#7 > * as aa N Edi > ET VE nt RER ES < Received Accession No. Given by. Place, *,*No book or pamphlet is to be removed from the Lab- oratory without the permission of the Trustees, ER E = 7 W . 2 re $ FR Pr re, EN re DE ED et t ER min EL RE AN a nr) EN NE a N EN Di Pr RR 2 ER Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Rees und Dr. E. Selenka Professor der Botanik Professor der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Professor der Physiologie in Erlangen. Elfter Band. 1891. Mit 41 Abbildungen. Leipzig. Verlag won.R duardisB e'sokid: 1891. IV Inhaltsübersicht. Wasmann, Zur Bedeutung der Fühler bei Myrmedonia . » » - » Derselbe, Zur Frage nach dem Gehörsvermögen der Ameisen . Schlampp, Die Augenlinse des Proteus anguimeus 2». Nusbaum, Beiträge zur Embryologie der Isopoden . » .» 2... Gräfin v. Linden, Aus dem Insektenleben . . . - : Looss, Ueber Degenerations-Erscheinungen im Tierreich, DERORaRIE ber die N edustöh des Froschlarvenschwanzes und die im Verlaufe der- selben auftretenden histolytischen Prozesse . Carriere, Die Drüsen am ersten Hinterleibsringe der enlyerzsı Emery, Zur Biologie der Ameisen . . 5 Graber, Ueber die wa Anlage de But und Foitgowelles ve Insekten . . . k u: Derselbe, engen zu ir: Oarridrer N Mamesatn Fie Diesen am ersten Hinterleibsringe der Insektenembryonen“ i Sehimkewitsch, Versuch einer Klassifikation des Tierreichs Et 3irula, Einiges über den Mitteldarm der Galeodiden Knipowitsch, Zur Entwicklungsgeschichte von Clione ee 2300: Wasmann, Vorbemerkungen zu den „Internationalen Beziehungen“ der Ameisengäste . . . ; UST; Nusbaum, Zur Morhelese a Tsopodenfüße ER : Imhof, Die Arten und die Verbreitung des Gerus ee Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage . DD LE, ie Ziegler, Die biologische Bedeutung der hen (direkten) Kern- teilung im Tierreich Carriere, Zu Graber’s Bench Seite 294 5 Frenzel, Ueber die primitiven Ortsbewegungen der Organismen ; Sehewiakoff, Bemerkungen zu der Arbeit von Professor Famintzin über Zoochlorellen . . . ARE MuP Blochmann, Eine chende ee im Süßwasser Cori, Untersuchungen über die Anatomie und Histologie der Gattung Phoronis . . B Zone Kochs, Ueber die Den Me Schädigung = Fischbestände im ones Winter . Löwit, Ueber tonache Keomtteilnde Häcker, Die Forschungsreise S.M. S. ae in den ae, 18741876 «Verson, Zur Beurteilung der amitotischen Kernteilung . . . . Frenzel, Zur Bedeutung der amitotischen (direkten) Kernteilung Dienseilp’e, Das, Me80z200n: Salımella Zacharias, Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers. Einführwi:g in das Studium derselben . . . : v. Wagner, Der Organismus der Beelen Türbeltdäien ern Bernard und Bratuscheck, Der Nutzen der Schleimhüllen für die Froscheier : : Rn 1 5 en en Werner, Biologische Stadien an Reniilken Baer) : Sk Frenzel, Die nukleoläre Kernhalbierung, eine besondere Form Run ami- totischen Kernteilung Thiele, Das Integument der Ahitonen h Ziegler u. vom Rath, Die amitotische Korteilee bei Alsd Arikeenoden Frenzel, Der Zellkern und die Bakterienspore Gräfin v. Linden, Das Schwimmen der Schnecken am we Seite 23 26 40 42 71 Inhaltsübersicht. III. Anatomie, Anthropologie, Histologie, Entwick- lungsgeschichte. Seite Capparelli, Die nervösen Endigungen in der Magenschleimhaut . Auerbach, Zur Kenntnis der tierischen Zellen. I. Mitteilung: Ueber zwei chromatophile Kernsubstanzen. — Ueber dje Blutkörperchen der Batrachier . 