracht ziehen, dass die Hartteile der Rhizopoden aus starrem mineralischem Materiale bestehen, so ist es einleuchtend, dass ontogenetische Ent- wieklungsvorgänge nur durch den erstgenannten Modus, durch An- lagerung neuen Materiales möglich sind. Es ist zwar schon zu wieder- holten Malen ein Resorptionsvorgang bei Thalamophorenschalen an- genommen worden und wäre ein solcher Prozess ja auch vielleicht durch lokale Säureproduktion des Weichkörpers denkbar, es erscheint dies jedoch noch so problematisch, dass man mit diesem Faktor nicht eher rechnen kann, als bis sein Vorhandensein etwa einmal sicher nachgewiesen wird. Bei den Kieselskeletten der Radiolarien ist aus begreiflichen Gründen die Annahme eines Resorptionsvorganges von 342 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. vornherein zu verwerfen. Ebenso ist natürlich eine Biegung von starren Kalk- und Kieselteilen nicht möglich. Hieraus ergibt sich, dass die ontogenetische Entwieklung der Hartteile der Rhizopoden nur durch appositionelles Wachstum vor sich gehen kann und alle Bildungen, welche sieh hierdurch nicht erklären lassen, auf Rechnung der phylogenetisehen Entwicklung geschrieben werden müssen, da ja natürlich auf dem Wege der Phylogenie jede denkbare Formwandlung möglich ist. — Der Umstand, dass bei den einmal abgeschiedenen Hartteilen eine nachträgliche Wiederauflösung oder Veränderung durch totale oder lokale Resorption, Biegung, Dehnung und dergleichen nicht mehr möglich ist, hat noch eine andere höchst wichtige Konsequenz zur Folge. Da bei den höher entwickelten Protisten, bei denen man schon von einer eigentlichen individuellen Entwicklung reden kann und die demnach auch ihre Stammesgeschichte hinter sich haben, natürlich auch das biogenetische Grundgesetz ebenso wie bei Pflanzen und Tieren seine Giltigkeit hat, 'so gibt auch die Ontogenie der Skelette der Rhizopoden eine mehr oder weniger getreue Wiedergabe ihrer Phylogenie. Während jedoch bei den höhern Organismen nach Voll- endung der Ontogenie die einzelnen während der letztern durch- laufenen Stadien meist längst verschwunden sind, ist bei den Rhizo- podenskeleten die ganze durchlaufene Entwicklung am ausgewachsenen Exemplar noch vollständig erhalten. Um sich ein genaues Bild der Entwicklung der Schale zu verschaffen, hat man nur nötig, die zuerst gebildeten Teile bis zu den jüngsten zu untersuchen, also bei kon- zentrisch gewachsenen Schalen vom Zentrum nach der Peripherie, bei terminal gewachsenen von der sogenannten Embryonalkammer an die Kammerreihe bis zu Ende entlang zu gehen. Es ist daher ebenso wie bei dem bekannten Beispiele der Cephalopodenschalen auch bei den Rhizopodenschalen sehr oft möglich, die Anfangsteile differen- zierterer Skelette mit ausgewachsenen primitiven Formen direkt zu vergleichen. Für Thalamophorenschalen ist dies schon in verschie- denen speziellen Fällen durchgeführt worden, und bei den Radiolarien ist dies wegen ihrer weit größern Differenzierung in noch ausgedehn- terem Maße und mit mehr Erfolg möglich. Es fällt in diesen Fällen vergleichende Anatomie und Ontogenie zusammen, ein für die morpho- logische Forschung gar nicht hoch genug anzuschlagender Vorteil, der nur leider bisher, wie die vergleichende Behandlung der Rhizo- poden überhaupt, sich noch lange nicht der genügenden Beachtung erfreut. Nachdem wir im vorstehenden einige der wichtigsten Momente im Bau der Rhizopodenschalen kennen gelernt haben, bleibt uns noch eine Erklärung dieser Erscheinungen übrig. Es kann sich hier natür- lich nur um einen vorläufigen Versuch handeln, einiges Licht über die Aetiologie des ungeheuren Formenlabyrinths der Rhizopoden zu Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 343 verbreiten, denn eine auch nur annähernd vollständige Lösung dieses schwierigen Problems liegt noch im weiten Felde. Die hauptsächlichste Ursache der Formtypen des Weichkörpers und der Schale ist wohl in der Lebensweise der betreffenden Rhizo- poden zu suchen. Rhizopoden mit dem perforaten Formtypus ange- hörigen Schalen und allseitig gleichmäßig ausstrahlenden Pseudopodien werden eine im Wasser frei schwebende und rotierende Lebensweise führen. Die monaxonen und amphitekten Schalen des pylomatischen Formtypus werden Rhizopoden angehören, welche beim Schwimmen oder Kriechen eine bestimmte, senkrecht stehende Hauptaxe festhalten. Die eudipleure Ausbildung verdankt endlich dem Kriechen in einer bestimmten Richtung ihren Ursprung ganz ebenso, wie bei dem schon oben bei dieser Gelegenheit herangezogenen Beispiele der Polyeladen. Die morphologische Ausbildung resp. der spezifische Charakter der Formtypen kehrt, wie oben schon erwähnt wurde, unabhängig von Verwandtschaftsverhältnissen und Schalenmaterial in überall ganz analoger Ausbildung wieder. Ueber den perforaten Formtypus ist in dieser Beziehung wegen seines indifferierten Charakters nichts Be- sonderes zu sagen und es kommen hier hauptsächlich die erwähnten Begleiterscheinungen der Pylombildung, wie orale Randauszeichnungen des Pyloms, apikale Bestachelung ete. in betracht. Die spezifische Ausbildung des einmal gewählten Formtypus ist, wie gesagt, von dem Schalenmaterial unabhängig, bei der Auswahl des Formtypus selbst spielt das letztere jedoch schon eine bedeutende Rolle und in noch höherem Grade gilt dies für den Wachstumstypus, indem für die Art des weitern Wachstums der Rhizopodenschalen das Baumaterial eine gradezu bestimmende Rolle spielt. Die wichtigsten hier in betracht kommenden Materialien, welche die Rhizopoden zum Aufbau ihrer Schalen verwenden sind dreierlei Natur!). Ein Teil der Thalamophoren baut seine Schalen aus agglu- tinierten Fremdkörpern, teils anorganischer (Sand, Schlamm), teils organischer Natur (Thalamophoren und Radiolarienschalen, Spongien- nadeln ete.) auf, während der größere Teil der Thalamophorenschalen 1) Die primitive Chitinschale vieler Süßwasserrhizopoden spielt bei den hier in betracht kommenden Verhältnissen eine zu untergeordnete Rolle, um besonderer Erwähnung zu bedürfen. Das Schalenmaterial der Phäodarien- familien der Oircoporida, Tuscarorida und Challengerida bedarf noch näherer Untersuchung. Es scheint übrigens eine ähnliche Konsistenz zu haben, wie der Kalk der Thalamophorenschalen, auch ist die Bauart dieser Phäodarien der der Thalamophoren ähnlich. Das Akanthin scheint inbezug auf seine Festigkeit die Mitte zu halten zwischen dem kohlensauren Kalk nnd der Kiesel- säure, dies gilt wenigstens für den Habitus der Akantharienskelette, welche einerseits differenzierter und zierlicher wie die Thalamophorenschalen sind, ohne jedoch anderseits die leichte Bauart und hohe Komplikation der Kieselskelette der Polyeystinen und Phäodarien zu erreichen. 344 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. durch Sekretion von kohlensaurem Kalk gebildet wird und drittens endlich bestehen die Skelete der Radiolarien aus Kieselsäure. Die beiden erstgenannten Materialen der Thalanophorenschalen haben das Gemeinsame, dass sie eine weit geringere Festigkeit besitzen wie die Kieselsäure der Radiolarien. Dieser Unterschied hat nun auch eine entsprechende Differenz in Habitus und Bauart der beiden großen Hauptgruppen der Rhizopoden zur Folge. Schon bei oberflächlicherer Betrachtung fällt es auf, dass die Schalen der Thalamophoren bei weit geringerer Formenmannigfaltig- keit und Differenzierung weit massiger und plumper sind wie die oft höchst komplizierten, graziösen und zierlichen Radiolarienskelete. Das verhältnismäßig weiche Material, welches die Thalamophoren zur Her- stellung ihrer Schalen verwenden, gestattet es diesen Rhizopoden eben nicht, unbeschadet der Dauerhaftigkeit ihrer Gehäuse so luftige und komplizierte Gerüste aufzuführen, wie die aus festen, mehr oder weniger elastischen Kieselbalken zusammengefügten Radiolarienskelette. Die Unterschiede sind jedoch noch tiefliegenderer Natur und er- strecken sich nicht nur auf den äußern Habitus, sondern auch auf den ganzen Bauplan der Schalen und Skelette. Schon bei den ein- schaligen Formen gibt sich dies, wie schon angedeutet, in der Aus- wahl resp. Verteilung der Formtypen auf die beiden gro/sen Schwester- gruppen der Rhizopoden deutlich zu erkennen. Die einkammerigen Thalamophorenschalen sind fast alle pylomatisch und nur wenige Formen wie Orbdulinella, Orbulina und einige Sandschaler gehören dem perforaten Formtypus an. Umgekehrt sind bei den Radiolarien die Mehrzahl der Einschaler perforat und die pylomatisch-monaxonen Formen sind in der Minderzahl, wenngleich sie immerhin nicht so zurücktreten wie bei den monothalamen Thalamophoren der perforate Formtypus. Noch ausgeprägter wird dieser Unterschied aber bei den mehrschaligen Formen mit sekundärem Wachstum in der Verteilung der beiden Wachstumstypen. So kommen bei den Radiolarien beide Wachstumstypen in größter Verbreitung neben einander vor, jedoch immerhin so, dass sich ein Ueberwiegen des konzentrischen Wachs- tums nicht verkennen lässt, während grade im Gegenteil bei den Thalamophoren ausschließlich!) der terminale Wachstumstypus ver- treten ist. Der Grund dieses verschiedenen Verhaltens der Thalamophoren und Radiolarien liegt nun darin, dass die beiden in betracht 1) Nur eine merkwürdige Ausnahme von dieser Regel macht Thurammina papillata Brady, deren agglutinierte Schale sich aus 2 konzentrischen, durch einige Radialbalken mit einander verbundenen Kugelschalen zusammensetzt (Brady, Challenger-Report, pl. 36, Fig. 12). Die plumpe und ziemlich unregel- mäßige Ausführung dieser Form zeigt uns jedoch, dass wir es hier gleichsam nur mit einem misslungenen Versuch zu thun haben, mit weniger festem Material die leichte Bauart der Kieselskelette nachzuahmen. Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 345 kommenden Bauarten verschiedene Ansprüche an die Festigkeit des Materiales stellen. Die perforat - konzentrische Schalenkonstruktion verlangt viel festeres Material wie die pylomatisch-terminale und da- her kommt es, dass während bei den Kieselskeleten der Radiolarien beide Schalenkonstruktionen in höchster Vollendung und Komplikation vertreten sind, die Thalamophoren genötigt sind, ausschließlich pylo- matisch-terminale Gehäuse aufzuführen, denn bei ihrem im Vergleich zur Kieselsäure weichern Baumateriale wäre es ihnen nicht möglich, unbeschadet der Festigkeit ihrer Schalen den Radiolarien ähnliche konzentrische, luftige Skelette zu bilden, sie müssen ihre Schalen eben solider und massiger herstellen, um ihnen die nötige Festigkeit zu geben. Es ist im Wesen der perforat-konzentrischen Bauart begründet, dass dieselbe eine luftigere Ausführung verlangt. Da keine Haupt- mündungsöffnung vorhanden ist, ist der Verkehr der Sarkode mit der Außenwelt und, bei mehrschaligen Formen auch zwischen den ein- zelnen Schalenzwischenräumen, ausschließlich auf die Poren der Schalen angewiesen, welche im Interesse einer leichten Kommunikation nicht zu eng, die dazwischenliegenden Skeletteile nicht zu massig sein dürfen; ebenso ist eine Verbindung der konzentrisch ineinander ge- schachtelten Gitterkugeln der mehrschaligen Formen nur durch freie Radialstäbe möglich, welche auch eine gewisse Stärke nicht über- schreiten dürfen. Anders liegen die Verhältnisse bei der pylomatisch- terminalen Konstruktionsart. Hier treten die Poren gegenüber der Hauptmündungsöffnung, dem Pylom, in ihrer Bedeutung sowohl, als auch in ihrer Ausbildung sehr in den Hintergrund, fehlen bei den imperforaten Formen sogar ganz, die Schalenwand kann daher auch kompakter und fester ausgeführt werden. Ebenso ist eine Verbindung der einzelnen Schalen bei mehrkammerigen Formen nicht durch freie Radialbalken nötig, sondern dieselben legen sich mit ihren Wänden direkt aneinander. Bei den pylomatischen Kieselschalen der Nassel- larien stehen die Poren an Ausbildung denen der perforat-konzen- trischen Spumellarien allerdings nicht nach, es kommt dies jedenfalls einfach daher, dass die Kieselsäure den Skeleten schon an und für sich eine solche Festigkeit verleiht, dass hierdurch eine Verstärkung der Schalenwand und eine diesbezügliche Ausnutzung des pylomati- schen Formtypus überflüssig gemacht wird. Anders ist dies bei den Schalen der Challengerida, Medusettida und Tuscarorida, welche zwar kieseliger Natur jedoch nicht von homogener Beschaffenheit sind, sondern mehr oder weniger komplizierte innere Struktur besitzen oder aus einer Masse von einzelnen untereinander verkitteten Kieselspikulis bestehen. Die hiehergehörigen Formen lassen denn auch ein Zurück- treten der Perforation bei gleichzeitig dieker Wandung deutlich her- vortreten. — Höchst instruktiv und für die hier entwickelte Auffassung dieser Verhältnisse gradezu beweisend ist das Verhalten der Spongo- 46 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. pyliden, spongiöser Discoideen, bei welchen sich sekundär am Rande der Scheibe ein Pylom ausgebildet hat und die ich nach diesem Merk- male in der Gattung Spongopyle vereinigt habe. So zeigt die aus einem regellosen Geflecht von dünnen Kieselbalken bestehende Spongo- pyle aspera, wie schon ihr Name andeutet, auch eine rauhe ungleich- mäßige Oberfläche, bei Spongopyle osculosa, Sp. setosa, Sp. eraticulata und Stöhrii macht sich bereits ein äußerer gleichmäßiger Abschluss geltend und dieser Prozess erreicht endlich seinen Höhepunkt bei Spongopyle circularis, Sp. ovata, Sp. elliptica und Sp. variabilis. Bei diesen Formen ist das spongiöse Geflecht des Innern nach außen durch eine einheitliche Schale, in welcher sich nur mehr sehr kleine Poren befinden, abgeschlossen. Am Rande der Scheibe befindet sich als einzige größere Oeffnung das Pylom. Durch die Ausbildung dieses letztern als Hauptausströmungsöffnung der Sarkode ist ein kompakter Abschluss der übrigen Partien der schwammigen Scheibe gestattet, welcher seinerseits durch die äußere Festigung des spongiösen Skelett- geflechtes und durch Schutz gegen schädliche äußere Eingriffe von Nutzen ist. Die aus der vergleichenden Anatomie der Spongopyle- Arten sich ergebende phylogenetische Entwicklung eines äußern Schalenmantels wird durch meine Beobachtungen über die Ontogenie von Spongopyle osculosa ergänzt und bestätigt. Die Jugendstadien dieser Art besitzen noch eine allseitig offene, rauhe Oberfläche und ein äußerer einheitlicher Schalenabschluss bildet sich erst nach vol- lendetem Wachstum der Schwammscheibe aus!). Wie wir sahen, stimmt das agglutinierte und kalkige Material darin überein, dass es gegenüber der Kieselsäure geringere Festig- keit besitzt, was zur Folge hat, dass die Thalamophorenschalen kom- pakter und einfacher gebaut sind, wie die Kieselskelete der Radiolarien. Bei genauerer Prüfung lässt sich jedoch auch ein Unterschied zwischen agglutinierenden und kalkigen Thalamophoren konstatieren, welcher darin besteht, dass die erstern gröber und einfacher strukturiert sind wie die letztern und jedenfalls auch darin begründet ist, dass das agglutinierte Baumaterial an Festigkeit wieder der homogenen Kalkmasse nachsteht. Wenn auch diese Differenz nicht so groß ist wie zwischen Thalamophoren- und Radiolarienschalen, so ist sie doch vorhanden und allem Anscheine nach von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In neuester Zeit hat Neumayr besonders auf diese Verhältnisse auf- merksam gemacht und sie für eine Phylogenie der Thalamophoren verwertet, indem er annimmt, dass die höher differenzierten kalk- schaligen Formen aus den einfachen Sandschalern als ihren Stamm- formen sich entwiekelt haben?). Es wird am zweckmäßigsten sein, 4) Näheres hierüber siehe in meinen „Pylombildungen“, Abschnitt V und Taf. V, Fig. 64—69 und Taf. VI, Fig. 97—100. 2) M. Neumayr, Die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse der schalen- tragenden Foraminiferen. Wiener Sitzungsberichte, XCV. Bd., I. Abt., April- Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 347 diese Theorie Neumayr’s hier zunächst mit den eignen Worten des Verfassers wiederzugeben: „Die niedrigstehenden, mit der unvoll- kommensten Schalenbildung versehenen Formen, welche Brady’s sehr gut begründete Familie der Astrorhiziden bilden, sind ausschließlich sandig, die höchst entwickelten, mit verzweigtem Kanalsystem, dop- pelten Scheidewänden, Zwischenskelet u. s. w. versehenen Foramini- feren sind ausschließlich kalkig, während die zwischen beiden steben- den Formen teils sandig, teils kalkig sind und mannigfache Ueber- gänge von der einen zur andern Entwicklung zeigen. Dieses Verhältnis legt von selbst die Vermutung nahe, dass sandige Formen ohne jede Spur einer verwickelten Bildung, wie wir sie bei den Astrorhiziden finden, die Stammtypen darstellen, aus welchen sich die übrigen Foraminiferen entwickelt haben. ..... Für die Auffassung, dass die sandigen Foraminiferen in Wirklichkeit den ursprünglichern Typus darstellen, spricht in erster Linie ihr geologisches Vorkommen, indem sie in alten Ablagerungen in verhältnismäßig weit größerer Zahl auf- treten als später; das zeigt sich allerdings beim Vergleiche der jetzt lebenden mit den tertiären und mesozoischen Arten nicht so auffallend, in voller Deutlichkeit aber, wenn wir uns den paläozoischen Bildungen und namentlich dem Kohlenkalke zuwenden, der hier allein eine reiche Foraminiferenfauna geliefert hat... .. Noch in einer weitern Er- scheinung finden wir eine Bestätigung der Ansicht, dass die kalkigen Foraminiferen sich aus den sandigen Formen entwickelt haben. Es wurde schon erwähnt, dass vielfach in beiden Abteilungen Parallel- formen auftreten, die in ihrer ganzen Gestalt große Aehnlichkeit mit- einander zeigen; bei näherer Betrachtung fällt aber, wenigstens bei einer Anzahl von Gruppen, der Umstand in hohem Grade auf, dass die Differenzierung und Selbständigkeit der verschiedenen Typen inner- halb der sandigen Reihe eine sehr viel geringere ist als in der kal- kigen..... Wenn wir auch in beiden Abteilungen dieselben Typen verfolgen können, so treten doch bei den kalkigen Formen die Merk- male viel deutlicher und reiner hervor; wenn auch Uebergänge vor- handen sind, so verschwimmen doch die einzelnen Typen nicht in so vollständiger Weise als bei den sandigen, und die Mamnigfaltigkeit ist viel größer als bei diesen“. (Stämme des Tierreiches, S. 168 u. 169.) Es ist diese neueste Auffassung des natürlichen Systems resp. der Phylogenie der Thalamophoren entschieden als ein sehr glücklicher Griff zu bezeichnen und verdient den verschiedenen bisher gemachten Versuchen einer natürlichen Gruppierung der Thalamophoren bei weitem vorgezogen zu werden. Ein besonderer Vorzug der Neumayr’schen Theorie ist besonders darin zu erblicken, dass sie nicht das Haupt- gewicht auf ein einzelnes mit mehr oder weniger Willkür herausgegriffenes Merkmal, wie die durchbohrte oder undurchbohrte Beschaffenheit der Heft 1857. — Derselbe, Die Stämme des Tierreiches, wirbellose Tiere, I. Bd., Wien 1889. 348 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. Schale, das Schalenmaterial, die Zahl und Anordnung der Kammern, legt, an welchem Fehler wie der Verfasser mit Recht rügt, fast alle bisher aufgestellten sogenannten natürlichen Gruppierungen der Thala- mophoren kranken, sondern alle in betracht kommenden Verhältnisse gleichmäßig berücksichtigt. Es kommt auf diese Art eine Phylogenie zu stande, welche mit den morphologischen sowohl als auch den paläontologischen Thatsachen besser übereinstimmt, als dies bei den ältern Systemen der Fall ist. Die Thalamophoren werden danach zunächst in eine größere Anzahl enger begrenzter Gruppen zerlegt, welehe im ganzen und großen mit denen Brady’s übereinstimmen. Diese verteilen sich auf eine geringe Anzahl (4) größere Stämme, welche parallel und unabhängig neben einander herlaufen und nur an der Wurzel, bei den primitiven agglutinierenden Astrorhiziden, der gemeinsamen Stammform aller 4 Stämme, zusammenhängen. An die irregulär agglutinierenden Astrorhiziden schließen sich die regulär agglutinierenden Formen an, von denen sich die einfachsten noch unmittelbar an die gemeinsame Stammgruppe anschließen, während die höher entwickelten Formen bereits eine divergente Richtung ein- schlagen und sich auf die 4 von Neumayr aufgestellten Haupt- stämme verteilen, unmittelbar mit denselben sind entsprechende kalkige isomorphe Formen verbunden, während die höchst entwickelten und am meisten differenzierten Endtypen der Stämme ausschließlich kal- kiger Natur sind. Auch mit unserer Auffassung der Bedeutung des Baumateriales der Rhizopodenschalen harmoniert diese Neumayr’sche Phylogenie der Thalamophoren vollständig und beide Theorien erhalten gegenseitig aneinander eine nicht zu unterschätzende Stütze. Die niedrigern und niedrigsten Formen reichen zum Aufbau ihrer ein- fachern Schalen mit dem groben agglutinierten Material noch voll- ständig aus, die Formen mittlerer Komplikation wenden sich bereits zum größten Teil dem kohlensauren Kalke zu, während endlich die am meisten differenzierten Typen ihre Schalen ausschließlich aus Kalk herstellen, aus dem Grunde, weil nur dieses feinere und festere Material den komplizierten Bau möglich macht, welcher sich von dem groben und weniger festen agglutinierten Materiale nicht aufführen ließe. Nur bei einer Annahme Neumayr’s würde ich eine gewisse Ein- schränkung für nötig halten. Wie aus der letzten der oben zitierten Stellen hervorgeht, hält Neumayr die unvollkommnere und rohere Ausführung der sandigen Formen im Vergleich mit den isomorphen kalkigen für ein primitives Verhalten und einen besondern Beweis dafür, dass die sandigen Formen als Vorläufer der kalkigen anzu- sehen sind. In den meisten Fällen wird sich dies aller Wahrschein- lichkeit nach auch so verhalten; jedoch nicht ausnahmslos. Es ist die Möglichkeit, ja hohe Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass ebenso wie heute noch das Schalenmaterial bei gewissen Formen mit dem Wechsel der äußern Verhältnisse, unter denen die betreffenden Rhizo- Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 94) poden leben, ebenfalls wechselt, dies auch während der phylogene- tischen Entwicklung hin und wieder vorgekommen ist und es können kalkige Formen so genötigt worden sein, ihre Schalen wieder aus Sand herzustellen. Die letztern werden dann schon infolge des gröbern Materials roher und weniger differenziert ausfallen als die kalkigen Stammformen. Obgleich der Sarkodekörper solcher Formen die Tendenz zur Abscheidung morphologisch ebenso gut ausgebildeter Hartteile geerbt haben wird, wird er diese seine Fähigkeit wegen der gröbern Natur des sandigen Materiales doch nicht zu voller Ent- wicklung bringen können, wie es bei dem kalkigen Material der Fall war. Ebenso wie die Thalamophoren im Laufe der phylogene- tischen Entwicklung gezwungen waren, selbständig in den einzelnen Stämmen behufs höherer morphologischer Ausbildung ihrer Schalen vom agglutinierten Materiale, welches hierzu nicht mehr ausreichte, zum kohlensauren Kalke überzugehen, wird eine Form, welche genötigt wird, umgekehrt von der kalkigen zur sandigen Ausbildung zurück- zugehen, auch einen entsprechenden Rückgang in morphologischer Beziehung erkennen lassen. Ein solcher Wechsel des Materials ebenso wie das Vorhandensein von isomorphen sandigen und kalkigen Formen ist jedoch nur bei Thalamophoren von mittlerer Höhe der Ausbildung vorhanden und auch nur hier möglich, weil sich hier die entsprechende morphologische Umwandlung nur auf unbedeutendere Einzelheiten er- streckt, unmöglich aber bei den höchststehenden und differenziertesten Typen, wie z. B. den Nummuliten, bei denen ein Rückgang zur san- digen Entwicklungsstufe von tiefgreifender Umwälzung im ganzen Schalenbau begleitet sein müsste. So haben wir denn gesehen, dass sich bei den drei hauptsäch- lichsten Materialien, welche bei den Hartgebilden der Rhizopoden in betracht kommen, ebenso viele Grade von Festigkeit und Feinheit konstatieren lassen, welche auf die Struktur der Schalen und Skelete einen ganz bedeutenden Einfluss ausüben. Wenn wir diese Verhält- nisse durch ein Beispiel aus dem täglichen Leben erläutern wollen, so können wir passender Weise das agglutiniert-sandige Material, den kohlensauren Kalk und die Kieselsäure als die Materialien der Rhizo- podenschalen einerseits vergleichen mit Lehm, Stein und Eisen, den drei bei den menschlichen Bauten besonders in betracht kommenden Sub- stanzen anderseits. Die Lehmbauten ebenso wie die sandigen Rhizopoden- schalen können wegen der groben Beschaffenheit und geringen Festig- keit des verwendeten Materiales auch nur in grober und mehr oder weniger primitiver Weise ausgeführt werden, ebenso wie die aus Lehm agglutinierten Vögel- (z. B. Schwalben-) Nester; grade mit den zu mehrern an einer Hauswand zusammengeklexten Schwalbennestern haben übrigens auch die aneinander geklebten Kammern vieler Agglu- tinantia unter den Rhizopoden eine auffallende Aehnlichkeit. Die steinernen menschlichen Bauten und die kalkigen Rhizopodenschalen 350 Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. nehmen eine Mittelstellung ein, während die Kieselskelete der Radio- larien und die eisernen Konstruktionen mannigfaltigster Art des täg- lichen Lebens wegen der bedeutenden Festigkeit des Materiales der Komplikation und Differenzierung und damit zugleich auch der Formen- mannigfaltigkeit den größten Spielraum gestatten. Nicht allein die ererbte Fähigkeit des Weichkörpers zum Baue von mehr oder weniger differenzierten und komplizierten Skeletteilen ist für den Schalenbau maßgebend, sondern ebenso wie die menschlichen Baumeister sind auch die Rhizopoden mehr oder weniger vom Baumateriale abhängig und müssen mit den Eigenschaften desselben rechnen. Wie wir bereits früher sahen, stellt das konzentrische Wachstum größere Ansprüche an die Festigkeit des Materiales wie das terminale und findet sich daher auch nur bei den kieseligen Radiolarienskeleten, während es bei den Thalamophoren nicht vorkommt. Gleichwohl hat aber die konzentrische Skeletstruktur einen Vorteil, welcher der termi- nalen an und für sich abgeht. Ein System mehrerer ineinander ge- schachtelter Kugelschalen oder von Teilen solcher, bildet ein nach außen abgeschlossenes, abgerundetes Ganze, welches äußern mecha- nischen Angriffen eine möglichst geringe Oberfläche darbietet; grade umgekehrt verhält es sich bei den Produkten des terminalen Wachs- tumsprozesses, bei welchen die einzelnen Kammern in Form einer mehr oder weniger langen Kette aneinander gereiht sind. Ganz ab- gesehen davon, dass eine solche Kammerreihe von bedeutenderer Länge für die Lokomotion sehr hinderlich ist, ist sie verhältnismäßig sehr zerbrechlich und von statischem resp. mechanischem Gesichts- punkte aus unvorteilhaft. Diese Nachteile des terminalen Wachstums umgehen die Thalamophoren und vereinigen die Vorteile der konzen- trischen Schalensysteme mit dem terminalen Wachstum dadurch, dass sie ihre Kammerreihe meist nicht in gestrecktem Zustande belassen, sondern bei der Mehrzahl der Formen spiralig einrollen. Als weitere Fortführung der spiraligen Aufrollung ist die gegenseitige Umgreifung der Kammern anzusehen, welche in mehr oder weniger ausgeprägter Weise sich bei vielen Thalamophorengrupper findet. Besonders typisch tritt dieser Umgreifungsprozess bei den Milioliden auf und zwar lässt sich hier eine successive Steigerung konstatieren von Cornuspira und Spiroloculina, wo noch alle Windungen frei zutage liegen durch Quinqueloculina, Triloculina, Biloculina bis zu Uniloculina. Bei der letztgenannten Gattung hat der Prozess seinen Höhepunkt erreicht, denn es soll hier nur die jüngste Kammer außen frei zutage liegen, während alle vorhergehenden Kammern von ihr vollständig umschlossen sind. Es ist somit hier auf einem ganz andern Wege dasselbe End- resultat erreicht, wie bei den konzentrisch gewachsenen einander umschließenden Schalensystemen der Radiolarien. Findet die Um- greifung der Kammern nur in einer Ebene statt, so führt dies zu dem sogenannten zyklischen Wachstum, wie es sich bei Orbiculina, Dreyer, Bau der Rhizopodenschalen. 351 Orbitolites, Oycloclypeus und ähnlichen Formen findet. Es entsteht so innerhalb des terminalen Wachstumstypus ein anscheinend konzen- trisches Wachstum, ebenso wie eine Anzahl von diskoiden Radiolarien spiralig, d. h. terminal zu wachsen scheinen. Diese scheinbaren Aus- nahmen von der oben aufgestellten Regel, dass keine Rhizopoden- schale ihren Wachstumstypus wechseln kann, stellen sich jedoch bei genauerer Uutersuchung stets als, zuweilen allerdings täuschende, sekundäre Konvergenz- resp. Analogiebildungen heraus). In derselben Weise, wie sich die durch allseitige Umgreifung entstandenen Thala- mophorenschalen mit den konzentrischen Kugelsystemen der Radiolarien vergleichen lassen, entsprechen die zyklischen Thalamophorenschalen den konzentrischen Ringsystemen der diskoiden Radiolarien. Zum Schlusse möge endlich noch die höchst interessante und bedeutsame Thatsache Erwähnung finden, dass nach den Unter- suchungen Naumann’s und v. Möller’s Mollusken und Thalamo- phorenschalen denselben Windungsgesetzen folgen. Hieraus geht mit voller Bestimmtheit hervor, dass die spiralige Aufrollung, welche in derselben spezifischen Art und Weise unabhängig bei zwei ganz ver- schiedenen Organismengruppen, welche absolut nichts miteinander zu thun haben, wiederkehrt, in letzter Linie nicht in der Natur der be- treffenden Organismen selbst begründet ist, sondern ihre Ursache in den Verhältnissen der Außenwelt hat, von den Forderungen der Ge- setze der Statik und Mechanik bedingt ist. Einen ganz analogen Fall haben wir in der statisch und mechanisch zweckmäßigen Struktur der Substantia spongiosa der Wirbeltierknochen vor uns und eine Reihe eigner Beobachtungen machen es mir schon jetzt sehr wahrscheinlich, dass auch die Kieselbälkchen einer Anzahl spongiöser Radiolarien, nicht wie es auf den ersten Blick scheint regellos, sondern zum teil nach bestimmten Gesetzen angeordnet sind. Die nächste Frage, welche sich uns bei der Betrachtung dieser Befunde aufdrängt, ist die, ob dieser zweckmäßige Bau tierischer Skelette durch funktionelle (Roux) oder selektuelle (Darwin, Weismann) Anpassung entstanden ist. Eine Erörterung der Gründe, welche sich für und wider diese beiden Möglichkeiten anführen ließen, würde jedoch hier zu weit führen und geht über den Rahmen dieser Betrachtungen hinaus, besonders da wir unvermerkt auf die grade heute so viel umstrittene Frage nach der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften gelangt sind. Der Haupt- zweck der vorstehenden Betrachtungen war besonders der, auf die große Fruchtbarkeit einer vergleichenden Behandlung des ungeheuren Formenreichtums der Protisten hinzuweisen. Die hier ganz besonders in betracht kommenden zierlichen und mannigfaltigen Hartgebilde der Rhizopoden sind durchaus nicht, wie zuweilen angenommen zu werden pflegt, einfache lusus naturae, sondern auch sie befolgen be- 1) Vergl. Pylombildungen S. 112, 113 und S. 101 Anm. 1. 359 Internationaler zoologischer Kongress. stimmte Bildungsgesetze. Wenn wir erst in der Erkenntnis der letz- tern durch eingehendere Forschungsresultate mehr vorgeschritten sind, wird auch die Morphologie der Protisten nicht mehr, wie es heute leider noch oft geschieht, als ein bloßer Tummelplatz unwissenschaft- licher Specieskrämerei angesehen werden, sondern sich der heute weit mehr gepflegten und ausgebildeten Physiologie der Einzelligen als ebenbürtig an die Seite stellen lassen. Internationaler zoologischer Kongress zu Paris 1889. Die Sitzungen finden statt in der Ecole superieure de pharmacie, Avenue de l’observatoire; nur die Eröffnungssitzung im Trocadero- Palast. Montag, 5. August: 2 Uhr Eröffnungssitzung; nach derselben Besuch der Ausstellung. Dienstag, 6. August: 9 Uhr Sitzung; 2 Uhr Besuch des Museum d’histoire naturelle. Mittwoch, 7. August — wie Dienstag. Donnerstag, 8. August: 9 Uhr Sitzung; 2 Uhr Besuch der Ecole des mines. Freitag, 9. August: 9 Uhr Sitzung; 2 Uhr Besuch des Jardin d’acelima- tation. Samstag, 10. August: 9 Uhr Sitzung, Schluss des Kongresses; wenn er- forderlich noch eine Sitzung am Nachmittag. Präsident des Organisations-Komites: Herr A. Milne-Edwards, Membre de U Institut, 57 rue Cuvier. — Sekretär: Herr Dr. R. Blanchard, 32 rue du Luxembourg. — Schatzmeister: Herr G. Schlumberger, 21 rue du COherche- Midi. Am 2., 3. und 4. August von 91/,—12 und von 1'|,—4 Uhr werden der Sekretär und Schatzmeister in der Ecole de pharmacie gegenwärtig sein; daselbst werden auch die Einlasskarten zur Eröffnungssitzung ausgegeben. — Auskunft erteilt auch die Societe zoologique de France, 7, rue de Grands- Augustins. Preis - Ermässigung des Biologischen Gentralblattes Band I-VM. Um neu eintretenden Abonnenten die Anschaffung der ganzen Serie zu erleichtern, liefern wir bis auf weiteres Exemplare Biologisches Gentralblatt Band I— VI (1881—1888). (Ladenpreis des Bandes 16 Mark.) (statt Mark 128.—) zu dem ermässigten Preis von Mark 80.— Zu beziehen durch jede Buchhandlung sowie durch die Verlagsbuchhandlung von Eduard Besold. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Euzeke in Erlangen. 24 Nummern » von je 2 "Bogen bilden einen Band. Preis. des "Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band 15. August 1889. Nr. 2 Inhalt: Kronteld, Botanische Mitteilungen. — es ee Bauchanhänge der Insekten. — Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. — Farnani, Genital- organe der T’helyphonus. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell- schaften: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. — 62. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Heidelberg. — Druckfehler. Neuere Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Besprochen von Dr. M. Kronfeld in Wien. VII. Eine neue Cumarinpflanze ist nach Molisch und Zeisel!) das in den Gärten allgemein kulti- vierte Ageratum mexicanum, also eine Composite. Bemerkenswerter Weise duftet die Pflanze nur im erfrorenen Zustande. Dies führt zu dem Schlusse, dass hier freies Cumarin nicht, wie bei Unthoxanthum odoratum, Asperula odorata, Melilotus officinalis, schon in der leben- den Pflanze vorkommt, sondern, dass dasselbe erst nach dem Ab- sterben der Pflanze gebildet, beziehungsweise frei wird. Vill. Ueber den Einfluss des Kampfers auf die Keimkraft der Samen. Vogel glaubte im Jahre 1873 „die eigentümliche Wirkung des Kampfers auf Gie Belebung und Wiederbelebung der Keimkraft einiger Samengattungen“ festgestellt zu haben. In Uebereinstimmung mit Nobbe und Wilhelm findet Burgerstein?), dass Vogel’s Resultat ungenau ist. Burgerstein untersuchte im ganzen 16000 Samen aus den verschiedensten Familien, seine sorgfältigen Versuche sind daher als entscheidend anzusehen. Es zeigte sich, dass der Einfluss des Kampferwassers, in welchem die Samen der Quellung unterzogen waren, von der Dauer dieser Quellung abhängig ist; 12—24stündige Quellung übt auf frische, wie auf alte Samen gradezu eine nachteilige Wirkung. aus. Von einer besondern „Lebenskraft“ und Frische der 1) Bernie a eischen botan. Gesellschaft, 1888, S. 353—358. 2) Landw. Versuchs - Stationen, XXXV. Bd., 1888, Sonderabdruck. IX, 23 354 Kronfeld, Bestäubungseinrichtungen einiger Nyctaginaceen. Pflanzen infolge der Kampferbehandlung (Vogel) war nichts zu be- merken. Ebenso konnte eine Wiederbelebung der Keimkraft durch Kampfer, in keinem Falle und auf keine Weise ermittelt werden. IX. Die Bestäubungs-Einrichtungen einiger Nyetaginaceen. Dass bei ausbleibender Xenogamie Autogamie der Blüte eintritt, dies beweist Heimerl für Oxybaphus viscosus, Mirabilis Jalapa und Abronia umbellata aus der Familie der Nyctaginaceen!). Das auf- fällige Perianth, der starke Duft, die Proterogynie, weisen bei allen drei Arten auf Insektenbesuch hin. Mag an einer Art, Oxybaphus viscosus erläutert sein, wie schließlich die Selbstbelegung erfolgt; Mirabilis und Alonia verhalten sich wesentlich gleich. Früh morgens zwischen 6 und 7 Uhr öffnen sich die Oxybaphus- Blüten, um sich gegen Mittag (spätestens zwischen 2 und 3 Uhr) zu schließen. Die weitglockige purpurrote Blumenkrone birgt in ihrem Grunde Nektar. 3, seltener 4 Staubfäden ragen weit über die Blüten- apertur hinaus und sind nach abwärts gekrümmt, so dass die Blüte zygomorphen Charakter erhält. Ebenso ist der Griffel gekrümmt; ihm sitzt eine derb papillöse Narbe auf, die unter die mittlere Antbere fällt. Während die Narbe in diesem ersten Stadium schon empfängnis- fähig ist und von Insekten belegt werden kann, sind die Antheren noch geschlossen. Gegen 11 Uhr Vormittags haben sich dieselben bereits geöffnet und da die Narbe sich, wie erwähnt, unter der mittlern Anthere befindet, so vermag schon in dem 2. Stadium der Blüte Autogamie zu erfolgen?). Schon in dieser zweiten Phase der Blüte beginnen sich infolge hyponastischen Wachstums die Enden des Grifiels und der Filamente uhrfederartig nach aufwärts und einwärts zu krümmen. „Dabei streift nun aber die klebrige Narbenfläche so ver- lässlich und regelmäßig an einer oder der andern offenen Thece an, dass beispielsweise in sämtlichen 7 offenen Blüten eines... Exemplares die Narben durch Anstreifen an den Antheren sich einseitig mit einigen Pollenkörnern . . behaftet haben“. Im dritten Stadium der Anthese, gegen Mittag, tritt also mit Gewissheit Deutogamie ein. Bei Oxybaphus nyctagineus, Boerhavia sp., Acleisanthes sp., Penta- crophys sp., Selinocarpus sp. aus der Familie der Nyetaginaceen be- obachtete Heimerl auch kleistogame Blüten, über welche er genaueres in den „Natürlichen Pflanzenfamilien“ demnächst mitzuteilen verspricht. Die Belegung erfolgt bei diesen Blüten analog jener im 3. Stadium der offenen Blüte; es verharren nämlich die geschlossenen Blüten im Knospenzustande, und während desselben sind Filamente und Griffel nach einwärts gerollt. 4) Verhandlungen der k. k. zool. botan. Gesellsch. in Wien 1888. Abhandl. S. 769—774. Mit 3 Holzschnitten. 2) Pollenkörner von Oxybaphus und Mirabilis erreichen den Durchmesser von 137—146 u und sind somit zu den größten im Pflanzenreiche vorkommen- den zu rechnen (Heimer]). Graber, Embryonale Bauchanhänge der Insekten. 355 Ueber den Bau und die phylogenetische Bedeutung der embryonalen Bauchanhänge der Insekten. Von Prof. Veit Graber in Üzernowitz. Zwei Thatsachen sind es, welche dafür sprechen, dass die gegen- wärtig mit wenigen Ausnahmen meropoden d. h. nur an einem Teil des Rumpfes mit paarigen Ventralanhängen ausgestatteten Insekten von poly- bezw. pantopoden Formen, d. i. also von solehen abstammen, die, ähnlich den Myriopoden und vielen Krebsen, an allen Rumpfseg- menten Beine oder letzteren homologe Extremitäten tragen. Die erste dieser hinsichtlich ihrer phylogenetischen Bedeutung zuerst von Brauer!) gewürdigten und in neuerer Zeit insbesondere von Grassi?) und Haase?) eingehend studierten Thatsache ist die, dass manche der anscheinend niedrigst stehenden flügellosen Insekten (Campodea, Japyx, Machilis ete.) faktisch auch im Reifezustand Bauchanhänge in Form von meist ungegliederten Stummeln, Griffeln und schuppenartigen Duplikaturen besitzen, die zum teil wenigstens den Beinen mancher Myriopoden (z. B. Scolopendrella) vergleichbar erscheinen. Die zweite der erwähnten Thatsachen ist dann die, dass an den Embryonen der verschiedensten Insekten abdominale Ventralanhänge nachgewiesen sind, die sowohl hinsichtlich der Zeit ihres Auftretens als auch betreffs ihrer Ursprungsstelle den Beinen vollkommen homolog zu setzen sind. Solche nur auf das Ristadium beschränkte Anhänge wurden bereits im Jahre 1844 von Rathke*) bei der Maulwurfs- grille entdeckt, während der Nachweis ihrer Homologie mit den Thoracalgliedmaßen zuerst durch Kowalevsky’°) bei Hydrophilus erbracht wurde. Ich selbst darf mir schmeicheln, die phylogenetische Bedeutung dieser Gebilde und zwar auf grund eines selbständigen ähnlichen Fundes bei der Gottesanbeterin zuerst klar ausgesprochen zu haben. In meinem 1877 erschienenen Buche „der Organismus der Insekten“ heißt es nämlich S. 5: „wir haben es da also mit [gegen- wärtig] völlig funktionslosen Gliedern zu thun, die nur als Ueber- reste eines frühern Zustandes, als fortdauernde Zeugen 4) Verhandlungen der k. k. zool. bot. Gesellschaft in Wien, 1869, XIX. 2) Vergl. u. a. I progenitori dei Miriapodi e degli Insetti, Memoria 7, Roma 1888; ferner: Morfologia delle Scolopendrelle, Torino 1886; L’Japyx e la Campodea (Acad. Gioenia 1885); Contribuzione allo studio dell’ Anatomia del genera Machilis (Acad. Gioenia 1885). 3) Abdominalanhänge bei Hexapoden. Sitzungsber. der Gesellsch. naturf. Freunde in Berlin, 1889. 4) Zur Entwieklungsgeschichte der Maulwurfsgrille. Archiv für Anatomie und Physiologie. 5) Embryologische Studien an Würmern und Arthropoden. M&moires de lacad. imp. des sciences. Petersbourg, 1871. 23* 356 Graber, Embryonale Bauchanhänge der Insekten. der Abstammung dieser Kerfe von anders gearteten Wesen sich verstehen lassen“ und dann 8. 6: „die Gottes- anbeterin war also früher ein mehr als sechsbeiniges Tier, bevor es ein echtes Insekt wurde.“ Weitere Beiträge zur Kenntnis dieser vielfach nur am ersten Hinterleibssegment deutlich als wirkliche Anhänge hervortretenden Gebilde verdanken wir dann unter andern vorzugsweise Bütschli!) und Grassi?), die bei der Biene allen Segmenten höckerartige Aus- stülpungen zuschreiben, dann Ayers°), der solche am ersten Ab- dominalsomit einer Grille (Oecanthus) auffand, weiters Patten‘®), von dem derartige Embryonalorgane und zwar an den meisten Bauch- platten bei einer Köcherjungfer (Neophalanx) sowie bei der Küchen- schabe entdeckt wurden, und endlich Nussbaum), der ein Paar provisorischer Abdominalfüße und auch seitliche paarige Anhänge auf allen (?) Abdominalsegmenten bei den Meloiden angibt. Dazu kommen dann noch, wenn wir auch das Verhalten der übrigen meropoden Tracheaten, nämlich der Spinnentiere, kurz be- rühren, unter andern die Angaben von Metschnikoff®°) über rudi- mentäre Abdominalanhänge beim Skorpion und die schönen Ent- deckungen von Balfour’) und Loey°) über das Vorkommen zum teil sehr langer zapfenartiger und den Beinen völlig homolog erschei- nenden Auswüchse bei echten Spinnen. Es liegt klar am Tage, dass die zuletzt aufgeführten oder die embryologischen Thatsachen für den Nachweis der Herkunft der meropoden oder gliedmaßenarmen Insekten und Spinnen von panto- poden oder gliedmaßenreichen Formen in mancher Hinsicht sogar wichtiger sind als die zuerst erwähnten bei manchen Thysanuren bestehenden Verhältnisse. Die Aehnlichkeit der letzteren durch per- sistente Abdominalanhänge ausgezeichneten Insekten mit gewissen Tausendfüßern könnte ja möglicherweise — ich stelle dies jetzt keineswegs mehr als wahrscheinlich hin — immerhin nur eine sekun- däre, durch Anpassung erworbene sein und nicht auf wirklicher Ver- wandtschaft beruhen; das Vorkommen embryonaler Ventralstummeln 1) Die Entwicklungsgeschichte der Biene. Zeitschr. f. wiss. Zool., 1870. 2) Intorno allo sviluppo delle api nell’ uovo. Atti d. Acad. Gioenia in Catania 1884. 3) On the development of Oecanthus niveus ete. Memoires of the Boston Soc. of nat. hist. 1884. 4) Ihe development of Phryganides with a preliminary note on the deve- lopment of Blatta germanica. Quarterly Journal of mier. Sc. London 1884. 5) Die Entwicklung der Keimblätter bei Meloe. Biol. Centralblatt, VIII, 1888, Nr. 15. 6) Entwicklung des Skorpions. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 1870. 7) Handbuch der vergleichenden Embryologie, I. Bd., Jena 1880. 8) Observations on the development of Agelena naevia. Bull. of the Museum of compar. Zoology. Cambridge 1886. Graber, Embryonale Bauchanhänge der Insekten. 357 bei Insekten der verschiedensten Ordnungen und insbesondere bei den meisten genauer untersuchten Geradflüglern und Käfern macht aber wohl die Annahme einer polyphyletischen Entstehung oder einer wıederholten Neubildung dieser Anhänge sehr unwahrscheinlich und spricht in hohem Grade dafür, dass mindestens alle die betreffenden d. h. alle mit solehen Embryonalstummeln versehenen Insekten (und Spinnen) von polypoden Formen abstammen. — Dabei möchte ich, wenn auch die Aehnlichkeit mancher Embryonalbildungen der Insekten z. B. jener von Hydrophilus mit den von mir selbst untersuchten schuppenartigen Bauchanhängen ge- wisser Thysanuren (Machilis z. B.) ganz unverkennbar ist, dennoch für meine Person vorläufig eine bestimmte Meinung über die Natur der abdominalen Ventralanhänge der Ur-Meropoden noch nicht aussprechen. Das hohe Interesse, das sich an die in Rede stehenden Bildungen knüpft, hatte mich nun auch bei meinen vorwiegend auf die Keim- blätterdifferenzierung gerichteten insektenembryologischen Studien be- stimmt, diesen Teilen eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken; die vorläufigen Resultate dieser auf zahlreiche Insekten ausgedehnten Beobachtungen wurden vor kurzem in einer eignen Schrift!) nie- dergelegt. In letzterer findet man zunächst eine genauere Nach- prüfung der hinsichtlich der Werre, des Hydrophilus und der Schmetter- linge bekannt gewordenen Thatsachen, dann eine kurzgefasste Dar- stellung der zuerst von mir entdeckten zum teil sehr merkwürdigen Bauchanhänge bei der Gottesanbeterin, und endlich neue Angaben über die Bauchanhänge beim Maikäfer und bei einer Schnarrheu- schrecke (Stenobothrus). Wenn ich nun hier auf diese Bildungen neuerdings zurückkomme, so geschieht dies aus drei Gründen. Zunächst scheint es mir nicht unpassend, auch die Leser dieses Blattes über die betreffenden Fragen zu orientieren. Dann habe ich ein Paar neue, für die Deutung dieser Anhänge nicht unwichtige Beobachtungen mitzuteilen. Und endlich verlangen die neuesten Mitteilungen über die Bauchanhänge der In- sekten von Cholodkowsky?) in mehrfacher Hinsicht eine Richtig- stellung. Wir knüpfen unsere Erörterung gleich an die eben genannte Arbeit an. Cholodkowsky findet bei der Küchenschabe (Blatta germanica), auf die sich seine eignen Untersuchungen ausschließlich beschränken, bis auf einige später zu erwähnende Abweichungen im wesentlichen dieselben Verhältnisse, wie sie von manchen andern Insekten bereits bekannt und wie sie insbesondere auch hinsichtlich des 1) Ueber die Polypodie bei Insektenembryonen. Morphol. Jahrbücher, Band VII. 2) Studien zur Entwicklungsgeschichte der Insekten: I. Ueber die Ent- wicklung der äußern Form bei den Embryonen von Blatta germanica. Zeit- schrift f. wiss. Zoologie, Bd 48. 358 Graber, Embryonale Bauchanhänge der Insekten. gleichen Objekts von Patten (siehe oben) beschrieben wurden. Bald nach der Anlage der Brustbeine erscheinen auf dem (anfangs noch un- gegliederten) Bauchteil des bandartigen Keimstreifs und zwar [immer?] nacheinander eine Reihe paariger Wülste, die den 11 Segmenten des Hinterleibes entsprechen. Alle diese hinsichtlich ihrer Form und ihres Verhaltens zu den Stammteilen der Segmente nicht näher be- schriebenen (Fig. 8) fast das ganze Areal eines Segmentes ein- nehmenden Wülste sieht Cholodkowsky einfach als Bauchanhänge an. Leider erfährt man aber zunächst mit Ausnahme der zapfenartig hervorragenden Teile des ersten Segmentes nicht, ob diese angeblichen „Anhänge“ wirklich von den Stammplatten abgegrenzte, besondere Auswüchse sind oder ob sie eben nur die Kuppen der meist etwas nach außen gewölbten Stammplatten darstellen). Zum Vergleich seien nun zwei mir genau bekannte Fälle herangezogen. Der erste betrifft eine Schnarrheuschrecke (Stenobothrus). Hier sieht man (vgl. Fig. 13 meiner Arbeit über die primäre Segmentierung des Keim- streifs der Insekten im 14. Bd. des morphologischen Jahrbuches) zu einer Zeit, wo die ersten seitenständigen Anlagen der Beine auftreten, und auch später nur am ersten Hinterleibssegment einen den Beinen vergleichbaren, aber viel kürzern zapfenartigen Fortsatz, während die übrigen 10 schon deutlich abgegrenzten Segmente allenfalls mit Ausnahme des zweiten keine Ausstülpungen zeigen, die mit völliger Sicherheit als wirkliches Anhangsgebilde bezeichnet werden könnten. Anders ist das Verhalten beim Maikäfer. Hier zeigen sich in einem gewissen Stadium (vgl. Fig. 15 und 16 meiner Arbeit über die Polypodie) wirkliche Bauchanhänge nicht bloß am ersten Segment, wo sie am stärksten entwickelt sind, sondern auch an den folgenden Segmenten und zwar nicht bloß, wie ich seinerzeit angab, an 8, son- dern an 9 Segmenten, also an allen mit Ausnahme der zwei letzten. Diese Gebilde sind aber nicht so umfangreich und hinsichtlich ihres basalen Umrisses so unbestimmt, wie dies Cholodkowsky bei Blatta darstellt, sondern es sind verhältnismäßig kleine, aber deutlich umschriebene fast knopfartige Höckerchen, die sich von den Stamm- platten, an deren Hinterrand sie sitzen, ganz genau unterscheiden lassen und die insbesondere im gefärbten Zustand sich sehr scharf von der Umgebung abheben. Es wurde schon oben hervorgehoben, dass ich vorläufig über die Beschaffenheit der abdominalen Anhänge der Insektenvorfahren kein bestimmtes Urteil aussprechen möchte. Cholodkowsky hingegen scheint in dieser Hinsicht, obwohl er nur die Zustände bei Blatta aus eigner Erfahrung kennt, weniger bedenklich zu sein. S. 99 sagt er nämlich: „die Entwicklung von Blatta scheint jedenfalls keinen 1) Auf grund meiner eignen Kenntnis der Blatta-Embryonen kann ich manche Abbildungen Ch.s so z. B. Fig. 5, 8 u. 9 nicht ganz entsprechend finden. Graber, Embryonale Bauchanhänge der Insekten. 359 Zweifel mehr darüber zuzulassen, dass die Insekten von myriopoden- artigen Geschöpfen abzuleiten sind.“ Eine solche Behauptung setzt unter andern jedenfalls auch die Annahme voraus, dass die Bauch- anhänge der Ur-Insekten den Myriopodenbeinen glichen. Daran aber knüpft sich wieder die Frage, ob denn die embryonalen Bauchanhänge der Insekten Merkmale an sich tragen, die auf ihre Herkunft von wirklich beinartigen geglie- derten Extremitäten hindeuten. Das muss ich nun — die Begründung wird sogleich folgen — ganz entschieden in Abrede stellen. Was zunächst die Anhänge hinter dem ersten Segment betrifft — die Endanhänge erfordern eine besondere Behandlung — so ver- schwinden dieselben (wohl auch bei Blatta) wieder, bevor sie das Stadium einer bloßen indifferenten Anlage überschritten haben, und sagen uns also über die Natur der ihnen seinerzeit vorausgegangenen Bildungen gar nichts. Aus solchen un- scheinbaren Höckerchen, wie wir sie beim Maikäfer finden, könnten, falls sie sich weiter entwickelten, ebensogut breite kiementaschen- oder flossenförmige als gestreckte, beinartige Anhänge werden. Was die von Cholodkowsky ganz unberührt gelassene Art der Rück- bildung dieser unentwickelt bleibenden Bauchanhänge betrifft, so habe ich sie speziell beim Maikäfer Schritt für Schritt und zwar an iso- lierten Keimstreifen verfolgt, wobei sich herausstellte, dass die be- treffenden Höckerchen sich verflachen und dass ihr Zellenmaterial hauptsächlich an der Medianseite des anfangs leistenartig verdiekten Hinterrandes der definitiven Larvenbauchplatten sich anhäuft. Während aber die in Rede stehenden Bauchanhänge uns über die Beschaffenheit der Abdominalgliedmaßen der Ur-Insekten völlig im Zweifel lassen, sprechen die gleieh näher zu behandelnden Anhänge am ersten Seg- ment eher gegen die Annahme, dass sie DVeberreste von myriopodiformen Beinen seien. Sie wandeln sich näm- lich, falls sie nicht wie bei Aydrophilus im unentwickelten Zustand verharren, im Anfang in meist flache, mehr oder weniger stark aus- gehöhlte, taschenartige Säcke um, die mittels eines durch Ein- schnürung ihrer Basis entstandenen gleichfalls hohlen Stielchens derart an der Leibeswand hängen, dass ibr meist wohl nur von Blutflüssigkeit erfüllter Hohlraum mit der Leibeshöhle kommuniziert. So ist das Ver- halten insbesondere beim Maikäfer, wo ich es an zahlreichen Schnitten genau studierte. Der weitere Umstand, dass diese nur mit Blut er- füllten, dagegen weder Muskeln noch Nerven oder Tracheen enthaltenden Ektodermaussackungen speziell beim Maikäfer eine ganz außerordentlich mächtige Entfaltung zeigen, indem sie in einem gewissen Stadium nahezu zwei Drittel der ganzen Bauchfläche be- decken (vgl. Fig. 19 meiner Polypodie-Arbeit) lässt wohl kaum 60 Graber, Embryonale Bauchanhänge der Insekten, bezweifeln, dass sie im Leben des Embryo eine wichtige Rolle spielen, und zwar schienen mir die Umstände am meisten für ihre Deutung als provisorische Kiemen zu sprechen. Das Eine aber wird, wer die betreffenden Organe speziell beim Maikäfer aus eigner Anschauung kennt, unbedingt zugeben, dass diese Säcke mit wirklich bein- artigen Gliedmaßen keine Aehnlichkeit haben. Damit soll nun aber nicht gesagt sein, dass diese Gebilde nieht doch für die hypothetische Ableitung der Insekten von myriopodiformen Tieren als wichtige Stützen dienen könnten. Wie dies gemeint ist, wird die folgende, aber so kurz als möglich gefasste Darlegung zeigen, wobei ich mich vorwiegend nur auf die eingangs zitierte Arbeit Haase’s berufe, welcher letztere auch die besondere Freundlichkeit hatte, mir zur bessern Orientierung verschiedene Zeichnungen und Präparate mit- zuteilen. Gewisse schon früher genannte Insekten aus der Abteilung der Thysanuren zeigen nach den neuesten Forschungen hinsichtlich mancher ihrer Bauchanhänge in der That eine höchst beachtenswerte Uebereinstimmung mit dem Verhalten gewisser Myriopoden. Besonders auffallend ist unter andern die Aehnlichkeit zwischen Machilis (In- sekt) und Scolopendrella (Myriopod). Bei beiden Formen findet man nämlich vom zweiten bezw. ersten Bauchsegment an keine eigent- lichen d. h. gegliederten Beine, sondern statt derselben je zwei andere Organe. Ein äußeres in Form eines ungegliederten Griffels — Parapodium oder Nebenbein, bei Grassi „pseudozampa® — und dann ein weiter nach innen gegen die Medianlinie befindliches Gebilde in Gestalt eines zum teil mittels besonderer Muskeln in die intersegmentale Gelenkshautfalte zurückziehbaren Säckchens, der so- genannten Bauchtasche, die Grassi „vesicola segmentale“ nennt. Beiderlei Gebilde betrachtet Haase auf grund ausgedehnter ver- gleichender Studien als basale Nebenbestandteile eines wirk- lichen Beines und zwar vergleicht er das sogenannte Nebenbein mit einem an der Hüfte mancher Insekten (Machilis, Blatta ete.) vor- kommenden Sporn und die Bauchtasche mit der sogenannten Hüft- drüse gewisser Myriopoden }). Bei diesem Sachverhalt liegt es nun gewiss sehr nahe, die mitunter, wie wir hörten, taschenartig entfalteten Bauchanhänge der 1) Grassi leitet alle Tracheatengliedmassen von zweiästigen An- hängen ab. In seiner Scolopendrella-Morphologie heißt es u. a. pag. 27: ammetto, che nei Tracheati primitivi gli arti tutti, comprese le antenne, erano biforeati come nei Crostacei. Hier möchte ich mir die Bemerkung erlauben, dass Grassi’s Arbeiten mit- unter doch allzuviele gewagte Hypothesen enthalten, und dass der Wert seiner Untersuchungen zuweilen durch den allzuschematischen Charakter seiner hie und da auch äußerst roh ausgeführten Zeichnungen sehr beeinträchtigt wird. Man kann sich aufgrund dieser Zeichnungen wirklich kein klares Bild der Wirklichkeit machen, Graber, Embryonale Bauchanhänge der Insekten. 361 Insektenembryonen mit den erwähnten drüsenartigen Säcken und überhaupt mit den schuppenartigen Duplikaturen der Thysanuren und Myriopoden zusammenzustellen. Gleichwohl kann ich aber dieser speziell von Haase vertretenen Ansicht, da u. a. an den embryo- nalen Bauchanhängen der Insekten die griffelartigen Außengebilde fehlen, keineswegs unbedingt beistimmen. Ander- seits aber bin ich in der Lage, neue Beobachtungen über die vordersten Bauchanhänge der Schnarrheuschrecken mitzuteilen, die in einer Hin- sicht die Haase’sche Hypothese zu unterstützen geeignet sind. Zu dem Behufe muss aber zunächst Einiges über den Bau dieser Gebilde bei den andern Insekten nachgetragen werden. Beim Mai- käfer, wissen wir bereits, sind es mit der Leibeshöhle kommuni- zierende und mit Blut gefüllte Säckchen. Die nach außen gekehrte fast ebene Wand derselben zeichnet sich nun hier vor dem Ektoderm der ganzen übrigen Leibeswand in höchst auffallender Weise durch sehr dickleibige Zellen mit entsprechenden Kernen aus, welche mindestens dreimal so groß als an andern Stellen sind. Nach Cholodkowsky hingegen wären bei Dlatia diese von ihm nicht an Schnitten dar- gestellten Säckchen ganz solide Ektodermkörper, die er, obwohl der auch hier als hohl angegebene Stiel keine Spur eines Nerven zeigt, sonderbarerweise dennoch als Sinnesorgane auffasst. Ich habe nun auch diese Gebilde an Schnitten untersucht und gefunden, dass sie im wesentlichen und insbesondere durch den Besitz einer, übrigens schon von Patten angegebenen Höhlung das von mir bei der Werre und beim Maikäfer nachgewiesene Verhalten zeigen. Ebenso ist es nun auch, worauf ich schon früher hinwies, bei der untersuchten Schnarrheuschrecke (Stenobothrus), hinsichtlich welcher man in einer meiner neuesten Arbeiten !) eine orientierende Abbildung findet. Die betreffenden Gebilde liegen im Stadium der höchsten Entfaltung an der Seitenwand des ersten Hinterleibsringes ungefähr dort, wo später das bekannte Tympanalorgan sich befindet. Es ist ein außen abgeflachtes Säckchen mit bisquitförmigem Umriss, dessen Längsdurchmesser eirca 1 mm beträgt. Im Gegensatz zur übrigen Leibeswand, welche fast bis zum Ausschlüpfen des Tieres ganz pig- mentlos ist, zeigt es eine bräunliche Farbe. Ebenso gefärbt ist aber auch ein in der nächsten Umgebung dieser Säckchen und der Beine befindliches feinkörniges Gerinnsel, das der Haut zum teil fest anklebt. An Schnitten sieht man dann ein sehr weites Lumen, das durch einen kurzen ziemlich weiten Gang in die Leibeshöhle mündet. Im Innern dieser Höhlung sind auf einzelnen Schnitten gar keine, auf andern nur ein paar, wohl als Blutbestandteile zu deutende Zellen erkennbar. Ganz besonders lehrreich sind aber die auch hier ganz enorm 4) Vergleichende Studien über die Keimhüllen und die Rückenbildung der Insekten (Denkschriften der kais. Akademie der Wissenschaften in Wien, 1888). Vergl. Taf. I Fig. 1 A, a. 362 Graber, Embryonale Pauchanhänge der Insekten. großen Zellen der äußern Wand. Sie sind nämlich und zwar vorwiegend gegen das äußere Ende zu derart mit gelblichen auch noch an Kanadabalsampräparaten sichtbaren Körnchen erfüllt, dass infolge dessen die ganze Außenwand des Sackes als eine bräunlich- gelbe Platte erscheint. Erwägt man nun, dass, wie die nähere Unter- suchung lehrt, auch das oben erwähnte bräunliche Gerinnsel in der Umgebung der Säckchen und Beine ähnliche gelbe Körnchen enthält, so ist gewiss die Annahme gerechtfertigt, dass dieses Gerinnsel zum teil wenigstens von den durch keine Chitinhaut be- srenzten Zellen der Bauchsäckchen abgesondert wird oder mit andern Worten, dass die letztern wirklich drüsiger Natur sind. Ein vielleicht auf dieselbe Weise entstehendes Ge- rinnsel zeigt übrigens auch der Maikäfer (vgl. Fig. 22 der Polypodie- Schrift), das freilich auch von gewissen Keimhüllen stammen könnte. Zum Schlusse muss ich noch ein paar Punkte in Cholod- kowsky’s Arbeit berühren bezw. klarstellen. Es ist eine längst bekannte Thatsache, dass manche Insekten gleich vielen andern Arthropoden, mögen diese nun eine geschlossene oder eine stellen- weise unterbrochene Reihe von Ventralgliedmaßen besitzen, am Schwanzende zwei oder auch mehrere, bald gegliederte, bald un- gegliederte und mit verschiedenen Namen bezeichneten Anhänge tragen, und es ist ferner ganz selbstverständlich, dass diese bald als Tast- und Schutz-, bald als äußere Sexualwerkzeuge dienenden End- anhänge, insoweit sie gleich beim Eintritt in das freie Leben zum Gebrauche vorhanden sein sollen, bereits im Embryonalzustand an- gelegt und zum Teil auch völlig ausgebildet werden müssen. Dies erwähne ich aber deshalb, weil Cholodkowsky mit dem Nachweis der embryonalen Anlage der bekannten Afterborsten der Küchenschabe den in meiner Polypodie-Arbeit aufgestellten Satz „sämtliche den Beinen homologen Anhänge, die sich am Embryo nahezu gleichzeitig mit den Thorakalgliedmaßen bilden, erhalten sich auch nur während der Embryonalperiode“ umgestürzt und überhaupt eine besondere Entdeckung gemacht zu haben glaubt. Ich will hier nicht von meinen einschlägigen schon in den sechziger Jahren erschienenen Arbeiten reden, da es ja klar ist, dass für unsere Frage die ge- wissen weitverbreiteten Endanhänge u. a. schon deshalb einen sehr untergeordneten Wert haben, weil, wie auch Haase betont, die bei manchen Insekten in der Dreizahl auftretenden Afterborsten doch nicht so ohne weiteres, wenn man nicht alles durcheinander werfen will, mit den Beinen homologisiert werden können. Der zweite noch flüchtig zu berührende Punkt betrifft Cholod- kowsky’s Behauptung, dass die scheinbar echt sekundären Bauch- anhänge der vollendeten Insekten, wie z. B. die abdominalen Haft- stummeln der Raupen ebenfalls für wahre Homologa der (primär Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. 363 entstehenden) Brustbeine gehalten werden „müssen“. Mit diesem „Müssen“ leugnet ja der russische Forscher gradezu die Möglichkeit, dass durch die Anpassung überhaupt etwas ganz Neues hervorgebracht werden kann, und unwillkürlich fragt man, woher wohl diese, wei- tere Nachforschungen scheinbar überflüssig machende Kühnheit des Schließens kommt. Zu Prof. Blochmann’s Aufsatz „Ueber die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse, speziell über den Generations- zyklus von Chermes abietis“. Von Dr. L. Dreyfus in Wiesbaden. In einem in Nr. 9 dieser Zeitschrift unter obigem Titel erschienenen Aufsatz sucht Prof. Blochmann darzuthun, dass er und nicht ich zuerst die Herbstwanderung des Chermes abietis Kltb. — denn nur um diese kann es sich überhaupt handeln —, gefunden habe. Die Frage der Priorität überlasse ich dem Urteile der Fach- genossen, welche ja die betreffenden Schriften!) und ihre Daten ver- gleichen können. Was mich zur Erwiederung veranlasst, ist die ein- seitige Darstellung des Sachverhaltes in einer Zeitschrift, welche auch von Vielen gelesen wird, denen die Sache ferner liegt, und die deshalb wahrscheinlich nicht die Originalarbeiten einsehen. Ferner bestimmt mich die Notwendigkeit sachlicher Berichtigung. Dies um so mehr als B. es für gut befunden hat, unsere Korrespondenz eben so einseitig heranzuziehen. iR Herr Prof. Bloehmann gründet seinen Anspruch auf Priorität darauf, dass ich erstens am 19. September mich nicht so bestimmt ausgesprochen habe wie er es am 2. November gethan hat, und zweitens, dass ich keine Experimente gemacht habe. Dass ich nicht nur die Wanderung, sondern die ganze Kom- plikation klar überschaut habe und dass dieselbe sich aus den von mir in Köln erwähnten Tbatsachen für jeden Kundigen ergeben musste, 4) I. Dreyfus, Ueber neue Beobachtungen bei den Gattungen Chermes und Phylloxera. Vortrag gehalten am 19. September 1888 in der zool. Sektion der 61. deutschen Naturforscher Versammlung zu Köln. II. Bloehmann, Ueber den Entwicklungskreis von Chermes abietis. Vortrag gehalten am 2. November 1888 in dem Naturh. med. Verein zu Heidelberg. IH. Dreyfus, Neue Beobachtungen bei den Gattungen Chermes und Phylloxera. Zool. Anzeiger, Nr. 299, 4. Februar 1889 und Nr. 300, 48. Februar 1889. IV. Dreyfus, Ueber Phylloxerinen. Wiesbaden 1889. V. Dreyfus, Zur Biologie der Gattung Chermes. Zool. Anz., Nr. 308, 27. Mai 1889. 64 Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. wird mir Blochmann wohl nicht in Abrede stellen. Schrieb er selbst mir doch am 21. Januar!), an welchem Tage er nur den Ab- druck meines Vortrages hatte: „Zunächst kann ich nicht so ohne weiteres zugeben, dass Sie die von mir beobachteten Geschlechts- tiere?) zu Ch. abietis ziehen“?) — ein Beweis, dass er aus meiner Bemerkung, „ich halte den Zusammenhang zwischen CA. larieis, Ch. abietis und Ch. obtectus zwar nicht für erwiesen, aber auch nicht aus- geschlossen“ richtig entnahm, dass ich den Zusammenhang als fest- gestellt ansah, wenn ich ihn auch nicht zu bestimmt formulieren wollte, bis ich das fehlende Glied der Kette, das Ergebnis des be- fruchteten Eies, auch hatte. Herrn Blochmann selbst aber teilte ich gleich in meinem ersten Briefe und noch bevor ich davon wusste, dass er wieder an Chermes arbeitete, mit, dass diese Eier bald nach meiner Rückkehr von Köln ihre Insassen entlassen hatten und dass letztere den Tieren der direkten Reihe vollständig glichen. Blochmann zitiert ungerechter Weise aus meinem Vortrag nur die Endworte eines Satzes: „dass sich die Sache noch durch Emigration komplizieren könnte“. Diese Endworte beziehen sich aber gar nicht speziell auf Ch. abietis wie seine Zusammenstellung es scheinen lässt, sondern mein Satz lautet im Zusammenhang: „Selbst angenommen nun, diese*) wären Geflügelte und Geschlechts- tiere von Strobilobius (und nieht die mir noch unbekannten meines Chermes orientalis), so bleibt doch die Frage: wo und wann entstehen denn die Geschlechtstiere der übrigen? Oder teilen sich die Reihen, und erscheint vielleicht nicht jedes Jahr und in jeder Entwicklungsreihe eine Geschlechtsgeneration, und dann, unter welchen Bedingungen und mit welchen Verschiebungen? Für ausgeschlossen halte ich nach meinen Erfahrungen bei dieser Familie das Letztere keinesfalls, ebensowenig wie die Möglichkeit, dass sich die Sache noch durch Emigration komplizieren könnte“. Es dürfte grade dieser Satz beweisen, dass ich damals schon nicht nur die Emigration, sondern auch die damit verbundene Tei- lung derReihen und das sich daraus ergebende weit wichtigere 1) Ich möchte hier konstatieren, dass Blochmann der Abdruck meines Vortrages am 11. Januar zukaım, dass ich aber erst am 19. Januar seine Ant- wort darauf erhielt, welche mir die erste Nachricht brachte, dass er an C'hermes weiter gearbeitet hatte. Diese Antwort war von einem Abdruck seines Vor- trages begleitet. 2) Diese Geschlechtstiere hatte ich Ch. obtectus zugeteilt. 3) Die Sperrung der Worte „zu Ch. abietis ziehen“ rührt von mir her. Im Verlaufe dieses Artikels werde ich überhaupt die Worte, welche ich be- sonders hervorheben möchte, in gesperrter Schrift geben, auch wenn dieselben in der Originalarbeit nicht so hervorgehoben waren. 4) Die Strobilobius-ähnlichen Fliegen und die aus ihren Eiern entstandenen krapproten Geschlechtstiere, von denen ausschließlich es sich in vor- hergehendem Satze handelte. Dreyfus, Wanderung der Blattläuse, 365 Problem, ob in jeder Entwicklungsreihe schließlich eine Geschlechts- generation vorkommen muss, klar überschaute. Blochmann bringt dieses Problem jetzt auch auf Seite 279 seines heute besprochenen Aufsatzes in solcher Form, dass man es für eine von ihm zuerst aus- gesprochene Idee halten könnte. Ich habe aber sowohl in meiner Arbeit „Ueber Phylloxerinen“ (S. 84 bis 86), wie in meinem Artikel im Zool. Anzeiger Nr. 299 (S. 70 und 73) die Sache ausführlich be- handelt und meine Gründe angegeben, warum ich glaube, dass die Parallelreihe, in welcher anscheinend ausschließlich parthenogenetische Entwicklung vorkömmt, zu irgend einer Zeit wieder in die Reihe, welche die Geschlechtstiere bringt, einlenken muss, und dass daher alle Entwicklungsstadien der beiden geteilten Reihen in einen und denselben Entwicklungskreis ge- hören. Es ist mir daran gelegen, dies hier ausdrücklich zu konsta- tieren, da ich die Feststellung der Existenz geteilter und dann paralleler Entwicklungsreihen, wie ich sie im September auch noch an einer andern Stelle!) erwähnt habe, als das wichtigste Resultat meiner Untersuchungen betrachte, und überzeugt bin, dass dadurch noch manches Rätsel in der Entwicklungsgeschichte auch anderer Tiere gelöst werden wird. Für ungerecht halte ich es ferner, dass in dem zweiten zitierten Passus aus meinem Vortrage „Auf was ich Sie hier ganz besonders aufmerksam machen möchte, das ist die frappante Aehnlichkeit des zweiten geflügelten Chermes laricis mit dem gleichzeitig auf der Fichte erscheinenden geflügelten Chermes abietis. Trotz aller Bemühungen kann ich keinen wirklichen Unterschied zwischen beiden finden, und die Abbildung des einen kann ebensogut für die des andern dienen“. Blochmann den Anfang des ersten Satzes ganz unterdrückte, ebenso die Sperrung des Wortes „frappant“ und den letzten Satz gleichfalls wieder ganz wegließ. Da diese schlagende Aehnlichkeit doch gewissermaßen der Angelpunkt der ganzen Sache war, indem sie sowohl Blochmann wie mich zuerst auf die Identität der beiden auf verschiedenen Pflanzen gefundenen Tiere hinwies, so hätte hier, meines Erachtens, Nichts unterdrückt werden dürfen. Bloehmann’s zweiten Einwurf: „Nach einem Versuch, der doch solche Dinge überhaupt erst beweisen kann, sieht man sich auch hier vergebens um“, hat er selbst einige Zeilen vorher beantwortet. Er schreibt da: „Als Hauptergebnis meiner vorjährigen Untersuchungen muss gelten die direkt im Freien beobachtete und durch eine Reihe von Versuchen kontrollierte Ueberwanderung des Ch. abietis von der Fichte zur Lärche und die Rückkehr von da auf die Fichte. Das 1) bei Chermes tardus. 366 Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. letztere war damals von mir noch nicht direkt gesehen!), war aber natürlich selbstverständlich und ließ sich außerdem aus den Angaben von Ratzeburg, Kaltenbach, Kayser und aus meiner Beobachtung der aus dem befruchteten Ei im Oktober entstehenden Larven „so gut wie direkt beweisen“. Hier waren ihm also sehr mangelhafte Angaben, von denen er eine sogar falsch verstanden hat?), „so gut wie direkter Beweis“, aber da, wo er mich anzieht, spricht er die Meinung aus, dass „nur ein Versuch solche Dinge beweisen könne“. Ich glaube jedoch, dass von den meisten Forschern Beweise, wie sie in dem folgenden Auszuge meines Artikels im Zool. Anzeiger ge- geben sind, als ebenso überzeugend betrachtet werden, wie Versuche, die, wie sich schon oft herausgestellt hat, auch hier und da unzu- verlässige Resultate liefern. Auf Seite 68 des Zool. Anzeigers Nr. 299 schrieb ich: „Bedenken wir nun, dass auf der Lärche im August plötzlich eine Menge geflügelter Chermes erscheinen, ohne dass eine ein- zige zuihnen führende Nymphe zu finden war, dass diese Fliegen von den gleichzeitig auf der Fichte ausfliegenden Tieren nicht zu unterscheiden sind, dass wiederum im Frühjahr auf der Fichte gelbe Fliegen er- scheinen, ohne dass eine zu ihnen führende Form zu finden ist, und zwar Fliegen, welche den sich zu gleicher Zeit regelmäßig aus Nymphen auf den Lärchennadeln entwickelnden, und da bald verschwindenden gleichen, dass die Nachkommen der drei nach Species getrennten Fliegen morphologisch ebensowenig zu unterscheiden sind, wie die Fliegen selbst, so liegt die Vermutung nahe, dass diese zu drei verschie- denen Species (Abietis, Laricis und Obtectus) gerechneten Formen alle in den Entwicklungskreis einer und derselben Art gehören, dass die verschiedenen Stadien dieses Kreises sich abwechselnd auf der Fichte und auf der Lärche entwickeln, und dass die notwendig 1) Es würde B. schwer geworden sein, dies nicht zuzugestehen, da er seine Beobachtungen erst im August angefangen und die Wanderung von der Lärche zur Fichte bereits 3 Monate vorher (im Mai) stattgefunden hatte. — Außerdem war er im November, als er seinen Vortrag in Heidelberg hielt, noch in solcher Unkenntnis über diese Wanderung, dass er nicht wusste, ob die unter der Lärchenrinde sitzenden Tiere selbst, oder ihre Nachkommen auf die Fichte zurückwandern. — Dass ihm ebenso unbekannt war, wie bei unsern Tieren nie 2 Generationen von Geflügelten aufeinander folgen (was doch bei der ersteren Annahme hätte geschehen müssen), geht daraus ebenfalls hervor. 2) Die von Kaltenbach. Derselbe sprach nur von toten Tieren, welche von beiden Species noch Monate nachher zu finden sind. Kaltenbach, Monographie der Pflanzenläuse. Aachen 1872. Seite 195. A a Se nt N Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. 367 dadurch bedingte Emigration hin und zurück in beiden Fällen durch die geflügelten Tiere stattfindet“. Auch was das Datum der faktiscehen Entdeckung des Zu- sammenhanges betrifft, war ich Herrn Blochmann voraus. Er fing seine Untersuchungen überhaupt erst im August an, ich im März, und am 2. August, an welchem Tage wir ein schon etwas braun ver- färbtes Tier, das alle seine Eier auf der Lärche abgelegt hatte, in situ abbildeten, war ich bereits mit Herrn Peters übereingekommen, das unverfärbte Tier auf der Lärche nicht zu portraitieren, weiles offenbar identisch mitdem aus denFichtengallen ausfliegenden Ch. abietis war!). II. Waren die von Blochmann beschriebenen Geschlechts- tiere die von Ch. abietis Kltb. oder die von Ch. strobi- lobius Kltb.? Blochmann schreibt: „Dreyfus behauptet in allen seinen Mit- teilungen, trotz meiner brieflich erhobenen Einsprache, dass die von mir im Jahre 1837 beobachteten Geschlechtstiere nicht, wie ich sagte, zu Ch. strobilobius, sondern zu Ch. abietis gehörten. Dies ist aber nur eine Behauptung, für welche er den Beweis schuldig geblieben ist“. Ich glaube nicht, dass ich den Beweis schuldig geblieben bin, am wenigsten Herrn Professor Blochmann, dem ich am 29. Januar darüber schrieb: „Hätten Sie, wie ich, diese Tiere schon seit Jahren verfolgt, so würden Sie sich nicht so lange dagegen sträuben, zu glauben, dass die Geflügelten, deren Eiern Ihre gelben Geschlechtstiere entstammten, nicht Strobilobius waren. Warum, habe ich in Köln gesagt. Sie haben sich wohl zur Zeit Präparate davon gemacht? Wenn so, vergleichen Sie doch das Flügelgeäder, das vollständig verschieden von Strobilobius ist (wie jaKoch auf diesen Unterschied eine neue Gattung gründen wollte). Wenn nicht, so steht Ihnen gerne ein Präparat zu Diensten. Außerdem fiel mir die eigentümliche dieke Wachsausscheidung —_— am Metathorax und I. Abdominalring auf, die Strobilobius nie hat). 1) Trotzdem es mir darum zu thun ist, Blochmann’s unbegründeten An- spruch auf Priorität energisch zurückzuweisen, möchte ich seine Verdienste anderseits auch nicht ungebührlich schmälern, daraufhin, dass ich den Zu- sammenhang so kurze Zeit vor ihm gefunden, sondern gern aussprechen, dass er die Herbstwanderung des Ch. abietis Kltb. von der Fichte zur Lärche un- gefähr zur gleichen Zeit und unabhängig von mir bemerkt hat. Es genügt vollständig, dass wir diese Sache ziemlich gleichzeitig auf verschiedenem Wege gefunden haben. 2) Diese Wachsausscheidung ist sehr charakteristisch für den geflügelten Ch. abietis und lässt ihn schon von weitem und lange nach dem Tode noch von den übrigen Chermes-Arten unterscheiden. Während Oh. strobilobius und die meisten andern Species sich fast ganz mit langem, wolligen bläulichen 568 Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. Da ich sie von Adietis her schon kannte, hätte ich eigentlich damals schon im Juni den ganzen Zusammenhang aus dieser Wachsaus- scheidung lesen müssen“. Blochmann’s Antwort darauf vom 5. Februar lautete: „Was die Zugehörigkeit der von mir beobachteten Geschlechts- tiere zu der einen resp. andern Art anbelangt, so werde ich mich im Frühjahre selbst darüber instruieren, vorderhand kann ich Ihnen noch nicht beistimmen“. Ob er auf diese Korrespondenz hin schreiben kann: „Ich hätte die Sache nur behauptet, sei aber den Beweis schuldig geblieben“, überlasse ich eben so ruhig dem Urteil der Sachverständigen wie die Frage der Priorität. Zum Ueberflusse will ich aber hier nochmals rekapitulieren, warum ich sicher bin, dass Blochmann die Geschlechtstiere von Abietis beschrieben hat und nicht die von Strobilobius, wie er meint: Die Männchen und Weibehen von Abietis sind beide hellgelb (das Weibehen mehr schwefelgelb, das Männchen mehr zitronengelb), und dies gleichmäßig über den ganzen Körper. Nur der breite Penis des Männchens ist bräunlich und lässt deshalb bei oberflächlicher Betrachtung das Hinterleibsende des Tieres bräunlich erscheinen. Dies stimmt mit der Beschreibung Blocehmann’s, der sowohl Männchen wie Weibchen als „gelblich“ beschreibt, das Männchen mit bräunlich gefärbtem Hinterleibsende. Das geschlechtsreife Männchen von Strobilobius dagegen ist gleich- mäßig über den ganzen Körper schmutzig grünbraun(olivbraun), eine Farbe, welche auch die kühnste Phantasie nicht als „gelblich“ bezeichnen könnte. Flaum bedecken, so dass man in einiger Entfernung und auch mit der Lupe, außer dem Flaum wenig von dem ganzen Tiere sieht, liegt Ch. abietis ganz glatt auf der Nadel und zeigt im Ruhezustand bald nach Häutung nur zwei ziemlich breite, kreideweiß bestäubte Felder auf dem Metanotum, und in der Mitte unter ihnen auf dem I. Abdominalring nochmals ein einzelnes solches Feld, welches demnach mit den obigen zwei Feldern zusammen ein Dreieck bildet —_—. Nach und nach wachsen aus diesen Feldern 3 breite gelbweiße Alabaster- ähnliche, solide, breite Bänder, welche gar keine Aehnlichkeit mit dem gewöhnlichen Flaum haben; ebenso einige Ähnliche, aber weit unbedeutendere Flecken derselben Art auf Kopf, Pro- und Mesonotum; der ursprünglich gelbe oder grüne geflügelte Ch. abietis wird nach einiger Zeit braun, fast wie alle andern Chermes- Arten, aber diese eigentümliche Wachsausscheidung und das Fehlen jedes anderen Flaumes auf der Oberfläche des Tieres (es scheidet am Abdomen auch etwas, aber sehr wenig dünnen Flaum aus, der übrigens von den Flügeln verdeckt wird), lässt Ch. abietis auch nach seinem Tode noch immer leicht erkennen. Meine ausführliche Arbeit, für welche die Tafeln be- reits beim Lithographen sind, wird die beiden Fliegen von Ch. abietis und Ch. strobilobius neben einander auf der gleichen Fichtennadel abgebildet bringen und diesen Unterschied deutlich veranschaulichen. Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. 369 Die Weibehen von Strobilobius haben ein schönes gesättigtes Rotgelb (Orange), durch welches sich schon die Eier, denen sie entstammen, wie die befruchteten Eier, welche sie legen, auszeichnen und wodurch sich Tiere wie Eier stets leicht und sicher, schon mit bloßem Auge, von den schwefelgelben Adietis unterscheiden lassen. Dass diese schön rotgelben Weibchen und grünbraunen Männchen nicht die Tiere sein konnten, welche beide B. als „gelb- lich“ beschrieben hatte, liegt auf der Hand. In Köln sagte ich darüber wörtlich: „dass die von Blochmann gefundenen Ge- schlechtstiere nicht zu Ch. strobilobius gehörten, bewies mir schon die zitronengelbe Farbe der Eier und Tiere, indem ich bei den geflügelten Strobilobius stets nur rötliche bis braune Eier gesehen hatte“. Trotzdem ich aber hier deutlich die Farbe als Beweis aufgeführt hatte, und trotzdem ich Bloehmann nochmals in einem Briefe (vom 29. Januar) darauf zurückverwiesen hatte, protestierte er weder in einem Briefe, noch durch irgend eine sonstige Aeußerung gegen diese Beschreibung und Motivierung, welche doch grundfalsch gewesen wäre, wenn es sich um die Sexuales von Strodilobius gehandelt hätte. Er that dies auch nieht, nachdem ich sie nochmals in einem Artikel in Nr. 299 des Zool. Anzeigers als „schön schwefelgelb“ bezeichnet hatte. Da Blochmann nun nichts gegen die Beschreibung der Eier und Tiere als „schwefelgelb“ und zitronengelb (im Gegensatz zu rötlich und braun) einzuwenden hatte, da er ferner die Tiere selbst (sowohl Weibehen wie Männchen) als „gelblich“ beschreibt, so ist anzunehmen, dass er auch solche hellgelbe Tiere vor sich gehabt hat. Da ferner die Männchen und Weibehen von Abietis stets hellgelb sind, die geschlechtsreifen Männchenvon Strobilobius aber dunkel oliven- farbig und die Weibchen orangegelb, welche beide Farben niemand, der die Tiere je sah, „gelblich“ nennen würde, so ist ferner anzu- nehmen, dass es nicht die Geschlechtstiere von Ch. strobilobius, sondern, wie ich behauptete, die von Ch. abietis waren!). 1) Nicht verständlich ist mir, wie Blochmann auf die Vergleichung der diesjährigen lebenden Tiere mit den Präparaten vom letzten Jahre hin, „mit aller Bestimmtheit“ versichern kann, dass er damals Strobilobius vor sich hatte. Die 2 2 von Strobilobius sind wohl im Allgemeinen etwas größer, doch habe ich schon viele Abietis Q 2 gehabt, welche ganz so groß und größer wie andere Strobilobius 2 2 waren, — es kommt ganz auf das Stadium der Entwicklung des Eies an. Da der Unterschied sonst einzig und allein in der Farbe liegt, welche bald im Balsam verschwindet, und B. wahrschein- lich platt gedrückte Präparate hatte, welche schon an sich nieht mehr die richtige Größe des Tieres repräsentieren, so wäre etwas weniger Bestimmtheit auf solehe Beweisgründe hin, wohl ratsam gewesen, besonders, nachdem, wie ich oben gezeigt, alles Andere nicht mit dieser Behauptung stimmt. IX, 24 370 Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. III. Die Geschleehtstiere zweier Arten auf der Fichte. In dem auf II. folgenden Satze sagt Blochmann: „Dreyfus hat auf der Fichte überhaupt nur eine Art von Geschlechtstieren gefunden, denn wohin die auf Picea orientalis beobachteten roten Geschlechtstiere gehören, ist noch zweifelhaft“. Auch hierin muss ich berichtigen: Außer den zitronengelben Sexualen von Abietis beschrieb ich in Köln die krapproten, welche ich „nur an P. orientalis und einigen dabei stehenden Fichten gefunden“. IV. Chermes obtectus. Dass Blochmann den Namen „Odtectus“ für die Geschlechts- tiere, welche er Strobilobius zuschreibt, in Anspruch nimmt, Cholod- kovsky denselben für seine schwarzen Sexuales, ich für die von Abietis, beweist schon, dass hier zuviel Spielraum für Konjektur ge- lassen ist, weil Ratzeburg den Namen ohne jede andere nähere Beschreibung gegeben hat, als die, dass die Tiere Strobilobius sehr ähnlich, aber kleiner seien. Da nun sowohl Blochmann, wie Cholodkovsky und ich gleichmäßig angenommen haben, dass die Tiere, welche unter dem Namen Obtectus gemeint worden sein möchten, keine selbständige Species repräsentieren, sondern in den Entwicklungskreis einer andern Art gehören, da es beim Ausfall jeder genügenden Beschreibung unmöglich!) ist, mit Sicherheit zu ermitteln, welche Tiere Ratzeburg mit dem Namen „Obtectus“ bezeichnen wollte, indem durch unsere verschie- denen Beobachtungen festgestellt ist, dass verschiedene Sexuparen zur gleichen Zeit und auf die gleiche Art auf der Fichte erscheinen, und es daher für die Hauptfrage nicht den geringsten Unterschied macht, welchen dieser Sexuparen Ratzeburg seinen Namen bei- legen wollte, so wäre es wohl am besten, den Namen „Obtectus“ ganz fallen zu lassen?). Ich thue dies hiermit, wenigstens für meinen Teil, und bitte, in den zwei Mitteilungen, in welchen ich Odtectus erwähnte, den darauf bezüglichen Passus zu unterdrücken, und sich nur an das von mir in beiden Artikeln mitgeteilte Endresultat des Zusammen- hanges dieses Sexuparen mit Abietis und Laricis (welches dadurch nicht im Geringsten geändert wird), zu halten. 1) Die Ratzeburg’sche Beschreibung würde gleich gut auf die geflügelten Tiere von Ch. Piceae, Funitectus, Orientalis, Pini, Strobi passen, da sie alle kleiner als die von Strobilobius und den letzteren sehr Ähnlich sind. 2) In einer 1865 erschienenen schönen Arbeit, die mir leider erst in letzter Zeit bekannt wurde, schrieb Kaiser schon über Ch. obtectus. „Auch der benannte Autor (Ratzeburg) scheint sie nicht genau gekennt zu haben, da er sehr wenig über sie berichtet“. Jahrbuch des Naturh. Landesmuseums von Kärnten 1865. Seite 216. Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. 3711 V. Borstenschlingen. Darüber schreibt Blocehmann: „Ich habe dies Herrn Dreyfus brieflich mitgeteilt und habe auch seine Bestätigung erhalten, in seiner später erschienenen Mitteilung im Zool. Anzeiger dagegen ist dieses Versehen noch unberichtigt geblieben“. Der Wortlaut meiner Antwort wird am besten zeigen, warum ich Bloehmann die Berichtigung vollständig überlassen habe. Ich schrieb ihm, in Antwort auf seine direkte Frage, am 29. Januar: „Unterschiede in der Länge der Borstenschlinge haben wir seiner Zeit auch bemerkt und gezeichnet. Ich legte jedoch kein großes Gewicht darauf, habe ihn auch weder in meinem Vortrage in Köln, noch in meinen Mitteilungen im Zool. Anzeiger erwähnt, und muss das Verdienst, ihn klar hervorgehoben zu haben, Ihnen überlassen“. VI. Häutungen der Geschlechtstiere. Dagegen möchte ich Herrn Blochmann fragen, warum er denn seine Angabe, dass die Geschlechtstiere sich bloß einmal häuten, nicht berichtigt, nachdem ich doch nachgewiesen, dass dieselben sich dreimal häuten, wie die übrigen ungeflügelten Tiere. Es ist dies nicht unwichtig; denn Viele, welche seine Schrift gelesen und darnach glauben, dass diese Tiere sich bloß einmal häuten, würden, nachdem mit dieser Häutung der für die ausgebildeten Geschlechtstiere charak- teristische 4gliedrige Fühler nicht zum Vorschein gekommen, diese Tiere nicht als sich zu Sexuales entwickelnde betrachten. So könnte dadurch leicht die wünschenswerte Entdeekung der noch fehlenden Geschlechtstiere verhindert werden. VO. Entwicklungszyklus von Chermes abietis. Blochmann gibt jetzt auch eine Skizze, wie dieser Entwick- lungskreis sein könnte, welche, nach Voransendung der zwei jährlichen Generationen meiner II. Parallelreihe!), genau die Skizze wiedergibt, welche ich auf Seite 69 des Zool. Anzeigers Nr. 299 davon gegeben habe?). Eine Vergleichung der beiden Skizzen wird nicht uninteres- sant sein?). 1) Zool. Anzeiger, Nr. 299, S. 73. 2) Es hat sich in die Skizze von Blochmann ein Irrtum eingeschlichen, der die Sache etwas konfuser macht, indem seine Aufstellung konsequent durchgeführt, den Zyklus als einen 4jährigen erscheinen lassen würde. Wenn er aber von dem befruchteten Ei im Anfange ganz absieht, und die Stammmutter, welche nach seiner, meiner und Lichtenstein’s Definition ja stets aus dem befruchteten Ei entsteht, erst im Frühjahre aufführt (also seine Reihe I schließen würde: „Frühjahr des ersten Jahres“), so wäre die Sache richtig gestellt. 3) Diese Vergleichung würde weiter zeigen, wie einseitig Blochmann zitiert hat. Bei Gegenüberstellung der Frage, 1) ob die auf der Fichte ver- bleibenden geflügelten Abietis eine streng isoliert bleibende Reihe oder 2) nur 24° 302 Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. Jedoch bleibt ein Fundamental-Unterschied in unsern beider- seitigen Auffassungen: Blochmann nimmt an, dass nach den 5 Generationen meiner I. Parallelreihe nur einmal (also während eines Jahres) die 2 streng parthenogenetischen Generationen meiner II. Parallelreihe interkurrieren. Mir aber haben meine Beobachtungen die Ueberzeugung aufgedrängt, dass diese streng parthenogenetische Fortpflanzung überwiegen muss, und sich daher die 2 Generationen der II. ausschließlich parthenogenesierenden Reihe mehrere Jahre hintereinander wiederholen müssen, bevor wieder die I. Serie, in welcher die Geschlechtstiere erscheinen, an die Reihe kommt. Es ist dies natürlich ein wichtiger Punkt für die ganze Lehre von der Fortpflanzung. Ist es schon interessant genug, dass sich Tiere in vielen Generationen durch 3 Jahre fortpflanzen können, bevor eine Regeneration durch geschlechtliche Vermischung stattfindet, so würde eine viel größere Verlängerung der Jahrenreihe streng partheno- genetischer Entwicklung mehr für die Auffassung derer sprechen, welche annehmen, dass das Bedürfnis geschlechtlieher Vermischung sich überhaupt allmählich verringern und zuletzt verschwinden kann, ohne dass die Fortpflanzung der „Art“ im geringsten darunter leidet. Ich selbst glaube nicht, dass die geschlechtliche Vermischung ganz ausfallen kann, aber die Frage bleibt eine äußerst interessante. Ver- knüpft ist damit noch das weitere Problem, ob der Turnus, in welchem die verschiedenen Generationen und (wenn nötig) schließlich die zweigeschlechtige Generation erscheinen, überhaupt ein regel- mäßiger ist, der sich zu allen Zeiten und überall gleich bleibt, oder ob er durch äußere Bedingungen beeinflusst werden kann. Die Art und Weise, wie die erste Frage gelöst werden kann, habe ich schon in der Note 116 auf Seite 84 meiner Arbeit „Ueber Phylloxerinen“ genau angegeben. Dies würde auch noch einen zweiten Punkt, der für den Wald- und Gartenbau wichtig ist, aufklären. Blochmann hat in seinem Vortrage fast mit Bestimmtheit!) ausgesprochen, dass eine Wan- derung zu und von der Lärche notwendig in den Entwicklungs- kreis des Oh. abietis gehört, und deshalb zur Verhütung von Gallen das Pfianzen von Lärchen in der Nähe von Fichten verpönt. Ich habe ein Glied in dem ganzen Entwicklungszyklus bilden, schreibt er nach Stellung der ersten Frage“: „Auf die Möglichkeit einer solchen Annahme hat Drey- fus hingewiesen“, erwähnt meiner aber nicht bei Erörterung der zweiten Annahme, während ich grade für diese zweite Annahme (im Gegensatze zu der ersten) mich auf die allerentschiedenste Weise ausgesprochen habe. („Ueber Phylloxerinen“ S. 85.) 1) „Bestätigt sich nun, was übrigens kaum anders zu erwarten, dass Ch. abietis notwendig eine Zwischengeneration auf der Lärche haben muss, so ist die erste Regel, um junge Fichtenbestände vor dem Schmarotzer zu schützen, die, dass unter die Fichten oder in der Nähe derselben keine Lärchen gepflanzt werden dürfen“. Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. 315 auch auf diese praktische Verwertung der Entdeckung hingewiesen, aber dabei hinzugefügt; „es hätte natürlich nur dann Wert, wenn die Species ohne die Wanderung auf die Lärche nicht lebensfähig bleibt. Kann sie sich ebensogut ohne Emigration auf die Lärche erhalten, so hätte das Ausroden der letztern keinen Nutzen“. Seitdem hat nun Cholodkovsky!) Wanderung von Chermes auf die Zirbelkiefer berichtet und Löw?) darauf aufmerksam ge- macht, dass in Lappland wohl Fichten und Föhren (Pinus sölvestris), aber keine Lärchen vorkommen und doch Chermes schon lange zu finden ist. Blochmann hat diese Mitteilungen, welche die ausschließ- liche Notwendigkeit der Wanderungen auf die Lärche in Frage stellen, nicht in seiner obigen Arbeit erwähnt. Da sie ihm bekannt waren, hätte dieß um so eher geschehen sollen, als sie grade seine etwas zu bestimmt ausgesprochene Ansicht über das Gebot der Nicht- anpflanzung von Lärchen modifiziert haben würden. Die Ausdehnung der Experimente auf diese Frage wäre sehr zu wünschen. VIII. Nomenklatur. Bei Besprechung der Lichtenstein’schen Theorie ?) schlug ich vor, L.’s Benennungen der verschiedenen Entwicklungsstadien, soweit sie richtig waren, beizubehalten, die irreführenden Namen Pupiferae aber durch Sexuparen, und Gemmantes durch Jungfernmütter (Vir- gines fecundae oder kurz Vörgines) zu ersetzen. Trotzdem selbst Blochmann an diesen Benennungen nichts aus- zusetzen weiß (siehe unten), will er doch die von mir gegebenen Namen durch andere nicht glücklich erfundene ersetzen. Man muss aber gegen seine neuen Namen „Äemigrantes“ und „Alienicolae* pro- testieren, da sie neue Unsicherheit in die bis jetzt unter den Lich- tenstein’schen Namen doch allgemein verstandene Abgrenzung der verschiedenen Generationen bringen würden. Als Ersatz für „Pupiferen“ schlug ich das Wort „Sexuparen“ vor. Blochmann will es durch „Aemigrantes“ ersetzen mit folgender Motivierung: „Im allgemeinen dürfte der Ausdruck „Sexuparen“ diese Generation richtig bezeichnen. Ich habe aber die allgemeine Be- zeichnung „Remigrantes“ gewählt, weil auch leicht der Fall denkbar ist, dass die von der Zwischenpflanze auf die ursprüngliche Nähr- pflanze zurückkehrenden 2 die Geschlechtstiere erst durch Vermitt- lung einer Zwischengeneration erzeugen.“ Also um einen Fall, der „denkbar“ wäre, aber bis jetzt noch nicht beobachtet worden ist und dessen Vorkommen, wie ich weiter- hin zeigen werde, auch höchst unwahrscheinlich ist, zu decken, will 4) Zool. Anzeiger, Nr. 299, S. 63. 2) Zool. Anzeiger, Nr. 308, S. 290. 3) Ueber Phylloxerinen, S. 23. 374 Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. er eine bereits vorhandene richtige Bezeichnung durch eine neue für viele jetzt bekannte Fälle sicher unrichtige ersetzen. Der Ausdruck „Sexuparen“ bezeichnet „die mit den Geschlechts- tieren Schwangeren“, genau wie Lichtenstein’s „Pupiferes“. Er begreift also geflügelte wie ungeflügelte Mütter von Geschlechtstieren, emigrierende wie nicht emigrierende. Thut dies auch das Wort „kemigrantes“, das B. als gleichbedeutend hinstellt, und will er viel- leicht die ungeflügelten Sexuparen der Phylloxera, die nicht wandern, als „Aemigrantes“ bezeichnen? Er muss doch von der Existenz solcher ungeflügelten Sexuparen aus Lichtenstein’s, Bal- bianis und meinen Arbeiten wissen. Das Vorkommen des von ihm als denkbar erwähnten Falles ist aber auch höchst unwahrschein- lich, nicht nur, weil er bis jetzt noch bei keiner Species beobachtet worden ist, sondern weil die ungeflügelten Sexuparen nach Balbiani’s von mir bestätigtem Ausspruche !) dem Stadium der geflügelten ent- sprechen dürften, und weil noch kein Fall bekannt ist, in welchem geflügelte je wieder geflügelte oder die ihnen entsprechenden Sexu- paren zu direkten Nachkommen hatten. Nicht glücklicher ist B. mit der Wahl des Wortes „Alienicolae“ gewesen. Er bezeichnet es als den „Gemmantes“ Lichtenstein’s entsprechend. Lichtenstein bezeichnete mit seinem Worte alle sich parthenogenetisch (also, wie er meinte, durch Knospung) fort- pflanzenden Tiere. Dasselbe drückt meine Benennung „Jungfern- mütter“ oder „Virgines fecundae“ aus. Aber werden diese alle auch durch die B.’sche Benennung umfasst? Will er Rebläuse, welche sich mehrere Generationen hindurch auf derselben Wurzel fort- pflanzen, auch „Alienicolae“ nennen? Anders verhält es sich mit seiner Uebersetzung des Wortes „Ge- schlechtstiere* durch „Sexuales“, welche nur gebilligt werden kann, da sie gestattet, etwas Abwechslung in die häufige Wiederholung des Wortes „Geschlechtstiere“ zu bringen. Ich habe sein Wort des- halb auch schon in dieser Arbeit gern gebraucht. Ablehnen möchte ich dagegen wieder seine neuen Zeichen: Ich habe absichtlich kein neues Zeichen bringen wollen, sondern nur das von Witlaczil bereits für die Aphidinen eingeführte Q an- genommen, weil ich glaube, dass zuviele Zeichen vom Uebel sein würden. Wir dürfen nicht für die Aphidinen und Phylloxerinen allein eine ganz neue Hieroglyphensprache einführen, die solche Zoologen, welche diese Familien nicht zum speziellen Studium gemacht haben, erst studieren und in den Quellen nachsuchen müssten, bevor sie ver- stehen, was wir geschrieben haben. Am wenigsten aber dürften Zeichen mit solchen minimalen Differenzen, wie sie Blochmann vorschlägt, sich nützlich erweisen. Sie würden im Gegenteil zu end- losen Irrtümern führen; denn das kleine Pünktchen, welches nach 1) Vergl. Zool. Anzeiger, Nr. 300, S. 95. Dreyfus, Wanderung der Blattläuse. 305 B. die Sexuparen von den übrigen Jungfernmüttern unterscheiden soll, dürfte übersehen oder von dem Setzer am unrechten Orte ge- braucht werden. Blochmann’s Artikel ist selbst der beste Beweis für diesen Einwand; gleich bei der ersten Anwendung, die B. von seinen eignen Zeichen macht (bei Tetraneura ulmi, Seite 281), ist bei den Emigrantes das Zeichen für die Sexuparen gesetzt, während sie keine Sexuparen sind und Blochmann sie offenbar auch nicht als solche bezeichnen wollte. Ebenso könnte es Missverständnisse verursachen, wenn die ge- wöhnlichen Klammern unseres Druckes ( ), welche sonst eine Ein- schachtelung oder nähere Erklärung anzeigen sollen, gebraucht wür- den, um anzudeuten, dass die Generation geflügelt ist. Es liegt aber auch zu dieser Neuerung kein Bedürfniss vor, da die Bezeichnung „Gefl.“ keinen großen Raum einnimmt und sich selbst erklärt. Gleicher- maßen ist das Wort Fundatrix, welches nur einmal in jedem Ent- wieklungszyklus vorkommt, ebenso leicht geschrieben und gelesen, als das vorgeschlagene komplizierte Zeichen. IX. Die Cholodkovsky’schen Beobachtungen. Wenn Blochmann die interessanten Beobachtungen und Schlüsse Cholodkovsky’s'!) nicht für wichtiger hält, als dass sie einfach mit den Worten abgefertigt werden könnten, „die Ansicht Cholod- kovsky’s braucht gar nicht eingehender diskutiert zu werden, da zweierlei Geschlechtstiere nachgewiesen sind“, so kann ich ihm nieht beistimmen. Ch. ist in der Aufstellung seines Chermes coniferarum zu weit gegangen ?), da die Existenz von verschiedenen Sexuales gegen die Annahme spricht, dass alle Chermes-Formen zu einer und derselben Art gehören ?), wie B. richtig hervorhebt. Dass wir 4) Zool. Anzeiger, Nr. 270, 299 und 305. 2) Cholodkovsky bezeichnete es übrigens selbst als „eine kühne Hypothese“. 3) Einen Beweis, dass diese verschiedenen Geschlechtstiere Arten oder Varietäten zugehören, welche wenigstens jetzt nicht mehr mit einander kopu- lieren, kann ich schon hier beibringen. — Nachdem es mir im vorigen Jahre wiederholt gelungen war, die dd von Phylloxera punctata mit 2 2 von Ph. eoceinea kopulieren zu lassen (vergl. Tageblatt der 61. deutschen Naturforscher- Versammlung $. 63), versuchte ich diesen Sommer dasselbe Experiment und auf dieselbe Weise 1. zwischen den hellgelben Abietis Sg und den rotgelben Strobilobius 22, . zwischen den olivfarbigen Strobilobius d & und den hellgelben Abietis 2 2, . zwischen den olivfarbigen Strobilobius d g' und den krapproten ? 2 auf Picea orientalis. Aber in keinem einzigen Falle hatte ich Erfolg, so oft ich auch die Probe wiederholte, trotzdem mir derselbe Versuch zur gleichen Zeit und auf dieselbe Art in den meisten Fällen leicht gelang, wenn ich die betreffenden JS mit den ihnen zugehörigen 22 zusammenbrachte. o 8 376 Farnani, Genitalorgane der Thelyphonus. aber ein Stück des Weges mit Ch. gehen können, und dass noch weiterer Zusammenhang unter den verschiedenen Formen besteht, als wir bis jetzt mit Sicherheit eruiert haben, ist meine feste Ueber- zeugung, und habe ich dies schon in meiner Arbeit „Ueber Phyllo- xerinen“ Seite 86 ausgesprochen. Neben der unverkennbaren Aehn- lichkeit der geflügelten Formen selbst solcher Arten, bei denen die ungeflügelten Generationen sehr von einander abweichen, spricht dafür auch die oben erwähnte Wanderung von der Fichte zur Kiefer, welche Cholodkovsky beobachtet hat. Sie weist auf einen Zu- sammenhang von auf der Fichte lebenden Formen mit den auf der Kiefer gefundenen Arten. B. kennt die verschiedenen Chermes-Arten außer den bekannten Ch. abietis und Ch. strobilobius offenbar wenig oder gar nicht, sonst würde er sicher die Sache anders beurteilt haben. Nachsechrift. Es möchte die Forscher, welche sich mit der Entwicklungs- geschichte der Phylloxerinen beschäftigen, interessieren, dass ich schon vergangene Woche in den Reblausherden an der Ahr (bei Westum) nicht nur die längst bekannten rötlichen Nymphen mit hellgelbem Gürtel (Mesothorax) gefunden habe!), sondern auch eine in Form und Farbe ganz verschiedene Serie von Nymphen und den zu ihnen führen- den Formen. Dieselben sind schon mit der Lupe leicht zu unter- scheiden. Sie haben durchaus keinen Gürtel oder überhaupt deutliche Trennung der Thoraxpartien, sind breit (von der Form der gewöhnlichen Jungfernmütter der Reblaus) und gleichmäßig über den ganzen Körper von einem blassen Hellgrün, mit kleinern dunklen Warzen und fest anliegenden schwarzen Flügelscheiden. Da wir es hier möglicherweise mit einer der sicher auch bei der Reblaus vorkommenden Parallelreihen zu thun haben, bitte ich die Herren Fachgenossen, welche dieselben Formen noch anderwärts finden möchten, mir dies mitteilen und hauptsächlich auf die daraus ent- stehende geflügelte Form achten zu wollen. Wiesbaden, den 24. Juli 1889. Die Genitalorgane der Thelyphonus. Von Johann Farnani. Aus dem zootomischen Kabinet der Universität St. Petersburg. Es wurden von mir Weibchen von Thelyphonus Doriae und Männchen von Th. asperatus mittels Schnittserien und durch Kochen in Kalilauge untersucht. Einerseits gelang es mir zu konstatieren, dass die männlichen Sexualorgane des 7%. asperatus während der Geschlechtsreife eine merkwürdige Umwandlung erleiden, und anderseits widersprechen die 1) sowohl in der langen, schlanken wie in der kurzen Form. Farnani, Genitalorgane der Thelyphonus. BITERE von mir gefundenen Thatsachen vollkommen den Angaben Blan- chard’s!). Sowohl bei den Männchen als auch bei den Weibchen wird die Genitalöffnung ebenso wie die Oefinungen des ersten Lungen- paares vom Hinterrande des Genitaldeckels bedeckt, welches aus verschmolzenen Schienen des 1. und 2. Segments besteht (Fig. 1u.2. I+ Hu. Alg. Oef.). Ganz auf dieselbe Weise werden die Oeffnungen des 2. Lungen- paares, sowie die zwischen denselben befindliche Einstülpung des Chitininteguments des Körpers vom Hinterrande der III. (II.) Bauch- schiene bedeckt (Fig. 1 u. 2. Ch. Aus.). Die mehr oder weniger ausgezogenen Vorderecken der eben er- wähnten Einstülpung dienen zur Anheftung von Muskeln. Fig. 1. Fig. 1. Schema der weiblichen Geschlechtsorgane von Th. Doriae. I + II, III IV = Segmente des Abdomens; pm,, pm, = 1.u. 2. Lungenpaar; pm, ev, pm, cv —= Lungenhöhle; pm, or —= Oeffnung des 2. Lungenpaares; Ch. Aus. — Einstülpung des Chitinsegments zwischen dem III. u. IV. Abdominalsegmente; Alg.Oeff. = gemeinsame Oeffnung des 1. Lungenpaares und der Geschlechts- organe; Ov —= Ovarien; ovd = Eileiter; r.s. — Samentasche; ut — Uterus; ch.L. — hohle Fortsätze des hintern Teils des Uterus, welche zur Anheftung von Muskeln dienen; Anh —= kleine blinde Anhänge des Uterus an der hintern Wand desselben. Die weiblichen Genitalorgane (Fig. 1) bestehen aus zwei längs- gefalteten, sackförmigen Eierstöcken, die sich fast längs des ganzen Abdomens hinziehen und eine ziemlich große Höhle besitzen. 1) L’organisation du regne animal: Arachnides p. 137—167. 318 Farnani, Genitalorgane der Thelyphonus. Die Eierstöcke liegen über den Nervensträngen, an den Seiten einer der beiden Ameisensäure absondernden Drüsen, und zwar der- jenigen, die der Mittellinie des Abdomens näher gelegen ist. Die Rückenseite der Ovarien trägt keine Ovarialfollikel !). Ein zweites Paar Eierstöcke, wie es Blanchard?) beschreibt, habe ich nie beobachten können. Die Ovarien gehen vorne in breite, längsfaltige Eileiter (ovd) über, die sich nach unten wenden und in den vordern Teil der un- paarigen Genitalhöhle (Uterus, x.) münden, welehe vor der Genital- öffnung liegt und mit dem hintern Ende sich nach außen öffnet. Fig. 2. Tr N SE Fig. 2. Schema der männlichen Geschlechtsorgane von Th. asperatus. I+ II, III IV = Segmente des Abdomens; pm,, pm, —= 1.u. 2. Lungenpaar; pm, cv, pm,cv —= Lungenhöhle; pm,or = Oeffnung des 2. Lungenpaares; Ch. Aus. = Einstülpung des Chitininteguments zwischen den III. u. IV. Abdominalsegmente; Alg.Oeff. = gemeinsame Oefinung des 1. Lungenpaares und der Geschlechts- organe; ts — Hoden; vdf = Samenleiter; rsv — die Reservoire, in welche die Samenleiter münden und welche zusammenwachsend ein Reservoir der ge- schlechtsreifen Form bilden; vd = Kanäle, durch welche die Reservoire (Samen- behälter) sich mit dem Uterus masculinus (Ut.m) verbinden, der unter der Genitalhöhle (Gen.&X) liegt; Anh, —= kleine Anhänge des Uterus masculinus; chr — Chitinring in dem Uterus masculinus; ch.L = hohle Fortsätze der hintern Wand des Uterus maseulinus, welche zur Anheftung von Muskeln dienen; ves sem — Samenblasen und Anh, — die Anhänge an der obern Wand der- selben; In. Oef. = die Oeffnung, welehe den Uterus maseulinus mit der Genital- höhle verbindet; ves. unp — unpaarige Blindsack auf der obern Wand des Uterus maseulinus. 4) Bei einem Exemplar beobachtete ich eine mit dem ersten Lungenpaare gleich hoch liegende Queranastamose zwischen beiden Eierstöcken, halte aber diese Bildung für anomal. 2) A. a. 0.8. 165, pl. 10, Eig2’8. Farnani, Genitalorgane der 7helyphonus. 379 Die Wände dieser Genitalhöhle (Uterus) werden von hohem drüsigem Epithel und einer stark entwickelten porösen chitinisierten Intima gebildet. An den Seiten münden in die Genitalhöhle die kurzen Ausführungsgänge von zwei mit einer sehr dicken Intima und hohem Zylinderepithel ausgekleideten Samenbehältern (rs) !). Nahe ihrem Hinterende bildet die Genitalhöhle zwei hohle flügelartige, stark chitinisierte Auswüchse, welche zur Anheftung der zwischen der Rücken- und Bauchwand vertikal ausgespannten Muskeln dienen. Die männlichen Genitalorgane (Fig. 2) der noch nicht geschlechts- reifen Individuen bestehen aus zwei röhrigen Hoden (Zs) ?). Vorne gehen die Hoden allmählich in sehr enge Samenleiter über (vodf). Letztere münden auf der Innenseite zweier Reservoire (rs), die mit dem ersten Lungenpaare gleich hoch liegen ?). Diese Reservoire stehen durch je einen kurzen Ausführungsgang (vd) mit dem Vorderende einer unparigen Höhle (Uterus maseculinus, «ut. m.), die sich unter dem Nervensystem befindet, in Verbindung. Der Uterus masculinus mündet hinten in die Genitalhöhle (Gen. &.), die über dem Uterus liegt, so dass der letztere sich zwischen der untern Wand der Genitalhöhle und dem äußern Integument befindet. Die Oeffnung, die aus dem Uterus maseulinus in die Genitalhöhle führt, liegt näher dem hintern Ende des letztern (in. Oef.). Die die Samenleiter aufnehmenden Reservoire sind mit hohem Zylinderepithel, der auch den Uterus maseulinus bekleidet, mit einer cehitinisierten Intima und einer Muscularis versehen. Der Uterus maseculinus hat folgende Anhänge: auf seiner obern Wand, die zur Genitalhöhle gerichtet ist, befindet sich ein unpaariger Blindsack (ves. unp.) und an jeder seiner Seiten sitzt je eine Samen- blase (ves. sem.). Am Vorderende des Uterus masculinus befindet sich ein ring- förmiger chitinisierter Wulst (Ch. r.). Das Epithel der Genitalhöhle ist niedrig und die chitinisierte Intima zeigt Längsfalten. An ihrer Unterseite bildet die Genitalhöhle zwei hohle chitinisierte Fortsätze, welche den von der Rücken- zur Bauchwand ausgespannten Muskeln als Anheftungsfläche dienen (Ch. Z.). Bei geschlechtsreifen Tieren verändert sich etwas die Genital- höhle; an der Stelle, wo der Uterus masculinus in die Genitalhöhle übergeht, bilden sich auf den Seiten letzterwähnter Höhle zahlreiche Falten. Das Epithel des Uterus maseulinus und seiner Anhänge wird außerordentlich hoch; die Chitinbekleidung viel dieker; auf der untern 1) Diesen Samenbehälter erwähnt Blanchard gar nicht. Loc. eit. 2) Nebendrüsen, wie sie Blanchard beschreibt, konnte ich nicht finden. A202 1655 pl: AO: Fie.'6, 3) Auf der schematischen Abbildung sind diese Reservoire zu hoch an- gebracht. 380 Farnani, Genitalorgane der 7helyphonus. Wand des Uterus eine Rinne deutlich bemerkbar, welehe von der Mündung des oben erwähnten Blindsackes beginnend zum hintern Ende des Uterus hinzieht, wo sie an Breite merklich zunimmt. Es ist sehr möglich, dass das Sperma sich sowohl in den Samenblasen, als auch in dem unpaarigen Blindsack ansammelt, wobei dann die Rinne zur Ausführung des Sperma bei der Begattung dient. Viel größere Veränderungen erleiden die Reservoire, welche die Samenleiter aufnehmen. Dieselben werden viel größer, so dass sie den vordern Teil des Abdomens ausfüllen, wobei die Wände zwischen ihnen resorbiert werden und ein unpaariges Reservoir sich bildet. Wenigstens bin ich nicht im stande die Entstehung dieses un- paarigen Reservoirs anders zu erklären. Dieses unpaarige Reservoir steht mit dem Innenraum des Uterus masculinus durch zwei Oeff- nungen in Verbindung und ist mit zwei blinden Anhängen versehen, die zwischen dem Uterus masculinus und der Genitalhöhle an den Seiten des mittlern Blindsackes liegen. Nach vorne zu biegt sich das unpaarige Reservoir nach oben, wird zweihörnig und diese Hörner krümmen sich zurück und empfangen die Samenleiter, die vor der Mündung sich erweitern. Auf Querschnitten von geschleehtsreifen Männchen finden wir auf der Rückenseite des ganzen Abdomens röhrige Drüsen mit sehr charakteristischem Inhalte. Diese Drüsen münden in das unpaarige Reservoir, wie es auch durch den gleichen Inhalt des Reservoirs und der Drüsen bewiesen wird. Derselbe besteht: 1) aus kleinen rundlichen Körperchen mit einem sich färbenden zentralen Kern; 2) aus einem homogenen Stoffe, der bei den Spiritus- Exem- plaren sich in eine gelbe, harte, chitinartige Masse ver- wandelt; 3) aus einer ebenfalls homogenen Masse, die bei den Spiritus- Exemplaren sich etwas färbt und oft in einzelne rundliche Körperchen zerfällt. Derselbe aus den eben geschilderten dreierlei Elementen be- stehende wird auch in den Drüsen getroffen, wo man auch die Bil- dung der erwähnten Körperchen verfolgen kann. Sie bilden sich nämlich auf folgende Weise: Die Epithelialzellen der Drüsen bilden zwei, drei Schichten. Der innere Teil jeder Zelle zerfällt in zwei, drei, vier, fünf und mehr Stücke, wobei die äußere Schicht des Zellprotoplasmas, wie es scheint, von dem Teilungsprozess nicht betroffen wird; vielmehr bildet diese Schicht eine Art Säckchen, welches die Teilungsprodukte einschließt. Als Endresultat kommt es zur Bildung einer ziemlich bedeutenden Anzahl (wenigstens sechszehn) kleiner Körperchen, von Farnani, Genitalorgane der Thelyphonus. 381 denen jedes einen Kern enthält und folglich als Zelle angesehen wer- den kann. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 3. Schema der Aus- führungsteille der männ- lichen Geschlechtsorgane im idealen Längsschnitt. Fig. 4. Schema der Aus- führungsteile der weiblichen Geschlechtsorgane im idea- len Längsschnitt. In. Oef. — Grenze zwischen dem hintern und vordern Teile des Uterus, welche der (In.Oef.) innern Oeffnung des Uterus masculinus ( Utn) entspricht. Ob der übrige Inhalt der Drüse und des Reservoirs als ein Pro- dukt der fernern Metamorphose dieser Zellen anzusehen ist, gelang mir nicht sicher zu konstatieren. Fig. 5. Verschiedene Stadien der Teilung der Epithelzellen in den Anhangs- drüsen der männlichen Genitalorgane. Was die morphologische Bedeutung der einzelnen Teile der männ- lichen und weiblichen Geschlechtsorgane betrifft, so halte ich die folgende für begründet (Fig. 3 u. 4): ein Teil der männlichen Geni- talorgane, Genitalhöhle (Fig. 3. Gen. A.) entspricht nur dem hintern Teile des weiblichen Uterus (Fig. 4. Hin. t. ut. — Gen. H.); beide Teile tragen Fortsätze zur Anheftung von Muskeln (Fig. 3 u. 4 Ch. L.). Der Uterus masculinus (Fig. 3. Ut. m.) ist dem vordern Teil des weißlichen Uterus (Fig. 4. Ut.) homolog. Beide Teile tragen Seiten- anhänge : bei den Männchen Samenblasen (ves. sem. Fig. 3), bei den Weibchen Samenbehälter (r. s. Fig. 4). Als morphologische Grundlage der männlichen und weiblichen Genitalorgane ist eine solche Bildung anzunehmen, bei welcher der 382 Wiesner, Ueber den Durchgang der Gase durch die Pflanzen. Uterus sich direkt nach außen öffnet; aber wegen einer sekundären Einstülpung der äußern Bekleidung wird diese ursprüngliche äußere Oeffnung zur innern. (In. Oef. Fig. 3 u. 4). Die Verschiedenheit zwischen den männlichen und weiblichen Genitalorganen wird haupt- sächlich durch die Lage der durch die erwähnte sekundäre Ein- stülpung entstandenen Genitalhöhle bedingt. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der math.-naturw. Klasse vom 4. Juli 1889. Das w. M., Herr Professor Wiesner, überreicht eine in Gemeinschaft mit Herrn Dr. H. Molisch im pflanzen-physiologischen Institute der k. k. Wiener Universität ausgeführte Arbeit „iber den Durchgang der Gase durch die Pflanzen“. Die wichtigern Resultate dieser Arbeit lauten: 1) Die vegetabilische Zellhaut lässt unter Druck stehende Gase nicht filtrieren, weder im lebenden noch im toten, weder im trocknen noch im mit Wasser durchtränkten Zustande, 2) Auch das Protoplasma und der wässerige Zellinhalt sind der Druck- filtration für Gase nicht unterworfen, so dass durch geschlossene, d. i. aus lückenlos aneinanderstoßenden Zellen bestehende Gewebe Luft nicht hindurch filtriert. 3) Von Zelle zu Zelle erfolgt die Gasbewegung in der Pflanze nur auf dem Wege der Diffusion; in den Geweben, welche von Intercellularen durch- setzt sind, außerdem noch durch die letztern. 4) Jede Zellhaut lässt ein bestimmtes Gas desto rascher diffundieren, je reichlicher sie mit Wasser imbibiert ist. Die größten Diffusionsgeschwindig- keiten ergeben sich, wenn Membranen der Algen und überhaupt der submersen Wassergewächse als dialytische Diaphragmen fungieren. 5) Die unverholzte und unverkorkte Zellhaut lässt Gase im trocknen Zustande nicht in nachweislicher Menge diffundieren. Hingegen ist die ver- korkte und verholzte Zellhaut befähigt, auch im lufttrocknen Zustande Gase auf dialytischem Wege durchzulassen. 6) Durch die vegetabilische Membran diffundiert Kohlensäure rascher als Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. 7) Die Geschwindigkeit, mit welcher Gase durch vegetabilische Zellhäute diffundieren, ist von dem Absorptionskoeffizienten und der Dichte des Gases abhängig. 8) Die Kohlensäure diffundiert aus Pflanzenzellen rascher in die Luft als ins Wasser. Ein gleiches ist zweifellos auch für alle übrigen Gase anzunehmen. 9) Die Periderme sind hygroskopischer und imbibitionsfähiger als bisher angenommen wurde. ’ Sie nehmen 7'2 (Birke) bis 363 Proz. (Spiraea opulifolia) gasförmiges, und 138 (Birke) bis 140 Proz. (Spiraea opulifolia) Imbibitionswasser auf. Gewöhnlicher lenticellenfreier Kork nimmt bis 8:61 Proz. hygroskopisches und bis 295 Proz. liquides Wasser durch Imbibition auf. 62. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. 383 Die 62. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte wird zu Heidelberg vom 18.—23. September d. J. tagen. Allgemeine Tagesordnung. Dienstag, 17. September. Morgens 9 Uhr: Eröffnung der Ausstellung. Abends 8 Uhr: Gegenseitige Begrüfsung der Gäste im Museum. Mittwoch, 18. September. Morgens 9 Uhr: I. Allgemeine Sitzung im grofsen Saale des Museums. 1) Eröffnung der Versammlung; Ansprachen. 2) Vortrag von Herrn Geh. Rat V. Meyer (Göttingen-Heidelberg): Chemische Probleme der Gegenwart. 3) Vortrag von Herrn Dr. @. H. Otto Volger (Frankfurt a. M.): Leben und Leistungen des Naturforschers Dr. K. Schimper. Mittags: Ein- führung und Bildung der Abteilungen. Nachmittags: Sitzungen der Abteilungen. Abends 7 Uhr: Konzert im Stadtgarten. Donnerstag, 19. September. Sitzungen der Abteilungen. 5 Uhr: Festmahl im grofsen Saale des Museums. Freitag, 20. September. Morgens 9 Uhr: II. Allgemeine Sitzung im grofsen Saale des Museums. 1) Vortrag von Herrn Professor H. Hertz (Bonn): Ueber die Beziehungen zwischen Licht und Elektrizität. 2) Beratung eines Entwurfs neuer Statuten unter Vorsitz des Herrn Geh. Med.-Rat Virchow als Vorsitzen- den des Vorstandes. 3) Wahlen: a. des neuen Vorstandes, b. des nächsten Ver- sammlungsortes, c. der nächsten Geschäftsführer. Nachmittags: Sitzungen der Abteilungen. Abends 6\/, Uhr: Fest auf dem Schlosse. Samstag, 21. September. Sitzungen der Abteilungen. Abends 7!/, Uhr: Festball im Museum. Sonntag, 22. September. Ausflüge in der Umgebung. Montag, 23. September. Morgens 9 Uhr: III. Allgemeine Sitzung im grofsen Saale des Museums. 1) Vortrag des Herrn Professor Th. Puschmann (Wien): Bedeutung der Geschichte für die Medizin und die Naturwissenschaften. 2) Vor- trag von Herrn Professor Brieger (Berlin): Bakterien und Krankheitsgifte. Nachmittags: Sitzungen der Abteilungen. Abends 7!/, Uhr: Schlossbeleuchtung. Aus der Tagesordnung der Abteilungen. 4. Abteilung für Botanik. Sitzungssaal: Botanisches Institut, Auditorium I. Einführender Vorsitzender: Hofrat Pfitzer, Heidelberg, Bergheimerstrafse 1. Schriftführer: Dr. Möbius, Heidelberg, Bergheimerstra/se1. Angemeldete Vor- träge: 1) Dr. Conwentz (Danzig): Thyllenbildung im Holze der Bernstein- bäume. — 2) Dr. F. Schütt (Kiel): a. Ueber die für die Planktonexpedition konstruierten Verdrängungsapparate, b. Ueber Auxosporenbildung der Gattung Choetoceras. — 3) Dr. F. Klein (Freiburg): a. Neue Beobachtungen an der Gattung Volwox. b. Sporenbildung und Sporenkeimung bei den endosporen Bak- terien. — 4) Prof. Zacharias (Strafsburg): Ueber die Oyanophyceae. 5. Abteilung für Zoologie. Sützungssaal: Zoologisches Institut (Anatomie- Gebäude 2. Stock). Einführender Vorsitzender: Hofrat Bütschli, Heidelberg, Bismarckstrafse 13. Schriftführer: Prof. Blochmann, Hauptstrafse 52. An- gemeldete Vorträge: 1) Prof. Spengel (Giefsen): Ueber die morphologische Auffassung des Bandwurmkörpers. — 2) In Aussicht Dr. L. Plate (Marburg): Ueber das Esxkretionsorgan der Pulmonaten. 6. Abteilung für Entomologie. Sitzungssaal: Universität, Auditorium II, 1. Stock. Einführender Vorsitzender: Dr. Eyrich, Mannheim, 0.4.1. Schrift- 384 62. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. führer: Hr. 0. Hilger, Heidelberg, Lauerstrafse 15. Angemeldete Vorträge: In Aussicht: Fr. Rühl (Zürich): Ueber die Begattungstasche der weiblichen Parnassien. Sitzungen am 19. und 21. September 9 Uhr; 20. September 3 Uhr. 8. Abteilung für Ethnologie und Anthropologie. Sitzungssaal: Universität, Auditorium XIII, 1. Stock. Einführender Vorsitzender: Prof. Aug. Eisen- lohr, Heidelberg, Neuenheimer Landstrafse 56. Schriftführer: Prof. Caspari, Heidelberg, Leopoldstrafse 51. Angemeldete Vorträge: 1) O0. Amman (Karls- ruhe): Anthropologische Untersuchungen in Baden. — 2) Konsul F. W. Spiegel- thal: Ueber Steinwaffen und künstliche Seeen nebst den Wohnungen (habitationes lacustres) Kleinasiens. — 3) K. Uhrist (Heidelberg): Die deutsche Urbevölke- rung. — 4) Th.v. Bunsen (Heidelberg): Tierkreis, Symbolik und Urgeschichte. — 5) Prof. Kollmann (Basel): Die Rasse der Langgesichter in Europa und die vieuvivenden Rassen Asiens. 9. Abteilung für Anatomie. Sitzungssaal. Anatomie. Einführender Vor- sitzender: Geh. Rat Gegenbaur, Heidelberg, Leopoldstrafse 57. Schriftführer :: Dr. Maurer, Heidelberg, Plöckstrafse 60. 10. Abteilung für Physiologie. Sitzungssaal: Physiologisches Institut. Ein- führender Vorsitzender: Geh. Rat Kühne, Heidelberg, Akademiestrafse 3. Schriftführer: Prof. Aug. Ewald, Heidelberg; Neuenheim, Uferstrafse 264b. Angemeldete Vorträge: 1) Prof. Ph. Knoll (Prag): Zur Frage bezüglich der Hemisystolie. — 2) Prof. H. Kronecker (Bern): Ueber den Tonus des Pfort- adersystems. — 3) Prof. 0. Langendorff (Königsbergi. Pr.): Untersuchungen zur Physiologie der Schilddrüse. — 4) Dr. M. Knies (Freiburg i. B.): Ueber Farbenempfindung, mit Demonstrationen. — 5) Prof. J. Rich. Ewald (Strafs- burg i. E.): a. Ueber das Verhalten der Tauben nach der Decapitation ohne Blutverlust. b. Die Folgen der Exstirpation der Schilddrüse an Tauben (nach gemeinschaftlich mit Dr. Rockwell ausgeführten Versuchen). c. Die Geschwin- digkeit des Blutstroms spritzender Arterien in der ersten Sekunde nach der Durchschneidung (nach Versuchen, die Dr. Herre unter der Leitung des Vor- tragenden angestellt hat). d. Demonstration einer stromunterbrechenden Stimm- gabel mit Luftantrieb. — 6. Prof. W. Kühne (Heidelberg): Demonstrationen. Sitzungen am 19. und 21. September 9 Uhr, ev. auch Nachmittags. 29. Abteilung für Agrikulturchemie und landwirtschaftliches Versuchswesen. Sitzungssaal: Anatomie, älterer akiurgischer Hörsaal. Einführender Vorsitzen- der: Prof. Dr. Stengel, Heidelberg, Bergheimerstrafse 4. Schriftführer: Dr. Willy Meyer, Karlsruhe, Techn. Hochschule. Angemeldete Vorträge: Dr. W. Hoffmeister (Insterburg): Die quantitative Reindarstellung der Cellulose. Sitzungen am 19. und 21. September von 9- 1 Uhr, wie auch Nachmittags am 19., 20., 21. und 23. September. Druckfehler - Berichtigungen. In dem Aufsatze von Herrn E. Wasmann S. J.: „Zur Bedeutung der Palpen bei den Insekten“ bitten wir folgende Druckfehler zu verbessern: S. 304 Zeile 18 muss es heißen Fresswerkzeuge statt Fußwerkzeuge. Se 0 Bar) Nr 2 20 6 a „ Dinarda statt Dinanda. S. 305 (an mehrern Stellen) „ (Corotoca statt Carotoca. S. 306 Anm. 2 muss es „. Eeiton coecum statt E. coccum. S:808:Zellen 21 any „ Lippentaster statt Lippen. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Bioloeisches Öentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Dasein in ERNFE 24 Nummern von je 2 2 Bogen bilden einen Band. Preis des "Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. EX: Band. 1. September 1889, Nr. 183. inaie: Eicprneen More. der Vögel. (Zwei Stück.) — Emery, ÖOntogenie der Insekten. — Vosmaer, Systematik der Spongien. — Ludwig, Lakustrische Stationen. — Behrens, Tabellen für mikroskopische Arbeiten. Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Zweites Stück.) Nerven der Muskeln der Schulter und des Oberarms. Die Zahl der Vögel, deren Plexus brachialis systematisch von F. untersucht wurde, war keine große, weil sich bald herausstellte, dass die Bildung des Plexus von der geringsten systematischen Be- deutung ist und sich überdies ergab, dass innerhalb derselben Species individuelle und antimere Variierungen häufig auftreten. Innerviert werden die Schulter- und Oberarmmuskeln vom Nervus vago-accessorius und von einer wechselnden Anzahl von Spinalnerven, von denen die stärksten hauptsächlich eben den Plexus brachialis bilden. Der erstere (N. vag.-access.) entspringt mit einer ansehn- lichen Anzahl von Wurzelfäden (ce. 12) von der Medulla oblongata und vom Anfangsteile der Medulla spinalis (meist 4—6). Sein Haupt- teil inkl. den größern Teil der Fasern des Accessorius (R. accessorius internus s. anterior) verläuft zu andern Körperteilen, während nur der R. externus zu dem Anfange des M. eueullaris und sterno-cleido- mastoideus sich wendet. (F. fand diesen Zweig bei allen untersuchten Vögeln. Was nun die Spinalnerven anbelangt, so kommen für die Schulter- und Oberarmmuskeln die ventralen Aeste der cervicalen Nerven (exkl. der beiden ersten) mitunter auch der 1. Dorsalnerv in betracht. Diese Aeste der vordern Cerviealnerven — gewöhnlich weniger stark als die der hintern — geben jedoch nur feine Zweige an den M. cucullaris und sterno-cleido-mastoideus ab, der Hauptteil ihrer Fasern inseriert sich anderweitig. Die gleichen Aeste der hin- IX, 25 386 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. tern Nerven — stärker als die vordern — gehen in der Haupt- sache in die Zusammensetzung des Plexus brachialis ein, welcher dann die Muskel- und Hautäste für die vordere Extremität abgibt. Der genannte Plexus entsteht durch die Vereinigung von 5—6, seltner 4 ventralen Spinalnerven-Aesten, von welchen sich die mit- telsten ausschließlich zum Plexus brachialis begeben, während die äußern nur mit einem größern oder kleinern Teile dies thun. Eine intimere Beziehung der in den Plexus eingehenden Nerven zur syste- matischen Stellung der bezüglichen Vögel oder zur geringern oder größern Entwicklung des Flügels konnte nicht nachgewiesen werden. Meist bilden, wie schon erwähnt, die letzten Halsnerven die Wurzeln des Plexus, in manchen Fällen treten dazu noch die ersten Dorsal- nerven, in andern Fällen beteiligen sich die hintern Halsnerven exkl. der letzten an der Zusammensetzung. Nach dem Verhalten der Aeste können am Plexus brachialis im Ganzen 2 verschiedene Teile unterschieden werden: 1) Der Komplex, weleher zur Serratus- Gruppe (Mm. serrati und Mm. rhomboides) geht. (Nn. thoraciei superiores). 2) Die übrige Hauptmasse des Plexus, welche Aeste für den M. sterno-coracoideus (Nn. thoraciei inferiores) sowie für den eigentlichen Flügel und die an ihm inserierende Mus- kulatur (Nn. brachiales superiores und inferiores) abgibt. Den 1. nennt F. den dorsalen Nebenplexus oder Serratus-Plexus, den letztern (2.) bezeichnet er als Hauptplexus. Der Serratus-Plexus beschränkt sich meist auf 2—3, seltener auf 4 Wurzeln des gesamten Plexus, der Hauptplexus besteht aus 4-5, selten aus 3—6 Wurzeln, vor seiner Entfaltung tritt diejenige des Nebenplexus ganz zurück und der letztere ist daher auch von den meisten Autoren ganz vernachlässigt worden. Obwohl die Stärke der Wurzeln des Hauptplexus von der Größe und namentlich von der Stärke des Flügels abhängig ist, so existieren zwischen Anordnung, Ausbildung der Wurzeln des Plex. und der systematischen Stellung, Größe oder Flugfähigkeit ete. der bezüglichen Vögel nach F. keine bestimmten Beziehungen; verschiedene Individuen derselben Art, oder die rechte und linke Seite desselben Individuums können weitgehende Abweichungen (individuelle und antimere Variierungen) darbieten. Alle diese Variierungen — die sich fast immer hinsichtlich der wechselnden gegenseitigen Stärke der einzelnen Wurzeln zeigen — finden im wesentlichen ihre Erklärung in der Größe und namentlich in der Lagenveränderung der vordern Extremität. Das letztere Mo- ment vor allen kommt dabei hauptsächlich in Frage. Diese Lagen- veränderung beruht in einer Verschiebung des Flügels längs des Rumpfes, sie ist in der Hauptsache nach hinten (kaudalwärts) ge- richtet, mit derselben gelangt die Extremität successive in das Niveau immer mehr hinten gelegener Rumpfsegmente und damit auch in den Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 381 Bereich der diesen zugehörenden Spinalnerven und dieselben gehen unter Ausbildung neuer für die Extremität bestimmter Fasern nach und nach in den Plexus ein, während hingegen die mehr praeaxialen Spinalnerven dadurch, dass ihre für die Extremität bestimmten Fasern sich zurückbilden, aus dem Verbande ausscheiden. Daraus resultiert also eine kaudalwärts gerichtete metamerische Umbildung des Plexus, die zu einer mit der Verschiebung des Flügels korrespondierenden Lagenveränderung führt. Die aus dem Gesamtplexus hervorgehenden Endäste teilen sich nun selbstverständlich nach dem dorsalen Nebenplexus und dem Hauptplexus in die beiden Gruppen der Nn. thoraciei superiores und der Nn. brachiales superiores, brachiales inferiores und thoraeici in- feriores. A. Nn. thoracieci superiores. Zu ihnen gehören: 1. N. rhomboides superficialis, meist aus der ersten oder den beiden ersten Wurzeln des Serratus-Plexus stammend; er versorgt den M. rhomboides superficialis. Seine Länge und Stärke geht Hand in Hand mit der Entwicklung dieses Muskels (bei den Ratiten meist schwach). Vergleichbar ist er mit dem N. rhomboides der Kroko- dile; zugleich ist auch eine ganz allgemeine Homologisierung mit dem N. dorsalis der menschlichen Anatomie erlaubt. 2. N. serratus profundus und N. rhomboides profundus, nimmt vom mittlern Teile des Serratus-Plexus seinen Ursprung und geht zu den Muskeln gleichen Namens. Er ist dem N. serratus profundus der Reptilien, insbesondere der Krokodile in der Hauptsache homolog; der den M. rhomboides prof. versorgende Faserkomplex aber stellt eine sekundäre Differenzierung der Vögel dar. 3. N. serratus superficialis, meist der stärkste Nerv des Serratus- Plexus; bei den Carinaten, bei welchen der M. serratus superficialis sich in drei Abteilungen zerteilt, gibt auch der Nerv einen deutlich differenzierten Zweig an jedes Muskelbündel ab. Die Homologie mit dem Nerven gleichen Namens der Reptilien und Säugetiere ist deutlich. B. Nn. brachiales superiores. Diese Gruppe bilden die folgenden Nerven: 1. N. subeoracoscapularis, ein mittelstarker Nerv, der vom Haupt- plexus stammt und häufig sich sehr schnell in weitere Zweige teilt oder auch vom Anfange an durch 2—3 Aeste vertreten sein kann, welche Abteilungen des gleichnamigen Muskels vertreten. Er ent- spricht dem gleichnamigen Nerven der Reptilien (insbesondere der kionokranen Saurier); eine direkte Homologie mit dem N. subscapu- laris (proprius) der menschlichen Anatomie ist nur für einen seiner Zweige, für den N. subscapularis internus zu erkennen. 25 * 388 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 2. N. scapulo-humeralis, bei den Ratiten ziemlich klein, bei den Carinaten kräftig, geht distal vom N. subcoracoscapularis ab und endet sehr häufig mit einem von dessen Zweigen gemeinsam an seinem Muskel. Er ist dem N. scapulo-humeralis der Reptilien ver- gleichbar und es sind — obgleich eine vollständige Homologie mit einer menschlichen Bildung nicht existiert — auch allgemeine Be- ziehungen zu den Nn. subscapulares anzunehmen. 3. N. latissimus dorsi, ein mittelstarker Nerv, der sich bald in 2 Aeste teilt (N. latissimus dorsi anterior et posterior), welche mit- unter selbständig auftreten. Von einem der beiden Aeste gehen auch Zweige ab, welche die bei den Carinaten ausgebildeten Mm. latissimi dorsi-metapatagialis und dorso-eutaneus versorgen; bei Rhea gibt der vordere Ast einen feinen Zweig, den N. teres major, an den kleinen M. teres major ab. Die Teilung in Nn. lat. dorsi anterior et posterior, die Differenzierung des Nn. metapagialis und dorso-cutaneus stellen besondere Gebilde des Vogeltypus dar, während die Nn. latissimus dorsi und teres major im Ganzen den gleichnamigen Nerven der Reptilien und Säugetiere homolog sind. 4. N. axillaris, kräftig bis sehr kräftig, kommt von der 2. und 3. Plexuswurzel. Bei den Ratiten, wo er sich relativ einfach ver- hält, verbreitet sich ein Komplex motorischer Zweige (N. deltoides) an der Innenfläche des M. deltoides, eine Anzahl sensibler Aeste da- gegen (N. cutaneus axillaris) tritt zur Haut der lateralen Fläche der Schulter und des Oberarms. Bei den Carinaten teilt sich der Nerv in 2 Aeste, die wiederum in Zweige zerfallen, welche an den Mm. deltoides major, minor und propatagialis, sowie an der Haut der Sehulter und des Oberarms sich verteilen. Der N. axillaris ist in der Hauptsache dem gleichnamigen Nerven der Krokodile und Säuge- tiere homolog. 5. N. cutaneus brachii superior (internus minor), entstammt der letzten oder den beiden letzten Plexuswurzeln, verläuft an der Dorsal- fläche des Oberarms zwischen Haut und M. anconaeus humeralis und erstreckt sich über die Ellenbogengegend, wobei er an die Haut der betreffenden Stelle und der hintern Flugmembran (Metapatagium), sowie an die glatte Muskulatur im distalen Bereiche des Oberarms zahlreiche Zweige abgibt. Er entspricht dem gleichnamigen Nerven der Reptilien und wahrscheinlich dem größten Teile des N. eutaneus internus minor (cutaneus medialis) des Menschen. Eigentümlich ist den Vögeln die Verteilung in der glatten Muskulatur. 6. N. brachialis longus superior s. radialis, repräsentiert den Hauptstamm der Nn. brachiales superiores und (einzelne Ratiten, besonders Apteryx ausgenommen) auch den stärksten Nerv derselben. Er entspringt in der Regel von allen Plexuswurzeln (mit Ausnahme der ersten) und bildet die eigentliche Endfortsetzung des dorsalen Armsystems, welche in einer sehr gestreckten Spirallinie sich um die Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 389 Dorsalseite des Oberarms herumwindet, um weiterhin sich zur Dorsal- fläche des Vorderarms und der Hand zu begeben, wo er vornehmlich die Streekmuskulatur, die dieselbe deckende Haut nebst Federn und glatte Muskeln innerviert; während dieses Verlaufes gibt er mo- torische Aeste (für die Streekmuskulatur) und sensible (für die Haut) ab. Im allgemeinen entspricht er dem gleichnamigen Nerven der Reptilien und Säugetiere, die nächsten Beziehungen aber bieten die kionokranen Saurier dar. C. Nn. brachiales inferiores und N. thoracieus inferior. 1. Der N. supracoracoideus ist ziemlich stark (Ratiten) bis recht stark, liegt, von der ersten oder den beiden ersten Wurzeln des Haupt- plexus entspringend, am meisten proximal und verzweigt sich am M. supraeoracoideus (pectoralis II). Er ist ein Homologon des gleich- namigen Nerven der Reptilien und Monotremen. 2. N. sterno-coracoideus, er repräsentiert das System der Nn. thoraeici inferiores (löst somit sich am meisten ventral ab), entstammt einer oder zwei der ersten Plexuswurzeln und innerviert den Muskel gleichen Namens. Stets bildet er nur einen schwachen Nerven (völlig geschwunden wie sein Muskel ist er bei den Makrochires); er ent- spricht dem gleichnamigen Nerv der Reptilien und Monotremen und steht somit auch zum N. subelavius der menschlichen Anatomie in einer gewissen Homologie. 3. N. coraeo-brachialis posterior s. internus, mäßig bis ziemlich stark; kommt von der 2. und 3. oder (seltener) 4. Wurzel resp. von zweien des Plexus brachialis und innerviert den M. coraco-bra- ehialis posterior s. internus s. peetoralis III. von der Innenseite. Bei Casuarius ist er größtententeils rückgebildet. Er entspricht dem gleichnamigen Nerven der Chelonier, eine ihm direkt homologe Bil- dung bei den andern Reptilien und Säugetieren ist aber nicht nach- weisbar. 4. N. pectoralis (thoracieus anterior), ist bei den Ratiten ziem- lich kräftig, bei den meisten Carinaten sehr mächtig entwickelt, entspringt in der Regel von 2 bis 3 mittlern oder hintern Wurzeln des Plexus und tritt, nachdem er sich (besonders bei den Carinaten) in 2 Aeste gespalten, an den M. pectoralis thoracieus; auch der M. peetoralis propatagialis und M. pectoralis abdominalis erhält bei den Carinaten und beim Apteryx Zweige von ihm, während bei den Ra- titen sich ein N. eutaneus pectoralis abzweigt, welcher sich im Axil- larteile der den Peetoralmuskel deckenden Haut verbreitet. Der N. pectoralis entspricht im ganzen dem gleichnamigen Nerven der Reptilien und Säugetiere — der N. pectoralis propatagialis ist eine spezielle Differenzierung der Carinaten, der N. pectoralis abdomi- nalis eine Eigentümlichkeit der Vögel überhaupt (bei den Krokodilen 390 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. und Sauriern finden sich indess Spuren einer Homologie), der N. pec- toralis eutaneus tritt bei den Reptilien in höherer Entfaltung auf. 5. N. coraeo-brachialis anterior s. externus, ziemlich schwach bis schwach, kann als erster Ast des N. brachialis longus inferior aufgefasst werden und versorgt den Muskel gleichen Namens. Bei Orypturus zeigt er eine größere Komplikation als bei den übrigen Vögeln, bei vielen Passeres hingegen findet sich eine hochgradige Reduktion. Er ist dem N. coraco-brachialis brevis externus der Chelonier, dem N. coraco-brachialis brevis der kionokranen Saurier und N. coraco-brachialis der Krokodile homolog. 6. Der N. eutaneus brachii et antibrachii infer. stellt einen ziem- lich schwachen Hautnerven dar, der jedoch den N. cut. brachii su- perior meist etwas übertrifft, der letzten oder vorletzten oder den beiden letzten Wurzeln des Plexus entstammt und sich hauptsächlich an der Haut der Medial- und Ventro-medialfläche des Oberarms und des Propatagium verteilt und ferner auch zum proximalen Bereiche der ventralen Vorderdarmfläche geht. Er entspricht dem N. eutaneus brachii et antibrachii medialis der Reptilien; eine Homologisierung mit dem N. cutaneus internus major (medius) des Menschen ist aber nur teilweise zulässig. 7. N. brachialis longus inferior, repräsentiert den Endast und zugleich den Hauptstamm der Nn. brachiales inferiores und übertrifft (abgesehen vom N. pectoralis) alle an Stärke. Er entspringt in der Regel von den meisten Plexuswurzeln (mit Ausnahme der ersten), zerfällt — meist im distalen Bereiche des Oberarms — in einen R. radialis n. brachialis longi inferioris und R. ulnaris n. brachialis longi inferioris; ersterer verteilt sich, schnell in eine Anzahl Zweige sich spaltend, am Propatagium und der Haut und Muskulatur des radialen Bereiches von Vorderarm und Hand, der letztere an der Haut (inklusive Hautmuskulatur der Federn) und den Muskeln des ulnaren Bereiches von Vorderarm und Hand. Ferner geht ein Zweig für den M. biceps, der N. biceps, in der Regel vom Hauptstamme ab und — falls ein M. biceps propatagialis auftritt — spaltet sich vom N. biceps wiederum ein feiner Zweig, der N. biceps propa- tagialis, für denselben ab. Der N. brachialis longus inferior ent- spricht dem gleichnamigen Nerven der Reptilien (also, wie schon Cuvier betonte, den Nn. musculo-cutaneus, medianus und ulnaris des Menschen), nur der N. biceps propatagialis stellt eine den Vögeln eigentümliche Differenzierung dar. Muskeln der Schulter und des Oberarms. Dieselben repräsentieren wie die ihnen Ursprung und Insertion sebenden Skelettelemente die höchste und einseitigste Differenzierung des Sauropsiden-Typus. Weil über das Muskelsystem der paläonto- logischen Reptilien, welche den direkten Ausgang für den Vogelzweig Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. >91 darboten, nichts Positives bekannt ist, so sind die Anschlüsse für diese Muskeln bei den lebenden Reptilien zu suchen. Die meisten diesbezüglichen Anknüpfungspunkte gewähren die Krokodile und namentlich die Saurier, jedoch kommen hinsichtlich einiger weniger Gebilde auch die Chelonier in betracht. Die höhere Differenzierung der in Rede stehenden Muskulatur der Vögel beruht nun in erster Linie auf einer außerordentlich mächtigen Entfaltung derjenigen Mus- keln, welche vornehmlich die Hauptexkursionen der Flügel bestimmen. Infolge dessen sind diejenigen Muskeln, welche für die Flugbewegung weniger in Frage kommen, minder entfaltet und selbst reduziert. Eine weitere Differenzierungsrichtung spricht sich in der hohen Ent- faltung von Aberrationen an die Haut, die subkutane Fascie aus. Damit tritt die Muskulatur sowohl in nähere Beziehung zu den beiden großen Hautduplikaturen des Flügels, den Flugmembranen (die kleinere hintere: Metapatagium, die vordere große: Propatagium), als auch zu den Federfluren und es entstehen auf diese Weise oberflächliche Schichten, die zwar von verschiedenen Autoren dem Hautmuskelsystem zugerechnet worden sind, aber mit der echten aus glatten Muskel- fasern bestehenden Hautmuskulatur durchaus nicht zu verwechseln sind. Nach Lage und Insertion können an den Muskeln der Schulter und des Flügels 2 Hauptabteilungen unterschieden werden: 1) Muskeln, die vom Rumpfe (zum teil auch vom Kopfe) an den Brustgürtel gehen (Mm. thoraciei). 2) Muskeln, die vom Rumpfe und Brustgürtel zum Flügel sich erstrecken oder die einzelnen Abteilungen des Flügelskeletts (Armskeletts) mit einander verbinden (Mm. brachiales). Nach Art ihrer Innervation und Lage zum Brustgürtel und Flügel, speziell mit Rücksicht auf den ventralen oder dorsalen Bereich desselben können sie in 5 Gruppen oder Systeme gesondert werden. A. System des M. cueullaris. B. System der Mm. thoraeiei superiores s. dorsales (Serratus- System). C. System des M. thoraeicus inferior s. ventralis (System des Sterno - coracoideus). D. System der Mm. brachiales inferiores s. ventrales und E. System der Mm. brachiales superiores s. dorsales. Gehen wir zur nähern Betrachtung der einzelnen Systeme über. A. System des M. cucullaris. 1. M. eueullaris (eucullaris u. sterno-cleido-mastoideus). Er ist lang, meist dünn und erstreckt sich vom Hinterkopf bis zum Anfange der Schulter und Brust. Seine Länge ist derjenigen des Halses ent- sprechend, also mäßig bei kurzhalsigen Vögeln, sehr ansehnlich bei denen, welche durch einen langen Hals sich auszeichnen. Seine 399 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Dicke ist niemals bedeutend. Nach der Art des Ursprungs kann ein Kopfteil und ein Halsteil unterschieden werden, beide enden gemein- sam an dem subcoracoiden Bereiche der Clavieula, können aber von da aus weiter auf das Lig. cristo-elavieulare, das Sternum und die Pektoralfaseie übergehen und noch weiter abirren. Der Kopfteil entspringt bei den verschiedenen Vögeln in etwas wechselnder Weise: vom Bereiche des Os squamosum und Os oecipi- tale, bei stärkerer Entwicklung mitunter auch vom Os frontale oder vom Os quadratum und selbst vom Artieular- und Angularteile der Mandibula. Er verbindet sich früher oder später mit dem Halsteil und dem M. cleido-hyoideus und kann einheitlich bleiben oder gibt auf seinem Verlaufe nach hinten ab: 1) den M. ceueullaris dorso- cutaneus, der bei sehr vielen Vögeln ganz unbedeutend ist, bei andern (den Aleidae, Laridae ete.) ein Muskelband darstellt, das zur Spinal- flur und den größern ihr angehörenden Federn Beziehung gewinnt, während 2) eine Partie (bei kräftiger Entwicklung des M. cueullaris dorso-cutaneus) nach der Haut oder Unterhaut der Schulter und nach dem Beginne des Propatagium geht und den M. cucullaris propa- tagialis bildet. Derselbe findet sich namentlich bei den Psittaci, Pici, der Mehrzahl der Passeres ete. in verschiedener Entwicklungsstufe (bei den Psittaci geht die Hauptmasse des Kopfteils in ihn über und nur ein kleiner Teil des letztern an den Brustgürtel). Der Halsteil beginnt, infolge der Rückbildung der Proc. spinosi der Cervicalwirbel und der hohen Entwicklung der tiefen Halsmus- kulatur von dem Skelettsystem losgelöst, an der Dorsalkante des Halses von einem mittlern Sehnenstreifen (Linea alba, Raphe) und inseriert sich bei den Carinaten in der Regel am Innenrande des dorsalen Bereiches der subcoracoidalen Clavieula (mitunter auch an der acrocoracoidalen Clavieula), bei den Ratiten übernimmt das Aero- mion und der dorsale Bereich des Procoracoid und der Membrana procoracoidea die Stelle der Clavieula. Bei geringer Entwicklung repräsentiert der Halsteil ein schmales Bündel und ist vom Kopfteile getrennt. Oberflächliche Fasern gehen bei Apteryx, bei den Colym- bidae, Anseres etc. auch an die Haut und Unterhaut der Schulter resp. an die Schulterflur und bilden den M. cucullaris omo - eutaneus. Der Hauptteil wird durch die vor dem Plexus brachialis sich findenden Cervicalnerven innerviert, die vordere Kopfpartie dagegen von dem feinen R. accessorius externus s. posterior des N. vago- accessorius. Der M. eueullaris knüpft an die Bildungen bei den Sauriern und Krokodilen an und unterscheidet sich von denselben im Wesentlichen nur quantitativ durch seine geringere Dicke und seine oberflächlichere und zugleich mehr proximale auf den Hals beschränkte Lage. Auch ist er homolog dem Mm. eucullaris und sterno - cleido - mastoideus der menschlichen Anatomie. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 395 B. System der Mm. thoracici superiores. 2. Der M. rhomboides superfieialis repräsentiert einen meist ziem- lich breiten bis recht breiten, aber mäßig dieken Muskel, der — abgesehen von einigen Ausnahmen wie die Casuaridae, Apterygidae, wo er von den 2 letzten eervicalen und der ersten dorsalen Rippe ent- springt — von einer sehr wechselnden Anzahl der Proe. spinosi der hintern Cervical- und der vordern Dorsalwirbel, sowie von den die- selben verbindenden Ligg. interspinalia (sich oft aber auch über die ganze Ausdehnung des hückens und noch weiter erstreckend) seinen Ursprung nimmt und bei den Carinaten und Dromaeus in sehr wechselnder Weise an dem Dorsalrande der Scapula und dem dor- salen Bereiche der Clavieula endigt. Bei Rhea geht er an die Sca- pula, den Proe. procoracoid. und die Membrana procoracoid., bei Apteryx an die Scapula und an das Coracoid. Die Richtung seiner Fasern ist im Ganzen eine transversale bis aseendente. Recht dünn ist er bei Struthio, Apteryx ete., recht kräftig bei Sula, Pterocles, den Columbae und einzelnen Coccygomorphae. Meist nimmt er nach hinten an Stärke zu. Innerviert wird er durch den N. rhomboides superfieialis. Ein spezieller Vergleich mit dem M. rhomboides minor der menschlichen Anatomie ist nicht durchführbar, doch steht einer Homologisierung mit dem M. rhomboides der Krokodile nichts im Wege. 3. M. rhomboides profundus. Aehnlich wie der vorhergehende mittelbreit bis breit, aber kräftiger als dieser. Er beginnt in wechselnder Breite von der dorsalen Kante der Rückenwirbel (Proc. spinosi und Ligg. interspinalia) — von 2—3 Wirbeln bei Rhea, Stru- thio ete., von 6—7 bei Spheniscus, den Alcidae, Pici ete., bei den meisten Vögeln jedoch von 4—6 Wirbeln — die Insertion geschieht an dem Dorsalrande der Scapula (und häufig zugleich auch an dem Dorsalsaume ihrer Innenfläche) direkt neben dem M. serratus pro- fundus. Während der M. rhomboides superficialis an dem Anfange der Scapula und dem Ende der Clavieula endet, findet sich die In- sertion des M. rhomb. prof. in der Regel, wie eben erwähnt, im hintern Bereiche der Scapula und erstreekt sich erst mit Zunahme der Breite des Muskels auch über den vordern Abschnitt derselben, ohne aber den Anfang des Knochens oder die Clavieula zu erreichen. Sein Faserverlauf ist gewöhnlich ein descendenter; versorgt wird er mit Nerven durch den N. rhomboides profundus. Im Gegensatz zu andern Autoren, welche diesen Muskel als alleinigen M. rhomboides der Vögel ansehen, fasst ihn F. als tiefern rhomboides auf, der dem M. rhomboides superfieialis selbständig gegenübersteht und sich erst bei den Vögeln aus dem M. serratus profundus herausgebildet hat. Er stellt somit eine spezielle Bildung der Vögel dar, die — soweit bekannt, noch bei keinem Reptil sich findet — phylogenetisch jünger ist als der M. rhomboides superficialis 394 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. und darum noch weniger als jener mit einem bestimmten rhomboides des Menschen verglichen werden kann. 4. M. serratus superficialis. Nur bei den Ratiten (und auch bei diesen nicht immer) bildet er, in wechselnder Breite von den Vertebrocostalien der letzten Cervical- und den oder der ersten Dorsal- rippe(n) (Struthio, Apteryx) oder den letztern allein (Casuarius) ent- springend und sich an dem ventralen Rande der postglenoidalen Scapula inserierend, einen einheitlichen Muskel, während er bei den Carinaten, Rhea und Apteryx folgende 3 gut geschiedene Abteilungen, welche den Rang selbständiger Muskeln einnehmen, repräsentiert: 1) Pars anterior m. serrati superfiecialis (M. serratus super- ficialis anterior). Sie entspringt von dem ventralen Ende der letzten Halsrippen (resp. rippe) und des Vertebrocostale der ersten Dorsal- rippe(n) und inseriert sich gewöhnlich an dem vordern Teile des ventralen Randes der postglenoidalen Scapula — bei Rhea allein am Dorsalrande und Dorsalsaum der Innenfläche der Scapula. Ihre Fasern, die einen schmalen und gewöhnlich mäßig starken Muskel bilden, verlaufen in descendenter und transversaler Richtung. Der R. serratus superfieialis anterior innerviert sie. 2) Pars posterior m. serrati superficialis (M. serratus super- ficialis posterior). Nicht stark, aber meist ziemlich breit, entspringt in wechselnder Anzahl (2—6) von Vertebrocostalien und endet meist fleischig-sehnig am hintern Rande des postglenoidalen Teiles der Scapula. Dabei verläuft sie nach vorne und oben. Recht kurz ist diese Partie bei den Alcidae ete., relativ lang bei Carbo, Chunga ete., recht breit bei den meisten Accipitres, den Cuculidae ete., gering bei einzelnen Passeres. Die Innervation geschieht ebenfalls durch einen Nerven gleichen Namens. 3) Pars metapatagialis m. serrati superficialis (M. serratus super- fieialis metapatagialis). Diese Partie endlich stellt einen mäßig breiten und dünnen Muskel dar, welcher in wechselnder Weise von dem ventralen Bereiche der Vertebrocostalien seinen Ursprung nimmt (von einer Rippe bei Apteryx, Chauna, Crex ete., von 3—4 bei einzelnen Laridae, von 2 bei den meisten Vögeln), schräg nach vorne und oben dem Metapatagium zuläuft, um dort in der Art zu enden, dass er sich an das subkutane Bindegewebe desselben ansetzt. Bei einzelnen Vögeln (Fulmarus ete.) endet ein kleiner Teil auch an der Scapula, bei Apteryx geht sogar die Hauptmasse an die diesen Knochen deckende Fascie und Haut. Seine Länge ist in der Regel ansehnlich, seine Breite und Dicke variieren sehr. Ein Nerv gleichen Namens besorgt seine Innervation. Nach F. ist dieser Teil eine sekundäre Differenzierung der Vögel und stellt eine diesen eigentümliche Schichte des primitiven Serratus superfieialis der Sauropsiden dar; sie steht in direkter Correlation zur Ausbildung des Metapagium und trat wahrscheinlich zu einer nicht Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 395 ganz frühen paläontologischen Zeit bei allen Vögeln auf, wurde aber später bei manchen gleichzeitig mit der Rückbildung des Metapat. und der Armschwingen reduziert (bei den schlechten Fliegern, kleinen Carinaten und den meisten Ratiten). Im allgemeinen ist der ganze M. serratus superficialis dem M. serratus magnus des Menschen gleichzustellen. Die Ausbildung der Pars anterior und posterior ist nach F. vielleicht daraus zu erklären, dass die gleichmäßige Verbreiterung des Muskels mit der Verlängerung der Scapula nicht gleichen Schritt zu halten vermochte und so eine Sonderung in eine vordere und hintere gut entwickelte und eine mittlere mehr oder weniger verkümmernde und schließlich ganz ver- schwindende Abteilung zu stande kam. (Bei relativ kurzer Scapula ein mehr einheitlicher M. serratus superficialis vorhanden.) 5. M. serratus profundus. Derselbe stellt bei gewissen Ratiten (Struthio, Casuarius) einen ausgebreiteten und komplizierten, bei Apteryx, (Rhea?) und den Carinaten einen einfachen Muskel dar, welcher mit einer wechselnden Zahl von Bündeln von den letzten Halswirbeln und zwar von den Proc. transversi und den dorsalen Enden der Rippen derselben, sowie von den ersten Dorsalrippen, mitunter auch von deren Proc. uncinati und Membranae triangulares seinen Ursprung nimmt und, indem seine Fasern vorwiegend longi- tudinal resp. longitudinal-ascendent nach hinten laufen, an der Innen- fläche des hintern Teiles der Scapula endigt. Bei Struthio und Casuarius hat sich der Muskel in eine oberflächliche und tiefe Schieht geteilt und der M. serratus prof. der Carinaten und oben namhaft gemachten Ra- tıten entspricht nach F. lediglich der tiefern Schicht von Struthio und Casuarius. An seiner Ursprungs- und Insertionsstelle ist er meist fleischig — er besteht überhaupt vorzugsweise aus muskulösen Ele- menten — das Maximum seiner Ausbildung erreicht er gewöhnlich in der Mitte oder vor derselben; Nerven erhält er von einem oder einigen Nn. serrati profundi. Er ist ein Homologon des M. collo- thoraei-scapularis profundus (Levator scapulae et Serratus profundus) der Saurier und Krokodile, auch ist eine ganz allgemeine Verwandt- schaft mit dem Levator scapulae der menschlichen Anatomie an- nehmbar (eine spezielle Homologie mit diesem Muskel wird durch die Lage desselben und die Identität mit dem gleichnamigen Muskel der Reptilien, wo neben demselben ein Levator scapulae superfieialis existiert, verboten). C. System des M. thoracicus inferior. 6. M. sterno-coracoideus (superfieialis et profundus). Derselbe fehlt den Makrochires und ist bei den übrigen Vögeln wenig ent- wickelt; bei vielen bildet er einen einheitlichen Muskel (bei mehreren Ratiten, den Alcidae, den meisten Steganopoden, Alcedinidae ete.), während er bei andern (bei mehreren Linicolae, Fulicariae, den 396 Emery, Ontogenie der Insekten. Striges, einigen Passeres ete.) ebenfalls noch einen Muskel darstellt, der aber in seiner oberflächlichen Partie mehr longitudinal, in seiner tiefen mehr ascendent gerichtete Fasern enthält. Bei den übrigen Vögeln existieren 2 Abteilungen: ein etwas kleinerer oberflächlieber M. sterno -coracoideus superficialis mit vorwiegend longitudinalem und ein etwas größerer tiefer M. sterno-coracoideus profundus mit vor- wiegend ascendentem Faserverlaufe. — Er entspringt von der Impressio sterno-coracoidea des Stern. und deren medialem und mitunter distalem Rande, sowie von dem Proc. lateralis anterior und kann von da aus bald auf die benachbarten Sternocostalleisten, bald auf das Labium internum des Suleus coracoideus übergreifen. Wenn 2 ge- sonderte Mm. sterno-coracoidei vorhanden sind, entspringt der ober- flächliche hauptsächlich von der Linea sterno-coracoidea, von dem Rande der Impressio und den Sternocostalien, der tiefere vorzugsweise von der Fläche der Impressio und dem Labium internum sulei coracoidei. Als einheitlicher Muskel endet er gleichmäßig an der Innenfläche und am Lateralrande des Coracoid, als M. sterno - coracoideus superficialis an dem lateralen Rande des hintern Teils dieses Knochens und namentlich der Proc. lateralis desselben, als M. sterno-coracoideus profundus endlich inseriert er sich an der Impressio sterno- cora- coidea der Innenfläche des Coracoid und kann von da auch auf die Membrana coraco-clavieularis übergreifen. Innerviert wird er durch den N. sterno-coracoideus. Als Homologon des M. sterno -coracoideus internus der niedern Saurier kann nur mit dem M. subelavius des Menschen der M. sterno -coracoideus verglichen werden, wie dies auch schon Tiedemann u. a. gethan, obgleich die Insertion beider Muskeln sehr von einander abweichen. Andere Autoren haben in dem Muskel ein Homologon des M. pectoralis minor des Menschen erblickt, eine Deutung, welcher F. nieht folgen kann, weil für ihn das wirkliche Homologon des menschlichen M. pect. minor in dem M. pectoralis (thoracicus) der Vögel enthalten ist. (Fortsetzung folgt.) Neuere Arbeiten über die Ontogenie der Insekten. VeitGraber, Ueber die Polypodie bei Insekten-Embryonen in: Morph. Jahrb., 13. Bd., S. 586—615, Taf. 25—26. Derselbe, Ueber die primäre Segmentierung des Keimstreifen der Insekten, ibid. 14. Bd., S. 345-367, Taf. 14—15, 4 Holzschn. Derselbe, Vergleichende Studien über die Keimhüllen und die Rücken- bildung der Insekten in: Denkschr. d.k. Akademie in Wien. Math.- Naturw. Klasse, 54. Bd., S. 109—162, 8 Taf., 32 Holzschn. In einer Reihe von Abhandlungen veröffentlicht jetzt Professor V. Graber die Resultate jahrelanger Untersuchungen über die Ent- wicklung der Insekten. Auf einmal liegt uns also ein über mehrere Emery, Ontogenie der Insekten. 397 Insektenarten aus den verschiedenen Ordnungen ausgedehntes Bündel von Beobachtungen vor, wie es nur durch lange ausdauernden Fleiß und viel technische Geschicklichkeit gesammelt werden konnte. Indem wir hier über die bereits erschienenen Abhandlungen kritisch referieren, sehen wir fernern Mitteilungen des verdienten Verfassers ungeduldig entgegen. Die Anwesenheit von Gliedmassen an den ersten Hinterleibs- segmenten von Insektenembryonen wurde zuerst von Rathke bei der Maulwurfgrille, später von Bütschli bei der Biene (von Grassi neuerdings geleugnet) und von Kowalewsky bei Hydrophilus er- kannt. Aehnliche Beobachtungen veröffentlichten später Graber von Mantis, Ayers von einer Grille (Oecanthus niveus) u. s. w. Meist wurde nur am ersten Abdominalsegment ein Paar ventraler Anhänge gefunden, welches trotz mancherlei Form- und Strukturunterschiede den thorakalen Gliedmassen angereiht und mit denselben homologisiert werden konnte. Bei Melolontha-Embryonen findet nun Graber an allen Abdominalsegmenten ventrale Gliedmassenrudimente; die dem ersten Segment zugehörigen sind zwar bei weitem die größten und entwickeln sich zu ansehnlichen blasenförmigen Gebilden, welche sich erst kurz vor dem Ausschlüpfen der Engerlinge rückbilden. Auf Schnitten erweisen sich diese Anhänge als hohle Ektodermaus- stülpungen; ihre Wand besteht aus hohem Zylinderepithel und sie enthalten. weder Muskel- noch Tracheenanlagen. Bei Hydrophilus findet G. nur am ersten Hinterleibssegment ventrale mit den Beinen vergleichbare Anhänge, welche aber gegenüber den bei Maikäfer- Embryonen vorkommenden rudimentär zu nennen sind. Am zweiten Segment findet er die von Kowalewsky erwähnten Anhänge nicht und die von Heider an allen Abdominalringen gefundenen Glied- massenanlagen sind den Rudimenten von Abdominalfüßen ihrer Stellung wegen nicht gleichwertig. Dass aber solche Beinrudimente variable Gebilde sind, beweist der Fall von Mantis, wo G. bei einigen Em- bryonen nur ein Paar, bei andern zwei Paar Abdominalfüße angelegt fand — Nicht allen Insektenembryonen kommen Abdominalfüße zu: so fand sie G. bei Lina tremulae nicht. Da nun solche Abdominalanhänge bei Vertretern der verschie- densten Ordnungen (Orthopteren, Neuropteren, Coleopteren und wahr- scheinlich auch Rhynchoten, Hymenopteren und Lepidopteren) vor- kommen, so darf man dieselben wohl als normale Bildungen der Insektenembryonen auffassen und ihrer Struktur nach als rudimentäre Organe, denn selbst da, wo (wie bei Melolontha und bei Orthopteren) die Anhänge des ersten Segments einen größern Umfang erreichen, gewähren sie denselben einfach sackartigen Bau. Ihre Bedeutung kann aber verschiedenartig verstanden werden, je nachdem wir an- nehmen, dass die Vorfahren der Insekten an ihrer Stelle einst wirklich >98 Emery, Ontogenie der Insekten. funktionsfähige Laufbeine oder nur verschiedenartig gebaute, nicht lokomotorische, vielleicht als Kiemen fungierende Gliedmassen besaßen. Die Thatsache, dass manche Thysanuren (Campodea, Japyx) an den ersten Abdominalsegmenten stummelartige Anhänge tragen, welche sogar nach Grassi mit rudimentären Muskeln versehen sind, führt uns der Lösung der Frage nicht viel näher. Wir wissen also nicht, ob die unmittelbaren Vorfahren der Insekten (also die Urtracheaten) heteropode, oder wie die Tausendfüße homopode Tiere waren. Graber neigt zur ersten Annahme, welche uns auch die größte Wahrschein- lichkeit zu besitzen scheint. Die Existenz eines sechsbeinigen Embryo bei den Chilognathen lässt eher heteropode Ahnen der Myriopoden als homopode Vorfahren der Insekten vermuten. In seiner Arbeit über die Entwicklung von Oecanthus niveus be- merkte Ayers, dass die Segmentierung des Keimstreifens nicht wie bei vielen andern Insekten mit der Anlage der einzelnen Metameren in ihrer natürlichen Reihenfolge beginnt. Die zuerst scheibenförmige Embryonalanlage zieht sich in die Länge und teilt sich nach und nach in vier Abschnitte, welche erst nachträglich im die einzelnen Metameren abgegliedert werden. Der erste Abschnitt bleibt ungeteilt und bildet das antennale Segment (Urkopf); der zweite liefert die drei Kiefersegmente (sekundäre Kopfsegmente); die zwei folgenden entsprechen dem Thorax und Abdomen. — Einen ähnlichen Fall be- schreibt Graber von einem Acridier (Stenobothrus variabilis); die Untersuchung auf Schnittserien zeigt, dass die Segmentierung nicht eine bloß äußere Erscheinung ist, sondern dass das Hypoblast sich unter dem Keimstreifen zuerst in 4 Makrosomiten und nachträglich in die Mikrosomiten oder Metameren teilt. Bemerkenswert ist, dass in einem gewissen Stadium die 3 Thoraxsegmente im Hypoblast bereits differenziert sind, während die 3 Kiefersegmente noch ein ungeteiltes Makrosomit bilden; es eilt also die Segmentierung des Thorax jener des sekundären Kopfes voraus. Aehnliches fand G. auch bei einem Käfer (Lina tremulae). Was Graber als Hypoblast oder Entoblast bezeichnet, entspricht durchaus nieht dem Entoderm der meisten Autoren, welche darunter auch noch die Dotterzellen begreifen. Nach G. haben die Dotter- zellen (Centroblast) zu der Bildung der Embryonalanlage durchaus keine Beziehung. Aus dem Blastoderm (Periblast) sondert sich durch Invagination (Gastrulabildung) das Hypoblast, das ist die Anlage sowohl des Mesoblastes als des Darmdrüsenblattes. Das Hypoblast wird bei der Anlage der Metamerie vollständig in Segmente zerlegt und jedes Segment später in zwei laterale Hälften geteilt; dann ent- steht in jeder Segmenthälfte eine Leibeshöhlenanlage, deren dem Dotter zugekehrte Wand oder viscerales Blatt das Darmdrüsenblatt und die Darmmuskulatur liefert. Das einheitliche Mesenteron wird Emery, Ontogenie der Insekten. 