5 Bütschliu. Schewiakoff, Re En nen Ban der auergestreiftn Muskeln von Arthropoden : Apäthy, Ueber die a ii unfsscklich bei Maske au Nervenfaseın . . ROSE U; Rollet, Ueber al in en Muskeln Fick, Ueber die Form der Gelenkflächen Arien, Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des es ee Hasse, Die Ban des menschlichen Körpers und die Formänderungen bei der Atmung ? Retzius, Biologische Den anebungen Nagel, Ueber die Entwicklung des Uterus und der ae Sn een Ellenberger u. Baum, Systematische und topographische Anatomie des Hundes . a: Braune u. Fischer, Heber die en dee Krieselenke. Tach einer neuen Methode am lebenden Menschen gemessen. — Nachträgliche Notiz über das Kniegelenk : Auerbach, Ueber einen sexuellen Gepensarn in nr Alle Ei ee ae nebst PEN zum Bau der Eier und Ovarien niederer Wirbeltiere Valenti, Ossa sopranumerarie del naso IV. Physiologie. Preyer, Ueber die Anabiose . Elfving, Ueber physiologische Perwi einiger Kirpsr Trautzsch, Anmerkungen zu den Versuchen des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose Kochs, Beiträge zur Kin des open a He Safer io Menschen : . Friedlaender, Zur Bere ind Erforschung de ieiischen Be wegungen Rosenthal, eazals über Wätneprodiktion be Saupetieren : Greenwood: Ss Untersuchungen über die Wirkung des Nikotins ei niedere Tiere Rosenthal, Die BereprodnkHon im Fieber : Stern, Ueber das Auftreten von Oxyhämoglobin in der Galle i en Die Physiologie der facettierten Augen von Krebsen und Insekten Schmiedeberg, Ueber die chemische Zusammensetzung des Knorpels Frenzel, Notiz über den Wassergehalt des Muskelfleisches . 27 31 33 666 To 736 VI Inhaltsübersicht. V. Verschiedenes. Seite Errera, L’aimant agit-il sur le noyau en division? a 2 Billroth, Ueber die Einwirkungen lebender Pflanzen- und Tierzellen auf einander ER SA ENG APFEL AR EU Be BE EN EN a, Frankland, Percy F. und Grace €. F., The nitrifying process and its speeific ferment . 5 54 Knauthe, Zur Frage der ne Sworbpier Treanschatren. FERTE Koch, Fortsetzung der Mitteilungen über die Heilung der Tuberkulose - 59 Rudzki, Ueber ein angeborenes Gefühl der Kardinalrichtungen des Horizonts : . 63 wabryelski, Die Gelehrter suche ’ 87 Rosenthal, Zusatz zur vorstehenden Altsndlang 96 Der zehnte Kongress für innere Medizin . . u 192 Liebreich, Die Wirkung der in anzen Salze e 247 Günther, Einführung in das Studium der Bakteriologie mit ende Berücksichtigung der mikroskopischen Technik 5 319 Wolff, Erwiderung auf Herrn Prof. Emery’s „Bemerkungen“ ne meine „Beiträge zur Kritik der Darwin’schen Lehre“ : 321 Marktanner-Tuoneretscher, Die Mikrophotographie dh Hilfsmittel naturwissenschaftlicher Forschung > ER 351 Spener, Ueber den Krankheitserreger der Malaria IN NIE 390, 429 Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften . . 448, 599, 633, 668, 765 64. Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte. Halle a. S., 21.—25. September 1891 509 ee Ueber Aufgaben und Methoden der Poychelesie 539 Siebente Versammlung des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheits pflege zu Leipzig am 17., 18., 19. u. 20. Sept. 1891 . 544 Emery, Nochmals über Herın Dr. G. Wolff’s Kritik der Darwin elite Behresen u aN N N ee ER re : 553 Czapski, Die voraussichtlichen Grenzen der Leistungatähigkeit abe eroskdpe 609 Macfayden, Nenckiu. en mente ie ei chemischen Vorgänge im menschlichen Dünndarm 626 Preyer, Die orgauischen Elemente und ihre Stellung im Me En 630 Kochs, Ueber die Malariaamöbe und das Chinin a 729 Ritzema Bos, Zur Frage der Vererbung von 'Traumatismen 734 tosenthal, Zusatz zur Mitteilung des Herrn Ritzema Bos 736 Schneider, Ein Beiwag zur Phylogenie der Organismen . 759 Be NEE Br Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Eeyeolegie in Euleuern 24 Nummern v von on je2 Bogen "bilden einen Band. Preis des Bandes 16 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten, x. Band. Re lsyı. Nr anale: Preyer. Ueber die Anabiose, — A u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß für Vorlesung und Praktikum. — Drieseh, Die Stockbildung bei den Hydroidpolypen und ihre theoretische Bedeutung. — Wasmann, Parthenogenesis bei Ameisen durch künstliche Temperaturverhältnisse.. — De:selbe, Zur Be- deutung der Fühler bei Myrmedonia. — Derselbe, Zur Frage nach dem Gehörsvermögen der Ameisen. — Capparelli, Die nervösen Endigungen in der Magenschleimhaut. — Errera, L’aimant agit-il sur le noyau en division? — Auerbach, Zur Kenntnis der tierischen Zellen. — Derselbe, Ueber die Blut- körperchen der Batrachier. Ueber die Anabiose. Von Professor W. Preyer in Berlin. Die Thatsache der Anabiose, d. h. der Wiederbelebung vollkommen lebloser Organismen und ihrer Teile, deren Zustand sich von dem ge- wöhnlichen Scheintod durch die totale Unterbrechung sämtlicher Lebens- vorgänge unterscheidet, habe ich vor mehr als 25 Jahren experimentell festgestellt und seitdem in meinen Vorlesungen und mehreren Schriften begründet, auch ihre große theoretische Bedeutung hervorgehoben!). Namentlich lege ich Gewicht auf den von mir gelieferten Beweis für die Verschiedenheit der beiden Gegensätze des Lebens, nämlich: 1) Leblos und lebensfähig == anabiotisch. 2) Leblos und lebensunfähig — tot. Da nun neuerdings die Thatsachen, auf welche sich diese wich- tige Unterscheidung stützt, in Frage gestellt worden sind, weniger für Sporen, sowie pflanzliche und tierische Eier, als für entwickelte 1) „Der Kampf um das Dasein“. Bonn 1869. (S. 10, 39.) „Die Erforschung des Lebens“. Jena 1873 (und Tageblatt der 45. Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte. Leipzig 1872. S.47), „Naturwissenschaftliche Thatsachen u. Probleme“. Berlin 1830. „Der Hypnotismus“. Berlin 1882. (8.282). „Elemente der allgemeinen Physiologie“. Leipzig 1883. Vergl. „Ueber den Lebensbegriff“ in der Zeitschrift „Kosmos“ (1. Jahrg., 2. Bd., S. 213, Leipzig 1878) und „Die Wiederbelebung totenstarrer Muskeln“ (Amtl. Bericht über die 39. Versamm- lung deutscher Naturforscher und Aerzte in Gießen 1864 und Recueil des travaux de la societe medicale allemande. Paris 1865). xl. 1 2 Preyer, Anabiose. Organismen, so will ich einige Beweise für die Anabiose bei Tieren anführen, welche einen etwaigen Rückfall in die alte Irrlehre von dem „ewigen Wirbel der lebendigen Materie“ und von der sogenannten „Lebenskraft“ zu