39) also aus segmentalen Anlagen gebildet. Andere Einzelheiten über die Keimblätter der Insekten wollen wir vorläufig nicht referieren, da der Verf. uns über diesen Gegenstand eine größere Arbeit verspricht. Nirgends tritt wohl die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen in der Entwicklungsgeschichte der Insekten deutlicher zutage, als in der Bildungsweise der Keimhüllen und in der Art wie sich der Rücken der Embryonalanlage schließt. — Bekanntlich erhebt sich bei den meisten Insekten um die Embryonalanlage eine Falte des Blasto- derms (von G. als „Gastroptyche“ bezeichnet) und vereinigt sich auf der Bauchseite des Embryo zu einem geschlossenen Sack mit doppelter Wand, bestehend aus innerem und äußerem Blatt, nämlich Amnion oder nach G. Entoptygma und seröse Hülle oder Ektoptygma. Bei andern Insekten (Rhynchoten, Libelluliden) stülpt sich die Embryonal- anlage mitten in den Dotter hinein. Nach diesen Hauptformen der Entwicklung können die Insektenembryonen in ektoblastische und entoblastische eingeteilt werden; im ersten Fall liegt der Dotter sämtlich auf dem Rücken des Keimes; im zweiten ist der Keim samt dem denselben ventral umhüllenden Amnion vom Ektoptygma ringsum durch eine Dotterschieht getrennt. Fälle, die sich eigentlich unter keine der eben aufgeführten Abteilungen einreihen lassen, werden wir bald kennen lernen. Eine typische Form des ektoblastischen Entwicklungsmodus bieten uns die bis jetzt untersuchten Hymenopteren. Nachdem sich das Amnion geschlossen hat, steigt die an den Seiten des Embryo be- findliche Falte, welche durch das Umbiegen der Embryonalanlage in das Entoptygma zu stande kommt (Graber nennt diese Falte Notoptyche), immer höher gegen den Rücken, den Dotter umwachsend. Endlich verwachsen die beiderseitigen Falten dorsal und bilden den Rücken des werdenden Tieres. Die ganze Dottermasse wird in den Leib des Embryo aufgenommen, welcher bis zum Ausschlüpfen von seinen Häuten umschlossen bleibt. Diese typische Form der Rücken- schließung nennt G. notoptychogon und arrhemagen. — Aehnlich verhalten sich die Schmetterlinge; bei ihnen wird aber nur ein Teil des Dotters bei der Rückenschließung in den Leib aufgenommen; ein anderer Teil bleibt zwischen Ekto- und Entoptygma, den Embryo umgebend, und wird von letzterem nachträglich aufgefressen. Diese Form der Entwicklung bildet einen Uebergang vom ektoblastischen zum entoblastischen Typus. In obigen Fällen nehmen die Hüllen an der Schließung des Rückens keinen direkten Anteil. Bei den meisten ektoblastischen Insekten ist dem aber nicht so. Unter den Käfern bleibt bei Lina das an seinen großen Kernen leicht Kenntliche Ektoptygma unver- sehrt, während das Entoptygma ventral reißt und sich über dem Rücken des Embryo umstülpend zum dorsalen Ektoderm wird. Bei 400 Emery, Ontogenie der Insekten. Hydrophilus und Melolontha reißen beide Hüllen in der ventralen Mittellinie und werden gegen den Rücken umgebogen. Das Entop- tygma wird zum dorsalen Ektoderm, während das Ektoptygma in den Dotter versenkt wird und daselbst zum sonderbaren Rückenrohr oder Rückenorgan wird. Letzteres besteht aus großen Zellen, welche später einzeln in die Dottermasse hineinwandern und die Verflüssigung derselben bewirken. Das Rückenorgan, dessen morphologische Be- deutung noch ein Rätsel bleibt, ist vom physiologischen Standpunkt aus ein Apparat zur Verdauung des Dotters. Die Einzelheiten dieser Erscheinungen sowie die Verhältnisse der Keimblätter wollen wir unberücksichtigt lassen, da dieselben ohne Figuren kaum verständlich besprochen werden könnten. — Bei der von Ayers studierten Grillen- art (Oecanthus niveus) entsteht der Riss der Membranen an einer um- schriebenen Stelle in der Nähe des Kopfes, und die Membranen selbst werden über den Embryo umgestülpt; letzterer verändert dabei seine Lage auf dem Ei in einer Weise, welche an die Umkehrung oder (wie sie G. nennt) Antipodisierung der Embryonalanlage bei den ento- blastischen Insekten erinnert. Auch hier wird auf Kosten des Ek- toptygmas ein Rückenorgan gebildet, aber in etwas verschiedener Weise. Wahrscheinlich geht die Bildung von Rücken und Rücken- organ bei Gryllotalpa ähnlich vor sich und letzteres entsteht nicht, wie Korotneff glaubt, aus den Dotterzellen. Von diesen Orthopteren unterscheidet sich Stenobothrus in seiner Entwicklung sehr. Es entsteht kein Riss der Hüllen und auch kein Rückenorgan; der Rücken wird auch nicht durch perilekitisches Zu- sammentreffen der beiderseitigen Notoptyche, sondern durch eine besondere vom Ektoderm des Embryo am Rande der Rückenfalte in den Dotter hineinwachsende Platte geschlossen; es wird durch diesen Vorgang nur ein Teil des Dotters in den Embryo aufgenommen; ein anderer Teil bleibt zwischen demselben und dem Ektoptygma zurück. Eine besondere Form des Hüllenrisses scheinen einige Phry- ganiden und Dipteren (Chironomus) zu bieten. Das Ektoptygma zerreißt, zieht sich auf den Rücken zurück und bildet einen pro- visorischen Verschluss desselben durch ein Rückenorgan. Der de- finitive Verschluss wird aber durch das Zusammentreffen der beider- seitigen Notoptyche gebildet, wobei das Rückenorgan in den Dotter versenkt wird. Von entoblastisch angelegten Insektenembryonen hat G. eine Wanze (Pyrrhocoris) untersucht. Nachdem der Keimstreif sich auf dem Dotter in bekannter Weise umgestülpt (antipodisiert) hat, zieht sich das Ektopygma zu einem Rückenrohr zusammen und der Ver- schluss des Rückens erfolgt wie bei Oecanthus durch die Innenhaut. Eine Sonderstellung nehmen unter den Insekten die Musciden ein; sie bilden einen eignen Typus der Entwicklung. Es kommt hier nicht zur Bildung einer vollständigen Umhüllung des Embryo, sondern nur Emery, Ontogenie der Insekten. 401 zur Anlage von kurzen Seitenfalten und zur Einstülpung des Schwanz- endes in den Dotter. Diese Verhältnisse sind aber selbst mit Hilfe von Bildern nieht ohne Mühe zu verstehen, weshalb wir auf eine bloße Beschreibung derselben verzichten wollen. Aus den eben geschilderten Verhältnissen ergibt sich, dass In- sekten, welche systematisch einander nahe stehen, inbezug auf ihre Keimhüllen sich sehr verschieden verhalten, während wiederum syste- matisch weit abstehende Formen in dieser Hinsicht einander ähnlich sein können. Jene Unterschiede lassen sich, wie G. treffend bemerkt, durch die größere oder kleinere Menge des Nahrungsdotters nicht genügend erklären. Auf welche Weise soll z. B. die relative Menge des Dotters es bedingen, dass in einem Ei das Keimstreifektoderm weiter wachsend für sich allein die Rückenwand schließt, während in einer andern Art das Entoptygma dabei zu Hilfe gezogen wird? G. meint, dass jene Zustände wenigstens zum teil phylogenetische Bedeutung haben, und dass man aus der Aehnlichkeit der Hüllen- bildung auf Blutverwandtschaft zu schließen berechtigt ist. Aber das heutige System der Entomologie deckt sich durchaus nicht mit dem, welches man auf die Keimhüllenverhältnisse zu gründen ver- möchte. „Eine solche Incongruenz“, fährt G. fort, „pflegt man nicht „selten kenogenetisch, d. i. durch die (meist schwer zu begründende) „Annahme zu erklären, dass infolge gewisser späterer Einwirkungen „die ersten ontogenetischen Entwicklungszustände eines Tieres eine „Veränderung erleiden. Man könnte also beispielsweise sagen: Lina „und Hydrophilus hatten ursprünglich, ihrer ihnen gegenwärtig an- „gewiesenen systematischen Stellung entsprechend, annähernd gleiche „Keimhüllenzustände. Diese wurden aber später infolge neuer „Anpassungen, die das fertige Tier erlitt und die bis zu „einem gewissen Grade auch auf die embryonale Ge- „staltung zurückwirkten, bei einem dieser Käfer (oder bei „beiden in verschiedener Weise) abgeändert.“ — Das jetzige System wäre also aufgrund der Embryologie zu revidieren: so meint Graber z. B., dass „die Annahme, dass die gegenwärtig mit den Orthopteren „vereinigten Libelluliden mit Rücksicht darauf, dass die erstern ekto-, „die letztern entoblastisch sind, phylogenetisch nicht zu diesen ge- „hören, sondern den Rhynehoten näher stehen, besser begründet ist „als die Hypothese, dass diese fundamentale Differenz in der Keim- „lage erst nachträglich auf kenogenetischem Weg entstanden ist.“ — Die Aehnlichkeit fertiger Insekten mit unähnlichen Keimzuständen (z. B. Grylliden und Akridier, Lina und Hydrophilus) erklärt G. durch Konvergenz. „Auch erscheint es mir nichts weniger als konsequent“, schreibt G. an einer andern Stelle, „das Prinzip der Fälschung der Phylogenie „mehr auf die anerkanntermaßen relativ wenig vcränderlichen em- 1X, 26 402 Emery, Ontogenie der Insekten. „bryonalen Zustände, als auf die fertigen freien Lebensphasen anzu- „wenden, die im Gegensatz zu den erstern den Kampf ums Dasein „wirklich führen und die demnach auch größern Veränderungen aus- „gesetzt sind.“ Diese Schlussfolgerungen des verdienten Forschers mögen wir nicht acceptieren und werden zuerst die Prämissen, auf welchen sie beruhen, leugnen. — Vor allem ist es durchaus nicht bewiesen, dass embryonale Stadien immer minder veränderlich seien als erwachsene Tiere und deshalb einen größern systematischen Wert beanspruchen. Es wird kein Zoolog behaupten wollen, dass das Meerschweinchen und die Maus aufgrund ihrer sonderbaren Keimblätterverhältnisse vom Kanin- chen und von allen übrigen Säugetieren oder sogar von allen Wirbeltieren getrennt werden sollen; oder dass die Edentaten wegen der Verschie- denheiten im Bau ihrer Placenta in mehrere einander fern stehende Ordnungen zergliedert werden dürfen. Trotz der großen Aehnlichkeit in der äußern Gestalt sowie im anatomischen Bau weichen doch die amerikanischen, afrikanischen und neuseeländischen Peripatus - Arten grade in den ersten Stadien ihrer Entwicklung weit von einander ab! Warum dürfte der Embryo nicht ebensowohl wie das fertige Tier sich an besondere Verhältnisse anpassen und dadurch neue Charaktere erwerben können? Jene Verhältnisse sind uns zwar unbekannt; das- selbe gilt aber auch für die Momente, welche die meisten Verän- derungen der ausgebildeten Organismen bestimmt haben. Es ist durchaus nicht notwendig, dass zuerst der fertige Organismus modi- fiziert werde und erst infolge dessen der Embryo; der Keim ist selbst im Mutterleibe vor äußern Einflüssen nicht immun und nimmt deshalb an dem Kampf ums Dasein seinen Anteil. Eine morphologische Kon- vergenz scheint uns aber viel eher in den anatomisch einfachen und histologisch indifferenten Keimzuständen, als in den höchst kompli- zierten und sowohl anatomisch als histologisch in feinster Weise differenzierten Strukturen eines fertigen Tieres anzunehmen. Dass der Systematiker die Embryonalzustände zu berücksichtigen habe, wird heutzutage Niemand bestreiten wollen; aber erst dann, wenn die ontogenetischen Thatsachen in genügender Zahl vorliegen, um darauf generalisierende Schlüsse gründen zu können; ein fest begründetes System ist erst dann zu ändern, wenn jene Thatsachen mit ihm in offenbarem Widerspruch stehen. — Es ist Graber's großes Verdienst unsere Kenntnisse über die Ontogenie der Insekten sehr bedeutend erweitert und in ein besseres Licht gebracht zu haben. Uns scheint aber, dass die bis jetzt bekannten Resultate embryologischer Forschung mit dem alten System noch nicht unvereinbar geworden sind und dass sie gewisse auf die Anatomie und postembryonale Entwicklungsgeschichte begründete Ansichten wesentlich unterstützen!). 1) S. diese Zeitschrift 5. Bd. S. 648—656. Emery, Ontogenie der Insekten. 405 Eine auffallende Thatsache ist, dass bei Phryganiden, Lepi- dopteren, Hymenopteren und manchen Dipteren der kücken durch Zusammentreffen der Notoptyche geschlossen wird, was bei keinem andern Insekt beobachtet wurde; grade diese Gruppen gehören zu der von Brauer aufgestellten natürlichen Abteilung der Petanoptera. Nehmen wir an, dass die Nematocera (zu welchen Simulia und Chiro- nomus gehören) unter den Dipteren ursprünglichere Formen sind, so können wir den besondern Entwicklungsmodus der Musciden als einen sekundären betrachten. Der Umstand, dass der Lepidopteren-Embryo soweit bekannt, vom Dotter umgeben ist, der Hymenopteren - Keim dagegen den ganzen Dotter in sich schließt, scheint uns vom morpho- logischen Standpunkt bei weitem nicht so schwer in die Waage zu fallen, als die Uebereinstimmung im Mechanismus der Rücken- bildung. Vergleichen wir ferner die Grylliden mit den Libelluliden nicht in bezug auf die erste Anlage des Keimstreifens, sondern vom Mo- ment des Hüllenrisses bis zur vollzogenen „Antipodisierung“ des Embryo, so finden wir auch hier eine sehr auffallende Ueberein- stimmung, welche uns nieht minder wichtig zu sein scheint, als der Unterschied der in oder auf dem Dotter stattfindenden Keimanlage; und doch sind diese beiden Gruppen, trotzdem sie von Gerstäcker mit noch andern Insekten als „Orthopteren (sensu lato)“ vereinigt wurden, ziemlich weit von einander stehende Formenreihen. Welchen Wert wir dem gründlich verschiedenen Entwicklungsmodus von Steno- bothrus beimessen dürfen, kann nicht bestimmt werden, solange wir von den Keimhüllenverhältnissen bei andern Abteilungen der echten Orthopteren (Locustiden, Blattiden, Mantiden) nichts oder sehr wenig wissen. Und da von der ungeheuern Zahl der Coleopteren nur drei Species in bezug auf ihre Keimgeschichte untersucht sind, wird es auch nicht möglich sein, den Wert, welcher den Unterschieden in der Entwicklung von Lina gegenüber Hydrophilus und Melolontha zu- geschrieben werden soll, zu bestimmen. Es mögen nun recht viele Forscher dem reichen und dankbaren, aber leider noch zu wenig bebauten Feld der Insektenontogenie ihre Thätigkeit widmen. — Eine genauere und auf zahlreiche Formen ausgedehnte Kenntnis der Entwicklung des Insektenkeims wird zwei- fellos zu wichtigen Veränderungen in der Systematik führen. Letztere aber schon jetzt bestimmen und aufgrund noch zu sehr vereinzelter Erfahrungen das allgemein geltende System umwälzen zu wollen, scheint uns vorläufig zu sehr gewagt und dürfte allzu leicht auf Irr- wege führen. 404 Eıinery, Ontogenie der Insekten. Nachtras. In einer soeben erschienenen Abhandlung über die Entwicklung von Blatta beschreibt Cholodkovsky!) bei diesem Insekt einen weitern Fall von Anwesenheit embryonaler Gliedmassen am Hinterleib. Er findet an allen Abdominalsegmenten Gliedmassenanlagen, wovon die meisten klein bleiben und früh schwinden, während das erste Paar, obschon nur aus Ektodermzellen gebildet, einen größern Um- fang erreicht und erst am Ende des Embryonallebens rückgebildet wird, das 10. und 11. Paar sich sogar weiter entwickeln und letzteres zu den bleibenden Cerei wird. Verf. verwirft die von Graber vor- geschlagene Einteilung der embryonalen Abdominalanhänge aufgrund ihrer mehr medialen oder lateralen Stellung und betrachtet alle mit gleichem Recht als Beinrudimente. Die gegliederten Cerci sind also mit den abdominalen Rudimenten sowie mit den Thoraxbeinen, Mund- teilen und Antennen homodyname Gliedmassen. Die Antennen ent- stehen nach Ch. bei Dlatta postoral ?). Da die Abdominalfüße der Schmetterlingsraupen, deren frühe Embryonalbildung von Ticho- miroff nachgewiesen wurde, jenen Abdominalrudimenten der Em- bryonen anderer Insekten als homolog betrachtet werden sollen, so ist nach Ch. zweifellos, dass jene Raupen viel mehr als die Cam- podea-artigen Larven eine phylogenetische Bedeutung beanspruchen dürfen, wobei er die Aehnlichkeit mit Peripatus besonders hervorhebt. Aus allem dem folgt, dass die Vorfahren der Insekten nur homo- pode und nicht heteropode Tiere gewesen sein können. Nach unserer Ansicht kommt es bei der Frage von der homo- oder heteropoden Natur der Insektenvorfahren hauptsächlich darauf an, in welcher Höhe wir am phylogenetischen Stammbaum die ge- dachten Ahnenformen suchen wollen. Nach dem heutigen Standpunkt der Morphologie, seitdem die Nauplius-Larve für die meisten Zoo- logen nicht mehr als Ahnenform der Crustaceen angesehen wird, darf wohl als sehr wahrscheinlich angenommen werden, dass alle Arthropoden von homonom gegliederten und an allen Segmenten mit wohlentwickelten Füßen versehenen Urformen abstammen. — Ein genauer bestimmtes Problem steht vor uns, wenn wir fragen: „wie „sahen die letzten gemeinschaftlichen Vorfahren der jetzt lebenden „Lracheaten, oder wenigstens die der Hexapoden und Chilognathen „aus?“ — Sollte sich nun auch die von Ch. behauptete Homologie der Cerei- und Beinanlagen bestätigen, so scheint uns dadurch die Ansicht, dass jene Ahnenformen heteropod waren, nichts von ihrer Wahrscheinlichkeit zu verlieren. Die Abdominalfüße der Schmetter- 1) Studien zur Entwicklungsgeschichte der Insekten in: Zeitschrift für wissensch. Zoologie, 48. Bd., 1. Heft, S. 89—100, Taf. 8. 2) Bei Melolontha findet auch Graber die Antennenanlage postoral. Vosmaer, Systematik der Spongien. 405 lingsraupen mögen sich ganz gut durch Rückschlag in der Phylogenie aus den bei anderen Insekten sonst rasch schwindenden Embryonal- rudimenten wieder entwickelt haben, und jene Raupen dürfen mit großer Wahrscheinlichkeit aus Campodea-artigen primitiven Formen abgeleitet werden. Derartige Atavismus-Fälle spielen wohl in der Phylogenie eine viel bedeutendere Rolle, als gewöhnlich angenommen wird. Primitive Bildungen werden aus ihrer rudimentären oder sogar latenten Anlage durch neue Adaptation wieder gezüchtet, und so entstehen neue Organi- sationsverhältnisse, welche mit gleichem Recht als primitive oder als sekundäre aufgefasst werden dürfen. Emery (Bologna). Neue Arbeiten über Schwämme. Sollas W. J., Report on the Tetractinellida collected by H. M. S. Chal- lenger. In: Chall. Rep., Vol. XXV, 166 u. 458 pp., 44 Taf. id., „Sponges“ in Eneyel. Britannica, IX. Ed., Part. 86, p. 412—429. Wie nach Haeckel die Kalkschwämme auf einer Grundform „Olyntbus“ zurückzuführen sind, so kann man jetzt nach Sollas auch die übrigen Schwämme auf einer primitiven Form zurückführen, nämlich den „Rhagon“ |Dyssycus Haeckel!)l. Der Rhagon (ö«$, Traube) hat die Form eines halbkugligen Sackes, dessen untere, flache Partie „Hypophare“, und dessen obere, gewölbte Partie „Spongophare“ genannt wird; in letztere befinden sich die Geißelkammern. Die innere Höhle wird „Paragaster“ genannt, und steht durch ein „Osculum“ in Verbindung mit der Außenwelt. Obwohl keine Beispiele davon vor- liegen, so nimmt Verf. doch an, dass der Rhagon von der Olynthus- Form abzuleiten sei. Die nächste Modifikation des Rhagons besteht darin, dass die Spongophäre sich faltet. So wird innen und außen des Rhagons ein System von Höhlen gebildet. Die innern Höhlen kommunizieren direkt mit dem ursprünglichen Paragaster und bilden das ausführende, die äußern Sinus bilden das einführende Kanal- system. Die Geißelkammern, in dem Rhagon einfache Einstülpungen des sogenannten Entoderms, bleiben in direkter Verbindung mit der innern Höhle und zwar mit einem weiten Mund, „Apopyle“. Ein solches Kanalsystem, welches mit meinem dritten Typus übereinstimmt, nennt Verf. „eurypylous“. Komplikationen treten jetzt auf, indem die Falten mit einander verwachsen, und indem eine „investing mem- brane“ auftritt. Auf welche Weise dies geschieht, wird nicht er- wähnt; nur das Faktum, dass die Membran die Einströmungskanäle überdacht, und da oft siebartig durchbrochen ist. Es wird ausdrück- 1) Sollas sagt (Eneyclop. Britanica) Rhagon = Dyssycus. Aber warum denn wieder einen neuen Namen anwenden? 406 Vosmaer, Systematik der Spongien. lich betont, dass die so entstandenen „Poren“ nicht ganz homolog mit den ebenfalls „Poren“ genannten, ursprünglichen Einströmungs- öffnungen sind. Die Bekleidungsmembran („investing membrane“) „eetosome“ genannt; der Rest des Schwammes „choanosome“. Das Ektosom ist also eine sekundäre Bildung; es besteht nur aus Meso- derm und Ektoderm. Die gleich unter dem Ektosom liegenden Höhlen werden Subdermalräume genannt. In einigen Fällen scheinen sie durch Spaltung zu entstehen und sind dann, statt mit ektodermalen Epithel, mit einem Endothel bekleidet. In andern Fällen scheinen die Höhlen durch Einstülpung des Ektoderms zu entstehen (Stelletta phrissens). Das Mesoderm unterliegt nun verschiedenen Modifikationen, und bildet sich mehr und mehr aus. Gleichzeitig damit geht der Umstand, dass sich die Ausmündungen der Geißelkammern, Apopyles, nicht mehr direkt in den Paragaster, resp. die damit in Verbindung stehenden Höhlen öffnen, sondern mittels besondere Canalieuli, „aphodi“. Ein derartiges Kanalsystem nennt Verf. „aphodal“. Das Wasser fließt, da die Kammern dicht an der Oberfläche der zuführenden Räume liegen, direkt oder mittels sehr kurze Canalieuli hinein. Mit dieser Modifikation des Kanalsystems geht eine Verkleinerung der Geißel- kammern Hand in Hand. Mit einer noch weitern Entwicklung des Mesoderms, verengern sich auch die zuführenden Canalieuli, und es entsteht ein „diplodales“ Kanalsystem. Veränderungen im Kanalsystem gehen oft, aber nicht immer, zu- sammen mit bedeutenden Modifikationen des Ektosoms. Bei Schwämmen mit einem „eurypylous“ Kanalsystem ist das Ektosom meistens wenig entwickelt. Es ist da eine Membran, welche als eine dünne Mesoderm- platte aufzufassen ist und von ektodermalem Epithel bekleidet. Die darunter liegenden Subdermalräume sind nicht vollständig von den Einführungskanälen differenziert, indem öfters direkte Kommunikation zwischen erstern und den Geißelkammern existiert. In den einfachsten Schwämmen mit aphodalen Kanalsystem, wie z. B. Myriastra, ist ein Ektosom, welches kaum von dem oben beschriebenen abweicht; jedoch schon bei Pilochrota treten neue Veränderungen auf. Erstens wächst das Mesoderm nach innen und die Subdermalräume werden auf diese Weise bedeutend verkleinert. Zu gleicher Zeit sieht man in dem zentralgelegenen Teile des Ektosoms Fasern und Faserzellen auf- treten. Das Ektosom wird dadurch in zwei Teile geteilt: einen zen- tralen oder innern Teil, welcher mehr oder weniger stark faserig ist, und einen peripheren oder äußern Teil, welcher „collenchymatös“ ist. In solchen Fälle, oder auch wenn das ganze Ektosom fibrös ist, heißt es „Cortex“. In wohlentwiekelten Cortices haben die sich darin be- findenden Kanäle gewöhnlich eine sehr bestimmte Form, und werden dann Chonae genannt. Der zwischen Endo- und Ektochone gelegene Vosmaer, Systematik der Spongien. 407 Sphinkter wird vom Verf. als ein hypertrophisches Velum!) auf- gefasst. Bekanntlich hat Marshall die subkortikalen Orypts als Homologa der Subdermalräume aufgefasst; ich habe schon gewarnt gegen ein derartiges Verfahren. Sollas sagt nun, dass die Sache sehr schwer ist (womit ich einverstanden bin), aber meint, dass die Ver- hältnisse in zwei Fällen ganz evident sind. Er nimmt als Beispiele Stelletta phrissens Soll. und Oraniella simillima (Bwk.) Soll. In sehr jungen Exemplaren von dieser Stelletta liegt das Choanosom ge- faltet innerhalb das Ektosom. „Die äußern Einstülpungen des Choano- soms stellen zu gleicher Zeit Subdermalhöhle und Einströmungskanäle vor, da diese noch nicht differenziert sind“. Nachher bildet sich das Ektosom in einen bestimmten Cortex um, und die kortikalen Kanäle werden die Chonae, „während die subkortikalen Crypts aus den (oben erwähnten) äußern Einstülpungen entstehen, und offenbar homolog den Subdermalräumen von Tetilla und anderer Schwämme sind“. Nun scheint mir hier aber ein Fehler in der Logik zu sein, denn warum sind die Höhlen in Tetilla wirklich Subdermalräume? Man könnte mit gleichem Rechte sagen, dass es eben Crypts sind. — Bei Craniella sol! es nun also sein: „In den jüngsten Exemplaren zerfällt die Cortex in zwei Regionen, von welcher eine teilweise fibrös, mit dem Choanosom kontinuierlich ist“. Die andere bildet eine Umhüllungs- membran und ist von der ersten geschieden durch eine große Höhle, „Subdermalhöhle“. Die definitive Cortex besteht also hier aus „Dermal- membran“ und „metamorphosierten Teilen des Choanosoms“, während sie bei Stelletta nur aus „Dermalmembran“ sich ausbildet. Der sub- kortikale Crypt von Stelletta u. a. soll nun homolog der Subdermal- höhle von Craniella u. a. sein. Aber auch hier kann ich Sollas nicht beistimmen. Mir scheinen die beiden Fälle nicht so grundverschieden. Wir sehen bei beiden Formen eine innere Masse, welche Geißelkammern trägt und eine äußere, welche diese entbehrt. Warum Sollas die Grenze zwischen Ektosom und Choanosom bei Craniella eben halb- wegs der fibrösen Schicht annimmt, verstehe ich nicht. Es liegt kein Grund vor, die Cortex aus Ektosom und Choanosom entstehen zu lassen. Die Grenze zwischen beiden ist nicht scharf. Allerdings nicht; sie ist nie in sehr jungen Exemplaren und oft in erwachsenen an vielen Stellen kaum mit Sicherheit anzugeben. Erst allmählich wird bei Craniella die Grenze deutlicher, und wenn die charakteristischen kortikalen Stabnadeln aufgetreten sind, wird sie erst zweifellos. Ich sehe nicht ein, warum man bei Craniella juv. nicht nur dasjenige Choanosom nennen soll, was eben unterhalb der Faserschicht liegt. 4) Die Membranen, welche öfters im Lumen der größern Kanäle ausgespannt sind, nennt Verf. Vela. 408 Vosmaer, Systematik der Spongien. Das übrige ist Ektosom. Ich habe für diese Annahme eben so viel Recht als Sollas für die seinige, und glaube nun die Sache ein- facher und uatürlicher machen zu können. Mit Sollas nenne ich die großen Räume unter der Dermis bei der jungen Craniella Sub- dermalräume, wenn man überhaupt schon eine Bezeichnung verlangt in diesem Stadium. Ich nenne aber die faserige Schicht unter den Subdermalräumen und zwischen diesen und den Geißelkammern, Ekto- som. Was Sollas bei Stelletta (in casu 8. phrissens) „subeortical Orypt“ nennt, fasse ich selbstverständlich ebenfalls so auf, homologi- siere es aber keineswegs mit den Subdermalräumen von Craniella. Die wahren Homologa dieser findet man bei Stelletta auch; es sind die oberhalb in einen äußerlich vom Ektochon gelegenen Lakunen. Bei Stelletta phrissens sind die Crypts groß, die Subdermalhöhle dagegen relativ klein; bei Craniella simillima sind die Verhältnisse umgekehrt. Offenbar hat es Sollas eingeleuchtet, dass diese Auffassung näher bei der Hand liegt. Die faserigen Schichten in beiden Schwämmen „would naturally be regarded as equivalent“. Er glaubte aber auf Grund der embryonalen oder vielmehr juvenilen Verhältnisse die Sache anders deuten zu müssen. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass dies nicht notwendig ist. Verf. acceptiert Zittel’s Terminologie inbetreff die Typen des Kanalsystems, und meint damit einfach das Arrangement der Haupt- kanäle. Was ich 1.—4. Typus nannte, bezeichnet er als Typen des Kammersystems. Den einfachsten „Typus von Kanalsystem“ findet man bei Plakina monolopha F. E. S.!). Bei keiner „Tetractinellide“ ist es so primitiv, aber am nächsten steht in dieser Hinsicht Epallax callocyathus Soll. Wie in den meisten platten, dünnwändigen Schwäm- men sind auch hier die Oscula an einer Seite, der konkaven, während die Poren an der andern Seite gelegen sind. Auf Schnitten sieht man an beiden Seiten ein angebliches Ektosom, welches ein gefaltetes Choanosom einschließt. Plakina monolopha fasst Verf. auf als ein Rhagon mit mehrfach gefaltetem Choanosom. Wie nun aber der becherförmige Epallae vom Rhagon abzuleiten sei, bleibt fraglich. Nur die Embryologie kann diese Frage lösen. Entweder die beiden Seiten sind mit ektodermalen Epithel bekleidet, und dann ist der die Oseula tragende Teil einem „Hypophare“ zu vergleichen. Oder, wie Verf. in Eneyel. Brit. zu wünschen scheint, die Oscularseite ist mit entodermalem Epithel bedeekt, und dann würde die Innenseite des Bechers dem Paragaster entsprechen. In dem Falle nennt Verf. die osceulatragende Dermalschicht „Endosome“. — In kleinen oder jungen sphärischen Schwämmen sind die Axen der Faltung oder Ein- resp. Ausstülpungen radiär angeordnet. Bei großen und ausgewachsenen 1) und Oscarella lobularis sagt Sollas. Doch dies ist wohl ein lapsus calami. Vosmaer, Systematik der Spongien. 409 Exemplaren ist dies weniger deutlich zu sehen, obwohl doch eine gewisse Tendenz zu einer radiären und einer konzentrischen Anord- nung der Kanäle vorhanden scheint. Etwas ähnliches sieht man bei den Kanaltypus, wie Siphonia und Petrosia zeigen. Den Kanaltypus von Thenea fasst Verf. als eine Modifikation des Siphonia-Typus auf. Die radiär- symmetrische Anordnung der Hauptkanäle bei Disyringa similis Soll., (nahe verwandt an Agrlardiella Schulzii\, Tetilla radiata und T. japonica meint Verf. durch regelmäßige Faltung des Choano- soms zu erklären; er ist keinenfalls geneigt aus dieser regelmäßigen Anordnung ein Argument zu gunsten der Ansicht, als seien die Schwämme degenerierte Coelenterata, zu schöpfen. Histologisches. Das „Ektoderm“ ist ein Plattenepithel und bekleidet die äußere Oberfläche, die Interkortikalhöhlen und über- haupt das Einströmungssystem. Die flachen Zellen werden „pinaco- eytes“ genannt. Eine Cuticeula kommt nicht vor. Die Kragenzellen nennt Verfasser „choanoceytes“. Wie dies auch Bidder angegeben hat, verschmelzen die Kragen benachbarter Zellen oft zu einer dünnen Membran („Film“). Bei „Monawonids, Suberitidae, Tethyidae“ kommt diese Membran nicht vor. Wenn sie vorhanden war, konnte Verf. keine Geißeln sehen. Das „Mesoderm“ ist in seiner einfachsten Form ein Gallertgewebe, welches Sollas „collenehyma“ nennt; die darin vorkommenden Stern- und Spindelzellen heißen „eolleneytes“. Verschiedenen Modifikationen des Collenchyms, werden besondere Namen beigelegt. Wenn die be- kannten Körnchen nicht nur spärlich rings um die Geißelkammern liegen, sondern ein sogenanntes körniges Bindegewebe bilden, nennt Verf. dieses modifizierte Collenchym „sarcenchyma“. Das sogenannte Blasen- gewebe wird „eystenchyme“ genannt, das konsistente Knorpelartige „ehondrenchyme“. Die Reservenahrungszellen, wie die bei Thenea, sind früher vom Autor u. a. beschrieben und heißen jetzt „thesocytes“ ; Pigmentzellen = „chromatocytes“ ; Spindelzellen — „inocytes“ ; Muskel- zellen = „myocytes“; Sinneszellen — „aesthocytes“. Ein großer Raum (ea. 50 S.) wird dem Skelet und dessen Ele- menten gewidmet. Verf. hat verschiedene Spicula einer chemischen Untersuchung unterworfen und gefunden, dass 6,1 bis 7,34°/, Wasser und also 93,9 bis 92,66 °/, Kieselsäure vorhanden ist, während Thoulet 13,18, Schulze 7,16°/, Wasser gefunden haben. Die Kieselsäure kommt vor in der Form etwa von Opal. Es ist ein organischer Zentralfaden und eine organische Scheide vorhanden; letztere vielleicht chemisch mit Kiesel gemischt. Nur gewisse ganz kleine Spicula scheinen keine Axe und Scheide zu haben. Für die Spieula hat nun Verf. auch eine neue Terminologie, ziem- lich wohl im Einklang mit der von Ridley und Dendy (vergl. Biol. A410 Vosmaer, Systematik der Spongien. Centralbl., Bd. VII, 5. 690). Das System ist folgendes: Die Megasclera zerfallen in fünf Gruppen: Monaxona, Tetraxona, Triaxona, Polyaxona und Sphaerae. Die Monaxona können sein entweder diactina oder mo- nactina, eine Unterscheidung, welche auch schon Ridley und Dendy machten, wie auch die meisten der Ridley-Dendy’schen Namen acceptiert sind. Nur finden wir bei Sollas: Strongycelad und Tyloclad, welche Namen wohl mit C/ladostrongyla und Cladotylota der genannten Autoren stimmen. Wenn man, wie Sollas, und gewiss mit Recht über die jämmerliche Konfusion in der Terminologie klagt, so muss man sich doch etwas Mühe geben, selber daran nicht mitzuwirken. Aber zur Sache. Was sind diese Strongylocladen, Oxycladen ete.? Es sind diaetinische Nadeln, deren eine Extremität in zwei oder mehr sekundären Strahlen oder „elade“ endigt. Als besondern Fall dieses Verhältnisses fasst nun Verf. den auf, dass drei „eladi“ vor- handen sind und nennt diese Spieula „triaene“. Es wird gewiss manchen erstaunen zu hören, dass die bekannten Anker und Gabel- anker Schmidts, welche ich Stumpf-, Recht- und Spitzwinkler > (M. ta. 9 = 90°) genannt habe, hier gemeint sind. Nicht das ge- < ringste Argument wird beigebracht, warum diese Spieula als modifi- zierte (diactinische) Stäbe aufgefasst werden müssen, statt als tetraxone Nadeln. Sollas gibt zu, dass ich „possibly quite rightly sup- pose(s) it has been derived from a tetraxon“. Natürlich; denn es liegt auf der Hand — wenn man eine Gruppe tetraxone Nadeln an- nimmt, wie auch S. thut, dass die charakteristischen Nadeln der Tetruxonina hierher gehören! Es kann nur ein Grund vorliegen, hiervon abzuweichen, nämlich, wenn die Ontogenese uns zwingt; dies ist aber absolut nicht der Fall. Wollen wir also um Gotteswillen die erwähnten Nadeln bei den tetraxonen Spieula lassen. Sollas nun rechnet zu diesen allein die sogenannten Vier- und Dreistrahler, die Tetra- und Trisceles Haeckels. Warum Verf. nun diesen Namen in „ealthrops“ und „triods“ verändert hat, vermag ich nicht einzu- sehen, und ebensowenig, warum diese Nadeln nicht ebenso gut wie die oben erwähnten als modifizierte „rhabdi“ aufgefasst werden. Das Absurde von Sollas Verfahren ist, glaube ich, klar. Ich komme hierauf noch zurück. — Unter den Megascleres will ich noch eine Form erwähnen, nämlich das „desma“, das eigentümliche Lithistiden- Spieulum. Je nachdem sie ein Rhabdus, Tetraxon oder keines von beiden als Grundlage („erepis“, xomrug) haben, werden „rhabdocrepid, tetracrepid, acrepid desmas“ unterschieden. Die Hauptformen der Microselera (von welcher nach Sollas die Megasclera abgeleitet sind) lassen sich in zwei Gruppen bringen: spiralische und radiäre. Zu den ersten rechnet er nun: Sigmaspira, Sigma, Toxa, Chela, Globula, Toxaspira und Polyspira. Die radiäre Vosmaer, Systematik der Spongien. 411 oder „Asters“ zerfallen zunächst in zwei, nämlich „euasters“, wo die Radien von einem zentralen Punkte ausgehen, und die „streptasters“, wo die Radien von einer größern oder kleinern Axis abgehen. Beide Gruppen zeigen mancherlei Reduktionen und Abweichungen. Ich kann hier an dieser Stelle nicht auf eine genaue Kritik dieser Terminologie eingehen, und will nur noch einen Namen erwähnen für solche Micro- sclera, welche zusammen in einer Zelle entstehen und in Häufchen zusammenbleiben. Verf. nennt diese „dragmas“ und, je nachdem es toxas, sigmas etc. sind, „toxadragmas“, „sigmadragmas“ ete. Verf. gibt ein interessantes Kapitel über die genealogischen Ver- hältnisse der Spieula unter einander. Wie gesagt stammen nach ihm die Megaselera von den Microsclera. Obwohl dies wohl möglich ist, so scheint es mir doch nur als eine bloße Annahme, denn das Faktum, dass alle Spieula klein angelegt werden, kann uns nichts helfen. Auch das Faktum nicht, dass es Tetraxonia gibt, welehe nur Microsclera besitzen. Dagegen steht die Thatsache, dass die Megaselera außer- ordentlich rasch sich völlig ausbilden und dass es auch Schwämme gibt, welche nur Megasclera besitzen. Uebrigens ist es nicht ausge- macht, dass diejenigen Teiraxonia, welche nur Mierosclera besitzen, primitive Formen sind. Die „triaenes“, sagt Verf., sind entweder abgeleitet von „ealthrops“, durch Verlängerung eines Strahls, oder von „rhabdi“ durch Verästelung („terminal eladosis“). Die erste Hypothese, sagt er weiter, „has in its favour an appearance of simplieity; the latter is supported by a great deal of direet evidence, both ontogenetie and morphologieal“. Diese „direet evidence“ ist nun, dass Verfasser bei Tetillidae, die jüngsten Triaenae als Oxytylota angelegt fand, d. h. er fand Formen, welche so zu sagen zwischen Oxytylota und Triaena ständen. Dies beweist aber noch gar nicht, dass es modifizierte, sich zu Triaenae ausbildende Oxytylota seien. Es kann ebenso gut angenommen werden, dass die Knöpfe der Oxytylota Reste von Radien der Triaenae sind. Wir wissen dureh die sorgfältigen Untersuchungen zunächst von Max Schultze, dann aber besonders auch von F. Eilhard Schulze, dass bei Hexactinelliden sämtliche, oder fast sämtliche Spieula von Sechs- strahlern abzuleiten sind. Wir sind gezwungen anzunehmen, dass bei Hexactinelliden die Spieula ursprünglich eine Tendenz haben, sit venia verbo, dreiaxig zusein. Sollas hat vergessen, bei seinen zwei Suppositionen, dass es eine dritte gibt, nämlich, dass die Triaenae von Haus aus vieraxig seien!). Wenn man dies annimmt, so sind wenigstens teilweise die Einaxer als modifizierte Vieraxer aufzufassen und dazu können den Zwischenformen ebenso gut eine Stütze liefern als für Sollas Annahme. 1) Ich lasse die Möglichkeit, dass auch diese von triaxialen Spicula stam- men — eine Annahme, für welche uns die Hexactinelliden Stütze geben — außer Frage. +2 Vosmaer, Systematik der Spongien. Klassifikation. Die Schwämme bilden nach Sollas ein Unterreich, Parazoa, welches zwischen Protozoa und Metazoa steht. Von erstern sind die Parazoa verschieden, weil sie „heteroeytal“ sind, von letztern weil das „Endoderm“ ganz oder teilweise von Kragen- zellen ausgekleidet ist. Das „Phylum Spongiae“ wird verteilt in zwei Klassen: Megamastictora und Micromastictora!), welche neue Namen sind für meine Calcaria und Incalcaria. Die Micromastictora zer- fallen nach Verf. in drei Subklassen: Myxospongiae, Hexactinellida und Demospongiae. Die Hexactinellida sind mit meinen Hyalospongiae identisch, während Sollas’ Demospongiae übereinstimmen mit meinen Spieulispongiae 4 Cornacuspongiae, aber Minus die Genera Halisarca, Oscarella, Bajalus und Chondrosia. Ich gebe zu, dass die Grenze zwischen Hyalospongiae und Spieulispongiae oder (a fortiori) Cornacu- spongiae größer ist als zwischen den beiden letztern unter sich. Sollas gibt an, Spongin gefunden zu haben selbst bei Lithistidae, und meine Untersuchungen nach diesem Stoff bei Spieulispongiae im allgemeinen, haben mich jetzt gelehrt, dass es besser ist die Ayalospongiae meinen beiden andern gegenüber zu stellen. Ich habe jetzt ebenfalls bei Spieulispongiae Spongin gefunden und will darum die Demospongiae von Sollas als Gruppe acceptieren. ‘Jedoch... . mit Eivnschließung seiner Myxospongiae, denn gegen diese als Gruppe equivalent mit Hexac- tinellida muss ich mich mit Nachdruck erklären. Ich habe in „Bronn“ (p. 474) die Gründe gegeben, warum ich die Oligosilicina (= Myxo- spongiae Autt.) in nähere Beziehung zu den Tetraxonia und Pseudo- tetraxonia brachte. Ich glaube Sollas hat den betreffenden Passus nicht genau gelesen. Er verwirft meine Annahme, dass die genannten Schwämme ihr Skelet eingebüßt haben, weil es dafür „no shred of evidence“ gebe. In seinem Artikel „Sponges“ in der „Encyclopedia Britannica“ schreibt er: „we may very reasonably assume that in these three groups we have a series due to loss of characters, the Chondrillae being reduced Tethyadae and the Chondrosidae reduced Chondrillae“. Aber trotzdem schließt er die Chondrosina von den Spieulispongiae aus, wodurch die zweifellos einander nahe ver- wandten Ohondrosia und Chondrilla in zwei verschiedenen Klassen (!) kommen. Dies ist unrichtig, und ebenso unrichtig ist seine Behaup- tung, dass die „Halisarcidae are characterised by great simplieity, both in the Chamber-System and in the Canal-System“. Wenn dies auch für Halisarca wahr sein kann, für Oscarella ist es sicher nicht der Fall. Oscarella hat ein sehr ausprägtes „Diplodal-System“. Und gibt es denn ein „shred of evidence“, die Myxospongiae als „persistent simple forms“ anzusehen? Sie sind nicht „simple“; im Gegenteil. Sollas verteilt nun seine Demospongiae in zwei „tribes“: Tetrac- tinellida und Monaxonida. Auch hierin kann ich ihm nicht beistimmen, N ne en > Vosmaer, Systematik der Spongien. 415 da ich noch immer überzeugt bin, dass ich gut daran that, die „Monac- tinellidae“ aufgelöst zu haben. Ich habe dies in meinem Handbuch, aber besonders auch in dieser Zeitschrift (Bd. VI Nr.6u.7) begründet und werde es hier nicht wiederholen. Ich behalte meine Spieuli- spongiae und Cornacuspongiae bei. Diese sind dann aber nicht mehr je gleichwertig den Hexactinellida, sondern beide zusammen. Die Klassifikation muss also nach Sollas und meinen neuen Unter- suchungen folgendermaßen modifiziert werden: Typus Porifera. Classis I. Porifera incalcaria. Subelassis I. Hexactinellida. Subelassis II. Demoterellida'). Ordo I. Spieulispongiae. Ordo 11. Cornacuspongiae. Classis II. Porifera calcaria. Die Schwämme, welehe Sollas in seinem Challenger-Report be- handelt, gehören nun alle zu meiner Ordnung Spieulispongiae, und ich will also zunächst über dieFrage diskutieren, inwieweit ich meine Unter- abteilungen dieser Ordnung aufrecht halte. In der Hauptsache thue ich es. Es verdient Ueberlegung, ob vielleicht die Lithistina den andern Unterordnungen gegenüber gestellt werden sollen, wie Sollas seine Tetractinellida in Choristida und Lithistida zerlegt. Dies würde viel- leicht richtig sein; jedoch sehe ich noch keinen zwingenden Grund. Die Choristida von Sollas kommen nun mit meinen Tetraxonina?) überein, und obwohl Verfassers Klassifikation dieser Gruppe noch viel zu wünschen übrig lässt, so ist sie doch jedenfalls besser als mein Provisorium (vergl. Bronn p. 318). — Die Oligosilicina, Pseudo- tetraxonina und Clavulina werden, wie gesagt, von Sollas mit den Ceratina, Halichondrina ete. unter einem Tribus (Monaxonida) ge- bracht. Und doch scheint Verf. selber geneigt, mir wenigstens teil- weise zu folgen, denn die Tethyidae kommen auch unter den „Choristida“ vor, mit der Bemerkung: „although this family has been placed in the Monaxonida, this seems to be its more natural position“ (Eneyel. Brit. p. 423). Die Choristida zerfallen nach Sollas nun in drei Unterordnungen: 1. Sigmatophora (Choristida, in welchen die Microsclera, wenn überhaupt vorhanden, Sigmaspirae sind). Hierher gehören die Tetillidae (4 Genera) und die Samidae (1 Genus: Samus). 2. Astrophora (Choristida, in welchen ein [oder mehr] der Microsclera ein Aster ist); 4) Ich mache diesen Namen, um an den Stamm von Sollas’ „Demo- spongiae* (deuörnoos) zu erinnern, und einen gleichlautenden Ausgang für gleichwertige Divisionen (in casu Subelassis) zu haben. 2) Tetractina schreibt Sollas ungeachtet meiner Errata-Liste in Bronn und meiner seitdem erschienenen Berichte im Zool. Jahresber. Neapel. 414 Ludwig, Lakustrische Stationen. hierher: Theneidae (8 Genera), Pachastrellidae (3 Genera), Stellet- tidae (16 Genera), Geodiidae (7 Genera), Placospongidae (1 Genus). 3. Microsclerophora (Choristida ohne Megasclera); hierher: Placi- nidae (2 Genera), Corticidae (4 Genera), Thrombidae (1 Genus). Die Lithistidae zerfallen zunächst in 1. Hoplophora (Lithistida mit besonderer ektosomaler Spieula; meistens mit Microsclera); hier- her: Tetracladidae (8 Genera), Corallistidae (5 Genera), Pleromidae (2 Genera), Neopeltidae (1 Genus), Scleritodermidae (2 Genera), Clado- peltidae (1 Genus). 2. Anoplia (Lithistida ohne ektosomale Spieula und ohne Microslera); hierher: Azoricidae (9 Genera), Anomocladidae (1 Genus). Im Ganzen beschreibt Verfasser 45 Genera mit 230 Species von Choristida, und über 30 Genera mit zwischen 60 und 70 Species von Lithistida. Die meisten Beschreibungen sind ausführlich, mit Berück- sichtigung der Anatomie und begleitet von Abbildungen. Fast alles Anatomische inbetreff der Lithistida ist neu. In einer Zeitschrift wie das „Biologische Centralblatt“ darf ich nicht näher auf spezielle sogenannte systematische Fragen eingehen. Ich hoffe aber zu seiner Zeit noch manches aus dieser nach vielen Richtungen vorzüglichen Monographie zu diskutieren. G. €. J. Vosmaer {Utrecht in Holland). Die botanischen Aufgaben der von O. Zacharias geplanten lakustrischen Station !). In den wissenschaftlichen Zeitschriften, wie in den Tagesblättern, ist man dem Plane des Herrn Dr. Ö. Zacharias, der Errichtung einer Süßwasserstation, welche mit der bekannten Meeresstation in Neapel die gleichen Ziele verfolgen soll, sehr sympathisch begegnet. Es ist thatsächlich unsere Kenntnis der Lebewesen des Süßwassers eine noch so dürftige, dass man sich billig wundern muss, dass man nicht schon lange auf die Idee gekommen ist, sich zur Er- forschung unserer Binnenseen an diesen auf einige Zeit mit allen Instrumenten ausgerüstet niederzulassen, anstatt in die Ferne zu schweifen. Merkwürdiger- weise ist bisher bei der Erörterung des Zacharias’schen Planes aber immer nur von einer zoologischen Station die Rede gewesen und doch hätten die Botaniker nicht minder Grund, einmal eine planmäßige Erforschung des Süßwasserlebens vorzunehmen. Botaniker und Zoologen könnten gemeinsam an der geplanten Station arbeiten und sich dabei sogar wohl recht oft gegen- seitig in ihren Arbeiten fördern. Die Verbreitung der Wasserpflanzen ist zum teil noch der eingehenden Untersuchung bedürftig, welche den Landpflanzen längst zu teil geworden. 1) Wir geben dem nachstehenden Aufsatz aus der „Naturwissenschaft- lichen Wochenschrift“ wieder, weil der Gegenstand von besonderer Wichtigkeit ist und schon früher von uns auf denselben hingewiesen wurde. Die Redaktion. nn Ludwig, Lakustrische Stationen. 415 Wir erinnern nur an den Nachweis Aschersons, dass verschiedene Ultri- cularia- Arten eine weitere Verbreitung auch bei uns haben, die man vordem nur aus andern Ländern kannte. Von den niedern Organismen gilt dies erst recht. In der Rabenhorst’schen Kryptogamenflora gehen die schwierigern Pilze bereits ihrem Abschluss entgegen, die Bearbeitung der deutschen Algen- flora steht noch bevor. Welch anderes Bild würde sich da ergeben, wenn man recht bald eine planmäßige Erforschung der Seen vornehmen könnte. Welch geringer Teil der Wasserbecken Deutschlands ist bisher und wie ungenau ist dieser erforscht. Bei der kleinen Gruppe der gegenwärtig zu den Algen gestellten Armleuchtergewächse ist dies nicht anders. Zwar hat Dr. Migula, welcher für die genannte Kryptogamenflora die Bearbeitung dieser Gruppe übernommen hat, an die Botaniker die Bitte um Mitteilung über die Verbreitung der Characeen gerichtet; aber wie wenig wird auch hier heraus- kommen, wenn nicht eine planmäßige Durchforschung der Einzelgebiete vor- genommen wird. Zur geologischen Durchforschung schickt der Staat jähr- lich zahlreiche Forscher aus — an eine botanisch-zoologische Durch- forschung ähnlicher Art, an der Hand der Generalstabskarten ist leider bisher noch nicht gedacht worden. Ein Anfang dazu würde gemacht werden, wenn ortwechselnde Stationen im Sinne von O. Zacharias eine hinreichende staat- liche Unterstützung fänden. Die Mikroflora würde durch fortgesetzte Unter- suchung des durch Schleppnetz eingebrachten Materials gründlich erforscht werden und welch herrliche entwicklungsgeschichtlichen Ergebnisse würde dieselbe liefern! De Bary und Zopf haben in wenigen Litern Wasser, das sie Teichen entnommen haben, durch Aufstreuen von Pollenkörnern, Sporen, eine ganze Anzahl neuer Phycomyceten gezüchtet und entdeckt. Wenn in gleicher Weise oder durch chemische Ködermittel — man denke an die Köde- rung der Spermatozoen durch Apfelsäure ete., die Chemotaxie vieler Wasser- organismen — oder durch Herstellung von Nährkulturen (Bakterien!) die Organismen der deutschen Wasserbecken planmäßig aufgefangen und unter- sucht würden, welche Fülle des Neuen würde es ergeben! Und wie anders würde dem angehenden Naturforscher die Natur erscheinen, wenn ihm Ge- legenheit geboten würde an der Quelle selbst zu schöpfen, zu studieren und das vom Katheder herab ihm überkommene Wissen praktisch zu festigen. — Wenn die systematische Durchforschung eines Landes im Rohen vollendet ist, dann fängt in der Regel erst die biologische an. In Europa liegt dieser Zeitpunkt bezüglich der Landlebewesen weit hinter uns. Die Namen Sprengel, Hildebrand, Delpino, Hermann Müller kennzeichnen den Anfang und Höhepunkt dieser Studien; in Nordamerika ist man später zur biologischen Forschung gekommen, erst in der Gegenwart beginnt dort ein eifriges Unter- suchen, wie es die zahlreichen und umfangreichen biologischen Abhandlungen beweisen, welche jetzt aus Amerika kommen. In Australien ete. ist man noch völlig in dem systematischen Stadium. Inbezug auf die Wasserflora geht es uns wie den Amerikanern mit der Landflora; wir fangen erst an. Als ich meine kleine Arbeit: „Die Bestäubungsverhältnisse der Sißwasserpflanzen“ (Kosmos V, 1881) schrieb, da war über dieses Thema fast nichts bekannt. Hermann Müller hatte mich zur Erforschung der betreffenden Verhältnisse aufgefordert. In der Arbeit von H. Schenk: „Die Biologie der Wasser- gewächse“ findet sich eine weitere Reihe neuer Fragen gelöst, aber es ist in der biologischen Untersuchung der Wasserpflanzen doch nur ein Anfang ge- macht; hier ist ein weites Beobachtungsfeld für die lakustrischen Stationen. Die Bestäubungsverhältnisse echt hydrophiler Süßwasser-Pflanzen 446 Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. sind bisher nur für wenige Pflanzen (für Ceratophyllum demersum 1881 von mir) aufgedeckt worden; die Bestäubungsvermittler der entomophilen Arten sind nur durch beharrliche längere Beobachtungen an Ort und Stelle zu ermitteln; es ist hier noch sehr wenig bekannt. Bei gewissen Pflanzen, die ohne Zweifel zoidiophil sind, hat man die Ueberträger des Pollens überhaupt noch nicht ermittelt. So ist es z. B. für die Wasserlinsen (Lemna) erwiesen, dass sie der auf dem Wasserspiegel sich umhertummelnden Tiere zur Befruchtung bedürfen (in dem in systematischer Beziehung vortrefflichen Werk von Engler und Prantl: „Die natürlichen Pflanzenfamilien“ ist die biologische Literatur bei einzelnen Familien sehr unzulänglich, und die Be- stäubungsverhältnisse der Wasserpflanzen sind zum teil ungenügend beschrieben), ob aber Wasserinsekten oder — wie Delpino vermutet — Schnecken hier und bei Calla palustris thätig sind, bedarf noch der Untersuchung. Für die Errichtung der Station, für die staatliche Subvention sehr zu wünschen wäre, ist zunächst der Plöner See in Holstein in Aussicht genommen worden. Derselbe bietet neben seinen zoologischen Schätzen auch eine reiche Flora, wie dies schon eine kleine floristische Zusammenstellung in der Programm- Abhandlung von Kuphaldt (Programm der Fıöner Gelehrtenschule 1883) be- weist, er erscheint also für den ersten Anfang besonders geeignet. Möchte es dem unermüdlichen Eifer des Dr. O0. Zacharias recht bald gelingen, seine Idee einer zoologisch- botanischen Süßwasserstation am Plöner See zu verwirklichen. Prof. F. Ludwig. W. Behrens, T’abellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. Braunschweig. Harald Bruhn. 1887. Dr. Behrens in Göttingen hat ein Heft zusammengestellt, welches zahl- reiche für den Mikroskopiker wertvolle Angaben enthält. Aus diesem Grunde halten wir es für angezeigt, auf das schon vor zwei Jahren erschienene Werkchen nochmals an dieser Stelle hinzuweisen. Insbesondere erwünscht dürften die Mitteilungen sein, welche sich auf die Zusammensetzung und Einwirkungsdauer der verschiedenen Härtungs-, Konservierungs- und Aufhellungsmittel beziehen. Dazu gesellen sich noch zahlreiche Rezepte zur Herstellung von Tinktions- und Imprägnationsmitteln, Einbettungssubstanzen und Verschlusslacke. Das, was in den verschiedenen Anleitungen zur mikroskopischen Praxis zerstreut sich vorfindet, ist hier wie in einem Brennpunkte vereinigt und zur schnellsten Benützung an die Hand gegeben. Das Behrens’sche Heft ver- dient aus diesem Grunde die weiteste Verbreitung in den Kreisen der berufs- mäßigen Botaniker und Zoologen. Der Preis desselben beträgt 2 Mk. 40 Pf. 0. 2. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wünschen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten anzugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Phyei siologie in Ban 24 Nummern von je 2 Bogen bilden. einen Band. Preis des "Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanst: alten. IX. Band. 15. u: 1889. Mr. 1. Inhalt: Praznow sky , Das w esen und die biologiache'R Bedeutung der Wurzelknöllchen der Erbse. — Grassi, Ueber Grassia Ranarum Fisch. — Langendorfl, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. — Fricke, Ueber psychische Zeitmessung (Drittes Stück). Das Wesen und die biologische Bedeutung der Wurzel- knöllchen der Erbse. Von Dr. Adam Prazmowski. [Vorläufige Mitteilung] }). In einer zu Ende des vergangenen Jahres im Botan. Centralblatt veröffentlichten Mitteilung hat Verfasser dargethan, dass die Wurzel- knöllehen der Papilionaceen nieht zu den normalen Bildungen der Wurzel gehören, vielmehr durch einen besondern Pilz hervorgerufen werden, welcher die Knöllchen bewohnt und dessen Keime auch im Boden vorkommen müssen. Ueber die wahre Natur dieses Pilzes konnte er damals noch nichts Bestimmtes sagen; es wurde bloß fest- gestellt, dass der fragliche Knöllehenpilz im jugendlichen Zustande der Wurzel, in der Mehrzahl der Fälle durch Wurzelhaare, in die Wurzel eindringt, und in derselben in Form von mehr oder weniger verzweigten, unseptierten Schläuchen fortwächst, welche nach außen von einer derben und glänzenden Membran umgeben, im Innern aber mit Unmassen winzig kleiner, einfach stäbehenförmiger Körperchen erfüllt sind. Unter Einwirkung dieses Pilzes wird in der Tiefe der Rinde das junge Knöllchen angelegt und in diesem verwandeln sich nach Differenziernng seiner Gewebe die bakterienähnlichen Inhalts- körperchen des Pilzes in die sogenannten „Bakteroiden“, indem sie, durch Auflösung der Pilzmembranen frei werdend, sich mit dem plasmatischen Inhalte der Wirtzellen vermengen, sich durch Wachstum und Spaltungen weiter vermehren, bei einigen Pflanzen auch durch Gabelungen verzweigen. Inbezug auf die biologische Bedeutung der 1) Aus den Bulletins der k. k. Akademie der Wissenschaften zu Krakau. Juni 1889. Mitgeteilt vom Herın Verfasser, IX, 27 418 Prazmowski, Wurzelknöllchen der Erbse. Knöllchen hat Verf. kein endgiltiges Urteil abgegeben; er vermutete bloß, dass dieselben aller Wahrscheinlichkeit nach in die Reihe der „symbiontischen“ Erscheinungen gehören, welche sowohl für den Pilz, als auch insbesondere für die Wirtspflanze von Nutzen. sind. Gleichzeitig mit seiner Abhandlung sind ausführliche Mitteilungen über Wurzelknöllchen von Vuillemin, Beyerinck, Hellriegel und Wilfarth veröffentlicht worden, deren Untersuchungen zum teil zu den nämlichen, zum teil zu abweichenden und sogar einander widersprechenden Resultaten führten. Es schien dem Verf. deshalb wünschenswert, die Frage noch einmal einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen, und dies um so mehr, nachdem die Mittel zur Aus- führung der erforderlichen Versuche ihm aus dem Landesfonds bereit- willigst gewährt wurden. Die Untersuchungen wurden an der Erbse ausgeführt, die schon in frühern Jahren am eingehendsten nach dieser Richtung hin vom Verf. geprüft wurde. Die nachstehend mitgeteilten Resultate beziehen sich deshalb in erster Linie auf diese Pflanze; es ist aber vorauszu- sehen, dass auch die übrigen Papilionaceen sich nicht wesentlich anders verhalten werden. Die Hauptergebnisse der Untersuchungen des Verf. lassen sich in folgende Sätze kurz zusammenfassen: 1) Die Wurzelknöllchen der Erbse sind keine normale Bildungen der Wurzel, denn sie werden in sterilisierten und vor zufälliger In- fektion geschützten Medien nie gebildet; sie entstehen immer nur auf dem Wege der Infektion. 2) Die infizierenden Knöllehenorganismen sind Bakterien, in Form und Eigenschaften mit denjenigen identisch, welche zuerst von Beyerinck aus den Knöllehen verschiedener Pflanzenspecies heran- gezüchtet wurden. Namentlich aus jugendlichen Knöllchen können die Bakterien leicht in Reinkultur erhalten und dann .durch beliebig lange Reihen von Generationen vermehrt werden. Der ursächliche Zusammenhang zwischen den so gezüchteten Bakterien und den Wurzel- knöllehen wurde durch eine Reihe von exakten Versuchen bewiesen, in denen zur Infizierung von Pflanzen Kulturen verwendet wurden, welche durch Tausende von Generationen von den ursprünglich aus den Knöllchen gezüchteten Bakterien getrennt waren. Nach zwölf- maligem Ueberimpfen waren die Bakterien ebenso wirksam und brach- ten ebenso zahlreiche Knöllehen an den Wurzeln hervor, wie die direkt den Knöllchen entnommenen. 3) Die Bildung der Knöllehen erfolgt nur im jugendlichen Zu- stande der Wurzel und ihrer Verzweigungen; ältere und zur Zeit der erfolgten Infektion ausgewachsene Teile der Wurzel können durch Knöllehenbakterien nicht mehr zur Ausbildung der Knöllchen ver- anlasst werden. Infiziert man die Pflanzen erst zwei bis drei Wochen nach dem Aufgange der Samen, so bleiben sämtliche Wurzelteile, Prazmowski, Wurzelknöllchen der Erbse. 419 welche zu dieser Zeit schon ausgewachsen waren, bis zum Lebens- ende der Pflanze knöllchenfrei. 4) Die Knöllehenbakterien dringen direkt durch jugendliche (nicht verkorkte!) Zellmembranen in die Wurzelhaare und Epidermiszellen der Wurzel ein, und vermehren sich dort auf kosten des plasmatischen Inhaltes der Zellen. Ihre weitere Entwicklung wurde bis jetzt nur in Wurzelhaaren beobachtet. Nachdem die Bakterien sich im Wurzel- haare massenhaft vermehrt haben, vereinigen sie sich in der Nähe des Scheitels desselben zu traubenförmigen Konglomeraten von Kolonien, welche sich immer dichter aneinanderlegen, dann sich mit einer derben und glänzenden Membran umhüllen und unter Vermittlung der letztern mit der Zellmembran des Wurzelhaares verwachsen. Es entsteht so an der Innenwand des Haares und nahe am Scheitel ein glänzender Knopf, welcher in den meisten Fällen noch von freien, d. h. nicht mit Membran umhüllten Bakterienkolonien, umgeben ist. Um diesen Knopf krümmt sich der Scheitel des Wurzelhaares hirtenstab- oder schraubenförmig ein, so dass der Bakterienknopf in die Mitte der Schraube zu liegen kommt, und dann wächst aus demselben gegen die Basis des Wurzelhaares ein hyphenähnlicher Schlauch hervor, welcher nach Außen von einer glänzenden Membran umgeben und im Innern mit Bakterien dicht erfüllt ist. 5) Von diesem Stadium an bis zur Ausbildung des Knöllchens und Differenzierung seiner Gewebe ähnelt der Bakterienschlauch in seinem Verhalten einem echten Hyphenpilz, denn er wächst an seinem Scheitel fort und erzeugt unterhalb desselben Verzweigungen, die sich ebenso verhalten. 6) Der Bakterienschlauch wächst nun unter den schon früher be- schriebenen Erscheinungen (Bot. Centralblatt, 1888) aus dem Wurzel- haar in die Epidermis und in die Rinde der Wurzel hinein, er kann bis zur Endodermis des zentralen Wurzelzylinders eindringen. Er durchbohrt die Membranen der Rindenzellen, spaltet sie meistenteils in zwei Lamellen und verbreitet sich in dem so gebildeten Spalte, so dass an den Durchwachsungsstellen eine mehr oder weniger deutliche Anschwellung entsteht, welche nach Außen von den beiden Lamellen umgrenzt, im Innern aber mit Bakterien dieht erfüllt ist. Die Bak- terienschläuche wachsen im Innern der Rindenzellen in der Richtung gegen die Zellkerne hin, und diese legen sich ihnen meistenteils so dicht an, dass sie an ungefärbten Präparaten in der Mehrzahl der Fälle als solehe nicht unterschieden werden können. In diesem eigen- tümlichen Verhalten der Zellkerne liegt wohl der Grund dafür, dass Beyerinck die Bakterienschläuche für Reste der Zellkernteilungen hielt und sie als „Schleimfäden“ bezeichnete. Hervorzuheben wäre noch, dass auf dem ganzen Wege, welchen die Bakterienschläuche durchlaufen, außerhalb derselben keine freien Bakterien im Inhalte der Zellen angetroffen werden; sämtliche Bakterien sind in diesem 27° 420 Prazmowski, Wurzelknöllchen der Erbse. Stadium der Entwicklung des Knöllchens in den Schläuchen einge- schlossen. 7) Sobald die Bakterienschläuche in die tiefern Schichten der Rinde eingedrungen sind, fangen die nächst ihnen gelegenen Zellen an, sich durch Teilungen zu vermehren. Anfangs gehen die Teilungen langsam und unregelmäßig von Statten, später in sehr rascher Auf- einanderfolge, namentlich in den 4 oder 5 innersten Schichten der Rinde. Gleichzeitig sprossen aus den Bakterienschläuchen zahlreiche und dünne Zweige hervor, welche in die neu entstandenen Zellen hineinwachsen und sich in ihnen durch weitere Verzweigungen ver- breiten. Infolge dieser Teilungen bildet sich alsbald in der Tiefe der Rinde ein meristematisches Gewebe, welches durch weitere Tei- lungen rasch an Größe zunimmt und in welchem sich bald die charak- teristischen Gewebe des Knöllchens differenzieren. In der Mitte ent- steht ein parenchymatisches, ziemlich weitzelliges Gewebe, dessen Zellen nach allen Richtungen von den reich verzweigten Bakterien- schläuchen durchsetzt werden, später durch Auflösung der Membranen der Schläuche sich mit den aus denselben befreiten Bakterien erfüllen und so zum „Bakteroidengewebe“ der Autoren werden. Nach außen differenziert sich die Rinde des Knöllchens, welche aus etlichen Lagen von inhaltsarmen und in der Richtung des Radius zusammengedrückten Zellen besteht, deren Membranen später verkorken. Zwischen dem Bakteroidengewebe und der Rinde verbleibt eine Lage vom klein- zelligen, teilungsfähigen und bakterienfreien Gewebe: das Meristem oder der Vegetationsscheitel des Knöllehens. Im hintern Teile dieses Meristems werden später die zahlreichen Fibrovasalbündel des Knöll- chens gebildet, welche als Verzweigungen des im zentralen Fibrovasal- bündel der Wurzel entspringenden Hauptstammes entstehen, und mit der weitern Entwicklung des Knöllchens unter Gabelungen fortwachsen. Zwischen den Fibrovasalsträngen und dem Bakteroidengewebe bleibt noch eine Lage von Zellen erhalten, welche bakterienfrei sind und hauptsächlich Stärke als Inhalt führen: die sogenannte Stärkeschichte. 8) Die Stelle, an welcher die Bildung des Knöllchens erfolgt, ist durch die in die Wurzel eindringenden Bakterienschläuche vorge- zeichnet. Da nun die Bakterien an beliebiger Stelle der Wurzel ein- dringen und ihre Schläuche in beliebiger Riehtung in der Rinde fort- wachsen, so ist auch die Stellung der Knöllchen keine regelmäßige; sie können sowohl gegenüber dem Xylem, wie gegenüber dem Phlo&m, als auch dazwischen angelegt werden. Zieht man noch den Umstand in betracht, dass das Perikambium zur Erzeugung der Gewebe des Knöllchens nichts beiträgt und nur die Vereinigung zwischen den Fibrovasalbündeln der Wurzel und des Knöllchens herstellt, so ist kein Grund vorhanden, die Wurzelknöllchen als metamorphe Neben- wurzeln aufzufassen, wie dies von van Tieghem, Beyerinck u.a. geschehen ist. Prazmowski, Wurzelknöllchen der Erbse. 491 9) Nachdem die Gewebe des Knöllchens sich differenziert haben und die Bakterien durch Auflösung der Membranen der Schläuche frei geworden sind (nicht alle Bakterienschläuche werden aufgelöst, ein Teil derselben bleibt erhalten), vermengen sich letztere mit dem plasmatischen Inhalte der Zellen, vermehren sich in diesem durch Wachstum und Spaltungen, nehmen gabelige Gestalt an und werden so zu „Bakteroiden“. Die weitern Schicksale der Bakterien in den Knöllehen hängen innig mit der Rolle zusammen, welche denselben im Haushalte der Pflanze zukommt, weshalb es nötig erscheint, vorerst die biologische Bedeutung der Knöllchen klarzulegen. 10) Um die Rolle der Bakterien im Leben der Pflanzen kennen zu lernen, hat Verf. Versuche angestellt nach einer Methode, welche es ermöglichte, die Pflanzen nur dem Einfluss der Knöllchenbakterien mit Ausschluss aller übrigen Organismen auszusetzen, sonst aber die übrigen Vegetationsbedingungen für sämtliche Pflanzen einer Ver- suchsreihe gleichzuhalten. Mit Rücksicht auf die Anschauungen der praktischen Landwirte über die bodenbereichernden Eigenschaften der Leguminosen, sowie mit Rücksicht auf die damit in Uebereinstimmung stehenden Resultate der bekannten Hellriegel’schen Versuche, wurde ein Teil der Versuchspflanzen mit allen nötigen Nährstoffen versehen, ein anderer Teil erhielt alle Nährstoffe mit Ausnahme des Stick- stoffs. Diese Versuche, welche mit peinlichster Sorgfalt und mit allen möglichen Vorsichtsmaßregeln ausgeführt waren, haben ergeben, dass durch die Knöllehenbildung die Ernährung und Entwicklung der Pflanzen gefördert wird, indem selbst Pflanzen, denen alle Nährstoffe zur Verfügung standen, ein kräftigeres Wachstum zeigten und höhere Ernten ergaben, wenn sie mit Knöllchenbakterien infiziert waren, als ebensolche Pflanzen ohne Mitwirkung von Bakterien. Pflanzen, welche in einem vollständig stickstofffreien Boden sich entwickelten und auf Knöllchen infiziert waren, wuchsen ohne Unterbrechung normal und gesund, als wenn ihnen kein wichtiger Nährstoff im Boden fehlte; sie ergaben auch in der Ernte einen ziemlich ansehnlichen Stickstoff- gewinn. Da ebensolche und unter ganz gleichen Bedingungen wach- sende, aber nicht infizierte Pflanzen verhungerten und in der Ernte keinen oder nur geringen Stickstoffgewinn zeigten, so ist damit wohl endgiltig der Beweis erbracht, dass unter Vermittlung der Knöllchenbakterien die Pflanzen (Erbsen) aus dem Stickstoffvorrat der Atmosphäre mit diesem Nährstoff versorgt werden. 11) Woher dieser Stickstoffgewinn stammt, ob aus den Stickstoff- verbindungen, oder wie Hellriegel will, aus dem elementaren Stick- stoff der Atmosphäre, darüber lassen die Versuche des Verf. noch kein endgiltiges Urteil fällen. In gleicher Weise ist Verf. zur Zeit noch nicht im stande sicher zu entscheiden, welcher Anteil bei dieser Stickstoffaufnahme den Knöllchenbakterien und welcher der Pflanze 499 Prazmowski, Wurzelknöllchen der Erbse. selbst zukommt? Die Versuche über diese Fragen sind teils im Gange, teils werden sie in nächster Zeit angestellt werden. 12) Dagegen kann Verf. schon jetzt genauere Angaben machen über die Art und Weise, wie sich die Pflanze die Gegenwart der Bakterien in den Wurzelknöllehen zu Nutze macht. Kultiviert man Bakterien aus den Knöllchen der Erbse in künstlichen Nährmedien, so vermehren sie sich in unbegrenzter Zeit einfach durch Spaltungen, behalten dabei die Form eines einfachen Stäbehens und ihre Beweg- lichkeit. Im Knöllchen, also unter dem Einfluss der Pflanze, behalten sie die normale Gestalt eines einfachen Stäbchens nur so lange, wie sie in den Schläuchen enthalten sind; sobald sie aber nach Auflösung der Schlauchmembranen in direkte Berührung mit dem Plasma der Wurzelzellen treten, werden sie bald in Gestalt verändert, indem sie sich gabelig verzweigen und so zu Bakteroiden werden. In diesem Zustande der Bakteroiden können sie sich noch eine Zeit lang ver- mehren unter fortwährender Bildung von Seitenzweigen selbst dann, wenn sie aus dem Knöllchen heraus, in geeignete Nährlösung ver- setzt werden. Mit der weitern Entwicklung des Knöllchens geht ihnen aber auch diese Eigenschaft verloren, ihr Körper wird hyalin und löst sich schließlich unter eigentümlichen Erscheinungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, auf. Mit dieser Auf- lösung geht eine Resorption des Inhaltes der Bakteroidzellen Hand in Hand; dieselben entleeren sich unter Zurücklassung von gewissen Inhaltskörpern, deren chemische Natur noch näher zu untersuchen wäre. Aus allen diesen Erscheinungen ergibt sich, dass die Pflanze sich nach und nach der Bakterien bemächtigt und ihre Körpersubstanz sich zu Nutze macht. 13) Wann die Entleerung beginnt und mit welcher Energie die- selbe verläuft, hängt in erster Linie von der Menge der Stickstoff- verbindungen ab, welche der Pflanze im Boden zur Verfügung stehen. In einem an Stickstoffnährstoffen reichen Boden geht die Entwicklung der Bakterien im Knöllehen ungehindert von statten, die Knöllchen wachsen zur ansehnlichen Größe heran, ihr Bakteroidengewebe ist mit Bakteroiden und Bakterienschläuchen dicht erfüllt, zeigt eine fleischrote Färbung und erhält sich in diesem Zustande zuweilen bis zur Reife der Pflanzen. Die Auflösung der Bakteroiden mit darauf folgender Entleerung der Bakteroidzellen geht alsdann langsam und unregelmäßig von statten, beschränkt sich anfangs nur auf etliche Knölleheu und wird erst gegen Lebensende der Pflanzen beschleunigt. Unter entgegengesetzten Lebensverhältnissen, bei Mangel an Stick- stoffnahrung, beginnt die Entleerung frühzeitig und geht im raschen Tempo von statten; die sich entleerenden Knöllchen bleiben in der Entwicklung zurück, und ihr Bakterioidengewebe nimmt statt der fleischroten eine grünlich- graue Färbung an. 14) In beiden Fällen beginnt die Entleerung in den ältesten hin- nie Prazmowski, Wurzelknöllchen der Erbse. 423 tern Teilen des Bakterioidengewebes und schreitet von da nach dem Vegetationsscheitel des Knöllchens vorwärts. In der Nähe des Vege- tationsscheitels an der Stelle, wo der Zuwachs des Bakteroiden- gewebes aus den Teilungen des Meristems stattfindet, bleibt aber eine Zone erhalten, deren Zellen keine Entleerungserscheinungen zeigen und mit Bakterien dicht erfüllt sind. Aber auch in den ältern Teilen des Bakteroidengewebes ist die Entleerung keine vollständige; es bleiben hier noch zahlreiche, anscheinend lebensfähige Bakterien und mit Bakterien erfüllte Schläuche zurück, welche nach dem Tode der Pflanze durch Fäulnis der Knöllchen wieder in den Boden gelangen. In der Vegetationsperiode der Pflanze findet ebenfalls ein fortwähren- der Uebergang der Bakterien aus den Knöllchen in den Boden, da die Knöllehen, wahrscheinlich infolge ihres Eiweißreichtums, für zahl- reiche, namentlich tierische Feinde eine sehr willkommene Beute dar- stellen, und durch. dieselben beschädigt werden. In solchen durch Insektenfraß besehädigten Knöllchen sieht man öfters die Bakteroiden- massen der Zellen von Neuem sich mit Membranen umhüllen und die so entstandenen Bakterienschläuche durch Sprossungen in immer kleinere und von Membranen umgebene Kolonien zerfallen, ein Vor- gang, den Verf. früher, als ihm die wahre Natur der Knöllchen- organismen unbekannt war, als eine Art Sporenbildung aufgefasst hat. 15) Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass die Wurzelknöllchen symbiontische Bildungen zwischen gewissen Bodenbakterien und be- stimmten Teilen der Wurzel einer hochorganisierten Pflanze dar- stellen, welche sowohl für Bakterien, als auch für die Wirtspflanze von Nutzen sind. Die Bakterien finden in den Zellsäften der Wurzel eine ihren Bedürfnissen entsprechende Nahrung, können sich auf kosten dieser Nahrung durch unzählige Generationen hindurch ver- mehren und von diesen Vermehrungsstätten aus sowohl während des Lebens der Pflanze, als auch insbesondere nach deren Tode wieder im Boden verbreiten. Für die Pflanze ist die Symbiose mit Bakterien dadurch nützlich, dass sie sich unter Vermittlung derselben mit einem für ihre Lebensprozesse so überaus wichtigen Nährstoffe, wie Stick- stoff, welcher überdies im Boden meistenteils in zu geringen Mengen enthalten ist, versorgen kann. 16) Obgleich beide Teile aus der Symbiose Nutzen ziehen, so ist doch die Pflanze gegenüber der Bakterie entschieden besser situiert. Sie ist in diesem Falle die stärkere, sie bemächtigt sich eher oder später der Bakterien, sie setzt auch ihrer Vermehrung dadurch eine Grenze, dass sie ihre Lebenskraft schwächt und schließlich ihre Körpersubstanz auflöst, um sie für Lebenszwecke zu verarbeiten. Da nun die Pflanze die stärkere ist, so richtet sie ihr Zusammen- leben mit Bakterien so ein, dass sie aus deren Gegenwart den größt- möglichen Nutzen ziehe. Sie schließt die Bakterien in einem paren- chymatischen Gewebe (dem Bakteroidengewebe) in der Mitte des 494 Grassi, Ueber Grassia Ranarum Fisch. Knöllchens ein, und umgibt dasselbe nach außen mit einer Lage von verkorkten Zellen, welche das Eindringen von andern niedern Orga- nismen verhindern, gleichzeitig aber auch die Knöllehenbakterien nicht aus dem Knöllchen heraustreten lassen. Sie legt an der Spitze des Knöllehens ein Meristem an, welches durch Teilungen immer neue Lagen von Zellen und damit neue Herde für die Vermehrung der Bakterien erzeugt, um sich einen ununterbrochenen Zuwachs von Bakterien in dem Maße zu sichern, als sie die in ältern Teilen des Bakteroidengewebes enthaltenen Bakterien für ihre Lebenszwecke verarbeitet. Zwischen dem Bakteroidengewebe und der verkorkten Rinde bildet sie schließlich ein reichverzweigtes System von Fibro- vasalbündeln, welches augenscheinlich den Zweck hat, einerseits die für die Ernährung der Bakterien und Erzeugung der Eiweißsubstanzen (die Knöllchen sind bekanntlich sehr eiweißreiche Organe) nötigen Baustoffe (Kohlenhydrate!) aus den oberirdischen Organen zuzuführen, anderseits aber die durch Auflösung der Bakteroiden gewonnenen Substanzen den oberirdischen Teilen zuzuleiten. Diese Ein- und Aus- wanderung der plastischen Stoffe wird dadurch ungemein erleichtert, dass die Membranen der Bakteroidzellen äußerst zart und dünn sind. Um schließlich einem Mangel der zur Vermehrung der Bakterien und Erzeugung von Eiweißsubstanzen nötigen Baustoffe vorzubeugen, wird das Bakteroidengewebe mit einer Lage von Zellen umgeben, in denen Stärke vorübergehend als Reservestoff aufgespeichert wird. Man ersieht daraus, dass auch die anatomische Struktur der Knöllehen dem eigentümlichen symbiontischen Verhältnis, wie solches zwischen den Knöllchenbakterien und den Leguminosenpflanzen sich herausgebildet hat, vollkommen angepasst ist. Ueber Grassia ranarum Fisch. Eine kleine Bemerkung zu Dr. Sechuberg’s Aufsatz (im Biolog. Centralblatt vom 1. Juli 1889). Von Prof. Battista Grassi. Herr Dr. Schuberg, der so sehr gewissenhaft mir mit einem Ausrufungszeichen einen den Sinn der Sache durchaus nicht ver- wirrenden Druckfehler hervorhebt, versäumt dagegen vollständig her- vorzuheben, wie sehr gering meine Verantwortlichkeit inbetreff der Grassia ranarum, dieses wahrscheinlichen Pseudoparasiten, ist. In meiner von Schuberg zitierten Abhandlung des Jahres 1881 (S. 67) findet der Monere? delle-Raganelle (Grassia ranarum Fisch) seinen Platz im fünften Kapitel, welches den Titel trägt: „Von einigen zweifelhaften Formen.“ Ich erkläre darin ausdrück- lich, diesen Parasiten nur ein einziges mal in Pavia flüchtig (alla sfuggita) beobachtet zu haben (ich war damals Student der Medizin im vierten Jahre und hatte das wenige, was ich wusste, durch mich selbst gelernt) und setzte hinzu, ihn in Rovellasca stets vergebens gesucht zu haben, fügte daher bei, dass ich mich somit, wenn auch Grassi, Ueber Grassia Ranarum Fisch. 495 wider meinen Willen, auf sehr unvollständige Andeutungen beschränken müsste. Wie man sieht, hatte ich ihn wirklich für einen Parasiten ge- halten, ließ dem Leser jedoch freies Feld zu befürchten, dass ich mich irren könne. Als nun aber Fisch die kontraktilen Vakuolen und die Teilung dieses Monere? delle Raganelle (dem ich nicht einmal gewagt, die lateinische Taufe zu geben) beschrieb, glaubte ich zuversichtlich, dass es sich um einen Parasiten handle und drückte mich auch so aus gelegentlich einer vorläufigen Mitteilung, die zum Zwecke hatte, viele Originalbeobachtungen an andern Protozoen- Parasiten zu referieren. Die Gründe des Dr. Schuberg wecken nun große Zweifel an den Beobachtungen Fisch’s. Es kann sein, dass Schuberg in allem, außer in dem, was er zwar nicht ausdrücklich sagt, aber vermuten lässt, ich hätte mich eingehend mit dem in Rede stehenden Pseudoparasiten beschäftigt, recht hat; bewiesen ist es allerdings noch nicht. Wenn ich es unternehme, diese an und für sich geringfügige Sache zu berichtigen, so geschieht es nur, weil ich nur einmal mir erlauben möchte zu bemerken, dass wir, die wir in italienischer Sprache schreiben, das Glück haben, nicht sehr selten Fachgenossen zu begegnen, welche es lieben, uns entweder gar nicht oder sehr unvollständig zu zitieren, sobald sie sich in dem Falle befinden, etwas gefunden zu haben, was wir schon vor ihnen gefunden hatten, dagegen ein großes Vergnügen daran finden, sich der Bekanntschaft unsrer Arbeiten zu rühmen, so- bald wir uns geirrt, oder sie doch wenigstens glauben, dass wir uns geirrt haben!). Im Allgemeinen gebe ich grundwenig auf die Mehrzahl der Citationen, mit denen der größte Teil der Arbeiten überschwemmt ist und die doch fast immer nur der Citierende und der Citierte liest, aber ich meine, dass wer nun einmal den Vielunterrichteten spielen will, vor allem darauf sehen muss richtig und vollständig zu eitieren, jede Zweideutigkeit beiseite zu lassen und sich nieht nur darauf be- schränken darf, das zu eitieren, was dazu dient, die eigene, große Geschicklichkeit leuchten zu lassen. Heidelberg, im Juli 1889. 1) Ich spreche hier nur von solchen, die sich mit denselben Gegenständen beschäftigen, mit welchen ich mich beschäftigt habe. Von andern (wie z. B. Lang, der in seiner „Vergleiehenden Anatomie“ meine „Monographie der Sagitten“ vollständig ignoriert und so in verschiedene Fehler verfällt; Wiedersheim, der in seiner „Vergleichenden Anatomie der Wirbel- tiere“ meine Entwicklungsgeschichte der „Wirbelsäule der Celeostier“ ganz unberücksichtigt lässt etc. ete., bin ich nicht berechtigt mich zu be- klagen. Ich übergehe hier auch den leider sehr häufigen Fall, in welchem ein Verfasser, der entweder der italienischen Sprache nicht genügend mächtig ist oder auch die Mühe scheut, eine ganz in italienischer Sprache geschriebene Abhandlung zu lesen, mir Ansichten zuschreibt, welche ich nicht geäußert habe. 426 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. Von Prof. ©. Langendorff in Königsberg. Wenn es richtig ist, dass unsere Annäherung an das Verständnis eines natürlichen Geschehens im umgekehrten Verhältnis steht zur Zahl der neben einander geltenden Meinungen darüber, so müssen wir eingestehen, vom Verständnis der Schilddrüsenfunktion noch weit entfernt zu sein. Seit alten Zeiten hat man über sie viel nachgedacht, spekuliert, gefabelt und wenig gewusst. Haben nun auch viele von den frühern Anschauungen ihre Geltung verloren, so stehen doch auch die neuern meistens auf keiner zuverlässigern Grundlage. Es hat für den jetzigen Physiologen einen eignen Reiz, die Irrtümer früherer Zeiten an sich vorüberziehen zu lassen und mit den Irrtümern der Gegenwart zu vergleichen. Die Alten hatten die Meinung, die Schilddrüse liefere eine Flüssig- keit, die das Innere des Kehlkopfes und der Luftröhre feucht erhalte. Bis in die neueste Zeit hat diese Ansicht Anhänger gehabt. Morgagni, Santorin, Winslow verfochten, wenigstens eine Zeit lang, den Satz, dass die Drüse eine Verbindung mit der Kehlkopfhöhle habe. Die anatomische Lage einerseits, anderseits die in früherer Zeit viel ver- breitete Angabe, dass bei starken Atmungsanstrengungen, beim Blasen, heftigern Drängen u. s. w. Luft in die Drüse eintrete, sie anschwellen mache, „Blähhals“ erzeuge, machte das Bestehen einer solchen Ver- bindung gewiss sehr wahrscheinlich. Aber so oft die Entdeckung eines Ausführungsganges auch gemacht wurde, ebenso oft erwies sie sich als nichtig. Der neueste Entdecker dürfte Ricou sein, der auch im Jahre 1870 neben andern Enthüllungen über die Funktion der Schilddrüse mitteilte, dass er einen Ausführungsgang derselben ent- deckt habe, der in der Nähe der Stimmbänder in den Kehlkopf münde, und durch den man auf Druck ein klebriges weißrötliches Sekret hervortreten lassen könne. Andere dachten an eine Kommunikation mit der Speiseröhre; ein Anatom des vorigen Jahrhunderts, Cosch witz, behauptete, das Foramen coecum der Zunge sei die Ausmündungsstelle des Drüsenganges — eine Behauptung, die heute unser Interesse erregen darf, weil sie vielleicht durch entwicklungsgeschichtliche Beobachtungen veranlasst war, und weil wir in der That jetzt wissen, dass der unpaare Teil der embryonalen Schilddrüsenanlage mit der Zungenwurzel durch einen Gang zusammenhängt, dessen Ausmündungsstelle als Foramen eoecum persistiert. Im Zusammenhang mit der erwähnten angeblichen Beziehung der Drüse zu den Luftwegen steht die Behauptung, dass die Schilddrüse für die Stimmbildung von Bedeutung sei. So die Meinung von Lalouette (1750), welcher vermutet, dass das Sekret, vielleicht durch die Lymphgefäße sich ergießend, das Kehlkopfinnere befeuchte Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. 427 und dadurch die Stimme weicher mache. Uebrigens beschreibt schon dieser Forscher in der Schilddrüse Bläschen, die durch feine Mem- branen von einander gesondert und mit einer viskösen, zähen Flüssig- keit gefüllt seien — eine Entdeckung, die gewöhnlich viel spätern Unter- suchern zugeschrieben zu werden pflegt. Andere Ansichten haben neuere Autoren über die Beziehungen der Drüse zur Stimmbildung geäußert. Nach Erdl (1847) soll durch sie der Blutverbrauch des Stimmorgans reguliert werden; die sie deekenden Muskeln verhinderten durch Kompression der Drüse das Eindringen von Blut in dieselbe und leiteten es der Art. laryngea zu. C. L. Merkel (1857) glaubt, dass der Druck, den „behufs gewisser phonischer Zwecke“ die Halsmuskeln auf den Kehlkopf und die Luft- röhre ausüben sollen, durch die wie ein Polster dazwischen geschal- tete Drüse zu einem gleichmäßigern gemacht werde. P. Martyn (1857) sagt, die Schilddrüse mache die schlaffe Trachea starr und dadurch zur Hervorbringung reiner Töne geeignet; durch ihr Gewicht und ihre Dichtigkeit wirke sie als Verstärkungsmittel, mache sie den Ton voll und sonor; endlich unterstütze sie dureh die Veränderlichkeit ihrer Gestalt, ihres Gewichtes, ihrer Dichte und ihres Druckes die Modu- lation der Stimme. — Häufig kehrt in ältern und neuern Schriften die Angabe wieder, dass die Schilddrüse Beziehungen zum Geschlechtsapparat unter- halte. Nicht nur während der Pubertätszeit und zur Zeit der Menses soll sie anschwellen, auch während der Schwangerschaft soll sie sich vergrößern, ja schon der erste Koitus soll eine Zunahme ihres Um- fanges bringen. Mit der Annahme, dass aus der Dicke des Halses die stattgefundene Defloration zu erkennen sei, steht im Zusammen- hang die schon den Römern bekannte Sitte, den Hals neuvermählter Frauen mittelst eines Fadens zu messen und das Messungsergebnis zur Prüfung der Virginität zu verwerten. Bardeleben gibt noch 1841 an, dass bei brünstigen Hirschen und bei trächtigen Hündinnen die Schilddrüse schwelle, und im Gegen- satz zu andern Beobachtern, die nach der Fortnahme der Schilddrüse den Geschlechtssinn hatten erlöschen sehen, fand er (1844) bei einem Kaninchen nach dieser Operation sogar eine Steigerung des geschlecht- lichen Bedürfnisses. Neuerdings hat wieder H. Freund (1833) darauf hingewiesen, dass das Volumen der Drüse bei zunehmender Funktion des weib- lichen Genitalapparates, bei den Menses, bei der Schwangerschaft und in der Geburt, anwachse — eine Angabe, die gewiss richtig ist, deren Richtigkeit aber doch nichts für direkte Beziehungen der Drüse zur Geschlechtsfunktion beweisen könnte. — Eine wesentlich kosmetische Bedeutung schrieb Wharton der Schilddrüse zu, indem sie die Formschönheit des Halses erhöhe. Andere erklärten sie für das Organ des Schlafes, noch andere für 498 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. ein Hilfsorgan des Atmungsapparates, für eine „Vorlunge“, die die Funktion der Lunge ersetzen könne. Erwähne ich noch die Meinung, sie diene im Embryo zur Wärmebildung, sie nehme den überschüssigen Chylus in sich auf, sie habe die Aufgabe, Luftröhre und Kehlkopf vor Abkühlung und Beschädigung zu bewahren, sie sei eine Lymph- drüse, sie verwandle den Chylus in Lymphe — — so ist die Auf- zählung der Ansichten zwar noch lange nicht erschöpft, aber sie dürfte genügen zu der Erkenntnis, wie unfruchtbar und allen Phantasien freies Spiel gebend eine lediglich auf die anatomische Beobachtung gegründete Betrachtungsweise ist. Und wie dürftig waren oft selbst die anatomischen Grundlagen! Diejenigen Ansichten über die Bedeutung der Schilddrüse, die in neuerer Zeit größere Beachtung gefunden haben, und die, wenigstens teilweise auf mikroskopische und chemische Beobachtungen, auf exaktere mechanische Betrachtungen und auf das vivisektorische Ex- periment sich stützen, lassen sich in drei bis vier Gruppen unter- bringen. I. Schon ältere Forscher haben vermutet, dass in der Schilddrüse das Blut wichtige Veränderungen erleide. Von der Annahme einer sekretorischen Funktion der Drüse aus- gehend, glaubte der berühmte Ruysch, sie bereite einen eigenartigen Saft, der durch die Venen anfgenommen und dem Blute zugeführt werde. Diese Ansicht ist oft von Neuem, so z. B. von A. Ecker, ausgesprochen worden, und sie müsste in dieser allgemeinen Fassung auch heute noch als annehmbar bezeichnet werden, wenn die eigen- tümlich zähe Beschaffenheit des Sekretes und seine Ansammlung in den großen Lymphräumen der Drüse nicht eher an eine Deponierung wie an eine Fortführung denken ließen. Andere haben die Drüse für ein Blutbildungsorgan erklärt und mit der Milz verglichen. Man führt diesen Vergleich gewöhnlich auf Tiedemann zurück; doch ist er unzweifelhaft älter. Neuere Forscher haben ihn aufgenommen, indem sie sich wohlgemut darüber hinwegsetzten, dass man über die Bedeutung der Milz selber so gar nichts weiß, und dass, wie schon der alte Soemmering bemerkte, die beiden Organe in ihrem Bau einander doch gar nicht ähnlich sind. Größere Ansammlungen von Leueoeyten kommen in der Schilddrüse vieler Tiere gar nicht vor, und niemals ist in ihr etwas zu finden, was man als eine Vorstufe roter Blutkörperchen deuten könnte. Wenn Orede (1882) in einem Falle nach Milzexstirpation beim Menschen die Schild- drüse sich vergrößern und mit ihrer Vergrößerung die Zahl der Blut- körperchen sich vermehren sah, so ist, wie schon Kocher treffend ausgeführt hat, daraus auf einer vieariierenden Eintritt der Schild- drüse für die Milz nicht zu schließen, sondern es kann sich nur um Zufälligkeiten u. a. gehandelt haben. In keiner Weise stichhaltiger Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. 429 sind die Schlussfolgerungen, zu denen Zesas (1884) durch seine Tier- versuche geführt worden ist. Spezieller hatte sich schon im Jahre 1853 O0. Kohlrausch über die blutbildende Funktion der Thyreoidea geäußert. Der epitheliale Ueberzug der Drüsenbläschen besteht nach ihm lediglich aus embryo- nalen Blutkörperchen; der wahrscheinlich aus Globulin bestehende Bläscheninhalt liefere vermutlich das Bildungsmaterial für diese „Brut- zellen“. Die Bläschen seien nichts als Nebenanhänge der Blut- oder Lymphgefäße. Zu denjenigen, die der Schilddrüse eine blutkörperchenbildende Funktion zuschreiben, hat sich neuerdings auch der englische Chirurg Horsley (1884, 1886) gesellt. Nach Fortnahme der Schilddrüse bei Tieren fand er eine Abnahme der roten, später auch der farblosen Blutkörperchen. Da er ferner, bei einer vergleichenden Untersuchung des der Drüse zu- und von ihr abströmenden Blutes, in der Vene eine Zunabme von roten Blutkörperchen um 7 Prozent hatte fest- stellen können, schließt er auf die hämatopoötische Bedeutung des Organs. Ich kann dazu nur bemerken, dass man, wie oben erwähnt, in der mikroskopischen Beschaffenheit der Schilddrüse nicht den ge- ringsten Anhalt für eine solche Aufgabe findet, und dass auf eine Bereicherung des Blutes an roten Blutkörperchen aus der bloßen Zählung im Arterien- und Venenblut nicht geschlossen werden darf, da ja ein einfacher Wasserverlust während des Durchströmens die relative Blutkörperzahl ebenfalls vermehren müsste. Nach Malassez u. a. soll der Blutkörperchengehalt in den Venen überhaupt größer, wie in den Arterien, sein. Cohnstein und Zuntz zeigten, dass man bei solchen Vergleichungen besondere Vorsichtsmaßregeln ergreifen muss, um nicht zu unrichtigen Ergebnissen zu gelangen. Abgesehen davon haben zwei italienische Forscher, Sanquirico und Canalis (1884) im Gegensatz zu Horsley angegeben, dass nach Entfernung der Schilddrüse quantitative Veränderungen in den morpho- logischen Bestandteilen des Blutes nicht eintreten. Die nach Kropf- exstirpation beobachtete Anämie (Kocher) braucht wohl nicht auf eine blutbildende Funktion des entfernten Organs bezogen zu werden. Auch Virchow (1887) will aufgrund der Horsley’schen Unter- suchungen, denen zufolge auch herdweise Anhäufungen Iymphoider Elemente im Stroma der Drüse vorkommen sollen, ihr eine geringe hämatopoetische Bedeutung zugestanden wissen. Andere Beobachtungen haben andere dazu verführt, in die Schild- drüse im Gegenteil eine Zerstörung roter Blutkörperchen zu verlegen. So schloss dies aus seinen sonst vortrefflichen mikroskopi- schen Untersuchungen der englische Histologe Cresswell Baber(1881). In den Drüsenfollikeln beobachtete er nämlich sehr häufig rote Blut- körperchen in verschiedenen Stadien des Zerfalles und die Epithel- zellen sah er mit den Trümmern derselben sich beladen. Indess ist 430 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. nach meinen Erfahrungen das Vorkommen von intakten oder zer- fallenden roten Blutkörperchen in den Follikelräumen im ganzen ein so seltenes, dass daraus Schlüsse auf die Funktion unmöglich gezogen werden dürfen. — Auch Kocher (1833) scheint an Blutkörperchenzerstörung in der Drüse zu denken. Indem er die Angabe von Berthelot anführt, dass das Blut der Schilddrüsenvene weniger Blutkörperchen, dagegen mehr flüssige Bestandteile enthalte, als das Jugularvenenblut, meint er, es könnte daraufhin vielleicht angenommen werden, dass die Schild- drüse die Blutkörperchen in leichter assimilierbare Eiweißstoffe ver- wandelt, und dass nach Kropfexstirpation diese Vorverdauung zum Schaden der Gewebe ausfällt. Größern Wert scheint er dieser Hypo- these indess nicht beizulegen. Auch zu den Blutgasen ist die Schilddrüse in Beziehung gesetzt worden. Hofrichter (1820) glaubte, aus der Art der arteriellen Versorgung der Drüse (Ursprung der Arterien unter stumpfem Winkel, geschlängelter Verlauf, häufige Anastomosen) schließen zu müssen, dass das Blut sehr langsam durch die Drüse fließt. Indem er dieser Eigentümlichkeit die ihm auffallende Umwandlung des Arterienblutes in venöses zuschrieb, erkannte er darin die wichtige Bedeutung des Organs, dass es dem Blute gehörig Kohlenstoff zuführe und Sauerstoff entziehe, den Organismus somit vor einer sonst unfehlbar eintretenden Ueberoxydation des Blutes und vor einem Mangel an Brennstoff zu schützen habe. Eine Anschauung, die doch wohl selbst für die da- malige Zeit etwas naiv klingt! Im Gegensatz zu ihr, aber kaum mit mehr Recht, behauptet Jüngstens (1874) Lombard, die Drüse verhindere die Anhäufung von Kohlenstoff im Blute bei eintretendem Sauerstoffmangel — wie er sich diesen schwierigen Mechanismus denkt, ist unklar —, und er glaubt darauf die Hypertrophie der Schilddrüse, den Kropf, in sauerstofi- armen (hochgelegenen) Gegenden zurückführen zu können. Albertoni und Tizzoni (1886) sahen bei Hunden, denen sie die Schilddrüse ausgerottet hatten, den Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes tief unter den des normalen Venenblutes sinken. Sie entnehmen daraus, dass die Schilddrüse den Blutkörperchen die Fähigkeit ver- leihe, den Sauerstoff zu binden. Es ist das ein Schluss, der selbst dann viel zu weit ginge, wenn sich die ihm zu Grunde liegenden Thatsachen als richtig erweisen sollten; denn die Veränderung des Gasgehaltes im Blute ist wohl eher auf die Konvulsionen und auf die oft eintretenden dyspnoischen Anfälle zurückzuführen, wie auf den Fortfall einer hypothetischen Funktion, die ganz ohne Analogie da- stehen würde. — Nach Allem, was hier angeführt worden ist, muss man sagen, dass die Behauptung, die Schilddrüse habe Beziehungen zur „Häma- tose“, niemals in ausreichender Weise begründet worden ist, und dass Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. 431 auch die Erwartung, sie könnte je besser begründet werden, nicht viel Wahrscheinlichkeit hat. II. Die meisten Anhänger in älterer und neuerer Zeit hat wohl diejenige Ansicht über die Schilddrüse gezählt, die ihr regulatorische Beziebungen zum Gehirnkreislauf zuschrieb und die man wohl auch als Regulationstheorie bezeichnet hat. Schon Haller hatte hervorgehoben, dass die Drüse eine enorme Blutmenge empfange. Ist doch, seinem Zeugnis zufolge, die obere Schilddrüsenarterie des Menschen nicht selten ebenso stark wie die Carotis interna und die untere sogar nicht nur ebenso groß oder größer wie die Vertebralarterie sondern zuweilen weiter wie die übrige Subelavia. Nach Soemmering (1796) sind die vier Arterien, welche ‚die menschliche Schilddrüse erhält, „zusammengerechnet so groß, dass schlechterdings kein Teil im ganzen übrigen Körper aus der Aorta so große und so zahlreiche Arterien erhält; z. B. das Hirn, das doch so viel größer ist, als die Schilddrüse, erhält doch absolut genommen nicht so große Arterien und verhältnismäßig genommen gewiss nicht den achten Teil so große Arterien“. Kein Wunder, dass vielen die Drüse nur ein „Arterien- und Venenknäuel“ (Huschke) zu sein schien, dass sie mit den Plexus choroidei des Gehirns verglichen und dass sie mit Bereitwilligkeit der Klasse der „Blutgefäßknoten“ zuge- rechnet wurde. Schon im embryonalen Leben ist übrigens ihr Blut- reichtum ein ganz auffallend großer und den der nahegelegenen Thymus und der Speicheldrüsen bedeutend überwiegender (Kölliker). Auch bei manchen Tieren ist die Vaskularisation der Drüse eine überaus reichliche. So hat der Hund allerdings nur eine Schilddrüsenarterie; sie übertrifft aber an Stärke die Carotis interna, und die abführenden Venen sind so mächtig, dass die Jugularis communis fast ausschließ- lich aus der Schilddrüse stammendes Blut führt (Fuhr). Macht man einen Querschnitt durch die Schilddrüse eines Hundes in passender Höhe, so ist man in der That erstaunt, über die Zahl und die Weite der schon bei schwacher Vergrößerung sichtbaren Blutgefäße. Die Kapillargefäße bilden sehr enge Maschen, sind von auffallender Breite und zeigen (nach Zeiss) eigentümliche buchtige oder tropfenförmig dem eigentlichen Lumen aufsitzende Erweiterungen. Die Größe und die Herkunft der die Schilddrüse versorgenden Arterien hatte schon früher den Gedanken an ein Wechselver- hältnis mit dem Gehirnblutlauf aufkommen lassen. Angeregt durch gewisse Vermutungen Hoffmann’s über die Bedeutung des Thymus hat wohl zuerst Schreger (1791) den Gedanken geäußert, die Schilddrüse diene der Regulierung des Hirnblutstromes. Kein passenderes Organ hätte, seiner Meinung nach, die Natur wählen können, um den allzuheftigen Andrang des Blutes zum Gehirn zu verhüten, als die zwischen Hirn und Herz gelegene, mit mächtigen 439 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. und nicht weit von den Gehirnarterien entspringenden Blutgefäßen ausgestattete Schilddrüse. Zwar sei schon die Schlängelung der Ge- hirngefäße dazu angethan, ein zu ungestümes Eindringen des Blutes zu verhüten, aber mit besonderer Liberalität habe die Natur noch andere Wege eingeschlagen, um allen erdenklichen Schutz jenen Teilen angedeihen zu lassen, von deren Unversehrtheit die des ganzen Kör- pers abhängig sei. Ganz besonders bedürfe eines solchen Schutzes das ungeborne Kind, bei welchem wegen seiner Lage und wegen der Unthätigkeit vieler anderer Organe das Gehirn ganz besonders der Gefahr der Blutüberfüllung ausgesetzt wäre. Doch sei auch beim gebornen und erwachsenen Menschen eine solche Steuerung aus mancherlei Gründen notwendig. In vergleichend anatomischer Be- ziehung erwähnt Sch., dass eine Beziehung bestehe zwischen der Ausbildung des Gehirns und der Größe der Schilddrüse; bei den Tieren sei sie deshalb kleiner, wie beim Menschen. Zahlreiche Autoren haben nach Sehreger, zum teil ohne seine Abhandlung zu erwähnen oder zu kennen, mit ähnlichen Gründen ähnliche Ideen verfochten. Mit wenig stichhaltigen Beweismitteln freilich, deren Beleuchtung Hofrichter (1820) sich hat angelegen sein lassen, suchte Rush (1806) den Satz zu stützen, dass die Schilddrüse dazu diene „den Andrang des Blutes nach dem Gehirn zu brechen, und dasselbe gegen die Wirkungen aller der krankhaften Ursachen, welche das Blut nach demselben treiben, zu schützen“. Daneben sollte freilich dieselbe Drüse auch den Körper vor hitzigen Krankheiten bewahren und die Lungengefäße vor gefährlichen Zer- reißungen sichern. Sehr zuversichtlich hat Maignien (1843) die Regulationshypothese verteidigt, die freilich bei ihm eine andere Gestalt erhält. Die Schild- drüsen sind nach ihm „ganglions vasculaires de nature arterielle“, die, unter dem Einfluss einer momentanen oder dauernden Zirkulations- beschleunigung, wegen ihres schwammigen Baues sich aufblähen, turgeszieren, erigieren können. Durch diese Schwellung — und hier führt M. ein neues Moment ein -— werden die nahegelegenen Carotiden komprimiert und so der Blutzufluss zum Großhirn verringert, der zum Kleinhirn dagegen, der durch die Vertrebralarterien geschieht, ver- mehrt. Demgemäß steht seiner Meinung nach die Schilddrüse in naher Beziehung zur Ernährung des Gehirns. Sie ist bei Tieren um so stärker entwickelt, je geringer das Vorderhirn ausgebildet, je niedriger die Intelligenzstufe ist — eine Behauptung, die mir aber so wenig begründet erscheint, wie die behauptete Carotidenkompres- sion. Beim Menschen ist nach ihm die Drüse gradezu ein Maß für die Intelligenz, indem sie bei tiefer stehenden Menschenrassen eine weit größere Entwicklung zeigt, wie bei den höhern, so dass M. so- gar vorschlägt, die Menschenrassen nach der Größe der Schilddrüse neu zu klassifizieren. Daneben schreibt Maignien der Schilddrüse Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. 4553 Beziehungen zu zur Körperbewegung, zum Lauf und Sprung, zum Gebärakt, zur Erectio penis, zur Entwicklung der Brustdrüsen, zur Menstruation und zum Schlaf. Alles das scheint er aus den zirku- latorischen Verhältnissen zu folgern; er gibt aber auch an, vivisek- torische Experimente gemacht zu haben. Man kann sich denken, wie beschaffen dieselben gewesen sein müssen, um solche Folgerungen zu ermöglichen! Die Auffassung der Schilddrüse als eines bloßen Anhängsels der Gehirngefäße kehrt oftmals wieder. So bei Jackson (1844), der ihr die Aufgabe zuerteilt, den Blutlauf durch Hirn und Rückenmark zu beschleunigen, und dadurch der ihn verlangsamenden Thymus ent- gegenzuwirken. Forneris (1858) machte an sich selbst die Beobachtung, dass sein Hals bei beginnendem Schlaf und kurz nach dem Erwachen dicker war, wie am Tage. Indem er diese Volumzunahme ohne weiteres auf die Schilddrüse bezog, schrieb er ihr die Aufgabe zu, während des Schlafes den Ueberschuss von Blut aufzunehmen, der sonst für das Gehirn Verwendung finde. Inwieweit an der von ihm beobachteten Halsanschwellung die horizontale Körperlage beteiligt war, hat For- neris nicht untersucht. Erst neuerlich ist der erhebliche Einfluss der Körperstellung auf das Volumen der Schilddrüse auf grund aus- gedehnter Messungen von Meuli (1884) behandelt worden. Auch nach J. Simon (1844) dient die Schilddrüse der Regulierung der Hirnzirkulation. Doch hatte er zu eingehende anatomische Studien an der Schilddrüse gemacht, um ihr nur die Bedeutung eines arteriellen Divertikels zuzuschreiben. Er meint vielmehr, auch ihre Sekretion sei ableitender Art; sie nehme im umgekehrten Verhältnis zur Hirn- thätigkeit zu und ab. Fülle sich während der Gehirnruhe die Drüse stärker mit Blut, so speichere sie während dieser Zeit ein Sekret auf, das dem Gehirn bei seiner Thätigkeit zugute komme. Nicht unrichtig bemerkt schon Ecker (1853) zu dieser Auffassung, dass von einem Sekret, das von den Venen oder Lymphgefäßen aufgenommen wird, das also jedenfalls erst auf langen Umwegen zum Gehirn ge- langt, nachdem es sich mit der ganzen Blutmasse vermischt hat, nicht wohl anzunehmen ist, dass es dem Gehirn mehr als andern Organen diene. Eine Bemerkung, die auch gegenüber der später zu erwähnen- den Hypothese von Schiff und Ewald ihre Giltigkeit behalten dürfte. In neuerer Zeit hat Ricou (1870) einen andern Gedanken über die regulatorische Bedeutung der Schilddrüse geäußert. Sie ist nach ihm ein schwammiges, aus „venösen Bläschen“ bestehendes Organ; die Bläschen sitzen auf den Venen, wie die Lungenalveolen auf den Bronchialästen. Ihre Funktion besteht darin, dass sie das Gehirn vor Blutstauung schützt. Bei der Exspiration z. B. strömt das sich stauende Blut der V. jugularis interna durch die obere Schilddrüsen- vene ab und rückläufig der Schilddrüse zu; bei der Einatmung da- 1X, 28 454 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. gegen werde es durch die Thätigkeit der kontraktilen Elemente dieses Organs wieder ausgetrieben. Schon vor Ricou hatte Guyon (1868) die Beobachtung gemacht, dass bei länger dauerndem foreirtem Exspirationsstillstand die Caro- tidenäste pulslos werden; in Uebereinstimmung mit Maignien ver- mutete er, dass dies deshalb der Fall sei, weil die infolge der Venen- stauung anschwellende Schilddrüse die Kopfschlagader komprimiere. In Deutschland hat die Regulationshypothese erst Eingang ge- funden, als im Jahre 1864 Liebermeister sie selbständig aufstellte. Er geht davon aus, dass die Aenderungen der Blutverteilung, die bei wechselnder Körperstellung notwendigerweise eintreten müssen, die Anwesenheit regulatorischer Einrichtungen voraussetzen lassen. Es scheinen seiner Meinung nach solche zu bestehen, die im allgemeinen die gleichmäßige Blutverteilung erhalten. Dasjenige Organ aber, welches einerseits durch seine Lage den allergrößten Veränderungen der Blutzufuhr bei Veränderung der Körperstellung ausgesetzt ist, anderseits solche am wenigstens zu ertragen fähig wäre, ist das Ge- hirn. Spezielle regulatorische Vorrichtungen für dasselbe, ein eigenes Organ, dem diese Aufgabe als vornehmlichste Funktion zuerteilt ist, erscheinen demgemäß denkbar, ja erforderlich. Einer solchen Auf- gabe ist die von vier mächtigen Arterien versorgte Schilddrüse völlig gewachsen. „Schon durch das bloße Vorhandensein dieses Organs, in welches ein großer Teil des von den Carotiden und den Subelaviae geführten Blutes ausweichen kann, ist ein sehr wirksames Moment für die Regulierung des Blutzuflusses zu den Teilen gegeben, deren Arterien aus den gleichen Gefäßstämmen entspringen. Offenbar müssen bei einem übermäßigen Andrang des Blutes zu diesem Gefäßgebiet grade die Gefäße der Schilddrüse, die in ein nachgiebiges Parenchym eingebettet sind, mehr als die andern Gefäße sich ausdehnen, einer vermehrten Menge von Blut den Durchfluss gestatten und so die kol- lateralen Bahnen einigermaßen vor Ueberfüllung schützen“. Für eine vollkommene Wirksamkeit nimmt L. aber die kontraktilen Elemente der Schilddrüsengefäße in Anspruch. „Würde“, so sagt er weiter, „eine Dilatation der Schilddrüsenarterien bei horizontaler, eine Kontraktion bei vertikaler Körperstellung stattfinden, so würden wir in der Schild- drüse einen Apparat besitzen, durch welchen die Regulierung der Blutzufuhr nach der Körperstellung, die wir namentlich fürs Gehirn als ein physiologisches Postulat gefunden haben, möglicherweise aufs Genaueste zu stande gebracht werden könnte“. Diente bei Schreger die Schilddrüse nur als ein Sicherheits- ventil, das das Gehirn von allzu heftigem Blutandrang zu schützen hatte, so verlangt Liebermeister mehr von ihr: sie soll auch die Hirnanämie verhüten. Unter denjenigen, die sich der Liebermeister’schen Hypothese angeschlossen haben, ist vor allem Meuli zu nennen, der 20 Jahre Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. 455 später durch Messung des Halsumfanges eine Vermehrung oder Ver- ringerung der Blutfüllung der Schilddrüse je nach der Körperlage feststellen konnte. „Uebereinstimmend mit Liebermeister“, so folgert er, „müssen wir die Funktion der Thyreoidea als die eines Blutreservoirs halten, welches bei vorhandenem Ueberfluss (Kongestion nach dem Kopfe) sich durch Füllung seiner stark erweiterten Gefäße bedeutend vergrößert und die Karotis etwas komprimiert (— das ist freilich eine Auffassung, welche weniger der Anschauung von Lieber- meister, wie der von Maignien und Guyon entspricht. Ref. —), bei wieder eintretender Anämie aber das Blut durch Kontraktion jener auf kollaterale Bahnen nach oben weiter fließen lässt und damit das Gehirn vor zu plötzlich auftretenden Differenzen seines Blutgehaltes schützt“. Auch Kocher (1883) hat sich in seiner für das Aufleben des Interesses an der Schilddrüse so wichtig gewordener Abhandlung „über Kropfexstirpation und deren Folgen“ im Ganzen der Regulations- hypothese angeschlossen. Er sucht aber in der Schilddrüse nicht nur ein Organ, welches die zerebrale Blutfüllung regelt, sondern er schreibt ihr auch eine regulatorische Beziehung zum Atmungsapparat zu, denn „bei heftigen Exspirationsanstrengungen infolge von Muskelthätigkeit, von Aktion der Bauchpresse, bei angehaltenem Atem überhaupt und bei venösen Stauungen bildet die Schilddrüse ein Reservoir für das venöse Blut und hindert eine übermäßige Hyperämie der Tracheal- schleimhaut, welche auf die Respiration ungünstig einwirken müsste“. — Uebersieht man Alles, was zu gunsten der Regulationshypothese in älterer und neuerer Zeit vorgebracht worden ist, so kann man sich der Meinung, dass die Schilddrüse Beziehungen zum Hirnblutlauf unter- halte, nicht verschließen. Die Versorgung der Drüse mit Blutgefäßen, die nahe den Gehirnarterien entspringen, die ungewöhnliche Zahl und Weite der Gefäße, die bedeutende und eigenartige Entwickelung des Kapillarnetzes — alle diese Einrichtungen machen die Schilddrüse zur Er- füllung einer solchen Aufgabe ohne Zweifel geeignet. In jüngster Zeit ist noch ein neuer hierauf bezüglicher Gedanke von Stahel (1886) angeregt worden. In seiner gedankenreichen Abhandlung über die Arterien- spindeln u. s. w. macht er darauf aufmerksam, dass die Gehirnzirku- lation insofern eine natürliche Steuerung besitzt, als die Carotis interna eine Strecke weit durch einen sie eng umschließenden Kanal passieren muss. Er meint aber weiter, dieser Kanal würde infolge von Blutandrang bald usuriert sein, wenn nicht die nahe der Carotis interna entspringende Art. thyreoidea superior einen Abfluss nach der Schilddrüse ermöglichte. In der That könnte so der Schilddrüse eine bedeutsame Rolle bei der Regulierung des Blutzuflusses zum Gehirn zufallen. Waldeyer (1887) hat diese Betrachtungsweise auch auf die Art. thyreoidea inferior ausgedehnt, die zur Art. vertebralis, einem ebenfalls durch einen knöchernen Kanal verlaufenden Gefäß, in ähn- 28 * 456 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. licher Beziehung steht, wie die obere Schilddrüsenschlagader zur Carotis. Die Schilddrüse übernimmt damit gewissermaßen die Rolle eines Regulationsmittels zweiter Ordnung, indem zunächst die Fülle des Blutstromes zum Gehirn durch die unausdehnbaren die Arterien aufnehmenden Knochenkanäle eingedämmt wird, die Schilddrüse aber als kollateraler Blutbehälter diese Eindämmung ermöglicht und sichert. Diese Art von Regulierung des Hirnblutlaufes dürfte als die wahr- scheinlichste zu bezeichnen sein. In genetischer Beziehung würde übrigens, wie ich glaube, aus diesen Beziehungen zwischen Schilddrüse und Gehirngefäßen gefolgert werden können, dass die Beschränkung der letztern durch die sie einschließenden Knochenkanäle zur Ursache für die gewaltige Ausbildung der Thyreoidalgefäße geworden ist. Weniger möchte ich daran glauben, dass venöse Stauungen in der Drüse durch Vergrößerung ihres Volumens und dadurch bedingte Kom- pression der Carotis eine Art von Selbststeuerung zu üben vermögen. In viel wirksamerer Weise müsste doch das in die unnachgiebige Schädel- kapsel eingeschlossene Gehirn in solchen Fällen durch einen ähnlichen Mechanismus sich selber schützen. Aehnliches gilt für kongestive (arterielle) Hyperämien. Auch die von Liebermeister eingeführte Vorstellung einer aktiven Regulation des Gehirnkreislaufes durch die kontraktile Thätigkeit der Schilddrüsengefäße gibt zu Bedenken An- lass. Wozu ein eignes Organ für eine Leistung in Anspruch nehmen, zu der das sie erfordernde Organ selbst in genügender Weise befähigt erscheint! Treten bei der Regulierung des Hirnblutstromes vasomo- torische Kräfte in Aktion, so ist es das wahrscheinlichste, dass ver- mehrte Blutfüllung die Gehirngefäße verengert, verringerte sie er- weiter. Kommt dazu noch die Zügelung des Herzschlages, die bekanntlich je nach der Blutfülle des Gehirns in größerem oder kleinerem Maße durch die Vermittlung der Nervi vagi geschieht, so wird klar, dass das Gehirn eines weitern Regulierungsorgans kaum bedarf. Uebrigens ist ja auch die Regulierung des Hirnblutlaufes je nach der Körperstellung keine vollkommene, das beweisen die Ver- änderungen, die unter ihrem Wechsel außer dem Herzschlag auch die Atmung und der Blutdruck erfährt. Einer experimentellen Prüfung wäre die Frage nach der Bedeu- tung der Schilddrüsengefäße für die Blutversorgung des Gehirns insofern fähig, als man im stande wäre, den Einfluss der Verschließung der Schilddrüsenarterien oder ihrer Venen, den Einfluss der Durchschnei- dung oder Reizung ihrer (bisher freilich noch nicht näher untersuchten) vasomotorischen Nerven auf das Gehirnvolumen festzustellen. Ecker sah ebensowenig wie Bardeleben und neuerdings Schiff nach der Exstirpation der Schilddrüse bei Tieren Blutandrang zum Kopfe ein- treten; und Colzi, Fuhr, Munk undDrobnick fanden, dass Unter- bindung der Blutgefäße der Schilddrüse im Gegensatz zu ihrer Fort- nahme ohne üble Folgen ertragen wird. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 431 Wäre nun aber auch die Möglichkeit oder das Vorhandensein einer bedeutsamen regulatorischen Beziehung der Schilddrüse zum Gehirnblutlauf festgestellt, so würde daraus noch nicht folgen, dass dies die Funktion oder die wesentlichste Aufgabe der Schilddrüse ist. Gegen eine solche Auffassung spricht ihr mikroskopisches Bild mit aller Macht. Wozu der Aufwand an epithe- lialen Elementen, die doch offenbar auf eine sekretorische Funktion hindeuten? Ein spongiöses Organ nach Art der Corpora cavernosa würde, wie dies richtig schon Hofrichter und nach ihm Fuhr her- vorgehoben haben, einer bloßen regulatorischen Aufgabe weit besser entsprochen haben. Wenn die Schilddrüse den Hirnkreislauf reguliert, so erfüllt sie diese Verrichtung gewissermaßen im Nebenamt. Ihre Hauptfunktion, ihre spezifische Leistung muss eine andere sein. (Schluss folgt.) Ueber psychische Zeitmessung. Von Dr. Karl Fricke. (Fortsetzung. II. Zusammengesetzte Reaktionszeiten. Wir bemerkten bereits bei Besprechung der einfachen Reaktions- zeit, dass vom psychologischem Standpunkte aus naturgemäß ein Interesse vorliegt, die rein physiologischen Bestandteile der Reaktion auszuscheiden, um die Dauer eigentlich psychischer oder psycho- physischer Vorgänge zu finden. Auch lernten wir schon dort in dem Vergleich der sensoriellen und muskulärer Reaktionszeiten ein Mittel kennen, welches uns diesem Ziele näher brachte, da dem Zeit- unterschiede von etwa 100 o!), den diese beiden Reaktionsweisen auf allen darauf hin geprüften Sinnesgebieten ergeben, eine rein psychische oder sensorielle Bedeutung beigemessen werden muss. Freilich entsprach diese Zeit keinem einfachen Vorgange, sondern war zwischen der Erkennung des Sinneseindruckes und der Willenserregung geteilt, und die Vermutung, welche wir über die Verteilung jener Zeit?) aussprachen, beruht noch nicht auf der Grund- lage systematischer Untersuchungen. Nun hat man bereits seit mehr als 20 Jahren versucht, durch verschiedenartige Anordnung der Versuche die Dauer einzelner psy- chischer Akte zu ermitteln, und der zuerst von Donders?) zu diesem Zwecke eingeschlagene Weg wird noch immer, wenn auch mit gewissen, namentlich von W. Wundt eingeführten Abänderungen und Erweiterungen betreten. Bei diesen Versuchen handelt es sich darum, die Zeit zu berechnen, welche zur Erkennung oder Unter- scheidung bestimmter Sinneseindrücke wie auch zur Wahl einer 4) Biolog. Centralblatt, VIII. Bd., 8. 685. 2) Ebend. S. 688 u. fg. 3) Archiv für Anatomie und Physiologie, 1868, S. 657 u. fg. 438 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. bestimmten Reaktionsbewegung erforderlich ist. Es kommen dann noch hinzu die Versuche, welche zuerst von Galton!) angestellt wurden, und den Zweck haben, die Assoziationszeit zu bestimmen, d. h. die Zeit zu finden, welche eine Vorstellung gebraucht, um zu einer andern durch den Sinneseindruck gegeben hinzuzutreten. Allen diesen Methoden ist das gemeinschaftlich, dass die Reaktion nicht auf einen und denselben, sondern auf verschiedene unregelmäßig wechselnde Sinnesreize ausgeführt wird, und zwar geschieht die Be- antwortung der Sinneserregung entweder durch eine oder durch mehrere vorher verabredete Bewegungen. Indem Donders die Bestimmung der einfachen Reaktionszeit als a-Methode bezeichnet, verlangt er in seiner 5-Methode, dass bei mehrern in unbekannter Reihenfolge wechselnden Reizen auf jeden derselben in einer andern vorher verabredeten Weise reagiert wird. Nach der c-Methode dagegen wird nur auf einen derselben reagiert, während auf alle andern Reize die Reaktionsbewegung unterbleibt. Erstere wird häufig als die mehrfache, letztere als die einfache Wahlmethode bezeichnet, während Donders selbst und einige andere (namentlich v. Kries) nach ihm mit der c-Methode nur die Ermittlung der sogenannten Unterscheidungszeit be- zweckten. Dagegen hat W. Wundt geltend gemacht, dass es sich auch hier außerdem um eine Wahl handelt, nämlich um die von Ruhe oder Bewegung. Wenn auch die registrierende Bewegung immer dieselbe bleibt, so bedarf es doch einer Ueberlegung, um die- selbe an der richtigen Stelle eintreten zu lassen. Namentlich wenn man sich bei einfachen Reaktionen gewöhnt hat, auf jeden Reiz zu antworten, so ist erfahrungsmäßig immer erst ein besonderer Entschluss erforderlich, um den jedesmal mit der Wahrnehmung eines Reizes verknüpften Bewegungsimpuls zu unterdrücken ?). Zur Ermittlung einer Unterscheidungszeit verfährt Wundt?) in seiner d-Methode so, dass auf jeden der wechselnden Reize und zwar stets mit derselben Bewegung reagiert wird. Der Reaktionsimpuls soll aber erst dann gegeben werden, wenn der Erkennungsakt vollzogen ist, also unter Mitwirkung einer stetigen Selbstbeobachtung. In der Theorie stellt sieh nun die Berechnung einzelner psychischer Bestandteile dieser zusammengesetzten Reaktionsvorgänge nach den Donders’schen Methoden als eine einfache Subtraktionsaufgabe dar. Man findet die Unterscheidungszeit (U), indem man von den Unter- scheidungsreaktionen (R,„) die einfache Reaktionszeit (R) in Abzug bringt, die Wahlzeit (W) aber, indem man von der Dauer der noch weiter zusammengesetzten Wahlreaktionen (Ruw) die der Unter- 1) Brain, a journal of neurology, 1879. 2) Vergl. M. Lazarus, Das Leben der Seele, 1885, II. Band: Geist und Sprache, $. 66. 3) W. Wundt, Physiol. Psychologie, 1837, II. Bd., S. 299. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 439 scheidungsreaktionen (R.) abzieht. Da nämlich dem Begriffe nach der Wahl der Reaktionsbewegung die Unterscheidung desjenigen Reizes vorausgehen muss, auf welchen grade diese Bewegung erfolgen soll, so schließt die Wahlreaktion theoretisch auch stets die volle Unterscheidungszeit ein. Wir hätten somit die Bestimmungsgleichungen: Mekka, A Re Dabei ist natürlich Voraussetzung, dass R eine konstante Größe darstellt, dass A, genau dieselben Elemente in sich enthält wie R und außerdem einen Unterscheidungsakt, und ebenso, dass Ruw außer dem Wahlakte auch alle die übrigen vorher aufgezählten psychischen und psychophysischen Vorgänge und nur diese in sich enthält. Leider liegt nun die Sache in Wirklichkeit nicht ganz so einfach, die obigen Voraussetzungen sind keineswegs durch die Anwendung einer bestimmten objektiven Versuchsanordnung ein für allemal fest- gelegt, ja in vielen Fällen sind sie sogar als nicht zutreffend nach- zuweisen. Wenn diese Bedenken schon frühern Beobachtern!) nicht entgangen sind, so ist gegenwärtig durch die mehrfach erwähnten Veröffentlichungen von Ludw. Lange über die Verschiedenheit der einfachen Reaktion und ihre Abhängigkeit von der Richtung der Auf- merksamkeit des Reagierenden gradezu eine Krisis eingetreten, welche eine Beurteilung der frühern Arbeiten über zusammengesetzte Reak- tionszeiten außerordentlich erschwert. In vielen Fällen ist es ganz unmöglich zu entscheiden, ob eine Zeitverlängerung nur auf eine Aenderung der Reaktionsweise oder auf das Hinzutreten eines weitern psychischen Aktes zurückzuführen ist. Man kann zwar zuweilen aus der Länge der Reaktionszeiten einen Schluss rückwärts auf die Natur und Bedeutung derselben ziehen, aber bei mangelhaft gegebener oder ganz fehlender Analyse des Bewusstseinsinhaltes des Reagierenden können derartige Vermutungen oft nur eine Wahrscheinlickkeit geringen Grades beanspruchen. Naturgemäß ist es von besonderem Interesse, alle zusammen- gesetzten Reaktionsversuche, welche den Zweck haben, einzelne psychische Akte zu messen, in ihrer Dauer mit der einfacher sen- sorieller Reaktionen zu vergleichen, denn nur diese haben eigent- lich psychologischen Wert. Indess bei der Mehrzahl der frühern Untersuchungen ist ein solcher Versuch gar nicht durchzuführen. Da man ohne Rücksicht auf die Reaktionsweise bestrebt war, nur die kürzesten Zeiten zu ermitteln, so haben nachweislich nicht nur die einfachen Reaktionen sondern auch die mittels der zusammengesetzten Methoden gefundenen Zeiten durch Ausfall sensorieller Elemente ihre psychologische Bedeutung ganz oder teilweise verloren. Manche Be- 1) So bespricht z.B. G. O0. Berger im III. Bande der philos. Studien von W.Wundt 8.53 die Schwierigkeit, durch Ru—R grade allein den Vorgang U zu bestimmen und diesen auch vollständig auszuscheiden. 440 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. obachter, wie Cattell!) und v. Kries?) erklären sogar von vorn- herein, dass es ihnen unmöglich gewesen sei, nach Wundt’s d-Methode brauchbare Resultate zu erzielen, offenbar weil sie vollständig an ein extrem muskuläre Reaktionsweise gewöhnt waren. Aber auch die Zahlen, welche v. Kries nach der Donders’schen c- Methode erhielt, weichen — offenbar auch infolge dieser Gewohnheit — so stark von den Zeitwerten ab, die von andern Beobachtern auf dem- selben Wege gefunden wurden, dass die Ergebnisse gar nicht ver- gleichbar erscheinen®). Trotz der eigenartigen äußern Versuchs- anordnungen, welche sich allerdings unter Umständen als geeignet erwiesen haben, gewisse sensorielle Elemente in den Reaktions- vorgang hineinzuziehen, muss also doch die Möglichkeit bestehen, auch hier muskulär zu reagieren®), und es muss angesichts dieser hier nur angedeuteten Erfahrungen einleuchten, dass die nach einer bestimmten Methode wirklich gefundenen Zahlen sich nicht immer mit den auf logischem Wege aus dem Begriffe dieser Methoden her- geleiteten psychischen Vorgängen decken. So wünschenswert es auch erscheinen mag, etwa mit derselben Sicherheit wie bei chemischen oder auch physiologischen Reaktionen bei Anwendung einer bestimmten äußern Versuchsordnung einen be- stimmten Erfolg vorauszusagen, so werden wir bei psychischen Vor- gängen dazu wohl nie in der Lage sein; auf diesem Gebiete gilt als zweite unabweisbare Voraussetzung eine stete Selbstbeobachtung und -prüfung des Reagierenden und eine von dieser geleitete und be- stimmte Richtung der willkürlichen Aufmerksamkeit. A. Die Unterscheidungs- und Erkennungszeit. Eine besondere Schwierigkeit ist hier nach meiner Ueberzeugung schon von vornherein dadurch geschaffen, dass die Bezeichnung „Unter- scheidung“ in einem nicht immer eindeutigen Sinne gebraucht ist. Statt unter dem Worte einen Akt des beziehenden Denkens zu verstehen, hat z. B. M. Friedrich’) bei der Feststellung seiner „Unterscheidungs“ - Zeiten nur an den Unterschied einer sensoriellen, 1) J. M. Cattell, Psychometrische Untersuchungen, II. Abteilung, in Wundt’s philos. Studien, III. Bd., S. 452. 2) J. von Kries, Ueber Unterscheidungszeiten. Vierteljahrsschrift für wissensch. Philosophie, XI, Jahrg., S. 11. 3), Vers]. von/Kries ..3, 0.8.12. 4) Siehe W. Wundt, Phys. Psych., II. Bd., S. 319 u. fg.: Automatische Koordinationen, und ferner derselbe, System der Philosophie, 1889, S. 548. 5) M. Friedrich, Ueber die Apperzeptionsdauer bei einfachen und zu- sammengesetzten Vorstellungen. Philos. Stud., I. Bd., S. 39 u. fg. Schon die Ueberschrift zeigt, dass er die berechneten „Unterscheidungszeiten“ als gleich- bedeutend mit der schon in der einfachen Reaktion enthaltenen „Apperzeptions- dauer“ auffasst. Außerdem geht dies aus seiner Auseinandersetzung auf S. 40 u. fg. deutlich hervor. ZE u Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 441 wenigstens eine Erkennung des Sinneseindrucks einschließenden und einer muskulären einfachen Reaktion gedacht, und ähnlichen Auffassungen begegnen wir auch bei andern Autoren!). Hier hat die zusammengesetzte Versuchsanordnung, insbesondere die der Wundt’- schen d-Methode, offenbar nur den Zweck, durch den Wechsel des Sinneseindruckes das Mechanischwerden des einfachen Reaktions- vorganges zu verhindern, welcher beim steten Reagieren auf denselben Reiz häufig bei der extrem muskulären Form angelangt war. Die nach der d-Methode von solchen Beobachtern gefundenen Zahlwerte entsprechen auch nur denen der einfachen sensoriellen, oft auch noch nicht einmal ganz vollständigen Reaktionszeiten?). Durch die Be- zeichnung „Unterscheidungsversuche“ verleitet, hat man dann später geglaubt, bei jeder Anwendung dieser äußern Versuchsanordnung einen besondern zu der Apperzeption oder Erkennung des Eindrucks noch hinzutretenden psychischen Vorgang annehmen zu müssen, ohne Rück- sicht darauf, ob die Natur der angewandten Sinnesreize auch wirk- lich erst eine „Unterscheidung“ bei ihrer Erkennung voraussetzt, z.B. Berger?) in seine Analyse der Unterscheidungsreaktionen, und es scheint, als sollte diese Annahme auch gegenwärtig aufrecht erhalten werden, wo man nicht mehr die muskuläre, sondern die vollständige sensorielle einfache Reaktion mit den sogenannten Unterscheidungs- reaktionen nach Wundt’s d-Methode vergleichen will*). Dies scheint mir aber keineswegs den thatsächlichen Verhältnissen zu entsprechen. Leider liegen allerdings augenblicklich noch gar keine Veröffent- liehungen solcher Spezialuntersuchungen vor, welche auch die zu- sammengesetzten Reaktionsvorgänge im Sinne der von Ludw. Lange aufgestellten Unterschiede in der Reaktionsweise behandelt hätten; doch wird die nächste Zeit voraussichtlich ein umfangreiches Material über diesen Gegenstand zutage fördern. Bis dahin stehen mir für die Erörterung dieser Frage nur die Erfahrungen zugebote, welche ich im Sommer v. J. im Leipziger psychologischen Laboratorium durch Teilnahme an einigen im Gange befindlichen Untersuchungen gesammelt 1) z. B. bei E. Kräpelin, Ueber die Einwirkung einiger medikamen- töser Stoffe auf die Dauer einfacher psychischer Vorgänge. Philos. Studien, I. Bd., S. 457, wo er schreibt, dass die einfache Reaktion sich den reflek- torischen Vorgängen annähert, die Unterscheidung jedoch eine klare Apper- zeption des Reizes erfordert. 2) z. B. die meisten Unterscheidungsreaktionen bei E. Tischer, Ueber die Unterscheidung von Schallstärken. Philos. Studien, I. Bd., S. 535 u. fg., sowie auch bei andern. 3) G. 0. Berger, Ueber den Einfluss der Reizstärke auf die Dauer ein- facher psychischer Vorgänge. Philos. Studien, III Bd., 8. 53. 4) So bezeichnet Wundt in der 3. Aufl. seiner physiol. Psychologie, welche bereits den Unterschied der beiden Reaktionsformen berücksichtlgt, „mit Ru diejenige Reaktion II. Ordn., welche außer den Faktoren der einfachen Reaktion noch einen Unterscheidungsakt enthält“, II. Bd., S. 301. 442 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. habe. Die bei zahlreichen Versuchsreihen auf diesen Punkt gerichtete Selbstbeobachtung sagte mir nichts über das Hinzutreten eines be- sondern Unterscheidungsaktes, wenn zwei oder mehr der bekannten Farben in unbekannter Reihenfolge mit einander abwechselten. Der Bewusstseinsinhalt war hier wie bei den einfachen sensoriellen Reak- tionen: Erkennung, — Willensimpuls, — Bewegung. Eine Vorstellung der andern Farben, welche auch als Reiz hätten auftreten können, kam mir im Augenblick der Reaktion niemals ins Bewusstsein, weshalb von einer „Unterscheidung“ auch nicht die Rede sein konnte. In ihrer Dauer waren die Unterscheidungsversuche auch weniger durch eine Verlängerung der absoluten Dauer, als vielmehr durch eine größere Ausgiebigkeit der mittlern Schwankungen vor den einfachen sensoriellen ausgezeichnet. Der einzige subjektive Unterschied lag in dem die Unterscheidungsversuche begleitenden Gefühlston, in einer unwillkürlich höhern Spannung und Unruhe, welche, wie schon die Schwankungen beweisen, gelegentlich auch zu Verkürzungen der Reaktionszeit führten. In einem Falle wurde die Unterscheidungszeit sogar negativ, d. h. der durehschnittliche Wert vorangegangener einfacher Reaktionen war größer als der von Unterscheidungsversuchen, eine Erscheinung, die auch frühern Be- obachtern!) nicht fremd blieb. In der Regel waren allerdings die Durchschnittszeiten der Unterscheidungsversuche länger als die der einfachen Reaktionen, aber dies lässt sich im Zusammenhange mit den größern Schwankungen auch als eine Folge der weniger ruhigen Gemütsstimmung erklären, welche durch die Ungewissheit inbetreff des bevorstehenden Sinneseindrucks erregt wurde. Auch frühere Beobachter?) sahen als Folge der durch unerwartete Eindrücke ge- störten Gemütsruhe eine Verlängerung der Reaktionen und nament- lich auch eine Vergrößerung der mittlern Schwankungen eintreten. Im übrigen kann, wie schon oben bemerkt, eine Verlängerung der Reaktionszeit bei Anwendung der d-Methode auch schon dadurch er- klärt werden, dass der Wechsel des Sinneseindrucks die Bildung von automatischen Koordinationen leichter unterdrückt, als wenn bei gleich- förmiger Einwirkung desselben Reizes nur der Wille des Reagierenden ohne Unterstützung von seiten der äußern Versuchsordnung darauf gerichtet ist, die Mechanisierung zu vermeiden. Eine eigentliche Unter- scheidung würde dann stattfinden, wenn der Erkennung des Sinnes- eindruckes ein Vergleichen mit andern ähnlichen, im Gedächtnis bereit gehaltenen Vorstellungen oder andern gleichzeitig auftretenden Sinnes- eindrücken vorangehen müsste. Dies findet aber auf so geläufige Vorstellungen wie die Farben grün, rot, blau, gelb, oder die bekannten 1) Vergl. E. Tischer a. a. 0. S. 533; ferner J. Merkel, Die zeitlichen Verhältnisse der Willensthätigkeit. Philos. Studien, II. Bd., S. 93 und G. O. Berger.a..a. 0. S. 9%. 2) z. B. E. Tischer a. a. 0. S. 532. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 445 Schrift- und Zahlzeichen u. dergl. keine Anwendung. Dieselben werden ohne jedes Vergleichen oder Unterscheiden, einerlei, ob sie einzeln immer wiederkehren oder in beliebiger Reihenfolge mit einander wechseln, ohne weiteres erkannt!). Eine neue Schwierigkeit erwächst der Vergleichung und Beurtei- lung der vorliegenden Ergebnisse aus dem Umstande, dass die Unter- suchungen nach zwei verschiedenen Methoden angestellt sind, und daher nur auf Umwegen vergleichbare Resultate ergeben. Während Wundt und seine Schule (M. Friedrich, E. Tischer, J. Merkel, E. Kräpelin) sowie auch Gabr. Buccola nach der d-Methode be- obachteten, haben J. v. Kries und Auerbach sowie auch J. M. Cattell die Unterscheidungszeit nach der e-Methode von Donders zu bestimmen versucht. Cattell gibt zwar zu, dass diese Reaktions- weise außer der Erkennung auch eine Wahl zwischen Ruhe und Bewegung einschließt. Da er jedoch erklärt, nach Wundt’s d-Methode überhaupt keine brauchbaren Resultate erhalten zu haben, so sucht er den eingestandenen Fehler dadurch auszuscheiden, dass er als mut- maßliche Dauer der in der c-Methode mit eingeschlossenen Wahlzeit aus allen Versuchen gleichmäßig 50 o für ©. und 30 0?) für den andern Reagierenden B. in Abzug bringt?), ein Verfahren, welches allerdings keineswegs als einwandsfrei gelten darf. Unter den Arbeiten, welche dieses Gebiet betreffen, erwähnen wir zunächst die von E. Tischer über die Unterscheidung von Schall- stärken *), und zwar stellen wir dieselbe aus dem Grunde voran, weil sie die Bedingungen einer Ermittlung wirklicher Unterscheidungs- zeiten am besten entspricht. Bei diesen im Leipziger Laboratorium angestellten Versuchen kam die d-Methode Wundt’s zur Anwendung. Die Schallreize wurden dnrch das Aufschlagen einer Bleikugel auf das Hipp’sche Fallbrett®) hervorgebracht, und zwar entsprach der 1) Vielleicht würde es sich empfehlen, für wirkliche Unterscheidungs- versuche nahe verwandte Farben, Bilder von ähnlichen Gegenständen oder dergleichen zu verwenden. Auch würde die äußere Versuchsanordnung gewiss keine unübersteiglichen Hindernisse finden, wenn man versuchte, zwei oder mehrere Farben, Bilder u. s. w. gleichzeitig sichtbar zu machen, um zu unterscheiden ob eine vorher bestimmte Eigenschaft oder ein bestimmter Gegen- stand in dem Eindrucke vorhanden ist. — Es braucht wohl nicht hervorge- hoben zu werden, dass die Bedenken sich nicht gegen die eigenartige Ver- . suchsanordnnng der d-Methode, sondern nur gegen die Auswahl der dabei gebräuchlichen Sinnesreize richten. Im übrigen halte ich die genannte Methode für die einzige, nach welcher sich reine Unterscheidungszeiten gewinnen lassen. 2) Nach Buccola beträgt dagegen die aus der c-Methode berechnete Wahlzeit 66 o. Vergl. Biol. Centralblatt, IV. Bd., S. 469. 3) Psyehometrische Untersuchungen. Philos. Studien, III. Bd., 8. 453. 4) Philos. Studien, I. Bd., S. 516 u. fg.; vergl. auch E. Kräpelin, Die neueste Literatur auf dem Gebiete der psychischen Zeitmessungen. Biolog. Centralbl., III. Bd., S. 56 u. fg. 5) Ebend. S. 518. 444 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. schwächste unter den fünf angewandten Reizen einer Fallhöhe von 10 cm bei einem Gewicht der Kugel von 20 g, während der stärkste durch den Fall einer Kugel von 125 g aus einer Höhe von 60 em hervorgerufen wurde!). Es leuchtet ein, dass dieser Vorgang ein ganz anderer sein muss wie die „Unterscheidung“ von Farben wie rot, blau, gelb u. s. w.; hier wird die Unterscheidung nicht ohne Ver- gleichung des wahrgenommenen Schalles mit den übrigen im Gedächtnis festgehaltenen Schallstärken möglich sein. Namentlich mit Zunahme der Anzahl der zu unterscheidenden Intensitäten wird daher eine immer länger währende Ueberlegung erforderlich werden?), damit hängt auch zusammen, dass die Anzahl der Reize nicht auf eine be- liebige Anzahl gesteigert werden konnte, wie bei andern sogenannten Unterscheidungsversuchen, sondern auf fünf beschränkt blieb, um eine sichere Unterscheidung möglich zu machen®). Bei allen neun Ver- suchspersonen zeigte es sich, dass U)*) mit % rasch zunahm, und zwar meist in der Weise, dass auch die Steigung mit 4 immer ver- hältnismäßig größer wurde, wie es namentlich die graphischen Dar- stellungen’) Tischer’s veranschaulichen. Wenn wir aus den Zahlen diejenigen herausnehmen, welehe Wundt’s Unterscheidungszeiten im Durchschnitt angeben, so haben wir: D;: Use Uns: 131,6 204,6 196 o. Von den übrigen Beobachtern, deren absolute Unterscheidungs- zeiten wegen der extremen Verkürzung kein Interesse haben, geben wir das verhältnismäßige Anwachsen auf OD, als Einheit bezogen wieder): DEE HER, H. WNDWER URL EWR Bi mt. | 1 1 1 1 1 1 1 1 Day=11,67,.. 1,66 1,85, 4 2,12 1,78 1,09 2: 1,74 1,55 Dan 52.78 02,45 2,03 2a02. PEN 1,99 367 2,00 1,49 DEN NA, 27 1.79,69 = 3,05 2,90 2,60 u 1,88 E= Was nun die Erkennungszeit von Farben betrifft, so fand Friedrich gleichfalls nach Wundt’s d-Methode beim Wechsel der beiden Farben schwarz und weiß für drei Beobachter®) die Dauer von W: BR F. 86 47 50 0). 2) Vergl. auch die Bemerkungen darüber bei J. Merkel in den philos. Studien, II. Bd., 8. 104 u. fg. und bei W. Wundt, phys. Psychologie, II. Bd., S. 305. 3) Vergl. Tischer a..a..0. S. 529. 4) A = Anzahl der zu unterscheidenden Reize. 5) Ebend. S. 527. 6) Philos. Studien, I. Bd., 8. 52. 7) Buccola fand nach derselben Methode beim Wechsel von blau und rot die Dauer von 52 o. Biolog. Centralblatt, IV. Bd., S. 469. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung, 445 Wenn er statt dieser beiden Farben auch noch grün und rot wechseln ließ, so fand er eine erhebliche Verlängerung, welche er durch eine Aenderung in der Aufmerksamkeit der Reagierenden er- klärt. Wir dürfen letzteres wohl in dem Sinne verstehen, dass bei dem ungewohnten Wechsel von vier Farben die Aufmerksamkeit des Reagierenden sich unwillkürlich von der Reaktionsbewegung dem zu erwartenden Sinneseindrucke zuwandte, und damit hätten wir aller- dings eine ausreichende Erklärung für die Zeitverlängerung durch den Uebergang muskulärer Reaktionen in vollständig sensorielle, ohne dass wir hier in Uebereinstimmung mit dem Verfasser das Hinzutreten eines Unterscheidungsvorganges anzunehmen brauchten. In der That zeigen die einfachen Reaktionen wenigstens zweier Beobachter extrem muskuläre Zeitwerte, beim Wechsel von zwei Farben finden sich schon einzelne, welche als völlig sensorielle betrachtet werden können, im ganzen bleiben sie aber hinter diesen erheblich zurück, und erst beim Wechsel von vier Farben erreichen die Zahlen durchschnittlich eine Höhe, wie sie auch in sensoriellen einfachen Versuchsreihen vor- kommen können. Wenn wir mit diesen Ergebnissen diejenigen vergleichen, welche später von G. O. Berger!) und J. M. Cattell?) gleichfalls im Leipziger Laboratorium ermittelt wurden, so tritt uns hier die Schwierigkeit entgegen, dass die Erkennungsversuche des letztern sämtlich, die des erstern teilweise nach der c-Methode von Donders angestellt sind, worüber schon oben berichtet ist. Eine absolute Ueber- einstimmung ist also schon aus diesem Grunde nicht zu erwarten, wenn man auch von den Verschiedenheiten der sonstigen Versuchs- anordnung ganz absieht. Während Friedrich als Sinneseindruck farbiges, durch das Licht einer Geisler’schen Röhre beleuchtetes Papier verwandte®) und die Zeit mittels des Hipp’schen Chronoskops bestimmte, stellte Cattell die Lichtreize teilweise so her, dass das Lieht einer Puluj’schen Röhre*) durch farbige Gläser gesehen wurde, meistens aber mit Hilfe seines Fallehronometers’), indem farbige Flächen von Tageslicht beleuchtet wurden. Als Gesamtmittel der Erkennungszeit einer Farbe berechnet Cattell für zwei Beobachter B= 10%, € = 110 o. Die Zahlen beziehen sich auf den Wechsel Je zweier Farben. Wenn er zehn Farben in unregelmäßigem Wechsel auf einander folgen ließ, während nur auf eine derselben reagiert werden durfte, so fand er nur eine geringfügige Verlängerung, die Erkennungszeit für B —= 105, für C= 1170. Wir heben dies hervor im Gegensatz zu der Verlängerung, welche Friedrich bei einer Vermehrung der Farbenreize beobachtete. Wollte man das abweichende 4) Philos. Studien, III. Bd., S. 65 u. fg. 2) Ebend. S. 452 u. fg. 3) Philos. Studien, I. Bd., S. 44. 4) Ebend. III. Bd., S. 40. 5) Ebend. S. 97 u. fg. und S. 307 u. fg. 446 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Resultat Cattell’s allein auf die Verschiedenheit der Versuchsmethode zurückführen, so ließe sich einwenden, dass auch J. Merkel) bei der Unterscheidung einfacher Gesichtseindrücke, der Zahlzeichen 1, 2, 3, 4 5, IL HD, IH, IV, V keinerlei Zunahme der Erkennungszeit beobachtete, wenn die Anzahl der wechselnden Eindrücke sich von zwei auf zehn vermehrte. Bei gleichbleibender Richtung der Auf- merksamkeit war dies Ergebnis von vornherein zu erwarten, da weder für die Erkennung der genannten Zahlzeichen noch für die der Farben eine Vergleichung mit den übrigen oder eine Unterscheidung erforder- lich ist, die Anzahl der wechselnden Gesichtsobjekte daher an sich die Reaktionsdauer nicht beeinflussen kann. M. Friedrich hat dann weiter in seiner erwähnten Abhandlung umfassende Versuche über die Erkennung von ein- bis sechsstelligen Zahlen beschrieben. Wie zu erwarten war, nehmen die Reaktions- zeiten im Allgemeinen mit der Anzahl der Ziffern zu; bis zu den drei- stelligen ist die Zunahme nicht erheblich, dagegen stärker beim Ueber- gange zu den vierstelligen, von diesen zu den fünfstelligen und endlich von den letztern zu den sechsstelligen. Für drei Reagierende betrugen diese Werte?): 1 stelig 2 stellig 3 stellig 4stellig 5 stellig 6 stellig F. 320 346 344 481 670 1043 T: 290 380 495 709 349 1197 DA 344 361 994 459 573 817 Ötfenbar liegt der Grund des ungleichen Ansteigens darin, dass das Auge drei Ziffern noch bequem als Ganzes, als ein Bild, auf- fasst, dagegen muss bei mehrstelligen eine Teilung in zwei Zahlen- bilder eintreten, und das stärkere Wachstum der Zeiten erklärt sich vielleicht aus der zunehmenden Unsicherheit, wo diese Teilung vor- zunehmen ist. Wenn einstellige Zahlen häufig längere Zeit bean- spruchten als zwei- und dreistellige, so erklärt sich das wohl am leichtesten daraus, dass wir einstellige Zahlen weniger gewohnt sind in Ziffern als in Buchstaben ausgeschrieben zu lesen, bei mehrstelligen dagegen umgekehrt. Aus der Gewöhnung erklärt es sich auch, dass alle vierstelligen Zahlen, welche mit 18... zusammengesetzt waren, eine sehr kurze Apperzeptionsdauer beanspruchten. Dass die tägliche Gewohnheit bei der Schnelligkeit des Erkennens zusammengesetzter Eindrücke eine große Rolle spielt, wird uns im Folgenden noch weiter beschäftigen. Für das Verständnis dieser Er- scheinung ist es aber von großer Wichtigkeit, einen Blick auf die- jenigen Veränderungen zu werfen, welche im Laufe der besprochenen Untersuchungen von verschiedenen Beobachtern in genau zu berech- 4) Philos. Studien, II. Bd., $. 102. 2) M. Friedrich a, a. 0. S. 66. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. AAT nender Abhängigkeit von der individuellen Versuchsübung nachge- wiesen wurden. Aus den Tabellen Cattell’s geht hervor, dass die Farbenerkennungszeit für B. um 30 o, für ©. um 20 o infolge einer viermonatlichen Uebung sich verkürzt hatte. Als die unterbrochenen Arbeiten nach drei Monaten wieder begannen, zeigte sich Keine wesentliche Abweichung von den zuletzt ermittelten!). Die hierdurch bewiesene Dauerhaftigkeit einer durch Uebung erlangten Fertigkeit erhellt noch deutlicher aus folgendem Beispiel. Die infolge „maximaler Uebung“ offenbar stark gekürzte Erkennungszeit für farbiges Licht betrug im Jahre 1876 bei Auerbach 120, bei v. Kries 340. Zehn Jahre später war die Erkennungszeit der letztern nach kurzer Ein- übung fast unverändert geblieben und betrug durchschnittlich 38 02). Die individuelle Versuchsübung äußerte ihre Wirkung noch stärker bei den Versuchen von M. Friedrich über die Erkennungszeit von Zahlen. Innerhalb zweier Monate hatte sich die Erkennungszeit ein- stelliger Zahlen bei einigen Beobachtern um 100 « und mehr, bei sechsstelligen sogar um 500 o verkürzt. Nach diesen Ergebnissen erscheint es verständlich, wenn wir auch im Folgenden die Dauer der Erkennungszeit von Buchstaben, Worten und Bildern von Gegen- ständen nicht nur von dem Grade ihrer Zusammensetzung sondern auch von der Geläufigkeit abhängig betrachten, welche wir durch Uebung und Gewöhnung erlangt haben. Nach der Methode vou Baxt?) hatte Cattell schon in einer frühern Abhandlung *) festgestellt, dass die Dauer der Einwirkung solcher Buchstaben, wie sie auch zum Druck in dieser Zeitschrift gebraucht werden, 0,75—1,75 o betragen muss, damit dieselben er- kannt werden, und zwar bei Lampenlicht durchschnittlich 0,25 o länger als bei Tageslicht. Wenn er bei derselben Wirkungsdauer das Prozent- verhältnis richtig und falsch gelesener Buchstaben bestimmte, .so er- gaben sich zwischen den Schriftzeichen der versehiedenen Alphabete und auch zwischen den einzelnen Buchstaben desselben Alphabets auffallende Unterschiede. Der lateinische (Antiqua-) zeichnet sich vor dem sogenannten deutschen (Fraktur-) Druck durch größere Deutlich- keit aus, große und kleine lateinische Buchstaben waren etwa gleich gut lesbar, die großen deutschen dagegen schwieriger als die kleinen. Auch hier spielt dieGewöhnung eine Rolle, wie der Unterschied zwischen einem Amerikaner und einem Deutschen deutlich bewies. Unter den großen lateinischen Buchstaben wurde bei 270 Versuchen das W 241 mal, das E dagegen nur 63 mal richtig gelesen, unter den kleinen das s nur 28 mal, das d dagegen 87 mal unter 100 Versuchen richtig gelesen. 1) Philos. Studien, III. Bd., S. 461 u. fg. 2) Vierteljahrsschrift für wissensch. Philosophie, XI. Jahrg., S. 17 u. fg. 3) Pflüger’s Archiv, IV, S. 325. 4) Ueber die Trägheit der Netzhaut uud des Sehzentrums, III. Die Em- pfindlichkeit der Netzhaut für Buchstaben und Wörter. Philos. Studien, III. Bd., S. 107 u. fg. und IV. Die relative Lesbarkeit der Buchstaben. Ebend. S. 11 u. fg. 448 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Aufgrund dieser Verschiedenheiten suchte Cattell auch mittels der Reaktionsmethoden Abweichungen in der Erkennungszeit zu er- mitteln, allein diese Methoden mit ihren großen mittlern Schwankungen erwiesen sich doch nicht als hinreichend fein für diese Unterschiede. Es ließen sich zwar einzelne Gruppen herausfinden, deren Erkennungs- zeit in der Reihenfolge mit den auf die andere Weise geordneten übereinstimmte; allein für eine endgiltige Feststellung der Erkennungs- zeit der einzelnen Buchstaben reichten nach des Verfassers eigner Ansicht die zahlreichen darüber angestellten Versuche nicht aus. Als mittlere Erkennungszeit für einen großen lateinischen Buchstaben ergab Sich fur. 1199 für 02116: Nach der Methode von Baxt hatte sich ferner ergeben, dass ge- druckte Wörter nicht etwa längere, sondern unter Umständen sogar etwas kürzere Zeit auf das Auge einzuwirken brauchen, um aufgefasst zu werden, als ein einzelner Buchstabe°). Diese auffallende Er- scheinung findet auch ihre Erklärung in der Gewöhnung. Wir fassen eben das Wortbild als Ganzes auf, und lesen seltner einzelne Buch- staben als ganze Worte. Auch die Reaktionsmethode gab für ganze Worte nur wenig längere Erkennungszeichen als für Buchstaben und bewies zugleich, dass jeder die Worte seiner Muttersprache schneller auffasst als die einer fremden'): B. (Deutscher) C. (Amerikaner) einsilbige englische Wörter: . . . . 132 141 einsilbige ‚deutsche Wörter: . . . .. 118 150 mehrsilbige englische Wörter: . . . 154 158 Auf den Einfluss der Versuchsübung auf die Erkennung von Wörtern hatte schon früher M. Trautscholdt?) hingewiesen. Für die beiden Reagierenden B. und T. fand er als 14tägiges Mittel: 25.V.—8.Vl. 2 II: 22.V11.—3.VIl. B: 299 o 2730 258 © T: 205 © 176 0 155 o. Schließlich ermittelte Cattell noch die Erkennungszeit für Bilder von häufig vorkommenden Gegenständen wie Uhr, Schiff, Auge, Hand, Baum, Blatt u. s. w. Als mittlere Dauer?) berechnete er für B. 96, für 0.1170, also Zeiten, welche nicht länger sind, als zur Erkennung eines ganz einfachen Eindrucks z. B. einer Farbe erforderlich ist, und kürzer als für ein Wort. Dass wir Gegenstände, wie die genannten, fortwährend vor Augen haben, erleichtert offenbar ihre Erkennung. 3) Philos. Studien, III. Bd., S. 111. 1) Ebend. 8. 470. 2) M. Trautscholdt, Experimentelle Untersuchungen über die Assoziation der Vorstellungen. Philos. Studien, I. Bd., S. 237. 3) Philos. Studien, III. Bd., S. 471 u. fg. (Schluss folgt.) Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausg.geben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie is: Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 1. Oktober 1889. Nr. 15. Inhalt: Keller, Die Transpiration der Pflanzen und ihre Abhängigkeit von äußern Bedingungen. — Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schild- drüse (Schluss). — Fricke, Ueber psychische Zeitmessung (Schluss). — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Physik.-med. Gesellschaft zu Würzburg. Die Transpiration der Pflanzen und ihre Abhängigkeit von äußern Bedingungen. Dr. OÖ. Eberdt hat diesen für das Leben der Pflanze so wich- tigen Vorgang zum Gegenstande einlässlicher, vielseitiger Studien gemacht, die er in einem kürzlich erschienenen Werke veröffentlicht hat. Sie scheinen uns besser als ähnliche Publikationen der neuern Zeit den Stand unseres gegenwärtigen Wissens über den Einfluss äußerer Bedingungen auf die Transpiration darzuthun, sie sind ferner auf alle Bedingungen ausgedehnt, Umstände die eine Uebersicht der gewonnenen Resultate rechtfertigen dürften. a. Einfluss des Lichtes auf die Transpiration. Zu den ältesten Erfahrungen über den Einfluss äußerer Verhältnisse auf den Verlauf der Transpiration gehört die Erkenntnis der Thatsache, dass während des Tages die Wasserabgabe eine erheblich größere ist als während der Nacht. Sie war schon Hales im Jahre 1738 bekannt. Welcher Anteil aber hierbei dem Lichte zukam, in welchem Maße die höhere Temperatur die vermehrte Wasserabgabe nach sich zog, in welchem Grade die während des Tages und während der Nacht meist ungleiche Luftfeuchtigkeit zu diesem Resultate führte, dies zu unter- suchen, blieb neuern Beobachtern vorbehalten. Baranetzky war der erste, welcher mit Ausschluss des allfälligen Einflusses der Luft- wärme und Luftfeuchtigkeit den Einfluss ungleicher Belichtung auf die Transpiration untersuchte. An Cucurbita Pepo erhielt er folgende Resultate: IX, 29 450 Keller, Transpiration der Pflanzen. Transpiration Luft- Luft- 9Uhr V ir in g temperatur feuchtigkeit ee . beschattet 2,25 24 713% iu ” n IE Nachmittags | nicht „ 2,8 23,7 73, Am darauffolgenden Tage: > m Vormittags | peschattet 2,1 23 7, 1 ” ” ö - | nicht , 6,3 23,45 75, ne Nachmilags | peschattet 2 23,65 16 „ ” ” Br. | nicht „ 3,9 23,47 76 „ Wurden die Beleuchtungen schnell hinter einander gewechselt, dann verwischten sich die Transpirationsunterschiede mehr und mehr und wurden schließlich =0. Baranetzky schloss aus solchen Beobachtungen, dass die Lichtwirkung eine Reizwirkung sei und dass durch schnell aufeinander folgenden Wechsel dieses Reizes die Pflanze gegen denselben mehr und mehr abgestumpft werde, ihre Empfind- lichkeit gegen denselben einbüße. Beweisen die erwähnten Versuche den thatsächlichen Einfluss des Lichtes auf die Transpiration, so blieb doch die Frage über den Gang der Wasserabgabe unter dem Einfluss der verschiedenen Licht- stärken während der 24 Stunden eines Tages offen. Ihn klarzulegen ist die erste Aufgabe, die Eberdt sich stellt. Wir geben nachfolgende Versuchstabellen wieder. Versuchsobjekt: Helianthus annuus. Direktes Licht. Auf- Aus- Temperatur | Temperatur Zeit genommene | gehauchte | des Boden- der Luft H,0 in cm?| H,O in g |wassers in C® in C® 7,15 Ab. — 8,45 Vm. | 46,67 15,55 |19,5°—20° | 18,50—190 845 V. — 11,45 V. 4,95 5,53 200—20,5° | 190—20,5° 11,45 V. — 3N. 5,5 7,40 20,50°—21,5° | 20,50—21,5° 3.N. 17,15 AB. 6,45 5,50 21,590 21,3% 21,52 720,52 In 24 Stunden nahm also die Pflanze 33,57 em? Wasser auf und hauchte in diesem Zeitraum 33,98 g aus. Es entspricht also die während eines Tages transpirierte Wassermenge der in gleicher Zeit absorbierten. Erhebliche Unterschiede zwischen der Menge des Transpirations- und Absorptionswassers bestehen jedoch während der einzelnen Tages- zeiten. Keller, Transpiration der Pflanzen. 451 aufgenommen pro Stunde abgegeben pro Stunde I. Versuchsperiode 1,234 cm? 1,184 cm? 1. n Bam ?, SA I. n 1,6922 },, 2,28 101; IV: 4 1,916; 2, er Aus einer Versuchstabelle, welche den stündlichen Gang der Transpiration von Asclepias cornutii illustriert, mögen wenigstens einige Zahlen, welche den verschiedenen Gang der Transpiration und der Absorption zeigen, hier wiedergegeben werden. | un Ah Relative | Luft- Boden- Zeit Bes gegebene en: tempera- hey in cm? ns in °%, eur peratur 12,25 Nachts — 1,25N.| 008 | 002 | 5 19 19 Da 2 yon 2012 0,08 |77,5—78,5 |19—18,75 19 am son 0130,03 78,5 18,75 19 ODER THER NE, 05, 0,15 0 7857| 18,75 19 8,25 Vorm. — 9, 0,58 0,850 | 72-67,5 | 19,5—19 19 95 — 10,5 0,29.,.1.0,87 67,5—64 | 19—19,5 19 A025 214,25 0,82 0,90 64-63 19,5—20,5| 19—20 11.29. 0, = 49:95 0,72 0,90 63—66 20,5 20 12,25 Mittag — 1,% 0,61 0,72 66—66,5 20,5 20 Die Tabelle zeigt uns, dass schon kurz nach Mitternacht die Transpiration, wenn auch nur schwach, zunimmt, zu einer Zeit also, wo die Pfianze nicht vom Lichte getroffen wird und unter äußern Umständen, die eher eine geringe Abnahme hätten erwarten lassen. Diese durch zahlreiche Versuchsreihen hindurch stets wiederkehrende Erscheinung sieht Verf. als eine Bestätigung der Annahme der Perio- dizität der Transpiration an. „Denn wodurch anders, wenn nicht durch Periodizität soll man die Erhebung der Transpirationskurve erklären, wenn Licht noch nicht vorhanden ist und alle sonstigen äußern Faktoren vielmehr ein Sinken der transpiratorischen Thätig- keit bei der Pflanze herbeiführen müssten“. Die Tabelle zeigt uns ferner, dass das Maximum der Absorption zeitlich ungefähr mit dem Maximum der Transpiration zusammenfällt, dass aber letzteres um ein erhebliches größer ist, als ersteres. In graphischer Darstellung erhielten wir also zwei Kurven, welche ein- ander durchaus nicht parallel gehen. Während die Transpirations- kurve während des Tages höher steigt als die Absorptionskurve, fällt sie Nachts unter diese. Daraus ergibt sich also, dass zwei Momente bestehen müssen, in denen die Wasseraufnahme der Wasserabgabe gleich ist. Diese Gleichheit beider Vorgänge beobachtet man um 297 459 Keller, Transpiration der Pflanzen. 8 Uhr Morgens und um 6 Uhr Abends. Auch darin unterscheidet sich die Absorptionskurve von der Transpirationskurve, „dass sie lang- samer steigt, aber auch langsamer fällt, während letztere zwar sehr schnell steigt, aber dafür auch um so rapider sinkt“. Dass das Licht der Faktor ist, welcher den Gang der Transpira- tion am erheblichsten beeinflusst, dafür sprechen folgende bei gewöhn- lichem Tageslicht angestellten Versuche. Helianthus annuus zeigte während sechsstündiger Exposition, in welcher die Luftfeuchtigkeit von 74°], auf 70°/, sank, die Lufttem- peratur aber gleichzeitig um 1!/,° stieg, von Mittags 12,5 Uhr bis 6,5 Uhr eine stete Verminderung der Wasseraufnahme, trotzdem nach der Beeinflussung der äußern Verhältnisse (exkl. Licht) das Gegen- teil zu erwarten war. In der ersten Stunde betrug die Aufnahme 1,2 cm’, in der 6. aber nur noch 0,62 cm’. Besonders instruktiv sind einige mit Asclepias cornutii angestellten Versuche. Im diffusen Lichte verbrauchte die Pflanze in 2 Minuten an Wasser je 12 Teilstriche der Skala des Kohl’schen Transpirations- apparates. „Nun wurde schnell das bisher verdunkelte Fenster frei- gegeben, so dass die Pflanze plötzlich dem direkten Lichte ausge- setzt war. Das zwischen den Pflanzenblättern hängende Thermometer mit geschwärzter Kugel zeigte eine Erhöhung der Lufttemperatur nicht, sondern konstant 16°. Ebenso blieben die relative Luftfeuchtig- keit (74°/,), sowie die Bodenwassertemperatur (16°) gleich hoch“. Unmittelbar nach der direkten Beleuchtung trat eine Erhöhung der Transpiration ein, erkennbar an dem vermehrten Wasserverbrauch ; denn nun stieg derselbe von 12 auf 16 Teilstriche und nach plötz- lichem Abschluss der direkten Beleuchtung sank er wieder auf 12 Teil- striche. Um dem Einwand zu begegnen, dass vielleicht doch erst die Wärmezunahme diese Steigerung der Transpiration hervorgerufen habe, stellt Verf. mit Mercurialis perennis folgende Versuche an: Die Pflanze brauchte bei Einwirkung von diffusem Tageslichte 2 Minuten 40 Sek. zur Verdunstung von 5 Teilstrichen der Skala. Ließ Verf. direktes Sonnenlicht einwirken, welches zur Absorption der Wärmestrahlen eine Alaunlösung zu passieren hatte, dann wurde die gleiche Wasser- menge in 2 Minuten 25 Sek. bis 10 Sekunden verdunstet. Dass die direkte Beleuchtung nieht bloß ein Lichteinfluss, sondern auch ein Wärmeeinfluss ist, zeigte die Vergleichung der Zeit, die nötig ist 5 Teilstriche der Scala zu verdunsten bei Einwirkung direkten Sonnen- lichtes, das durch die Alaunlösung ging, mit solehem, das diese nicht passierte. Im erstern Falle war eine Zeit von 1 Minute 45 Sek. bis 1 Min. 55 Sek. nötig, im letztern 1 Minute 30 Sek. bis 1 Min. 40 Sek. Wir haben früher auf den Unterschied zwischen der Absorptions- und Transpirationsmenge hingewiesen. „Während im direkten Sonnen- ae > Keller, Transpiration der Pflanzen. 453 licht im Laufe der Tagesstunden die Wasserabgabe die Aufnahme überwiegt, im Verlaufe der Nacht dagegen das umgekehrte der Fall ist, tritt ein derartiger Wechsel infolge der Einwirkung diffusen Lichtes nicht ein. „Wohl steigt auch hier die Transpiration während der Tagesstunden und sie fällt während der Nacht, aber nie erreicht sie die Höhe wie bei direkter Beleuchtung“ und dann bleiben Wasser- abgabe und Wasseraufnahme einander im diffusen Tageslicht voll- kommen gleich. Es scheint also in der Hauptsache eine Folge der mit der Einwirkung des direkten Sonnenlichtes verbundenen Erwärmung zu sein, dass im direkten Lichte die Wasserabgabe die Wasserauf- nahme so bedeutend überwiegt“. Man beobachtet allerdings zwischen der gemessenen Wassermenge, die in cm? ausgedrückt wird, und der in g ausgedrückten gewogenen einen gewissen kleinen Unterschied, der aber ohne Zweifel auf den Einfluss der Wärme auf das Volumen des Wassers zurückzuführen ist. So sind für Aselepias incarnata folgende Beziehungen zwischen Wasser-Aufnahme und -Abgabe in diffusem Lichte zu konstatieren: | Boden- BRelakiae Zei | wasser- | Lufttem- |. AUY© Aufnahme Abgabe eit ennaraı aan Feuchtig- |”. n Den | pera- | peratur "ei ijno | nem in g |tur in C® 10 11,30 Vorm. —3 N. ı 21,5—21 | 21,5—21 | 65—69 238 2,29 DB N. — 8,9 Ab. | 21,5 21 | 21,521: |769 71 1,4 1.35 Bezüglich des Einflusses wechselnder Beleuchtung kommt Verf. zu dem früher von Wiesner gefundenen Gesetze. „Eine aus dem Licht ins Dunkle gebrachte Pflanze gibt für sonst konstant bleibende äußere Bedingungen anfangs größere Transpirationswerte als später. Auch hier stellt sich ein stationärer Wert und zwar im allgemeinen früher ein, als wenn die Pflanzen „aus dem dunkeln ins helle gebracht werden“. b. Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf die Transpiration der Pflanze. Die Versuche, die zur Prüfung der Beziehungen zwischen Luftfeuchtigkeit und Wasserabgabe durch die Pflanze an- gestellt wurden, gelangen so zu sagen alle zu dem Ergebnis, dass mit zunehmendem Feuchtigkeitsgehalt der Luft die Transpiration sinkt, mit abnehmendem sich dagegen steigert. Bekannt sind vor allem Unger’s-einschlägige Versuche, welche zeigten, dass die in der Luft bei 91,5°/, relativer Feuchtigkeit transpirierenden Pflanzen (KRieinus communis diente den Versuchen) das 10fache transpirierten wie die im gesättigten Raum befindlichen. Eine von physikalischem Standpunkte aus nicht leicht verständ- liche Frage beschäftigte die Physiologen während längerer Zeit. Kann auch im absolut gesättigten Raum die Pflanze transpirieren? Die Diskussion ist, wie Kohl mit Recht betont, gegenstandslos; es liegt A454 Keller, Transpiration der Pflanzen. im Begriffe Wasserdampfgesättigt, dass der so bezeichnete Raum bei gleichbleibender Temperatur und konstantem Druck niemals Wasser in Dampfform von der Pflanze aufzunehmen vermag. Tritt infolge des Atmungsprozesses in der Pflanze eine Temperaturerhöhung der Luft unter der Glocke ein, dann tritt — der Raum ist jetzt nicht mehr gesättigt — die Transpiration sofort wieder ein. Eberdt’s Versuche lassen uns den Unterschied der Transpiration bei verschiedenem Gehalte der Luft an Wasserdampf erkennen. Die Transpirationsgröße wird durch die Zeit, in welcher 5 Teilstriche der Skala verbraucht werden, bestimmt. Versuchspflanze: Mercurialis perennis. Lufttemperatur 19°. Bodenwassertemperatur 18°. Licht diffus. 85 %/, relativer Feuchtigkeit der Luft 6 Minuten 45 Sekunden 18 — 76,5 ” „ ) ) ” 6 ” 20 „ 72,5—67,5 » ” n ” ” 5 ” 40 ” 63 —60,5 ” ” ” ” ” 5 ” 10 ” 92,93 ” ” „ ” ” 4 ” 40 ” 49,5—48 ” ” u Y ” 4 ” 14 ” Lässt sich aus dieser Versuchsreihe deutlich erkennen, dass die Transpirationsgröße in einem umgekehrten Verhältnis zur Wasser- dampfmenge steht, so hebt doch Verf. vor allem auch die Abhängig- keit der Transpiration zur Menge der Spaltöffnungen hervor, indem er schreibt: „So konnte ich bei stark kutinisierten Pflanzen und andern, die wenig Spaltöffnungen besaßen, beweisen, dass die Transpiration unmerklich sich erhöht, wenn auch die Luft schon einen hohen Grad der Trockenheit erreicht hat“, ec. Einfluss der Wärme auf die Transpiration. Der Ein- fluss der Wärme auf die Wasserabgabe wird von den meisten Forschern in Verbindung mit ihrem Einfluss auf die relative Feuchtigkeit der Luft gebracht, wie z. B. aus Burgerstein’s Worten hervorgeht: dass die Wärme die Transpiration steigert, ist leicht begreiflich, „wenn man bedenkt, dass bei einer Steigerung der Temperatur der Luft diese relativ trockener wird, wogegen durch das Sinken derselben der Feuchtigkeitsgehalt der Luft zunimmt“. Kohl und vor allem nun der Verf. untersuchten die Wirkung der Sonnenstrahlen, also der Wärmestrahlen auf das Oeffnen und Schließen der Spaltöffnungen. Wir geben hier einige der Resultate, »zu denen Eberdt gelangte, wieder. Sie zeigen z. B., dass mittels der von einem erwärmten Bleche (28°) ausstrahlenden Wärme nach 3—5 Sek. die Spaltöffnungen weit geöffnet wurden. Hörte die Einwirkung auf, dann schlossen sie sich nach 2—3 Minuten wieder. Dass nicht der über der Spaltöffnung veränderte Feuchtigkeitsgehalt deren Oeffnen bewirkte, zeigte die Einwirkung warmer, Wasserdampf enthaltender Luft. Die geschlos- RE Keller, Transpiration der Pflanzen. 455 senen Spaltöffnungen wurden nach 10 Sek. langer Einwirkung völlig geöffnet und blieben nach der Einwirkung noch 2—3 Min. geöffnet, bevor sie sich wieder schlossen. Die Einwirkung der dunkeln Strahlen auf die Transpiration wurde ferner in folgender Weise geprüft. Die konzent. Alaunlösung musste aus dem direkten Sonnenlicht die Wärmestrahlen entfernen; die Lösung von Jod in Schwefelkohlenstoff absorbierte aus dem Sonnenlicht die Lichtstrahlen. Während der Versuche blieben sich die Lufttemperatur, die Wassertemperatur und die relative Feuchtigkeit der Luft gleich. Die Transpirationsgröße wurde bestimmt durch die Zeit, welche nötig war um 5 Teilstriche der Skala zu verdunsten. Versuchspflanze: Mercurialis perennis. I. Versuch. In diffusem gewöhnlichen Tageslicht 2 Min. 40 Sek. In direktem durch Alaunlösung ge- gangenen Licht 22252, bis Aal, II. Versuch. In direktem Sonnenlicht . 140 bi 1:80... In direktem durch Alaun gegangenen Sonnenlicht 1575045) >, bis 1,5 „ Ill. Versuch. In direktem Sonnenlicht . .... 1,35, Die verdunkelte Pflanze wurde der Einwirkung der dunkeln Wärme- strahlen ausgesetzt . 33 IV. Versuch. In direktem Sonnenlicht . I: rar 407 “bis 1,3 „ In diffusem Sonnenlicht . 21 10 In diffusem Sonnenlicht und der Ein- wirkung von dunkeln Wärme- Strahlen ea l\aha: fee hekike SAT Mami Aulbis Die dunkeln Wärmestrahlen üben also einen die Transpiration begünstigenden Einfluss aus. In folgender Zusammenstellung kommt der Einfluss der Luft- temperatur auf die Wasserabgabe durch die Pflanze zum Ausdruck. Zur Verdunstung von 5 Teilstrichen der Skala brauchte Mereurialis perennis bei 22° . . . .. 118 Sekunden — 121 Sekunden BR DE HEN ERS SIR LE Ihe R DIOR RIERRIVSR GE RUTSKEBT TI a 2 ME BERN.) SAT De HR ERS RS SD R BD BUITDEEDNES ES DENE 456 Keller, Transpiration der Pflanzen. 28° . . 2... 84Sekunden — 86 Sekunden RN rl‘ A = 82 „ 30: u. He a — 8 5 einmal 83 Sekunden 31 75 I — 79 & Den Einfluss der Bodenwassertemperatur, der auch schon von Kohl nachgewiesen wurde, ersehen wir aus folgender Tabelle. Zur Verdunstung von 5 Teilstrichen der Skala brauchte Mercurialis perennis bei der Lufttemperatur 19° und der relativen Feuchtigkeit von 73—75°/, bei 29,5 — 28,5 Bodenwassertemperatur 2 Min. 55 Sek. BE 25 2 3, 27,5 — 26,5 , Eh: 96,54: 25,5 r Bu Ba 95,5, 24.5 A Bin) 255 24,5 — 23,5 R ERREN 23h 2205 F DREH AHEEE De Dh 1 Byusre 50, 21,5-—,20,5 E 35... 5500, 20,5 BaIE 19,5 iD) 4 ” 3 n 195 — 19 „ 4 ” 5 Y Die Erhöhung der Bodenwassertemperatur begünstigt also die Transpiration, wie Versuche an Asclepias incarnata lehren, allerdings nur innerhalb gewisser Grenzen. Hier ist z. B. bei einer Temperatur von 30° die Verdunstungsgröße jener bei 24° gleich; bei einer Temperatur von 271/,—26!/,° liegt das Maximum. d. Einfluss der Erschütterung auf die Transpiration. Schon Baranetzky stellte gewisse Beziehungen zwischen beiden Vorgängen fest. Vorübergehendes Erschüttern steigert die Transpira- tion, zieht aber an der wieder zur Ruhe gekommenen Pflanze eine Verringerung nach sich. Mehrfach aufeinander folgendes Erschüttern wirkt ungleich. Die anfänglich bedeutende Steigerung wird immer kleiner, schließlich null. Dies weist nach Baranetzky darauf hin, „dass die prall mit dem wässerigen Zellinhalt gefüllten mit elastischen Wänden versehenen Zellen des Blattparenchyms mit einem Stoß auf die Pflanze in zitternde Bewegung geraten, so dass die Interzellular- gänge stellenweise komprimiert werden und einen Teil der in ihnen enthaltenen Luft, mit Wasserdampf geschwängert, nach außen stoßen müssen. Im darauffolgenden Augenblick aber muss die letztere durch frische atmosphärische Luft sofort ersetzt werden. Darum wird auch in der Folgezeit, so lange die Luft der Interzellularräume noch nicht wieder einen gewissen Grad der Sättigung mit Wasserdämpfen er- reicht hat, die Transpiration beträchtlich herabgedrückt“. Zudem sollen bei dauernder Erschütterung die Spaltöffnungen auf geringerer Öefinungsweite verharren und dadurch eine Verminderung der Tran- spiration erzielt werden, Keller, Transpiration der Pflanzen. 45T Die Beobachtungen Baranetzky’s haben nicht durchgängige Bestätigung gefunden. So hat Eberdt bei einmaligen stärkern oder schwächern Stößen keine Aenderung im Gang der Transpiration wahr- genommen. Auch leichte Erschütterungen ließen eine Einwirkung nicht erkennen. Dies zusammen mit der Beobachtung an Pflanzen im Wasserdampf gesättigten Raumeführen Verf. dazu, Baranetzky’s Ansicht für unrichtig zu erklären. Weil nach B. die Wasserdampf- abgabe durch Auspressen erfolgt, müsste sich das auch im Wasser- dampf gesättigten Raume vollziehen. „Viel näher scheint mir eine andere Erklärung für die in Rede stehende Erscheinung zu liegen. Wenn man nämlich bedenkt, dass mit jeder stärkern Erschütterung eines transpirierenden Pflanzenorganes eine Verschiebung der dasselbe umlagernden mit Wasserdampf gesättigten Luftschichte verbunden ist, dass an Stelle dieser eine Luftschichte viel geringern Feuchtigkeits- gehaltes tritt, so ist auch eine Verstärkung der transpiratorischen Thätigkeit des Organes als unausbleiblich anzunehmen“. Auch B’s Annahme einer Verengerung der Spaltöffnung ist be- stritten worden. Wiesner und Leitgeb konnten dieselbe nicht wahrnehmen. Wir schließen hier eine der Versuchstabellen des Verf. an, welche uns über die Resultate seiner Experimente besondere Klarheit verschafft. Versuchsobjekt: .4sclepias cornutii. Lufttemperatur: 17,5°. Wasser- temperatur: 17,5°. Relative Luftfeuchtigkeit: 71,5°/,. Diffuses gleich- mäßiges Tageslicht. Die Pflanze verbraucht 5 Teilstriche der Skala in einer Zeit von 5 Minuten — Sekunden in der Ruhe 5 M — n in der Ruhe 4 an 25 Mi nach der Erschütterung 5 x 15 a Ruhe 4 " 30 a Erschütterung 4 a 50 a Ruhe 4 " 30 ® Erschütterung. 4 55 Ruhe. ” ” Im Anschluss an diese Versuche bespricht Eberdt die Wind- wirkung. Bis vor 2 Jahren d. h. bis zum Erscheinen der Grund- versuche Wiesner’s über den Einfluss der Luftbewegungen auf die Transpiration der Pflanzen wusste man so gut wie nichts über den Einfluss des Windes auf die Transpiration. Wiesner benutzte zur Erregung der Luftbewegung einen Rotationsapparat und fand für Tradescantia zebrina 5 Minuten Ruhe 321 mgr Wasserabgabe 5 n Rotation Göln, , 5 a Ruhe 222 1, n Da die Wasserabgabe durch interzellulare und epidermoidale Transpiration erfolgen kann, ist es wichtig den Einfluss des Windes 458 Keller, Transpiration der Pflanzen auf die Spaltöfinungen kennen zu lernen. Wiesner zeigte, dass der Einfluss des Windes auf die Bewegungen der Schließzellen nicht ein durchgängig gleichartiger ist, dass je nach den Versuchspflanzen die- selben sich bald schließen, bald öffnen. Ferner berücksichtigte er in seinen Versuchen die Windrichtung. Er fand, „dass die Verdunstung am größten war, wenn der Wind senkrecht auf die verdunstende Fläche auffiel; am geringsten, wenn die feuchte Fläche sich auf der dem Windfall entgegengesetzten Seite befand“. Die Kritik Eberdt’s gegen die von Wiesner angewandte Unter- suchungsmethode, die im wesentlichsten dahin zusammenfassen ist, dass dieselbe in mehrfacher Beziehung dem natürlichen Phänomen nicht entspreche, dass namentlich selbst mit schwacher Windwirkung eine Erschütterung der Pflanze verbunden sei, welche W. ausgeschlossen haben wollte, umgehen wir um des Verf. eigne Versuchsresultate zu beschreiben. Die Verdunstungsgröße wird teils durch die Zeit, die zum Verbrauch einer bestimmten Wassermenge nötig war, gemessen, teils durch Wägung der verdunsteten Wassermenge. Wir geben die an Asclepias cornuti gewonnenen Resultate wieder. Lufttemperatur 19°; Wassertemperatur 19°; relat. Feuchtigkeit 72,5°],. 1) Die Organe der Versuchspflanze waren freibeweglich. Die einwirkende Windgeschwindigkeit beträgt 2m pro Sekunde. Die Pflanze verbrauchte zur Verdunstung von 10 Teilstrichen der Skala Ruhe 4 Min. 25 Sek.; Ruhe 4 Min. 25 Sek.; Wind 3 Min. 27 Sek.; Ruhe 4 Min. 32 Sek. 2) Wie 1., aber die Transpirationsorgane sind fixiert. Ruhe 4 Minuten 25 Sek.; Wind 3 Min. 38 Sek.; Ruhe 4 Min. 35 Sek. 3) Wie 1., aber Geschwindigkeit 3 m. Ruhe 4 Minuten 25 Sek.; Wind 3 Min. 15 Sek.; Ruhe 4 Min. 40 Sek.; Ruhe 4 Min. 5 Sek. 4) Wie 3., aber die einwirkende Windgeschwindigkeit beträgt 5 Meter pro Sekunde. Ruhe 4 Minuten 25 Sek.; Wind 3 Min. 5 Sek.; Ruhe 4 Min. 45 Sek. 5) Wie 4., aber die Versuchspflanze ist fixiert. Ruhe 4 Minuten 25 Sek.; Wind 3 Min. 22 Sek.; Ruhe 4 Min. 41 Sek. 6) Die einwirkende Windgeschwindigkeit beträgt 6 Meter pro Sekunde. Die Blätter der Versuchspflanzen waren freibeweglich. Ruhe 4 Minuten 25 Sek.; Wind 3 Min.; Ruhe 4 Min. 52 Sek. Methode der Wägung der transpirierten Wassermenge: 1) Die Organe der Versuchspflanzen waren freibeweglich; die ein- wirkende Windgeschwindigkeit beträgt 2m pro Sekunde. Die Pflanze verdunstete in 5 Minuten während der Ruhe 0,13 g; während der Einwirkung des Windes 0,251 g; Ruhe 0,121 g Keller, Transpiration der Pflanzen. 459 2) Organe fixiert, sonst wie 1). Ruhe 0,132 g; Wind 0,228 g; Ruhe 0,115 g 3) Wie 1., aber 3 m Geschwindigkeit. Ruhe 0,130 g; Wind 0,271 g; Ruhe 0,113 g 4) Wie 3., aber 5 m Geschwindigkeit. Ruhe 0,132 &; Wind 0,292 g; Ruhe 0,108 g 5) Wie 2., aber 5 m Geschwindigkeit. Ruhe 0,130 g; Wind 0,267 g; Ruhe 0,109 g 6) Windgeschwindigkeit 6 m pro Sekunde. Versuchspflanze frei- beweglich. Ruhe 0,130 g; Wind 0,298 g; Ruhe 0,103 g Auf die fixierte Pflanze wirkt also der Wind weniger stark ein als auf die freibewegliche. Der Unterschied gibt den Einfluss der Erschütterung auf die Transpiration an. Kleinere Windgeschwindig- keiten wirken verhältnismäßig viel stärker als größere. „Es hat dies darin seinen Grund, dass die durch den Wind erhöhte transpiratorische Thätigkeit der Pflanze auf dem stetig wechselnden resp. verringernden Feuchtigkeitsgehalt der das transpirierende Organ umgebenden Luft beruht. Bei einer geringern Windgeschwindigkeit von 1—2 Meter pro Sekunde ist aber der Wechsel der das transpirierende Organ umgebenden Luftschichte im Verhältnis zur Größe des Organes schon ein sehr häufiger, so dass ein noch schnellerer Wechsel nur von ge- ringerer Einwirkung sein kann“. Aus der Vergleichung der Resultate durch Messung und Wägung ergeben sich Differenzen, die uns zeigen, dass die Wasseraufnahme durch die Wurzeln der Wasseraufnahme durch die Blätter nicht völlig Schritt zu halten vermag. Hiemit stimmt die Beobachtung, „dass man nach längerer Zeit hindurch anhaltender, die Transpiration be- schleunigender äußerer Einwirkung regelmäßig ein Schlaffwerden der Blätter beobachten kann“. e. Von der Periodizität der Transpiration. Unger be- hauptete als der erste eine Periodizität der Transpiration auf Grund von Versuchen, die mit im Freien wachsenden Pflanzen angestellt wurden. Er fasst seine Beobachtungen in die Worte zusammen: „Die Transpiration der Gewächse geht in der That nicht in gleichmäßiger Form vor sich, sondern steigt und fällt trotz aller hemmenden und begünstigenden Nebeneinflüsse in den verschiedenen Stunden des Tages, so dass innerhalb 24 Stunden stets ein Maximum und ein Minimum eintritt. Das Maximum der Transpiration fällt auf die Tagesstunden von 12—2 Uhr, der Eintritt des Minimums erfolgt zur Nachtzeit“. Es liegt, wie Eberdt mit Recht hervorhebt, auf der Hand, dass der Versuch nur dann absolute Giltigkeit beanspruchen kann, wenn die Einwirkung der äußeren Faktoren, welche beeinflussend auf die 460 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. Transpiration wirken, zum teil eliminiert (Lichteinwirkung) oder wäh- rend der Dauer des Versuchs konstant (relat. Luftfeuchtigkeit, Boden- wasser- und Lufttemperatur) gehalten werden. Verf. operierte im dunklen Zimmer. Wir geben die Resultate des IV. Versuches teilweise wieder. Als Versuchsobjekt diente Aselepias incarnata. Relative Boden- Zeit Aufnahme Luftfeuch- wasser- Luft- in em? tigkeit in °/, | temperatur | temperatur 42 Nachts — 1 Uhr | 0,15 10 17,5 17,6 2 a end 0,19 10 10,8 17,6—17,5 4 Fa ae 0,25 10 17,5 17,4—17,3 6 Erde ee 0,29 10 17,5 17,3 8 IN, 0,42 10 17,5—17,6 | 17,5—17,7 10 Br A 0,54 10 17,6 17,8 11 el 2 0,58 10 17,6—17,7 17,8 9 ER ER 0,61 10 HET 17,8 2 un 0,55 10 17,2 17,9—18 4 a iD 0,45 10 17,8 18 6 li ee 0,35 10 17,8 18—17,9 8 ZERO 0,25 10 A 17,8—17,7 10 , 0,15 10 176 17,7 12 A SR 0,12 10 17,6 17,6 Ungers These von der Periodizität der Pflanzen wird also durch Eberdt’s äußerst exakte Versuchsreihe nur bestätigt. Dr. Rob. Keller (Winterthur). Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. Von Prof. ©. Langendorff in Königsberg. (Schluss.) III. Außer der regulatorischen Bedeutung sind der Schilddrüse, besonders in neuerer Zeit, andere Beziehungen zu den nervösen Zentralorganen zugeschrieben worden, die ich hier kurz erwähnen möchte. In erster Reihe ein Einfluss auf die Ernährung des Ge- hirns. Die nahen Beziehungen von Entartung der Schilddrüse und Idiotismus, die schon früh auftauchenden Angaben (Cooper, Rush), dass nach Ausrottung der Drüse bei Tieren schwere Störungen in den Verrichtungen des Zentralnervensystems entstehen, mochten den ersten Grund zu dieser Annahme gelegt haben. Ein solcher Einfluss könnte einmal auf den Blutlaufsverhältnissen beruhen; es ist in der That mehrfach ausgesprochen worden, dass die Regulierung des cerebralen Blutstromes durch die Schilddrüse den Zentralorganen normale Er- nährungsbedingungen sichere. Doch könnten auch noch andere Be- ziehungen bestehen. Schon oben wurde die Meinung Simon’s ge- würdigt, derzufolge die Schilddrüse als echte Drüse ein Sekret liefern Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. 461 soll, das der Ernährung des Gehirns zugute komme. In neuerer Zeit hat Sehiff (1834) aufgrund seiner wichtigen Exstirpationsversuche eine ähnliche Vermutung ausgesprochen. Ewald (1887) hat sich ihr angeschlossen. Aehnliche Ansichten haben Sanquirico und Ca- nalis (1884) sowie Ughetti und Di Mattei (1885) geäußert. Eine andere Reihe von Forschern hat aus den merkwürdigen Krankheitserscheinungen, die nach der Fortnahme der Schilddrüse eintreten, und die in der That einer Vergiftung nicht unähnlich sind, gefolgert, dass die Drüse dieAufgabe habe, dem Blut Stoffe zu entziehen, die dem Nerensysteme schädlich seien. Diese Stoffe dachte man sich als dem Stoffwechsel entstammend, und während andere ähnlich giftige Produkte desselben vernichtet oder durch den Harn ausgeschieden werden, glaubte man, dass sie in der Schilddrüse zerstört oder durch eine gewisse Fixierung unschädlich gemacht werden. So verglich Colzi (1884), der wohl der Urheber dieser Auffassung sein dürfte, den nach der Fortnahme der Schild- drüse bei Tieren eintretenden Krankheitszustand gradezu mit der Urämie, die der Exstirpation der Nieren folgt. Er sah die Erkrankung für mehrere Tage verschwinden, wenn er das Blut des operierten Hundes durch das eines gesunden ersetzte. Einer ähnlichen Auffassung huldigt J. Wagner (1884). Auch Rogowitsch (1888) vergleicht das nach der Ausrottung der Drüse sich darbietende Krankheitsbild mit einer Intoxikation durch ein Nervengift; das Gift entstammt, seiner Meinung nach, dem Stoffwechsel und wird durch die Colloidsubstanz der Schilddrüse neutralalisiert. Fehlt die Drüse, so entfaltet es seine verderbliche Wirksamkeit. Horsley (1884) denkt an eine ähnliche Bedeutung. Neben ihren hämatopo£tischen Funktionen kommt, wie er glaubt, der Schilddrüse die Aufgabe zu, das im Körper gebildete Muein oder dessen Vorprodukte dadurch unschädlich zu machen, dass sie dasselbe in Stoffe verwandelt, die für den Organismus verwertbar sind. Fehlt diese Vermittlung, so entsteht Verschleimung der Gewebe (Myxödem), schwere nervöse Störungen und Verblödung. Auch Virchow (1887) zeigt sich einer solchen Auffassung nicht abgeneigt, indem er sich auf den Symptomenkomplex des Myxödems beim Menschen einerseits und die verderbliche Wirkung von schnellem Kropfschwund und Kropfexstirpation anderseits beruft. Es kann nicht geleugnet werden, dass, so schwer verständlich eine solche Einrichtung auch wäre, die Auffassung der Schilddrüse als eines Entgiftungsapparates Manches für sich hat. Dass die Drüse ein Sekret, die Colloidsubstanz, bildet, ist zweifellos; ob das- selbe aus ihr wieder entfernt wird, ist fraglich, denn es häuft sich in den großen Lymphräumen der Drüse massenhaft an. Vielleicht ist sie wirklich ein Stapelplatz für unbrauchbare Waare. Dazu kommt, dass R. Ewald Hunde durch subkutane Einspritzung von Schild- drüsensaft in einen eigentümlichen schlafsüchtigen Zustand versetzen 462 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. konnte. Ich selbst habe ähnliche Versuche im größern Maßstabe an- gestellt und bin zu sehr merkwürdigen Ergebnissen gelangt, deren Mitteilung ich mir aber noch vorbehalten muss. Wie aus dieser Zusammenstellung zu erkennen, ist die Frage nach der Bedeutung der Schilddrüse in neuester Zeit wieder in Fluss gekommen. Hauptsächlich sind es die Ergebnisse der Exstirpations- versuche, die dazu die Anregung gegeben haben. Schon ältere Forscher hatten bei Tieren die Schilddrüse ausgerottet und nach dieser Operation zum teil sehr auffallende Krankheitserscheinungen eintreten sehen. So soll Cooper (nach einem Bericht von Hofrichter 1820) bei Hunden, denen er die Schilddrüse ausschnitt, „eine Art Dummheit, Blödsinnigkeit“ beobachtet haben; ähnliches scheint Rush (1806) gesehen zu haben. Auch Rapp (1840), Bardeleben (1841—1844), später Hegar und G. Simon exstirpierten die Drüse; Maignien sah, wie aus einer Bemerkung in Soemmering-Huschke’s Ein- seweidelehre (1844) und einer Andeutung von Serres (1845) zu entnehmen ist, nach der Fortnahme der Drüse Hirn- und Rücken- marksfunktionen leiden; Hunde und Katzen wollten nicht mehr laufen, wie wenn sie Furcht davor hätten u. s. w. Waren es schon bei diesen ältern Versuchen wesentlich chirurgische Interessen, die dazu die Veranlassung gegeben hatten, so geht auch der neuere Aufschwung von den Chirurgen aus. Besonders aus der von Kocher aufgrund außerordentlich zahlreicher Operationen ge- wonnenen Erfahrung, dass Menschen nach Fortnahme der kropfig ent- arteten Drüse unter schweren nervösen Erscheinungen (Cachexia strumipriva) erkranken können, erwuchs der Wunsch und die Nötigung, experimentelle Untersuchungen an Tieren anzustellen. War die Drüse ein lebenswichtiges Organ, so durfte man fürderhin ihre Entfernung beim Menschen nicht wagen. Schiff, der schon in den fünfziger Jahren ähnliche, aber kaum beachtete Versuche angestellt hatte, er- öffnete mit neuen Versuchen im Jahre 1884 den Reigen der Experi- mentatoren; ihm folgen Colzi (1884), J. Wagner (1884), Sanqui- rico und Canalis (1884), Zesas (1884/85), Horsley (1884/86), Albertoni und Tizzoni (1885/86), Ughetti und Di Mattei (1885), Fuhr (1886), Rogowitsch (1886/89), Herzen (1886), R. Ewald (1887/89), H. Munk (1887/88), Drobnick (1887), Sanquirico und Oreechia (1857), Autokratow (1837), Carle (1888). Es ist unmöglich, hier auf die Versuchsanordnungen, die Variation des experimentellen Verfahrens, die verschiedenen von diesen Forschern erhobenen Befunde im Einzelnen einzugehen. Ein Teil der Literatur ist kritisch bei Fuhr zusammengestellt; neuestens haben auch Ribbert und Grützner zusammenfassende Darstellungen derselben gegeben. Es ist ja zweifellos, dass die Angaben der zahlreichen Unter- sucher in den Einzelheiten oft sehr verschieden sind, einander sogar nun. Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. 463 widersprechen, dass die Einen Erscheinungen beobachten und für be- deutungsvoll halten, die Andern entgangen oder belangslos erschienen sind; dennoch ist die Schilderung, die von den Einzelnen von den nach der Fortnahme der Schilddrüse am meisten hervortretenden und am regelmäßigsten sich findenden Symptome gegeben wird, eine so weit übereinstimmende, dass man gegenwärtig in der Lage ist, ein allgemeines Bild von den Folgeerscheinungen der Schilddrüsenexstirpa- tion zu entwerfen. Ich will dies hier versuchen, indem ich mich dabei zugleich auf eigne, nicht weiter veröffentlichte Beobachtungen stütze. Zunächst ist zu bemerken, dass sich gegen die Exstirpation der Schilddrüse verschiedene Tierklassen verschieden verhalten. Für die fleischfressenden Tiere (untersucht sind Hund, Fuchs, Katze) ist die Operation fast immer tödlich, während das herbivore Kaninchen, die Ratte, Meerschweinchen, Schaf, Ziege, Pferd und Rind sie ertragen, ohne auch nur wesentlich zu erkranken. Bezüglich des omnivoren Schweines und des Affen liegen einander widersprechende Angaben vor; jedenfalls scheint es beim letztern niemals, beim erstern nicht immer ohne Erkrankung abzugehen. Man kann sich nicht der Thatsache verschließen, dass die Lebensweise eines Tieres einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg der Operation hat; und es liegt nahe, die Verschiedenheit des Verhaltens auf die Ernährung, auf die Verscbie- denheit des Stoffwechsels und die von ihm gelieferten Produkte in den einzelnen Tierklassen zu beziehen. Wirkt die Ausrottung der Drüsen wirklich nach Art einer Selbstvergiftung, so könnte man auch an eine Analogie mit gewissen Alkaloiden (Atropin z. B.) denken, denen gegenüber Pflanzenfresser sich oft ganz anders verhalten wie die fleischfressenden Tiere. Versuche an Vögeln wären von großem Wert. Für den Hund liegen von seiten zuverlässiger Forscher Beobach- tungen vor, nach denen einzelne Tiere die Operation überlebt haben, zuweilen sogar, ohne überhaupt zu erkranken. Indessen ist beim Hunde das Vorkommen von Nebenschilddrüsen beobachtet worden, die teils am Halse, teils in der Gegend des Herzens ihren Sitz haben und auf die wohl nicht immer die gebührende Rücksicht genommen worden ist. Der Tod der operierten Tiere tritt bald schneller, bald langsamer ein; manche sterben nach wenigen Tagen, andere erst nach Wochen und Monaten. Jedenfalls hat hierauf das Alter einen großen Ein- fluss, insofern als junge Tiere schneller zu grunde gehen, wie alte. Entfernung nur einer Schilddrüse (beim Hunde sind die beiden Drüsen völlig von einander getrennt) wird meistens ohne üble Folgen ertragen; wird später die andere Hälfte fortgenommen, so verhalten sich die Tiere wie nach einzeitiger Ausrottung beider Drüsen. Nur Schiff hatte in dieser Beziehung andere Resultate erhalten, 464 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. Unter den Krankheitserscheinungen, die bei Hund und Katze zur Beobachtung kommen, sind folgende hervorzuheben: Fi- brilläre, besser bündelweise Zuckungen vieler Muskeln, besonders der- jenigen der Stirn und des Nackens; Steifigkeit der Extremitäten, die bis zur tetanischen Starre ausarten kann; zitternde Bewegungen, un- beholfener Gang, taumelnder Stand, Einnahme höchst absonderlicher, einem gesunden Tiere sicher sehr unbequemer Stellungen. Anfalls- weises Auftreten klonischer und tetanischer, zuweilen ausgesprochen epileptiformer Krämpfe; Störungen der Atmung. Schluckstörungen, erschwerte Nahrungsaufnahme. Die Augäpfel sind meist zurück- gesunken, die Nieckhäute vorgeschoben. Vorübergehend oder dauernd sind einzelne Muskelgruppen paretisch oder sogar gelähmt. Die Tiere sinken bei ihren unbeholfenen Gehversuchen oft in der Mitte des Zimmers wieder zusammen, sind überhaupt schnell erschöpft und haben ein auffallend großes Schlaf- und Ruhebedürfnis. Sie zeigen ein scheues und indolentes Wesen gegen den Menschen und gegen ihresgleichen; ihre Munterkeit ist geschwunden. Ob aber wirkliche Verblödung, wie mehrfach behauptet worden ist, eintritt, müsste erst durch eine sorgfältigere Analyse der Erscheinungen festgestellt werden. Bei dem leidenden Zustand der Tiere ist eine solche nicht ohne Schwierigkeit. Ganz bestimmt ist die Intelligenz nicht immer geschädigt. Neben diesen, übrigens nicht immer gleichzeitig vorhandenen, sondern sich auch hinter- und auseinander entwickelnden Erschei- nungen gibt es noch solche, die weniger konstant eintreten. Hierhin gehören die Atmungsanfälle, während deren die Respiration sich bis zu ungeheurer Frequenz steigern kann. Aehnliche Anfälle von seiten des Herzschlages sind wohl öfters der Beobachtung entgangen. Hierher ist ferner zu rechnen das Erbrechen, übler Geruch aus dem Maule; ferner eigentümliche Parästhesieen, besonders im Trigeminusgebiet; Konjunktivitis und Hornhautentzündung, die wohl traumatischen Ur- sprungs sein und mit dem zu lebhaftem Scheuern an der Wand und an andern Gegenständen führenden Jucken der Gesichtshaut im Zu- sammenhang stehen dürfte. Der Grad der mehr andauernden Dyspnoe ist ein sehr wechselnder; sie kann ganz geringfügig sein. Auch beim Affen sind Zittern, fibrilläre Zuekungen, Rigidität der Muskeln, Krampfanfälle beobachtet worden. Nach Horsley sollen sich später die Symptome des „Myxödems“ einstellen: Schwellung der Gesichts- und Bauchhaut infolge von schleimiger Infiltration der Gewebe; ferner Hypertrophie der Speicheldrüsen, Schleimabsonderung aus der sonst zu den Eiweißdrüsen zu rechnenden Parotis; die In- telligenz soll erheblich abnehmen, die Tiere sollen apathisch und imbeeill werden u. s. w. Munk hat von diesen Erscheinungen nichts gesehen; es ist unaufgeklärt, woher diese Widersprüche rühren. — Aus alledem geht hervor, dass viele Tiere, besonders die Fleischfresser, nach Ausrottung der Schilddrüse unter Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. 465 nervösen Krankheitserscheinungen zu grunde gehen, die sich im wesentlichen auf motorischem Gebiete äußern, ohne indess das sensible frei zu lassen, und die mög- licherweise auch die intellektuelle Sphäre beteiligen — Erscheinungen, in denen man bald mehr, bald weniger Aehnlich- keit mit den beim Menschen nach Exstirpation der kropfig entarteten Schilddrüse beobachteten Krankheiten, der Tetanie (N. Weiß), der Cachexia strumipara (Kocher), dem Myxödem (Reverdin) zu finden geglaubt hat. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass es sich um eine Er- krankung der nervösen Zentralorgane handelt; aber wie und weshalb dieselben erkranken, das ist jetzt der Angelpunkt der ganzen Schilddrüsenfrage. Man hat daran gedacht, dass eine von der Opera- tionsstelle aufsteigende, Rückenmark und Gehirn beteiligende Neuritis im Spiel sein könnte; die geringen entzündlichen Schwellungen u. s. w., die man an den bei der Operation durchschnittenen Nerven ge- funden hat, bieten dafür keine genügenden Anhaltspunkte. Zwar sind anatomische Veränderungen auch an den nervösen Zentralorganen behauptet worden (Rogowitsch); aber die Schwierigkeit der hier anzustellenden Untersuchung macht ganz besondere Vorsicht in den Schlussfolgerungen zur Pflicht. Im Ganzen kann man wohl sagen, dass die bisherigen Sektionsergebnisse so gut wie negativ gewesen sind. Es könnte sich weiter um funktionelle Störungen handeln, die durch eine mangelhafte Ernährung der Zentralorgane her- vorgerufen sind, oder um Intoxikationserscheinungen. Wir haben oben die in dieser Richtung über die Schilddrüsenfunktion auf- gestellten und gegenwärtig vielen Anklang findenden Vermutungen bereits besprochen. Daneben sind andere Stimmen laut geworden, welche die Schilddrüse ganz und gar ihres Prestige entkleiden möchten. Vor allem haben H. Munk und Drobnick die verderbliche Wirkung der Schilddrüsenexstirpation als Folge von Nebenverletzungen, von Schädigung der der Drüse nahe gelegenen Halsnerven hinzu- stellen gesucht. Während Drobnick, allerdings mit Vorbehalt, die Erscheinungen wesentlich auf reflektorischem Wege, von den der Drüse benachbarten, bei der Operation verletzten Nervenstämmen aus zu stande kommen lässt, glaubt Munk, dass diese Verletzungen und die mit der Wundheilung verbundenen Reizungen zunächst zu schweren Zirkulations- und Atmungsstörungen Anlass geben, und dass diese erst zu einer Schädigung der Ernährung der Nervenzentren führen. Von Wichtigkeit ist besonders seine Angabe, dass nach Durehtrennung des Rückenmarks in der Höhe des letzten Brustwirbels die fibrillären Zuekungen, die klonischen und tonischen Krämpfe nicht nur am Vorderkörper, sondern auch am Hinterkörper des Tieres ein- treten. Mit der Annahme einer lediglich reflektorischen Erregung IX. 30 466 Langendorff, Aeltere und neuere Ansichten über die Schilddrüse. der krankhaften Zustände würde sich diese Beobachtung wohl kaum vertragen. Eine andere Frage ist aber, ob die von Munk in den Vorder- grund gestellten Störungen des Kreislaufs und der Atmung immer so bedeutend sind, dass sie zu einer so schweren Ernährungsstörung und Erkrankung des Zentralorgans führen können, und eine weitere, ob infolge von chronischem Sauerstoffmangel und Kohlensäurean- häufung jemals ähnliche Krankheitserscheinungen beobachtet worden sind. Beide Fragen sind sicher nicht unbedingt zu bejahen; es wer- den noch weitere, noch eingehendere Untersuchungen notwendig sein, um hier zu entscheiden. Das sind in kurzen Zügen die Ergebnisse einer Untersuchung, an der sich so zahlreiche Forscher beteiligt haben. Im wesentlichen sind es chirurgische Gesichtspunkte gewesen, die zu dem neuen Auf- schwung der Schilddrüsenversuche geführt haben. Je nachdem man nun dieses Interesse oder mehr das des Physiologen voranstellt, wird man mit etwas verschiedenen Absichten und Wünschen an die Unter- suchung der Schilddrüse gehen. Für den Chirurgen ist in erster Linie nur von Wichtigkeit zu wissen, ob die Schilddrüse exstirpiert werden darf, ohne dass der Öperierte Schaden an Gesundheit und Leben erleidet. Stellen sich nach der Ausrottung der Drüse regelmäßig Krankheitserscheinungen ein, so kommt für ihn die Frage erst in zweiter Linie, ob diese Störungen durch nebenherlaufende, unvermeidliche Nervenverletzungen bedingt sind, oder dadurch, dass das Organ als solches wichtige Auf- gaben zu erfüllen hat, deren Nichterfüllung mit dem Leben gebüßt wird. Für den Physiologen dagegen steht diese Frage im Vorder- grund. Stellt sich heraus, dass nur Nebenverletzungen die Schuld an Krankheit und Tod der geopferten Tiere haben, so kann ja ihn das zu weiteren Forschungen über die Funktionen der Halsnerven u. ä. anregen, aber sein Interesse an der Schilddrüsen -Exstirpation hat damit ein Ende. Ein Interesse hat für ihn diese Operation nur, wenn er aus ihren Folgen Schlüsse auf die Verrichtungen der Drüse ziehen kann. Diese zu erforschen bleibt aber auch noch dann seine Aufgabe, wenn die Exstirpationsversuche nicht zu verwertbaren Er- gebnissen geführt haben. Die Ausrottung eines Organs ist für den Physiologen nur eines der Hilfsmittel, die ihm zur Erreichung seiner Absicht zur Verfügung stehen, ein Hilfsmittel, das in vielen Fällen gänzlich versagt. Wer hätte jemals aus den Folgen der Ausschaltung des Magens einen Schluss auf seine Funktion ziehen können? Um zur Aufklärung über die Verrichtungen der Schilddrüse zu gelangen, werden noch zahlreiche andere Wege einzuschlagen sein. Manches ist hier schon geschehen, mehr bleibt noch zu thun. Das Meiste ist von der chemischen und der mikroskopischen Erforschung Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 467 des Organs zu erwarten. Die zahlreichen Bemühungen der physio- logischen Chemie haben bisher noch nicht zum erwünschten Ergebnis geführt. Die reiche hier bereits vorhandene Literatur — vor kurzem ist sie von N. Bubnow zusammengestellt worden — enthält nur wenig Verwertbares. Was vor allem noth thut, das ist neben der chemischen und, ich möchte sagen, toxikologischen Untersuchung der Kolloidsubstanz eine vergleichende Analyse des der Drüse zufließen- den und von ihr abfließenden Blutes und der aus ihr hervortretenden Lymphe; Ecker (1855) bezeichnete diesen sogar als den einzigen Weg, auf dem eine Erkenntnis der Funktion dieses Organs zu er- langen sein dürfte. Die mikroskopische Untersuchung hat vor allem festzustellen, ob die Schilddrüse eine absondernde Drüse ist oder nicht. Ich glaube allerdings, dass nach den Kenntnissen, welche die trefflichen Unter- suchungen mehrerer Forscher — ich nenne von den neueren Poin- care, Boe&chat, Zeiss, Baber, Biondi — erschlossen haben, kaum mehr ein Zweifel daran möglich ist. Die weitere Forschung wird zu entscheiden haben, ob unter dem Einfluss nervöser Reizung oder gewisser Vergiftungen funktionelle Aenderungen der Epithelzellen eintreten, die das mikroskopische Bild verschieden werden lassen von dem der ungereizten Drüse. Diese Untersuchungen müssten be- gleitet sein von einer eingehenden Erforschung der vasomotorischen Innervation der Drüse. Damit sind freilich noch nicht alle Forderungen ausgesprochen, die zu erfüllen wären, wenn man mit allen Hilfsmitteln neuerer Me- thodik es unternehmen wollte die so lange verhüllt gebliebene Be- deutung dieses merkwürdigen Organs aufzudecken. Ueber psychische Zeitmessung. Von Dr. Karl Fricke. (Schluss,) 1li. Zusammengesetzte Reaktionszeiten. B. Die Wahlzeit. Wenn die Versuchsordnung an den Reagierenden die Forderung stellt, auf einen vorher bestimmten Sinnesreiz eine gleichfalls be- stimmte Reaktionsbewegung auszuführen, auf alle andern Eindrücke dagegen ruhig zu bleiben, wie es die c-Methode von Donders oder die einfache Wahlmethode verlangt, oder wenn man auf den Eindruck A mit der Bewegung «a, auf B mit £ antwortet u. s. f., wie bei der 5-Methode oder der mehrfachen Wahlmethode, so ist beiden die Eigentümlichkeit gemeinsam, dass der Wahl der Bewegung eine Unterscheidung oder Erkennung des zugeordneten Sinnes- eindrucks vorangeht!). Den eigentlichen Wahlakt wird man in seiner 1) So ist es allerdings denkbar mit Hilfe dieser Methode auch die Er- kennungs- und Unterscheidungszeiten zu messen, wenn es gelingt, die 30* 4658 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Dauer also dadurch messen, dass man von der ganzen Wahlreaktion die entsprechende Unterscheidungsreaktion abzieht. Indess bei häufiger Wiederholung derartiger Vorgänge, bei denen längere Zeit hindurch auf einen und denselben Sinneseindruck die gleiche Reaktionsbewegung folgt, bildet sich allmählich eine Assozia- tionzwischen beiden, die wählende wie auch die unterscheidende Bewusst- seinsthätigkeit weichen einer autoumatischen Koordination !), einem rein physiologischen Vorgange, welcher unterhalb der Bewusstseinsschwelle verläuft. Um die allmähliche Entstehung derselben in ihren ersten Anfängen zu verfolgen, sind Versuehe mit völlig ungeübten Personen von Interesse. Als ich im Leipziger Laboratorium meine ersten Reaktionen nach der c-Methode von Donders ausführte, war zunächst die Anordnung so getroffen, dass beim Wechsel verschiedener Farben nur auf rot reagiert wurde. Obgleich eine Reihe einfacher Reaktionen auf rot unmittelbar vorhergegangen war, so ließ sich doch keinerlei Verknüpfung zwischen dieser Farbe und der Reaktionsbewegung be- merken. Die mehrere Wochen hindurch vorausgegangene Uebung bei einfachen und sogenannten Unterscheidungsreaktionen (nach der d-Methode) auf jeden Reiz zu reagieren, machte sich durch mehrere falsche Reaktionen auf andere Farben geltend. Der darauf verstärkte Vorsatz, bei andern Farben den Bewegungsimpuls zu unterdrücken, führte dahin, dass auch zweimal die Reaktion auf rot verfehlt wurde. In den beiden folgenden Versuchsreihen wurden falsche Reaktionen vollständig vermieden, unter den Zeiten kamen jetzt, wie auch in der ersten Reihe, schon solche wie 297, 299, 303, 304 o vor, also Zahlen, welche auch bei den sogenannten Unterscheidungsversuchen oder selbst bei einfachen sensoriellen Reaktionen hätten vorkommen dürfen, daneben allerdings auch andere, welche zwischen 500 und 600 o lagen. Namentlich wenn rot drei oder viermal auf einander folgte, stiegen die Zahlen auf 400 o und darüber, ein Zeichen, dass die Verknüpfung zwischen dem Eindruck von rot und dem Bewegungsimpuls keine mechanische geworden, sondern immer noch durch eine der Erkennung der Farbe folgende Ueberlegung vermittelt wurde. Die Erwartung, dass auf rot nicht wieder rot, sondern eine andere Farbe kommen würde, auf welche die Hand ruhig bleiben musste, verzögerte die Reaktion und bewies deutlich das Vorhandensein eines Wahlaktes zwischen Bewegung und Ruhe. Darauf wurde versucht auf blau zu reagieren. Die erste Reihe hatte wieder sehr hohe Zeitwerte und Wahlzeit auszusondern. Allerdings würde dann, wie von Kries hervorhebt, die c-Methode von der von Wundt empfohlenen den Vorzug haben, dass durch Fehlreaktionen eine gewisse Kontrole über falsche Zeitwerte ausgeübt wird. Vergl. von Kries, Vierteljahrsschrift für wissenschaftl. Philosophie, XT. Jahrg, 8. 13: 1) Vergl. Wundt, Physiol. Psychologie, 1887, II. Bd., S. 319 u. fg. und derselbe, System der Philosophie, 1889, S. 548. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 469 außerdem zwei falsche Reaktionen auf rot aufzuweisen. Dadurch gab sich zum ersten mal zu erkennen, dass eine automatische Ver- knüpfung von rot und Bewegung sich auszubilden begonnen hatte, deren Wirkung nunmehr durch bewusste Ueberlegung unterdrückt werden musste. Dies gelang auch bereits in der zweiten Versuchs- reihe, deren Zahlwerte sich allmählich denen der frühern Reihe auf rot näherten. Diese ersten Versuche sind selbstverständlich schon infolge der großen Schwankungen weit davon entfernt, für die Ermittlung der Dauer des Wahlaktes Bedeutung zu beanspruchen, aber von gewissen allgemeinen Gesichtspunkten haben sie allerdings ein Interesse, eben weil sie die ersten sind. Wie sie einmal durch die Beobachtung der erwähnten Thatsachen die Auffassung unterstützen, dass die c-Methode ursprünglich einen Wahlakt einschließt, so lassen sie auch anderseits in unzweideutiger Weise erkennen, dass die mit Bewusstsein voll- zogene Wahl allmählich durch eine mechanische Verknüpfung von Reiz und Bewegung ersetzt wird, die schon in verhältnismäßig kurzer Zeit zu einer Kraft anwächst, welche nur durch Anstrengung der Willensthätigkeit überwunden werden kann. Bei großer Uebung können natürlich die psychischen Elemente auch bei dieser Reaktionsweise immer weiter verkürzt und schließlich ebenso vollständig verdrängt werden, wie bei einfachen Reaktionen, namentlich wenn eine besondere Richtung der Aufmerksamkeit), deren Bedeutung für die Reaktions- weise wir schon früher kennen lernten, dieser Umwandlung zu Hilfe kommt. Dass solche Reaktionen aber gänzlich ungeeignet sind, durch die oben erwähnte Berechnung eine Auskunft über die Dauer irgend welcher psychischer Vorgänge zu erteilen, liegt auf der Hand. In der Regel liegt aber bei der Beurteilung der frühern nach den Wahlmethoden veranstalteten Untersuchungen eine Schwierigkeit ganz entgegengesetzter Natur vor. Wie wir oben sahen, sind die einfachen Reaktionen der meisten frühern Beobachter niemals vollständig sen- sorielle, oft sogar extrem-muskulärer Natur, und ebenso ist bereits darauf hingewiesen, dass die Unterscheidungs- oder Erkennungsreak- tionen nach der d-Methode nicht selten in ihrer Dauer hinter den streng sensoriellen Ergebnissen zurückbleiben?). Wenn solche Be- obachter ohne große Uebung in den Wahlmethoden zu letztern über- gingen, so musste hier zunächst eine Unterscheidung des Sinnes- eindrucks, auf welchen reagiert werden sollte, dem Wahlakte voran- gehen, und es ist klar, dass in diesem Falle ae = Bu > W ausfallen, d. h. außer dem Wahlakte auch noch andere sensorielle 1) Vergl. von Kries a. a. O0. S. 4, 7 u. 14, wo von der Aufmerksamkeit, und S. 15, wo von der Notwendigkeit „maximaler Uebung*“ die Rede ist. 2) z. B. bei Tischer a.a. O 8.535 u. fg., wo u. a. als Unterscheidungs- reaktionen Zahlen vorkommen wie 120, 127 (Tt) oder 128, 126 (Tr). ATo Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Elemente enthalten musste, eben weil Ru gar keine eigentliche Unter- scheidungsreaktion war. Wir können daher nur mit mannigfachen Bedenken die Resultate der frühern Untersuchungen wieder geben und müssen auch hier be- dauern, dass noch keine Untersuchungen in der Oeffentlichkeit vor- liegen, welche das Gebiet der Wahlreaktionen auf Grundlage der sensoriellen Reaktionsweise behandelt haben. Dass bei einem gewissen Grade von Uebung die beiden Wahl- methoden (d- und c-Methode) nicht so sehr verschieden sein können, wie man nach v. Kries’ Ausführungen!) glauben könnte, haben schon die Versuche von Tischer bewiesen. Die nach der c- (W,) wie nach der 5-Methode (W,) gefundenen Zahlen waren nicht erheblich von einander verschieden, bald waren die Zeiten für W,, bald die für W, die größern. Dagegen zeigten beide ganz außerordentliche individuelle Schwankungen, bei Wt. betrugen sie nur 42,5 o, bei Tr. dagegen 178 o. Eine merkwürdige Erscheinung wurde bei dieser Gelegenheit be- obachtet, dass sieh nämlich bei allen Versuchspersonen die Unter- scheidungszeiten grade umgekehrt verhalten, wie die Wahlzeiten; je größer die einen, desto kleiner die andern und umgekehrt. Tischer gründete darauf eine Theorie einer psychischen Konstante U + MW, in welcher sich Unterscheidung und Wahl zu einer Einheit verbinden ?). Diese Beobachtung, dass sieh U-+ W „wie die Komponenten eines psychischen Gesamtaktes verhalten“, hat auch Kräpelin in seinen Untersuchungen bestätigt gefunden?) und in seine Berichte für diese Zeitschrift aufgenommen®). Dem gegenüber macht Wundt?) auf den Umstand aufmerksam, dass schon die ganzen Wahlreaktionen der von Tischer angeführten Beobachter durchschnittlich übereinstimmen: m.| 2. | ewr. | RL. |Dow.| mM. H. Tr. Tr. 303 | 351,5 | sa ln Dal ln | an Die Uebereinstimmung ist also schon hier gegeben, offenbar weil alle gleichmäßig sensoriell reagierten. Wenn zu diesen Zahlen nun ungleichmäßige einfache Reaktionen und Unterscheidungszeiten in Be- ziehung gesetzt werden, so musste naturgemäß aus einer kurzen Unterscheidungszeit eine lange Wahlzeit und umgekehrt berechnet werden. Auch Cattell fand keinen großen Unterschied bei Anwendung der d- oder c-Methode. Wenn beim Wechsel von zwei Farben mit der rechten oder mit der linken Hand die Unterbrechung der elek- 4) Vierteljahrsschrift für wiss. Philosophie, XI. Jahrg., 8. 6. 2) Philos. Studien, I. Bd., S. 537. 3) E. Kräpelin, Ueber die Einwirkung einiger medikamentöser Stoffe. Philos. Studien, I. Bd., S. 596. 4) Biolog. Centralblatt, III. Bd., S. 57. 5) Physiol. Psychologie, 1887, IL. Bd., 8, 311. en nn Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 4711 trischen Leitung ausgeführt werden musste, so fand sich für B. nur eine Verlängerung von 18, bei ©. von 340, als wenn die Unterbrechung nur auf einen der beiden Reize geschaht). Zu entsprechenden Ergeb- nissen gelangte er auch dann, wenn statt der Farben Buchstaben verwandt wurden. Während alle diese Untersuchungen auf die Wahl zwischen den beiden Bewegungen mit der rechten oder mit der linken Hand be- schränkt, und außerdem die angegebenen Zeiten solche waren, auf welche bereits eine Uebung von unbekannter Dauer Einfluss geübt hatte, so verdanken wir den Untersuchungen von J. Merkel?) eine sehr wichtige Erweiterung unserer Kenntnisse über die mit der Hand ausführbaren Wahlreaktionen und deren allmähliche Veränderung durch Uebung. Nach Maßgabe der Donders’schen d-Methode bestimmte er die Wahlzeiten für 10 Bewegungen in der Weise, dass auf die Zahl- zeichen I, II, UI, IV, V mit den entsprechenden Fingern der linken Hand, auf die Ziffern 1, 2, 3, 4, 5 mit denen der rechten Hand der Strom unterbrochen wurde. Zu diesem Zwecke hatte er eine Klaviatur von 10 Tasten gebaut, deren genauere Einrichtung in der erwähnten Abhandlung beschrieben und nebst der ganzen übrigen Versuchs- ordnung auch bildlich dargestellt ist ?). Er fand, dass die Wahlzeiten bei allen Reagierenden mit dem Uebergange von zwei zu zehn Eindrücken zunahmen und zwar anfangs erheblich schneller als gegen das Ende, wie dies besonders deutlich aus den dargestellten Kurven hervorgeht*). Nach Wundt’s Berech- nung stiegen die Wahlzeiten bei diesen Versuchen von 60-80 auf 400 0°). Bei längerer Uebung vermindert sich die Wahlzeit bei jeder Anzahl von Eindrücken wesentlich, und zwar um so stärker, je größer die Anzahl der Eindrücke oder die ursprüngliche Wahlzeit ist ®). Gewiss mit Recht vermutet der Verfasser, dass durch ein sehr große Uebung diese Zeit auf eine ganz unbedeutende Größe herabgedrückt wird, entsprechend der Gewandtheit, welche der Virtuose in der Aus- wahl einer noch weit größern Anzahl von Bewegungen besitzt”). Natür- lich kann in letzterem Falle nicht mehr von bewusster Wahlthätig- keit, sondern nur von automatischen Koordinationen gesprochen werden. Haben wir im Vorstehenden schon die Verknüpfung von zehn unterschiedenen Sinneseindrücken mit ebensoviel verschiedenen Be- wegungen, so bietet uns die Sprache, ganz abgesehen von ihrer 4) Philos. Studien, III. Bd., S. 473. 2) Julius Merkel, Die zeitlichen Verhältnisse der Willensthätigkeit. Philos. Studien, II. Bd., S. 73 u. fg. SW ALFaR0ES. 80, Mat 4) Ebend. S. 112 u. fg., Taf. II; vergl. auch S. 17. 5) Physiol. Psychologie, 1837, II. Bd., S. 310. 6) Merkela.a. O0. S, 118. 7) Ebend. S. 124. 472 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Bedeutung als Ausdrucksmittel für abstrakte Begriffe, Gefühle und Strebungen, auch jedenfalls das reichhaltigste Beispiel, wie mit zahl- reichen Sinneseindrücken ebenso zahlreiche Reaktionsbewegungen in Form von Benennungen verknüpft sein können. Beim Erlernen der Sprache handelt es sich gleichfalls um eine bewusste und absichtliche Auswahl von Bewegungen der Sprach- organe zum Zweck der Bezeichnung. eines bestimmten Gegenstandes; im Laufe der Zeit wird aber die Benennung auch hier zu einer rein automatischen Thätigkeit. Wir können deren allmähliche Entwick- lung freilich nicht wie bei den Untersuchungen Merkel’s durch Zeit- messungen verfolgen, aber die Schnelligkeit, mit welcher dem Sprach- kundigen die Benennung eines Gegenstandes zugebote steht, kann uns umgekehrt als ein Maßstab der individuellen Einübung gelten. Wie schon Donders diesem Gegenstande seine Aufmerksamkeit geschenkt hat!), so hat in neuerer Zeit Cattell sich wiederholt mit der Erforschung dieser Verknüpfungen beschäftigt. Unter dem Vor- behalte, dass die von ihm berechneten Zahlen aus dem früher be- sprochenen Grunde nur eine relative Bedeutung haben, geben wir eine Zusammenstellung, in welcher Cattell am Schlusse seiner Unter- suchungen die Erkennungs- und Benennungszeit verschiedener Objekte in abgerundeten Zahlen mit einander vergleicht?): Erkennung: Benennung: B. C. B. C. Barben:.2.02..7:90 100 230 400 Bilder» ..202 100 110 250 280 Buchstaben: . 120 120 140 170 Wortes. 920 130 100 110. Die Abweichungen beider Reihen sind sehr auffallend. Wir er- kennen eine Farbe schneller als das Bild eines körperlichen Gegen- standes, dieses aber wieder schneller als Buchstaben und Worte, weil wir trotz alles Lesens und Schreibens erstere mehr vor Augen haben; aber wir haben die Benennung für ein kurzes Wort schneller bereit als für einen Buchstaben, weil wir viel mehr gewohnt sind Wort- bilder zu benennen als einzelne Buchstaben. Wir brauchen aber fast dreimal so viel Zeit, um den Namen für das Bild eines uns sehr be- kannten Gegenstandes oder für eine einfache Farbe zu finden, obwohl wir sie schneller erkennen. Unsere so überwiegend litterarische Bil- dung hat es mit sich gebracht, dass wir, wie Cattell schreibt, zwar das Bild eines Stuhles schneller erkennen wie das Wort „Stuhl“, dass wir aber für ersteres über 100 0 länger gebrauchen, um es zu benennen. In einer frühern Abhandlung ?) hatte Cattell Versuche veröffent- 4) Archiv für Anatomie und Physiologie, 1868, S. 657 u. fg. 2) Philos. Studien, III. Bd., S. 485. 3) Ueber die Zeit der Erkennung und Benennung von Schriftzeichen, Bil- dern und Farben. Philos, Studien, II, Bd., S, 633 u. fg. a 29) ‘ Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 475 licht über die Schnelligkeit, mit welcher Buchstaben gelesen werden, die auf einer rotierenden Walze von bekannter Umdrehungsgeschwindig- keit befestigt vor einem Spalt von verstellbarer Weite vorüberziehen. Er fand, dass die Zeit sich stetig verkürzt, bis vier oder fünf Buch- staben gleichzeitig siehtbar wurden. Diese Erscheinung, welche Cat- tell als „Umfang des Bewusstseins“ bezeichnet, hängt damit zusammen, dass wir nicht mehr wie vier oder fünf Eindrücke gleichzeitig in uns aufnehmen und als Ganzes auffassen können. In entsprechender Weise fand er mit Hilfe seines Fallebronometers, dass man im stande ist, die Zahl von vier bis fünf Linien, Zahlen oder Buchstaben, welche man gleichzeitig 0,01” lang sieht, richtig anzugeben!). Diese That- sachen haben für das Verständnis des zusammenhängenden Lesens eine gewisse Bedeutung. Ueberraschend erschien es auch, dass man die vor dem Spalt vorüberziehenden Buchstaben schneller vorlesen als zählen konnte, letzteres wurde wieder dadurch beschleunigt, dass man Gruppen von zwei, und noch mehr, wenn man Gruppen von je drei Buchstaben bildete, welche dann als einfache Größen aufgefasst wurden’). Ferner bestimmte er die Zeit, welehe man gebraucht, um eine Anzahl von Buchstaben oder Worten zu lesen und ebenso Farben und Bilder zu benennen. Zu diesem Zwecke ließ er Stellen aus Schrift- stellern in sechs verschiedenen Sprachen sowohl vorwärts wie rück- wärts laut vorlesen und ebenso auch Listen von 100 zusammenhang- losen häufig vorkommenden einsilbigen Hauptwörtern u. s. w. Natür- lich ergab sich beim Lesen zusammenhängender Sätze die größte Geschwindigkeit, vorwärts- und rückwärts Lesen und das Lesen der zusammenhanglosen Wörter verhielt sich wie 125 : 253 : 255. Auch bei dieser Anordnung zeigte sich das Erkennen und Benennen für Buchstaben nicht viel kürzer als für Worte, und für die einzelnen Alphabete ergaben sich dieselben Unterschiede, wie bei der Fest- stellung der Erkennungszeiten. Im übrigen stand die Schnelligkeit des Lesens einer Sprache in genauem Verhältnis zu dem Grade, in welchem man mit derselben vertraut war. Zur Benennung von Reihen von 100 Bildern von 26 gewöhnlichen Gegenständen (Hand, Baum, Schiff u. s. w.) oder von 100 Vierecken, welche mit 10 verschiedenen Farben in zufälliger Reihenfolge beklebt waren, gebrauchte man doppelt so viel Zeit als für Buchstaben und Wörter; da die Erkennungszeit für letztere länger ausfällt, so wird die Zeit der Benennung offenbar dadurch beeinflusst, dass die Assoziation zwischen der Vorstellung eines Wortbildes und seinem Namen infolge des vielen Lesens eine engere geworden ist als bei Farben und Bildern). 4) Philos. Studien, III. Bd., S. 124 u. fg. 2) Ebend. II. Bd., S. 641. 3) Philos. Studien, II. Bd., S. 650. ATA Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Ueber die allmähliche Entwicklung des geläufigen Lesens und über die psychischen Grundlagen desselben hat G. O. Berger in letzter Zeit eine Untersuchung veröffentlicht!), auf welche wir zum Schluss noch eingehen. Er wählte aus jeder Klasse eines Gymnasiums die fünf besten und die fünf schlechtesten Schüler aus, und ließ von diesen aus Tacitus, Agricola I 1) die ersten 100 Wörter, 2) die nächsten 500 Wörter, in beiden Fällen möglichst rasch und 3) die ersten 100 Wörter nochmals, aber mit normaler Ge- schwindigkeit laut vorlesen. Er bekam auf diese Weise Zahlen, welche schon durch ihre geringen Schwankungen (nur 10°/, des Mittelwertes) eine be- stimmte Gesetzmäßigkeit erkennen lassen: Klasse: 5 MIR. VE u], Ver, 15 0; |; ZUCb US |) TED Ita, bee 1..100,.W2|, 262, |.485, 4|,.100., |84 \..% 54, 10984 rel Al, 48 AB sy a ee ee 6 a | > 0, 500 W. 145 04040 937 1. 18370 59n) esse nos Was m.;8% | Ay lo2d aldelder) dB] at Audi d ,, 100 W. ER RaDN3 R Le R e e ms. 20 As 208 Ash 6 Dr Andere Versuche bestätigen das Gesetz: „Durch Uebung wird die Lesedauer für irgend eine Sprache im Anfange sehr rasch, allmählich weniger, aber unaufhörlich verkürzt“. Während die Schüler der VII. die lateinischen Worte silbenweise lasen, fassten die Sextaner schon einzelne ihnen bekannt gewordene Worte als Ganzes auf. Allmählich entwickelt sich dann die Fähigkeit, auch einzelne Satzglieder oder kleinere Sätze als Ganzes aufzufassen, wie auch bereits von Cattell durch Versuche nach der Methode von Baxt nachgewiesen war?). Während die mit diesen Komplexen assoziierten Worte automatisch ausgesprochen werden, beschäftigt sich das Bewusstsein bereits mit den folgenden. Abgesehen von der durch Uebung immer enger wer- denden Assoziation von Erkennung nnd Benennung wird die Geläufig- keit des Lesens also wesentlich von dem Umfange des Bewusst- seins abhängen. Letzteres wird aber im stande sein, dann eine viel größere Anzahl von Einzeleindrücken aufzufassen, wenn diese logisch mit einander verbunden sind. C©. Die Assoziationszeit. Im vorigen wurden wir bereits mehrfach genötigt, auf die Wichtig- keit der Assoziationen für das Verständnis von mancherlei Wandlungen 1) G. 0. Berger, Ueber den Einfluss der Uebung auf geistige Vorgänge Philos. Studien, V. Bd., S. 170 u. fg. 2) Philos. Studien, II. Bd., S. 126. — Es handelt sich hier um Vorgänge, welche von andern Philosophen als „Apperzeption“ beschrieben werden. Vergl. Lazarus, Das Leben der Seele, II. Bd., S. 46. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. 4 der Reaktionsvorgänge hinzudeuten; namentlich bemerkten wir häufig, dass ursprünglich von einander entfernte, durch das Mittelglied von Bewusstseinsvorgängen mit einander in Zusammenhang gebrachte Glieder einer Reihe infolge häufiger Wiederholung eine engere Ver- bindung mit einander eingingen, oder dass — wie beim zusammen- hängenden Lesen — zu Sinneseindrücken gewisse andere Vorstellungen assoziativ hinzutraten, welche noch nicht sinnlich erfasst sein konnten. Diese für uns bisher noch unbereehenbare Eigentümlichkeit der Assozia- tionen kann es allerdings zweifelhaft machen, ob wir jemals im stande sein werden, für die Dauer der psychischen und psychophysischen Geschehnisse wirklich allgemeingiltige Normal- oder Durehschnitts- werte zu bestimmen. Wie das Protoplasma nach den neuern Unter- suchungen nicht eine bestimmte chemische Verbindung zu sein scheint, für welche es gelingen könnte, eine feste Zusammensetzungsformel aufzustellen, sondern sich vielmehr als ein Gemenge darstellt, dessen Bestandteile fortwährend wechseln und sich in ihrem Mengenverhältnis gegen einander verschieben, so erscheinen auch die psychischen Reak- tionen nur äußerlich als ein einheitliches Ganze, aber ihre Zusammen- setzung unterliegt einem stetig fortschreitendem Wandel und ist un- unterbrochen bestrebt, sich durch Verknüpfungen und Ausscheidungen von Bestandteilen innerlich zu verändern. Dass die Erforschung der Gesetzmäßigkeit dieser Assoziationsvorgänge für den Psychologen von grundlegender Bedeutung ist, unterliegt daher keinem Zweifel. Seit Galton!) den Versuch machte, in dem bunten und scheinbar regellosen Wechsel der Vorstellungen auf statistischem Wege eine Ordnung zu entdecken und ihre zeitlichen Verhältnisse zu bestimmen, sind diese Untersuchungen auch in dem Leipziger psychologischen Laboratorium von W. Wundt wiederholt veranstaltet und systema- tisch erweitert worden. Ueber die vonM.Trautscholdt veröffentlichte Arbeit?) hat Kräpelin bereits früher in dieser Zeitschrift?) berichtet. Seitdem war Cattell*) der einzige, welcher auch dieses Gebiet der experimentellen Psychologie wieder in Angriff genommen hat. Im Gegensatz zu derjenigen Form der Assoziation, welche, wie wir oben sahen, die Grundlage aller automatischen Koordinationen und Triebhandlungen bildet, beschäftigt uns an dieser Stelle die Ver- knüpfung von Wahrnehmungen mit Vorstellungen früher wahrgenom- mener Dinge oder von Vorstellungen unter einander. Wundt unterscheidet freie Assoziationen der Vorstellungen von 4) Brain 1879. 2) M. Trautscholdt, Experimentelle Untersuchungen über die Assozia- tion der Vorstellungen. Philos. Studien, I. Bd., S. 213 u. fg. 3) Biolog. Centralblatt, I. Bd., S. 764 u fg. 4) J. M. Cattell, Psychometrische Untersuchungen. Dritte Abteilung, IV. Die Assoziation unter willkürlich begrenzten Bedingungen. Philos. Studien, IV. Bd., S. 241 u. fg. 476 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. gezwungenen!). Im erstern Falle darf eine beliebige Vor- stellung zu dem gegebenen Sinneseindrucke reproduziert werden, während im letztern ein Erinnerungsbild erneuert werden soll, welches mit dem erregenden Eindrncke in einer zuvor bestimmten Be- ziehung steht. Die Versuche werden in der Weise angestellt, dass der Reagierende auf ein gehörtes oder gelesenes kurzes Wort?) erst in dem Augenblicke die verabredete Reaktionsbewegung ausführt, wenn nicht nur die Bedeutung dieses Wortes erkannt, sondern auch die assoziierte Vorstellung im Bewusstsein auftaucht. Aus der ge- fundenen Reaktionszeit (Rua) wird die eigentliche Assoziationsdauer (A) nach Analogie der Donders’schen Metlıoden so berechnet, dass man die Zeit der sensoriellen Erkennungsreaktion (#.), welche gleich- falls gemessen werden muss, in Abzug bringt, also Ar Bas SR Auf diesem Wege hat Trautscholdt die beachtenswerte That- sache ermittelt, dass die Assoziationszeiten trotz des sehr verschie- denen Alters, der verschiedenen Erfahrung und des verschiedenen Temperaments der reagierenden Personen im Mittel doch nur geringe Abweichungen von einander zeigten®); ihr Durchschnittswert wird auf 727 o angegeben. Allerdings waren die individuellen Schwankungen bei verschiedenen Worten eine sehr erhebliche, weil die assozia- tiven Beziehungen der Vorstellungen je nach dem Erfahrungskreise des Individuums außerordentlich verschiedenartiger Natur sind. Ein häufig vorkommendes Wort oder ein solches, dessen Inhalt in viel- seitigen Beziehungen zu andern steht, wird naturgemäß leichter und schneller eine Assoziation hervorrufen, als Namen wenig bekannter Dinge oder auch als eine minder geläufige Bezeichnung eines Gegen- standes. Geringe Zeiten fand man z. B. bei Sturm — Wind®): 341 Krieg — Friede : 360 Gold — Silber : 402 Dagegen: Staub — Sand : 11% Thron — König : 1437 Karl — August : 1662. Eine Verzögerung war namentlich dann zu bemerken, wenn mehrere Assoziationen gleichzeitig aufsteigen, zwischen denen zu wählen war, also vor Allem bei mehrdeutigen Worten. 1) Physiologische Psychologie, 1887, II. Bd., S. 313. 2) Man zieht einsilbige Worte der genauern Zeitbestimmung wegen vor. 3) Philos. Studien, I. Bd., S. 238. — Vergl. damit die absprechende Be- merkung über kompliziertere psychische Prozesse bei Hermann, Lehrbuch der Physiologie, 1889, S. 453. 4) Das erste der beiden Worte ist jedesmal das gegebene, welches das zweite als Assoziation ins Bewusstsein hebt. Vergl. Trautscholdta.a.0. S. 241 n. fg. Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. A Wenn man die Assoziationen nach ihrer Beschaffenheit betrachtet, so nahmen unter allen die Wortassoziationen sowohl durch ihr numerisches Vorwiegen wie auch durch ihre verhältnismäßig geringen Reaktionszeiten einen hervorragenden Platz ein. Trautscholdt beobachtete, dass die Wortvorstellung der assoziierten Idee häufig früher zum Bewusstsein kam, als man sich über einen eventuellen innern Zusammenhang klar geworden war. Dies zeigen beispiels- weise die Assoziationen: Kant — Kritik (W.) Zopf — Schwert (W.) Raum — Zeit (T. u. B.) Kraft — Stoff (22). Ihr Wesen besteht, wie er sehr treffend hervorhebt, offenbar darin, „dass sie diejenigen Vorstellungsverbindungen, welche Resultate des logischen Denkens sind, zu mechanischen, schließlich ohne aktive Mitwirkung des letztern erfolgenden machen und so dafür sorgen, dass der intellektuelle Erwerb des Bewusstseins dem Gedächtnisse zu fortwährendem bequemen Gebrauche disponibel bleibt“ !). Sie entsprechen genau den früher erwähnten automatischen Koordinationen und stellen gleichsam die muskuläre Reaktionsweise auf diesem Gebiete vor. Schon diese Versuche über freie Assoziationen bestätigen ein von Steinthal?) ausgesprochenes Gesetz, dass nämlich die Assozia- tionen dem Gange der natürlichen Bewegung folgen, und, damit im Zusammenhange, sich leichter vom Teil zum Ganzen und vom Be- sonderen zum Allgemeinen als umgekehrt bewegen). Zu entsprechen- den Ergebnissen führten auch solehe Versuche, welehe mit Rücksicht auf diese Gesichtspunkte unter vorher bestimmten Bedingungen ver- anstaltet wurden. Wundt bezeichnet dieselben als gezwungene Assoziationen, indess kann man sie auch zum großen Teil ebenso wohl als logische Urteile gelten lassen, da es sich infolge der vorher getroffenen Bestimmungen um Thätigkeiten des beziehenden Denkens handelt. Freilich kann infolge häufiger Wiederholung auch hier eine Mechanisierung die Bewusstseinsthätigkeit verdrängen. Die von Cattell angestellten Versuche waren einmal so geordnet, dass auf die vorgelegte Frage nur eine Antwort gegeben werden konnte®): 1) Trautscholdt a. a. O0. S. 219. 2) H. Steinthal, Einleitung in die Psychologie und Sprachwissenschaft. S. 161. 3), Trautscholdt a. 2.00. 8. 243 ulfg. 4) Cattell a. a. ©. S. 244. — Die eingeklammerten Zahlen hinter den Worten geben die Anzahl der Versuche an, die kleingedruckten Zahlen hinter den durehschnittlichen Assoziationszeiten sind die mittlern Schwankungen derselben. 478 Fricke, Ueber psychische Zeitmessung. Bi C. Stadt — Land) tr Kine 27877 62) 3 462 120 Schriftsteller — Sprache . . . . ..(7): 417 8 350 57 Monat =, Jahreszeit Far sar21(26)3. 4152555 310 63 Monat — folgender Monat . . (26): 345 4 389 172 Monat — vorhergehender Monat (26): 763 245 832 233 Die beiden letzten Versuchsreihen beweisen deutlich, dass die Assoziationen die natürliche Reihenfolge der entgegengesetzten vor- ziehen. Bei den folgenden Versuchen, welche zum teil die Umkehrungen der vorigen sind, hatte das Urteil einen gewissen Spielraum, eine Aus- wahl unter verschiedenen Möglichkeiten!): 13: ©. Land = Stadtinndasr ada2b): 74007 72 3460,75 Sprache — Schriftsteller . (78): 663 200 519 137 Jahreszeit — Monat . . . (26): 561 9 ASDr 2293 In dem ersten Beispiele ist allerdings kein erkeblicher Unter- schied bei der Umkehrung zu finden, offenbar weil es sich um sehr geläufige Zusammenstellungen handelt; indessen die beiden andern entsprechen vollständig dem Steinthal’schen Gesetze sowohl in der absoluten Größe der Assoziationszeiten, wie auch in den Schwankungen derselben. Beide Größen nahmen noch weiter zu, wenn der Spiel- raum für die Wahl der möglichen Assoziationen sich noch erweiterte: »: ©. Klassenbegrifft — Beispiel . . (52): 727 216 53742479 Gegenstand — Teil desselben (26): 578 128 439 135 Prädikat — Subjekt’... (26): 765 366 527 174 Prädikat — Objekt 4,926): 379. 1422 Wenn in den letzten Beispielen sich zeigt, dass B. 111, C. 1480 mehr gebrauchte, um zu einem gegebenen Prädikate ein Subjekt zu finden als ein Objekt, so erklärt sich auch dies, wie der Verfasser richtig bemerkt, daraus, dass der Geist gewohnt ist in der letztern Richtung fortzuschreiten und dass daher auch die Assoziationen in dieser Richtung sich leichter anschließen. | Ganz ähnliche Versuche hatte Trautscholdt schon früher über die Dauer von Subsumptionsurteilen?) veranstaltet und für die Dauer derselben im Gesamtmittel 874 o angegeben, so dass nach seiner Rechnung die Dauer eines einfachen logischen Urteils die einer freien Assoziation um etwas mehr als '/,, Sekunde übertrifft. Werfen wir jetzt am Schlusse unserer Betrachtungen einen Rück- blick auf die Ergebnisse der psychischen Zeitmessung, so wird jeder zugeben, dass namentlich mittels der zuletzt besprochenen zusammen- 1) Cattell a. a O. S. 247 u. fg. 2) Trautscholdt a. a. 0. S. 245 u. fg. Lehmann, Biologie des Bacterium phosphorescens. 479 gesetzten Methoden zahlreiche Fragen von wissenschaftlicher und zum teil auch von praktischer Bedeutung eine exakte Beantwortung gefunden haben, und dass wir der Psychometrie viele wichtige Auf- schlüsse nieht nur über die Dauer, sondern auch über den Verlauf, die Zusammensetzung und die Veränderungen psychischer und psycho- physischer Vorgänge verdanken. Auch wird einem jeden, der den vorstehenden Ausführungen gefolgt ist, einleuchten, dass es für den Psychologen keine bessere Schulung in der Analyse von Bewusstseins- zuständen geben kann, als die fortgesetzte Selbstbeobachtung bei den unter verschiedenen äußern Bedingungen veranstalteten Reaktionen. Trotzdem ist nicht zu leugnen, dass viele der Fäden zu brüchig oder zu kurz gesponnen sind, um sich zu dem zusammenhängenden Gewebe einer Anschauung vereinigen und verarbeiten zu lassen. Wenn diese Unvollkommenbheit nun auch bis zu einem gewissen Grade einem jeden jung aufsprießenden Wissenszweige anhaftet, so ist doch ohne Frage der Zersplitterung in der Wahl der Methoden und in der Anordnung der übrigen äußern Versuchsbedingungen, wie auch namentlich der Vernachlässigung der für das Zustandekommen brauch- barer Reaktionen so unentbehrlichen innern Vorbedingung, der plan- mäßigen Selbstbeobachtung, ein großer Teil der Schuld dafür beizu- messen, dass die Ergebnisse unter einander nicht völlig vergleichbar erscheinen. Es ist daher dringend zu wünschen, dass in Zukunft eine größere Uebereinstimmung in allen wesentlichen Punkten der Versuchseinrichtung erreicht werde, und dass insbesondere die maß- eebende Stellung der Wundt’scher Schule, auf deren vorurteilsfreie und rastlose Thätigkeit jedenfalls der Löwenanteil der mühsam errungenen Erfolge entfällt, überall gebübrende Anerkennung finde. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Physik.- med. Gesellschaft zu Würzburg. Sitzung vom 23. Februar 1889. K. Lehmann: „Ueber die Biologie des Bacterium phosphores- cens Fischer“. Aus einer in Gemeinschaft mit Herın cand med. Peter Tollhausen angestellten Untersuchung teilt der Vortragende folgende Punkte mit, die sich auf die Entscheidung der Frage beziehen, wie das Leuchten zu stande kommt. Zwei Möglichkeiten liegen vor: 4) Das Leuchten ist ein die Produktion von CO,, Wärme etc. beglei- tender Ausdruck des Lebens, speziell von Oxydationsvorgängen in der Pilzzelle. 2) Das Leuchten kommt zu stande durch Oxydation einer photogenen, von den Zellen abgesonderten Substanz, ähnlich wie die Farbstoff- bildung vieler chromogener Arten. Das Photogen hätte man sich dann als eine gegen chemische Einwirkungen sehr empfindliche Sub- stanz zu denken. 480 Lehmann, Biologie des Bacterium phosphorescens. Mit beiden Theorien ist vereinbar, dass der Pilz ohne Sauerstoffzutritt nicht leuchtet, aber wächst (tiefere Teile des Impfstichs, Kulturen in Kohlen- säure [Fränkel]), ebenso dass auf 0,5°/, Kochsalz haltender Gelatine oft nach 3 Tage dauerndem guten Wachstum noch kein Leuchten zu sehen ist, während auf 3°), Kochsalz haltender Gelatine dasselbe bereits prachtvoll grünlich glänzend ist. Man braucht nur die Annahme zu machen, dass entweder die photogene Substanz nicht immer produziert wird, resp. dass das Leuchten kein notwendiger, sondern nur ein fakultativer Begleiter der Lebensvorgänge ist. Folgende Thatsachen sprechen jedoch für die erste Ansicht: 4) Leuchtende Kulturen enthalten immer lebende Leuchtbakterien; so lange die Kultur leuchtet, kann man erfolgreich von ihr abimpfen. 2) Alle pilztötenden Mittel vernichten das Leuchten. Neben den eigent- lichen zum teil mit starken chemischen Affinitäten begabten Des- infektionsmitteln: Sublimat, Borsäure, Karbolsäure wirken auch Sub- stanzen, von denen man sich schwer eine störende Einwirkung auf chemische extracelluläre Leuchtsubstanzen vorstellen kann: Aetheri- sche Oele, Amylalkohol, Aether, vor allem Chloroform. Alle diese Substanzen töten die Pilze und zerstören das Leuchten fast momentan sowie irgend nennenswerte Mengen (!/,—!/, ccm etwa) zu 10 ccm leuch- tender Bouillon gegeben werden. 3) Entsprechend der großen Widerstandskraft des Bacterium phosphores- cens Fischer gegen niedere Temperatur, der Fähigkeit noch bei 0° zu wachsen (Förster und Tilanus) dauert auch das Leuchten bei Temperaturen unter 0° noch lange Zeit, ja bei — 12° noch etwa 40 Minuten, allerdings sehr abgeschwächt, auf der hart gefrornen Gelatine (Temperatur in der Gelatine gemessen) und kehrt, wenn es verschwunden, sofort wieder, wie man nur wenig Wärme zuführt. — Ganz dem entsprechend erlischt das Leuchten der Pilze bei 39,5, kehrt aber nach Abkühlen wieder, bei 45° ist die Kultur sehr rasch tot. Der Pilz wird also leichter wärmestarr, schwerer kältestarr als die Mehrzahl der sonst bekannten Mikroorganismen. Bis zur Starre dauert das Leuchten. Alle diese Thatsachen sind ungezwungen mit der Annahme zu vereinigen, dass das Leuchten stets an im selben Momente lebende Pilze gebunden ist, und nur sehr schwer mit der Annahme eines Photogens vereinbar, wenn man nicht dem Photogen alle Eigenschaften des lebenden Pilzprotoplasma zu- schreiben will. Von den sonst mitgeteilten Thatsachen sei hier noch angeführt: Schwefel- saures Morphin, Strychnin, Koffein sind nur von höchst unbedeutender, schwefel- saures Chinin von etwas stärkerer Einwirkung auf das Leuchten, Saponin ist ohne Einwirkung. Kohlenoxyd wirkt nur wie Wasserstoff und Kohlensäure als Sauerstoffverdränger, aber nicht giftig, sehr schädlich dagegen Schwefel- wasserstoff. Brillant leuchtende Bouillon wurde mehrfach in der Dosis von 25 ce von Herın Tollhausen ohne Schaden genossen; eine Reihe von Erkundigungen ergaben, dass in Restaurants und Hotels von Würzburg und Kissingen leuch- tend gewordenes Fleisch regelmäßig ohne Schaden gekocht oder gebraten wird. Auch der Geschmack ist unverändert. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu-beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 15. Oktober 1889. r. 16. Inhalt: Godlewski, Ueber die biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen. — Loew, Chemische Bewegung. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Drittes Stück.) — Zur Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften. Ueber die biologische Bedeutung der Etiolierungs- erscheinungen. Von Emil Godlewski in Dublany bei Lemberg. Wenn wir irgend eine Pflanze in konstanter Finsternis wachsen lassen, so wird bekanntlich der ganze Habitus derselben geändert: nicht nur unterbleibt das normale Ergrünen der Pflanze, so dass die Blätter gelb und die Internodien blendend weiß werden, sondern auch die ganze Gestalt der Pflanze erliegt einer Umänderung. Ist es eine dikotyle Pflanze, so verlängern sich die Internodien über das gewöhn- liche Maß, die Blätter dagegen bleiben klein, breiten sich nicht flach aus, sondern bleiben gefaltet wie im Knospenzustande; ist es eine monokotyle Pflanze, z.B. irgend ein Gras, so erliegen auch die Blätter einer Ueberverlängerung, bleiben aber dafür enger und weniger aus- gebreitet als am Lichte. Diese Veränderungen werden bekanntlich Etiolierungserscheinungen genannt. Man hat sich vielfach bemüht die Ursachen der Etiolierungs- erscheinungen aufzuklären, d. h. zu untersuchen, auf welche Art und Weise dieselben durch Liehtmangel hervorgerufen werden, aber kein Forscher, so viel ich weiß, hat bis jetzt die Frage aufgeworfen, ob diese Etiolierungserscheinungen von irgend welcher Bedeutung für das Pflanzenleben sind, man hat sich einfach damit begnügt, sie als Krankheitszustand der Pflanze zu bezeichnen. Auch in den neuesten Lebrbüchern der Pflanzenphysiologie ist die Sache in diesem Sinne dargestellt. So sagt z. B. Sachs in seinen bekannten Vorlesungen über Pflanzen- physiologie: „Darausfolgt nun offenbar, dass dasKleinbleiben etiolierter IX, Sl 482 Godlewski, Biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen. Blätter von Keimpflanzen andere Ursachen haben muss, die wir damit einfach bezeichnen, dass wir die etiolierten Blätter, was übrigens auch von den überlangen Sprossaxen gilt, als krank bezeichnen“. Bei dieser Auffassung hat man aber vergessen, dass diese Krank- heit von einer jeden Pflanze im Anfang ihrer Entwieklung durch- gemacht werden muss, ja dass, wenn die Pflanze diese Krankheit durchzumachen nicht die Fähigkeit hätte, mit andern Worten, wenn sie sich in der Dunkelheit gleich wie im Lichte verhielte, dass dann ihre Existenz kaum möglich wäre. Um das zu verstehen, wollen wir uns vergegenwärtigen, was mit einem etwas tiefer in feuchte Erde gestellten Samen geschieht, oder wie sich neue Sprosse aus einer Knolle oder aus einem Rhizom, wenn dasselbe mehrere Zentimeter tief unter der Erde steckt, entwickeln. Der Embryo des Samens fängt an zu wachsen d. h. sein Würzel- chen verlängert sich, durchbricht die Samenschale und versenkt sich immer tiefer in die Erde. Auf der andern Seite streckt sich das hypokotyle oder das epikotyle Stengelglied aus, verlängert sich immer mehr, bis es endlich die Kotyledonen oder die ersten Laubblätter samt der ganzen Plumula über die Erde hinausschiebt. Ganz ähn- lich entwickelt sich irgend ein Knollenauge oder irgend eine Knospe eines Rhizoms; nur werden hier oft mehrere Internodien gebildet und entwickelt, bevor die Sprossspitze über die Erde emporgehoben wird. Sowohl die aus einem Samen sich entwickelnde Keimpflanze, wie auch ein aus einer Knolle oder einem Rhizom austreibender Spross wächst, so lange er sich unter der Erde befindet, in konstanter Finsternis und zeigt, wie man sich leicht durch Abgraben der Erde überzeugen kann, alle Eigenschaften einer etiolierten Pflanze. Die weiße Farbe der Stengel, die gelbe der Blätter, die Ueberverlängerung der ersteren, das Kleinbleiben der letzteren, kurz alles was den Charakter der etiolierten Pflanzen ausmacht, ist hier auf das deut- lichste zu beobachten. Je tiefer der Same, die Knolle oder das Rhizom unter der Erde liegt, desto länger dauert diese Entwicklung in der Dunkelheit, desto deutlicher ist auch der etiolierte Zustand der Jungen Pflanze oder des jungen Sprosses zu konstatieren. Erst wenn der Spross die Oberfläche der Erde erreicht und der Lichtwirkung ausgesetzt wird, fangen seine weitern Teile, welche sich schon am Liehte entwickeln, an, gewöhnliche, normale Gestalten anzunehmen. Die jetzt sich bildenden Internodien werden kürzer und derber, die Blätter größer und flach ausgebreitet, sämtliche Teile ergrünen, kurz sowohl die Blätter als die Stengel entwickeln sich erst jetzt in der Art und Weise, welche wir als normal zu bezeichnen gewohnt sind. Dürfen wir denn aber diese erste noch unter der Erde durch- gemachte Entwicklungsperiode als etwas krankhaftes bezeichnen? Ich glaube es nicht. Die Krankheit ist ja etwas, was dem Organismus schädlich, seine Existenz bedrohend ist, dem entgegen werden wir Godlewski, Biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen. 483 zeigen, dass die Etiolierung junger Sprosse, so lange dieselben unter der Erde verborgen bleiben, nicht nur nicht schädlich, sondern gradezu für die Pflanze sehr nützlich ist, dass es im Gegenteil schädlich wäre, wenn die Entwicklung in der Dunkelheit eine gleiche wie im Lichte wäre. Wir wollen das etwas näher beleuchten. Zunächst was die dikotylen Pflanzen anbetrifft. Wir wissen, dass sich das Etiolieren bei den dikotylen Pflanzen durch eine Ueberverlängerung der Stengel und durch Kleinbleiben der Blätter resp. Kotyledonen geltend macht. In einer Arbeit, welche ich vor 10 Jahren über Etiolierungserscheinungen publiziert habe !), wies ich nach, dass der Ueberverlängerung der Stengel in der Dunkel- heit eine doppelte Ursache zu Grunde liegt: 1) dass aus dem im Samen resp. in der Knolle oder im Rhizom aufgespeicherten Vorrat an Reserve- stoffen eine größere Menge derselben als unter gewöhnlichen Umständen zum Wachstum der Internodien verwendet wird, und 2) dass diese zum Wachstum verwendeten plastischen Stoffe sich mit einer größern Menge von Organisationswasser verbinden, als dann wenn das Wachs- tum im Lichte vor sich geht. Beide diese Ursachen haben zur Folge, dass die etiolierten Internodien bedeutend länger, aber dafür bedeutend weniger derb, dünnwandiger, überhaupt schwächer als bei Lichtpflanzen sind. Inbezug auf das Kleinbleiben der Blätter und der Kotyledonen in der Dunkelheit zeigte ich wieder, dass es dadurch bedingt wird, dass 1) zum Wachstum der Blätter und Kotyledonen bei der etiolierten Pflanze viel weniger vom plastischen Material verwendet wird als bei Lichtpflanzen und 2) dass dieses plastische Material bei den etiolierten Pflanzen mit einer viel kleinern Menge von Organisationswasser ver- bunden wird als bei den grünen. So z. B. von je 9 mg der organi- schen Trockensubstanz eines Raphanus-Samens wurden verwendet: bei etiolierter bei grüner Pflanze Pflanze zum Wachstum der hypokotylen Glieder 2,81 1,47 & 5 „ Kotyledonen . . , 2,31 4,28 Auf je img der organischen Trockensubstanz wurde an Organi- sationswasser gefunden: bei etiolierter bei grüner Pflanze Pflanze im hypokotylen Gliede . .... 65 mg 33,3 mg in den Kotyledonen BR AB HE REAN, 10,4 „ 19929, Von gleichen Mengen der organischen Trockensubstanz eines Phaseolus-Samens wurden verwendet: bei etiolierter bei grüner Pflanze Pflanze zum Wachstum der Blätter . ... 0,042 g 0,075 g D » Stengel eh a. 0,202 „ 0,142 „ 1) Botanische Zeitung, 1879. 51 484 Godlewski, Biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen. Auf je 1 mg der organischen Trockensubstanz wurde an Organi- sationswasser gefunden: bei etiolierter bei grüner Pflanze Pflanze ineden®Blatterneer sem er 6,2 mg 17,8 mg in-dem# Stengel 222... Ara oe 15,65, Jetzt überlegen wir uns, was die Pflanze dadurch gewinnen würde, wenn sie schon unter der Erde, also zur Zeit, wo sie noch gänzlich in der Dunkelheit verborgen ist, sich in gleicher Art und Weise ent- wickelte, als sie es später im Lichte thut. So lange die Pflanze unter der Erde steckt, konnten die Blätter auch dann, wenn sie groß und flach ausgebreitet wären, wenn sie ganz normale und grüne Chloroplasten in den Mesophylizellen besäßen, nicht assimilieren, da ja Licht, welches zur Assimilation unentbehr- lich ist, noch keinen Zutritt zu ihnen hat. Es wäre also eine unnütz- liche Verschwendung des plastischen Materials, wenn dasselbe schon zu dieser Zeit vorwiegend zum Wachstum der Blätter verwendet würde. Noch wichtiger ist, dass solche große und flach unter der Erde aus- gebreitete Blätter das Hinausschieben der Sprossen über die Erdober- fläche bedeutend erschweren müssten. Ein wachserder Spross mit schon unter der Erde ausgebreiteten und großen Blättern müsste eine verhältnismäßig so enorme Erdemenge vor sich schieben, dass der Widerstand, welchen ihm diese Erde entgegenstellen würde, kaum für ihn zu bewältigen wäre. Aber auch angenommen, dass der wachsende Spross diesen Widerstand zu überwinden vermöchte, so würden dabei ohne Zweifel die kaum gebildeten Blätter mehrmals zerrissen, so dass der Spross, ehe er ans Licht käme, verschiedene Verletzungen und Beschädigungen erleiden müsste. Auch das langsame und verhältnismäßig kurz dauernde Wachs- tum der Internodien, welches ganz entsprechend und zweckmäßig am Lichte ist, wäre in dieser Anfangsperiode, wo die Entwicklung in Dunkelheit unter der Erde vor sich geht, vollkommen unzweckmäßig. Denn es ist leicht begreiflich: je langsamer das Wachstum der Inter- nodien unter der Erde vor sich ginge, desto später könnte die Pflanze das Licht erreichen, desto später also könnten auch die Blätter ihre assimilatorische Thätigkeit beginnen. Dabei ist noch zu bemerken, dass diese Verspätung der selbständigen Ernährung der Pflanze für dieselbe insofern gefährlich würde, als ja die Pflanze immerfort atmen muss. In einer bestimmten Zeit veratmet die Pflanze vielmehr von plastischem Material, als sie zum Wachstum verbraucht, und dem zu Folge könnte es leicht eintreten, dass wenn die Pflanze infolge eines langsamen Wachstums der Internodien zu lange in der Dunkelheit verweilte, sie dann infolge der Erschöpfung von Reservestoffen durch Verhungern zu Grunde ginge, bevor sie durch das Ans-Licht-kommen die Bedingungen der selbständigen Ernährung erwürbe. Godlewski, Biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen. 485 Die frei in Luft wachsenden Stengel müssen natürlich, um dem Gewichte der Blattkrone und dem Winde einen genügenden Wider- stand zu leisten, eine entsprechende Festigkeit besitzen. Diese Festig- keit wird bekanntlich durch Verdiekung und teilweise auch durch Verholzung der Zellwände namentlich in den äußern Zellschichten erreicht. Diese starken Zellhautverdickungen wären aber in diesen Stengelteilen, welche unter der Erde verborgen bleiben, vollkommen überflüssig, 1) weil dieselben vor der unmittelbaren Windwirkung geschützt sind und 2) weil die den Stengel umgebende Erde für die- selbe eine hinreichende Stütze bildet, welche sie vor mechanischen Beschädigungen sichert. Infolge dessen kann die mechanische Kon- struktion der unter der Erde verharrenden Stengelteile ohne Gefahr eine schwächere als die der oberirdischen sein, und es wäre wieder eine unnützliche Verschwendung des plastischen Materials, wenn eine zu große Menge desselben zur Vergrößerung der Festigkeit jener Teile, für welche keine Beschädigung zu befürchten ist, verwendet werden sollte. Wir sehen also im ganzen, dass es für das Pflanzenleben über- haupt unrationell, ja sogar direkt schädlich wäre, wenn die Sprosse in der Entwieklungsperiode, welche sie unter der Erde, also in Dunkel- heit durchzumachen haben, sich in gleicher Weise entwickelten als später, wenn sie bereits ans Licht gekommen sind. Jetzt wollen wir etwas näher betrachten, inwieweit die Art und Weise, wie sich die Pflanzen wirklich im Dunkeln verhalten, den rationellen Anforderungen dieser Periode ihrer Entwicklung ent- spricht. Die Anforderungen dieser Periode sind sehr einfach. Die Pflanze vermag erst zu assimilieren, wenn sie ans Licht kommt; so lange sie unter der Erde verborgen bleibt, kann sie nur auf Kosten der in Samen, Knollen, Rhizomen ete. aufgespeicherten Reservestoffe sich entwickeln. Deshalb ist es wünschenswert, dass die neuen Sprosse möglichst schnell und mit möglicher Ersparung an Reservestoffen ans Licht gelangen. Ganz in Uebereinstimmung damit sehen wir, dass bei den in kon- stanter Finsternis wachsenden Sprossen die Reservestoffe vorzüglich zum Wachstum der Internodien und viel weniger zum Wachstum der Blätter verwendet werden. Dazu kommt noch, dass die zum Aufbau der Blätter verwendeten plastischen Stoffe sich mit einer viel geringern, die zum Aufbau der Internodien bestimmten mit einer viel größern Menge von Organisationswasser verbinden als im Lichte. Beide diese Ursachen haben zur Folge, dass, so lange sich die Pflanze unter der Erde, also in konstanter Dunkelheit entwickelt, die Blätter klein und wie im Knospenzustande an den Stengel angelegt bleiben; dagegen die Inter- nodien wachsen zu dieser Zeit viel rascher als später, wenn die Pflanze schon der Lichtwirkung ausgesetzt wird. 486 Godlewski, Biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen. Dieses intensive Internodienwachstum im Dunkeln, zu welchem, wie wir sehen, die Natur alle möglichen Mittel verwendet, ist für die weitere Entwicklung der Pflanze in doppelter Weise vorteilhaft: 1) weil dadurch das Verweilen der Pflanze in der Dunkelheit abgekürzt und infolge dessen eine bedeutende Menge von Reserve- stoffen, welche bei länger dauernder Entwicklung im Dunkeln zur Atmung verbraucht werden müsste, gespart wird; 2) weil dadurch, dass die plastischen Stoffe, welche zum Aufbau der Internodien verbraucht werden, eine größere Menge von Organi- sationswasser als im Lichte binden, eine unmittelbare Ersparung an diesen Stoffen erreicht wird. Wenn sich z. B. 1 mg der organischen Trockensubstanz in Dunkelheit mit 60, im Lichte aber nur mit 30 mg Organisationswasser verbindet, so leuchtet ein, dass der Stengel bei Verwendung einer gleichen Menge von Bildungsstoffen in Dunkelheit eine zweimal so große Länge als im Lichte erreichen kann. Ebensogut wie bei den dikotylen Pflanzen ist auch die Entwick- lung der Monokotylen in der Dunkelheit dem nämlichen Zwecke, mög- lichst bald das Licht zu erreichen, angepasst. Bekanntlich beruht die anfängliche Entwicklung der monokotylen Pflanzen z. B. irgend einer Getreidepflanze zunächst auf dem Wachs- tum der ersten Blätter und Blattscheiden, die Internodien dagegen entwickeln sich viel später, oft fangen sie erst dann sich stärker zu verlängern an, wenn bereits die Blüten angelegt sind. Hier wird also das schnellere Ans-Licht-kommen der Pflanze dadurch am leich- testen erreicht, dass das Längenwachstum der Blätter selbst be- schleunigt wird. Diese Beschleunigung des Längenwachstums der Blätter kann sehr vorteilhaft auf kosten ihrer Breite stattfinden; denn so lange die Blätter in Dunkelheit verharren, kommt es auf die Ver- größerung ihrer Breite resp. Fläche der Pflanze gar nicht an. Im Gegenteil, eine größere Blattfläche würde das Hervorbrechen der Pflanze über die Erde nur erschweren können. Aus demselben Grunde ist auch für die Pflanze vorteilhaft, wenn die Blätter, so lange sie unter der Erde, also in der Dunkelheit wachsen, zusammengerollt wie im Knospenzustande bleiben; denn das frühere Flachwerden der- selben würde wieder das Hervortreten der Pflanze aus der Erde er- schweren. Nun beobachten wir in der That, dass die etiolierte mono- kotyle Pflanze sich von der normalen durch eine stärkere Verlängerung der Blätter bei geringerer Breite derselben auszeichnet. Außerdem bleiben die Blätter im Dunkeln eine längere Zeit zusammengerollt wie im Knospenzustande. Die Ueberverlängerung der etiolierten mono- kotylen Blätter wird teils durch Verminderung ihrer Breite, teils aber auch dadurch erreicht, dass die plastischen Stoffe sich bei ihnen mit einer größern Menge von Organisationswasser verbinden als bei Licht- pflanzen. So fand ich z.B. bei Maisblättern auf 1 mg Trockensubstanz: bei Lichtpflanzen . . 10,7 mg Organisationswasser bei etiolierten Pflanzen 13,9 „ : Godlewski, Biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen. 487 Durch diese größere Menge von Organisationswasser wird also auch hier eine gewisse Menge von plastischem Material erspart, eine weitere Ersparung an Reservestoffen wird aber dadurch erreicht, dass durch Beschleunigung des Längenwachstums der Blätter die Zeit des Verweilens der ganzen Pflanze unter der Erde abgekürzt wird. Somit sehen wir sowohl an den dikotylen wie an monokotylen Pflanzen, dass die Formänderungen, welchen wir bei den im Dunkeln wachsenden Pflanzen begegnen, keineswegs als etwas zufälliges, etwas von vornherein krankhaftes angesehen werden dürfen; im Gegenteil diese Abweichungen von den gewöhnlichen Gestalten müssen als sehr vollkommene und sehr zweckmäßige Anpassungen an die gewöhn- lichen Entwicklungsbedingungen der Pflanzen betrachtet werden. Das Kleinbleiben der Blätter und die Ueberverlängerung der Stengel bei den etiolierten dikotylen Pflanzen, die geringe Festigkeit und der Wasserreichtum dieser Stengel, die größere Länge und geringere Breite der Blätter der etiolierten monokotylen Pflanzen, das sind alles sehr zweckmäßige Einrichtungen, durch welche die noch unter der Erde sich entwickelnde Pflanze instand gesetzt wird, die erste Entwick- lungsperiode, bei welcher sie noch einzig und allein auf kosten der früher aufgespeicherten Reservestoffe lebt, leichter durchmachen zu können. Alle diese Einrichtungen streben dahin, eine möglichst große Ersparung an Reservestoffen zu erzielen und der Pflanze möglichst schnell die Bedingungen einer selbständigen Ernährung zu schaffen. Wenn diese Etiolierungsperiode infolge einer zu lange dauernden künstlichen Verdunklung allzu sehr verlängert wird, so gelangt die Pflanze, wie leicht verständlich, infolge dessen, dass sie immer- fort Licht zu erreichen anstrebt, wirklich in einen krankhaften Zustand und geht endlich durch Verhungern zu Grunde; nichtsdestoweniger tragen aber die ursprünglichen Formveränderungen, welche die in Dunkelheit wachsenden Pflanzen in ihrer ersten Entwicklungsperiode annehmen, nichts krankhaftes an sich; im Gegenteil sie können als Ausdruck einer ganz gesunden Bestrebung der Pflanze, die ihr zur normalen Ernährung notwendigen Bedingungen zu erwerben, betrachtet werden. Die eben entwickelte Auffassung der Etiolierungserscheinungen scheint mir so naturgemäß und selbstverständlich, so mit allem, was man über die etiolierten Pflanzen weiß, übereinstimmend zu sein, dass es kaum notwendig wäre, noch weitere Beweise für sie beizubringen. Der Versuch, welchen ich jetzt beschreiben will, ist also mehr zur Illustration als zur Bestätigung dieser Auffassung bestimmt. Ich wollte nämlich durch einen Versuch prüfen, wie weit die Anpassung einer Keimpflanze mit reichem Vorrat an Reservestoffen an die länger dauernde Finsternis ohne Schaden für die Pflanze gehen könne, mit andern Worten, eine wie lange dunkle Strecke eine Keimpflanze durch- wachsen kann, ohne die Fähigkeit, sich nach dem Erreichen des Lichtes weiter zu entwickeln, zu verlieren. 488 Godlewski, Biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen. Der Versuch wurde mit Phaseolus multiflorus gemacht. Einige - Samen wurden im Freien etwa 4 cm tief in die Erde gesteckt. 3 Samen wurden frei gelassen, über drei wurden weite Drainröhren von 25cm Höhe, über 3 andere eben solche Röhren von 50 em Höhe gestülpt. Die Röhren wurden oben mit Brettern zugedeckt. Nun wurde täglich in jede dieser Röhren so viel Erde eingestreut, dass die Spitzen der jungen Pflänzchen immer durch eine wenige Centi- meter dieke Erdschichte zugedeckt waren. Diese Manipulation wurde so lange täglich wiederholt, bis die Röhren fast vollständig mit Erde gefüllt waren. Infolge dieses Verfahrens mussten also die 3 Pflänzehen eine dunkle Strecke von 25 em, die 3 andern eine solche von 50 em durchmachen, bevor sie ans Licht gelangen konnten. Trotzdem ent- wickelten sich die Pflanzen, nachdem sie ans Licht gekommen waren, ganz normal weiter. Die Pflanzen, welche eine dunkle Strecke von 25 cm durchgemacht hatten, standen denen, welche ganz frei wuchsen, nur wenig nach, sie blühten normal und entwickelten reichlich Früchte mit reifen und vollkommen ausgebildeten Samen. Die Pflänzchen, welche eine dunkle Strecke von 50 cm durchwachsen mussten, waren bereits bedeutend schwächer entwickelt, haben zwar auch geblüht, die Hülsen waren aber weniger zahlreich und die Samen wurden nicht reif. Die Untersuchung der Pflanzen in den letzten Tagen des September zeigte, was folgt: Bei den Pflanzen, welche bis zur Höhe von 25 em mit Erde auf- gestreut wurden, war das ganze epikotyle Glied und die Hälfte des ersten Internodiums unter der Erde verborgen. Diese Teile zeigten den typischen Bau der etiolierten Sprossen, sowohl in ihren Blättern wie in den Stengeln. Bei den letzten waren die Sklerenchymzellen und die ganzen Holzgewebe bedeutend schwächer entwickelt als an den höhern schon über der Erde liegenden Stengelteilen. Sowohl am epikotylen Gliede als an der untern Hälfte des ersten Internodiums waren zahlreiche Adventivwurzeln gebildet, welche sogar die bekannten Bakterienknöllchen an sich trugen. Die unter der Erde verborgenen Stengelteile waren auch bedeutend wasserreicher als die, welche sich bereits am Lichte entwickelt hatten und zwar: die ersten enthielten 13,3°/, Trockensubstanz die letzten ih 20,5%, 5 Bei den Pflanzen, welche eine dunkle Strecke von 50 em durch- wachsen mussten, waren die ganzen epikotylen Glieder, die ganzen ersten und die unteren Teile der zweiten Internodien unter der Erde verborgen. Die Blätter an diesen Teilen waren sehr klein. Die Messung ergab bei einer dieser Pflanzen: das.vepikotylexGlied v2.) on. 1uell snlaig Bus rar2brenJEänge das erste! Internodium!! 3. 4. lebe ea der unter der Erde verborgene untere Teil des zwei- ten. Internodiamsilensn .uasa.., 18 eigen ae 2 Loew, Chemische Bewegung. 489 An diesen ganzen unter der Erde verborgenen Stengelteilen waren zahlreiche Adventivwurzeln mit Bakterienknöllchen zu beobachten. Trockensubstanzgehalt dieser Stengeltelle. . » . 2... 92% Troekensubstanzgehalt der über der Erde liegenden grünen Stengelteille. . . u ml. BZ Also auch hier war der Tr de BichernneHerscheimungen an den unter der Erde verborgenen Sprossteilen deutlich zu beobachten. Wüchse der Phaseolus-Keimling im Dunkeln wie im Lichte, ohne zu etiolieren, bildete er schon unter der Erde so kurze, feste, an Trockensubstanz reiche Internodien, so große und flach ausgebreitete Blätter, als später nachdem er sehon ans Licht gekommen ist, so müsste er, bevor er eine Strecke von !/, Meter durchzumachen im stande wäre, durch Verhungern unumgänglich zu Grunde gehen. Wenn die Phaseolus-Keimlinge bei unserem Versuche eine so große dunkle Strecke zu durchwachsen vermochten, wenn sie endlich Licht erreicht haben und sich dann weiter entwickelten, so war das nur dadurch möglich, dass sie im Dunkeln zu etiolieren die Fähigkeit gehabt hatten. Chemische Bewegung. Von Oscar Loew. Da die Physiologie zum großen Teil auf chemischen Grundlagen ruht, und der Bewegungszustand im lebenden Protoplasma, den wir Lebensbewegung oder Lebenskraft nennen können, entschieden auf eine labile Beschaffenheit der das lebende Protoplasma zusammen- setzenden Eiweißmoleküle zurückgeführt werden muss, so mag es ge- stattet sein, in dieser Zeitschrift einen wichtigen Punkt der theore- tischen Chemie zu erörtern, um das Wesen der chemischen Bewegung auch Denen klar zu machen, welchen es bei der heutigen weitge- triebenen Spezialisierung der Wissenschaften unmöglich geworden ist, den modernsten Fortschritten der reinen Chemie zu folgen. Bekanntlich besitzen bei gewöhnlicher Temperatur alle Atome eines Elementes oder einer chemischen Verbindung einen gewissen Bewegungszustand, Schwingungen, welche sich mit dem Aggregat- zustand modifizieren. Wird nun durch Einfluss der chemischen Affinität dieser Bewegungszustand gesteigert, so hat man eine chemische Bewegung. Dieselbe kann mit einer gesteigerten Wärmebewegung in manchen Fällen identisch sein, ist es aber bei labilen organischen Körpern nicht; denn Wärmezufuhr steigert die Bewegungen sämtlicher Atome in einem Molekül, die chemische Bewegung aber betrifft hier lediglich die labil gelagerten Atome. Aus verschiedenen Umständen müssen wir schließen, dass letzterer Bewegungszustand die Wärmebewegung in den Schwingungs- weiten in der Regel weit übertrifft. Demnach gibt es innige Be- ziehungen zwischen Wärmebewegung und chemischer Bewegung. 490 Loew, Chemische Bewegung. Wir wissen, dass Wärmezufuhr viele organische Körper zersetzt und zwar je nach der chemischen Festigkeit der Verbindung bei ver- schiedenen Temperaturen. Es gibt aber auch Fälle, bei welchen die Wärmeschwingungen so modifiziert werden, dass sie bei ihrer Ueber- tragung auf leicht veränderliche Stoffe diese schon bei gewöhnlicher Temperatur zum Zerfall bringen. Solche Prozesse können z. B. durch Vermittlung feinverteilter Metalle, besonders Platin, herbeigeführt werden und heißen katalytische. (Siehe Anhang 1.) Es gibt aber anderseits solche chemische Prozesse, welche durch chemische Schwingungen labiler organischer Verbindungen her- beigeführt werden; auch diese rechnet man zu den katalytischen. Der einwirkende Körper scheint lediglich durch seine Gegenwart zu wirken, in kleinster Menge kann er mittels seines eigentümlichen Bewegungszustandes eine außerordentlich große Menge eines andern Körpers verändern. Dies ist die einfachste Ansicht über die Wirkung der ungeformten Fermente oder Enzyme, wie sie Nägeli formuliert hat). Wärmeschwingungen verstärken die Schwingungen der labilen Atome in diesen Fermenten, wodurch dann auch die Leistung eine weit bedeutendere wird. Wird die Wärmezufuhr beträchtlich ge- steigert, bis etwa 80°, so verlieren die Fermente plötzlich ihre Wirk- samkeit, es ist Umlagerung eingetreten, die labile Stellung jener Atome ist in eine stabile übergegangen und weitere Wärme- zufuhr kann jenen spezifischen energischen Bewegungszustand nicht mehr erzeugen. — Einige der Fermentwirkung ähnliche Fälle sind im Anhang Il aufgeführt. Von den echten katalytischen Wirkungen sind die schein- baren zu unterscheiden, siehe Anhang III; und von den wahren Atomumlagerungen die scheinbaren, siehe Anhang IV und V. Wodurch wird nun eine labile Atomstellung bedingt und warum entsteht hiedurch ein spezieller Bewegungszustand, welcher durch Wärmezufuhr bis zu einer gewissen Grenze ganz außer- ordentlich gesteigert wird? Eine labile Atomstellung ist dann vorhanden, wenn in einem Molekül ein Atom von den Affinitäten zweier anderer Atome zugleich beeinflusst wird und infolge dessen sich in lebhaften Oseillationen befindet. Dieses lässt sich am besten an einigen Beispielen erklären. Eine sehr labile Atomgruppierung ist die Aldehydgruppe, in welcher ein Atom Wasserstoff und ein Atom Sauerstoff an ein Atom Kohlen- stoff gebunden sind, so dass also ein Aldehyd durch die allgemeine Formel Bde dargestellt wird, worin R irgend ein organisches Radikal bedeutet. 1) Der zutreffende Ausdruck: „Gruppen in Bewegung“ für die Wirksam- keit der Enzyme ist von manchen Physiologen schon seit längerer Zeit ge- braucht worden, so von Maly, Handbuch der Physiologie, Bd. V. Loew, Chemische Bewegung. 491 In dieser Aldehydgruppe kommen nun zwei einander widerstrei- tende Affinitäten ins Spiel, nämlich die Affinität von Sauerstoff zu Wasserstoff und die von Kohlenstoff zu Wasserstoff, so dass das Wasserstoffatom in steten Oseillationen zwischen Sauerstoff und Kohlen- stoff sich befindet, wie durch folgende Formeln veranschaulicht wer- den mag: 0 0 0 Hl nor, Baum Bo Rem I I 1 IV Die zwei freiwerdenden Valenzen des Kohlenstoffs dulden die die Stellung II und IV auf die Dauer nieht und regenerieren immer wieder die Stellung I und III. Kommt aber irgend ein reagierfähiger Körper mit der Aldehydgruppe in Kontakt, so bleibt die Stellung U und IV, so z. B. bei der Einwirkung von Blausäure oder Ammoniak, wobei jene zwei Kohlenstoffaffinitäten sich sättigen können, oder bei der Aufnahme von einem Atom Sauerstoff, wodurch eine Säure ge- bildet wird. Eine andere labile Atomgruppierung ist: Be ee I! H, Dieselbe lagert äußerst leicht in folgende um: | | Ö-HH welch letztere wieder in erstere übergeht; hier schwingt das Wasser- stoffatom von einem Kohlenstoffatom bis zum Sauerstoffatom am nächsten Kohlenstoffatom. — Werden solche Schwingungen bedeutend gesteigert, so finden schließlich solche Veränderungen im Molekül statt, dass die labile. Lage beseitigt ist; Aldehyde „kondensieren“ oder polymerisieren sich; Amidoketone werden zu Aldinen etc. Ich habe schon früher versucht, diese labilen Zustände unter all- gemeinerem Gesichtspunkt aufzufassen und habe folgende drei Sätze!) aufgestellt: I. „Elemente oder Gruppen von gleich polarem Charakter bedingen, wenn sie an ein und dasselbe Atom eines andern Elementes sich gebunden befinden, eine hohe Stabilität, ge- ringe Beweglichkeit und Reagierfähigkeit der Gruppierung“. II. „Elemente oder Gruppen von ungleich polarem Charakter bringen, an ein und dasselbe Atom eines dritten Elementes gebunden, eine geringe Stabilität und große Beweglichkeit (rasche und weite Schwingungen der Gruppierung) mit sich“. 1) Die chemische Kraftquelle im lebenden Protoplasma von 0. Loew und Th. Bokorny. München 1882. 8. 21. 499 Loew, Chemische Bewegung. III. „Sind an zwei benachbarten Atomen ein und desselben Elementes ungleich polare Gruppen oder Elemente ange- bracht, so ist die Atombewegung größer, als wenn sich gleich polare Gruppen an denselben Stellen befinden und es findet noch eine Steigerung der innern Bewegung statt, wenn an einer längern Kette (Kohlenstoffkette) positive und negative Elemente oder Atomgruppen alternieren“. Ich habe im Anhang unter VI. eine Anzahl Beispiele angeführt, welche sich durch diese Verhältnisse leicht erklären lassen, doch gibt es wieder viele sehr eigentümlich gelagerte Fälle, bei denen sicher- lich noch andere Faktoren mitspielen. Die Erscheinungen der Be- weglichkeit gewisser Atome resp. Atomgruppen sind oft sehr ver- wickelter Natur und es wird noch vielen Studiums und der Fest- stellung zahlreicher physikalischer Konstanten (Molekularvolum, Ver- brennungswärme, Leitungsvermögen für Elektrizität ete.) bedürfen, bis die Molekularmechanik eine wünschenswerte Entwicklung erreicht hat. Labile Atomgruppierungen werden ein größeres Molekularvolum und besseres Leitungsvermögen bedingen. Wie das Atomvolum ') mit der labilen Beschaffenheit zusammenhängt, geht z. B. daraus hervor, dass der Sauerstoff in der Aldehyd- und Ketongruppe das Atom- volum 12,2, im Hydroxyl dagegen nur 7,8 in Anspruch nimmt. Das Atomvolum des Stickstoffs im Cyan ist 17, in der Nitrogruppe 8,6, in der Amidogruppe dagegen nur 2,3. Die labile Stellung der Wasser- stoffatome bedingt auch eine leichte Oxydationsfähigkeit durch mole- kularen Sauerstoff; denn es ist leicht begreiflich, dass mit der Ent- fernung eines schwingenden Wasserstoffatoms vom Attraktionspunkt die Affinität zum Sauerstoff sich so steigern kann, dass es zur Spal- tung des Sauerstoffmoleküls kommen kann. Solche labile Wasser- stoffatome erinnern in ihrer Energie an naszierenden Wasserstoff und können oft energische Reduktionen ausführen (z. B. Silberabschei- dung durch Aldehyde). Die Fähigkeit sich von selbst durch den Sauer- stoff der Luft zu oxydieren besitzen relativ wenige Stoffe (Autoxyda- toren), viele bedürfen aber nur einer geringen Anregung zu diesem Vorgang. Einige Fälle von Autoxydation sind im Anhang unter VII. angeführt. Mit der Lehre von den labilen Körpern stimmt nun ‘das chemische Verhalten des Eiweißstoffs der lebenden Zellen vorzüglich überein. Dieser Eiweißstoff kann verändernd auf andere Körper wirken, Oxy- dationen?) und Reduktionen herbeiführen, er oxydiert sich selbst durch 1) d.h. Atom + Schwingungssphäre. 2) Wenn manche Körper wie z. B. Cyanin vom Protoplasma der Pflanzen- zellen nicht oxydiert werden können, so dürfen daraus keine unrichtigen Schlüsse gezogen werden, wie dies jüngst geschehen ist. Der Effekt eines ge- wissen Oxydationsmittels hängt wesentlich mit der Konstitution eines Körpers zusammen. Loew, Chemische Bewegung. 493 molekularen Sauerstoff bis zu einem gewissen Grade und verliert plötz- lich alie diese Eigenschaften durch übermäßige Wärmezufuhr oder durch Berührung mit starken Säuren und viele andere Bedingungen. Die Zelle ist abgestorben, sie ist völlig inaktiv geworden. Der aller- natürlichste Schluss ist der, dass jener Eiweißstoff ein äußerst labiler Körper ist, der leicht zur Umlagerung geneigt ist. Schon in den fünfziger Jahren haben manche Physiologen (C. Lud- wig, Lehmann) sich dahin ausgesprochen, dass die chemischen Prozesse in den Zellen am meisten Aehnlichkeit mit katalytischen Vorgängen haben, aber erst Pflüger hat es 1875 klar und deutlich gesagt, dass der Eiweißstoff der lebenden Zelle eine ganz andere Konstitution haben müsse, als jener der abge- storbenen, obwohl dieses schon aus jenem Vergleich mit kataly- tischen Wirkungen gefolgert werden musste. Wie langsam man auf diesem Gebiet fortschreitet, geht wohl klar daraus hervor, dass nur zwei Gelehrte — Detmer und Nencki — einige Jahre später sich der Lehre Pflüger’s anschlossen. — Wenn einmal die Lehre von den labilen Verbindungen auch in den nichtehemischen Kreisen mehr gewürdigt wird, dann wird man ohne Mühe für die Plasmabewegungen und viele andere Leistungen der Zellen und Organismen bessere Theorien aufstellen, als bis jetzt geschehen ist. Anhang. I. Katalytische Wirkungen. Platinschwarz bedingt Oxydation von Wasserstoff, Alkohol und vielen andern Körpern; es befördert die Zersetzung des Stickoxyds durch Wasser (Cooke), des Hydroxylamins durch Kalilauge, des Wasser- stoffsuperoxyds in Sauerstoff und Wasser, es wandelt Ozon in gewöhn- lichen Sauerstoff um (Mulder). Platinschwarz vereinigt SO, mit trocknem Sauerstoff zu SO,, es vereinigt bei 110° Wasserstoff mit Blausäure zu Methylamin (Debus). Feinverteiltes Kupfer beschleunigt die Zersetzung des Formaldehyds durch Aetzkali; feinverteiltes Iridium zerlegt Ameisensäure in Wasserstoff und Kohlensäure (Deville und Debray). Queeksilberjodid, Cadmiumehlorid und einige andere Metallsalze führen bei 240° den Aethylalkohol in Aether und Wasser über, ohne sich selbst zu verändern (Reynoso). Die Reduktion von Bromsäure durch Jodwasserstoff wird durch Gegenwart von Salzsäure oder Essig- säure beschleunigt (Ostwald). Mi. Methylisoeyanat wird durch Berührung mit sehr wenig Triäthyl- phosphin augenblicklich und unter starker Wärmeentwicklung in ein polymeres Produkt umgewandelt (A. W. Hofmann). Aethylaldehyd in wässeriger Lösung führt eingeleitetes Cyangas in Oxamid über, 494 Loew, Chemische Bewegung. ohne sich selbst dabei zu verändern (Liebig). Chlorwasserstoff und Blausäure (wasserfrei) verbinden sich erst unter Druck bei höherer Temperatur miteinander; bei Gegenwart von Aetherarten aber schon bei — 15°C (Claisen und Mathews). Geringe Mengen Cyankalium wandeln Benzil bei Gegenwart von Alkohol um in Benzaldehyd und Benzoesäureäthyläther (Jourdan). Wird Thioharnstoff mit einer alko- holischen Lösung von Aethylnitrit übergossen, so wird er sofort zu Rhodanammonium umgelagert (Claus). IH. Scheinbar katalytische Vorgänge. Diese sind solche, bei denen der einwirkende Körper vorüber- gehend eine Veränderung erfährt und chemisch direkt eingreift und schließlich unverändert wieder erscheint. Hierher gehört die Rolle des Kobaltoxyds bei der Sauerstoffentwicklung aus Chlorkalk, die Rolle des Aluminiumehlorids und Chlorzinks!) bei vielen organischen Syn- thesen, des Kupferchlorürs bei der Sandmeyer’schen Reaktion, die spaltende Wirkung der Schwefelsäure auf Stärkemehl, Rohrzucker, Glykoside. Chlorzink oder Chloraluminium scheinen durch bloße Berührung den Chlorkohlensäureäther in Kohlensäure und Chloräthyl zu spalten. Trichloressigsäure zerfällt schon durch sehr kleine Mengen Dimethyl- anilin in Chloroform und Kohlensäure, ein auf intermediärer Betain- bildung beruhender Vorgang (Silberstein). Maleinsäure wird durch Schwefelsäure oder Salzsäure in Fumar- säure umgewandelt, Hydromellithsäure in die isomere Isohydromellith- säure (Baeyer). Sehr geringe Mengen Guanidincarbonat verwandeln das Phenylsenföl in Diphenylsulfoharnstoff, Kohlensäure und Schwefel- wasserstoff um (E. Bamberger); hiebei tritt Phenylguanylsulfoharn- stoff als intermediäres Produkt auf. — IV. Atomumlagerung im Molekül. Cyansaures Ammoniak, in wässeriger Lösung erwärmt, wird zu Harnstoff umgelagert; umgekehrt wird Thioharnstoff bei 140° zu Rhodanammonium (Wöhler, Claus). Wird Dihydroterephtalsäure mit Natronlauge erwärmt, so bildet sich unter Wanderung von Wasser- stoffatomen eine isomere, weit schwerer lösliche Säure (A. v. Baeyer). Atomverschiebung findet statt bei der Bildung von Saccharinsäure aus Glykose und bei der Bildung eines Aldehyds aus dem Doppel- laeton der Metazuckersäure (Kiliani). Das paraoxybenzoesaure Natrium wandelt sich bei 300° in das isomere salicylsaure Natrium um, während das salieylsaure Kalium bei 210° sich in das isomere paraoxybenzoesaure Kalium umlagert (Kupferberg). 1) Chlorzink befördert z. B. die Acetylierung von Zuckerarten und China- säure ungemein (Maquenne; W. Koenigs). Loew, Chemische Bewegung. 495 Ketoxime werden durch Berührung mit Salzsäure in Säureamide umgelagert und festes Benzaldoxim lagert sich schon beim Umkrystalli- sieren in sein flüssiges Isomeres um (Beekmann). Interessante Atomwanderungen finden statt bei Umwandlung von Acetylpyrrol in Pyrrylmethylketon (Ciamician), bei der Bildung des Flavanilins, ferner bei der Bildung von Paranitrosoverbindungen aus Nitrosaminen durch alkoholische Salzsäure [nicht Schwefelsäure] (0. Fischer), bei der Bildung von Amarin aus Hydrobenzamid, bei der Bildung von Isatogensäureester aus Orthonitrophenylpropiolsäure- ester (A. v.Baeyer), der Dibromorthoamidobenzodsäure aus Dibrom- orthonitrotoluol (Greiff) und des Pinakolins aus Pinakon. Erwähnt mag noch werden die öfters beobachtete Umlagerung von Propyl in Isopropyl und umgekehrt (Widmann), ferner die Um- wandlung von Sulfocyanaten in Senföle (Hofmann) und die besonders in neuester Zeit öfters beobachteten Fälle von Tautomerie oder Desmo- tropie. Es gibt organische Verbindungen, welche je nach dem Modus der Behandlung bald sich wie ein Keton bald wie ein Phenol ver- balten z. B. Phlorogluein (A. v. Baeyer), ferner solche, denen bald eine Lactam-, bald eine Lactimformel zugeschrieben weıden muss 2. B. das Carbostyril (P. Friedländer). Manchmal sind solche Uebergänge von einer Form in eine andere durch Farbenänderungen charakterisiert. Häufig sind auch solche Atomumlagerungen, die mit einer Ver- doppelung oder Verdreifachung des Moleküls verknüpft sind. Das von Vietor Meyer dargestellte Esoamidoacetophenon ist nur in saurer Lösung beständig; denn wird diese Base abgeschieden, so nimmt die anfangs farblose Substanz bald eine schöne Orangefarbe an, geht seiner basischen Eigenschaften völlig verlustig und ist unter Verdoppelung des Moleküls und Ringbildung zu einem ganz andern Körper geworden. — Cyansäure lagert sich unter explosionsartigem Aufkochen nur wenig über Null in das polymere Cyamelid um. Isoeyansäureäther lagern sich manchmal schon wenige Tage nach ihrer Bereitung in polymere Produkte um. V. Scheinbare Umlagerungen. Diese Vorgänge sind solche, bei denen Anlagerung und Wieder- abspaltung von andern Molekülen angenommen werden muss, wobei die Abspaltung etwas anders erfolgt als die Anlagerung. Meistens handelt es sich um Ein- und Austritt von Wassermolekülen, so z. B. bei der Umwandlung vom Phenylhydrazon der Malonsäure in die isomere Benzolazomalonsäure (Richard Meyer). Es sei hier noch die Umwandlung von Hydrazobenzol in Benzidin, des Diazoamido- benzols in Amidoazobenzol und des Methylanilins in Toluidin er- wähnt. 496 Loew, Chemische Bewegung. VI. Abhängigkeit der chemischen Bewegung von der un- gleichartigen Natur und der Atomstellung der Komponenten einer Verbindung. Durch eine auffallende Beständigkeit zeichnen sich die Paraffine und die Perhydrierungsprodukte aus der Benzolreihe aus; durch den Eintritt von Hydroxylen wird ihre Festigkeit gelockert. Die Aldehyd- gruppe ist weit labiler als die Carbinolgruppen. Der Eintritt der Amidogruppe lockert die Festigkeit der Säuren; z. B. spaltet die Amido- malonsäure bei weit niederer Temperatur CO, ab als die Malonsäure (A. v. Baeyer). #-Amidosäuren sind leichter zersetzlich als «-Amido- säuren. #-Ketonsäuren sind weniger beständig als «- odery-Ketonsäuren. Die Nähe stark negativer Gruppen macht den an Kohlenstoff be- findlichen Wasserstoff so beweglich, dass er durch Metalle austausch- bar wird, so im Malonsäureester, Acetessigester, Desoxybenzoin. In Säuren ist stets der Wasserstoff, der am «-Kohlenstoffatom sitzt, am leichtesten durch Halogene austauschbar, und wenn an eine ungesättigte Säure Anlagerung von Halogenwasserstoff stattfindet, so tritt der Wasserstoff in die «-, das Halogen in die $-Stellung. Bei der Perkin’schen Reaktion treten stets nur die Wasserstoff- atome in der «-Stellung in Reaktion. Beim Acetophenon ist der Wasserstoff der Seitenkette so beweglich, dass es schon in der Kälte durch Chlor ersetzt wird, während sonst die Seitenkette nur in der Wärme chloriert wird (Gautier). Tritt die Methylgruppe in die Methylengruppe des Desoxybenzoins ein, so wird die Substituierbarkeit der Wasserstoffatome in der Methylen- gruppe durch Metalle aufgehoben (Vietor Meyer). Eine Carbonyl- gruppe erleichtert die Austauschbarkeit des Wasserstoffs einer benach- barten Methylengruppe mehr als die Carboxäthylgruppe (Claisen). Ein am Stickstoff befindliches Wasserstoffatom erhält „starksaure“ Eigenschaften, wenn außerdem am Stickstoffatom noch eine Cyan- gruppe sitzt (Eugen Bamberger). Die Chloratome im Innern längerer Ketten und ferner von mit Sauerstoff verbundenen Kohlen- stoffatomen sind außerordentlich schwer als Chlorwasserstoff abspalt- bar, wie hundertfältige Erfahrung zeigt (A. v. Baeyer). Besondere Eigentümlichkeiten beobachtet man bei Körpern mit doppelt und dreifach gebundenen Kohlenstoffatomen. Während das Methan von Silberoxyd noch nicht bei 150° angegriffen wird, geschieht dies beim Aethylen schon bei 130° und das Acetylenkupfer zerfällt sogar unter Explosion bei 120°. Monobromacetylen entzündet sich an der Luft von selbst; es polymerisiert sich schon durch Licht zu Tribrombenzol. Diacetylendicarbonsäure zersetzt sich leicht unter Explosion!). Körper mit doppelt gebundenem Stickstoff (Diazokörper) 1) Man vergleiche hierüber die geistreichen Ausführungen Adolf von Baeyers in Band 18 der Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Loew, Chemische Bewegung. 49% neigen ebenso leicht zu Explosionen wie solehe mit dreifach gebun- denem Kohlenstoff. Sehr verwickelt und manchmal schwer erklärlich werden die Verhältnisse beim Pyridin- und Benzolkern. Einige Thatsachen und Gesetzmäßigkeiten seien hier angeführt: Wenn in den Benzolkern negative Radikale (z. B. die Nitrogruppe) eintreten, so werden in der Seitenkette negative Radikale oder Atome nicht oder nur schwierig aufgenommen, jene negativen Gruppen üben sogar einen bedeutenden Schutz auf in der Orthostellung befind- liche Alkyle gegen energische Oxydationsmittel aus'). Während Benzaldehyd sich allmählich an der Luft oxydiert, sind Nitro- und Oxybenzaldehyde weit beständiger, ja der Para-Nitro- benzaldehyd ist sogar gegen Oxydation mit Salpetersäure sehr be- ständig. Negative Atome und Atomgruppen treten leichter in den Benzol- kern ein, wenn schon negative vorhanden sind, während positive Atomgruppen dadurch so beweglich werden, dass sie leicht abspaltbar sind, so z. B. wird aus Dinitranilin schon dureh Kochen mit Kali- lauge die Amidogruppe als Ammoniak abgespalten und durch die Hydroxylgruppe ersetzt. Der Chinonsauerstoff verliert seine Reagierfähigkeit mit Hydro- xylamin, wenn an den benachbarten Kohlenstoffatomen Halogene statt des Wasserstoffs eingetreten sind (Kehrmann). Das #-Kohlenstoffatom des Naphthalins wird viel schwerer bei der Skraup’schen Synthese in Reaktion gezogen als das «- Atom (Lellmann und Schmidt). — Die «-Stellung ist bei Pyridinbasen weit labiler als $- oder y-Stellung. Negative Gruppen im Benzolkern des Chinolins setzen (besonders in Ortho-Stellung) die Labilität dieser o-Stellung weit herab. Aus dem Dibromthiophen ist das Brom sehr schwer abzuspalten, aus der Dibromthiophensulfosäure aber sehr leicht (Vietor Meyer). Die Anwesenheit der Sulfongruppe erschwert die Chlorierung im Ra-, dikal ungemein z. B. bei Aethylsulfonsäure; forciert man aber durch Zusatz von Jod den Prozess, so wird die Sulfogruppe abgespalten (Spring und Winsinger). Wärme kann den Charakter der Labilität verändern; so reagiert der Acetessigester öfter anders beim Erwärmen als bei gewöhnlicher Temperatur (Friedländer, Göhring, Knorr). VII. Autoxydatoren. Mit der steigenden Bewegung der Wasserstoff- und Kohlenstoff- atome in einem Komplex ist in der Regel die Fähigkeit verknüpft, durch 4) Wie sehr aber die Oxydation durch sonstige Verhältnisse beeinflusst wird, geht daraus hervor, dass gegen alkalische Oxydationsmittel der Schutz nicht existiert, sondern nur gegen saure, IX, 32 498 Loew, Chemische Bewegung. den molekularen Sauerstoff oxydiert zu werden!). Aldehyde werden an der Luft zu Säuren, Indigweiß zu Indigblau, Oxindol zu Isatin, Anthrahydrochinon zu Anthrachinon, Dialursäure zu Alloxantin, Hy- drazobenzol zu Azobenzol. Pyrogallol wird bei Gegenwart von Alkalien lebhaft durch den Sauerstoff der Luft oxydiert, während das isomere Phlorogluein dabei weit beständiger ist. Ein elementarer Autoxydator ist der Phosphor; wie sehr aber dessen Oxydation (Leuchten) durch äußerliche Umstände beeinflusst wird, geht daraus hervor, dass das Leuchten weder im komprimierten noch im völlig trocknen (Baker) Sauerstoff stattfindet; schon Spuren Terpentinöldunst heben das Leuchten auf (Vogel). — Das Leuchten zeigt sich indess auch bei langsamer Oxydation mancher organischer Stoffe z. B. beim Lophin in alkoholischer Kalilösung (Radziszewski). Ich habe aus den nahen Beziehungen zwischen Asparagin und Biweiß, die sich aus pflanzenphysiologischen Thatsachen folgern lassen, geschlossen, dass das aktive Eiweiß durch Kondensation des Aldehyds der Asparaginsäure unter Eintritt von Wasserstoff und Schwefel entstehe und dass die hohe Labilität desselben auf der großen Nähe von Aldehyd- und Amidogruppen im Molekül beruhe!). Als ich diese Ansicht im Jahre 1881 zum erstenmal äußerte, waren noch keine Amidoaldehyde bekannt, bald darauf indess stellte Paul Friedländer den Orthoamidobenzaldehyd dar. Dieser zeigt die Eigentümlichkeit bei Berührung mit verdünnter Salzsäure sich sofort umzulagern, wobei die gelbe Farbe in rot umschlägt, während er mit konzentrierter Salzsäure sich unverändert verbindet. Der Körper ist äußerst reaktionsfähig und veränderlich, ebenso der bald nachher von Gabriel dargestellte Paraamidobenzaldehyd. Amidoaldehyde aus der Methanreihe sind bis heute nicht bekannt, sie werden offenbar weit labiler sein als die zu den Benzolderivaten gehörigen, werden aber sicher noch dargestellt werden. — Für die Richtigkeit meiner oben erwähnten Schlüsse sprechen nicht nur die von Th. Bokorny und mir an Pflanzenzellen gemach- ten Beobachtungen, sondern auch gar manche Thatsachen aus der Toxikologie, die gar nicht anders erklärt werden können. Eine aus- führlichere Mitteilung hierüber haben Bokorny und ich im Biolog. Centralblatt Bd. VIII gegeben, worauf hiemit verwiesen sei. Pflanzenphysiologisches Institut zu München. 1) Man möchte versucht sein, dem Wasserstoff einen doppelten Charakter von Labilität zuzuschreiben, das einemal wenn er leicht durch Metalle ersetz- bar wird, das anderemal wenn er leicht oxydierbar wird. Beide Fälle treffen nicht immer zusammen. 1) Ueber die Details dieser Hypothese siehe: Kraftquelle im lebenden Protoplasma, Theil I. Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 499 Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Drittes Stück.) D. System der Mm. brachiales inferiores. 7. M. pectoralis. Der M. pectoralis hat sich bei den Carinaten in 2 gesonderte Muskeln, in den M. pectoralis thoraeieus (mit dem M. pectoralis propatagialis) und M. pectoralis abdominalis, differen- ziert; der erstere — der mächtigste Flugmuskel — entspringt vom Brustbein, der letztere — ein zartes, der Haut eng angeschlossenes Muskelband — kommt vom Bauche resp. Becken. Bei den Ratiten ist nur der M. pectoralis abdominalis allein bei Apteryx nachweisbar und der M. pect. thoraeicus im allgemeinen stark zurückgebildet. Der M. peectoralis thoraeiecus (pectoralis I.) ist bei den meisten Carinaten nicht nur, wie schon erwähnt, der mächtigste Muskel des Flügels, sondern überhaupt des ganzen Körpers und erstreckt sich über das ganze Brustbein und den ventralen Brustgürtel, indem er in der Regel fleischig (während bei den Ratiten das sehnig- musku- löse und selbst rein aponeurotische Element am Ursprunge überwiegt) von der Außenfläche des Sternum (und zwar von dem lateralen und hintern meist xiphosternalen Bereiche desselben) und der lateral daran anschließenden parasternalen Faseie, (bei den Herodü, vielen Coccy- gomorphae, Makrochires ete.), von der Seitenfläche der Crista sterni und der paralophalen Fascie, von dem Lig. eristo-claviculare, der subeoracoidalen Clavieula, dem angrenzenden Teile der Membrana coraco-clavieularis und endlich von der Fascie des M. supracoracoid. seinen Ursprung nimmt. Allerdings sind nicht immer alle diese Ursprungsstellen zusammen ausgebildet. Der M. pect. der Ratiten zeichnet sich durch einen ausschließlich sternalen (Struthio) oder durch diesen und coracoidalen Ursprung vor demjenigen der Carinaten aus. Die Insertion erfolgt an der ventralen (medialen) Fläche der Crista lateralis humeri in sehr wechselnder Ausdehnung, meist jedoch im Bereiche ihrer distalen ?2/;—?/,, und zwar bei den Carinaten derart sehnig-muskulös, dass oberflächlich die Muskel- in der Tiefe aber Sehnenfasern überwiegen; bei den Ratiten inseriert er sich ausschließ- lich durch eine verhältnismäßig dünne und platte Sehne. Obgleich bei den Carinaten der Muskel sehr mächtig entwickelt ist, lässt sich nach F. doch leicht nachweisen, dass seine Größe nicht vollkommen mit dem Grade der Flugfähigkeit coineidiert: Kleinere schnell flie- gende Vögel besitzen einen relativ viel ansehnlicheren Muskel als die größeren, ruhig schwebenden Gattungen, bei denen andere Vor- richtungen eine Ersparnis an Muskelmaterial gestatten. Bei den Ratiten ist der M. pect. thoracicus, wie schon oben erwähnt, immer klein und dünn. Im Bezug auf die Größe des von der Clavicula und 32° 500 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Membrana und des vom Sternum entspringenden Teiles fand F., dass bald der erstere viel größer ist als der letztere (z. B. bei Pelecanus und Fregata), bald beide gleich groß sind (bei Haliaötos, den Striges), bald der erstere kleiner (bei einigen Tetraonidae), bald viel schwächer (bei Meleagris, Columbae ete.) ist. Gewöhnlich bildet er (von dem M. pect. propatagialis abgesehen) einen einheitlichen Muskel; bei Apteryx dagegen ist eine Pars coracoidea und Pars sternalis zu unter- scheiden, beide dureh einen breiten Schlitz von einander getrennt und bei manchen Tubinares, den Steganopodes u. a. findet sich ein an- sehnlicheres Stratum superficiale und ein von demselben vollkommen bedecktes, schwaches Stratum profundum, welches meist von der Clavieula, der angrenzenden Membrana coraco-clavieularis und dem vordern Teile der Crista sterni ausgeht. Im Großen und Ganzen gleicht der Muskel, welcher von einem Nerven gleichen Namens innerviert wird, dem gleichnamigen der Reptilien, unterscheidet sich aber von diesem, abgesehen von seiner Größe, durch Kompaktheit und Selbständigkeit und enthält überdies Elemente, welehe dem M. pectoralis major und minor des Menschen entsprechen. Der nun kurz zu bespreehende M. pectoralis propatagialis ist, wie schon betont, eigentlich kein selbständiger Muskel, sondern repräsentiert nur eine oberflächliche Schicht des M. peet. thoracicus oder 1 resp. 2 Sehnenzipfel desselben, welche sich mit dem M. del- toides propatagialis zu den Sehnen des Propatagialis longus und brevis vereinigen resp. distal von letzterem Muskel in diese Sehne übergehen. Er fehlt den Ratiten, und es muss unentschieden gelassen werden, ob er bei den Vorfahren dieser Gruppe in paläontologischer Zeit vorhanden war (und erst mit der Verkümmerung des Flügels derselben zur vollkommenen Rückbildung gelangte), oder ob er bei ihnen überhaupt niemals angelegt war. F. ist geneigt, die Frage mit einiger Wahrscheinlichkeit im erstern Sinne zu entscheiden. Bei den Carinaten variiert der Muskel in seiner Ausbildung sehr, bei den Schwimm - und Sumpfvögeln stellt er eine meist einfache Bildung dar; bei der überwiegenden Mehrzahl der übrigen Vögel hingegen tritt er als ein oberflächliches (vorderes) und ein tieferes (hinteres) Faseikel auf: M. peectoralis propatagialis longus und brevis. Nach F. ist aber ein einfacher M. pect. prop. als der primitivere anzusehen, es scheint jedoch in manchen Fällen (z. B. bei Atrichia) seine Ver- einfachung auf Rückbildung eines doppelten Propatagialis zu beruhen. Ein Zweig des vordern Astes des N. peetoralis — der N. pectoralis propatagialis — versorgt den Muskel, welcher eine den Carinaten eigentümliche Bildung darstellt, mit Nerven. M. peetoralis abdominalis (s. eutaneus). Ein langes, aber gering entwickeltes Muskelband, welehes der Haut angeschlossen ist, meist vom Os pubis und von der Aponeurose resp. Fascie der oberfläch- an Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 501 lichen Bauchmuskulatur beginnt, nach vorne verläuft und neben oder gemeinsam mit dem M. pectoralis thoracicus am distalen Bereiche der Crista lateralis des Humerus sich inseriert. Im Großen und Ganzen verläuft dieses Band unter der Unterflur, bei starker Ent- wicklung zerfällt es in eine hintere und vordere Abteilung: Pars posterior und anterior, erstere liegt in der Bauchregion, erstreckt sich aber auch über einen kleinern oder größern Teil der Brust und ent- springt häufig mit einer ziemlich breiten und langen aber dünnen Aponeurose, weniger oft mit schlanker Sehne vom ventralen Vorder- rande des Os pubis, oder von diesem und der Aponeurose resp. Fascie des M. obliquus abdominis externus und endet — indem die Fasern meist parallel laufen — in der mannigfachsten Weise mit frei ausstrahlenden Fasern oder tritt zu der Pars anterior in Beziehungen. Diese letztere Partie beginnt am Ende der Brust in sehr wechselnder Lage (z. B. bei Apteryx, den Herodii u. a.), oder in deren hinterem Bereiche (bei den meisten Vögeln), oder in der Mitte derselben (Galli ete.), läuft, dem lateralen Rande des M. pectoralis thoracieus an- liegend, nach vorn, wobei die Fasern ein wenig konvergieren, und inseriert sich an der schon erwähnten Stelle des Humerus. Beide Abteilungen werden durch den N. pectoralis abdominalis innerviert. Gänzlich fehlt der Muskel den Ratiten — Apteryx ausgenommen — und verschiedenen Carinaten. Er ist aufgrund seiner Innervation zweifellos zum Pectoralsystem zu rechnen und als eine den Vögeln eigentümliche Bildung aufzufassen. 8. Der M. supracoracoideus ist bei den Ratiten ziemlich schwach, bei den Carinaten meist kräftig entwickelt, sehr oft nächst dem M. pect. der größte Flugmuskel und kommt in einzelnen Fällen dem- selben gleich oder übertrifft ihn selbst an Größe. Bei den Ratiten beschränkt sich der Ursprung hauptsächlich auf die Außenfläche des proximalen Teiles des Coracoid und auf die Membrana coracoidea; bei den Carinaten hingegen beginnt er von der Außenfläche des Cora- coid und der Membrana coraco-clavieularis und hat sich von da aus stets über die Außenfläche des Sternum inkl. die Seitenfläche der Crista sterni ausgedehnt; sehr häufig partieipiert auch das Lig. ceristo- elavieulare und die Spina sterni, oft auch der Proe. interelavieularis der Furcula an der Ursprungsstelle, im andern Fällen breitet sich sein Ursprungsgebiet sogar noch weiter aus. Die Insertion geschieht immer mit einer kräftigen Sehne am Tubereulum laterale humeri und zwar in der Weise, dass die Sehne stets den dorsalen Bereich des Schultergelenkes passiert und bierbei der Kapsel desselben direkt aufliegt. Im Bezug auf seine Größe variiert der M. supracorac., wie oben schon bemerkt, sehr; klein ist er bei den Ratiten, während er bei den Carinaten stets bedeutender sich entwickelt, doch sind auch bei ihnen innerhalb der Familien graduelle Verschiedenheiten zu beobachten (relativ gering ist er bei Ocydromus, mäßig groß bei den 502 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. größern Tubinares, Steganopodes, den meisten Aceipitres ete., außer- ordentlich kräftig bei den Alcidae, Tetraonidae, Pterocles ete., am mächtigsten entfaltet bei den /mpennes, Trochilidae u. a.). Nach F. kann man jedoch durch eine vorsichtige Abschätzung aller Momente aus diesem Wechsel bedeutsame Richtungslinien für die Verwandt- schaftsverhältnisse der einzelnen Abteilungen herausfinden, man muss aber bei derartigen Betrachtungen von einer mittlern aber doch recht ansehnlichen Ausbildung des Muskels ausgehen und die geringere Entwicklung desselben durch eine sekundäre Rückbildung erklären. Der N. supracoracoideus versorgt ihn mit Nerven. Er entspricht dem gleichnamigen Muskel der Reptilien, aber ein ihm direktes Homologon ist unter den Säugetieren nach F. nur bei den Monotremen zu finden. 9. M. coraco-brachialis externus s. anterior. Meist ganz an- sehnlich breit bei den Ratiten, klein und wenig ausgedehnt bei den Carinaten. Bei ersteren entspringt er sehnig-muskulös von dem lateralen Teile des disto-lateralen Randes oder Saumes der Außen- fläche des Coracoid, bei den Carinaten von dem Acrocoracoid und dem Ligamentum acrocoraco -humerale, oder von ersterem allein oder vom lateralen Teile desselben und verläuft über das Kapselband des Schultergelenkes dem Humerus zu, um sich an der Impressio coraco- brachialis und meist auch an der ventralen Fläche des basalen Ab- schnittes des Proc. lateralis humeri zu inserieren. Seine Innervation geschieht durch den Nerven gleichen Namens; in der Hauptsache entspricht der Muskel dem M. coraco - brachialis externus der Chelonier, dem M. coraco-brachialis brevis der kionokranen Saurier, Chamae- leonidae und Krokodile, ist aber nach F. nur mit dem M. coraco- brachialis des Menschen zu vergleichen. 10. M. coraco-brachialis internus s. posterior (pectoralis IIl.). Nimmt bei den Ratiten, bei welchen er ziemlich klein ist, vom disto- lateralen Rande des Coracoid seinen Ursprung; bei den Carinaten, welche eine kräftigere Ausbildung des Muskels aufweisen, kommt er außerdem auch noch sehr oft vom Lig. sterno-coracoideum und der angrenzenden Außenfläche des Sternum, in einzelnen Fällen auch von der Innenfläche des Coracoid und dem innern Vorderrande des Sternum. Die Insertion geschieht distal neben dem M. subeoracoscapularis an der höchsten Hervorragung des Apex tubereuli medialis und dem An- fange des Crus laterale dieses Höckers des Humerus. Eine ganz allgemeine Homologie dieses Muskels, welcher von einem gleich- namigen Nerven versorgt wird, mit dem menschlichen Coraco-bra- chialis ist anzunehmen. 11. M. biceps (brachii). Zu dem eigentlichen M. biceps brachii kommt bei einer Anzahl Vögel noch eine nach dem Propatagium gehende Aberration derselben, der M. biceps propatagialis, welcher manchmal zu größerer Selbständigkeit gelangt. Der eigentliche M. biceps brachii entspringt bei den Ratiten Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 503 sehnig vom disto-lateralen Rande resp. Saume des Coracoid in einer verschieden langen Strecke, die sich bald auf die Spina coracoidea und den disto-medial an sie anschließenden Bereich beschränkt (Struthio, Apteryx), oder disto-medial bis zur Mitte des Coracoid (Casuarius) oder bis zum disto-medialen !/, sich ausdehnt (Rhea). Bei den Carinaten concentriert sich der coracoidale Ursprung auf das mächtig entfaltete Acrocoracoid, bei schmaler Ursprungssehne (wie bei den Alcidae, den meisten Tubinares etc.) beschränkt sich dieselbe allein auf dieses Skelettstück; erreicht sie aber eine größere Breite, so greift sie auch auf das Lig. acrocoraco-humerale über, außerdem kommt bei den meisten Vögeln noch eine Ankerung von der dorso- medialen Circumferenz des Tubereulum mediale humeri hinzu, die in ihrem Auftreten einem großen Wechsel unterworfen (sie fehlt z. B. den Alcidae, Tubinares u. a., ist ansehnlich bei den Anseres, Falco- nidae, Striges ete.). Der coracoidale und humerale Kopf bildet meist einen einheitlichen Muskel, beide sind aber mitunter auch mehr oder weniger deutlich von einander getrennt (Laridae, Herodii). Wie der Ursprung, so geschieht auch die Insertion durch eine Sehne, welche sich in der Regel in 2 Zipfel spaltet, von denen der eine, der la- terale, an dem proximalen Teil des Radius, der andere, der mediale, an dem Anfange der Beugefläche der Ulna sich anheftet. Bei Ap- teryx, Fulmarus, wo der M. biceps stark reduciert ist, fehlt der ulnare Zipfel; mitunter kann auch der radiale oder ulnare Sehnenzipfel sich verdoppeln (ersterer Fall tritt bei Fulicaria, Buceros, letzterer bei Den- drochelidon ein). Bei der Mehrzahl der Vögel überwiegt die radiale Sehne die ulnare um ein Mäßiges, bei andern sind beide Zipfel gleich, bei den meisten Fulicariae, Passeres endlich ist die ulnare Sehne stärker. Die Gesamtstärke des M. biceps hat von einer sehr kräftigen Entfaltung bis zu einer minimalen Ausbildung alle Uebergänge auf- zuweisen (bei den meisten Columbae, den Falconidae, Striges, vielen Passeres ist der Muskel kräftig bis sehr kräftig, dagegen bei den Ratitae, Tubinares, Laridae, namentlich bei Apteryx, nur gering ent- wickelt und bei den /mpennes fehlt er ganz). Ein, mitunter auch 2—3 N. bieipites dringen in den Muskel ein. Derselbe entspricht dem gleichnamigen Muskel der Saurier und Krokodile, hat aber mit dem M. biceps brachii des Menschen nur eine allgemeine Homologie aufzuweisen. Der schon genannte M. biceps propatagialis kommt nur einer beschränkten Anzahl der Vögel zu, er fehlt den Ratiten, Impennes, Oceanitidae, Herodii, Psittaci, Accipitres, Striges, Pici, Passeres u. a. und gewinnt dadurch eine gewisse systematische Bedeutung. Bei noch unvollkommener selbständiger Differenzierung trennt er sich meist vom Anfange des Muskelbauchs des Biceps brachii, bei selbständiger Ausbildung (bei den Columbae) ist sein Muskelbauch völlig von dem des Biceps brachii entfernt und hängt nur durch eine dünne und 504 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. lange Aponeurose oder schlanke Sehne damit zusammen; bei den meisten Tubinares u. a. endlich entspringt er, ganz getrennt vom Biceps brachii, vom Tuberculum mediale des Humerus. Die Insertion geschieht meist an den festern Sehnenzügen des Propatagium, vor allen an der Sehne des Propatagialis longus, seltner an derjenigen des Propatagialis brevis (Alca), oder er verliert sich in dem zwischen beiden Sehnen befindlichen Bindegewebe des Propatagium (Colymbus, Carbo, Pterocles ete.). Seine Länge überschreitet nur selten !/, der Humeruslänge. Relativ lang und schlank ist er bei den Alcidae, Colymbidae, Tubinares u. a., relativ kurz bei den Columbae. Seine Dicke wechselt beträchtlich; gering ist dieselbe bei Alca, Sula ete., ganz ansehnlich bei Platalea, Tetrao u. a; bei den meisten Vögeln ist der Muskel ziemlich klein oder mäßig groß. Er stellt eine den Vögeln eigentümliche Aberration des M. biceps brachii dar, dient zur Regulierung der Spannung des Propatagium und ist bei kleinen Vögeln und solchen mit kleiner oder fehlender Flughaut nicht ent- wickelt, aber er fehlt auch zahlreichen großen mit sehr ausgebildeter Flughaut. Ob er bei den Ratiten jemals aufgetreten, kann direkt nicht nachgewiesen werden. 12. M. brachialis inferior. Er erreicht nur eine geringe Größe und Dicke, am kräftigsten tritt er bei den Steganopodes, Galli, Psit- taci, Aceipitres ete. auf, bei den Impennes hingegen ist er mit dem M. brachio-radialis verschmolzen. Er entspringt im Bereiche des distalen !/, (Cygnus) bis t/,; resp. !/;, (Orypturus, Pelecanus) des Hu- merus, von einer schwachen Vertiefung oberhalb des Gelenkes und inseriert sich am proximalen !/, (Phoenicopterus) bis !/, (Alca) der Innenfläche der Ulna. Ursprung und Insertion sind fast rein mus- kulös, Spheniscus ausgenommen. Dem gleichnamigen Muskel der Saurier und Krokodile entsprechend, wird er von einem Nerven gleichen Namens innerviert. E. System der Mm, brachiales superiores. Dieses Muskelsystem wird bei den Vögeln durch 3 (resp. 4) meist selbständige Muskeln repräsentiert: Durch 1) M. latissimus dorsi anterior, 2) M. latissimus dorsi posterior, 3) M. latissimus dorsi metapatagialis und dorso - eutaneus. 1) Der M. latissimus dorsi anterior — meist eine wenig starke Muskellage — entspringt mit Ausnahme von Cusuarius (bei welchem er in beträchtlicher Entfernung von der Wirbelsäule lang aponeu- rotisch von der lateralen Rumpfwand beginnt) meist muskulös von einer wechselnden Anzahl (2—3) von Proc. spinosi der hintern cervi- calen und der vordern dorsalen Wirbel und den sie verbindenden Ligg. interspinalia — ein Ursprung allein von den Dorsalwirbeln findet statt bei Uria, Podiceps, den Laridae ete.; von den Cervical- Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 505 wirbeln allein bei Spheniscus, den meisten Galli und Columbae ete. Bei Rhea nimmt auch ein vorderes Muskelchen, welches sich aber später mit dem M. lat. dorsi anterior innig verbindet, vom Dorsal- saum der Scapula seinen Ursprung — Caput accessorium scapulare m. lat. anterioris oder M. teres major. Vorwiegend in transversaler Richtung verlaufend, endet der M. lat. dorsi anterior — meist eben- falls muskulös — in mittlerer Breite an der dorsalen resp. dorso-lateralen Fläche des Humerus, nieht selten auch recht lateral, im Bereiche des Proe. lateralis. Die Länge der Insertion variiert im Bezug auf die Länge des Humerus: zwischen !/,, und !/, (bei Spheniscus, Uria, Ful- marus, Fregata ete.) und !/,—?/, (bei Rhea, Struthio, Otis), ohne dass hierbei besondere systematische Direktionen zu gewinnen sind. Nur bei den Impennes ist die Insertion vorwiegend oder rein sehnig. Die Dicke des Muskels ist eine geringe bis mittlere; ziemlich diek ist er bei den /mpennes, Chauna, Otis ete., sehr schwach bei Casuarius, den Colymbidae, Alcedinidae (bei Alcedo ispida ist er fast mikros- kopisch dünn, bei Alcedo bengalensis fehlt er überhaupt). Die Inner- vation geschieht durch den gleichnamigen Nerven. Seine Entstehung verdankt er sehr wahrscheinlich einer besondern Ausbildung des vor- dern Teiles des einheitlichen Latissimus dorsi, wie er bei den Reptilien auftritt. Möglicherweise sind in ihm auch Elemente eines schon in früher paläontologischer Zeit mit dem Latissimus dorsi verschmol- zenen Teres major vorhanden, so dass das bei Rhea und andern Ratiten sich findende Caput accessorium scapulare (resp. Teres major) als eine Art Rückschlagsbildung aufgefasst werden kann. Wenn auch eine ganz allgemeine Homologie mit den vorderen Teilen des Latissimus dorsi der menschlichen Anatomie nicht abzuweisen ist, so dürfen doch speziellere Vergleiche mit ihnen nicht gezogen werden. 2) M. latissimus dorsi posterior. Ist im Vergleich zum M. lat. dorsi anterior etwas stärker aber schmäler. Bei Otis, Pterocles, ein- zelnen Columbae, mehreren Passeres u. a. vermisste ihn F. Sein Ur- sprung ist dem größten Wechsel unterworfen. Bei den Carinaten beginnt er meist in sehr verschiedener Ausdehnung von den Proe. spinosi der dorsalen und dem Anfange der präsacralen Wirbelsäule, greift aber von da aus sehr häufig nach vorn bis zum Anfange der dorsalen Region oder nach hinten bis zum Os ilei über. Eine Aus- dehnung auf die letzten Cerviealwirbel fand F. selten (bei Spheniseus, Sula, Cypselus ete.), minder selten schließt der hintere Rand des Muskels mit den Dorsalwirbeln ab oder endet !/);—2 Wirbel früher (Hemipodius, Upupa ete.). Auch kann der Ursprung erst im Bereiche der präscacralen Wirbel beginnen (Larus, Striges, Caprimulgus u. a.). Außerordentlich häufig entspringt der Muskel auch vom Os ilei, bei Fregata, Chauna, Parra ete. kommt sogar sein Hauptteil davon; nicht selten (bei Uria, Colymbus, den meisten Psittaci ete.) partieipiert auch die 1. präsacrale Rippe am Ursprunge, in einzelnen Fällen, z. B. bei 506 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Endyptes, Alca u. a. außerdem auch die Vertebrocostalien der letzten sternalen Rippe. Bei manchen Vögeln endlich (Chauna, Vanellus, Crypturus ete.) entspringt der Muskel vollkommen vom Becken und von den Rippen, ja er kann auch zum Teil von der Ursprungsfascie der Beinmuskulatur seinen Ausgang nehmen (Plotus, Psophia, Chunga, Chionis ete.). Diese Variierungen im Bezug auf den Ursprung sind auch innerhalb der Familien sehr beträchtliche, können aber doch bei vorsichtiger Vergleichung als systematisches Moment verwertet werden. Bei den Ratiten lässt sich sein Ursprung nicht mehr bis zu den Proc. spinosi der Wirbel verfolgen, sondern er hat sich auf die laterale Rumpffascie retrahiert (bei Apteryx weist die Gegend der hintern Cervical- und der vordern Dorsalwirbel, bei den andern Ratiten die der hintern Dorsalwirbel und des Beckenanfangs auf seinen Ursprung hin). In den meisten Fällen entspringt der Muskel aponeurotisch, total muskulös nur bei Plotus, Sula, Eurypyga, Hemipodius u. a. Die Insertion am proximalen Bereiche der dorsalen Fläche des Humerus (bei den meisten Vögeln im Bereiche des zweiten Sechstels) geschieht mit einer meist langen, schmälern oder breitern schlanken Sehne, welche die größten Variierungen darbietet, seltner erfolgt die An- heftung durch eine Aponeurose. Seine Fasern zeigen einen vorwiegend ascendenten Verlauf. Länge, Breite und Dicke weisen sehr erheb- liche Verschiedenheiten auf; für die erstere ist die Ausbildung der Ursprungsaponeurose und der Endsehne entscheidend, die Breite über- trifft nur bei recht schmaler Ausbildung des M. lat. anterior dessen Breite, die Dieke ist meist ansehnlicher als die des eben genannten Muskels. Eine Sonderung in zwei am Ursprunge von einander entfernte, am Insertionsteile sich einander anschließende Köpfe findet sich bei Spheniscus. Ein gleichnamiger Nerv besorgt seine Innervation. Er entspricht im allgemeinen der hintern Partie des Latissimus dorsi der Reptilien; auch ist eine Homologie mit dem menschlichen Latissimus dorsi resp. mit dem Hauptteile desselben unzweifelhaft; seine nahen Beziehungen zum Becken und zur Beinmuskulatur bei den Vögeln sind durch die Rückwärtswanderung der vordern Extremität und durch die Ausdehnung des präacetabularen Teiles des Os ilei nach vorne zu erklären. 3) M. latissimus dorsi metapatagialis und M. latissimus dorsi dorso-cutaneus. Er stellt ein dünnes, schmales Muskelband dar, welches meist in wechselnder Breite von den Proc. spinosi dorsaler oder präsacraler Wirbel oder vom Ös ilei seinen Ursprung nimmt und entweder dem Metapatagium zuläuft (M. latissimus dorsi meta- patagialis) oder nach dem Halse zu sich wendet (M. latissimus dorsi dorso-cutaneus). Bei mehreren Vögeln treten beide eben genannten Muskeln zusammen auf, bei den Ratiten (Apteryx ausgenommen), bei Pygosceles, den Bucerotidae, Makrochires und einigen andern hingegen fand F. keine hierher gehörige Bildung. Das Muskelband liegt Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 507 größtenteils direkt unter der Haut. Sein Ursprung findet in ver- schiedener zwischen !/,—5 Wirbel schwankender Breite statt; schmal ist es (!/,—"/; Wirbel) z. B. bei vielen Anseres, den meisten Columbae und Striges, den Ouculidae u. a., ziemlich breit (2!/,—5 Wirbel) bei einzelnen Passeres und namentlich (5 Wirbel breit) bei Pod. cornutus. Die Mehrzahl der Vögel weist einen 1—2 Wirbel breiten Ursprung auf. Im Bezug auf die Verteilung desselben wird, wie schon oben erwähnt, das Ende der dorsalen und der Anfang der präsacralen Wirbelsäule bevorzugt, bei größerer Verbreitung beteiligt sich auch der präacetabulare Teil des Os ilei. Lediglich von dorsalen Wirbeln kommt der Muskel bei den Alcidae, den meisten Galli, den Columbae u. a., ausschließlich von präsacralen Wirbeln bei vielen Anseres, den meisten Striges etc. Dieser vertebrale Ursprung beginnt bei den Carinaten in der Regel aponeurotisch (von den Proc. spinosi und den sie verbindenden Ligg. interspinalia), nicht selten steht er auch mit der Ursprungsaponeurose des M. latissimus dorsi posterior resp. mit dem dorsalen Saume der dorsalen Fascie in Zusammenhang (bei Apteryx wiegt letztere Ursprungsweise fast ausschließlich vor). Am Becken fängt er meist vom Vorderrande des Os ilei an; ausschließlich von diesem Skelettstücke kommt er bei den Pic, mehreren Pas- seres u. a. — Durch Vergleichung ete. ist unschwer zu erkennen, dass der Ursprung vom Becken und den vom Ende der dorsalen Wirbel- säule entfernten präsacralen Wirbeln einer sekundären Ausbreitung resp. Wanderung des Muskels seine Entstehung verdankt. Deshalb bietet dieses variable Verhalten kein prinzipielles Moment zur Er- kenntnis der früh geschiedenen Hauptabteilungen der Vögel dar, wohl aber ein gutes Merkmal für die Unterscheidung der kleinern Gruppen, welche einer jüngern phylogenetischen Epoche ihre Differenzierung verdanken. Ein M. latissimus dorsi metapatagialis kommt der Mehr- zahl der Vogelfamilien zu, ein reiner M. latissimus dorsi dorso-cuta- neus — als ein im Ganzen parallel zur Wirbelsäule verlaufender und mit der Spinalflur in Verbindung stehender Muskelzug — dagegen findet sich bei den Cracidae, den Pici und Passeres. Ein indifferentes Stadium zwischen Latissimus dorsi metapatagialis und Dorso-cutaneus repräsentieren diejenigen Vögel (die meisten Alcidae, Larus, die meisten Limicolae, viele Galli ete.), bei welchen sowohl ein M. la- tissimus dorsi metapatagialis und ein dorso-eutaneus sich ausbildet; namentlich die Galli weisen alle möglichen Stufen einer noch ganz unvollkommenen Trennung (Argus und Numida) und einer fast voll- ständigen Sonderung beider Teile (Tetraonidae), sowie einer ersten Andeutung des M. latissimus dorso-cutaneus bis zu einer vollkom- menen Ausbildung desselben auf. Die Breite des Muskels entspricht einigermaßen der Breite seines Ursprungs, seine Dicke ist bei der Mehrzahl der Vögel ziemlich gering, nicht unansehnlich bei gewissen Impennes, den Alcedinidae ete. Breite 508 Fürbringer, Morphologie nnd Systematik der Vögel. und Dicke zeigen manchen Wechsel auch innerhalb der Familien, gewähren aber dabei mannigfache Direktiven für die Scheidung der Unterabteilungen. Die Innervation der betreffenden Muskeln besorgen die N. jatissimi dorsi metapatagialis und dorso - eutaneus; die Muskeln selbst stellen oberflächliche Aberrationen des M. latissimus dorsi dar. Eine Homologisierung mit Gebilden der menschlichen Anatomie ist niebt zulässig, wohl aber findet sich bei einzelnen Reptilien eine nach der Fascie der Achselhöhle gehende Muskelaberration, welche man als unkompletes Homologon des M. lat. metapatagialis ansehen kann. 13. M. deltoides. Bei den Carinaten bilden 3 Muskeln: der M. deltoides major, propatagialis und minor das Deltoides-System, bei den Ratiten dagegen ist in der Regel nur der M. deltoides major nachweisbar. A. M. deltoides propatagialis (longus et brevis). Ist, wie eben betont, eine nur den Carinaten zukommende Bil- dung und stellt einen verschieden großen Muskel dar, welcher in der Regel unter der Haut in seiner ganzen Ausdehnung liegt. Für seinen Ursprung bildet der dorsale Bereich der Clavicula den Hauptausgangs- punkt, von da aus greift er aber auch sehr oft nach hinten auf das Lig. acromio-claviculare und das Acromion (bei den Steganopodes, Columbae, Striges etc.), nicht selten auch auf das Lig. acrocoraco- claviculare (bei einzelnen Anatinae, den meisten Galli) und selbst, jedoch seltner, auf das Acrocoracoid über. Ein rein clavieularer Ursprung kommt mehr als der Hälfte aller von F. untersuchten Fa- milien zu. Bei Todus und Momotus hingegen entspringt der Muskel vom Acrocoracoid und Lig. acrocoraco- elavieulare. An seinem Ursprunge ist er meist fleischig-sehnig (mitunter auch rein muskulös oder rein sehnig), geht hierauf in einen mehr oder minder platten Muskelbauch über, welcher mit parallelen oder kon- vergierenden Fasern bis zum Niveau der Crista lateralis des Humerus (oft auch noch viel weiter) sich erstreckt und sich schließlich nicht mit dem Skelett, sondern mit dem Propatagium verbindet [nur aus- nahmsweise enden einzelne Fasern an der Crista lateralis bei einigen Psittaci oder der benachbarten Faseie (bei Harpactes)|, indem er sich in die breitere oder schmälere Endsehne resp. den Endsehnenkomplex fortsetzt. Das Verhalten des Muskels mit Rücksicht auf seine Einheit oder Sonderung bietet eine große Mannigfaltigkeit dar. Bei der Mehr- zahl der Familien (bei allen Schwimm- und Sumpfvögeln, die 7u- binares ausgenommen, den meisten Accipitres, Striges u. a.) bildet er einen einheitlichen Muskel, dessen Länge innerhalb !/, (Sula) und °/, (Colius) der Länge des Humerus variiert, dessen Breite gering ist bei den Colymbidae ete., ansehnlich bei den Columbae, und der eine unbedeutende Dicke erreicht bei den Alcidae u. a., in dieser Hinsicht aber recht gut entwickelt ist bei den Columbae ete. Bei den Cra- Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 509 cidae, den meisten Cuculidae u. a. geht der Muskel am Ende in 2 Muskelzipfel aus, von denen der kleinere ventrale in den Propa- tagialis longus und der größere dorsale in den Propatagialis brevis sich fortsetzt. Der erstere ist ansehnlich diek namentlich bei Cyp- selus, seine Länge schwankt von !/;—!/, bei den Capitonidae bis !/,—?/; Oberarmslänge (Cypselus, Collocalia u. a.). Die Dicke des M. delt. propat. brevis ist immer ansehnlich, seine Länge wechselt innerhalb der Grenzen !/;—t!/, (Buceros, Alcedo ete.) und */, bis ganzer Öberarmslänge (bei einzelnen Passeres, der Mehrzahl der Makro- chires ete.). Bei weiterer Sonderung beginnt sich der proximal noch einheitliche Muskel in seinem distalen Bereiche zu spalten (Puffinus, Fulmarus, Chauna ete.); die Spaltung erstreckt sich dann weiter und weiter proximalwärts (Alcedo, Merops u. a.), bis endlich der Muskel vollkommen in den Mm. deltoides propatagialis longus et brevis zer- fällt (Makrochires, Capitonidae, Passeres ete.). Es ist nicht schwer die systematische Bedeutung dieser Ver- hältnisse zu erkennen, zugleich aber auch die mannigfachen Ueber- gangsbildungen innerhalb der Familien zu sehen. Im allgemeinen kann man annehmen, dass die früheste Sonderung in M. deltoides propatagialis longus und brevis die höchste, die späteste oder unter- bleibende Sonderung die tiefste Stufe der Ausbildung resp. Rück- bildung des Muskels darstellt. In der Regel ist der M. deltoides pro- patagialis ansehnlicher als der M. deltoides minor, kann aber auch bedeutender als der M. delt. major werden. Mitunter (bei Eurypyga, einigen Psittaci, Steatornis u. a.) endet der Muskel, wie schon kurz bemerkt, nicht ausschließlich am Propatagium, sondern einzelne Fasern gehen auch zu der Crista lateralis humeri — es ist dies ein Ver- halten, welches eine Uebergangsbildung zu dem M. deltoides major ausdrückt und die Entstehung des M. deltoides propatagialis aus oberflächlicher Aberration dieses Muskels demonstrieren hilft (die Sonderung des M. deltoides propatagialis als selbständiger Muskel- bauch dem M. deltoides major gegenüber scheint sich ontogenetisch sehr früh zu vollziehen). Meist an der Uebergangsstelle des Muskelbauchs in die End- schne (n) verbindet sich der M. deltoides propatagialis (resp. pro- patagialis longus et brevis) mit dem M. pectoralis propatagialis und beide Muskeln zusammen beteiligen sich nun an der Bildung des Propatagialis longus und brevis in der Weise, dass der letztere gewöbnlich mit dem Hauptteile aus dem Deltoides, mit einem kleineren Teile aus dem Pectoralis sich fortsetzt, während der longus zu wechselnden Anteilen mit beiden in Verbindung steht. Gleichfalls dem Anfange der Endsehne des M. delt. propatagialis gesellt sich bei mehreren Familien (den Pici, den meisten Passeres u. a.) der M. ceu- eullaris propatagialis, viel später, manchmal erst in der Mitte des Propatagium geht der M. biceps propatagialis in die gemeinsame 510 Rosenthal, Vererbung erworbener Eigenschaften. Sehne resp. meist in den Propatagialis longus ein. Cueullaris und Biceps bilden die accessorischen, Deltoides und Pectoralis die haupt- sächlichen Komponenten für die Propatagiales. Die Innervation des M. deltoides propatagialis geschieht durch den gleichnamigen Nerven. Den Reptilien fehlt ein dem Deltoides propatagialis homologer Muskel; ob die Ratiten einen ausgebildeten derartigen Muskel sowie die Sehnen (Propatagialis longus und brevis) besaßen, ist nicht direkt nachweisbar, aber sehr wahrscheinlich (bei Struthio sind Rudimente von Muskel und Sehne, bei Apteryx solche der letztern nachweisbar). Bei den Carinaten repräsentiert der Del- toides propatagialis eine oberflächliche und ventrale Partie des M. deltoides major, welche ihre Insertion am Humerus aufgegeben hat und unter Ausbildung neuer Muskelelemente eine neue Verbindung mit dem Propatagialis eingegangen ist und damit zugleich sich als selb- ständiger Muskel von dem M. deltoides major gesondert hat. (Die bei einigen Vögeln zu beobachtende Insertion an der Crista lateralis humeri weist noch auf alte Beziehungen zu dem Humerus hin!). Propatagialis longus und brevis sind nach F. nicht als gewöhnliche Endsehnen des M. deltoides propatagialis, sondern als höhere Dif- ferenzierungen aus dem propatagialen Bindegewebe zu betrachten. Zur Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften. Herr J. Dingfelder, welchem das Centralblatt mehrere Mit- teilungen über die in der Ueberschrift genannte- Frage verdankt, hat uns den nachfolgenden, an ihn gelangten Brief zur Verfügung gestellt, welchen wir, da er allgemeines Interesse hat, aus dem französischen übersetzt, abzudrucken uns erlauben: Morges, 10. Juni 1889. Sehr geehrter Herr! „Sie werden vielleicht Interesse finden, die folgenden Thatsachen kennen zu lernen, welche in Beziehung gesetzt werden können zu der Frage von der Vererbung erworbener Eigenschaften, welche Sie, eingehend auf die Geschichte der stummelschwänzigen Hunde, unter- sucht haben. Folgendes wird in den Archiven meiner Famile berichtet: Im Jahre 1838 flüchtete sich ein unbekannter Hund zu einem Großonkel von mir, in einer Stadt in der Nähe von Morges. Man hatte ihm offenbar eben erst den Schwanz abgeschnitten, und der Stummel war noch ganz blutig; man verband ihn, und da er von niemand beansprucht wurde, behielt man ihn. Es war ein Hühner- hund mit glatten Haaren von ausgezeichneter Rasse und mit den Eigenschaften eines vortrefflichen Vorstehhundes; er erhielt den Namen Perdreau. Perdreau hatte zum Sohne Vaillant I mit kurzem Schwanze, Vaillant I hatte zum Sohne Vaillant II mit kurzem Schwanze; M&dor, Sohn von Vaillant II, hatte gleichfalls einen kurzen Rosenthal, Vererbung erworbener Eigenschaften. 