verhüten geeignet sind. Sie beruhen auf der Er- kenntnis, dass ohne Wasser im tropfbar flüssigen Zustande tierisches Leben unmöglich ist. 1. Die Wiederbelebung festgefrorener Tiere. Folgenden Versuch habe ich oft angestellt und demonstriert. Man lasse gleichartige Frösche, welche im Winter an eine Tem- peratur von wenig über dem Eispunkt sich angepasst haben, in Schnee oder Luft von mehreren Graden unter Null festfrieren, überzeuge sich, dass das Herz eines der Tiere hartgefroren und das Blut nicht mehr flüssig ist und lasse dann die übrigen unter denselben Umständen wie dieses Kontroltier hartgefrorenen Frösche mit äußerster Lang- samkeit auftauen, so wird man sie, falls nur bei keinem die Innen- temperatur — 2,5° C überschritten hat, sich vollständig erholen sehen, obgleich während des viele Stunden dauernden Scheintodes kein Stoff- wechsel, keine Zirkulation und Atmung, keine Bewegung der Muskeln, überhaupt kein Lebensvorgang, stattfinden konnte. Auch das aus- geschnittene Herz allein fängt, nachdem es hartgefroren war, nach dem Auftauen in der Luft wieder an zu schlagen, was Horvath'!) ebenfalls wahrnahm. Eine einzelne hartgefrorene Extremität eines Frosches wird, falls sie sehr langsam kältestarr gemacht worden ist und ganz allmählich auftaut, wieder leistungsfähig, wie aus meinen und den unter meiner Leitung von Heinzmann ausgeführten Ver- suchen hervorgeht 2). Sir John Franklin, der Nordpolfahrer (1820) schreibt von den Fröschen, sie seien oft festgefroren gefunden und durch Wärme wieder- belebt worden. Dume&ril (1852) erzieite experimentell denselben Erfolg. Fische sah Richardson, der Arzt der Franklin’schen Expedition, nachdem sie aus den Netzen genommen worden, am Fort Enterprise im Winter in kurzer Zeit sich in eine harte Eismasse ver- wandeln, so dass sie durch Beilhiebe leicht aufgespalten wurden und die Eingeweide in einem Stück entfernt werden konnten. Wenn sie aber „in diesem vollständig festgefrorenem Zustande am Feuer auf- tauten, wurden sie wieder lebendig“ auch nach 36 Stunden. Abgesehen von allen Angaben Anderer beweisen allein schon meine Versuche die Thatsache, dass ein enthirnter oder ein unver- sehrter Frosch, dessen sämtliche Lebensvorgänge wegen der Eisbildung in seinen Säften völlig unterbrochen sind, nach dem Auftauen weiter leben kann, als wenn nichts geschehen wäre. Es ist noch nicht fest- gestellt, wie lange die totale Suspension aller Lebensprozesse bei 1) Centralblatt für die medizinischen Wissenschaften, 1873, S. 34. 2) Plüger’s Archiv f. d. gesamte Physiologie. Bonn 1872. 6. Bd. S. 235. Preyer, Anabiose. 3 etwa — 1° im Innern dauern kann, ohne dass die Lebensfähigkeit erlischt. Die Thatsache der Anabiose steht aber fest und die Aus- dehnung der künstlichen Einfrierungsversuche auf niedere Tiere ist sehr wünschenswert. Für Pflanzen hat Julius Sachs (1865) be- wiesen, dass manche das Einfrieren überdauern können, Prillieux, dass das Wasser im Inneren der Pflanze ohne Gewebe zu zerstören bei — 2° bis — 3° festfrieren kann. Dagegen liegen nicht viele Beobachtungen an pelagischen Tieren vor. Die von Romanes (1877) an vielen durch und durch hartgefrorenen Medusen wahrgenommene, durch Eiskrystalle verursachte partielle Zerreissung des Gewebes ver- hinderte nicht die Anabiose beim Auftauen, nur war der Rhythmus der Kontraktionen eben wegen der Gewebszerstörung nicht derselbe wie vorher. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch bei Amphibien die Struktur der kontraktilen Substanz, des Protoplasmas in der Muskel- faser, durch zu weit gehende Abkühlung dauernd geschädigt wird, daher wohl bei meinen Versuchen die Tiere, wenn sie auf mehr als — 2,5° C im Inneren abgekühlt worden waren, sich nach dem Auf- tauen nicht erholten und viele diese Innentemperatur nicht überleben. Aber schon vorher sind alle Teile durch Eisbildung außer Zusammen- hang, somit die Möglichkeit eines Stoffwechsels, wie bei einem Petrefakt, ausgeschlossen. Darauf kommt es an, nicht auf Erzielung einer möglichst niedrigen Temperatur und der größtmöglichen Härte, wobei die Gewebe zerreißen. So viel lehrt die mikroskopische Unter- suchung in der Kälte, welche zwischen den Formelementen Eis er- kennen lässt. II. Die Wiederbelebung vertrockneter Tiere. Wenn man Tardigraden (Macrobiotus, Echiniscus) oder Rotiferen vollständig isoliert auf dem Objektträger eintrocknen lässt (um den bis zur Unkenntlichkeit geschrumpften Körper einen kleinen Ring zeichnet, um ihn später schnell wiederzufinden, falls er nicht dauernd auf dem Objekttisch des Mikroskops verbleibt) und das Präparat über Chlorealeium aufbewahrt, so kann man ihn nach langer Zeit durch Benetzen mit destilliertem Wasser oder durch Anhauchen wieder- beleben, obgleich in der Zwischenzeit kein Stoffwechsel stattfindet. Denn in dem durchsichtigen Magen sieht man dieselben Fragmente der Nahrung bei dem Wiederbeginn der Bewegungen, wie beim Er- löschen derselben!). Davaine ließ Rädertiere fünf Tage im Vacuum verweilen und konnte sie doch wiederbeleben. Doyere ließ sie trocken 4 Wochen im „Vacuum“ verweilen und sah viele nach An- feuchtung in der Luft wieder aufleben. Hierbei muss aber das ver- meintliche Vacuum noch Luft enthalten haben, denn ich habe trockene Rotatorien im vollkommenen Vacuum der Geißler’schen Quecksilber- 4) Greeff inM.Schultze’s Archiv für mikrosk. Anatomie I. 122. (1865), II. 122, 320. (1866). 11°- 4 Preyer, Anabiose. pumpe über Schwefelsäure lange vor Ablauf der vierten Woche jedem Wiederbelebungsversuch unzugänglich gefunden. Sie sind nicht mehr so geschrumpft wie beim Eintrocknen, offenbar weil durch die Ab- nahme des Barometerdrucks die Spuren von Luft zwischen den Runzeln sich ausdehnen und dadurch die Oberfläche mehr oder weniger ge- glättet und brüchig wird. Die Tiere sterben sämtlich. An Nahrungs- und Wassermangel, an Kälte und ‚Wärme konnten sie sich im Freien anpassen, an die Luftleere nicht. Bewiesen wird hingegen die Anabiose der Macrobioten und Räder- tiere und namentlich gewisser Amöben und der im Weizenkorn durch eine klebrige Masse zusammengehaltenen leblosen Anguillulinen dureh die Thatsache, dass sie im Trockenem und in der Kälte, in verschlos- senen Gläsern lange Zeit aufbewahrt worden sind ohne ihre Lebens- fähigkeit einzubüßen. Ich habe Rädertiere trocken stark abgekühlt und auf 80° erhitzt, Doyere auf 153°, ohne dass alle zu Grunde gingen. Aus der großen Zahl der von mir gesammelten früheren Beobach- tungen sind besonders die folgenden, die Wiederbelebung der Anguillu- linen, der Rotiferen und der Aretiseoiden (Bärtierchen oder Maero- bioten) betreffenden teils von historischem, teils von actuellem Interesse: Anguillulinen blieben im trockenen Weizenkorn zusammen- gekittet völlig bewegungslos lebensfähig über2 Jahre (Needham 1743), Tage, Monate, Jahre (Buffon 1748), 5 Jahre (Trembley 1750), 4Jahre (H. Baker 1754), !/, Jahr (Ginanni 1759), 27 Jahre (H.Baker und Needham 1771), jahrelang (Roffredi 1775), 6 Jahre (F. Bauer 1823), in der Weberkarde 8 Monate (J. Kühn 1858). Rädertiere undMacrobioten wurden, nachdem sie völlig leblos gewesen waren, wiederbelebt nach 5 Monaten (Leeuwenhoek 1719), 2!1/, Jahren (Fontana 1769), Tagen (Spallanzani 1777), mehreren Jahren (©. A. S. Schultze 1834 und Creplin 1837), 6 Monaten (C. A. S. Schultze 1838), 3 Jahren (derselbe 1840), vielen Jahren (derselbe 1861), Stunden (Greeff 1865), Tagen, Wochen, Monaten, Jahren (Preyer 1864—1889). Wer gründlich die eingeschrumpften im Exsiecator aufbewahrten Rotiferen und Arctiscoiden beobachtet, verfolgt, wie sie beim Ver- dampfen des von ihnen im Augenblick des Eintrocknens abgegebenen Wassers nach völliger Isolierung auf Glas bewegungslos werden und Tage- oder Monate lang gar keine Veränderung zeigend, nach Anfeuch- tung zuerst aufquellen und dann anfangen sich zu bewegen, wird die Ueberzeugung gewinnen, dass hier eine vita minima, ein minimaler physiologischer Stoffwechsel nicht möglich ist, weil das Wasser fehlt. Er ist so sicher ausgeschlossen wie im gefrorenen Froschherzen. Nur ein potentielles Leben bleibt, welches durch den Auslösungsprozess der Anabiose sich umsetzt in kinetisches oder aktuelles Leben. Die Unterbrechung dieses letzteren durch Einfrieren und Eintrocknen Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß. .) kommt in einer unermesslichen Anzahl von Fällen in der freien Natur vor, bei vielen Organismen — z. B. auf Baumrinden — wahrschein- lich dureh eine spezifische Anpassung begünstigt und durch Vererbung als sehr vorteilhafte Eigenschaft befestigt. Die Lebenspause des Individuums findet ihr Ende entweder durch den Tod wegen irre- parabler Schädigung des leblosen Organismus oder durch die natür- liche Anabiose, z. B. im Boden, wenn es im Frühling taut, im Dach- rinnenstaube, wenn es im Sommer nach einer Dürre regnet u. $. w. Die organische Maschine stirbt also nieht jedesmal, wenn sie voll- kommen still steht, so wenig wie die Uhr jedesmal zerbricht, wenn das Pendel nicht mehr schwingt. Die festgefrorenen und eingetrockneten Tiere, welchen jede Spur einer Saftströmung fehlt, sind nicht tot, sondern sie leben nur nicht, bis die Anabiose sie dazu in den Stand setzt. Berlin, 4. Dezember 1890, Versuche über aktives Eiweiß für Vorlesung und Praktikum. Von ©. Loew und Th. Bokorny. Bei dem Interesse, welches sich an die Beschaffenheit des aktiven Eiweißes knüpft, ist es vielleicht vielen Lesern dieses Centralblattes nicht unerwünscht, mehrere in kurzer Zeit ausführbare Versuche hier zusammengestellt zu sehen, welche besonders geeignet erscheinen, einige chemische und physikalische Eigenschaften jenes wichtigen Stoffes dar- zuthun!; Man wird bei Ausführung jener Experimente nicht bloß merkwürdige Reaktionen in der Pflanzenzelle