511 Schwanz. Unter den Nachkommen von M&dor war eine Familie von 7 kleinen, alle mit kurzen Schwänzen. Einer von diesen, Brillant, hatte gar keinen Schwanz; von einem andern Hunde hatte Medor zwei Söhne, von denen der eine, Vaillant III, mit sehr kurzem Schwanze, an Vergiftung vor einigen Jahren starb. — Folgendes ist der Stamm- baum dieser Familie ausgezeichneter Hunde, welche heute in unserem Hause ausgestorben sind: Perdreau mit kurzem abgehauenem Schwanze Vaillant I mit angeborenem Stummelschwanze Vailtant Mi R “ A Medo & \ „ » IN = ; Varıllant:ııt =, A Re Es sind also wenigstens 4 Generationen gewesen, bei denen die Abnormität nach der chirurgischen Verstümmelung angeboren war. Es scheint demnach, als ob wir es hier zu thun hätten mit einem Falle von Vererbung einer erworbenen Eigenschaft; so ist wenigstens die Meinung meiner Verwandten. — Ich teile diese Meinung nicht; ich habe keinen Grund, an die Vererbung einer durch eine chirurgische Operation erworbenen Eigen- schaft zu glauben, und es wäre sehr leicht, bei der Kritik dieser Beobachtungen andere Erklärungen zu finden, welche weniger ge- wagt sind. Aber da ieh durch Ihre Mitteilungen im Biolog. Centralblatt ersah, dass Sie ernstlich und mit Sachkenntnis diese interessanten That- sachen studieren, so glaubte ich Ihnen diese Geschichte mitteilen zu müssen, welche Sie vielleicht interessiert“. Genehmigen Sie... ... Prof. Dr. Forel. Soweit Herr Forel. Es ist nur zu bedauern, dass derselbe seine Meinung, dass dieser interessante Fall nicht als Beweis für die Ver- erbung erworbener Eigenschaften angesehen werden könne, nicht näher begründet hat. Es wäre gewiss interessant gewesen, nicht bloß die Meinung eines so hervorragenden Forschers zu hören, sondern auch ihre Begründung. In Ermangelung dessen erlaube ich mir, einige kurze Bemerkungen anzufügen, um meinen Standpunkt in einer Frage, welche schon öfter in diesem Blatt erörtert wurde und wohl noch 51: Rosenthal, Vererbung erworbener Eigenschaften. 2 längere Zeit zu Erörterungen Anlass geben wird, wenigstens anzu- deuten. Dass eine einmalige, an einem Individuum zu irgend einer Zeit seines extrauterinen Lebens vollzogene Operation (oder durch irgend einen Umstand erworbene Verstümmelung) sich vererbe, kann auf Grund der Erfahrung nicht behauptet werden. Sicherlich geschieht es in der allergrößten Mehrzahl der Fälle nicht, und diejenigen Fälle, welche das Gegenteil zu beweisen scheinen, sind einerseits nicht zahl- reich genug, anderseits nicht so sicher beobachtet, um auf sie einen wissenschaftlich hinreichend begründeten Schluss aufzubauen. Was z. B. den Fall der Hunde von Morges selbst anlangt, so zeichnet er sich vor vielen ähnlichen durch die Sicherheit der Beob- achtung aus. Aber — und damit stimme ich ganz mit Herrn Forel überein — er beweist nichts, weil die Vorgeschichte des Hundes Perdreau unbekannt ist. Ich bezweifle nieht, dass Perdreau seinen Schwanz durch einen chirurgischen Eingriff verloren hat. Was konnte das Motiv zu dieser Operation sein? Wenn man diese Frage aufwirft, so bietet sich folgende Hypothese dar. Perdreau stammte aus einer schwanz- losen Familie, wurde aber mit einem Schwanze geboren; da dies seinem Besitzer misfiel, so hieb er ihm den Schwanz ab. Ist diese Vermutung richtig — und sie kann es sein, da sie nichts Unwahr- scheinliches enthält — so wäre Perdreau der Stammyater eines schwanz- losen Geschlechts geworden, nicht, weil ihm sein Schwanz abgehauen wurde, sondern obgleich er mit einem Schwanz geboren worden, indem er eine ererbte Eigenschaft, die an ihm selbst nicht zur Erscheinung gekommen war, von seinen Vorfahren auf seine Nachkommen vererbte. Es ist sehr zu bedauern, dass wir die Vorgeschichte Perdreau’s nicht kennen; vielleicht gibt die Veröffentlichung des Briefes des Herrn Forel den Anlass zu erneuter Nachforschung. Aus diesem Grunde habe ich sie veranlasst. Eine andere Frage ist es, ob die häufige Wiederholung einer und derselben Operation in vielen auf einander folgenden Geschlechtern Anlass zur Vererbung der so gleichsam wiederholt erworbenen Eigen- schaft gibt. Das ist die Ansicht des Herrn Dingfelder. Die Er- fahrung bei der rituellen Beschneidung hat bekanntlich gezeigt, dass trotz der Länge der Zeit, seitdem diese Operation an so vielen Indi- viduen auf einander folgender Geschlechter gemacht worden ist, an- geborener Mangel der Vorhaut nicht grade häufiger bei Juden als bei Christen auftritt. Ob es bei der Operation des Schwanzabhauens bei Hunden anders ist, das soll eben entschieden werden. Spruchreif ist also die Frage durchaus noch nicht. J. Rosenthal. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. u he EEE Fe a ar u I a A ai. am nn na, Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 1. November 1889. Nr. 7. Inhalt: Wiesner, Biologie der Pflanzen. — Nusbaum, Zur Frage der Segmentierung des Keimstreifens und der Bauchanhänge der Insektenembryonen. — Brandt, Ueber den Zusammenhang der Glandula suprarenalis mit dem Parovarium resp. der Epididymis bei Hühnern. — Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? (Erstes Stück.) — Aus den Verhand- lungen gelehrter Gesellschaften: Sitzungsprotokolle der biologischen Sektion der Warschauer Naturforschergesellschaft. Julius Wiesner, Biologie der Pflanzen. Mit einem Anhang: „Die historische Entwicklung der Botanik“, 60 Text- illustrationen und einer botanischen Erdkarte. 8°. IX und 305 S. Wien 1889. Verlag von Alfred Hölder. Obiges Buch bildet den dritten Band von Wiesner’s bereits in zweiter Auflage erschienenen „Elementen der wissenschaftlichen Botanik“. Man hat die Frage aufgeworfen, ob denn die Biologie heutzutage schon einer knappen, lehrbuchmäßigen Behandlung fähig sei? Manche glauben dies verneinen zu sollen, Ref. jedoch ist ent- gegengesetzter Meinung und hält dafür, dass eine derartige Bearbei- tung des Gegenstandes nicht nur thunlich, sondern gradezu erwünscht, erspriesslich und dankenswert sei. Nicht nur der Lernende, auch der Lehrende muss ein Buch willkommen heißen, welches, wie das vor- liegende, in gedrängter Form und klarer, anregender Darstellung den wichtigsten Inhalt der botanischen Biologie logisch geordnet zusammen- fasst. Dass es auf diesem Gebiete heute noch allenthalben treibe und gäre, dass vieles unsicher und das meiste in Umgestaltung be- griffen sei, spricht der Verf. in der Vorrede mit diesen Worten deut- lich aus, erklärt auch, genötigt gewesen zu sein, „manche eigne noch unveröffentlichte Beobachtung heranzuziehen, zur Ausfüllung der fühl- barsten Lücken die Ergebnisse eigens angestellter Untersuchungen zu benützen und hier und dort selbständige, noch nicht publizierte Ansichten und Erklärungsversuche vorzutragen“. War somit der Verf. weit davon entfernt, die Schwierigkeiten seines Unternehmens zu ver- kennen oder zu unterschätzen, so bestimmten ihn doch die große IX, 39 514 Wiesner, Biologie der Pflanzen. Bedeutung, welche die nun so eifrig gepflegte Biologie der Pflanzen für die gesamte Botanik gewonnen hat, jener Disziplin einen besondern Band der „Elemente“ zu widmen. In der Einleitung wird zunächst der Begriff Biologie entwickelt und begrenzt. Mit der Mehrzahl der heutigen Naturforscher versteht der Verf. unter Biologie „die Lehre von der Lebensweise, Erblichkeit, Veränderlichkeit, Anpassung, Entstehung und natürlichen Verbreitung der organischen Wesen“. Weiterhin bespricht Verf. die Unterschiede zwischen Biologie und Physiologie. „Was durch Anwendung exakter Methoden auf das Studium des Lebens an Forschungsergebnissen ge- wonnen wurde, gestaltete sich vielfach zur Physiologie; der auf exakte Weise derzeit noch nicht zu behandelnde Rest, die vitalistischen Prozesse, bilden den Hauptinhalt der Biologie“. Diese Verschieden- heit wird nun mehrseitig beleuchtet und erläutert, auch hervorgehoben, dass die Grenze zwischen beiden Gebieten vielfach nur eine zeitliche sei. — Ferner enthält die Einleitung kurze, orientierende Betrachtungen über Organismen und Anorganismen, die innere Ordnung und Harmonie der Organismen, das harmonische Verhältnis der Organismen zur Außenwelt, die Ursachen der Lebensprozesse, das Gesetz von der mechanischen Koinzidenz im Organismus, die Bedeutung und die Formen der Anpassung, über Lebenskraft und Instinkt. In diesen Auseinandersetzungen, welche sich auf den knappen Raum von 12 8. zusammendrängen, findet der Verf. Gelegenheit, manches von ihm an anderm Orte zuerst Hervorgehobene heranzuziehen. Der eigentliche Stoff des Buches ordnet sich in vier große Ab- teilungen mit den Titeln: „Das Leben des Individuums“; „Die biologi- schen Verhältnisse der Fortpflanzung“; „Die Entwicklung der Pflanzen- welt“; „Die Verbreitung der Pflanzen“. Es würde hier zu weit führen, den reichen Inhalt dieser Abschnitte, welche sich wieder in mehr oder minder zahlreiche Kapitel gliedern, auch nur kurz zu skizzieren. Ueberall zeigt sich eine umfassende Kenntnis der einschlägigen Literatur, und die leicht verständliche, gewandte, auch schwierige Probleme an- regend und klar gestalteude Darstellung wird nicht verfehlen, dem Buche zahlreiche Freunde zu erwerben. Der erste Abschnitt, vom Leben des Individuums handelnd, bringt manches Neue. So wird in dem Kapitel tiber Anlage und Ausbildung der Organe der Begriff der Klinomorphie eingeführt. Dieser Begriff soll „alle durch die Lage gegen den Horizont bewirkten, durch die Schwerkraftswirkung allein nicht zu erklärenden Gestaltungserschei- nungen umfassen“. „Klinomorphie tritt ein, wenn ein Organ im Laufe seiner Entwicklung derart gegen den Horizont geneigt ist, dass man an demselben eine obere und eine untere Hälfte unterscheiden kann, und gibt sich darin zu erkennen, dass die obere Hälfte eine andere Form als die untere annimmt“. Klinomorphe Stämme nennt der Verf. hypotroph, wenn das Mark in die obere, epitroph, wenn dasselbe in Wiesner, Biologie der Pflanzen. 515 die untere Hälfte des Querschnittes zu liegen kommt, und er hält diese Bezeichnungen für zweckmäßiger, als die gewöhnlich angewen- deten Hyponastie und Epinastie, da die letztern ja auch für bestimmte Formen spontaner Nutation ganz allgemein in Uebung sind und am besten auf diese beschränkt bleiben. Außer bei Stämmen äußert sich die Klinomorphie auch bei Blättern zahlreicher Pflanzen. Die Aniso- phyllie der Sprosse gehört ebenso hierher, wie die Asymmetrie der an schiefen Sprossen stehenden Dolden. — In dem Kapitel „Keimen und Treiben“ finden wir für alle Erscheinungen verspäteter Entwick- lung keimfähiger Samen das passende Wort „Keimverzug* ange- wendet. Hier sind auch mehrere vom Verf. festgestellte Thatsachen zum erstenmal veröffentlicht, so unter andern, dass die Samen der Schwarzpappel und Purpurweide, entgegen der bisherigen Annahme, nicht nur das Eintrocknen, sondern auch eine Erwärmung auf 60 bis 70°C ertragen, ohne ihr Keimvermögen zu verlieren, — ein Ergebnis, welches Ref. aus eigner Erfahrung auch für die Samen der Sahlweide bestätigen kann. — Im Kapitel „Vegetieren“ zeigt Verf. an einem von ihm durchgeführten Kulturversuche mit Taraxacum offieinale den Einfluss sehr feuchten Standortes auf die Laubentwicklung, welche hier außerordentlich gefördert ist. — Die Ursache des begrenzten Längenwachstums der Zweige und des „Knospenschlusses“ bei unsern Holzgewächsen erblickt Verf. in dem Umstande, dass die bereits ent- wickelten Blätter durch ihre Transpiration die verfügbare Wasser- menge so in Anspruch nehmen, dass zur weitern Verlängerung der Triebe und Entwicklung neuer Blätter die nötige Feuchtigkeit mangelt. Hierbei wirkt auch der vom Verfasser andernorts (Bot. Zeitung, 1889, Nr. 1) bereits besprochene „absteigende Wasserstrom“ mit. Bei einer Reihe von Holzgewächsen, so bei Ulme, Linde, Buche u. a. führen diese Ursachen nicht zur Ausbildung einer Terminalknospe, sondern zur Verkümmerung des Zweigendes, welches sich dann in manchen Fällen durch eine Trennungsschicht abgliedert. Auch in der Bildung mancher Kurztriebe und „Wurzelblätter“ erblickt Verf. eine „Rück- wirkung der Transpiration auf das Wachstum der Sprosse“, da es ihm gelang, junge Blattrosetten des Hirtentäschels und mancher Suk- kulenten (Sempervivum) bei Kultur in feuchtem Raume in Langtriebe zu verwandeln. Sehr hübsch und übersichtlich hat der Verf. die biologischen Ver- hältnisse der Fortpflanzung behandelt. In dem Abschnitte: „Die Ent- wicklung der Pflanzenwelt“ sind die Vorzüge und Schwächen der Darwin’schen Theorie klar und sachlich zur Sprache gebracht. Als nicht minder gelungen darf der vierte, die Verbreitung der Pflanzen oder die „allgemeine Pflanzengeographie“* behandelnde Abschnitt be- zeichnet werden, in welchem das Verdienst Schouw’s um die Ent- wicklung und Methodik der Pflanzengeographie gebührend hervor- gchoben wird. 33* 516 Nusbaum, Segmentierung des Keimstreifens der Insektenembryonen. Im „Anhang“ schildert der Verf. in großen Zügen die „historische Entwicklung der Botanik“. Dieses Thema fällt eigentlich außerhalb des Rahmens einer botanischen Biologie, doch wird seine Behandlung an diesem Orte durch den Umstand gerechtfertigt, dass wir ja in dem angezeigten Buche den dritten Band der „Elemente der wissen- schaftlichen Botanik“ vor uns haben, welche der Verf. mit einem Rückblick auf die Geschichte dieser Wissenschaft beschließen wollte. Wie in den beiden ersten Bänden der „Elemente“, so finden wir auch in der „Biologie“ die zahlreichen Literaturangaben in „Noten“ verwiesen, welche ein sehr erwünschtes Verzeichnis der wichtigsten Quellenwerke und Einzelarbeiten darstellen. Ein Sachregister und eine Liste der systematischen Gattungsnamen machen den Schluss. — Sollte auch nicht jeder Fachgengsse mit dem Verfasser in Allem übereinstimmen und ein strenger Kritiker vielleicht ab und zu Gelegen- heit finden, berichtigend seines Amtes zu walten, so bleibt Wiesner’s „Biologie“ doch unbestreitbar ein sehr verdienstliches Werk, dessen Studium namentlich dem angehenden Botaniker großen Nutzen bringen wird. Aber auch der in der Wissenschaft Erfahrene muss dem Verf. dankbar sein. Bis jetzt war ja eine Orientierung über die bisherigen Ergebnisse der Forschung auf pflanzenbiologischem Gebiete nur durch zeitraubende Quellenstudien und die Berücksichtignng einer sehr zer- splitterten Literatur möglich, die Pflanzengeographie z. B. ermangelte noch durchaus einer zeitgemäßen, übersichtlichen, dem Lehrzwecke angepassten Bearbeitung. Wiesner’s Buch füllt nun diese sicher von Vielen schon oft und peinlich empfundene Lücke der botanischen Literatur in völlig entsprechender würdigster Form aus. Der Verf. wie das botanische Publikum haben alle Ursache, sich dieses Werkes zu freuen; die Gelegenheit, dasselbe zu vervollkommnen, wird wohl nicht lange auf sich warten lassen. K. Wilhelm (Wien). Zur Frage der Segmentierung des Keimstreifens und der Bauchanhänge der Insektenembryonen. Von Dr. Jözef Nusbaum. Aus dem zootom. Labor. bei dem zool. Garten in Warschau. Im vorigen Jahre in Nr. 15 (Bd. VIII) dieses Blattes ') publizierte ich eine kurze Mitteilung über die Entwicklung der Keimblätter bei Meloe proscarabaeus Marsham. und versprach Näheres über die Entwicklung der Keimblätter und anderer Organe in meiner voll- ständigen Arbeit mitzuteilen. 1) Die Entwicklung der Keimblätter bei Meloe proscarabaeus Marsham. Biolog. Centralblatt, Nr. 15, Bd. VII. Nusbaum, Segmentierung des Keimstreifens der Insektenembryonen. 517 Inzwischen erschienen die zwei höchst wichtigen und vortreff- lichen Arbeiten des Herrn Prof. Veit Graber!): Ueber die Seg- mentierung des Keimstreifens und über die Polypodie der Insekten- embryonen. Die von Graber berührte Frage der Polypodie interessierte mich im hohen Grade, da ich bei Meloe in meiner oben zitierten Mit- teilung ein paar Abdominalfüße auf dem ersten Hinterleibssegmente erwähnt habe. Inbetreff der Segmentierung des Keimstreifens beob- achtete ich damals einige Erscheinungen, die mir aber nicht genug klar erschienen, weshalb ich sie nur beiläufig mit folgenden Worten erwähnte: „sehr frühzeitig sieht man die Segmentierung der Bauch- platte.“ Im Frühlinge des laufenden Jahres bekam ich wieder frisches und sehr reiches Material, was mir die Möglichkeit gab einige Lücken in meinem Studium auszufüllen und besondere Aufmerksamkeit der Frage der Segmentierung des Keimstreifens und der Bauchanhänge zu schenken. Meiner vollständigen Arbeit über die Entwicklungs- geschichte des Meloe, die in polnischer Sprache mit zahlreichen Abbildungen während einiger Monate veröffentlicht werden wird, will ich hier noch einen kurzen Bericht über die Keimstreifssegmentierung und über die Bauchanhänge der Meloe-Embryonen vorschicken, da die betreffenden Fragen in diesem Blatte ?) unlängst besprochen wur- den und durch die klassischen Arbeiten Graber’s eine hervorragende Wichtigkeit für die vergleichende Embryologie überhaupt erlangt haben. Bei den vorliegenden Studien benutzte ich sowohl die Me- thode der Isolierung des Keimstreifens, wie auch die der Quer- und Längsschnitte. Bis zum vierten Entwicklungstage stellt der Embryo einen läng- lichen, platten Streif dar, der am vordern Ende die Anlage des Kopflappens bildet. Bis zum vierten Tage konnte ich keine deut- liche Segmentatiin an dem Keimstreifen beobachten. Nur am Ende dieses Tages konnte ich vier sehr distinkte primäre (Graber) Segmente nicht nur im Ektoderm, sondern auch im „Entomeso- derm“ oder dem primären Entoderm, welches, wie ich in meiner oben zitierten Mitteilung gezeigt habe, durch Gastrulaeinstülpung einer Bauchrinne entstanden war, wahrnehmen. Die vier Seg- mente des Ektoderms sind auf dem isolierten Keimstreifen leicht zu unterscheiden, da sie von einander durch seichte laterale Aus- schnitte getrennt sind. Das erste Segment ist breiter als die drei übrigen, das zweite ist kürzer als das dritte, und am längsten ist das vierte. Das Entoderm besteht auch aus vier von einander ganz 1) V. Graber, Ueber die Polypodie der Insekten-Embryonen. Morphol. Jahrbücher, 13. Band, 4. Heft; Derselbe, Ueber die primitive Segmentierung des Keimstreifens der Insekten. Morphol. Jahrbücher, 14. Band, 2. Heft. 2) Graber in Nr. 12 und Emery in Nr. 13 Bd. IX. 548 Nusbaum, Segmentierung des Keimstreifens der Insektenembryonen. isolierten Segmenten, von denen das vierte ebenfalls am längsten ist, das dritte dagegen kürzer und die zwei vorderen noch kürzer sind. Am Anfange des fünften Entwicklungstages steigt die Zahl der Segmente bis zu sechs. Dies geschieht dadurch, dass das dritte primäre Segment in drei sekundäre (die drei definitiven Brustsegmente), von denen das erste breiter als die zwei andern, zerfällt. Das vierte primäre Segment entspricht der Summe aller Abdominalsegmente, und schon am Ende des fünften Entwicklungstages sieht man aus dem vordern Ende desselben ein Segment sich abschnüren (das erste definitive Hinterleibssegment). Ueberhaupt muss ich bemerken, dass in den Kopf- und Brustsegmenten die Segmentation des Ektoderms und Entoderms gleichzeitig vor sich geht, was aber die Abdominal- segmente anbetrifft, beobachtete ich, dass die Segmentation des Ento- derms etwas schneller als die des Ektoderms vorschreitet. Das zweite primäre Segment zerfällt dann sehr bald in zwei sekundäre, von denen das vordere das definitive zweite (das Mandibularsegment) vorstellt; das hintere dagegen zerfällt nochmals in zwei Segmente, also tertiäre, und erst diese letzteren bleiben als definitive Segmente (das dritte und vierte, also die maxillentragende Segmente) bestehen. Das erste definitive Segment, d. h. das antennentragende, entsteht durch eine direkte Umwandlung aus dem primären. Das zweite, wie wir gesehen haben, ist sekundär, das dritte und vierte sind tertiär, die drei Brustsegmente wieder sekundär entstanden. Nach Graber gibt es nur eine sekundäre Segmentation, und alle drei kiefertragende Segmente (mandibel- und maxillentragende) entstehen aus dem direkten Zerfalle des zweiten primären Segmentes, des s. g. (Graber) Hinter- kopfsegmentes. Wenn wir nun mit Graber die Kopfsegmente, d.h. das Vorderkopfsegment (erstes primäres Segment) und die aus dem Hinterkopfsegmente (dem zweiten primären Segmente) entstandenen Segmente durch k,, Ka, Ka, K,, die drei Brustsegmente durch b,, b,, b;, und die Hinterleibsegmente durch h,, ha, hy .... u. 8. w. bezeichnen, so können wir nach dem genannten Forscher mit der folgenden Formel den Segmentationsprozess bei Stenobothrus d. h. den Zerfall der primären Segmente in die definitiven ausdrücken: IHUI+1I+-W=k-+ (k, ks,k) + (bi ba b) + b,b,b...’.’b)ek +k,k,k)+b bb + ,ba2....b)ek tk RR +k tb de br Bei Meloe geht nun der Prozess folgendermaßen vor sich: II IT-W=k-+ (k,k,k)-+ (bı bb, bi) + (hie a en eigr )=k + (k, k, k)+b +b + b+ en et Nusbaum, Segmentierung des Keimstreifens der Insektenembryonen, 519 Wir sehen also, dass die Segmentierung des Keimstreifens bei Meloe sehr ähnlich der von Ayers!) bei Oecanthus, und besonders der von Graber bei Stenobothrus und andern Insekten zuerst be- schriebenen ist. Hier wie dort finden wir vier primäre Ursegmente, die dem Zerfall in die sekundäre unterliegen. Bei Meloe finden wir aber noch eine tertiäre Segmentation, die zur Bildung der drei kiefer- tragenden Segmente durch die Segmentation des zweiten Ursegmentes in zwei sekundäre und des hintern von den letztern in zwei tertiäre führt. Wenden wir uns jetzt zur Frage der Bauchanhänge des Meloe- Embryos. Auf dem isolierten Keimstreifen treten am 6. Entwicklungs- tage die Anlagen der Extremitäten der Kopf- und Brustseg- mente hervor. Nahe dem vordern Rande des ersten Segmentes finden wir zwei kleine, also paarige Anhänge und zwischen den- selben einen unansehnlichen dritten, unpaaren. Diese drei Anhänge zusammengenommen stellen, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Anlage der Oberlippe dar. Auf demselben Segmente erscheinen gleichzeitig die Antennenanlagen und an den drei Segmenten des Hinterkopfes, wie gewöhnlich, die Anlagen der Mandibeln und des vordern und hintern Maxillenpaares. An den Brustsegmenten finden wir schon die Anlagen der drei Paare von Extremitäten. Am Hinterleibe sind noch keine Anhänge zu beobachten. Diese letzteren sind aber schon am 7. Entwicklungstage, also etwas später als die des Kopfes und der Brust, ganz klar zu sehen. Auf dem ersten Hinterleibsegmente ent- wickelt sich in einer Reihe mit den Brustanhängen ein Paar kleiner zylindrischer Säckchen, die ungefähr die halbe Länge der Brust- extremitäten erreichen. Die Stigmaöffnungen befinden sich an der Außenseite dieser Anhänge. Solche Oefinungen beobachtete ich in diesem Stadium auch an der Außenseite der Brustextremitäten, sowie an den Bauchsegmenten, die drei hinteren ausgeschlossen. Auf dem 2. bis 7. Bauchsegmente erscheinen gleichzeitig mit den obengenannten kleinere, paarige, stummelförmige Anhänge, die viel weniger ent- wickelt als die des ersten Hinterleibsegmentes sind. In meinem oben zitierten, in diesem Blatte erschienenen Berichte sagte ich, dass an allen Abdominalsegmenten seitliche Anhänge vorhanden sind. Diese letzteren jedoch stellten sich bei näherer Prüfung und Isolierung des Keimstreifens nur als stark hervorragende, seitliche Ausbuchtungen der Segmente dar, die keineswegs als zu den eigentlichen Extremi- täten gehörend betrachtet werden können. Die Anhänge des ersten Abdominalsegmentes haben bis zum 8. Entwicklungstage die Gestalt zylindrisch rundlicher Säckchen und bestehen wie die Brustfüße aus einer Schieht zylindrischer Ektoderm- 1) H. Ayers, On the development of Oecanthus niveus ete. Memoirs of the Boston society of natur. hist. Vol. II. 1884. 520 Nusbaum, Segmentierung des Keimstreifens der Insektenembryonen. zellen, die eine Höhle, in welcher lose Mesodermzellen zu sehen sind, begrenzen. Am 8. Entwicklungstage differenziert sich jeder dieser Anhänge in zwei Teile: einen basalen, zylindrischen und einen distalen, kugelförmigen und gegen den Pol etwas zugespitzten Teil. In dem erstern bleibt die Höhle samt den losen Mesodermzellen wie vorher bestehen; in dem kugelförmigen Teile dagegen verschwindet die Höhle und wird durch sehr hohe und große Zylinderzellen verdrängt. Diese großen Zellen entstehen durch eine Art Invagination eines Teiles der Ektodermschicht am Pole des Anhanges. Die Zellen des ein- gestülpten Teiles wachsen nämlich sehr rasch und nehmen bald das Aussehen sehr charakteristischer und großer Elemente an, die so lose neben einander liegen, dass man hier und da sehr klare, enge Spalten zwischen ihnen beobachten kann. Die Ränder des eingestülpten Teiles nähern sich einander und es bleibt nur eine kleine äußere Oeffnung übrig, die in eine rundliche, von allen übrigen Seiten geschlossene Höhle führt, wie es der beigelegte Holzschnitt zeigt (Fig. 1). Erklärung der Abbildung. Ein Teil eines Längsschnittes durch den Meloe-Embryo (aus dem 12. Entwicklungstage). b, — der dritte Brustfuß. — h, = Anhang des ersten Hinterleibsegmentes. — Ay = Anhang des zweiten Hinterleibsegmentes — Ah, —= Anhang des dritten Hinterleibsegmentes. — e — äußere, ö© = innere (eingestülpte) Schicht des Ektoderm (große Zellen), w — das Sekret der Drüse, m = Mesoderm, tr = Tracheen. Am 10. Entwicklungstage kann man sehr deutlich die Segmen- tation der Brustbeine beobachten; auf jedem Beine unterscheidet man 3—4 Teile oder Segmente, die von einander durch äußere Verengungen am Ektoderm abgegrenzt sind. Es ist interessant, dass auch die An- hänge des ersten Hinterleibsegmentes eine Art Gliederung zu erleiden scheinen, so dass ich Graber’s These, dass „die Abdominalanhänge stets ungegliedert sind“, nicht beistimmen kann. Man kann nämlich im genannten Entwicklungsstadium zwischen den zwei obengenannten Nusbaum, Segmentierung des Keimstreifens der Insektenembryonen. 5941 Teilen dieser Anhänge: basalen und distalen eine deutliche Verengung am Ektoderm beobachten, und es scheint mir daher, dass wir volles Recht besitzen, diese zwei so deutlich abgegrenzten Teile des An- hanges als zwei Segmente zu betrachten. Am 12. Entwicklungstage (und manchmal noch früher) nimmt das Plasma der eingestülpten Zellen, deren rundlich ovale, große Kerne nahe den basalen Enden liegen, eine sehr deutliche, feine, faserförmige Struktur an, ähnlich wie im Epithel vieler Exkretions- drüsen. In der obengenannten, nach außen sich öffnenden Höhle häuft sich ein homogenes, klebriges Sekret an, das allmählich nach außen in ansehnlicher Menge hervorquillt (s. die Figur «). Man kann leicht feine Fasern dieses Sekrets beobachten, welche von den die Höhle umgrenzenden großen Zellen nach der innern, die Höhle er- füllenden Masse des Sekrets hin verlaufen. Der Bau dieser drüsigen Anhänge erinnert mich etwas an die drüsigen, provisorischen Anhänge (Dorsalorgan), die ich bei Mysis beschrieben habe !); ich muss jedoch ausdrücklich betonen, dass ich hiermit keine Andeutung an etwaige Homologie dieser Organe aussprechen will. Nach Graber’s?) unlängst in diesem Blatte veröffentlichten Unter- suchungen sind die Ektodermzellen in den Anhängen des ersten Hinter- leibsegmentes bei Stenobothrus ganz enorm groß und gegen das äußere Ende derart mit gelblichen Körnchen erfüllt, dass infolge dessen die ganze Außenwand des Sackes als eine bräunlichgelbe Platte erscheint. Dies beweist nach Graber die drüsige Natur dieser Gebilde, was bei Meloe ohne jeden Zweifel stattfindet. Ich habe mich noch weiter überzeugt, dass auch die übrigen, stummelförmigen Bauchanhänge des Meloe eine drüsige Natur zeigen. Am obern Ende eines jeden dieser Anhänge findet auch eine Einstülpung der Ektodermschicht statt, die aber viel seichter als an den Extremitäten des ersten Hinter- leibsegmentes ist, so dass sie nicht zur Bildung einer Höhle dient. Die eingestülpten Zellen sind zusammengedrängt, hoch, zylindrisch, aber nicht so groß wie an den Anhängen des ersten Abdominal- segmentes (siehe die beigelegte Figur). Sie secernieren auch eine klebrige Masse, wiewohl in geringerem Maße, als die obengenannten Anhänge des ersten Abdominalsegmentes. Hinter diesen eingestülpten Zellen befindet sich eine mit losen Mesodermzellen erfüllte und im direkten Zusammenhange mit der Leibeshöhle stehende Höhle. Das rundliche, endständige Glied der Anhänge des ersten Hinter- leibsegmentes wird sehr wahrscheinlich abgeworfen, der basale Teil sowie die stummelförmigen Extremitäten der folgenden Abdominal- 1) L’Embryologie de Mysis Chamelee Thompson. Archives de zool. exper. et generale. Vol. 5. 2. Serie. 2) Graber, Embryonale Bauchanhänge der Insekten Biol. Centralblatt, N2.712>Bd.,.IX. 529 Brandt, Zusammenhang der Gland. suprar. mit dem Parovarium bei Hühnern. segmente verkürzen sich allmählich, werden abgeplattet und ver- schwinden, ohne eine Spur zurückzulassen. Die drüsige Natur der Bauchanhänge bei den genannten Insekten (die ohne Zweifel auch bei andern gefunden werden wird) spricht dafür, dass wir es hier wahrscheinlich mit rudimentären Organen, die nicht bloß zur gewöhnlichen Gangfunktion bei den Insekten- Vorfahren, sondern vielleicht auch noch zur Atmungsfunktion dienten, zu thun haben. Ich stimme daher mit Prof. Graber darin überein, dass mög- licherweise „die Vorfahren der Insekten (und Spinnen) heteropod waren und gewissen mit hinteren Kiemensäcken ausgestatteten Crusta- ceen nahe standen“. Ich kann dagegen der Cholodkowskischen!) Ansicht, dass die Insekten von myriapodenartigen Geschöpfen abzu- leiten sind, nicht beistimmen. In meiner vollständigen Arbeit werde ich auch näher die An- sichten anderer Forscher, besonders Grassi und Haase besprechen und Details nebst vielen Abbildungen bringen. Ueber den Zusammenhang der Glandula suprarenalis mit dem Parovarium resp. der Epididymis bei Hühnern. Von Prof. Dr. Alexander Brandt in Oharkow. Die früher schlechtweg als „rätselhafte Gebilde“ bezeichneten Nebennieren sind bekanntlich, dank neueren entwicklungsgeschicht- lichen Arbeiten, unserem Verständnis merklich näher gerückt, indem ihre Beziehungen zum Urogenitalapparat nachgewiesen wurden. Nichts- destoweniger ist die Natur dieser Beziehungen noch nicht definitiv klar gelegt und stehen sich namentlich die Ansichten von Weldon und Mihälkovics gegenüber. Nach Weldon?) wären es die Ge- schlechtsstränge der Urniere (Mesonephros), von welchen der Aufbau der Nebennierenstränge ausgeht, während v. Mihälkovies?°) die letzteren vom Cölomepithel an der Spitze der Geschlechtsleiste her- leitet. Somit erscheint die Nebenniere als rudimentärer Abschnitt, nach einem der Autoren des Mesonephros und nach dem andern der Glandula genitalis. 1) Cholodkowski, Studien zur Entwicklungsgeschichte der Insekten. Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. 48. 2) On the Head Kidney of Bdellostoma, with a Suggestion as to the Origin of the Suprarenal Bodies. Studies Morphol. Labor. Univers. of Cam- bridge II. Part 1. 1834. p. 119—130. On the Suprarenal Bodies of Vertebrata. Quart. Journ. of Microscop. Science. 1885. 3) Untersuchungen über die Entw. des Harn- und Geschlechtsapparates der Amnioten. Internat. Monatsschr. f. Anat. u. Histol. 1885. II. Heft. p. 14. Brandt, Zusammenhang der Gland.suprar. mit dem Parovarium beiHühnern. 593 So maßgebend die entwicklungsgeschichtlichen Forschungen für das morphologische Verständnis der Nebennieren auch sein mögen, so ist immerhin in dieser Beziehung auch der Wert rein anatomischer Daten nicht zu unterschätzen. Unter den homoiothermen Tieren gilt dies namentlich für die Vögel, bei denen noch nicht jene Verschie- bungen vorkommen, welche bei den Säugetieren als Descensus testi- ceulorum et ovariorum bezeichnet werden. Von den in der Literatur enthaltenen Angaben dürften zunächst diejenigen von His!) für uns von besonderem Belang sein. Ueber die uns interessierenden Verhältnisse beim jungen Huhn erfahren wir hier Folgendes. Was man bisher gewöhnlich als Nebenniere beschrieb, sei der obere Teildes Parovariums, des Restes vom Wolff’schen Körper. Lage und Bau sprächen für diese Deutung. „Dieses Gebilde wird vom Mesovarium umschlossen und stellt einen Körper von etwa 3—4 mm Durchmesser und von lockerem Gefüge dar. Es besteht aus gewundenen Zellsträngen von 50—70 u Durchmesser, die zum teil offene Lumina, indess keine Membrana propria zeigen. Ein Teil der Stränge wird von blassen, ein anderer von rotbraun pigmentierten Zeilen gebildet. An den piementierten Teil des Parovariums schließt sich nach unten ein Abschnitt von blassrötlicher Färbung, der in der Regel die Gestalt einer mit steck- nadelkopfgroßen Höckerchen besetzten Leiste besitzt. In diesem blassen Abschnitt des. Parovariums zeigen die Wolff’schen Kanäle noch durchweg ein offenes Lumen und sind in ein dichtes, aus glatten Muskelfasern gebildetes Gewebe eingebettet. Der Durchmesser dieser Kanäle beträgt 70—100 «. Pigmentierung pflegt an den Zellen der- selben keine aufzutreten, dagegen Fettansammlung in Form feiner Tröpfchen. ... Was die spätere Metamorphose der Wolff’schen Körper betrifft, so kann sie, soweit ich sah, verschieden sich ge- stalten. Die Zellen in den Kanälen des muskulösen Teiles scheinen sich am wenigsten zu verändern. Aus einigen, bis jetzt allerdings fragmentarischen Beobachtungen muss ich indess die Möglichkeit ent- nehmen, dass sie vielleicht zeitlebens Keimstätten neuer Eibildung sind.“ Taf. II, Fig. 3a stellt einen pigmentierten Strang, dem un- pigmentierte Kanäle dicht anliegen, „aus dem obern Abschnitt des Parovarium“ eines 3—4 Monate alten Huhns dar. Beim neugebornen Hühnchen ist laut Waldeyer!) „die Urniere bereits atrophiert und stellt einen gelblich gefärbten Körper dar, in welchem man Zellenstränge von verschiedener Länge, daneben Glo- meruli zum teil verödet und braungelb pigmentiert findet. Dieser Körper bleibt auch bei erwachsenen Tieren bestehen und ist dort zuerst von His richtig beschrieben und gedeutet worden. Früherhat 1) Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbeltierleibes. Leipzig 1868. Seite 15. 2) Eierstock und Ei. Leipzig 1870. 8. 140. 594 Brandt, Zusammenhang der Gland. suprar. mit dem Parovarium bei Hühnern. man ihn gewöhnlich als Nebenniere bezeichnet. Er findet sich sowohl bei Hähnen als bei Hennen (bei letzteren deutlicher) dicht unter dem Ovarium, zwischen diesem und den Nieren im la- teralen Teile des Mesovarium gelegen. Außerdem beschreibt His ganz richtig einen zweiten Abschnitt des Parovariums, wie er den Ueberrest des ganzen Wolff’schen Körpers beim Huhne nennt... Dieser Teil des His’schen Parovariums ist nach meinen Unter- suchungen der Rest des Sexualteiles des Wolff’schen Kör- pers bei der Henne; beim Hahn entwickelt er sich in der That zum Nebenhoden. Ucbrigens finden sich auch, wie bereits His angibt, in dem gelben Teile des Parovariums einzelne blasse Zellenstränge, dieindessen mit den pigmentierten eng zusammenhängen... Mit der Eibildung, wie His vermutet, hat kein Teil des Parovariums etwas zu thun.“ Auch für Lacerta agilis erklärt Waldeyer (S. 143) das bisher stets als Nebenniere bezeichnete Organ für das Parovarium His, resp. für ein der Para- didymis der Vögel homologes Gebilde. Kaudalwärts unmittelbar hinter diesem Organ liegt beim Weibchen „eine Gruppe kleiner rundlicher Cystchen und kurzer Kanälchen, die mit lebhaft flimmerndem Epithel ausgekleidet sind. .. Dieselben reichen bis unmittelbar an das Ovarium heran. Bei männlichen Eidechsen fehlen sie; dafür treten dann aber die fiimmernden Kanälchen des Nebenhodens auf.“ Leydig') schließt sich in bezug auf die Eidechsen Waldeyer an, indem er beim Männchen und Weibchen gleichfalls zweierlei Residuen des Wolfi’schen Körpers annimmt, von denen das eine, und zwar die Paradidymis des Männchens, resp. das Paroophoron des Weibehens, der goldgelbe Körper oder die Nebenniere früherer Au- toren sei. So sehen wir also durch die drei genannten hervorragenden Forscher die Glandula suprarenalis aus der Reihe der den Sauro- psiden zukommenden Organe gestrichen und die früher als solche betrachteten Gebilde schlechtweg den Residuen der Wolff’schen Körper zugezählt. Erst durch Braun?) wurden die Nebennieren der Rep- tilien und Vögel wieder in ihre Rechte eingesetzt. Ihr frühes Auf- treten zur vollsten Blütezeit der Urnieren, ihre Größenzunahme während des Lebens, das Spitzenwachstum der Schläuche in ihrer Röhren- substanz und schließlich ihr embryonaler Entwieklungsgang werden hierbei von Braun als Belege herangezogen. Was His als musku- lösen Teil des Parovariums bezeichnet, gehört allerdings zu letzteren. Folgender Passus (Braun 8. 23) bietet für uns noch ein spezielles Interesse: „Eines Umstandes muss ich noch erwähnen, der mir viel Mühe gemacht hat; die Anlage der Nebenniere kommt öfters 1) Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tübingen 1872. S. 133. 2) Bau und Entwicklung der Nebennieren bei Reptilien. Arbeiten aus dem z00l.-zoot. Inst. in Würzburg. V. (1879) S. 1—30. ee 1 u a Brandt, Zusammenhang der Gland. suprar. mit dem Parovarium bei Hühnern. 525 so sehr in die Nähe der von der äußern Kapsel der Malpighi- schen Körperchen entstammenden Segmentalstränge, aus welchen die Hodenkanälchen hervorgehen, dass man mitunter an einen Zu- sammenhang zwischen Nebenniere und Segmentalstrang glauben möchte. Wenn auch solehe Bilder nicht grade zu den Selten- heiten zählen, so glaube ich sie doch als auf Täuschung be- ruhend ansehen zu müssen; erstens tritt die erste Anlage der Neben- niere auf, wenn die Segmentalstränge noch gar nieht vorhanden sind; so lange letztere noch klein sind, sind sie gegen die Nebennieren abgegrenzt und selbst bei ihrem weitern Wachstum lässt sich der scheinbare Zusammenhang mit den Querstreifen der Nebenniere lange nicht bei allen Segmentalsträngen schen, vielmehr nur dann, wenn die Querstreifen der Nebenniere besonders schräg getroffen sind; dass Schrägschnitte zu den größten Täuschungen Veranlassung geben können, weiß Jeder, der zu seiner eignen Belehrung solche ge- macht hat.“ Den hier angeführten, auf einen anatomischen Zusammenhang der Nebennieren mit dem Nebeneierstock und Nebenhoden hinweisen- den Daten erlaube ich mir folgende eigne Wahrnehmungen anzu- schließen. Die sich auf den weiblichen Vogel beziehenden entnehme ich meiner gegenwärtig unter der Presse befindlichen Arbeit über die Hahnenfedrigkeit!). Sub Nr. 3 sind daselbst (S. 136) die Genital- organe einer schwach -hahnenfedrigen und angeblich hahnenstimmigen Henne mit ausgebildetem linken und rudimentärem rechten Ovarium beschrieben und durch die Figuren 22 bis 24 illustriert. Das rechte Parovarium (Fig. 22 Po) ist vortrefflich ausgebildet und führt auf allen Schnitten die bekannten Röhren und weiter kaudalwärts außer- dem noch einen aus feineren, geraden, netzförmig anastomosierenden Kanälchen bestehenden Teil, welchen ich als Homologon des Rete testis betrachte. Der orale Abschnitt des Parovariums ist nicht streng von der Nebenniere gesondert; vielmehr sehen wir die Stränge der Nebenniere, allmählich ihre bräunliche Färbung ein- büßend, in zarte Stränge übergehen, aus welchen — wenn man von Bindegewebszügen (und glatten Muskelfasern ?) namentlich im Umkreis der Röhren, absieht — die Grundsubstanz des Par- ovariums aufgebaut erscheint?). Die Stränge des Par- ovariums setzen sich ihrerseits kontinuierlich unter Hohlwerden in die typischen Röhren fort. Als Uebergänge 4) Anatomisches und Allgemeines über die sogenannte Hahnenfedrigkeit und über anderweitige Geschlechtsanomalien bei Vögeln. Zeitschrift f. wiss. Zoologie. XLVII. 1889. S. 101—190. Taf. IX—XI. 2) Solche Stränge, resp. ihnen entsprechende, aus hexagonalen Zellen zusammengesetzte Epithelfelder, machen auch in allen übrigen von mir unter- suchten Nebeneierstöcken, desgleichen auch Nebenhoden, den prävalierenden Bestandteil der „Grundsubstanz“ aus. 526 Brandt, Zusammenhang der Gland. suprar. mit dem Parovarium bei Hühnern. gewahren wir Stränge, welche bereits das Aussehen von Röhren haben, jedoch eines freien Hohlraumes entbehrend, noch von Zellen an- gefüllt sind. Die erwähnten innigen Beziehungen zwischen Parovarium und Nebenniere werden noch an einzelnen Schnitten bestätigt, auf welchen kleinere Inseln von bräunlichen Nebennierensträngen ins Parovarium eingesprengt sind. Auf andern Schnitten (Fig. 23) sehen wir auch wohl einen größern Lappen vom Bau der Glandula supra- renaris dem Parovarium einverleibt. Von der eigentlichen Gl. supra- renalis ist der Lappen, in der Schnittfläche wenigstens, durch Binde- gewebe und ein Blutgefäß isoliert. Die Stränge auch dieses Lappens setzen sich in die Röhren des Parovariums fort. Auf noch andern Schnitten (Fig. 24) sieht man aus dem medialen, das Parovarium überragenden Rande der rechten Nebenniere leicht geschlängelte, schmale Stränge sich entwickeln, welche mit den Strängen der Neben- niere direkt zusammenhängen. An ihrem Ursprung, gleich den letz- teren, aus bräunlichen Zellen zusammengesetzt, entfärben sie sich rasch. In ihrem weitern Laufe werden sie hohl. Wegen ihrer bau- lichen Uebereinstimmung mit den weiter oben erwähnten Verbindungs- strängen zwischen Nebenniere und Nebeneierstock bin ich geneigt anzunehmen, dass auch diese Stränge resp. Röhren zum Nebeneier- stocke ziehen. Eine Lücke in der Schnittserie gestattet es leider nicht den vermutlichen Zusammenhang von Nebenniere und Neben- eierstock auch durch lange Verbindungskanäle direkt zu beweisen. Dass die beschriebenen Verbindungsstränge sich auch beim normalen, Huhn wiederfinden, braucht wohl kaum bezweifelt zu werden. Bei einem jungen Hähnchen konnte ich mich an einer Anzahl von Querschnitten zunächst davon überzeugen, dass die Stränge der Nebenniere mit Vorliebe in der Nachbarschaft des Nebenhodens die Tendenz zeigen hohl zu werden, und ferner ist an einzelnen Prä- paraten der allmäbliche direkte Uebergang von Strängen der Glan- dula suprarenalis in die Röhren der Epididymis deutlich. Die hier angeführten anatomischen Befunde sprechen für die Zu- sammengehörigkeit der Glandulae suprarenales und der Residuen des Mesonephros und scheinen die Weldon’sche Auffassung der Neben- nieren als rudimentär bleibende Teile des Mesonephros wesentlich zu stützen. Gleichzeitig geben sie uns den Schlüssel zur Erklärung der Thatsache, dass hervorragende Forscher dazu verleitet werden konnten, die Existenz der Nebennieren bei Sauropsiden zu leugnen. Der von ihnen konstatierte Zusammenhang der goldgelben Körper mit Residuen resp. Derivaten des Wolft’schen Körpers konnte nämlich, nach Maßgabe der zur Zeit herrschenden Vorstellungen über die Natur der Nebennieren, statt modifizierend auf die morphologische Deutung der letzteren einzuwirken, leicht zur Negation ihrer Existenz in der genannten Wirbeltiergruppe führen. Frühjahr 1889. Apäthy, Nach welcher Riehtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 597 Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? (Histologisches und Histogenetisches.) Von Dr. Stefan Apäthy, Privatdozent in Budapest. In den Jahren 1885 und 1886!) habe ich in zwei Abhandlungen eine neue Auffassung der Histologie des Nervensystems mit Zugrunde- legung einer Parallele in der Struktur und in der Histo- genese von glatten Muskelfasern und Nervenfasern ver- öffentlicht. Ein Auszug der Abhandlung von 1885 der „Studien über die Histologie der Najaden“ ist in diesem Blatte im Jahre 1587 erschienen. Als eine nötige Konsequenz involvierte meine Auffassung, dass der Axenzylinder als ein der Länge nach kontinuierlicher Schlauch zu betrachten sei, welcher eine mehr oder weniger geschlossene, immerhin aber sehr permeable Wand und einen protoplasmatischen, von Zellsaft gelockerten Inhalt besitzt. Aehnliches ist das wesentlichste der von Schiefferdeeker im J. 1887 veröffentlichten Resultate über den Bau des Axenzylinders und der marklosen Nervenfasern. Dies ist aber nur ein Teil meiner Anschau- ung, im weitern weicht sie von allen bisher veröffentlichten ab, und ich glaube, sie könnte eine einheitliche Grundlage zur Beurteilung der mannigfaltigen Strukturverhältnisse und zur Vergleichung der verschiedenen Nervengewebe liefern. Meine Mitteilung wurde aber, obwohl sie keineswegs eine bloß vorläufige, sondern der Auszug einer schon fertigen, erschienenen Arbeit war, bisher gar nicht berücksichtigt. Damals stützte ich mich auf Untersuchungen über die betreffenden Gewebe einerseits von er- wachsenen undembryonalen Wirbeltieren sowie auch patho- logischen Gebilden bei denselben, anderseits von Mollusken, namentlich der Teiehmuschel. Seitdem habe ich meine Unter- suchungen außer bei den genannten Tieren auch bei andern Mollusken, namentlich bei Aplysia, bei verschiedenen Arthropoden, hauptsäch- lich bei den marinen Crustaceen (Palinurus, Palaemon, Penaeus, Squilla ete.) und bei Würmern, in erster Linie bei den Hirudineen, welche mir auch in die Histogenese des Nervensystems einen nähern Einblick gewährten, kontroliert und erweitert. In neuerer Zeit sind Anschauungen zur Geltung gekommen, resp. alte aufgefrischt worden, welche, auf die Nervenlehre angewandt, einer im Sinne moderner Biologie fortschreitenden Zellenlehre gar nicht entsprechen. Ich meine die Leydig’sche Hyaloplasmatheorie 1) Studien über die Histologie an Najaden (Ungarisch). Mathe- matisch-naturw. Abhandl.,, k. Akad. d. Wissensch. zu Budapest. Vermehrung und Regeneration der glatten Muskulatur. Ebend. Auszug deutsch in: Mathem.-naturw. Berichte aus Ungarn. 598 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? und die Anwendung, welche diese durch Nansen für die Histologie des Nervensystems gefunden hat. Diesen gegenüber glaube ich wenig- stens das Prinzip der alten Lehre von Max Schultze über die Nervenleitung mittels Primitivfibrillen ganz entschieden vertei- digen zu müssen, denn hätte diese Lehre, welche anfangs so zu sagen über gar keine thatsächlichen Befunde zu ihrer Unterstützung ver- fügen konnte, auch heute nicht jene vielfache Bestätigung durch Beobachtungen verschiedener Forscher erfahren, so liegen auch für die Leydig-Nansen’sche Auffassung gar keine anders nicht zu deutende Beweisgründe vor, und die erstere hat über die letztere den immensen Vorteil, dass sie den Thatsachen, welche uns die Muskel- und Nervenphysiologie so triumphierend als elektrische Erscheinungen dargelegt hat, nicht nur nicht widerspricht, sondern diese auf die ungezwungenste Weise auch zu erklären hilft. Freilich scheinen andrerseits gewisse hauptsächlich in neuerer Zeit rasch nacheinander gefolgte histologischen Angaben, ja sogar die neuere Richtung in der Wirbeltierembryologie die Fibrillentheorie in Miskredit zu bringen, andere und triftigere Gründe thun dies aber mit der Hyalo- plasmatheorie ebenfalls. Nun steht die Sache nach meiner Ueberzeugung so, dass, wenn man die Parallele, welehe ich zwischen Muskelfaser und Nervenfaser aufgestellt habe, vergleichend durchführt, man alle, wenn auch scheinbar noch so kontroverse, aber aufrichtige Beobachtungen der verschiedenen Forscher sowohl mit einander als auch mit einer modernen Zellen- lehre versöhnen kann. Der größte Teil jener Untersuchungen hat etwas in der That Vorhandenes aufgedeckt, aber nur einen Bruch- teil des Vorhandenen und oft, ohne sich von den Umständen des Vorhandenseins Rechenschaft zu geben. Im Folgenden werde ich meine Auffassung, und zwar diesmal mit allen ihren Konsequenzen, von neuem darlegen, und dann, mehr zur Illustrierung als zum eingehenderen Begründen des Gesagten, einige aus der Reihe meiner Beobachtungen auswählen, vorläufig mehr die histologische als die histogenetische Seite der Frage berücksichtigend. In der letztern Richtung müssen meine Untersuchungen erst auch auf andere Tiergruppen, als auf Hirudineen ausgedehnt werden. Die an- zuführenden Beobachtungen habe ich wohl, zum teil wenigstens, zuerst gemacht; von den übrigen fehlt mir momentan sowohl Zeit als auch Gelegenheit nachzusehen, ob sie vor mir auch von andern ge- macht worden sind. Diese meine Mitteilung will die Prioritätsrechte von Niemandem verletzen; wäre es mir ja am liebsten, wenn ich zur Stütze meiner Auffassung lauter allbekannte und wohlbegründete That- sachen anführen könnte. So beabsichtigt diese meine Schrift nichts weiter, als auf eine Möglichkeit, wie unsere Kenntnisse über das Nervensystem doch einheitlich geordnet werden könnten, hinzudeuten. Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 529 Die glatten Muskelfasern sind, sowohl was ihre Größe, ihre Form und Gliederung, als auch was die Anordnung und die relative Menge ihrer Bestandteile betrifft, sehr variable Gebilde; und zwar bezieht sich diese Verschiedenheit nicht nur auf Muskelfasern verschiedener Tiergruppen oder Tiere, sondern auch auf die Muskeln verschiedener Organe, ja sogar desselben Organs eines Tieres, je nach der Lage in dem Organe resp. dem physiologischen Zustande desselben. Doch lässt sich ein Typus der glatten Muskelfaser aufstellen, welcher der Beschaffenheit der eben entwickelten glatten Muskelfasern embryo- naler Gewebe am nächsten kommt, sich aber auch beim erwachsenen Tiere sehr häufig findet, und von welchem alle übrigen Formen mit Leichtigkeit abzuleiten sind. Dietypische Muskelfaser ist eine spindelförmige Zelle mit von Zellsaft sehr gelockertem Protoplasma und einer beträchtlichen Menge eines andern intrazellulären Proto- plasmaproduktes, der kontraktilen Substanz. Der proto- plasmatische Teil und die kontraktile Substanz sondern sich in der Zelle in der Weise, dass ersterer die Axe, letzterer die Rinde der Spindel bildet. Der protoplasma- tische Teil beherbergt den Zellkern und enthält den leiechtflüssigen Zellsaft, das Hyaloplasma von Leydig, so wie ein Schwamm das eingesogene Wasser. Der Rindenteil besteht aus feinen Fasern, Primitivfibrillen, welche durch die ganze Länge der Zelle un- unterbrochen mit einander parallel verlaufen, und aus der inter- fibrillären Substanz, welche die Primitivfibrillen mit einander verkittet, eine zähe, gallertige Konsistenz besitzt, sehr quellungsfähig, aber in Wasser unlöslich und von dem Zellsaft des protoplasmatischen Teiles wohl zu unterscheiden ist. Die ganze Muskelspindel ist nicht selten von einem strukturlosen Häutchen, welche der Zell- membran entspricht, eng umgeben. Das eigentlich Lebende der Muskelfaser, was alle Lebens- funktionen sui generis verrichtet, ist das um den Kern herum meist diehter aufgehäufte, im übrigen aber schwammartig verteilte Element des protoplasmatischen Teiles, das Protoplasma der Zelle im alten Sinne. Dieses hat alle übrigen Teile der Faser produziert, dieses vermehrt und rekonstruiert sie während des ganzen Lebens, und dieses ist es endlich, welches den durch Nervenleitung hingeführten Reiz vermittelnd, die kontraktile Substanz zur Funktion bringt. Letz- tere, die Verkürzung der Primitivfibrillen, scheint mir mit Zugrunde- legung der Engelmann’schen Inotagmentheorie auf rein physika- lischem Wege erklärlich zu sein. Anderseits ist der Zellsaft der Muskelfaser eine dünne Eiweißlösung, welche, indem sie durch das Protoplasma passiert ist, ein eigentümlich labiles Molekulargefüge bekommen hat und sowohl zur weitern Nahrung des Protoplasmas, IX. 34 530 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? als auch zur Vermittlung der Einflüsse des letzteın auf den kortikalen Teil der Faser dient!). Dass die spezifische Funktion der Muskelfaser, die Kontraktion, nicht durch den axialen Teil, weder durch das Protoplasma noch durch den Zellsaft, das eine Hyaloplasma von Leydig, verrichtet wird, geht — wenn darüber überhaupt ein Zweifel herrschen sollte — schon daraus hervor, dass bei vielen, grade eine sehr bedeutende Arbeit verrichtenden Fasern der dem axialen entsprechende Teil ver- hältnismäßig sehr gering ist. Aber auch der für die Muskelthätigkeit übrig bleibende kortikale Teil besteht aus zwei Bestandteilen. Sind nun die Primitivfibrillen oder die interfibrilläre Substanz, auch ein Hyaloplasma von Leydig?), als das wesentlichere aufzufassen? Be- trachten wir die Kontraktion als eine physikalische Erscheinung und bedenken wir, dass die ganze Arbeit der Muskelfaser eine mechanische 4) Engelmann’s Idee ist, dass die Verkürzung der kontraktilen Fibrille dadurch hervorgerufen wird, dass die nach einander gereihten Inotagmen durch Quellung ihre Form verändern, kürzer und dabei dieker werden. Nun stelle ich mir, mich der Hypothese Engelmann’s anschließend, die Vermitt- lung des Nerveneinflusses in der Muskelfaser folgendermaßen vor. Die che- mische Beschaffenheit des Zellsaftes zwischen den Maschen des erregten Proto- plasmas wird verändert; die interfibrilläre Substanz zieht vom Zellsaft Wasser an, was sie bei der chemischen Beschaffenheit des letztern im Ruhezustande nicht so energisch thun konnte; die Inotagmen quellen wieder ihrerseits, weil das Medium, in welchem sie sich befinden, die interfibrilläre Substanz, mehr Wasser als im Ruhezustande enthält d. h. auch gequollen ist. Wie nun um- gekehrt der Ruhezustand durch Wasserentziehung aus der interfibrillären Sub- stanz resp. aus den Inotagmen von Seiten des in die ursprüngliche chemische Beschaffenheit zürückgekehrten Zellsaftes hergestellt werden kann, lässt sich leicht vorstellen. | Auch die Protoplasmaprodukte, welche zur Vermehrung, resp. zum Wachs- tum der übrigen Faserbestaudteile dienen, passieren wahrscheinlich den Zell- saft, indem sie sich, aus dem Protoplasma gleichsam ausgelaugt, in jenem vorerst in gelöstem Zustande befinden und nur dann von den betreffenden, schon geformten Zellprodukten weiter intussuszipiert werden. 2) Ich finde zwischen dem alten Zellsaft der tierischen und pflanz- lichen Zellen und dem, was Leydig meistens als Hyaloplasma bezeichnet, gar keinen Unterschied. Er macht aber seinerseits auch zwischen dem Zell- saft der Muskelfaser und der interfibrillären Substanz gar keinen Unterschied, er bezeichnet beide als Hyaloplasma, obwohl sie, sowohl in ihren physikali- schen als auch in ihren ehemischen Eigenschaften, von einander sehr verschieden sind. Auf welches sich aber auch der Name Hyaloplasma beziehen möge, so sehe ich doch gar keinen Grund, warum man eben diesem und nicht dem Spongioplasma Leydig’s, besser 'dem Protoplasma im alten Sinn, dasselbe von dem Zellsaft wohl unterscheidend, die speziellen Lebensfunktionen zu- schreiben soll. Man sieht ja sowohl an Pflanzenzellen als auch an einzelligen tierischen Organismen, dass sich die Lebenserscheinungen nicht in dem Zell- saft, sondern im Protoplasma vollziehen. Warum sollte dies bei den Zellen höherer Organismen grade umgekehrt sein? NEN Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 531 ist, so sprechen sowohl Beschaffenheit und Anordnung als auch gewisse während der Funktion auftretende Veränderungen ganz entschieden für die Fibrillen. Ich kann übrigens diese Frage gegenwärtig dahin- gestellt sein lassen und will nur darauf aufmerksam machen, dass die Kontraktion der Fibrillen keineswegs auf ihrer Elastizität beruhen kann. Die Muskelfasern besitzen an und für sich überhaupt eine sehr geringe Elastizität; die größere hat von ihren möglichen Bestand- teilen noch die Cutieula, die geringste die Primitivfibrillen selbst. Beinahe alle jene Erscheinungen, welche durch die Elastizität der Muskelfasern bedingt zu sein scheinen, sind es durch das interstitielle Bindegewebe, in welches die Fasern eingebettet sind. Die kontraktile Substanz zeigt hauptsächlich auf frischen oder ungefärbten Glyzerinpräparaten, falls diese nicht sehr alt sind, wenn man die Faser vertikal auf ihre Längsaxe betrachtet, eine starke Doppelbrechung; Querschnitte dagegen zeigen gar keine. Ja sogar wenn die von der Länge betrachtete Muskelfaser einen welligen Verlauf oder Einknickungen hat, so ist bei gekreuzten Nicols das helle Weiße der Faser von dunkeln Querbändern unterbrochen. Die doppelte Liehtbrechung ist, wie bekannt, bloß die Eigenschaft der Primitivfibrillen; die interfibrilläre Substanz bricht das Licht einfach. (Beweis für die Existenz der Primitivfibrillen im lebenden Zustand.) Fassen wir nun nach diesen allgemein giltigen Erörterungen die Verschiedenheiten, welche uns die Muskelfasern darbieten können, ins Auge. Ich werde versuchen diese nach meinen Beobachtungen mit Beispielen zu illustrieren. Größe und Dimensionen der glatten Muskelfasern. Die kleinsten Muskelfasern im erwachsenen Körper fand ich bei Wirbeltieren, namentlich bei Säugetieren. Sie befanden sich in der Haut und in der Wand der kleinern Blutgefäße; ihre Länge beträgt 15—20 u, ihre Breite den 10. Teil der Länge. Bei denselben Tieren, beim Menschen z. B., können aber auch 20 mal so große glatte Muskelfasern vorkommen. Dies ist der Fall im schwangeren Uterus. Die größten Muskelfasern traf ich bei Lamelli- branchiern und bei Hirudineen; dort in dem Schließmuskel, hier in der Längsmuskulatur des Körpers und in der Quermuskelschichte des Darmes. Ich habe aus dem Schließmuskel mehrerer Bivalven mehrere Millimeter lange glatte Fasern isoliert; auf Flächenpräparaten aus der ausgebreiteten Wand des Darmsackes von Pontobdella habe ich einzelne Fasern der Quermuskulatur, welche also einer Zelle entsprechen, unverästelt bis zu einer Länge von 15mm, mit den Endästen bis zu 20mm verfolgen können, mit einer Breite von 150—200 u. Anderseits finden sich auch bei Pontobdella Fasern, welche nicht größer als jene ge- nannten der Wirbeltiere sind. 539 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? Form, Gliederung und Verlauf. Drehrund spindelförmige, bandartig abgeplattete, fadenförmig dünne, ein kurzes Oval bildende dieke, sternförmige ete. Muskelfasern sind bei den verschiedenen Tierklassen allgemein bekannt. Eine reiche Auswahl der in var- schiedenster Weise geformter Muskelelemente, welche aber embryonal alle einfache Spindelzellen, seltner Sternzellen waren, bietet uns jede Egelart, namentlich aber Pontobdella und Clepsine. — Was die Form des Querschnittes betrifft, so ist in dieser Hinsicht einerseits vom Kreise bis zu dem langgezogenen Oval, zur Stäbchenform, anderseits vom Dreieck bis zur Rosettenform mit tiefen Einkerbungen und zu den in der bizarırsten Weise verzweigten und gegliederten Figuren jeder Uebergang, zum Beispiel ebenfalls bei den Hirudineen, vor- handen. Die allereigentümlichsten, kaum beschreibbaren Formen zeigen im Querschnitt die kolossalen Elemente der Längsmuskulatur von Branchellion. Man sieht gelegentlich zum Querschnitt einer und der- selben Muskelzelle (Muskelröhre) mehrere Sternformen in der Weise mit einander kombiniert, dass die einzelnen Sterne mit verschieden geformten, gelappten und verzweigten Armen in wechselnder Zahl mit einander bloß durch schmale Brücken zusammenhängen. Verfolgt man die Quersehnitte solcher Muskelfasern, welche sich meist von einem Ende des Somits bis zu dem andern ziehen, in der Serie gegen die Mitte der Faser, also gegen den Kern zu, so sieht man, dass die beschriebene Form sich immer mehr vereinfacht und schließlich in den Querschnitten, wo sich der Kern befindet, in eine verhältnismäßig einfache, mehr oder weniger gelappte Rosetten- oder Sternform über- geht. Ebenfalls einfacher wird der Querschnitt gegen die Enden der Muskelfaser, wo den Endästen entsprechend, mehrere einfachere Formen an die Stellen der einen, komplizierteren treten. Die eben besprochenen Muskelfasern erleiden aber, wie die Elemente der Längsmuskulatur überhaupt, an ihren Enden nur wenig Verästelungen. Im Querschnitt ähnlich gestaltet, aber sehr verästelt sind gewisse Muskelreihen, welche bei Pontobdella in dem losen Bindegewebe zwischen Darm und Längs- muskulatur in verschiedenen Riehtungen verlaufen. Macht man von solchen in der Nähe ihres Endes Schnitte, so trifit man eine ganze Gruppe, gelegentlich ziemlich eng zusammengepackter Querschnitt- formen, welche, wenn man sie in der Serie nicht verfolgt, eine Gruppe besonderer Muskelfasern vortäuschen können. — Die genannten Muskelfasern von Branchellion sind im jugend- lichem Zustande einfach langgestreckte Spindelzellen resp. ziemlich weite Schläuche, mit dünner Wand, der kontraktilen Substanz. Im weitern Verlauf der Entwicklung, schon postembryonal, treten immer mehr Längsfalten der Wand des sieh erweiternden Schlauches auf. Durch diese Faltungen, und nicht durch Verschmelzen mehrerer parallel verlaufender Zellen, entstehen die eigentümlichen Gliederungen des Querschnittes. Man kann sich nun leicht denken, wie ein solcher Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 539 Vorgang schließlich zur Abspaltung sekundärer Schläuche von dem primären führen könnte; in diesem Falle würde man ein mehr oder weniger eng zusammengepacktes Bündel solcher sekundärer Muskel- schläuche vor sich haben, welche mit einander nur streckenweise oder gar nicht kommunizieren und alle einer ursprünglichen Muskelzelle entsprechen. Solche Bündel von sekundären Muskelschläuchen, welche also nicht durch Zellteilung entstanden sind, keine Kerne enthalten und mit einander nicht mehr kommunizieren, habe ich bisher nicht gefunden; in allen Fällen, wo ich solche anfangs zu finden glaubte, stellte es sich heraus, dass streckenweise noch eine direkte Verbin- dung zwischen dem plasmatischen Teile der abgespaltenen Schläuche und der den Kern beherbergenden ursprünglichen Muskelzelle vor- handen war. Es scheint mir wahrscheinlich, dass die vielkernigen quergestreiften Muskelfasern der Arthropoden und der Wirbeltiere ihren Ur- sprung auch einer solehen Längsspaltung, mit welcher aber wahre Zellteilung Hand in Hand geht, verdanken. Die quergestreiften Muskel- fasern der Mollusken (Peeten ete.) sind dagegen ebenso einkernig und entsprechen ebenso einer ungeteilten Zelle, wie alle glatten Muskel- fasern. Es würde mir daher natürlicher erscheinen, die Muskelfasern in erster Linie nicht in glatte und quergestreifte, sondern in ein- und mehrzellige einzuteilen. Ob nun in letzterem Falle das Sarcolemma einer ursprünglichen Zellmembran, wie sie bei glatten Muskelfasern vorkommt, entsprieht und die Zellteilung innerhalb dieser Membran als eine endogene zu betrachten sei, darüber erlaube ich mir vorläufig kein Urteil; es scheint mir jedoch, dass wenigstens in gewissen Fällen die Sache wirklich so steht. Außer ihren Endästen, welche wieder mehrfach verzweigt oft in sehr lange und feine Ausläufer übergehen, können die glatten Muskel- fasern vielfach auch Seitenäste, welche meistens dünn und lang sind, aussenden. Als Beispiel kann ich wieder am besten die Darmmuskeln von Pontobdella anführen, deren Ausläufer, durch welche sie mehr- fach auch mit einander verbunden sind, als feine Faden im Binde- gewebe sehr weit zu verfolgen sind, auch ihrerseits nach jeder Rich- tung Aeste abgeben, bis dass sie sich auf einzelne Primitivfibrillen aufgespalten haben, welche mit einem mehr oder weniger deutlichen Mantel von interfibrillärer Substanz umgeben sind. Solche feine Aus- läufer der Muskelzellen sind gelegentlich sehr schwer und nur durch gelungene Goldreaktionen sicher von den feinen Nervenendästen, welche an die Muskeln herantreten, zu unterscheiden. Lageverhältnisse und relative Menge der Bestand- teile. Der protoplasmatische Teil nimmt, wie erwähnt, meistens die Mitte der Muskelfaser ein und bildet so wirklich die Axe der- selben; in diesem Falle zieht er sich, zu einer schmalen, gekörnelten Linie verjüngt, wenn die Faser nicht verästelt ist, oft bis an die 534 Apäthy. Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? äußersten Enden derselben. Verzweigt sich die Faser, so verzweigt sich dem entsprechend auch die protoplasmatische Axe, setzt sich aber in den feinern Zweigen nicht mehr fort; letztere bestehen also bloß aus kontraktiler Substanz und bilden ein Bündel mit inter- fibrillärer Substanz verkitteter Primitivfibrillen. Sehr oft nimmt aber der protoplasmatische Teil nicht die Axe der Faser ein, sondern ist exzentrisch, resp. peripherisch gelagert. So kann die ganze Muskel- faser das Aussehen einer, aus kontraktiler Substanz bestehenden, soliden Spindel haben, in welche der Kern mit dem umgebenden Protoplasma seitlich eingedrückt ist und, wenn keine Cuticula vor- handen ist, frei auf der Oberfläche der Faser liegt (Schließmuskel der Bivalven).. Da aber zwischen diesen Fasern auch solche mit zen- tralem Protoplasma überall vorkommen und die embryonalen Fasern meistenteils in der letztern Weise beschaffen sind, so kann man die exzentrische Lage des protoplasmatischen Teiles als etwas sekundäres betrachten. Jedenfalls befindet sich aber die Hauptaxe des Protoplasmas, mit seltneren Ausnahmen, in der Mitte der Faser- länge. Was nun die relative Menge des protoplasmatischen und des kontraktilen Teils betrifft, so kann bald ersterer, bald letzterer überwiegen. Nicht selten bildet die Muskelzelle einen weiten, sehr dünnwandigen Schlauch, in welchem die kontraktile Substanz bloß eine ganz geringe kortikale Lage von einer Fibrillen- dicke bildet. Ein solcher Fall kann z. B. bei allen Hirudineen vor- kommen; am öftesten begegnete ich ihm aber bei Calliobdella, einer marinen Ichthyobdellide. Anderseits bildet der Protoplasmateil beinahe ebenso oft bloß einen dünnen axialen Faden oder ein exzen- trisches, längliches, nach den beiden Polen hin fadenförmig ausge- zogenes Häufchen. Beide Fälle kommen hauptsächlich bei Wirbel- tieren und bei Mollusken vor; ersterer ist aber mehr für die Wirbel- tiere, letzterer mehr für die Mullusken charakteristisch. Beschaffenheit des protoplasmatischen Teiles. Die Volumzunahme des axialen Teiles geht nicht gleichen Schrittes mit der Vermehrung des eigentlichen Protoplasmas vor; sie ist vielmehr in erster Linie durch den Zellsaft bedingt, und je geringer im allge- meinen der protoplasmatische Teil ist, um so größer ist die relative Menge des darin enthaltenen eigentlichen Protoplasmas. Auch die Beschaffenheit des Kernes hängt von der rela- tiven Menge des Zellsaftes ab. Ist diese groß, so erscheint auch der Kern groß, mit einer in seinem Wasserreichtume bedingten Größe, falls er nicht, eben durch eine zu große Quellung, sekundär teilweise aufgelöst, rückgebildet ist. Ein in der Weise verkrüppelter Kern charakterisiert die Fasern der Längsmuskulatur von Olepsine und be- sonders von Nephelis. Bei der letztern ist der Kern oft gar nicht mehr aufzufinden; höchstens ist das Protoplasma an einer gewissen Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 535 Stelle stärker als sonst durch Kernfärbungsmittel tingierbar. Große und wasserreiche Kerne, wie sie bei den übrigen Hirudineen so cha- rakteristisch vorkommen, besitzen meistens eine kurze Oval- oder Kugelform; sie besitzen ein deutliches, loses Kerngerüst, aber selten auffallendere Kernkörper. — Ist der protoplasmatische Teil der Muskel- faser gering, so ist auch der darin befindliche Kern verhältnismäßig klein, kompakter, daher stärker färbbar und meistens von der cha- rakteristischen Stäbeben-, nicht selten gewundenen Fadenform. So geformte Kerne erreichen nur unter abnormen Verhältnissen durch Quellung eine beträchtlichere Größe. Sie charakterisieren die glatten Muskelfasern höherer Tiergruppen, namentlich von Säugetieren. Der Kern befindet sich meistens, ungefähr die Mitte der Faser- länge bezeichnend, in der Mitte des Muskelprotoplasmas, welches sich um ihn herum verdichtet und körnchenreicher als anderswo ist. Doch gehört eine andere Lage des Kernes als die eben beschriebene auch nicht zu den Seltenheiten; im allgemeinen scheint aber die Masse der kontraktilen Substanz vor und hinter dem Kerne im Gleichgewicht zu sein. Beschaffenheit der kontraktilenSubstanz. Die Primitiv- fibrillen verlaufen, wie schon Engelmann nachgewiesen hat, inner- halb der Faser ununterbrochen und (den Kern umgehend) parallel mit einander und mit der Hauptaxe der Faser resp. des Fortsatzes, in dem sie sich befinden. Demgemäß kann erstens bei spindelförmigen, sich ohne Verästelüng stark verjüngenden Fasern nicht jede Fibrille von einem Ende der Faser bis zu dem andern gelangen, kann aber zweitens auch die Gesamtzahl der Fibrillen der Ausläufer nicht größer sein, als an der dicksten Stelle des Faserrumpfes selbst. Der das Licht schwächer und einfach brechende Zwischenraum zwischen je zwei Primitivfibrillen ist immer schmäler als die Primitivfibrillen selbst, welche in derselben Faser alle gleich diek sind. Verschieden ist aber die Dicke der Fibrillen, wenn man sie bei verschiedenen Tierklassen vergleicht; die von Hirudineen, z. B. von Pontobdella, sind viel dieker als die der Wirbeltiere. Es scheint mir überhaupt, dass die Muskel- primitivfibrillen bei höhern Tieren ceteris paribus bedeutend dünner und schwerer erkenntlich als bei niedrigern sind. Anderseits steht die Dicke der Primitivfibrillen mit der Größe der Muskelfaser selbst in gradem Verhältnisse, und das postembryonale Wachstum der kon- traktilen Substanz einer Muskelfaser beruht lediglich nicht auf Ver- mehrung, sondern auf Verlängerung und Verdickung der Fibrillen, welche mit einer entsprechenden Vermehrung der interfibrillären Sub- stanz pari passu vor sich geht. Was nun die weitere Anordnung der Fibrillen in der kon- traktilen Substanz betrifft, so liegen sie in dieser meistens gleich- mäßig verteilt, gelegentlich aber, wie schon erwähnt, bloß einen ein- schichtigen Mantel um den protoplasmatischen Teil bildend. Eine 536 Apäthy, Nach weıcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? eigentümliche Anordnung findet man in den meisten Muskeln der Hirudineen. Hier ordnen sich die Fibrillen in radiär gestellte Lamellen, in welchen sie enger mit einander verkittet sind als die Entfernung je zweier Lamellen von einander. Daher kommt es, dass auf diame- tralen Längssehnitten die fibrilläre Struktur oft nicht zum Vorschein kommt, sondern der ganze kortikale Teil homogen erscheint; daher kommt es auch, dass auf Querschnitten meistens nur eine regelmäßige radiäre Streifung und nicht die den durehgeschnittenen Fibrillen ent- sprechende Punktierung zum Vorschein kommt. In solchen Fällen kann man sich bloß durch Maceration, wenn die Fibrillen gelockert und einzelne losgelöst werden, davon überzeugen, dass die kontrak- tile Substanz nicht aus radiär gelagerten dünnen Leisten zusammen- gesetzt ist. Die interfibrilläre Substanz ist im ganzen und großen eine glashelle, etwas grünlich schimmernde, homogene Masse; gelegent- lich enthält sie jedoch Partikelchen verschiedenster Natur in sich eingeschlossen, welche aber kaum irgend welche physiologische Be- deutung — eher eine pathologische — haben. (Pigmentkörnchen bei Hirudineen, Kalkteilchen bei Mollusken, minimale Fetttröpfcheu bei Wirbeltieren ete) Die innere Fläche der interfibrillären Substanz, wo diese mit dem Zellsaft im axialen Teile der Faser in Be- rührung steht, bildet eine sehr dünne, etwas resistentere Schichte, welche gelegentlich (bei Hirudineen) als eine Art Grenzmembran zwischen den beiden Hauptbestandteilen der Muskelfaser fungiert. Eine ähnliche Grenzschichte ist nach außen hin bei den ver- schiedensten glatten Muskelfasern ziemlich gewöhnlich; ihr Vorhanden- sein ist aber mehr nnr aus dem Verhalten der Oberfläche der Muskel- faser zu schließen, denn sie ist sehr schwer mit Bestimmtheit sichtbar zu machen. Jedenfalls muss sie von der eigentlichen Zell- membran der Muskelzelle, welche, wie schon erwähnt, oft auch vorhanden ist, ohne aber ein nötiges Attribut aller Muskelzellen irgend welcher Tieren zu sein, unterschieden werden. Letztereisteinstrukturloses, sehr dünnes, aber äußerst zähes Häutchen, welches ziemlich elastisch und gegen die üb- lichen Macerierungen sehr widerstandsfähig ist. Am leichtesten sichtbar fand ich sie an den Quermuskeln der Darmwand von Pontobdella. Wenn man die abpräparierte Muskelschichte stark dehnt, so reißen mehrere Muskelfasern in der Weise, dass die Membran, welche dehn- barer als die kontraktile Substanz ist, unversehrt bleibt und als eine leere Hülle die retrahierten, von einander entfernten Rissenden letz- terer verbindet. Fixiert man das Präparat in diesem gedehnten Zu- stande, so kann man die Muskeln mit Salpetersäure herausmacerieren und die Membran, da dieselbe dabei ihre Elastizität einbüßt und so die Rissenden der kontraktilen Substanz von einander entfernt bleiben, noch besser sichtbar machen. Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 537 Schließlich will ich hier noch das mikrochemische Verhalten einzelner Bestandteile der glatten Muskelfasern mit einigen Worten berühren. Durch längeres Stehen in Glyzerin, durch Alkoholbehand- lung, durch Macerieren in Salpetersäure büßen die Fi- brillen ihre Doppelbreehung größtenteils ein; Essigsäure beeinträchtigt diese viel weniger. Ihren starken Glanz, ihre homogene Beschaffenheit erhalten sie jedoch immer, doch verlieren sie durch wasserentziehende Mittel ein beträchtliches von ihrer Dicke. Die interfibrilläre Substanz wird durch Alkohol fein gekörnelt; in starken Säuren quillt sie und wird schließlich ganz flüssig. Der Zellsaft im protoplasmatischen Teile bildet mit Alkohol ein amorphes Gerinnsel; das Protoplasma behält seine (oft spongiöse) Verteilung wie im Leben, koaguliert in situ und wird auffallender gekörnelt als im Leben. Gegen Macerierungsmittel sind die Primitivfibrillen unter allen Bestandteilen, den Kern auch nicht ausgenommen, am resistentesten. Macerieren inSalpetersäure, längeres Ver- weilen in destilliertem Wasser und Quetschen auf dem Objektträger lie- fert isolierte, unversehrte Primitivfibrillen. Die Varikositätete. der mace- rierten Muskelfasern ist allein der interfibrillären Substanz zuzuschreiben. Bei jeder Goldbehandlung muss man drei verschiedene Seiten der Wirkung inbetracht ziehen: a) die wirkliche Tinktion, b) die Färbung durch Niederschläge von Gold, ce) die Macerierung, resp. Quellung durch die Nachwirkung der Säuren, welche gebraucht werden müssen. Gelungen ist das Präparat nur dann, wenn die erste Seite bei weitem die überwiegende ist, obwohl uns auch die andern Seiten interessante Einblicke in die histologische Beschaffen- heit der betreffenden Gebilde gestatten. Was nun erstens die Tinktion bei der Goldmethode betrifft, so bleibt der Zellsaft vollkommen un- gefärbt, das Protoplasma sehr blass, bläulich, seine Körnelung sowie auch das Kerngerüst etwas dunkler, violett; am dunkelsten gefärbt, rötlich violett ist die interfibrilläre Substanz; die Primitivfibrillen sind ungefärbt. Ein feiner, rötlicher, bis schwarzer Nieder- schlag bildet sich in kleinerer oder größerer Menge in dem Zell- saft, wodurch der protoplasmatische Teil nicht selten als ein dunkler Axenfaden durch die ganze Faser zieht. In der interfibrillären Substanz dürfen sich keine Niederschläge bilden, wohl aber ist unver- meidlich, dass sich darin durch Blähung der Substanz kleine weiße Pünktchen bilden. Die interfibrilläre Substanz quillt überhaupt sehr und ist von der Faser streckenweise herauszuquetschen, wodurch die ungefärbten, glänzend homogenen Primitivfibrillen nur noch besser zu Gesicht kommen. Auch Karmin und basische Anilinfarbstoffe färben die Fibrillen nicht, wohl aber die interfibrilläre Substanz. In den ersten 538 Hoyer, Ueber die Struktur der Milz. Minuten der Einwirkung von Pikrokarmin werden die Primitiv- fihrillen gelb, die interfibrilläre Substanz blass rosarot; später die ganze kontraktile Substanz orangerot. Ueberhaupt hat Pikrokarmin bloß in den ersten Minuten der Einwirkung eine wirklich differen- zierende Eigenschaft. Im Gegensatz zu den genannten Färbungsmitteln färbt Hämato- xylin mehr die Fibrillen; ebenso Osmiumsäure, wenn die Ein- wirkung nicht zu lange dauert und in der interfibrillären Substanz keine fettartigen Körnchen verteilt sind. Eine Färbung der Fi- brillen par excellence gibt die Heidenhain’sche und meine Hämatoxylinmethode. (Fortsetzung folgt.) Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Sitzungsprotokolle der biologischen Sektion der Warschauer Naturforschergesellschaft!). Sitzung vom 26. März (6. April) 1889. Hoyer machte eine Mitteilung über die Struktur der Milz. Dieselbe bildete im wesentlichen eine Ergänzung zu seiner in der „Internationalen Monatsschrift für Anatomie und Physiologie“, 1887, Bd. IV, Heft 9 veröffent- lichten Arbeit und zu seinem Artikel über die Milz in dem von Lawdowsky und Owsjannikow herausgegebenen histologischen Handbuche (St. Peters- burg, 1887—1888, russisch). Veranlasst wurde die Mitteilung durch die in neuester Zeit erschienenen Arbeiten über die Milz von Sokoloff und Malinin (Virchow Archiv, Bd. 112, S. 209 und Bd. 115, 8. 303) und insbesondere durch die von Lawdowsky dem vorerwähnten Artikel im histol. Handbuche beigefügten ausführlichen Anmerkungen. Sokoloff untersuchte vorzugsweise die Milz von Hund und Kaninchen ohne Injektion der Gefäße, nach einfacher Erhärtung in Müller’scher Flüssigkeit und Färbung der Schnitte mit Hämato- xylin resp. Alaunkarmin und Eosin, und glaubt an denselben den direkten Uebergang der arteriellen Kapillaren in die Venenanfänge nachgewiesen zu haben. Lawdowsky stützt seine Einwürfe gegen die von H. vertretenen Lakunarbahnen auf die Durchsicht von Präparaten, welche H. selbst ange- fertigt und an L. übersandt hat. Beiden Forschern gegenüber verharrt H. auf seiner in den oben angeführten Arbeiten vertretenen Ansicht. Seiner Ueber- zeugung nach ist die so schwierige Frage der Blutbahnen in der Milz ohne Leitband der farbigen Injektionsmasse nicht zu lösen. Die von ihm empfoh- lenen Masse aus in ätherischen Oelen suspendiertem Berlinerblau erzeugt zwar auch Kunstprodukte in Gestalt von künstlich erweiterten röhren- oder beeren- förmigen Lücken am kapillaren Ende der injizierten Arterien und Venen, aber hat man sich einmal mit dieser Erscheinung vertraut gemacht und gelernt, bei der Injektion den Austritt der Masse in die Maschenräume des adenoiden Gewebes auf das möglichst geringste Maß zu reduzieren, so liefert diese Methode die zuverlässigsten und anschaulichsten Präparate. Die Gefäßvertei- lung in der Milz lässt sich nicht an wenigen Schnitten sofort klar legen, son- dern erfordert mindestens ein vergleichendes Studium der Repräsentanten verschiedener Säugetierklassen, und insbesondere eignen sich zur Feststellung 1) Originalbericht für das Biolog. Centralblatt. Bjelajew. Radoszkowski. Werminski. 359 der Lakunenbahnen die betreffenden Organe von Wiederkäuern, Schwein und Pferd, bei welchen keine so reichen und dichten Netze von Venensinus die Pulpa durchsetzen, wie beim Menschen und den Nagern, und die letzten Enden (richtiger „Anfänge*) der relativ weiten nnd kurzen Venenäste in Gestalt kurzer zugespitzter Ausläufer mittels der erwähnten Injektionsmasse sich leicht darstellen lassen. Werden Milzen von Tieren, die durch schnelle Verblutung (Dekapitation) getötet worden, mittels Sublimatlösung erhärtet, in Paraffin eingeschmolzen, die Schnitte nach Gaule’s Methode auf Objektträgern fest- geklebt und nach entsprechender Vorbereitung mittels der von Heidenhain empfohlenen Ehrlich-Biondi’schen Farbmischung tingiert, so erhält man sehr anschauliche Bilder, in denen die Verteilung der roten Blutkörper viel klarer zu Tage tritt, als an mit Hämatoxylin und Eosin gefärbten Schnitten. Dieselben zeigen außer der Anordnung der Blutkörper in den Gefäßen auch regelmäßig eine diffuse Verteilung derselben im adenoiden Gewebe an der Peripherie der Malpighi’schen Körper und nichts von direkten Uebergängen von arteriellen Kapillaren in die Venenanfänge. — Die Arbeit von Malinin bietet nicht den geringsten wissenschaftlichen Wert. — Sitzung vom 19. April (1. Mai). 1. Prof. W. J. Bjelajew machte folgende Mitteilung über die männ- lichen Prothallien bei den Hydropteriden. Er gelangte bei seinen Untersuchungen zu dem Schlusse, dass die Prothallien bei den Marsilien, Pilu- larien und Salvinien aus mehreren sterilen Zellen und zwei Antheridien be- stehen, welche letztern durch sterile Zellen von einander gesondert sind. Die Antheridien sind in das Gewebe des Prothalliums eingesenkt und mit einer Deckzelle bedeckt. Die eine der sterilen Zellen, welche linsenförmige Gestalt zeigt und an der Basis des Prothalliums gelagert ist, betrachtet B. als rudi- mentäre Zelle des Rhizoids. B. beabsichtigt, seine Arbeit binnen kurzem in ausführlicher Bearbeitung in deutscher Sprache zu veröffentlichen. 2. Generallieutenant OÖ. J. Radoszkowski sprach über Genital- anhänge der Hymenopteren. Die sichere Unterscheidung von Arten und Varietäten bietet oft bedeutende Schwierigkeiten. Die verschiedene Länge der Palpae labiales und maxillares ist nur für einzelne Gattungen und Arten charakteristisch. Ein wirklich zuverlässiges Unterscheidungsmerkmal konsta- tierte R. jedoch nach dem Vorgange von Kratz, Saunders und Morawitz in den eigentümlichen Anhängen der männlichen Geschlechtsorgane und zwar an 40 Arten und 500 Unterarten der Gattung Bombus. Die betreffenden Organe bestehen aus dem Apparatus conductorius und den Forcipes; an den erstern finden sich die beiden mittels der Vagina vereinigten Hamuli; an der Zange (forceps) sind zu unterscheiden die Arme (branches), die Basis (base de forceps), die Volsella und das Tenaculum. Verschiedene Gestalt, Größe und Anordnung dieser Gebilde bieten sehr charakteristische Merkmale. 3. F.F. Werminski, Ueber Aleuronkörner: In meiner im Sommer des vergangenen Jahres veröffentlichten Arbeit über die Entstehung der Aleuronkörner habe ich nur an zwei Objekten die Umwandlung der Vakuolen in die betreffenden Körner verfolgt und zwar an den in Reifung begriffenen Samen von KRicinus und von der Weinrebe. Im Sommer desselben Jahres kontrolierte ich die erlangten Resultate auch an andern Gewächsen und ver- folgte außerdem einige Fälle von Auflösung der Körner, wobei ich vorzugs- weise solche Objekte berücksichtigte, an welchen die Aleuronkörner durch H40 Werminski, Ueber Aleuronkörner. >. irgend welche Eigentümlichkeiten sich auszeichnen. Am Ende des Jahres 1838 erschien in deutscher Sprache die ausführliche Arbeit von Wacker, welcher zu Schlüssen gelangt ist, welche mit den Resultaten meiner eignen Arbeit übereinstimmen. In der Untersuchung von Wacker ist der Umwandlungs- prozess der Vakuolen in die Körner nur in so allgemeinen Zügen beschrieben, dass seine Arbeit meine im Gegenwärtigen zu liefernden Ergänzungen nicht überflüssig erscheinen lassen dürfte. — Der Eiweißinhalt in den zarten Zellen von reifenden Samen ändert sich unter dem Einflusse von Wasser und ver- schiedenen Reagentien sehr schnell, wodurch die Untersuchung bedeutend er- schwert wird. Infolge dessen gelangt man bei der Untersuchung nur an ein- zelnen besonders günstigen Objekten zu erfolgreichen Resultaten. Solche Objekte bieten die Samen von Paeonia und Lupinus. An jungen Eiweißzellen von Paeonia lassen sich die runden Kerne im hellen wandständigen Plasma- schlauche gut erkennen. Das Zentrum der Zelle wird von einer großen Vakuole eingenommen. In der Umgebung der letztern treten weiterhin neue kleine Vakuolen auf, während der Umfang der großen Vakuole sich stufenweise ver- ringert. Eine Abschnürung der kleinen Vakuolen von der großen habe ich in diesem Falle nicht direkt wahrzunehmen vermocht. Im Plasma nahe an der Vakuolenmembran erscheinen zarte Fetttröpfehen, deren Anzahl sich ständig verınehrt, wobei das Plasma immer mehr verdunkelt wird und in eine Emul- sion sich umwandelt. In diesem Stadium erscheinen die Vakuolen mehr oder weniger gleich groß. Die Lichtbrechung der Vakuolen ändert sich, sie werden glänzender und wandeln sich in Aleuronkörner um, welche je ein einzelnes sehr kleines Globoid enthalten. Wurde die Zuckerlösung, in welcher ich ge- wöhnlich die Präparate untersuchte, durch vorsichtigen Wasserzusatz verdünnt, so konnten auf allen Stadien der Entwicklung von Aleuronkörnern die letz- tern wiederum in Vakuolen übergeführt werden. — Die Zellen der der Reifung nahen Samen von Lupinus enthalten ebenfalls eine Vakuole und im wand- ständigen Plasma einen schwer wahrnehmbaren Kern und Chlorophylikörner. Von der großen Vakuole schnüren sich, wie mir wahrzunehmen gelang, kleine Vakuolen ab. Dies zeigt, dass die Vakuolen, aus welchen Aleuronkörner her- vorgehen, nicht selbständig im Plasma entstehen, sondern ein Teilungsprodukt der primären Vakuole darstellen. Eine Emulsion bildet sich in den Samen von Lupinus nicht, infolge dessen dies Objekt als das geeignetste für die Untersuchung erscheint. Die stufenweise Umwandlung der Vakuolen in Aleuron- körner bei Lupinus entspricht ganz dem oben geschilderten Vorgange bei Paeonia. — Bei der Untersuchung des Keimungsvorganges der Samen lenkte ich meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf solche interessante Objekte, in welchen einzelne Zellen des Samens nur je einen großen glänzenden Körper enthalten. Diesen Körper sieht Beck als Aleuronkorn an (Aleuronfleck oder Füllkorn). Derartige Objekte bieten die Samen von Vicium und Ervum. Der im Zentrum der Zelle gelagerte glänzende Körper erscheint im ruhenden Zu- stande der Samen etwas kantig; beim Keimen rundet sich derselbe ab und wandelt sich, allmählich seinen Glanz einbüßend, schließlich in eine zentrale runde Vakuole um. — In einigen Samen erscheinen die Aleuronkörner violett oder rosa gefärbt. Eine ähnliche Färbung findet man nicht selten auch an den Vakuolen. In der Voraussetzung, dass in solchen Fällen die Umwandlung der Vakuolen in Aleuronkörner sich besonders prägnant darstellen dürfte, unter- suchte ich die Keimung der Samen von Matthiola parviflora, welche blauge- färbte Aleuronkörner enthalten. Meine Voraussetzung erwies sich jedoch als nicht stichhaltig, indem bei der Keimung die Färbung der Körner schnell Mitrophanow, Ueber Zellgranulationen. 541 schwindet, wahrscheinlich infolge von Säurebildung. — Pfeffer hat bereits gezeigt, dass durch Einwirkung von Schwefelsäure an den Körnern von Paeonia eine Schichtung nachgewiesen werden kann. Ich selbst überzeugte mich, dass auch an andern Objekten eine Schichtung der Aleuronkörner angetroffen wird und dass dieselbe auch ohne jede Einwirkung von Reagentien wahrgenommen werden kann. Besonders deutlich erscheint dieselbe bei teilweiser Eintrock- nung nicht völlig gereifter Samen, ferner auch an einzelnen Körnern von Vicia und Ervum. Die Schichtung wird wahrscheinlich bedingt durch die konsekutive Abscheidung verschiedener Eiweißstoffe, welche im Zellsafte der Vakuole ge- löst sind. — Zu der vorstehenden Mitteilung machte Prof. Bjelajew, aus dessen Laboratorium die Arbeit von Werminski hervorgegangen ist, die Bemerkung: wenn die im Juni 1333 in deutscher Sprache veröffentlichte erste Arbeit von W. auch bereits nach der vorläufigen Mitteilung von Wacker im Drucke erschienen ist, so ist doch die Untersuchung ganz selbständig und unabhängig von letzterer im Winter 1887—1888 ausgeführt worden und hat die von W. publizierten Resultate geliefert. Das zur Arbeit nötige Material hat W. ja nur im Herbste des Jahres sammeln können. — 4. P. J.Mitrophanow sprach über Zellgranulationen. Nach kurz- gefasster Besprechung der Untersuchungen von Altman und der Verwertung der Methyleublaufärbung in lebenden Geweben zu analogen Forschungen durch Arnstein, O.Schultze undN.Kowalewsky und durch M. selbst in frühern eignen Versuchen, hebt M. hervor, dass bei verschiedenartigster Einführung des Methylenblaus in den lebenden Organismus stets eine charakteristische Färbung von Zellgranulationen in den verschiedensten Geweben erhalten werde. Diese Granulationen lassen sich nach den umfangreichen Beobachtungen von M. in folgende Gruppen zusammenstellen: 1) Im Blute und der Lymphe färben sich Granulationen a. in den Blutkörpern des Flusskrebses; beim Frosche fand sich eine Färbung während des Lebens nur nach Einführung großer Dosen des Farbstoffes, db. in roten Blutkörpern färben sich die sogenannten Vakuolen, worauf bereits OÖ. Schultze aufmerksam gemacht hat, welcher dieselben dem Anscheine nach für Dotterkörper ansieht; etwaige Kermfärbung bildet ein post- mortales Symptom, c. zweierlei freie Granulationen und zwar gröbere, welche den N. Kowalewsky’schen Körnern entsprechen und eine blaue Färbung annehmen, und kleinere, welche eine violette Nüance zeigen und mit den Körnern der roten Blutkörper übereinstimmen. Die Färbung der letztern zeigt viel Uebereinstimmung mit der Methylenblaufärbung der Nerven. — 2) In der Gruppe der Bindegewebselemente: a. in Wanderzellen bei Anuren und Tritonen, in Knochen- und Knorpelkörpern vom Frosche, b. im Fettkörper des Frosches, wo auch dem Anscheine nach freie Körner vorgefunden wurden, c. bei Unio in den verzweigten Zellen der Mantelbasis, d. bei Periplaneta in den Zellen des Fettkörpers. — 3) In epithelialen Gebilden: a. im Oberhautepithel von Axolotl- und Froschlarven; im Epithel des Mantelsaumes von Unio, b. im Darmepithel von Froschlarven, anfangs eine Menge zarter blauer Körnchen, weiterhin grobe stark gefärbte Kömer, c. in den Hautdrüsen des Frosches, d. in der Leber dieses Tieres in Gestalt eines zarten aus Körnchen gebildeten Netzes in den Interzellularräumen; dieses letztere Vorkommen in den Inter- zellularräumen zeigt auch Giltigkeit für andere epitheliale Gebilde, e. in der grünen Drüse des Krebses, f. In den großen zerstreuten Zellen der Leber- fortsätze von Gammarus pulex. g. In den Ausführungsgängen der Speichel- drüsen, den Zellen des Speichelsäckchens und der Malpighi’schen Gefäße bei Periplaneta. — 4) In Muskeln, und zwar in in Entwicklung begriffenen glatten 542 Trejdosiwiez, Sarmatische Fauna des Gouvernements Lublin. Elementen bei Amphibienlarven und zwischen den Fibrillen der gestreiften Elemente bei Amphibien, Acerina, Periplaneta, Flusskrebs.. Am deutlichsten zeigen sich die Granula in der Umgebung der Kerne, insbesondere an in Ent- wicklung begriffenen Muskeln und (beim Krebs) an den Nervenendigungen; sie sind dem Sarkoplasma eingelagert. — 5) In den Ovarien von Periplaneta sind alle in Entwicklung begriffenen Eier von blauen Körnern eingehüllt, die gröbern derselben sind an den Grenzen der Eikammern angesammelt. Aehn- liche Körner fanden sich auch in entwickelten Eiern zwischen den Dotter- elementen bei Periplaneta, einer Spinne und beim Frosche. Diese Wahrnehmung wird bestätigt durch A. Kowalewsky an den in Entwicklung begriffenen Geschlechtsorganen von Raupen (Biol. Centralbl., IX, Nr. 2—4). M. vindiziert diesen Beobachtungen große Bedeutung. — Die angeführten Thatsachen zeigen, dass die während des lebenden Zustandes erfolgende Färbung der Granulationen an den Elementen aller Gewebe wahrgenommen wird (im Nervengewebe mani- festiert sie sich als eine ganz spezifische Färbung), vorzugsweise tritt sie aber auf an solchen Stellen, wo 1) ein erhöhter oder beschleunigter Stoffwechsel statt hat, und wo 2) Wachstums- und Regenerationserscheinungen vor sich gehen. Dieser Schluss wird bestätigt durch die Untersuchungen der Ehrlich’- schen Schule über die Granulationen, durch die Existenz von Eleidinkörnern im Stratum granulosum, von Emailtropfen im in Entwicklung begriffenen Email, von Granulationen in Drüsen, Muskeln u. s. w. — Die Granulationen stellen sich verschiedenartig dar in verschiedenen Geweben und unter ver- schiedenen Verhältnissen, wie dies durch die Ehrlich’schen Reaktionen nach- gewiesen wird; in ihrer Beziehung zum Wachstumsprozess dürften sie jedoch auch in verschiedenen Geweben viel Gemeinsames haben, was durch die allen gemeinsame Methylenblaureaktion angedeutet wird. Diese Reaktion kenn- zeichnet aber nur eine Reihe von intrazellularen Umwandlungen. In andern Fällen werden Granulationen, die durch andere Hilsfmittel dargestellt werden, durch diese Reaktion nicht zum Vorschein gebracht. — Diese Betrachtungen führen M. zu dem Schlusse, dass die Zellgranulationen als elementare Bestand- teile (im Altmann’schen Sinne) anzusehen sind, aus welchen die Zellen ge- formt werden, und deren Lebensthätigkeit den Lebensprozess der Zelle her- stellt, sowie als morphologische Merkmale der innerhalb der Zellen ablaufenden Lebensprozesse. Eine solche Formulierung der Anschauungen schafft eine neue Stütze für das harmonische Bauwerk der Zelltheorie und bietet durch die in jedem gesonderten Falle angezeigte spezielle Charakterisierung der Granulationen rationelle Wege für die Erforschung der fundamentalen biologi- schen Prozesse. — Sitzung vom 17. (29.) Mai 1889. 1. J. Th. Trejdosiwiez. Ueber die sarmatische Fauna des Gouvernements Lublin. In der „geognostischen Beschreibung von Polen und der übrigen Nord-Karpathen-Länder“ von Pusch sind nur drei Formen von tertiären im Gouvernement Lublin vorkommenden Petrefacten angeführt, nämlich Ostrea spatulata Lam., Pectunculus angustieostatus Lam. und Cerithium margaritaceum? Bronn. In seiner Arbeit über „die Kreideformation im Gouv. Lublin® führt Prof. K. Jurkiewicz folgende im erwähnten Gouvernement von ihm aufgefundene Formen an: Ostrea digitalina Eichw., Cardium pro- tractum Eichw., Ervilia Podolica Eiechw. und Modiola marginata Eichw. — Diese unzureichenden Kenntnisse der Lubliner obermioeänen Fauna veranlassten T. zu einer systematlschen Durchforschung des betreffenden Gouvernements, Radoszkowsky, Mitteilungen über die Genitalanhänge bei Hymenopteren. 543 um das Material zu sammeln für die Herstellung einer zuverlässigen geologi- schen Karte. Auf 38 Exkursionen gelang es T. über 100 natürliche und künst- liche Bloßlegungen tertiärer Gesteinsarten aufzufinden, welche obermiocäne Petrefacten enthielten. — Ueberreste von Echinodermen finden sich nur selten; sie stellen Stacheln von Spatangus Desmarestii Münster dar. Ueberreste von Würmern, insbesondere von Chätopoden, werden dagegen sehr häufig ange- troffen an einigen Stellen der Kreise Janow und Zamosc; eine der häufigsten Formen bildet Serpula gregalis Eichw. Zusammen mit den Chätopoden finden sich gleichfalls sehr häufig Bryozoen; zu den gewöhnlichen gehört Cellepora globularis Bronn und nicht selten trifft man Pustulipora sp. Blain und Celle- pora inviformis Eich w. — Lamellibranchiaten finden sich in allen obermiocänen Gesteinsarten des Lubliner Gouvernements; zu den häufigsten Formen gehören Ervilia podolica Eichw., Cardium protractum Eiehw. und Cardium obsoletum Eichw., obgleich auch Ostrea sp. und Pecten elegans Andrz. häufig ange- troffen werden. Ueberreste von Gasteropoden finden sich endlich sehr häufig in den Kreisen Zamose, Janöw, Tomaszöw und Bilgoraj; zu den häufigsten gehören verschiedene Formen von Trochus und Cerithium, insbesondere Trochus podolieus Dubois, Trochus sannio Eichw. und Cerithium scabrum Olivi. Diese letztere Form kommt noch gegenwärtig im Mittelmeere und der Nordsee vor. Cerithium pietum und CO. disjunctum sind von T. nicht vorgefunden worden. — Werden die Lubliner obermiocänen Petrefacten mit den wolhynisch- podolischen verglichen, so zeigen beide viel gemeinsames und zwar finden sich in beiden Bezirken 1) Bryozoen in zahlreichen Arten, 2) Cardium protractum, Cardium obsoletum und Ervilia podolica sehr häufig; 3) in großer Zahl Gastero- poden, insbesondere Trochus podolicus und Cerithium scabrum, also die am meisten charakteristischen Petrefacten nicht nur für die wolhynisch - podolische ober- miocäne Fauna, sondern auch für die Fauna des ganzen östlichen Europa. Aufgrund dieser Befunde gelangt T. zum Schlusse, dass die Lubliner ober- miocänen Petrefacten der typischen sarmatischen Fauna zugehören, welche sowohl in Wolhynien und Podolien, also auch überhaupt dem ganzen östlichen Europa eigentümlich ist. — 2. 0. J. Radoszkowsky machte weitere Mitteilungen über die Genitalänhänge bei Hymenopteren, indem er spezielle Belege anführte für die in der vorhergehenden Sitzung aufgestellten Behauptungen. So unter- scheidet sich der europäische Bombus lapidarius durch kein einziges plastisches Merkmal von dem aus Korea stammenden Bombus Kalinowski. In dem Verzeichnis der von J. Kalinowski aus Korea gelieferten Hymenopteren be- zeichnete R. jedoch die betreffende Form als var. Kalinowski mit dem Vorbehalte, dass derselbe als gesonderte Species zu betrachten sein würde, falls sich dies nach Erforschung der Genitalanhänge bewahrheiten sollte. R. war davon fest überzeugt, dass jene Form eine neue Species bilde, da Bombus lapidarius seiner Erfahrung nach in Asien d. h. jenseits des Ural niemals an- getroffen worden ist. So zeigen ferner B. incertus Mor. und B. simulatilis Rad. durchaus kelne äußern unterscheidenden Merkmale, differieren dagegen bedeu- tend in der Gestaltung der Genitalanhänge; dieselben entsprechen bei der erstern Art den von B. lapidarius, bei der zweiten den bei B. Derchamelus ; die erstere Art findet sich in den kaukasischen Gebirgen, die zweite in den Gebirgen von Kleinasien. Ebenso stimmen B. distinguendus und B. Dumulchelji äußerlich vollkommen mit einander überein und nur die Untersuchung der Genitalanhänge ermöglicht die Unterscheidung beider Arten, von denen die eine in Mitteleuropa, die andere in Sibirien einheimisch ist. Die Annahme 544 Radoszkowsky, Mitteilungen über die Genitalanhänge bei Hymenopteren. deutscher Entomologen, dass Männchen mit differierenden äußern Merkmalen, aber gleichgeformten Genitalanhängen nur Varietäten, aber keine gesonderten Arten darstellen, ist nach Ansicht von R. nicht begründet. So z. B. zeigen B. terrestris, B. viduus und Kalinowki identische Gestaltung der Genital- anhänge. Die europäischen Exemplare von B. terrestris zeigen jedoch zwei gelb-graue Streifen; diese Streifen beginnen an den Exemplaren von Irkutsk zu verblassen und gehen an solchen aus Kamtschatka in rein weiße über. In Algier also und in ganz Europa bewahrt diese Art mithin die intensiv gelbe Farbe; in dem Maße als sie sich nach Asien und dem Norden verbreitet, ändert sich die Farbe stufenweise in der weiße um und wird in Kamtschatka rein weiß. Das Klima übt also augenscheinlich auf diese Species seine Wirkung aus. Bei B. viduus dagegen bewahren alle Exemplare von Nertschinsk, Irkutsk, vom Amur und aus Kamtschatka ihre Färbung ohne die geringste Abweichung, sind also dem Einflusse des Klimas nicht unterworfen, Ferner fliegen B. ter- restris und B. viduus in Sibirien an gleichem Orte und zu gleicher Zeit, aber Niemand hat Exemplare vorgefunden, welche etwa Uebergänge der einen Art zur andern darstellen möchten, es fehlt also die notwendige Bedingung für Statuierung einer Varietät. Außerdem findet sich B. viduus nirgends außer in Sibirien. Man darf jedoch als sicher annehmen, dass beide Arten in sehr ferner Zeit infolge von Aenderung der klimatischen Verhältnisse, der Lebens- weise ete. aus einem gemeinsamen Urstamme hervorgegangen sind. B. viduus ist die ältere, rein asiatische Form, welche gewöhnt an das asiatische Klima unter dessen Einwirkung sich nicht ändert, während die wesentlich europäische jüngere Form der B. terrestris gegen das asiatische Klima empfindlich ist. Die rein koreanische Art der B Kalinowski, welche inbezug auf die Gestaltung der Genitalanhänge mit den beiden vorerwähnten Arten völlig übereinstimmt, ersetzt in Korea den B. terrestris, welcher südlicher von Wladiwostok, be- ginnend vom Flusse Sidema, nicht vorkommt. — Es wird mithin richtiger sein, die Gattung Bombus in Gruppen einzuteilen gemäß der Form der Genital- anhänge und alle Formen, welche keine stufenweise Uebergänge zu einander aufweisen und durch plastische Merkmale scharf differieren, als gesonderte Speeies hinzustellen, wobei die scharfe Abgrenzung ihrer geographischen Ver- breitung in Rechnung zn ziehen ist. In dieser Hinsicht kann man auch nicht der Annahme deutscher Entomologen beistimmen, dass die rein asiatische Art B. Warpleini Rad. eine Varietät des rein europäischen B. mastrulatus dar- stelle. — (Schluss folgt.) Druckfehler - Berichtigung. In dem Aufsatz „Die Genitalorgane der T'helyphonus“ in Nr. 12, 8. 376--382, bitten wir durchweg zu verbessern: Tarmani statt Farnani. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. Soeben erschien: Rosenthal, Professor in Erlangen, Vorlesungen über die Öffentliche und private Gesundheitspflege. Zweite, vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 72 Abbildungen. Preis 12 Mark. Hieraus einzeln für die Abnehmer der ersten Auflage: Schulz, Dr. ®., Kurze Anleitung zu hygienischen Untersuchungen. Mit Abbildungen. Preis 1 Mk. 20. Pf. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 15. ak 1889. | Nr. 18. IX. Band. Inhalt: de Vries, Intrazellulare Pangenesis. — Goebel, Pflanzenbiologische Schil- derungen. — Bütschli, Ueber die Struktur des Protoplasmas. — v. Lenden- feld, Darwin’s Korallenriffe. — Schiemenz, Parasitische Schnecken. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Sitzungsprotokolle der biologischen Sektion der Warschauer Naturforschergesellschaft (Schluss). Hugo de Vries, Intrazellulare Pangenesis. Jena. Verlag von Gustav Fischer. 1889. Im Jahre 1868 hat Darwin im 2. Bande seines Werkes „The variation of animals and plants under domestication“ die Hypothese der Pangenesis aufgestellt, welche die Vererbung der Eigenschaften von Mutter- auf Tochterorganismen erklären sollte und in Folgendem gipfelte: 1) In jeder Keimzelle (Eizelle, Pollenkorn, Knospe u. s. w.) sind die einzelnen erblichen Eigenschaften des ganzen Organismus durch bestimmte stoffliche Teile vertreten. Diese vermehren sich durch Teilung und gehen bei der Zellteilung von der Mutter auf die Tochter über. 2) Außerdem werfen die sämtlichen Zellen des Körpers zu ver- schiedenen Zeiten ihrer Entwicklung solche Teilchen ab; diese fließen den Keimzellen zu und übertragen auf diese die ihnen etwa fehlenden Eigenschaften des Organismus (Transporthypothese). H. de Vries hält den erstern der beiden Gedanken für sehr wertvoll und stellt sich in vorliegendem Buche die Aufgabe, „den Grundgedanken der Pangenesis, abgeschieden von der Transportbypothese, auszuarbeiten und mit den neuen Thatsachen, welche die Lehre von der Befruch- tung und die Anatomie der Zelle zutage gefördert haben, zu verbinden“. Im ersten Teil (Pangenesis überschrieben) zeigt Verf. zunächst, dass der Artcharakter ein äußerst zusammengesetztes Ganze darstellt und aus zahlreichen einzelnen Faktoren, den erblichen Eigenschaften oder Anlagen, aufgebaut ist. Diese sind bei höhern Tieren und Pflanzen wohl zu Tausenden vorhanden und können unabhängig von einander IX, 35 546 de Vries, Intrazellulare Pangenesis. erworben werden und verloren gehen; sie können ferner in jedem Verhältnis gemischt werden, indem jede einzelne Eigenschaft von völliger Abwesenheit an durch alle Stufen zur höchsten Entwicklung gelangen kann. Selbständigkeit und Mischbarkeit sind die wesent- lichsten Eigenschaften der erblichen Anlagen aller Organismen; letz- tere stellen ferner den ganzen Artcharakter dar, so dass nach ihrer Abscheidung „nicht etwa eine anderweitige Grundlage überbleibt, der sie eingefügt wären“. „Eine Hypothese zu finden, welche diese Eigen- schaften unserem Verständnis näher führt, ist die Hauptaufgabe einer jeden Vererbungstheovrie“. Indem Vries (in Uebereinstimmung mit andern Forschern) kleine Stoffteilchen, für die er das Wort „Pangene“ vorschlägt, als die Träger der erblichen Eigenschaften annimmt, glaubt er die Erschei- nungen der Erblichkeit erklären zu können. Während Elsberg und Haeckel jene Stoffteilehen (Plastidula Haeckel’s) als identisch mit den Molekülen der Chemiker betrachten, glaubt Vries in Ueberein- stimmung mit Darwin, dass sie aus zahlreichen chemischen Molekülen aufgebaut und eher den kleinsten bekannten Organismen als den wirklichen Molekülen an die Seite zu stellen sind. In Harmonie mit Darwin’s Lehre befindet sich Vries ferner auch insofern, als er glaubt, dass jene Stoffteilchen Träger von nur je einer einzelnen erblichen Eigenschaft seien und also in eben soleher Mamnigfaltigkeit vorhanden sein müssen als die erblichen Eigenschaften eines Organis- mus selbst. Herbert Spencer’s „physiologische Einheiten“ stehen ihrer Größe nach in der Mitte zwischen dem chemischen Molekül und der Zelle und vergegenwärtigen jede für sich den ganzen Art- charakter, so dass ein Organismus nur ganz gleichartige Einheiten enthält und die Verschiedenheit zwischen den Organismen dureh Differenzen der physiologischen Einheiten bedingt ist. Weismann nimmt für niedere Organismen, welche noch keine geschlechtliche Dif- ferenzierung besitzen, ohne weiteres völlige Gleichförmigkeit des Keim- plasmas an; bei geschlechtlichen Tieren und Pflanzen aber eine größere Anzahl von unter sich ungleichen Einheiten, die sogenannten Ahnen- plasmen, welche aber nicht beliebig mit dem Wachsen der Ahnen- zahl vermehrt werden können, da die Teilbarkeit der Vererbungssubstanz aufhört, wenn sie nur mehr aus einem einzigen jener kleinen Stofl- teilchen, welche Spencer physiologische Einheiten genannt hat, be- steht. Solche bis zur Unteilbarkeit reduzierte Ahnenplasmen werden dann in gestalt der Riehtungskörperchen von dem Ei vor der Befruchtung abgestoßen. v. Nägeli hat bekanntlich in seiner mecha- nisch physiologischen Theorie der Abstammung vor mehreren Jahren das Idioplasma als den Träger der erblichen Eigenschaften be- zeichnet. Es ist in jedem Individuum etwas verschieden und verdankt seine spezifische Beschaffenheit der verschiedenen Anordnung der kleinsten Teilchen; letztere sind zu Schaaren vereinigt und diese de Vries, Intrazellulare Pangenesis. 547 wiederum zu Einheiten höherer Ordnung, welche dann die Anlagen für die Zellen Gewebesysteme und Organe darstellen. Auch hier können wir kleine Stoffteilchen als Träger der erblichen Eigenschaften erkennen. Vries kommt bei seiner Rundschau über die zur Erklärung der Vererbungserscheinungen aufgestellten Hypothesen sowie über die zu srunde liegenden Thatsachen zu dem Schluss, dass kleine Stoffteilchen als Träger der erblichen Eigenschaften gedacht werden müssen und zwar für die einzelnen erblichen Eigenschaften je besondere „Pangene*, deren in jedem Organismus so viele verschiedenartige sind als erb- liche Eigenschaften. Im zweiten Teil des Buches, „intrazellulare Pangenesis“ be- titelt, legt Vries im Rahmen von 4 Abschnitten seine eigne volle Ansicht über das Wesen der Vererbung dar. Im 1. Abschnitt be- handelt er die „Zellularstammbäume“ im 2. die „panmeristische Zell- teilung“, im 3. die „Funktionen der Zellkerne“, im 4. „die Hypothese der intrazellularen Pangenesis“. _ Da die Zellularstammbäume bei den Pflanzen, dank den Bemühungen Mohl’s und Nägeli’s, viel besser bekannt sind als die der Tiere, geht Vries von den Pflanzen aus und unterscheidet (nach Götte) Homoplastiden und Heteroplastiden. Die Oscillarien z. B., welche aus lauter zur Fortpflanzung gleich geeigneten Zellen bestehen, gehören zu erstern, sämtliche höheren Pflanzen zur letztern Kategorie. Indem Verf. die durch Cramer und Reess genau bekannt gewordene Zellenfolge bei der Entwicklung von Equisetum darlest, gelangt er zu dem bereits von Weismann aufgestellten Begriff der „Keim- bahnen“ d. i. Zellenfolgen, „welche im Zellularstammbaum von der befruchteten Eizelle durch das Individuum hindurch auf die folgende Generation“ hinüberleiten; alle sonstigen Zellenfolgen werden als somatische Bahnen bezeichnet. Die Zellen, welche auf den Keim- bahnen liegen, kann man phylogenetische oder phylotische nennen, die andern ontogenetische oder somatische. Außerdem unterscheidet Vries Haupt- und Nebenkeimbahnen. „Beide leiten von der befruchteten Eizelle zur neuen Ei- resp. Spermazelle. Die erstern aber auf dem kürzesten Wege, d. h. in gewöhnlichen Fällen inner- halb eines Individuums, und beim Generationswechsel dureh die von dieser vorgeschriebene wohl meist geringe Anzahl von Individuen. Die letztern aber führen auf Umwegen zum Ziel, mittels’ vegetativer Vermehrung, z. B. durch Adventivknospen. Sie können oft anschei- nend unbegrenzte Reihen von Individuen durchlaufen, ehe sie wieder zur Eizelle zurückkehren“. Den höhern Tieren fehlen die Nebenkeim- bahnen, im Pflanzenreich sind sie weit verbreitet. Besonders zahl- reich sind sie bei den Thallopyten und Museineen, wo jegliches Stück einer Pflanze wieder zu einem neuen Individuum auswachsen kann. Die Marchantieen kann man nach Vöchting zu einem feinen Häcksel 548 de Vries, Intrazellulare Pangenesis. zerschneiden, jedes Stückchen, welches nur so viele unverwundete Zellen hat, dass es sich am Leben erhält, bildet eine neue Pflanze. Nach Pringsheim verhalten sich Laubmoose ähnlich. Somatische d. h. notwendig sterile Zweige, an denen nie wieder Eizellen gebildet werden könnten, sind hier nicht nachgewiesen. In höhern Pflanzen finden sich neben den Keimbahnen reichlich somatische Bahnen, indem zahlreiche Zellen oder Gewebe einer Entwicklung zum eitragenden Pflänzehen nicht fähig sind; bei Gefäßpflanzen können ohne Zweifel die meisten Gewebezellen, wenigstens im ausgewachsenen Zustand, die Art nicht mehr reproduzieren. Mitunter aber sind Pflanzen- teile, die sonst somatische Natur haben, der Reproduktion fähig. Blütentragende Zweiglein hat man auf einem Blumenblatte einer Clarkia und Begonia, an der Spindel der zusammengesetzten Laubblätter von Lycopersicum, auf den Blättern von Levisticum, Siegesbeckia Rheum, Urtica und Chelidonium beobachtet, und Caspary sah deren mehr als hundert auf einem Blattstiel von Oucumis. Die Blüten auf den Spelzen der als Hordeum trifurcatum kultivierten Gerstenvarietät sind bekannt. Im Anschluss an diese Betrachtung über die Keimbahnen unter- scheidet Vries dreierlei Zellteilungen: 1) Phylotische, wobei eine Keimbahnzelle sich in 2 Tochterzellen teilt, welche beide die Keimbahn fortsetzen, 2) somatische Teilungen, d. i. Zellteilungen auf den somatischen Bahnen, 3) somatarche, wenn als Teilungsprodukt einerseits eine die Keimbahn fortsetzende und anderseits eine soma- tische Zelle entsteht. Keimzellen und somatische Zellen stehen aber im Pflanzenreich nicht in prinzipiellem Gegensatz; denn zwischen beiden finden sich alle möglichen Zwischenstufen, wie Verf. ausführt; hierdurch wird die Annahme eines besondern Keimplasmas überflüssig und ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass die erblichen An- lagen in allenZellen, auch in den somatischen, vorhanden sind (in letzteren sind sie aber gewöhnlich latent). Einen direkten Beweis dafür erblickt Verf. in der Gallenbildung; denn genaue Unter- suchungen haben ergeben, dass die Gallen immer aus solchen anatomi- schen Elementen bestehen, welche auch sonst in der Pflanze angetroffen werden. In den Gallen finden sich ferner keineswegs nur die anato- mischen Elemente der Organe, auf denen sie entstehen. Zellen, welche die Pflanze sonst nur in der Rinde ihres Stammes bildet, kann man häufig in den Gallen blattbewohnender Cynipiden und Dipteren finden. Bei manchen Gräsern entstehen infolge von Insektenstich Wurzeln an einem Ort, wo sonst niemals solche gebildet werden und zwar normale Wurzeln, wie sie sonst an dem betreffenden Grase vorkommen. Da dies an somatischen Geweben geschieht, müssen wir auch in diesen die erblichen Anlagen vermuten; sonst könnten genannte der Pflanzenart angemessene Neubildungen nicht aus ihnen entstehen. de Vries, Intrazellulare Pangenesis. 549 In dem Abschnitt „panmeristische Zellteilung“ legt Vries die bis jetzt bekannten Beweise für die Autonomie der einzelnen Organe der Protoplaste (Zellkern, Trophoplaste, Vakuolen, Hautschicht, Körnerplasma) dar. Für Zellkerne und Trophoplaste ist sicher nach- gewiesen, dass dieselben nur durch Teilung bereits vorhandener Organe derselben Art entstehen. Im Abschnitt III „die Funktion der Zellkerne“, wird daran erinnert, dass durch die Untersuchungen von Flemming, Hertwig, Strasburger, Selenka, Fol festgestellt worden sei, dass die Befruchtung wesentlich auf der Vereinigung der Zellkerne beruht. Im Zellkern der Geschlechtszellen sind also jedenfalls sämtliche Träger erblicher Eigerschaften vorhanden. Im Kern selbst soll nach Vries’ Vermutung wieder der Kernfaden der eigentliche Träger der erblichen Eigenschaften sein. Aus der Thatsache ferner, dass bei der Befruchtung nur der Spermakern zur Kopulation mit dem Kerne der Eizelle gelangt und doch die sämtlichen erblichen Eigen- schaften des Vaters übergehen, ist nicht nur zu entnehmen, dass im Spermakern letztere insgesamt vertreten sind, sondern auch, dass nach der Kopulation Anlagen aus dem Kern in die übrigen Teile des Eiprotoplasten übergehen, da sie ja dort aktiv werden und die nicht zum Kern gehörenden Bestandteile der aus der Eizelle hervorgehen- den Zellgenerationen ebenfalls (aus väterlichem und mütterlichem Erbteil) gemischte Eigenschaften zeigen. „Die Kerne sind somit die Träger der latenten erblichen Eigenschaften. Diese müssen, um aktiv zu werden, wenigstens zum weitaus größten Teil, aus ihnen in die übrigen Organe der Protoplaste übergehen“. In der That zeugen auch eine Reihe von Beobachtungen für den Einfluss des Kerns auf die Vorgänge im übrigen Protoplasten. Allen bis jetzt bekannten Vererbungserscheinungen glaubt nun Vries durch seine Hypothese derintrazellularen Pangenesis Rechnung zu tragen, welche er selbst am Schluss seiner Arbeit in folgende Worte zusammenfasst: „Pangenesis nenne ich, abgetrennt von der Hypothese des Keimchentransportes durch den ganzen Körper, die Ansicht Darwin’s, dass die einzelnen erblichen Anlagen in der lebenden Substanz der Zellen an einzelne stoffliche Träger gebunden sind. Diese Träger nenne ich Pangene!); jede erbliche Eigenschaft, sie mag bei noch so zahlreichen Species zurückgefunden werden, hat ihre besondere Art von Pangenen. In jedem Organismus sind viele solche Arten von Pangenen zusammengelagert, und zwar um so zahl- reicher, je höher die Differenzierung gestiegen ist. „Intrazellulare Pangenesis nenne ich die Hypothese, dass das ganze lebendige Protoplasma aus Pangenen aufgebaut ist. Im Kern sind alle Arten von Pangenen des betreffenden Individuums vertreten; 1) Leider lässt uns Vries über die stoffliche Beschaffenheit der Pangene in Ungewissheit. B. 950 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen, das übrige Protoplasma enthält in jeder Zelle im wesentlichen nur die, welehe in ihr zur Thätigkeit gelangen sollen. Diese Hypothese führt zu den nachstehenden Folgerungen: Mit Ausnahme derjenigen Sorten von Pangenen, welche bereits im Kerne thätig werden, wie z. B. die die Kernteilung beherrschenden, müssen alle andern aus dem Kern austreten, um aktiv werden zu können. Die meisten Pan- gene einer jeden Sorte bleiben aber in den Kernen, sie vermehren sich hier teils zum Zweck der Kernteilung, teils behufs jener Abgabe an das Protoplasma. Diese Abgabe betrifft jedesmal nur die Arten von Pangenen, welche in Funktion treten müssen. Diese können dabei von den Strömehen des Protoplasma transportiert und in die be- treffenden Organe der Protoplasten geführt werden. Hier vereinigen sie sich mit den bereits vorhandenen Pangenen, vermehren sich und fangen ihre Thätigkeit an. Das ganze Protoplasma besteht aus solchen zu verschiedenen Zeiten aus dem Kern bezogenen Pangenen und deren Nachkommen. Eine andere lebendige Grundlage gibt es m ihm nicht“. Th. Bokorny (Erlangen). Dr. K. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. Unter diesem Titel veröffentlicht Goebel eine Reihe von Ab- handlungen über einige „biologisch - interessante Pflanzengruppen“. Sind es auch vorwiegend die äußern Gestaltungsverhältnisse dieser, die behandelt werden sollen, so dürften doch die Darlegungen auch außerhalb des engen Kreises der Fachleute interessieren, da sie auf die Beziehungen zwischen dem morphologischen Aufbau und den Lebensverhältnissen sich gründen, also nicht nur unsere Kenntnisse von der Pflanze sondern vor allem unsere Erkenntnisse erweitern. Was die Form unserer Referate betrifft, so können dieselben nicht gleichmäßig die Gesamtheit der ausführlichen Darlegungen Goebels wiedergeben; sie würden hierdurch den uns zugemessenen Rahmen leicht überschreiten. Wir beschränken uns auf die Wieder- gabe interessantester Partien, ohne aber den Anspruch erheben zu wollen, alles Wissenswerte der so überaus belehrenden Schilderungen des Autors berührt zu haben. Die Referate sollen also dem Fach- mann nicht die Lektüre des Originales ersparen. 1. Sukkulenten. Bei der großen Bedeutung, welche das Wasser für das Pflanzen- leben hat, kann es kaum überraschen, wenn sich Anpassungen morpho- logischer wie anatomischer Art grade in ihrer Beziehung zum Wasser am entschiedensten, handgreiflichsten äußern. Zum gleichen Ziele vermögen verschiedene Organisationsverhältnisse zu führen. Pflanzen, die an Oertlichkeiten wachsen, die langen Trockenperioden ausgesetzt sind, begegnen dem schädigenden Wassermangel durch Verringerung Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. 551 der transpirierenden Oberfläche, wieder andere besitzen sehr tief gehende Wurzeln, zeigen also weitgehende Anpassungen inbezug auf die Wasseraufnahme. Wieder andere vermögen das Wasser für die Zeit des Wassermangels zu speichern. Häufig schwellen dann die Speicherungsorgane fleischig an. „Geschieht dies mit Blättern oder Sprossaxen, so bezeichnet man die betreffenden Pflanzen als Sukku- lenten“. Natürlich sind diese Anpassungen an trockene Standorte oft zum teil kombiniert, so dass also eine scharfe Trennung zwischen ihnen nicht durchzuführen ist. So beobachten wir grade bei den Stammsukkulenten nicht selten ein Fehlen der Blätter. Verf. gruppiert die Sukkulenten in Stamm- und Blattsukkulenten. Eine Verbindung zwischen beiden Gruppen ist in jenen Pflanzenformen ge- geben, welche Sprossaxen und Blätter als Wasserspeicherungsorgane be- nützen. Da die Sukkulenten Anpassungserscheinungen an bestimmte physikalische Lebensbedingungen sind, können sie natürlich in ver- schiedensten systematischen Gruppen getroffen werden, wenn schon anderseits die Thatsache zu konstatieren ist, dass sie für einzelne Familien wie z. B. die Crassulaceen, Kakteen und Euphorbiaceen ganz besonders charakteristisch sind. In manchen Gegenden bilden die Sukkulenten einen wesentlichen Bruchteil der gesamten Flora, so nach Bolus in Graaf-Reinet (Süd- afrika) 31°/, aller Blütenpflanzen. Die Sukkulenten sind befähigt das aufgenommene Wasser sehr energisch festzuhalten. So führt z. B. De Candolle an, „dass ein in Teneriffa gesammeltes Sempervivum caespitosum 18 Monate lang als „trocken“ im Herbar lag und dennoch eingepflanzt wieder auf- lebte“. Dieses Festhalten des Wassers ist wohl auf verschiedene Umstände zurückzuführen und jedenfalls nicht bloß in der geringen Oberflächenentwicklung der Transspirationsorgane oder der geringen Zahl der Spaltöffnungen zu suchen. Die Beschaffenheit der Säfte spielt hier offenbar auch eine Rolle. „Schleimbildung ist im Gewebe vieler Sakkulenten sehr verbreitet und der Schleim gibt jedenfalls das von ihm aufgenommene Wasser nur langsam wieder ab“. Eine Anpassung der Sukkulenten an ihre trockenen, oft starker Insolation ausgesetzten Standorte besteht auch darin, dass sie ohne Schaden zu leiden sehr hohe Temperaturen bei direkter Beleuchtung annehmen können. An Kakteen des mexikanischen Hochlandes, „die, auf nacktem Fels wachsend, dem Boden während der trockenen Jahres- zeit keinerlei Feuchtigkeit entziehen können“, wurden Temperaturen von 50—60° C beobachtet, also Wärmegrade, welche sich über die gewöhnlich angenommene Tötungstemperatur (45—51°) nicht unbe- deutend erheben. „Dass die Sukkulenten in der Sonne eine so hohe Temperatur annehmen, ist wohl bedingt durch ihre im Verhältnis zum Volumen geringe Oberfläche, welehe eine Temperaturausgleichung mit der Umgebung verzögern muss und auch durch die im Verhältnis zu 552 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. andern Pflanzen ebenfalls geringe Transpiration, welche einen ent- sprechend geringern Wärmeverlust bedingt, als er bei lebhaft trans- pirierenden Pflanzen eintritt“. Dass zur Zeit des Wassermangels den Sukkulenten mannigfache Angriffe von Tieren drohen, liegt nahe, um so mehr als andere Pflanzen dann vielfach verschwunden oder doch blattlos sind. Es kann uns deshalb auch nicht überraschen, mannigfache Schutzvorrichtungen gegen die Tiere an ihnen ausgebildet zu sehn. Es sind teils mechanische, teils chemische Schutzmittel. Bei den Kakteen sehen wir eine oft außerordentlich starke Ent- wieklung von Dornen; oder sie entwickeln wie viele Opuntien Stacheln, „die außerordentlich leicht bei Berührung sich ablösen und da sie mit einer scharfen Spitze und abwärts gerichteten Vorsprüngen ver- sehen sind, sich nicht leicht wieder aus der Haut entfernen lassen“. Die Dornen können allerdings nicht durchgängig als „Waffen“ dien- lich sein, denn oftmals zeigen sie weitgehende Rückbildungen. So besitzt z. B. Phyllocactus phyllanthoides sehr kleine Dornen, welche die sie umgebenden Haare kaum überragen, bei Ph. latifrons sind sie ganz verschwunden. Aehnlich verhalten sich verschiedene Rhipsalis- Arten. Rhipsaliden und Phyllocacten sind zumeist Epiphyten. Läge es nicht nahe, das Fehlen oder die rudimentäre Entwicklung der „Waffen“ mit dem günstigen, verhältnismäßig geschützten Standorte in ursächlichen Zusammenhang zu bringen? Phyllacactus latifrons, dieser völlig waffenlose Kaktus ist aber grade keine epiphytische Form. „Viel eher möchte ich annehmen, schreibt Goebel, dass eine Korrelationserscheinung vorliegt, indem der Mangel der Dornenbildung zu dem energischen Wachstum in Beziehung steht, die Stoffe also, die sonst zur Dornenbildung verwendet werden, hier zum Wachstum der Sprossaxen mit verbraucht werden“. Auf alle Fälle aber stammen diese dornenlosen Arten von bedornten Formen ab, wie das Vorkommen wenn auch rudimentärer Dornen an den Keimpflanzen hinlänglich beweist. In einzelnen Fällen ist ein steinharter Wachsüberzug der Cuticula der schützende Schild der Kaktuspflanze. Auch bei fleischigen Euphorbien treten Dornenbildungen als Schutz- mittel auf. Sie sind zumeist umgewandelte Nebenblätter, in einzelnen Fällen wohl auch verkümmerte Blütenstände, resp. Blütenstiele, „wie schon die Thatsache zeigt, dass man an der Spitze dieser Dornen gelegentlich eine Blühte antrifft“. Mit normaler Entwicklung solcher Blühtenaxen ist diese Metamorphose durch jene Vorkommnisse ver- bunden, „bei welchen die Blühtenstandsaxen nach dem Verblühen er- härten, stehenbleiben und so eine Art Dornen bilden“. Dass die Beschaffenheit der Säfte schützend wirken kann, ist bei dem brennend -bittern Geschmacke, der vielen eigen ist, sehr wahr- scheinlich. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. 553 Im folgenden wollen wir einige Eigentümlichkeiten der Stamm- sukkulenten besonders erwähnen, von Arten aus der Familie der Euphorbiaceen, Kakteen und Aselepiadeen. Das Fleischigwerden des Stammes ist gewöhnlich mit einer Ver- kümmerung der Blätter verbunden, also einer Verringerung der trans- pirierenden Oberfläche. Gleichzeitig übernehmen die chloropbyllhal- tigen Axengewebe die Assimilationsthätigkeit. Als Speichergewebe für das Wasser dient teils das Rindengewebe teils das Mark. Welch bedeutende Wassermengen in einem solchen Pflanzenkörper gespeichert sein können, ergeben folgende Daten: „Im Jahre 1846 importierte Staines von San Luis da Potosi nach Kew eine Echinokaktusart, welche 9 Fuß hoch war und einen Umfang von 9!/, Fuß hatte. Das Gewicht dieser Pflanzenmasse betrug ca. 2000 Pfund. Davon waren wohl 80—90°/, Wasser, es war also in dieser Pflanze eine Wasser- menge von etwa 800 Litern angehäuft“. Mit dem Uebergang der Assimilation auf die Axen stehen zweifel- los vielfach deren Gestaltungsverhältnisse im Zusammenhang. Die Assimilation wird bei einer Pflanze um so kleiner sein, je kleiner die dem Lichte dargebotene chlorophyliführende Fläche ist. So führen dann mannigfache Oberflächenvergrößerungen wie warzenartige Her- vorwölbungen, Rippen, Flügel, Längsleisten zur Vergrößerung der assimilierenden Fläche. Ja es können Sprosse gradezu die Gestalt eines Crassulaceenblattes annehmen. Wenn wir im Folgenden auf die Gestaltungsverhältnisse der Kakteen an Hand der Darstellung Goebel’s besonders eintreten, so geschieht es, weil grade diese Familie in überaus klarer Weise zeigt, wie sehr abweichende Formen mit einander durch Zwischenstufen verknüpft sind, indem Verhältnisse, welche bei der einen nur an- deutungsweise auftreten bei andern hoch entwickelt sind. Da begegnen wir dem Pflanzenkörper, dessen oberirdische Teile die gewöhnliche Gliederung in Stamm und Blatt zeigen. Diese können sogar, wie bei Peireskia grandifolia beträchtliche Größen erreichen (27 em lang, 10 cm breit). Fleischige mehr zylindrische zum teil aber auch noch ansehnliche Blätter besitzen viele Opuntien; zumeist sind aber dieselben klein und hinfällig, weder als Assimilations- noch als Speicherorgane von Bedeutung und in diesem Falle zeigt sich die axilläre Oberflächenvergrößerung ın ganz ähnlicher Weise, wie sie oben bereits kurz angedeutet wurde. Bei Opuntien äußert sich die- selbe in dreierlei Weise: Es bilden sich Vorsprünge an der Ober- fläche des zylindrischen Stammes oder die Seitensprosse entwickeln sich zu Flachsprossen, während der Hauptstamm zylindrisch bleibt. Bei Opuntia brasiliensis werden während der Jugend „physiologische Blätter“ gebildet in Form von Flachsprossen, die jährlich Blättern gleich abfallen. Auf einer dritten Stufe der Oberflächenvergrößerung sind alle Sprosse zu Flachsprossen umgewandelt. Wir erinnern an 554 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. die schon in den wärmern Teilen der Schweiz häufige Opuntia vulgaris. Die Keimpflanzen sind zunächst zylindisch, flachen sich erst später ab. Diesen Formen mit echten, zum teil wohl entwickelten Blättern, reihen sich solche Kakteen an, „welche scheinbar Blätter besitzen, Organe, welchen die Funktion und vielfach in höchst auffallender Weise auch die Form von Blättern zukommt, die aber auf ganz andere Weise zu stande kommen“, Eines der eigentümlichsten der hierhergehörigen Gebilde ist das dreikantige „Blatt“ der Leuchtenbergia principis. Diese, eine mexika- nische Art, besteht aus einem kurzen mit Narben dicht besetzten Stamm, den dicht stehende fleischige, 10—12 em lange, dreikantige „Blätter“ krönen. Jedes derselben trägt auf seinem Gipfel eine An- zahl langer, trockenhäutiger Borsten. Diese „Blätter“ sind nach Goebel die gleichen Organe wie die „Mamillen“ der Mamillarien. Bei Cereus sind am Vegetationspunkte die Blätteranaloga leicht nachweisbar, sie verkümmern aber zu kleinen, vom bloßen Auge eben noch wahrnehmbaren Schuppen. Auf der Basis liegt der Vege- tationspunkt eines Achselsprosses, der jedoch selten zu einem Zweige oder einer Blüte wird. Meist gehen aus ihnen nur einige Dornen hervor, welche als verkümmerte Blätter aufzufassen sind. Wurde oberhalb junger Blätter die Stammspitze abgeschnitten, dann wird die Achselknospe zur stärkern Entwicklung angeregt „und sie bildet dann an Stelle der Dornen Blätter in derselben Stellung. Sind schon Dornen vorhanden und veranlasst man den Achselspross zum Aus- treiben, so können die Dornen auseinanderrücken und in der Achsel eines Dornes ein Seitenspross auftreten, was beweist, dass die Dornen umgewandelte Blätter sind“. Die Mamillen oder „Blattkissen“ sind der Basis des Cereus-Blattes (Blattanlage) und dem auf ihr befindlichen Achselspross (Achselspross- vegetationspunkt) gleichwertig. Jene wächst stark heran, bildet also ein Blattkissen, der Achselspross aber ist in seiner ganzen Länge mit diesen vereinigt. Deutlich zeigt sich dieser Ursprung der Ma- millen bei Opuntia. In einer Blattanlage beobachten wir über der Basis, die den Achselspross trägt, eine tiefe Einschnürung. Der über ihr liegende Teil ist hinfälliger Natur. Er wird bald abgeworfen. Denken wir uns nun den oberhalb der Gliederung liegenden Teil des Blattes von Opuntia verschwindend klein und die Blattanlage selbst von Anfang an so reduziert, dass sie nur bei genauer Untersuchung zu erkennen ist, so erhalten wir im wesentlichen die Entstehung der „Mamillen“. Es handelt sich bei deren Bildung um eine Auseinander- ziehung des Achselsprossvegetationspunktes, dessen mittlerer Teil in Dauergewebe übergeht, während oben ein stachelbildender Vegeta- tionspunkt unter dem des Achselsprosses zurückbleibt. Auch die dornen- losen „Blätter“ der eigenartigen alo&-ähnlichen Anhalonium-Arten sind den Mamillen trotz des Fehlens der Stachelbüschel äquivalent. Ihre Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. 555 Entwieklung stimmt mit der der Mamillen überein und die Keim- pflänzchen zeigen wie die echte Mamillaria mit den Kotyledonen ge- kreuzt zwei dornentragende Mamillen. Das dornenlose Anhalonium steht also in genetischem Zusammenhang mit einer dornentragenden Mamillaria. Mit den mamillentragenden Kakteen sind aber auch viele rippen- tragende genetisch verbunden. Denn die Rippen gehen vielfach aus einer Verschmelzung reihenweise übereinander gestellter Mamillen hervor. So werden z. B. bei Echinocactus phyllacanthus am Vegeta- tionspunkte anfänglich gesonderte Mamillen angelegt, welche jedoch schon sehr frühzeitig mit einander verschmelzen. Die phylogenetische Verbindung der Mamillen-Kakteen mit gewissen Rippen-Kakteen wird namentlich auch durch gewisse Rückbildungen erwiesen. Bei rippenbildenden Arten beobachtet man bisweilen, dass die blütenbildenden Sprossteile die Rippenbildung aufgeben und zur Mamillenbildung zurückkehren. So sind z. B. die Schuppen der so- genannten „Kelchröhre“ der Kchinocereus-Blüten, wie die Entwick- lungsgeschichte zeigt, Mamillen. Besonders drastisch ist diese Rück- kehr von der Rippenbildung zur Mamillenbildung im „Cephalium“ des Melocactus. Die blütentragende Stengelregion ist des dichten Haarschopfes wegen, der sie einhüllt mit obigen Namen belegt worden. Das Keimpflänzchen z. B. von M. communis ist dem von Mamillaria sehr ähnlich. Seine Mamillen treten jedoch schwächer hervor und verschmelzen später zu den die Dornenbüschel tragenden Längsrippen. In einem spätern Altersstadium entsteht das Cephalium, ein zylindri- scher mit dicehtgedrängten langen Haaren besetzter Körper. Hier sind keine Rippen mehr wahrnehmbar; an ihrer Stelle erscheinen kleine spiralig gestellte Mamillen. Die gerippten Kakteen ihrerseits sind der Ausgangspunkt der Formenreihe geworden, welche die Kakteen mit „geflügelten“ Sprossen umfasst. Hierher gehören Arten mit Flachsprossen; aber diese sind nur formell, durchaus nicht ihrer Entstehung nach den Flachsprossen der Opuntien ähnlich, denn dieselben sind aus kantigen, Cereus- ähn- lichen dadurch hervorgegangen, dass alle Kanten bis auf zwei ver- schwanden. Schon innerhalb der Gattung Cereus kann eine Verminderung der Kanten eintreten. So haben z. B. die Keimpflänzchen von (. trian- gularıs 4 Kanten, die entwickelte Pflanze nur deren drei. Die Um- wandlung zu 2flügeligen Flachsprossen ist nur ein weiterer Schritt dieser Umwandlungstendenz, eine Umbildung, „welche jetzt noch bei manchen Formen im Verlaufe der Einzelentwieklung zu verfolgen ist, während bei andern das Cereus- Stadium der Entwicklung bis zum Verschwinden abgekürzt ist“. Die Keimpflanzen des Phyllocactus sind Akantig, bisweilen 5kantig; sie nähern sich der Cereus-Form umsomehr, als sie an den Kanten 556 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. mit Stachelbüscheln versehen sind, welche dem zweiflügeligen Flach- spross der entwickelten Pflanze fehlen, Eigentümlichkeiten, welche die Abstammung der Pflanze klar stellen. Gleich sprechend sind die Rückschläge, welche namentlich an der Basis des Sprosssystems alter Exemplare auftreten. Diese Rückschlagssprosse zeigen die mehr- kantige mit Stachelbüscheln versehene Form der Keimpflanze, die Cereus-Form. — Ein ähnlicher genetischer Zusammenhang zwischen geflügelten Flachsprossen und kantigen Formen ist innerhalb der äußerst viel- gestaltigen Gattung Rhipsalis nachweisbar. Es lassen sich für die Gestalt der Sprosse folgende Formentypen aufstellen: Axe kantig, zylindrisch, geflügelt, flach. Formen mit kantigem Spross sind die Ausgangsform der übrigen Gestalten. Rhipsaliden mit stielrunden Sprossen gleichen iu ihren Jugendstadien (bis zum 8. Jahre) dem Keimspross eines Cereus. Sie sind 4kantig und auf den Kanten mit Stachelbüscheln versehen. Bisweilen zeigt die Keimpflanze nur 3 Kanten (Lepismium), wodurch der Zustand des Fleischsprosses schon in frühesten Jugendstadien vorbereitet erscheint. Bei flachsprossigen Formen erscheint bisweilen allerdings schon am Keimpflänzehen dieses Gestaltungsverhältnis ausgeprägt zu sein. „Bei genauer Betrachtung aber zeigte sich zwischen den Kotyledonen auf jeder Seite des Keim- sprosses ein Stachelbüschel, mit andern Worten, der Keimspross war auch hier 4kantig angelegt.“ Auch hier ist die Beweisführung durch die Rückschlagssprosse zu ergänzen. So lassen sich also die mannigfaltigsten Formen der so vielge- staltigen Kakteen schliesslich auf eine Grundform zurückführen. Ueber einige Eigentümlichkeiten der südasiatischen Strand- vegetation. Die Strandvegetation tropischer Länder wird vielfach mit der Mangrovenvegetation identifiziert. Wohl begleitet diese oftmals als dichter Gürtel die Küsten. Sie ist aber doch nur die Begleiterin ge- wisser orographisch charakterisierter Stellen. Nur da, wo die Küste flach ist, allmählich in den Meeresboden übergeht, wo die Brandung fehlt, die Gezeiten schärfer hervortreten, ist sie zu beobachten. So zieht sie sich denn bisweilen den Flussmündungeu entlang weit ins Innere. Die Mangrovenvegetation besteht aus Angehörigen der Familie der Rhizophoreen, immergrünen meist niedrigen Bäumen; mit ihnen sind andere Bäume und Sträucher vergesellschaftet, wie Avicennia, eine Verbenacee, die Myrsinee Aegiceras, die Acanthacee Acanthus iliei- Folius ete. Wenn schon sie gelegentlich auch an sumpfigen Küsten- strichen getroffen werden, wo keine Rhizophoreen vorkommen, so sind sie doch durch gewisse biologische Eigentümlichkeiten mit diesen ver- bunden. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. 557 Für diese aber sind zwei Erscheinungen von besonderer Wichtig- keit, die Entwicklung eigenartiger Luftwurzeln und das „Lebendig- gebären“, d. h. „die Thatsache, dass die Samen schon in der Frucht, so lange diese noch auf dem Baume hängt, keimen“, Der Rhizophora-Stamm steht auf einem Gestell von Luftwurzeln, welches bei Ebbe oder in seichter Lagune über den Schlamm hervor- ragt. Er ist also durch diese im weichen Substrat gleichsam ver- ankert. Der dünne haarähnliche Wurzelbesatz derselben ist als Ab- sorptionssystem dienlich. Dieses dichte Wurzelgeflecht trägt oftmals nicht unwesentlich zur Vergrößerung des Landes bei, indem sich in ihm der von den Flüssen mitgeführte Schlamm absetzt. Die eigenartigste Erscheinung im Leben der Rhizophoreen ist aber zweifelsohne das Lebendiggebären. Bei der Ansiedelung eines Keimpflänzchens auf schlammigen Boden ist eine der wichtigsten Bedingungen seiner Lebensfähigkeit, dass es sich im Substrat rasch befestige und so den nötigen Halt gewinne, der ein Umfallen oder ein Weggespühltwerden verhindert. Der Vorteil, den somit das frühe Keimen bietet, das das Keimpflänzchen schon in weiter entwickeltem Zustande vom Baume fallen lässt, ist also unverkennbar. Diese Erscheinung des „Lebendiggebärens“ ist im Pflanzenreiche kein durchaus vereinzeltes, unbedingt an die Mangrovenvegetation gebundenes Vorkommnis. Bei uns beobachtet man gelegentlich, dass in feuchten Sommern das Getreide in den Halmen keimt. In Java haben längere Regenperioden ebenfalls ein vorzeitiges Keimen z. B. bei Dryobalanops camphora zur Folge. Hier erscheint die Abnormität des Lebendiggebärens in unmittelbarer Beziehung zu abnormer Feuch- tigkeit. So nahe es läge, die ähnliche Erscheinung bei den Rhizo- phoreen, wo ihr allerdings der Charakter eines regulären Zustandes im Entwicklungszyklus zukommt, auf eine ähnliche Ursache, die große Feuchtigkeit des Standortes, zurückzuführen, so geht das doch nicht unmittelbar an. In der Samenbildung begegnen wir den größten Verschieden- heiten. Bisweilen ist zur Zeit der Samenreife vom Keimpflänzchen kaum etwas zu sehn. Bei einer Reihe von Frühlingspflanzen besteht es aus einer einzigen Zelle. „Sie geben den Samen zwar Endosperm mit, aber die sonst während einer längern Zeitdauer an der Mutter- pflanze erfolgende Weiterentwicklung des Embryo findet hier im ab- gefallenen Samen statt, wie wir auch sonst wissen, dass unreife Samen von einem gewissen Entwicklungsstadium ab von der Pflanze losgelöst und ausgesäet doch zur Keimung gelangen — wahrschein- lich weil sie im Boden nachreifen“. Das „Lebendiggebären“ der Rhizophoreenvegetation ist also das andere Extrem. In einfachster Form äußert sich die Erscheinung bei Bruguiera gymnorhiza. 558 (oebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. In dem 3fächerigen, unterständigen Fruchtknoten entwickelt sich von den 6 Samenknospen normal nur eine. Die begünstigte Samen- knospe wächst so heran, dass sie den ganzen Innenraum des Frucht- knotens ausfüllt. Die Vorgänge innerhalb der Samenknospenanlage während deren Wachstum übergehen wir und heben nur hervor, dass der Embryo 4 am Grunde zusammenhängende Keimblätter hat, die eine die Samenknospe umgebende kurze Röhre bildend in das Endo- sperm hineingreifen. Das hypokotyle Glied, anfänglich sehr klein, tritt später aus der Mikropyle aus in den Fruchtknotenraum hinein, die Kotyledonen bleiben in der Samenschale, das Endosperm auf- zehrend. Das wachsende Ende des hypokotylen Gliedes dehnt den Fruchtknotenraum stark aus, sprengt schließlich die Wandung in einem Querriss, welche alsdann der Haube der jungen Mooskapsel ähnlich von dem sich verlängernden Wurzelende emporgehoben wird und schließlich abfällt. Der aus dem Fruchtknoten austretende Teil schwillt bedeutend an, verlängert sich stark und wird so zu einer etwa 21 cm langen im Maximum 2 cm dicken Spindel. Das Gewicht des Keimlings dreht die Frucht so, dass die Wurzel- spitze abwärts gerichtet ist. Die äußern Gewebelagen des spindel- förmigen hypokotylen Gliedes sind reich an Chlorophyll. Die in ihm enthaltene nicht ganz unbedeutende Stärkemenge ist also zweifellos wenigstens zum Teil das Produkt eigener Assimilationsthätigkeit. Am abgefallenen Keimling hat eine sehr rasche Entwicklung der Wurzeln und Nebenwurzeln statt, so dass er rasch im Boden verankert wird. In seichtem Wasser oder während der Ebbe bohren sich die Spindeln zweifellos in den Schlamm ein. Während der Flut aber, glaubt Goebel, würden sie fortgetragen „vermöge ihrer lufthaltigen Inter- zellularräume“ und so verbreitet. Von dem etwas abweichenden Verhalten der Rhizophora mögen folgende Eigentümlichkeiten erwähnt werden. Durch ein starkes Breitenwachstum des Endosperms wird die Mikropyle weit geöffnet. Es wächst durch diese hinaus und bahnt so dem sich entwickelnden Keimling den Weg. Sein hypokotyles Glied wächst durch das Endo- sperm in die Fruchtknotenhöhle hinaus. Der Embryo zeigt statt der Keimblätter einen scheinbar homogenen Körper, dessen hinteres Ende stark angeschwollen ist. Mittels der Anschwellung sitzt er in der klaffenden Samenschale wie eingekeilt fest. Eine an der Anschwel- lung befindliche Einsenkung führt auf eine Spalte, die sich un- mittelbar über der Stammknospe des Embryo erweitert. Bei Rhizo- phora ist also der verwachsene Teil der Kotyledonen sehr stark entwickelt, während im Gegensatze zu den Verhältnissen an Brugwiera der freie Teil unbedeutend ist. Durch Trennung des Kotyledonen- teiles von dem hypokotylen Gliede wird der Keimling frei. Bei Aegiceras durchbohrt der Keimling die Frucht nicht, so lange sie am Strauche sitzt. Aber innerhalb der Frucht erreicht er doch Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. 559 eine bedeutende Größe, füllt die ganze Frucht aus, während der Same klein bleibt. „Die Frucht fällt mit samt dem von ihr umschlossenen Keimling ab, sie schwimmt im Wasser und wird also dadurch leicht verbreitet. Der Keimling keimt dann rasch weiter und sprengt die lederige Fruchtschale von unten her in zwei Hälften auf“. Bei Avicenna wird der Keimling durch das aus der Mikropyle austretende Endosperm gradezu mit herausgerissen. Sein hypokotyler Teil ist hier schwach entwickelt. Im entwickelten Samen steckt er im Endosperm wie in einer Tasche, während die Kotyledonen daraus herausragen. Während die Hauptwurzel nur schwach ent- wickelt ist, tragen die Embryonen, „welche im Begriff sind aus der Frucht herauszufallen, an ihrem untern Ende einen Kranz von Neben- wurzeln, mittels dessen sie sich rasch im Schlamme befestigen können, nachdem sie vom Wasser, dessen Strömungen die Embryonen ver- breiten, abgesetzt worden sind“. Aehnliche Vorgänge des „Lebendiggebärens“ zeigen noch andere Pflanzen der Tropenländer wie z. B. eine Amaryllidee, Orinum asia- tieum, eine stattliche Pflanze mit hohem Blütenschaft, eine Strand- pflanze Ceylons, ferner eine Aroidee, die Üryptocoryne, ebenfalls eine asiatische Sumfpflanze. Bei gewissen Kryptogamen feuchter Standorte sind Erscheinungen zu beobachten, welche Verf. ebenfalls als ein „Lebendiggebären“ auffasst, wie der im Sporangium sich vollziehende Beginn der Keimung der Sporen gewisser Lebermoose (Pellia und Fegatella). „Die biologische Bedeutung dieser Erscheinung lässt sich noch nieht mit Sicherheit übersehen, sie stellt eine Modi- fikation des gewöhnlichen Keimungsprozesses dar, welche, so weit die vorliegenden Thatsachen ein Urtheil gestatten, bei andern Leber- moosformen durch äußere Bedingungen hervorgerufen werden kann. Allgemein aber gilt, wie es scheint, auch für andere Pflanzen, dass die Keime solcher Pflanzen, welche feuchte Standorte bewohnen, auf rasche Keimung angewiesen sind. Das Lebendiggebären ist nur ein Spezialfalldieser meinerUeberzeugung nach ursprünglich durch die Eigen- tümlichkeit des Standortes selbst induzierten Eigentümlichkeit, welche bei den Rhizophoreen am höchsten gesteigert, bei einer größern Anzahl anderer Pflanzen in verschiedener Form und Abstufung auftritt“. — Die Strandvegetation zeigt noch in anderer Beziehung eine Au- passung an die besondern Standortsverhältnisse, welche ebenfalls dem Keimling gestattet in kurzer Zeit am Strande sich zu befestigen. Die Wurzeln entwickeln sich zunächst in der Faserhülle der Frucht. Durchbrechen sie dieselbe, dann hat die Pflanze schon ein erstarktes Wurzelsystem, das den Keimling rasch zu befestigen vermag. Diese Erscheinung, welche z. B. bei der Kokosnuss beobachtet wird, ist gewissermaßen das Bindeglied zwischen dem Lebendiggebären und der gewöhnlichen Form der Entwicklung des Embryos. Sie vollzieht sich erst in der abgefallenen Frucht. — 560 Bütschli, Struktur des Protoplasmas. Eine Eigentümlichkeit der Rhizophoreenvegetation besteht ferner in den „Hörnern“ der Sonneratia acida. Diese an sumpfigen Stellen weit verbreitete Myrtacee sendet aus ihren im Schlamme kriechenden Wurzeln Gebilde hervor, die abgestorbenen Stämmen ähnlich sehn, eine Erscheinung, welehe schon Rumpf vor 200 Jahren in folgender Weise schilderte: „Dieser Baum trägt keine schlangenförmigen Wurzeln, wie die vorangehenden Arten (die echten Mangroven) .... sondern der ganze Boden um ihn herum ist mit unzähligen aufrechten, zuge- spitzten Hörnern besetzt, welche eine Spanne oder einen Fuß lang über die Erde hervorragen, und so nahe an einander stehen, dass man kaum einen Fuß dazwischen setzen kann. Dieht um den Stamm herum sind sie nur wenig oder gar nicht vorhanden, aber eine Elle von dem Stamm weg erscheinen sie, und je mehr sie vom Stamm entfernt sind, desto größer werden sie“. Was sind diese Gebilde, welche Bedeutung haben sie für das Leben der Pflanze? Der Bau spricht für ihre Wurzelnatur. Ihrer Leistung nach sind es Atmungsorgane, welche die Aufgabe haben, „den im zähen, sauerstoffarmen Schlamme kriechenden Wurzeln Sauerstoff zuzuführen“. Aehnliche Gebilde zeigen auch andere Sumpf- pflanzen. Bei Sonneratia beobachtet man an den emporragenden Luft- wurzeln dünne Korkhäute, welche durch ein lockeres Gewebe von einander getrennt sind. Während sonst das Korkcambium nach außen „lückenlos zusammenhängende, tafelförmige Korkzellen“ bildet, er- zeugt es bei Sonneratia „ein lockeres interzellularraumreiches Gewebe, dessen einzelne Zellen sich gegen einander abgerundet haben und nur noch an wenigen Stellen mit einander in Verbindung stehen. Es entspricht dieses Gewebe den „Füllzellen“ der Lenticellen, die ja auch Stellen darstellen, an denen der Korkmantel durchbrochen ist und die Aufgabe haben, eine Verbindung der innern Gewebelagen mit der Atmosphäre zu ermöglichen“. (Schluss folgt.) O. Bütschli, Ueber die Struktur des Protoplasmas. Aus den Verhandl. des naturh.-med. Vereins zu Heidelberg, N. F., Bd. IV, Heft 3, 1889. Nachdem Bütschli schon früher!) seine Ansicht über die Struktur des Protoplasmas kurz formuliert hatte, macht uns derselbe Forscher in seinem Vortrage mit einer Reihe höchst interessanter Versuche, feine Schäume und damit die Struktur des Protoplasmas nach- zuahmen, bekannt. Schon durch heftiges, anhaltendes Schütteln dieker Schmierseifen- lösung mit Benzin oder Xylol gelang es, feine Schäume zu erhalten. 1) Müssen wir ein Wachstum des Plasmas durch Intussuszeption an- nehmen? Biol. Centralblatt, Bd. VIU, Nr. 6, 1888. Bütschli, Struktur des Protoplasmas. 561 Das Wabengerüst besteht aus Seifenlösung, der Wabeninhalt aus Benzin oder Xylol. Viel feinere Schäume erhielt jedoch Bütsechli dadurch, dass er kleine Proben Rohrzucker oder Kochsalz möglichst fein pulverisierte und sie mit einigen Tropfen alten Olivenöls zu einem zähen Brei verrieb Von diesem Brei wurden kleine Tröpfehen (von 0,1—0,5 mm Durchmesser) auf die Unterseite eines mit Wachs- oder Paraffinfüßchen gestützten Deckglases gegeben und dieses im Wasser auf dem Objektträger umgekehrt. Diese Versuche gelangen vollkommen. Das Wasser, in das Oel diffundierend, wird von den Zucker- oder Kochsalzpartikelchen an- gezogen, diese werden in kleine Tröpfehen Zucker - oder Kochsalz- lösung verwandelt, und so wird der Oeltropfen durch die Unzahl der kleinen innern Tröpfehen in einen feinen Schaum verwandelt. Da die Schaumtropfen aber wegen der großen Verschiedenheit der Liehtbreehung von Oel und Zucker- oder Kochsalzlösung ganz un- durchsichtig sind, so wurden sie durch Glyzerin aufgehellt. Das zu- gesetzte Glyzerin diffundiert nämlich durch die zarten Oelwabenwände hindurch und erfüllt die Schaumwaben ganz, weshalb dieselben durch- sichtig werden. Der Schaum solcher Tropfen ist an manchen Stellen so fein, dass es nach Bütschli der stärksten homogenen Immer- sionen bedarf, um die Schaumstruktur zu erkennen. Diese feinsten Schaumpartien nun zeigen die größte Ueberein- stimmung mit der sog. netzförmigen Plasmastruktur. An den aller- feinsten Partien des Schaumes kann überhaupt nur eine feine Punk- tierung oder Granulation wahrgenommen werden; dies entspricht dem Baue des sog. feinkörnigen Plasmas, d. h. es können nur die Knotenpunkte der Maschen wahrgenommen werden. Aber noch ein weiteres interessantes Verhalten geben solche Schaumtropfen. An solchen Stellen der Oberfläche, welche von feinem, gleichmäßigem Schaum gebildet werden, bemerkt man eine sehr dünne Schicht, die den Tropfen wie eine Membran überzieht. Diese Hautschicht, wie sie Bütschli gradezu nennt, ist fein radiär gestreift (eine Folge der radiären Anordnung der Schaumwaben) und gleicht ungemein jener dünnen, äußersten Plasmaschicht, wie man sie bei zahlreichen Proto- zoen und andern einzelligen Organismen kennt. Bütschli erscheint es zweifellos, dass die Hautschicht der Oel- schäume ihrem Wesen nach dasselbe ist wie die Hautschicht plas- matischer Körper. Allerdings ist insofern eine Verschiedenheit zu beobachten, indem die Hautschicht der Oelschäume durchaus flüssig, die Hautschicht der meisten Einzelligen (speziell der Flagellaten und Ciliaten) in ihrem äußersten Teile (Pellicula, Bütschli) aber fest ist. Da nun Bütschli die Bildung so feiner Schäume durch einfache Diffusion und Tropfenbildung der Kochsalz- oder Zuckerpartikelchen doch etwas zweifelhaft erschien, so stellte derselbe weitere Versuche an, welche zu der Betrachtung führten, dass das Schaumigwerden 1X, 36 569 Bütschli, Struktur des Protoplasma. des Oeles im Wasser auf einem geringen Seifengehalt beruhe. Wurde z. B. Olivenöl einige Zeit mit venetianischer oder Schmierseife auf dem Wasserbade erwärmt, und hierauf Tropfen dieses Oeles unter dem Deckglas in Wasser gesetzt, so erfolgte Tröpfehenbildung und Trübung viel rascher, eine Erscheinung, die nur infolge des größern Seifengehaltes solcher Oeltropfen zu erklären ist. Bütschli gelangte nun nach diesen Versuchen zu der Ansicht, dass die feine Tröpfehenbildung in dem Oel darauf beruhe, dass das in Wasser versetzte Oel Wasser aufnimmt, welches von den geringen Seifenmengen des Oeles angezogen wird, worauf sich die wasser- haltige Seife, da sie sich in dem Oele nicht mehr löst, in Form feinster Tröpfehen ausscheidet. Von diesen Erfahrungen geleitet, wurde nun ein Brei aus einigen Tropfen Olivenöles!) und feinst pulverisiertem K,CO, gemacht und wurden kleine Tröpfehen desselben unter dem Deckglase in Wasser versetzt. Die Tropfen wurden alsbald schaumig, und nachdem nach eirca 24 Stunden ausgewaschen und Glyzerin, das noch mit !/, oder !/, Wasser verdünnt wurde, zugesetzt worden, zeigten die Tropfen feinsten Schaum. Hierbei trat aber noch die höchst interessante Er- scheinung auf, dass nämlich die Oelschaumtropfen in dem Glyzerin lebhaft zu strömen begannen und zwar, wenn sie etwas gepresst waren, ähnlich wie eine Amoeba limax oder eine Pelomyxa. An gut gelungenen Tropfen konnte die Strömung über 24 Stunden verfolgt werden. Ja selbst nach 48 Stunden konnte die bereits erloschene Strömung durch Temperaturerhöhung wieder veranlasst werden. Diese Strömungserscheinungen werden durch Temperaturerhöhung sehr verstärkt und an Schnelligkeit gesteigert. Auf dem heizbaren Objekttisch, bei 30°—50° C., kann man häufig beobachten, dass bei Temperatursteigerung Tropfen zu strömen beginnen, die zuvor keine Bewegung zeigten. Der Zusatz von Glyzerin ist nach Bütschli durchaus nicht eine Eintrittsbedingung der Strömungen. Gutgelungene Tropfen zeigen auch schon nach dem Auswaschen im Wasser sehr deutlichen Ge- staltswechsel. Versuche über die elektrische Reizbarkeit dieser Oelseifenschaum- tropfen ergaben bis nun noch keine genügenden Resultate. Die Tropfen Kiez zwischen die Pole eines konstanten Stromes gebracht, nach Y In der Nachschrift gibt Bütschli an, dass durchaus nicht jedes Olivenöl zu den vorstehenden Versuchen geeignet sei. Jedenfalls gehört ein gewisser Grad von Dickflüssigkeit und Zähigkeit des Oeles zum Gelingen des Versuches. Alte, lange gestandene Olivenöle dürften sich am besten dazu eignen. Eingekochtes, käufliches Leinöl bildet mit K,CO, ausgezeichnete Schäume. Dieselben sind bei gewöhnlicher Temperatur zum Strömen wenig geneigt, bei höherer Temperatur (40—50° C.) zeigen sie aber Strömungs- erscheinungen. Bütschli, Struktur des Protoplasmas. 563 einiger Zeit zu strömen und zwar ist die Ausbreitungsstelle stets dem negativen Pol zugewandt. Was nun die Erklärung der andauernden Strömungen dieser Oel- schaumtropfen betrifft, so findet sie Bütschli aufgrund der Er- fahrungen Quincke’s!) darin, dass die Waben eines solchen Oel- schaumtropfens mit einer wässerigen (nach Glyzerinzusatz glyzerin- haltigen) Seifenlösung angefüllt sind. Wenn nun an irgend einer Stelle der Oberfläche einige der kleinsten Schaumwaben platzen, so tritt an dieser Stelle Seifenlösung an die Oberfläche des Tropfens, die von einer ganz dünnen Oel- lamelle gebildet wird. Die Folge hiervon ist eine Herabsetzung der Oberflächenspannung an dieser Stelle und daher ein Verwölben der- selben und Abströmen von ihr. Beide Vorgänge veranlassen ein Strömen der Schaummasse zu dieser Stelle. Bei diesem Zustrom dürften wieder einige Maschen platzen u. s. f., so dass die einmal eingetretene Strömung auch fortdauert, voraus- gesetzt, dass nicht größere Störungen eintreten. Die Steigerung der Strömung durch höhere Temperatur dürfte hauptsächlich auf der größern Flüssigkeit und leichtern Beweglichkeit des Oeles bei höherer Temperatur beruhen. Am Schlusse seiner anregenden Versuche spricht sich Bütschli dahin aus, dass er von der prinzipiellen Uebereinstimmung der amö- boiden Plasmabewegung mit den Strömungen der Oelschaumseife- Tropfen überzeugt sei, und auch seine neuerdings angestellten Unter- suchungen an Amoeba Proteus sprächen hierfür. Komplizierter gestaltet sich aber die Amöbenbewegung in den meisten Fällen dadurch, dass nur an den Enden der Pseudopodien die Oberfläche flüssig ist, an den übrigen Teilen der Oberfläche die Grenzlamelle des Plasmas fest oder doch sehr zähe wird. Ich habe die Bütschli’schen Versuche vorstehend ausführlicher wiedergegeben, weil sie uns zweifellos einen Einblick in gewisse Plasmastrukturen und in die Mechanik der Bewegung des Plasma- körpers gestatten. An den Zellkörper vieler Rhizopoden, ja selbst an die Zellsubstanz gewisser Drüsenzellen bei Wirbeltieren (Talg- drüsenzellen z. B.) erinnern die Oelschaumseife-Tropfen allerdings ungemein, aber man wird dessen ungeachtet nach unsern heutigen Erfahrungen über Zellstrukturen an eine Generalisierung dieser „Schaumstruktur-Hypothese“ um so weniger denken können, als grade die Beobachtung großzelliger Elemente Wirbelloser sowohl als auch von Wirbeltieren ganz abweichende Bauverhältnisse ergeben hat. 1) Quincke, Ueber periodische Ausbreitung an Flüssigkeitsoberflächen und dadurch hervorgerufene Bewegungserscheinungen. Annalen der Physik und Chemie, N. F., Bd. 35, S. 580—642, 1888. Siehe auch Biolog. Centralblatt, Bd. VII, Nr. 16, S. 499, 1888. J. H. List (Graz). 564 v. Lendenfeld, Darwin’s Korallenriffe. Darwin’s Korallenriffe. Von R. v. Lendenfeld. Vor Kurzem hat Prof. Bonney in London eine neue — dritte — Auflage von Darwin’s „Coral reefs“ herausgegeben. Der Text ist derselbe wie jener der zweiten Auflage (1874) und auf ihn soll des- halb hier nicht eingegangen werden, es hat aber Bonney eine Reihe von Anmerkungen und einen längern Appendix dem Werke hinzu- gefügt, welche dazu bestimmt sind, die ursprünglichen Angaben von Darwin mit den neueren Publikationen über den Gegenstand in Ein- klang zu bringen. Diese Anmerkungen und besonders der Anhang sind es, welche ich hier in betracht zu ziehen gedenke. Darwin sagt, dass die lose am Strand liegenden Korallblöcke häufig bereits derart metamorphosiert sind, dass man an ihnen keine Spur mehr des Korallenskelettbaues bemerken kann. Hiezu bemerkt Bonney, dass nach Dana in frischen Korallenskeletten weniger wie 1°/, kohlensaure Magnesia enthalten ist, dass aber in solchen Bruchstücken am Strande bis zu 5°/, vorkommen, und dass endlich in älteren Teilen noch wachsender Korallenriffe bis zu 38,07 °/, kohlen- saure Magnesia beobachtet werden. Dies ist wichtig für die Annahme, dass die Dolomitberge von Südtyrol, welche zum teil aus reinem kohlensauren Kalk, zum teil aus Mischungen desselben mit kohlensaurer Magnesia bestehen, Reste von alten Korallenriffen sind. Darwin selbst, sowie die neueren englischen Autoren über Korallenriffe ignorieren bei ihren Deduk- tionen die tyroler Dolomitberge durchaus, so dass es am Platze ist auf ihren Zusammenhang mit Korallenriffen wiederholt hinzudeuten. Eine der wichtigsten Prämissen zu Darwin’s Senkungstheorie ist die Thatsache, dass riffbauende Korallen nur in seichtem Wasser gedeihen. Darwin sagt hierüber (p. 115): „we may, I think, con- elude that reefbuilding polypifers do not flourish at greater depths than between 20 and 30 fathoms, and rarely at above 15 fathoms.“ Hiezu bemerkt Bonney, dass die neueren Untersuchungen die Rich- tigkeit dieses Ausspruches bestätigt haben, obwohl Guppy die An- sicht vertritt, dass Riffe zuweilen in einer Tiefe von 50 Faden (100 Meter etwa) zu wachsen beginnen. In den „Challenger“ Reports über Riffkorallen wird angegeben, dass einzelne riffbauende Formen in Tiefen von 40 Faden und zwei sogar in einer Tiefe von 70 Faden gefunden wurden. Aber auch dort heißt es: „The zone of their most active growth is from 1—20 Fathoms.“ In dem Appendix (II) gibt Bonney eine kurze Uebersicht der neueren Hypothesen über die Entstehung der Korallenriffe von Murray, Guppy und andern und bespricht besonders jene Punkte, welche der Darwin’schen Senkungstheorie ungünstig sind. Die wichtigsten Ar- gumente gegen Darwin werden von Bonney folgendermaßen zu- v. Lendenfeld, Darwin’s Korallenriffe. 