sich mit geringer Mühe vor Augen führen, sondern auch beurteilen können, inwiefern die gegen unsere Schlüsse bis jetzt gebrachten Einwände berechtigt sind oder nieht. Die Besichtigung der Reaktionen beseitigt vielleicht von 1) Nach unserer Ansicht ist das durch direkte Synthese iu den Pflanzen gebildete Albumin stets aktives; es kann aber dieses noch in den lebenden Zellen, ehe Organe resp. lebendes Protoplasma durch molekularen Aufbau (Tektonik) gebildet wird, umgelagert werden, so dass also auch passives Eiweiß vorhanden sein kann. Die Reserveproteinstoffe wie Legumin, Conglutin ete. sind durch Umlagerung und Umänderung aus dem aktiven Eiweiß hervor- gegangen. Auch für die Proteinkrystalle und Aleuronkörner ist diese Ent- stehungsweise anzunehmen. Aus den inerten, richt reduzierenden Protein- stoffen kann durch die Kräfte der Zellen wieder labiles, reduzierendes Eiweiß erzeugt werden und aus diesem wieder durch Organisation das lebeude Proto- plasma. Um diesen Vorgang handelt es sich bei der Entwicklung des Keim- lings und bei Ernährung der Tiere, wobei passive Eiweißstoffe zur Verwen- dung gelangen Beim Keimling freilich findet diese Rückbildung zum großen Teil auf dem Umweg über Asparagin statt. 5 Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß. vorneherein manche anderweitige Auffassung und manchen Zweifel, der sich bei bloßer litterarischer Kenntnisnahme von jenen Dingen aufdrängt. 1) Auswahl der Objekte. Veränderung des Gehaltes an aktivem Albumin. Nur solche Pflanzenzellen, welche einen Vorrat an aktivem Protein, d. h. noch nicht zu Organen umgeformtes aktives Eiweiß in einiger Menge enthalten, eignen sich zu unsern Versuchen. Die Organe: Chlorophylikörper, äußere und innere Plasmahaut etc. sterben allzuleicht ab, während das nichtorganisierte Eiweiß gewisse Eingriffe erträgt, ohne sich sogleich durch die ganze Masse hindurch umzu- lagern. Es sind daher im Allgemeinen ungünstig zu den in Rede stehen- den Versuchen: 1) Zellen mit sehr raschem Wachstum (Sphaeroplea und Oedogonium dürften wohl hieher gehören), welche ihr Eiweiß rasch zur Organbildung verbrauchen; 2) Zellen, welche sehr langsam Eiweiß bilden und infolge dessen nie einen größeren Ueberschuss an nichtorganisiertem Eiweiß haben; 3) ausgewachsene Zellen, welche ihren Eiweißvorrat ganz organisiert oder zum Aufbau von Idioplasma verwandt haben und kein neues Eiweiß mehr bilden. Durch Behandlung der Zellen mit wässeriger Kaffeinlösnng kann man sich ein Urteil darüber bilden, ob nichtorganisiertes aktives Eiweiß vorhanden ist, denn dieses wird hiedurch in kleinen Kügelchen (Pro- teosomen von uns genannt) ausgeschieden. Zahlreiche Pflanzen und Pflanzenteile haben sich uns bis jetzt als günstig zu Versuchen über aktives Albumin erwiesen. Von Laub- blättern höherer Pflanzen sind besonders die der Crassulaceen zu nennen, unter denen Echeveria, Cotyledon, Sempervivum ausgezeichnete Beispiele darbieten; subepidermale Zellen beider Blattseiten sind hier sehr reieh an aktivem Albumin. Die Tentakeln des Drosera- Blattes eignen sich ebenfalls zu den in Rede stehenden Versuchen. Staub- fäden von Eugenia australis, Melaleuca, Acacia ergeben schöne Reak- tion auf aktives Albumin. Die Narbe von Crocus verdient