565 sammengestellt: 1) Die Spuren von Strandverschiebungen in Gebieten, wo ausgedehnte Korallenriffe vorkommen, weisen eher auf eine nega- tive (Erhebung des Landes, wie er sich ausdrückt), als auf eine posi- tive (Senkung nach Bonney) Verschiebung der Strandlinie hin. 2) Das seitliche — horizontale — Wachstum des Riffrandes in ra- dialer Richtung ist ein wichtiger Faktor in der Bildung der Riffe. Die Trümmer, welche von den steilen Abhängen des Riffes herab- fallen, häufen sich derart an, dass der Meeresboden in der Umgebung des Riffes bis zu jener Höhe angeschüttet wird, wo riffbildende Korallen wachsen können. Hier setzen sich dann Korallen an und wachsen bis zur Ebbegrenze hinauf. Von diesen fallen neue Trümmer herab, und so breitet sich der Riff lateral immer weiter aus. 3) Die Lagunen (der Atolle) und Lagunenkanäle (der Barrierriffe) werden wesentlich vergrößert und ausgetieft durch Auflösung des Korallen- kalkes im Meerwasser. 4) Wir finden keine fossilen Korallenriffe, welche über 50 Meter mächtig sind. Diese vier Punkte werden nun von Bonney einzeln besprochen, und diese Kritik der Gegner Dar win’s ist die wesentliche Bereicherung, welche die Korallenriffliteratur in der neuen Auflage von Darwin’s Werk (8. 325—332) durch ,Bonney erfahren hat. Sub 1 bemerkt Bonney, dass die Nachweise einer negativen Verschiebung der Strandlinie zumeist nur unbedeutende sind und nicht auf Hebung des Landes, sondern auf Oscillationen des Meeres- spiegels zurückgeführt werden müssen. Sub 2 ist Bonney der Ansicht, dass jedenfalls die Riffe sich in der angedeuteten Weise wie Elfenringe horizontal ausbreiten können, dass aber ein solches laterales Wachstum nicht hinreicht, um die beobachteten Thatsachen zu erklären. Wie der Riffwall gegen das tiefere Meer vorrückt, nimmt das Material, welches erforderlich ist, um das nötige Fundament zu weiterer Ausbreitung zu liefern, rasch an Volumen und zwar derart zu, dass man sich gar nicht vorstellen kann, der kleine wachsende Riff könnte dasselbe so rasch liefern, dass es trotz der schnell vor sich gehenden Auflösung des Kalkes in tiefem Wasser überhaupt anwachsen kann (der Ref.). Es würden, angenommen, dass ein Atoll”sich in dieser Art vergrößerte, die Di- mensionen der Lagune — wenn wir von der Lösung absehen — unverändert bleiben und die Breite des Riffes zunehmen, was nicht der Fall ist. Ueberdies könnte nach dieser Hypothese die Lagune erst entstehen, wenn der Riffwall an die Oberfläche des Wassers herangewachsen ist, da vorher die Korallen in der Mitte des flachen, emporwachsenden Riffes ebensogut ernährt werden wie jene am Rande. Es könnte deshalb der Rand den Mittelteil des Riffes nur um wenige Meter überragen, d. h. die Lagune könnte nur wenige Meter tief sein. Dies ist nicht der Fall. Auch hier müsste Auflösung des Kalkes zur Erklärung herangezogen werden. 566 v. Lendenfeld, Darwin’s Korallenriffe. Eine der Hauptstützen von Murray’s Erklärungsweise der Riff- bildung ohne positive Verschiebung der Strandlinie ist die Hypothese, dass Untiefen, welche nicht bis in das Gebiet der riffbildenden Ko- rallen hinanreichen, dadurch bis zu solchem Niveau ansteigen können, dass die Kalkschalen pelagischer, an der Oberfläche des Meeres lebender Tiere, welche fortwährend auf den Meeresboden herabfallen, hier auf den Erhöhungen des Meeresbodens nicht aufgelöst werden wie in den Tiefen, sondern sich ansammeln und so ein Emporwachsen der Untiefe bis ins Korallenniveau veranlassen. Theoretisch lässt sich hiergegen nichts einwenden, aber Bonney meint, dass wir auch hier wohl fragen können, ob eine Ursache, welche freilich nicht ganz übersehen werden darf, nicht etwa infolge einer irrigen geistigen Perspective („mental perspective“) zu sehr in den Vordergrund gestellt worden ist. Sub 3. Die Auflösungstheorie, welche keineswegs von allen Gegnern Darwin’s anerkannt ist, scheint Bonney mit bedeutenden Schwierigkeiten behaftet. Auch hier legt man der unzweifelhaften Löslichkeit des Kalkes im Meerwasser zu großes Gewicht bei. Die gute Erhaltung von Foraminiferen- Schalen bis zu 4000 Meter hinab beweist, dass bedeutendere Auflösung des Kalkes nur ausnahmsweise statt hat. Der gelöste Kalk wird zum großen Teil wieder als krystal- linischer Kalkspath abgelagert. Ueberdies verwandelt sich der Ko- rallenkalk häufig in Dolomit, und dieser ist viel schwerer löslich. Hiezu möchte Referent noch auf den Widerspruch hinweisen, der in Murray’s Theorie (Punkt 2 und 3) besteht. Erst soll, weil das zarte aus Foraminiferenschalen ete. be- stehende Sediment sich in Untiefen nieht löst, ein submariner Berg durch Anhäufung dieses Sedimentes entstehen, auf dessen Gipfel dann der Korallenriff sich aufbaut. Dann soll in der Mitte dieses Riffes eine Lagune entstehen, weil der derbe, teils in Dolomit verwandelte Kalk sich hier löst. Das ist ja — was soll ich sagen? — eine etwas kühne Theorie. Sub 4. Zum Mangel eines paläontologischen Beweises bemerkt Bonney, dass die Korallenstruktur leicht verloren geht und dass besonders dann, wenn sich der Korallenkalk in Dolomit verwandelt, keine Spur mehr von Struktur in demselben erkannt werden kann, auch in recenten Riffen nicht. Es könnte deshalb jeder massige, versteinerungslose Kalkstein ein Teil eines alten Korallenriffes sein. Solcher Kalkfelsen gibt es aber besonders in den Ostalpen genug, und besonders die Dolomiten Südtyrols scheinen Reste von alten Korallenriffen zu sein, Reste, deren bedeutende Mächtigkeit allen An- forderungen von Darwin’s Senkungstheorie genügt, aber mit Murray’s Theorien nicht in Einklang gebracht werden kann. Bekanntlich hat Mojsisovies den Nachweis im Detail zu er- bringen versucht — und nach meiner Ansicht auch erbracht — dass, Schiemenz, Parasitische Schnecken. | 567 wie Riechthofen schon vor langer Zeit behauptete, die Dolomitberge Tyrols Korallenriffreste sind (der Ref.). Zum Schlusse drückt Bonney die Ansicht aus, dass es noch zu früh („premature“) sei, die Senkungstheorie Darwin’s als umge- stoßen zu betrachten, und dass die von seinen Gegnern vorgebrachten Hypothesen wohl hie und da ein Detail, keineswegs aber das Prinzip der Entwicklungsweise der Korallenriffe betreffen. Hierin stimmt Referent mit Bonney vollkommen überein. Parasitische Schnecken. In der Zeitschrift für wissensch. Zoologie (47. Bd., S. 698—688, Taf. 41—43) beschreibt Walter Voigt einen neuen, gar seltsamen Parasiten, Entocolax Ludwigii, welcher in einer Holothurie (Myriotrochus Rinkii Steenst.) des Behringsmeeres schmarotzt. Der Parasit, welcher leider nur in einem einzigen Exemplare gefunden wurde, ist 10 mm lang, hat im allgemeinen eine wurmförmige Gestalt (Fig. 7), besitzt aber nicht weit von seinem Vorderende eine mit Eiern strotzend ge- füllte kuglige Auftreibung von 3 mm Durchmesser. Es haftete das Tier im Vorderende der Holothurie zwischen zwei Längsmuskelbündeln mit einer knopfförmigen Anschwellung (/d) und hing mit seinem hin- tern, etwas verjüngten Leibesende frei in die Leibeshöhle des Wirtes hinein. In dem vordern Teile des Parasiten, zwischen Anheftungs- stelle und kugliger Auftreibung, befindet sich ein fiimmernder Kanal, welcher sich vorn durch den Mund (nach Voigt) öffnet, hinten jedoch höchst sonderbarer Weise plötzlich wie abgeschnitten mit weiter Oeffnung in den Hohlraum der Kugel mündet. Der hinter der Kugel gelegene Körperteil zerfällt in zwei Abschnitte, von denen der vordere, der Kugel zunächst gelegene, die Geschlechtsorgane (Uterus, Recep- taculum seminis, Eileiter und einen Teil des Eierstockes) enthält, sonst aber von Bindegewebe ausgefüllt ist. Der hintere Abschnitt wird von einem umfangreichen Sacke (/d) eingenommen, welcher nach vorn mit einem blinden Ende zwischen die Genitalorgane hineinragt, hinten durch einen enddarmähnlichen Kanal an der Hinterleibsspitze nach außen (m) mündet. Inwendig ist der Sack mit zahlreichen, weit in das Lumen hinein vorspringenden Falten besetzt. Die Wand der kugelförmigen Auftreibung (s/, sm) ist infolge der Eiermenge zu einer außerordentlichen Dünne ausgedehnt, besitzt aber das Epithel und die Muskelschichten, welche sonst die Körperwand ausmachen, in doppelter Lage, wobei selbstverständlich die Reihenfolge der Schichten der innern Lage eine umgekehrte ist als wie in der äußern. In ihrer vordern Region besitzt die Kugel eine kleine, von einem Sphinkter umgebene Oeffnung (0/), und von hinten ragt in sie ein Teil des Eier- stockes (0) hinein. In dem schlitzförmigen Spalt, welcher von letz- terem und der Kugelwand gebildet wird, mündet der Uterus («) und eine Tasche von unbekannter Funktion. Die innere Lage der Kugel- 568 Schiemenz, Parasitische Schnecken. Schiemenz, Parasitische Schnecken. 569 sm -- od IR Fig. 1. Stilifer linckiae (Skizze nach Sarasin). — Fig. 2. Zhyca ectoconcha (Skizze nach Sarasin). — Fig. 3—6. Hypothetische Stadien. — Fig. 7. Ento- colax Ludwigii (Skizze nach Voigt. Von den Eierballen nur einige ausge- zeichnet). — Fig. 8. Entoconcha mirabilis (Skizze zum Teil nach Baur. Die Eierballen sind fortgelassen). a After. — d Darm. — f Hinterfuß. — fd Fußdrüse. — hod Hodenkapseln. — ! Leber. — ld Leberdarm. — m Mund. — mag Magen. — 0 Ovarium. — oe Oeso- phagus. — of Oefinung des Scheinmantels. — sf Scheinfuß. — sm Schein- mantel. — u Uterus. — w Körperwand des Wirtes. wand biegt unten in dem Spalt nach innen um und überzieht den vorspringenden Teil des Eierstockes. Ein Nervensystem und ein Herz kamen nicht zur Beobachtung. Die Deutung, welche Verfasser den einzelnen Teilen gibt ist folgende. Der angeheftete Teil des Tieres entspricht dem Vorderende des Parasiten; die vordere Oeffnung ist die Mundöffnung (/d). Der hintere wurmförmige Abschnitt ist als hinterer Körperteil, die kugelförmige Auftreibung als Mantelhöhle und ihre Oeffnung als Atemöffnung zu deuten. Sowohl die anatomischen Verhältnisse als die gesamte Histologie sprechen zu gunsten der An- nahme, dass der Parasit ein Gastropode sei. In dem Receptaculum seminis enthielt das Tier reife Spermatozoen, musste also befruchtet sein. Da nun aber die Lage des Uterus eine solche ist, dass bei der vorliegenden Körpergestaltung eine Befruchtung von außen nicht gut möglich, und die Annahme von Zwergmännchen wegen der Menge der übertragenen Spermatozoen nicht statthaft ist, so stellt Verf. die 570 Schiemenz, Parasitische Schnecken. Hypothese auf, dass die kuglige Auftreibung ursprünglich nicht vor- handen war, sondern das Tier eine mehr gleichmäßige, wurmförmige Gestalt gehabt habe. Es lagen dann Uterusöffnung und Atemöffnung nahe aneinander, und in dieser Form wurde das Tier befruchtet. Der Eierstock entwickelte sich nun sehr stark, und da ihm hinten zu seiner Ausdehnung nicht genügend Raum geboten wurde, so wendete er sich mit seinem freien Ende nach vorn in die Mantelhöhle hinein. Infolge der reichen Ernährung entwickelten sich die Eier immer massenhafter und wurden immer größer, so dass der Eileiter und der Uterus zu ihrer Aufnahme nicht mehr genügten. Da den letztern aber der Raum für eine starke Vergrößerung fehlte, so versagten sie schließlich ihren Dienst, und die Eier konnten nur durch Platzen der über ihnen liegenden Wände (des Eierstockes und des Körpers) ent- leert werden. Dieser Vorgang bildete sich immer mehr aus und führte schließlich zur Funktionslosigkeit von Uterus und Eileiter. Die Mantelhöhle, welehe Verf. als rings herum um das Tier gehend anzunehmen sich genötigt sieht, wurde dann durch die Menge der Eier so ausgedehnt, dass das Tier in der Oesophagusgegend entzwei riss. Dadurch wird das Absterben des Tieres herbeigeführt und so die Eiablage zu einer einmaligen gemacht. Noch vor dem mit der allmählichen Reife der Eier herannahenden Tode werden die Wan- dungen des Receptaculum seminis aufgelöst, und die dadurch frei ge- wordenen Spermatozoen befruchten die Eier in der Mantelhöhle. Wenn wir dem Verfasser unsere volle Anerkennung zollen müssen, dass er mit dem einzigen Exemplare die anatomischen und histolo- gischen Verhältnisse dieses sonderbaren Schmarotzers in einer so be- friedigenden Weise eruiert hat, so können wir doch nicht umhin, seine Hypothesen und Deutungen als in fast allen Punkten für verfehlt anzusehen. Es muss wirklich auffallen, dass Verf. nicht mehr Vor- teil aus den Arbeiten von J. Müller'), A. Baur?) und besonders der Vettern Sarasin?) gezogen hat. Es ist dies um so mehr zu bedauern, als wir, wie wir im Folgenden zu zeigen hoffen, durch die Arbeiten dieser Forscher zusammen mit der des Verfassers vollständig in den Stand gesetzt sind, uns eine Vorstellung davon zu machen, wie die parasitischen Schlauchsehnecken ihre sonderbare Gestaltung erworben haben und wie Entocolax aufzufassen ist. Voigt beschreibt den Eierstock von Entocolax folgendermaßen: „Der Eileiter teilt sich bei seinem Uebergange in das Ovarium so- 1) Müller, J., Ueber Synapta digitata und über die Erzeugung von Schnecken in Holothurien. Berlin. Fol. 4 u. 36 S., 10 Taf., 1852. 2) Baur, Albert, Beiträge zur Naturgeschichte der Synapta digitata. 3. Abh. Die Eingeweideschnecke (Helicosyrinx parasita) in der Leibeshöhle der Synapta digitata in: Nova Acta Leop.-Carol. Acad. Vol.31. 1198. T.6—8. 1864. 3) Sarasin, Paul und Fritz, Ueber zwei parasitische Schnecken in: Ergebnisse Naturw. Forsch. Ceylon 1884—86. 1. Bd. S. 19—32. Taf.4—5. 1887. Schiemenz, Parasitische Schnecken. DYal gleich in mehrere Schläuche, deren Zahl bis zur dieksten Stelle des Eierstockes immer mehr zunimmt. Diese Schläuche sind aber nicht überall vollständig von einander getrennt, sondern anastomosieren hier und da mit einander, einzelne verschmelzen auch wieder ganz“. Dies wäre ein für Gastropoden unerhörter Bau des Eierstockes, dessen Grundform ein Sack ist, von dem aus sich durch Ausstülpung sekun- däre Säcke resp. Schläuche bilden können, die aber dann nur durch ihre Mündungen in den Hauptraum oder Verzweigungen geringern Grades mit einander kommunizieren, nie aber sonstwie direkte Anasto- mosen mit einander bilden können. Voigt sagt selbst: „Nun muss man sich aber die Sache nicht so vorstellen, als ob überall auf den Querschnitten durch den Eierstock die röhrenförmige Beschaffenheit derselben auf den ersten Blick deutlich zu erkennen wäre. Nur in dem hintern Teil, wo in vielen Schläuchen die Eier noch sehr jung sind, hat man wenig, Mühe sich über den Bau des Ganzen zu orien- tieren. Weiter nach vorn füllen die heranwachsenden Eier zunächst das Lumen der Schläuche und dehnen dann die Wände derselben aus, die stellenweise so dünn werden, dass man die Grenzen der einzelnen Sehläuche gegen einander nur schwer auffinden kann“. Wir sind eben auch der Ansicht, dass man aus Schnitten durch einen derartig mit Eiern angefüllten und demgemäß verzerrten Eierstock über die Struktur desselben kaum sich eine richtige Vorstellung bilden kann, und wir können nur annehmen, dass Entocolax, falls es wirklich ein Gasteropode ist (woran zu zweifeln wir gar keine Ursache haben), sich ebenso verhalten wird wie die übrigen Gastropoden, und dass Voigt sich geirrt hat. Man könnte sich vielleicht versucht fühlen einzuwenden, dass hier bei dem so eigenartig verbildeten Schmarotzer auch der Eierstock einen andern Bauplan haben könnte. Allein das geht nicht an. Denn während alle übrigen Verbildungen von Entocolax sich ohne Schwierigkeit mit der Art seines Parasitismus in Verbin- dung bringen lassen, so ist auf der einen Seite nicht einzusehen, warum ein nach dem Muster der übrigen Gastropoden gebauter Eier- stock nicht eben dieselben Dienste leisten sollte, als ein solcher, wie er nach Voigt’s Beschreibung bei Entocolax vorkommen würde, und auf der andern Seite lässt sich nicht begreifen, was grade eine der- artige Abweichung für Vorteile bieten sollte. Die Eier werden nach Voigt nicht auf die normale Weise ab- gelegt, sondern schnüren sich vom Eierstock mitsamt der Körperhülle ab, und werden dann von den Spermatozoen, welche durch letale Auflösung des Receptaculum seminis frei werden, befruchtet. „Auf- fallenderweise“ war bereits eine ganze Anzahl der in der kugligen Auftreibung befindlichen Eier im Stadium der Vierteilung begriffen, „trotzdem eine Befruchtung bei ihnen noch nicht stattgefunden haben kann“. Nun furcht sich aber ein Gastropoden-Ei nicht ohne Befruch- tung, und warum soll Entocolax davon eine Ausnahme machen? Wozu 572 Schiemenz, Parasitische Schnecken. das Receptaculum seminis mit Samen, wenn die Eier sich auch ohne Befruchtung entwickeln? Oder sollen etwa die Spermatozoen erst in die gefurchten Eier eindringen? „Die Wand des Receptaculum seminis wird von einem großkernigen Epithel gebildet, welches von einer zahlreiche Kerne aufweisenden Tunica propria umhüllt wird. An tangential getroffenen Stellen ist Ring- und Längsmuskulatur zu er- kennen“. Eine solche Wand ist auf keinen Fall als in letaler Auf- lösung begriffen zu bezeichnen, und wenn die Spermatozoen wirklich die letale Zerstörung ihres Behältnisses zu überstehen vermöchten (woran wir uns sehr stark zu zweifeln erlauben), so würde dieselbe jedenfalls bei dem noch so normalen Erhaltungszustande des Recep- taculum so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass die Eier sich, wenn sie sich überhaupt vorläufig ohne Befruchtung entwickeln, bereits in Embryonen umgebildet haben würden. Aber nehmen wir selbst an, dass die Eier auch ohne Befruchtung sich bis zu einem gewissen Grade entwickeln und dann auf das Freiwerden der Spermatozoen warten, wie sollen es letztere anfangen, durch die beiden zum Teil so mannigfach gefalteten Membranen bis zu den Eiern zu dringen ? Würden sie wirklich die zusammengeschnurrten Abschnürungsstellen der Häute auffinden und es verstehen, sich durch dieselben hindurch- zudrängen? Im allgemeinen haben Eier, wenn sie schon vor der Befruchtung mit einer derben Haut umgeben werden, eine Mikropyle oder sonstige Einrichtungen in derselben, welche das Eindringen der Spermatozoen ermöglichen und erleichtern; bei Entocolax beschreibt Voigt aber nichts derartiges. Gegen ein etwaiges Eindringen der Spermatozoen in den Eierstock spricht das Verhalten der übrigen Gastropoden und die dem entsprechende Lage des Receptaculum seminis bei Entocolax. Außerdem berichtet Voigt ja auch nicht, dass er Spermatozoen im Eierstock gefunden habe. — Bei der abnormen Art der Eiablage sollen Eileiter und Uterus funktionslos geworden sein. Man kann es wohl als allgemeine Regel ansehen, dass sich bei Parasiten die überflüssigen Organe rückbilden, und auch Entocolax liefert mehr als einen Beweis dafür. Sehen wir uns einmal den Ei- leiter und den Uterus darauf hin an. Zunächst ist es auffallend, dass sie bei der angenommenen Nutzlosigkeit überhaupt noch vorbanden sind. Aber noch auffallender ist ihre relativ noch so bedeutende Entwicklung. Wenn die Angaben von Voigt über ihre Größe und histologischen Verhältnisse richtig sind, und wir zweifeln nicht daran, so sind alle beide, und vor allen Dingen der Uterus, noch in der vollen Ausübung ihrer Thätigkeit begriffen. Zellen von 0,1 mm Größe sind wohl kaum rückgebildete, und Verf. sagt selbst: „... nach dem Lumen des Uterus zu sitzt den Zellen eine ungefärbte, von membran- artigen Strängen durchzogene Masse auf, welche wohl aus Sekret- tropfen besteht, die noch von den Zellmembranen umschlossen sind“. Also die Zellen secernieren noch! Aber wozu dies, wenn ihr Sekret Schiemenz, Parasitische Schnecken. 573 gar keine Verwendung findet? Wenn man uns die in der That guten Voigt’schen Abbildungen der Eierklumpen von Entocolax vorgelegt hätte ohne den betreffenden Text dazu, so würden wir ohne weiteres die beiden strukturlosen Eihüllen als diejenigen bezeichnet haben, welche bei so vielen Gastropoden, die ihre Eier in Laichen ablegen, vorkommen, nämlich als die Spezialhülle der Eier und die gemein- same Hülle des Laiches. Die Abbildungen von Voigt sind so typisch, dass wir an dieser Deutung auch trotz des beigegebenen Textes fest halten müssen, und zwar dies um so mehr, als der Uterus, wie wir sahen, noch in Thätigkeit ist. Wir würden dann also, wenn wir von der höchst unwahrscheinlichen Abschnürung der Eier vom Eierstock absehen, nach Voigt’s Beschreibungen der Genitalorgane von Ento- colax anzunehmen haben, dass die Eiablage hier ebenso erfolgt wie bei den andern Gastropoden, d. h. die Eier passieren den Eileiter, werden vor ihrem Eintritt in den drüsigen Uterus durch das Sperma des Receptaculum seminis befruchtet, erhalten im Uterus ihre beiden Hüllen und: werden durch die Oeffnung des Uterus entleert. Bei der Eiablage soll das Tier in der Oesophagusgegend entzwei reissen. Wenn das der Fall ist, so sind nur zwei Dinge möglich. Entweder stirbt das Tier, und das ist das wahrscheinlichste, oder es bleibt in den verhältnismäßig günstigen Bedingungen, welche ein Entoschmarotzer besitzt, am Leben. In beiden Fällen müssten aber die Reste des Verdauungstraktes rachweisbar sein. Voigt spricht auch die Einstülpung am vordern Ende für den Oesophbagus an. Im allgemeinen bei den Gastropoden ist der vordere Teil des Darm- traktus von der Leibeswand gut abgetrennt, weil er immer behufs der Nahrungsaufnahme gewisse Bewegungen zu machen und Gestalts- veränderungen zu erleiden hat, wobei ihm eine feste Verbindung mit der Leibeswand hinderlich sein würde. Bei Entocolax steht er mit derselben in inniger Verbindung, und dies stimmt uns schon gegen seine Deutung als Oesophagus. Aber noch ein viel wichtigerer Punkt spricht gegen dieselbe. Mit der sogenannten Mundöffnung sitzt das Tier im der Leibeswand zwischen zwei Muskelbündeln. Wenn an dieser Stelle ein Mund und Oesophagus etwas nützen soll, so muss der letztere entweder einen kräftigen Saugapparat oder der Mund einen Zerkleinerungsapparat besitzen. Es fehlten aber beide. Die statt dessen vorhandenen Flimmerhaare können der derben Leibes- wand der Holothurie keine Säfte von Belang entzlehen, da die Mund- öffnung durch das anliegende Gewebe des Wirtes gewissermaßen ge- schlossen ist. Ein allein mit Flimmerhaaren versehener Oesophagus würde eher am entgegengesetzten, frei in die Leibeshöhlenflüssigkeit des Wohntieres hineinragenden Ende von Nutzen sein, an dem vordern Ende müsste er sich aber ganz entschieden als zwecklos rückbilden. Wenn aber wirklich die Einstülpung am Vorderende einen Oesophagus vorstellt, so folgt aus seinem guten Erhaltungszustande, dass das 574 Steinhaus, Beitrag zur Lehre von den sogenannten sporogenen Körnern. Durchreißen des Tieres erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit statt- gefunden haben kann, und es müssten demnach auch noch die übrigen Teile des Verdauungstraktes in einem verhältnismäßig gleich gutem Erhaltungszustande zu finden sein. Nach Voigt aber „fand sich in dem Eierbehälter keine Spur mehr von einem Reste des Darmkanales“. Unwillkürlich muss man auf den Gedanken kommen, dass der nach außen mündende Sack des Hinterleibes das Ueberbleibsel des Ver- dauungstraktes vorstellen möchte, und Voigt selbst hat diese Mög- lichkeit erörtert. Das Ende vom Darm kann aber, wie Voigt richtig bemerkt, dieser Sack nicht sein, weil die Afteröffnung in der Mantel- höhle liegen muss. Der gleiche Grund spricht gegen die Auffassung des Sackes als Niere. Auch mit einer Deutung desselben als Fuß- drüse oder Schalendrüse kann sich Voigt nicht befreunden. In der That vermögen wir auch nicht einzusehen, wie sich diese beiden Drüsen erhalten, geschweige denn gar so enorm entwickeln sollten, wenn sowohl der Fuß als die Schale, mit denen beide doch im innigsten Zusammenhange stehen, fehlen. Seine Zuflucht zu einem neuen, von dem Tiere erst erworbenem Organe nehmen, wie Voigt es thut, heißt die Schwierigkeit der Deutung des Sackes nicht verringern, sondern nur noch vergrößern. (Schluss folgt.) Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften Sitzungsprotokolle der biologischen Sektion der Warschauer Naturforschergesellschaft. Sitzung vom 17. (29.) Mai 1889. (Schluss. 3. J. Th. Steinhaus teilte einen „Beitrag zur Lehre von den so- genannten sporogenen Körnern“ mit .Noch vor kurzer Zeit nahm man an, dass der Vorgang der Sporenbildung in den Bakterien ein sehr einfacher sei; selbst Prazmowski stellte noch am Ende des vergangenen Jahres die An- sicht auf, dass die Sporenbildung durch Verdichtung des Plasmas in der vege- tativen Zelle erfolgt. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass diese Ent- wicklungsvorgänge nur scheinbar als ganz einfach sich darstellen, im Grunde Jedoch einem sehr komplizierten morphologischen Prozesse ihren Ursprung verdanken. Zuerst überzeugte sich Babes bei Färbung lebender Bakterien (von Cholera, Typhus, Diphtheritis u. a.) mit alkalischem Methylenblau, dass in solchen Fällen eine charakteristische Metachromasie auftritt, indem in der Mitte oder am Ende des blaugefärbten Stäbehens ein oder mehrere Körnchen hell- oder dunkelrot oder auch violett gefärbt erscheinen. Durch vergleichende Untersuchungen gelangte Babes zum Schlusse, dass diese Körner eine sicht- liche Rolle spielen sowohl beim Teilungsvorgange der Bakterien, als auch bei der Sporenbildung. P. Ernst entdeckte und untersuchte ganz selbständig dieselben Gebilde gleichzeitig mit Babes. Er beobachtete dieselben an Kartoffelkulturen nach Färbung der durch Erhitzung fixierten Präparate mit warmer Methylenblaulösung und Nachfärbung mit kalter Lösung von Bismarck- braun. Bei derartiger Tinktion von Bakterien, in welchen Sporen sich ent- wickeln, fand Ernst, dass die betreffenden Körnchen an der Sporenbildung Steinhaus, Beitrag zur Lehre von den sogenannten sporogenen Körnern. 575 sich unmittelbar beteiligen. Diese Beteiligung manifestierte sich an seinen Objekten dadurch, dass das Körnchen entweder nach einer Reihe von Meta- morphosen in eine Spore sich umwandelte oder dass es in dem verdichteten Abschnitt des Bacillus gelagert war und in dem Maße, als letzterer sich zur Spore metamorphosierte, verschiedenen Veränderungen unterworfen war und schließlich schwand. Aufgrund seiner Beobachtungen gelangte Ernst zu dem Schlusse, dass die von ihm untersuchten Gebilde „sporogene Körner“ sensu strieto darstellen. — Nachdem St. sich mit beiden eben referierten Arbeiten bekannt gemacht und die darin beschriebenen Körner verglichen hatte mit den in tierischen Zellen so häufig vorkommenden Granulationen, wobei die Ueber- einstimmung in der Wirkungsweise des Methylenblaus auf beiderlei Bildungen zu besonderer Berücksichtigung gelangte, unternahm St. eine Reihe eigner Untersuchungen der Bakterienkörner in der Hoffnung, dass an diesen relativ einfachen Objekten es leichter gelingen würde, die Natur und physiologische Rolle der Körner. aufzuklären, als an den komplizierten tierischen Zellen. — St. überzeugte sich alsbald von der Thatsächlichkeit der Beobachtungen von Babes und Ernst; die Körner existieren in der That und treten deutlich zum Vorschein bei der Färbung mit Methylenblau. Dieselben sind jedoch nicht gewissen Bacillenarten eigentümlich, sondern sehr allgemein und ver- breitet; bei allen von St. untersuchten Bakterienformen wurden sie ange- troffen. — Die Ansicht von Ernst, dass die Körner nur eine Bedeutung für die Sporenbildung haben, ist jedoch nicht stichhaltig; Babes hat eben Recht, wenn er sie mit dem Teilungsvorgang der Bacillen in Beziehung setzt. St. beobachtete ihr Auftreten und ihre Beteiligung beim Teilungsprozesse von Baeillus fluorescens liquaefaciens, bei welchem eine Sporenbildung niemals erfolgt. Anderseits nehmen sie unzweifelhaft teil an der Sporenbildung. St, bestätigt die beiden Typen der Sporenmembran mit Beteiligung der Körner, welche Ernst aufgestellt hat, und fügt denselben noch einen dritten Typus bei, welchen er bei Bacillus subtilis angetroffen hat. Im letzterem treten die Körnchen nicht in den „verdichteten“* Abschnitten des Plasmas auf, welche sich in Sporen umwandeln, sondern außerhalb derselben und zwar an beiden Polen der betreffenden Abschnitte. In dem Maße, als die letztern in Sporen sich umwandeln, erleiden die polaren Körner gewisse Aenderungen, welche die Annahme gestatten, dass wenigstens bei Bacillus subtilis die Körner eine ge- wisse Beziehung haben zur Bildung der Sporenbildung. (Babes erwähnt neben- bei, dass es ihn gelungen sei, an einem der Sporenpole ein gefärbtes Körnchen wahrzunehmen; die Entstehung und das weitere Schicksal dieser Kombination ist jedoch von ihm nicht weiter verfolgt worden.) — Ueber die Natur der Bakterienkörner lässt sich vorläufig kein sicheres Urteil fällen. Der vorsich- tige Babes enthält sich jeder Vermutung, Ernst erachtet es für erlaubt, die Körner mit Zellkernen zu identifizieren. Der Ansicht des letztern lassen sich jedoch viele Einwürfe entgegenstellen. Vor allem ist die physio- logische Rolle der Körner in verschiedenen Fällen dem Anscheine nach eine zu sehr verschiedenartige. Außerdem stehen die Körnchen in gewisser Ab- hängigkeit vom Nährboden. So bringt die Ernst’sche Reaktion dieselben fast ausschließlich nur an Kartoffelkulturen zum Vorschein. Die Babes’sche Reaktion ist zwar allgemeiner, aber zeichnet sich ebenfalls nicht aus durch eine unfehlbare Beständigkeit. Auch ist der Umstand nicht bedeutungslos, dass die Körner nicht während der ganzen Lebensdauer des Bacillus vor- handen sind, sondern nur während der Zeit der Teilung oder Sporenbildung, wenigstens in für uns wahrnehmbarer Form. — Zum Schluss macht St. noch 576 Lukjanow. Bjelajew. darauf aufmerksam, dass der von Ernst vorgeschlagene Ausdruck „sporogene Körmer“ ein zu engbegrenzter ist bei Berücksichtigung der nachgewiesenen Beteiligung dieser Gebilde am Teilungsprozesse. Nach der Ansicht von St. wäre der Ausdruck „Granula“ als weniger prätendierend und nichts vorent- scheidend, ein mehr entsprechender. Zwar werden durch die letztere Bezeich- nung die Bakterienkörner den Granulationen der tierischen Zelle genähert, aber es existieren auch in der That gewisse diese Annäherung berechtigende Umstände. — Die mitgeteilten Untersuchungen sind im Laboratorium des Prof. Lukjanow ausgeführt worden. — 4.8. M. Lukjanow sprach „über die Hypothese von Altmann betreffend die Struktur des Zellenkernes“. Nach kurzer Darlegung der Altmann’schen Untersuchungen und Anschauungen gelangte L. zu dem Schlusse, dass demselben eine große prinzipielle Bedeutung in keiner Hinsicht abgesprochen werden könne. Wir begegnen verschiedenartigen Granulis in steigender Häufigkeit. Wie aus der Steinhaus’schen Mitteilung zu ersehen ist, muss auch bei der Bakterienforschung auf dieselben Rücksicht genommen werden. Auf die Granula im Zellkörper hat erst vor kurzem das Mitglied der Gesellschaft P. J. Mitrophanow die Aufmerksamkeit der letztern gelenkt. — Die den Zellkern betreffende Hypothese von Altmann stellt sich als in ge- wissem Grade wahrscheinlich dar. Sie bedarf ohne Zweifel noch weiterer Ver- arbeitung und strengerer Begründung, aber man muss in betracht ziehen, dass selbst ohne Cyanfärbung zuweilen das Vorhandensein von achromatinen, ketten- förmig angeordneten Körmern u. dergl. wahrgenommen werden kann. Dem Anschein nach hat auch L. wiederholt mit Elementen zu thun gehabt, welche den von Altmann beschriebenen entsprechen und die er als Hyalosomen be- zeichnet hat. (Man vergleiche Lukjanow’s „Beiträge zur Morphologie der Zelle“: 1. Abhandlung S. 70, 73, 75, 77 fg., 2. Abhandlung S. 550, 551, 553; „Notizen über das Darmepithel bei Ascaris mystax“, S. 297 in: Archiv v. du Bois-Reymond, 18837 und Archiv für mikr. Anatomie, 1888.) Er vermutet, dass die Hyalosomen das wesentliche Strukturelement des Kernes repräsen- tieren, mindestens in gewissen Fällen. Bei der Besprechung des Darmrohres bei Ascaris mystax drückt sich L. über die epithelialen Elemente mit folgen- den Worten aus: „Im allgemeinen hat der Kern ein körniges Aussehen — das Negativ dieser Körnelung zeigt sich eben In Form des Chromatingerüstes“. Die Uebereinstimmung mit der vorerwähnten Hypothese von Altmann unter- liegt hier keinem Zweifel. — 5. W. J. Bjelajew machte in Namen des verreisten Mitgliedes W. J. Palladin eine Mitteilung über dessen Untersuchungen betreffend den „Ein- fluss des Sauerstoffs auf den Zerfall der Eiweißstoffe in den Pflanzen“. Der Inhalt der Mitteilung ist in ausführlicher Bearbeitung in den Berichten der deutschen botanischen Gesellschaft 1888—4889 abgedruckt. 6. W.J.Pjelajew sprach über „diepflanzlichenSpermatozoiden“. Nach Darlegung der Untersuchungen, welche er in einer kurzen Mitteilung in den Berichten der deutschen botan. Gesellschaft, 1889, Nr. 3 veröffentlicht hat, machte B. noch einige ergänzende Bemerkungen betreffend die Struktur und Entwicklung der Spermatoiden bei Characeen. Entgegen den Angaben von Guignard tingiert sich der Spermatoidenkörper nur in seinen mittlen Teilen mit den gewöhnlichen Kernfarbstoffen; das Vorder- und Hinterende nehmen durchaus keine Färbung an und bilden sich bereits zu der Zeit, in welcher der Kern runde Gestalt zeigt. — Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 1. Dezemner 1889. Inhalt: Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. (Schluss.) — Schiemenz, Para- sitische Schnecken. (Schluss.) — Lo0SSs, Ueber die Beteiligung der Leukocyten an dem Gewebe im Froschlarvenschwanze während der Reduktion desselben. Ein Beitrag zur Phagocytenlehre. — Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? (Zweites Stück.) Dr. K. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. (Schluss..) Epiphyten. Die Epiphyten, Pflanzen, welche auf andern Pflanzen, namentlich Bäumen, leben ohne ihnen jedoch Stoffe zu entnehmen, bilden in den Tropen oftmals einen charakteristischen Zug der Vegetation. „Zu den Moosen und Flechten treten hier zahlreiche Farne, Lycopodiaceen, Bromeliaceen, Orchideen, Rubiaceen, Melastomaceen und Angehörige anderer Familien der Samenpflanzen, welche die Aeste der Bäume oft dieht bedecken und trotz ihres scheinbar ungünstigen Standortes oft sehr bedeutende Größe erreichen“. Sie sind vor allem der feuch- ten Bergregion eigen. Die Verbreitung erfolgt bei den Phanerogamen- epiphyten durch Samen; Luftströmungen, Wasser (Regengüsse) und Tiere sind die Verbreitungsmittel. Im Einklang mit der Verbreitung durch den Wind steht die Kleinheit vieler Samen (Dendrobium atte- nuatum Lind]. 0,00000565 g), die Entwicklung von Lufträumen in ihnen, die flügelförmige Verbreiterung der Samenschale, die als Flug- apparat dienenden Haarkronen. Besonders eigentümliche Flugvor- richtungen kommen einigen Aeschynanthus-Arten zu. A. pulchra be- sitzt kleine, von bloßem Auge kaum sichtbare Samen. Dessen beide Enden sind mit einer langen Borste versehen. Der Grund der einen ist mit einer Gruppe luftgefüllter Zellen versehn. Für den Epiphytenkeim ist es von größter Wichtigkeit, dass er sich rasch auf der Zweigoberfläche befestige. Dies kann z. B. da- durch ermöglicht werden, dass sich eine Haftscheibe entwickelt, aus deren Wall sich zahlreiche, den Unebenheiten des Substrates sich an- IX. 37 578 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. schmiegende Wurzelhaare entwickeln, ähnlich wie sich auch die Keim- pflänzehen der Loranthaceae mittels einer Haftscheibe an der Zweig- oberfläche der Nährpflanze anheften. Eine Eigentümlichkeit zahlreicher Epiphyten besteht in dem Mangel des Geotropismus. Sie können in beliebiger Richtung an einem Zweige wachsen. Dagegen scheinen sie oftmals hydrotropisch zu sein, d. h. sich einer befeuchteten Oberfläche zuzukrümmen, Die Anpassungen der Epiphyten sind in der Hauptsache in drei Richtungen ausgeprägt: Befestigung am Substrat, Versorgung mit Wasser und Ansammlung des Bodens, in dem sie vegetieren. Die Befestigung am Substrat betreffend wurde bereits auf die Entwicklung von Haftscheiben an der keimenden Pflanze hingewiesen. In der That beobachtet man in den meisten Fällen, dass sich Epi- phyten an ihrem Substrate durch Haftscheiben festhalten, gleichgiltig, ob sie kryptogamischen Ordnungen angehören oder Phanerogamen sind. So tritt sie z. B. als ein Anhang der Amphigastriumoberfläche, der Unterblätter, bei gewissen Lebermoosen (Lejennia) auf. Aehnlich verhalten sich gewisse Algen, die epiphytisch auf Wasserpflanzen leben (Coleochaete). Bei den Podostemoneen, welche in raschfließendem Wasser leben, ist die Haftscheibenbildung so ausgeprägt, „dass manche derselben, wenn die beblätterten Teile abgefallen sind, Leber- moosen oder Flechten gleichen, welche auf den Steinen festsitzen“. Die Haftscheibe bildet einen „Thallus“, welcher durch Verwachsung von Sprossaxen entstanden ist. Bei andern Epiphyten bilden die verwachsenen Wurzel die Haftorgane, welche röhrenbildend den Baum umklammern. Dass inbezug auf die Wasserversorgung besondere Anpassungen bei den Epiphyten getroffen werden, ist bei der Sonderheit ihrer Standorte klar und ebenso verstehen wir, dass sich diese Anpassungen in doppelter Riehtung äußern werden, einmal in Mitteln, welche der Gefahr der Tötung durch Austrocknen begegnen, und anderseits in Vorrichtungen, welehe eine rasche Wasseraufnahme gestatten. Gegen die Gefahr der Tötung durch Austrocknen schützt in erster Linie eine mehr oder weniger weit gehende Austrocknungsfähigkeit, die wir mehr oder weniger ausgeprägt auch bei epiphytischen Moosen unserer Flora finden. Die Radula complanata, ein auf Baumrinde ungemein verbreitetes Lebermoos, kann einige Wochen jeder Wasser- zufuhr entbehren, ohne getötet zu werden. Mannigfaltig sind die der Wasseraufnahme dienenden Organe. Bei vielen Lebermoosen erscheint das Blatt durch eine Einbuchtung in zwei Lappen geteilt. Bisweilen ist der nach der Unterseite des Stämmehens gerichtete Lappen nur als sein öhrchenförmiges Anhängsel (Auricula) ausgebildet. Diese Aurieula, bei epiphytischen Lebermoosen oft eigentümlich ausgebildet, dient, wie Goebel schon früher nach- gewiesen hat, als kapillarer Wasserbehälter, welcher es der Pflanze Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. 579 ermöglicht, Wasser längere Zeit fest zu halten. Dadurch, dass dieser Lappen gegen den Oberlappen umgeschlagen ist, also gleichsam eine Tasche bildet, entstehen bei diesen Lebermoosen Wassersäcke. Bis- weilen führt deren Bildung zu einer Arbeitsteilung der Blätter, indem nur die einen Blätter zu vollkommenen Wassersäcken ausgebildet sind, während die andern Blätter ganz flach sind. Bei Lejennia heterophylla, einem außerordentlich kleinen aus Portorico stammenden Lebermoose, ist an den flachen Blättern der Blattunterlappen bis- weilen noch durch eine einzige Zelle repräsentiert, welche einen zahn- artigen Vorsprung über den Blattrand bildet. An den Perichaetial- blättern ist der Blattunterschied noch deutlich zu erkennen. Mit den Flachblättern wechseln regelmäßig die Schlauchblätter, welche die Wassersäcke bilden, ab. Die Flachblätter fasst Goebel auf als Ab- kömmlinge von Blättern mit Wassersäcken. Indem bei den einen Blättern die Wassersäcke an Größe bedeutend zunahmen, sanken sie bei den andern auf eine Stufe der Ausbildung zurück, wie sie bei den Blättern der Keimpflanzen von Lejennia beobachtet werden. Aehnliche Wassersäcke finden sich bei Frullania. Diese Gattung ist dadurch von Bedeutung geworden, dass an ihr experimentell die Beziehung der Entwicklung der Wassersäcke zur Feuchtigkeit nach- gewiesen werden konnte, Wird Frullania andauernd feucht kultiviert, dann unterbleibt die Bildung der Wassersäcke oft auf lange Strecken an den Sprossen. Die Unterlappen sind einfach umgeschlagen ohne deutliche Sackbildung. Damit wird Frullania künstlich in einen Ge- staltungstypus übergeführt, welcher bei einer andern Lebermoos- gattung, bei Madotheca, normal beobachtet wird. Bei gewissen Frul- lania-Arten wie F. cornigera wird auch das zahnförmige Anhängsel der Auricula mit in die Wassersackbildung hineingezogen. Es bilden sich hier an jedem Blatt zwei flaschenartige Wassersäcke aus. Bei zwei andern Gattungen (Colura und Physidium) ist der Ein- gang des Wassersackes durch eine bewegliche Klappe verschlossen. Er zeigt also eine ähnliche Form wie die schlauchförmigen Fang- organe tierfressender Utrieularien. Es liegt nahe, für diese Wasser- säcke eine analoge Leistung anzunehmen, zumal man in ihnen fast regelmäßig Rädertiere antrifft. Es handelt sich aber hier zweifellos nur um einen sogenannten „Raumparasitismus“ entgegen der Ansicht Zelinkas, der die Vermutung ausspricht, „vielleicht wäre es der Reiz der sich ansetzenden Rädertiere an den flachen, nieht gewölbten Blattunterlappen, die einfach ohrförmig, ohne kappenartige Aufblähung waren, wie solche bei vielen noch jetzt lebenden Lebermoosen zu finden sind, der die Unterlappen veranlasste, eine Gegenreaktion durch Einwölben der gereizten Stellen auszuführen“. Jene Rückbildung der Wassersäcke bei Frullanien, wie sie sich unter dem Einflusse steter Befeuchtung vollzog, spricht entschieden gegen eine solche Annahme. „Nehmen wir dagegen an, dass dieselben die ganz unabhängig von 37* 580 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. ihnen entstandenen Blattohren aufsuchen, weil sie ihnen einen, bei Befeuchtung sich mit Wasser füllenden Schlupfwinkel bieten, so ist das gegenseitige Verhältnis beider ganz in Uebereinstimmung mit andern Thatsachen erklärt. Möglich ist es ja, dass die Tiere auch von dem von den Blattohren bei der Assimilation ausgeschiedenen Sauerstoff profitieren und ihrerseits den Blattohren irgend einen Vor- teil bringen. Aber tausende von Blattohren sind auch ohne Rotatorien und gedeihen ebensogut“. Dass nicht diese das Fehlen von Nostoc in den Blattohren bedingen, beweist der Umstand hinlänglich, dass sie wie andere Algen auch da fehlen, wo jene „Sicherheitspolizei“ nicht zu treffen ist. Ob diese mit Klappenverschluss versehenen Wassersäcke Tier- fallen sind, ist bis jetzt nicht nachgewiesen, ebensowenig wie eine andere Funktion derselbeu nachgewiesen ist. Referent hält dafür, dass sie Organe sind, welche die Wasserverdunstung aus den Wassersäcken verhindern, welche bei der gewöhnlichen Form der Wassersäcke, wie Goebel selbst betont, nicht unterbleiben wird. Sie bedingen also eine Steigerung der Leistungsfähigkeit der Wassersäcke als Wasser- reservoire!), — Auch die Wurzeln von Epiphyten können der Wasseraufnahme dienen und zwar nicht nur, wenn sie sich unter ähnlichen Bedingungen befinden wie die Wurzeln, welche in der Erde wachsen. Manche, die Luftwurzeln vieler Orchideen und Aroideen, kriechen auf der nackten Rinde oder hängen büschelweise frei herab, und sind doch im stande größere Wassermengen festzuhalten. Sie sind mit einer wasserauf- saugenden Hülle, dem Velamen bekleidet. Schleiden hatte die Ansicht ausgesprochen, die Orchideenluft- wurzeln könnten atmosphärische Dünste kondensieren, wie ja auch andern porösen Körpern diese Fähigkeit zukommt. Jedenfalls aber kommt dieser Thätigkeit eine geringe Bedeutung zu im Vergleich zu der andern, Wasser festzuhalten und der Pflanze zuzuführen. So können die Orchideenluftwurzeln in der feuchten Luft eines Gewächs- hauses den Transpirationsverlust durch Aufnahme von Wasserdampf nicht decken, während bei Befeuchtung der Wurzeln genügende Wasser- mengen aufgenommen werden. Die Aufnahme des Wassers scheint durch Kapillarität zu erfolgen. Dass dem Velamen eine große Bedeutung als Schutzorgan gegen die nachteilige Wirkung zu weit gehender Transpiration zukommt, wurde durch Wägung ermittelt. Luftwurzeln mit der Hülle batten während 24 Stunden in einem geheizten Zimmer einen Transpirations- 4) Herr Prof. Goebel macht uns brieflich darauf aufmerksam, dass sich diese Vermutung, die er selbst gelegt hatte, doch kaum aufrecht halten lasse. „Es ist zu bedenken, schreibt er uns unter anderm, dass die Klappen sehr zart und dünn sind, und demgemäß wohl keinen besondern Schutz gegen Wasser- verdunstung bieten“. Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. 581 verlust von 7,3°/,, die ohne Hülle von 20,0°/,. Dass auch die Endo- dermis als Schutz gegen zu rasches Austrocknen große Bedeutung hat, lehrten jene Fälle, in denen sich an Luftwurzelstücken ohne Hülle und mit defekter Endodermis ein Transpirationsverlust von 38,5°/, ergab. Die Wasseraufnahme frischer Wurzeln ist eine ganz bedeutende, indem sie 40—80°/, ihres Gewichtes betragen kann. Dabei beobachtet man, wie mehr und mehr die grüne Farbe des Rindenparenehyms durchschimmert, die weiße Farbe wegen der Ver- drängung der Luft verschwindet. Nur an gewissen Stellen bleiben weiße Streifen oder Flecken übrig, An diesen ist die Hülle für Wasser undurchlässig, während Gase dieselben leicht passieren. Sie sind die Durchgangszellen für ein und austretende Gase, ersetzen also die bei assimilierenden, in der Luft befindlichen Organen nie fehlenden Spaltöffnungen. Ihres Chlorophyligehaltes wegen können diese Luft- wurzeln assimilieren. Für gewöhnlieh tritt natürlieh diese Thätig- keit im Vergleich zur Assimilationsthätigkeit der Blätter zurück. Die Luftwurzel kann jedoch auch zum eigentlichen Assimilationsorgane werden, während die Blätter zu unbedeutenden Schuppen reduziert sind. Solche zu physiologischen Blättern umgewandelte Wurzeln be- sitzt z. B. das Tueniophyllum Zollingeri. Sie zeigen einen deutlich ausgesprochenen dorsiventralen Bau. „Auf der dem Lichte zugekehrten Rückenseite ist die Wurzelhülle nur noch in Resten nachweisbar... Auf der Unterseite der Wurzeln dagegen befindet sich eine 2—3schich- tige Wurzelhülle“. Die epiphytischen Bromeliaceen vermögen durch die Blätter Wasser aufzunehmen „und diese Eigentümlichkeit ist vielfach verknüpft mit einer Rückbildung der Funktion der Wurzeln als wasseraufnehmender Organe, die so weit gehen kann, dass die Wurzeln ganz verschwin- den“. So hat z. B. Tillandsia usneoides, deren Sprosse rossschweif- ähnlichen Bündeln gleich von den Bäumen herunterhängen, keine Wnrzeln. Durch die Schuppen ihrer Blätter dringt das Wasser leicht in die Blätter ein. Bei andern Bromeliaceen ist die Blattbasis löffel- artig erweitert und schließt das von der Basis aufgenommene Wasser ein. Martius erzählt von denselben: „Nicht selten gewähren diese Epiphyten Tieren eine Wohnstätte, welche entweder das in erstern aufbewahrte Wasser benützen oder ihre Brut an diesen, auch in den trockenen, regenlosen Monaten feuchten Stellen absetzen. Wenn man derartige Blattrosetten unten ansticht, springt ein Wasserstrahl hervor; ich selbst habe öfter als einmal zu diesen vegetabilischen Wasser- behältern meine Zuflucht nehmen müssen, aber da sie voll vou Laub- fröschen und deren Larven, Spinnen, Phalangiden, ja sogar kleinen Baumschlangen waren, so konnte ich vor Ekel das Wasser erst nach sorgfältigem Seihen genießen“. — Gegen Austrocknen schützen sich viele Epiphyten durch Wasser- speicherung. Blätter, Sprossachseln und Wurzeln können die Speicher- 589 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. organe sein. Die speichernden Teile gewinnen dabei eine mehr oder minder fleischige Beschaffenheit. So sind z. B. die epiphytischen Farne, wie Niphobolus- Arten, Gymnogramme candiformis ete. durch dicke fleischige Blätter ausgezeichnet. Bei einer Orchidee (Dendrobium cucumerinum) sind die Blätter so dick, dass sie jungen Gurken gleichen. Die dicken fleischigen Stämme, die gewisse Farne als Wasserspeicher- gewebe benutzen, sind durch einen Pelz rötlicher Spreuhaare gegen Transpirationsverluste geschützt. Eigentümlich sind auch die Wasserspeicherungsgewebe eines allerdings nicht ausschließlich epiphytisch lebenden Farns, der Nephro- lepis tuberosa. An der Spitze von Ausläufern hat dieser Farn tauben- eigroße Knollen, die als Wasserspeicher dienen. Bis 96°, ihres Ge- wichtes beträgt während der Regenzeitihr Wassergehalt. „Nephrolepis- Pflanzen mit Knollen, welche man aus der Erde herausnimmt, halten sich auffallend lange frisch, sogar die jungen Teile blieben an Exem- plaren, welehe in Buitenzorg mehrere Tage offen hingelegt wurden, frisch, während die Knollen verschrumpften“. Exemplare die mit vertrockneten Wurzeln und wasserhaltigen Knollen in trockengehal- tenen Boden eingesetzt wurden, blieben frisch, trotzdem an Wasser- aufnahme nicht zu denken war. Die Knollen aber waren größtenteils, nachdem die Pflanze wieder ausgegraben wurde, verschrumpft, „das in ihnen aufgespeicherte Wasser war also von der Pflanze zur Deckung ihres Bedarfes benutzt worden, gegen ausgiebige Verdunstung waren in diesem Falle die Knollen durch ihre Lage in der Erde geschützt“. In der That blieben da, wo die Wurzeln thätig waren die Knollen frisch. Bei zwei Polypodium-Arten ist das Wassergewebe in das Zentrum des Stammes aufgenommen. Bei fortschreitendem Wachstum desselben verschwindet es. Dadurch entstehen Höhlungen, welche von Ameisen bewohnt werden. Eine gegenseitige Anpassung ist jedoch bis Jetzt nicht nachgewiesen. Aus der Familie der epiphytischen Rubiaceen wird zweier Pflanzen Erwähnung gethan, die schon Rumpf in nachfolgenden Worten ihrer Sonderlichkeit wegen einlässlicher schilderte. „Es gibt eine Pflanze, schreibt er, die mit Angraecum einige Aehnlichkeit hat, aber ein be- sonderes Geschlecht bildet und nirgends anders als auf Bäumen wächst. Sie ist ein merkwürdiges Naturspiel, da sie ohne Vater und Mutter entsteht, wie die Viscum-Arten, ja auf noch wunderbarere Weise. Denn von den Mistelarten nimmt man an, dass sie aus Vogel- exkrementen entstehen, in denen verschlungene und wieder abgegebene Samen verborgen sind. Diese Pflanzen aber entwickeln sich aus Ameisennestern, in denen vorher kein Samen verborgen sein konnte, und doch bildet jedes Ameisennest eine besondere Pflanze. Man kann deshalb dies Gewächs für einen Zoophyten unter den Pflanzen halten, da es, obwohl grün, lebendige Einwohner hat“. So schildert er zwei Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen, 585 Ameisenpflanzen, die Myrmecodia und das Hydrophytum, deren eigen- artige Gestalt auch heute wieder gewisse Forscher als das Ergebnis eines von den Insassen, den Ameisen, ausgeübten Reizes ansehen. Nach Treub würde allerdings die erste Zentralhöhle und ihr Ein- gang am hypokotylen, zu einem fleischigen Knöllchen verdiekten Gliede ohne irgend einen Einfluss der Ameisen entstehen. „Die Entstehung dieser Höhlung wird dadurch eingeleitet, dass in dem saftigen paren- chymatischen Gewebe eine im Querschnitte ringförmige Zone von korkbildendem Teilungsgewebe, ein Korkkambium auftritt. Ein Längs- schnitt zeigt, dass dieses Korkkambium in Wirklichkeit annähernd zylindrisch ist und oben, nahe der Stelle, wo die Knolle in das Stämmchen übergeht, kuppelförmig endet, unten setzt es sich an die dünne, das Knöllchen umgebende Korklage an. Die von dem Kork- kambium umschlossene innere Gewebepartie beginnt zu verschrumpfen und abzusterben, dadurch wird die Bildung einer innern Höhle ein- geleitet. Diese ist nach unten zunächst noch durch die äußere Kork- lage des Knöllchens verschlossen, aber die dünne Korkhaut zerreißt bald und so mündet die zentrale Höhle nach außen“. Das Wachsen der anfänglich nur haselnussgroßen Knolle zu Knollen von sehr be- deutendem Umfang (60 em Durchmesser bei Hydrophitum tortuosum) geschieht durch eine einzig dastehende Thätigkeit des Korkkambiums, welches nicht nur Kork sondern auch Parenchymzellen bildet. Die biologische Bedeutung der Knollenbildung liegt darin, dass sie Wasserspeicher darstellen, wie denn „abgelöste Exemplare noch tagelang frisch bleiben, wobei der Transpirationsverlust der Haupt- sache nach wohl durch das in den Knollen enthaltene Wasser gedeckt wird“. Worin aber liegt die Bedeutung der regelmäßig von Ameisen bewohnten Gallerien? Zieht die Pflanze durch sie Nutzen von dem Gaste, dem sie Wohnung bietet? Dieses symbiotische Verhältnis wird wohl behauptet, es ist aber doch durchaus nicht bewiesen. Die An- sicht Treub’s, dass die Knollen einen Durchlüftungsapparat dar- stellen, teilt Goebel nicht, ohne indess etwas Sicheres über ihren biologischen Nutzen sagen zu können. — Sprosswasserbehälter finden sich namentlich bei epiphytischen Orchideen. Sprossaxen sind hier in Knollen umgewandelt, die aller- dings nicht ausschließlich Wasserbehälter sind, sondern auch Speicher für andere Baustoffe. Für die Epiphyten sind Einrichtungen zum Humussammeln von größter Bedeutung. Die wenigen Nahrungsstoffe, die sie anfänglich auf den Baumästen finden, würden nicht hinreichend sein, die oft bedeutenden Pflanzen zu ernähren. Besonders vollkommen ist die Anpassung gewisser Polypodienarten mit zweierlei Blättern. Eine derselben, P.quereifolium, eine Pflanze niederer Regionen des tropischen Indien, hat „gestielte gefiederte Laubblätter... und andere, sehr rasch absterbende und dann in Form und Färbung einem Eichenblatte 584 Goebel, Pflanzenbiologische Schilderungen. gleichende: die Nischenblätter“. Diese sitzen ohne Stiel dem Farn- stamme direkt an, die Spreite springt rechts und links über den Ansatzpunkt vor und die vorspringenden Teile legen sich zudem so an Farn- oder Baumstamm an, dass eine unten vollkommen ge- schlossene Nische entsteht. Dieses Nischenblatt ist negativ-geotropisch, ist also stets so gestellt, dass die Nischenöffnung nach oben steht. So sind sie also als höchst vollkommene Taschen gestaltet, in welchen sich vom Wind verwehte Blätter und Zweigstücke, vom Regen mit- geschwemmter Detritus u. s. f. leicht sammeln kann. Die festen Rippen des Nischenblattes halten auch den angehäuften Kompost zusammen, wenn die bald verwitternde Blattfläche abgestorben ist. „In dem Maße, wie der kriechende Stamm des Farn an einem Baumstamm weiter fortwächst, schafft er sich also selbst neuen Boden, der ihm die Möglichkeit weitern Wachstums gewährt, bis endlich unter gün- stigen äußern Bedingungen der Baum ganz überwuchert ist“, Ueber die Entstehung der Nischenblätter gibt uns die von Goebel einlässlich studierte Keimung von P. guercifolium Aufschluss. Die zuerst auftretenden Blätter sind einfach, ungegliedert, nach unten in einen Stiel sich verschmälernd. Mit ihnen wechseln später ungestielte nach unten breite Blätter ab (Nischenblätter). Noch später erscheinen neben den typischen Nischenblättern solehe Blätter, welche den Cha- rakter von Laub- und Nischenblättern vereinigen, also dauernd grün sind. Bei Platycerien dienen die sogenannten Mantelnischenblätter dem Humussammeln. Dies sind die sogenannten unfruchtbaren Blätter, welche mit ihrer sehr breiten Basis dem Stamme dicht anliegen, wohingegen der obere gelappte Teil vom Stamme absteht. „Während die „fruchtbaren“ Blätter nach einiger Zeit abgestoßen werden, bleiben die unfruchtbaren am Farnstamme sitzen, verwittern und bilden eine Anzahl von Lagen, zwischen denen die Wurzeln des Farn sich aus- breiten. Der obere Teil dieser Blätter aber bildet eine mächtige Nische mit dem Baumstamme, welche dureh den dicht anliegenden untern Blattteil geschlossen ist. In dieser Nische sammeln sich danu auch sehr bedeutende Humusmassen an, welche von den Wurzeln des Farn durchzogen sind“. Die Mantelnischenblätter sind zugleich Assi- milationsorgane und Wasserspeicher. Wie das Blatt so kann auch der Stamm als Mantel dienen. Bei On- cidium Limminghii, einer kleinen Orchidee, liegen Blätter und „Knollen“ dem Substrate dicht an. Diese „Knollen“ aber sind ganz flach, blatt- ähnlich. Sie haben verschiedene Funktionen, sind Reservestoffbehälter, ihres Chlorophyligehaltes wegen Assimilationsorgane, Schutzorgane der Wurzeln, da sie dieselben decken. Zwischen ihnen und dem Stamm vermag sich aber auch Humus anzusammeln. Mantelblätter, welche die Wurzeln der Epiphyten schützen, sind in Form dicht dem Baumstamm anliegender, gewöhnlicher Laubblätter beigewissen Aroideen und Asclepiadeen vonGoebel beobachtet worden. Schiemenz, Parasitische Schnecken. 585 Eigenartige Blattformen, die als Humussammler von Bedeutung sind, besitzen viele Arten der Gattung Dischidia. Bei Dischidia Rafflessiana treffen wir zweierlei Blätter, fleischige, annähernd flache und viel größere Urnenblätter. Die an sich enge Urnenmündung wird durch den auf einer Seite eingeschlagenen Blatt- rand noch mehr verengert. Als Uebergangsformen zwischen beiden Blattarten treten bisweilen solche auf, welche auf der Unterseite stark gewölbt sind. In der Urne befindet sich stets ein Wurzel- geflecht, welches zweifelsohne das in der Regenzeit die Urnen füllende Wasser aufnimmt. Die enge Mündung derselben verhindert während der trockenen Jahreszeit ein allzustarkes, schädliches Austrocknen der Wurzeln. Endlich können auch die Wurzeln als Humussammler thätig sein. Bei Grammatophyllum speciosum, einer mächtigen Orchidee, bilden sich zweierlei Wurzeln, Haftwurzeln, welche die Pflanze an der Baumoberfläche befestigen, und daneben zahlreiche der Baumober- fläche nicht angeschmiegte, ihre Spitzen nach oben kehrende Wurzeln, die ein dichtes Geflecht bilden, die sogenannten Nestwurzeln. „In dem Geflecht sammeln sich bedeutende Humusmassen an, welche bei Regen von Wasser durchtränkt und von den Wurzeln der Orchidee durchzogen werden“. Die Humussammler übernehmen so gleichzeitig wenigstens der Hauptsache nach die Ernährung. Dr. Rob. Keller (Winterthur). Parasitische Schnecken. (Schluss. Wenn wir die Voigt’sche Abbildung von den Gewebselementen der Falten des Sackes betrachten, so können wir zu keinem andern Schlusse kommen, als dass wir typisches Lebergewebe eines Gastro- poden vor uns haben. Wenn aber genannter Sack eine Leber vor- stellt, womit sein faltiger Bau auf das Beste harmoniert, so muss der „enddarmartige“ von ihm ausgehende Kanal entweder der Enddarm oder der Vorderdarm sein. Da der Enddarm aber in die Mantelhöhle münden müsste, so können wir nur den Vorderdarm vor uns haben, und hiermit stimmt auf das Beste seine direkte Oeifnung in die als Nahrung dienende Leibeshöhlenflüssigkeit des Wirtes. Dass in dem so festgestellten Oesophagus die Flimmerhaare nach außen geriehtet sind, will nichts besagen, da man am konservierten Material die Rich- tung der Flimmerbewegung während des Lebens nieht mehr fest- stellen kann. Was die kugelförmige Erweiterung anlangt, so sieht sich Voigt, um dieselbe als Mantelhöhle auffassen zu können, genötigt anzunehmen, dass diese bei Entocolax im Gegensatz zu andern Gastropoden rings um das Tier herumgegangen sei. Wir können diese Hypothese nicht 586 Schiemenz, Parasitische Schnecken. grade als eine besonders glückliche bezeichnen. Da die Oeffnung, welche aus der Kugel nach außen führt, die Atemöffnung, zu klein zum Durchlasse der Eier ist, so glaubt Voigt, dass die Eier durch Platzen des Tieres entleert werden und letzteres dabei zu Grunde gehe. Uns scheint dies gar nicht notwendig und die Oeffnung zum Durchtritte der Bier groß genug. Es hat diese Oeffnung eine große äußerliche Aehnlichkeit mit der Nierenöffnung und Mantelöffnung ge- wisser Pteropoden z. B. Oymbulia, und zu welcher Ausdehnung eine derartige Oeffnung fähig ist, davon kann man sich eben bei Cymbulia überzeugen. Die Streifen, welche auf der Voigt’schen Abbildung von der Oeffnung radienartig ausstrahlen, können nichts anderes als Expansoren derselben sein; dass diese hier so wenig sichtbar, die Sphinkteren aber um so deutlicher sind, ist nicht zu verwundern, da letztere sich im Zustande ihrer stärksten Kontraktion, demgemäß Dicke befinden, während für die Expansoren das Umgekehrte gilt. Jeden- falls deutet aber das Vorhandensein der Expansoren auf eine bedeu- tende Erweiterungsfähigkeit der Oeffnung. Nach eingehender Prüfung des von Voigt gelieferten Materiales setzen wir der Deutung, welche dieser Forscher von dem Leibe des Entocolax gibt und die er nur durch Aufstellung uns sehr wenig wahrscheinlich erscheinender Hypothesen zu stützen versucht, folgende entgegen. Die Mundöffnung liegt am freien Ende des Tieres, der von ihm ausgehende Kanal repräsentiert den Oesophagus nebst rückge- bildetem Magen, und der Sack stellt die Leber und resorbierenden Teil des Darmes dar. Dass Enddarm und After verschwunden sind, darf nicht auffallen; es ist dies eine bei Innenschmarotzern so häufig anzutreffende Erscheinung, dass wir kein Wort darüber zu verlieren brauchen. Eierstock, Eileiter, Receptaculum seminis, Uterus verhalten sich wie bei andern Gastropoden. Die Eierballen in der kugligen Auftreibung sind auf normalem Wege abgelegt und werden durch die Oeffnung derselben entleert. Der problematische Sack, welcher neben dem Uterus mündet ist die Niere. Dass bei einem Innenschmarotzer mitsamt dem Herzen auch der Herzbeutel und die Oeffnung der Niere in den letztern verschwunden ist, bietet nichts sonderbares. Eine Zerreißung des Tieres in der Oesophagusgegend findet niemals statt. Mantelhöhle, Kieme ete. sind vollkommen rückgebildet und die kugelförmige Auftreibung repräsentiert den Scheinmantel (Sarasin). Das Stück, womit das Tier angeheftet ist, entspricht einem Teile des Fußes mit der Fußdrüse. Letztere kann natürlich nicht plötzlich offen in die Scheinmantelhöhle münden, und die abschließende Membran, die ja sehr dünn sein kann, ist wahrscheinlich nur durch die Prä- paration zerrissen. Wäre dies nicht der Fall, so müssten sich auch einige von den Eiern in ihr befinden, was Voigt aber nicht angibt. Mit dieser Deutung hätten wir aber wenig gewonnen, wenn wir nicht im stande wären, uns nun auch klar zu machen, wie die sonder- Schiemenz, Parasitische Schnecken. 587 bare Form von Entocolax durch Umbildung aus einem regelrechten Gastropoden entstehen kann, und warum die einzelnen Organe grade in der vorliegenden Weise sich umbilden. Wir wollen dies mit Hilfe der Beschreibungen, welche die Vettern Sarasin von zwei andern parasitischen Schnecken gegeben haben, versuchen. Die Sarasin fanden ebenfalls auf einem Echinodermen, dem Seestern Linckia multiforis, zwei prosobranchiate Gastropoden, welche ihren Rüssel in das Wohntier hineinbohren und von den Säften des- selben leben. Beide weisen einen verschiedenen Grad des Parasitismus auf. Die eine, Thyca ectoconcha (Fig.2), hat ungefähr die Form einer phrygischen Mütze und sitzt der Linckia so fest auf, dass sie nicht ohne Zerbrechen von dem Wirte abgetrennt werden kann. In dem schematischen Längsschnitt sind die hauptsächlichsten Organe ein- getragen. Das Organ, mit welchem die 7hyca in den Seestern ein- gedrungen ist, ist der mit einem muskulösen, zum Saugen dienenden Schlundkopf ausgestattete Vorderdarm mit der Mundöffnung. Eine Radula ist überflüssig und fehlt daher. Rings um den eingebohrten Vorderdarm zieht sich eine scheibenähnliche Verbreiterung !), welche sich zwischen die einzelnen Kalkstücke der Linckia hineinsenkt. Diese Scheibe erhält den Namen „Scheinfuß“, weil der eigentliche, aller- dings naturgemäß des Deckels entbehrende Fuß hinten noch als ein über der Scheibe gelegener Fortsatz vorhanden ist. Eine entsprechende Falte, welche die vordere Partie umsäumt und gleichfalls über dem Scheinfuße gelegen ist, trägt die Augen. An Verdauungsorganen finden sich mächtig entwickelte Speicheldrüsen, ein Magen, Leber, Enddarm mit Afteröfinung. Nervensystem und Otolithen sind vorhanden, und die wohlentwickelte Mantelhöhle birgt eine Kieme. Die andere Schnecke, Stilifer linckiae (Fig. 1), hat im Parasitismus in manchen Beziehungen schon weitere Fortschritte gemacht. Sie ist tiefer in den Seestern eingedrungen und ragt aus der von ihr veranlassten Geschwulst nur noch mit der Schalenspitze hervor. Sie sendet einen Rüssel, welcher länger ist als sie selbst, tief in den Seestern hinein, entbehrt selbst- verständlich der Radula, hat aber auch schon den Saug-Schlundkopf als überflüssig abgelegt. Im übrigen ist sie noch ebensogut wie Thyca mit allen Organen der Prosobranchier versehen. Dieselbe mus- kulöse Scheibe, welche bei 7%yca den eingestülpten Vorderdarm um- gibt, findet sich auch hier, hat aber eine ganz bedeutende Ausbildung erfahren. Sie ist nach oben becherförmig fortgewachsen und umhüllt gleich einem Mantel das ganze Tier bis auf eine kleine Oeffnung (0), aus welcher die Schalenspitze hervorsieht. Da das Tier sattsam durch den langen Rüssel befestigt ist, so hat dieser „Scheinmantel“ 1) Die Sarasin glauben, dass diese Verbreiterung aus dem Velum her- vorgehe. Das ist nicht möglich, weil das Velum sich dorsal von der Mund- öffnung befindet und die Tentakel einschließt, niemals aber unter die Mund- öffnung herumzieht. 588 Schiemenz, Parasitische Schnecken. seine Funktion als Befestigungsorgan, die er noch bei Thyca als „Scheinfuß“ hatte, aufgegeben und dient nach Verff. wahrscheinlich als Pumporgan, welches durch die gegebene Oeffnung das Atemwasser beständig erneuert, mit dem verbrauchten Wasser aber auch Exkre- mente und Geschlechtsstoffe oder vielleicht Larven nach außen wirft. Wenn noch Augen, Otocysten und Geruchsorgan vorhanden sind, so hat das nach Sarasin wahrscheinlich darin seinen Grund, dass Stilifer sich vielleicht erst im Beginn des Parasitismus befindet, und die Verfasser denken daran, dass Entoconcha möglicherweise auch einmal ein Stilifer-Stadium durchlaufen habe. Es würde demzufolge das Darmstück von Entoconcha der Proboseis und ihre Körperhülle dem Scheinmantel von Stilifer gleichzustellen sein. Wahrscheinlich biete auch Thyca das Bild eines Entwicklungsstadiums dar, welches Stilifer in seiner Ontogenie und Phylogenie durchlaufen habe. Wir wollen die Hypothesen, welche die Sarasin machten, hier weiter ausbauen und gehen dabei von einem Tiere aus, welches einer Thyca außerordentlich nahe steht. Fig. 3 soll eine schematische Skizze davon geben, in welcher nur die wichtigsten, in Frage kom- menden Teile angegeben, die übrigen fortgelassen sind. Das Tier hat sich mit seinem Fuße festgesetzt und mittels der Fußdrüse (/d) befestigt. Die Lage der Organe ist im allgemeinen noch die bei den Gastropoden gewöhnliche, und der Oesophagus ist tief in das Wohn- tier hineingesenkt. Wie Thyca hat es einen Scheinfuß resp. Schein- mantel gebildet!). Nehmen wir nun an, dass sich das Tier weiter in seinen Wirt einbohrt, so wird in demselben Maße, als die freie Bewegung unmöglich gemacht wird, der Besitz eines gesonderten Kopfes mit Augen und Tentakeln, die dem Besitzer ja nichts mehr nützen können, überflüssig. Und um so eher wird der Kopf einge- zogen werden, als er für ein Fortschreiten in der Einbohrung hinder- lich sein würde. Wenn bei Stilifer der Kopf mit den Sinnesorganen erhalten bleibt, so hat dies wohl darin seinen Grund, dass sich diese Schnecke nicht selbst in ihren Wirt einstülpt, sondern nur ihren Rüssel weit in den Leib desselben hineinbohrt. Stilifer bleibt stets 4) Die Sarasin halten den Scheinfuß nicht direkt für den Fuß, welchen sie in dem hintern über dem erstern gelegenen Anhang erblicken. Auch wir zweifeln nicht an der pedalen Natur dieses Anhanges; er repräsentiert aber nur den hintern, deckeltragenden Teil des Fußes, und noch ein bedeuteuder, vor diesem gelegener Teil des Körpers ist als Fuß in Anspruch zu nehmen. Jedenfalls ist der bei den Prosobranchiern mehr nach vorn gelegene und die Fußdrüse enthaltende Teil des Fußes in dem Scheinfuße zu suchen. Man hat übrigens gar nicht nötig, ängstlich nach einer Grenze zwischen Kopf und Fuß zu suchen; eine solche existiert bei vielen Mollusken überhaupt nicht, und beide gehen ohne scharfen Absatz in einander über. Es ist demgemäß auch unnötig eine Grenze zwischen dem hintern Scheinfuß und dem vordern Teile des Scheinmantels, einer Wucherung der Gewebe oberhalb des Oesophagus, zu suchen. ee Schiemenz, Parasitische Schnecken. 589 mit der Außenwelt in Beziehung und ein Eetoparasit, der nur durch eine pathologische Wucherung der Gewebe des Wirtes umhüllt wird. Ganz anders verhält es sich mit unserem hypothetischen in der Ein- wanderung begriffenen Tiere, welches mit dem weitern Eindringen seines gesamten Körpers schließlich jede Beziehung zur Außenwelt aufgibt. Hier müssen alle Organe, welche eben nur Sinn in der Be- ziehung zur Außenwelt haben, verschwinden, als: Sinnesorgane (und damit der Kopf), Schale, Mantelhöhle mit Kieme, die Teile des Fußes, welche nicht zur Anheftung oder zur Bildung des Scheinfußes ver- wendet werden. Die Reihenfolge, in welcher genannte Organe ver- schwinden, können wir nicht genau feststellen, vermutlich aber werden sie in dem Maße zurückgebildet, als sie beim weitern Eindringen hinderlich werden. Wir würden also schließlich ein Tier erhalten, welches unserer Fig. 4 entspricht. In demselben Verhältnis, als sich die überflüssigen Organe rückbilden, muss sich der Scheinfuß und Scheinmantel stärker entwickeln, weil sie in ihrer Gesamtheit das Organ bilden, welches die Kommunikation mit der Außenwelt, so lange dieselbe noch für die Atmung und Entleerung der Exkremente nötig ist, aufrecht erhalten muss. Wir greifen wohl auch nicht fehl, wenn wir in der Ausbildung dieses Organs ein Schutzmittel gegen eine zu frühzeitige Ueberwucherung von seiten der Gewebe des Wirtes erblicken. Je mehr das Tier Entoparasit wird, d. h. je mehr es in die Er- nährungsflüssigkeit zu liegen kommt, desto entbehrlicher wird der Enddarm. Letzterer verschwindet mitsamt dem After, wie bei so vielen Entoparasiten im Tierreiche. Die Leber, welche bei der in so hohem Maße zubereiteten Nahrung (Leibessäfte des Wirtes) keine so hohe Spezialisierung bedarf, bildet sich etwas zurück und kehrt auf einen mehr rudimentären Zustand zurück, wo sie einen unver- zweigten Sack darstellt, der mit dem Magen durch eine weite Mün- dung kommuniziert. Der gänzlich überflüssig gewordene Magen bildet sich soweit zurück, dass er als gesondertes Organ nicht mehr zu er- kennen ist. Vielleicht stellt eine kleine Erweiterung des Darmtraktus zwischen Oesophagus und Lebersack den letzten Rest von ihm dar. Der ganze Verdauungstraktus wird also bald nur noch einen geräu- migen, blindgeschlossenen Sack darstellen, dessen größerer Teil mit Leberepithel bekleidet ist und von dem ein Kanal bis zu der durch keine Mastikationsapparate ausgezeichneten Murdöffnung führt. Dass bier das Leberepithel als der resorbierende Teil erscheint, kann nicht auffallen, hat doch die Leber bei vielen Mollusken ohne Zweifel nicht nur eine sezernierende sondern auch eine resorbierende Funktion. In dem Maße, wie das Tier seine Organe in den bereits in das Wohntier eingesenkten Körperteil hineindrängt und der Scheinmantel im Verhältnisse zu dem von ihm eingeschlossenen Rest des Viszeral- sackes wächst, wird eine Verschiebung einzelner Organe stattfinden. 590 Schiemenz, Parasitische Schnecken. Die Leber tritt ganz aus dem Viszeralsack heraus, ein Vorgang der sich bei Thyca (Fig. 2) bereits eingeleitet findet. Der Eileiter und ein Teil des Eierstockes folgt nach, und dadurch wird auch der Uterus in Mitleidenschaft gezogen, so dass seine Hauptaxe jetzt nieht mehr von hinten nach vorn, sondern umgekehrt gerichtet ist. Dieses Sta- dium wird durch Fig. 5 repräsentiert. Je weiter unsere Schnecke sich nun in das Wohntier hineinstülpt und in der Leibeshöhle desselben frei flottiert, desto mehr konzentriert sich die ganze Befestigung des Schmarotzers in dem Teile des Fußes (/d), mit dem er sich ursprünglich angeheftet hatte und der die Fußdrüse enthält. Dieser Teil muss bei den ohne Zweifel ge- legentlich sehr heftigen Bewegungen der Holothurie sehr stark funk- tionieren und wird daher seine relativ starke Ausbildung stets be- wahren. Zugleich aber kann es nicht wunderbar erscheinen, wenn er infolge des stetig auf ihn ausgeübten Zuges an dem hinteren Teile des Scheinfußes nach hinten rückt, so dass wir schließlich eine in Fig. 6 dargestellte Tierform erhalten, von der uns aber nur ein ganz kleiner Schritt, nämlich das Zurückziehen der Oeffnung des Schein- mantels von der äußeren Oberfläche des Wirtes, zu einem ganz typischen Entocolax führt (Fig. 7). Hat sich der Entocolax in der eben geschilderten Weise ent- wickelt, so ist sein gesamter Bau (mit der Korrektur wegen der Ei- ablage) vollkommen verständlich. Das freie Ende ist der Kopfteil, der in ihm enthaltene Sack stellt die Leber mit dem Magen und dem Oesophagus dar. Die kugelförmige Anschwellung ist der Schein- mantel (Sarasin) und besitzt, wie selbstverständlich, eine Oeffnung. Der angeheftete Teil ist ein Teil des Fußes mit der Fußdrüse. Die Lagerung von Eierstock, Eileiter, Uterus und Niere kann gar nicht anders sein, als wie von Voigt angegeben. Alle diese scheinbaren Abnormitäten sind aber ohne jede Schwierigkeit aus dem allmählichen Uebergange des Tieres vom Ekto- zum Entoparasitismus abzuleiten, und wir haben keine so unerhörten Hypothesen notwendig, zu welchen Voigt seine Zuflucht nimmt. Nach Voigt können Entocolax und Entoconcha nicht mit einander verwandt sein. Wir sehen nicht ein, warum dies nieht möglich sein solle. Man nehme nur an, dass ein Entocolax-artiges Tier sich mit dem freien Mundende an dem einen der Darmgefäße der Holothurie festsaugt, dann hinten loslässt und den nun überflüssig gewordenen Fußteil mit Fußdrüse zurückbildet, so haben wir ein Wesen vor uns, welches fast eine typische Entoconcha (Fig. 8) ist, wenn wir einige notwendige Korrekturen an den Beschreibungen J. Müller’s und Baur’s vornehmen. J. Müller fand einmal in einem Exemplare von Synapta drei Entoconcha, von denen zwei sowohl am Darm als mit ihrem Hinter- ende in der Kopfgegend ihres Wirtes festsaßen. Der dritte Schnecken- nn U LE a m Ei en a ie nn 2 Schiemenz, Parasitische Schnecken. 591 schlauch war ein noch nicht vollkommen entwickeltes Tier und saß nur mit seinem Hinterende an dem Kopf der Synapta fest, flottierte dagegen mit seinem Vorderende frei in der Leibeshöhle des Wirtes. Baur hält diese Befestigung im Kopfende der Synapta für eine zufällige, durch Festklemmung hervorgerufene. Uns scheinen aber die Angaben von Müller so klar, dass wir gar keinen Grund haben, an der richtigen Beobachtung dieses Forschers zu zweifeln. Der eng- lische Referent über Müller’s Arbeiten in den Annals and Magazin of Nat. Hist. legt mit Recht mehr Gewicht auf diese Anheftung als ihr Entdecker und spricht die Ansicht aus, dass eine solche im Laufe der Einwanderung der Entoconcha einmal statthaben muss, eine An- sicht, der wir nur beipflichten können. Es würde also der dritte kurze, nur im Kopfe der Synapta angeheftete Schneckenschlauch einer Entoconcha entsprechen, welche sich in einem Entocolax-ähnlichen Stadium, ungefähr unserer Fig. 6 entsprechend, befindet. Wahrscheinlich kriechen die zum Einbohren reifen Entoconcha mit dem Habitus eines typischen Prosobranchiers auf dem Sande herum. Wenn nun die jungen Synapten ihre Metamorphose beendigt haben, ihre pelagische Lebensweise aufgeben und den Sand zu ihrer definitven Wohnstätte aufsuchen, so benutzen die Entoconcha - Indi- viduen die Gelegenheit, wenn die jungen Synapten ihren Kopf aus dem Sande hervorstrecken, um sich anzuheften. Dann bohren sich die Schnecken ein und durchlaufen eine der oben geschilderten ähn- liche Umwandlung. Da die Synapten vermutlich immer in einer be- stimmten Größe ihr Schlammleben beginnen, so kann es uns auch nicht wundern, dass bei dem gleichmäßigen Wachstum der Synapta und der Schnecke letztere, wenn sie sich am Darmgefäß anheftet, stets ungefähr dieselbe Stelle desselben trifft. Nach den Beschreibungen von J. Müller und Baur besteht die Entoconcha (Fig. 8) aus einem ungefähr korkzieherartig gewundenen !) Schlauche, welcher mit dem einen Ende (m) an das ventrale Bauch- gefäß der Synapta digitata angeheftet ist, mit dem andern (of) frei in der Leibeshöhle derselben flottiert. An dem angehefteten Ende befindet sich im Zentrum einer knopfartigen Verdiekung die Mund- öffnung, von der ein blind endigender Schlauch, der Repräsentant des Darmtractus (2d), ausgeht. Der größte Teil der Schlauchschnecke wird von einem flimmernden Kanale eingenommen (s/, sm), welcher sowohl den Eierstock als die sog. Hodenbläschen in sich birgt und am freien Ende des Tieres ausmündet. Nach Müller würden sowohl Eierstock (0) als Hodenbläschen ohne alle organische Verbindung mit der Körperwandung sein und frei in der Höhlung des Kanales liegen. Baur bestätigt das auf das bestimmteste für die Hodenbläschen (hod), dagegen nicht für den Eierstock, welcher sowohl mit dem blinden 1) In Figur 8 ist das Tier grade gestreckt und etwas stark verkürzt ge- zeichnet. 592 Schiemenz, Parasitische Schnecken. Ende des Verdauungskanales als mit der Leibeswand durch netz- förmige Fasern in Verbindung steht. Wenn wir die Wandungen des hintern, die Genitalorgane umschließenden Kanales als den Schein- mantel auffassen, eine Deutung, welche auch die Sarasin für mög- lich gehalten haben, so hat der Eierstock ungefähr dieselbe Lage, wie nach Voigt bei Entocolax. Die Eierstockskapsel biegt an seinem vordern Ende wieder nach hinten um, jedoch tritt der Eierstock in diesen umgebogenen Zipfel (w) nicht ein. Letzterer ist nach Baur unzweifelhaft drüsiger Natur, besitzt im Innern einen mit Cilien aus- gekleideten Kanal, welcher sich unmittelbar in den Eierstock fortsetzt. „Er liefert wahrscheinlich flüssiges Sekret, welches den Kanal des Ovariums füllt und jedesmal mit den reifen Ovula beim Platzen des Ovariums am hintern Ende in den Brutraum (Scheinmantelhöhlung) entleert wird. Die blasige Hülle, welche die in dem Brutraum ent- haltenen Eierhaufen umschließt, ist wahrscheinlich eben dieses nach der Entleerung peripberisch erhärtete Sekret. Auch lässt sich kein anderes Organ finden, dem man die Bildung dieser Eihülle zuschreiben könnte.“ „Die weibliche Geschlechtsdrüse besteht nach dieser Deutung aus zwei funktionell verschiedenen, aber formell nicht völlig getrennten Teilen, wovon der eine der eigentliche Eierstock, der andere eine Eischalendrüse (oder eine rudimentäre Eiweißdrüse) ist.“ So Baur. Er sowohl wie Müller nehmen an, dass die Eier durch Platzen des Eierstockes und seiner Kapsel entleert werden. Da dieser Vorgang aber nicht direkt beobachtet ist, so dürfen wir uns erlauben, daran zu zweifeln, und dies umsomehr, als es nach dem Verhalten der übrigen Mollusken sehr wenig wahrscheinlich ist, dass das Sekret der Eiweißdrüse in den Eierstock eindringe. Es scheint uns viel eher wahrscheinlich, dass sowohl Müller wie Baur eine feine Oeffnung an der Spitze des umgeschlagenen Zipfels («) der sog. Eierstocks- kapsel übersehen haben, woraus man ihnen bei dem damaligen Stande der Technik keinen Vorwurf machen kann. Ist aber eine solche Oeffnung vorhanden, dann haben wir bezüglich der weiblichen Genital- organe Verhältnisse, welche denen bei Entocolax, sowohl was die Ausbildung als die Lage betrifft, sehr gleichen. Der Eierstock ragt nämlich zum größten Teil in die Scheinmantelhöhle hinein und die Uterusöffnung befindet sich in der Spalte zwischen ihm und der Kör- perwand. Am Eierstock selbst sind die zwei Umhüllungsschichten, die eigne und die der Körperwand (— Eierstockskapsel, Müller) wahrnehmbar. An der Wandung des Scheinmantels lassen sich (Baur), wie an der Kugel von Entocolax, zwei Lamellen unter- scheiden. Das Darmrohr ist von der Leibeswand durch einen von feinen Fäden durchzogenen Spaltraum getrennt, und seine Lagerung zu den Genitalorganen ist genau so wie bei Entocolax. Ein Punkt, in welchem Entoconcha wesentlich von Entocolax ab- zuweichen scheint, ist das Verhalten der männlichen Genitalorgane. Schiemenz, Parasitische Schnecken. 595 Nach Müller befindet sich in dem Scheinmantel, ein Stück hinter dem hintern Ende der Eierstockskapsel, eine kugelförmige Erweiterung, in der die Hodenbläschen (hod) mit den in Entwicklung begriffenen Spermatozoen liegen. Sie bestehen aus doppeltwandigen Kapseln, stehen aber mit dem Körper durchaus in keinem Zusammenhange, sondern liegen lose in der kugelförmigen Erweiterung. Baur glaubt zwar, dass sie immer wieder von neuem aus der Körperwand durch Knospung entstehen, hat aber gleichfalls einen Zusammenhang von ihnen mit der Körperwand nicht konstatieren können. Wenn schon dieser Mangel an organischer Verbindung mit dem Körper allein uns daran zweifeln lässt, dass die Bläschen die Hoden des Trägers repräsentieren, so werden wir in diesem Zweifel noch durch die übereinstimmenden Angaben der beiden Autoren über ihre Zahl sehr bestärkt. Beide sagen nämlich, dass die Zahl der Hodenbläschen sehr großen Schwankungen unterworfen ist (7 bis 14, Müller; 1 bis größere Anzahl, Baur), ja dass sie gelegentlich ganz fehlen können. Wenn also die sog. Hodenbläschen nicht Teile des Trägers sind, so sind sie entweder Spermatophoren oder vielleicht auch stark modifi- zierte Zwergmännchen. Darüber müssen eben erneute Untersuchungen entscheiden. Jedenfalls ergibt sich aber dann, dass die Schlauch- schnecken in der Synapta, ähnlich wie Entocolax, nur Weibchen sind, dass also auch in diesem Punkte einer nähern Verwandtschaft nichts im Wege steht. Was die zu den Schlauchschnecken gehörigen Männchen anlangt, so wissen wir darüber gar nichts. Da die weiblichen bekannten Schlauchschneeken aber befruchtet sind und entweder meist allein als Schmarotzer in ihrem Wirte angetroffen werden (Entoconcha) oder in der verbildeten parasitischen Formengestaltung nicht mehr be- fruchtet werden könnten (Entocolax), so folgt daraus, dass die Be- fruchtung im Freien, außerhalb des Wohntieres stattfinden muss. (Für Entoconcha gilt dies natürlichnur, wenn die sogenannten Hoden- kapseln Spermatophoren sind). Nach der Erfüllung ihrer Aufgabe, d. h. des Begattungsgeschäftes würden entweder die Männchen zu- grunde gehen oder behufs fernerer Begattungen weiter leben. Im ersten Falle hätte es für sie gar keinen Zweck, auch durch Ein- dringen in eine Holothurie Entoschmarotzer zu werden; im zweiten Falle müssten sie, um ihre fernere Aufgabe erfüllen zu können, eben- falls außerhalb der Holothurien im Freien bleiben. Es würden also die Männchen keine Veranlassung haben, sich in einen solchen Schneckenschlauch, wie die Weibehen vorstellen, umzuwandeln, und daraus ergibt sich denn, dass sie vermutlich noch den vollständigen Typus eines Prosobranchiers bewahrt haben werden und vielleicht schon längst unter einem andern Namen bekannt sind. Es wäre sehr interessant, die seinerzeit von v. Graff') beschriebenen Schnecken, 1) Zeitschrift für wissensch. Zoologie, 25. Bd., Suppl., S. 124—126, 1875. IX, 35 594 Schiemenz, Parasitische Schnecken. welche auf Comaiula ectoparasitisch schmarotzen und ihre freie Loko- motion bewahrt haben, auf ihre Geschlechtsverhältnisse zu prüfen. Möglicherweise sind das nur Männchen. Hupe (zitiert nach Sarasin) fand in einer von den Gallen, welche ein Stlifer an den Stacheln von @Cidaris veranlasst, zwei Individuen und mehrere Embryonal- schalen. Er schließt daraus auf Diöcie und Viviparität. Die letztere halten wir (mit Sarasin) für sehr wahrscheinlich. Was die Diöcie anlangt, so scheint uns dieselbe zwar nach obigen Auseinander- setzungen ebenfalls glaubwürdig, doch nicht deshalb, weil zwei Indi- viduen in einer Galle beisammen waren. Vermutlich waren beide weiblich, und es entspräche dieses Vorkommen in der Mehrheit dem bei Entoconcha auch gelegentlich konstatierten. Es ist bis lang noch nicht beobachtet worden, auf welche Weise die junge Brut von Entoconcha und Entocolax aus dem Wirte heraus nach außen gelangt, und es ist vorderhand auch schwierig, sich eine befriedigende Vorstellung davon zu machen. Dass sie aber nach außen gelangen muss, geht schon daraus hervor, dass trotz der kollossalen Menge von Embryonen, welche die Weibchen (Entoconcha) produzieren, sich diese fast regelmäßig nur in einem, sehr selten in mehreren Exemplaren in der Synapta finden. Das Auswandern ist auch, wie Baur bereits richtig bemerkt, zur Erhaltung der Art notwendig). Dr. P. Schiemenz (Neapel). 1) Inzwischen ist Ref. eine Arbeit von Simroth (Ueber einige Tages- fragen der Malacozoologie, hauptsächlich Konvergenzerscheinungen betreffend in: Zeitschrift für Naturw., Halle, 62. Bd., S. 65—97) zu Gesicht gekommen, worin gleichfalls der Eintocolax besprochen wird. Wenn Simroth auch keine bestimmte Auffassung derjenigen von Voigt gegenüberstellt, so würde es ihm doch ebenso wahrscheinlich dünken, dass der hintere Sack den Oesophagus und Magen darstelle. „Dann hätte sich der Schmarotzer mit dem Hinterende festgesaugt“. Verf. glaubt gleichfalls, dass die Eier durch ihre Hüllen gegen das Eindringen von Spermatozoen „verbarrikadiert“ sind und ist geneigt, das Receptaculum seminis als Hoden anzusehen. Was den Verf. zu der letzten Ansicht veranlasst, ist Ref. unmöglich einzusehen. Die Oeffnung in der kugel- förmigen Erweiterung hält Simroth ebenfalls für sehr erweiterungsfähig und zum Auslassen der Eier geeignet. Simroth protestiert ferner gegen das Verfahren Voigt’s, den von Fischer für die Entoconcha eingeführten Tribus- namen Parasita deshalb aufzuheben, weil er bereits bei den Insekten ver- geben ist. Ref. kann sich diesem Proteste und dessen Begründung nur an- schließen. — Braun hält es in seinem Referate über parasitische Schnecken (vergl. Centralblatt für Bakteriolog. und Parasitenk., 5 Bd.. S. 541) nicht für unmöglich, dass der hintere Teil des Schlauches bei Entoconcha und Entocolax aus dem Scheinmantel hervorgegangen sei. Wenn diese Ansicht für Entoconcha wahrscheinlich richtig ist, was ja die Sarasin auch bereits vermutet haben, so ist sie bei Zntocolax ganz unzulässig. Der hintere Sack von Entocolax hat mit dem Scheinmantel weiter gar nichts gemein, als dass er einen Hohl- raum umschließt und nach außen mündet. Mit demselben Rechte könnte man auch die Niere von Zntocolax mit dem Scheinmantel vergleichen. Looss, Beteiligung der Leukocyten an der Reduktion der Gewebe. 595 A. Looss, Ueber die Beteiligung der Leukocyten an dem Zerfall der Gewebe im Froschlarvenschwanze während der Reduktion desselben. Ein Beitrag zur Phagocytenlehre. Habilitationsschrift, Leipzig 1889. Während uns in dem ersten Teile der Arbeit (S. 1—16) eine referierende Uebersicht über den gegenwärtigen Stand der Phago- eytenlehre, wie er hauptsächlich durch Metschnikoff’s Arbeiten herbeigeführt wurde, geboten wird, gibt uns der Verf. im zweiten Teile eine kurze Darstellung der Ergebnisse seiner Untersuchungen, die wohl wesentlich von denen Metschnikoff’s abweichen. Nach Metschnikoff’s Angaben sollte grade der in Rückbildung begriffene Batrachierschwanz ein treffliches Objekt für die Beobachtung der Phagocyten d. h. der eine rasche Zerlegung und Verflüssigung bez. Verdauung der zur Auflösung bestimmten Gewebebestandteile bewirkenden Leukoeyten sein. Merkwürdigerweise konnte nun Looss bei keinem der als Unter- suchungsobjekte dienenden Tiere die Befunde Metschnikoff’s be- stätigen. Im graden Gegensatze zu den Angaben letztern Forschers konnte im Larvenschwanze nirgends etwas Auffälliges beobachtet werden, weder in der Umgebung der noch normalen Muskelfasern, noch in der Umgebung der sich zum Zerfalle anschiekenden, noch endlich in der Umgebung derjenigen, die bereits in Stücke verschiedenster Größe zerfallen waren. Die Leukocyten, die in ihrer charakteristischen Form und Be- wegung in der Bindesubstanz des Flossensaumes leicht beobachtet werden konnten, hatten in ihr Inneres außer Pigmentkörnehen von verschiedener Größe keine Fremdkörper aufgenommen; und in die Nähe der Muskeln kamen sie auch nur gelegentlich, ohne sich aber um diese Nachbarschaft in irgend welcher Weise zu bekümmern. Während also schon der unversehrte Batrachierschwanz ein wesentlich anderes Bild, als es nach Metschnikoff’s Beschreibung zutrifft, gibt, ergaben auch Zupfpräparate des frischen Objektes die- selben Resultate. Während nach Metschnikoff’s Angaben in dem in Humor aqueus zerzupften Batrachierschwanze eine Menge von Leukocyten, die Nervenfasern und Muskelprimitivbündel in ihren Zellkörper auf- genommen haben, zu finden sind, ist nach Looss’ Untersuchungen an demselben Objekte grade das Gegenteil der Fall. Wenn man nach Looss das Aussehen der Muskelbruchstücke an einem solchen Zupfpräparate betrachtet, so kann man vier verschie- dene Kategorien unterscheiden, die sich an einem gelungenen Prä- parate in der Regel neben einander vorfinden. 38 * 596 Looss, Beteiligung der Leukocyten an der Reduktion der Gewebe. Regelmäßig und durch die Menge in den Vordergrund tretend findet sich die erste Art, der oft 90—96°/, sämtlicher Sarkolyten !) angehören. Es sind dies die verschieden großen Muskelbruchstücke von sehr wechselnder, zylinder- oder wurstförmiger Gestalt, die noch völlig das Verhalten normaler Muskelfasern (Querstreifung und Doppelt- brechung) zeigen. Die Kontouren derselben sind nur noch in seltenen Fällen scharf und eckig, gewöhnlich sind sie abgerundet. Eine Aus- stattung, etwa mit Kernen oder mit Umhüllungen irgend welcher Art, weisen diese Sarkolyten nicht auf. Neben diesen Sarkolyten finden sich nun nicht selten, oft bis zu 4 und 6°/,, solche vor, die sich von den vorhin beschriebenen da- durch unterscheiden, dass sie im Umkreise der noch völlig unver- änderten Muskelsubstanz einen schmalen oder breitern Saum fein- körnigen Protoplasmas besitzen. In dieser Umhüllung liegen oft nicht nur ein einziger, sondern zwei bis drei Sarkolyten gemeinsam ein- gebettet. Von den Kontouren dieses Plasmasaumes konnten niemals etwa bewegliche Fortsätze — analog denen der Leukocyten — aus- gesendet gesehen werden, ebensowenig konnte ein Kern darin beob- achtet werden. Von dieser zweiten Art von Muskelbruchstücken unterscheidet sich nun eine dritte dadurch, dass in dem Protoplasmasaume ein großer, mit groben Chromatinkörnern ausgestatteter Kern bemerkt werden kann. Aber das Aussehen sowohl als auch das übrige Ver- halten dieses Nucleus macht jede Verwechslung mit einem Leuko- eytenkerne unmöglich. Diese kernführenden Sarkolyten sind ziemlich selten, sie erreichen höchstens 3°/,. Diese drei Arten von Sarkolyten sind nun nach Looss nichts anderes als freie Bruchstücke zerfallener Muskeln. Die Sarkolyten der zweiten und dritten Art, die eben den Plasmasaum führen, rühren von jüngern Muskeln her, die an ihrer Außenseite noch von einem Streifen feinkörnigen Plasmas (wohl Sarkoplasmas Rollett’s, Ref.) umgeben sind, der eben unter Umständen auch noch kernführend sein kann. Mit einem solchen feinkernigen Streifen Protoplasmas sind aber nur die ganz jungen, unter der Haut liegenden Muskelfasern versehen. Daraus erklärt sich auch das seltnere Vorkommen in Zupfpräparaten oder gar ihr Fehlen, wenn nur tiefer liegende Muskelschichten ge- nommen wurden. Während nun die drei geschilderten Sarkolytenarten mit Leuko- eyten nichts zu thun haben, werden aber auch zwischen den freien Sarkolyten gewisse Muskelfragmente entweder vereinzelt oder zu mehreren vereint angetroffen, die eine sich als blasses, homogenes 1) Der durch S.Mayer (Anatom. Anzeiger, Bd.1, 1886) eingeführte Name für die in Auflösung begriffenen Muskelfragmente, die nach Margö und Paneth Muskelneubildner (daher Sarkoplasten) sein sollten. Looss, Beteiligung der Leukocyten an der Reduktion der Gewebe. 597 Protoplasma qualifizierende Umhüllung besitzen, die sich in der That durch das Vorkommen amöboid beweglicher Fortsätze als Leuko- ceyten erweisen. Diese vierte Art von Gebilden, die sich nicht immer, manchmal aber, namentlich auf der Höhe des Degenerationsprozesses, sehr häufig vorfinden, kann sowohl freie als auch umhüllte und mit einem Kerne versehene Muskelbruchstücke führen. In diesen Leukocyten können häufig Pigmentkörnchen und Reste roter Blutkörperchen gefunden werden. So ist es, nach Looss’ Untersuchungen, nur ein sehr kleiner Bruchteil sämtlicher im Präparate vorkommender Leukoeyten, die Muskelfragmente führen. Noch viel weniger gelang es, in den Leukocyten Zerfallsprodukte von Nerven anzutreffen. Grade an diesen letzteren kann man nach Looss den vollkommen selbständigen Zerfall schon intra vitam beob- achten. „Die Marksubstanz der Nerven zieht sich dabei in unregel- mäßig geformte, dureh ihr starkes Liehtbreehungsvermögen und die scharf schwarz hervortretenden doppelten Kontouren auf den ersten Blick erkennbare Tropfen und Kugeln zusammen. Diese Marktropfen liegen am intakten Schwanze stets innerhalb der Schwann’schen Nervenscheide und gehen wahrscheinlich auch an Ort und Stelle durch Auflösung verloren. Auf Zupfpräparaten kann man dieselben fast ausnahmslos in größerer oder geringerer Zahl frei in der Flüssig- keit schwimmend beobachten. Nicht ein einziges mal aber habe ich einen solchen Marktropfen innerhalb eines Leukocyten gesehen, trotz- dem ich Hunderte von frischen Präparaten eifrig darnach durchsucht habe.“ Die vorstehend angegebenen Befunde, die nach dem Verf. als das normale Verhalten der betreffenden Elemente anzusehen sind, sprechen nun durchaus nicht für die Ansicht Metschnikoff’s, der- zufolge zur Eliminierung und Verflüssigung bez. Verdauung der Muskelsubstanz sowohl als auch der Nervenfasern die Thätigkeit der Leukocyten notwendig sei. Nicht nur Muskeln und Nerven, sondern auch die an- dern Gewebe des Batrachierschwanzes zerfallen selb- ständig und werden ohne Beihilfe der Leukocyten durch die Leibesflüssigkeit allein verdaut. Den Leukocyten in dem in Reduktion befindlichen Froschlarven- schwanze fällt eine andere charakteristische Rolle zu. Es ist Er- fahrungssache, dass bei der Auflösung der Gewebe Pigment, und zwar in Form feinster, freier Körnchen gebildet wird. Dieselben sind in der Leibesflüssigkeit unlöslich und bleiben bei der Auflösung der Gewebesubstanz als körperliche Gebilde zurück. Auf diese Pigment- körner machen nun die Leukoecyten eifrigst Jagd und nehmen die- selben massenhaft in ihr Inneres auf. 598 Looss, Beteiligung der Leukocyten an der Reduktion der Gewebe. So kann man gegen das Ende des Rückbildungsprozesses kaum noch vereinzelte Leukocyten antreffen, die nicht einige dieser Pigment- körner aufgenommen hätten. Viele sind derart vollgepfropft, „dass man sie gradezu für Pigmentzellen halten könnte, wenn nicht die noch sichtbaren Bewegungen auf die Leukocytennatur hinwiesen“!). Die Thatsache, dass bei der Reduktion des Batrachierschwanzes ohne Beteiligung der Leukocyten ein selbständiger Zerfall der Ge- webe eintritt, schränkt nun die Metschnikoff’sche Phagoeytenlehre wesentlich ein. Während bei der Metamorphose wirbelloser Tiere, speziell bei den Dipteren, nach den Erfahrungen Weismann’s, van Rees’ und Kowalewsky’s die Leukocyten nicht nur bei der Resorption und Verflüssigung der gebildeten Zerfallsprodukte, sondern auch bei der mechanischen Zerstörung der Gewebe eine nicht un- wichtige Rolle spielen, darf dieses Verhalten nieht ohne weiteres auf ähnliche Vorgänge bei Wirbeltieren übertragen werden. Die sarko- Iyten- und blutkörperhaltigen Leukocyten des Batrachierschwanzes beweisen nur, dass hier dieselben sich ihrer nahrungaufnehmenden und verdauenden — ihrer agressiven — Thätigkeit nicht völlig entschlagen haben. Dadurch gewinnt auch die van Rees’sche Vermutung, dass es sich bei der Thätigkeit der Leukocyten nicht so sehr um die Ver- dauung, als vielmehr um einen schnellen und zweekmäßigen Transport der Zerfallsprodukte handle, um so mehr an Wahr- scheinlichkeit. Infolge des nicht hoch entwickelten Gefäßsystemes der Dipteren- puppen in Verbindung mit der nur geringen Beweglichkeit derselben muss sich der Organismus hier zur schnellen Eliminierung sowie Ver- flüssigung bestimmter Gewebeteile und der zweckentsprechenden Ver- teilung der aus diesen Zerfallsprodukten frei werdenden Nährstoffe gewisser mechanischer Mittel — nämlich der Lenkocyten — be- dienen. Bei den höheren Tieren aber ist infolge der hohen Aus- bildung des Blut- und Lymphgefäßsystemes ein Eingreifen der Leuko- cyten nicht notwendig. Durch mangelhafte oder gänzlich isolierte Blutzufuhr nach bestimmten Gegenden der Gewebe können sowohl Ernährungsstörungen als auch Zerfallsprozesse von selbst eintreten. Die Mitwirkung der Leukocyten an der Verarbeitung der Gewebe- trümmer kann aber zu gewissen Zeiten als notwendig erscheinen, nämlich dann, wenn die Wirksamkeit der Leibesflüssigkeit zur Be- wältigung und Verdauung der Trümmer nicht mehr ausreicht. Es 1) Ref. begreift nicht, wieso ein Unterschied zwischen Pigmentzellen und Leukocyten von Looss gemacht wird. Unsere neuern Erfahrungen über Pig- mentbildung weisen doch darauf hin, dass wir es mit Leukocyten zu thun haben, die derart mit Pigmentkörnern vollgefüllt sind, dass man von der Zell- substanz nichts mehr bemerken kann. Looss, Beteiligung der Leukocyten an der Reduktion der Gewebe. 599 stimmt damit die Thatsache überein, dass das Auftreten der „ge- füllten Leukocyten“ !) im Froschlarvenschwanze ein durchaus nicht regelmäßiges ist und zweitens, dass das massenhafte Auftreten der- selben den Höhepunkt im Degenerationsprozesse anzeigt. Der in Rückbildung befindliche Larvenschwanz ist während der ganzen Verwandlungsperiode die alleinige Nahrungsquelle für den Körper; wenn derselbe nun aus irgend einem Grunde mehr Nahrung als unter normalen Verhältnissen benötigt, dann müssen eben zur Herbeischaffung und Zubereitung derselben außergewöhnliche Hilfs- mittel gebraucht werden. Das Pigment, das in der Leibesflüssigkeit überhaupt unlöslich ist, wird von den Leukocyten aufgenommen und fortgeführt. Es hat sonach nach Loos den Anschein, dass alles das, was die Leibes- flüssigkeit selbst aufzulösen und zu verdauen im stande ist, von ihr selbst besorgt wird, das nicht aufzulösende aber von den Leukocyten gefressen und weitergeführt wird. Nach den Looss’schen Beobachtungen ist also an eine Generali- sierung der Metschnikoff’schen Sätze, dass „bei der durchgreifen- den Metamorphose der Batrachier die Phagocyten eine ebenso wichtige und aktive Rolle spielen wie bei den Bipinnarien und Auricularien“ und „dass im ganzen Tierreiche die wandernden Mesodermelemente ihre nahrungaufnehmende und verdauende Thätigkeit zum Schutze des Organismus gegen Bakterien und solche Körper, welche einen günstigen Boden für deren Entwicklung bilden, nekrotische Teile be- nutzen“ nicht mehr zu denken. Wie die Thatsachen lehren, spielen die Leukocyten bei der Meta- morphose der Batrachier eine weit untergeordnetere Rolle als bei den Dipteren und bei den wirbellosen Tieren überhaupt. „So scheinen die Leukocyten für den Tierkörper eine Art Reservemacht darzustellen, die erst dann überwie- gend in Thätigkeit tritt, wenn der Organismus, seies zur Erreichung gewisser außergewöhnlicher Leistungen, sei es zur Bekämpfung besonders schwieriger Verhältnisse, mit seinen gewöhnlichen Hilfsmitteln nicht mehr aus- kommt.“ Die schönen Beobachtungen Looss’, deren weiterer Ausführung wir mit Interesse entgegensehen, zeigen uns wiederum den schon so oft zur Wahrheit gewordenen Satz, dass an eine Verallgemeinerung einer biologisch so wichtigen und interessanten Lehre wie der Phago- cytenlehre nicht eher gedacht werden soll, bevor nicht umfassende kritische Beobachtungen bei Wirbellosen sowohl als auch bei Wirbel- tieren vorliegen. J. H. List (Graz). 1) Es wäre jedenfalls zweckmäßig, statt von leeren und gefüllten Leukocyten zu sprechen, einfach die Ausdrücke Leukocyten bezw. Phago- cyten zu gebrauchen. Ref. 600 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? (Histologisches und Histogenetisches.) Von Dr. Stefan Apäthy, Privatdozent in Budapest. (Fortsetzung.) Alle die eben besprochenen Eigenschaften der glatten Muskelfasern, welche wohl meistenteils schon bekannt sind, sollen im Folgenden bei den Nervenfasern ihr Gegenstück finden und entweder die betreffende Aehnlichkeit oder den Unterschied in ein klareres Licht setzen. Ich muss aber, um nicht misverstanden zu werden, zuerst einiges noch genauer, als ich es in meinen frühern Mitteilungen gethan babe, auseinandersetzen. Vor allem muss ich betonen, dass ich zwischen Ganglienzelle und Nervenzelle einen scharfen Unterschied mache. Unter einer Nervenzelle verstehe ich etwas ganz Anderes, als was bisher unter diesem Namen verstanden worden ist, und behalte den Namen nur deswegen bei, weil ich keinen andern passenden finde. Meine Nervenzelle ist von jener Nervenzelle, welche als synonym mit Ganglien- zelle gebraucht wird, sowohl morphologisch, als auch histogenetisch ganz verschieden. Von der Nervenzelle gebe ich folgende Definition, deren ein- zelne Sätze im Folgenden bewiesen werden sollen. Nervenzellen sind jene Zellen, welche die im wesentlichen aus kontinuierlichen Primitiv- fibrillen bestehende leitende Substanz des Nervensystems produzieren und die Kommunikation einerseits zwischen den peripherischen Sinnes- elementen und den perzipierenden-Ganglienzellen, anderseits zwischen den impulsgebenden Ganglienzellen und den reagierenden Elementen des Organismus resp. zwischen verschiedenen Gruppen von Ganglien- zellen herstellen. Ihre Kerne sind jene Nervenkerne, welche meistens innerhalb gewisser Nervenfasern liegen und welche gegenwärtig all- gemein dem Bindegewebe zugerechnet und im Nerv als etwas Acces- sorisches, Unwesentliches betrachtet werden Die wesentlichsten Be- standteile der Nervenzelle sind das Nervenprotoplasma, der Nervenkern und die leitende Substanz, das wichtigste (obwohl nicht alleinige) Produkt der Nervenzelle. In Gegensatz hierzu sind die Ganglienzellen jene Ele- mente im Organismus, welche als quasi galvanische Elemente (nach dem Ausdrucke Paul Albreeht’s) die in den Nervenbahnen unauf- hörlich vorhandenen Ströme produzieren, aber nicht selbst leiten. Die leitenden Elemente stehen mit ihnen zwar in organischem Zu- sammenhange, dieser ist aber nicht notwendigerweise von Hause aus Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 601 vorhanden, sondern oft erst während der embryonalen Entwicklung sekundär entstanden !!). Eine histologische Berechtigung des eben gemachten Unterschiedes ist, besonders wenn man die große Verschiedenheit der Beschaffenheit beider Zellenarten inbetracht zieht, von dem Moment an unbestreitbar, wo es nachgewiesen wird, dass die Fortsätze der Ganglienzellen nicht un- mittelbar bis an die ästhetischen oder nach außen reagierenden Elemente des Organismus reichen. Dies ist geschehen, sobald wir zeigen können, dass die nicht ganglionären Zellen, welche sich in der Verbindungs- bahn befinden, hierher nicht von außen her geraten sind, sondern vom Anfang an hier gewesen sein müssen. Und davon können wir uns nicht nur dann überzeugen, wenn wir die Genese dieser Zellen von ihrer ersten Differenzierung an zu verfolgen im stande sind, was in den meisten Fällen wohl nicht erreicht werden wird, sondern auch dann, wenn wir den Bau und die Verhältnisse dieser Zellen mit denen von andern, deren Genese wir genauer kennen, vergleichen. Können wir noch dazu, wenn auch nur in einem einzigen Falle, die Genese von Nervenzellen mit Bestimmtheit verfolgen, so ist die Frage in betracht der Uebereinstimmung, welche in dieser Hinsicht bei allen Tierklassen wahrscheinlich herrscht, für alle Fälle erledigt. In phylogenetischer Hinsicht spricht nichts dagegen, dass ein Unterschied zwischen Ganglienzelle und Nervenzelle in diesem Sinne sich herausgestellt habe. Auf der Stufe der Phylogenie, wo den angenommenen (obwohl nicht ausreichenden) phylogenetischen Schemen gemäß Ektoderm und Entoderm die einzige Differenzierung der Zellen war, musste jede beliebige Ektodermzelle zu gleicher Zeit als ästhe- tisches, perzipierendes und reagierendes Element, also, als Epithel, Ganglion und Muskel gedient haben. Ein Teil der Ektodermzellen büßte wahrscheinlich zuerst die eine, dann die zweite ihrer ursprüng- lichen Fähigkeiten ein und diente nunmehr bloß als Epithel. Ein anderer Teil der Ektodermzellen mögen sich zuerst in der Weise ge- teilt haben, dass die eine Tochterzelle, sieh durch besondere Gestal- tung auszeichnend, nunmehr als reagierendes Element, als erste Muskel- zelle dienen konnte. Die andere Tochterzelle diente noch gleichzeitig als ästhetisches und perzipierendes Element, also als Epithel und Ganglion, teilte sich dann aber nochmals und das eine Teilprodukt blieb Epithel, das andere wurde zur Ganglienzelle. So haben wir eine gewissermaßen fertige, physiologische Trias vor uns, vor- 1) Dabei will ich die Hensen’sche Hypothese von dem Verbundenbleiben der Zellen des Embryo ab origine mit einander gar nicht berühren. Die ursprüngliche Verbindung, in welcher Zellen mit einander stehen dürften, ist ganz anderer Natur als jene, welche sie nach meiner Auffassung als Nerven- zelle und Ganglienzelle resp. Muskelzelle mit einander eingehen, und welche neben der ursprünglichen resp. aus der ursprünglichen Verbindung doch sekundär entstanden sein kann. 602 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? ausgesetzt, dass die genannten drei Tochterzellen, Sinnesepithel, Ganglienzelle und Muskelzelle mit einander in organischer Ver- bindung bleiben. Damit ist aber die Arbeitsteilung noch nicht be- endet. Nun teilt sich ihrerseits die Ganglienzelle; die eine Tochter- zelle bleibt als Ganglienzelle thätig, die andere dient nunmehr dazu, um den Zusammenhang zwischen Muskelzelle und Ganglienzelle, welcher ursprünglich unmittelbar gewesen ist, zu vermitteln, und spezifiziert sich so zur leitenden Zelle, d.h. Nervenzelle. Die Notwendigkeit der Teilung dieser Arbeit, welche vorher die Ganglienzelle allein verrichtet hat, kann dann eintreten, wenn die Muskelzelle oder Epithelzelle von ihrer Ganglienzelle verhältnismäßig weit verlagert wird resp. wenn die durch die Ganglienzelle zu verrichtende Arbeit so groß wird, dass die gesamten Lebensfähigkeiten der Ganglienzelle als galvanisches Element (? oder Magnet) zur Produktion (oder Induktion) der Ströme in Anspruch genommen werden müssen. Eine weitere Teilung der Ganglienzelle kann nachher die Nervenzelle liefern, welche die Ver- bindung zwischen Sinnesepithel und Ganglienzelle vermittelt. Die Nervenzellen würden also ihrer Phylogenese nach differenzierte, um- gestaltete Ganglienzellen sein. — Natürlich kann dieser ganze Vorgang der Differenzierung, welchen ich innerhalb von fünf Tochterzellen einer ursprünglichen Ektodermzelle schematisch dargestellt habe, in der Wirk- lichkeit nicht so einfach gewesen sein. Mechanische und chemische Einflüsse innerhalb und außerhalb des Organismus, neben einer Art natürlicher Zuchtwahl aus Millionen von Zellgenerationen, müssen die Differenzierung ganz allmählich bewirkt haben. Wäre der phylogenetische Vorgang in der Ontogenie vollkommen wiederholt, so müssten z. B. je eine Sinneszelle, eine zentripetal lei- tende Nervenzelle die Ganglienzelle, die zentrifugal leitende Nerven- zelle und eine Muskelzelle, welche, mit einander im erwachsenen Or- ganismus verbunden, je eine Funktionseinheit bilden, aus derselben Ektodermzelle entstanden ‘sein; wenigstens müssen sie aber von dem- selben Keimblatt entstehen. Dem soll jedoch nieht so sein. Solche Fälle, in welchen es gelingt, die Abstammung von Muskelfasern aus dem Ektoderm nachzuweisen, was nach Kleinenberg bei Lopadorhynchus za sein scheint, stehen bisher in der Wissenschaft ganz vereinzelt da, obwohl sie der Phylohistogenese vollkommen entsprechen. Allgemein betrachtet man die Muskelzellen als mesodermale und die Ganglien- zellen als ektodermale Elemente. Ist diese Auffassung richtig, so sind mesodermale Nervenzellen ebenso gut möglich als ektodermale; und entstehen Sinneszellen und Muskelzellen aus verschiedenen Keim- lagen, so könnte dies auch mit Ganglienzellen und Nervenzellen der Fall sein. Das glaube ich nun allerdings nicht; ich glaube vielmehr, dass — wenn die Keimblattschemen überhaupt aufrecht erhalten werden sollen — ektodermales Epithel, Sinneszellen, Ganglienzellen, Nerven- zellen und Muskelzellen alle aus derselben Keimlage stammen. Von Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 609 derselben Ektodermzelle stammt aber in der Ontogenie je eine Sinnes- zelle, Ganglienzelle und Muskelzelle nicht; sie gehen mit einander eine sekundäre Verbindung ein. Entsteht aber dabei doch eine Füunktionseinheit, so sehe ich nicht ein, warum eine solche sekundäre Verbindung auch zwischen Nervenzellen und Ganglienzellen a priori auszuschließen wäre? Auszuschließen ist es natürlich anderseits auch nicht, dass die Nervenzellen gelegent- lich sogar ontogenetisch von ihrer betreifenden Ganglienzelle ent- ständent). Bei Hirudineen habe ich mich davon überzeugt, dass Ersteres grade der Fall ist. Ich will mich hier nicht in die längere Auseinandersetzung meiner diesbezüglichen Ergebnisse einlassen sondern nur einige Punkte hervorheben. Die Keimstreifen, welche, wie schon Whitman gezeigt hat, auf vier Teloblasten zurückgeführt werden können und in gewissen Sta- - dien-ziemlich weit nach vorne als je vier Längsfelder von Zellen sich verfolgen lassen, geben lediglich dem Nervensystem (vomsympathischen abgesehen) und der Längsmuskulatur den Ursprung, und zwar ge- staltet sich zur letztern bloß das eine, laterale Längsfeld jedes Keim- streifens; die übrigen drei Längsfelder werden alle zum Nervensystem?). Zählt man die Längsfelder von innen: nach außen, so ist das erste Längsfeld bis sehr weit nach vorne als eine Zellreihe zu verfolgen, weniger weit das dritte; das zweite Längsfeld dagegen gestaltet sich nach einer sehr kurzen Strecke und sehr früh zu größern Zellgruppen, welche sich zu je dreien enger einander anschließen. Diese bilden die Ganglienkapseln des Bauchstranges, je drei rechts und links von der Medianlinie auf jedes Somit. Die Zellen des ersten Längs- feldes bilden die Längskommissuren des Bauchstranges und die Anschwellungen derselben innerhalb der Bauch- ganglien, kurz den gesamten faserigen, d. h. leitenden Teil des zentralen Nervensystems. Das Schicksal des dritten Längsfeldes konnte ich bisher nicht mit einer solchen Sicherheit, wie das des ersten, verfolgen. Alles, was ich bisher gesehen habe, weist darauf hin, dass 1) Die Befunde von His, welche er in seiner neuesten Publikation aus- einandergesetzt hat, dass die motorischen Nervenfasern als direkte Ausläufer gewisser Zellen des Medullarrohres zu verfolgen sind, stürzen jene Möglichkeit noch keineswegs. Sogar His erwähnt gewisse sich intensiver färbende Stellen in den Axenfortsätzen der Nervenblasten, welche als Herde von Nucleoplasma aufgefasst werden und den spätern Kernen in den Nervenzellen der Fortsätze den Ursprung geben könnten. 2) Whitman will die Bildung des Bauchstranges bloß auf die innerste Zellreihe beschränkt sehen; aus der zweiten und dritten (Nephridialrows) lässt er die Nephridien entstehen. Dem gegenüber legte ich meine Resultate, welche ich bei Nephelis am deutlichsten bekommen habe, in einem Berichte über meine Untersuchungen im Gebiete der Embryologie von Hirudineen der ungarischen Akademie vor. (Deutsch im nächsten Band der mathem.-naturw. Berichte aus Ungarn, herausg. von der ungar. Akademie der Wissenschaften.) 604 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? diese Zellreihe den peripherischen Nervenstämmen, deren je drei Paare!) von den einzelnen Bauchganglien abgehen, den Ursprung gibt. Da nun die Längskommissuren sowohl bei den Mollusken, als auch bei den Arthropoden aus eben solchen Nervenfasern, wie die peripherischen, zusammengesetzt sind, und auch der zentrale Teil der Ganglien (die berülimte Punktsubstanz) aus eben solchen, nur mehr verzweigten dünnern und mit einander kompliziert verflochtenen Fasern besteht, so sind die Zellen, welche bei den Hirudineen die entsprechenden Gebilde des Ganglienstranges liefern, als embryo- nale Nervenzellen zu bezeichnen. Die Längskommissuren sind bei den Hirudineen allerdings etwas anders gestaltet, als bei Mollusken und Arthropoden; ganz so abweichend sind aber auch die peripheren Nervenstämme. Die Zellen resp. Kerne in den Längskommissuren sind bei Hiru- dineen schon lange bekannt. Bei Pontobdella und Branchellion hat sie neuerdings Frangois beschrieben, aber nicht zu deuten gewusst. (Aehnliche hat er auch in einigen größern Nervenstämmen gefunden.) Bloß drei solcher Zellen des ersten Längsfeldes bilden die entsprechende Hälfte des faserigen Teiles der leitenden Elemente in jenem Abschnitte des Bauchstranges, welcher einem Somit zukommt; also sechs im ganzen Somitabschnitt. Davon bilden vier Zellen den größern Teil der Ganglienanschwellung und zwei die eigentlichen Längskommissuren, deren Fortsetzung das llebrige der Ganglienanschwellung bildet. Merk- würdig, dass sich diese Zellen dabei meist gar nicht teilen, sondern auch beim erwachsenen Tiere in derselben Anzahl aufzufinden sind. JedeLängskommissur erscheint als eine Spindelzelle, welche sich nach vorne und nach hinten, in der Ganglienanschwel- lung angelangt, verzweigt. Die ganze Längskommissur entspricht bei allen von mir untersuchten Hirudineen (hauptsächlich Nephelis, Hirudo, Pontobdella und Branchellion) mit Ausnahme von Ülepsine (Cl. heterodita und Ol. bioculata) einer einzigen Zelle. Bei Olepsine teilt sich diese nachträglich, und es liegen zwei Zellen in jeder Kom- missur: eine dem vorhergehenden, die andere dem folgenden Ganglion genähert. Näheres über diese Zellen und darüber, wie die Kommissur von diesen entsteht, sowohl als auch über den de Faivre’schen Nerv werde ich weiter unten noch anführen. Vorläufig mag es genügen, darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass es bei Hirudineen sicht- bar ist, wie Nervenstämme von gewissermaßen eignen Anlagen ent- stehen und nicht von Ausläufern der Ganglienzellen zusammengesetzt werden. Die Ganglienzellen des Bauchstranges sind zur Zeit der Entstehung des leitenden Teiles im Bauchstrange noch alle fortsatzlos. In diesen Embryonalstadien sind es die Elemente des in seinen ersten Anlagen vom zentralen unabhängig entstandenen sympathischen Nerven- systems, welche dem Organismus schon Dienste leisten. 1) cfr, diese Abhandlung. Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? 605 Dieselben Verschiedenheiten in Bau und Beschaffen- heit, auf welche ich bei den glatten Muskelfasern hin- gedeutet habe, sind auch bei Nervenfasern vorhanden; nur ist eine bestimmte Form von Nervenfasern für eine bestimmte Gruppe von Tieren eher als charakteristisch zu nennen. Die Beschaffen- heit der Nervenfasern wechselt bei demselben Tiere nicht innerhalb so weiter Grenzen, wie die der glatten Muskelfasern. Ich werde nun auch für die Nervenfasern einen Typus aufstellen, von welchem ich alle Formen, die mir begegnet sind, abzuleiten versuche. In dieser Schilderung werde ich an dem, was ich für Muskelzellen aufgestellt habe, kaum etwas anderes, als den Namen zu andern haben. Zur Vergleichung ziehe ich je einen solchen Abschnitt der Leitungsbahn des Nervensystems herbei, welcher an Zellenwert einer glatten oder quergestreiften Muskelfaser entspricht. Wie wir sehen werden, entspricht ein soleher Abschnitt auch im er- wachsenen Zustande meistens einer Zelle; so sind meistens die zwischen zwei Ranvier’schen Einschnürungen befindlichen Abschnitte der Verte- braten-Nervenfaser; so sind auch jene Abschnitte des Molluskennerven, welche durch je einen, in regelmäßigen Abständen gelagerten Kern angedeutet werden. Ich werde diese Abschnitte vorläufig schlechthin als Nervenspindel bezeichnen. Ebenso aber, wie mehrzellige Muskel- spindel, die quergestreiften der Wirbeltiere ete. existieren, so gibt es auch durch endogene Zellteilung mehrzellig gewordene kolossale Nerven- spindeln. Ein klassisches Beispiel für diesen Fall fand ich bei den Krebs Penaeus. Wie es weiter kolossale glatte Muskelspindeln gibt, welche obwohl nur eine Zelle, sich über eine ganze Somitlänge aus- dehnen und mit ihren Ausläufern über 20 mm messen können — z.B. die Muskelfasern von Pontobdella —, so gibt es auch einzellige Nerven- spindel, welche eine ebenso große Ausdehnung besitzen, z. B. eben- falls Hirudineen, namentlich Pontobdella. Die typische Nervenspindel besteht also aus einem, von Zellsaft sehr gelockertem Protoplasma und einer mehr oder weniger beträchtlichen Lage eines spezifischen intrazellulären Zellproduktes, der leitenden Substanz. Der protoplasmatische Teil und die leitende Substanz sondern sich in der Weise, dass ersterer die Axe, letzterer die Rinde der Spindel bildet. Der protoplasmatische Teil beherbergt den Zellkern und enthält den leichtffüssigen Zellsaft, das Hyaloplasma von Leydig und Nansen, sowie ein Schwamm das eingesogene Wasser. Der Rindenteil besteht aus feinen Fasern, Nervenprimitifibrillen, welche durch die ganze Länge der Spindel ununterbrochen, in der größtmöglichen physiolo- gischen Dehnung mit einander parallel, sonst aber ungleich wellig verlaufen, und aus der interfibrillären Substanz, welche die Primitiv- fibrillen mit einander verkittet, eine zähe, gallertige Konsistenz be- sitzt, sehr quellungsfähig aber unlöslich ist, durch Wasserentziehung 606 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? bis auf ein Minimum zusammenschrumpfen kann und von dem Zell- saft des protoplasmatischen Teiles wohl zu unterscheiden ist. Die ganze Nervenspindel ist in vielen Fällen (bei den meisten Nerven der Wirbeltiere und vieler Arthropoden, wenn nicht von allen) von einer strukturlosen Haut, welche der Zellmembran entspricht, mehr oder weniger eng umgeben (Schwann’sche Scheide). Zwischen dieser Membran und, wenn mehrere vorhanden sind, der innersten, meist auch zu einer zäheren, dünnen Membran abgespaltenen Sehichte der leitenden Substanz scheidet sich eine kleinere oder größere Menge Melyin ab, ein fettartiger, als Isolator dienender Körper. Myelin, dessen Vorstufe als Zellprodukt die interfibrilläre Sub- stanz zu sein Scheint, befindet sich in der leitenden Schichte aller von mir untersuchter Nervenspindel aller obenerwähnter Tiere; Unterschiede sind nurin der Menge, welche eine ganz minimale sein kann, und darin vorhan- den, ob das Myelin in der ganzen leitenden Substanz gleichmäßig verteilt, oder außerdem innerhalb der Zell- membran zu einer besondern Lage ausgeschieden ist. (Das Myelin wird weiter unten noch eingehender besprochen.) Das eigentlich lebende der Nervenspindel, was alle Lebensfunktionen sui generis verrichtet, ist das um den Kern herum meist dichter aufgehäufte, im übrigen aber schwammerig verteilte Element des protoplasmatischen Teiles, dasProtoplasma im alten SinneinderNervenzelle. Dieses hat alle übrigen Teile der Spindel produziert, dieses vermehrt und rekonstruiert sie während des ganzen Lebens, und erhält die Spezialität der Nervenspindel, die leitende Fibrille in funktionsfähigem Zustand. Die Funktion, mit den galvanischen vergleichbare Ströme, von den Ganglienzellen hervorgerufen, durch den Organismus zirku- lieren zu lassen, kann als eine rein physikalische aufgefasst werden. Anderseits hat der Zellsaft der Nervenspindel, ebenfalls eine dünne Eiweißlösung, dieselben Eigenschaften und eine gleiche Rolle wie der der Muskelfasern. Dass die spezifische Funktion der Nervenspindel, das Leiten von Strömen, nicht durch den axialen Teil, weder durch das Protoplasma, noch durch den Zellsaft, das eine Hyaloplasma Leydig’s, verrichtet wird, geht schon daraus her- vor, dass sich dieses in die dünneren, aber doch lange Strecken hin- durch deutlich zu verfolgenden Aeste der Nervenspindel, in die Fasern der peripheren Endnetze, nicht mehr fortsetzt, sondern vor der Abspaltung jener aufhört. Diese feinern Zweige der Nerven- spindel sind also nicht mehr röhrenförmig, sondern kompakt, und bestehen, da sich meist auch die äußere Membran allmählich bis ins Unendliche verdünnt, verliert, aus reiner leitender Substanz; sie bilden also Bündel von Nervenprimitivfibrillen, welche durch die, meist noch Apäthy, Nach welcherRichtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 607 immer etwas myelinhaltige Interfibrillarsubstanz verkittet werden. Die allerletzten Verzweigungen, die wirklichen Endästchen, bestehen aus einer einzigen Primitivfibrille, welche, wie feine Leitungsdrähte für Elektrizität mit einer isolierenden Wachsschichte, mit interfibrillärer Substanz (aus dem Bündel mitgebracht) umgeben sind. Dieser Rest der interfibrillären Substanz ist um die Primitivfibrille sehr ungleich- mäßig verteilt, oft sehr gering, oft aber sehr deutlich zu sehen; er bildet verschiedene kleine Anschwellungen, Knötchen ete. auf der Fibrille. Welches ist nun von diesen beiden, Primitivfibrille und Interfibrillär- substanz, das eigentliche leitende, das primum agens von Leydig? Wo ein solches Endästchen z.B. an einer Muskelfaser anlangt, da verliert sich, oft erst nachdem sie ein kleines Häufchen bildet, die Interfibrillär- substanz auf der Oberfläche des Muskels; die Primitivfibrille schreitet durch die kontraktile Substanz in den protoplasmatischen Teil der Faser durch, wo sie im Protoplasma nicht mehr verfolgt werden kann. Alle diese Verhältnisse sind in der abpräparierten und möglichst ge- dehnten Darmwand von Pontobdella nach der Beseitigung der Epithel- schichte und nach gelungener Goldehloridbehandlung aufs Deutlichste zu sehen. Die schwarze Primitivfibrille, als eine scharfe, mehr oder weniger wellige Linie, auch innerhalb der Bündeln nicht selten in einer Länge von Millimetern ununterbrochen verfolgbar, sticht deut- lieh von der blassen, rosaroten Interfibrillärsubstanz ab. Hat man Ameisensäure länger als im Allgemeinen nötig einwirken lassen, und übt man auf das Präparat allmählich einen stärkern Druck aus, so lässt sich die stark gequollene, erweichte Interfibrillärsubstanz von dem Bündel der Primitivfibrillen heraus oder von der einzeln ver- laufenden Fibrille einfach wegquetschen. Ist nun diese Primitivfibrille, an welcher mit den stärksten Systemen absolut keine Struktur mehr wahrnebmbar ist, immer noch eine Röhre? Das zu behaupten wäre bloß Haarspalterei. Ebenso wenig kann (glaube ich) nach dem Ge- sagten die Interfibrillarsubstanz, welches je nach Leydig das Hyalo- plasma, das primum agens sein soll, in dem Endästchen als Wandung der Röhre, und die Fibrille als eventuell koagulierter und dadurch fest gewordener Inhalt betrachtet werden. Dagegen spricht ihre überall gleiche Homogenität hauptsächlich bei Goldbehandlung, ihre große Resistenz, und, auf was ich auch Gewicht legen will, jener Umstand, dass sie sich meistens auch in den kleinern Bündeln, welche vollkommch grade verlaufen und schon sehr gestreckt erscheinen, noch immer wellenförmig zeigen, ja sogar sich mit einander scheinbar verflechten. Den besten Beweis gegen diese Annahme liefert aber die lebendige Fibrille selbst. Wenn man eine mit Blut möglichst stark gefüllte Pontobdella bloß betäubt, streckt, die Hautmuskelschichte im der ganzen Länge des Mittelkörpers aufschneidet, die Körperwand durch langsames Ziehen und etwas Nachhelfen mit Scheere und Nadel von 608 Apäthy, Nach weleher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? dem gradgefüllten Darm abpräpariert und seitwärts nach rechts und links umschlägt, so hat man die ganze, dem Darm eng anliegende Ganglienkette vor sich. Nun schneidet man diese irgendwo durch, fast das Schnittende mit einer Pincette und zieht den Bauchstrang langsam nach vorn und hinten ab. Dies gelingt durch mehrere Somiten hindurch immer. Man bekommt so die Seitennerven gelegentlich samt einer großen Anzahl Verzweigungen mit. Es lassen sich ganz dünne Aestehen aufsuchen. In diesen findet man die stark lichtbrechenden Primitivfibrillen, trotz ihres geschlängelten Verlaufes, mit stärkeren Vergrößerungen bald auf und sieht, wie sie an den abgerissenen Nervenenden nicht selten hervorragen. Sie haben also nie flüssig gewesen sein können; denn der Nerv war, als er riss, noch ganz gewiss vollkommen normal, daja das Tier noch lebte, und eine Flüssig- keit kann nicht in irgend einer Weise geformt in die umgebende Flüssigkeit hervorragen. Myelin kann am abgerissenen Nervenende gelegentlich in Form von Fäden oder Stäbchen hervorquellen, ist aber dann mit nichts anderem zu verwechseln. Sollten nun auch die vorhergegangenen einzelnen Beweisgründe nicht genügen, so wird doch ihre Gesamtheit höchst wahrscheinlich machen, dass die Fibrillen das leitende Element sind; immerhin wird aber schon durch das Gesagte die Leydig-Nansen’sche Hyaloplasma- und Primitivröhrchentheorie kaum an Plausibilität gewinnen. Und es erübrigen noch andere, weiter unten folgende Beweisgründe. Ueber- haupt hat man die Existenz der Primitivfibrillen in der neuern Zeit nur deswegen so vielfach bestritten, weil man sie dort gesucht hat, wo keine vorhanden sind, weil man sie in einer Form gesucht hat, wie sie meist nicht vorkommen, weil man sie durch Mittel gesucht hat, mit welchen sie nicht aufzufinden sind. Im Lumen, in der Axe der Nervenspindelstämme sind sie nur ausnahmsweise vorhanden; sie verlaufen nicht so dicht, und so regelmäßig neben einander, sind meist dicker als man vorausgesetzt hat; sie werden durch Osmium- behandlung eher verborgen als klargelegt. Sie müssen aber, wenn wir an Logik und Zweckmäßigkeit der Organisation glauben, schon a priori genommen.ebenso vorhanden sein, wie jene noch unsichtbaren Sterne, welche der Astronom mit 'mathematischer Sicherheit im voraus nachweist. Wie und wo die Primitivfibrillen in der That aufzufinden sind, werde ich noch im weiteren zu zeigen versuchen. Max Schultze muss Recht behalten. (Fortsetzung folgt.) Berichtigung. Im Aufsatz „Ueber den Bau und die phylogenetische Bedeutung der embryonalen Bauchanhänge der Insekten“ von V.Graber (dieses Blatt Nr. 12 S. 360) könnte infolge mangelhafter Stilisierung ein Absatz so verstanden werden, als ob Scollopendrella keine eigentlichen gegliederten Abdominalbeine hätte. Letzteres gilt aber bekanntlich nur von der mit Scollopendrella ver- glichenen Insektenform Machilis. V. Graber. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. 15. Dezember 1889, 77200: 21. Nr. 22 erscheint am 15. Januar 1890. richtigung zu dem Aufsatz: „Ueber die biologische Bedeutung der Etiolierungs- erscheinungen“. — Baur, Nachträgliche Bemerkungen über die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. — Haeckel, Die Radiolarien (Rhizopoda Radiaria). III. und IV. Teil (Acantharia und Phaeodaria). — Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? (Schluss.) — Exner, Ein physiologisches Paradoxon, betreffend die Innervatiou des Kehl- kopfs. — Ballowitz, Ueber Verbreitung und Bedeutung feinfaseriger Struk- turen in den Geweben und Gewebselementen des tierischen Körpers. — Kühn, Die Wurmfäule, eine neue Erkrankungsform der Kartoffel. Zur Physiologie der Fortpflanzung. Von Georg Klebs in Basel. Die Fähigkeit sich fortzupflanzen ist eine der allgemeinsten und wichtigsten Eigenschaften des Organismus von der Monade bis zum Menschen. Bei keiner andern Lebensäußerung tritt uns eine solche Mannigfaltigkeit der Erscheinungen entgegen, in keiner bietet sich eine solche Menge der verwickeltsten Probleme dar. Allmählich ist durch die Forschungen von Zoologen und Botanikern ein großes Beobachtungsmaterial aufgehäuft worden teils bei der Bearbeitung der gröbern morphologischen Verhältnisse, teils mit Hilfe der histo- logischen Methoden, welche besonders in der neuesten Zeit so erfolg- reich auf diesem Gebiete gewesen sind. Auf den gewonnenen That- sachen fußend, sie erweiternd und vertiefend, strebt die Wissenschaft, die Beziehungen zwischen der Fortpflanzung der Organismen und der sie umgebenden Außenwelt aufzudecken und zu verstehen. Einerseits offenbart sich in der Art der Fortpflanzung die Anpassung an die Außenwelt in merkwürdigster Weise; auf der andern Seite ist die Zähigkeit der Vererbung vielleicht nirgends größer als bei den Fort- pflanzungserscheinungen, sei es der Form, oder der Funktion der Organe nach. — IX, 39 510 Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung. Auf diese Macht der Vererbung gründet sich die allgemein herrschende Ansicht, dass die äußern Bedingungen auf die Fort- pflanzung keinen oder einen sehr geringen direkten Einfluss ausüben. Diese Ansicht hat sich grade in der letzten Zeit durch Nägeli, Weismann u. a. wieder viel mehr gefestigt als kurz vorher, wo in der Blütezeit des Darwinismus den direkten Wirkungen der Außen- welt eine sehr viel größere Rolle zugeschrieben wurde. Ganz von diesem darwinistischen Geiste noch beseelt zeigt sich das Werk von Düsing „die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses bei der Ver- mehrung der Menschen, Tiere und Pflanzen“. Jena 1884. Düsing hat mit großem Fleiss alle Beobachtungen zusammengestellt, welche irgendwie für einen Einfluss der äußern Bedingungen auf die Fort- pflanzung sprechen. Die wenigsten dieser Beobachtungen haben eine entscheidende Bedeutung gewonnen, weil sie entweder nur gelegent- lich gemacht worden sind, oder auf vieldeutigem statistischem Material, oder auf zu wenig ausgedehnten Versuchen beruhen. Es fiel ferner schwer ins Gewicht, dass die beiden besten Arbeiten, welche diese Fragen behandeln, den direkten Einfluss der Außenwelt verneinen. So ist der Zoologe Weismann bei seinen zahlreichen Beobachtungen und Versuchen zu dem Resultat gekommen, dass der Generations- wechsel der Daphniden ausschließlich durch die innere Natur der- selben geregelt wird, und entsprechend hat der Botaniker Heyer mit Hilfe großer Kulturversuche zu beweisen gesucht, dass das Ver- hältnis der beiden Geschlechter bei monöeischen und diöeischen Pflanzen durchaus unabhängig von äußern Bedingungen ist. Indess ist das Versuchsfeld ein zu beschränktes, als dass man den Resultaten von Weismann und Heyer schon eine allgemeine Giltigkeit zuschreiben dürfte. Bei dem Lesen des Düsing’schen Werkes lässt sich der Gedanke nicht abweisen, dass in irgend welcher Weise ein innigerer Zusammenhang zwischen Fortpflanzung und Außenwelt existiert. Gelang es doch auch Prantl bei den Prothallien der Farne die Verteilung der Geschlechter durch Aenderungen der Ernährung zu beeinflussen; zahlreiche Erfahrungen der Pflanzenzüchter weisen nach andern Rich- tungen auf den Einfluss der Ernährung bei der Fortpflanzung hin. Ohne Zweifel wird es bei den niedern Organismen leichter sein, den Einfluss festzustellen als bei den höhern, und so lag der Gedanke nahe, bei Algen Experimente über die ganze Frage zu machen. Einige Resultate meiner Untersuchnngen möchte ich hier kurz darstellen, während die ausführliche Arbeit erst später erscheinen wird. Hierbei lasse ich alles bei Seite, was sich auf die Nützlichkeit der Erschei- nungen, auf ihre Erklärung durch natürliche Zuchtwahl bezieht — Fragen, welche bei Düsing eine zu große Rolle spielen. Mir kommt es vor allem darauf an, nachzuweisen, dass bestimmte äußere Ein- flüsse notwendig bestimmte Reaktionen des Organismus hervorrufen, welche in der Form von Fortpflanzung sichtbar werden, ganz ent- Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung. 611 sprechend wie durch äußere Kräfte bestimmte Bewegungen von Tieren oder Pflanzen hervorzurufen sind. Es müsste gelingen, wenigstens einen Teil der Fortpflanzungserscheinungen dem Dunkel der beschrei- benden Morphologie zu entreißen und dem heller leuchtenden Gebiet der Physiologie einzuverleiben. — Meine Untersuchungen beziehen sich zunächst ausschließlich auf die bekannte zierliche Alge, das Wassernetz, Hydrodicetyon utriculatum. Dasselbe findet sich in Sümpfen und Bächen in Form länglicher schlauchartiger Netze, welche dadurch zu stande kommen, dass zylin- drische Zellen zu 3 oder 4 mit ihren Ecken aneinander stoßen und 5- oder 6-eckige leere Maschen bilden. Durch die Untersuchungen von A. Braun, Cohn, Pringsheim ist die Fortpflanzung dieser Alge sehr gut bekannt. Auf ungeschlechtlichem Wege vermehrt sie sich, indem der Inhalt der einzelnen Zellen in eine große Anzahl von eiförmigen, beweglichen Schwärmzellen, die Zoosporen, zerfällt, welche, ohne aus der Mutterzelle herauszutreten, kurze Zeit sich hin- und herbewegen und dann sich zu einem neuen Netze zusammenlegen. Durch die Verquellung der alten Zellwand wird das junge Netz frei und wächst allmählich zur normalen Größe heran. Die Zellen eines fertigen Netzes sind also Schwesterzellen; jede ist in gleichem Maße fähig, sich fortzupflanzen. — Die Zellen des Wassernetzes zeigen noch eine andere Art der Fortpflanzung, welche als eine geschlechtliche bezeichnet werden muss. Sie verläuft in der Weise, dass die Zelle in eine noch größere Anzahl sehr kleiner Schwärmsporen zerfällt, welche aus der Zelle heraustreten, frei umherschwimmen und bald zu zweien oder zu mehreren miteinander verschmelzen. Diese sexuellenSchwärmer können zum Unterschiede von den ungeschlechtlichen als Gameten (Stras- burger) bezeichnet werden. Das Produkt der Kopulation, die Zygote, wird zu einer kleinen grünen Zelle, welche nach einiger Rubezeit keimt, indem sie zunächst vier größere Schwärmsporen erzeugt, welche zu eckig geformten Zellen, den Polyedern, heranwachsen. Erst aus diesen bilden sich auf ungeschlechtlichem Wege wieder junge Netze. Hydrodictyon gilt allgemein als ein typisches Beispiel für den Generationswechsel. Aus der Zygote entstehen die ersten Netze, auf welche eine Menge ungeschlechtlicher Generationen folgen, bis eine geschlechtliche Generation auftritt, welche mit der Bildung der Zygoten den Abschluss des Zyklus macht. Aus den bisherigen Beobachtungen geht nicht klar hervor, ob ein solcher Zyklus nur einmal oder mehr- mals innerhalb eines Jahres von der Alge durchlaufen wird, ob sie zu den monozyklischen oder polyzyklischen Arten im Sinne Weis- mann’s gehört. Meine Untersuchung ging von der Frage aus, ob denn thatsächlich eine notwendige, durch Vererbung fixierte Auf- einanderfolge ungeschlechtlicher und geschlechtlicher Generationen, unabhängig von der Außenwelt, bei dem Wassernetz vorhanden ist, 3 v12 Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung. oder ob die äußern Bedingungen in bestimmter Weise mit eingreifen. Meine Versuche zeigten, dass das letztere in hohem Grade der Fall ist, ja dass die Außenwelt geradezu über das Eintreten der beiden Vermehrungsformen entscheidet. Da das Resultat nach verschiedenen Richtungen hin von allgemeiner Bedeutung sein kann, musste es mög- lichst sicher gestellt werden; ich kann es jetzt als ein unzweifelhaft richtiges bezeichnen. Vorläufig gilt es nur für Zellen, welche unge- fähr ausgewachsen sind, obwohl selbst relativ junge Zellen sich zur Vermehrung nötigen lassen. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung. Ausgewachsene, gesunde Zellen beliebiger Netze kann man zu jeder Zeit zur Zoosporen- bildung zwingen, dadurch, dass man sie eine Zeitlang in einer 0,5 bis 1°/, Nährsalzlösung kultiviert und dann in frisches Wasser bringt. Die Nährsalzmischung (vergl. Pfeffer Physiologie I) besteht aus schwefelsaurer Magnesia (1 Teil), phosphorsaurem Kali (1 Teil), sal- petersaurem Kali (1 Teil) und salpetersaurem Kalk (4 Teile). Nach einigen Tagen zeigt sich in der Wasserkultur lebhafte Bildung von Zoosporen resp. von jungen Netzen. Der Versuch gelingt mit sehr großer Sicherheit, selbst bei solchen Netzen, welche durch lange Zimmerkultur in einen pathologischen Zustand übergegangen sind. Die Salzlösung bewirkt einmal, dass die in der Zelle vorhandene Anlage zur Zoosporenbildung sich entfaltet und eine lebhafte Spannung erreicht, anderseits, dass die Reaktion selbst d. h. die Zoosporenbil- dung, gewöhnlich nicht eintritt; erst das Wasser spielt die Rolle des auslösenden Reizes. Die zoosporenerregende Wirkung der Salzlösung ist wesentlich chemischer Art; die Salze einzeln für sich in der gleichen Konzentra- tion wie die Mischung angewandt, wirken lange nicht so gut wie die letztere mit Ausnahme vielleicht des Salpeters. Andere nicht für die Ernährung so wichtige Salze z. B. Kochsalz wirken schlecht oder gar nicht. Bei der Gegenwirkung der Salzmischung, der Verhinderung der Zoosporenbildung, könnte man eher daran denken, dass dieselbe dadurch zu stande kommt, dass der osmotische Druck des Zellsaftes durch den Eintritt der Salze in denselben erhöht wurde. Ohne weiter auf diese spezielle Frage einzugehen, will ich nur bemerken, dass die Bildung der Zoosporen nach vorhergehender Kultur in Nährlösung auch in einer 10 prozentigen Zuckerlösung eintritt, was zugleich be- weist, dass reines Wasser durch andere Lösungen für den Eintritt der Zoosporenbildung ersetzt werden kann. — Von großer Bedeutung ist die Thatsache, dass die Zoosporen- bildung notwendig bedingt ist durch das Licht, welches wenigstens eine gewisse Zeit lang auf die Kultur wirken muss. Am besten ge- lingt der Versuch, wenn das Licht das Wassernetz sowohl während seines Aufenthaltes in der Nährlösung als auch während der Kultur in Wasser beleuchtet. Indess kann auch die Bildung der Zoosporen Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung. 613 eintreten, wenn die Kultur in der Nährlösung dunkel gestanden hat, die Kultur in Wasser im Licht. Der umgekehrte Versuch, die Nähr- lösung ins Licht zu stellen, die Wasserkultur ins Dunkle, gelingt nur und dann auch bisher selten, wenn die letztere mindestens einen Tag von Licht getroffen worden ist. Wenn die Zellen aus der beleuchteten Nährlösung in Wasser und gleich ins Dunkele gebracht werden, regen sie sich nicht. In der Dunkelheit aber erhält sich die hochgradige Neigung zur Zoosporenbildung sehr lange unverändert, da der bloße Liehtzutritt genügt, um noch nach Monaten gleich wieder die Zoosporen- bildung hervorzurufen. In diesem Falle versieht das Licht die Rolle des auslösenden Reizes. In dem gesamten Verlauf der Zoosporenbildung kann man unter- scheiden: die Ursache der ursprünglichen Anlage, diejenige der Ent- faltung derselben und der Auslösung. Die erstere ruht in der innern Natur der Wassernetzzelle, die beiden letztern bestehen in äußern Bedingungen. Entfaltung und Auslösung können ineinander übergehen, ohne dass eine zeitliche Trennung möglich wäre. Dies ergibt sich daraus, dass gewisse organische Substanzen, bei frisch aus dem Freien geholten Netzen unmittelbar sehr lebhafte Zoosporenbildung erregen so z.B. Maltose, Duleit (1—2°/,), indess ist die Wirkung der Maltose nicht derjenigen der Nährsalzlösung und frischem Wasser gleichzu- stellen, denn die Maltose übt nicht unter allen Umständen dieselbe Wirkung aus, sie thut es nur bei jenen Netzen, welche an und für sich schon eine, wenn auch geringe, Neigung zur Zoosporenbildung besitzen. Die geschlechtliche Fortpflanzung. Die Bildung der mit einander verschmelzenden Gameten lässt sich nicht mit derselben Sicherheit hervorrufen wie diejenige der Zoosporen. Es ließ sich bis- her nieht eine einzige so bestimmte Ursache auffinden, sondern es scheint mehr ein ganzer Komplex äußerer Bedingungen mitwirken zu müssen, dessen Teile nicht scharf auseinander zu halten sind. In der That ist ja auch die Entstehung der Gameten ein viel’ verwickelterer Vorgang als diejenige der Zoosporen. Im allgemeinen bringt man gesunde aus der freien Natur stam- mende Netze zur Gametenbildung dadurch, dass man sie in eine Rohr- zuckerlösung von 7—10°/, kultiviert, nach 5—10 Tagen zerfällt das Netz vollständig, indem in fast allen Zellen Gameten gebildet werden, und die Zellen dadurch ihren Zusammenhang verlieren. Dieser Ver- such kann mit demselben Erfolg oft wiederholt werden, indess ist das Resultat nicht in allen Versuchen das gleiche, die vorher in Nähr- lösung kultivierten Netze erzeugen z. B. in derselben Zuckerlösung Zoosporen. Es kommt vor allem darauf an, unter welchen Umständen die Netze vor dem Versuch gelebt haben und man kann diese Um- stände so regeln, dass die Netze in eine geschlechtliche Stimmung kommen. Wenn man frische Netze in niedrigen Glasschalen mit relativ 614 Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung. wenig Wasser an einem sonnigen Fenster kultiviert, so wird in den Zellen die Neigung zur Gametenbildung gesteigert. Es kann dahin kommen, dass in dem Wasser schon die Gametenbildung beginnt; gleichgiltig ob das stattfindet oder nicht, in jedem Falle ruft bei solehen Netzen die Zuckerlösung die lebhafteste Gametenbildung her- vor, und der Versuch gelingt auch noch, nachdem in der Wasser- kultur die etwa begonnene Gametenbildung wieder aufgehört hat. Bei so kultivierten Netzen kann selbst in Maltose die Erzeugung der Gameten lebhaft vor sich gehen. Der Einfluss der Zimmerkultur lässt sich allgemein in der Weise bezeichnen, dass durch dieselbe das Wachstum zum Stillstand gebracht, dagegen die Erzeugung organischer Substanz mit Hilfe der Assimilation nicht behindert wird, während gleichzeitig ein gewisser Mangel an Nährsalzen eintritt. Den Einfluss der einzelnen Momente, welche bei der Zimmerkultur ineinander greifen, ihrer Bedeutung nach genauer abzuschätzen, ist bisher nicht gelungen. Bei längerer Kultur in solchen Glasschalen kränkeln die Zellen und lassen sich nicht mehr durch Zucker zur Gametenbildung zwingen. Im Gegensatz zur Zoosporenbildung erweist sich die Gameten- bildung in hohem Grade unabhängig vom Licht, da sie häufig statt- findet, nachdem die Zellen 8 oder noch mehr Tage in der Zucker- lösung und im Dunkeln kultiviert worden sind. Es wurde sogar die für ehlorophyllhaltige Zellen auffallende Thatsache beobachtet, dass in einer Kultur in verdünntem Glyzerin, selbst nach 10monatlichem Aufenthalt im Dunkeln, Zellen des Wassernetzes noch bewegliche Gameten gebildet hatten. Bei Wasserkulturen, in welchen an und für sich eine hoch gesteigerte Neigung zur Gametenbildung herrscht, scheint auch Dunkelheit als auslösender Reiz für das Eintreten der- selben dienen zu können. Infolge anderer störender Nebeneinflüsse, welche durch den Lichtmangel bedingt sind, haben die Dunkelkulturen manchmal kein Resultat, was besonders der Fall ist in den kalten Monaten von Herbst und Winter. Aus den angegebenen Thatsachen ergibt sich, dass durch be- stimmte äußere Einflüsse bald die eine, bald die andere Fortpflanzungs- art willkührlich hervorgerufen werden kann. Zur Vervollständigung der Beweisführung gehört es indess noch, dass an ein und demselben Netz, welches, wie wir wissen, aus Schwesterzellen besteht, daher aus möglichst gleichartigen Teilen zusammengesetzt ist, die vorhandene Neigung zu der einen Art der Fortpflanzung umgewandelt wird in eine solche zur andern. Ein Netz, ‚welches beginnt, in seinen Zellen Gameten zu bilden, kann man in ein zoosporenbildendes umwandeln durch die Kultur in 0,5—1prozentiger Nährlösung. In den ersten Tagen kann noch in der letztern die Gametenbildung fortgehen, während schon ein anderer Teil desselben Netzes, in frisches Wasser gebracht, Zoosporen zu bilden fähig ist. Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung. 615 Die Umwandlung eines zoosporenbildenden Netzes in ein gameten- bildendes gelingt nicht so sicher, aber immerhin noch häufig genug. Die Mehrzahl der im Sommer frisch; ins Zimmer gebrachten Netze bildet in den ersten Tagen Zoosporen; stets schlägt an demselben Netz durch die Zimmerkultur die Neigung der Zellen zur Gameten- bildung um. Im Sommer bei hoher Tagestemperatur gelingt es auch durch Kultur in Maltose oder Duleit die eine Hälfte eines Netzes zur Zoosporenbildung, die andere desselben zur Gameten- bildung zu veranlassen, indem man die erstere beleuchtet, die letztere verdunkelt. Dagegen ist eine sichere Methode bisher nicht bekannt, ein Netz, welchem durch die Nährlösung eine intensive Neigung zur Zoosporenbildung gegeben worden ist, zur geschlechtlichen Fort- pflanzung zu nötigen; nur hin und wieder haben die mannigfach variierten Versuche zu positiven Resultaten geführt. In den besprochenen Versuchen ist hauptsächlich der Einfluss solcher äußerer Bedingungen berücksichtigt worden, welche bei der Ernährung mitwirken, wie die chemische Beschaffenheit des Mediums und das Licht; andere Einflüsse, wie die der Wärme, relativer Trocken- heit, besonderer nicht ernährender Substanzen, sollen an dieser Stelle nicht besprochen werden, da die sich darauf beziehenden Beobach- tungen an Bedeutung zurücktreten, und an dem Wesentlichen nichts ändern. Das wichtigste Ergebnis meiner Untersuchung besteht darin, dass das Wassernetz keinen bestimmten aufinnern Gründen beruhenden Wechsel von geschlecht- lichen und ungeschlechtlichen Generationen zeigt, dass überhaupt keine besondern Generationen, sei es der einen oder der andern Fortpflanzungsform existieren, vielmehr besitzt jede Zelle des Netzes die Anlagen für beide Formen, und über das jedesmalige Eintreten der- selben entscheiden die äußern Bedingungen. Man kann in gewisser Weise die Zellen mit jenen enantiotropen Substanzen wie Schwefel, Salpeter ete. vergleichen, welche in zweierlei Formen vor- kommen und welche die eine oder die andere annehmen je nach den äußern Bedingungen. Mit diesem Vergleich soll nur so viel gesagt werden, dass in beiden Fällen die Fähigkeit, in verschiedenen Formen aufzutreten, in der spezifischen, unerklärlichen Natur, sei es der Zelle oder der Substanz des Schwefels ete. begründet ist, dass aber die Entscheidung darüber, welche Form angenommen wird, von der Außen- welt abhängt. Das Verhalten des Wassernetzes in der freien Natur lässt sich, so weit dasselbe überhaupt bekannt ist, ohne weiteres verstehen mit Berücksichtigung der Resultate meiner Versuche, ohne dass es mög- lich wäre, in jedem einzelnen Fall die Verschiedenheit des Verhaltens auf die Verschiedenheit der äußern Bedingungen des Standortes zweifellos zurückzuführen, weil es sehr schwierig ist, die letztern in 616 Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung. ihrer Beziehung zum Wassernetz richtig zu beurteilen. Im allgemeinen herrscht im Laufe des Sommers bei lebhafter Vegetation d. h. dem richtigen Verhältnis von Ernährung und Verbrauch in den Netzen die Neigung vor, Zoosporen zu bilden. Das schließt jedoch nicht aus, dass mitten im Sommer, vielleicht wegen zu starker Hitze, geringem Wechsel des Wassers u. dgl. so lebhafte Gametenbildung eintritt, dass die Alge mit Ausnahme der Zygoten verschwindet. Gegen den Herbst hin waltet bei Abnahme des Wachstums in den kalten Nächten und noch lebhafter Ernährung am Tage die Neigung zur Gametenbildung vor, obwohl an manchen Stellen bis in den Winter hinein die Zoosporen- bildung ruhig weiter geht. Wie im einzelnen auch die Verhältnisse sich gestalten, so bleibt es richtig, dass der Wechsel der äußern Bedingungen im Laufe des Jahres den Wechsel der ungeschleehtlichen und geschlechtlichen Fortpflanzung bedingt. Düsing hat in seinem erwähnten Werke, Spencer folgend, sich dahin ausgesprochen, dass sehr günstige Verhältnisse, gekennzeichnet durch Nahrungstüberfluss, die ungeschlechtliche Fortpflanzung herbei- führen, dagegen ungünstige Bedingungen, wie z. B. allmähliches Ein- trocknen bei Wassertieren die geschlechtliche. Auch für das Wasser- netz kann dieser Ausspruch in gewissem Grade gelten, indess sind die Ausdrücke Gunst und Ungunst zu allgemein und zu wenig be- zeichnend, und ihrem Gegensatz entspricht nicht der Gegensatz der beiden Fortpflanzungsformen. Man könnte bei dem Wassernetz auch sagen, dass grade Nahrungsüberschuss die Ursache der Gameten- bildung ist, während ein besonders reger Stoffwechsel, welcher keinen Ueberschuss gestattet, zur Zoosporenbildung führt. Doch mag man die Sache so oder so ausdrücken, die Hauptsache bleibt, die direkten physiologischen Ursachen zu erkennen, von welchen die Entwicklung der geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Fortpflanzung abhängt und damit dem verwiekelten Problem näher zu treten, worauf eigent- lich der Unterschied der geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Fort- pflanzung beruht. In welchem Umfange die Ergebnisse der Untersuchungen am Wassernetz zu verallgemeinern sind, hängt ganz von besonders dafür angestellten Versuchen ab. Bei keiner Alge ist ein durch Vererbung fixierter Generationswechsel thatsächlich nachgewiesen worden; man hat einfach auf alle Arten, welche zweierlei Fortpflanzungsweisen zeigen, jenes Schema des Generationswechsels übertragen, welcher von Hofmeister für Moose und Farne erkannt worden war. Höchst wahrscheinlich greift die Außenwelt bei Algen wie Oedogonium, Vau- cheria, Ulothrix etc. direkt in die Fortpflanzung ein, reguliert das Auftreten der beiden Formen derselben. Es ist jedoch nicht anzu- nehmen oder zu erwarten, dass sich diese Algen nach allen Bezieh- ungen so verhalten wie Hydrodictyon; es ist wohl möglich, dass sogar bei manchen Algen die Fortpflanzung ihren bestimmten, durch Ver- Godlewski, Nachtrag zu dem Aufsatz über Etiolierungserscheinungen. 617 erbung festgesetzten Weg einschlägt, doch das muss erst unzweifel- haft nachgewiesen werden. Ebenso werden bei vielen niedern Tieren diese Fragen mit erneutem Eifer aufzunehmen sein, und es wird ver- sucht werden müssen, sie auf experimentellem Wege zu lösen. Die von Düsing gesammelten Beobachtungen über die Vermehrung der Blattläuse, Rotatorien ete. weisen zu lebhaft ‘darauf hin, dass die Außenwelt von wesentlichstem Einfluss für die Fortpflanzung ist. Selbst die Daphniden müssten von neuem geprüft werden, ob nicht bei anderer Versuchsanstellung und größerer Variation der Versuche ein anderes Resultat zu gewinnen ist, als es Weismann erhalten hat. Jeden- falls bietet sich in der Untersuchung des direkten Einflusses der Außenwelt auf die Fortpflanzung der Organismen für Zoologen wie Botaniker ein großes Forschungsfeld dar, dessen Bearbeitung interes- sante Ergebnisse erwarten lässt, welche mit den höchsten Fragen der biologischen Wissenschaften in engstem Zusammenhange stehen. Nachträgliche Berichtigung zu dem Aufsatz: „Ueber die biologische Bedeutung der Etiolierungserscheinungen“. Von E. Godlewski in Dublany bei Lemberg. In meinen kürzlich im „Biologischen Centralblatt“ erschienenen Artikel über Etiolierungserscheinungen sagte ich: „kein Forscher so viel ich weiß, hat bis jetzt die Frage aufgeworfen, ob diese Etio- lierungserscheinungen von irgend welcher Bedeutung für das Pflanzen- leben sind“. Durch einen gefälligen Brief des Herrn Prof. Errera wurde ich aber nun darauf aufmerksam gemacht, dass Böhm bereits im Jahre 1886 in einer kleinen populären Arbeit „Die Nährstoffe der Pflanze“ eine ähnliche Meinung wie ich jetzt über Etiolierungserschei- nungen geäußert hat. Da ich glücklicherweise durch die Güte des Herrn Prof. Böhm im Besitze dieser seiner Arbeit bin, so bin ich im stande und halte es für meine angenehme Pflicht die betreffende und leider von mir übersehene Stelle dieser Arbeit hier nachträglich wörtlich mitzuteilen: „Solehe bei Lichtabschluss gezogene Pflanzen“ sagt Böhm „haben zudem einen ganz fremdartigen Habitus: die Stengel derselben werden, gleichsam als wollten sie das Licht suchen, sehr lang, während die Blätter, so wie bei chlorophylllosen Schmarotzer- pflanzen z. B. der Schuppenwurz, sehr klein bleiben. Die grünen Blätter fungieren in erster Linie als Assimilationsorgane; chlorophyll- lose Blätter nützen der Pflanze nichts. Das unter normalen Verhält- nissen für die Blattbildung bestimmte Baumaterial wird bei im Dunkeln gewachsenen Pflanzen besser zur Stengelverlängerung verwendet, um es denselben vielleicht doch zu ermöglichen das Licht zu erreichen“. In diesem Passus ist der Gedanke, welchen ich in meiner Arbeit zu entwickeln versucht habe, ganz deutlich angedeutet. 618 Baur, Bemerkungen über die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. Nachträgliche Bemerkungen über die systematische Stellung von Dermochelys Blainv. Von Dr. G. Baur, New-Haven, Oonn. Seitdem meine Notiz über Dermochelys in dieser Zeitschrift er- schienen ist (Bd. IX, Nr. 5 u. 6, 1. u. 15. Mai 1889) habe ich Bou- lenger’s!) „Catalogue of the Chelonians“ erhalten (1. Juni 1889). Boulenger bleibt seiner alten Anschauung treu; die Dermochely- didae erscheinen als eine besondere „Suborder Athecae“, welcher alle übrigen Schildkröten, nach dem Vorgange Dollo’s, als „Thecophora“ gegenübergestellt werden. Für Dermochelys werden einige neue Charaktere angegeben. Er schreibt: „The external bony nostril is very large and situated entirely upon the upper surface of the skull in front of the orbits“. Ich habe 2 Schädel von Dermochelys und 5 von Colpochelys?) vor mir, bei beiden sind die Verhältnisse in der Lage der äußern Nasenöffnungen sehr wenig verschieden. Bei allen liegen diese Oeffnungen oben und vorne, aber nicht ganz oben, wie Boulenger von Dermochelys angibt. Dann findet sich folgende Bemerkung. „The lower border of the postfrontal joins the jugal and the squamosal, and contrary to what exists in the Chelonidae is separated from the quadratojugal by the two latter bones“. Genau dieselben Verhältnisse finde ich bei zwei Exemplaren von Chelone mydas L. Bei diesen steht das Squamosum mit dem Jugale in Verbindung, wodurch die Berührung des Post- frontale mit dem Quadratojugale verhindert ist. Also auch diese Charaktere kommen bei den Cheloniidae vor. In einer Besprechung der Boulenger’schen Schildkröten schließt sich Lydekker den Ansichten Boulenger’s an (Nature, vol. 40, Nr. 1, 1889, p. 5—7, 2. May 1889). Er findet die Abtrennung von Dermochelys in einer Unterordnung vollkommen gerechtfertigt und ist der Meinung, dass die Abwesenheit der absteigenden Fortsätze der Parietalia allein schon hinreichenden Grund für diese Isolierung böte. 1) Boulenger, George Albert, Catalogue of the Chelonians, Ryncho- cephalians and Crocodiles in the British Mussum. London 1889. 2) Boulenger betrachtet Colpochelys als eine Species von Thalassochelys. Dass Colpochelys ein „gutes Genus“ ist, wird die folgende Charakteristik des Schädels von Thallassochelys und Colpochelys beweisen. (Andere Unter- schiede habe ich Zool. Anz., Nr. 285, 1888, aufgeführt.) Thalassochelys. Colpochelys. 1. Augenhöhle begrenzt von: 1. Augenhöhle begrenzt von: Praefrontale, Postfrontale, Jugale, | Praefrontale, Frontale, Postfrontale, Maxillare. Jugale, Maxillare. 2. Maxillaria treffen sich in der Mittel- 2. Maxillaria treffen sich nicht in der linie. | Mittellinie, sie werden durch den Vomer | getrennt. Haeckel, Radiolarien. 619 Dann gebraucht er folgende Worte: „we should much like to ask that authority |Baur] how he would explain the appearance of trans- verse processes to the dorsal vertebra of one of the extinet Athecae on his own hypothesis of their phylogeny“. Ich schrieb sofort, nach- dem ich die Notiz gelesen an Herrn Lydekker, dass ich ihm sehr dankbar wäre, wenn er mir eine genaue Beschreibung des betreffenden Dorsal- Wirbels geben würde. Die erklärende Antwort wurde auch alsbald gegeben. Die fossile Form, die einen solchen Wirbel besitzen sollte, war Protostega Cope. Ein von Cope beschriebener procöler Wirbel mit „transverse process“ wurde irrtümlicher Weise von Ly- dekker als Dorsalwirbel betrachtet, während er nun als Halswirbel erkannt wird. Somit ist auch dieser Einwurf beseitigt. Auch gegen den Namen Dermochelys macht Lydekker Ein- wendungen, indem er meint, er müsste durch Dermatochelys ersetzt werden. Er übersah meine Notiz im Zoologischen Anzeiger, Nr. 270, 23. Jan. 1888, in der ich nachwies, dass selbt Aristoteles deouonreoog für deouarontegog gebraucht. Dass die alte Anschauung über die systematische Stellung von Dermochelys von Gray, Rütimeyer, Huxley, Vaillant u. s. w. die ich vertrete, die natürliche, folglich die richtige ist, dürfte jetzt wohl jeder unbefangene Forscher zugestehen; nur blinde Uebereilung und dadurch bedingte Verkennung der wahren genetischen Verhält- nisse konnte zu einer andern Anschauung führen. Eine neue Stütze hat unsere Ansicht durch Eosphargis gigas Owen erhalten, die vor KurzemvonLydekker einer erneuten Untersuchung unterworfen wurde. Diese Form scheint in der Mitte zwischen Dermochelys und Protostega zu liegen. Mit Dermochelys und Psephophorus hat sie die Abwesen- heit der absteigenden Fortsätze der Parietalia, mit Protostega die Anwesenheit abgelöster Neuralia und wahrscheinlich auch Peripheralia und die Abwesenheit mosaikartiger Verknöcherungen gemein. E. Haeckel, Die Radiolarien (Rhizopoda Radiaria). III. und IV. Teil. (Acantharia und Phaeodaria). Dieses mit 42 Tafeln ausgestattete Werk ist eigentlich aus dem Challenger-Report Haeckel’s über die Radiolarien entnommen. Die Tafeln sind dieselben. Es bildet einen Anhang zu der alten Radio- larienmonographie Haeckel’s und zugleich den Abschluss derselben. Der Text ist nicht .ausgedehnt, er erstreckt sich nur über 62 Seiten (groß 4). Der erste Teil der Arbeit, 31 Seiten und 12 Tafeln, beschäftigt sich mit den Acantharien. Die Acantharien, zu denen die alt bekannte Acanthometra ge- hört, unterscheiden sich von allen andern Radiolarien vorzüglich im Bau des Skeletts. Dieses besteht nämlich ursprünglich aus Nadeln, 620 Haeckel, Radiolarien. die in der Mitte zusammenstoßen. Die Nadeln bestehen nicht aus Kieselsäure, sondern aus einer organischen Substanz, welche Haeckel Acanthin nennt. Sie sind mit den radialen Axenstützfäden von Ac- tinosphaerium direkt vergleichbar. Der Körper dieser Tiere besteht aus einer Zelle, welche in der Jugend einen Kern besitzt. Früher oder später teilt sich dieser Kern und ältere Individuen besitzen ausnahmslos zahlreiche Kerne. Das Protoplasma erfüllt die siebförmige Zentralkapsel. In der- selben sind auch die Kerne enthalten. Nach außen — durch die Poren der Kapsel — entsendet das Plasma zahlreiche Fortsätze, welche sich mit einem Netz von Plasmafäden in Verbindung setzen, das außerhalb der Kapsel zwischen den Radialstrahlen des Skelets ausgebreitet ist. Die Maschen dieses Netzes sind erfüllt von Gallerte. Von den oberflächlichsten Fäden, welche die ganze plasma -durch- setzte Gallertschieht an der äußern Oberfläche überspinnen, erheben sich die radialen, fadenförmigen, protoplasmatischen Pseudopodien. Die stets einfache, 0.03—1.5 mm weite Zentralkapsel ist aus- nahmslos zur Zeit der Sporenbildung vorhanden. Bei gewissen Formen, unter andern auch bei Acanthometra, fehlt sie aber in der Jugend. Meist ist sie kuglig, seltner verlängert oval, oder platt- gedrückt, linsenförmig. Selten besitzt sie kolbige Divertikel. Sie wird von zahlreichen gruppenweise angeordneten Poren durchbrochen. Osculum und Opereulum fehlen. Der Nucleus liegt exzentrisch und zeichnet sich durch besondere Formen lappenartiger Knospung aus. Das Endoplasma zerfällt in pyramidenförmige, radial angeordnete Stücke. Ihre Basalflächen entsprechen den Zwischenräumen zwischen den Porengruppen der Zentralkapsel. Dem endokapsulären Plasma sind in der Regel Zooxanthellen eingelagert. (Bei andern Radiolarien kommen diese gelben Zellen nur im extrakapsulären Plasma vor). Die Pseudopodien, welche frei von der äußern Oberfläche des Gallertmantels aufragen, sind zweierlei Art: zarte und veränderliche ohne Axenfaden, und konstante, nicht zurückziehbare mit einem Axenfaden. Der letztere dürfte aus Acanthin bestehen. Da die Ra- dialstacheln des Skeletts in der Jugend in ähnlicher Weise mit Plasma überzogen sind wie die Axenfäden dieser Pseudopodien, so könnte man die Stacheln als weiterentwickelte Axenfäden ansehen. Eine besonders interessante Bildung sind die Myophrisken, zarte kontraktile Fäden, welche ziemlich hoch an den Radialstacheln — außerhalb des Gallertmantels — geheftet sind und von hier aus- strahlend zur Oberfläche der Gallerte hinabziehen. Die Myophrisken können sich rasch kontrahieren und die Gallerte an den frei auf- ragenden Stacheln "emporziehen. Das Volumen des ganzen Tieres wird hiedurch vergrößert. Diese Vergrößerung geht mit einer Wasser- aufnahme von seiten der Gallerte Hand in Hand. Nun meint Haeckel, Haeckel, Radiolarien. 921 dass hierdurch das spezifische Gewicht des ganzen Tieres verringert und dieses demzufolge im Wasser emporsteigen würde. Ich muss gestehen, dass es mir den Eindruck macht, als ob diese Anschauung mit den Gesetzen der Statik nicht in Einklang zu bringen ist, denn: ist das Tier ursprünglich schwerer wie Wasser, so wird keine Wasseraufnahme und entsprechende Volumvergrößerung es leichter als Wasser zu machen vermögen; ist es umgekehrt ur- sprünglich leichter wie Wasser, so wird keine Wasseraufnahme und entsprechende Volumvergrößerung es schwerer wie Wasser machen können. Das Skelett besteht aus radialen Acanthinstacheln. Die meisten Formen haben 20 solehe Stacheln, welche nach dem Müller’schen Gesetz zu je vier in 5 Parallelkreisen angeordnet sind und alle in drei unter 45° sich schneidenden Meridianalebenen liegen. Alle Stacheln sind entweder unter einander kongruent, oder es sind die Aequatorialstacheln — des größten, mittlern Ringes — größer wie die andern, unter sich kongruenten Stacheln. Häufig sind dann noch zwei gegenüberstehende Aequatorialstacheln stärker als die beiden andern, oder es sind zwei gegenüberstehende Stacheln einander gleich, die beiden andern aber von diesen und unter einander verschieden. Bei jenen Formen, welche nicht zwanzig Stacheln haben, sind dieselben in der Regel unregelmäßig über die Oberfläche zerstreut. Die primitivste Form von diesen Adelacanthen (im Gegensatz zu den Icosacanthen mit 20 Stacheln) dürfte Actinelius sein, bei welcher sehr zahlreiche, unregelmäßig angeordnete, jedoch unter einander kon- gruente Stacheln vorhanden sind. Bei Astrolophus finden sich zahl- reiche kleine und dazwischen wenige große Stacheln, alle regellos angeordnet. Bei den Litholophidae sind die Stacheln auf einen Qua- dranten oder Octanten der Oberfläche beschränkt. Bei Actinastrum, welches den Uebergang zu den lJcosacanthen bildet, finden sich zwanzig nach dem Müller’schen Gesetz angeordnete Stacheln, und daneben noch 12 andere, welche regelmäßig den Müller’schen Stachelringen eingefügt sind. Die Stacheln stoßen im Mittelpunkte des Tieres entweder ein- fach aneinander oder besitzen an ihren Proximalenden flügelförmige Anhänge, mittels welcher sie sich fester aneinander schließen. Sie können auch untereinander verwachsen, und zwar alle zu einem sternförmigen Mittelstück oder die gegenständigen paarweise. Im letzteren Falle sind die durch Konkreszenz gebildeten, das Tier diametral durchsetzenden Doppelstrahlen entweder grade und gehen aneinander vorüber, oder sie sind in der Mitte schraubig gewunden, wodurch eine festere Aneimanderlagerung der einzelnen Doppel- strahlen zu stande kommt. Dies ist bei Chiastolus der Fall. Trotz der großen Mannigfaltigkeit in der Gestalt der Skelett- stacheln lassen sie sich doch in drei Gruppen ordnen: a) solche mit 629 Haeckel, Radiolarien. kreisrundem; b) solche mit ovalem oder lanzettförmigem; und e) solche mit viereckigem Querschnitt. Die meisten Stacheln verschmälern sich gegen das Ende hin und sind zugespitzt. Selten sind sie distal kolbig verdickt, abgestutzt, oder gabelförmig in zwei Spitzen ausgezogen. Nur bei 16 von den 65 Gattungen der Acantharia entbehren die Radialstacheln jeglicher Fortsätze, bei allen andern kommen solche Anhänge vor, welche entweder zweireihig und gegenständig, oder vierreihig und kreuzständig angeordnet sind. Haeckel nennt diese Fortsätze einfach Apophysen, sie sind einfach ästig oder gegittert. Die Gitterschalen sind durch ihren centrogenen Ursprung charak- terisiert. Bei Cenocapss fehlen die Radialstäbe (Proximalteile der Stacheln), welche bei allen andern Gattungen eine dauernde Ver- bindung zwischen Gitterschale und Zentrum herstellen. Bei den Sphaerocapsiden besteht die Gitterschale aus zahlreichen kleinen, häufig von einem Porenkanal durchbohrten Stücken, die wie Pflaster- steine neben einander liegen. Bei den Dorataspiden besteht die Schale dementgegen aus tangential ausgebreiteten Apophysen der Radialstacheln. Meist ist die Gitterschale kuglig, bei allen jenen Formen näm- lich, welche kongruente Radialstacheln besitzen. Wo die Stacheln ungleich sind (siehe oben), passt sich die Gitterschale der Form nach in der einen oder andern Weise an diese Unregelmäßigkeit an und verliert ihre Kugelgestalt. So kommen ellyptische, linsenförmige oder gar sanduhrförmige Gitterschalen zu stande. Da die Gitterschale meist durch Verschmelzung grader Apophysen, die rechtwinklig zu einander liegen und vertikale Zweige abgeben, entsteht, so sind die Netzmaschen ursprünglich meist vierseitig, häufig quadratisch und in nächster Nähe der Radialstacheln größer und regelmäßiger wie in den Intervallen. Von der äußern Oberfläche der Gitterschale, welche bei den Icosacanthen aus 20 ebenen, zu den zugehörigen Stacheln senkrechten Flächen besteht, erheben sich zahlreiche vertikale Nebenstacheln, welche den Hauptradialstacheln parallel liegen. Von der Gitterschale strahlen also bei diesen Formen zwanzig Büschel von Stacheln aus. Die Stacheln eines Büschels sind unter einander parallel. Die Neben- stacheln sind kleiner wie die Hauptstacheln, meist sehr zart, oft zick- zackförmig gekniekt, mit Widerhacken an den Knickungsstellen, oder seltner dichotomisch verzweigt. Der ganze Inhalt der Zentralkapsel verwandelt sich in Sporen, worauf das Tier abstirbt. Es ist die Zentralkapsel selbst als Sporangium aufzufassen. Die Sporen besitzen einen Kern, häufig Fetttropfen und einen wetzsteinartigen Krystall. Das Plasma produziert eine oder mehrere Geißeln. So schwimmt das junge flagellatenähnliche Tier herum. Seine Form ist oval und es hält 0,004—0,008 mm im Durch- messer. Ueber die Metamorphose liegen keine Beobachtungen vor. Haeckel, Radiolarien. 623 Haeckel teilt die Gruppe der Acantharia in vier Ordnungen mit je drei Familien, wie folgt: I. Ordo. Actinelida. Radialstacheln in wechselnder Zahl, nicht nach Müller’s Gesetz an- geordnet, ohne Gitterschale: 1. Astrolophidae. 2. Litholophidae. 3. Chiastolidae. II. Ordo. Acanthonida. 20, nach Müller’s Gesetz angeordnete kongruente Radialstacheln. Gitterschale vollständig: 4. Astrolonchidae. 5. Quadrilonchidae. 6. Amphilonchidae. III. Ordo. Sphaerofracta. 20, nach Müller’s Gesetz angeordnete kongruente Radialstacheln. Gitterschale vollständig, kugelförmig: 7. Sphaerocapsidae. 8. Dorataspidae. 9. Phractopeltidae. IV. Ordo Prunophracta. 20, nach Müller’s Gesetz angeordnete, ungleiche Stacheln. Gitter- schale nicht kuglig: 10. Belanaspidae. 11. Hexalaspidae. 11. Diploconidae. Die Acantharien kommen in allen Meeren vor. Häufig treten sie in großen Schwärmen, an der Oberfläche oder auch in größern Tiefen auf. Die Acanthometren scheinen seichtes Wasser, die Acanthaphracten hingegen abyssale Tiefen, von 2000—3000 Metern, zu lieben. Am meisten sind Acantharien im tropischen Teile des pacifischen Ozeans gefunden worden. In dem zweiten Teile der Arbeit, behandelt Haeckel die Gruppe der Phaeodarien. Die Phaeodarien sind Radiolarien mit doppelter Kapselmembran, mit einer Hauptöffnung und häufig zwei Nebenöffnungen am entgegen- gesetzten Pole. Ein voluminöser Pigmenthaufen bedeckt die erstere. Das fast immer vorhandene Skelett ist kieselig und von sehr kom- plizierter Gestalt. Es besteht häufig aus röhrenförmigen Teilen. Stets liegt es außerhalb der Zentralkapsel. Die verschiedenen Skelettformen weisen auf eine polyphyletische Abstammung hin. In der Regel halten die Phaeodarien 1—2 mm im Durchmesser, es gibt jedoch einzelne Formen mit 20—30 mm Durchmesser. Die Phaeodarien sind stets einzellig. Der 0,1—0,2mm große Kern bleibt bis unmittelbar vor der Sporenbildung einfach. Der Inhalt der Zentralkapsel, sowie der Gallertmantel, welcher diese umgibt, stimmen im Bau mit den entsprechenden Teilen der Acantharien (siehe oben) überein. Wie oben erwähnt, ist die Zentralkapsel doppelt. Die äußere Membran ist bei weitem stärker als die innere. Beide erscheinen 624 Haeckel, Radiolarien. strukturlos, obwohl man an der erstern zuweilen mit starker Ver- größerung eine schwache Punktierung zur Anschauung bringen kann. Nur an den Oeffnungen der Kapsel hängen die beiden Kapselmem- branen unter einander zusammen. Die Hauptöffnung in der Zentral- kapsel wird durch einen eigentümlich gebauten Deckel verschlossen. Es ist der sogenannte Strahlendeckel (opereulum radiatum); derselbe hat die Gestalt eines Sternhofes, aus dessen Mitte sich eine rüssel- artige Röhre erhebt. Es scheint, dass bei vielen Phaeodarien der Nucleus vor der Sporenreife aufgelöst wird, und dass sich seine zahlreichen Nucleoli direkt in die Kerne der Sporen verwandeln. (? d. Ref.) Das Endoplasma ist häufig in eine granulöse Mark- und eine fibrilläre Rindenmasse differenziert. In der Umgebung der Oeffnungen sind die Streifen der Rindenlage am deutlichsten entwickelt und radial angeordnet. Sie sollen muskulös sein und die Oeffnungen zu erwei- tern vermögen. Die Pigmentmasse (Phaeodium), welche sich über der Haupt- öffnung der Zentralkapsel ausbreitet und sich häufig in Gestalt einer konvex-konkaven Linse der Kapsel anschmiegend, weithin erstreckt, besteht aus zahlreichen sehr dunklen, größern und kleinern Pigment- körnern. Der Rüssel des Operceulum durchsetzt diese Pigmentschicht an ihrer dieksten Stelle. Das Phaeodium ist ebenso voluminös, oder noch voluminöser als die Zentralkapsel. Es ist ausnahmslos vorhanden. Die physiologische Bedeutung desselben ist nicht bekannt. Haeckel meint, dass es zu der Ernährung in Beziehung stehen dürfte. Das Skelett ist stets extrakapsulär. Bei den Phaeodinidae fehlt es vollständig, bei den andern Familien der Phaeocysten-Ordnung be- steht es aus isolierten Stücken, Käppchen oder Röhren. Bei den andern Ordnungen finden sich Gitterschalen. Diese sind in der Ord- nung Phaeosphaeria regelmäßig kuglig. Bei den Phaeogromien ist eine Hauptaxe mit zwei verschiedenen Polen zu erkennen. Die Gitter- schalen dieser Phaeodarien sind Ei-, Kegel- oder Helm -förmig. Die Ordnung Phaeoconcha ist charakterisiert durch den Besitz zweiklappiger Gitterschalen. Bei den Conchariden sind die beiden Klappen einfach, bei andern Formen wachsen aber Röhren aus denselben hervor, welche sich verzweigen und durch Anastomosen ihrer Aeste außerhalb eine zweite zweiklappige Schale erzeugen. Zwischen den beiden Klappen findet sich in allen Fällen eine offene Spalte, in welcher die Oeff- nungen der Zentralkapsel ausmünden. Die Radialstacheln sind dünnwandige, gallerterfüllte Röhren. In der Axe verläuft zuweilen ein dünner Axenfaden, der durch trans- versale Fäden mit der Röhrenwand verbunden ist. Bei den Medu- sitten werden die Röhren durch transversale, von je einem feinen Loch durchbrochene Septen in Kammern geteilt. Zahl und Anordnung der Radialstacheln sind meist variabel, nur selten determiniert. Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 625 Ueber die Ontogenie ist wenig bekannt; die Phaeodarien ver- mehren sich auch durch Teilung. Haeckel teilt die Gruppe der Phaeodarien in 4 Ordnungen mit 15 Familien, wie folgt: I. Ordo. Phaeocystina. Skelett fehlt oder besteht aus isolierten Stücken: 1. Phaeodinidae. 2. Cannorrhaphidae. 3. Aulacanthidae. I. Ordo. Phaeosphaeria. Mit kugliger, selten ovaler oder scheibenförmiger Gitterschale, ohne Hauptaxe: 4. Orosphaeridae. 5. Sagosphaeridae. 6. Aulosphaeridae. 7. Canno- sphaeridae. III. Ordo. Phaeogromia. Mit monaxaner, meist eiförmiger Gitterschale, mit Hauptaxe, an deren einem Ende die Mündung liegt: 8. Challengeridae. 9. Medusettidae. 10. Castanellidae. 11. Circoporidae. 12. Tuscaroridae. IV. Ordo. Phaeoconchia. Die Gitterschale besteht aus zwei getrennten, muschelähnlichen Klappen: 13. Concharidae. 14. Ooelodendridae. 15. Coelographidae. Die Phaeodarien kommen in allen Meeren in großen Schwärmen vor, doch sind sie in den Tropen zahlreicher wie in gemäßigten und kalten Zonen, und in großen Tiefen häufiger, wie in seichtem Wasser. R. v. Lendenfeld. Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? (Histologisches und Histogenetisches.) Von Dr. Stefan Apäthy, Privatdozent in Budapest. (Schluss.) Beenden wir aber erst die Schilderung der typischen Nervenspindel. Die Nervenspindeln besitzen zwar eine ziemlich große Dehnbar- keit, was teilweise nur durch den welligen Verlauf der Primitiv- fibrillen ermöglicht wird; sie haben aber an und für sich eine sehr geringe Elastizität. Die größte hat unter ihren möglichen Bestand- teilen noch ihre Zellmembran, die geringste die Primitivfibrillen selbst; daber ihr welliger Verlauf. Beinahe alle jene Erscheinungen, welche durch die Elastizität der Nervenfasern bedingt zu sein scheinen, sind durch das interstitielle Bindegewebe, in welchem einzelne Nerven- ästchen, Reihen von Nervenspindeln selbst, oder Verzweigungen der IX, 40) 626 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? Spindeln, eingebettet verlaufen, oder durch das Neurilemm im alten Sinne, welches die Spindelreihen (Nervenfasern) zu Bündeln zusammen- hält. Man sieht ja an ganz graden Nerven, welche sogar gestreckt erscheinen, dass die Nervenfasern selbst sehr wellig und gewunden verlaufen. Hätten sie eine gleiche Elastizität, wie das Neurilemm, so würden sie sich verdickt in demselbem Maße verkürzt haben, aber grade liegen, wie dies in sehr gestreckten Nerven der Fall ist. Die leitende Substanz zeigt, in frischem Zustande am auffallendsten und auch nach gewissen Behandlungen in Dauerpräparaten eine mehr oder weniger starke Doppelbrechung. Diese Doppelbrechung ist an sogenannten nackten Nervenfasern nicht weniger als an den soge- nannten markhaltigen Nervenfasern, und an den kleinern Aesten ebensogut wie an größern Stämmen nachweisbar. Sie kann nicht von der bindegewebigen Hülle der Nerven berrühren, denn sie ist auch an vereinzelten, isolierten und hüllenlosen Nervenfasern resp. Aestehen der Nervenspindel wahrnehmen (Pontobdella); sie kann auch nicht Eigenschaft des Axenprotoplasmas oder Zellsaftes sein, denn ihre Intensität steht mit der relativen Masse des letztern in keinem Zu- sammenhang, und sie nimmt an Aestchen, welche wie schon früher erwähnt, keinen solehen Axenteil mehr besitzen, keineswegs ab. Es sind auch, im Gegensatz zu den Muskelprimitivfibrillen, nicht die Nervenprimitivfibrillen, welche das Licht doppelt brechen; denn diese sind bei gekreuzten Nicols dunkel; doppel- breehend ist die interfibrilläre Substanz, und zwar das darin enthaltene Myelin. Man sieht am abgeschnittenen Ende eines jeden Nervenstammens die doppelt brechenden Myelinformationen her- vorquellen. Besonders schön sah ich dies an Nerven von Aplysia. Anderseits wird die Doppelbrechung nach Behandeln mit Reagentien, welche Myelin lösen oder stark verändern, vollkommen eingebüßt. (Balsampräparate, Paraffinschnitte.) — Eine erwähnungswürdige Er- scheinung ist schließlich, dass die Doppelbrechung dann am stärksten ist, wenn man die Nerven vertikal auf ihre Hauptaxe betrachtet, gar nicht vorhanden ist sie, wenn man den Nerv parallel mit seiner Haupt- axe ansieht, also auf Querschnitten (es genügen optische) über den frischen Nerv, oder an Stellen, wo der Nerv im Präparat in diesem Sinne gekniekt ist. (Das Gesagte bezieht sich natürlich bloß auf solche Fälle, wo die ursprüngliche Anordnung des Myelins im Nerv wenig geändert ist, wo also noch keine Myelinformationen aufge- treten sind.) Besprechen wir nun die verschiedenen Gestaltungen, in welchen die Nervenspindeln bei verschiedenen Tieren auftreten. Größe und Dimensionen der Nervenspindeln. Es möge genügen dem schon Gesagten noch folgendes beizufügen. Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 697 Die kleinsten Nervenspindeln des erwachsenen Organismus fand ich bei Mollusken. Bei Aplysia stehen zum Beispiel die Kerne der Nervenfasern (in den Längskommissuren), in jeder bloß eine Reihe von einander in einer Entfernung von ungefähr — denn eine genaue Bestimmung ist sehr schwer — 200—300 u; die größte Dicke der Spindeln ist kaum 3 «. Die entsprechenden Abschnitte der Remak’- schen Fasern der Wirbeltiere und Nervenfasern von Insekten in den Rückenmarkskommissuren sind zwar kürzer, aber bedeutend dicker, bis 6 «.. Die Dimensionen der markhaltigen Nerven der Wirbeltiere sind wohl bekannt. Abschnitte mit je einem Kern können bei Rochen 7 mm lang sein, mit einer Breite von 30 u (Ranvier). Ihre Größe wechselt bei demselben Wirbeltiere zwischen sehr weiten Grenzen; bei Insekten und Mollusken ist sie ziemlich konstant, für die betreffende Art bei- nahe charakteristisch. Bei den von mir untersuchten Crustaceen ist die Länge der entsprechenden Nervenspindel nicht zu bestimmen, oder höchstens in den dünnsten unter den Nervenröhren, welche z. B. eine Längskommissur zusammensetzen; in den diekern Röhren befinden sich Kerne in mehreren Reihen, unregelmäßig verteilt. Die größten, wirklich kolossalen Nervenröhren habe ich bei Palinurus von einer Dieke von 300, bei Penaeus von 200 « gefunden. Neben diesen sind aber in denselben Kommissuren auch solche, welche nicht dicker als 5—6 u sind. Jene großen sind aber, wie erwähnt, mehrzellige Nerven- spindeln. Diesen gegenüber können die Nervenspindeln der Hirudineen, welche je eine Längskommissur bilden, kaum besonders groß er- scheinen; ihre Dieke ist auch bei Pontobdella kaum je mehr als 80 u; ihre Länge ist dem entsprechend mindestens 20 mm, denn ungefähr so lang kann ein gestrecktes Somit der größern Pontobdella-Exemplare sein. Sie sind also nicht mehr als 3 mal so diek und 3—4 mal so lang als die oben erwähnten Faserabschnitte von Torpedo, welche den Kommissuren der Hirudineen auch an Zellenwert gleich, ebenfalls eine Zelle sind. Wie lang aber einzelne Primitivfibrillen solcher - Nervenspindeln von Hirudineen sein können, kann man kaum ermessen; jedenfalls länger als das Somit selbst; denn ein großer Teil ihrer Verzweigungen scheint nicht im Ganglion, wo sie sich verbreiten, zu endigen, sondern geht aus diesen mit den Seitennerven weiter hinaus, ja es gehen sogar gewisse Gruppen dieser Verzweigungen grade durch das Ganglion und münden in die entsprechende Kommissur des vor- hergehenden oder des folgenden Somits ein. Jedenfalls sind aber diese Kommissuren von Pontobdella die größten einzelligen Nerven- spindeln, welehe bisher beobachtet worden sind. Form, Gliederung und Verlauf der Nervenspindeln. An Nervenspindeln habe ich außer den bekannten drehrunden, welche dickere oder dünnere, oft fadenförmig dünne, kürzere oder längere Zylinder bilden, bandartig abgeplattete und solche gefunden, welche, weil sie sehr kurz und an beiden Enden sehr verästelt sind, eigent- 40* 628 Apäthy, Nach welcherRichtung hin soll dieNervenlehre reformiert werden ? lieh sternförmig genannt werden müssen. (Man verzeihe mir das Paradoxon einer sternförmigen oder bandartigen Spindel!) Um eine große Auswahl dieser Formen zu finden, müssen wir wieder die Hirudineen und besonders das so günstige Untersuchungsobjekt, Pon- tobdella, herbeiziehen. Aeußerst abgeplattet, bis 60 « breiter Bänder bildend, sind die Verästelungen der Seitennerven von Pontobdella gleich nach dem Heraustreten aus dem Geflechte, welches die großen Leydig’schen Zellen umgibt. Sternförmige Nervenzellen sind jene 4, welche das Röhrenchengeflecht (die frühere Punktsubstanz) in jedem Bauchganglion bilden. Zwei davon liegen schon früh in der Mittellinie, je eine rechts und links von diesen. Einige dieser sterniörmigen Nervenzellen wurden bereits von mehrern als große multipolare Ganglienzellen beschrieben; sowohl ihre Beschaffenheit als auch ihre Entstehung von derselben Zellen- reihe, von ähnlichen Zellen, wie die, welche den Längskommissuren selbst, die doch in jeder Klasse der Wirbellosen die ihr am charak- teristischen Nervenfasern enthalten, den Ursprung gegeben haben, beweist, dass sie keine Ganglienzellen, sondern den Ranvier’schen Abschnitten, einzelnen Nervenspindeln gleichmäßig sind. Während der Querschnitt der Nervenspindeln der übrigen Tiere meist bloß zwischen dem Kreis und dem*längern oder kürzern Oval variiert, und eckige Formen nur unwesentlich, durch gegen- seitigen Druck spät entstanden sind, bekommen die Kommissurspindeln der Hirudineen während ihres Diekenwachstums eine ganz eigentüm- liche Gestaltung. Diese ist das Gegenstück zur merkwürdigen Glie- derung durch Längsfalten und Einkerbungen der Wand an Fasern der Längsmuskulatur von Branchelion, welche ich bereits genauer geschildert habe. Ein Unterschied ist bloß dadurch bedingt, dass sich die Gliederung des Querschnittes an den Kommissuren nicht frei entfalten kann, denn eine starke Neurilemmhülle umschließt sie bald fest; die Dehnung dieser festen Scheide geht mit dem Wachstum der ganzen Nervenspindel, namentlich mit dem der leitenden Substanz, die jedoch immer zu einer verhältnismäßig dünnen kortikalen Schichte ausgedehnt bleibt und außerhalb welcher die Nervenspindel keine Zellmembran besitzt. Nun werden die Faltungen, die Einstülpungen dieser Wand aus leitender Substanz in der Weise eng zusammen- gepackt, dass sie eine Einteilung des Spindellumens, welches mit Protoplasma und viel Zellsaft gefüllt ist und den großen ovalen Kern enthält, in radiäre Fächer bewirken. Von den Balken dieser Fächer gehen noch andere, kleinere ab, welche sekundäre und von diesen, welche tertiäre Vereinfachungen hervorrufen. Durch gegenseitiges Zusammenwachsen der benachbarten Balken, welche also alle Dupli- katuren der Wand darstellen, gegen das Zentrum zu, entstehen mehrere keilföürmige Abteilungen, welche um eine, den Kern beher- bergende zentrale Abteilung herum radiär gelagert sind, und mit Apäthıy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? 629 dieser bloß streckenweise kommunizieren. Innerhalb dieser keilför- migen Abschnitte ersten Ranges, welche auch der Entwicklung nach zuerst erscheinen, treten in derselben Weise Abschnitte zweiten und in diesen solche dritten Ranges auf. Weiter geht die Zerklüftung in dieser Weise nicht; es wachsen aber /Duplikaturen der leitenden Wand nach innen hinein, schnüren sich ab und dadurch entstehen innerhalb der größern Abteilungen feine Röhren von einem bis mehrern Mikromillimetern, welche je nach der Art und Weise der Abschnürung die ursprüngliche innere Fläche der Spindelwand bald nach innen, bald nach außen gekehrt haben und bald eine einfache, bald eine doppelte Wandung besitzen. Demgemäß sind die ihnen am Quer- schnitt entsprechenden Kreise bald mit einer protoplasmatischen Masse, bald scheinbar hohl oder zu einem kurzen Stäbchen zusammengeklappt, bald haben sie eine dieke, bald eine sehr dünne Wand. Solche in die ursprüngliche Spindel eingeschachtelte Röhrchen, welche aber mit den Nansen’schen, aus Spongioplasma bestehenden Primitivtuben nichts zu thun haben, entstehen auch während des postembryonalen Wachstums, denn{man kann bei demselben Tiere mehrere Phasen ihrer Abschnürung zusammenstellen. Der zentrale Teil der Kom- missuren verfächert sich nicht; er teilt sich aber, die Verzweigung gleich vor und hinter dem Kerne beginnend, successive in kleinere Aestchen, so dass man in weiter liegenden Querschnitten an seiner Stelle eine Gruppe von kleinern Kreisen oder Ovalen findet. Diese Endäste des zentralen Teiles reichen aber meist nicht bis zu den Ganglien, sondern münden schon früher in die peripherischen Keilabschnitte der Kommissur ein. Die Verfächerungen der Keilabschnitte und wahr- scheinlich auch ein Teil wenigstens der in sie eingeschachtelten Röhren gehen, jene successiv, diese direkt in die Verästelungen der Kom- missurenspindel über, welche teilweise an Ganglienzellen enden, teil- weise weiter gehen, entweder nach Umschlingung gewisser Ganglien- zellen, oder indem sie sich unmittelbar in die Seitennerven einbiegen resp. sich in die Kommissur des anstoßenden Somits weiter fortsetzen. Die multipolaren Nervenzellen der Ganglienanschwellungen stehen ihrer- seits durch einen Teil ihrer Ausläufer mit Ganglienzellen in Zusammen- hang; der andere Teil setzt sich in die Längs- oder Querkommissuren resp. in die Seitennerven fort. Ganz konstant bei allen Hirudineen, aber in etwas variabler Form und Anzahl, am deutlichsten bei Pontobdella, sind in den Längs- kommissuren gewisse Längsabschnitte, weitere Röhren mit dickerer Wand und auffallend hellem Lumen, welche vollkommen den soge- nannten Neurochorden der Chaetopoden entsprechen. Dorsal- und medianwärts liegt bei Pontobdella in jeder Kommissur ein größerer „Neurochord“ und noch weiter nach innen, mehr ventral zwei oder drei kleinere. Diese Verteilung der Neurochorde begegnet man, mit Ausnahme der Kopf- und der Haftscheibensomite in jedem des Körpers, 630 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? aber nicht in der ganzen Länge eines Somits gleich. In die Ganglien- anschwellungen angelangt, zerklüften sich die Neurochorde und so passiert wenigstens ein Teil dieser Aeste, durch ihre diekere Wandung und helleres Lumen erkenntlich, das Ganglion, um sich im folgenden Somit wieder zu Neurochorden zu sammeln. Die de Faivre’sehen Nerven sind bei Pontoddella ähnlich in Fächer eingeteilt, wie die Kommissuren. In die Ganglienanschwellung angelangt, mündet ein Teil dieser Abbschnitte des Nerf de Faivre rechts und links in die Neurochorden, der mittlere Teil dagegen scheint in die longitudinalen Ausläufer der entsprechenden medialen stern- förmigen Nervenzelle (die beiden mittlern der 4) überzugehen. AufLängsschnitten erscheinen die Kommissurspindeln, als ob sie je Bündel weiterer und engerer Röhren wären, welche eng neben einander parallel verlaufen, sich hie und da in dünnere spalten resp. mit andern benachbarten verschmelzend in diekere übergehen. Ich habe im Vorhergegangenen die Gliederung der Nervenspindel der Längskommissuren deswegen genauer beschrieben, weil ich glaube, dass diese Verhältnisse nicht nur bei den Hirudineen, sondern we- nigstens ähnlich auch bei den übrigen Würmern aufzufinden sein werden. Ganz andere Bilder liefern Querschnitte über die Seiten- nerven; von einer radiären Verfächerung ist nichts zu sehen; man hat bloß rundliche Querschnitte über Nervenspindelfortsätze von ver- schiedenem Durchmesser und verschieden dicker, ausschließlich aus leitender Substanz bestehender Wandung. Was nun die Gliederung der Nervenspindel bei andern Tieren betrifft, so treten bei Crustaceen, wie Nansen für einige gezeigt hat, die dünnern Nervenspindeln direkt, die diekern nach mehr- facher Verzweigung an die Ganglienzellen an. Eine andere eigentümliche Art von Gliederung der Nervenspindel habe ich bei gewissen oben erwähnten Crustaceen, namentlich bei Penaeus beobachtet. Diese Gliederung wird durch eine endogene Zellteilung innerhalb der Membran der ursprünglich zweifellos einzelligen Nervenspindel hervorgerufen und bewirkt nach außen bloß eine Dehnung der sich nicht faltenden Membran, bloß ein Dickenwachstum ohne äußere Formveränderungen der Spindel. Sie besteht darin, dass den Tochterzellen entsprechend, in welche sich die Nervenzelle teilt, auch von der leitenden Substanz der Mutter- spindel kleinere oder größere Fibrillenbündel abgespalten werden. Die leitende Substanz der Mutterspindel bildet einen mit Zellsaft ge- füllten weiten Schlauch, in dessen mehrschichtige Wand der Mutter- kern samt Protoplasma von außen eingedrückt ist. So bildet die leitende Substanz mehrere konzentrische Lagen; außer einem unter der Spindelmembran abgesonderten peripherischen Mantel, wie der bei den Wirbeltieren, befindet sich Myelin auch in der leitenden Sub- stanz selbst, und zwar wird die innerste Lage derselben neben einer Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 631 zähern Interfibrillärsubstanz durch eine größere Menge eingelagerten Myelins charakterisiert. Diese Lage, die innerste Wand des Schlauches, bleibt immer deutlich gesondert und erscheint am Querschnitt nach Wasserentziehung und teilweiser Entfernung des Myelins als ein kleinerer oder größerer Ring, meist mit dickem Rahmen und kleinem Lumen, welches eventuell kaum mehr wahrnehmbar ist. Diese Form vom kontrahierten Axenzylinder der Mutterspindel entspricht den Bildern, welche wir in Präparaten von Wirbeltiernerven begegnen. Außerhalb dieses Ringes befinden sich die unregelmäßig verteilten Tochterkerne mit Protoplasma und leitender Substanz umgeben resp. in Stränge von letzteres eingedrückt. Sowohl der dem genannten Ringe entsprechende Schlauch als auch die den Tochterkernen zu- kommenden Mengen der leitenden Substanz lassen die Primitivfibrillen auf Längsschnitten sehr deutlich erkennen, und zwar sind sie in der Wand des zentralen Schlauches sehr dicht zusammengepackt und offenbar ganz besonders fest zusammengekittet, denn ihr Verlauf ist auffallend parallel, regelmäßig und grade. Gelegentlich befindet sich der eben genannte fester und dichter zusammengekittete Teil der Primitivfibrillen anstatt in der Wand eines weiteren, mehr oder weniger exzentrischen Schlauches in der von zwei oder drei engeren verteilt. In solchen Fällen sieht man am Querschnitt zwei oder drei kleinere, ungleich große Ringe in einer Nervenspindel; in dieser sind also mehrere Axenzylinder und ver- schiedene gesonderte Bündel von Primitivfibrillen, welche den andern Tochterkernen entsprechen, vorhanden. In diesen Bündeln sind die Primitivfibrillen nur mehr oder weniger lose zusammengepackt und bilden nicht Schläuche mit besonderem Lumen. Diese sekundären Bündel werden im Leben durch den stark gedehnten primären Schlauch (resp. Schläuche) an die Wand, in die Myelinschichte, welche der Spindelmembran anliegt, hineingedrückt und werden so nur während des Absterbens, wenn sich auch der Schlauch kontrahiert und abhebt, allmählich sichtbar. Bei Mollusken verzweigen sich die an und für sich sehr dünnen Nervenspindeln im Zentralnervensystem überhaupt nicht; es tritt immer eine ganze Nervenspindel mit der Ganglienzelle in Verbindung; die Nervenspindel zerklüftet sich bloß in den peripherischen Endnerven, dann aber sofort in Primitivfibrillen. Lageverhältnisse und relative Menge der Bestand- teile der Nervenspindel. Der protoplasmatische Teil nimmt, wie erwähnt, meistens die Mitte der Nervenspindel ein und bildet so wirk- lich die Axe derselben. In diesem Falle zieht er sich, wenn sich die Spindel nicht verästelt, entweder in gleicher Dicke durch die ganze Faser oder verjüngt und verliert sich in einer gewissen Entfernung vor und hinter dem Kerne in jedem Abschnitt so, dass sich bloß der leitende Teil über die ganze Faser ununterbrochen fortsetzt. Das 632 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? erstere geschieht in den sogenannten markhaltigen Nerven der Wirbel- tiere und in denen der Crustaceen ete., wodurch die ganze Spindel- reihe zu einer kontinuierlichen Röhre gestaltet wird. Streckenweise unterbrochen ist die protoplasmatische Axe in den Remak’schen Fasern, in den Nerven der Mollusken und der Insekten. Verzweigt sich die Spindel, so zieht der protoplasmatische Teil, wenn er nicht überhaupt schon vor der Verästelung aufgehört hat, und der Ast nicht allzu dünn ist, mit in die Zweige hinein. Sind diese dagegen dünn, so bestehen sie, wie schon erwähnt, bloß aus der leitenden Substanz. Meist liegt der Kern in der Mitte der Spindellänge; ist aber die leitende Substanz nach den beiden Enden hin durch verschiedene Ver- zweigung ungleichmäßig angeordnet, so liegt der Kern dem Ende, welches die stärkern und längern Zweige führt, näher. Er hält die leitenden Massen, welche sich vor ihn und hinter ihn befinden, quasi in Equilibrium. Sehr oft nimmt der protoplasmatische Teil resp. der Kern nicht die Axe der Spindel ein, und wird nicht voll- kommen mit leitender Substanz umgeben. Der Kern, samt umgeben- den Protoplasma kann peripherisch in die Spindel eingedrückt oder auch an deren Oberfläche hervorragend liegen. Ist der ganze proto- plasmatische Teil, welcher in diesem Falle nur wenig Zellsaft ent- hält, und auch selbst gering ist, in dieser Weise gelegen, so kann der ganze Nerv als ein solides Fibrillenbündel, mit aufliegenden, scheinbar gar nicht dazu gehörenden Kernen, aussehen. Sehr oft haben diese Beschaffenheit die Remak’schen Fasern, nicht selten auch die Nervenspindeln von Mollusken, namentlich Aplysia; immer trifft man aber neben diesen Spindeln auch solche, in welchen der Kern deutlich innerhalb der leitenden Substanz liegt. In den typischen Wirbeltiernerven und in denen der von mir untersuchten Crustaceen ist auch nicht der ganze protoplasmatische Teil exzentrisch gelegen; exzentrisch um den Kern herum versammelt ist der größere Teil des eigentlichen Protoplasmas, der übrige behält seine schwammige, lose Verteilung und befindet sich samt dem größten Teile des Zellsaftes innerhalb der leitenden Substanz. Außerhalb der Myelinschichte, dicht unter der Schwann’schen Scheide liegt der Kern bei Wirbeltieren. Innerhalb der Myelinschichte, zwischen dieser und der Fibrillen- schichte, der leitenden Substanz, liegt der Kern bei Sgquilla, in der leitenden Substanz selbst, ganz von Fibrillen umgeben, der größte Teil der Kerne bei Penaeus. Was nun die relative Menge von dem protoplasmati- schen und dem leitenden Teile, abgesehen von dem ausge- schiedenen Myelin und der Spindelmembran, betrifft, so kann hier ebenso wie bei den Muskelfasern, bald der eine bald der andere über- wiegen. Ueberhaupt je größer, caeteris paribus, in einzelligen Spin- Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 633 deln der protoplasmatische Teil ist, um so geringer ist die relative Menge der leitenden Substanz; die leitende Substanz wird nicht pari passu vermehrt, sondern bloß auf eine größere Oberfläche ausgedehnt. In den lebendigen Nervenfasern der Wirbeltiere ist sie zu einer sehr dünnen Schichte um den sehr wenig Protoplasmabalken enthaltenden axialen Zellsaft ausgedehnt und wurde in dieser Beschaffenheit von Schiefferdeeker noch am richtigsten als Wand des Axenschlauchs bezeichnet. Ebenfalls eine einschichtige, aber stärkere, weit dickere Fibrillen enthaltende Membran ist die leitende Substanz bei Squilla; eine mehrschichtige Lage bildet sie bei Penaeus. Eine einschichtige Lage von leitender Substanz, welche ebenfalls nur die Dicke einer Primitivfibrille hat, zeigen die Längskommissuren der Hirudineen an ihrer Peripherie; doppelt ist aber die Lage in den Balken, welche, wie wir gesehen haben, als Duplikaturen der Wand entstehen, und ebenfalls doppelt, vielleicht auch noch dicker ist sie auch in der Wand jener neurokordähnlicher, von der übrigen Kommissur abgetrennten Röhren. Auch in den, noch ganz einfach gestalteten Kommissuren der ältern Embryonen scheinen die Wände mehrere Fibrillenlagen zu enthalten, die Fibrillen sind aber hier noch so fein, dass man sie mit den besten Hilfsmitteln eben nur noch wahrnehmen kann. Anderseits ist der protoplasmatische Teil bei Mollusken sehr gering; bei Insekten scheint er etwas beträchtlicher zu sein. Beschaffenheit des protoplasmatischen Teiles und des Kernes. Ueber diesen Punkt kann ich nur dasselbe wie bei Muskelfasern wiederholen. Die Volumzunahme des protoplasmatischen Teiles ist mehr durch die Vermehrung des Zellsaftes als durch die des eigentlichen Protoplasmas bedingt, welche in einem absolut ge- ringerem protoplasmatischen Teilin relativ größerer Menge vorhanden ist. Große und wässerige, eventuell an die Wand gedrückte und daher abgeplattete, blasse Kerne besitzen die Spindeln mit viel Zell- saft; kleinere aber kompakte und stäbehenförmige jene Spindeln, welche einen kleinen protoplasmatischen Teil zeigen (Mollusken). Ist dieMenge des Zellsaftes sehr groß, so kann der Kern, wie bei Muskelfasern, bis auf spärliche Reste reduziert eventuell auch ganz aufgelöst werden. Dies scheint in den Spindeln, welche die Seitennerven der Hirudineen liefern, in der That der Fall zu sein. Kerne in solchen Seitenspin- deln (in größern Nervenfasern, wie er sagt) hat, ebenso wie in den Kommissurspindeln (in den Längskommissuren, Connectiven des Bauchstranges) auch Francois beschrieben. Ich habe sie bei sehr jungen Tieren, noch besser bei Embryonen, hier beinahe immer, bei aus- gewachsenen dagegen sehr selten nachweisen können. Daraus schließe ich, dass das Vorhandensein eines geformten Kernes in den Nervenspindeln nicht unumgänglich postuliert wer- den muss; er kann zur Zeit, wo man sie untersucht, ganz gut auf- gelöst, also das Nucleoplasma ungeformt sein. Die ausgewachsene 634 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? Nervenspindel ist ja eine Zelle, welche die Funktion eines geformten Kernes sehr gut entbehren kann. Ueberhaupt betrachte ich zwar das Nucleoplasma, das Chromatin, als einen lediglichen, unvermeidlichen Bestandteil der lebenden Zelle; einen geformten Kern kann ich aber vicht für wesentlich halten. Das Nucleoplasma scheint gelegentlich mehr oder weniger gleichmäßig verteilt zu sein und nimmt entweder gar nicht oder nur ein Teil des Nucleopasmas die Gestalt eines Kernes an. Die membranlosen Kerne, welche Leydig beschreibt, sind wohl dich- tere Anhäufungen von Nucleoplasma und keine eigentlichen Kerne. Das Vorhandensein und die Beschaffenheit des Kernes als eines mehr der weniger permanenten Organs mag so zu sagen das Barometrum des Zu- standes sein, in welchem sich die Zelle eben befindet. So werden natürlich die Grenzen, innerhalb welcher die Nervenfasern den Wert einer Spindel, einer Zelle haben, unbestimmbar. Das ist nach dem Gesagten bei den Seitennerven der Hirudineen der Fall. Ich bin jedoch sehr geneigt, beinahe sämtliche peripherischen Nerven einer Körperhälfte der Hirudineen als Verästelungen von je drei, den drei Seitennerven entsprechenden Nervenspindeln aufzufassen, zu welchen sich Ausläufer von den großen Nervenzellen des Bauchstranges gesellt haben. Eine Ausnahme bilden gewisse in der Darmwand gelegene, kleinzellige Nervenbündel, welche denen der Mollusken sehr ähn- lich und vom Zentralnervensystem scheinbar unabhängig vielleicht die Ueberreste eines embryonalen, provisorischen Nervensystems dar- stellen. Die Beschaffenheit der leitenden Substanz. Der Leser wird vielleicht verzeihen, wenn ich im weitern hie und da schon Er- wähntes wiederhole; ich fühlte mich aber, um verstanden zu werden genötigt, dem logischen Nacheinander der Darstellung wiederholt vorzugreifen. Einen direkten Beweis dafür, dass die Primitivfibrillen in den Nerven vom Ganglion bis zum Endorgan ununter- brochen verlaufen, können wir, da man sie wegen der technischen Schwierigkeit einer solehen Untersuchung nicht so lange verfolgen kann, nicht liefern. Ich kann nur so viel sagen, dass ich Primitiv- fibrillen im Nervennetz der Darmwand von Pontobdella gelegentlich sehr lange Strecken hindurch verfolgt, und anderseits bei andern Tieren an Stellen, welehe ungefähr den Grenzen der einzelnen Nerven- spindeln entsprachen, nie eine besondere Unterbrechung des Fibrillen- verlaufes oder eine Veränderung der Fibrillen selbst beobachtet habe. Anders als bei einer ununterbrochenen Kontinuität kann ich mir aber die Funktion der Primitivfibrillen auch nicht denken. — Diese Kontinuität scheint nicht nachträglich, durch Verwachsen der sich berührenden Fibrillen der benachbarten Nervenspindeln entstanden zu sein; die einzelnen Nervenspindeln, in regelmäßige Längsreiben ge- ordnet, müssen mit einander zu den Nervenfasern schon verwachsen Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 635 gewesen sein, ehe sich in der anfangs homogenen leitenden Substanz die Primitivfibrillen ausgeschieden haben: in einer schon kontinuier- lichen Substanz haben sich die Fibrillen gleich kontinuierlich gestaltet. Dieser Auffassung entspricht, dass wenn keine andern Ganglienzellen und Nervenspindeln vorhanden wären, die gesamte Zahl der Primitiv- fibrillen des peripherischen Nerven nur so groß sein könnte, wie die der Nervenstämme, welche vom zentralen Nervensystem heraustreten. Demnach wäre auch eine Vermehrung der innervierten Elemente des Organismus nur dann möglich, wenn sich entweder die Primitivfibrillen der schon vorhandenen Spindeln vermehren oder neue Spindeln mit neuen Ganglienzellen entstehen würden. Sehen wir, inwiefern dies als möglich anzunehmen ist. Ich habe die Primitivfibrillen einer Pontoddella in allen Nervenstämmen und Aesten des Körpers gleich dick, im allgemeinen aber etwas dünner als die Breite des interfibrillären Raumes gefunden. Auch bei andern Tieren sind die Primitivfibrillen der verschiedenen Nervenfasern, von der Dicke der Faser unabhängig, gleich stark; die Primitivfibrillen der kleinsten Spindeln des erwach- senen Tieres sind ebenso dick, wie die der kolossalsten. Eine Aus- nahme scheinen die Remak’schen Fasern der Wirbeltiere zu bilden, deren Primitivfibrillen dicker als die der markhaltigen sind. — Ver- schieden ist aber die Dicke der Primitivfibrillen bei verschiedenen Tierklassen. Sehr starke und verhältnismäßig leicht demonstrierbare Fibrillen besitzen die Hirudineen, namentlich Pontobdella; ebenfalls ziemlich deutliche die Mollusken, schon feinere die Crustaceen und Insekten, äußerst feine, gelegentlich sehr schwer aufzufindende die Wirbeltiere. Auch unter diesen ist der Frosch in dieser Hinsicht ein günstigeres Objekt als z.B. das Kaninchen, der Hund oder der Mensch, bei welchem letztern übrigens auch die Unmöglichkeit frische Nerven zu erhalten in betracht gezogen werden muss. Nach diesen halte ich es für wahrscheinlich, dass ausgedehntere Untersuchungen, durch bessere Methoden unterstützt, irgend einen Zusammenhang zwischen der phylogenetischen Stellung eines Tieres und der Feinheit seiner Nervenprimitivfibrillen an den Tag legen werden. — Verschieden ist die Dicke der Primitivfibrillen auch bei derselben Species, wenn man Individuen verschiedenen Alters vergleicht. Sehr junge Tiere resp. Embryonen von Hirudineen oder Mollusken haben kaum sichtbare Primitivfibrillen von äußerster Feinheit; vollkommen erwachsene Tiere lassen dagegen ihre Primitivfibrillen noch am leichtesten erkennen. Aus dem Umstande also, dass 1) die embryonalen Ner- venzellen noch keine ausgebildeten Primitivfibrillen enthalten, 2) die Dieke der Primitivfibrillen mit dem In- dividuum selbst wächst, 3) die Diekeder Primitivfibrillen desselben Organismus in verschiedenen Nervenspindeln nicht variiert: glaube ich folgern zu können, dass die leitende 636 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? Substanz im Wesentlichen nicht durch postembryonale Vermehrung der Fibrillenzahl sondern durch Zunahme an Dicke und Länge der einzelnen Fibrillen wächst, und einerseits die Entstehung von neuen Fibrillen in den schon fungierenden Spindeln, sei es durch Spaltung der vorhandenen oder durch wiederholte Ausscheidung von seiten des Nervenprotoplasmas, anderseits die postembryonale Entstehung junger Spindeln zwischen den Alten, sei es durch Teilung oder aus reservierten Embryonal- zellen, wenigstens keine größere Rolle spielen wird. Also würde sich auch die Zahl der innervierten Elemente des Organismus postembryonal nicht wesentlich vermehren können. Da aber eine solche Vermehrung innerhalb gewisser Grenzen doch stattfindet, so scheint es mir wahrscheinlich, dass die ent- sprechende Anzahl von Nervenspindeln und Ganglienzellen in erster Linie aus dem Bereiche des sympathischen Nervensystems rekrutiert wird. Eine geringe Zahl von Nervenspindeln kann ja, indem sie viele Elemente mit wenigen Ganglienzellen verbindet, einer verhältnismäßig großen Zu- nahme genüge leisten. Wir finden ja eben im sympathischen Nerven- system der Wirbellosen sehr verschieden gestaltete Ganglienzellen, wahrscheinlich auf verschiedener Entwicklungsstufe, namentlich aber solche, welche wirklich als apolare bezeichnet werden können, indem sie mit den Leitungsbahnen in keinerlei Zusammenhang stehen. Solche können in erster Linie als Vorrat betrachtet werden und zur Inner- vierung postembryonal entstandener Gebilde dienen. Allerdings hat sich eine solche postembryonale Vermehrung der innervierten Elemente in den Fällen, wo sich mein Augenmerk speziell auf diesen Punkt gerichtet habe, nur als sehr gering erwiesen, — wenigstens unter normalen, nicht pathologischen Verhältnissen. So ist z. B. die Vermehrung der glatten Muskulatur post- embryonal zum größten Teil der Vergrößerung der schon vorhandenen Elemente zuzuschreiben; eine Teilung der als solehe schon fungierenden Muskelfasern fand nie statt, eine Entstehung neuer aus reservierten Muskel- keimen nur in geringem Grade"). Innervierte Zellen teilen sich vielleicht nie anders, als endogen: Entstehung vielzelliger querge- streifter Muskelfasern bei Wirbeltieren und vielzelliger Nervenspindel bei Penaeus aus ursprünglich einzelligen Spindeln. Die Primitivfibrillen sind innerhalb der leitenden Substanz nicht so fest, wie die Muskelprimitivfibrillen in der kontraktilen Substanz fixiert; auch ist die interfibrilläre Substanz der Nerven weniger zähe, mehr wachsartig als die der Muskeln; dazu kommt, dass die Elastizität und das Sehrumpfungsvermögen von Primitivfibrille und Interfibrillär- substanz bei Nerven sehr verschieden, erstere weniger elastisch ist, 1) „Die Vermehrung und Regeneration der glatten Muskulatur“. (Ungarisch.) Deutscher Auszug in den mathemat.-naturw. Berichten aus Ungarn. Apäthy, Nach welcherRichtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? 637 aber auch viel weniger schrumpft. Dies alles erklärt, glaube ieh, zur Genüge, warum die Nervenprimitivfibrillen beinahe immer wellig, ge- legentlich so unregelmäßig, einander umflechtend verlaufen. In den größern Spindelstämmen sind sie noch ziemlich regelmäßig, in gleichen Enfernungen, ohne Verschiebungen angeordnet; in den peripherischen Aesten sind sie dagegen vielfach verschoben und sehr ungleich wellig. Es kann ein Nervenästechen bloß aus leitender Substanz bestehen, während einer längern Strecke seines Verlaufes vollkommen grade, scheinbar in maximaler Dehnung erscheinen, und doch sind darin die Primitivfibrillen noch sehr wellig; sie kreuzen sich vielfach, einzelne lösen sich von den übrigen streckenweise ab und sind demnach meist schwer länger zu verfolgen, hauptsächlich wenn sie dabei, wie die der höhern Tierklassen, auch sehr fein sind. Die Varikosität und die bekannten Knötehen an den Endnetzen und Endfasern von Nerven verschiedenster Tiere rührt von der geschrumpften resp. gequollenen Interfibrillärsubstanz her, welche die Primitivfibrillen umhüllt und sie bis zu den innervierten Zellen begleitet. Wie die interfibrilläre Substanz selbst im Leben beschaffen ist, können wir nur sehr schwer bestimmen, da wir ihr überall mit mehr oder weniger eingelagertem und gleichmäßig verteiltem Myelin be- gegnen. Eine Stelle, wo sie vielleicht noch am reinsten angetroffen wird, sind die Ringe unterhalb der Schwann’schen Scheide, welche den eingeschnürten Axenzylinder in den Ran,vier’schen Einsehnürungen umgeben. Je nachdem sich an diesen Stellen mehr oder weniger Interfibrillärsubstanz befindet und diese in den Präparaten geschrumpft oder gequollen vor uns liegt, bekommen wir verschiedene Formen der Einschnürung zu sehen, wo sich die Schwann’sche Scheide bald mit eingekerbt hat, bald grade über die Einschnürung, Ja sogar ge- legentlich ausgebaucht hinwegzieht. So wie wir sie meistens finden, ist die interfibrilläre Sub- stanz ein glashelles, farbloses Medium, welches das Licht etwas stärker als die Fibrillen, aber ebenfalls einfach bricht. Die doppelte Liehtbreehung der Nervenfasern, eine — wie schon erwähnt — ganz allgemeine Erscheinung, ist ausschließlich dem Myelin zuzuschreiben, obwohl die interfibrilläre Substanz selbst wahrscheinlich die Vorstufe zur Myelinbildung ist. Alle Einflüsse, welche das Myelin bekanntlich alterieren, beeinträchtigen auch die doppelte Lichtbrechung aller Nerven- fasern; Reagentien, welche Myelin lösen, bringen sie ganz zum Schwin- den, wogegen die der Muskelfasern bei derselben Behandlung immer noch erkenntlich bleibt. Schneidet man Bündel von Nervenfasern ohne Mark- scheide, wie z.B. die von Aplysia, durch, so quellen am Schnittende allmählich dieselben Myelinformationen wie von Nerven eines jedwedigen Wirbeltieres hervor. Die Eigenschaften soleher Formationen sind viel besser bekannt, als dass 638 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? es nötig wäre auf ihre Beschreibung hier einzugehen; nur Einiges soll erwähnt werden. Die vermeintlichen Myelintropfen mit doppelten Konturen, welche, während sie sich hin- und herbewegen und irgend einen Druck erleiden, die bizarsten Formveränderungen zeigen, haben sich als mit Eiweiß, bezw. Zellsaft gefüllte Blasen erwiesen, von denen nur die Wand aus Myelin besteht. Wenn diese Blasen längere Zeit im Präparate stehen, so platzen sie vielfach, und das Myelin fließt zu wirklichen, öligen Tropfen zusammen, welche wenn sie andere begegnen, mit diesen zu größern zusammenfließen. Solche Tropfen zeigen zwischen gekreuzten Nicols auf stark glänzen- dem, weißen Felde ein rechtwinkliges, schwarzes Kreuz mit keil- förmigen, nach dem Zentrum zu konvergierenden Schenkeln; die Blasen haben, demKreuze entsprechend, nur vier dunkleBogenstücke, oft aber anstatt dieser zwei dunkle Bogenviertel oder Bogensechstel am vordern und am hintern Pole des im optischen Durchschnitt ringförmigen Blasenbildes. Die so charakteristische Aufblätterung der Myelin- gebilde ist aus einer successiven, schichtenweisen Entstehung ihrer Wandungen abzuleiten. Die von Myelin hervorgerufenen Faserforma- tionen sind nie mit den Primitivfibrillen der leitenden Substanz zu verwechseln. Um hier auch der Neurochorden nochmals kurz Erwähnung zu thun, glaube ich, dass diese nach dem Gesagten jede Berechtigung verloren haben als irgendwie aparte Bildungen betrachtet zu werden; sie fallen einfach in die Reihe von großen Nervenfasern, welche nur die eine Eigentümlichkeit haben könnten, dass sie vereinzelt bei Tieren vorkommen, bei denen die übrigen Nervenspindeln viel kleiner zu sein scheinen. Bei Hirudineen fällt auch diese Eigentümlichkeit weg, da, wie wir gesehen haben, eben die Längskommissuren, denen sich die Neurochorden anschließen, aus ganz kolossalen Nervenspin- deln bestehen, was ich auch bei andern Würmern noch gar nicht für ausgeschlossen halte. Dazu scheinen die Neurochorden nicht einmal Nervenfasern mit besonderer Markscheide zu sein, wie die der Wirbel- tiere und der oben erwähnten Crustaceen, von welchen Palinurus und Squilla eine ziemlich dünne, Palaemon und Penaeus eine ebenso be- trächtliche Myelinschichte, wie die Wirbeltiere, besitzen. In den Neurochorden der Hirudineen befindet sich z. B. das Myelin bloß in der leitenden Substanz selbst, welche von ersterem nur besonders saturiert ist. Jedenfalls ist der Name Neurochord nunmehr ganz überflüssig. Damit ich das weiter unten Folgende klarer darstellen kann, so muss ich erst darauf aufmerksam machen, dass Osmiumsäure in erster Linie das Myelin und zwar in der Weise fixiert, dass sie es unlös- lich macht. Daher kommt es, dass der Axenschlauch (Axenzylinder) der Wirbeltiernerven nach längerem Einwirken von Osmiumsäure bei weiterer Alkoholbehandlung nur noch sehr wenig schrumpft und Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 639 nach Entziehen vom größten Teil des Axeninhaltes durch Entwässerung auch nicht zusammenfällt, da seine dünne Wand an dem Myelin- mantel, welcher seine Form nur wenig verändert, angeklebt ist. Dazu gehört aber eine Einwirkung von mindestnns 12—24 Stunden; hat sie nur !/,—1 Stunde gedauert, so kommt die myelinlösende Wirkung von Alkohol, Aether ete. doch zur Geltung, die Wand des Axen- schlauches fällt zusammen und schrumpft bei vollkommener Ent- wässerung sehr stark. Nun ist die interfibrilläre Substanz, wie gesagt, äußerst dehnbar, aber wenig, eher noch vertikal auf die Längsaxe des Nerven als mit dieser parallel elastisch. Der Zustand, in welchem sich die leitende Substanz im lebenden Nerv der Wirbeltiere befindet, ist mit dem der Wand eines prallgefüllten Kautschukschlauches, welcher streckenweise (Ranvier’schen Abschnitte) eingeschnürt ist, zu ver- gleichen. Vermehrt sich der innere Druck, so muss sich die Wand bis aufs äußerste dehnen und wird dabei natürlich immer dünner; vermindert sich dagegen dieser, so wird die Wand immer dieker und das Lumen immer geringer, wobei man sich einen Schlauch zu denken hat, welcher ursprünglich eine sehr dieke Wand und ein äußerst ge- ringes Lumen besessen hat. Der Unterschied ist, dass man beim Axenschlauch der Wirbeltiernerven die Elastizität der Wand des Kautschuckschlauches mehr durch das sehr große Schrumpfungs- und Quellungsvermögen der interfibrillären Substanz zu ersetzen hat. Die Wand des Axenschlauches ist im lebenden Zustande in der Weise gedehnt, dass in ihrer Dieke kaum mehr als eine Primitiv- fibrille Platz hat; die Weite der interfibrillären Räume steht dabei mit der Dehnung in gradem Verhältnis, und so ist es auch sehr gut denkbar, dass die Fibrillen in der dünnen Wand des Axenschlauches nach außen hervorspringen. Demgemäß sind die Primitivfibrillen des lebenden Wirbeltiernerven so zu sagen einzeln in das glänzende Myelin der Markscheide hineingedrückt, und es ist meist eine optische Unmög- lichkeit, sie hier wahrzunehmen. Gelegentlich sichtbar sind sie nur in den Ranvier’schen Einsehnürungen, wo das Lumen des Schlauches ganz minimal, seine Wand aber dick ist, und so beinahe den ganzen Axenteil die leitende Substanz selbst einnimmt. Nach vollständiger Entwässerung der nicht mit Osmium, oder nicht genügend lange behandelten Präparate geht das Axenlumen meistens vollkommen verloren und der ganze Axenschlauch, nunmehr wirklich Axenzylinder, oder noch besser Axenfaden, welcher auch in den Ranvier’schen Einschnürungen nicht mehr dünner als anderswo ist, besteht lediglich aus leitender Substanz. In diesem Faden sind die Primitivfibrillen zwar in seiner ganzen Dicke gleichmäßig verteilt, aber so dicht aneinandergeklebt, dass sie jetzt grade deswegen schwer zu unterscheiden sind; die interfibrilläre Substanz ist nämlich bis auf minimale Reste geschrumpft. Lässt man nun die interfibrilläre Sub- 640 Apäthy, Nach welcher Riehtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? stanz wieder aufquellen, so kann der frühere Schlauch natürlich nicht rekonstruiert werden, aber die leitende Substanz wird die ganze, natürlich auch etwas verkleinerte Axenraum der Spindel füllen und die Primitivfibrillen erscheinen in der ganzen Dicke eines soliden Axen- zylinders mehr oder weniger gleichmäßig verteilt. In dieser Weise müssen, wie ich glaube, die Bilder, welche man nach der Kupffer’schen Methode bekommt, erklärt werden. Sie zeigen uns in der That vorhandene Primitivfibrillen; ein Artefakt in diesen Bildern ist nur die Lage und die Vertei- lung der Fibrillen. Der durch eine !/,—1stündige Osmiumwirkung nur ungenügend fixierte Axenschlauch schrumpft bei der Entwässerung in Alkohol absolutus zu einem soliden Axenfaden zusammen; die lange Färbung in der wässerigen Säurefuchsinlösung lässt den Faden wieder aufquellen, füllt den ganzen Axenraum mit leitender Substanz, in welcher die Primitivfibrillen auffallend, die interfibrilläre Substanz dagegen sehr blassrot erscheint. Trägt man das Präparat vorsichtig wieder in Alkohol zurück, so kann die durch Quellung hervorgerufene Lage der Primitivfibrillen nunmehr auch dann bewahrt werden, wenn die interfibrilläre Substanz etwas von neuem schrumpft. Eine resistentere Schichte von interfibrillärer Substanz, quasi eine innere, dem Zellsaft des Axenraumes zugekehrte Membran habe ich bei Penaeus bereits erwähnt. Die äußere Membran der Spindeln zeichnet sich durch eine große Dehnbarkeit und eine ziemliche Elastizität aus. Sie ist voll- kommen strukturlos, bei den Crustaceen dieker als bei Wirbeltieren. Ihr Verhalten in den Ranvier’schen Einschnürungen hängt außer von den schon weiter oben erwähnten Verhältnissen von dem Deh- nungsgrade der Fasern ab. Ist dieser groß, resp. ist der Nerv ge- zerrt, so überbrückt die Schwann’sche Scheide falls sie eben hier nicht reißt, die Einschnürung in grader Linie. Die Resultate einer größern Zerrung sind von denen des Quetschens wohl zu unterscheiden. Im erstern Falle wird die Kontinuität der Faser beinahe immer an der Stelle einer Ranvier’schen Einschnürung unterbrochen; die Schwann’sche Scheide reißt früher als der Axenschlauch, welcher oft erst zu einem langen, dünnen Faden ausgezogen werden kann. Dem Quetschen dagegen wiedersteht die Sehwann’sche Scheide; die Myelinscheide wird nach vorn und nach hinten weggeschoben, der Axenschlauch reißt und folgt dem Myelin; da er sich aber nieht ver- kürzen kann, so wird er bis eine gewisse Strecke weit von dem Rissende einen gewundenen, welligen Verlauf annehmen, welcher keineswegs von der Elastizität des Axenschlauches herrührt?). Warum will man nun die Schwann’sche Scheide der Wirbeltiere, die Membran der Nervenfasern von Crustaceen ete. als etwas Acces- 4) Fr. Tangl will diese Beschaffenheit der Rissenden aus der Retraktion des nach seiner Meinung elastischen Axenschlauches ableiten. Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 641 sorisches, Bindegewebiges auffassen? Warum will man die Nerven- kerne Neurilemmkerne nennen und sie dem Bindegewebe zurechnen ? Das Neurilemm hat nur in seiner alten Bedeutung einen wirklichen Sinn und hat mit der Spindelmembran nichts gemein, ebenso wie auch seine Kerne von denen der Nervenfasern ganz verschieden sind. Oder soll man auch die strukturlose Membran so vieler glatten Muskel- fasern, ja sogar die von großen einzelligen Drüsen z. B. bei Hirudineen als accessorisch, von einer andern Zelle als die Muskel, resp. Drüsen- zelle produziert betrachten? Der Kern befindet sich ja nie in der Spindelmembran selbst, sondern höchstens zwischen dieser und der Myelinschichte plattgedrückt; sehr oft befindet er sich aber ziemlich weit von der Membran, innerhalb der Myelinscheide. So lange man die von außen gerechnete zweite Schichte einer Nervenspindel von Squilla oder Palinurus als Myelinlage nicht erkannt und sie mit zur Dicke der Röhrenmembran gerechnet hat, konnte man die zwischen beiden liegenden Kerne als in der Röhrenwand befindliche bezeichnen; da aber diese Schichte sich als etwas ganz Anderes als die Membran erweist, müssen auch solche Anhaltspunkte aufgegeben werden. Mit demselben Rechte könnte man jeden beliebigen Kern, welcher in einer glatten Muskelfaser oder in einer Drüsenzelle peripherisch der event. Membran vielleicht eng anliegt, als Bindegewebskern reklamieren. Dafür liegen auch bei den Nervenspindeln weder histologische resp. histogenetische noch Analogiegründe vor. Nach dem Gesagten fallen aber auch die Gründe von Boveri und andern, die das Myelin aus accessorischen Bindegewebszellen her- leiten wollen, weg, da ja das Myelin auch in der leiten- den Substanz scheidenloser Nerven gleichmäßig verteilt und in verhältnismäßig großer Menge vorkommt. Um die Parallele mit den glatten Muskelfasern ganz zu Ende zu führen, will ich hier schließlich noch einiges über das mikrochemische Verhalten der einzelnen Nervenbestandteile anführen. Die doppelte Lichtbreehung der Nervenfasern ohne Markscheide wird durch Stehen in Glyzerin ohne vorheriger Fixierung nur in dem Maße ganz allmählich alteriert, als das gleichmäßig in der leitenden Substanz‘ verteilte Myelin in Form von Tropfen herausschmilzt, welche miteinander zusammenfließend Myelin- formationen bilden. Essigsäure verhindert die Entstehung dieser beinahe ganz; Macerierung in Salpetersäure vollkommen. Feine Nervenästchen, welche aus einer in 30prozentiger Salpetersäure wäh- rend 48 Stunden macerierten Pontobdella in Zusammenhang mit dem Bauchstrange herausgerüttelt und von jeder Spur des Bindegewebes entblößt worden sind, behalten ihre doppelte Lichtbrechung nach mehrern Jahren noch unverändert. Das eben Gesagte gilt auch für Nervenfasern mit Markscheide, welche in Glyzerin ohne Vorbehandlung durch massenhaftes Auftreten IX, 41 642 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? von Myelinformationen rasch verunstaltet werden. Wenn man Wirbel- tiernerven nach stärkerem Macerieren in Salpetersäure 24 Stunden lang in destillierttem Wasser stehen lässt, so wird das Myelin zwar nicht gelöst, noch seine optischen Eigenschaften wesentlich alteriert, seine Konsistenz dagegen vollständig. Es wird zu einer spröden Masse, welche man, da sich die Spindelmembran bei dieser Behandlung aufgelöst hat, von dem Axenschlauche abbröckeln kann. Durch Zerzupfen bekommt man so den bloßgelegten Axenschlauch, dessen Wand mehr zusammengefallen, gefaltet als geschrumpft ist. Alle Mittel, welche Myelin lösen, wie z. B. Alkohol, Aether ete., heben die doppelte Lichtbrechungvollkommen auf. In Pikrokarmin wird das Myelin rein gelb; in Osmium bräunlich schwarz, m Hämatoxylin-Doppeltehromsäure (Heidenhain’s oder meine Methode) bläulich schwarz. Alaunhämato- xylin und Karminfarbstoffe tingieren das Myelin meist gar nicht. Kern und Protoplasma der Nervenspindeln verhalten sich wie die von Muskelspindeln. Auch die Primitivfibrillen und die inter- fibrilläre Substanz reagieren auf Karmin, basische Anilinfarbstoffe und Hämatoxylin wie die der Muskeln. Säurefuchsin färbt dagegen haupt- sächlich die Primitivfibrillen, basisches Fuchsin die interfibrilläre Sub- stanz par excellence. (Auch den protoplasmatischen Teil: Tinktion des Axenzylinders.) Die Einwirkung von Silbernitrat, von Goldehlorid und meiner Doppelfärbung mit Hämatoxylin !) auf die Nervenspindeln bedarf einer besondern Erwähnung. Silbernitrat. Das Auftreten der Kreuzfiguren in den Ran- vier’schen Einsehnürungen beruht auf der Schwärzung (resp. Bräunung) der interfibrillären Substanz, welche in der Einschnürung um den Axenschlauch herum eine ringförmige Verdieckung bildet. Dass der Axenschlauch hauptsächlich hier gebräunt wird, ist außer aus dem geringen Eindringungsvermögen des Silbernitrats, dem die Myelin- scheide im Wege steht, daraus erklärlich, dass hier der Axenschlauch mit einem minimalen Lumen eine relativ viel diekere Wand als an- derswo im Ranvier’schen Abschnitt besitzt, wo also auch die inter- fibrilläre Substanz in einer sehr dünnen Schichte ausgebreitet und obwohl vielleicht etwas gebräunt, sehr wenig auffallend ist. Dieses Verhalten der interfibrillären Substanz erinnert mich an die Schwärzung der interzellulären Kittmasse von Epithelien und Endothelien durch Argentum nitrieum. 1) Mikrotechnische Mitteilungen. Zeitschrift für wissensch. Mikropie, Bd. VI, S. 164—172, 1889. 2) Ein lapsus calami, welcher mir auch bei der Korrektur entgangen ist, ließ mich bei der Veröffentlichung genannter Methode jene Balken als Glia- balken bezeichnen. Im Laufe. der gegenwärtigen Abhandlungen suchte ich darzulegen, dass sie aus der leitenden Substanz der Spindel bestehen. Apäthy, Nach welcherRichtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? 649 Goldehlorid. Tingiert wird die leitende Substanz, der Kern und das Protoplasma; durch einen feinen, pulverigen Niederschlag geschwärzt das Myelin; äußerst gequollen die interfibrilläre Substanz. Die interfibrilläre Substanz erscheint blass rosarot, die Primitiv- fibrillen sehr dunkel, beinahe schwarz, der Kern aufgebläht, homogen, lichter als das bläuliche Protoplasma. Die Spindelmembran bleibt farblos. Die Markscheide ist bei unvollständiger Reduktion schmutzig gelblich; bei vollendeter durch ein unregelmäßig eingelagertes amorphes Pulver schwarz. Der meist auch etwas aufgequollene, auf den ersten Blick etwa hortensiarote, aber blasse Axenschlauch ist in solchen Nerven in vielfache Windungen Korkzieherartig eng zusammengepackt, weil sich hauptsächlich die Membran in Goldehlorid stark kontrahiert. Doppelfärbung mit Hämatoxylin zur Differenzierung der Bestandteile der Nervenspindeln von bindegewebigen Elementen. Der Kern wird bräunlich grau, das Protoplasma bläulich, die interfibrilläre Substanz aschgrau, die Primitivfibrillen schwarz, jede bindegewebige Interzellularsubstanz licht violett. Diese Methode liefert einen in- teressanten Beweis dafür, dass jene Leisten, die die Längskommissuren des Bauchstranges der Hirudineen in keilförmige Fächer einteilen, nicht von dem Bindegewebe hineingesandt werden, welches die Kom- missuren in ziemlich dieker Lage eng umschließt. Dieses ist licht violett, jene schwarz, resp. dunkelgrau. Wie findet nun nach alledem die Verbindung zwischen Nervenspindel und Ganglienzelle statt? Es drängt sich hier eine ganze Reihe von Fragen höchster Wichtigkeit vor; wir können aber nur mehr einige und auch diese bloß ganz flüchtig be- rühren. Die allererste betrifft die Beschaffenheit der Ganglienzelle selbst. Heben wir in wenigen Beispielen das Wesentlichste hervor. Leider gibt es nur wenige Tiere, deren Ganglienzellen während des Lebens in situ zu untersuchen wären. Gewisse Arten von Hiru- dineen, namentlich Ichtyobdella bioculata, Piscicola piscium, Olepsine bioculata und heteroclita, pigmentlose Varietäten von Nephelis octo- culata gehören zu diesen; nur sind die Ganglienzellen hier nicht groß genug, um alle Einzelheiten ihrer Struktur genau zeigen zu können. Was aber hier verborgen bleibt, das können wir bei Pontobdella com- pletieren, deren Bauchstrang sich ohne Verletzung leicht herausprä- parieren lässt. Er bleibt, ohne Zusatz in der Camera humida unter- sucht, mindestens während einer !/, Stunde vollkommen transparent; nur allmählich wird er mit dem Absterben undurchsichtig und bedarf eines Zusatzes von etwas Essigsäure, um weiter untersucht werden zu können. Im optischen Längsschnitt erscheinen solche Ganglienzellen von Pontoddella in der Form einer glashellen, prall ge- füllten gestielten Blase, mit blassen aber deutlichen Konturen. 4% 644 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden ? In dieser Blase befindet sich eine kleinere ebenfalls wasser- helle, aber mit dunklerer und viel diekerer Kontur. Letztere ist der Kern, welche meist die Hälfte des Durchmessers der ganzen Zelle besitzt, gelegentlich kleiner, vielleicht nie größer ist. Die Gang- lienzellen befinden sich in einem scheinbar strukturlosen Medium, welches das Licht stärker als erstere bricht. Folgt man durch Heben und Senken des Mikroskops der Oberfläche dieser Ganglienkugeln, so wird man allmählich einer feinen Streifung gewahr, deren Linien aber keineswegs konzentrisch, sondern vielmehr in der Richtung der Meridiane verlaufen. Diese Linien lassen sich bis in den zylindrischen Fortsatz verfolgen. Betrachtet man aber den optischen Längsschnitt von diesem, so findet man eine Längsstreifung ebensowenig wie im optischen Längsschnitt der Ganglienzelle selbst eine konzentrische. Eine ziemlich regelmäßige, parallele Streifung zeigt nur die Oberfläche des Fortsatzes, die ebenfalls durch Heben und Senken des Mikros- kops erzielbaren Tangentialbilder. Der zwischen dem Kern und der äußern Kontur befindliche Inhalt der Ganglienzelle scheint in den des Fortsatzlumens unmittelbar überzugehen. Das eben beschriebene Bild verändert sich vor unsern Augen Schritt für Schritt in der folgenden Weise. Zuerst wird der Licht- brechungsindex des Kernes größer und übertrifft nunmehr den der übrigen Zellen auffallend. Dann hebt sich von der äußern Um- grenzung der Zelle etwas, wie eine dünne, weiche Membran ab und nähert sich dem Kerne; zu gleicher Zeit wird der Zellkörper immer dunkler und fein gekörnt und zeigt die bekannten Eigenschaften des Protoplasmas; er grenzt sich gegen das Fortsatzlumen immer deut- licher ab und sendet höchstens eine geringe konische Verlängerung in das letztere hinein. Jene scheinbare Membran schrumpft weiter und gelangt beinahe bis an den Kern; sie erscheint aber im optischen Längsschnitt nicht mehr wie anfangs als eine feine Linie, sondern bildet eine diekere, ziemlich unregelmäßig, aber doch konzentrisch gestreifte Lage um den Kern herum. Die ganze Ganglienzelle be- findet sich in einem Hohlraum, welcher seine ursprüngliche Form, als er von der Zelle noch ganz ausgefüllt war, weiter behält und von der interzellulären Gliasubstanz (nicht schlechthin Bindesubstanz) ge- bildet wird. Das kontrahierte Protoplasma der Ganglienzelle befindet sich zum teil außerhalb der gestreiften Lage und sendet gegen die Wand des Hohlraumes strahlenförmige Fortsätze. Wie die Ganglienzellen von Pontobdella in conservier- tem Zustand in Schnitten aussehen, dafür will ich diesmal bloß Präparate, welehe nach Fixierung in Alkohol, Sublimat oder Subli- mateisessig mit meinen Hämatoxylinmethoden einfach oder doppelt gefärbt worden sind, anführen. Der Kern ist verhältnismäßig viel größer als in der lebenden Zelle; für den Zellleib bleibt oft bloß eine schmale Zone übrig; um die Zelle herum ist kein Hohlraum in Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 645 der Kittsubstanz vorhanden. Aus diesem geht zweierlei deutlich hervor: 1) dass der Kern viel weniger als der Zellleib schrumpft, 2) dass die Gliasubstanz in demselben Grad wie der Zellleib sein Volum verkleinert. Daher würden wir auch die strahlenförmigen Protoplasmafortsätze vergebens suchen. Die nur selten deutlicher konzentrisch gestreifte Lage ist die äußerste der Zelle; innerhalb dieser befindet sich das dichte, ziemlich dunkel gefärbte Protoplasma. Der Fortsatz erscheint bald als ein breiterer, bald als ein sehr schmaler Streifen und zwar, wie man sich leicht überzeugen kann, darum, weil er nicht zylindrisch, sondern meist bandartig abgeplattet ist. Die Primitivfibrillen des Fortsatzes lassen sich in die peripherische Lage der Ganglienzelle oft verfolgen; namentlich jene, welche im Schnittbilde eine seitliche Lage im Fortsatz einnehmen; die Verlängerung der mittlern fällt, wenn der Schnitt nicht sehr dick ist, nicht in die Schnittfläche. Meine Hämatoxylin- Doppelfärbung differenziert die Elemente der Ganglienzellen von Pontobdella in der folgenden Weise: Kern stahlblau, Protoplasma dunkelviolett, äußere Lage dunkelgrau, die darin befindlichen Streifen, Fibrillen schwarz. Die Gliasubstanz ist licht graublau; die Bindegewebsbalken, welche sich, da sie die Hülle der Ganglienkapseln bilden, zwischen dieGruppen von Ganglienzellen hineinschieben, sind lichtviolett. Nach dem Gesagten kann wohl kaum darüber gezweifelt wer- den, dass die äußere Lage der Ganglienzelle, welche sich im Ab- sterben als ein gestreiftes Häutchen abhebt und deren Streifen als unmittelbare Fortsetzung der Primitivfibrillen zu erkennen sind, die leitende Substanz darstellt: die zentralen Endäste der Nervenspindeln verbreiten sich trichterförmig und umgeben die Ganglienzellen mit einer dünnen Lage von leitender Substanz, in welcher sich die Primi- tivfibrillen in der Richtung der Meridiane anordnen. Eine mehr- schichtige leitende Substanz um den Kern herum, welche dadurch eine konzentrische Streifung im Schnitte verursachen könnte, kommt nur ausnahmsweise vor und ist als Artefact zu bezeichnen. Das konzentrisch gestreifte Aussehen der Ganglienzellen in toto ist eine optische Täuschung. Von dem beschriebenen Typus habe ich bei andern Tieren nur unwesentliche Abweichungen gefunden. Die Ganglienzellen des Zentralnervensystems von Wirbeltieren, welche wir in unsern Präparaten darstellen können, befinden sich in dem Zustande, welchen ich bei der absterbenden Ganglienzelle von Pontobdella ge- schildert habe. Die leitende Substanz ist geschrumpft und hat sich um den Kern herum, dem sie gelegentlich eng anliegt, zusammen- gezogen, verleilit hier der Zelle die bekannte Streifung und geht in den Nervenfortsatz über. Daher kommt es, dass es gelegentlich den Anschein hat, hauptsächlich bei stark geschrumpften Prä- paraten, als ob der Nervenfortsatz, „der Axenfaden“ von dem 646 Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? Kern ausgehen würde. Ein großer Teil des Protoplasmas befindet sich außerhalb der leitenden Substanz und sendet die übrigen Fort- sätze der Ganglienzelle, welche mit einer nervösen Leitung kaum etwas zu thun haben. In Beziehung auf Protoplasmafortsätze können unter Umständen alle Ganglienzellen bald multipolar, bald apolar sein, was nichts wesentliches in sich involviert; in bezug auf nervöse Fortsätze sind sie eigentlich alle apolar, wenn, wie gesagt, der Nervenfaden nicht Fortsatz der Ganglienzelle selbst ist. Zwei oder drei Nervenfaden gehen von einer Ganglien- zelle nur dann aus, wenn sie in den Verlauf der Fibrillen, gelegentlich an einer Stelle wo die Nervenspindel eben einen Ast abgibt, irgendwie nur eingeschaltet ist und die Fibrillen machen um die Zelle herum bloß einen Umweg. Die Ganglienzellen hängen, mit andern Worten, entweder wie Beeren am Ende der zentralen Ver- ästelungen der Nervenspindeln und dann werden sie von den gegenseitig verwachsenden Fibrillenenden umgeben (Endzellen); oder sie sind seitlich an den Aesten, sei es unmittelbar, sei es vermittels eines Stieles, angebracht, und dann werden sie von den Fibrillen, welche hier meistens nicht enden, nur umgangen (Schaltzellen). In diesem Sinne bipolare Zellen findet man bei Pon- tobdella nicht nur unter den sympathischen Ganglienzellen in der Darmwand, sondern auch in den Ganglien selbst. Hier ist aber scheinbar immer nur ein Fortsatz vorhanden, welcher sich nach einer kürzern oder längern Strecke teilt. In dieselbe Kategorie gehören auch die Ganglienzellen mit T-förmigem Fortsatz der Spinalganglien des Frosches. Wie aber auch immer die Ganglienzellen gestaltet seien, ich denke mir ihren Einfluss auf die Primitivfibrillen etwa in der Weise wie den des Magnets auf die Induktionsspirale. Ueber die Verwendung der im Obigen auseinander- gesetzten Anschauung für die Physiologie, soweit sie nicht von selbst einleuchten sollte, sowohl wie über die Nachteile der Leydig-Nansen’schen Auffassung einerseits für die Deutung der physiologischen Thatsachen, anderseits für jede rationelle Zellen- lehre, werde ich bei anderer Gelegenheit Einiges mitzuteilen haben. Hier will ich zu allerletzt noch eine Schwierigkeit erwähnen, welche meine Resultate scheinbar über den Haufen zu werfen droht. Ich meine die Befunde von His und Dohrn in der Wirbeltierembryo- logie. Diese will der ältern Annahme gegenüber, welche hauptsäch- lich Balfour entwickelt hatte, darlegen, dass die Nervenfasern in den Spinalnerven als unmittelbare Fortsätze je einer Ganglienzelle entstehen. Nun hat es aber weder Dohrn noch, wenn ich gut unterrichtet bin, ein anderer außer His gesehen, dass diese Fortsätze wirklich aus Apäthy, Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 647 den Ganglienzellen, aus Zellen, welche später wirklich als Ganglienzellen differenziert sind, hervorwachsen. Der thatsächliche Befund ist, dass die allerersten Anfänge der Spinalnerven als kern- lose Fortsätze, mit Dohrn’s Ausdruck, als undifferenzierte proto- plasmatische Ausflüsse, aus dem Medullarrohr hervorwachsen und dass gewisse Kerne, welche sich später zu diesen Fortsätzen gesellen, von Mesodermzellen herrühren. Nun fand ich aber ein ganz ähnliches Verhalten grade bei den Hirudineen, wo ich die Entstehung der Kommissurspindeln deutlich verfolgen konnte. Der Zellenkomplex, welcher aus den drei inneren Zellreihen jedes Keimstreifens entsteht, wird ausschließlich zur Herstellung des Nervensystems verwendet und ist mit dem Medullarrohr der Wirbeltiere zu vergleichen, ich sage nicht zu homologisieren. Bloß die zweite Zellreihe jedes Keimstreifens bildet aber die Ganglienzellen selbst; die erste und dritte liefert leitende Elemente: die erste für den Ganglienstrang, die dritte für die Seitennerven, deren Spindeln mit ihrem zentralen Ende, gelegentlich samt dem Kern, noch innerhalb der Ganglien- anschwellungen des Bauchstranges liegen. Ich weiß nicht, was dagegen einzuwenden wäre, wenn wir vor- läufig bloß annehmen würden, dass ein Teil der zelligen Elemente des Medullarrohrs die embryonalen Nervenspindeln anstatt Ganglien- zellen liefert. Die zentrale Hälfte jener Spindeln, welche die Wurzeln der Seitennerven liefern, wäre samt ihrem Kerne in der Wand des Medullarrohres liegen geblieben oder erst nachträglich in die „proto- plasmatischen Ausflüsse hineingewandert“. Die peripherische Hälfte solcher spindelförmigen Medullarzellen könnte auch kernlos von der Wand des Medullarrohres herauswachsen und begegnete nach einem längern oder kürzern Verlauf den von außen her wuchernden Nerven- spindeln, deren Kerne, die fälschlich so bezeichneten Scheidenkerne, bei allen Wirbeltieren charakteristisch für die peripherischen Nerven sind. Entscheiden wird man solche Fragen nur dann können, wenn Kernfärberei und Paraffin endlich aufhören in der Wirbeltierembryo- logie das letzte Wort der Methodik zu sein. So lange ich, wie in den letzten His’schen Abbildungen, eine so unwahrscheinliche histo- logische Beschaffenheit der zelligen Elemente des Medullarrohres und eine so geringe Differenzierung zwischen den verschiedenen Zellen- arten ebendaselbst gezeichnet sehe, kann ich nicht glauben, dass über die Frage schon jetzt die Akten geschlossen sein dürften und sie, wenn auch nur beim Menschen, in dem Sinne von His erledigt wäre. Als ich zu diesem Aufsatze die Feder in die Hand genommen, hatte ich die Absicht, bloß eine ganz kurze Notiz zu schreiben. Am Ende meines Schreibens angelangt sehe ich es mit Bedauern, dass ‘ 648 Exner, Trophische Nerven. ich nicht im stande war, meine hauptsächlichsten Resultate und meinen Ideengang so kurz, als ich wollte, zusammenzufassen. Und doch fühle ich, dass ich etwas sehr Lückenhaftes gegeben habe, was in einigen Punkten auch missverstanden werden könnte. Ich werde es daher nicht versäumen über diesen Gegenstand so bald als möglich meine ausführliche, mit Tafeln illustrierte Arbeit zu publizieren. Ich will mir nicht anmaßen, ein System, welches Alles umfassen könnte, entworfen, sondern nur einen Schritt in der Richtung, wo nach meiner Ansicht das Richtige zu suchen ist, gethan zu haben. Zu Dank werde ich jedem verpflichtet sein, der, indem er meine Irr- tümer widerlegt, mich zur bessern Erkenntnis eines so wichtigen Kapitels der vergleichenden Histologie helfen wird. Neapel, im Juli 1889. S. Exner, Ein physiologisches Paradoxon, betreffend die Innervation des Kehlkopfs. Centralblatt für Physiologie, 1889, Heft 6. Seit langer Zeit ist es eine lebhaft erörterte Streitfrage, ob es trophische Nerven gebe, d. h. Nerven, welche in irgend einer, freilich vollkommen unerklärlichen Weise einen unmittelbaren Einfluss auf die Ernährungsverhältnisse der Gewebe haben, mit welchen jene Nerven in Verbindung stehen. Immer wieder von neuem wurde ein solcher Einfluss behauptet, aber immer wieder gelang es, die That- sachen, welche jener Behauptung zu grunde lagen (Augenentzündung nach Trigeminusverletzung, Lungenentzündung naeh Vagusdurchschnei- dung u. s. w.), auf andere und einfachere Weise befriedigend zu er- klären. Eine neue Stütze schien jedoch diese Lehre zu erhalten durch die Beobachtung von H. Müller!), dass nach Durchschneidung eines N. laryngeus sup. beim Pferde die sämtlichen Kehlkopfmuskeln der operierten Seite beträchtlichem Schwunde anheimfallen. Der N. laryn. sup. ist beim Pferde nur sensibler Nerv des Kehlkopfs, er innerviert keinen einzigen Muskel. Wenn diese dennoch atrophieren, so konnte das, wie es schien, nicht als Folge einer Muskellähmung angesehen werden; es schien also in der That nichts anderes übrig zu bleiben, als eine unmittelbare trophische Wirkung anzunehmen. Herr Exner, welcher gefunden hatte, dass beim Menschen und beim Kaninchen Fasern des N. laryng. sup. in einzelne Kehlkopf- muskeln hineingehen, dass bei letzterem Tier Reizung des Nerven keine Kontraktion jener Muskeln bewirkt, dass dieselben aber trotzdem nach der Durchschneidung des Nerven atrophieren, glaubte sich des- 1) Das Kehlkopfpfeifen des Pferdes. Stuttgart 1888. Exner, Trophische Nerven. 649 halb der Auffassung Müller’s anschließen zu müssen !). Er ist aber aufgrund neuerer Beobachtungen von dieser Ansicht durchaus zurück- gekommen. | E. wiederholte den Versuch vou Müller am Pferde. Er konnte sich aber dabei eines von Polansky und Schindelka neuerdings erfundenen Kehlkopfspiegels für das Pferd?) bedienen und infolge dessen die Wirkungen der Nervendurchschneidung wie der Reizung am lebenden Tier genau beobachten. Es ergab sich folgendes: An einem gesunden Pferde, dessen Kehlkopfatmung durchaus normal war, wurde der linke N. laryn. sup. durchschnitten und ge- reizt. Letzteres bewirkte keine Spur von Bewegung am Kehlkopf; sodann wurde ein etwa 5 em langes Stück des Nerven exzidiert und die Wunde geschlossen. Unmittelbar nach der Durchschneidung er- schien das linke Stimmband wie gelähmt und blieb fortan unbeweg- lich. Durch leises Blasen in die Nüstern konnte man jederzeit starke Bewegungen des rechten Stimmbands hervorrufen; dasselbe ging dann über die Mittellinie hinaus nach links und bewirkte für sich allein vollkommenen Verschluss der Stimmritze; das linke Stimmband aber blieb in Ruhe- (Kadaver-) Stellung. Nach anderthalb Monaten wurde das Tier getötet. Zwei Tage vorher wurde auch der rechte N. laryn. sup. durchschnitten. Sofort hörten auch die Bewegungen des rechten Stimmbaırds auf. Reizung des Nerven war auch hier ohne Einfluss auf die Muskeln. Die Sek- tion ergab mit freiem Auge sichtbare Verschmächtigung und gelbliche Verfärbung der linken Muskeln (M. crieothyaeoideus und M. ericoary- taenoideus post.). Ueber die mikroskopische Untersuchung soll später berichtet werden. Wir sehen also, dass die Durchschneidung des nicht motori- schen sondern sensiblen Nerven die Kehlkopfbewegungen auf- hebt. Die Zusammenziehung der Kehlkopfmuskeln kommt demnach im Leben sozusagen nur reflektorisch zu stande. Man kann auch mit Herrn Exner die scheinbare Kehlkopflähmung nach Verlust der Sensibilität mit den ataktischen Bewegungsstörungen vergleichen, die ja ebenfalls nur als Folgen sensibler Störungen auftreten. Das Wesentliche aber ist, dass die nachfolgende Entartung der Muskeln als Folge der Inthätigkeit (Inaktivitätsatrophie) aufgefasst werden kann, dass also auch dieser Müller’sche Beweis für die Existenz trophischer Nerven wieder hinfällig geworden ist. J. Rosenthal. 1) Physiol. Centralblatt, 1888, Nr. 24. 2) Oesterr. Zeitschrift für wissensch. Veterinärkunde, III, 1. 650 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. Ueber Verbreitung und Bedeutung feinfaseriger Strukturen in den Geweben und Gewebselementen des tierischen Körpers. Vortrag, gehalten am 5. Nov. 1888 in der Universitäts- Aula zu Greifswald. Von Dr. Emil Ballowitz, Privatdozent und Prosektor an der königl. Universität zu Greifswald. Meine Herren! Wohl wenige Gebiete unseres Wissens haben in den letzten Dezennien eine solche Ausdehnung gewonnen und haben sich dabei zugleich so vertieft und spezialisiert, als die Wissenschaft, welche es sich zur Aufgabe macht, den feineren und feinsten Bau der Lebewesen mit Hilfe des Mikroskopes zu erforschen. Das Auffinden neuer und eigenartiger Methoden zum Nachweise organischer Strukturen — ich erinnere nur an die Metallreduktionen im Gewebe; die Einführung einer großen Zahl von Farbstoffen, ganz besonders der vielseitig verwendbaren Anilinfarben in die mikros- kopische Technik; die Verbesserung des Verfahrens, auch die feinsten plasmatischen Strukturen genau oder fast genau in dem Zustande, in welchem sie sich während des Lebens befinden, zu fixieren; die äußerst vervollkommnete, besonders für das Studium der Entwick- lungsgeschichte wichtige Schneidetechnik, welche es gestattet lücken- lose Serienschnitte von größter Feinheit auch durch die kleinsten und zartesten Objekte anzufertigen; vor allem aber die stetig zunehmende und schon bis zu staunenswerter Höhe gediehene Verbesserung unserer optischen Hilfsmittel, der Mikroskope, ich denke an die Im- mersionssysteme und die Beleuchtungsapparate — alle diese Faktoren und noch viele andere haben es ermöglicht, dass eine große Reihe wichtigster Thatsachen aufgedeckt wurde und die Lehre von der mikroskopischen Anatomie der Lebewesen in den einzelnen Diszi- plinen der organischen Naturwissenschaften einen solehen Umfang angenommen hat, dass es fast schon die volle Kraft des Einzelnen erfordert, dieselbe auch nur annähernd zu beherrschen. Es gilt dies in gleicher Weise für die Botanik wie für die Zoologie, für die Entwicklungsgeschichte wie für die vergleichende Anatomie. Es darf hier nicht meine Aufgabe sein, auch nur anzudeuten, welcher Umschwung hierdurch in Anschauungen und Forschungs- methoden hervorgerufen wurde und wie umgestaltend diese speziali- siert mikroskopische Richtung auf den einzelnen Gebieten, auch auf dem der praktischen Medizin durch die epochemachenden bakterio- logischen Entdeckungen, gewirkt hat. Hier soll nur die Lehre von der Struktur der Gewebe und Gewebselemente des Menschen und der höheren Wirbeltiere berührt werden und möge es mir gestattet sein, zu untersuchen, in welchen Bestandteilen des tierischen Körpers sich eine Zusammensetzung aus feinsten Fäserchen findet und welche Be- Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. 651 deutung diese fibrilläre Struktur für die Gewebe und Gewebselemente besitzt. Diese Frage betrifft zugleich die feinsten, optisch noch nicht seit lange zugängigen Strukturverhältnisse der Zelle und ihrer Deri- vate und erlaubt zugleich, wenn auch von einem engbegrenzten Ge- sichtspunkte aus, einen Streifblick auf die Hauptgebiete der Gewebe- und Zellenlehre zu werfen. Der Umfang dieses Themas gebietet indessen, nur die Hauptpunkte zu berühren und auch von diesen nur eine flüchtige Skizze in engem Rahmen zu entwerfen. Wie bekannt, ist Theodor Sehwann der eigentliche Begründer der wissenschaftlichen Zellen- und Gewebelehre. Während bis dahin von den Anatomen nur Gruppen von Fasern, Zellen, Kugeln u. s. w. im Gewebe des Körpers unterschieden und ohne innern organischen Zusammenhang betrachtet wurden, führte Schwann alle die ver- schiedenen Gewebselemente auf einen Grundtypus zurück: auf die Zelle. In ähnlicher Weise, wie Schleiden kurz vorher die Zu- sammensetzung der Pflanzen aus Elementarteilen, den Zellen, nach- gewiesen hatte, stellte auch Schwann für den tierischen Körper den Satz fest, dass sich auch dieser aus zahlreichen gleichwertigen Elementargebilden, den Zellen, zusammensetzt und dass sich alle Gewebselemente, so mannigfach sie auch gestaltet sein mögen, aus diesen mehr weniger selbständigen Zellen hervorbilden. Diese Grundgedanken sind in einer kleinen Schrift, welche den vielsagenden Titel führt: „Mikroskopische Untersuchungen über die „Uebereinstimmung in der Struktur und dem Wachstum der Tiere „und Pflanzen“ und welche 1839 in Berlin erschien, sehr anziehend entwickelt. Die konsequente Durchführung und wissenschaftliche Begrün- dung dieser Idee ist das große unauslöschliche Verdienst Schwann’s; auf diesen fundamentalen Sätzen beruht noch heute unsere ganze Anschauung, welche wir von der Zusammensetzung des tierischen wie des pflanzlichen Organismus besitzen. Zwar hat es nicht an Versuchen gefehlt, dieses Fundament zu erschüttern. Erst kürzlich ist von Heitzmann die Hypothese aufgestellt worden, dass einzelne, selbständige, gesonderte Elemente im Körper gar nicht vorkommen, vielmehr der ganze Organismus eine einheitliche Masse, ein sogenanntes Syneytium darstelle, in welcher alle Elementarteile mit einander zu- sammenhängen. Indessen konnte diese Hypothese einer genauen Prüfung nicht standhalten !). Es lag nun im Wesen einer so umfassenden, erst den Grund zu einer ganz neuen Anschauung legenden Arbeit, wie Schwann sie lieferte, dass manche Irrtümer und Unrichtigkeiten mit unterliefen. Es blieb einer spätern Zeit vorbehalten, dieselben aufzuklären. 1) Vergl. hierüber auch A. v. Kölliker’s Eröffnungsrede der Verhand- lungen der ersten Versammlung der anatomischen Gesellschaft in Leipzig am 14. April 1887. Anatomischer Anzeiger, 1887, Bd. II, S. 336. 652 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. So musste schon bald der Begriff der tierischen Zelle selbst be- richtigt werden. Schwann hatte, noch zu sehr beeinflusst von den An- schauungen Schleiden’s über den Bau der Pflanzenzelle, die tierische Zelle als ein von einer Membran umgebenes Bläschen definiert, welches in seinem Innern einen Kern mit Kernkörperchen enthält. Die Mem- bran sah er als etwas sehr wesentliches an. Es stellte sich indessen bald heraus, dass die Zellmembran sehr vielen Zellen ganz fehlt, und dass sie, wenn überhaupt vorhanden, nur ein accessorisches Gebilde ist, welches erst von der Zelle selbst geliefert wird. Am weitesten fehlte Schwann in der Auffassung der Entstehung der Zellen. Er ließ die Zellen durch eine Art von Generatio aequi- voca im Körper entstehen und verglich ihren Bildungsprozess gradezu mit der Krystallisation. In ähnlicher Weise, wie die Krystalle in der Mutterlauge anschießen, sollten die Zellen sich in einer organisier- baren Flüssigkeit bilden. In diesem Oytoblastem genannten Bildungs- stoff sollten sich die Moleküle zusammenlagern und zuerst den Zell- kern bilden, um welchen herum dann der Zellleib und die Zellmembran entstünde. Gegen diese sogenannte freie Kern- und Zellbildung er- hoben sich nun sehr bald schwerwiegende Bedenken und zahlreiche Beobachtungen machten diese Hypothese unhaltbar. Vor allem war es Virchow, welcher besonders auf pathologisch - anatomischen Gebiete nachwies, dass die Zellen niemals frei entstehen können und dass jede Zelle stets nur aus einer Zelle entsteht und zwar durch Teilung der Mutterzelle. Diese Errungenschaft wurde in dem be- kannten Satze: Omnis cellula e cellula formuliert. Bald konnte man indessen diese Formel noch mehr präzisieren, da man feststellte, dass bei dem Teilungsprozesse stets der Kern beteiligt ist und die Teilung des Kernes der Vermehrung der Zelle mehr oder weniger unmittelbar vorausginge. Man machte die Beobachtung an verschiedenen Zellen, dass der Kern in einer Zelle nicht mehr rund oder oval oder stäbchen- förmig war, sondern Formveränderungen zeigte, ja bisweilen biseuit- förmig eingeschnürt erschien, dass häufig zwei kleinere Kerne in einer Zelle eines keimenden Gewebes lagen und dass dabei dann auch eine Einschnürung des Zellleibes bis zur vollständigen Teilung erfolgte. Hieraus schloss man, dass der Zellteilungsprozess durch eine direkte Teilung des Kernes eingeleitet würde und eine Ver- mehrung der Zelle niemals ohne Beteiligung des Zellkernes vor sich gehen könne. Es galt von jetzt ab der Satz: Omnis nucleus e nucleo. Lange Zeit hat dieser Satz von einer direkten Teilung des Kernes allgemeine Giltigkeit gehabt. Erst Mitte der siebziger Jahre stellten Strasburger an der pflanzlichen Zelle und nur wenig später Flem- ming an der tierischen Zelle durch umfassende Untersuchungen fest, dass die Beteiligung des Zellkernes an der Zellteilung noch weit eingreifender wäre und dass der Kern sehr verwickelte und ganz typische, höchst eigentümliche Umgestaltungen erlitte, sobald er in Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. 655 das Teilungsstadium einträte. Ja es wurde hierdurch wahrscheinlich, dass eine einfache direkte Querteilung des Kernes, wenn nicht ganz ausgeschlossen ist, so doch nur an sehr wenigen Zellarten vorkommt. Man nannte diese Erscheinungen der Kernbewegung, welche bei der Zellteilung auftreten, Karyokinese oder Karyomitose und die faden- artigen Bildungen, in welche der Kern sich bei dieser indirekten Kernteilung umwandelt, Mitosen. Ich werde Gelegenheit haben, hierauf später noch kurz zurückzukommen. Diese Erkenntnis ver- dankten Strasburger und Flemming der genauen Beobachtung lebender Zellen mit starken Vergrößerungen und besonders auch dem Studium in ganz lebensfrischem Zustande durch schnell abtötende Mittel fixierter und dann different gefärbter Objekte. Hierdurch ist unsere Anschauung vom Bau und Leben der Zelle eine ganz andere geworden, als sie es früher war. Es hat sich herausgestellt, dass auch die einfachste Zelle ein sehr kompliziert gebauter Elementar- organismus ist, an welchem eine bestimmte, oft sehr verwickelte Struktur wahrgenommen werden kann. Es ist daher möglich, eine weit schärfere Definition zu geben, als sie von Schwann geliefert werden konnte. Man versteht jetzt unter Zelle nach Flemming’s Untersuchungen „ein räumlich abgegrenztes Klümpchen lebenden, aus „einem Gemisch von Proteinsubstanzen bestehenden Protoplasmas mit „eignem Stoffwechsel und mit dem Vermögen, sich durch Teilung zu „vermehren, welches im Innern einen Zellkern, d. h. einen abge- „grenzten chemisch differenten, nucleinhaltigen Körper besitzt und „welches mit besondern Bauverhältnissen in seiner Substanz und in „der des Kernes versehen ist“ ?). Diese Zellen sind nun im frühen embryonalen Leben der Form nach noch sehr einfach und gleich gestaltet. Im wachsenden Or- ganismus teilen sie sich reichlich, verbinden sich vielfach mit einander und formen sich je nach der Funktion, welche sie übernehmen, zu den mannigfachsten Gebilden um. Ein anderer Teil von Zellen son- dert Zwischensubstanz, sog. Interzellularsubstanz zwischen sich ab oder zerfällt selbst mit einem Teil seines Protoplasmas in solche. Diese Zwischensubstanz ist oft so reichlich, dass die Zellen gegen dieselbe ganz in den Hintergrund treten. Durch diese Zusammenlagerung und Umgestaltung der Zellen im Verein mit dem Auftreten der Zwischensubstanz entstehen die Gewebe, welche je nach der Funktion, welcher sie vorstehen und je nach den Organen, welchen sie angehören, wiederum sehr verschieden beschaffen sind und welche das eigentliche Substrat für die Lebensäußerungen der Organe und Organismen bilden. Hierbei lagern sich gleich ge- staltete und gleich funktionierende Zellen meistens zu größeren Zell- gruppen zusammen. So finden wir z. B. im Organismus ein Epithel- gewebe, welches aus zahlreichen, mehr oder weniger gleichgestalteten, 1) W. Flemming, Zellsubstanz, Kern und Zellteilung. Leipzig 1882. S. 72. 654 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. durch geringe Kittsubstanz mit einander verbundenen Zellen besteht und welches freie Oberflächen des Körpers bekleidet, ferner ein Binde- gewebe, ein Knorpelgewebe, ein Knochengewebe, ein Nervengewebe, ein Muskelgewebe u. a. m. In allen diesen Geweben ist eine be- stimmte Struktur und Anordnung der Elementarteile, wenn nicht allein vorhanden, so doch vorherrschend; dieselbe bietet bei allen Tieren ein im wesentlichen gleiches, ganz typisches Aussehen dar. Man hat sich nun schon früh bemüht, diese verschiedenartigen Gewebe des tierischen Körpers nach ihrer Zusammengehörigkeit geordnet zusammenzustellen und eine systematische Einteilung der mikroskopischen Bestandteile des Körpers zu liefern. War es doch stets in der organischen Naturforschung das Erste, ein System zu schaffen, wenngleich man auch immer wieder die Erfahrung machen musste, dass die Natur sich viemals in ein System zwingen lässt, dass überall vorhandene Uebergänge eine scharfe Sonderung unmög- lich machen. So auch hier! Der erste Versuch, eine wissenschaft- liche Einteilung der Gewebe zu begründen, wurde von Schwann aufgrund seiner Zellentheorie gemacht. Es spielte hierbei als prin- cipium dividendi noch die unwesentliche Zellmembran eine Rolle; daher konnte diese Einteilung nur kurze Zeit befriedigen. Aber auch alle späteren Versuche sind nicht viel weiter gekommen, alle waren sie künstliche Systeme, welche nahe Verwandtes gewaltsam auseinander rissen. Schon Frey!) betonte, dass eine Einteilung der Gewebe sich nur auf die Entwicklungsgeschichte und die Entwicklung der Gewebe selbst gründen kann. Bekanntlich entstehen alle Gewebe aus dem einer einfachen Zelle vergleichbaren tierischen Ei durch wiederholte Teilung desselben in stetig an Zahl zunehmende Zellindividuen. Durch diesen Furchungsprozess bildet sich im Ei ein Zellenmaterial, welches sich alsbald zu drei auf einander liegenden Schichten, den Keimblättern, anordnet, einem äußern, mittlern und innern Keimblatt. Es ist sogar erwiesen, dass urprünglich nur erst zwei Keimblätter vorhanden sind, von denen sich erst das dritte abspaltet. Man war nun lange Zeit der Ansicht, dass aus diesen drei Keimblättern alle Gewebe in der Weise hervorgehen, dass aus jedem Keimblatt nur ganz bestimmte Gewebe entstehen können. Hierdurch schien der sicherste Anhaltspunkt für die Erkenntnis des genetischen Zusammen- hanges der einzelnen Gewebe gegeben. Indess drängen alle neueren Beobachtungen daraufhin, dass diese drei Keimblätter keine bestimmten Beziehungen zu den besondern Geweben haben ?), dass sich vielmehr an der Bildung der Gewebe bei den Wirbeltieren noch ein zweites zelliges 4) H. Frey, Handbuch der Histologie und Histochemie des Menschen. Leipzig 1876. S. 112. 2) Vergl. „Anatomischer Anzeiger“, 1887, Bd. I, S. 335. Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. 655 Keimmaterial beteiligt, welches außerhalb der Blätter im Ei liegt. Be- sonders sind es His und Waldeyer, welche diese Lehre begründet haben. Beide Forscher stimmen darin überein, dass die Hauptrolle bei der Bildung des Embryos die Keimblätter, von ihnen Archiblast genannt, spielen, während der Nebenkeim oder Parablast ein mehr accessorisches Gebilde ist, welches sich mit dem Hauptkeim erst dureh Hineinwachsen in denselben vereinigt. Aber trotz dieser innigen Verbindung sind die Derivate des Archiblasten und Parablasten -— und hierin liegt ein Schwerpunkt dieser Lehre — genetisch doch streng von einander geschieden. Nur aus dem Archiblasten ent- wickeln sich die Epithel- und Drüsenzellen, die Muskelfasern und die Elemente des Nervensystems; nur parablastischen Ursprungs sind dagegen die Elemente der Bindesubstanzen, also des Bindegewebes, des Knorpels, des Knochens und Zahnbeins, die Endothelzellen der Gefäße, die Iymphoiden Zellen und endlich die Bestandteile des Blutes. Es würde indess für diese vorliegende Untersuchung wenig über- sichtlich sein, wollte ich dieser genetischen Einteilung der Gewebe folgen. Es sollte uns die Besprechung der Entstehung und Einteilung der Gewebe nur zu einem schnellen Ueberblick über die histiologische Zusammensetzung des tierischen Körpers dienen und uns über den Begriff der Zelle und des Gewebes selbst orientieren. Es dürfte nun am zweckmäßigsten sein, von dem oben angedeuteten Gesichtspunkte aus zuerst die Struktur der Zwischensubstanzen und dann den feinern Bau der zelligen Elemente selbst zu untersuchen. Am mächtigsten ist die Zwischensubstanz in der Gruppe der Bindesubstanzen entwickelt. Sie prävaliert hier so sehr, dass die zelligen Elemente an Zahl wie an räumlicher Ausdehnung sehr zurück- treten. Zu dieser Gruppe gehört das eigentliche Bindegewebe, das Knochengewebe, der Knorpel und das Gallertgewebe. Ihre gemein- same Aufgabe ist, als mechanischer Stütz- und Bindeapparat des Gesamtkörpers wie seiner Teile zu fungieren. Chemisch sind sie ziemlich scharf dadurch charakterisiert, dass ihre Zwischensubstanz der größern Masse nach fast insgesamt aus Gebilden leimgebender Substanz besteht. Aber auch morphologisch erweisen sie sich als zusammengehörig durch ihre Struktur, welche bei allen, wie wir so- gleich sehen werden, in charakteristischer Weise eine feinfaserige ist. Am einfachsten ist der Bau der Zwischensubstanz in dem im Körper sehr reichlich vorhandenen Bindegewebe und wurde derselbe daher auch am frühesten bekannt. Zerzupft man ein Stückchen Binde- gewebe etwa aus den tieferen Schichten der Lederhaut unter dem Mikroskope, so erkennt man schon bei schwacher Vergrößerung, dass es sich aus einer großen Zahl feiner Fasern zusammensetzt. Unter- sucht man diese Fasern näher, so sieht man, dass dieselben äußerst zarte Fibrillen von unmessbarer Feinheit darstellen, welche sich nicht 656 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. verzweigen und im entspannten Zustande einen welligen, lockigen Verlauf zeigen )). Diese feinsten Fasern sind nun zu Bündeln vereinigt, welche sich in dem lockern sogenannten formlosen Bindegewebe unregelmäßig verbinden und ein maschenreiches, lockeres Geflecht bilden. An Stellen, wo durch die Bewegungsorgane höhere Anforderungen an die mechanische Leistungsfähigkeit dieses Bindegewebes gestellt werden, wie z. B. in den Muskelsehnen und Bändern, sind die Fibrillen viel regelmäßiger angeordnet und ist der Bau dieses sogenannten ge- formten Bindegewebes weit verwickelter, so dass es erst der sorg- fältigsten Untersuchungen bedurfte, denselben festzustellen. Die Fi- brillen liegen hier parallel dieht neben einander, zu langen Bündeln vereinigt, zwischen welchen die abgeplatteten mit flügelartigen Fort- sätzen versehenen Bindegewebszellen reihenweise lagern. Diese pri- mären Bündel werden durch lockeres Bindegewebe zu sekundären vereinigt, die wiederum durch umbüllendes Gewebe zu größeren Fas- eikeln zusammengefasst werden, so dass die kompakten Sehnenstränge entstehen. Noch verwickelter ist die Struktur des Bindegewebes an einer Körperstelle, welche eine ganz bestimmte Funktion übernommen hat und daher auch einen sehr eigenartigen Bau erhielt: in der Hornhaut des Auges. ‘Untersucht man eine ganz frische Hornhaut, so erscheint dieselbe vollständig klar, transparent und ohne Struktur. Es wäre aber sehr irrig, hieraus auf eine homogene Beschaffenheit derselben zu schließen, vielmehr hat sich gezeigt, dass dieselbe nach Anwen- dung geeigneter Methoden sehr viel histiologisches Detail erkennen lässt, so dass sie in vieler Hinsicht ein Prüfstein für mikroskopische Untersuchung wurde. Sie besteht aus einer reieblich vorhandenen Grundsubstanz mit stark abgeplatteten Zellen, welche, in Lücken der Grundsubstanz eingeschlossen, zahlreiche sich verzweigende Ausläufer besitzen, vermittels derer sie sich reichlich unter sich verbinden. Die Grundsubstanz selbst ist aus platten, mattenartig ausgebreiteten und sich durchflechtenden Zügen zusammengesetzt. Es hat nun ziemlich lange gewährt, bis man an diesen Bindegewebszügen eine feinere Struktur erkennen konnte und ist dies erst durch Maceration des Kornealgewebes in Barytwasser, Kali permanganicum und besonders in 1Oprozentiger Kochsalzlösung gelungen. Man sah dann, dass sich auch diese Bindegewebsmassen gleichfalls aus zahlreichen Fi- brillen zusammensetzen, welche noch feiner sind als die Fibrillen des übrigen Bindegewebes, aber wie diese bei dem Kochen auch Leim geben. — 4) Es müssen hier auch die dem Bindegewebe beigemischten elastischen Fasern erwähnt werden, welche ein anderes Aussehen darbieten und auch eine andere chemische Zusammensetzung besitzen. Ballowitz, Feinfaserige Strukturen, 657 Ein ganz anderes Aussehen als dieses fibrilläre Bindegewebe bietet das Knochengewebe dar. Dasselbe ist am auffälligsten ge- kennzeichnet dureh die Einlagerung bestimmter anorganischer Salze, wodurch das Gewebe ein festes, starres Gefüge erhält, welches es befähigt, als passiver Bewegungsapparat, als Angrifispunkt für die Muskelthätigkeit zu dienen. Es setzt sich zusammen aus einer gleich- falls reichlich vorhandenen Zwischen- oder Grundsubstanz und darin eingebetteten zahlreichen Zellen. Lange Zeit galt nun diese Grund- substanz, von deren ziemlich komplizierter gröbern Struktur wir hier absehen müssen, für homogen. Tomes und Kölliker hatten aller- dings schon an Knochen-Querschliffen eine feine Punktierung der Grundsubstanz gesehen, dieselbe aber als von Körnchen herrührend gedeutet. Erst von Ebner gelang es, die wahre Struktur des Knochengewebes zu erkennen. In seiner nach Methodik, wie in Dar- stellung wahrhaft klassischen Arbeit: „Ueber den feinern Bau der Knoehensubstanz“ 1875!) wies er nach, dass das Knochengewebe gleichfalls fibrillär ist und aus leimgebenden Fibrillen besteht, welche durch eine starre, die sogenannte Knochenerde enthaltende Kitt- substanz verbunden werden. v. Ebner konnte die Knochenfibrillen sogar isolieren und feststellen, dass die feinen Fäserchen sich in sehr dichte Bündel zusammenlagern, welche vielfach unter einander kom- munizieren, indem sie Fäserchen gegen einander austauschen. Nach der Anordnung dieser Fibrillenbündel unterscheidet er das geflecht- artige, das parallel-faserige und das lamelläre Knochengewebe; das letztere ist bei den Säugetieren am meisten verbreitet. Zwei Jahre später wies Tillmanns?) durch sehr sorgfältige und subtile Untersuchungen genau denselben fibrillären Bau, wie ihnv. Ebner am Knochen gefunden, auch für die Grundsubstanz des byalinen Knorpels nach. Zwar war ein faseriger Zerfall der Grundsubstanz in dem sogenannten Bindegewebs- oder Faserknorpel schon längst bekannt. Auch hatte man häufig beobachtet, dass der Hyalinknorpel unter pathologischen Verhältnissen faserig degenerierte. Indess hatte man bis dahin noch keinen sichern Anhaltspunkt, in der Grund- substanz des anscheinend sehr einfach gebauten hyalinen Knorpels eine feinere Struktur zu vermuten. Schien es doch, als bestände er -. nur aus einer ganz homogenen, durchsichtigen, mit zahlreichen ein- gelagerten Zellen versehenen Grundsubstanz. Tillmanns glückte es nun, diese scheinbar homogene, hyaline, vorher nicht zerfaserte Knorpelgrundsubstanz in einzelne Fasern und Faserbündeln zu zer- fällen, welche letzteren isoliert den Bindegewebsbündeln so ähnlich waren, dass sie sich von diesen nicht unterscheiden ließen. In gleicher 4) Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissenschaften in Wien, Bd. LXXI, Abt. II. 2) H. Tillmanns, Ueber die fibrilläre Struktur des Hyalinknorpels. Archiv für Anat. und Phys., 1877. Anat. Abt. IX, 42 658 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. Weise wie bei dem Knochengewebe konnte Tillmanns auch hier nach der Zusammenlagerung dieser gleichfalls collagenen Fibrillen- bündel ein parallelfaseriges, netzförmiges und lamelläres Knorpel- gewebe unterscheiden. Es bliebe von den Bindesubstanzen nur noch das Gallertgewebe übrig, welches sich im erwachsenen menschlichen Körper ausschließ- lich im Glaskörper des Auges vorfindet. Man könnte geneigt sein, in dieser gallertigen, leicht zerfließenden Masse am allerwenigsten eine feine Struktur zu suchen. Und doch ist auch hier eine solche vorhanden. Hans Virchow!) hat gefunden, dass auch das Glas- körpergewebe nicht homogen ist, vielmehr gleichfalls eine feinfaserige Struktur besitzt. Die Fasern dieses Gallertgewebes sind drehrund und glatt wie die übrigen Bindesubstanzfibrillen, vereinigen sich jedoeh unter einander nicht in Form von Fibrillenbündeln, sondern sind gerüstartig mit einander verbunden. Dieses Fasergerüst gibt dem Glaskörper einen gewissen Grad von innerer Festigkeit, so dass es, wie Virchow experimentell feststellen konnte, selbst einem Be- lastungszuge von 20 Gramm zu widerstehen vermag. Hierin liegt überhaupt die Bedeutung der Bindesubstanzfibrillen: es sind Stützfibrillen. Denn es ist einleuchtend, dass ein Gewebe, welches aus unzähligen, sich durchflechtenden Fäserchen besteht, wie ein Fachwerk, viel mehr Festigkeit besitzt als eine homogene Sub- stanz; es muss als die Aufgabe dieser Fibrillen im Bindegewebe, Knochen, Knorpel und im Gallertgewebe angesehen werden, die Stütz- funktion dieser Gewebe zu erhöhen. — Es bietet nun Interesse, zu untersuchen, ob und in welcher Ans- dehnung eine fibrilläre Struktur auch innerhalb der zelligen Elemente selbst angetroffen wird und welche Funktion denselben hier zukommt. Wir wollen uns zuerst den kompliziert gebauten, zusammengesetzten Zellen, den Nerven- und Muskelfasern zuwenden und zunächst die Nervenfasern ins Auge fassen. Es muss hier von der Struktur des zentralen Nervensystems, besonders der Ganglienzellen, welche in dieser Hinsicht sehr viel des Merkwürdigen bieten, abgesehen werden; nur die peripheren Nervenfasern können hier Berücksichtigung finden. Von diesen unterscheidet man nach ihren Bestandteilen markhaltige und marklose oder Remak’sche Fasern. Die markhaltige Nervenfaser der Wirbeltiere besteht aus 3 einander umschließenden, lang faserförmig-zylindrischen Gebilden: und zwar aus dem feinen strukturlosen Rohr der nach ihrem Entdecker benannten Schwann’schen Scheide, ferner aus dem von dieser umschlossenen Hohl- zylinder der Markscheide und drittens aus dem feinen das Lumen der Markscheide ausfüllenden Axenzylinder. Den marklosen Nerven fehlt die 1) Bericht über die XVII Versammlung der ophthalmologischen Gesell- schaft in Heidelberg 1885; außerordentliches Beilageheft zu den „Klinischen Monatsblättern für Augenheilkunde“, XXIII. Jahrg. Ballowitz Feinfaserige Strukturen. 659 Markscheide, so dass sie nur aus Axenzylinder und der denselben um- schließenden Schwann’schen Scheide bestehen. Durch die grund- legenden Untersuchungen Remak’s 1836—38 wurde nun festgestellt, dass der Axenzylinder der wesentliche Bestandteil der Nervenfaser ist, in welchem sich die noch immer rätselhaften Vorgänge jedenfalls chemisch-physikalischer Natur abspielen, durch welche die peripheren Nervenerregungen zentripetal und die zentralen Erregungen zentrifugal geleitet werden. Inbetreff der Struktur dieses axialen Teiles bemerkt Remak schon 1837, dass das Primitivband, wie er den Axenzylinder nennt, sich meist so darstelle, als wäre es aus sehr feinen, soliden Fäserchen zusammengesetzt, die in ihrem Verlaufe zuweilen zu kleinen Knötchen anschwellen. Indess vermochte Remak bei den ihm zu gebote stehenden, unvollkommenen Untersuchungsmethoden noch nicht, zwingende Beweise für seine Beobachtungen beizubringen. Es blieb den durch ihre exakte Methodik berühmt gewordenen Untersuchungen Max Schultze’s über die Nerven der Riechschleimhaut und des Gehörorgans und über die Struktur der Nervenzellen und Nervenfasern 1862— 68 vorbehalten, bestimmte Anhaltspunkte hierfür zu liefern. Max Schultze fand, dass der Axenzylinder an den Endausbreitungen der Nervenfasern in den genannten Sinnesorganen sich in sehr zahl- reiche, feinste Endfibrillen zersplittert. Ferner kam er zu dem Resultate, dass auch die zentralen Ursprungsstellen des Axenzylinders, die Ganglienzellen, eine komplizierte fibrilläre Struktur besäßen und dass sich aus diesen Fibrillen der Axenzylinder der Nervenfasern hervor- bilde. Max Schultze wird hierdurch auf die Vermutung geführt, der ganze Axenzylinder der markhaltigen Nervenfaser zwischen Ur- sprung und Endausbreitung möchte auch kein so einfaches Gebilde sein, für das man ihn bisher gehalten ; allerdings gesteht der Forscher ausdrücklich zu, dass eine wirkliche Zerfaserung eines solchen peri- pheren Axenzylinders ihm niemals gelungen sei. Diese Hypothese von einer fibrillären Struktur des Axenzylinders wurde von manchen anerkannt, von vielen Autoren indess bekämpft, welche annahmen, dass der Axenzylinder ein homogenes Gebilde sei oder sich aus reihenweise angeordneten Körnchen zusammensetze. Es entstand so einZwiespalt der Autoren, welcher noch bis in die allerneuesten Arbeiten über Nervenstruktur hineinspielt. Meiner Ansicht nach ist dieser Streit indess durch die schönen Untersuchungen Hans Schultze’s!) bereits entschieden und muss ich selbst aufgrund eigner Erfahrung für eine fibrilläre Struktur des Axenzylinders eintreten. Hans Schultze, welcher unter Flemming arbeitete, gelang es, den 4) Hans Schultze, Axenzylinder und Ganglienzelle. Mikroskopische Studien über die Struktur der Nervenfaser und Nervenzelle bei Wirbeltieren. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte. Jahrgang 1878. Anatom. Abt., S. 259. — Derselbe, Die fibrilläre Struktur der Nervenelemente bei Wirbellosen. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. 16, 1879, S. 57. 42 * 660 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. Axenzylinder der markhaltigen peripheren Nerven der Wirbeltiere in isolierte, völlig aufgefaserte Fibrillen zu zerlegen, wasMax Schultze noch nicht erreichen konnte, und er hält es für höchst wahrscheinlich, dass diese Primitivfibrillen einem im Leben vorhandenen präformierten Strukturelement entsprechen. Auch an den Nervenfasern der Wirbel- losen konnte Hans Scehultze überall als letzte Struktureinheit die Primitivfibrille isoliert zur Darstellung bringen. Es liegt nun die Frage nahe: Wie verhalten sich in Hinblick auf einen feinfaserigen Bau die Muskelelemente, welche ja mit dem Nerven- gewebe stets innig verbunden sind? Ist doch fast stets, wenigstens bei den höher organisierten Tieren, das Muskelgewebe an die Existenz des Nervengewebes gebunden und das eine nicht ohne das andere denkbar. Es ergibt sich nun hier, wie wir sehen werden, die bedeutsame Thatsache, dass auch im Muskelgewebe eine feinfaserige Zusammen- setzung der Gewebselemente ganz allgemein verbreitet ist. Bekanntlich unterscheidet man nach der Struktur ihrer Elemente zwei verschiedene, wohl charakterisierte Gruppen von Muskelfasern, die quergestreiften und die sogenannten glatten. Die erstern, die quergestreiften Muskelfasern, sind zusammen- gesetzte Zellen von der Gestalt langer, mehr oder weniger zylindrischer Fasern, welche von einer homogenen, sehr zarten Membran, dem Sarcolemma oder Muskelschlauch, umgeben werden und welche eine Querstreifung, d. h. abwechselnd auf einander folgende, sehr zahl- reiche helle und dunkle Querlinien zeigen. Von anderem abgesehen, besteht der Inhalt dieses Sarcolemmas aus zahlreichen graden, gleich- falls quergestreiften Fäserchen, den Primitivfibrillen, welche in der Weise dieht aneinander liegen, dass sich die hellen und dunklen Querstreifen der einzelnen Fibrillen stets in gleichem Niveau befinden. Hierdurch wird die regelmäßige Querstreifung der ganzen Faser her- vorgerufen. Diese Zusammensetzung der quergestreiften Muskelfaser ist eine schon längst allgemein anerkannte Thatsache. Man kann sich hiervon sehr leicht durch Mazeration jedes beliebigen Wirbel- tiermuskels in bestimmten Reagentien überzeugen. Es zerfällt dann der Muskelinhalt sehr bald in die sich isolierenden Primitiv- fibrillen. Es hat indess eine Zeit gegeben, in welcher man diesen faserigen Zerfall für ein Kunstprodukt hielt und sich der Annahme einer flüssigen Beschaffenheit des Muskelinhaltes zuneigte. Es stützte sich diese Annahme hauptsächlich auf die Beobachtung Kühne’s!), nach welcher sich in der lebenden Muskelfuser ein dort parasitieren- der Rundwurm, der Myoryctes Weismanni, ganz munter herumbe- wegt. Wie aber schon Henle?) betont, wird durch diese Exkur- 41) W. Kühne, Eine lebende Nematode in einer lebenden Muskelfaser. Archiv für pathol. Anatomie, Bd. XXVI, 1863, 8. 222. 2) Henle, Bericht über die Fortschritte der Anatomie im Jahre 1862 in der Zeitschrift für rationelle Medizin, III. Reihe, XIX. Bd., 1864, S. 25. Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. 661 sionen des Tierchens die Querstreifung nicht in Unordnung gebracht, vielmehr konnte man bei genauer Beobachtung feststellen, dass der Wurm die Fibrillen auseinander bog und sich in dem interflbrillären Raum bewegte. So wurde diese Beobachtung grade ein Beweis für die Präexistenz der Muskelfibrillen. Dazu kam, dass von Guido Wagener!) die Primitivfibrillen auch innerhalb’der lebenden wunder- bar durchsichtigen Mückenlarve von Corethra plumicornis gesehen wurden. Neuerdings ist auch durch die interessanten, sehr umfang- reichen Untersuchungen Rollett’s?) an den Muskelfasern der Insekten ganz allgemein eine Zusammensetzung aus quergestreiften Primitiv- fibrillen konstatiert. Weit schwieriger war es, an den sogenannten glatten Muskel- fasern eine feinere Struktur zu entdecken. Dieselben erscheinen als dicht neben einander liegende, fein ausgezogene, spindelförmige Einzel- zellen, deren jede mit einem so charakteristisch - stäbehenförmigen Kern versehen ist, dass derselbe histiognomisch wurde. Während des Lebens oder kurz nach dem Tode pflegen diese kontraktilen Spindelzellen nichts anderes zu zeigen, als ein durchaus homogenes Aussehen. Es ist nun das Verdienst von Guido Wagener?) zuerst aufgrund eingehender vergleichender und entwicklungsgeschichtlicher Untersuchungen zugunsten eines fibrillären Baues auch dieser Elemente bei Wirbeltieren und Wirbellosen eingetreten zu sein. Seitdem haben sich, besonders in der Neuzeit, die Beweise für eine feinfaserige Struk- tur der glatten Muskeln selır gemehrt. Besonders Ranvier und Engelmann lieferten hierfür Belege. Auch v. Kölliker*) berich- tete kürzlich auf dem II. anatomischen Kongress von der feinfaserigen Struktur der glatten Fasern des vas deferens vom Menschen. Ich konnte auch an den sonderbaren intraglandulären Muskelzellen der modifizierten Schweißdrüsen im Gesicht der Chiropteren die sehr deut- lichen Anzeichen eines Fibrillenbaues erkennen. 1) G.R. Wagener, Ueber einige Erscheinungen an den Muskeln lebender Tiere. Sitzungsberichte der Gesellsch. zur Beförderung der ges. Naturw. zu Marburg, 1872, Nr, 8. 2) A. Rollett, Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskel- fasern, Teil I. Denkschriften der kaiserl. Akademie der Wissensch., Mathem.- naturw. Klasse, Bd. 49, 1885, S. 81. — Derselbe TeilII. Denkschriften der k. Akad. d. Wissensch., Mathem.-naturw. Klasse, Bd. 51, 1886, 8. 23. 3) @. R. Wagener, Ueber die Muskelfasern der Evertebraten. Archiv für Anatomie, Physiologie und wissensch. Medizin, Jahrg. 1863. — Derselbe, Die Entwicklung der Muskelfasern. Schriften der Ges. zur Beförderung der ges. Naturw. zu Marburg, Suppl.-Heft IV, 1869. — Derselbe, Bemerkungen über den Eierstock und die gelben Körper. Archiv f. Anatomie 1879 a. a. O. 4) Vergl. die Verhandlungen der anatom. Gesellschaft auf der zweiten Versammlung in Würzburg, den 20.—23. Mai 1888. Anatomischer Anzeiger, III. Jahrg., 1888, S. 723. 662 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. Außer diesen soeben geschilderten Muskelelementen kommen bei manchen Wirbellosen, z. B. den Würmern und Mollusken, noch ganz eigenartige Muskelfasern vor, welche doppelt schräggestreift erscheinen, so dass die Oberfläche, wie aus zierlichen rhombischen Feldehen zu- sammengesetzt sich ausnimmt. Engelmann!) hat für diese Elemente, entgegen Schwalbe’s Untersuchungsresultaten, nachgewiesen, dass auch diese Elemente aus sich kreuzenden Fibrillen bestehen. Ich kann nach vorläufigen Untersuchungen an Anodonta diesen Ergeb- nissen Engelmann’s durchaus beipflichten. Es ist mithin feststehend, dass alle Muskelgewebe, deren Kon- traktion in geregelter und ganz bestimmter Weise verläuft, aus fein- faserigen, graden, regelmäßig und ganz bestimmt angeordneten Ble- mentarteilen, den Fibrillen zusammengesetzt werden. Außer diesen mit der spezifischen Funktion der Zusammenziehung begabten Geweben haben wir im tierischen Körper aber auch noch Ge- bilde, welche, neben andern Verrichtungen, gleichfalls Kontraktilität zeigen, wenn auch nicht in dieser ausschließlichen Weise, wie das Muskelgewebe. Es müsste denn sein, dass an diesen Gebilden ganz bestimmte Organe diese spezifische Funktion der Kontraktion über- nommen haben. Ich meine die Elementarteile, von welchen wir bei unserer Betrachtung ausgegangen sind, die einfachen Zellen; denn auch sie sind kontraktil. Am auffälligsten äußert sich diese Kontraktilität an den Flimmer- organen der Flimmerzellen, deren wunderbares Bewegungsspiel von jeher den mikroskopierenden Naturforscher gefesselt bat. Diese Flim- merorgane der Zellen können in den mannigfachsten Formen auf- treten, in Gestalt von Härchen, Stacheln, Häkchen, undulierenden Membranen, Schwimmplättchen u. s. w. und sind im Tierreiche sehr verbreitet. Alle Infusorien z. B. bewegen sich ausschließlich mittels dieser Organe. Bei den höhern Tieren finden sich diese Flimmer- apparate gewöhnlich in Form mehr oder weniger feiner Härchen, welche meist in größerer Zahl auf der Oberfläche zylindrischer Epithelzellen aufsitzen. Bisweilen trifft man auch nur ein einziges, gewöhnlich sehr großes Flimmerhaar an der Zelle und bezeichnet diese dann als Geißel- zelle. Alle Härchen der Flimmerzellen eines größern Zellkomplexes schnellen sich nun isochron nach einer Seite hin, um im nächsten Augenblick etwas langsamer nach der entgegengesetzten Seite zurück- zuschlagen und zwar so, dass alle Härchen stets in derselben Rich- tung sich bewegen. Diese Schläge folgen im Leben äußerst schnell aufeinander, so schnell, dass es völlig unmöglich wird, die Einzelschläge auch nur annähernd zu erkennen. Es entsteht dadurch bei Betrachtung eines solches Zellgebietes in Bewegung unter dem Mikroskope der op- 4) Th. W. Engelmann, Ueber den faserigen Bau der kontraktilen Sub- stanzen, mit besonderer Berücksichtigung der glatten und doppelt schräg- gestreiften Muskelfasern. Arch. f. die gesamte Physiologie, Bd. 25, 1881, S. 551. Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. 665 tische Eindruck des Flimmerns, und ließe sich die Erscheinung etwa vergleichen mit einem in heftigem Winde wogenden Kornfelde. Besser noch erscheint mir der Vergleich mit dem Glitzern eines von der Sonne beschienenen, über Kiesel schnell dahinfließenden Baches. Es liegt der Gedanke nahe, dass Gebilde mit so wunderbarem Bewegungs- phänomen auch eine kompliziertere Struktur besitzen müssen. Schon vor einer Reihe von Jahren berichtete Engelmann!), dass auch diese Flimmerorgane der Tiere nicht strukturlos sind, sondern sich aus sehr feinen parallel neben einander liegenden Fibrillen zusammen- setzen. In neuerer Zeit haben Stein und Möbius an den Geißeln und Membranellen der Infusorien und Chun an den Schwimmplättcehen der Ctenophoren einen feinfaserigen Bau derselben nachgewiesen, so dass an einer fibrillären Struktur der Flimmerapparate nicht gezweifelt werden kann. Ueberaus interessant ist die Thatsache, dass auch bei den Sinnes- zellen, den Endapparaten der Nerven, welche durch physikalisch- chemische Bewegungen spezifisch erregt werden und diese Erregung sodann auf die leitenden Nervenfasern übertragen, ein feinfaseriger Bau mehrfach beobachtet wird. So berichten R. Wagner und neuer- dings Retzius in seinem großartigen Prachtwerk über das Gehör- organ, dass die Hörhaare, welche den Sinneszellen aufsitzen und die physikalischen |Bewegungen höchst wahrscheinlich auffangen, eine Zusammensetzung aus Fasern erkennen lassen. Auch an den Sinnes- zellen der Retina hat Max Schultze bereits einen ähnlichen fein- streifigen Bau gesehen. Diese Thatsachen geben im Hinblick auf die Koineidenz der fibrillären Struktur bei Nerven- und Muskelfasern sehr zu denken. Als modifizierte Flimmerzellen und zwar als Geißelzellen lassen sich Zellkörper auffassen, welche lange Zeit wegen ihrer meist völlig freien, sich sehr lebhaft äußarnden Beweglichkeit als Tierchen auf- gefasst wurden und Spermatozoa oder Samentierchen genannt wurden. Sie bestehen für gewöhnlich aus einem Kopf, dem modifizierten Zell- kern und einer sehr verschieden gestalteten, fadenartigen, meist sehr lebhaft hin- und herschwingenden Geißel. Ihrer großen Bedeutung wegen, welche diese Körper für die Lehre von der Befruchtung des Eies und für die Lehre von der Vererbung haben, ist ihr Bau sehr oft Gegenstand genauen Studiums geworden. Indess lagen bis jetzt noch keine Beweise vor, dass die Spermatosomen eine ähnliche Struk- tur besäßen, wie wir sie bei den übrigen kontraktilen Substanzen kennen gelernt haben. Auch ich habe diese in so vielfacher Beziehung interessanten 1) Th. W. Engelmann, Ueber die Flimmerbewegung. Jenaische Zeit- schrift für Medizin und Naturwissenschaft, Bd. IV, 1868, S. 459. — Derselbe, Hermann’s Handbuch der Physiologie, Bd. I, Teil 1, S. 382. 664 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. Körper vor 2 Jahren !) näher untersucht und diese Arbeiten in ziem- lich extensiver Weise auf sehr viele Tiergruppen ausgedehnt. Es haben sich mir denn auch inbezug auf den feinern Bau der Geißel interessante Aufschlüsse ergeben. Ich konnte für die Säugetiere, Vögel?), Amphibien und andere Tiere feststellen, dass die Geißel aus 2 differenten Gebilden besteht, dem durch A. vonBrunn entdeckten Axenfaden und einer denselben umkleidenden, sehr mannigfach geformten Hülle. Bei den Säugetieren und Vögeln ist der Axenfaden der eigent- liche Träger der Kontraktilität und wird, wie ich fand, aus zahl- reichen, parallel neben einander liegenden, durch Kittsubstanz zu 2 Bündeln vereinigten Fädchen gebildet. Diese Elementarfibrillen, wie ich sie nannte, sind äußerst fein, so fein, dass sie an der Grenze des auch bei stärkster Vergrößerung optisch Erreichbaren liegen. Die Hülle besitzt hier keine fibrilläre Struktur. Anders bei vielen Insekten. Hier übernimmt der Axenfaden die Funktion einer Stützfaser, an welche sich der zu einem krausenartig gefalteten Saum umgestaltete Mantel anheftet. Die Stützfaser ist nicht kontraktil und strukturlos, d.h. ohne fibrilläre Zusammensetzung. Dagegen ist hier bei den Insekten die Hülle kontraktil und zeigt ein prachtvolles Flimmerphänomen. Ich fand nun, dass dieser kontraktile Saum einen ganz exquisit fibrillären Bau besitzt. Aehnlich gebaut sind die Spermatosomen der Amphibien und zwar der Salamandrinen. Der Axenfaden ist auch hier nicht kontraktil und — merkwürdig! — auch nicht fibrillär. Er wird von einer Hülle umgeben, welche gleichfalls keine Andeutung eines feinfaserigen Baues aufweist. Mit dieser Hülle hängt eine äußerst zierliche und zarte, krausenartig hin- und hergebogene, mit einem deutlich hervortretenden Randfaden versehene schmale Membran zusammen, welche regelmäßige undu- lierende Bewegungen zeigt und hierdurch die Vorwärtsbewegung des Körpers veranlasst. Es ist sehr interessant, die Entdeckungsgeschichte dieser undulierenden Membran zu verfolgen; dieselbe repräsentiert gewissermaßen ein charakteristisches Stück der Geschichte mikros- kopischer Forschung selbst ?). Man nahm die Bewegung der Membran früher wahr, als man das sich bewegende Organ selbst erkannte. Schon Spallanzani sah 1776 das Flimmerphänomen an den Samen- 1) Vergl. E. Ballowitz, Zur Lehre von der Struktur der Spermatozoen. Anatomischer Anzeiger, I. Jahrg., 1886, Nr. 14. 2) E. Ballowitz, Untersuchungen über die Struktur der Spermatozoen, zugleich ein Beitrag zur Lehre vom feinern Bau der kontraktilen Elemente. TeilI. Die Spermatozoen der Vögel, 5. Tafeln. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. 32, 1888. 3) Vergl. hierüber auch Czermak, Ueber die Samenfäden der Salamander und der Tritonen. Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. II, 1850, S. 350. Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. 665 fäden der Molche, doch glaubte er, dass sich auf beiden Seiten der Spermatozoen einfache Reihen von Härchen befänden, welche sich wie winzige Ruder bewegten. Rudolph Wagner!) bildete 1837 diese Härchen, welche gar nicht existieren, in seiner größern Arbeit über den Bau der Spermatosomen noch mehrfach ab. v. Siebold erkannte zuerst den Randfaden der Membran, aber nicht die Membran selbst. Er meinte jedoch irrigerweise, dass dieser Faden sich spiralig um den Geißelfaden herumlege. Erst der scharfen Beobachtung Czer- mak’s gelang es 1850 festzustellen, dass der Randfaden auf einer Seite des Samenkörpers herabliefe; indess war es ihm nieht möglich, die Membran selbst zu erkennen, er kam aber zu dem Schluss, dass eine solche vorhanden sein müsse. Erst v. Siebold glückte es dann später, diese Membran durch Färbung darzustellen. Uebrigens hatten sich schon früher Pouchet?) und Amieci für die Existenz einer flimmernden Membran ausgesprochen. Ich will nicht verschweigen, dass auch ich diese zarte Membran untersuchte und habe ich Grund zu der Annahme, ja ich kann wohl sagen, ich habe Beweise dafür, dass der Randfaden der Membran das eigentliche kontraktile Element derselben ist und dass dieser Rand- faden, so fein, wie er auch ist, sich doeh noch der Länge nach aus feinsten Fäden zusammensetzt °). Durch diese und manche andere Ergebnisse dieser sehr mühe- vollen Untersuchungen angeregt, untersuchte ich in Hinsicht auf fibrilläre Struktur auch die andern kontraktilen Substanzen, deren Bau wir oben kennen gelernt haben. Hierdurch kam ich selbständig zu dem Schluss, dass die Kontraktilität überhaupt stets an die Existenz feinster kontraktiler Fibrillen gebunden sei. Bei der Durchsicht der Literatur fand ich indess, dass dieser Gedanke schon von Engel- mann, welcher sich sehr eingehend mit dem Studium der kontrak- 1) R. Wagner, Fragmente zur Physiologie der Zeugung, vorzüglich zur mikroskopischen Analyse des Spermas. Abhandl. der k. bayr. Akademie der Wissenschaften, Bd. II, 1837. 2) Vgl. hierüber auch Fr. Leydig, Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der Tiere. Bonn 1883. S. 108. 3) Bei fortgesetzten, umfangreichen Untersuchungen an mehreren Arten urodeler Amphibien haben sich mir die früher von mir gemachten Beobach- tungen in jeder Weise bestätigt. Bei der Subtilität der Beobachtungen und der großen Schwierigkeit der Darstellung wagte ich in meiner ersten Mit- teilung (1886, Anatomischer Anzeiger, Jahrg. I, Nr. 14, S. 372) noch nicht, von einer fibrillären Struktur des Randfadens zu berichten, obwohl ich dieselbe auf das deutlichste gesehen hatte, Ich teilte damals nur mit, dass die Untersuchung der Spermatozoen der Amphibien auf eine fibrilläre Struktur, „wenigstens für den Geißelfaden* zu keinem Resultate führte. Ueber die Einzelheiten vergl. meine demnächst in Archiv für mikroskopische Anatomie erscheinenden ausführlichen Mitteilungen. 666 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. tilen Gewebe befasst hat, 1881 ausgesprochen und präzisiert war). Engelmann kam aber auf ganz anderem Wege, als ich, zu genau demselben Resultate, nämlich durch Untersuchung der glatten und doppelt schräggestreiften Muskelfasern. Die kontraktilen Spermato- somen konnten von diesem Forscher noch nicht berücksichtigt werden. In seiner Arbeit führt Engelmann auch dafür Beispiele an, dass sich auch das scheinbar formlose, amöboid bewegliche Zell- Protoplasma unter Umständen zu feinsten Fäserchen anordnet. Engel- mann erinnert an die feinen, radiär ausstrahlenden, fließenden Proto- plasmafäden der Rhizopoden, die sogenannten Pseudopodien, ferner an die Beobachtungen von de Bary, Kühne und Czerny an Myxoplasmodien und Amöben, wonach sich an der Oberfläche dieser Organismen bisweilen feine Härchenbesätze bilden. Auch berichtet er von verschiedenen Süßwasser-Heliozoen, dass die Protoplasmafäden dieser Urtiere bei Reizung wie echte animale Muskeln zucken und so gewissermaßen einen Uebergang von den gewöhnlichen Pseudo- podien zu echten Muskelfibrillen darstellen. Mit diesen von Engel- mann angeführten Beispielen lassen sich meiner Ansicht nach noch sehr viele andere Beobachtungen in Beziehung bringen. Hierher ge- hören die sehr bemerkenswerten Beobachtungen von Sommer und Landois?), wonach bei gewissen Tänien zarte Protoplasmafäden der subkutikulären Zellen durch zahlreiche Porenkanälchen der äußern Haut an die Oberfläche der darmlosen Tiere dringen, um hier unter amöboiden Bewegungen die Aufnahme ihrer Nährstoffe zu bewerk- stelligen. In jüngster Zeit berichtete Tornier?) von sehr eigentümlichen Erscheinungen an den Drüsenzellen des Magens, der Niere und anderer Organe. Es wurde wahrgenommen, dass sich an der Oberfläche der lebensfrischen Drüsenzellen in wechselnder Ausdehnung Besätze feinster Härchen, sogenannte Bürstenbesätze bilden, welche jedenfalls mit der Sekretion irgendwie im Zusammenhang stehen. Auch diese Bürsten- besätze, welche von Tornier in keine weitere Beziehung gebracht werden, ebenso wie die Beobachtungen von Heidenhain an dem Nierenepithel und von Pflüger und Merkel an dem Epithel der Speichelröhren möchte ich hierher rechnen. Schließlich muss ich, von vielen andern Thatsachen abgesehen, noch den Saum der Darm- 1) Th. W. Engelmann, Ueber den faserigen Bau der kontraktilen Sub- stanzen, mit besonderer Berücksichtigung der glatten und doppelt schräg- gestreiften Muskelfasern. Arch. f. d. gesamte Physiologie, Bd. 25, 1881, S. 538. 2) F. Sommer und L. Landois, Ueber den Bau der geschlechtsreifen Glieder von Bothriocephalus latus. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 22, 1872, S. 43. 3) 0. Tornier, Ueber Bürstenbesätze an Drüsenepithelien. Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. 27, 1886. — Vergl. auch W. Kruse, Ueber Stäbchensäume an Epithelzellen. Inaug.-Dissertation. Berlin 1888. Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. 557 epithelien hier erwähnen, von dem so viel feststeht, dass er sich aus feinsten Härchen zusammensetzt, mag er auch sonst in seiner Bedeu- tung noch sehr viel des Rätselhaften darbieten. Es würde indess viel zu weit führen, wollte ich auf dieses überaus fesselnde Thema hier noch näher eingehen. Erwähnen will ich nur eine merkwürdige That- sache, welche Heidenhain kürzlicb im letzten Heft des Archivs für die gesamte Physiologie berichtet'!). Der genannte Forscher be- obachtete an dem Darmepithel nach bestimmter Behandlung desselben, dass sich von dem Protoplasma der Zellen runde Klumpen abschnüren, welche an einem größern Teil ihrer Oberfläche ganz dicht mit Plasma- fäden besetzt sind. Heidenhain nennt diese sonderbaren Gebilde Härchenzellen. Diese Mitteilung steht in sehr beachtenswerter Weise im Einklange mit der höchst interessanten Beobachtung Sommer’s?), welcher an dem Darmepithel von Distomum wahrnahm, dass das Protoplasma in Gestalt feiner, ihre Form verändernder Plasmafäden in das Darmlumen zur Nahrungsaufnahme hervortrat und dass diese Fädchen sich oft auf buckelförmigen Ausladungen des Protoplasmas gegen das Darmlumen hin befanden. Dieses Auftreten feiner Fädchen an der Oberfläche oder auch im Innern der Zellen steht unzweifelhaft mit der Struktur des Zellproto- plasmas selbst im Zusammenhange. Es wurde oben schon angedeutet, dass auch in dem Zellkörper, welcher früher als strukturloses Eiweiß- Klümpehen aufgefasst wurde, ein sehr komplizierter Bau vorhanden ist. Wir verdanken die Kenntnis desselben besonders den Arbeiten Kupffer’s und Flemming’s. Es besteht der Zellkörper aus einem Gerüstwerke feinster, sich durchflechtender, plasmatischer Fädchen welches in seinen Maschen den Zellsaft, das Paraplasma Kupffer’s, einschließt. Aber auch der Kern besitzt em ähnliches, wenn auch ehemisch differentes Gerüst; indess verbinden sich hier im ruhenden Kern die feinen sich kreuzenden Fädchen des Gerüstes an Knoten- punkten netzartig mit einander. Es ist nun eine bis jetzt ganz unauf- geklärte Erscheinung, dass dieser Kern, sobald eine mitotische Teilung und damit eine Zellvermehrung eingeleitet wird, ganz bestimmte Stoff- umlagerungen und Formverschiebungen erleidet, aus welchen sehr regelmäßige, feinfädige Bildungen hervorgehen. Sowohl das Chromatin des Kernes, als auch eine andere sich nicht färbende Substanz und zum Teil auch das Zellprotoplasma selbst nehmen bei diesen Kern- bewegungen im Verlauf der indirekten Kernteilung die Gestalt feinster Fädchen an, welche sich sehr regelmäßig in bestimmten auf einander folgenden Stadien zu Knäuel-, Stern-, Doppelstern-Figuren und andern Mitosen zusammenlagern. 1) R. Heidenhain, Beiträge zur Histologie und Physiologie der Dünn- darmschleimhaut. Arch. f. d. ges. Physiologie, Bd. 43, Supplementheft, 1888. 2) F. Sommer, Die Anatomie des Leberegels, Distomum hepaticum L. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 34, 1880. 668 Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. Nach allem komme ich zu der Ansicht, dass nicht allein jede regelmäßige in bestimmten Bahnen verlaufende Kontraktion kontrak- tiler Elemente stets an das Vorhandensein bestimmter, regelmäßiger motorischer Fibrillen gebunden ist. Ich wage es vielmehr auch, die Vermutung auszusprechen, dass auch die meisten, wenn nicht alle Bewegungsvorgänge, welche viele Lebensäußerungen der Zelle und ihrer Organe begleiten, so weit sie auf einer vitalen Kontraktion der Zelle und ihrer Teile beruhen und nicht nur molekulärer oder rein physi- kalischer Natur sind, an das Vorhandensein einer feinfädigen oder auch fibrilloiden!) Struktur im oder am Zellkörper geknüpft sind. Viel- 4) Während man unter „fibrillären“ oder faserigen Strukturen solche ver- steht, welche bestimmt werden durch das Vorhandensein sehr langer und sehr feiner, meist glatter und scharf abgesetzter Fasern, die sowohl der Zwischen- substanz, wie dem Zellinnern (Zellprotoplasma und Zellkern; letzteres dürfte bei den von mir aufgefundenen Elementarfibrillen des Axenfadens der Fall sein) entstammen können, möchte ich als „fibrilloid* Bildungen bezeichnen, welche an oder in einfachen Zellen auftreten und welche dadurch charakterisiert sind, dass kurze, mehr oder weniger feine, meist parallel neben einander liegende oder doch regelmäßig orientierte, häufig an ihren Konturen nicht ganz glatte, von ihrer Umgebung bisweilen nicht so scharf abgesetzte Fädehen oder fädchen- artige Stäbchen vorhanden sind. Hierher gehören, abgesehen von vielem andern, die oben angeführten Beobachtungen (Bürstenbesätze, Stäbchensäume u. s. w.). Auch die stets sehr regelmäßig orientierten karyokinetischen Fadenbildungen können als „fibrilloide“ Bildungen bezeichnet werden. Diese fibrilloiden Struk- turen können vorübergehende Bildungen sein und als solche an der Zellober- fläche (Bürstenbesätze) oder im Zellinnern (karyokinetische Fadenbildungen) auftreten; oder sie bilden einen fortlaufenden Bestand der Zelle in ihrem Innern oder an ihrer Oberfläche, vergl. z. B. das „Stäbchen“-Epithel. Für bei weitem die meisten dieser Bildungen ist die Fähigkeit, Formveränderungen, die auf Kontraktilität schließen lassen, einzugehen, bereits nachgewiesen. Die langen Pseudopodien der Rhizopoden würden den Uebergang der fibrilloiden Bildungen zu den fibrillären darstellen. Wenn auch zugestanden werden muss, dass ich nnter „fibrilloid“ sehr verschieden wertige Bildungen zusammenfasse, so ist es doch vielleicht ganz zweckmäßig. vorläufig unter einem Kollektivnamen diese eigentümlichen Zellstrukturen zusammenzufassen, welche immerhin manches Ge- meinsame zu haben scheinen. Plasmastrukturen, welche von feinen, unregelmäßig sich durchflechtenden Fädehen gebildet werden, wie z. B. die Filarmasse des Protoplasmas, könnte man als „geflechtfädige* bezeichnen. Auch diese geflechtfädige Filarmasse des Protoplasmas ist kontraktil und durch die Zusammenziehung dieser unregel- mäßig angeordneten Fädchen erklären sich a.ıch die gewöhnlich unregelmäßigen Bewegungserscheinungen des indifferenten Protoplasmas. Verbinden sich die unregelmäßig angeordneten Fädchen in Knotenpunkten mit einander, so kann man von einer „netzfädigen“ Struktur sprechen, wie sie sich in dem Kern- gerüst des ruhenden Kernes vorfindet. Man könnte diesen aus nnregelmäßig angeordneten Fädchen bestehenden Strukturen die „fibrilloiden“ Bildungen als „parallelfädige* oder besser als „orientiertfädige“ entgegensetzen. Der nähere Zusammenhang und die Beziehungen der „orientiertfädigen* Bildungen zu den geflechtfädigen Strukturen des Protoplasmas sind noch nicht bekannt. Ballowitz, Feinfaserige Strukturen. 669 leicht gelingt es einmal, auch über die karyokinetischen Vorgänge von diesem Gesichtspunkte aus etwas mehr Licht zu verbreiten. Aus obigen, wenn auch nur sehr flüchtigen Mitteilungen haben wir doch so viel ersehen können, dass eine fibrilläre Struktur der Gewebe und Gewebselemente im tierischen Körper eine sehr ausge- dehnte Verbreitung besitzt und für die Lebensvorgänge im Organismus von größter Bedeutung ist. Wir lernten in den Bindesubstanzen die Stützfibrille, in den Nerven- fasern die Nervenfädchen des Axenzylinders kennen. Die kontraktilen Elemente sahen wir gebildet von motorischen Fibrillen und konnten im Protoplasma die Präexistenz und das Auftreten feinster plasma- tischer Fädchen feststellen. Welche feinere Struktur besitzen nun aber wiederum diese ver- schiedenen Fädehen? Welche Strukturditferenzen bestehen in ihnen? Warum ist die motorische Fibrille kontraktil und die Bindegewebs- fibrille nicht? Unterscheidet sich die letztere, von chemischen und physikalischen Unterschieden abgesehen, optisch doch kaum z. B. von der motorischen Elementarfibrille der Spermatosomen. Welches Struk- turverhältnis bedingt die spezifische Energie der Nervenfibrille und welches die der kontraktilen Fibrille ? Auf alle diese Fragen müssen wir die Antwort schuldig bleiben. Wir können nur vermuten, dass diese funktionellen Differenzen auch in strukturellen Verschiedenheiten der feinsten Fasern begründet sind, Verschiedenheiten, welche sich noch jeglicher Beobachtung entziehen und welche zum größten Teil wohl nur molekulärer Natur sind. Dass aber solche Strukturdifferenzen in der That bestehen, wird durch die komplizierte Zusammensetzung der am höchsten ausgebildeten motori- schen Fibrille, der Primitivfibrille der quergestreiften Muskelfaser, mehr als wahrscheinlich. Schon vor Jahren wurde von A.v. Kölliker!) als ideales Ziel der wissenschaftlichen Anatomie hingestellt, zu versuchen, auch über die 1) A. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre, III. Aufl., Leipzig 1859, 8.2. Ich kann mir nicht versagen die betreffende Stelle, welche auch heute noch in ihrem ganzen Umfang Giltigkeit hat, hier anzuführen. Dieselbe lautet: „Dieser Stand der Gewebelehre wird so lange dauern, als es nicht gelingt, um „ein Wesentliches weiter in die Tiefe des organischen Baues zu schauen und „auch die Elemente zu erfassen, aus denen das, was wir jetzt „noch für einfach halten, zusammengesetzt ist. Sollte es aber je „möglich werden, auch die Moleküle zu entdecken, die die Zellmembranen, „die Muskelfibrillen, die Axenfasern der Nerven u. s. w. bilden und die Ge- „setze ihrer Aneinanderlegung und Veränderungen bei der Entstehung, dem „Wachstum und der Thätigkeit der jetzigen sogenannten Elementarteile zu „ergründen, dann würde auch für die Histiologie eine neue Aera beginnen und „der Entdecker des Gesetzes der Zellengenese oder einer Molekular- „theorie ebenso oder noch gefeierter werden als der Urheber der Lehre von „der Zusammensetzung aller tierischen Gewebe aus Zellen“. 670 Kühn, Wurmfäule. organischen Moleküle, ihre Zusammenlagerung und die Gesetze, welchen diese Moleküle unterworfen sind, durch mikroskopische Forschung Aufschluss zu erlangen. Man möchte wünschen, dass dieses Ziel kein ideales bliebe, dass es sich dermaleinst realisieren möge. Jedenfalls dürfen wir, bei den großen Fortschritten der mikroskopischen Wissen- schaften in der Neuzeit, voll freudiger Hoffnung in die Zukunft blieken und erwarten, dass auf dem beschrittenen Wege auch die Fragen ihre Lösung finden werden, welche heute noch als Probleme erscheinen müssen. — Die Wurmfäule, eine neue Erkrankungsform der Kartoffel. Von Prof. Dr. Julius Kühn, Geh. Reg.-Rat und Direktor des landwirtschaftlichen Instituts der Universität Halle. Den bekannten zahlreichen Erkrankungsformen der Kartoffel habe ich eine bisher nicht beschriebene Krankheit anzureihen, die zwar sicher seit langer Zeit in manchen Lokalitäten vorgekommen ist, aber wahrscheinlich mit der von dem gemeinen Kartofielpilz Peronospora infestans veranlassten Knollen- fäule verwechselt wurde. Da sie durch einen ganz andern Parasiten hervor- gerufen wird, der noch einigen unserer wichtigsten Kulturpflanzen verderblich werden kann, so erscheiut es dringend geboten, auf die darin liegende Gefahr aufmerksam zu machen. Bei Aberntung einer größern Ackerfläche unseres Versuchsfeldes, auf welcher mehrere Kartoffelsorten zu vergleichendem Anbau gelangt waren, zeigte die durch Produktion von besonders großen Knollen ausgezeichnete Sorte „Eos“ mehrfach missfarbige und faulige Stellen von geringerer oder größerer Ausdehnung. Im Beginn der Erkrankung erscheint die Oberfläche der Knolle nicht wesentlich verändert, es macht sich nur eine leichte Trübung des Farbentones der Schale bemerkbar, die allmählich deutlicher zur Bildung einer missfarbenen Stelle führt. Schneidet man an einer solchen die Knolle quer durch, so sieht man in ähnlicher Weise, wie bei der durch Peronospora infestans hervorgerufenen Krankheit, braune Flecke, aber von etwas abweichen- der Beschaffenheit. Sie verbreiten sich weniger tief in das Fleisch der Kar- toffel, meistens nur bis 6, seltener schon bis 10, höchstens 13 mm. Bei der Aufbewahrung der Knollen in Kellern und Mieten wird wahrscheinlich dieses Braunwerden auch tiefer in das Innere der Knolle dringen, aber zur Zeit der Ernte war dies bei den mir vorliegenden Knollen nicht der Fall. Schon hierin liegt ein Unterschied im Vergleich mit der gewöhnlichen Kartoffelkrankheit, welche meistens alsbald tiefer nach innen dringt; daher vermisst man auch die bei letzterer durch das sich ausbreitende Pilzmycelium hervorgerufenen kleinern Fleckchen gebräunten Gewebes, die von der unmittelbar unter der Schale liegenden gleichmäßiger braungefärbten Partie aus nach innen zu zer- streut vorkommen und welche die Vorläufer der weiter vorandringenden Ver- derbnis sind. Einen fernern Unterschied bedingt der Umstand, dass bei der vor- liegenden Krankheitsform die braunen Flecke meist in ihrer Mitte von lichterer, selbst weifslicher Färbung und von lockerer, krumiger Beschaffenheit sind. — Treten solche Stellen zahlreicher auf, dann gehen sie in einander über, wobei Kühn, Wurmfäule. 671 das äußere Ansehen der Knolle wesentlich verändert wird. Die Oberfläche derselben nimmt eine schwärzlich graue Färbung an, zeigt sich unregelmäßig wellig oder gefaltet, ist gegen den gesunden Teil der Knolle etwas eingesenkt und wird nicht selten rissig und furchig. Beim Querschnitt zeigen solche Stellen neben mehr oder weniger dunkelbraunen Gewebsteilen größere weiß- liche Massen, die augenscheinlich aus Stärkemehlkörnern bestehen, nicht selten sind auch kleinere oder größere und dann flache Hohlräume vorhanden. Im Allgemeinen macht die erkrankte Partie in diesem Stadium den Eindruck der sogenannten Trockenfäule. Besonders häufig findet sich die Erkrankung am Nabelende der Knollen und umfasst oft dasselbe ganz ringsum, bei größern Knollen dann von der Spitze bis zu Dem und weiter vorandringend; es treten solche Flecke aber auch an andern Teilen der Knollen auf und bedecken zu- weilen eine ganze Seite, namentlich bei mittelgroßen Knollen. Am Spitzenende kommt diese Krankheit auch vor, aber weniger häufig. Nassfaule Stellen be- merkte ich nur ganz vereinzelt und in sehr beschränkter Ausdehnung; es dürften jedoch solche Knollen bei anhaltend feuchter Witterung oder bei un- günstiger Aufbewahrung den Fäulnisbakterien eine günstige Entwicklungsstätte bieten können. Bei der mikroskopischen Untersuchung fand ich in derartig erkrankten Kartoffeln als Ursache der Verderbnis ein kleines, zu den parasitischen Anguillulen (Tylenchus- Arten) gehöriges Würmchen in allen Stadien der Ent- wieklung vor: männliche und weibliche Individuen, geschlechtlose Larven ver- schiedener Größe und Eier, zum Teil mit bereits voll ausgebildeten Embryonen. Schon in den kleinern Flecken, welche bei dem Beginn der Krankheit vor- handen sind, finden sich diese parasitischen Kartoffelälchen vor. Zu ihnen gesellen sich bald Humusanguillulen (Leptodera-Arten), die überall eindringen, wo parasitische Formen ihnen den Weg in das Innere von Pflanzenteilen er- öffneten. In den mehr zersetzten Teilen älterer Flecke findet man sogar über- wiegend mehr Humusanguillulen, während die parasitischen Tylenchen abnehmen und selbst ganz fehlen können, da diese nach dem frischern Zellgewebe der Knolle sich hinziehen. Diese parasitischen Kartoffel- Aelchen stimmen in Größe und Bildungsweise ganz überein mit dem Tylenchus devastatrix, welchen ich im Jahre 1856 in kernfaulen Kardenköpfen entdeckte und von dem ich später zeigte, dass er mit dem Stockälchen identisch ist, welches dem Roggen, Hafer und Buchweizen sehr nachteilig werden kann und das auch die Ertrags- fähigkeit der Kleefelder in hohem Grade zu schädigen vermag. Wir haben es hier sonach mit einem sehr gefährlichen Feinde unserer Kulturen zu thun, dessen Verbreitung wir möglichst zu verhüten suchen müssen. Dass derselbe in weiten Gebieten zu einer Landplage werden kann, haben die üblen Wahr- nehmungen in manchen Teilen Westfalens, am Rhein und in Holland gezeigt. Derselbe Parasit ist aber auch in der Provinz Sachsen, in Thüringen, am Harz und in Schlesien wiederholt aufgetreten. Auf unserem Versuchsfelde ist das Stockälchen ursprünglich nicht heimisch, und da es unter 16 zum Versuchs- anbau gelangten Kartoffelsorten nur an der „Eos“ sich vorfand, so ist es höchst wahrscheinlich, dass das Auftreten des Parasiten an dieser Sorte durch das Saatgut vermittelt wurde. In der That stammten die Saatknollen der Eos aus einer andern Oertlichkeit als die der übrigen Sorten. Faulige Knollen wird ja Niemand auslegen, aber grade in den noch kleinen Flecken, die überaus leicht der Wahrnehmung sich entziehen, sind ganze Herde vom Stockälchen enthälten, und so können diese Schmarotzer in scheinbar ganz gesunden Knollen 672 Kühn, Wurmfäule. unbemerkt auf das Feld gelangen. Dass dann die Neuinfektion zum Teil direkt von der Saatknolle aus erfolgt, macht das häufige Auftreten der Wurmfäule am Nabelende wahrscheinlich; es scheint dieselbe nicht selten durch die Sto- lonen vermittelt zu werden, indem die Würmer zunächst in diese übertreten, also gar nicht erst in den Boden zu gelangen brauchen. Weitere Untersuchungen werden hierüber bestimmtere Auskunft geben, schon jetzt aber dürfen wir aus dem Mitgeteilten folgern, dass die Verschleppung eines der gefährlichsten Feinde unserer Kulturen, des Stockälchens, durch Bezug von Saatkartoffeln aus infizierten Oertlichkeiten erfolgen kann. Man vermeide daher, soweit mög- lich, die Verwendung solchen Saatgutes; sollte aber, wie bei unserer Eos, eine Einschleppung dieses Parasiten erfolgt sein, dann wechselt man zweckmäßig mit den Saatkartoffeln, weil ja auch bei sorgfältigster Ueberwachung es nicht möglich ist, von dem Erntequantum infizierter Kartoffeln völlig wurmfreies Saatgut durch Auslesen zu gewinnen. Bei der Ernte derartig erkrankter Kartoffeln sondere man zunächst die deutlich wurmfaulen (im Verein mit den pilzkranken) Knollen ab und verfüttere sie nach vorherigem Kochen oder Dämpfen. Bei solcher Behandlung werden die Würmer zerstört und die Kartoffeln liefern noch eine befriedigende Nutzung, weil die Wurm- fäule bei der Ernte nur erst eine mäßig tiefe Schicht der Kartoffel ergriffen hat, während das Innere derselben in seinem Futterwerte nicht alteriert wurde. Sollte eiu zu großes Qnantum wurmfauler Knollen vorhanden sein, um durch baldige Fütterung konsumiert werden zu können, so empfiehlt sich das Ein- säuren der gedämpften Kartoffeln. Beim Einsäuren ungedämpfter Kartoffeln würden die Würmer nicht zerstört werden und könnten durch Futterreste in den Dünger und damit wieder aufs Feld gelangen. Dass bei Verabreichung von Futtermitteln, welche das Stockälchen enthalten, eine Verschleppung des letztern nur durch die in den Dünger gelangenden Futterreste, nicht aber durch die Exkremente selbst erfolgen kann, habe ich früher schon durch Versuche mit derartig infiziertem Stroh festgestellt; geschlechtliche Tiere, wie Larven und Eier von Tylenchus devastatrix gehen im Magen der Tiere zu Grunde, die festen Exkremente enthielten nicht eine Spur davon. So wird selbstredend auch der Sachverhalt bei wurmkranken Kartoffeln sein. Da aber eine Ver- schleppung durch Futterreste oder durch beim Fressen verstreutes Futter mög- lich ist, so verwende man selbst anscheinend gesunde Kartoffeln von einer durch das Kartoffel- oder Stockälchen infizierten Sorte oder von derartig infizierten Feldern niemals im rohen Zustande zur Fütterung, sondern benutze sie nur gekocht oder gedämpft. Bei Verwertung solcher Kartoffeln durch den Brennereibetrieb ist man der Zerstörung dieser Parasiten gleichfalls sicher, wogegen dies bei Verwertung durch Stärkefabrikation nicht der Fall sein würde. Um über das Verbreitungsgebiet der Wurmkrankheit der Kartoffel eine nähere Kenntnis gewinnen zu können, erlaube ich mir noch die Bitte anzu- fügen, mir von einem etwaigen Auftreten derselben Mitteilung machen und in zweifelhaften Fällen mir verdächtige Knollen zur Untersuchung einsenden zu wollen. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wünschen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten anzugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. BT Band. 15. Januar 1890. Nr. 2. Inhalt: Ritzema Bos, Die Rübenmüdigkeit des Bodens und der Rübennematode. — Schlosser, Ueber die Modifikationen des Extremitätenskelets bei den einzelnen Säugetierstämmen. — W.Braune in Verbindung mit 0. Fischer, Ueber den Schwerpunkt des menschlichen Körpers mit Rücksicht auf die Ausrüstung des deutschen Infanteristen. — Zacharias, Bilder und Skizzen aus dem Natur- leben. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Physi- kalisch - medizinische Sozietät zu Erlangen. Die Rübenmüdigkeit des Bodens und der Rübennematode, von Dr. J. Ritzema Bos, Dozent der Zoologie und Tierphysiologie an der landwirtschaftlichen Schule in Wageningen (Niederlande). „Die Ergebnisse der Versuche zur Ermittlung der Ursachen der Rüben- müdigkeit und zur Erforschung der Natur der Nematoden“, von Prof. Dr. Julius Kühn. (Berichte aus dem physiologischen Labora- torium und der Versuchsanstalt des landwirtschaftlichen Instituts der Universität Halle, 3. Heft, 1831.) „Die Wirksamkeit der Nematoden-Fangpflanzen, nach den Versuchs- ergebnissen des Jahres 1881“, von Prof. Dr. Julius Kühn. (Berichte aus dem physiologischen Laboratorium u. s. w., 4. Heft, 1882, S. 1—14.) „Bericht über weitere Versuche mit Nematoden - Fangpflanzen“, von Prof. Dr. Julius Kühn. (Berichte aus dem physiologischen Labora- torium u. s w., 6. Heft, 1886, S. 163—176.) „Anleitung zur Bekämpfung der Rübennematoden“, von Prof. Dr. Jul, Kühn. (Ebendaselbst S. 176—184.) „Untersuchungen über den Bau und die Entwicklung der Rübennema- toden (Heterodera Schachtii Schmidt)“, von Dr. Ad. Strubell, (in: Bibliotheca Zoologica) 1888. Seitdem die Zuckerrübenkultur in mehreren Teilen Deutschlands und des Auslandes in großem Maßstabe getrieben wird, haben sich auch die Feinde dieser zuckerhaltigen Pflanze in starkem Grade ver- mehrt, umsomehr als bei ihrer Kultur nicht immer ein genügender uud richtiger Fruchtwechsel im Auge gehalten wird. Anfangs schrieb man jedes häufige oft wiederkehrende Misslingen der Rüben der so- genannten „Rübenmüdigkeit“ des Bodens zu, welche man sich in IX, 43 674 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. folgender Weise zu erklären versuchte: die Rüben rauben jedes Jahr dem Boden ein gewisses Quantum an Nahrungsstoffen und zwar jedes Jahr dieselben Nahrungsstoffe, welche also alsbald nicht mehr in genügender Quantität im Boden sich befinden; deshalb können keine gesunden Rüben mehr auf den bezüglichen Aeckern kultiviert werden, wohl aber andere Pflanzen, welche hauptsächlich andere Stoffe dem Boden entnehmen. Im Zeitverlaufe wurden allmählich mehrere Ursachen des Miss- lingens der Rübenpflanzen von der wahren „Rübenmüdigkeit“ abge- schieden: 1) das mangelhafte Aufgehen der Rüben [entweder indem Tausendfüße (Julus) oder Drahtwürmer den keimenden Samen ver- nichten, oder indem die von ungeübten Augen schwer sichtbaren Rüben- käferchen (Atomaria linearis) die aufkeimenden Samen angreifen]; 2) das Absterben und Gelbwerden der recht jungen Rübenpflanzen kurze Zeit nach dem Auflaufen, indem die ebengenannten kleinen Rübenkäferchen in den unterirdischen Teil des Stengelebens oder in den obern Teil des Würzelchens einer großen Anzahl junger Pflanzen bis auf oder bis über die Mitte sich einfressen; 3) das Absterben und Schwarzwerden der Herzblätter der ältern Rübenpflanzen, die sogenannte „Herzfäule“, welche entweder schnell verläuft und dann von Sporidesmium putrefaciens verursacht wird oder langsam um sich greift und dann der Peronospora Schachtii zugeschrieben werden muss. Nachdem alle obengenannten Rübenkrankheiten abgeschieden, blieb noch eine ganz eigentümliche Art des Mislingens der Zucker- rüben übrig, in welcher man die wahre Rübenmüdigkeit erkannte. Sie tritt meist gegen Ende des Juli oder selbst erst nach Ablauf dieses Monats auf. „In den bis dahin normal entwickelten Rüben- breiten zeigen sich einzelne Stellen mit lichterer Färbung. Die Blätter haben nicht den charakteristischen Glanz der gesunden, sie sind mat- terer Oberfläche und erscheinen schlaffer. Die äußern Blätter werden im weitern Verlauf mehr und mehr gelblich, fleckig und misfarbig, legen sich platt auf dem Boden und sterben endlich ab. Die innern Blätter wachsen anfangs wohl nach, erreichen aber nicht die normale Größe. Bei intensivem Auftreten dieser Krankheitsform sterben end- lich auch die innern Blätter ab, der Kopf der Rübe wird schwarz, der Körper derselben erscheint schlaff, biegsam, das Fleisch beginnt sich endlich zu bräunen, und die Rübe geht schließlich vom Kopfe aus in Fäulnis über. .... Tritt die Rübenmüdigkeit dieser Art weniger intensiv auf, dann sterben die Rüben nicht ab, erholen sich vielmehr gegen den Herbst hin insofern etwas, als sie neue Herz- blätter bilden, die allerdings auch zur normalen Größe sich nicht ausbilden, aber dunkelgrüner Farbe sind. Alle ältern Blätter sind dann abgestorben, und die kranken Rüben fallen durch ihre kleinen, intensiv grünen Blattrosetten umsomehr auf, als die gesunden Rüben bereits beginnen, dem Reifezustand sich zu nähern, und also lichterer Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens, 65 Färbung werden. Aus diesem ungleichen Verhalten der Pflanzen rüben- müder Stellen erklären sich die zum teil abweichenden Angaben der Beobachter. — Ist auf einem Felde die Rübenmüdigkeit in besonders hohem Grade entwickelt, dann treten die ersten Anzeigen derselben ungleich früher auf. Die früheste Entwicklungsperiode der Rüben ist auch dann eine ebenso üppige wie auf rübensichern Feldern, aber schon Anfang Juni macht sich ein Rückgang einzelner Pflanzen gel- tend, und bis Ende dieses Monats können in soleh ungünstigsten Fällen bereits Stellen erheblichen Umfanges ganz pflanzenleer geworden sein“. Obgleich, wie aus den oben zitierten Worten Kühn’s hervorgeht, „die Rübenmüdigkeit in der Regel zunächst nur an einzelnen Stellen auftritt, welchesich weiterhin umsomehr ausbreiten, je gehäufter der Rübenbau stattfindet, so beobachtete man doch auch wiederholt ein plötzliches ausgedelntes Auftreten auf Feldern, die bislang keine Spur dieser Erscheinung gezeigt hatten. In solchen Fällen hatte meistens eine Düngung mit Fabrikkompost stattgefunden, der reich an dem Abputz rübenmüder Felder war. Eine ähnliche Wahrnehmung machte man aber auch dann, wenn Samenrüben angebaut wurden, die rüben- müdem Lande entnommen waren“ (Kühn). Die oben erwähnten Thatsachen deuten auf das Vorhandensein irgend welchen Schmarotzers im Boden als Ursache der Rübenmüdig- keit hin. Allein obgleich schon im Jahre 1859 Schacht!) an den feinen Wurzelästehen der kranken Rüben in recht großer Anzahl einen kleinen, zitronenförmigen Schmarotzer fand, den er für die Ursache der Rübenmüdigkeit hielt, so dauerte es doch lange, bevor man seiner Meinung, die allerdings noch nicht genügend begründet war, bei- pflichtete. Die meisten Gelehrten meinten stets in einer angeblichen „Bodenerschöpfung“ die Ursache der Rübenmüdigkeit sehen zu müssen. Weil Kali und Phosphorsäure die Hauptbestandteile der Asche der Rübenwurzeln sind ?), und auch in den Blättern der Rüben ?) wenigstens das Kali der bei weitem häufigst vorkommende Stoff, so kam man gleichsam von selbst zu der Annahme, dass Aecker, auf denen man 1) „Kurze Zusammenstellung der in diesem und dem vergangenen Jahre gesammelten Erfahrungen über Kultur der Zuckerrübe* von Dr. Hermann Schacht in: Annalen für Landwirtschaft, 1859, Heft 11. 2) In der Asche der Rübenwurzeln fand man: Kali 39,78—78,11°/,, durch- schnittlich 55,11 °/,, Phosphorsäure 6,31—18,45 °/,, durchschnittlich 10.99 %/,. Die andern mineralischen Bestandteile sind Natron (durehschnittlich 10 °/,), Kalk (5,36 °/,), Magnesia (7,53 /,). Eisenoxyd (0,93 °/,), Schwefelsäure (3,81 °/,), Kieselsäure (1,80 °[,), Chlor (5,18 °/,). 3) In der Asche der Rübenblätter findet man: Kali 12,62—39.96 %/,, durch- schnittlich 28,40°,, Natron (14,65°/,), Kalk (14,65 °/,), Magnesia (14,98 °/,), Elsenoxyd (0,98 °/,), Phosphorsäure (6,90 %/,), Schwefelsäure (5,19°/,), Kiesel- säure (3.24°/,), Chlor (durchschn. 11,47°/,). Diese Zahlen sind den Angaben Emil Wolff’s entnommen. 43° 676 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. die Rübenkultur zu oft wiederholte, kali- oder phosphorsäurearm sein würden. Allein weil bei der Kultur der Zuckerrüben ziemlich allge- mein Superphosphate zur Düngung gebraucht werden, so dachte man die Rübenmüdigkeit dem Kalimangel, namentlich des Interbodens, zu- zuschreiben zu müssen. Man empfahl deshalb auch Kalidüngung auf rübenmüden Aeckern. Zwar hörte nach Anwendung dieses Düngers die Rübenmüdigkeit gewöhnlich nicht auf; allein die Anhänger der Bodenerschöpfungstheorie erklärten dies, indem sie sagten: entweder sei die Kalidüngung nicht in geeigneter Form vorgenommen, oder es sei zunächst nur die obere Bodenschicht mit Kali bereichert, weil alles zugefügte Kali von ihr absorbiert wurde. Auch wenn zugleich andere Stoffe angewandt werden, welche eine Bewegung des Kali nach unten bewirken, so kann doch die Bereicherung der untern Boden- schichten mit Kali nur allmählich geschehen. Inzwischen meinten mit Schacht mehrere andere Gelehrte, zu- nächst Archidiakonus Schmid, bald auch Kühn, die Ursache der kübenmüdigkeit in den oben erwähnten kleinen, zitronenförmigen Schmarotzern sehen zu müssen, weil sie auf allen wirklich rüben- müden Aeckern die Zuckerrüben mit ihnen besetzt fanden, während auf den Aeckern, wo die Pflanzen gesund blieben, keine Schmarotzer gefunden wurden. Doch heben die Anhänger der Bodenerschöpfungs- theorie hervor, dass das Erscheinen und die Vermehrung der Schmarotzer recht wohl ein sekundäres Symptom sein könne; ihnen zufolge wäre der Kalimangel die Ursache des geringen Wachstums und des Ab- sterbens der Rübenpflänzchen, während an den dürftig und abnormal ausgewachsenen Pflänzchen die Schmarotzer eine sehr günstige Ver- mehrungsbedingung finden würden. Julius Kühn hat hauptsächlich in den Jahren 1879 bis 1886 ausführliche Untersuchungen über die Rübenmüdigkeit des Bodens publiziert. Zunächst konstatierte er, infolge einer großen Anzahl vergleichender Untersuchungen, dass der rübenmüde Boden durchaus nicht immer kaliärmer ist als der sogenannte „rübensichere* Boden. Sogar konnte er feststellen, dass Aecker auf denen während 30 Jahren foreirte Rübenkultur stattfand, oft nicht weniger Kali enthalten, als solche, auf denen diese Kultur nur noch wenig ausgeübt wurde. Natür- lieh wird mit der Düngung ein großer Teil des dem Boden entzogenen Kali diesem Boden zurückgegeben; allein es besteht noch eine andere Kaliquelle im Boden, und zwar der kalihaltige Feldspath, welcher in der Form roter Körnchen zwischen den Sandkörnchen sich befindet. Diese Kaliverbindung wird nach 40stündiger Einwirkung von kalter Salzsäure nur teilweise gelöst; der größere Teil des im Feldspath ent- haltenen Kali bleibt also bei der chemischen Bodenanalyse außer Betrachtung, doch fallen später auch die oben erwähnten Feldspath- körnchen allmählich der Verwitterung anheim, und es kommt also auch ohne Kalidüngung immerfort wieder neues Kali zur Disposition Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. 7% der Rübenpflanzen. Es haben also die Aecker, welche erst seit kurzer Zeit für die Rübenkultur benutzt wurden, zwar den Rüben weniger Kali abgetreten, also weniger Kali verloren als alter Rübenboden, doch wurde der letztgenannte für intensivere Kultur in Anspruch ge- nommen und also stärkerer Verwitterung ausgesetzt, wodurch eine größere Quantität Kali für das Pflanzenwachstum frei wurde. Aus den oben gemachten Erwägungen erhellt zur Genüge, dass bei der Bestellung der Rübenäcker, wobei jedenfalls die Düngung einen großen Teil des dem Boden entnommenen Kali diesem wieder zugeführt wird, von einem Kalimangel sogar auf Aeckern, auf welchen fast jedes Jahr wieder Rübenkultur getrieben wird, die Rede nicht sein kann. — Kühn’s weitere Untersuchungen lieferten das Resultat, dass die Ursache der Rübenmüdigkeit ebensowenig als in dem Kalimangel in dem Fehlen eines genügenden Quantums irgend welcher andern Substanz im Boden liegen kann. Als einzig mögliche Ursache der „Rübenmüdigkeit“ blieben also die oben erwähnten, von Schacht zuerst entdeckten Schmarotzer. Zur Annahme dieser Ursache wurde man gebracht 1) durch das Auf- treten derselben in recht großer Anzahl an den kleinen Würzelchen der auf rübenmüden Aeckern gewachsenen Rüben, 2) durch die eigen- tümliche Verbreitung der Rübenmüdigkeit, von gewissen Flecken des Ackers aus, 3) durch die Infektion eines gesunden Bodenstückes mit Kompost, der die Abfälle enthielt von auf rübenmüdem Boden ge- wachsenen Zuckerrüben. Allein Kühn wollte seine Auffassung durch exakte Versuche beweisen und die Falschheit der Theorie des Kali- mangels durch exakte Versuche darthun. Sind die im Boden über- bleibenden Schmarotzer die wahre Ursache der Rübenmüdigkeit, so folgerte Kühn, so muss rübenmüde Erde, welche bis auf eine Tem- peratur von 70° C oder höher erhitzt wurde, ihre Fruchtbarkeit zu- rückerbalten und in rübensichere Erde umgewandelt werde. Weil die Erde, welche zu den Versuchen dienen sollte, sorgfältig dazu prä- pariert werden musste, ließen sich die Kulturen nicht in freiem Lande, sondern nur in eingegrabenen Kästen anstellen, deren jeder 1,3 m lang, 1,3 m breit und 0,8 m hoch war, so dass in jedem Kasten Raum für je 16 Rüben war. Ich nenne die von Kühn und seinen Mitarbeitern benutzten Kästen: I, II, III, IV, V und VI. Nr.I, II und III wurden gefüllt mit Erde eines Ackers, der seit mehrern Jahren in starkem Grade von der Rübenmüdigkeit heimgesucht wurde; IV, V, VI mit Erde vollkommen rübensicherer Aecker. Es enthielt Nr. I die als Vergleichsbasis dienende Erde einer hervorragend rübenmüden Ackerstelle, welche außer der gewöhn- lichen Düngung keiner weitern Behandlung ausgesetzt wurde. Nr. II enthielt Erde von derselben Stelle, welche nicht nur die gewöhnliche Düngung, sondern noch dazu eine Kalidüngung (mit kohlensaurem Kali) empfing. Nr. III enthielt wieder in der gewöhnlichen Weise 678 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. gedüngte Erde von derselben Stelle, aber getrocknet bei einer Tem- peratur von mindestens 70° C, die bis höchstens 130° C gesteigert wurde. Bei dieser Temperatur müssen die etwa in der Erde befind- lichen Schmarotzer getötet werden. Während einiger Stunden muss die Temperatur auf 70° bis 130° bleiben, doch darf sie nicht höher steigen, damit die Humusteile des Bodens sich nicht zersetzen, weil sonst die chemische Zusammensetzung des Bodens alteriert würde. Für diese Erhitzung wurde entweder die Darre oder ein Glühofen oder besser ein mit Dampf heizbarer Apparat benutzt; doch brauche ich die technische Ausführung bier nieht weiter zu berühren. Nr. IV enthielt Erde eines vollkommen rübensichern Ackers, welcher dieselbe Düngung gegeben wurde als den Nummern I u. III. Nr. V wurde mit derselben Erde gefüllt als Nr. IV, doch brachte man an jeder Stelle, wo die Rübenkerne gelegt wurden, eine gewisse Quantität Erde von einem stark rübenmüden Acker. Nr. VI enthielt Erde eines rübensichern Ackers; diese Erde wurde in derselben Weise getrocknet wie Nr. III, um dem Einwande zu begegnen, dass ein bei Nr. III eventuell erzielter Erfolg nieht auf der Tötung der Schmarotzer, sondern auf einer durch die erhöhte Temperatur hervorgerufenen chemischen Veränderung des Bodens beruhe. Ich brauche hier nicht die von 9 verschiedenen Versuchsanstellern an verschiedenen Orten erhaltenen Resultate ausführlich mitzuteilen. Ich erwähne zunächst nur die aus zwei Orten eingegangenen Berichte. Es wurden die folgenden Resultate erhalten: in Atzendorf!). | Rüben- BET Buben; Rüben- or uns " miüdes uden ade sicheres Land mit Bicheres | Land | in 1“ Dong Land rübenmüder Bu | | ali erhitzt Erde erhitzt | (D) (II) (III) MI AMEIRRLM) Zahl der Rüben IE 14 15 16 16 16 Gewicht der Rüben | 655 950 4130 3340 1810 4% Gewicht der Blätter | 4070 3040 4970 91595 5080 7710 Gewicht pro Rübe | 40,9 67,9 279,8 208,7 113,1 257,5 Blattgewicht pro Rübe | 229,4 217,1 331,3 332,2 31.750 481,9 Prozentiger Zuckergehalt | 5,5 8,08 10,43 8,70 6,52 9,45 Etzgersleben. Zahl der Rüben E25 14 16 15 16 15 Gewicht der Rüben | 1450 2175 7800 8750 3400 6325 Gewicht der Blätter 1050 2075 4700 2250 3100 2175 Gewicht pro Rübe 96,6 155,4 487,5 583,3 2125 421,7 Blattgewicht pro Rüibe | 70,0 140,2 293,7 150,0 I 145,0 Prozentiger Zuckergehalt 8,56 6,22 7,82 8,87 8,56 8,36 1) In dieser Tabelle sowie in den folgenden sind die Gewichte in Grammen nieder- geschrieben. Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. 679 Es sind für die erlangten Resultate insbesondere die Durchschnitts- gewichte der einzelnen Rüben (ohne Blätter) maßgebend. Sie sind in nachstehender Tabelle aufgestellt: | x » Rüben- en Rüben- | müden | müdes | Rüben- | sicheres | cheres IN Teschaft ne | Bardmit Dr sicheres Land mit | Bänd and En ; Land rübenmüder) 5 | Kali | erhitzt er erhitzt ana Mana. Kam, Ele aan Lean N 1. Atzendorf AD,aU 9 60,9 219.3 208,7. 1201°0213,4 | 2968 2. Calben 5.15.0262 16:05 7'1,5350,0 358,057 52,02 SI 3. Dönstedt er Ku 683.1 32830, 4. Etzgersleben | 966 | 1554 | 4875 | 5888 | 2125 | 424,7 5. Halle 80,0 | 350 | 615.6 | 4969 | 1344 | 578,6 6. Schwaneberg — | 446 | 3889 | — | — | — 7. Sülldorf 68,7 101,5 2bDroere 1 195,80 121,125 273,4 8. Klein Wanzleben 1:73.02 10725050 437,0 662,5 | 147,0 587,5 9. Wolmirsleben !) 11 4102,8 83,3 738,9 |:3723,2 | 1038 630,6 Mittel von 1bis8...| 790 | 98 | 4088 | 4241 | 1643 | 493,7 Dieses Mittel ergibt in | | Prozenten von rüben- | | | | sicherem Boden... ., 186 2,65 | 0 100. 1,,..38%0 | 99,9 Bei den im Jandwirt- | | schaftlichen Institut der | Universität Halle aus- | | geführten Versuchen | | ergab sich: „u... a8 41,6 | 107,4 | 100 I —_ | — Aus den vorstehenden Tabellen, insbesondere aus den Zahlen der letzten Zeilen der letztvorgeführten Tabelle, ergibt sich aufs deut- lichste 1) dass Kalimangel nicht die Ursache der Rübenmüdigkeit, weil der Bodenertrag nach Kalidüngung nicht bedeutend steigt; 2) dass Heizung des rübensicheren Bodens keine bedeutende Ertragszunahme ergibt; 3) dass die Infektion des rübensicheren Bodens mit den in rübenmüder Erde enthaltenen Schmarotzern den Ertrag sehr bedeutend zurücksinken lässt; 4) dass bei der Tötung der in rübenmüdem Boden immer befindlichen Schmarotzer (durch Heizung der Erde) der Ertrag dem gesunder, rübensicherer Erde durchschnittlich gleichkommt. Aus den oben erwähnten Versuchsresultaten lässt sich der Schluss ziehen: der Boden wird nicht rübenmüde, indem die zu oft wieder- holte Kultur der Zuekerrüben zu viel Kali fortnimmt, sondern infolge 1) Die in Wolmirsleben erhaltenen Resultate (Nr. 9) sind nicht mit den andern vergleichbar, weil die vom rübenmüden Acker herrührende Erde weit fruchtbarer war als die des gesunden Ackers. Durch Heizung wurde der Er- trag sowie das Gewicht der Rüben nahezu doppelt so groß als der der rüben- sichern Erde vor der Heizung. Es dürfen also bei der Feststellung der Mittel- zahlen in obenstehender Tabelle die Wolmirslebener Versuchsresultate nicht mitgerechnet werden. 680 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. des Auftretens gewisser Schmarotzer, welche an den kleinen Rüben- wurzeln festsitzen können, und welche bei öfter wiederholter Rüben- kultur sich sehr stark vermehren. Allein es blieb, trotz der glänzenden Kühn’schen Versuche immer- hin eine Thatsache bezüglich der Rübenmüdigkeit unerklärt. Zwar wird diese Bodenkrankheit durch die starke Vermehrung gewisser Schmarotzer, infolge der oftmals wiederholten Rübenkultur auf dem- selben Acker, vollkommen erklärt, doch scheint es unbegreiflich, dass die Rübenmüdigkeit sich gelegentlich auch auf solchen Aeckern zeigt, auf welchen seit langen Jahren sogar erst fürs erste Mal Rüben kultiviert werden, während auch mit Kompost oder in irgend welcher Weise keine Schmarotzer übergesiedelt wurden. Dem niemals er- müdenden Fleiß Kühn’s gelang es, auch für diese, bis jetzt ganz unerklärte Thatsache die Ursache aufzufinden. Es hält der hier er- wähnte Schmarotzer nicht ausschließlich an den Zuckerrübenwurzeln sich auf; er ist sogar sehr wenig wählerischh Kühn fand ihn an nicht weniger als 28, zu 10 Familien gehörigen ein- und zweisamen- lappigen Pflanzenarten. Es werden sowohl wilde als kultivierte Pflanzen zum Aufenthalte ausgewählt, doch begibt der Schmarotzer sich in die eine Pflanze nur notgedrungen, während er die andere auswählt und sich in derselben sehr schnell fortpflanzt. Ich zähle hier in natürlicher Reihenfolge die Pflanzen auf, an denen bis jetzt die erwähnten Schmarotzer aufgefunden wurden, und deute sie mit verschiedenen Buchstaben an, je nachdem sie Kulturgewächse sind, die regelmässig in starkem Grade, unregelmässig (d.h. das eine Jahr in starkem, das andere in geringem Grade) oder nur wenig stark und ausnahmsweise von den Schmarotzern heimgesucht werden; und je nachdem sie wildwachsende Pflanzen sind, an deren Würzelchen regelmässig viele oder nur dann und wann, und zwar immer nur wenige Exemplare dieser Schmarotzer sich finden lassen: alle möglichen Kohl-Arten (Blatt- kohl, Wirsing, Kopfkohl, Kohlrabi, Blumenkohl), Raps und Kohl- rübe, Rübsen und weisse Rübe, schwarzer Senf, weisser Senf, Ackersenf (Sinapsis arventis), Leindotter, Gartenkresse, Hede- rich (Raphanus raphanistrum), Bettig (in mehreren Formen), Bade (Agrostemma Githago), Reiherschnabel (Erodium cieutarium), grosse Platterbse (Lathyrus cicera), Sonnenblume, Krummhals (Anchusa arvensis), Kartoffel, Runkelrüben (Mangold, Speiserübe, Futter- und Zucker- rüben), Melden- Arten (Chenopodium- und Atriplex-Arten), Spinat, Rotterig (Polygonum Capathifolium), zweizeilige Gerste, Rog- gen, gemeiner Weizen (Triticum vulgare), Rispenhafer (Avena sativa), Jähriges Rispengras (Poa annua). Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. 681 Aus obigen Angaben erhellt, dass bei weitem nicht alle aufge- zählten Pflanzen in gleichem Grade von den die Rübenmüdigkeit ver- ursachenden Schmarotzern bewohnt werden. Eigentümlich verhält sich die Haferpflanze, welche in einigen Jahren auf stark rübenmüden Aeckern fast von keinem der daselbst so zahlreichen Schmarotzer heimgesucht wird, während sie in andern Jahren in starkem Grade erkrankt, so dass sie verkümmert und keine oder nur schwach ent- wickelte Rispen bildet. Es ist noch unbekannt, warum der Hafer sich in verschiedenen Jahren der Rübenmüdigkeit gegenüber so ungleich ver- hält. Auch wenn die Schmarotzer in gleicher Anzahl zwei Pflanzenarten befallen, so sind die Krankheitserscheinungen bei diesen beiden nicht dieselben. Die Kohlarten, Raps und Rübsen können von einer recht großen Anzahl Schmarotzer bewohnt werden ohne irgend welche Spur von Krankheit zu zeigen; während die Rüben von derselben Anzahl Schmarotzer in starkem Grade erkranken. Die Ursache dieser sehr verschiedenen Einwirkung einer gleichen Schmarotzerzahl dürfte in der verschiedenen Bewurzelung der betreffenden Pflanzen zu suchen sein; bei der später zu erörternden Entwicklungsgeschichte und Lebensweise wird gezeigt werden, dass die Schmarotzer die erste Zeit ihres Lebens innerhalb der feinern Wurzelzweige verbringen, von welchen die unverästelte, dieke Rübenwurzel relativ nur wenige, die stark verästelte Rapswurzel sehr viele besitzt. Bei gleich starkem Angriff werden also beim Rapse die feinen Wurzeln sowie die Wurzel- fäden länger ihre normale Funktion beibehalten können als bei der Rübenpflanze. Es versteht sich, dass es für eine erfolgreiche Bekämpfung der Rübenmüdigkeit sehr interessant ist, zu wissen, in welchen Pflanzen die Schmarotzer am liebsten sich aufhalten. Doch will ich im wei- tern Verlaufe dieses Aufsatzes die Bekämpfung des Uebels nur inso- weit berühren, als sie vom allgemein wissenschaftlichen, nicht nur vom praktischen Standpunkte interessieren kann. Allein es muss zu- nächst die Beschreibung des mehrfach erwähnten Schmarotzers in seinen verschiedenen Lebensstadien hier eingeschaltet werden. Ich gebe den Inhalt der ausgezeichneten Arbeit Strubell’s hier ganz kurz wieder, und habe zu besserem Verständnis mehrere Abbildungen aus dieser Arbeit kopieren lassen, deren Aufnahme ins „Biologische Centralblatt“ ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Juris Visser van Hazerswoude, des Herausgebers des Monatsblattes des hol- ländischen landwirtschaftlichen Vereins verdanke; in dieser Zeitschrift wurde ein Aufsatz von mir über diesen Gegenstand in holländischer Sprache zuerst aufgenommen und für den letzterwähnten Aufsatz in Herrn Visser’s Zeitschrift wurden die hier abgedruckten Holzschnitte angefertigt. Der Schmarotzer, welcher nach Kühn’s Untersuchungen die Ursache der Rübenmüdigkeit des Bodens ist, gehört der Gruppe 682 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. der Spulwürmer oder Nematoden an, welche bekanntlich im Allge- meinen einen ungegliederten, aalförmigen Körper haben. Die meisten der bekannten Nematodenarten dürften wohl Tierschmarotzer sein, doch gibt es auch im Boden freilebende Arten und einige wenige Pflanzenschmarotzer. Zu den letztern zählen die Tylenchen (Tylenchus scandens oder Tritiei, die Ursache der Radenkrankheit des Weizens, Tylenchus devastatrix, die Ursache der Stockkrankheit des Roggens, des Hafers und Buchweizens und mehrerer ähnlicher Krankheiten bei vielen andern Kulturgewächsen ; man vergleiche meine Untersuchungen im Bd. VII und VIII des Biologischen Centralblattes) und das Genus Heterodera Schmidt. Die der letztgenannten Gattung angehörigen Arten sind zwar im jugendlichen Zustande vollkommen aalförmig, und das Männchen behält auch im erwachsenen Zustande diese Form bei, doch ist das erwachsene Weibchen stark angeschwollen, zitronen- bis birnförmig, im Innern ganz mit Eiern gefüllt. Zur Gattung Heterodera Schmidt zählen bis jetzt drei ver- schiedene Arten: 1) der sogenannte „Rübennematode“ (Heterodera Schachtii Schmidt), welcher die Ursache der Rübenmüdigkeit ist, und von Strubell in seiner obenerwähnten Monographie ausführlich beschrieben wird, 2) das sogenannte „Wurzelälchen“ (Heterodera radieicola Greeff), welches an sehr verschiedenen Gewächsen Gallen bildet '!), und 3) die Heterodera des Zuckerrohres (Heterodera javanica 4) C. Müller hat („Mitteilungen über die unsern Kulturpflanzen schäd- lichen, das Geschlecht Heterodera bildenden Würmer“, in den „Landwirtschaft- lichen Jahrbüchern“, Bd. XIII, S. 1) hauptsächlich den Körperbau und die postembryonale Entwicklung dieses Nematoden, B. Frank („Ueber die Wurzel- älchen und die durch dasselbe verursachten Beschädigungen der Pflanzen“, in den „Landwirtschaftl. Jahrbüchern“, Bd. XIV, S. 149) namentlich die von ihm verursachten Pflanzenmisbildungen beschrieben. Strubell schreibt über den Unterschied zwischen Heterodera radicicola und H. Schachtii folgendes: „Die Unterschiede, die speziell zwischen H. Schachtii und H. radicicola bestehen, sind, wenn wir Müller’s nicht immer sehr prägnanter Beschreibung vertrauen dürfen, so gering, dass ich mich nicht der Vermutung zu entschlagen mag, es könnten vielleicht beide eine und dieselbe Art sein. Dass die eine Gallen erzeugt, die andere nicht, scheint mir bei einer Diagnose nicht allzusehr ins Gewicht zu fallen, da das Auftreten solcher Nodositäten doch hauptsächlich von der relativ verschiedenen Reizbarkeit des Wurzelgewebes verschiedener Pflanzen bedingt wird“. Strubell wurde in seiner Meinung noch bestärkt durch meine Untersuchungen über 7ylenchus devastatrix, welche zeigten, dass wenigstens fünf Tylenchus-Formen, welche als die Erreger anscheinend sehr verschiedener Krankheiten bei mehreren Pflanzenarten, bisher unter verschie- denen Speciesnamen beschrieben wurden, nur eine Art bilden. — Ich schließe mich Strubell’s Meinung vollkommen an, kann noch hinzufügen, dass auch H. Schachtii gelegentlich eine minimale Gallbildung veranlassen kann, welche Thatsache sowohl von Kühn (in „Zeitschrift des landw. Centralvereins der Provinz Sachsen“, 1870, S. 332) als von Schmidt („Ueber den Rübennema- toden* in „Zeitschrift des Vereins für die Rübenzuckerindustrie im Zollverein“, 1871, 8. 13) konstatiert wurde. Diese Gelehrten sprechen von „Knötchen an Ritzema Bos, Riübenmüdigkeit des Bodens. 683 Treub), welche in „sereh“krankem Zuckerrohre von Dr. Treub, Direktor des botanischen Gartens in Buitenzorg (Java) gefunden wurde, obgleich es noch nicht sicher festgestellt ist, ob man sie als die Ursache der auf Java so verheerend auftretenden „Sereh“krankheit ansehen dürfe !!). den Wurzelfasern“, und von den „weniger schlanken, etwas knöterigen Wurzel- fasern der Rüben“. Ich habe im vergangenen Sommer den folgenden Infek- tionsversuch angestellt. Herr Prof. Hugo de Vries hatte die Liebenswürdig- keit, mir einige mit Heterodera radieicola - Gallen stark besetzte Exemplare von Dipsacus sylWwestris zu senden. Ich mischte die Wurzeln einer dieser Pflanzen, in welchen reife Heterodera- Weibehen sich befanden, mit reiner Gartenerde, und säete Zuckerrüben hinein. Es war mir bekannt, dass Frank an der Beta vulgaris (l. ec. S. 186) auch Gallen von Heterodera radicicola fand, und dachte es möchte vielleicht durch meinen Infektionsversuch sich herausstellen, dass zwischen den beiden Heterodera- Arten kein artlicher Unterschied bestände, dass je nach dem Zustande der Rübenwurzeln eine stärkere, eine weniger starke oder gar keinen Cecidienbildung stattfände. Doch hat der von mir angestellte Infektionsversuch vorläufig nur ein negatives Resultat geliefert. Allein es ist kein Grund vorhanden, daraus auf eine Artverschiedenheit zwischen radieieola und Schachtii definitiv zu schließen; denn aus den von mir an Tylenchus devastatrix angestellten Versuchen hat sich das Resultat ergeben, dass diese Nematodenart lieber einwandert und schneller sich vermehrt in einer Pflanzenart, in welcher ihre Ahnen seit verschiedenen Generationen leben, als in eine andere Pflanzenart, dass sogar der Uebergang dieser Nematode aus einer gewissen Pflanze in eine andere für sie recht gut bewohnbare, jedoch von ihren Ahnen seit mehreren Generationen nicht bewohnte, oft nicht beim ersten Versuche gelingt (vergl. „Biologisches Centralblatt“, Bd. VII, S. 265). Spätere Infektionsversuche sowie eine fleißige Untersuchung des Körperbaues und der Entwicklung von radicicola, sowie Vergleichung mit den von Müller und Strubell erhaltenen Resultaten müssen definitiv die Frage erledigen. — Weiter könnten spätere Untersuchungen vielleicht ergeben, dass nicht alle von Müller und andern der radicola zugeschriebenen Wurzelgallen, die übrigens auch von untereinander recht verschiedenem Baue sind, der Wirkung einer und derselben Nematodenart zuzuschreiben seien. So haben sich die von Warming („bBotanisk Tidsskrift“, III. Reihe, 2. Bd., 1877, S. 93—96) be- schriebenen Gallen an den Wurzeln von Elymus arenarius infolge der Unter- suchungen Schoyens („Bygaalen“, in „Christiania Videnshabs-Selshabs Vor- handlinger“, 1885, Nr. 22) als von einer neuen Tylenchus- Art (T. Hordei Schoyen) gebildet entpuppt. 4) Treub, „Onderzoekingen over Sereh-ziek suikerriet“, in „Mededee- lingen uit’s Lands Plantentuin“ (1855). Weil der Bau und die Entwicklungs- geschichte der Heterodera javanica Treub noch ganz unbekannt geblieben, bleibe es vorläufig dahingestellt, ob man hier mit einer wirklich neuen Art zu thun habe oder sie vielleicht in eine der beiden andern bekannten Arten des Genus Heterodera unterbringen müsse. (Schluss folgt.) 684 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. Ueber die Modifikationen des Extremitätenskelets bei den einzelnen Säugetierstämmen. Von Max Schlosser in München. 1. Die Vorderextremität. Bei den Ahnen aller Placentalier war der Schultergürtel jeden- falls vollkommen normal entwickelt; es bestand derselbe sonach aus Scapula, Processus coracoideus und Clavieula. Diese letztere setzte sich am Sternum an mittels eines selbständigen Knochenapparates — das Episternum —. Es ist dieses Episternum sogar noch bei solchen Säugetieren, denen die Clavieulae fehlen, durch Rudimente an- gedeutet z. B. bei den Pinnipedien und Carnivoren, allein seine stärkste Entwicklung zeigt es doch bei den Didelphiden; bei den Placentaliern ist es unter allen Umständen schon in der Rück- bildung begriffen, selbst wenn es auch noch manchmal z. B. bei Talpa eine relativ bedeutende Entwicklung aufweist. Die Clavicula ist ein paariger Knochen, der sich an der Scapula einerseits, an dem erwähnten Episternum anderseits anlegt. Es hat sich dieser Knochen indess nur bei jenen Säugern erhalten, die einen verhältnismäßig breiten Thorax besitzen und deren Vorderextremität noch hauptsächlich als Greiforgan dient. Wenn jedoch die Vorder- extremität in erster Linie als Lokomotionsorgan zu funktionieren hat und das Tier längere Strecken und noch dazu in schnellerer Gangart zurücklegen muss, so erfolgt Rückbildung der in diesem Falle eher hinderlichen Schlüsselbeine. Bei den Carnivoren hat dieser Prozess schon sehr weit um sich gegriffen und bei denHunden ist es bereits zum völligen Verschwinden der Schlüsselbeine gekommen. Die übrigen Fleischfresser zeigen wenigstens noch sehr dürftige Rudimente dieser Knochen. Am deutlichsten sind solche Reste bei den Katzen. Die Creodonten unterscheiden sich in dieser Beziehung wohl kaum von den echten Carnivoren, ebensowenig Hyrax und die Condylar- thren, die Vorläufer der Perissodactylen, Artiodactylen und Amblypoden, deren Vorderextremität ja ausschließlich als Bewegungswerkzeug eingerichtet erscheint und deren Thorax gleich jenem der Carnivoren sehr schmal geworden ist. Dass aber die Ahnen dieser Condylarthren sowie jene der Creodonten und Carnivoren noch vollkommene Schlüsselbeine besessen haben, ist überaus wahrscheinlich; wir müssen diesen allerdings noch nicht dirckt ermittelten Formen überhaupt eine Organisation zuerkennen müssen, welche sich an jene der Didelphiden aufs Engste anschließen dürfte. Wie die Rückbildung der Schlüsselbeine erfolgt sein wird, darüber geben uns die Raubbeutler, bei welchen dieser Prozess eben in der Gegenwart vor sich geht, vollkommenen Aufschluss. Die Clavieula hat sich erhalten bei den Affen, Halbaffen, Fleder- mäusen, Insektivoren, Edentaten und Nagern, nur bei den Schlosser, Modifikationen des Extremitätensklelets bei Säugetierstämmen. 685 Hasen, die ja gute Läufer sind, hat sie bereits beträchtliche Reduk- tion erfahren. Da die Schlüsselbeine auch bei der Schwimmbewegung, bestehend in Vor- und Rückwärtsstoßen der Vorderextremität, im höchsten Grade hinderlich wären, so sind sie auch bei allen See- säugetieren, den Sirenen, Pinnipediern und Cetaceen, verloren gegangen. Unter den Marsupialiern hat Perameles die Clavieula gänzlich verloren, unter den Edentaten Myrmecophaga und Manis. Die Scapula besaß vermutlich anfangs bei allen Säugern eine ganz ähnliche Beschaffenheit wie bei Didelphys, und mithin einen ovalen Umriss. Die Veränderungen bestehen fast nur in Verbreiterung resp. Verschmälerung; letztere ist mit Streckung der Scapula ver- bunden. Unter den Affen zeichnen sich die Cynopithecinen durch eine ziemlich weitgehende Verschmälerung dieses Knochens aus, was aber insofern nicht überraschen kann, als diese Gruppe überhaupt sich in der Richtung gegen die Paarhufer hin differenziert. Bei den Chiropteren und Anthropomorphen verlängert sich die Seapula nach oben und hinten zu. Innerhalb der Carnivoren und Creo- donten ergeben sich nur sehr unwesentliche Unterschiede hinsicht- lich der Gestalt der Scapula. Bei den Seesäugetieren geht die Spina zuletzt fast ganz verloren. Etwas anders verhalten sich die Insektivoren; hier bemerken wir zuweilen eine ganz gewaltige Verlängerung und Streckung dieses Knochens, z. B. hei Ta/pa, Myogale und COhrysochloris zum Ansatz der wesentlich verstärkten Oberarm- muskeln. Die übrigen Insektivoren freilich schließen sich bezüg- lich der Gestalt ihrer Scapula den Didelphiden sehr eng an. Bei den Huftieren betrifft die Verschmälerung namentlich die distale Partie. Der Humerus war ursprünglich ziemlich grade; das Caput sowie die Tuberkel hatten nur ganz mäßige Dimensionen, dagegen war die Deltoid-Rauhigkeit als breites, weit herabgreifendes Feld entwickelt. Die Rolle hatte in horizontaler Richtung eine nicht unbeträchtliche Ausdehnung, ihr Durchmesser in vertikaler Richtung war dagegen sehr gering. Das Capitulum war kaum erkennbar. Die Perfora- tion der Fossa olecrani scheint erst verhältnismäßig spät aufzutreten, Bei den Beutelratten inel. Peratherium ist dieselbe noch nicht zu beobachten, dagegen beginnt dieselbe bei denRaubbeutlern. Unter den Creodonten zeigen viele diese Organisation, so die Gattungen Hyaenodon, Mesonyx und Thereutherium und zwar bei gleichzei- tiger Anwesenheit eines Epicondylarforamens. Unter den Carni- voren treffen wir dieselbe nur bei Zupleres, den Hunden und Hyänen, bei diesen aber dafür kein Epicondylarforamen. Häufig ist die Perforation der Fossa oleerani endlich bei den Nagern und zwar sind es die modernsten Formen derselben, die Lagomorphen und gewisse Myomorphen; zur Regel wird dieselbe bei den Artio- dactylen; aber immer fehlt alsdann das Epicondylarforamen. Ebenso 686 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. verhält sich Ayrax. Die Affen zeigen eine solehe Durchbreehung des Fossa oleerani nur abnormerweise. Die distale Partie des Humerus ist bei ihnen, ebenso wie bei den Lemuren noch sehr breit; das Letztere gilt auch für viele Insektivoren — Erinaceinen, Cen- tetinen und für die meisten Carnivoren — geringer ist die Breite dieser Partie bei den Katzen; und noch geringer bei den Hunden und Hyänen. Die Chiropteren sind, was die distale Partie betrifft, ganz eigenartig organisiert. Die Rolle setzt hier direkt an den Röhrenteil an, ohne dass eine ällmähliche Verbrei- terung desselben stattfäinde Das Epicondylarforamen hat sich noch innerhalb der meisten Gruppen der Landsäugetiere erhalten, so bei dn Raubbeutlern, Dideiphiden, den meisten känguruhähnlichen Marsupialiern, ferner bei den Creodonten — den Carnivoren mit Ausnahme der Gattungen Hyaena, Canis und vielen Ursus- Arten!), und einzelnen Viverren, den Insektivoren mit Ausnahme von Erinaceus?), ferner bei allen Prosimiern und Pseudolemuriden. Dagegen fehlt es bei allen Chiropteren, vielen Platyrhinen z. B. Mycetess — bei Hapale, Callithrix, Cebus jedoch noch vorhanden — bei allen Cynopithe- cinen und Anthropomorphen, bei den moderneren Typen der Nager — Lagomorpha und gewissen Myomorphen — endlich bei den Proboseidiern, Amblypoden,Perissodactylen und Artio- dactylen. Wohl aber existierte ein solches noch bei den Ahnen dieser Huftiere, den Condylarthren, fehlt jedoch bei Ayraz; auch einige Edentaten, nämlich Myrmecophaga haben dasselbe verloren. Die Rolle hatte wie schon erwähnt, anfangs nur mäßige Dicke und hat sich auch in dieser Beziehung bei den Didelphiden, Le- muren und Affen nur wenig verändert. Das Gleiche gilt auch für die Insektivoren und die meisten Carnivoren und Creodonten, nur bei Hyaena, Canis, Hyaenodon und Mesonyxz hat die Dicke der Rolle beträchtlich zugenommen, doch nicht in dem Maße wie bei den Paar- und Unpaarhufern. Auf die merkwürdige Differenzierung des Humerus von Talpa, Sorex und Myogale brauche ich hier nicht weiter eingehen, ebenso kann ich auch die Beschreibung des Chi- ropteren-Oberarms bei seite lassen. Bei den Seesäugetieren fehlt sowohl Perforation der Fossa oleerani als auch ein Epicondylarforamen, die Cetaceen zeigen über- haupt eine auffallende Reduktion der ganzen untern Partie des Humerus; eine Eigenbewegung des Unterarms ist hier schon völlig ausgeschlossen. Die Sireren lassen dagegen eine gewisse Aehnlichkeit mit den Huftieren erkennen, ebenso die Pinnipedier mit den Carnivoren. 1) Noch erhalten bei Ursus ornatus Blainville. Osteogr. pl. XI und einem Exemplar des Ursus spelaeus von Gailenreuth. Ibid. pl. XVII. 2) Bei einigen Arten noch vorhanden. Teste Dobson. Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 687 Bei Didelphys liegt die Deltoid-Rauhigkeit dem Schaft des Humerus noch dieht an ebenso bei den Affen, Creodonten und Carni- voren, dagegen hat sich bei den Chiropteren und Nagern eine eigentümliche Crista entwickelt, auf welcher erst die rauhe Deltoid- Fläche zu liegen kommt. Am schwächsten ist diese Crista noch bei den Seiuromorphen, die ja überhaupt die Stammform der Nager darstellen, und bei den Lagomorphen, welche einen von den übrigen Nagern weit verschiedenen Formenkreis repräsentieren. Unter den Insektivoren zeigen die Talpiden, Chrysochloriden, Myogaliden und Soriciden die Ansatzstelle des Deltoid-Muskels sehr deutlich, sonst ist dieselbe nicht stärker markiert als bei den Carnivoren und Huftieren. Radius und Ulna waren ursprünglich direkt hintereinander ge- stellt, so dass bei der Vorderansicht von der Ulna überhaupt nur das Oleeranon zu sehen war!). Bald aber begann eine Verschiebung dieser Knochen, die bis zu völliger Kreuzung derselben führte, indem das proximale Ende der Ulna nach einwärts, das distale aber nach auswärts rückte. Daher kommt es, dass ein Teil der Facette für den Humerus, nämlich die untere Partie der Fossa sigmoidea neben, statt oberhalb des Sinus lunatus, der Facette für den Radius, sich befindet. Die normale Stellung hat sich nur noch bei Echidna und den Seesäugetieren erhalten, dagegen hat bei Didelphys schon eine, wenn auch noch mäßige Verschiebung stattgefunden. Am deut- lichsten ist dieselbe beim Menschen und den höhern Affen und den Proboseidiern, geringer schon bei den Platyrhinen und den Lemuren und Pseudolemuriden; noch schwächer endlich bei den Insektivoren, den Ureodonten, Carnivoren, Nagern, bei Hyrax und den Huftieren. Unter den Insektivoren verdient die Gruppe der Macroscelididen besonderes Interesse, indem bei denselben die Reduktion der Ulna schon sehr weit fortgeschritten ist, nur wird sie hier nicht wie bei den Huftieren in ihrer untern Mitte aufgelöst, sondern legt sich wie bei den Hasen ihrer ganzen Länge nach dem Radius dicht an. Eine sehr weit gediehene Rückbildung der Ulna haben die Öhiropteren aufzuweisen; der distale Teil fehlt gänzlich, der proximale hat sich nur als dünner Faden erhalten, einzig und allein das Olecranon ist noch ziemlich kräftig. Um so primitiver erscheint dagegen die Ulna der Seesäugetiere, was ihre relative Stärke anlangt. Bei den Creodonten und Carnivoren, nament- lich bei den erstern ist die Ulna ebenfalls sehr massiv. Ihre Dicke kommt der Dicke des Radius so ziemlich gleich. Was die Verschie- bung beider Knochen gegen einander betrifft, so ist dieselbe bei den Carnivoren bedeutender als bei den ÖOreodonten. DasOlecranon war anfangs sehr niedrig und auch jetzt noch ist seine Höhe bei den Didelphiden, allen Lemuren und Affen sehr gering, da- 4) Tornier, Gustav, Morphol. Jahrb., Bd. XII, S. 407. 6588 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. gegen gewinnt es an Höhe bei den Insektivoren — KErinaceus, Talpa —, noch beträchtlicher ist dieselbe bei den Creodonten, Carnivoren und den Perissodactylen und Artiodactylen. Die Nager stehen in dieser Beziehung etwa mit den Insektivoren auf gleicher Stufe. Die relative Höhe der Olecranon hängt offenbar von der Organisation der Hand ab. Ist dieselbe als Greiforgan entwickelt und also befähigt, den Daumen den übrigen Fingern gegenüberzustellen, so bleibt das Oleeranon niedrig; ist aber der Daumen den übrigen Fingern fest angedrückt, so nimmt die Höhe des Oleeranon zu. Die wahre Ursache dieser Verhältnisse ist natür- lich in der verschieden starken Entwicklung der Muskeln zu suchen, auch gibt es innerhalb der verschiedenen Säugetiergruppen allerlei Abstufungen. So hat der Bär unter allen Carnivoren die ausgebil- detste Hand, folglich auch das niedrigste Olecranon. Die Pinnipedier haben ein ziemlich hohes kräftiges Olecranon, desgleichen auch die Sirenen. In den letztern Gruppen kommt es überdies zur Ver- schmelzung der obern und untern Partie des Radius mit den benach- barten Teilen der Ulna. Carpus. Die ursprüngliche Handwurzel der Säugetiere zählt in der ersten Reihe vier Knochen, nämlich Scaphoid und Lunatum, beide am Radius artikulierend und Pyramidale und Pisiforme, beide an der Ulna sitzend. Das Pisiforme wird indess in neuerer Zeit von vielen Autoren — und wohl nicht mit Unrecht — als Rudiment eines Fingers betrachtet. Das Lunatum ist das ursprüngliche Inter- medium, das einst zwischen Radius und Ulna eingekeilt war. Die beiden Centralia müssen sich schon frühzeitig vereinigt haben — oder es hat vielleicht Verschmelzung des einen mit einem benachbarten Carpale stattgefunden —. Bei den Säugetieren ist höchstens noch eines erhalten, meist ist aber auch dieses verschwunden, möglicher- weise infolge einer Verwachsung mit dem Scaphoid, dessen distaler, weit in den Carpus vorspringender Fortsatz wohl als Centrale gedeutet werden darf. Beim Menschen und verschiedenen Affen findet sich das Centrale nur noch ausnahmsweise, immer aber beim erwachsenen Orang, ebenso bei vielen Oynopithecinen — I/nuus!) —, Platy- rhinen — Cebus, Hapale?) —, Lemuriden — Lemur albifrons?), Chiromys*) —. Was die Insektivoren betrifft, so findet sich ein solches bei Centetes, den Talpiden und bei Myogale, dagegen ist es bei Erinaceus, den Chrysochloriden, Sorieiden, Macros- celididen, Gymnura, Cladobates ete. verschwunden. Bei den Chi- ropteren ist auch nicht die Spur eines Centrale anzutreffen, ebenso verhalten sich die meisten fossilen und alle jetzt lebenden Carni- 4) Blainville Osteographie. Pithecus. pl. IX. 2) Blainville Osteographie. Cebus. pl. VII. 3) Blainville Osteographie. Lemur. pl. X. 4) Blainville Ost&ographie. Lemur. pl. V. Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 689 voren, wohl aber besitzen die letztern zum großen Teil ein solches während des Embryonalstadiums!). Den Pinnipediern, Sirenen und gar allen Huftieren fehlt dieser Knochen ebenfalls, es könnte ein solcher höchstens noch bei den Embryonen vorkommen. Dagegen hat sich das Centrale bei den Creodonten zeitlebens erhalten, wie aus den neuesten Untersuchungen Scott’s hervorgeht. Den erwach- senen Raubbeutlern fehlt dieser Knochen, ebenso den meisten Didelphys-Arten — beim erwachsenen Azarae ist derselbe noch gut zu beobachten. Bei den Nagern scheint das Centrale ziemlich häufig zu sein, was bei der primitiven Organisation ihrer Extremitäten auch durchaus nicht überraschen kann, selbst beim Hasen hat es sich erhalten. Die obere Reihe der Carpalien erlangt bei manchen Säugern größere Festigkeit dadurch, dass Scaphoid und Lunatum mit einander verschmelzen. Bei den Carnivoren ist dies mit Ausnahme von Miacis und Didymictis durchgehends geschehen, ebenso bei den Pinni- pedien; dagegen sind beide Knochen noch frei bei den Creodonten und den Beutlern. Dass jedoch dieser Verschmelzungsprozess überall erfolgen wird, wo es sich um Erzielung einer festgefügten Hand, aber ohne allzuweit gehende Reduktion seitlicher Zehen handelt, ist daraus zu entnehmen, dass auch bei den Insektivoren die Bildung eines Scapholunatum anzutreffen ist — Erinaceus — und sogar bei den Halbaffen — Guleopithecus?) und Lichanotis, sowie bei Lemur albi- /rons?), hier zugleich noch bei Anwesenheit eines freien Centrale. Es wäre nicht unmöglich, dass auch wohl wenigstens ein Teil der Affen (die Cynopithecinen?) einmal Verwachsung dieser Knochen zeigen wird. Auch bei manchen Chiropteren — Vespertilio und Ptero- pus — ist es zur Verschmelzung von Scaphoid und Lunatum ge- kommen. Dieselbe Erscheinung zeigt auch Manis. Bei den Nagern ist eine solche gleichfalls nicht allzu selten, und zwar betrifft dieser Prozess meist solche Formen, die sich sonst wenig verändert haben, z. B. Coelogenys, während Lepus und Dasyprocta, deren Extremität sonst sehr weitgehende Modernisierung erfahren hat, sich hierin kon- servativ verhalten. Die zweite Reihe des Carpus besteht aus dem Uneiforme (Hamatum), dem Magnum (Capitatum), dem Trapezoideum und Tra- pezium. Nach oben zu grenzen Trapezium und Trapezoideum an das Scaphoid, das Magnum an das Lunatum und das Uneiforme an das Pyramidale. Diese Carpalien der zweiten Reihe tragen auch mit 1) Baur fand ein solches bei Embryonen von Hund, Katze, Fisch- otter, Marder. Morphol. Jahrb., 1884, Bd. X, S. 455. Unter den fossilen Carnivoren hat sich ein Centrale erst bei Miacös und Didymictis nachweisen lassen und wird auch wohl bei allen übrigen fehlen. 2) Journal of the Academy of Nat. Sciences Philadelphia, 1886, p. 161. 3) Blainville Ost&ographie. Lemur. pl. X. IX, 44 690 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. Ausnahme des Uneiforme nur je ein Metacarpale. Es liegen also diese Mittelfußknochen mit den Handwurzelknochen in grader Linie, welche Anordnung von Kowalevsky!) und E. D. Cope?) als die ursprüngliche Organisation betrachtet wird. Für die Huftiere ist dies auch zweifellos richtig, die ältesten — die Condylarthren und dann auch Hyrax — zeigen diese Gruppierung in ganz ausgesprochenem Grade; etwas undeutlicher aber ist diese reihenweise Anordoung bei den Carnivoren, Creodonten und selbst schon bei den Didel- phiden. Während bei den Huftieren Magnum und Lunatum auf eine ziemlich weite Strecke hin aufeinander lagern, ist bei den Didelphiden und den Raubbeutlern sogar die unmittelbare Be- rührung derselben ausgeschlossen, und selbst bei den Creodonten ist die Artikulation von Lunatum und Magnum eine sehr unvoll- kommene; bei den Carnivoren ist das Magnum ebenfalls sehr schmal. Wahrscheinlich haben wir es in den erwähnten Fällen schon mit einem eigentümlichen, auf Festerwerden der Handwurzel gerichteten Prozess zu thun, darin bestehend, dass die seitlichen Carpalien der zweiten Reilie sich immer mehr nach der Mittellinie des Carpus drängen und die genannten mittlern Carpalien auseinander schieben. Dass eine solche Organisation indess wirklich als Differenzierung und nicht etwa als der ursprüngliche Zustand aufgefasst werden muss, geht wohl daraus hervor, dass dieses Einwärtsdrängen der seitlichen Carpalien und dieses Auseinanderweichen von Lunatum und Scaphoid grade bei den Raubbeutlern am weitesten gediehen ist, die ja doch allgemein als spezialisierte Formen gelten. Hier stoßen nämlich Uneiforme und Trapezoideum schon beinahe direkt an einander. Bei den Huftieren erfolgt das Festerwerden des Carpus bekannt- lich in der Weise, dass die Carpalien der zweiten Reihe sich gegen die erste Reihe so weit verschieben, dass eine alternierende Anord- nung zu stande kommt, wobei dann aber auch noch Rückbildung des seitlichen Carpalien und selbst Verwachsungen in der zweiten Carpus-Reihe eintreten können — Magnum mit Trapezoideum bei den Selenodonten?). Die Sirenen zeigen Verschmelzung von 1) Anthracotherium. Palaeontographica, Bd. XXL. 2) Proceedings of the Americ. Philosophical Society. Philadelphia 1882. p. 439. 3) Cope — Americ. Naturalist, 1886, p. 615 — leitet die Paar- und Unpaarhufer von gewissen Amblypoden ab, die freilich bis jetzt noch nicht entdeckt sind. Da aber bei allen bekannten Amblypoden das Alter- niren der beiden Carpalreihen, oder doch wenigstens das Hineinrücken des Unciforme unter das Lunatum viel weiter gediehen ist, als bei den meisten Paar- und Unpaarhufern — einzig und allein Anoplotherium und die Öreodontiden können hierin mit den Amblypoden einigermaßen kon- kurrieren —, so erscheint diese Annahme nicht begründet. Es müsste dann nachträglich wieder eine Verschiebung des Uneiforme nach auswärts stattge- funden haben. In Wirklichkeit ist auch die Aehnlichkeit der Hand in der Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 691 Pyramidale und Uneiforme und Vereinigung von Trapezoid und Tra- pezium. Solche Verschmelzungen benachbarter Carpalien finden sich auch bei den Edentaten. Für die ursprünglich reihenweise Gruppierung der Carpalien spricht außer den bereits angeführten Verhältnissen sicher auch die Beschaffen- heit der Hand der Halbaffen und Affen, die hier wirklich noch als Greiforgan entwickelt ist; auch hier sehen wir noch die reihen- weise Anordnung der Carpalien und Metacarpalien. Während sonst an jedem Carpale nur je ein Metacarpale ein- gelenkt ist, artikulieren deren zwei am Unceiforme. Es sind dies die Metacarpalien des fünften und vierten Fingers und zwar gilt dies für alle Säugetiere. Sofern das Uneiforme wirklich durch Ver- schmelzung eines freien Carpale IV mit einem freien Carpale V entstanden sein sollte, so muss dies schon vor sehr langer Zeit ge- schehen sein, da nicht einmal mehr während des Embryonalstadium eine Spur von einer einstigen Trennung wahrzunehmen ist. Am Magnum artikuliert das Metacarpale III, am Trapezoideum das Meta- carpale II, am Trapezium das Metacarpale I. Die proximalen Enden der Metacarpalien liegen anfangs sämtlich in der nämlichen Ebene; sehr bald jedoch steigt das Meta- carpale II etwas herauf und greift ziemlich weit in den Carpus her- ein — wobei es sich eine Strecke weit dem Magnum anlegt. Am primitivsten erscheint noch die Hand der Lemuren, Pseudo- lemuren!), Platyrhinen und Cynopitheecinen; bei den Anthro- pomorphen und beim Menschen artikuliert das Metacarpale II schon sehr innig mit dem Magnum. Auch bei den Didelphiden und Raubbeutlern, in beiden Fällen freilich noch in sehr geringem Grade, bei allen Insektivoren, Creodonten, Carnivoren — am undentlichsten ist dies noch bei Canis und Hyaena — liegt die proximale Fläche des Metacarpale II höher als die des Metacarpale III und zugleich legt sich das erstere sogar noch mit seinem OÖberende auf das letztere herüber; es ist dies namentlich bemerkbar bei den Katzen sowie bei Hyaenodon. Bei den Huftieren ist das Meta- carpale III noch nicht soweit heraufgestiegen, was eben dafür spricht, dass dieselben von dem Fleischfresserstamm sich abgezweigt haben, bevor es bei diesem zu der eben besprochenen Art von Einlenkung des Metacarpale II gekommen war. Allein auch das Metacarpalelll sucht eine bessere Verbindung mit dem Carpus. Diese wird erreicht durch Streckung des Metacarpale III in der Richtung gegen das Reihe Creodonten, Condylarthren und Paar- und Unpaarhufer durchaus größer als in der Reihenfolge Creodonten, Amblypoden, Paar- und Unpaarhufer. 1) Siehe Adapis. Schlosser, Affen, Lemuren ete. Beiträge zur Palä- ontologie Oest.-Ung. von Neumayr und Mojsisovics, Bd. VI, 1837, Taf. I, Pier 285 u. 21. 44 ® 692 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. Unciforme. Die ursprünglich ausschließliche Artikulation mit dem Magnum ist noch sehr wenig alteriert bei den Lemuren und Affen, etwas verändert ist dieselbe schon bei den Didelphiden und Raub- beutlern, indem sich hier schon ein Fortsatz gegen das Uneiforme hin entwickelt hat. Derselbe wird noch stärker bei den Insekti- voren, Creodonten und Carnivoren — unter diesen sind Hund und Hyaena noch am primitivsten; die Katzen haben die größten Fortschritte gemacht —, desgleichen bei den Nagern und Huf- tieren!). Es bezweckt dieses Hereinrücken der Metacarpalien in den Carpus eine größere Festigkeit der Vorderextremität. So lange diese letztere in erster Linie als Greiforgan benutzt wird, erweist sich die lose Verbindung der Handwurzelknochen mit den Mittelhand- knochen ungemein praktisch und erfährt höchstens geringe Verände- rungen — wie bei den Affen —. Soll aber die Vorderextremität das Tier befähigen, größere Strecken und noch dazu in rascherer Gangart zurückzulegen, oder soll dieselbe als Schaufel benutzt wer- den — bei grabenden Tieren z.B. Maulwurf — so muss eine Ver- festigung der einzelnen Knochen unter einander erfolgen; dies wird bewerkstelligt in der Weise, dass das Metacarpale III mit dem Unei- forme und Magnum, das Metacarpale Il mit dem Magnum und Trape- zoideum zugleich artikulieren, also eine doppelte Einlenkung der Metacarpalien am Carpus?). Ein weitere Veränderung besteht darin, dass der Daumen die Fähigkeit der Rotation verliert, so dass er nur noch vorwärts und rückwärts bewegt, aber nicht mehr den übrigen Finger gegenüber- gestellt werden kann. Es wird diese Veränderung dadurch bedingt, dass das Trapezium sich auf das Metacarpale II legt. Dieser Prozess ist bei der überwiegenden Mehrzahl der Säugetiere erfolgt, selbstver- ständlich aber nur bei solchen, deren Hand eben mehr als Bewegungs- werkzeug, denn als Greiforgan dient. Die letztere Verwendung findet die Hand bei den Didelphiden, sowie bei allen Lemuren und Affen; deshalb hat auch der Daumen noch die Rotationsfähigkeit beibehalten; bei den übrigen Säugern legt sich der Daumen dicht an den zweiten Finger und verliert dadurch seine große Beweglich- keit. Mit dem Verlust derselben wird jedoch der Wert des Daumens selbst ein sehr zweifelhafter, — denn für eine Stütze des Körpers ist 1) sehr wohl zu sehen namentlich an den Condylarthren- und Artio- dactylen-Formen. Die Condylarthren-Hand ist ohnehin von jener der Creodonten fast gar nicht verschieden, nur dass eben statt der Krallen Hufe vorhanden sind. 2) Am allerauffälligsten ist dieses alternierende Ineinandergreifen bei den Amblypoden. Bei den Perissodaetylen und Artiodactylen ist das- selbe sehr viel weniger deutlich, weil das Hauptgewicht auf den mittlern, oder den 3. und 4. Finger fällt und alle seitlichen schon sehr bald Reduktion er- leiden. Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 693 er doch schon zu sehr vom Boden abgerückt. Seine Reduktion kann daher nur noch eine Frage der Zeit sein und wird wohl in allen Fällen mit dem völligen Verschwinden desselben enden. Bei den Insektivoren beträgt die Fingerzahl zwar meist fünf und hat der Daumen auch meist noch eine ziemlich bedeutende Länge, gleichwohl zeigt gerade diese Gruppe, dass die Reduktion dieses Fingers verhältnismäßig auf- fallend rasch erfolgen kann. So ist derselbe bei gewissen Prinaceus- Arten schon vollständig verloren gegangen, während er sich bei den übrigen noch sehr gut konserviert hat; bei den meisten Rhynchoceyon!) ist der Daumen sehr kurz geworden, bei einer Art sogar schon spur- los verschwunden. Auch bei den Carnivoren ist die Verkürzung des Daumens oft schon sehr weit fortgeschritten, am weitesten bei den Hunden, Hyänen und Katzen. Immerhin ist es nur in einem einzigen Falle, nämlich bei Mangusta tetradactyla?) zum vollständigen Verlust des Daumens gekommen. Am besten hat sich derselbe kon- serviert bei den Bären, etwas verkürzt bei den Pinnipediern, Viverren, Amphicyon, den Subursen, Mustelen. Ganz ähnlich wie die Carnivoren verhalten sich in dieser Beziehung auch die Creodonten. Auch sie zeigen, namentlich gewisse Ayaenodon und die Gattung Mesony«x, eine nicht unbeträchtliche Reduktion des Daumens, doch trägt derselbe immer noch die volle Phalangenzahl. Die Nager besitzen zwar durchgehends noch einen vollkommenen Daumen mit Phalangen, doch hat die Länge und Stärke desselben meist beträcht- lich abgenommen. Eine sehr weitgehende Reduktion hat dagegen der Daumen bei den Huftieren erlitten — mit Ausnahme der Probos- eidier und Amblypoden — und zwar bei allen jenen Formen, deren Mittelfinger — der dritte allein bei den Perissodactylen, der dritte und vierte bei den Artiodactylen — eine Streckung erfuhren. Meist fehlt derselbe hier so gut wie vollständig. Selbst bei den Affen, wenigstens bei denen, welche sich in der Richtung gegen die Artiodactylen hin entwickeln, ist die Reduk- tion des Daumens nicht ausgeschlossen. Seine Rotationsfähigkeit hat sich bei allen Cynopithecinen schon gewaltig verringert, bei einem derselben, Colodus, hat der Daumen auch schon eine bedeutende Verkürzung erfahren. Noch mehr ist dies der Fall bei der Gattung Ateles, einem Platyrhinen. Der Daumen stellt hier noch einen kurzen Stummel dar. Es wäre sehr gut möglich, dass jene Affen, welche sich auf allen Vieren nnd auf längere Strecken hin zu be- wegen pflegen, einmal den Daumen verlieren werden und sich also auch hierin in der Art wie die Paarhufern umgestalten werden. Was bei vielen Säugern mit dem Daumen geschehen ist, wird bei manchen Gruppen derselben auch mit dem fünften Finger ge- 1) Giebel in Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreichs, Bd. VI, Taf. XC, Fig 10. Rh. Cirnei. 2) Blainville Osteographie. Viverra. pl. X. 694 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. schehen; auch dieser ist der Reduktion unterworfen, doch erfolgt dieselbe in allen Fällen — mit Ausnahme von CUhrysochloris!) — erst viel später als der Verlust des Daumens und zwar naturgemäß des- halb, weil der fünfte Finger länger als dieser, folglich auch dem Boden mehr genähert und daher auch für die Lokomotion wertvoller ist. Bei den Insektivoren hat er sich allerdings oft schon bedeutend verkürzt, z. B. Bhynchocyon; ja in einem Falle, Chrysochloris, ist es zum vollständigen Verschwinden des fünften Fingers gekommen. Bei den Carnivoren und Öreodonten ist derselbe hingegen immer wohl entwickelt, desgleichen auch bei den Affen und Halbaffen. Seine Länge ist jener des fünften ungefähr gleich. Beim Bären hat sich der fünfte Finger bedeutend vergrößert; das Metacarpale ist hier nicht bloß länger, sondern auch stärker geworden. Der gleiche Fall ist auch bei den Sirenen eingetreten. Dass bei den Huftieren der fünfte Finger nicht selten verschwunden ist, brauche ich hier nur kurz anzudeuten. Solche Reduktionen beobachten wir auch bei den Cetaceen und Edentaten Verkürzung des Daumens und des fünf- ten Fingers sehen wir auch bei Hyra«. Das Metacarpale des dritten Fingers ist ursprünglich der längste von allen Mittelhandknochen, das des vierten steht ihm jedoch hierin nur wenig nach. Beide tragen die Hauptlast des Körpers, soweit dieselbe eben auf den Vorderfuß trifft. Metacarpale II und V sind ebenfalls wieder von ungefähr der nämlichen Länge. Der dem Daumen entsprechende Mittelhandknochen ist immer der kürzeste. Von der Reduktion des Daumens und des fünften Fingers habe ich schon oben gesprochen. Dieselbe beschränkt sich nieht bloß auf Verkürzung derselben, sondern kann bis zum völligen Verlust dieser Finger führen. Gewöhnlich bleibt jedoch selbst im letztern Falle noch ein meist halbkugelförmiges kleines Rudiment, das auch mit einem benachbarten Carpale verwachsen kann. Sehr weitgehende Reduktionen der seitlichen Finger treffen wir bei den Artiodactylen und Perissodaetylen, doch finden sich dieselben, und oft sogar in noch höherem Grade, auch an der Hinter- extremität, weshalb ich sie erst im Folgenden besprechen werde. Bei den Beuteltieren ist die Hand meist wenig verändert, nur Perameles hat eine wesentliche Verkürzung des Daumens und des fünften Fingers aufzuweisen; bei den übrigen ist es nur zum Verlust der großen Be- weglichkeit des Daumens gekommen, indem dieselbe außer bei Didel- phys nur noch bei Phalangista anzutreffen ist. Bei den Faultieren ist der Danmen verloren gegangen, bei Bradypus auch der fünfte Finger; während jedoch dieser letztere eine eigentümliche Verwach- sung der drei Metacarpalien zeigt, sind dieselben bei Choloepus zwar 1) Die Hand ist hier als Schaufel entwickelt und überhaupt so eigentüm- lich spezialisiert, dass das Fehlen des fünften Fingers nicht besonders über- raschen darf. Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 695 sämtlich frei geblieben, das zweite und fünfte jedoch nebst ihren Phalangen sehr viel schwächer geworden als das dritte und vierte. Eine solche Verstärkung einzelner Finger auf Kosten der übrigen lässt sich auch sonst oft bei den Edentaten beobachten und zwar ist es bald der dritte — Manis und Myrmecophaga —, bald betrifft die- selbe den äußern — Dasypus und dieGravigraden—, bald die innern — ÖOrycteropus. Ich hoffe diese Verhältnisse jedoch ein andermal aus- führlicher besprechen zu können. Als Rudiment eines Fingers muss wohl außer dem Pisiforme noch ein sogenanntes Sesambein gedeutet werden, das sich zwischen Trapezium und Scaphoid befindet. Unter den Affen zeigen diesen Knochen /nuus, Cebus, unter den Prosimiern der Indri und der Galeopithecus (nicht aber Lemur), unter der Chi- ropteren KRhinolophus, unter den Insektivoren Glisorex, Centetes; ungemein häufig ist dieses „Sesambein“ bei den Oarnivoren!). Bei Gulo luseus bildet dasselbe sogar noch einen ziemlich langen Stummel, ganz ähnlich den rudimentären Fingern, wie wir sie bei vielen Huf- tieren finden — besonders den inadaptiv-reduzierten Artiodactylen. Bei Didelphys, namentlich bei Azarae ist dieses Sesambein ebenfalls als ziemlich langer Stummel entwickelt. Nach Baur?) lässt sich sogar noch eine Zweiteilung desselben wahrnehmen bei Phalangista und selbst bei Chiromys. Das Faleiforme des Maulwurfs stellt möglicherweise kein direktes Homologon dieses „Sesambeins“ dar, weil es am Scaphoid allein angeheftet ist. Sehr häufig scheint der erwähnte zwischen Scaphoid und Trapezium befindliche Knochen bei den Nagern zu sein, ja er fehlt selbst nicht einmal dann, wenn wie bei Dasyprocta schon der Daumen zu einem Stummel geworden ist. II. Hinterextremität. Der Beekengürtel besteht ursprünglich aus vier Stücken, dem Ileum, dem Isehium, dem Os Pubis. und dem Os acetabulare. Dieses letztere ist indess fast nur noch bei jungen Individuen als freier Knochen entwickelt, und zwar auch da nur während des Embryonalstadiums, meist verschmilzt es und zwar entweder mit dem Ileum oder mit dem Pubis Nahezu in sämtlichen Ordnungen der Säugetiere konnte Leche?) diesen Knochen nachweisen. Der- selbe ist auch zu sehen an dem erwachsenen Individuum von 1) Siehe Blainville’s Osteographie. I. Nasua, Arctietis, Cercoleptes, Mellivora, Gulo luscus, Mangusta, Paradoxorus, Tigris, Canis cancrivorus und C. aureus und selbst Hyaena. 2) Zool. Anzeiger, 1885, Nr. 196. 3) Internationale Monatsschrift für Anatomie und Histologie. Berlin 1884. S.367—383. Das Vorkommen und die morphologische Bedeutung des Pfannen- knochens. 696 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. Myogale!). Bei den Fleischfressern und Affen bleibt dieser Knochen nur im Embryonal- Stadium noch isoliert. Das Ileum stellt bei den Didelphiden eine Art Balken dar von dreieckigen Querschnitt, und diese ursprüngliche Organisation erhält sich auch noch zum teil bei den Insektivoren z. B. Erina- ceus. Bei vielen Gattungen dieser Ordnung verbreitert sich indess wenigstens die obere Partie schon ziemlich bedeutend so z. B. Sorex, Talpa, besonders aber bei Oladobates. — Sehr primitiv verhalten sich in dieser Bezichung die Chiropteren und Creodonten, doch dürften auch unter diesen letztern wenigstens die Stypolophus-ähnlichen Formen in der Beschaffenheit des Beckens den echten Carnivoren schon ziemlich nahe kommen. Auch die Pinnipedien schließen sich hierin den Carnivoren an. Bei diesen hat sich die obere Partie des lleum etwas verbreitert, ist aber auch zugleich dünner geworden. Die Lemuren, Platyrhinen und Catarhinen zeigen zusammen eine stufenweise Entwicklung dieser Partie des Beckens. Am ursprüng- lichsten verhält sich Galeopithecus, dann folgen die übrigen Halb- affen, die Platyrhinen, Cynopitheeinen und Anthropo- morphen. Die Nager stehen etwa im gleichen Stadium wie die Insektivoren, desgleichen die ersten Huftiere — die Condylarthra. Die Verbreiterung des Ileums wird dann am größten, wenn die Tiere eine aufrechte Haltung annehmen, wie bei den Anthropo- morphen, weil in diesem Falle das Becken das volle Gewicht der Eingeweide zu tragen hat. Sehr starke Verbreiterung des Ileums finden wir indess auch bei den Proboscidiern und Amblypoden, doch ist dieselbe hier wohl bloß dadurch bedingt, dass die Eingeweide einen sehr breiten, aber im Verhältnis ziemlich kurzen Raum ein- nehmen infolge der Kürze der einzelnen Wirbel. Das Os Pubis sowie das Ischium bieten wenig bemerkenswertes. Es zeigen sich nur Schwankungen in ihrer relativen Länge und Breite, die aber auch bloß bei jenen Formen etwas beträchtlicher werden, welche zu aufrechter Haltung befähigt sind. Femur. Dieser Knochen hatte ursprünglich drei Trochanter. Der dritte ist nur noch bei den Didelphiden, den meisten Nagern und Insektivoren (Sorex, Talpa, Macroselides, Gymnura) wohl ent- wickelt, d. h. er erscheint als breite und langgezogene Lamelle, die am großen Trochanter beginnt und etwa bis ins untere Drittel des Femur herabreicht. Es zeigen indess auch schon die Nager und Insektivoren hierin bedeutende Differenzen, so erscheint z. B. bei Seiurus der dritte Trochanter nur noch als dreieckige aber sehr kurze Lamelle. Bei den Chiropteren ist dieselbe ebenfalls schon sehr kurz geworden, nur Rhinolophus macht hievon noch eine Aus- nahme. Die Creodonten sowie die Mehrzahl der Carnivoren 1) Siehe Taf. XCII, Bd. V, 6. Abteilung in Bronns Klassen und Ord- nungen. Daselbst auch am Becken von Hesperomys zu sehen. Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 697 lassen den dritten Trochanter zwar noch deutlich erkennen, doch ist derselbe bloß mehr durch einen sehr kurzen dreieckigen Vorsprung repräsentiert, von dem aus sowohl nach oben als nach unten eine sehr schmale Leiste verläuft. Bei den Hunden und Hyänen hat sich der dritte Trochanter ganz verloren, die Bären besitzen höchstens noch eine ganz schwache Andeutung derselben. Den Anthropo- morphen sowie den übrigen Affen fehlt derselbe vollkommen, auch die Halbaffen haben bloß Rudimente desselben. Bei den Huf- tieren war derselbe früher durchgehends vorhanden, jetzt existiert ein soleber eigentlich bloß noch bei den Perissodaetylen, ist aber hier auch ungemein kräftig entwickelt, ganz ähnlich auch bei Dasypus, weniger bei Oryceteropus, während er bei Manis und Bradypus gänz- lich fehlt. Ein wenigstens in phylogenetischer Beziehung nicht unwesent- liches Element des Femur besteht in einem zwischen dem ersten und zweiten Trochanter und dem Collum befindlichen Längswulst. Der- selbe beginnt am Oberrande des Femur und zieht sich parallel zum ersten Trochanter bis zur Crista intertrochanterica herab. Im seiner normalen Entwicklung finden wir diesen Wulst nur bei den Didel- phiden!), bei den Placentaliern unterliegt derselbe einer mehr oder minder rasch fortschreitenden Reduktion. Dieselbe beginnt am untern Ende und geht bis zum vollständigen Verschwinden dieses Gebildes.. Bei den Insektivoren finden sich auffallenderweise nirgends mehr Spuren desselben, gänzlich fehlt dasselbe auch bei den Chiropteren. Unter den Lemuren hat sich dieser Wulst noch bei Chirogaleus erhalten; auffallend kräftig ist derselbe bei einigen Platyrhinen, Jacchus und COhrysothrix. Die Catarhinen haben denselben vollständig verloren. Bei den Öreodonten haben sich Spuren desselben noch durchgehends erhalten, freilich nur noch als kurzer Höcker in der Nähe des Oberrandes, so bei Hyaenodon, Cyno- hyaenodon?), Mesonyx, dagegen fehlt derselbe bei gar allen Carni- voren, desgleichen auch bei allen Huftieren. Als ein sehr wesentliches Moment in der Organisation des Femur muss die Größe der Condyli betrachtet werdeu, die ihrerseits wieder die Größe der Patella bedingt. Bei den Didelphiden ist diese letztere überhaupt noch nicht völlig verknöchert, auch die Condyli zeigen dementsprechend nur sehr schwache Entwicklung. Aehnlich wie Didelphys verhalten sich auch die Lemuren und Affen sowie der Mensch, indem die Condyli ebenfalls im Verhältnis zur Länge des Femurs sehr klein geblieben sind und ziemlich weit von einander abstehen. Bei den Fledermäusen, deren Femur ohnehin sehr 1) Siehe Peratherium. Schlosser, Tertiäre Fleischfresser. Beiträge zur Paläontologie Oest.-Ung. von Neumeyr und Mojsisovics, 1887, Bd. VI, Faf. II, Big:.11512, 15; 2) Ibidem Taf. VOL Fig. 17. 698 Braune und Fischer, Ueber den Schwerpunkt des menschlichen Körpers. wenig zu leisten hat, bleiben dieselben gleichfalls sehr klein. Die Größe der Condyli ist am bedeutendsten bei jenen Tieren, welche sich auf allen Vieren bewegen und auch hier ist wieder die Dauer dieser Art von Lokomotion entscheidend. Die größten Condyli be- sitzen demnach die Huftiere und zwar vornehmlich die Artio- dactylen. Jene Säuger aber, welche wie die Affen nur kurze Märsche unternehmen und auch dabei nicht kontinuierlich in gebückter Stellung bleiben, sondern zeitweilig wieder aufrechte Haltung an- nehmen, haben nur mäßig hohe Condyli. Bei den Insektivoren variiert “dieser Teil des Femur schon ganz bedeutend, die größten Condyli finden sich bei Sorex und den Macroscesiden, dann folgen Erinaceus und die Centetinen, hierauf die Maulwürfe. Die Creodonten stimmen in diesen Punkte so ziemlich mit den echten Carnivoren überein, indess sind die Uondyli fast durchgehends ein wenig kürzer als bei den meisten Carnivoren. Unter diesen weisen wieder die Bären die relativ schwächsten Conayli auf, entsprechend der Lebensweise dieser Tiere. Die größten Condyli finden wir bei den Hunden, die ja gute und ausdauernde Läufer sind, dann bei gewissen schlanken Viverren-ähnlichen aber ausgestorbeuen Raub- tieren — z. B. Palaeoprionodon. Bei den Pinnipediern hat der Oberschenkel eine eigenartige Differenzierung, Verbreiterung und Ver- kürzung erfahren, die jedoch auch bei den ebenfalls aquatilen Fisch- ottern, wenn auch in geringerem Grade bereits wahrzunehmen ist. Der innere Condylus der Pinnipedier hat sich auch zugleich etwas gegen den äußern verschoben. Bei den Formen, welche sich durch die Kürze der Condyli aus- zeichnen, bleibt auch der erste Trochanter kurz, dagegen verlängert sich derselbe, wenn sich die Condyli strecken; die Größe beider Par- tien des Femur wird eben durch die gleiche Ursache bedingt. (Schluss folgt.) W. Braune in Verbindung mit O. Fischer, Ueber den Schwerpunkt des menschlichen Körpers mit Rücksicht auf die Ausrüstung des deutschen Infanteristen. Abhandl, der math.-phys. Klasse der k. sächs. Akademie der Wiss. Bd. XV. Nr. VI. — S. 561—672. XVII Tafeln. Als das Hauptsächlichste in der Arbeit der Verfasser erscheint die von ihnen erfundene Methode, exakte Bestimmungen der Glieder- schwerpunkte an der Leiche so vorzunehmen, dass durch Uebertragung derselben auf den Lebenden die Schwerpunktslage des Körpers in fast jeder Stellung, die etwa durch die Photographie fixierbar ist, berechnet werden kann. Zu diesem Zwecke unternahmen es die Ver- fasser zuerst, den Schwerpunkt des Rumpfes und der Glieder an der Leiche in jeder Beziehung genau zu bestimmen. Deshalb benutzten Braune und Fischer, Ueber den Schwerpunkt des menschlichen Körpers. 699 sie nur frische, nicht blutleere Leichen von gesunden Individuen (Selbstmördern), welche sie so hart gefrieren ließen, dass sie während der Untersuchung nicht aufthauten und also ganz starr waren. Sie bestimmten den Schwerpunkt nicht durch Aufhängen der Objekte in zwei Punkten, sondern an drei Axen, welche sie in Form von runden, dünnen Eisenstäben durchtrieben, und zwar in möglichst großem Ab- stand von der vermutlichen Lage des Schwerpunktes. Dadurch wur- den drei Ebenen bestimmt, deren Schnittpunkt der Schwerpunkt sein musste. Sie wählten diese Ebenen so, dass die eine das Objekt quer auf seine Längsaxe durchschnitt, die andern beiden auf ihr senkrecht lagen. Waren die Ebenen durch Aufhängen bestimmt, so wurde in der ersten das Objekt durchsägt, und dann auf dem Durchschnitt, welcher also der einen Ebere entsprach, der Schnittpunkt der beiden andern durch gespannte Fäden bestimmt. Auf diese Weise wurde der Schwerpunkt des ganzen Körpers in genau bestimmter Lage so- wohl, als auch die Schwerpunkte des Rumpfes, des Kopfes, der Ex- tremitäten im ganzen und ihrer Teile (Oberarm, Unterarm, Hand) gefunden. Außerdem wurden die Gewichte des ganzen Körpers und aller einzelnen Teile genau bestimmt. Die Abtrennung der Glieder erfolgte durch Sägeschnitte möglichst durch die Gelenkaxen, welche Abgrenzung am besten der physiologischen Bedeutung der Glieder entspricht. Hierbei ergab sich die wichtige Thatsache, dass alle Schwerpunkte in die Verbindungslinie der Mittelpunkte der benach- barten Gelenke fielen. Alle so gefundenen Werte wurden für eine bestimmte Stellung des Körpers in ein Coordinatensystem ein- getragen. Als diese „Normalstellung“ wählten die Verfasser zur Er- leichterung der Berechnung eine solche, bei der alle Gelenkmittel- punkte und deshalb auch alle Schwerpunkte mit Ausnahme der- jenigen der Füße, in eine vertikale Ebene fallen. Diese Stellung ist zwar eine selten vorkommende, aber es kann sie auch der Lebende einnehmen und man kann ihn in dieselbe bringen, wenn man die Mittelpunkte der Gelenke auf der Haut andeutet und ihn dann so richtet, dass alle diese Punkte in ’der Lotrechten liegen. Für diese Stellung wurden zunächst die Schwerpunkteoordinaten be- rechnet aus den Coordinaten der Gelenkmittelpunkte, und dann aus den einzelnen Schwerpunkten und den Gewichten der Glieder die Schwerpunkte des ganzen Körpers und der Gliedersysteme. Da diese auch schon experimentell bestimmt waren und da die Rückenlage, in der die Kadaver gefroren waren, der Normalstellung sehr nahe kommt, so ließ sich die Genauigkeit der Methode kontrolieren ; diese Kontrole ergab z. B. folgende Resultate: nach der experimen- tellen Messung lag der Gesamtschwerpunkt in der Mittelaxe 92,5 em hoch; die Rechnung ergab für dieselbe Leiche 93,3 em, 0,07 em nach rechts und 0,2cm nach vorn von der Mittelaxe. Bei der Beurteilung dieses kleinen Unterschiedes muss man bedenken, dass der Gesamt- 700 Braune und Fischer, Ueber den Schwerpunkt des menschlichen Körpers. schwerpunkt in der Normalstellung ja vor die Mittelaxe fallen muss, da alle übrigen Schwerpunkte in die frontale Medianebene, nur die der Füße vor dieselbe fallen. Auch muss sich ein Fehler ergeben, da bei den Sägeschnitten immer etwas Stoff verloren geht, die Summe der Gewichte der getrennten Glieder also geringer ist als das Gewicht des unversehrten Körpers. Als zweites Beispiel möchte ich anführen, dass der Schwerpunkt des ganzen rechten Beins gefunden wurde 52,5 em hoch, 8,5 em nach rechts von der Körperaxe; die Rechnung ergab 52,6 em und ebenfalls 8,5 em nach rechts. Der- artige genaue Messungen wurden nun an drei Leichen durchgeführt, an zweien vollständig, an der dritten konnte der Gesamtschwerpunkt infolge Auftauens nicht bestimmt werden. Die so gewonnenen Ergebnisse wurden zur Untersuchung der Verhältnisse am Lebenden in der Weise benutzt, dass die Werte des einen Kadavers, der von einem normalen, kräftigen Individuum stammte, direkt für den Lebenden, einen Soldaten, welcher dieselben Maße hatte und nur 3 kg mehr wog, als giltig angenommen wurden, indem nur alle Gewichte in dem Verhältnisse der Gesamtgewichte umgerechnet wurden. Sodann wurden die verschiedenen zu unter- suchenden Stellungen durch je zwei Photographien, von vorn und von der Seite, fixiert, auf den Photographien die Gelenkmittelpunkte eingetragen, aus diesen ihre Coordinaten und dann die Lagen der Gliederschwerpunkte sowie des Gesamtschwerpunktes berechnet. Diese Methode ist für alle Stellungen anwendbar, bei denen die Lagen der Gelenkmittelpunkte (durch die Photographie oder auf andre Weise) hinlänglich genau bestimmt werden können, vorausgesetzt dass die Krümmung der Wirbelsäule nicht allzusehr von derjenigen der ge- frorenen Leichen abweicht. Von den Ergebnissen, welche die Verfasser auf diese Weise fan- den, scheinen die folgenden die für den Physiologen wichtigsten zu sein: Bei der „bequemen Haltung“ fanden sie den Gesamtsehwerpunkt 7,3 em über der Verbindungslinie der Mittelpunkte der Hüftgelenke und 0,8 cm rückwärts von derselben, bei der „militärischen Haltung“ ebenfalls 7,3 cm über, aber 0,4 em nach vorn von der genannten Linie. Es liegt also beide male der Schwerpunkt ziemlich genau unterhalb des Promontoriums, während H. v. Meyer ihn bei der Stellung, die er „militärische“ nennt, im 2. Kreuzbeinwirbel oder im Sacralkanal annahm. Infolge dessen finden auch die Verfasser die Projektion des Schwerpunktes auf die Unterstützungsfläche viel weiter nach vorn, als H. v. Meyer. Dieselbe lag bei der bequemen Haltung etwa 4cm vor der Mitte des Tibiotarsalgelenkes, bei der militärischen noch weiter nach vorn. Von den Resultaten, welche sich aus den Untersuchungen an den gefrorenen Kadavern ergaben, scheinen die folgenden die wichtigsten: Die Verfasser konstatierten überall Beziehungen der Schwerpunkte Zacharias, Bilder und Skizzen aus dem Naturleben. 701 zu den Gelenken, indem sie fanden, dass dieselben immer auf der Verbindungslinie der benachbarten Gelenkmittelpunkte liegen, und zwar in den Extremitäten immer über der Mitte des Gliedes, so dass sie die genannte Linie annähernd im Verhältnis 4:5 teilen. Sie versprechen hierüber in einer spätern Arbeit genauere Untersuchungen anzustellen. Für den Kopf fanden sie in dem einen Falle, als sie ihn mit einem Teil des Halses abtrennten, den Schwerpunkt am Clivus Blumen- bachii, an der Grenze des Keilbeins und des Oceipitale, in den beiden andern Fällen, als sie den Schnitt vom Kinn so nach hinten führten, dass nur drei Wirbel mit dem Kopf abgetrennt wurden, 0,7 em hinter der Lehne des Türkensattels in der Fossa Tarini, am obern Rande der Brücke. Daraus ergibt sich, dass bei ihrer Normalstellung der Kopf sich in labilem Gleiehgewicht über dem Atlanto - Oceipitalgelenk befindet, in jeder andern von ihnen behandelten Stellung aber der Schwerpunkt vor dies Gelenk fällt, wie auch aus den beigegebenen Photographien dieser Stellungen, in welche die Projektionen der Ge- lenkmittelpunkte und der wichtigsten Schwerpunkte auf die Körper- oberfläche eingetragen sind, hervorgeht. Diese Thatsache wider- spricht daher der auffälligerweise von den Verfassern an einer Stelle vertretenen Ansicht, der Kopf befinde sich im Leben gewöhnlich im labilen Gleichgewicht. Dies steht nicht mit den Erfahrungen des täglichen Lebens im Einklang und ist um so auffälliger, als, wie schon bemerkt, aus den Tafeln hervorgeht, dass bei der „bequemen Haltung“ des strammen Soldaten, der dabei den Kopf sehr hoch trägt, und auch bei allen militärischen Stellungen der Schwerpunkt des Kopfes ein wenig vor das Atlanto - Oceipitalgelenk fällt. W. Otto Zacharias, Bilder und Skizzen aus dem Naturleben. Jena Costenoble 1889. 328 Seiten. 49 Abbildungen. Unter diesem Titel gibt unser Mitarbeiter, Herr Dr. O. Zacharias, in bunter Reihe eine größere Anzahl populärwissenschaftlicher Aufsätze, welche sich in gleicher Weise auf Zoologie und Botanik erstrecken und sämtliche Gebiete derselben, sowohl Anatomie und Physiologie wie die Entwicklungs- geschichte in den Umfang ihrer Betrachtung ziehen, soweit dieselben von all- gemeinerem Interesse erscheinen und sich zu einer größeren Kreisen verständ- lichen Darstellung eignen. Auch die Biologie der Tiere und Pflanzen, ihre Fähigkeit sich den äußern Existenzbedingungen anzupassen, sowie die Be- ziehungen von Tieren und Pflanzen zu einander haben die gebührende Be- rücksichtigung gefunden. Den Beschluss machen zwei Aufsätze allgemeinen Inhalts „über das Rätsel des organischen Lebens“ und „über das Verhältnis der Naturstudien zur Religion“. Die neueren Forschungen, die grade in den beiden oben zuletzt genannten Disziplinen so merkwürdige, aber außerhalb der Fachkreise noch wenig bekannte Thatsachen ans Licht gestellt haben, sind überall erwähnt und berücksichtigt. Gute Abbildungen kommen, wo dies not- 702 Schulz, Einfluss d. Mikroorganismen auf die Oxydationsvorgänge im Erdboden. wendig erscheint, der Anschauung des Lesers zu Hilfe. Dazu wird in den Fällen, wo die der Betrachtung zugrunde gelegten Naturobjekte ohne allzu- große Mühe aufzufinden sind, Anleitung gegeben, wie sich der Laie dieselben am leichtesten beschaffen und für die Beobachtung zurichten kann, während ein Aufsatz mit der Aufschrift: „Der Naturforscher am Mikroskop“ in Kürze die technischen Methoden erläutert, welche die heutige zoologische Forschung ausgebildet hat, um den anatomischen Bau auch der kleineren Wesen mit aller Sicherheit und Schärfe festzustellen. Dr. Biehringer (Erlangen). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Physikalisch- medizinische Sozietät zu Erlangen. O0. Schulz, Untersuchungen über den Einfluss der Mikro- organismen auf die Oxydationsvorgänge im Erdboden. Im ver- flossenen Jahre hat Herr Dr. Kraus!) im hiesigen physiologischen Institut eine Reihe von Versuchen ausgeführt, welche darauf abzielten, den Einfluss der Mikroorganismen auf den unter gewissen Bedingungen stattfindenden frei- willigen Zerfall organischer Säuren festzustellen. Die von ihm gewählte Ver- suchsanordnung war folgende: Gartenerde, kiesiger Sand, Kohle oder grobes Glaspulver wurde mit reichlichen Wassermengen mehrfach gewaschen, in größere, am Boden mit seitlichem Tubus versehene Flaschen gefüllt, die Füllung mit 3prozentigen Lösungen von Zitronensäure, Weinsäure oder deren Alkalisalzen getränkt und ca. 8 Tage lang der Einwirkung eines gleichmäßigen Luftstromes ausgesetzt. Die in die Flaschen eintretende Luft wurde durch Kalivorlagen von CO, befreit; der austretende Strom gab die aus der Flasche mitgeführte CO, an eine in Pettenkofer’scher Röhre befindliche Barytlösung ab. Eine Wasserstrahlpumpe am Ende der Apparatenkette bewirkte die Aspiration der Luft, und ein mit der Pumpe verbundenes Ventil sorgte dafür, dass die Stärke der Aspiration über eine gewisse Grenze nie hinausging. Die durch Titration mit 28,63 °%/,, Oxalsäure bestimmte CO,-Menge galt als Maß für die Oxydation der dem Luftstrom unterworfenen organischen Substanz. War num dieser chemische Vorgang abhängig von der Gegenwart von Mikroorganismen, so mussten die Resultate der Versuche deutliche Unterschiede erkennen lassen, wenn einmal die Flaschenfüllung und die zur Durchtränkung derselben be- stimmte Lösung sorgfältig sterilisiert und wenn im andern Fall die Mikro- organismen nicht abgetötet wurden. Demgemäß unterlagen bei der Mehrzahl der Versuche, bei welchen die Mitwirkung der Mikroorganismen ausgeschlossen sein sollte, die Flasche mit dem verwendeten Substrat (Erde, Kohle u. s. w.), die Lösung der organischen Säure, Schläuche, Stopfen, Glasröhren einer gründ- lichen Behandlung mit strömendem Wasserdampf, während bei den Parallel- versuchen das sicher bakterienreiche Substrat unsterilisiert blieb. In der That zeigten die gefundenen CO,-Mengen durchweg den erwarteten Unterschied, so zwar, dass die CO,- Werte der Versuche, bei welchen sterili- sierte Erde oder Holzkohle als Substrat diente, um 25--50 Prozent niedriger ausfielen als die Werte der Parallelversuche, Auffallend aber war, dass die 1) Kraus, Beiträge zur Kenntnis der Oxydationsvorgänge im Erdboden. In.-Diss. Erlangen 1883, Sehulz, Einfluss d. Mikroorganismen auf die Oxydationsvorgänge im Erdboden. 705 Sterilisierung bei der größern Zahl der Versuche doch nur eine, wenngleich deutliche, Abschwächung. ein vollständiges Aufhören der CO,-Bildung dagegen nur in zwei Fällen zur Folge hatte. Was den von CO,-Bildung begleiteten Zerfall der Zitronensäure bezw. Weinsäure betrifft, so wurde angenommen, dass zunächst in den Karboxyl- gruppen dieser Säuren die ersten CO,-Quellen zu suchen seien, und es wurde für die Berechnung und tabellarische Zusammenstellung der Resultate der Karboxyl-C als leicht oxydierbar von dem Ö des übrigbleibenden Radikals getrennt. (Mit dieser Annahme sollte nicht die Behauptung ausgesprochen sein, es würde bei der unter den in Rede stehenden Bedingungen erfolgenden Zersetzung von Karbonsäuren in jedem Fall zuerst die Karboxylgruppe als CO, abgespalten.) Für Zitronensäure [C,H,O, + H,O] sind demnach, entsprechend den 3 Karboxylgruppen, 17,12 Prozent leicht oxydierbarer Kohlenstoff in An- schlag gebracht worden. Bei vollständigem Uebergang von 17,13 Teilen C in CO, mussten entstehen 17,13 X 44 — 62,81 Teile CO,. Gefunden wurden 1) 12,66 Th. OC, — Substrat: Holzkohle | 2) 24,66 „ CO, — : Sand sterilisiert 3) 14,66 „ CO, — E Sand \ 4) 3,0 „ 00, — 8 Sand nicht sterilisiert. Aus diesen und den weitern ähnlichen Zahlen ergäbe sich der Schluss, dass die Oxydation der Zitronensäure und Weinsäure durch den atmosphäri- schen Sauerstoff auch bei Abwesenheit von Mikroorganismen, nur etwas träger vor sich gehe, wenn nicht bei zwei andern Versuchen mit sterilisiertem Substrat die Entwicklung von CO, ganz ausgeblieben wäre. Um diesen wechselnden Verlauf des Oxydationsprozesses klar zu stellen, nahm Herr L. Hirsch in diesem Winter die Untersuchung von Kraus wieder auf. Derselbe behielt im allgemeinen die von Kraus gewählte Anordnung bei, benutzte aber kleinere, nur 1'/,—2 Liter fassende Flaschen und sterilisierte die mit dem Substrat gefüllten Gefäße nicht mit strömendem Dampf, sondern durch Erhitzen auf 180° in einem doppelwandigen eisernen Heizkasten. Hier- durch wurde die Abtötung der Mikroorganismen sicher erreicht, was durch Wasserdampf nicht immer möglich ist, da derselbe, wie es scheint, eine selbst sehr locker aufgeschichtete Sand- oder Kohle-Masse von mehrern Litern nicht vollständig zu durchdringen vermag. Die Versuche von Hirsch (15 Versuche, 9 mit sterilisiertem, 6 mit nicht sterilisiertem Substrat) haben nun mit einer einzigen, in einem experimentellen Fehler begründeten Ausnahme ergeben, dass bei Ausschluss der Mikro- organismen eine von CO, begleitete Zersetzung wenig bestän- diger organischer Substanzen allein durch atmosphärischen Sauerstoffin kürzerer Zeit nichteingeleitet wird. Geprüft wurden Zitronensäure, Traubenzucker, Harnstoff und Harn. Die titrimetrisch ermittel- ten CO,-Mengen, auf 100 Th. angewendeter Substanz berechnet, sind in folgen- der Tabelle zusammengestellt. Zitronensäure auf I. Kohle sterilisiert 02 Broz. CO, II. Gartenerde 5 0 n 5 II. Sand nicht sterilisiert 411,783 > n IV. Gartenerde = 11,72 n n 704 Schulz, Einfluss d. Mikroorganismen auf die Oxydationsvorgänge im Erdboden. Traubenzucker auf V. Kohle sterilisiert 0 Proz. CO, VI. Gartenerde 5 0,11 n R VI. R nicht sterilisiert 24,71 a e VIH. n R 36,83 ” n Harnstoff auf IX. Kohle sterilisiert 4,36 Proz. 00, X. Gartenerde 4 0 5 5 XI. 5 nicht sterilisiert 16,76 - rn Harn!) auf XII. Gartenerde sterilisiert 0 Proz. CO, XII. s a 0 ” n XIV. Kohle = 0 n ” XV. Gartenerde nicht sterilisiert 19,61 ” ” Bei den vorstehenden Versuchen IX—XV wurden die Veränderungen, welche die Amidogruppen des Harnstoffs unter den obwaltenden Bedingungen erleiden, nicht weiter verfolgt, da Herr Behrend bereits eine experimentelle Arbeit über diese Frage in Angriff genommen hatte. Ueber den Vorgang der Umwandlung des Ammoniaks und des Stickstoffs organischer Verbindungen in salpetrige Säure und Salpetersäure ist in den letzten Jahren lebhaft debattiert worden. Es sei hier nur an die bezüglichen Arbeiten von Frank und Plath erinnert. Bei dem außerordentlichen Interesse, welche die viel umstrittene Frage von der Nitrifikation besitzt, lag es nahe, im Anschluss an die oben besprochene Arbeit von Hirsch, zu versuchen, ob das bei dieser erprobte Verfahren nicht gleichermaßen einige Aufschlüsse über das Schicksal des Stickstoffs liefern könne, wenn stickstoffhaltige Verbin- dungen in derselben Weise der gleichzeitigen Einwirkung der Mikroorganismen und des Luftsauerstoffs oder nur der Wirkung des letztern ausgesetzt würden. Herr Behrend hat in den beiden letzten Semestern diese Arbeit durch- geführt. Von derselben sei in Kürze hervorgehoben: Die einzelnen Versuche dauerten 6 bezw. 8 Wochen; im Ganzen wurden 16 Versuche angestellt, davon 9 mit sterilisiertem, 7 mit nichtsterilisiertem Substrat (Erde und Kohle). Die geprüften N-haltigen Substanzen waren Salmiak, Ammoniumkarbonat, Harn- stoff, Harn, Eiweiß, Pepton und Leuein. Bei den Versuchen mit nicht sterili- siertem Substrat ließen sich durchweg quantitativ bestimmbare Mengen von N,0, oder N,0, (bls 6,2 mg) nachweisen, bei denjenigen mit sterilisiertem Substrat dagegen nur in 2 Fällen, und zwar da, wo Ammoniumkarbonatlösung zur Durchtränkung von Kohle und von Erde gedient hatte. Die Arbeit von Behrend gelangt zu dem Ergebnis, dass die Gegen- wart von Mikroorganismen für das Zustandekommen der Nitrifikation zwar nicht unbedingt notwendig, jedoch demselben sehr förderlich ist. 1) Der Inhalt der Flasche wurde mit 150 cem ausgekochten Harns, welcher 1,74 Prozent Harnstoff enthielt, getränkt und die in Vers. XV gefundene CO, bei der Berechnung auf 2,6 g Harnstoff bezogen. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. IX. Band. | 1. Februar 1890. Nr. 23, Inhalt: Ritzema Bos, Die Rübenmüdigkeit des Bodens und der Rübennematode. (Schluss) — Schlosser, Ueber die Modifikationen des Extremitätenskelets bei den einzelnen Säugetierstämmen. (Schluss.) — Verworn, Psycho - physio- logische Protistenstudien. — Anzeige. Die Rübenmüdigkeit des Bodens und der Rübennematode, von Dr. J. Ritzema Bos, Dozent der Zoologie und Tierphysiologie an der landwirtschaftlichen Schule in Wageningen (Niederlande). (Schluss. Der „Rübennematode“, von Schmidt dem Entdecker H. Schacht zu Ehren mit dem Speciesnamen Schachtii benannt, wurde schon zuerst von Kühn in seiner Lebensgeschichte genauer studiert, doch tragen seine diesbezüglichen Mitteilungen einen sehr aphoristischen Charakter. Dann hat die hohe philosophische Fakultät der Universität Leipzig die Darstellung des Baues und der Entwicklung des Rüben- nematoden als zoologische Preisaufgabe für das Jahr 1886 gestellt. Dies war die Veranlassung zu den interessanten Untersuchungen Strubell’s, welche 1888 publiziert wurden. Zuerst will ich an der Hand dieses Verfassers das völlig aus- gewachsene Weibchen beschreiben, welches an den feinen Wurzel- „weigen der Rüben festsitzt. (Man vergleiche die beigegebene Fig. 1, wo (p)die weiblichen Nematoden in natürlicher (etwa Knopfnadel-) Größe abgebildet sind). In diesem Zustande wurde der Schmarotzer von Schacht entdeekt, und während langer Zeit kannte man ausschließ- lich das erwachsene Weibchen (vergl. Fig. 2 vergrößert) und ihre Eier. Die länge des erstern variiert von 0,8—1,3 mm; es ist zitronen- förmig mit in die Länge gezogenen Spitzen. An der einen Spitze findet man den Mund (Fig. 2 m), an der andern die Vulva (v). Der Anus (a) liegt an der Rückenseite des Wurmes. Die Farbe des er- wachsenen Weibehens ist gelblich weiß. Bei s befindet sich ein Mund- IX, 45 706 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. stachel, der bei allen in Pflanzen schmarotzenden Nematoden gefunden wird; er ist hohl und seine Höhlung setzt sich in den Schlund fort; letzterer besitzt etwas weiter nach hinten eine kugelförmige An- schwellung mit kräftiger Muskelwand (z.m). Die Darmabteilung, welche sieh vom Mundstachel bis an diesen Muskelmagen erstreckt, tritt in den Dienst des Aufsaugens der Nahrungssäfte des Pflanzenteiles, an dem die Nematode festsitzt. Der Stachel durchsticht, wenn er hinausgeschoben wird, die Zellwand, und dann wird sogleich infolge des Turgors die Flüssigkeit hinausgedrückt, dabei steigt sie in den Sehlund hinein. Durch die darauffolgende Zusammenziehung der Muskelfasern des Muskelmagens (z.m) wird innerhalb dieser Darm- abteilung die Luft verdünnt, und die aus der Pflanzenzelle aufgenom- mene Flüssigkeit aufgesogen; nachher wird sie in die folgenden Darm- abteilungen fortgepresst. — Der übrige Teil des Darmes (d) ist sehr weit, der kurze Mastdarm (ed) jedoch ist eng. Beim ausgewachsenen Weibehen nehmen die Eierstöcke (g.o) einen großen Raum ein, sie umschlingen den Darm und drücken ihn an mehreren Stellen ein. — Oft wird beim Rübennematode das Kopfende von einer gewöhnlich ziemlich großen Anzahl gallertartiger, je nach der Farbe der Rübe mehr rötlicher oder gelblicher Tropfen in der Weise eingehüllt, dass nur eine kleine Oeffnung an der Spitze übrig bleibt, um den Be- wegungen des Stachels freien Raum zu gewähren. Diese Tropfen, welche in Fig. 8 bei sd bei einem noch nicht ganz ausgewachsenen Weibchen abgebildet sind, bilden zusammen ein sogenanntes „Kopf- futteral“. Die Körperoberfläche wird von einer „subkrystallinischen Schicht“ bedeckt; diese bildet einen dünnen Ueberzug, der die Körper- haut regellos, mit stellenweiser Unterbrechung bedeckt. Er kann Ritzema Bos, Riübenmüdigkeit des Bodens. 707 ziemlich fest aufliegen, allein er kann auch in Fetzen lose herunter hangen. Diese „subkrystallinische Schicht“ erklärt Strubell für nichts anderes als die alte Larvenhaut des Weibchens, welche infolge der Bewegungslosigkeit des letztern nicht abgestreift werden konnte und nun so lange dem Körper anhaftet, bis sie sich durch äußere mechanische Einwirkungen stückweise loslöst. Aeltere Beobachter haben noch den sogenannten „Eiersack“ be- schrieben, der dem Hinterende des Körpers der Weibchen anhaftet. Doch ist diese Bezeichnung nicht richtig, da wir es hier keineswegs mit einer einen Hohlraum umgebenden Haut zu thun haben. Der „Biersack“ wird von einer farblosen gallertigen Substanz gebildet, welche die Eier umgibt; er kann von sehr verschiedener Größe sein, kann sogar die Größe des ganzen Tieres erreichen. Die gallertartige Substanz muss, nach Strubell, als ein erhärtetes Sekret angesehen werden, das aus der Geschlechtsöffnung für sich allein oder bei der Entleerung der Eier ausfließt, und wahrscheinlich von der Epithel- schicht des Uterusendes abgeschieden wird. Die im sogenannten Eiersacke befindlichen Eier enthalten einen aalförmigen Embryo, doch verbleiben die meisten Eier im Mutter- körper bis sich die Larve aus ihnen entwickelt hat. Nachdem das Ei befruchtet worden ist und sich mit einer festen Schale umgeben hat, nimmt sogleich die Entwicklung ihren Anfang, und man kann also im ganzen Verlaufe des Uterus Eier in den verschiedensten Ent- wicklungsstadien antreffen. „Wie es den Anschein hat, platzt der Uterus an seinem untern Ende schon sehr frühe; denn sobald die Produktion der Eier sehr lebhaft wird, und ein Teil seinen Weg nach außen genommen hat, finden sich schon einzelne Eier in der Leibes- höhle, die an Zahl nun so rasch zunehmen, dass sie die Eingeweide durch ihre Masse aus der Lage rücken. Darm und Muskulatur degenerieren schließlich, und das Tier stirbt, wenn der Genitalapparat sich erschöpft hat, ab, so dass es mit seiner Chitinhülle nur noch eine Brutkapsel darstellt, die in ihrem Innern eine wechselnde Zahl von Eiern (im Durchschnitt 300—350 mm) birgt“. Das Ei von Heterodera Schachtii ist bohnen- bis nierenförmig, 0,08 mm lang und 0,04 mm breit. [Für die ausführliche Darstellung des Verlaufs der Embryonalentwicklung sei auf Strubell’s Mono- graphie selbst verwiesen.| Nachdem der Embryo, und zwar in relativ kurzer Zeit, innerhalb des Eies sich entwickelt hat, fängt er sehr leb- haft sich zu bewegen an und sprengt die Eischale, so dass er in das Innere des Mutterkörpers gelangt. Allein während der Entwick- lung der Embryonen ist die Mutter bereits abgestorben und dient ihnen nur noch als Schutzhülle. Daselbst verharrt der junge Wurm nur kurze Zeit; sehr bald schlüpft er durch die Vulva aus und bohrt sich alsbald in ein Rübenwürzelchen hinein, um dort im Schmarotzer- zustande seine weitern Entwicklungsphasen durchzumachen. 45 ® 708 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. Ein die oben beschriebene, aus dem abgestorbenen Körper ent- standene Schutzhülle verlassendes Lärvchen, wie es im Boden sich umherbewegt, ist aalförmig, 0,36 mm lang; es endigt in eine scharfe Spitze. Während der Darm (Fig. 4 sl.d, z.m, d, e.d) schon vollkommen entwickelt ist, sind die Geschleehtsorgane nur noch in erster Anlage (9.0) vorhanden. Fig. 3. Fig. 4. A -|---=Zi A ie Die dem Eie entschlüpfte Larve sucht, immerfort sich schlängelnd fortbewegend, eine geeignete Seitenwurzel von etwa 1 mm Durch- messer auf, sei es eine Rübenwurzel, eine Kohlwurzel oder eine Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. 709 Wurzel irgend einer andern für ihren Parasitismus geeigneten Pflanze. Durch die eigentümlichen Stoßbewegungen des Stachels zerreißt sie die Oberhaut dieser Seitenwurzel und begibt sich ins Innere der- selben (vergl. Fig. 5), doch dringt sie nicht ins zentrale Gefäßbündel hinein. Gewöhnlich wandert eine große Anzahl von Larven in die Wurzeln einer Pflanze hinein, und also wird diese sehr bald von der auf S. 674 beschriebenen Krankheit heimgesucht. Natürlich entziehen die Nematodenlarven den von ihnen bewohnten Pflanzen eine recht große Quantität Nahrungsstoffe; dazu verursachen sie infolge einer von ihnen abgeschiedene Substanz ein abnormes Wachstum. Recht bald nach der Einwanderung kommt die Larve, gewöhn- lich in der Nähe der Rindenoberfläche, zur Ruhe, und es fangen als- bald wichtige Aenderungen sich zu zeigen an. Die Larve häutet sich, und sie ändert dabei in starkem Grade ihre Form, indem sie an- schwillt, und zwar der Hauptsache nach noch ihre Aalform beibehält, allein ihre schlanke Gestalt dabei einbüßt (vergl. Fig. 6). Zwar sind in diesem zweiten Stadium die Geschlechtsorgane (g.o) etwas stärker entwickelt als im ersten, doch zeigt der Unterschied zwischen Männ- chen und Weibchen sich noch keineswegs. 10 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. Inzwischen schwillt der Körper der Larve immer mehr an, so dass die Wurzeloberhaut sich immer mehr nach außen wölbt (Fig.7 a), bis zuletzt ein förmlicher Buckel entstanden ist. Dann zeigt sich auch bald der Unterschied zwischen den in männlicher und den in weiblicher Richtung sich weiter entwickelnden Tieren. Während das Wachstum bei denjenigen Larven des zweiten Stadiums (Fig. 6), welche in Männchen sich zu entwickeln bestimmt sind, zuletzt auf- hört, schwillt der Körper der künftigen Weibchen immer stärker an. Bei diesen ändert sich die längliche Aalform allmählich in die Flaschen- form um, später in eine länglich-ovale Form (Fig. 8), zuletzt in eine Zitronenform (Fig. 3). Beim zitronenförmigen weiblichen Schmarotzer bleibt ein vorderer Hals- und Kopfteil relativ dünn, und schnürt sich also ziemlich scharf vom übrigen Körper ab. Die weibliche Geschlechts- öffnung, welche anfangs an der Bauchseite des Tieres liegt (Fig. 8 v), schiebt bei fortschreitendem Wachstum desselben immer weiter nach hinten (vergl. Fig. 2 v), während inzwischen der Anus, welcher im Anfange an der Bauchseite lag (Fig. 6 a), erst nach der hintern Körperspitze, später bis an die Rückenseite sich verschiebt (Fig. 8 und 2a). Die innern Geschlechtsorgane sowie die von diesen gebildeten Eier nehmen einen immer größer werdenden Raum ein, während das überflüssig werdende Muskelsystem sowie der Darm immer mehr zusammenschrumpfen. Fig. 9. Infolge der außerordentlich starken Anschwellung des weiblichen Tieres berstet auch die Oberhaut der Pflanzenwurzel, und der Hinter- Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. 111 teil des zitronenförmigen weiblichen Rübennematoden zeigt sich alsbald an der Oberfläche der Wurzel. Später schiebt sich das ganze Tier heraus und findet man es also in der Form eines Knöpfchens an der Außenseite der Wurzel (Fig.1 p). Das inzwischen abgestorbene weib- liche Tier ändert sich dann allmählich in einen braungefärbten Sack um, welcher die darin befindlichen Eier und Larven eine Zeit lang beschützt. Die Entwicklung des Fig. 11. männlichen Wurmes geschieht in ganz anderer, und zwar in ganz merkwürdiger Weise. Ich kehre zu Fig. 6 zurück, welche die zweite, noch nicht geschlechtlich differenzierte Larvenform darstellt. Bei den- Jenigen Exemplaren, welche sich in Männchen umbilden werden (Fig. 9), hört die Nährstoffaufnahme während einiger Zeit auf; der Körper- inhalt zieht sich von der Kör- perwand (4) zurück, nachdem sich eine neue dünne Wand (7%) gebildet hat. Anfänglich be- sitzt der in dieser Weise inner- halb der alten Larve ge- legene Körper eine etwas plumpe Keulenform, doch nimmt er bald in Länge stark zu und in Breite ab, und es bildet sich innerhalb der alten Larvenhaut ein läng- licher aalförmiger Wurm (Fig. 10), der allmählich zum erwachsenen Männchen sich umändert. Im Stadium der Fig. 9 liegt das Tier unter- halb der Wurzeloberhaut, welche es nicht so stark wie in Fig. 7, jedoch in ähnlicher Weise, hervorwölbt. Allein bei der Entwicklung des Männchens kommt es niemals zum Bersten der Wurzeloberhaut; das vollkommen entwickelte Männchen (Fig. 11) durchbohrt später die alte Larvenhaut und nachher die Wurzelober- haut und gelangt also in den Boden, wo die Paarung stattfinden muss, welche man jedoch niemals beobachtet hat. 7A» Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. „Die Dauer der Umwandlung des Männchens beträgt gewöhnlich (unter günstigen Bedingungen) 5—6 Tage, manchmal auch nur 4 Tage. Die ganze Entwicklung vom Eie bis zu den geschlechtsreifen Tieren verläuft .... meist in 4—5 Wochen, so dass, da dieselbe bereits im Frühjahre anhebt, im Zeitraume eines Jahres eine ganze Reihe von Generationen (6—7) aufeinander folgen. Während der Fortpflanzungs- periode ist das numerische Verhältnis von Mann und Weib dasselbe; man trifft dann beide in gleicher Zahl. Später dagegen finden sich die Männchen nur noch vereinzelt, da sie nach dem Begattungs- geschäfte . . bald absterben, — ein Umstand der es auch erklärlich macht, dass bei vielen kleinen Nematoden letztere noch unbekannt geblieben sind. „Die Nachkommenschaft, welche ein einziges Pärchen innerhalb eines Jahres hervorzubringen vermag, ist wie eine einfache Berechnung lehrt, eine ganz außerordentlich große. Nimmt man an, dass von einem Weibehen durchschnittlich 300 Embryonen erzeugt werden, und dass letztere sich zur Hälfte wieder zu weiblichen Tieren entwickeln, so resultiert nach 5 Generationen eine Deszendenz von 151 Milliarden Individuen, nach 6 Generationen eine solche von 22781 Milliarden. Allerdings ist hierbei der den natürlichen Verhältnissen kaum ent- sprechende, günstigste Fall vorausgesetzt: dass alle Individuen zur Geschlechtsreife gelangen und sich fortpflanzen. Aber selbst wenn, teils schon während des Embryonallebens, teils später, so viele Indi- viduen zu Grunde gingen, dass die von einem Pärchen nach 6 Genera- tionen abstammende Nachkommenschaft nur die Hälfte der oben an- gegebenen Zahl betrüge, so würde diese Ziffer genügen, um die so große und rasche Verbreitung des gefährlichen Parasiten zu illustrieren“ (Strubell). Am Schlusse dieses Abschnittes, der Strubell’s wichtige Unter- suchungen über den Bau und die Entwicklung des Rübennematoden bespricht, will ich die Bemerkung machen, dass die merkwürdige Art der Entwicklung des Männchens unter den Nematoden einzig da- steht, während unter den Würmern die Echinorhynchen noch die meisten Anklänge darbieten. Doch „stände — fährt Strubell fort — der Rübennematode bezüglich seines Entwicklungsganges völlig isoliert, wenn nicht einige Insekten in ihrer Lebensgeschichte eine Parallele böten. Es sind dies insbesondere die zu der Abteilung der Rhynchoten gehörigen Coceiden, die gleich Heterodera auch ein phytoparasitäres Dasein führen. Ihre Umwandlung erinnert ‘insofern an diejenige unseres Schmarotzers, als auch bei ihnen zwei Larvenstadien mit ähnlichen biologischen Merkmalen aufeinander folgen. Wie bei Hete- rodera ist die erste Jugendform freibeweglich und schlanker gebaut, während die zweite eine plumpere Gestalt aufweist und der Loko- motionsfähigkeit entbehrt. Auch bei den Coceiden bewahrt das weib- liche Geschlechtstier die larvalen Charaktere, indem es sessil an dem- Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. “3 selben Ort verharrt und zuletzt sogar zu einer bloßen Brutkapsel wird, welche die Nachkommen schützt. Und auch der Mann zeigt in seiner Entwicklung ein durchaus analoges Verhältnis. Wir sehen auch bei ihm ein Puppenstadium auftreten, in welchem die Nahrungsaufnahme sistiert, und daraus ein agiles Geschöpf entstehen, ausgerüstet mit allen Attributen, die eine Begattung ermöglichen. „Wenn ich diese Arthropoden hier zum Vergleiche heranzog, so geschah das übrigens nur um auf die Aehnlichkeit in ihrer Verwand- lung hinzuweisen... .. Wie die Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse oft bei Tieren, die durch ihre Organisation scharf von einander ge- trennt sind, eine Aehnlichkeit in ihrem äußern Habitus und in ihrem Entwicklungsgange hervorruft, so haben auch hier ähnliche Ursachen analoge Wirkungen zur Folge gehabt. Beide Formen führen ein parasitäres Leben, und beide haben sich den Anforderungen, die da- durch an sie gestellt wurden, angepasst. Allenthalben tritt ja die Natur überleitend ein, und nie arbeitet sie nach einer Schablone“. Zwar gehören ausführliche Mitteilungen über die Vertilgungsweise irgendwelchen schädlichen Tieres in eine der Landwirtschaft geweihte Zeitschrift, aber nicht ins „Biologische Centralblatt“, doch kann ich mir das Vergnügen nicht versagen, wenigstens in aller Kürze, über Kühn’s Bekämpfungsmethoden der Rübenmüdigkeit zu referieren, umsomehr, weil sie auch von allgemein-biologischem Standpunkte einiges Interesse erregen. In erster Linie suche man die weitere Ausbreitung des Rüben- nematoden und also der Rübenmüdigkeit des Bodens zu verhindern (Vorbeugungsmittel). 1) Deshalb unterlasse man, sogar auch bei scheinbarem Fehlen der Nematoden, die Anwendung von Fabrikkompost auf Rüben- äckern. Man mische allen Abfall nematodenhaltiger Rüben mit Aetz- kalk, auch wenn die Verwendung, wie es immer rätlich ist, ausschließlich auf Aeckern stattfinden soll, welche keine Zucker- rüben tragen. 3) „Man verhüte die Verschleppung der Nematoden durch Stall- dünger. Die in den Magen der Tiere gelangten Nematoden sehen zu Grunde, aber durch Futterreste nematodenhaltiger Rüben kann eine solche Verschleppung vermittelt werden. Es ist da- her dringend zu raten, alle etwaigen geringern Rüben, die nicht zur Verarbeitung in der Fabrik geeignet sind, sowie alle Rüben- abfälle nematodenhaltiger Felder, die zur Verfütterung gelangen, nur dann den Tieren zu verabreichen, wenn Stallmist bereitet wird, der auf nicht rübenfähigem Boden Verwendung finden soll. Eventuell könnten solche nematodenhaltige Rüben auch gedämpft werden“ (Kühn). DD — 114 Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens. 4) Man reinige stets sorgfältig die Fußbekleidungen der Menschen, die Hufe und Klauen der Zugtiere sowie die Ackergeräte, welche mit von Rübennematoden infizierter Erde in Berührung gewesen, damit man die Schmarotzer nicht auf nematodenfreien Boden überbringe. 5) Der niederfallende Regen könnte die Tierchen fortspülen und auf bisher noch nicht infizierte Aecker überbringen; man beuge dieser Ausbreitung der Rübenmüdigkeit womöglich durch Wasser- furchen vor. Als alleiniges wirksames Vertilgungsmittel der Rüben- nematoden kann hier die Anwendung der „Fangpflanzen“ erwähnt werden. Kühn hat diese Methode ausgedacht und dieselbe mehrere Male auf ihre Richtigkeit geprüft, sowie die bei ihrer Anwendung zu beachtenden Nebenumstände ausführlich studiert. Sein Gedanken- gang war folgender. Auf rübenmüdem Boden muss man solche schnell- keimende Pflanzen aussäen, in welche die Rübennematoden gern ein- wandern. Dann muss man diese Gewächse, welche fast alle Rüben- nematoden des Ackers enthalten, von letzterm entfernen und verbrennen, und zwar vor der Zeit, wo die jungen Schmarotzer erwachsen zu werden anfangen und aus den Wurzeln heraustreten. Man hat also die Nematoden in die auf dem Acker kultivierten Pflanzen gelockt, und sie nachher samt diesen Pflanzen getötet. Man muss solche „Fangpflanzen“ sehr dicht säen, damit sie eine möglichst große Anzahl feiner Würzelchen in den Boden hineinsenden; und nachdem man sie ausgegraben hat, muss man gleich wieder säen, also noch ein zweites Gewächs von Fangpflanzen bauen; denn es ist natürlich nicht möglich, beim Entfernen der ersten Fangpflanzen das Abreißen feiner Würzelehen zu verhüten, welche samt den in ihnen enthaltenen Nematoden im Boden zurückbleiben. Wohl scheint es, dass diese größtenteils in den absterbenden Pflanzenwürzelchen selbst absterben, doch muss man ein zweites Mal Fangpflanzen bauen, womöglich sogar ein drittes Mal, damit man auch die zurückgebliebenen Nematoden dem Boden entziehe. | Die Fangpflanzen sollen natürlich zunächst solche sein, welche eine große Anziehungskraft für die Rübennematoden besitzen, — sie sollen jenen Pflanzenarten angehören, welche eine möglichst große Anzahl kleiner Wurzelzweige bilden, weil die Schmarotzer grade die kleinsten Wurzelzweige bewohnen, — zuletzt sollen es regelmäßig und gut keimende und schnell sich entwickelnde Pflanzen sein. Kühn’s diesbezügliche Versuche ergaben als Resultat, dass als erstes Gewächs von Fangpflanzen die Kohlvarietäten den Vorzug verdienen, während als zweites und drittes Gewächs der Sommerraps besser genommen wird, weil diese Pflanze weniger von Erdflöhen heimgesucht wird. Ich kann hier Kühn’s Versuche nicht alle erwähnen, und will nur Folgendes mitteilen. Von einem Bodenstücke, welches in starkem Ritzema Bos, Rübenmüdigkeit des Bodens, 715 Grade von der Rübenmüdigkeit heimgesucht war, wurde der eine Teil im Verlaufe des Jahres 1880 dreimal hinter einander mit Fang- pflanzen bebaut, die jedesmal 30 bis 40 Tage nach dem Aussäen ausgegraben wurden. Im Herbste wurde der Acker umgepflügt, im nächsten Frühjahre in zweckmäßiger Weise gedüngt, dann wurden Mitte April die Zuckerrüben ausgesäet. Ein zweiter Teil desselben Bodenstückes wurde ganz in derselben Weise behandelt, doch wurden daselbst während des Jahres 18380 keine Fangpflanzen angebaut. Schon frühzeitig konnte man einen großen Unterschied zwischen den beiden Bodenstücken beobachten, und zur Erntezeit war der Unter- schied sehr groß. Auf dem ersten Bodenstücke wuchsen überall prachtvolle Pflanzen, während auf dem zweiten Stücke an vielen Stellen die Pflanzen abgestorben oder wenigstens klein und kümmer- lich geblieben waren. Dasselbe Bodenstück, auf welchem 1880 Fang- pflanzen gesäet wurden, lieferte 1879 (nach Düngung mit Superphosphat, Guano und Chilisalpeter) durchschnittlich pro Morgen nur 63,62 Zent- ner Zuckerrüben, in 1881 (dem Jahre nach der Fangpflanzenkultur) 183,46 Zentner. Ein anderer, rübensicherer in allen übrigen dem erstgenannten Bodenstücke ganz ähnlicher Acker lieferte nach gleicher Düngung 190,15 Zentner pro Morgen; also war diese Ernte fast nicht größer als die auf dem früher rübenmüden, mittelst Fangpflanzen ge- reinigten Boden. Auch die Qualität der Rüben, insbesondere inbetreff des Zuckergehaltes, war dieselbe als diejenige der Rüben, welche auf rübensicherm Boden gewachsen waren. — Kühn’s Methode liefert glänzende Erfolge, doch stehen ihr zwei Schwierigkeiten entgegen. Zu- nächst ihre Kostspieligkeit; allein diese fällt den großen Vorteilen gegenüber fast weg, denn schon die Vergrößerung des Rübenertrags des ersten Jahres genügt um die erheischten Kosten zu bestreiten; und man hat weiter für Nichts den Vorteil, dass man mehrere Jahre lang wieder Rüben bauen kann. Die zweite Schwierigkeit ist diese, dass es bei der Rübenkultur im Großen nicht leicht ist, für relativ kurze Zeit so viele Leute in den Dienst zu bekommen, als man zur Fortschaffung der Fangpflanzen vom Felde braucht. Doch könnte man die Kühn’sche Methode jedes Jahr auf einem besondern Boden- stücke zur Ausführung bringen. Später hat Kühn eine weit geringere Arbeitskräfte erfordernde Behandlung der Fangpflanzen ersonnen. Er gelangte dazu durch die folgende Beobachtung, welche er öfter wiederholte. Die auf seinem Befehle ausgejäteten Fangpflanzen, welche auf einem stark rüben- müden Acker kultiviert waren, wurden aufgehäuft, und auf diesem aus zusammengefaulten Fangpflanzen angefertigten Haufen säete er Rüben, welche völlig nematodenfrei blieben. Kühn gibt von diesem Resultate die folgende Erklärung. Wenn die in das Innere einer kleinen Seitenwurzel eingedrungene aalförmige Nematodenlarve (Fig. 4) ihre erste Metamorphose bestanden hat, also in das diekere unbeweg- 716 Schlosser, Modifikationen des Extremitätensklelets bei Säugetierstämmen. liche Stadium der Fig. 6 übergegangen ist, so bedarf sie noch einer nicht geringen Stoffaufnahme um nicht nur am Leben zu bleiben, sondern auch die ganze weitere Umwandlung durchzumachen. Wird in diesem Stadium die Pflanze aus dem Boden herausgezogen, und stirbt also auch die Wurzel, in welcher sich die unbewegliche, dicke Larve (Fig. 6) befindet, ab, so ist eine normale Weiterentwicklung der letztgenannten infolge Nahrungsmangels unmöglich geworden. Es war also zu versuchen, ob man nicht das zeitraubende Aus- jäten unterlassen könnte, um anstatt dessen die Fangpflanzen auf dem Felde selbst mit passenden durch Pferde bewegten Geräten zu ver- nichten. Geschähe dies in geeignetem Zeitpunkt, so ließe sich erwarten, dass auch die im Boden zurückbleibenden Würzelchen nicht genug Nahrung für die Nematodenlarven bieten könnten. Kühn führte den Versuch aus auf einem 3,3 Hektaren umfassenden Felde, von dem der Bewirtschafter sagte: „Hier können (der Rübenmüdigkeit wegen) nie wieder Rüben gebaut werden“. Der Erfolg war ein wirklich glänzen- der. Schon in der vierten Fangpflanzensaat wurden nur noch ver- einzelt vorkommende Nematodenlarven beobachtet, und nach fünf- maliger Aussaat von Fangpflanzen und Zerstörung derselben konnte auf dem erwähnten Felde von Kühn wieder eine normale Rüben- ernte erzielt werden. Es hat keinen Zweck, an dieser Stelle ausführlicher zu berichten, über die Art und Weise, wie man am zweckmäßigsten und am bil- ligsten Kühn’s Methode im Einzelnen ausführt; das Obengesagte ge- nügt um zu zeigen, dass eine zweckmäßige Bekämpfung der schäd- lichen Tiere nur bei möglichst vollständiger Bekanntschaft mit der Lebensweise und der Entwicklung des betreffenden Tieres geschehen kann. Ueber die Modifikationen des Extremitätenskelets bei den einzelnen Säugetierstämmen. Von Max Schlosser in München. II. Hinterextremität. (Schluss. Tibia und Fibula sind ursprünglich ihrer ganzen Länge nach frei. Die letztere hat auch noch eine ziemliche Dicke. Bei den Didelphiden ist die Tibia an allen Stellen nahezu gleich breit; erst an ihrem proximalen Ende verbreitert sie sich mit einem Male ganz auffallend. Diese Breitenzunahme zwischen der mittlern Partie der Tibia und ihrem obern Ende ist dagegen bei jenen Säugern, welche auf allen Vieren laufen und niemals, oder doch nur kurze Zeit eine aufrechte Haltung annehmen, eine ganz allmähliche. Es findet sich dies bestätigt bei den Insektivoren z. B. Erinaceus, Sorez, Tupaja, bei allen Creodonten und Carnivoren. Die Pseudo- lemuriden schließen sich in diesem Punkte eber an die übrigen Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 717 Säuger an als an die Affen. Unter diesen letztern ist auch wieder bei den Anthropomorphen die Breitenzunahme eine raschere als bei den Cynopitheeinen. Alle diese genannten Formen, deren Tibia sich erst an ihrem Oberende wesentlich verbreitert, haben auch eine vollständige Fibula und zwar ist die Dicke derselben am be- deutendsten bei schlechten Läufern und solchen Tieren, welche häufig oder gar immer eine aufrechte Haltung annehmen. Wir treffen unter den Formen mit kräftiger Fibula gar alle wieder, welche sich auch dureh die Kürze der Femur-Condyli auszeichnen. Bei den Pinnipediern, bei welchen es auf feste Verbindung der einzelnen Extremitäten- knochen ankommt, erfolgt Verschmelzung der Fibula mit der obern Partie der Tibia. Bei jenen Säugetieren hingegen, die sich zu guten Läufern entwickeln, erfährt die Fibula eine fortgesetzte Reduktion. Am weitesten fortgeschritten ist dieselbe bei gewissen Huftieren, indem hier nur noch ein proximaler und distaler Rest dieses Knochens erhalten ist — beim Pferd fehlt sogar der distale Rest. Bei den Carnivoren und Creodonten hat sich die Fibula noch viel besser konserviert, namentlich gilt dies von den letztern; unter den erstern haben die Bären noch die kräftigste Fibula, dagegen ist dieselbe beim Hunde und bei den Hyänen sehr dünn geworden und ver- wächst auch schon bisweilen auf eine kleine Strecke mit der Tibia. Unter den Insektivoren haben die meisten Centetinen — mit Ausnahme von Mierogale —, der fossile Neurogymnurus, sowie die Tupajiden die freie Fibula bewahrt, dagegen erscheint dieselbe in ihrer untern Partie schon eine mehr oder minder lange Strecke weit mit der Tibia verwachsen bei Gymnurus, Erinaceus, den Tal- piden, Chrysochloriden, Sorieiden und Macroscelididen. Bei den Fledermäusen hat sich die distale Partie der Fibula er- halten und zwar beträgt die Länge dieses Rudimentes zuweilen bis zu ?/; der Länge der Tibia; dagegen ist die proximale Partie voll- kommen verloren gegangen. Unter den Nagern haben die ursprüng- lichern — Sciurus — und die Theridomyiden noch eine freie, voll- ständige Fibula, bei der großen Mehrzahl verschmilzt jedoch die untere Hälfte oder noch mehr — Hasen — mit der Tibia. Eine sehr kräf- tige Fibula finden wir hingegen bei Hyrax, den Edentaten, Probos- eidiern und Amblypoden. Tibia und Fibula umschließen zusammen den Astragalus. Der Calcaneus hängt anfangs bloß am Astragulus; bald aber steigt die Fibula herab und schließt sich bald dichter bald loser an den Cal- caneus an. Die Affen und Raubtiere — ebenso auch die Pinni- pedier — sowie dielnsektivoren und selbst Hyrax zeigen insgesamt noch keine direkte Berührung der Fibula mit dem Calcaneus, noch weniger freilich ist dies der Fall bei Didelphys. Wohl aber tritt eine solche ein bei den meisten Nagern, den Proboseidiern, Amblypoden, Perissodactylen und Artiodactylen. 718 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. Sehr schwierig ist die Frage zu beantworten, welche Homologie zwischen den Carpus- und Tarsus-Knochen bestehe, denn während bei den erstern in der obern Reihe drei beziehungsweise vier Knochen sich befinden, sind deren im Tarsus nur zwei. Während im Carpus das Lunatum sich sofort als das ursprüng- liche Intermedium erweist, bleibt die Deutung des Astragalus durchaus unsicher; es ist nach Baur!) nicht zulässig, denselben für ein Ver- schmelzungsprodukt des Intermedium mit dem Tibiale anzusprechen, weil er selbst beim Embryo keine Spur von Teilung erkennen lässt, sondern durch einen einzigen Knorpel repräsentiert wird. Das von Bardeleben als Intermedium angesprochene Sesambein hält Baur für eine sekundäre Bildung der Didelphiden und des Menschen; dagegen ist er sehr versucht, in dem ganzen Astragalus das Inter- medium zu erblicken, was allerdings auch sehr viel Wahrscheinlich- keit für sich hat. Als wirkliches Tibiale endlich betrachtet Baur ein neben dem Astragalus auftretendes Sesambein. Als Homologon des Centrale carpi bezeichnet Gegenbaur das Naviculare. Der Astragalus. Dieser Knochen artikuliertt an der Tibia mittels einer halbzylindrischen Fläche, die anfangs keine Spur von einer Vertiefung erkennen lässt. Einen solchen Astragalus haben die Didelphiden. Bei den Creodonten ist diese Facette ebenfalls noch wenig verändert, nur bei Stypolophus und Hysenodon beginnt dieselbe ihrer Mittellinie nach etwas einzusinken. Diese Vertiefung wird sehr stark bei sämtlichen Carnivoren — am schwächsten ist dieselbe beim Bären —. Eine derartige Modifikation treffen wir ferner bei den Insektivoren ?), den Chiropteren und Nagern; den höchsten Grad erreicht dieselbe bei den Perissodactylen und Artiodactylen. Unter den Affen ist die Vertiefung der proxi- malen Astragalus-Facette ziemlich gering, am stärksten noch bei den Oynopithecinen. Die Anwesenheit sowie die Tiefe dieser Rinne hängt von der Lebensweise des Tieres ab. Bei guten hochbeinigen Läufern wird diese Rinne sehr breit und tief, bei schlechten kurz- beinigen Läufern bleibt dieselbe sehr seicht. Die Proboscidier und Amblypoden haben einen ganz niedrigen, breit gequetschten Astragalus mit fast ganz ebener proximaler Facette; die eigent- liche Funktion dieses Knochens hat bei der Kürze der Zehen und dem furchtbaren Körpergewicht gänzlich aufgehört. Es erscheint der- selbe hier nur noch als Zwischenstück und nicht mehr als eigentlicher Mechanismus. 4) Morphol. Jahrb., Bd. XI, 1885, S. 468. Ueber den Astragalus und das Intermedium der Säugetiere. 2) In beiden Ordnungen gibt es übrigens Formen, bei welchen diese Furchung der Astragalusfacette noch sehr gering ist; unter den Insektivoren gilt dies besonders von Erinaceus. Bei Amphicyon ist dieselbe ziemlich tief aus- geschnitten, bei seinem Nachkommen, dem Bären flach. Hier erscheint diese Organisation jedoch zweifellos als besondere Differenzierung. Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 719 Die distale Facette des Astragalus liegt wohl ursprünglich auf einem mäßig gerundeten Vorsprung, und artikuliert ausschließlich mit dem Naviculare. Diese einfache Verbindung der obern Tarsus-Reihe mit dem Naviculare und Cuboid — das letztere berührt nur den Caleaneus — ist auf die Dauer, namentlich für solche Tiere, welche auf größere Schnelligkeit angewiesen sind, wenig praktisch. Es wird sich darum handeln, dass entweder ein Knochen der obern Reihe mit zwei Knochen der untern Reihe oder umgekehrt in Berührung tritt, weil hiedurch der Fuß entschieden an Festigkeit gewinnt. Diese Verbesserung wird dadurch erzielt, dass das Cuboid, das ursprüng- lich ausschließlich mit dem Calcaneus artikuliert hatte, mit dem Astra- galus in Berührung kommt. Wir treffen eine solche Doppelverbin- dung des Cuboids bei allen Paar- und Unpaarhufern und bei den Creodonten; bei diesen letztern ist jedoch die Artikulation des Cu- boids mit dem Astragalus nur auf eine ganz kurze Strecke ermöglicht. Dieselbe ist um so vollständiger, je mehr sich eine Creodonten- Gattung von der eigentlichen Stammesreihe der echten Carnivoren entfernt. Bei Stypolophus, der ja fast nichts weiter als ein Cyno- dietis mit drei gleichen Molaren ist, fehlt diese Doppelverbindung beinahe ganz, am stärksten ist dieselbe bei Oxyaena. Bei den Car- nivoren, Raubbeutlern, sowie bei den Nagern kommt der Astragalus mit dem Cuboid niemals in direkte Berührung, gräbt sich aber dafür um so tiefer in das Naviculare ein. Dies letztere sehen wir auch bei den Artiodactylen. Die Insektivoren stimmen in dieser Beziehung ganz mit den Carnivoren, ebenso die Didelphi- den und die Condylarthren. Der Caleaneus stößt nach unten zu ausschließlich an das Cu- boid; weiter oben liegt ihm der Astragalus auf und zwar einmal auf einem besondern Fortsatz, dem „Sustentaculum tali“ und außerdem noch an seinem Oberrande. Hier ist es aber anfangs ein bloßes Anlehnen, wie dies bei Didelphys sowie bei den Üreodonten, aber auch bei den Perissodaetylen, Artiodacetylen und manchen Nagern zu beobachten ist; erst bei den Carnivoren, Insekti- voren, den Affen und Lemuren kann von einem wirklichen Auf- liegen die Rede sein. Wir haben es in diesem letzteren Falle nicht mit einer ursprünglichen Organisation, sondern mit einer Differen- zierung zu thun. Auch bei den Proboseidiern und Amblyo- poden bedeckt der Astragalus einen großen Teil des Calcaneus. Das Cuboid artikuliert nach oben zu anfangs bloß mit dem Calcaneus, bei vielen Säugern aber wird es durch die Körperlast zwischen diesen und den Astragalus hineingepresst und zugleich schiebt es sich an der Rückseite des Calcaneus etwas in die Höhe. Es lässt sich dies bei den Perissodactylen und Artiodactylen sehr gut beobachten. Eine Streckung des Cuboids gegen den Astra- galus ist schon bei Didelphys — freilich in einem noch sehr geringen x 720 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. Grad — zu bemerken; sehr beträchtlich ist dieselbe bei gewissen, in phylogenetischer Hinsicht jedoch unwichtigen Creodonten — Oxyaena —. Die übrigen Creodonten, die Carnivoren, Affen, Insektivoren, Chiropteren, Nager, dann die Condylarthren sowie Hyrax verhalten sich hierin ganz konservativ; ihr Astragalus berührt das Cuboid nur ganz leise, schiebt sich aber dafür — eine Ausnahme bilden die Condylartiiren — ziemlich tief in das Na- vieulare hinein. In einem geringern Grade ist das letztere auch bei den Affen der Fall. Das Cuboid legt sich fast immer nur ganz wenig an das Navi- culare an, ebenso ist seine Verbindung mit dem benachbarten Eeto- cuneiforme keineswegs eine sehr innige. Es laufen beide vielmehr vollkommen parallel mit einander, bloß bei den Didelphiden, Raubbeutlern und Creodonten — Hyaenodon — sitzt das letz- tere zum Teil in einem besondern Ausschnitt des Cuboids. Am deut- lichsten ist dies bei den Raubbeutlern, was darauf hinweist, dass wir es hier nicht mit einer ursprüngliehen Organisation, sondern viel- mehr mit einer Spezialisierung zu tlun haben. Bei den Probos- cidiern greift das Navieulare über das Cuboid herüber und trennt es vom Astragalus. Bei vielen Artiodaetylen, nämlich den Ruminantiern, ver- wachsen Cuboid und Navieulare zu einem Knochen. Das Naviculare artikuliert nach unten zu mit den drei Cu- neiforme; das Entocuneiforme rückt dabei oft ziemlich hoch am Naviculare herauf, auch kann es, sofern die erste Zehe eine Reduk- tion erleidet, mit dem Rudiment derselben zu einem Stummel ver- schmelzen. Dies ist z.B. der Fall bei den Raubbeutlern, — Thy- lacinus — ferner bei Nagern — Lepus — und den meisten Huftieren. Die Metatarsalien sind in der Weise am Tarsus eingelenkt, dass das vierte und fünfte an das Cuboid, das dritte an das Ecto- cuneiforme, das zweite an das Meso- und das erste an das Ento- cuneiforme stößt. Die Verbindung der Metatarsalien mit dem Tarsus bleibt jedoch durchgehends eine ziemlich lose und erfolgt weniger durch inniges Ineinandergreifen, als vielmehr durch direkte Aneinan- derpressung. Während die Metacarpalien sehr häufig zwischen be- nachbarte Carpalien hineinragen und so eine innige Doppelverbindung erzielen, artikuliert jedes Metatarsale fast ausschließlich mit dem gleichstelligen Tarsale. Alle Artikulationsflächen der Metatarsalien gegen den Tarsus liegen so ziemlich in einer Ebene, nur das Meta- tarsale II macht hievon eine Ausnahme, indem dasselbe schon früh- zeitig etwas höher hinaufreicht als das Metatarsale III. Dem ent- sprechend ist auch das Mesoeuneiforme immer kürzer als das Eetocuneiforme. An das Metatarsale II legt sich oft auch das Entoceuneiforme an, doch kommt es nicht zu einer eigentlichen Ar- tikulation. Wie an der Vorderextremität, so konnte auch an der Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 721 Hinterextremität die erste Zehe ursprünglich den übrigen Zehen gegenübergestellt werden. Diese Fähigkeit schwand jedoch bei weitaus der Mehrzahl aller Säugetiere. Wir finden diese Organi- sation nur noch bei den Didelphiden und andern Beutlern — Phalangista — sowie bei den Halbaffen und Affen. Allein auch hier ist die Beweglichkeit dieser Zehe nicht selten auch schon viel geringer als beim entsprechenden Gliede der Vorder- extremität. Wie an der Hand ist auch am Fuß die absolute Länge der Zehen verschieden, doch strecken sich bei den Carnivoren durch- gehends vier Zehen, während die erste Zehe der Reduktion unter- liegt. Bei den Insektivoren — Üladobates, Sorex, Myogale, Ma- croselides — ist wenigstens am Hinterfuß ganz der gleiche Vorgang zu beobachten. Ursprünglich ist immer die mittlere Zehe, Metacar- pale beziehungsweise Metatarsale III nebst Phalangen am längsten; die erste hat unter allen Umständen — eine Ausnahme macht bloß der Mensch — die geringste Länge. Die Länge der fünften und zweiten Zehe ist so ziemlich gleich, ebenso steht auch jene der vierten Zehe der Länge der dritten nur wenig nach. Diese primitiven Pro- portionen sehen wir bei den Didelphiden, vielen Insektivoren, "— Erinaceus, Talpa —, den Lemuren, Affen, Chiropteren, den Subursen und den Musteliden, den meisten Nagern, den Perissodactylen und den Amblyopoden. Bei allen Formen, welche Streckung der Metapodien erkennen lassen, sucht das Meta- tarsale IV die Länge des Metatarsale III zu erreichen, so bei den bessern Läufern unter den Insektivoren und der Mehrzahl der Carnivoren, ferner bei den Artiodactylen. Reduktion von Sei- tenzehen ist sehr häufig bei den Huftieren, sowie bei Hyrax — bloß mehr drei Zehen — gewissen Marsupialiern, Edentaten und Nagern — Hasen und Caviaden —. Beiden Affen, Carnivoren äußert sich diese Reduktion ausschließlich an der ersten Zehe. Die Aften besitzen zwar mit Ausnahme von Ateles, wo es sich zu einem kurzen Stummel verwandelt hat, noch sämtlich das Metatarsale I nebst zwei Phalangen, doch ist diese Zehe bei den Cynopitheeinen recht kurz geworden und wird wohl einmal ganz verschwinden nach Analogie der Artiodactylen. Unter den Carnivoren sind viele, bei welchen die erste Zehe nur noch durch einen ungegliederten Stummel repräsentirt wird, Canis, Felis, Hyaena; unter den Viverren hat dagegen bloß Mangusta tetradactyla diese Zehe vollständig ver- loren. Bei den Insektivoren hat sich dieselbe erhalten, ist aber in manchen Fällen doch schon im Verhältnis ziemlich kurz gewor- den — am kürzesten bei Macroscelide —. Solche Verkürzungen der seitlichen Zehen lassen sich auch bei den Nagern beobachten. Ganz abweichend nun verhalten sich hinsichtlich der Länge der einzelnen Zehen die Pinnipedier. Während das Metatarsale III sonst IX, 46 729 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. die größte Länge besitzt, ist es hier am kürzesten von allen. Da- gegen haben sich Metatarsale I und V hier auffallend verlängert. Die weitgehendsten Reduktionen von Seitenzehen zeigt unter den Perissodactylen das Pferd, wo nur noch die dritte Zehe voll- ständig erhalten ist, die zweite und dritte aber bloß mehr durch die dünnen phalangenlosen „Griffel“ vertreten werden; unter den Artio- dactylen haben die Tylopoden, Boviden, Oviden und Anti- lopiden die Seitenzehen ganz, die Hirsche aber bis auf distale oder proximale Reste verloren, während dieselben bei den Tragu- lidenundSchweinen und Oreodontiden!) nur kürzer und dünner geworden sind. Das dritte und vierte Metatarsale verschmelzen bei den Hirschen, Cavicorniern und Tylopoden miteinander zu einem Canon. Eine Art Canon zeigt auch die Gattung Haltomys unter den Nagern, nur besteht derselbe hier aus drei Metapodien. Die Perissodactylen behalten mit Ausnahme vom Pferd drei ungefähr gleich starke Zehen am Hinterfuß, ebenso die Gattung Hyrax. Anoplotherium?) verhält sich ähnlich, nur ist die zweite Zehe wesentlich kürzer als die vierte und dritte. Unter den Nagern hat abgesehen von dem eben genannten Haltomys auch Hydrochoerus und Aguti die erste und fünfte Zehe eingebüßt. Merkwürdige Modifikationen der Hinterextremitäten treffen wir auch bei den Edentaten und Marsupialiern. Im Ganzen be- steht hier grade keine besondere Neigung für Verringerung der Zehenzahl, nur bei den Kängaru geht die erste Zehe gänzlich verloren, wohl aber kommt es sehr oft zu einer Verstärkung einzelner Metapodien und Phalangen auf Kosten der übrigen Zehen. Phalan- gista und Phascolarctos verstärken Metatarsale I, Metatarsale IV und V, namentlich die beiden letzteren, Perameles und die Kängaru hingegen das Metatarsale IV und dessen Phalangen. Infolge der auffallenden Reduktion der hier auch schon ganz nutzlos gewordenen Seitenzehen sind auch die ihnen entsprechenden Tarsalien auf die Seite gedrängt worden und verkümmert. Dafür ist das Cuboid fast ganz unter den Astragalus getreten; Perameles erscheint insoferne als Zwischenglied zwischen den Didelphys und den Kängarus, als das Eetocuneiforme hier noch seine Größe bewahrt hat. Es hat sich außerdem auf das Metatarsale IV verlagert. Unter den lebenden Edentaten hat Orycteropus noch den ursprünglichen Zustand der Hinterextremität ziemlich wohl bewahrt, auch sonst ist keine beson- dere Veränderung zu beobachten außer bei Choloepus und Bradypus und den Gravigraden. Die beiden ersteren zeigen Reduktion der ersten und fünften Zehe, die bei Choloepus als phalangenlose Stummel entwickelt, bei Bradypus aber ganz verloren gegangen sind. Bei 1) Der älteste Vertreter derselben — Protoreodon — hat noch einen voll- ständigen Daumen. 2) Die sehr nahestehende Gattung Diplobune hat auch vorne drei Finge:. Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 7253 Bradypus hat auch Verwachsung der Metatarsalien stattgefunden. Bei den Gravigraden ist Verlust der beiden innern Zehen zu beobachten, wofür jedoch die dritte um so mächtiger wird. Als Rudimente von Zehen dürfen wir wohl die distale Partie des Caleaneus betrachten; sie entspräche dann dem Pisiforme der Hand. Bei den Fledermäusen trägt dieser Teil ohnehin noch einen langen knorpligen Sporn, der jetzt freilich für einen andern Zweck dient, ursprünglich aber doch wohl aus den Phalangen ent- standen ist. Als weiteres Zehenrudiment kann das zwischen Navi- eulare und dem Entocuneiforme befindliche „Sesambein“ gelten, das bei vielen Carnivoren, — Arctietis, Cercoleptes, Nasua, Cy- nogale und Bassaris — zu beobachten ist. Bei den Insektivoren fehlt ein solehes Zehenrudiment, nur der Maulwurf hat einen der- artigen Knochen und zwar erscheint derselbe hier als langer Sporn. Die Endphalangen hatten bei den ursprünglichen Säugern zwei- fellos ebenfalls schon hornige Bedeckung, die aber weder ein echter Nagel, noch eine echte Kralle, noch ein echter Huf war. Wir dürfen wohl annehmen, dass die knöcherne Endphalange als ziemlich stumpfer Kegel entwickelt war, welchen nahezu allseitig ein horniger Kegel- mantel — nur auf der Unterseite der Phalange aufgeschlitzt — um- geben hat. Durch Krümmung und Zuspitzung der Endphalange und ihres Hornüberzuges entsteht die Kralle, durch Verbreiterung derselben, wenn der Hornüberzug ebenfalls diese Aenderung mitmacht, entsteht der Huf; kann aber der Hornüberzug dieser Verbreiterung der End- phalange nicht folgen, so platzt dieser Hornkegel der Länge nach auf und rollt sich zu einer Platte — Nagel — auf, welche dem Rücken der Endphalange aufliegt. So ließe sich die Entstehung des Nagels denken. Die Affen der alten Welt sowie die echten Lemuren besitzen Nägel; bei den Affen der neuen Welt und der Stenops-Gruppe sind die Ränder derselben an der Spitze wenigstens noch etwas ein- geschlagen und bilden so den Uebergang zu den Insektivoren, bei welchen die Endphalange allseitig von einer mehr oder weniger konischen Hornscheide eingehüllt wird. Unter den Marsupialiern zeigt nur Perameles die gleiche Organisation wie die Insektivoren; bei den Didelphiden und den Carnivoren und Creodonten hat sich die Hornscheide in eine Kralle verwandelt, die bei den Katzen noch obendrein sehr stark gekrümmt erscheint und zurück- gezogen werden kann. Die Creodonten verhalten sich übrigens in dieser Beziehung natürlich noch am ursprünglichsten von allen Fleisch- fressern. Die Condylarthren haben zum teil schon echte Hufe, die Periptychiden jedoch hatten wahrscheinlich noch eine Art Kralle !). Die Endphalangen selbst zeigen bei vielen Insektivoren und wohl allen Creodonten — immer aber bei Mesonyx, Oxyaena und 1) Aehnlich ist auch die Endphalange der Anoplotheriiden. 46° 724 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. Hyaenodon einen Schlitz; auch bei Anoplotherium und selbst beim Schweine ist derselbe deutlich zu sehen; selbst Hyracotherium zeigt — freilich sehr schwach — einen solchen, wenigstens nach der Ab- bildung, welche Cope von dessen Vorderfuß gegeben hat. Bei den Jüngern Huftieren und Carnivoren fehlt dieser Schlitz. Als die ursprüngliche Beschaffenheit des Säugetierfußes gilt neben der Fünfzehigkeit gewöhnlich auch die Plantigradie. Ist schon die Fünfzehigkeit einigermaßen zweifelhaft, wie aus der Anwesenheit gewisser „überzähliger“ Knochen hervorgeht, so ist es die Planti- gradie in noch höherem Grade, sofern wir nämlich als Typus der- selben die Organisation des Menschen- oder jene des Bärenfußes annehmen. Dass wir es hier nur mit Differenzierungen zu thun haben, geht ohne weiteres daraus hervor, dass in dem einen Falle die erste, in dem andern Falle die fünfte Zehe unverhältnismäßig groß gewor- den ist, da eben das eine mal die erste, das andere mal die fünfte Zehe statt der dritten am meisten angestrengt wird. Als wirkliche Plantigradie haben wir vielmehr die Organisation des Didelphys- oder des Insektivorenfußes zu betrachten. Sie ist charakterisiert dadurch, dass alle den Fuß zusammensetzenden Knochen bis zum Calecaneus dem Boden aufgesetzt werden. Aus einem solchen planti- graden Fuß entwickelt sich der Fleischfresserfuß, vor allem der Viverrenfuß, bei welchem sich nur noch die Phalangen dem Boden anschmiegen, die Metapodien aber mit der Unterlage einen spitzen Winkel bilden. Dieser Modifikation gehört auch der Fuß des Amphi- cyon an und aus diesem hat sich dann infolge einer besondern Dif- ferenzierung der Bärenfuß entwickelt. Ob dieCreodonten wirk- lich plantigrad waren, möchte ich doch fast bezweifeln. Sicher kann Mesonyx, soferne die von Scott!) gegebene Abbildung richtig ist, alsdann nicht mehr für plantigrad gelten. Aus dem Vi- verren- oder vielleicht schon dem Creodontenfuß, soferne die Organisation von Mesonyx für alle Angehörige dieser Gruppe an- genommen werden kann, entsteht ferner auch eine Modifikation, bei welcher nur noch die Endphalange dem Boden aufgesetzt wird — die Digitigradie. Dieselbe ist für die meisten Huftiere charak- teristisch. Im Vergleich zu dem Viverrenfuß ist auch bereits der Fuß der Hunde und Hyänen entschieden in der Richtung gegen die Digıtigradie hin fortgeschritten. Unter den Huftieren sind die Anoplotherien sicher noch nicht vollkommen digitigrad; es liegen mindestens zwei Phalangen dem Boden auf. Die eben besprochenen verschiedenartigen Modifikationen der Extremitäten zeigen so recht deutlich, dass die Organisation gar Jedes Säugetiers aufs innigste mit dessen Lebensweise zusammen- hängt und dass gar jede Aenderung in der Lebensweise auch eine 1) Journal of the Academy of Natural Seiences. Philadelphia 1886. Vol. IX. Nr2r0ploV. Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 7295 Aenderung in der Organisation, insbesondere im Extremitätenbau zur Folge hat. Kommt es darauf an, dass das Tier zu großer Schnelligkeit befähigt werde, so greifen folgende Ver- änderungen Platz: a) An der Vorderextremität: Verlust der Clavicula und kückbildung des Episternum, Streckung der Scapula unter beträcht- licher Verschmälerung ihrer distalen Partie. Verlängerung des Caput am Humerus, Entwicklung mächtiger Tuberkel, Verdiekung der Hu- merus-Rolle, Verlust des Epicondylarforamens (da eben die Arterie schließlich von dieser Epicondylus-Speiche durchgewetzt werden könnte). Streckung des Olecranon, Auflösung des mittlern Teils der Ulna und Verwachsung des proximalen und distalen Restes mit dem Radius. Rückbildung und schließlicher Verlust des Daumens, nachdem derselbe schon lange vorher seine Drehfähigkeit eingebüßt hatte. Streckung des 3. oder des 3. und 4. Fingers. Verkürzung und Verschmälerung der Seitenfinger, die soweit fortschreiten kann, dass Metapodien und Phalangen nur noch durch einen ungegliederten Stummel repräsentiert werden. Entwicklung der Digitigradie. Mehr oder weniger alternierende Anordnung der Carpalien unter einander und alternierendes Eingreifen zwischen die Metacarpalien. Manchmal erfolgt auch Verschmelzung von Carpalien — Ruminantier Magnum und Trapezoid — immer aber Verlust des Centrale. Innige Verbindung der Carpalien und Metacarpalien und der Carpalien unter einander. b) An der Hinterextremität bemerken wir: Streckung des Beckens, Streckung des großen Femurtrochanters und Hinauf- rücken eines etwaigen dritten Trochanters, mächtige Entwicklung der Condyli, starkes Konvergieren von Femur und Tibia. Verlust der Fibula — zuerst Auflösung ihrer mittleren Partie und zuletzt sogar Verschwinden des proximalen oder distalen Restes — Pferd — tiefe Ausfurchung der Astragalusfacette und der entsprechenden distalen Fläche der Tibia. Ansehnliche Verstärkung der proximalen Tibia- hälfte gegen die Epiphyse zu. Doppelverbindung des Cuboids mit den Tarsalien der ersten Reihe. Inniges Aneinanderschließen der Tarsalien unter einander und der Tarsalien und Metatarsalien, end- lich Verlust der seitlichen Zehen, vor allem der ersten Zehe. Bei den Raubtieren, unter denen es ja auch ziemlich gute Läufer gibt, sind freilich nieht alle diese Modifikationen zu beobachten, da diese Gruppe eben einen andern Weg eingeschlagen hat. Doch kommt es zu ganz ähnlicher Entwicklung des Ober- und Unterarms und des Ober- und Unterschenkels, die Hand behält jedoch immer noch vielmehr eigene Beweglichkeit infolge der spezialisierten Be- schaffenheit des Carpus. Derselbe kann jedoch absolut nieht mehr in jenen der Paarhufer oder Unpaarhufer übergeführt werden. Was durch eine derartige Organisation erreicht werden soll, ist möglichste Festigkeit und Einfachheit der untern Par- 726 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen tien der Extremität und Beschränkung der Glieder auf die Bewegung in einer Ebene — nämlich nach vor- und rückwärts —. Der motorische Apparat, die Muskeln, rücken fast ganz an den Rumpf und umhüllen nurmehr Humerus und Femur und den obern Teil von Radius und Tibia. An der Hand- und Fußwurzel und an den Metapodien bleiben nur noch die Beuger und Strecker der restierenden vollständigen Zehen und selbst diese Muskeln wer- den bloß mehr durch elastische Bänder — Sehnen repräsentiert. Die Extremitäten werden auf solche Weise zu einer puren Maschine, einem zusammengesetzten Hebelapparat, der aber auch nur mehr in einer Ebene funktionieren kann. Den Gegensatz zu dieser für die Paar- und Unpaarhufer und gewisse Nager so charakteristischen Organisation bildet der Skelettbau des Menschen und der Affen. Hier kommt es nicht auf große Lokomotionsfähigkeit, sondern aus- schließlich auf große Gelenkigkeit aller einzelnen Ex- tremitätenteile an. Zugleich erlangt auch der Körper die Fähig- keit zur aufrechten Haltung. Es darf daher hier nicht bloß die Muskulatur keinerlei Reduktion erleiden, sie wird vielmehr sogar teilweise verstärkt werden müssen. Bis in die äußersten Glieder erstrecken sich fleischige Muskelpartien, Nerven und Blutgefäße. Das Skelett zeigt in diesem Falle folgende Differenzierung: Scapula ist allseitig gerundet, ebenso breit als lang, nach hinten zu ziemlich verlängert. Die Clavieula ist gut entwickelt, der Humerus besitzt ein großes halbkugelförmiges Caput, aber schr schwache Tu- berkel, die Ansatzstelle des Deltoidmuskels wird ziemlich undeutlich, die Rolle bleibt sehr lang, aber auch sehr niedrig. Das Epieon- dylarforamen geht auch hier verloren. Radius und Ulna verschieben sich gegen einander bis zur vollständigen Kreuzung. Die Ulna bleibt sehr kräftig, das Oleeranon zeigt jedoch nur sehr mäßige Ent- wicklung. Die Anordnung der Carpalien ist noch eine sehr primitive. Verschmelzungen benachbarter Carpalien kommen nicht vor, abgesehen von der allenfallsigen Vereinigung des Centrale mit dem Scaphoid. Nicht selten persistiert jedoch hier ein freies Centrale. Die Ver- bindung dieser Carpalien ist eine ziemlich lose, wenigstens im Ver- gleich zu jener der Huftiere. Die Fingerzahl beträgt noch immer fünf und sind die Finger alle so ziemlich gleich lang und auch gleich kräftig entwickelt. Der Daumen kann noch den übrigen Fingern gegenübergestellt werden. Der Oberschenkelhals verlängert sich ziemlich beträchtlich, die Trochanter werden sehr schwach, ebenso die Condyli; dem entsprechend ist auch die Tibiaepiphyse nicht sehr groß. Die Axe der Tibia nimmt nach oben hin sehr rasch an Dicke zu. Die Fibula zeigt kräftige Entwicklung. Jemehr nun aber die aufrechte Haltung und die ausschließliche Fortbewegung auf den Hinterbeinen über die Bewegung auf allen Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. 727 Vieren überwiegt, um so größer werden die Veränderungen der ge- nannten Gliedmassen. Vor allem verbreitert sich das Becken, nament- lich beide Ilea, der Oberschenkel wird auffallend lang, während die Tibia oft ziemlich bedeutende Verkürzung erfährt. Die Fußwurzel- knochen fügen sich innig in einander, die Astragalusfacette wird sehr flach; die erste Zehe verliert die Fähigkeit, den übrigen gegenüber stellbar zu sein. Auch die Größe der Zehen kann ziemliche Aen- derungen erfahren, je nachdem eben das Hauptgewicht auf die Mittel- linie des Fußes oder mehr auf seine Außen- beziehungsweise Innen- seite fällt. So vergrößert sich beim Menschen die erste Zehe, beim Bären dagegen, der auch Differenzierungen aufweist, welche zu aufrechter Haltung befähigen, die fünfte Zehe. Gute Kletterer behalten die große Beweglichkeit des Daumens und der ersten Zehe bei, soferne die eigentliche Hand respektive der eigentliche Fuß und nicht etwa die in diesem Falle dann auch immer krallenartig entwickelten Endphalangen die Hauptaufgabe zu leisten haben; auch zeigen sie nur selten eine nennenswerte Verkürzung der Seitenfinger oder Seitenzehen, gar niemals aber eine Verlängerung der Metapodien. Die Astragalusfacette erscheint mäßig ausgefurcht. Das ursprüngliche Längenverhältnis von Oberarm zu Unterarm und von Oberschenkel zu Unterschenkel wird nicht alteriert, wohl aber kann die ganze Vorderextremität eine beträchtliche Verlängerung er- fahren. Gewöhnlich findet hier auch keine Reduktion von Ulna, beziehungsweise Fibula statt, dieselben verbinden sich höchstens etwas fester mit Radius, respektive Tibia. Verschmelzungen von Carpalien — Scaphoid und Lunatum — sind jedoch keineswegs ausgeschlossen. Jene Säuger, welche sich dem Wasserleben anpassen, mithin zu guten Schwimmern werden müssen, streben vor allem eine Organisation an, welche die Beweglichkeit der einzelnen Knochen der Vorderextremität möglichst beschränkt und bloß mehr eine zwei- fache oder gar nur mehr einfache Bewegung dieses Körperteiles ge- stattet. Nebenbei findet auch eine erhebliche Verkürzung von Ober- und Unterarm statt. Beide Modifikationen sind bei den Cetaceen am schönsten zu sehen. Es ist ihnen nur mehr die Vor- und Rückwärts- bewegung des ganzen Armes ermöglicht, indem alle Knochen fest aneinander gefügt und am Humerus gewissermassen angewachsen sind. Erst das obere Ende dieses Knochens rotiert in der Höhlung der Scapula. Außerdem bemerken wir hier eine auffallende Abplattung aller Extremitätenknochen, sowie Reduktion des ersten und fünften und oft auch des vierten Fingers, wofür jedoch der zweite und dritte, selten auch der vierte eine namhafte Zahl neuer Phalangen erhält. Die Hinterextremität geht bis auf spärliche Rudimente des Beckens verloren !). Etwas anders verhalten sich die Sirenen und Pinni- 1) Wenn ich im Vorhergehenden manchmal der Kürze halber den Aus- druck „Meersäugetiere“ für die Ordnungen der Pinnipedia, Sirenen und 728 Schlosser, Modifikationen des Extremitätenskelets bei Säugetierstämmen. pedier. Diese Tiere steigen zeitweilig ans Land und bedürfen, um sich aus dem Wasser zu ziehen, eines Hebelapparates. Derselbe ist in der Weise gegeben, dass der Humerus nicht bloß gegen die Sea- pula, sondern auch gegen den Unterarm hin ein wohlentwickeltes Gelenke bewahrt hat. In beiden Gruppen sehen wir die beginnende Abplattung der Mittelhandknochen und Phalangen. Die Sirenen zeigen auch schon Verschmelzung der beiden Enden des Radius und mit der Ulna. Ob diese letztere Organisation einmal auch bei den Pinnipediern erfolgen wird, scheint höchst fraglich zu sein, auf keinen Fall jedoch wird es bei diesen letztern jemals zu einem Ver- lust der Hinterextremität kommen, wie dies bei den erstern geschehen ist. Dagegen spricht abgesehen von dem Umstand, dass die Pinni- pedier, trotzdem die Anpassung an das Wasserleben schon vor langer Zeit begonnen haben muss, noch immer die normale Größe der Knochen der hintern Extremität bewahrt haben, auch noch eine Spe- zialisierung dieses Organs, nämlich die Drehung. Es äußert sich dieselbe nicht nur darin, dass Fibula und ihr entsprechend die fünfte Zehe sich nach einwärts verschieben, sondern auch in der eigen- tümlichen Lage des Femur zur Wirbelsäule. Während dieser Knochen sonst neben dem präsacralen Teil der Wirbelsäule liegt und mit diesem einen sehr spitzen Winkel bildet, hat derselbe hier eine Ro- tation um nahezu 180° durchgemacht und liegt nunmehr neben dem postsacralen Teil und zwar so ziemlich parallel mit diesem. Die Gelenkverbindung der einzelnen Phalangen unter einander und deren Beweglichkeit hat bei den Pinnipediern aufgehört, Enhydris tritt auch bereits in dieses Stadium ein, während die Lutren sich hierin noch ganz wie die übrigen Carnivoren verhalten. In bezug auf die Verbindung der einzelnen Phalangen schließt sich also die Gruppe der Pinnipedier schon so ziemlich an die Sirenen und Cetaceen an, mit den erstern haben sie auch insofern eine entfernte Aehnlich- keit, als sich auch bei ihnen schon am Hinterfuß die fünfte und erste Zehe ganz beträchtlich verlängern; bei den Sirenen gilt dies frei- lich nur für den fünften Finger der Vorderextremität. Eine eigenartige Modifikation der Extremitäten finden wir auch bei den Proboseidiern, Amblypoden und bis zu einem gewissen Grade auch bei den Brontotherien — einem Zweig der Perisso- dacetylen. Es sind dies Formen, die sich durch ihre bedeutende Größe, namentlich aber durch ihre auffallende Plumpheit auszeichnen. Cetacea gebraucht habe, so wollte ich selbstverständlich nicht etwa sagen, dass verwandtschaftliche Beziehungen zwischen diesen existierten; eine solche Annahme ist vielmehr aufs schärfste zu bekämpfen. Woher die Cetacea und Sirenia eigentlich abzuleiten sind, ist eine noch ungelöste Frage, die Pinni- pedia dagegen haben sich wohl zur Eocänzeit von gewissen Creodonten abgezweigt, die allerdings noch nicht direkt ermittelt sind, aber von Mesonyx nicht allzusehr abweichen dürften. Verworn, Psycho - physiologische Protistenstudien. 129 Die beiden erstern haben noch die Fünfzahl der Zehen bewahrt. Es muss hier schon eine sehr beträchtliche Zunahme des Körpergewichts stattgefunden haben, ehe die für Huftiere sonst so charakteristische Streckung der Metapodien beginnen konnte, ja es muss dieselbe durch die riesige Körperlast gradezu verhindert worden sein. Die Vorder- extremität nun hat sich eigentlich relativ wenig verändert, die Modi- fikationen äußern sich bei ihnen mehr in einer Verbreiterung des Schulterblattes und nur bei den Proboseidiern auch in einer Streckung des Humerus; von der Plumpheit der einzelnen Knochen ist hiebei natürlich abzusehen. Um so bedeutender ist dafür die Ver- änderung der Hinterextremität. Vor allem ist hier die Veränderung der Lage des Femur zur Wirbelsäule und zum Unterschenkel zu nennen. Während dieser Knochen sonst mit der Wirbelsäule einen spitzen Winkel bildet und zum Unterschenkel so ziemlich senkrecht steht, bildet er hier mit der Wirbelsäule nahezu einen rechten Winkel und außerdem fällt auch seine Axe so ziemlich genau mit der Axe des Unterschenkels zusammen. Durch diesen vertikalen Druck der Schenkelknochen auf den Tarsus wird aber sodann auch eine Kom- pression dieses Körperteils bewirkt, die sich insbesondere in der Ver- flachung des Astragalus bemerkbar macht. Bei den Brontotherien betrifft dieselbe freilich nur den distalen Teil dieses Fußwurzel- knochens, weil eben doch die echte Perissodactylen-Natur hier schon zu definitiv entwickelt war, ehe diese Tiere eine so riesige Größe erreicht hatten und daher auch keiner weitergehenden Modi- fikation mehr fähig waren. Immerhin hat auch hier der Oberschenkel im Vergleich zum Unterschenkel eine nicht unbeträchtliche Streckung erfahren und zugleich auch eine steilere Lage angenommen, als dies sonst bei den Perissodaetylen der Fall ist. Im Vorausgehenden habe ich die Marsupialier und Eden- taten nur gelegentlich und auch da nur flüchtig erwähnt. Es ge- schah dies absichtlich, weil diese Gruppen hinsichtlich ihrer Extremi- täten so außerordentliche Mannigfaltigkeit zeigen, dass dieselben besser in einem besondern Aufsatz behandelt werden dürften. M Verworn, Psycho-physiologische Protistenstudien. 8%. 2188. 6 lithogr. Tafeln. 27 Textabbildungen. Jena 1889. Zu physiologischen Untersuchungen haben die niedern Tiere bis- her nur selten und zu speziell psychologischen noch nie gedient. Dies und die Reflexion, dass die Psychologie von manchen Physiologen noch nicht als Teil der Physiologie anerkannt wird, haben V. zu seiner interessanten Arbeit veranlasst, bei welcher er von der rich- tigen Annahme ausgeht, dass die psychischen Vorgänge doch ebenso gut Lebenserscheinungen genannt werden müssen, als die Stoffwechsel- vorgänge. 130 Verworn, Psycho -physiologische Protistenstudien. Die bisherigen Angaben über das Seelenleben der Protisten be- schränken sich auf gelegentliche Aeußerungen, welche sich in den beiden Extremen, der Annahme einer äußerst niedern Entwicklungs- stufe des Seelenlebens der Protisten und anderseits der Ansicht von einer ganz hohen Ausbildung desselben bewegen. V. stellt sich die beiden Fragen, erstens nach der Höhe der Entwicklungsstufe und zweitens nach dem Wesen und dem Zustandekommen dieser Vorgänge. Da das einzige Kriterium, welches den Schluss auf einen psychi- schen Vorgang bei andern Organismen zulässt, die Bewegung ist, und eine Uebermittlung von psychischen Vorgängen ohne Bewegung nicht stattfindet, so wählt V. zur Untersuchung der Bewegung die drei Methoden: 1) der reinen Beobachtung, 2) der Untersuchung des Verhaltens unter künstlich gegebenen Bedingungen und 3) des operativen Eingriffs in den lebenden Organismus. Das Untersuchungsmaterial hiezu liefern die meisten Gruppen der Protisten. Die Bewegungen des unverletzten Protistenkörpers teilt V. ein in Lokomotion und zwar amöboide, Wimperbewegung, sekretorische Bewegungsform (bei Desmidiaceen), und in Bewegung innerhalb des protoplasmatischen Körpers; bei der letztern unter- scheidet er die „rheophorische Bewegung“, das feine Fortströmen fester Teilchen (Molekularbewegung, Protoplasmaströmung, Körnchen- strömung) und die Kontraktionsbewegung des ganzen Körpers. Die spontanen Körperbewegungen der Protisten sind zum großen Teil bekaunt, doch gibt Verworn sehr gute Beschreibungen davon und auch viele eigne Beobachtungen Was die Reizbewegungen betrifft, so untersucht V. zunächst an der Hand sinnreicher Apparate, die Bewegung aufLichtreize und kommt, gestützt auf seine genauen Versuche und die Resultate anderer Forscher, zu folgenden Sehlüssen: Eine ganze Reihe von Protistenformen (z. B. unter den Rhizopoden, Bakterien und Ciliaten) zeigt gar keine wahrnehmbare Reaktion auf Lichtreize; es wäre so- mit die Lichtreizbarkeit keine dem Protoplasma allgemein zukommende Eigenschaft. Wo das Licht wirkt, wirkt es teils Bewegung erzeugend teils hemmend. Die Richtung der Lichtstrahlen beeinflusst die Be- wegung, es erfolgt eine Einstellung auf die Axe (Phototaxis Stras- burger); das ist das Homologon des Heliotropismus bei den Pflanzen. Die Intensität des Lichtes und die Wellenlänge beeinflussen die Be- wegung. Zu konstatieren sind Nachwirkungen, d. h. also eine Fort- dauer der Wirkung, nachdem die Lichtstrahlen schon erloschen sind. V. sieht in der Fähigkeit der Protisten, auf Licht zu reagieren, eine Anpassung an bestimmte Lebensverhältnisse, Verworn, Psycho -physiologische Protistenstudien. a Ueber die Bewegungen auf Wärmereize haben früher haupt- sächlich Kühne und Engelmann Versuche angestellt. V. fügt den- selben eigne an Rhizopoden, Flagellaten und Ciliaten gemachte hinzu und weist nach, dass Bewegungen nur innerhalb gewisser Temperatur- grenzen möglich sind, die für jede Protistenform verschieden sein können. Zwischen Maximum und Minimum nimmt die Protoplasma- und die Flimmerbewegung sowie die Bewegung der kontraktilen Vakuole mit steigender Temperatur bis zu einem gewissen Punkte zu, von wo an sie bis zur Wärmestarre wieder abnimmt, umgekekrt verlangsamt sie sich von diesem Punkt an, bis die Kältestarre eintritt. „Submaximale Temperaturen bewirken bei Rhizopoden Annahme mehr oder weniger vollkommener Kugelform, bei Ciliaten plötzliche Kontraktionen der Myoide, Sprungwimpern ete. Dabei machen sich bei Ciliaten Nachwirkungen bemerkbar, sowie eine hochgradige An- passungsfähigkeit an höhere Temperaturen“. Nur bei Rhizopoden wurde von V. sowohl ein negativer als ein positiver Thermotropismus beobachtet. Ebenfalls sehr sorgfältig und umfassend sind V.’s Versuche über die Bewegung auf mechanische Reize an Rhizopoden, Flagel- laten und Ciliaten, denen sich noch die Beobachtungen von Engel- mann und Stahl an Diatomeen und Oseillarien beifügen. Sie ergeben einen sehr verschiedenen Grad von Reizbarkeit und Reizfortpflanzungs- fähigkeit des Protoplasmas bei den Protisten und zwar sowohl bei den verschiedenen Gruppen als auch den Vertretern ein und derselben Abteilung. Sehr belehrend sind die lokalen Reizungen, besonders für die Reizleitungsfähigkeit. Am höchsten entwickelt sind darin die Infusorien und ganz geringe Reize bewirken hier schon die Reaktion. Diese ergibt bei fast allen Protisten ein Entfernen von der Reizquelle, worin V. eine tropische Wirkung, einen negativen „Thigmotropismus“ erblickt. Als positiven Thigmotropismus kann man das Umfließen der Nahrung bei den Rhizopoden und das Kriechen und Laufen mancher Protisten an Fremdkörpern entlang bezeichnen. Ein positiver „Rheotropismus“ findet sich bei den Myxomyceten, welche dem fließen- den Wasser entgegenkriechen (Stahl). Die Versuche mit akustischen Reizen gaben keine genügen- den Resultate, V. glaubt aber nicht, dass die Protisten die Fähigkeit besitzen, auf akustische Reize zu reagieren. Die chemischen Reize bewirken dieselben äußerlich sichtbaren Veränderungen am Protistenkörper, wie die andern Reize; bei den Rhizopoden Kontraktionserscheinungen (Einziehen der Pseudopodien, Kugligwerden ete.), bei den Infusorien hauptsächlich Beschleunigung oder Verlangsamung der Wimperbewegung, Beeinflussung der Vakuolen- thätigkeit, Zuckungen der Myoide. Von großem Nützlichkeitswert für die Protisten ist nach V. die Anpassungsfähigkeit (Gewöhnungsfähig- keit) an gewisse chemische Stoffe. Sehr bedeutungsvoll ist der Chemo- 182 Verworn, Psycho - physiologische Protistenstudien. tropismus vor allem inbezug auf den Sauerstoff (Engelmann) und dann der Hydrotropismus der Myxomyceten (Stahl) und der Tropho- tropismus, d. h. die Fähigkeit Stoffen nachzugehen, die zur Nahrung dienen (Aethalium). Unerklärlich bleibt das Aufsuchen absolut schäd- licher Stoffe durch Bakterien, zumal sie diesen Stoffen im Leben gar nie begegnen können. Die Bewegungen auf galvanische Reize sind schon von Kühne und Engelmann untersucht worden; sehr genaue mit sinn- reichen Instrumenten angestellte Versuche hat dann V. selbst in einer frühern Arbeit („Die polare Erregung der Protisten durch den galva- nischen Strom“ in: Pflüger’s Archiv, Bd. 45, 1888) mitgeteilt und diese sind hier vollkommen wiedergegeben. Sie zeigen uns, dass der Körper der Protisten auch auf solche wie auf die früher erwähnten Reize ganz in derselben Weise antwortet. Dazu kommt, dass V. bei Ciliaten einen „Galvanotropismus“ beobachtet hat, d. b. die „Fähig- keit, bei Schließung des Stromes in der Richtung der Stromkurven von der Anode zur Kathode zu schwimmen“. Diese Erscheinung ist bisher noch ziemlich rätselhaft. Ehe V. daran geht die gewonnenen Resultate für die Beurteilung des psychischen Lebens der Protisten zu verwerten, frägt er sich, welches denn die sensibeln Elemente sind, welche die Reize ver- mitteln. Ob die Augenflecke mancher Infusorien wirklich lichtempfind- liche Apparate sind, darüber wird bekanntlich noch gestritten, die Wärme wird vom Protoplasma als Gesamtheit empfunden. Für die mechanischen Reize allein können wir von bestimmten „Organoiden“ (Organula) reden in Gessalt von Cilien, Tentakeln u. s. w., während weder die akustischen, noch die chemischen, noch endlich die galva- nischen Reize durch solche vermittelt werden. An der Hand der Ergebnisse, welche durch die Methode der reinen Beobachtung und der Beobachtung unter gegebenen Bedingungen gewonnen wurde, sucht nun V. die psychischen Prozesse der Protisten mit denen des Menschen zu vergleichen. Aus den gewonnenen Thatsachen geht hervor, dass die Reizbewegungen der Protisten als reine Reflexbewegungen aufgefasst werden müssen, „denn sie zeigen das charakterische Merkmal derselben, dass sie mit maschinenmäßiger Gesetzmäßigkeit jeden Reiz in stets der gleicheu Weise, ohne die geringste Abweichung beantworten“. Das beste Bei- spiel für das unbewusste Antworten auf einen Reiz ist das von den Paramäcien, welche zwischen zwei Kupferelektroden gebracht, bei Schließung des Stromes sämtlich auf die Elektrode losschwimmen, obgleich sie in den dort erzeugten giftigen Zersetzungsprodukten un- fehlbar zu Grunde gehen. „Die tropischen Erscheinungen sind die Folge von unipolarer, also partieller Erregung des Protistenproto- plasmas sei es durch Licht, Wärme, mechanische, chemische oder galvanische Reizung, welche ein Zurückweichen durch Kontraktions- oder Annähern durch Expansionserscheinungen bewirkt“. Verworn, Psycho - physiologische Protistenstudien. 130 Die spontanen Bewegungen der Protisten stehen auch auf keiner höhern Stufe und sind als impulsive und automatische zu bezeichnen. Unter diese in genetischem Zusammenhange stehenden Bewegungsformen lassen sich nach V. alle spontanen Bewegungen der Protisten ohne Zwang unterordnen. Für das Vorhandensein be- wusster Willenshandlungen ist die Vorstellung des Ich eine notwendige Vorbedingung; die Ichvorstellung entsteht aber nur dadurch, „dass die unbewussten Empfindungen und Vorstellungen der einzelnen Teile des Körpers einem einzigen Empfindungsgebiet, beim normalen Menschen der Gesichtsempfindung untergeordnet, d. h. auf sie be- zogen werden.“ Dazu reichen aber die sensibeln Elemente der Pro- tisten nicht aus, es ist also bei diesen eine Ichvorstellung nicht möglich. Auch die scheinbar komplizierten Lebensthätigkeiten der Protisten lassen sich nach V. auf niedere Bewegungsformen zurückführen, so die Nahrungsaufnahme auf Reizbewegung (Chemotropismus, Thigmotropismus der Rhizopoden), oder auf auto- matische, ganz unbewusste Bewegungen (Peristomwimperschlag der Ciliaten). Selbst den bei den Protisten vielfach vorkommenden Ge- häusebau weiß V. in natürlicher Weise mittels der genannten ein- fachen Bewegungsformen zu erklären. Ich habe den Gehäusebau der Rhizopoden einen Instinkt z. B. gleich dem der Phryganidenlarven genannt. Ich habe damit natürlich nicht einen höhern bewussten psychischen Vorgang annehmen wollen; ein soleher existiert doch wohl auch beim Insekt nieht; der Mechanismus der Phryganidenlarve ist eben wie der der Rhizopoden auf die Auswahl eines bestimm- ten Baumaterials und dessen gesetzmäßige Aneinanderfügung ange- passt. Dies sind die Aufschlüsse, welche die beiden Untersuchungs- methoden der reinen Beobachtung und der Untersuchung des Verhaltens unter künstlichen gegebenen Bedingungen geliefert haben. Die dritte Methode, die des operativen Ein- sriffs, soll nun über das Wesen und den Sitz der psychischen Vor- gänge Aufklärung geben. Die große Anzahl von Teilungsversuchen, die V. vorgenommen, und zwar in derselben Weise wie sie schon von frühern Forschern ausgeführt worden sind (Nussbaum, Gru- ber, Balbiani) ergaben das Resultat, dass, was die spontanen Bewegungen betrifft, „alle, selbst die kleinsten Teilstücke des Protistenkörpers nach Ueberwindung eines Reizstadiums, das sich bei den Rhizopoden in Körperkontraktionen, bei den Ciliaten in Be- schleunigung der Wimperbewegung äußert, genau dieselben Bewegungen ausführen, die sie im Zusammenhang mit dem Körper ausführten“. Die Reizversuche ergaben ebenfalls, dass „nach Ueberwindung eines Exeitationsstadiums Reize an kernlosen Teilstücken die gleichen Bewegungserscheinungen hervorrufen wie am unverletzten Protist.“ 734 Verworn, Psycho - physiologische Protistenstudien. Es zeigt sich also, dass die Bewegungen des Protisten nicht Aeußerungen von Impulsen sein können, die von einem oder wenigen psychischen Zentren ausgehen, wie schon angenommen wurde, und „der Kern kann keinesfalls als psychisches Zentrum aufgefasst wer- den, vielmehr ist jedes Protoplasmateilchen selbständiges Zentrum für die an ihm auftretende Bewegung.“ Hiermit scheint die Thatsache nicht zu stimmen, dass bei manchen Ciliaten einheitlich geordnete Wimperbewegungen existieren (Peristomwimperbewegung). Da näm- lich nach V.’s Versuchen jede einzelne Wimper mit einem anhaftenden Stück Plasma selbständig zu schlagen im stande ist, so meint man, es müsse das gemeinsame zweckmäßige Schlagen einer ganzen Reihe von einem psychischen Zentrum beherrscht sein. V. zeigt aber durch fein ausgeführte Schnittversuche, d. h. Einschneiden in die Peristom- wimperseite, dass die Wimperwelle über den Schnitt nicht hinüber- läuft, dass also ein Wimperbasenmechanismus das gemeinsame Schla- gen vermittelt. Dieser Mangel an Centralisation der psychischen Vorgänge wider- legt nach V. ohne weiteres die Annahme von Bewusstseinserscheinungen im Protistenreich und „jedes Protoplasma-Elementarteilchen hat also seine eigne, selbständige Psyche.“ Aehnlich hatte sich seinerzeit auch Ref. auf eigne Versuche hin ausgedrückt, nämlich „dass die nervösen Leistungen im Infusorienkörper nicht an bestimmte Bahnen gebunden sind, dass die Willensäußerung jedes Protoplasmaelement gleichmäßig beherrscht“. Eingehend behandelt V. auch die Frage nach dem Sitz der Stoffwechselvorgänge im Elementarorganismus und kommt zu dem Resultat, dass da, wo noch keine Kernsubstanz vorhanden (Moneren) !), alle Elementarteilchen sich in gleicher Weise am Stoff- wechselprozess beteiligen, und dass bei höhern Formen sowohl Kern- wie Zellprotoplasma daran Anteil nehmen, wie V. an einem Schema deutlich zu machen sucht. Will man auf die gefundenen Thatsachen eine „Molekular- Psychologie aufbauen, so gelangt man zu dem Schlusse, dass „die primitiven psychischen Vorgänge molekulare Prozesse in den Proto- plasma -Elementarteilchen sind“. Wir dürfen den Begriff Psyche auch 1) Im Gegensatz zum Verfasser möchte ich bemerken, dass wenn wir auch prinzipiell nicht behaupten dürfen, es könne keine kernsubstanzlose Wesen, Moneren, geben, wir doch keinen Beweis für ihr Vorhandensein besitzen. Viele Formen, die früher für kernlos gehalten wurden, sind kernhaltig, ja sogar bei den Bakterien soll in neuester Zeit Kernsubstanz sich darstellen lassen. Dass bei der Eneystierung mancher Ciliaten ein kernloses Stadium vorkommt, möchte ich trotz der gewiss sorgfältigen neueren Untersuchungen von Rhumbler auch nicht für richtig halten, so wenig der Kern bei gewissen Entwicklungs- stadien mancher Metazoen (Insekten) wirklich verschwindet. Ich hoffe darauf an anderem Orte zurückzukommen. Ref. 9x 27 Verworn, Psycho -physiologische Protistenstudien. 35 \ auf die Erscheinungen an den niedersten Organismen ausdehnen, denn die ersten Elemente, aus denen sich der Sitz der Psyche bei den höhern Tieren, das Nervensystem, entwickelt hat, sind schon im Körper der Protisten zu treffen; von ihnen existiert eine ununter- brochene Entwieklungsreihe bis zum Menschen hinauf, und schon im Protistenreich selbst sind deutliche Spuren der Entwicklung zu be- obachten. Was wir hierdurch gewonnen, ist, wie V. mit Recht bemerkt, eine wichtige Stütze für die Idee von der Einheit der Natur. A. Gruber (Freiburg i. B.). Nachtrag. Wenige Tage ehe ich die Korrekturbogen zu vorstehendem Auf- satz erhielt, kam ich durch die Güte des Verfassers in den Besitz der interessanten Arbeit: „Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss des Kerns auf das Protoplasma“ von Dr. Bruno Hofer (Separatabzug. aus der Jenaer Zeitschr. f. Naturw., N. F., Bd. XVII). H. experimentierte fast ausschließlich mit Amoeba proteus und suchte durch künstliche Teilung in kernlose und kernhaltige Stücke haupt- sächlich den Einfluss des Kerns 1) auf die Bewegung, 2) auf die Ver- dauung und 3) auf die Funktion der Vakuole festzustellen. An der Hand vieler tabellarisch zusammengestellter Versuche weist H. nach, dass die Bewegungserscheinungen der Amoeba proteus nach der Enu- kleation sich immer in annähernd gleichen Perioden gegenüber den kernhaltigen Stücken verändern. Es geht aber aus seinen Versuchen, bei welchen kernlose Stücke bis zu 14 Tagen am Leben blieben, her- vor, dass die Bewegungsfähigkeit recht lange erhalten bleibt. H. meint nun, dass dem Protoplasma an sich zwar die Fähigkeit der Bewegung innewohnt, dass dasselbe aber „erst durch die Wechselbeziehungen zum Kern die Gesamtheit aller die normale Zelle charakterisierenden Formen der Bewegung zur Entfaltung hringen kann, da die Auf- hebung des Kerneinflusses wahrscheinlich einen Verlust der Steuerung in der bewegenden Kraft zur Folge hat, der Kern — mit andern Worten — ein regulatorisches Zentrum für die Bewegung darstellt“. H. setzt sich hiermit, wie er auch in einer Nachschrift hervorhebt, in Widerspruch zu den im vorstehenden Aufsatz mitgeteilten Resultaten. Dass dem kernlosen Protoplasma Bewegungsfähigkeit innewohnt, gibt er zu, aber seine Versuche an Amoeba proteus und Actinophrys sollen beweisen, dass der Kern auf die Art der Bewegung Einfluss übe. Verworn’s Experimente aber, welche an den mit viel charakteristi- scheren Bewegungsformen begabten Infusorien angestellt wurden, haben gezeigt, dass die Art der Bewegung auch am kernlosen Stück dieselbe bleibe und dass vor allen Dingen keine regellosen Bewegungen nach der Enukleation eintraten. Daraus schließt Verworn, dass 136 Anzeige. der Kern kein regulatorisches Zentrum sein kann. Diesem Einwand steht die Ansicht Hofer’s gegenüber, dass es sich bei diesen Fällen um eine „Nachwirkung“ des Kerns handelt, die noch einige Zeit nach der Enukleation anhält. Diese Nachwirkung kann man natürlich be- liebig lang ausdehnen, ich muss aber gestehen, dass ich mir davon keine rechte Vorstellung machen kann. Ich neige mich mehr zur Ansicht von Verworn, wonach die Bewegungsfähigkeit im kernlosen Stick Hand in Hand mit der Lebensenergie im Plasma nachlässt und zwar darum weil diesem keine Stoffwechselprodukte vom Kern mehr geliefert werden können. Was die Verdauung betrifft, so hält die Fähigkeit hierzu nach H. noch einige Zeit nach der Enukleation an, doch soll dies ebenfalls auf eine Nachwirkung des Kerns beruhen, während im übrigen H. durch seine mit großer Sorgfalt angestellten Versuche auch hier einen direkten Einfluss des Kerns nachgewiesen haben will. Verworn wird auch da denselben Einwand erheben können, wie oben bei der Bewegung. Auf die Respiration des Protoplasmas und die Funktion der kon- traktilen Vakuole hat der Kern nach Hofer keinen direkten Einfluss. Leider gebricht mir der Raum noch ausführlicher auf Hofer’s wertvolle Arbeit einzugehen. Verlag von August Hirschwald in Berlin. Abonnements bei allen Buchhandlungen und Postanstalten. Berliner Klinische Wochenschrift. Organ für praktische Aerzte. Mit besonderer Berücksichtigung der Medizinal-Verwaltung und Gesetzgebung nach amtlichen Mitteilungen. Redaktion: Prof. Dr. C. A. Ewald und Dr. C. Posner. Wöchentlich 2—3 Bogen. Preis vierteljährig 6 Mark. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wünschen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten anzugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die ROUnE DD: en en Institut‘‘ zu richten. venlag von Mdnard Besold in lungen. — Druck von June & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. — nn — — ——m 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 8 Band. 15. Februar 1890. Nr. 24. Inhalt: Sluiter, Ueber die Entstehung der Korallenriffe in der Javasee und Brannt- weinbai, und über neue Korallenbildung bei Krakatau. — Klebs, Nachtrag zu dem Aufsatz: Zur Physiologie der Fortpflanzung. — v. Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Anthozoen. — Zwaardemaker, Das Olfaktometer. — Geissler, Beiträge zur Frage der Geschlechtsverhältnisse der Geborenen. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Physikalisch - medizinische Sozietät zu Erlangen. Ueber die Entstehung der Korallenriffe in der Javasee und Branntweinbai, und über neue Korallenbildung bei Krakatau. Von Dr. C. Ph. Sluiter in Batavia. Unsere Kenntnis der Einflüsse, welche die Entstehung, den Bau und die nachherige äußere Gestaltung der Korallenriffe bestimmen, ist in den letzten Jahren außerordentlich bereichert. Die Erfahrungen, welche Murray!) während der Challenger-Expedition machte, und die genauen Beobachtungen, welche A. Agassiz?) während der drei Expeditionen der „Blake“ auf den Florida-Riffen anstellte, haben vieles über die Verhältnisse, welche das Entstehen und Weiterwachsen der Koralleninseln beeinflussen, aufgeklärt. Seitdem bekanntlich Semper?) schon vor vielen Jahren die Schwierigkeiten hervorbob, welche er bei der Anwendung der Dar- win’schen Senkungstheorie auf die Entstehung der Korallenriffe der Pelew-Inseln erfuhr, sind derartige Bedenken gegen die Anwendung der Darwin’schen Senkungstheorie auch andern Forschern aufge- 4) J. Murray, On the Structure and Origin of Coral Reefs and Islands. Proc. of the Roy. Soc. of Edinburgh. Vol. X. 1880. p. 505. Idem: Narrative of the Cruise of the Challenger. Vol. I and II. 2) A. Agassiz, Three Cruises of the Uuited States Coast and Goedelie Survey Steamer „Blake“. Bull. of the Mus. of comp. Zool. at, Harvard College. VolsXIV.p.523 3) C. Semper, Zeitschrift für wiss. Zoologie, Bd. XIII, S. 558 und „Die natürlichen Existenzbedingungen der Tiere“, 2. Teil, S. 39. IX, 47 138 Sluiter, Bildung von Korallenriffen. stiegen, wie Murray während der Challenger-Expedition, ferner Guppy*) während seines Aufenthalts auf den Solomon-Inseln u. 8. w. Schon früher hatten A. Agassiz, le Conte und andere darauf hin- gewiesen, dass die Floridariffe jedenfalls nicht durch Senkung ent- standen sein könnten. Diejenigen Naturforscher. welche in den Tropen die Korallenriffe genauer beobachtet haben, müssen wohl allmählich zu der Ueber- zeuguug gelangen, dass, wie genial, einfach und anregend auch die ältere Darwin’sche Theorie sei, sie doch einerseits in vielen Fällen ganz und gar nicht mit den beobachteten Thatsachen in Einklang zu bringen ist und anderseits auch die Annahme der großen Senkungen, wie sie die Darwin’sche Theorie annimmt, zur Erklärung der eigen- tümlichen Gestalt der Riffe sehr wohl entbehrt werden kann. Wenn nun auch die zuerst von Murray angeführten Ursachen im großen und ganzen die Bildung der Korallenriffe in der Tropen- welt bestimmen werden, so sind doch immerhin in den verschiedenen Gegenden mehrere lokale Verhältnisse in betracht zu ziehen zur Er- klärung der Entstehung und Gestalt der Riffe an bestimmten Lokali- täten. Aus diesem Grunde glaube ich, dass die nachfolgenden Mit- teilungen über einige Korallenriffe des Indischen Archipels, welche zum Teil nur eine Bestätigung der Murray’schen Ansichten sind, nicht ohne Wert sein dürften. Bis jetzt sind die Korallenriffe des Indischen Archipels nur noch sehr wenig Gegenstand einer genauern Untersuchung gewesen. Haupt- sächlich gilt dies für den westlichen Teil des Archipels. Gewöhnlich stellt man sich die Korallenriffe in dem hiesigen Teile der Javasee als zu unansehnlich vor. Wenn Dana in seinem klassischen Buche „Corals and Coralislands“ p. 265 auch von Java sagt: „it has but few coral patches abaut its shores, although affording long lines af coast for their growth“ und dieses zu den Gegenden rechnet, wo „eoral reefs are quite inconsiderable“, so ist diese Vorstellung der Sachlage für die Nord-Küste Javas wenigstens als ziemlich übertrieben anzusehen. Wenn auch allerdings die Riffe in der Javasee nicht die Dimensionen annehmen, welche man zum Beispiel bei den Südsee- inseln und im Indischen Ozean findet, so braucht man sich doch nur eine Karte der Javasee anzusehen um sich von dem Reichtum an Koralleninseln und Riffen daselbst zu überzeugen. In der Bai von Batavia hat das Meer überall eine sehr geringe Tiefe, etwa zwischen 12 bis 20 Faden variierend. Der Meeresboden fällt allmählich ab, -so dass in der eigentlichen Bai nur Tiefen von 5 bis 12 Faden gefunden werden. Bei den „Agnieten“ und „Hoorn- Inseln“ besteht aber eine tiefere Senkung des Meeresbodens, welche bei der Insel „Pajong“ sogar 50 Faden erreicht, eine Tiefe, welche nur in der Sundastraße wieder gefunden wird. Der Meeresboden 4) H. B. Guppy, The Solomon Islands. London 1887. Sluiter, Bildung von Korallenriffen. 139 besteht überall aus einem feinen Schlamm, dem nur stellenweise etwas mehr Sand beigemischt ist, während kleinere und größere Korallen- debris, Muschelschalen und Steine (siehe unten), mehr oder weniger reichlich in und auf dem Schlamme liegen. Nur nahe am Strande findet man auch festeren Thon, welcher öfters etwas gelblich ist. Der Niederschlag auf dem Boden der Bai von Batavia stammt wohl größtenteils von den Flüssen her, welche in dieselbe ausmünden. Betrachten wir jetzt etwas genauer die eigentliche Bai von Batavia, welche wir uns an der Nordseite durch eine Linie von „Ontong Djawa“ bis zur Landzunge von „Krawang“ aber etwas nördlich von der Insel Edam abgegrenzt denken können. Diese ganze Bai nimmt einen kaum von etwas mehr als 130 Quadratseemeilen (eine Seemeile auf 1850 M berechnet) ein. Schon bei dem ersten Blick auf die Karte (S. 741) muss es auffallen, dass nur in der westlichen Hälfte der Bai sich zahlreiche Korallenriffe aufgebaut haben, indess in der östlichen Hälfte die Riffe völlig fehlen. Etwas östlich von dem Hafen von „Tandjong Priok“ kommen nur noch zwei kleine in Entstehung begriffene Riffe vor, die „St. Nicolaas Klippe“ und die „Brunda Klippe“. Es ist nun allerdings nicht schwer eine Erklärung für diese aus- schließliche Ansiedlung der Korallen in der westlichen Hälfte der Bai zu finden. An der Ostseite mündet nämlich der ziemlich große Fluss „Tjitarum“ mit mehrern Mündungen in die Bai aus. Alle übrigen Flüsse, welche ihr Wasser in die Bai ergießen, sind im Vergleich mit dem „Tjitarum“ nur unbedeutende. Diese für die Korallenbildung nachteilige Wirkung des Flusswassers wird aber noch durch einen zweiten Faktor unterstützt. Selbstverständlich wird nur während des Regenmonsouns das aus den Flüssen strömende Wasser einen solchen Einfluss auf den Salzgehalt des Meereswassers ausüben können, dass es hemmend auf die Bildung von Korallenriffen einwirkt. Da nun aber grade während des Regenmonsouns ein starker Nord-West-Wind weht, wird das mit vielem Flusswasser gemischte Wasser in die östliche Hälfte der Bai hineingetrieben, wodurch dieser Teil für Korallenentwieklung ganz und gar ungeeignet wird. In dem west- lichen Teil der Bai liegen etwa 30 gesonderte Koralleninseln und Riffe. Unter diesen kommen alle mögliche verschiedene Stadien vor, von den ersten Anfängen eines Riffes, das sich noch gar nicht über den angrenzenden Meeresboden erhebt, bis zu den dicht bewaldeten Inseln mit Barriereriffen. Die Frage, welche sich hierbei wohl zuerst aufdrängt, ist: wie siedeln sich die jungen Korallen zuerst auf dem Schlamm- boden an? Gewöhnlich stellt man sich vor, dass Korallen sich nur auf felsiger oder irgend einer festen Unterlage aufbauen. Es kommen nun aber weder felsige Stellen in der Bai vor, noch auch solche An- häufungen von Muschelschalen oder dergleichen, dass daraus eine feste Bank als Untergrund für das Riff hervorgehen könnte. Hin- 47* (40 Sluiter, Bildung von Korallenriiten. gegen liegen auf dem Schlamm des Meeresbodens stets, wie schon oben gesagt, kleinere und größere Steine und bei den zahllosen Dredschungen, welche ich in der Bai von Batavia ausgeführt habe, ist es mir wiederholt aufgefallen, dass auf diesen Steinen junge Kolonien von Korallen aufgewachsen waren. Auch andere nicht Schlamm bewohnende Tiere, wie Amphinomiden, auf Korallen lebende Ophiuren, Chitons ete. fand ich öfters in kleinen Exemplaren an diesen verstreut auf den Schlamm liegenden Steinen! Die Chance, dass diese Korallenkolonien am Leben bleiben und sich weiter ent- wickeln werden, ist allerdings eine sehr geringe, aber es lässt sich doch denken, dass zuweilen Kolonien auf mehreren derartigen Steinen, welche neben einander liegen, unter günstigen Umständen am Leben bleiben und den ersten Anfang eines Riffes bilden können. — Wie nun derartige günstige Anhäufungen von Steinen mitunter entstehen können, habe ich in der That während der letzten Jahre nach der Katastrophe von Krakatau erfahren. Im ganzen westlichen Teil der Javasee fanden sich während der ersten Zeit nach dem Ausbruch, nämlich im August 1883, größere und kleinere Anhäufungen von Bimstein, unter welchen öfters Stücke von 2 Quadratdeeimeter und mehr vorkamen. Auch heutigen Tags noch findet man solche viel- fach auf den Inseln der Bai von Batavia angespült. Es hielten sich gewöhnlich diese Bimsteinstücken als schwimmende Schollen zu- sammen, und erst allmählich, nachdem die poröse Masse ganz mit Meereswasser gefüllt ist, sinken die Steine unter. Solche Bimstein- fragmente liegen nun in nicht geringer Zahl auch auf dem Boden der Javasee und der Bai von Batavia. Oefters habe ich in den letzten Jahren derartige Brocken gedredscht, und ich zog zuweilen zwei und drei zugleich mit dem Schleppnetze heranf. Auf mehreren derselben hatten sich Korallenkolonien angesiedelt und zwar: Madrepora arbuscula Dana, Porites mucronata Dana, Monti- pora stylosa Ehr. und Montipora lima Lam., welche Stücke in dem hiesigen Museum aufbewahrt sind. Schon im Jahre 1885 fand ich auf diese Weise Madreporen mit Aesten von 7 em Länge und Monti- poren, welche schon Krusten von etwa 1 quadratdecimeter Oberfläche bildeten. Auf noch schwimmenden Bimsteinstücken habe ich jedoch niemals junge Korallen angesiedelt gefunden. Wenn nun derartige Stücke in größerer Anzahl, nicht zu weit von einander entfernt, auf dem Boden liegen, können sie einen ersten Anfang für einen Riff bilden. Einen derartigen allerersten Anfang eines Riffes kenne ich in der Bai von Batavia zwischen den beiden Koralleninseln „Enkhuizen“ und „Leiden“. Die Dredsche wird hier nur sehr wenig und schwach von den kleinen Korallenstücken fest- gehalten. Zum Teil besteht der Boden hier noch aus Schlamm und es kommen mitunter auch die Schlamm bewohnenden Tiere noch vor, wie z. B. Holothuria squamifera Semp., Maretia planulata Gray, Sluiter, Bildung von Korallenriffen. "DAADIDT UORV Weg ap 99197 8 oLOV ‚os UHL TIERE GER 21111412 GERNE 111211911113 RE 11 1) 11.111 1.1.1: 111 RE 1111 Nee nes] EEE EST POCBEEIE EOETTET EN EIFEL TEN POTT ZEN DEREN DOSE BD [ Im 2 TH = Zum ERBE HIN BARNUDR N VIAVZVG TAFATAU 8 676 9 ‘ce a usp197 ad [24 0 Lid uozuapyuge 24 ULOOHER 22 m i @_ b24 BE ON ; UPPURTTUUO wiegt \\ weuVDd gr ENT & > Ei 9F WISPLTEH \\_ LTE mm Dean Nas ” 8 5 5 7 € wepyö 5 = | = iRE 9 R____ mm ______1 DIEBE E! ER re m Inne Im — Im — um Im ‚sy ‚od Sem EN: ] N I) © 142 Sluiter, Bildung von Korallenriffen. Schlamm bewohnende Anneliden ete. Diese Tiere sind aber nur solche, welche auch sonst im. Schlamm unweit der Riffe vorkommen. Diejenigen aber, welche nur in dem ganz weichen Schlamm gefunden werden, wie HaptodactylapunctataSluit., Lovenia subcarinataGray etc. kommen nicht vor. Die Madrepora- und Porites-Arten sind wohl die ersten Ansiedler und die kräftigsten Aufbauer des Riffes! Dann kommen auf diesen jungen Riffen vielfach große Aleyonarien vor, welche zwar nicht direkt zu der Riffbildung beitragen können, aber doch indirekt nicht ohne Einfluss sind, da sie beim Absterben eine Menge Kalkspieula hinterlassen, welche die kleinen Oeffnungen und Spalten in den Steinen ausfüllen können. Außerdem sind diese Aleyo- narien die gewöhnlichen Wohnorte zahlreicher Ophiuren, so wie kleiner Echiniden, Temnopleurus, und kleiner Synaptiden, welche alle in großer Menge auf dem Stiel derselben umherkriechen und auch zu dem Aus- füllen der kleinern Löcher und Spalten das ihrige beitragen können. Von diesem jungen Riffe möchte ich besonders hervor- heben, dass es sich auf dem gewöhnlichen Schlamm- boden und auf der mittlern Tiefe der Umgebung von 10 bis 11 Faden, angesiedelt hat. Ein etwas älteres Riff, obgleich auch noch sehr jung, liegt zwei Seemeilen östlich vom Hafen von Tandjong Priok, die „St. Nicolas Klippe“* und eine halbe Seemeile süd-östlich von diesem liegt noch ein zweites, die „Brunda-Klippe. Oberhalb dieser beiden Riffe steht noch 4!/, und 3!/, Faden Wasser, und da die mittlere Meerestiefe in der unmittelbaren Umgebung 6!/, und 5!/, Faden beträgt, so haben sich diese beiden Riffe schon etwa 2 Faden hoch aufgebaut. Auch auf mehreren andern Stellen der Bai von Batavia kommen derartige kleinere und größere Riffanfänge vor, welche sich auf sehr verschie- dene Höhen über dem Meeresboden erheben, deren Durchmesser etwa zwischen 20 und 200 Meter schwankt. Die Fauna wird nun reicher und reicher und allmählich tritt die Tierwelt auf, welche gewöhnlich die Riffe bevölkert. Ich erwähne hierzu noch, dass einige große Aleyonarien, namentlich ein paar Xenia-Arten, besonders häufig auf allen diesen jungen Riffen gefunden werden. So lange die Riffe auch bei tiefster Ebbe, wenn auch nur 1 Fuß tief, noch unter Wasser bleiben, sind in der Mitte des Riffes die Korallen noch lebendig. In diesem Zustande befinden sich für den Augenblick in der Bai von Batavia die beiden Riffe „Neerstuk“ oder „Djambatan“ und die „Neptunus-Klippe“. Erst dann fängt endlich der mittlere Teil des Riffes an abzusterben, und häufen sich dort der Korallensand, die Korallenbruchstücke, Muschelschalen ete. an, was unterstützt durch die langsame Hebung der Nord-Küste Javas, zum ersten Anfang einer Koralleninsel führt. Dieses Stadium findet man z. B. bei dem Riffe „Vader Smit“, das schon für einen ganz kleinen Teil bei eintretender Ebbe trocken gelegt wird. Nachdem jetzt dieser Sluiter, Bildung von Korallenriffen. 7143 erste Anfang einer Insel gebildet ist, fangen die von Murray hervor- gehobenen Einflüsse an zu wirken, wodurch die auch bei den Inseln in der Javasee allgemein verbreiteten Barriereriffe entstehen. Ich möchte hierzu noch bemerken, dass ich bei den hiesigen Riffen, welche bei tiefster Ebbe noch etwa einen Fuß tief unter Wasser bleiben, nicht ganz die Vorstellung Murray’s bestätigt gefunden habe, dass nämlich dann schon die Riffe gewöhnlich eine Atollform besitzen, verursacht durch die ungenügende Zufuhr von Nahrung. Die beiden schon oben erwähnten Riffe „Djambattan“ und „Neptunus“, welche jetzt einen Durchmesser haben von 500 und 600 Metern, zeigen keine Atollform, da gegenwärtig noch bis in die Mitte des Riffes die lebendigen Korallen gefunden werden, und das ganze Riff in der Mitte, hoch aber am Rande niedriger ist. Das Emporwachsen des Riffes hat also stärker in der Mitte als am Rande stattgefunden. Der Unterschied der Zufuhr von Nahrung am Rande und in der Mitte ist hier also nicht von so großem Einfluss gewesen, dass die Korallen in der Mitte des Riffes wegen Nahrungs- mangel absterben mussten. Die von Murray erwähnten kleinen Atolle von 3 bis 50 Fuß Diameter, wie solche bei den Bermudas vor- kommen, und welche dadurch entstanden sind, dass das Meerwasser den mittlern Teil des Riffes aufgelöst hat, indem nur wenig neue Korallen hinzugewachsen sind, kommen hier in der Javasee nicht vor. Ueberall wo ich die jungen, niemals trocken gelegten Riffe hier kenne, kommt der mittlere Teil des Riffes zuerst ganz nahe an die Ober- fläche bis zu etwa 1 Fuß, um erst dann abzusterben, und durch An- häufung von Sand, Muschelschalen, Korallenbruchstücken ete., wahr- scheinlich unterstützt durch langsame Hebung des Bodens, den ersten Anfang einer Koralleninsel zu bilden. Dass, wie von Darwin und Murray hervorgehoben wird, der Rand des Riffes, zu einer Zeit, wo dasselbe noch sogar mehrere Faden unter Wasser liegt, in viel gün- stigerer Lage sein würde als der mittlere Teil, und dadurch zuerst in die Höhe wachsen, und ein Atoll bilden würde, trifft jedenfalls bei den hiesigen Riffen nicht zu. Wahrscheinlich hängt dies wohl mit dem gewöhnlich sehr ruhigen Wasser der Javasee zusammen, wodurch die pelagische Fauna sich gleiehmäßiger über das Riff verteilen kann. Ich fand auch wirklich den Reiehtum an pelagischen Tieren auf der Mitte des Riffes nicht geringer als am Rande. Es ist nun, nach dem oben gesagten wohl nicht zu bezweifeln, dass auch die größern Inseln, sowohl in der Bai von Batavia als in der Javasee, auf die gleiche Weise entstanden sind. Auch sie haben sich ursprünglich auf dem Schlammboden in der mittlern Tiefe der Umgebung von 6—20 Faden angesiedelt. Wenngleich diese Inseln sich nun auch von der mittlern Meerestiefe aus aufgebaut haben, so sind sie doch in dem Laufe der Zeit durch das große Gewicht der weiter wachsenden Korallen allmählich in den mehr oder weniger 144 Siniter, Bildung von Korallenriffen. weichen Schlammboden hineingesunken, sie haben sich, um einen Vergleich mit Hafenbauwerken zu machen, ihr eignes Fundament ge- schaffen! Um über das Einsinken in den Boden Klarheit zu erlangen, wäre es sehr erwünscht durch Bohrungen die Tiefe der Korallenschicht und den Untergrund einiger Koralleninseln kennen zu lernen. Es sind mir aber leider nur sehr wenige derartige Bohrungen bekannt. Im Dezember 1875 und während der ersten Monate von 1876 wurde auf der kleinen Insel „Onrust“ in der Bai von Batavia, wo damals ein Dock für die Kriegsmarine sich befand, eine artesische Bohrung aus- geführt. Das Resultat wurde im „Jaarboek van het Mynwezen in Nederlandsch Oost Indie“, 1877, 2. Teil, p. 190 mitgeteilt. Das für den Augenblick uns interessierende Ergebnis war, dass von oben nach unten bis 10,3 Meter Korallendebris mit Thon gemischt, dann 9,5 Meter Korallen mit Muschelschalen und Thon, und endlich ein nicht sehr fester brauner Thon gefunden wurde. Es wird nicht genau angegeben, ob der Reichtum an Korallendebris allmählich abnimmt, was aber wohl wahrscheinlich ist. Die Gesamtdicke der Korallen- schicht beträgt aber jedenfalls 20 Meter, während in der Umgebung dieser Insel das Meer eine Tiefe von etwa 11 Meter hat. Man würde sich also vorstellen können, dass die ältere abgestorbene Korallen- schicht hier etwa 9 Meter in den weichen Schlammboden hineinge- sunken wäre. Da aber der Boden der Insel etwa 1!/, bis 2 Meter über dem Meeresniveau liegt, welche Aufhöhung durch Hebung und Anhäufung von Korallendebris ete. entstanden ist, so wird das Hinein- sinken auf etwa 7 Meter anzuschlagen sein. Aus dieser Bohrung, so wie aus meinen Dredschungen in der Bai von Batavia geht jedenfalls hervor, dass die Vorstellung, welche sich der Minen -Ingenieur H. A. Mansfeldt!) von der Entstehung der zahlreichen Inseln nördlich von Batavia machte, derzufolge die Korallenriffe sich auf trachytische Durchbrüche durch die jüngern Schichten angesiedelt haben würden, nicht richtig sein kann, da ohne Zweifel die jungen Korallen sich hier unmittelbar auf den Thon- und Schlammboden niedergelassen haben. Obgleich nun bisher leider keine andern auf Koralleninseln an- gestellte Bohrungen bekannt sind, kann ich doch durch die große Freundlichkeit des Haupt-Ingenieurs, Herrn J. W. Yzermann, eine höchst interessante Reihe von Bohrungen durch das Strandriff in der „Brandewynsbaai“ unweit Padang, an der West-Küste Sumatras, mit- teilen, welche einen Einblick in das Verhalten der untern Fläche des Riffes gestatten. Das Riff bildet noch ein Strandriff und erreicht an den brei- testen Stellen, nämlich bei der tiefsten Einbuchtung der Bai eine 1) H. A. Mansfeldt, Geologische gesteltheid der Residentie Batavia. Jaarboek van het Mynwezen in Nederl. Oost-Indie, 1873, 2. Deel, p. 105. > Sluiter, Bildung von Korallenriften. 45 Breite von ungefähr 300 Metern. Etwas von der Küste entfernt, liegt das vom Strandriffe gesonderte Riff „Pasir ketjil“, welches schon für einen ganz kleinen Teil trocken gelegt wird. Die Tiefe der Bai schwankt zwischen etwa 7!/, und 8!/, Metern, der Boden besteht größtenteils aus Schlamm mit zahlreichen Schalen von Operculina complanata. An der Küste liegt ein Saum von etwa 100 Metern Breite, welcher aus abgestürztem vulkanischen Material besteht und an den vulkanischen Andesitfelsen grenzt, welcher ziemlich steil emporsteigt. Da über dieses Riff hinüber ein Hafendamm aufgebaut werden sollte, war es notwendig über den Untergrund des Riffes Sicherheit zu erlangen. Nach den gewöhnlichen Darstellungen hatte man ge- hofft und gemeint, dass die Korallen direkt auf den Andesitfelsen aufgebaut wären, so dass man nur die Abfallslinie des Berges nach unten zu verlängern hätte, um die untere Grenze des Riffes zu finden. Durch die 15 Bohrungen, welche zur Untersuchung des Bodens ge- macht wurden, stellte sich aber heraus, dass man sich sehr getäuscht hatte. Auf dem beigegebenen Profil (S. 747) sind die Resultate der Boh- rungen eingetragen. Um die Karte nicht zu groß zu machen und um doch der Deutlichkeit und Uebersichtlichkeit keinen Eintracht zu thun, habe ich den Maßstab der Abstände auf 1:2000, den der Höhe auf 1:400 eingezeichnet. Die gleichartigen Schichten, welche bei den verschiedenen Bohrungen erhalten wurden, habe ich dureh Linien mit einander vereinigt, mittels verschiedener Zeichnung die verschiedenen Schichten angegeben und auf diese Weise ein verhältnismäßig genaues ideelles Bild eines Querschnittes durch das Riff der Branntwein-Bai erhalten. Der Abfall des Andesitfelsen ist ziemlich steil. Etwa 90 Meter vom Strande entfernt kommt der Andesit in einer Höhe von 9 Metern über dem Padang-Niveau an die Oberfläche. Die Bohrung Nr. 1, welche etwa 30 Meter von dieser Stelle entfernt ist, gab zuerst eine 6 Meter dicke Schicht von dunklem grauen Thon und Steinen, dann 2!/, Meter stark, gelben Thon mit Steinen und dann wieder den Andesitfelsen, welcher hier 3!/, Meter unter dem Padang-Niveau liegt. Der Abfall des Berges ist hier also 12!/, Meter auf 30 Meter. Bei den Bohrungen Nr. 2 und 3 wurde der Andesitfelsen auf einer Tiefe von 5 und 6 Meter unter dem Padang-Niveau gefunden, so dass auf die 30 Meter lange Strecke zwischen Nr. 1 und 3 ein Abfall ge- funden wird von nur 6—3!/, — 2!/, Metern. Bei der Bohrung Nr. 4, am Rande des Strandes, 25 Meter von Nr. 3 entfernt wurde auf einer Tiefe von 16 Metern noch kein Andesitfelsen gefunden, was also wenigstens einen Abfall von 16—6 — 10 Meter auf 25 Metern ent- spricht. Bei keiner der folgenden Bohrungen ist Andesit oder ein anderes vulkanisches Gestein gefunden. Ueberall bestand der Boden 746 Sluiter, Bildung von Korallenriffen. unter dem Riffe aus Schlamm mit verschiedenen Beimischungen. Das erste Resultat, das unmittelbar aus den Bohrungen hervorgeht, ist also, dass das Riff sich nicht auf den Andesitfelsen aufgebaut hat, sondern direkt auf den Schlamm- oder Thonboden. Das ganze ungefähr 300 Meter breite Riff ist verhältnismäßig dünn. An dem äußersten Rande, zwischen Bohrung Nr. 12 und 13 ist es nicht, wie es nach der Vorstellung Darwin’s und anderer zu erwarten sein sollte, am dicksten, sondern sogar bei weitem am dünnsten. Das allgemeine Resultat aller Bohrungen ist, dass zuerst an der Oberfläche immer ausschließlich größere und kleinere Korallen- stücke gefunden wurden, fast ganz ohne jegliche Beimischung von Schlamm oder Sand. Diese Korallenschicht hat die größte Mächtig- keit bei Bohrung Nr. 8, etwa 130 Meter vom Strande entfernt, wo sie fast 11 Meter dick ist. Sowohl nach dem Meere als nach dem Strande zu, wird sie allmählich dünner, um nur noch bei Nr. 5 bis zu einer Dicke von fast 7 Metern anzuwachsen. Am äußersten Rande, 300 Meter vom Strande, hört das Riff, wie gewöhnlich, plötzlich auf, fast senkrecht. Am Strande sind bei Bohrung Nr. 4 die letzten un- gemischten Korallen gefunden. Auf diese Schicht von Korallen ohne Beimischung folgt eine Schicht von Schlamm oder Thon mit mehr oder weniger reicher Beimischung von Korallenstücken. Die Dicke dieser Schicht variiert. Sie ist bei den Bohrungen Nr. 5, 6 und 9 am dicksten, wo sie 6—7 Meter beträgt, bei Nr. 4, 7, 8 und 12 am dünnsten, und zwar 2 bis 2'/, Meter. Unter dieser Schieht liegt zuletzt der mit ver- schiedenen Beimengungen gemischte Schlamm, welchen wir uns etwas genauer anzusehen haben. | Bei Bohrung Nr. 4 lag unter der Schicht „Korallen mit Schlamm oder Thon“ eine ziemlich feste Schicht grauer Thon mit Sand ge- mischt. Bei Nr. 5 und 6 wurde unter dieser zweiten gemischten Korallenschicht weicher grauer Thon gefunden, bei Nr. 7 fester grauer Thon, bei Nr. 8 zuerst Schlamm mit viel, darunter mit wenig Korallen- sand, bei Nr. 9 sehr weicher Thon oder Schlamm, bei Nr. 10 wieder Schlamm mit Sand, bei Nr. 11 Schlamm mit Schalen von Opereulina complanata, bei Nr. 12 endlich wieder Schlamm mit Sand. — Herr R. D. M. Verbeek der bekannte Beschreiber der Krakatau-Eruption, war so freundlich den Schlamm, welcher den Korallen als Unterlage dient, zu untersuchen. Es ergab sich, dass dieser Schlamm aus äußerst fein verteiltem und zum Teil verwittertem Gries der Andesitfelsen besteht, welche die Küste bilden, gemischt mit Schalen von Foramini- feren. Jüngerer Bimsteinsand scheint sehr wenig in dem Schlamm vorzukommen. Der Sand zwischen dem Schlamm besteht größten- teils aus Feldspath von Andesit. Wahrscheinlich ist also die „Brande- wynsbaai“ ein während der Tertiärzeit eingestürzter Krater. Der Meeresboden ist zuerst von dem vulkanischen Schutt bedeckt worden, 47 iffen. Sluiter, Bildung von Korallenr 3IEDLRITRLON 00:5 PONE FPMRAL UASaLIM m wuS LM SEE) -UrprIog pa unuampS: po 2] 0005: Prem Togo, uauopps pun ung u EEE az ze won) 279 BEE „IVVISNFIMIA Nv4g” ru omaubargung a Pr ÄUETOE OP ug mp ELLINHISUAND = 6% u] aumıb sol yapunzg SE unnag gmu og smibsoppeug Ei "POTLOTTULOH AUISSOL) || ad Kane, m (48 Sluiter, Bildung von Korallenriffen. und nachher haben sich Foraminiferen mit diesem vulkanischen Schlamm gemischt. Obgleich kein Tiefseeniederschlag, stimmt dieser Schlamm doch überein mit dem von Murray und Benard!) als „Volcanie Muds and Sands“ bezeichneten Bodensatz. Bei der Betrachtung des Profils fällt es nun sofort auf, dass dort wo weicher Schlamm unter den Korallen liegt, wie bei den Bohrungen Nr. 5, 6 und 9, die Schicht der „Korallen mit Schlamm“ verhältnis- mäßig sehr dick ist, nämlich 6—7 Meter, dort hingegen wo der Schlamm mit Sand gemischt ist, wie bei den Bohrungen Nr.4, 8, 10, 11 u. 12, oder dort wo die Unterlage einen festen Thon darstellt, wie bei Nr. 7, die Schieht „Korallen mit Sand oder Schlamm“ nur dünn ist, 2 bis 21/, Meter. Es liegt nun weiter auf der Hand, dass die Grenze zwischen der Schicht reiner Korallen und der mit Schlamm gemischten Korallenschicht, ungefähr den ursprünglichen Meeresboden darstellt. Die zuerst auf dem vulkanischen Schutt sich aufbauenden Korallen, sind aber durch das Gewicht des weiter wachsenden Riffes tiefer und tiefer in den Meeresboden hineingedrängt, und zwar in den weichen Schlamm fast dreimal tiefer als in den festen Thon oder in die Mischung von Thon mit Sand. Man könnte sich zwar auch vorstellen, dass die untere Grenze der mit Schlamm gemischten Korallen den ursprünglichen Meeres- boden darstelle, und nachher der Schlamm sich zwischen den Korallen- ästen niedergeschlagen hätte. Es wäre dann aber nicht einzusehen, weshalb nur während der ersten Zeit dieser Schlamm sich mit den Korallen gemischt hätte, indem nachher gar kein Niederschlag von Schlamm mehr zwischen den Korallen gefunden wird! Auch bliebe dann die ungleiche Dicke dieser Schicht unverständlich, während sie sich auf die von mir vorgeschlagene Weise ganz ungezwungen er- klären lässt. Es gleicht das ganze Verhalten etwa demjenigen, welches bei dem Bauen eines Dammes auf weichem Boden vorkommt, wo auch zuerst ein ziemlich großer Teil der eingestürzten Materialien (Steine und Korallen) mehr oder weniger tief in den weichen Boden hineinsinken und eine feste Fundierung darstellen. Auch das Korallen- riff hat sich seine eigne Fundierung in dem Schlammboden ge- schaffen. Bei der Betrachtung des Profils fällt noch unmittelbar auf, dass die größern, massiveren Korallenblöcke mehr an der Oberfläche liegen, dass das losere Material aber, die Madreporen- und Porites- Aeste, die unterste, also die ältere Schicht bilden. Die letztern sind also auch hier die ersten Ansiedler gewesen. Zum Schluss kann ich über die ersten Anfänge derartiger Küsten- riffe noch einige Beobachtungen mitteilen, wodureh sich auch der 1) S. Murray and A. Benard, Nomenclature, Origin and Destribution of Deep Sea Deposits. Proc. Roy. Society of Edinburgh, Vol. XII, 1884, p. 509. Siuiter, Bildung von Korallenriffen. 749 Zustand des Riffes am Rande des Strandes bei den Bohrungen Nr. 3 und 4 erklärt. Durch die große Freundlichkeit des Hauptinspektors der Leucht- türme im Indischen Archipel, Herr J. S. von Drooge war es mir und Dr. M. Treub zweimal möglich, für ein paar Tage die in jeder Hinsicht so äußerst interessante Insel „Krakatau“ in der Sundastraße zu besuchen, und zwar im November 1888 und im Juli 1889. Unter den zahlreichen wichtigen Naturerscheinungen, welche sich auf dieser seit dem Ausbruch im August 1883 so berüchtigten Insel dem Natur- forscher darbieten, war es mir auch von besonders großem Wert, die erste Ansiedlung der Korallen am Strande zu studieren. Schon vor dem Ausbruche hatte ich die Insel im Jahre 1880 be- sucht und an verschiedenen Stellen schöne, wenn auch ziemlich schmale Küstenriffe gefunden. Von allen diesen ist selbstverständlich nach der Katastrophe von 1883 nichts übrig geblieben. An der Nordseite ist die größte Hälfte der Insel eingestürzt, und ist dort also ohne Zweifel eine neue Küstenlinie entstanden. Auf allen übrigen Seiten der Insel ist aber eine solehe Menge Bimstein herabgefallen, dass auch dort überall eine neue Grenze der Insel gebildet wurde. Die frühern Küstenriffe sind also zerstört worden und mit einer wenigstens 20 Meter dieken Schicht von Bimstein bedeckt. Auch der ganze Meeresboden ist mit einer Schicht von 10 bis 20 und mehr Meter von Bimstein, vulkanischer Asche oder Bimsteinsand be- deckt, so dass auch auf dem Meeresboden von dem ursprünglichen Leben nichts übrig geblieben sein kann). Da ich über die neue Meeresfauna von Krakatau in kurzer Zeit einiges mitzuteilen gedenke, so will ich hier nur die neuen Ansiedlungen von Korallen besprechen. Bekanntlich liegt an der Nordseite der Insel die fast senkrechte Wand, welche einen Querschnitt durch den höchsten Berg „Rakata“ darstellt. Der östliche Ausläufer dieser Wand, von Herrn Dr. R.D.M. Verbeek als „Schwarze Klippe“ bezeichnet, bildet zugleich die östliche Grenze einer kleinen Bai, welche sich an der Nordostseite der Insel befindet. In dieser kleinen Bai, welche eine Oeffnung von ungefähr 2000 Meter hat, habe ich die ersten Anfänge eines zukünftigen Riffes gefunden. Die Tiefe der Bai variiert von 4 bis 15 Faden und der Boden ist ganz mit vulkanischer Asche oder Bimsteinsand und größern und kleinern Bimsteinstücken bedeckt. Als ich im November 1888 zum ersten Mal Krakatau wieder besuchte, fand ich an der Westseite der oben erwähnten „Schwarzen Klippe“ auf den abgestürzten Basalt- steinen einen Saum von Korallen, welcher schon ein Meter breit war. In der Hauptsache war dieser Anfang des Strandriffes aus Madrepora nobilis Dana aufgebaut, deren Aeste schon eine Länge von 2 bis 2!/, Decimeter erreicht hatten. Außerdem kamen einzelne Aeste von 1) Vergl. R. D. M. Verbeek, „Krakatau“. Batavia 1885. p. 118 u. fg. 50 Sluiter, Bildung von Korallenriffen. Porites mucronata Dana und Favia affinis M. Edw. Es waren nicht vereinzelt stehende Aestchen, sondern die Korallen bildeten schon einen zusammenhängenden Saum, welcher schon dem Meere die eigen- tümliche hellgrüne Farbe oberhalb des Riffes erteilt. Die Dieke des Saumes kann man im Mittel auf etwa 2 Deeimeter anschlagen. Das Alter dieses jungen Riffes beträgt selbstverständlich höchstens fünf Jahre. In der Bai selbst fand ich schon eine ziemlich reiche neue Fauna, welche ich demnächst genauer zu beschreiben gedenke, aber die größern Bimsteinstücke waren damals (November 1888) noch sehr arm an Tieren. Nur ganz vereinzelt fand ich ganz kleine Kolonien von Montiporen von höchstens einem Quadrateentimeter Umfang. Auch Spongien, Seefedern, Würmer fanden sich nur erst ganz vereinzelt und dann nur in winzig kleinen Exemplaren, da die Steine auch noch fast gar nicht mit Algen bewachsen waren. Wahrscheinlich waren diese Bimsteinstücke erst vor kurzer Zeit hinunter gesunken. Durch das Schlagen der Wellen wurden noch fortwährend größere Mengen von Asche und Bimstein am Strande abgeschlagen, die zum Teil schon in der Bai sanken, wodurch die ältern Stücke wieder bedeckt wurden, und die eventuell auf den ersten angesiedelten Tiere wieder abstarben. Während meines zweiten Besuches im Juni 1889 fand ich den Zustand in der Bai einigermaßen geändert. Das junge Riff an der Westseite der „Schwarzen Klippe“ war nicht nur nicht weiter gewachsen, son- dern war sogar zum größten Teil dadurch zerstört, dass von der fast senkrechten Wand des Basaltfelsens ziemlich viel Steine herabgefallen waren und das Riff zum Teil bedeckt hatten. Auch nach dem Meere zu hatte das Riff sich nicht weiter ausgebaut, und war jedenfalls nicht direkt von dem felsigen Untergrund auf den mit vulkanischer Asche und vulkanischem Schutt bedeekten Boden der Bai vorgerückt. Anderseits aber fand ich bei dem Dredschen in der Bai, dass fast alle größern Bimsteinstücke, welche die Dredsche heraufbrachte, schon reichlich mit Korallen bewachsen waren. Größere, bis 2 Deei- meter lange Aeste von Madrepora nobilis Dana, Madrepora arbus- cula Dana und bis 1 Decimeter lange Aeste von Poritis mucronata Dana waren schon ganz gemein. Reichlich verästelte Bäumehen von Seriatopora elegans M. Edw. bildeten schon ganze Korallenwäldehen. Die Montipora stylosa Ehr. hatte schon zahlreiche größere Bimstein- stücke mit einer 3 mm dieken Kruste umgeben, auf einer Ober- fläche von mehrern Quadratdeeimeter. Auch die Lophoseris Pavonia, L. explanulata Lom. bildete schon vielfach halbmondförmige 2 bis 3 mm dicke Platten von 1 Quadratdeeimeter Oberfläche, welche an den größern Bimsteinstücken hingen. Alle diese Korallen gehören zu den reichlich verästelten Arten, welehe nach dem Absterben leicht zerstückeln und die eigentümlichen aus kleinen Korallendebris be- stehenden Schichten bilden. Die massivern Arten kamen noch so gut wie gar nicht vor, nur ganz kleine Stücken von Favia affinis Siniter, Bildung von Korallenriffen. 51 M. Edw. fand ich zuweilen. Auch Fungia, Astrea ete. fehlten noch ganz. Uebrigens waren die Bimsteinstücke mit den Kalkgehäusen von Serpuliden bewachsen und von ihnen durchbohrt, oder verschie- dene Muschelschalen waren an denselben festgewachsen, so dass öfters hierdurch zusammen mit der Korallenkruste, von dem Bimstein- kern nicht mehr zu entdecken war. Da nun in der ganzen Bai sich diese erste Korallenansiedlung ziemlich gleichartig verhielt, so ist es wahrscheinlich, dass das zu- künftige Riff sich nicht, vom Strande her beginnend, ausbauen, son- dern allmählich emporwachsen wird, und die ganze Bai sich ungefähr gleichzeitig mit dem Riffe füllen wird. Nachdem das Rift der Ober- fläche ziemlich nahe gerückt ist, werden die Murray’schen Einflüsse zu wirken anfangen, und allmählich ein Barriere-Riff, das nach dem Meere zu weiterwächst zu stande bringen. Nach einiger Zeit erst werden sich auch die massivern Korallenarten auf den Debris der losern Arten ansiedeln — und das typische Riff ist fertig. Kehren wir jetzt noch einmal nach der „Brandewynsbaai“ zurück, so finden wir eine sehr große Uebereinstimmung mit den eben be- schriebenen Verhältnissen bei Krakatau. Auch dort haben sich wahr- scheinlich die ersten jungen losen Korallen auf den Andesitfelsen an- gesiedelt, aber auch dort ist durch den Absturz der Felsen das Riff wieder zum Teil zerstört, so dass man bei Bohrung Nr. 3 die abge- storbenen Korallendebris mit Andesitfelsen gemischt findet. Nachher scheint auch in der „Brandewynsbaai“ die ganze Breite des jetzigen Riffes so ziemlich gleichzeitig entstanden zu sein und sich zwar wie bei Krakatan zuerst nur aus loserem Material aufgebaut zu haben. Bei den Bohrungen Nr. 4-8 wurden ja an der Oberfläche bis zu 4—8 Metern feste schwere Korallenstücke gefunden, und darunter kleinere und zerstückelte Aeste. Nur bei Nr. 9 und 10 kam auch oberhalb der größern Stücke noch eine dünne Schicht von kleinern Aesten vor. In den übrigen Teilen des Indischen Archipels scheinen sich diese beiden Arten von Korallenbildungen öfters zu wiederholen. Nach derselben Art wie die Inseln in der Bai von Batavia scheinen mir alle Inseln in dem nordwestlichen Teil der Javasee entstanden zu sein. Meine eigne Erfahrung erstreckt sich nur noch auf den süd- lichen Teil der „Tausend Inseln“. Aber auch der nördliche Teil zeigt, nach den ausführlichen Seekarten zu urteilen, genau dieselben Ver- hältnisse. Ohne Zweifel haben sich auch hier die Korallen auf den Schlammboden niedergelassen, und zwar wieder in einer Tiefe von 16—20 Faden. In dem südlichen Teil finden sich aber schon mehrere ältere Riffe, welche bereits die Atollform angenommen haben. Auch die größern Inselgruppen: die „Agnieten-Inseln“ und die „Hoorn- Inseln“, so wie die Insel „Groote Kombuis“ oder „Pulu Lantjang“ sind schon beträchtlich ältere Riffe, welche sehr deutliche Atolls 752 Sluiter, Bildung von Korallenriffen. bilden. Es ist allerdings bei den „Agnieten“- und „Hoorn“-Inseln nicht unmöglich, dass dort ein anderer Zustand besteht, wegen der ziemlich plötzlichen tiefen Senkung des Meeresbodens bis zu 50 Faden. Vielleicht kommt hier ein unterseeischer Kraterrand vor, auf welchen die Korallen sich angesiedelt haben. Leider weiß ich über den Unter- grund dieser Inseln nichts mitzuteilen. Bei den „Kariman - Djawa“- Inseln und bei der Insel „Bawean“ scheinen die Korallenriffe, so viel nach den neuern Seekarten zu urteilen ist, mehr direkt, wie bei dem ersten Riffe bei der „Schwarzen Klippe“ bei Krakatau, auf den vulka- nischen abgestürzten Steinen aufgebaut zu sein. Wenigstens gilt dies für die Bai von „Sangkapura“ an der Südseite der Insel, wo mehrere sroße Steine in der Bai liegen, von welchen aus die Rifie weiter ge- wachsen sind. Zum Teil aber sind sie auch, wie bei der „Brandewyns baai“ direkt auf dem vulkanischnn Schlammboden entstanden. In der Sundastraße kommt bei der Insel „Dwars in den Weg“ ein ganz kleines Riff in der Bai an der Südwestseite der Insel vor, wo die Korallen sich unmittelbar auf den im Meere liegenden vulka- nischen Steinen niedergelassen haben. Sonst trifft man noch an der Westseite von „Prinsen Eiland“ ein nicht unbeträchtliches Strandriff an, sowie an der Westseite der Insel „Sebuku“. Schließlich möchte ich Resultate der oben mitgeteilten Beobach- tungen noch kurz zusammenfassen: 1) Die hemmende Wirkung des Flusswassers auf die Bildung von Korallenriffen tritt bei der Verbreitung der Koralleninseln und Riffe in der Bai von Batavia deutlich hervor. 2) Auf Schlammboden können sich, ganz frei vom Strande, die allerersten Anfänge von Riffen und Koralleninseln dadurch bilden, dass die jungen Korallen, und zwar die loseren Arten, sich auf zufällig dort hingekommenen oder gesunkenen Steinen, Muschelschalen und namentlich Bimsteinstücken ansiedeln. 3) Durch das Weiterwachsen dieser jungen Korallenstöckchen werden die Steine allmählich mehr und mehr beschwert, wo- durch dieselben in den Schlamm hineinsinken. Hierdurch wird im Laufe der Jahre in dem weichen Schlamm eine Fundierung geschaffen, auf welcher das nachherige Riff ruht. Bei einer Meerestiefe von etwa 8 Metern ist ein Riff, das bis an die Meeresoberfläche herangewachsen ist, bis etwa 7 Meter in den Schlamm hineingesunken. Das Riff macht sich also eine eigne Fundierung. 4) Die Riffe in der Javasee legen sich gleich von Anfang an in ziemlich großen Flächen an, nämlich von circa 500 Metern Durehmesser, von der mittlern Meerestiefe gleichmäßig bis nahe an das Wasserniveau emporwachsend, ohne die Atolltorm anzunehmen. Erst nachdem sich das Riff der Oberfläche bis weniger als 1 Fuß genähert hat, fangen die von Murray her- Klebs, Nachtrag zur Physiologie der Fortpflanzung. 133 vorgehobenen Einflüsse an zu wirken, und es werden in den meisten Fällen Koralleninseln mit Barriere-Riffen, zuweilen, aber selten, Atolle gebildet. 5) Barriere-Riffe in der Nähe vom felsigen Strande, brauchen sich nicht vom Strande aus gebildet zu haben, indem sie sich hier zuerst ansiedelten, sondern können öfters in größerer horizon- taler Ausdehnung gleichzeitig vom Boden einer Bai aus sich aufbauen, um nachher zu einem Barriere - Riffe zu werden (Krakatau, Branntweinbai, Bawean). 6) Die Dicke der Barriere-Riffe kann durchgehends ziemlich gleich- mäßig oder sogar am äußersten Rande beträchtlich dünner sein als am Strande. Jedenfalls ist die Dieke des Riffes am Rande nicht zu finden durch Verlängerung des Abhanges der Felsen- wand nach unten zu. Die Tiefe der Einsenkung der zuerst angesiedelten und nach- her abgestorbenen Korallen in den Meeresboden ist abhängig von der Beschaffenheit des letzteren. Auf weichem Schlamme besitzt eine etwa 9 Meter dieke Schicht Korallen eine in den Schlamm eingesenkte Fundierung von 7 Metern Dicke. Auf festem Thon sinkt eine 7 Meter dieke Schicht von Korallen nur 2 Meter tief ein. In reichlich mit Sand gemischtem Schlamme weist eine Schicht von 10!/, Meter Korallen eine Fundierung von nur 2 Metern auf. 8) Bei der Bildung neuer Riffe auf sehlammigen und vulkanischen Meeresboden, siedeln sich zuerst die loseren Arten Madrepora, Porites ete. an, und erst nachher bauen die massivern Arten Astraca ete. auf den erstern weiter. — —] Nachtrag zu dem Aufsatz: Zur Physiologie der Fortpflanzung. In dem kleinen Artikel, welcher in dieser Zeitschrift, Bd. IX, Nr. 20—21 erschienen ist, teilte ich mit, dass bei dem Wassernetz (Hydrodietyon) die äußeren Bedingungen darüber entscheiden, ob die ungeschlechtliche oder geschlechtliche Fortpflanzung eintritt. Die Kenntnis dieser Bedingungen gestattet willkürlich die Alge zu der einen oder der andern Art der Fortpflanzung zu zwingen. Indess hob ich hervor, dass die Versuche noch nicht nach allen Beziehungen beweiskräftig waren, insofern nämlich die Gametenbildung nicht unter allen Umständen hervorzurufen war. Die Ausnahmen bestanden darin, dass die Netze, welche Gameten bilden sollten, entweder in- different blieben oder aber Zoosporen bildeten; das letztere geschah stets, wenn die Netze vorher in Nährsalzlösungen kultiviert worden waren. Indifferente Netze resp. Zellen derselben sind meistens nicht recht lebenskräftig und müssen, um es wieder zu werden, in Nähr- salzlösungen für einige Zeit gebracht werden, wodurch sie natürlich IX. 48 7154 Klebs, Nachtrag zur Physiologie der Fortpflanzung. auch lebhafte Neigung zur Zoosporenbildung gewinnen. Von wesent- liehster Bedeutung für meine Aufgabe war es daher, solche Netze trotz ihrer entgegengesetzten Neigung mit Hilfe äußerer Bedingungen zur geschlechtlichen Fortpflanzung zu veranlassen. Sehr lange waren alle Versuche vergeblich, oder die Resultate traten nicht mit derjenigen Sicherheit ein, wie sie von einem Experi- ment zu verlangen ist. Schließlich ist es mir doch noch gelungen: Einen kurzen Bericht darüber möchte ich als Ergänzung meiner früheren Mitteilung beifügen. Ueber die Ursachen der Gametenbildung habe ich mich früher sehr vorsichtig ausgedrückt. Ich möchte mich bestimmter jetzt dalıin aussprechen, dass eine der wesentlichen Ursachen in einer gewissen Anhäufung organischer Substanz liege. Die gametenerregende Wirkung der Zuckerlösung besteht höchst wahrscheinlich darin, dass der Zucker in die Zellen eintritt und zur Vermehrung der organischen Substanz benutzt. wird. Wenn Netze mit lebhafter Neigung zur Zoosporen- bildung in Zuckerlösung gebracht werden, so erfolgt dieselbe bei sonst günstigen Bedingungen besonders bei Licht und Wärme sehr rasch und allgemein. Sind dagegen die Bedingungen nicht günstig, so findet die Zoosporenbildung spärlich statt und bei längerer Dauer des Versuches treten ab und zu Gameten auf, indem die allmähliche Anhäufung der organischen Nahrung die Neigung zur Gametenbildung erweckt. Es lag nahe, den Versuch so anzustellen, dass man von vornherein die Zoosporenbildung unterdrückt dadurch, dass man die Zuckerkultur ins Dunkle oder in niedere Temperatur (unter 8° C) bringt. Indess hatten diese Versuche keinen rechten Erfolg, haupt- sächlich weil auch für die Ansammlung organischer Substanz eine gewisse Menge von Licht und Wärme erforderlich ist. Die Versuche gelangen vollständig, als die Zuckerkulturen bei einer Temperatur von 10—12° C an ein mäßig helles, von direkter Sonne nie ge- troffenes Fenster gestellt wurden. Unter diesen Umständen kann die Zoosporerbildung nur ganz vereinzelt oder gar nicht eintreten, während anderseits allmählich eine Zunahme der organischen Nahrung in den Zellen vor sich geht, welche mehr und mehr die Prozesse einleitet, die notwendig zur Gametenbildung führen müssen. Wenn man nach 10—14 Tagen die Kulturen in einen Thermostat bringt, dessen Temperatur eirca 26—28°C beträgt, so erfolgt nach wenigen Tagen, oft schon nach 24 Stunden, die lebhafteste Gametenbildung. Unter mancherlei Modifikationen, auf die hier nicht einzugehen ist, ist der Versuch ausgeführt worden, stets mit demselben Erfolg. Es ist un- zweifelhaft, dass Netze mit lebhafter Neigung zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch kombinierte Wirkungen von Licht, Dunkelheit, Wärme, Kälte zur geschlechtlichen Fortpflanzung gezwungen werden können. Dieses Ergebnis in Verbindung mit den früher mitgeteilten That- sachen, dass alle Netze zur Zoosporenbildung veranlasst werden v. Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Anthozoen. 'Ka}) können, auch solehe mit lebhafter Neigung zur Gametenbildung, be- rechtigen zu dem Satz, dass das Wassernetz zu jeder Zeit nach Be- lieben des Experimentators entweder zur geschlechtlichen oder unge- schleehtlichen Fortpflanzung genötigt werden kann, ja dass an ein und demselben Netz zu gleicher Zeit der eine Teil der Zellen zu der einen, der andere Teil zu der andern Form der Fortpflanzung ge- bracht werden kann. Wenn man eine ausgewachsene Zelle des Hydro- dictyon mit ihren neben einander befindlichen und gleichwertigen An- lagen für geschlechtliche und ungeschlechtliche Fortpflanzung einmal als gegeben annimmt, so verhält sich dieselbe eigentlich wie ein be- liebiger anorganischer Körper, welcher auf Grund seiner speeifischen Eigenschaften mit Hilfe bestimmter äußerer Bedingungen notwendig zu bestimmten Reaktionen zu veranlassen ist. Georg Klebs (Basel). Neuere Arbeiten über Anthozoen. Von R. v. Lendenfeld. Beranecek (Etude sur les corpuseules marginaux des Actinies. Neuchatel 1888) untersuchte die sogenannten Rötteken’schen Augen der Actinien. Inbetreff der physiologischen Deutung dieser Anschwel- Jungen am Rande der Mundscheibe stehen sich die Anschauungen von Hertwig und Korotneff gegenüber. Gebrüder Hertwig be- trachten diese Organe als Nesselwarzen, Korotneft nimmt sie als Sinnesorgane in Anspruch. Um diese Frage zu entscheiden, unter- suchte Beraneck die Marginalwarzen von Actinia equina, bei welcher gewöhnlichen Art sie sehr wohl entwickelt sind. Beraneek kommt zu dem Schlusse, dass Gebrüder Hertwig Recht haben. Die fraglichen Körper stimmen im Bau mit der Ten- takelspitze überein: sie enthalten sehr zahlreiche Nesselzellen neben Stütz- und Sinneszellen. Spezifische Sinnesorgane sind sie nicht, wohl aber könnte man sie als Tastapparate in Anspruch nehmen, denn der Nervenplexus ist im Subepithel dieser Organe sehr wohl ent- wickelt. Am Schluss bemerkt Beraneck: „Ce röle sensoriel est sans aucun doute seeondaire est subordonne & celui d’organes offen- sifs que jouent prineipalement les chromatophores des Actinies“. Haddon (On two Species of Actiniae from the Mergui Archi- pelago ete. Journal of the Linnean Society of London |Zoology|. Vol. 21) beschreibt zwei neue Actinien, von denen die eine als Reprä- sentant einer neuen Gattung Myriactis angesehen wird. Diese See- rose lebt in weichem Schlamm und wird t/, Meter lang. Sie erzeugt eine Röhre wie Cerianthus. Die Röhre enthält sehr zahlreiche, scharf geladene Nesselkapseln. Myriactis gehört zu den Hexactiniae (im Sinne Hertwig’s), stimmt aber im Bau nicht mit irgend einer der von Hertwig aufgestellten 48 * 756 v. Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Anthozoen, Familien dieser Gruppe überein, so dass ihre systematische Stellung vorläufig noch zweifelhaft bleiben muss. Haddon (A Revision of the British Actiniae. Part. I. Seientifie Transaetions of the Royal Dublin Society, vol. 4, ser. 2, Juni 1889) bemüht sich die neuerlich von Hertwig und andern gewonnenen Resultate auf die Seerosen der englischen Küsten anzuwenden. Die Arbeit, welche mit 7 Tafeln ausgestattet ist, beschäftigt sich zwar in erster Linie mit Systematik, da aber die neuere Syste- matik der Actinien auf ihrer Anatomie beruht, so sind doch auch viele anatomische Angaben von Interesse darin enthalten. Für die richtige Bestimmung der in dem Werke behandelten Arten wird das- selbe vom größten Nutzen sein. Doch können wir uns hier nicht mit diesem Teil der Arbeit beschäftigen. Von allgemeinerem Interesse sind die „General Conelusions“, die Entwickluug der Hexactiniae be- treffend, welche Haddon der Beschreibung der einzelnen Arten an- gehängt hat. Diese sind: 1) In Actinienlarven entstehen zwei Mesenterien, welche vertikal zur längeren Axe des Oesophagus orientiert sind. Durch sie wird der Gastralraum in zwei gegenüberliegende Teile geteilt, welche bei Aectinia eguina, Cereus peduncalatus, Cylista undata, Bunodes verrucosa, Edwardsia lineata (?) und vielleicht auch bei Cerianthus membranaceus ungleich groß sind. 2) Ein Paar von Mesenterien entsteht in der größern der beiden Gastralhäften dieser Formen. 3) Später entsteht ein Mesenterienpaar auch in der kleinern Hälfte. 4) Dann entstehen gleichzeitig zwei Paare, welche eine zeitlang unausgebildet bleiben. Ihre Longitudinalmuskeln stehen jenen der ersten und vierten Mesenterien gegenüber. Hierauf erreichen das fünfte und sechste Paar den Oesophagus und es werden 12 Tentakeln gebildet. Diese sind meist in zwei Cyclen von je 6 angeordnet. 6) Ein Paar kleiner Mesenterien entsteht in jedem Exocoel. Die Muskeln dieser Septenpaare sind einander zugekehrt. 7) Weitere Paare entstehen in ähnlicher Weise in jedem Exocoel. Hertwig’s Familie Sagartidae findet Haddon unhaltbar. Man müsste, wenn man die Diagnose der Familie aufrecht hält, meint er, die Gattung Sagartia aus den Sagartidae ausscheiden. Für die meisten Sagartidae stellt nun Haddon die Subfamilia Chondractiniae auf, deren Diagnose im Wesentlichen mit Hertwig’s Sagartidae - Diagnose übereinstimmt. Wilson (On the Development of Manicina areolata. Journal of Morphology, Bd. 2, Nr. 2, Boston 1888) gibt eine genaue und reich illustrierte Beschreibung — 7 Tafeln — der Entwicklung dieser Koralle. Die Untersuchung wurde in New-Providence (Bahamas) aus- geführt. [nor 1 at. I a Beh zn ln ln m nn LU LU Sri v. Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Anthozoen. 157 Unter den dort häufigen Korallen war zu Anfang März nur die gewöhnliche Maniein«a areolata im Brütestadium. Bis Mitte April war die Bruterzeugung dieser Species eine sehr lebhafte, hierauf nahm sie ab und erreichte im Mai ihr Ende. Manicina areolata kommt bei New-Providence in großer Menge in seichtem Wasser vor und kann zur Ebbezeit ohne Schwierigkeit mit der Hand gepflückt werden. Sie hält sich, wenn man das Wasser hinreichend oft erneuert, im Aquarium. Das gleiche gilt von den Larven. Zur Härtung der Larven wurden Perenyi’s Flüssigkeit und Osmiumsäure verwendet. Die ausgebildeten Tiere wurden in Alkohol absolutus konserviert. Wie bei Maeandrina vergrößert sich auch bei Manicina der Korallenstock durch Knospung und unvollständige Trennung. Die Einzelpolypen bleiben verbunden und liegen in maeandrischen Furchen des Stockskelettes. In der Regel ist die junge Koralle verkehrt, kegelförmig und gestielt. Später wächst sie zu einem polsterförmigen Gebilde aus, an dem der Stiel nicht mehr deutlich ist. Die Basal- fläche des ausgewachsenen Stockes ist meist oval, etwa 7,5 em lang und 5 cm breit. Die Höhe (Dicke) des Polsters ist gleich der Breite der Basalfläche. Die Septen bilden drei Cyclen und jedes Septum besitzt in der Nähe der Columella einen großen, abgerundet lappen- förmigen Fortsatz. Das Tier ist von brauner Farbe und verhüllt das Skelet ganz. Die Schwärmlarven setzen sich an Steinen und dergleichen fest. Der ausgewachsene Stammpolyp besitzt eine Breite von 8 mm. Mit der Knospung beginnt auch die Bildung des Stiels. Sobald dieser eine hinreichende Größe und die ganze Koralle einen Durchmesser von etwa 12 mm erreicht hat, löst sie sich von ihrer Unterlage ab und quartiert sich im Sande ein, in dem sie mit dem Stiele steckt. Die Astroödes-Larven (Lacaze-Duthiers) sind jenen von Mani- cina vollkommen ähnlich nur sind die letztern farblos. Manicina ist hermaphroditisch. Im Aquarium werden Eier und Samen stets gleich abgegeben. Im Freien jedoch bleiben die Larven im Mutterleibe bis sie Cilien erzeugt und sich überhaupt ziemlich weit entwickelt haben. Das Ei enthält außer dem großen Nucleus zahlreiche Bläschen. Die ersten Furchungskugeln sind gleich groß, auch im vierzelligen Stadium sind alle Zellen von gleichen Dimensionen. Später treten Unregelmäßigkeiten ein (vielleicht pathologisch?). Es entsteht eine Blastosphäre mit großer Höhle. Dieselbe ist deutlich bilateral und trägt keine Cilien. Die Zellen sind reich an Vakuolen. Später wer- den die Zellen säulenförmig, der Kern rückt ins distale und die Vakuolen ins proximale Ende der Zellen. Nun tritt Delamination ein, indem sich der Kern teilt und hierauf der vakuolenreiche Teil 758 v. Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Anthozoen. der Zelle sieh abschnürt. Derart sich teilende Zellen findet man in verschiedenen Teilen der Blastosphaere. Diese Entodermbildung geht vielfach mit einer seitlichen Vermehrung der Blastosphaerenzellen — Teilung nach Radialebenen — Hand in Hand und stellenweise beobachtet man tangentiale Treunungs-, Delaminations-Ebenen, welche kontinuierlich durch ganze Gruppen von Zellenpaaren (die aus je einer Blastosphaerenzelle entstanden sind) durchgehen. Die Entoderm- zellen, welche solcherart entstanden sind, füllen schließlich den ganzen innern Hohlraum aus und es entsteht eine solide Planula. Im soliden Entoderm sind Vakuolen und auch „gelbe Zellen“ enthal- ten. Die Zellgrenzen sind nicht zu erkennen und in der That erscheint das ganze Entoderm als ein Plasmodium. Die säulenförmigen Ektoderm- zellen sind deutlich von einander abgegrenzt, aber ihre proximalen Enden gehen ohne sichtbare Grenze in das entodermale Plasma über, welches den Innenraum erfüllt [Ref. möchte hier auf die Aehnlichkeit dieser Larven mit gewissen Spongienembryonen aufmerksam machen]. Gleich nachdem dieses Stadium erreicht ist, macht sich eine Einstülpung an einem Ende des eiförmigen Körpers bemerklich. Jetzt haben sich auch die Cilien an den Ektodermzellen gebildet und die Larve schwärmt aus und schwimmt frei im Wasser umher. (Im Aquarium, unter un- günstigen Verhältnissen also, findet die Geburt früher statt und zwar ohne Rücksicht auf den Entwicklungsgrad der Larven, stets wenige Stunden, nachdem das Muttertier in das Aquarium eingesetzt wurde.) Im Umkreis der, mit ektodermalen Säulenzellen ausgekleideten, kleinen Einstülpung ordnen sich nun die Entodermzellen in Form einer einschichtigen Lage an, welche der innern, jetzt deutlich her- vortretenden Begrenzung des Ektoderms anliegt. Im Innern der Larve entstehen Lücken zwischen den Entodermzellen, welche sieh vergrößern und miteinander zu kommunizieren beginnen. Etwas später tritt zwischen Ektoderm und Entoderm, und zwar zuerst im Umkreis der oesophagealen Einstülpung, die Stützlamelle als eine zarte Membran auf. Am Gipfel der Einstülpung scheidet sich weder eine Entoderm- zellenschicht aus, noch bildet sich eine Stützlamelle. Es entsteht viel- mehr hier eine Oeffnung, indem der Gipfel der Einstülpung von Dotter umflossen und dann aufgelöst wird. Der zentrale Teil des embryo- nalen Entoderms wird ebenfalls aufgelöst und spielt die Rolle eines Nahrungsdotters. Die Stützlamelle wird vom Ektoderm und vom Entoderm gebildet. Später lagert sich, zunächst in den Winkeln, Gallerte ab. In den jungen Larven ist der Unterschied zwischen der primär angelegten Stützlamelle und der sekundär gebildeten, viel weicheren Gallerte, scharf ausgeprägt, später aber ist dieser Unterschied nicht mehr zu erkennen. Die ganze Zwischenschicht wird von Wilson als eine kutikulare Bildung in Anspruch genommen. v. Lendenfeld, Neuere Arbeiten über Anthozoen. 759 Die oesophageale Einstülpung, welche anfangs zentral liegt, wandert später nach einer Seite und zwar schließlich so weit, dass das Entoderm dort ganz verdrängt wird und das Ektoderm des Schlundrohres an jener Stelle nur durch die zarte Stützlamelle von dem Ektoderm der äußern Oberfläche getrennt ist. Der Meridian, in welehem diese Berührung der gegenüberliegenden Ektodermpartien statt hat, ist jener des ersten Mesenteriums. Diesem gegenüber bildet sich das zweite Mesenterium. An diesen zwei Stellen wuchern die Ektodermzellen des Schlundrohres und bilden die beiden ersten Fila- mente. Anfangs sind die beiden Räume zwischen den Primärsepten noch ausgefüllt mit Entodermzellen. Erst später entstehen Lücken in denselben. [Dies ist schwer in Einklang zu bringen mit der obigen Angabe, wonach schon viel früher die Lücken entstehen. Der Ref.] Nachdem die Höhlungen gebildet sind, wächst das Ektoderm über den Rand des Schlundrohres eine Strecke weit hinaus, das Entoderm verdrängend und schließlich den ganzen freien (Innen-) Rand desselben bedeckend. Im Ektoderm dieser Larven findet man Stützzellen, Nesselzellen und zwei Arten von Drüsenzellen. Im Subepithel des Ektoderms liegen, besonders am aboralen Pol, der beim Schwimmen stets voraus ist, feinste Fäserchen, welche Wilson als Nervenfasern in Anspruch nehmen möchte. Im Subepithel des Entoderms kommen Muskel- fasern vor. Das zweite Mesenterienpaar legt sich während der Schwärm- periode an, das dritte ist aber erst deutlich, wenn sich die Larve schon festgesetzt hat. Dann folgt das vierte Paar. Das fünfte und das sechste Paar entwickeln sich gleichzeitig. Die Filamente ent- stehen aus dem Ektodermring, welcher den innern, freien Rand des Schlundrohres bekleidet. Wilson geht sehr ins Detail der Filament- bildung ein. Es würde jedoch zu weit führen dies hier wiederzugeben. Wilson kommt zu dem Schlusse, dass alle Filamente ektodermalen Ursprunges seien. Die Manicina -Filamente sind sehr einfach gebaut. Der ausgewachsene Stammpolyp ist nicht geschlechtsreif. Er besitzt einen Durchmesser von 8 mm, hat 12 Septenpaare der ersten Ordnung (vollständige), 12 Paare der zweiten Ordnung (unvollständige) und 24 Paare der dritten Ordnung (noch unvollständigere). Inbetreff des Skelets bestätigt Wilson die Angaben von Heider und Koch. Zum Schlusse wendet sieh Wilson gegen Götte’s Angaben be- treffs der näheren Uebereinstimmung der Seyphomedusen-Larve (Seyphystoma) mit den Anthozoen. Die Manieina- Entwicklung be- weist, sagt er, dass — im Gegensatz zu Götte — die Invagination des Oesophagus keineswegs die Bildung von Entodermalsäcken be- dingt. 760 Zwaardemaker, Das Olfaktometer. Das Olfaktometer. Unter dem Namen „Olfaktometer“ beschreibt Herr Zwaarde- maker (Arch. neerlandaises des sciences exactes naturelles) eine kleine Vorrichtung, welche dazu bestimmt ist, die geringste Menge eines riechenden Stoffes, welcher eine deutlich wahrnehmbare Geruchs- empfindung hervorzurufen vermag, zu messen. Die Vorrichtung be- steht aus einem unten offenen Zylinder von 8 mm lichter Weite, in dessen oberer Decke ein engeres Glasrohr luftdicht eingefügt ist. Das Glasrohr kann im dem Zylinder verschoben werden, sein oberes Ende ist in einem Bogen gekrümmt und kann bequem in ein Nasen- loch eingeführt werden. Die innere Wand des Zylinders wird mit einem riechenden Stoff bekleidet; handelt es sich um Flüssigkeiten, so kleidet man den Zylinder innen mit Fließpapier aus und tränkt dieses mit der Flüssigkeit. In einzelnen Versuchen benutzte Herr Z. auch Röhren von schwach gebranntem Porzellan, welche mit der Flüssigkeit durchtränkt waren. Schiebt man die Glasröhre mehr oder weniger tief in den Zylinder und atmet sanft durch das ins Nasenloch eingeführte Glasrohr, so wird die von unten durch den Zylinder einströmende Luft um so mehr von der riechenden Substanz mit sich nehmen, je weniger tief die Glasröhre eingeschoben ist. Die absolute Menge wird natürlich auch von der Flüchtigkeit der angewandten Stoffe bei der vorhandenen Temperatur abhängen. Eine Vergleichung der für verschiedene Stoffe gefundenen Werte ist also nicht gestattet. Für jeden einzelnen Stoff aber und für eine bestimmte Temperatur wird man einen Ausdruck für das Minimum dessen, was eine Geruchsempfindung hervorzubringen vermag, erhalten. Diese Größe nennt Herr Z. eine „Olfaktie*. Lediglich als Beispiel und mit der Einschränkung der Bedeutung dieser Zahlen, welche ich sehon vorangestellt habe, gebe ich hier einige von ihm mitgeteilte Werte. Zedernholz Paraffın Benzo& Gelb. Wachs Tolubalsam Bei 10° GC: 38 20 15 4 1 >0419.020,4.7:90 10 10 2,5 ii Wichtiger als diese Messungen erscheint mir aber eine von Herrn Z. gefundene Thatsache, wonach es unmöglich ist, Gerüche zu mischen. Um jede chemische Wirkung auszuschließen, bedient sich Herr Z. eines „Doppelolfaktometers“ und lässt jeden der zu riechenden Stoffe in je ein Nasenloch gleichzeitig eintreten. Wenn äquivalente Mengen zweier Stoffe in dieser Weise einwirken, so riecht man in den meisten Fällen gar nichts. Sind diese Verhättnisse nicht genau ge- troffen, so ist die Empfindung schwach, bald tritt der eine, bald der andere Geruch auf kurze Zeit und unbestimmt auf. Wird nur eine Substanz gerochen, welche schon an sich ein Gemenge riechender Stoffe darstellt, so kann bald der eine, bald der andere Bestandteil Geissler, Geschlechtsverhältnisse der Geborenen. (bl überwiegen, so dass die Empfindungen wechseln. Da aber diese verwickelten Erregungen sich jeder genauen Analyse entziehen, so hat Herr Z. vorgezogen, sich für diese Versuche an möglichst ein- fache Stoffe zu halten. Beschiekt man den einen Zylinder mit 2proz. Essigsäure, der andern mit 1proz. Ammoniak, so riecht man entweder nur die eine Substanz, welche überwiegt, oder gar nichts, wenn beide in äquivalenten Mengen wirken. J. Rosenthal. A. Geissler, Beiträge zur Frage der Geschlechtsverhältnisse der Geborenen. Zeitschrift des kgl. sächs. statistischen Bureaus. Jahrg. XXXV. Hefti u. 2 Auf Grund des regelmäßigen Ueberschusses der Knaben- über die Mädchengeburten ist man wie in vielen Staaten so auch in Sachsen mit Untersuchungen über den etwaigen Einfluss des Alters der Eltern auf das Geschlecht der Kinder beschäftigt. Verf. hat das zu dieser Untersuchung vorliegende einen Zeitraum von zehn Jahren umfassende Material zunächst zur Entscheidung einiger anderer Fragen benützt. In erster Linie kam es ihm darauf an zu wissen, ob innerhalb der einzelnen Ehen dieselbe Regelmäßigkeit des Knabenüber- schusses vorhanden ist wie bei der Gesamtzahl aller Geborenen, und ob die Geschlechtsverhältnisse der bereits vorhandenen Kinder einen Schluss auf das Geschlecht der weiter folgenden gestatten. Zugrunde gelegt ist der Untersuchung ein Material von 5 017 632 Kindern. Unter denselben befanden sich 2582 914 Knaben und 2434718 Mädchen. Es ergibt sich nun zunächst auf Grund der aufgestellen Tabellen, dass sowohl bei der Erstgeburt wie auch bei allen folgen- den Geburten das männliche Geschlecht im allgemeinen etwas überwiegt. Auffällig reicher an Knaben werden die Ehen vom 8. Kinde an. Weiter findet unter denjenigen Familien, die zwei und mehr Kinder besitzen, eine ganz bestimmte Verteilung der verschiedenen möglichen Geschlechtskombinationen statt. Bei grader Kinderzahl sind die- jenigen Ehen am häufigsten, welche Knaben und Mädchen in gleicher Anzahl haben (1:1, 2:2, 3:3 u. s. w.). Bei ungrader Kinder- zahl ist diejenige Kombination am häufigsten, bei welcher die Zahl der Knaben die der Mädchen um Eins übersteigt (2:1, 3:2,4:3 u.s.w.). Dann folgt die umgekehrte Kombination, bei der die Zahl der Mädchen die der Knaben um Eins übersteigt u. s. w. Am seltensten finden sich Familien mit Kindern nur von einem Geschlecht, aber auch hier überwiegen diejenigen, welche nur Knaben hervorbringen. Was die Aussichten auf das Geschlecht des nächstfolgenden Kindes anbetrifft, so lässt sich im allgemeinen nur sagen, dass die Aussicht auf eine Knabengeburt nieht unerheblich größer ist, wenn bereits das erste Kind ein Knabe, als wenn dasselbe ein Mädchen 162 Rosenthal, Physiologisch-Calorimetrische Untersuchungen. war. Auf das Geschlecht der sämtlichen folgenden Geburten lässt sich ein Einfluss des Geschlechtes der Erstgeburt nicht nachweisen. Wenn die Geschlechter der Kinder gleichmäßig verteilt sind, so ist die Wahrscheinlichkeit vorbanden, dass das Gleiehgewicht auch später bestehen bleibt. Bei ungleich verteilten Geschlechtern ist entschieden das Bestreben vorhanden, dass das bisher nicht oder nur in der Minderzahl vertretene Geschlecht bei den folgenden Kindern zur Geltung komme. Die Kraft dieser Ausgleichstendenz ist stets größer, wenn das bisher unterlegene Geschlecht das männliche war. War die Produktion der Kinder eines und desselben Geschlechtes über- haupt einmal unterbrochen, so ist ein entschiedenes Steigen dieser Ausgleichungskraft nachweisbar. Schließlich hat dann der Verf. noch Berechnungen darüber ange- stellt, ob in der Häufigkeit der einzelnen Geschlechtskombinationen der Kinder bei den Ehen mit gleicher Kinderzahl eine Ueberein- stimmung zwischen der mit Hilfe der Wahrschemlichkeitsrechnung ermittelten Verteilung und der Erfahrung vorhanden ist. Die Resultate dieser Berechnung, deren Methode in kurzen Worten nicht wieder- gegeben werden kann, finden sich in einer Tabelle zusammengestellt, und es ergibt sich daraus die überraschende Thatsache, dass zwischen den Ergebnissen der Wahrscheinlichkeitsrechnung und den vorliegen- den Beobachtungen eine wunderbare Harmonie besteht. Um ein Bei- spiel anzuführen: Die bei drei Kindern möglichen Kombinationen sind 4 an der Zahl: 3 Knaben, 2 Knaben und 1 Mädehen, 2 Mädchen und 1 Knabe, 3 Mädchen. Mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung er- gibt sich nun, dass die größte Wahrscheinlichkeit für 2 Knaben und 1 Mädchen spricht. Darnach folgt die Kombination: 1 Mädchen und 2 Knaben, darauf 3 Knaben und schließlich 3 Mädchen. Vergleicht man damit die Resultate der Statistik, so ergibt sich eine auffällige Uebereinstimmung, die so genau ist, dass sie größtenteils noch inner- halb der mittlern Fehler liegt. In ähnlicher Weise ist die Berechnung bis zu einer Zahl von 12 Kindern durchgeführt, und überall dieselbe Uebereinstimmung zwischen Voraussetzung und Beobachtung gefunden worden. Krecke (Erlangen). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Physikalisch- medizinische Sozietät zu Erlangen. J. Rosenthal: Physiologisch-Calorimetrische Untersuchungen. Vorgetragen in den Sitzungen vom 10. Dezember 1888, 11. Februar und 18. Juni 1889. Die genaue Bestimmung der von einem Tier produzierten Wärmemengen ist mit großen Schwierigkeiten verbunden. Es ist deshalb nicht verwunder- lich, dass die bisherigen Untersuchungen über tierische Calorimetrie noch sehr mangelhaft sind, so dass viele Forscher ganz auf die unmittelbare Messung UA ar a Rosenthal, Physiologisch-Calorimetrische Untersuchungen. 1653 verzichtet und an deren Stelle Berechnungen — entweder aus den Ausschei- dungen oder aus den Einnahmen des tierischen Stoffwechsels — gesetzt haben. Solche Berechnungen haben jedoch nur einen sehr bedingten Wert, da nicht bekannt ist, wie weit die Voraussetzungen, welche denselben zu Grunde liegen, wirklich zutreffen. Es wird vielmehr immer von Neuem danach ge- strebt werden müssen, Methoden zu finden, welche eine unmittelbare Bestim- mung gestatten, um erst mit Hilfe derselben jene vorher angedeuteten Voraus- setzungen der Berechnungen auf ihren Wert prüfen zu können. An Versuchen zur Messung hat es allerdings nicht gefehlt, die physio- logische Calorimetrie ist vielmehr eben so alt als die wissenschaftliche Calori- metrie selbst. Lavoisier und Laplace benutzten das von ihnen konstruierte Eiscalorimeter, um die Wärmeproduktion eines Tieres zu bestimmen. Ungefähr gleichzeitig machte Crawford einen, wenn auch nur rohen, Versuch mit einem Wassercalorimeter. Später wurden mit demselben Apparat Versuche von Dulong, von Despretz, in neuerer Zeit von Senator u. a. angestellt. Was die calorimetrischen Versuche an Tieren hauptsächlich beeinträchtigt, ist der Umstand, dass es sich bei ihnen um eine dauernde Wärmeproduktion handelt, während die in den physikalischen Laboratorien üblichen calorime- trischen Methoden wesentlich für begrenzte Wärmemengen eingerichtet sind. Die Fehlerquellen steigen, namentlich bei Anwendung des Wassercalorimeters, deshalb auf einen so hohen Wert, dass der wissenschaftlichen Verarbeitung der Messungsergebnisse sehr enge Grenzen gezogen werden. Bei meinen Versuchen habe ich von der Anwendung des Wassercalori- meters ganz abgesehen und habe mich bemüht, eine zuerst von Scharling, später von Vogel, dann von Hirn und zuletzt auch von d’Arsonval ver- suchte Methode so auszubilden, dass sie hinreichend genaue Resultate zu liefern vermag. Scharling’s Methode beruht auf der Anwendung des Newton’schen Abkühlungsthermometers. Wird ein Tier in einem Kasten eingeschlossen, welcher sich in einem gleichmäßig temperierten Zimmer befindet, so steigt infolge der Wärmeproduktion des Tieres die Temperatur innerhalb des Kastens, bis die Wärmeverluste an seiner Oberfläche gleich sind der vom Tier produ- zierten Wärme. Aus dem Unterschied der Temperaturen innerhalb und außer- halb des Kastens kann man dann die Wärmeproduktion berechnen. Die Form, welche dem Apparat schließlich von mir gegeben wurde, ist folgende: Er besteht aus zwei vollkommen gleichen Teilen; jeder derselben ist zusammengesetzt aus drei langen Zylindern mit gemeinschaftlicher Axe, welche ineinanderstecken. Der innerste Zylinder ist zur Aufnahme des Tiers bestimmt, der äußere hat nur den Zweck, kleine, nicht zu vermeidende Tem- peraturschwankungen der Zimmerluft von dem Binnenraum abzuhalten und die dadurch bedingten Störungen zu beseitigen. Das Wesentliche ist der von dem innern und mittlern Zylinder eingeschlossene Luftraum. Derselbe bildet ein großes Luftthermometer, dessen Temperatur manometrisch gemessen und aus deren Ueberschuss über die Umgebungstemperatur die Wärmeproduktion berechnet wird. Da Schwankungen der Umgebungstemperatur doch niemals ganz zu ver- meiden sind, so sind die beiden Lufträume des Doppelapparats so mit einander verbunden, dass sie ein Differentialthermometer darstellen. Schwan- kungen der Umgebungstemperatur können, da sie auf die beiden, ganz gleich- artigen Apparate gleichmäßig einwirken, keine Einwirkung auf das zwischen beiden Apparaten eingeschaltete Manometer ausüben. Sobald aber durch die Wärmeproduktion des in einem der Apparate befindlichen Tieres die Tempe- 764 Rosenthal, Physiologisch-Galorimetrische Untersuchungen. ratur steigt, entsteht ein Ausschlag des Manometers, aus dessen Größe der Ueberschuss der Temperatur jenes Luftraumes über die Umgebungstemperatur berechnet werden kann. Die Wärmeverluste, weiche der durch das Tier erwärmte Apparat an die Umgebung erleidet, müssen nach dem Newton’schen Abkühlungsgesetz jenem Temperaturüberschuss proportional sein. Wartet man ab, bis das Manometer einen festen Stand eingenommmen hat, so müssen die Wärmeverluste der Wärmeaufnahme vom Tier und (wenn das Tier seine Eigenwärme nicht ge- ändert hat) auch der Wärmeproduktion des Tiers gleich sein. Dieser letztere Umstand ist von einschneidender Bedeutung für die Brauch- barkeit der Methode. Bei Anwendung des Eis- oder Wasser - Calorimeters ändert sich die Eigenwärme des Tiers häufig sehr erheblich. Die dadurch bewirkten Messungsfehler sind um so größer, als die Versuche immer nur kurze Zeit dauern können. Bei unserm Apparat aber befindet sich das Tier unter durchaus normalen Bedingungen. Es kann viele Stunden, ja Tage lang in dem Apparat verweilen, ohne dass seine Eigenwärme andere als die normal-physiologischen geringen Schwankungen erfährt. Dieselben können gemessen und bei der schließlichen Berechnung der Ergebnisse berücksichtigt werden. Es bleibt mir noch übrig, die Art und Weise der Berechnung aus den beobachteten Manometerausschlägen auseinander zu setzen. Bei unserm Apparat ändert sich, wenn die Temperatur der abgesperrten Luftmasse steigt, nicht ihr Volum, sondern nur ihr Druck. Dieser Druck ist aber bekanntlich (bei konstantem Volum) der absoluten Temperatur proportional!). Nennen wir daher die Anfangstemperatur Ta, die Endtemperatur T., den Anfangs- druck b,, den Enddruck be, so ist: I ler bar abe (1) woraus folgt: Te — Ta: Ta = be — ba : ba (2) Ta und nn obere bare ES (3) Dem Werte (T. — Ta) d. h. dem Ueberschuss der Endtemperatur, welche der Apparat erreicht, über der Anfangstemperatur, muss, wie wir gesehen haben, die Wärmeproduktion des Tieres proportional sein. Nennen wir die Wärmeproduktion n, so ist also: n.=;6:...(1s —.T,) (4) Der Wert (be — ba), welcher in Gleichung (3) vorkommt, ist aber nichts anderes als die Druckzunahme, welche wir am Manometer unmittelbar abge- lesen haben. Nennen wir diesen Manometerausschlag m, so erhalten wir: > (5) a d.h. die Wärmeproduktion ist proportional dem Manometer- ausschlag und der (absoluten) Anfangstemperatur und umge- kehrt proportional dem Anfangsdruck der im Calorimeterraum enthaltenen Luft. Die in Gleichung (5) vorkommenden Werte m, Ta, ba, lassen sich leicht messen. Der konstante Faktor e dagegen muss durch Vorversuche bestimmt werden. Dabei ist noch folgendes zu bemerken: Damit der Apparat eine für ee 1) Da der Nullpunkt der absoluten Temperaturscala 272,60 unter dem Nullpunkte der Celsiusscala liegt, so braucht man nur 272,6 zu der am Celsius - Thermometer ab- gelesenen Temperatur zuzuzählen, um die absolute Temperatur zu erhalten, Rosenthal, Physiologisch-Calorimetrische Untersuchungen. 65 alle Fälle ausreichende Empfindlichkeit erhalte, thut man gut, das Manometer nicht mit Quecksilber, sondern mit einer Flüssigkeit von geringerem spezifischen Gewicht zu füllen. Ich habe dazu Petroleum gewählt, welches ich, um die Ablesung zu erleichtern, mit Azobenzol intensiv rot färbte. Um die Werte von m und die von ba (welcher letztere am Barometer abgelesen wird) auf dieselbe Maßeinheit zu bringen, müsste man also m dividieren durch eine Zahl, welche das Verhältnis der spezifischen Gewichte des Petroleums und des Quecksilbers ausdrückt. Da diese Zahl aber konstant ist, so kann man sie mit der andern Konstante e zusammenfassen und den Wert beider zusammen ein für alle mal bestimmen. Zu diesem Zweck habe ich in dem Apparat kleine Flämmehen von reinem Wasserstoffgas brennen lassen, die Menge des verbrannten Gases genau ge- messen und daraus die produzierte Wärme berechnet. Setzt man den so er- haltenen Wert für n in die Gleichung (5) ein, so findet man den Wert der Konstanten. Ich habe den im Vorhergehenden kurz beschriebenen Apparat in zwei verschiedenen Größen ausführen lassen. Bei der einen sind die Maße so ge- wählt, dass der Arm eines Menschen bequem darin Platz hat; dieser Apparat kann aber auch für kleine Tiere, Kaninchen u. dergl. benutzt werden. Der andere, größere Apparat dient zur Untersuchung größerer Tiere; Hunde mitt- lerer Größe haben in ihm bequem Platz. Beide Apparate sind mit Vorrich- tungen zur Ventilation, zur Bestimmung der Atmungsprodukte, mit Ablauf- vorrichtungen für den Harn u. s. w. versehen. Mit diesen Apparateu habe ich bisher eine große Anzahl von Versuchen teils selbst ausgeführt, teils von andern ausführen lassen. Ueber eine große Zahl anderer Versuche, welche noch nicht abgeschlossen sind, werde ich später berichten. Was ich bis jetzt festgestellt habe, will ich im Folgenden kurz zusammenfassen. 1. Die Wärmeproduktion eines gesunden Tieres ist durchaus nicht kon- stant; sie kann innerhalb sehr weiter Grenzen schwanken, während die Eigen- wärme nur ganz geringe Schwankungen zeigt. Hunde, welche man längere Zeit mit gleichmäßiger und ausreichender Nahrung füttert, zeigen trotzdem Schwankungen, welche aber, wenn auch die andern Bedingungen (namentlich die Umgebungswärme, wovon noch die Rede sein wird) einigermaßen konstant erhalten werden, geringer sind und um einen gewissen mittleren Wert herum um etwa 15°, nach oben und nach unten sich bewegen. Kleinere Tiere, Kaninchen z. B., deren Eigenwärme doch viel größern Schwankungen unter- liegt als die der Hunde, zeigen trotzdem viel geringere Schwankungen der Wärmeproduktion. 2. Dass kleinere Tiere relativ zu ihrem Körpergewicht mehr Wärme produzieren als große, ist bekannt. Eine genaue Beziehung zwischen Körper- größe und Wärmeproduktion kann nicht angegeben werden, da sie eben, wie im $ 1 hervorgehoben wurde, bei einem und demselben Tiere schon sehr schwankt. Nichtdestoweniger scheint, wenn man gleiche physiologische Be- dingungen herstellt, die Wärmeproduktion nahezu proportional der Ober- fläche des Tieres zu sein. Bei Tieren, deren Körperformen wenigstens an- nähernd geometrisch ähnlich sind, kann man statt der Körperoberfläche den Wert Nass: setzen, worin g das Körpergewicht bedeutet. Eine Vergleichung der von mir gefundenen Werte unter einander und mit den zuverlässigsten Messungen meiner Vorgänger hat eiuigerwaßen übereinstimmende Ergebnisse geliefert. 166 Rosenthal, Physiologisch-Calorimetrische Untersuchungen. 3. Hunde, denen man regelmäßig alle 24 Stunden ihre Mahlzeit reicht, zeigen regelmäßige Schwankungen der Wärmeproduktion in der 24 stündigen Periode in der Weise, dass in der 6. bis 9. Stunde nach der Mahlzeit ein Maximum, in der 20. bis 24. Stunde ein Minimum eintritt. In Prozenten der in der ersten Fütterungsstunde produzierten Wärme ausgedrückt kann das Maximum bis zu 140 steigen, das Minimum auf etwa 90 fallen. 4. Kaninchen, welche nicht so regelmäßig ihr Futter nehmer wie Hunde, zeigen unregelmäßige Schwankungen. Als jedoch ein Kaninchen mit reich- licher, nahrhafter Kost gefüttert wurde, konnte es dahin gebracht werden, dieses Futter auf einmal zu verzehren. Ein solches Tier verhielt sich nun ganz ähnlich wie der Hund. Es zeigte in der 24stündigen Fütterungsperiode ein Maximum und ein Minimum. Ersteres trat etwas früher ein, etwa in der 4. bis 7. Stunde, letzteres gleich wie beim Hunde in der 20. bis 24. Stunde. 5. Kaninchen, welche auf gewöhnliche Art gefüttert werden, zeigen, wenn man ihnen die Nahrung entzieht, ein schnelles Absinken der Wärmeproduktion, welche nach 24 Stunden nur etwa 50, nach 48 Stunden etwa 40°/, der bei Nahrungsaufnahme gefundenen beträgt. Auch bei reichlich und mit sehr nahr- haftem Futter bedachten Kaninchen sinkt, wenngleich in etwas geringerem Grade, die Wärmeproduktion ziemlich schnell, sobald man ihnen die Nahrung entzieht. 6. Ganz anders verhalten sich gut genährte Hunde. Lässt man diese hungern, so ändert sich die Wärmeproduktion in den ersten 3—4 Tagen gar nicht, sinkt am 5. und 6. Tage nur wenig, und erst vom 7. Tage an wird die Abnahme größer. Dabei nimmt natürlich das Körpergewicht sehr bedeutend ab. Reicht man dann, nach 8—10tägigem Hunger, wieder Nahrung, so steigt zunächst das Körpergewicht, aber nicht die Wärmeproduktion; erst einige Tage nachher beginnt auch diese zu steigen, um dann allmählich auf die ursprüngliche Höhe zu gelangen und auf ihr zu bleiben. Vermindert man die Nahrung eines reichlich ernährten Hundes plötzlich auf etwa die Hälfte, so kann sogar vorübergehend die Wärmeproduktion etwas höher ausfallen, als sie während der reichlichen Nuhrungsaufnahme war. 7. Wie schon aus dem Gesagten hervorgeht, besteht keine feste Beziehung zwischen Nahrungsaufnahme und Wärmeproduktion. Berechnet man aus der zugeführten Nahrung unter Zugrundelegung der physiologischen Verbrennungs- wärmen der Nahrungsstoffe, wieviel Wärme das Tier produzieren könnte, und vergleicht damit die wirklich produzierte Wärme, so ergibt sich folgendes: Bei reichlicher Nahrungszufuhr bleibt die produzierte Wärme hinter der be- rechneten erheblich zurück, bei ungenügender Nahrung übersteigt die gemessene Wärmeproduktion die berechnete. Zwischen beiden liegt eine mittlere Nahrung, welche grade ausreicht, das Tier auf seinem Gewicht zu erhalten. Wenn man ein Tier mit dieser ausreichenden Nahrung längere Zeit füttert, so schwankt seine Wärmeproduktion um einen Mittelwert herum, welcher der aus den Ver- brennungswärmen berechneten ziemlich nahe kommt. 8. Ebensowenig wie zwischen Nahrung und Wärmeproduktion, besteht eine feste Beziehung zwischen CO,-Ausgabe und Wärmeproduktion. Berechnet man den sogenannten Wärmefaktor der CO, d. h. die Anzahl von Calorien, welche auf 1 g ausgeschiedener CO, kommen, so erhält man keine konstanten Werte. Die Schwankungen des CO,-Faktors sind am geringsten bei aus- reichender Nahrung, und wenn man aus längern Versuchsreihen (von etwa 144 Tagen) die Mittelwerte berechnet, dann stimmen diese nahezu mit dem- jenigen, was die Berechnung aus der Zusammensetzung der Nahrung ergibt. Rosenthal, Ueber die fäulniswidrige Wirkung des Chinolins. 167 Bei einer Ernährung mit je 2 Teilen Eiweiß und 1 Teil Fett ergibt die Rech- nung den Wärmefaktor der 00, = 2,803. Das Mittel aus einer längern Ver- suchsreihe ergab den Wert 2,872. Die Abweichung des berechneten vom ge- fundenen Wert ist also nur 2,5°/,, was bei Versuchen dieser Art als eine hin- reichende Uebereinstimmung angesehen werden muss. 9. Eine solche Uebereinstimmung ist aber, wie gesagt, nur in den Mittel- zahlen längerer Versuchsreihen vorhanden, während in den einzelnen Versuchen einer solchen Reihe immer noch große Schwankungen (bis zu 33°/,) vorkommen. ÖOrdnet man aber die Versuche einer Reihe nach steigenden Wärmeproduk- tionen, so zeigt sich eine Gesetzmäßigkeit in den Schwankungen. Der Wärme- faktor der CO, nimmt nämlich mit steigender Wärmeproduktion gleichfalls zu. Um dies zu erklären, nehme ich an, dass zwar bei länger dauernder gleich- mäßiger und ausreichender Ernährung die zugeführte Nahrung vollkommen verbrennt und ihre volle Verbrennungswärme ebenso wie die aus der Ver- brennung entstandene CO, vollständig zum Vorschein kommen, dass aber von einem Tage zum andern kleine Schwankungen in dem Verhältnis der ver- brennenden Stoffe eintreten. Wird etwas mehr Fett verbrannt, als dem Nah- rungsgemisch entspricht, so muss (da Fett relativ zu der aus ihm entstehenden CO, mehr Wärme liefert) der Wärmefaktor der ausgeschiedenen CO, steigen; umgekehrt muss er fallen, wenn die verhältnismäßige Menge des verbrannten Fetts abnimmt. Der tierische Organismus würde also, trotz gleichbleibender Nahrung bald etwas mehr, bald etwas weniger von dem aufgenommenen bezw. von dem in seinen Geweben vorrätigen Fett verbrennen, je nachdem er mehr oder weniger Wärme zu produzieren veranlasst ist. 10. Außer dem Einfluss der Nahrung habe ich bisher vorzugsweise dem Einfluss der Umgebungswärme auf die Wärmeproduktion meine Aufmerksam- keit zugewendet. Ich habe solche Versuche an Hunden und Kaninchen selbst angestellt und auch (an Kaninchen) von Herrn Dr. Dürrbeck anstellen lassen. Das Ergebnis aller dieser Versuche ist folgendes: Die Umgebuugstemperatur hat einen Einfluss auf die Wärmeproduktlon in der Art, dass einer mittlern Temperatur ein Minimum der Wärmeproduktion entspricht und dass diese so- wohl bei niedern als bei höhern Temperaturen größer wird. Diejenige Tem- peratur, bei welcher das Minimum eintritt, ist aber nicht etwa eine konstante, sondern sie hängt sozusagen einer Art von Gewöhnung oder Anpassung des Tieres ab, indem sie sich nach nnten verschiebt, wenn das Tier lange in der Kälte, nach oben, wenn das Tier lange in der Wärme gehalten wird. Es ver- dient hervorgehoben zu werden, dass nach Untersuchungen des Herrn C.v. Voit die CO,-Abgabe des Menschen gleichfalls bei einer Mitteltemperatur ein Minimum zeigt und sowohl bei niederer wie bei höherer Temperatur größer ausfällt. J. Rosenthal: Ueber die fäulniswidrige Wirkung des Chinolins. Die fäulniswidrige Wirkung des Chinolins ist eine sehr erhebliche. Wässerige Lösungen von Chinolinhydrochlorat, Chinolintartrat, Chinolinsalieylat haben sich in Versuchen, welche teils von mir, teils von den Herren Rieger und Jacobsohn im hiesigen physiologischen Institut angestellt worden sind, schon bei Konzentrationen von 0,1—0,2 Prozent (auf die freie Base berechnet) als sehr wirksam erwiesen. Am bequemsten für die Anwendung ist das Hydro- chloratsalz. Um es herzustellen, trägt man die abgewogene Menge Chinolin in Wasser ein und setzt von einer verdünnten Salzsäure unter fortwährendem 68 Rosenthal, Ueber die fäulniswidrige Wirkung des Chinolins. Umrühren so lange zu, bis alles Chinolin vollkommen gelöst ist. Die so her- gestellte Lösung ist, wenn der Säurezusatz nicht sehr vorsichtig erfolgt, stark sauer; man kann sie aber durch vorsichtigen Zusatz verdünnten Natrons ab- stumpfen, ohne dass sich das Chinolin ausscheidet. Die so erhaltene Lösung verdünnt man dann mit Wasser bis zu dem gewünschten Grade. Eine solche Lösung eignet sich vorzüglich zum Aufbewahren von anato- mischen Präparaten oder ganzer Tiere. Die Flüssigkeit, welche ich gewöhn- lich verwende, hat folgende Zusammensetzung: Massen. 0 20.40.77 2.290088: Kochsalz 22 u 8 Glyzerin sar.7.%0 02%, de 1008 Chinolin, „= 2.2.20. .,.5,8 KalsıHydrochlorat): Eine geringere Menge von Chinolin würde schon 'genügen, doch nehme ich, der Sicherheit wegen, etwas mehr. Der Preis ist ein so geringer, da man das gewöhnliche Theerchinolin verwenden kann, dass es auf etwas mehr oder weniger nicht ankommt. Die großeu Vorteile dieser Flüssigkeit gegenüber den üblichen bestehen darin, dass sie die Gewebe ganz in ihrem natürlichen Zustande belässt. Sie sehen hier eine Ratte, welche seit 4 Monaten in der Flüssigkeit gelegen hat. Unter dem Mikroskop sehen Sie ein heute angefertigtes Muskelpräparat aus den Bauchmuskeln dieses Tieres Die Muskelfasern bieten ganz den Anblick, als wären sie aus einem frischgetöteten Tier entnommen. Kalbsherzen, welche länger als ein Jahr in der Flüssigkeit gelegen haben, sehen wie frische aus. Eine Ratte, welche mit eröffneter Brust- und Bauchhöhle 4 Wochen in der Flüssigkeit gelegen hatte, wurde herausgenommen und blieb frei in der Luft des Laboratoriums liegen. Sie ist, wie Sie sehen, mumifiziert, ohne sich zu verändern. Einen Nachteil bietet diese Konservierungsflüssigkeit — sie zieht alle Farb- stoffe aus den Geweben aus, so dass diese blass werden. Vielleicht gelingt es mir noch, durch einen geeigneten Zusatz diesen Fehler zu beseitigen. Sehr vorteilhaft hat sich das Chinolin bei Verdauungsversuchen erwiesen. Ein Zusatz von 1—2 Prozent (als Salieylat oder Chlorhydrat) zu der Verdau- ungsmischung verhindert jede Fäulnis, ohne der Wirkung der Verdauungs- fermente im geringsten zu schaden. Ebenso nützlich sind geringe Zusätze von Chinolin zu oft gebrauchten Flüssigkeiten, um dieselben vor Fäulnis zu bewahren. Dieser Nummer liegen Register, Inhaltsverzeichnis und Titel- blatt zu Bd. IX bei. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wünschen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten anzugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die el ‚Erlangen, ‚physiologisches Institut“ zu richten. Venap: von Eduard Besold in Erlangen. — Druck 2 en bayer. Hof- er Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (in Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Alphabetisches Namen -Register, Agassiz 52, 64, 152, 737fg. Ahlborn 136 fg. Albertoni 430, 462. Albrecht 600. Allmann 47 fg. Altmann 54, 576. Amici 665. Andı6 E. 308. Apäthy 527 fg., 600 fg., 625 fg. Aristoteles 28, 619. Arnstein 541. d’Arsonval 763. Ascherson 259, 261, 415. Auerbach 237, 248, 443 fg. Aurivillius 163. Autokratow 462. Ayers 356, 397 fg., 519. Baber 467. Babes 574 fg. v. Bär 287. Baeyer 494 fg. Baker 498. Balbiani 733. Balfour 146, 356. Ballowitz 651 fg. Baltiani 286. Bamberger 494 fg. Baranetzky 449. Bardeleben 427, 462 fg. de Bary 415. Baur 149 fg., 180 fg., 569 fg., 590, 618 fg., 689, 718. Baxt 447, 474. IB: Beard 136 fg. Beaunis 243. Beck 96, 540 Beckmann 49. Behrend 704. Behrens 416. Belkin 246. Bell 151. Benard 748. v. Beneden 146, 332. Beraneck 136, 755. Berger 236, 247, 439, 474. Berlin 173. Berthelot 430. Bertkau 228. Beyerinck 97 fg., 418 fg. Bianco, Salvatore Leo 287. Bibron 151. Biehringer 701. Bjelajew 539, 576. Biondi 467, 539. Blainville 150, 689, 693. Blanchard 377 fg. Blix 243. Blochmann 271 fg., 312, 314, 363. Blytt 176, 178; Bödeker 87. Bo&chat 467. Böhm 617. Bojanus 66 fg. du Bois- Reymond 2 fg., 238, 576. Bokorny 193 fg., 289 fg., 321 ig., A91, 498, 949. 196, 180 fg., Bolus 551. Bonnet 217 fg., 283. Bonney 564 fg. Bonaparte 151. Boulenger 153, 187, 618 fg. Bourquelot 93 fg. Boussingault 193, 195 fg. Brady 344, 347 fg. Brain 438, 475. Brandt 76, 111 fg., 522 fg. Brauer 355, 409. Braun M. 222, 524, 594, 611. Braune 698 fg. Brehm 134. Bronn 23, 136. Brongniart 150. Brooks 51. Brunchorst 97 fg. v. Brunn 664. Brunner 90. Bubnow 467. Buceola 243, 443. Buchholz 330. Burdon-Sanderson 1 fg. Burgerstein 353, 454. Bütschli 22fg., 112, 284 fg., 356, 397, 560. fg. 180 fg., Canalis 429, 460 fg. de Candolle 551. Capellini 187. Carle 462. Carpenter 340. 49 TO Alphabetisches Namenregister. Carriöre 30, 136 fg.,225fg., Dujardin 16. 281, 309. Caspari 548. Cattell 237 fg., 440 fg., 470 fg. Cholodkovsky 276 fg., 313, 316, 357 ig., 404, 522. Chrzonsezewsky 33. Chun 663. Ciamieian 495. Claisen 494 fg. Claus 40, 494. Cohn 611. Cohnstein 429. Colzi 436, 461. le Conte 738. Cooke 493. Cooper 460. Cope 152 fg., 189, 619, 690. Coschwitz 426. Courchet 271. Cramer 547. Crawford 763. Crede 428. Cresswell-Baber 429. Czermak 664. Dalla-Torre 29. Dana 564, 738. Daniell 8. Darwin 111, 130, 154, 264, 351,515, BA5Tg., 737. 8g. Debray 493. Debus 493. Delpino 28, 130, 259, 266, 415. Dendy 409 fg. Derbes 271. Despretz 763. Detmer 493. Deville 493. Dingfelder 217, 510 fg. Dollo 153, 180 fg., 618. Donders 437 fg., 467 fg. Dreyer F. 333. Dreyfus 275 fg., 313, 363 fg. Drobnick 436, 462. v. Drooge 749. Drude 174. Dürrbeck 767. Düsing 610 fg. Dybkowski 192. Eberdt 449 fg. v. Ebner 657. Ecker 428 fg. Ehrenberg 16. Ehrlich 36, 66, 320, 539, Elfring Fr. 294 fg. Elliot 129 fg. Emery 23 fg, 303, 396 fg., Engelmann 529, 661, 731. Engler 257, 416. Ewald 433 fg., 460 fg. Exner 238, 309 fg., 648 fg. de Faivre 604, 630. Fewkes 51 fg. Fisch 284 fg., 424 fg v. Fischer Joh. 31, 594. Fischer ©. 495, 698. Fitzinger 151. Flemming 150, 318, 549, Forel 107, 309 fg., 510 fg. Francois 604, 633. Frank 193 fg., 682 fg., 704. Frenzel 44, 47. Fricke 234 fg., 437 fg., Friedländer 495 fg. Friedrich M. 440 fg. Fuhr 431, 462. Fürbringer 204 fg., 385 fg., 499 fg. Gabriel 498. Galton 475. Gaule 539. Gautier 496. Gegenbaur 71. Geisler 445. Geissler 761 fg. Gerstäcker 403. Gervais 152. Giebel 693. Giesbrecht 330. Göbel 550 fg., 577 fg. Göhring 497. Goette 138, 759. Godlewski 192, 481 fg., 617. Goldscheider 238, 243 fg. Gorup-Besanez 154. de Graaf 136 fg. Graber 305, 3ödfg , 396 fg., 517 fg., 608. Graff 593. Grassi 276, 2841g., 3dd fg., 360, 397, 424 fg., 522. Gray 150 fg., 619. Greiff 49. Grisson 9. Grobben 35 fg., 67. Gruber 14 fg., 286, 729 fg. Grübler 35. Grützner 462. de Guerne 78, 107. Guignard 576. Günther 153. Guppy 564, 738. Guyon 434 fg. Haase 355, 360 fg., 522. Haberlandt 327. Haddan 755. Haeckel 50, 334, 336, 405, 546, 619 fg. Hales 449. Alphabetisches Namenregister. Hall 238. Haller 431. Hamann 74. Hänlein 129. Hartig 198, Haworth 151. Hegar 462. Heider 397. Heidenhain 33, 4 Heimerl 354. Heinricher 259. Heintz 157. Heitzmann 106, 651. Hensen 148, 601. Hermann 2, 245, 476, Hellrigl 418 fg. Helm 204 fg. Helmholtz 234 fg. Henle 660. Herrick 231. Hertwig 549, 755. Herzen 462. Heyer 610. Hickson 49 fg. Hildebrand 263, 415. Hipp 445. Hirn 763. Hirsch 703. His 523 fg., 603, 655. Hofer 735 fg. Hoffmann ©.K. 136 fg ‚431. Hofmann A. W. 493 fg. Hofmann 318. Hofmeister 616. Hofrichter 430 fg., 462 fg. v. Höhnel 2839. Holm 162, 166. Hommes 60. Hönigschmied 240. Hooker 175. Horsley 429, 461 fg. Hoyer 317 fg., 538 fg. Humbert 107. Hupe 594, Huschke 431, 462. Huth 259, 264 fg., 271. Huxley 619 Jackson 433. Jacobsohn 767. Jickeli 18. 292 fg., 32218. 7,539, 666. 663. Imhof 59. Johow 271. Joseph 199 fg. Jourdan 494. Julin 76, 146. Kalinowski 192, 543. Kaltenbach 276, 366. Kane 171. Katter 29. Kayser 276, 366. Kehrmann 498. Keller 55, 88 fg., 161 fg., 449 fg., 550 fg., 577 fg. Kerner von Marilaun 32, 96, 130. Kerschner 330. Kessler 271 8. Kiliani 494. Kingsley 227 fg. Kirchner 261. Kjellmann 162, 172. Klebs 609 fg., 753 fg. Kleinenberg 602. Knorr 497. Koch 367. Kocher 428 fg., 462. Kohl 452 fg. Köhler 74. Kohlrausch 429. Kölliker 147, 431, 651. Könike 58, 113. Koenigs 494. Korotneff 400, 755. Kowalevsky 33 fg., 65 fg., 427%, 12, 359.390.9 941, 598, 669, 690. Kräpelin 241, 244, 248, 441 fg., 470 fg. Kıatz 539. Kraus 197 fg., 702. Krecke 761 fg. von Kries 237 fg., 248 fg., 438 fg., 468 fg. Kronfeld 23 fg., 96, 257, 353 fg. Krüger 94, 156 fg. Krukenberg 53 fg., 89. Kühn 670 fg., 673 fg., 681, 705 fg. Kükenthal 71. Külpe 255. Kunkel 11, 239, Kuphaldt 416. Kupferberg 494, Kupffer 667. Kyber 283. Lacaze-Duthiers 70, 757. Lac&pede 150. Laloulette 426. Lang 51, 337. Lange 162, 237, Lange Ludw. 2 Lange Nikolai 246 fg. Langendorff 426 fg., 460 fg. Langley 238 fg. Lankester 128. Laplace 769. Lavoisier 763. Lawdowsky 317, 538 fg. Lazarus 438, 474. Lehmann 479, 495. Leitgeb 457. Leidy 112. Leitzmann 252. Lellmann 497. v. Lendenfeld 47 fg., 55 fg., 64, 113 fg., 564 fg., 619 fg., 755 fg. Lennier 191. Mae Leod 133, 257, Lesneur 151. Lesseps 56. Leuckart 312. Leydig 56 fg., 61 fg., 67, 76, 140, 148, 199, 524, 607, 628. Leydy 189, 287, 527. Lichtenstein 271 fg., 371, 318. Liebermeister 434 fg. Liebig 194, 494. Lilljeborg 59 fg. List 327 fg., 560 fg., 595 fg. Lockwood 170. Loey. 229,356. Loew 133, 198, 276, 296, 373, 489. 49 * =: 299: 172 Alphabetisches Namenregister. Looss 595 fg. Lombard 430. Lubbock 311. Ludwig C. 493. Ludwig 80, 129fg., 257 fg., 332, 414 fg. Lukjanow 576. Lundström 162, 259, 262, 265 fg. Lydekker 618 fg. Lyell 111. Maignien 432 fg, 462. Malassez 429. Malinin 538. Malpighi 33, 41, 47. Maly 88 fg., 490. Mansfeldt 744. Maquenne 494. Margo 596. Mark 228. Marshall 407. Martin 246. Martius 581. Martyn 427. Mathews 494. Mattei 259. Di Mattei 461 fg. Maupas 14 fg. Mayer 596. Merck 154. Merkel 250, 427, 442 fg., 471 fg., 666. Merrem 150. Metschnikoff 34, 45, 356, 595 fg. Meuli 433 fg. Meyer %. Meyer V. 495 fg. Meyer R. 495. v. Meyer H. 700. Migula 57, 59, 107, 415. Mihälkovies 522. Milne - Edwards 41. Mitrophanow 317, 541, 576. Möbius 663. v. Moeller 351. Moewes 303. Mohl 547. Mojsisovies 566, 691, 697. Moldenhauer 240. Molisch 195, 353, 382. Morawitz 539. Morgagni 426. Mroczkowski 154 fg. Mulder 493. Müller C. 682. Müller: H; 150. fg... :258, 415, 648. Müller P. E. 109. Müller W. 113. Müller Fritz 261, 264, 269. Müller O0. F. 287 Müller J. 570, 590. Müller 621. Munk 436, 466. Murray 564 fg., 737 fg. Nägeli 490, 546, 610. Nansen 201, 528, 608, 629. Nasse 93 fg., 156. Nathorst 162, 171. Naumann 351. Nencki 493 Neumayr 346 fg., 691, 697. Newton 10. Niggl 300. Nobbe 353. Nordenskjöld 172. Nordquist 59, 108 fg. Notthaft 309. Nusbaum 23, 112, 356, 516 fg., 733. Openchowski 317. Oppel 150. Örechia 462. Ortmann 55 fg. Ostwald 493. Owen 619. Owsiannikow 136 fg., 538. Pammel 129 fg. Panceri 83 fg. Paneth 596. Parker 228 fg. Passerini 313. Patten 228 fg., 356, 358. Perenyi 757. Peringuey 27. Perkin 49. Peters 313. Pettenkofer 702 fg. Peytoureau 136, 146. Pfeffer 541, 612. Pfitzer 300. Pflüger 239, 493, 666 fg. Plateau 30, 46. 303, 307, 309 fg. Plath 704. Platten 361. Poincar6& 467. Polansky 649. Pouchet 665. Prantl 416, 610. Pravatz 45. Prazmowski 97 fg., 417 fg., 574. Preyer 90. Pringsheim 293, 548, 611. Puluj 236, 445. Pusch 542. Quincke 563. Rabenhorst 415. Rabl-Rückhardt 137, 147. Radoszkowski 539, 543. Radziszewskii 498. Rafinisque ©. S. 149. Ranvier 317, 627, 661. Rapp 462. Rathay 130 fg. Rathke 355, 397. Ratzeburg 276, 366, 370. van Rees 598 Reess 547. Reichard 96. Reichenbach 225 fg. Reitter 304. Remak 627, 658 fg. Repsold 252. Retzius 199 fg., 663. Reverdin 465. Reynoso 49. Rhumbler 734. Ribbert 462. Alphabetisches Namenregister. 18 Richard Jules 60, 77. Richthofen 567. Ricou 426 fg. Ridley 409 fg. Rieger 767. Ritzema Bos 191, 673 fg., 705 fg. Ritzen 151. Robertson 129 fg. Rogowitsch 461 fg. Rollett 596, 661. Rosenthal 234, 238, 510 fg., 648 fg., 760 fg., 762 fg., 767 tg. Rötteken 755. Roux 351. Rumpf 560, 582. Rumph 271. Rush 432, 460 fg. Ruthe 151. Rütimeyer 152, 619. Ruysch 428. Sachs 9 fg., 289 fg., 322, 325, 481. Sahlberg 26. Salisbury 237. Salkowski 95, 156. Sandmeyer 494. Sanquirico 429, 460 fg. Santorin 426. Sarasin 569 fg., 586 fg. Saunders 539. Schacht 705. Scharling 763. Schenk 415. Schiefferdecker 633. Schiemenz 567 fg., 585 fg. Schiff 433 fg., 461 fg. Schimper 267. Schindelka 649. Schindler 33, 46. Schiödte 305. Schleiden 580, 651. Schlosser 684 fg. Schmankewitsch 21. Schmid 676. Schmidt Oskar 90. Schmidt 410, 497, 682. Schneider 150. Schödler 109. Schouw 515. Schoyens 683. Schrank 269. Schreger 431 fg. Schuberg 284 fg., 424 fg. Schultz Aug. 129. Schultze Max 411, 608, 658 fg. Schultze ©. 541. Schultze Hans 659. Schulz 702. Schulze 409, 411. Schwalbe 318, 662. Schwann 597, 606, 632, 651 fg. Scott 146, 724. Seeley 152. Selenka 549. Seligo 284 fg. Semon 80 fg., 287. Semper 737. Senator 763. Serres 462. v. Siebold 665. Silberstein 494. Simon 439, 460 fg. Simroth 287, 594. Skraup 497. Sluiter 30, 737 fg. Smith-Woodward 153. Solger 33, 69. Sollas 405 fg. Solokow 538. Sommer 666. Soemmering 428 fg., 462. Spencer 136, 139, 546, 616. Sprengel 415. Spring 497. Stahel 435. Stahl 80, 199, 270, 731. Staines 553. Stein 663. Steinach 241 fg. Steinbrinck 259, 260 fg. Steiner 276. Steinhaus 574 fg. Steinthal 477 fg. Stenzel 96. Strasburger 549, 611, 652, 730. 528, Strauch 152. Strubell 673, 681, 705 fg. Tacitus 474. Taczanowski 191 fg. Tangl 302, 640. Tarchanoff 154 fg. Targioni-Tozzetti 271. Tarnani 376 fg. Thorell 329 fg. Thoulet 409. Tiehomiroff 404. Tiebe 30, 309, Tiedemann 73, 396, 423. v. Tieghem 420. Tilanus 480. Tillmann 657 fg. Tiseher E. 250, 441 Tg., 469 fg. Tizzoni 430, 462. Tollhausen 479. Tomes 129 fg., 657. Tornier 666. Trelease 129 fg., 266. Trautscholdt 448, 475 fg. Treub 264, 583, 683, 749. Trinchese 318. Troschel 86 fg., 312. Tschirsch 97 fg. Ughetti 461 fg. Uhlworm 129. Unger 453. Vaillant 619. Vanhöffen 64. Verbeek 746 fg. Verworn 340, 729. v. Vintschgau 238, 240 fg. Virchow 429, 461fg., 652fg. Visser van Hazerswoude 681. Vöchting 547. Vogel 353, 498, 763. Voigt 567 fg., 585 fg. v. Voit 767. Vosmaer 405 fg. Vosseler 59, 60, 113. 714 de Vries 545 fg., 683. Vuillemin 418. Wacker 540. Wagener 661. Wasgler 151. Wagner 461 fg., 663. Waldeyer 435, 523 fg., 655. Wallace 271. Warming 133, 162, 166, 172. 1g., 689. Wasmann 23 fg., 303 fg. Wassilieff 37. Weber 241. Wegmann 68. Weismann 16 fg., 36, 222, 351, 546, 598, 610 fg. Weiss 4695. Weldon 522, 526. Weliky 317. Weltner 109. Werminski 539. Westermaier 197. Wharton 427. Whitman 603. Widmann 495. Wiedersheim 146 fg., 425. Wiegmann 151. Wieles A. 292 fg., 324. Wierzejsky 111. Wiesner 382, 453, 513 fg. Wilckens 223 fg. Wilfarth 418. Wilhelm 353, 513 fg. Wilson 50 fg., 756. Winsinger 497. Winslow 426. Witlaezil 282, 374. Wittich 33. Wolff 523. Alphabetisches Namenregister. Wöhler 494. Wrzesniowski 192. Wundt 236 fg., 243, 252, 437 fg., 469 fg. Yzermann 744. Zacharias 56 fg., 76 fg., 107 fg., 312 fg., 414 fg., 701 fg. Zacharias E. 296. Zeisel 353. Zeiss 431, 467. Zelinka 579. Zesas 429, 462. Zittel 141, 408. Zopf 415. Zuntz 429. Zwaardemaker 760 fg. Alphabetisches Sachregister. A: Aasfliege, Sporenverbreitung 269. Abatrisops 304. Abies pectinata 291. Abronia umbellata 354. Acalyphaceae 265. Acantharia 619 fg. Acanthastrea 56. Acanthomitra 619 fg. Acanthonida 626. Acanthus tlicifolius 556. Accipitres 210, 212, 216, 502 fg. Achillea millefolium 167. Achras 263. Acer campestre 267; A. platanoides 325. Acerutes longifolia 131 fg.; A. viridi- flora 132. Acerina 542. . Acetamid, Pflanzenermährung 19. Acleisanthes 354. Aconitum 258. Acridium 45, 65. Acroperus leucocephalus Koch 58, 60, 619,63, 17. Actinastrum 621. Actinelius 621, 623. Actinia equina 755 fg. Actinophrys 735. Actinosphaerium 620. Aderanes 304. Adler, abnormes Nisten 192. Adventivflora Grönlands 173. Aeschynanthus 57. Aesculus hippocastanum 233. Affen, Samenverbreitung 263. Agelena naevia 356. Ageratum mexicanum 359. Agglutinantia 349. Agiceras 556. Agilardiella Schulzii 409. Agrion elegans 310. Agrostemma Githago 680. Ailanthus 32. Aiptasia 54. Akazienduft 32. Aktionsstrom bei Nerven u. Muskeln 2. Alca 504. Alchemilla alpina 168; A. vulgaris 168. Alcedinidae 505. Alcidae 212. 392, 502. Alcyoniden 54. Aldehydgruppe 490 fg. Aleuronkörner 539. Algen, Verbreitung durch Wasserkäfer 107. Alizarinblau 34. Alienicolae 373, 374. Allopleuren 184. Alona affınis Leydig 77; A. costata G. 0. Sars 78; A. tenuicaudis G.O. Sars 58, 61. Alonia 354. Alopecurus alpinus 170. Alpheus 233. Ameisencocon 262. Ammania vesicatoria 270. Ammocoetes 137. Ammon, karminsaures 34. Ammoniaksalze, Pflanzenernährung194. 776 Amoeba cristalligera 22; A. limax 562; A. proteus Ant. 58, 563, 735. Amphibien 317; A., Bau der Nerven- faser 200. Amphiprion Bleeker 30. Anabaena flos aquae 62. Anacampus pyramidalis 135. Anacardium occidentale L. 268, 270. Anas boschas L. 107, 192. Anatinae 508. Anchusa arvensis 680. Ancyles flwviatilis ©. F. M. 60. Ancystrocladus 264. Anemone alpina 135. Anemophilie 266. Anergates atratulus 306. Aneura pinguis 270. Angraecum 582. Anguis fragilis 142 fg. Anhalonium 555. Anisoplia 45. Annelida sedentaria 72, 128. Annona ovata 291. Anodonta, Exkretionsorgane 68. Anona 263, 265, 292. Anpassungserscheinungen 107. Anseres 216, 392, 503. Anthophora 133. Anthoxanthum odoratum 167. Anthozoen 54 fg., 755 fg. Anthriscus silvestris Hoffm. 29. Antiaris toxicaria 270. Antigone 213 Anuraea brevispina 79, A. cochlearis 58, 77; A. cuvicornis Ehrb. 77; 4. longispina Kellicott 58, 77, 108. Aphidinen 374, 313. Aphis 273. Aphrodite, Exkretionsorgane 72. Apis 29,131, 311. Apperzeption des Sinneseindrucks 236. Aplysia 81, 83, 626. Apocyneen 132, 265. Apteryx 209, 213, 392, 499 fg. Aptornis 212. Arachnoiden-Auge 225 fg. Aralus alpina 168. Arcella vulgaris Ehrb. 58, 60 fg., 78. Archaeopteryx 206. Archangelica offieinalis 168. Arctostaphylos uva ursi 169. Sachregister. Ardea alba 192; A. cinerea 192. Argus 507. Arion, Bau der Nervenfaser 203. Aristolochia 32. Arktische Länder, Vegetation 161 fg. Arnica montana A135. Aroideen 32. Arrenga saccherifera 270. Arrenurus Bruzelü Könike 60, 61; 4A. globator O. F. M. 63. Artabotrys 265. Artemia salina 21. Artocarpus integrifolia 271. Arthropoden 128. Ascaris mystax 576. Ascellus aquaticus keofr. 58. Ascidien, Exkretionsorgane 75. Ascidia mentula TD. Asclepias cornutii 131, 451 fg.; A. in- carnata 130 fg., 453 fg.; A. pur- purascens 131; A. Sullivantii 131 fg. ; 4A. tuberosa 131; A. vertillata 130 fg. Ascobolus pulcherrimus 263. Asparagin, Pflanzenernährung 195. Asperucho 264 fg. Asperula 32, 265, 353. Aspidochelydidae 152. Aspidonectes muticus Les. 181. Aspidosiphon strombi TR. Asplanchnäen 79. Asplanchna Girodi de Guerne 77; A. heWwetica Imhof 60, 77; A. Im- hofi de Guerne 78. Astacus- Auge 225; 4A., Exkretions- organe 3. Astata 131. Aster chinensis L. 28. Asterias glacialis 34, W. Asthmator ciliaris 287. Astragalus vesicarius 139. Astrea 751. Astroides 758. Astrolophus 621. Astropeceten 85; 4A. aurantiacus 73; A. penthacanthus 73. Atax crassipes O.F.M. 58, 77; A. spi- nipes O. F. M. 61. Atemeles 23fg., 304fg.; A. emarginatus 24; 4A. paradoxus 24; A. pubicol- lis 24. Athalia spinorum 44. Sachregister. Athecae 152, 180. Atlantochelys Ag. 189. Atomaria linearis 674. Atractides ovalis Könike 58, 62. Atrichia 500. Atriplex 173, 680. Aufmerksamkeit bei psychischer Zeit- messung 251. Auge der Crustaceen 225. Augen der Wirbeltiere 147. Augochlora 131 fg. Aurantiaceae 262. Aurikelduft 32. Avena sativa 680; A. sterilis 260. Avicennia 556. Axolotl 541. Axonia versicolor OÖ. F. M. 58, 77. Azolla-Blätter 270. Azorische Inseln, zool. Exkursion 78. B. Bacillus fluorescens liquaefaciens 575; B. Radicicola 102 fg., 196; B. subtilis 529. Bacterium phosphorescens 479 fg. Bakteroiden der Wurzelknöllchen 101. Baryumverbindungen des Glutins 157 fg. Bauchanhänge der Insektenembryonen 355 fg., 516 fg. Bau der Rhizopodenschalen 333 fg. Batrisus 304. Begonia 548. Bembex nubillipennis 131. Benzoide Düfte 32. Bertya rotundifolia 259, 265. Bestäubungseinrichtungen 257, 353. Bestäubungsvermittler 130 fg. Betula Ermanni 192. Bewegung, chemische 489 fg. Bewegungen, Insekten 309. Bewegungsorgane der Vögel 204 fg. Bienen, Blumenstetigkeit 28 fg. Bignoniaceae 265. Bignonia Unguis 265. Biloculina 350. Biologie der Pflanzen 353, 513 fg. Biologische Studien an Protozoen 14 fg. Blatta 45 fg., 358 fg., 404; B. germa- nica 356 fg. Blattläuse, Wanderung 271 fg., 363 fg. Ta Blumenstetigkeit der Bienen und Hum- meln 28 fg., 257 fg. Blüten, Duft der Bl. 32. Blütenfarbe, Wechseln 135. Blutgase 430. Blutkörperchen 429. Boerhavia 354. Bojanus’sche Organe 66, 75. Boletus piperatus 270. Bombus 259, 453 fg.; B. alticola 133; B. bimaculata Krehb. 29; B. hor- torum L. 29,311; B. mastrucatus 133; B. Pennsylv«nicus 132 fg.; B. pra- torum L. 29, 133; B. scutellaris 132; B. separatus 131 fg.; B. terrestris 29, 133; B. vagans 133. Bombyx mori 43. Bonellien, Exkretionsorgane 73. Borraginaceae 265. Borstenschlingen 371. Bosmina cornuta Jur. 58; B. longiro- siris. 0. F. M«58, '77,, 108: Brachionus pala Ehrb. 79. Branchipus 34, 37. Brassica nigra 271. Brennhaare der Pflanzen 270. Bruguiera gymnorhiza 557. Bryozoen 47, 83, 107. Buceros 503. Bucerotidae 209, 506. Bufo cinerea 128. Bulbochaeta pygmaea 59. Bunodes 31; B. verrucosa 756. Butorides macrorhynchus 192. Büttneriaceae 265. Bythinia tentaculata L. 62. Bythotrephes longimanus 108. C. Caesalpina Nuga 265. Caesalpiniaceae 265. Cajophora 264. Caktile maritima 257. Calamagrestris 167. Calamintha alpina 29. Calamus 264 fg. Calendula 262. Calla palustris 416. Calliphora vomitoria 311. Callitriche hamulata 172. 778 Calluna vulgaris 169, 179. Calodera 305. Calopogon parviflorum 131. Calorimetrie, physiologische 762 fg. Caltha palustris 165. Campanula barbata 135; C. patulla L. 29; O. pusilla 29; C. Trachelium 135. Campascus 335 fg. Campodea 355, 398, 404 fg. Canarium 263. Canestrini 269. Canna indica 321 fg. Cannabaceae 265. Canosphaerida 340. Canthocamptus minutus 60 fg, 78. Capitonidae 509. Capparidaceae 265. Caprimulgus 505. Caput articulare humeri 216 fg. Carabus 310. Caragana arborea 105. Carbo cormoranus 192, 504 Cardemine amara 134; CO. pratensis134. Cardium, Exkretionsorgane 68. Cardium protactum Eichw. 542. Caretta185fg.,191; C. imbricataL. 180. Carettoidea 151. Carica digitata 270. Caryophillaceae 32, 164. Carysta ureus 270. Cassidaria echinophora 86. Cassiope hypnoides 169; U. tetragona 169,712 Cassis sulcosa 86. Castanea 32. Casuarius 209, 216, 503 fg. Catapleura 191. Ceanothus africanus 268. Cellepora 543. Cenocapsa 622. Centaurea 10, 257. Centropyzis aculeata Ehrb. 58, 60 fg., 63, 78. Centrotoma 304. Centrurus 229. Cephalopoden 33. Ceratium hirundinella Bergh. 58; C. longicorne Perty 77. Ceratophyllum 416. Cerceris 131 fg. Baird 58, Sachregister. Cereus 554 fg.; ©. pedunculatus 756. Cerianthus 755; C. membranaceus 756. Ceriodaphnia megops G. O. Sars 60, 61, 63; ©. pulchella G. O. Sars 77. Cerithium margaritaceum 542 fg. Chaetogaster sp. 58. Chalaza 262. Challenger-Expedition 47 fg., 179, 738. Challengerida 337, 343, 345. Chamaelea vulgaris 142. Chamaeleonidae 212. Chauna 505. Chela 410. Chelidonium 548. Ohelidrydae 186. Chelodina longicollis 189. Ohelonia 185 fg., 191; Ch. corvacea 150; Ch. mydas 150, 618. Cheloniidae 191, 618. Chelonis Hoffmanni 184. Chelyra Rafinesque 149 fg. Chemie des Glutins 156 fg. Chemische Bewegung 489 tg. Chennium 304. Chenopodium 680. Chermes 314, 375; Ch. abietis L. 271fg., 312 fg:, ..363 fg:;: Ch. coceineus 316; Ch. coniferarum 280, 316, 375; Ch. Funitectus 370; Ch. laricis 315 fg., 364; Ch. obtectus 315 fg., 364; Ch. orientalis 364, 370; Ch. Piceae 370; Ch. Pini 370; Ch. Strobi 370; Ch. strobilobius 277 fg., 367 fg.; Ch,tardus 277 fg., 365; Ch. viridis 316. Chermesinae 313. Chiastolus 621. Chimaera monstrosa 202. Chinolin, fäulniswidrige Wirkung 767 fg. Chionis 506. Chirodoten 82. Ohironomus 400, 403; Ch.-Larven 42. Chitons 740. Chondranthus 332. Ohrysanthemum Leucanthemum 134. Ohrysanthemum suaveoleus Aschs. 264. Chrysomitra 53. Chunga 506. Chydorus sphaericus 61, 63, 77 fg. Cicendela 310. Ciliaten, Verjüngung 17. Cilioflagellaten 79. Sachregisteı. 719 Ciona intestinalis 31. Circoporida 343. Cirsium arvense257 ; O.lanceolatum 257. Cladoceren 107. Cladophora fracta 59. Cladostrongyla 410. Oladotylota 410. Clarkia 548. Clavieula der Vögel 208. Claviger 23, 304, 307. Clavigeriden 304. Clematis mauritiana cerispa 270. Cleoma gigantea 271. Clepsine bioculata Sav. 58, 73. Cnemiornis 211. Onicus 10. Unidium venosum 270. Cobaea 264 fg. Coceinen 313. Coccyomorphae 499. Coffea arabica 268 fg. Colibri, Bestäubungsvermittler 131. Coleochaete 578. Coleopteren 307. Collocalia 509. Colpochelys 181, 185 fg., 618; (©. Gar- man 182. Columbae 209, 500 fg. Colura 579. Colurus uncinatus Ehrb. 58. Colymbidae 392, 504. Colymbus 207, 212. Comatula 594. Compositae 164. Conochilus volvox Ehrb. 58, 60, 77. Convulvus 265; O.arvensis 265; C. Sol- danella 257. Copepoden 113, 327. Coprosma Baueriana 268. Coracoideum der Vögel 205. Corethra - Larven 42. Coriudo Fleming 149 fg. Cornea des Crustaceenauges 227. Cornus sanguinea L. 267, 282. Cornuspira 350. Corotoca 305; (©. Melanthe 305. Corvus macrorhynchus 192. Crabro 131. Cracca 267. Cracidae 507. Crangon vulgaris 227. Oraniella 407 fg. Crataeyus 32. Orinum asiaticum 559. Cristellaria 339. Cruciferae 164. Crustaceen, Exkretionsorgane 34, 80. Cryptochylum nigricans 14. Uryptocoryne 559. Cryptodira 152. Uryptolaria abyssicola 48; C. diffusa 48; C. humilis 48. Crypturus 504 fg. Orysophanus 132. Cueulidae 507. Cureulioniden 307. Cueumis 548; CO. sativus L. 28. Cucurbita Pepo 449 fg. Culex - Larven 42. Cumarinpflanze 353. Cunoctantha octonaria 0. Cybister virens 308. Cyelas, Exkretionsorgane 66. Uyeloclypeus 351. Cyclops agilis Koch 59 fg.; C. coro- natus Claus 77; CO. fuscata Jur. 60; O©. lueidulus Koch 64; ©. maarensis Vosseler 5dfg.; C. signatus Koch 58; CO. strenuus Fischer 58, 60, 63, 64, 77; C. tenuicornis Claus 58, 60 fg.; C. viridis Fischer 58, 77. Oyelotella operculata 7. Cygnus 504; CO. americanus 213; 0. ferus 211, 213; CO. olor 211. Oylista undata 756. Cymbulia 586. Cynodon dactylon Pers. 275. Cyperaceen 265. Uyphoderia 337. Cypris fuscata Jur. 58,61; C. fasciata 0. F. M. 61; C. virens Jurine 78. Uypselus 505 fg. Dallbergia 265. Danais 131. Daphne Mezereum 270. Daphnella brachyura Liev. 58, 60, 63, 78; D. Brandtiana Fischer 77. Daphniden 34 fg. 780 Daphnia longispina Leydig 58, 63, 77; D. Schödleri G. 0. Sars. 63; D. vitrea Kurz 58. Degeneration, senile 16. Dendrobium attenuatum Lindl. 577; D. cucumerinum 582. Dendrocheliden 503. Dendrocoelum lacteum Oerst. 58, 60, 62. Dendrocometes 20. Dentalina 339. Dentalium, Exkretionsorgane 70. Dermatochelys Lesuour 149, 619. Dermochelydidae 191. Dermochelys Blainv. 149, 180fg,, 191, 618 fg. Desmidiaceen 79, 107. Desmoncus 264. Desmonema 64. Dictamus 32. Dianthus 32. Diaptomus castor J ur. 62, 77; D. coeru- leus Fischer 58, 63, 77; D. graei- loides Lilljeb. 59. Diatomeen 79, 107. Dichthadia 308. Dictyocladium 49. Didemnum 82. Dididae 213. Didinium nasutum 20. Didus 211, 214. Difflugia 335 fg.; D. corona Wallich 112 fg., 337; D. marsupiformis 336; D. oblonga Ehrb. 58; D. pyriformis Perty 60 fg., 78; D. spiralis 337; D. urceolata 340. Dileptus 108. Dilleniaceae 265. Dimorphotheca 262. Dinarda 24, 27, 305. Dinobryon stipitatum, Stein 60. Dinornis 207, 209, 211, 214, 216. Diomedae 213. Dionea -Blatt, elektr. Erscheinungen 1 fg. Dioscorea 264 fg. Dipladenia 265. Diplocyathus 48. Dipsacus sylvestris 683. Diptera 312. Dischidia Rafflessiana 685. Sachregister. Disyringa similis 409. Dolium galia 83 fg. Donax 287. Doriopsis, Exkretionsorgane 68. Dorylus 308. Dorypygus gibber 330. Dromaeus 209, 214, 216, 398. Dryobalanops camphora 597. Duft der Blüten 32. Düfte, indoloide u. s. w. 32. Durio zibethinus 271. Dyssycus 405. Dytiscus marginalis 308. E. Echinaster 85. Echinocactus phyllacanthus 755. Echinococeus 127. Echinodermen, Exkretionsorgane 73. Echinothrix calamare 30. Echinus microtuberculatus 73. Eeiton 306. Edwardsia lineata 756. Eibildung bei Copepoden 327. Eiffelseen, z00l. Exkursion 56 fg., 76 fg., 107 fg., 414 fg. Eisenvitriol 295. Eiweißstoffe verdauender Körper 154fg. Eiweißstoffe in den Pflanzen 576. Blaeocarpus 263, 268. Eledone, Exkretionsorgane 69. Elektrische Erscheinungen am Dionaea- Blatt 1 fg. Elektrische Hautreizung 245. Elymus arenarius 683. Embryonale Bauchanhänge der Insek- ten 355 fg. Emigrantes 375. Empetrum nigrum 171. Emys Dollfusiüi Lennier 191. Enaliosaurier, Parietalorgan 143. Ennchelys farcimen 20. Eindyptes 213, 506. Engelwurz 168. Entocolax Ludwigii 567 fg., 585 fg. Entoconcha mirabilis 569. Eosphargis gigas Owen 619. Epallax 408. Epenthesis Me Cradyi 51. Sachregister. 781 Ephemera Scheuchzeri 173; E.-Larven 42, 46. Epididymis bei Hühnern 522. Epilobium hirsutum 133. Epiplastaugen 147. Erbse, Wurzelknöllchen 417 fg. Eretmochelones 151. Eretmochelys 180, 185. Ericacae 164, 179. Erkennungszeit der Farbe 239. Ermüdung, Einfluss auf muskulare Re- aktion 254. Ernährung der Pflanze mit Stickstoff 193. Erodium eiconium 680. Ervilia Podolica Eichw. 542. Ervum 104. Eschna 46. Estheria 34, 41. Etiolierungserscheinungen 481 fg., 617. Eucopella Campanularia 47. Eueryphiaceae 265. Eudorina elegans 107. Eugenia 263, 268. Euglypha 335 fg. Euphorbiacea 265. Euplotes patella 21. Eurycercus lamellatus Ö. F.M. 58, 61fg. Eurypyga 506 fg. Euscorpius 229. Excoecaria Agallocha 270. Exkretionsorgane 33 fg., 65 fg., 127 fg. Exkursion, zoolog. an die Kraterseen der Eiffel 56 fg., 76 fg., 107 fg. Extensität des Nervenreizes 246. Extremitätenskelet bei Säugetier- stämmen 684 fg., 716 fg. F. Falconidae 503. Fanzago 269. Farbe, Erkennungszeit 239 fg. Farberkreuzung bei Pferden 223. Farbstoffe zum Studium der Exkretions- organe 34. Fauna, sarmatische 542 fg. Favia affinis M. Edw. 750. Fermentation 93 tg. Fermentative Vorgänge in den Organen des Tierkörpers 9. Fibrocartilago sesamoidea humera- capsularis 217. Ficus 263. Filago germanica 273. Fissurella, Exkretionsorgane #8. Fissurina 336. Fjeldformation 1i0. Flagellaten 20. Fliederduft 32. Fliegenfalle von Wrightia 132. Fliegenlarven, Exkretionsorgane 34. Flora arktischer Länder 162; Fl. der süßen Gewässer 172. Fonta-de-Conte-Baum 269. Forficula 45, 257. Formica fusca 24, 27, 306. Formicoxenus 24, 37. Formvererbung bei Pferden 223 fg. Fornicata edigitata 151. Fortpflanzung, Physiologie 609 fg., 753 fg.; F. der Rindenläuse 312. Fregatta 210, 500. Froschlarvenschwanz, Zerfall der Ge- webe 595 fg. Frullania 579. Fulicariae 209, 503. Fuligluta eristata 12. Fulmarus 503. Fundatrix 375. Fungia 751. Furcularia gibba Ehrb. 58. G. Gaisblattduft 32. Galium 29, 264 fg. Galli 212, 501. Gamasus vepallidus Koch 269. Gammarus pulex Fabr. 58, 76, 541. Gärung 93 fg. Gastroblastea raffaelii 51. Gastrodelphyiden 327 fg. Gehirnblutlauf 431. Gemmantes 373. Genitalanhänge der Thelyphonus 376 fg. Gentiana campestris 165. Gephyreen, chem. Schutzmittel 81 G., Exkretionsorgane 72. Geranium molle 257. Geranomorphae 207. Gerbstoffe 197 fg. 182 Sachregister. Geruchsempfindungen, Reaktionszeit 240; G., Energie 760. Geschlechtsorgane, weibl. bei Cope- poden 327. Geschlechtsverhältnisse der Geborenen 161.1B. Geschmaeksempfindungen, Reaktions- zeit 240. Glandula suprarenalis 522 fg. Gliederhaare der Pflanzen 267. Globula 410. Glutin 156 fg. Glyptodon 182. Goktschai, zool. Exkursion 76. Goniodelphys 330. Gonophoren 47. Gramineen 265. Grammaria 48. Grammatophyllum speciosum 585. Goreopsis tripteris L. 28. Grasmoore arktischer Länder 173. Grassia ranarum Fisch 284 fg., 424 fg. Gromia 336. Grönländische Flora 162, 174 fg. Gronovia 264 fg. Gryllotalpa 45, 400. Gruidae 212, 214. Gymnogramme candiformis 582. H. Haarfarbe der Pferde 223 fg. Habzelia aethiopica 270. Haeterios 24. Hahnenfedrigkeit 525. Haide arktischer Länder 169. Halecidae 48. Haliaetos 192. Haliotis, Exkretionsorgane 68. Halisiphonia megalotheca 48. Haloctus 131 fg. Haematococcus 20. Haptodactyla punctata Sluit. 742. Harpactes 508. Harpagophyton 261. Harnkanälchen 33, 7. Harnstoff, Pflanzenernährung 19). Hatteria 139, 143. Hautreizung, elektrische 245. Heitzmann’sche Löcher 106. Helianthus annus 450 fg. Heliastraea annularis 56. Helichrysum bracteatum Vent. 28. Helicosyrinz parasita 570. Hiliozoon Actinophrys sol 22. Helix, Exkretionsorgane 68; H. fru- tieum 270; H. nemoralis 270. Helmholtz’sches Phänomen 234. Hemipodius 212, 505. Herodii 214, 499. Hesperornis 209, 212, 214. Heterobotrys paradoxa Sace. 265. Heterodera 682; H. Schachtii Schmidt 673, 682. Heterophyllie 266. Hexactinelliden 82. Hexactinia 755. Hieracium auricula 29. Hippomane Mancinella 271. Hippuris vulgaris 172. Hirnaugen, echte 147. Hirudineen, Exkretionsorgane 70, 73. Holcus mollis 167. Holopedium gibberum Zaddach 77. Holothuria Poli 83; H. squamifera Semp. 740. Homalota 305; H. talpa 27. Honiggras 167 Hordeum trifurcatum 548. Hugonia 264. Hühner, Glandula suprarenalis 522 fg. Humerus der Vögel 216. Humulus Japonicus 265; H. Lupulus 265, 270. Hummeln, Blumenstetigkeit 28. Hummer, Auge 231. Hunde, stummelschwänzige 217 fg. Hutpilze 264. Hyaeinthenduft 32. Hyalodaphnia 77. Hyalosphenia 336. Hydra 76, 113; H. fusca L. 61; H. rubra Lewes 61. Hydractinia 50, 53. Hydrangea japonica 326. Hydrichthys mirus 32. Hydrocorallinae 50. Hydrodietyon utriculatum 611 fg., 753, Hydroiden 47. Hydrophilus 307 fg., 355 fg., 397, 400 fg. Hydropkytum 583. - er % & h) a ’ 14 & an ee Sachregister. Hydrochoreutes ungulatus K o ch 61, 63. Hydropteriden 539. Hygrobates longipalpis Herm. 58, 60 fg. Hyla arborea 200. Hymenopteren 312; H., Genitalanhänge 539, 543 Tg. Hypanthea 47. Hyphen der Wurzelknöllchen $8. Japyx 355, 398. Ichthyorinthes 214. Ididae 49. Imbitationstheorie 302. Impatiens 259, 260, 267. Impennes 212, 216, 502 fg. Indoloide Düfte 32. Infanterist, Gleichgewichtsstellung 698 fg. Infusorien, Züchtung 14. Insekten, Auge 230; I, Bauchanhänge 355 fg. ; IL, Bewegungen wahrnehmen 309; I-Embryonen 516 fg.; I., Ex- kretionsorgane 42 fg.; I., myrme- kophile 23 fg.; I., Ontogenie 396 fg., I., Palpen 303fg.; I., Sehvermögen 30. Intracellulare Pangenesis 545 fg. Jodes 264 fg. Isolierung bei psych. Zeitmessung 251. Juglans cinerea 293. Julus 674. Juniperus 171. K. Käfer, myrmekophile 23. Kampfer, Einfluss auf Keimkraft der Samen 353. Karmin zum Studium der Exkretions- organe 34, 70 Kartoffel, Wurmfäule 670 fg. Kehlkopf-Innervation 648 Keimkraft des Samens 353. Keimstreifen der Insektenembryonen 516 fg. Klap rothia 265. Knowltonia rigida 270. Komplikationen bei psychischer Zeit- messung 253. 783 Korallenriffe, Darwin’s 564 fg.; K. der Javasee 737 fg. Körner, sporogene 574 fg. Körnerfressendes Reptil 31. Kraterseen der Eifel 56 fg., 107 fg., 414 fg. Kreatin, Pflanzenernährung 19. Kıystallkegel des Crustaceen - Auges 226. 16. 18,., Laacher - See 56. Labium glenoidale 208. Lacerta 143 fg., 201, 524; L. agilis 146; L. ocellata Daudin 31, 146. Lackmus, Fütterungsversuche 34, 67. Lactarius piperatus 270. Lagena 335 fg. Lakustrische Stationen 414 Lamium album 133; L. Galeobdolon 133. Laridae 212, 216, 392, 503. Larus 505 fg. Laurus nobilis 269. Laryx europaea 323. Lasiostoma 265. Lathyrus cicerea 680. Lavandula 32. Lecythium 337. Ledum 169. Leguminosen, Wurzelknöllchen 97 fg., 270. Lejennia 578. Lepidochelys 185. Lepismium 556. Leptodora 671. Leptodora hyalina 76 fg., 110. Lespedeca 263. Leucanthemum vulgare Lam. 29 fg. Leuchtenbergia principis 554. Leuein, Pflanzenernährung 195. Leucophrys patula 19 fg. Leukocyten 595 fg. Leupinus 97. Levisticum 548. Libelulla vulgata 310. Lieberkühnia 337. Lieschgras 167. Limax, Bau der Nervenfaser 203; L. laevis Müll. 134. Limicolae 507. Limnaea auricularia L. 58, 62; L. la- gotis Schr. 58; L. stagnalis L. 62; L. truncatula OÖ. F. M. 60. Limnesia 60 fg Lina 397 fg., 399, 401, 403. Linckia multiforis 587. Lingulina 336. Listera cordata 168. Lithium, salpetersaures 296. Litholophidae 621. Loasaceen 265. Lobelia urens 271. Locusta viridissima 310. Loganiaceae 265. Lomcera alpigena 268. Lomechusa 23, 304 fg.; L. stı umosa 26. Lopadorhynechus 602. Lophomanas 234 Lophoseris 750. Lotus 105. Lovenia subcarinata Gray 742. Lubriculus variegatus O. F. M. 58. Lueilia 131. Lurdia 85. Lumbricus, Exkretionsorgane 70. Lupinus 102, 105, 540. Lycopersieum 548. Lytoloma 191. Lytolomidae 191. M. Machilis 355, 357, 360. Macfadyena uncinata D. C. 265. Madotheca 579. Madrepora 750. Magnolia Yulan 134. Makrochires 499. Malachium aquaticum 134. Malachius 257. Malpighi’sche Körperchen 33 fg, 46, 69, 7), 128,5520, 599, 041. Mamillaria 555. Mangifera 269. Manicina areolata 756. Mantis 397. Maretia planulata Gray 740 Marica musculus O. F.M 60, 63. Mathiola parviflora 540. Maxillaria 185. Sachregister. Medicago 102, 104. Medusettida 345 Medusen des „Vettor Pisani“ 64. Meeresschnecken, Schwefelsäure- Aus- scheidung &0 fg., 287. Megasclera 410 fg. Melampyrum pratense 135,262 fg. Meleagris 500. Melilotus offieinalis 353. Melissodos 133. Mellina adriatica 128. Melocactus 55». Meloe 356, 516 fg. Melolontha 397, 400, 403 fg. Mentzelia 265 Menyanthes trifoliata 172. Mercurialis perennis 452. Mesembryanthemum 263. Mesodermzellen des Crustaceenauges 22T. Mesograpta marginata 132. Mesosarc bei Polypomedusen 48, Mesostoma 58, 61 fg., 109. Microgromia 337. Microsclera 411. Migration, passive 107. Mikroorganismen im Boden 702 fg. Mikroskopischer Pilz 265; M. Schling- pflanze 265. Milbenhäuschen bei Pflanzen 268. Millepora plicata 49. Milz, Struktur 538 fg. Mimosaceae 10, 265. Mirabilis 354. Mnium undulatum 327. Modifikation der elektr. Erscheinungen am Dionea-Blatt 413. Modiola marginata 542 fg. Molgula, Exkretionsorgane 75. Mollusken, Exkretionsorgane 66, 80. Momotus 508. Monascona 410. Monasconides 409. Monocaulus imperator 48. Monocera bicornis Ehrb. 58. Monoplastiden 16. Monorhiza Haeckelü Haacke 64. Monotoma 27. Montia rivularıs 172. Montipora 740, 75. Moosmore arktischer Länder 173. Sachregister. Moringa pterygosperma 271. Mormon 213. Morphologie der Vögel 204 fg., 385 fg., 499 fg. Murex, Schwefelsäureausscheidung 87. Musca-Larven 45. Muscheln, Wanderung 111. Musophagidae 214. Mutualismus 30. Mycodomatien 270. Mycteria 213. Myositis intermedia Lk. 29; M. pa- lustris 257. Myriactis 755. Myriastra 406. Myriophyllum spicatum 172. Myriotrochus Rinkii Steenst. 567. Myristica 263. Myrmecodia 583. Myrmecoxenus 27. Mwyrmedonia 24, 305. Myrmekophile Insekten 23 fg. Mysis Chameleo Thompson 521; M., Exkretionsorgane 39, 66. Myxine 131, 139. N, Nacheffekt bei elektr. Erscheinungen 2. Nachtschattenduft 32. Nachtschnecken 81. Nais elinguis O.F. M. 58, 78; N. ha- mata Timm 110; N. proboscidea 0. F. M. 58, 61 fg. Nanomia cara A. Ag. 51. Natodelphyiden 329 fg. Natornis 214. Nauclea 263. Nauplius-Larve 404. Nebalia, Exkretionsorgane 40. Negative Schwankung bei elektrischen Erscheinungen 3. Negativität, relative, bei elektrischen Erscheinungen 12. Nektarien wandernde 267. Nematocera 403. Nematoiden 107. Neophalanx 356. Nephelis vulgaris Moqu. Tand. 62 fg., 73. Nephrolepis 582. Nereis cultrifera 70. IX, sh Nerven, trophische 648 fg. Nervenendigungen, motorische 317. Nervenfaser, Bau 199, 527 fg. Nervenlehre, Nach welcher Richtung hin soll sie reformiert werden ? 527 fg., 600 feg., 625 fg. Nesaea 58, 62 fg., 77. Niedermoos, zool. Exkursion 62. Nigritella angustifolia 155. Niphobolus 582. Nippon sinensis 192. Nisten, abnormes, einiger Vögel 191 fg. Nitrate, Pflanzenernährung 194. Nothosaurus 190. Notodromas monacha 0. F. M. 58. Notommata sp. 58. Notopteruphorus 330. Notornis 211. Numida 507. Nyctaginaceen 265, 353. \yctereutes procyonoides 192. v. Oberhautaugen 147. Obermoos, zool. Exkursion 62. Obtectus 315, 366, 370. Oceaniatidae 503. Ocydromus 211, 501. Oecanthus 356, 397, 4090, 519. Oedogonium 616. Odynerus 131 fg. Oiacopates 151. Olagaceae 265. Olfaktometer 760 fg. Oligochaeten 110. Oligota 27. Oncidium Liminghiü 584. Ontogenie der Insekten 396 fg. Onychodromus grandis 21. Operculina complanata 745. Ophidiaster 85. ÖOpisthobranchier 87. Opuntia 553 fg. Orbiculina 350. Orbitolites 351; ©. complanata 340; O. tenuissima 340. Orbulina 341, 344. Orbulinella 344. Orchideen 32. Ornithopus 105. 50 756 Orthopteren, Exkretionsorgane 45. Oryctes-Larven 45 fg. Oscarella lobularis 408. Oscybaphus nyctagineus 354. Osmotische Ströme 11. Osteopygis 186 fg., 191. Östracoden 113. Östrea 542 fg. Otitis 505. Oxalis 132 fg. Oxybaphus viscosus 354. Oxycoccus palustris 173. Oxydationsvorgänge im Boden 702 fg. P. Pachysandra 32. Paeonia 941. Pagurus, Exkretionsorgane 39. Paladina 185. Palaemon, Exkretionsorgane 37. Palamedeae 213. Palmae 265. Palpen bei den Insekten 302 fg. Paludina vivipara 68. Pamphila 131 fg. Pandorina morum 107. Pangenesis 545 fg. Panicum 263 fg. Pankreas-Ferment 154. Papaver 28, 170. Papilia Philenor 132. Papilionaceae 99, 131, 265. Paradoxon, physiologisches 648 fg. Paradoxus typus 263. Paramaecium 18 fg. Parapodopsis cornutum 39. 66. Parasitische Schnecken 567 fg., 585 fg. Parietalorgan 136 fg. Parnassia palustris 165. Parovarium bei Hühnern 522. Parra 505. Passeres 212 fg., 392, 503. Paussiden 27. Pecten 543; P., Exkretionsorgane 66. Pectunculus angusticostatus 542 fg. Pedaliaceen 261. Pedalion mirum Hudson 78. Peireskia grandifola 553. Pelargonium zonale 299 fg. Pelecanus 212, 500. Sachregister. Pellicula 561. Pellueida 148. Pelomysca 562. Pelopaeus 131. Peltochelidae 152. Pemphigus bursarius L. 273; P. spiro- thecae Pass. 2832. Pendel-Rheotom 6. Penista Melicotus 104. Penium digitus 59. Pentacrophys 354. Pepsin 154. Peridinium tabulatum Lf. 58, 63. Peripatus 404. Periplaneta 45 fg., 541. Perisiphonia 48. Peronospora 670 fg., 674. Petanoptera 403. Petromyzon 137, 139. Petrosia 409. Pezipatus-Arten 402. Peziza subhirsuta 263. Pferde, Samenverbreitung 263; Pf., Ver- erbung der Haarfarbe 223 fg. Pflanze, Ernährung mit Stickstoff 193. Pflanzen, Biologie 129, 257, 353. 513, 550 fg., 577 fg.; Transpiration 449 fg.; Wasserleitung in den Pfl. 289 fg. Phaeoconchia 624 fg. Phaeocystina 625. Phaeodaria 619 fg. Phaeodinidae 624. Phaeogromia 625. Phaeosphaeria 624 fg. Phagocyten 595 fg. Phallus impudicus 263. Phallusia mentula 75. Phanerogamenflora Grönlands 162. Phascolosoma, Exkretionsorgane 72. Phaseolus 102, 105, 194 fg., 483 fg.; Ph. multiflorus 488. Philodina 107; Ph. ceitrina Ehrb. 58. Phleum alpinum 167. Phlomis Russeliana 133; Ph.tuberosaL. 133. Phoenicopterus 504. Phora 24. Photographische Aufzeichnung der elektr. Erscheinungen 7. Phryganides 356. Sachregister. 15 Phycodomatien 270, Phyllocactus 552. Phyllophorus 83. Phyllopoden, Exkretionsorgane 41. Phyllorhiza punctata v. Lendenf. 64. Phylloxera 363. Phylloxerinen 313, 315, 376. Physa fontinalis L. 58, 60. Physidium 579. Physiologie der Fortpflanzung 609 fg., ID3.1E. Physostegia Virginica 132. Phytocrene 264 fg. Phytolacca 263. Phytoptus 268. Picea orientalis 370. Ereris 311. Pilobolus erystallinus 263. Pilochrota 406. Pilz, mikroskopischer 265. Pinnaden 191. Pinnata 152. Pinnularia nobilis 57. Pinus 96, 277, 316, 373. Piona 60 fg. Pirola rotundifolia 168. Pisidium fossarinum Clessin 62, 78, 111. Pisonia 261, 264 fg. Pistacia Terebinthus 273. Pisum 102, 104. Pithecolobium 263. Plakina monolopha 408. Planorbus 58 fg. Plantago media L. 29. Plasmodiophora Brassicae 102. Platalea 504. Plateau’s Versuche über das Seh- vermögen von Insekten und Wirbel- tieren 30° Platoum 337. Platydactylus 318, 320. Plectophrys 337. Pleophysidae 53. Plestiodon Aldrovandi Dum. bron 31. Pleurobranchidium Meckelü 87. Pleurobranchus 83, 87. Pleurodira 152. Pleuroxus 60 fg., 78. Plotus 506. et Bi- Plumpago 270. Poa 167; P. annua 680. Podiceps 207, 213, 504. Podisus spinosus 132. Polacanthus 182. Polemoniaceae 265. Polistes 132. Polyarthra platyptera Ehrb. 58 fg. Polyascona 410. Polycelis nigra ®. F. M. 58, 60, 69. Polyeladen 337. Polyergus 306. Polygonium 134, 264 fg., 270, 680. Polynoe aculeata 72. Polyphemus pediculus de Geer 77. Polyphillie bei Pinus 96. Polyplastiden 16. Polypodia quercifolium 583. Polypodium 582. Polypomedusen 47. Polyspira 410. Polystomella erispa 340. Pompilus 131. Ponera 308. Populus dilatata 292; P. tremula 266. Porites mucronata Dana 740, 750 fg. Positivität, relative, elektrischer Er- scheinungen 12. Pouzolzia indica 264 fg. Prämaxillaria 185. Priocnemis 132. Proganochelys (Quenstedtii 182. Propleura 191. Prorhynchus 110. Prorodon teres 20. Prosobranchier 86. Prosopis 263. Prothallien bei denHydropteriden 539fg Protistenstudien, Psycho - physiologi- sche 729 fg. Protoplasma, Struktur 500. Protosphargis 185, 190 fg. Protostega 185, 189, 191, 619. Protozoen, biolog. Studien 14 fg., 80. Prunella vulgaris 29. Prunophracta 623. Pselaphiden 304. Pselaphini 304. Psephoderma v. Meyer 199. Psephophorus 184, 190, 619. Pseudorhiza aurosa v. Lendenf. 64. 50 * 188 Psittaci 392, 503. Psophia 506. Psychische Zeitmessung 234 1g., 437 fg., 467 fg. Psychotria daphnoides 268. Pterocles 502 fg. Pterygoidea 185. Ptychosperma Rumphü Bl. 270. Puffinus 509. Puluj’sche Röhre 236. Pupiferae 373. Purpura haemastoma 237. Pygosceles 506. Pyrus 32. R. Quadrula 335 fg. Quedius brevis 24, 27. Quercus Robur 268. Quinqueloculina 350. R. Rädertiere 80, 107. Radiolariae 619 fg. Radula complanata 578. Rafflesia 32. Rallidae 207. Rana 2834 fg., 318. Ranunculaceae 164. Ranunculus acer L. 29; R. auricomus 167; R. hyperboreus 173; R. lapponi- cus 173; R. nivalis 173; R. repens 167; R. sceleratus 270. Raphanus 483, 680. Ratitae 503. Reaktionszeit, einfache 234 fg. Regulationstheorie 431. Reithgras 167, Reizschwelle 237. Remigrantes 373. Reptil, ein körnerfressendes 31. Reptilien, Parietalorgan 136. Retina des Crustaceenauges 226. Rhamnaceae 265. Rhamnis 268 fg. Rhamphastidae 209. Rhea 209, 214, 503. Rheotom 4 fg. Rheum 297, 322. Sachregister. Rhipsalis 552, 556. Rhizophora 557. Rhizopoda Radiaria 619 fg, Rhizopoden 107; Rh., Schalen 333 fg. Rhus varielobata 271. Rhynchoten 314. Richtungskörperchen 546. Ricinus communis 453. Rindenläuse, Fortpflanzung 312. Rinder, Samenverbreitung 263. Rispengräser 167. Robinia 32, 99, 105. Rosaceae 164, 265. Rossegel, Bau der Nervenfaser 203. Rotatorien 59. Rübenmüdigkeit des Bodens 673 fg., 705 fg. Rübennematode 673 fg., 705 fg. Rubiaceae 167, 265. Ruchgras 167. Rudgea lanceolata 268. Rumex acetosa 173. Rynchocephaliae 618. S. Saccharobiosen 93. Saccharomyces cerevisiae 93. Saftmale der Pflanzen 267. Sagartia 55. Sagartidae 756. Salicornia 173. Salix 168 fg., 176. Samartische Fauna 542 fg. Sambucus 267 fg. Samen, Keimkraft 353; tungsmittel 259 Samolus Valerandi 257. Sanguinaria 32. Sapindaceae 265. Sarsia 52. Saturnia pini 44. Sauerstoff in den Pflanzen 576. Säugetierstämme, Extremitätenskelett 684 fg., 716 fg. Saurier, Parietalorgan 143. Saxifragae 164, 170. Scabiosa atropurpura L. 28. Scapholeberismueronata O.F.M.58, 61fg. Scapula der Vögel 207. Scenedesmus obtusus 107. S., Verbrei- Sachregister. Scepsis 131. Schacht 675. Schilderungen, pflanzenbiologische 550 fg., 577 fg. Schilddrüse 426 fg., 460 fg. Schinus 268, 271. Schizoneura corni 273. Schleife, weiße, der von Crustaceen 37. Schleimfäden der Wurzelknöllchen 105. Schlingpflanze, mikroskopische 265 Schmetterlingsraupen, Exkretions- organe 43. Schnecken, parasitische 567 fg., 585 fg.; Sch., Samenverbreitung 264. Schneckenfraß 270. Schultergelenk der Vögel 217. Schwämme 405 fg. Schwankung, negative, bei elektrischen Erscheinungen 3. Schwanzfäden der Hunde 222. Schwefelsäure-Ausscheidung b. Meeres- schnecken 80 fg., 287. Schwerpunkt des menschlichen Kör- pers 698 fg. Schwimmvögel, Fauna 79, 107. Scilla maritima 270. Scirpus maritimus 173. Scleria Flagellum 264 fg. Sclerothrix 265. Scolopendrella 355, 360. Scrophulariaceae 164. Scutelloria alpina 133. Scyphostoma 793. Scytina W agler 149 fg. Seeigel 82. Seelidien 82. Seesterne 82. Seewasser-Amöbe 22. Segmentierung der Insektenembryonen 516. Selbstbeobachtung bei Zeitmessung 256. Selinocarpus 354. Semicarpus Anacardium 270. Sempervivum 515. Senile Degeneration 16. Sepiola, Exkretionsorgane 69. Seriatopora elegans M. Edw. 750. Seriola zonata Cuv. 52. Harnkanälchen Translozierung der psychischer 189 Serpula gregalis Eichw. 543. Sertularella Gray 48. Sertularia 48 fg. Sexuales 374. Sexuparen 373. Sibbaldia procumbeus 168. Sida eristallina O.F.M. 58, 61 fg., 77. Siderastrea radians 56. Siegesbeckia Rheum 348. Sigma 410. Simocephalus vetulus O. F. M. 58. Simulia 403. Sinapsis 271, 680. Sinnesreiz, Einfluss auf die Dauer der Reaktionszeit 234 fg., S, Extensität 245. Siphonia 409. Sipunculus nudus 73. Siredon pisciformis 318. Smilacineen 265. Sonneratia acida 560. Sorbus americana 166. Spatangus Desmarestii Münster 513. Spathoidea uncata Spr. 269. Spermatozoiden, pflanzliche 576. Sphaerae 410. Siphaerofracta 623. Sphargididae 82, 149 fg. Spheniscus 213, 504. Sphex 132. Sphinz ligustri 44. Spirachtha 305. Spiraea opulifolia 382. Spirogyra sp. 59. Spirochona 20. Spiroloculina 350. Spongien, System 113 fg.. 405 fg. Spongilla flwviatilis Lbk. 58, 76, 112. Spongopyle 346; Sp. cireularis 346. Sponomenta molinella 44. Sporidesmium putrefaciens 674. Sporogene Körner 574 fg. Squilla mantis 40, 66. Stapelia 32, 130. Staphyliniden 304 fg.; St.-Larven bei Formica - Arten 25. Staurotheca 49. Steatornis 509. Steganopodes 500 fg. Steinkorallen 55. Stellaria 134, 167, 173. 790 Stelletta 406 fg. Stellio vulgaris Daudin 31. Stenobothrus 357 fg., 398, 400, 403, 518 fg. Stenostoma 58 fg. Stentor coeruleus 19 fg. Stilifer linckiae 569, 587. Stipa pennata 260. Strandformation arktischer Länder 173. Striges 210, 212, 216, 503. Strobilobius 364, 367 fg. Strobus 96. Strongyclad 410. Strongylocentratus lividus 73. Strukturen, feinfaserige, in den Ge- weben 50 fg. Struthio 206, 209. Strychnos 265, 268. Stummelschwänzige Hunde 217 fg. Stützorgane der Vögel 204 fg. Stylonichia pustulata 15, 18, 21. Suberitidae 409. Sula 504. Süßwassercölenteraten, 211. Süßwasserschwamm, grüner 112. Sympodium 264. Synapta digitata 570, 591. Syringa 32. System der Spongien 113. Systematik der Vögel 204 fg., 385 fg., 499 fg. Sytoloma 186. Verbreitung 'P: Tabellen bei mikrosk. Arbeiten 416. Tachytes 132. Tachyusa 305. Taeda 96. Taenia echinococcus 128. Taeniophyllum Zollingeri 581. Taygetes 29. Taraxacum ofjicinale 168, 515. Taxus baccata 294. Tecophoren 191. Tellina, Exkretionsorgane 66, 68. Tenobria melitor 46, 65. Teramnus 265. Tetilla 407 fg. Tetractinellida 405. Sachregister. Tetramorium caespitum 306. Tetraneura ulmi L. 272 fg., 375. Tetraonidae 500 fg. Tetraxona 410. Terpenoide Düfte 32. Teuerium Scorodonia 258. Thalanochelys 185. Thalanomydes Rutimeyer 181. Thalassemididae 191. Thalassochelys 186, 618. Thecla 132. Thecophora 153, 180. Thelyphonus 376 fg. Thenea 409. Therodiscus 261. Thuiaria 49. Thurammina 341, 344. Thyca ectoconcha 569, 587. Tiedemann’sche Körperchen 73. Tilia europaea 268. Tillandsia usneoides 581. Tinamus 212. Todus 508. Tomiciden 307. Toxa 410. Toxaspira 410. Trachicht"ys 30 fg. Tradescantia zebrina 457. Tragia 264 fg. Tragopogon major Jacq. 29 fg. Trampelklette 261. Transpiration der Pflanzen 289, 449 fg. Triaxona 410. Triehome der Pflanzen 267. Trichius 131. Trientalis europaea 166. Trifolium pratense L. 29. Triloculina 350. Trimorphismus Arten 132. Trinema 107, 337. Trisceles 410. Triticum vulgare 680. Tritonivum 83, 87. Trochilidae 502. Trophische Nerven 648 fg. Tropidemys 191. Tropitonotus natrix 143. Trüffelfliege 263. Trypsin 154 fg. Tubinares 212, 500. nordamerik. Oxalis- Sachregister. Tubuli contorti 33. Turbellarien 337. Turgor am Dionaea-Blatt, sein Zu- sammenhang mit elektr. Spannung 3. Tuscarorida 343, 345. Tydeus foliorum 269. Tylenchus 671 fg., 682 fg. Tyloclad 410. Typhlopone 308. Tyrosin, Pflanzenernährung 195. IR Ulmus campestris L. 272. Ulothrix 59, 616. Uncaria 264 fg. Uniloculina 350. Unio 541; U., Exkretionsorgane 68. Inthoxanthum odoratum 353. Upupa 505. Uria 504 fg. Uromastix 31. Urschildkröten 182. Urticaceae 265. Urtica urens 173. Utrieularia minor 172, 269. RG Vaccinium uliginosum 471. Valvata cristata O. F. M. 62. Vanellus 506. Vanilleduft 32. Varanus 139, 143. Vaucheria 616. Vegetation arktischer Länder 161 fg. Veilchenduft 32. Velella 53. Ventilago madenaspatana 269. Venus cassina 287; V., Exkretions- organe 67. Verbreitungsmittel der Samen 259. Vererbung erworbener Eigenschaften 217,.010 Tg. Verjüngung bei den Ciliaten 17. Veronica.29, 259, 261. Vettor Pisani, Medusen 64. Viburnum Opulus 267. Vicia 29, 102, 104, 267. 91 Vieium 540. Vincetoxium offieinale 130. Viola 32, 135, 165. Virgines fecundae 373. Viscum 582. Vögel, Morphologie und Systematik 204 fg., 385 fg., 499 fg. Vogelberg, zool. Exkursion 62. Volvoeinen 20. Vomer 185. Vortex 58, 61 fg., 109. Vorticellinen 20. W. Wanderungen der Blattläuse 363 fg. Wasserkäfer als Verbreiter der Algen 107. Wasserleitung in den Pflanzen 289 fg. Wassermilben 58. Wasserschnecken, Wanderung 111. Willensimpuls 236, 255. Wind, Translozierung der Fauna 79. Wirbeltiere, Exkretionsorgane 128; W., Sehvermögen 30. Wolff 675. Wrightia coccinea 132. Wurmfäule der Kartoffel 670 fg. Wurzelknöllchen 97 fg., 270, 417. X. Xenia 54. Xylocopa violacea 133. 2. Zea Mays L. 273, 299. Zeitmessung, psychische 234 fg., 437 fg., 467 fg. Zellenkern, Struktur 576. Zellgranulationen 541. Zellkörner 549. Zinnia elegans Jacg. 29. Zitterpappel 265. Zoophilie 266. Zuckerbildung der Leber 95. Zugvögel in arktischen Ländern 178. Zwiegestalt der Blätter 266. r ed er VERHEIBS en e , Im. 5 + a A PS y > 4 \ Kr g . {r N > R B; \ a RN ER ’ ö SE \ A Q A“ a Be nd E ea fi d b 1 Wa u E % % RED. L ey Ri &7 " . ; & 2 27 VL EN > 2 r , ER Zn X Di A EL RR 2 5 u D DAR, “ ER R se en RR “ “ a* c RE Q N, AK, \ ” Pre... FÜRS s k d . , “ © A, sr . a e ex = > N a s ; 1) u ' Cr „e > 7 re