ebenfalls Beachtung in dieser Hinsicht, ferner unreife nicht zu saure Schnee- beeren. Unter den Algen gibt z. B. Vuucheria !) Reaktion, freilich nur die erwachsene Pflanze; Keimschläuche von Vaucheria-Sporen zeigen sie nicht. Besonders aber sind es Spirogyren, welche sich brauch- bar erweisen; sie haben oft bedeutende Mengen von aktivem Eiweiß 4) An Vaucheria-Rasen, die man am Grunde von Gräben trifft, fällt das Vorkommen zahlreicher darin gefangener und zum Teil abgestorbener Insekten- larven und Crustaceen auf; die Fäulnisprodukte tragen offenbar zur üppigen Entwicklung der Rasen bei, Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß. ie in sich, weisen im übrigen große Schwankungen in dieser Beziehung auf, je nach den Umständen, unter denen sie gewachsen sind, Zwar kann man den Gehalt an nichtorganisiertem aktivem Eiweiß nicht durch Maß oder Gewicht bestimmen; doch gibt die Ausscheidung, welche man mit Kaffeinlösung unter dem Mikroskop beobachtet, einen Anhaltspunkt für Beurteilung der relativen Mengen, natürlich nur dann, wenn sich sehr große in die Augen fallende Unterschiede zeigen. Die darauffolgende Silberreduktion mit Lösung A!) ist der Intensität der Proteosomenbildung proportional. Versuche mit ein und derselben Spirogyren-Art haben nun ge- zeigt, dass man den Gehalt an aktivem Albumin auch künstlich herab- drücken und steigern kann. Sucht man das Wachstum der Zellen zu fördern und zugleich eine Neubildung von Eiweißstoffen auszuschließen, so wird der Vorrat aufgezehrt und Kaffein bringt schließlich nur mehr äußerst geringe Proteosomenbildung hervor?). Man kann das z. B. mit Spirogyren erreichen, indem man dieselben 2 bis 3 Wochen bei 30° kultiviert, oder indem man sie längere Zeit ins Dunkle verbringt. Befördert man das Wachstum durch eine günstige Nährlösung unter gleichzeitiger Verringerung der Kalizufuhr, so nimmt das aktive Eiweiß ebenfalls ab, so z. B. bei Kultur in folgender mit destilliertem Wasser hergestellten Nährlösung?°): 0.5 p. m. salpetersaure Magnesia, 0.5 p. m. salpetersaurer Kalk, 0.1 p. m. schwefelsaure Magnesia, 0.1 p. m. Monokaliumphosphat, Spur Eisenvitriol. Setzt man aber dieser Nährlösung noch 1 p. m. Kaliumnitrat oder 0.5 p. m. Chlorkalium zu unter Weglassung der salpetersauren Magnesia, so erhält man nach mehrwöchentlieher Kultur eine überaus intensive Abscheidung von Proteosomen in Cytoplasma und Zellsaft bei Kaffeinbehandlung. Nichts fördert bei Spirogyra die Bildung eines Vorrats an aktivem Eiweiß so, als vermehrte Zufuhr von Kaliumnitrat; besonders wenn man gleichzeitig durch einseitige Ernährungsverhält- nisse (Weglassung von Magnesia und Phosphaten) einen hemmenden Einfluss auf Wachstum und Zellteilung ausübt (oder auf Organisierung des aktiven Albumins?). 1) Wir nannten so eine sehr verdünnte alkalische Silberlösung, welche folgendermaßen hergestellt wird. Man mischt 1) 13 ecem Kalilösung von 1,333 spez. Gewicht mit 10 ccm Ammoniakliquor von 0,96 spez. Gew. und verdünnt auf 100, und hält 2) eine Lösung von 1proz. Silbernitrat vorrätig. Von beiden Lösungen mischt man vor dem Gebrauch je 1ccm und verdünnte diese Mischung auf 1 Liter. 2) Besonders auffallend ist der Unterschied an aktivem Zellsafteiweiß. 3) Bei diesen Kulturversuchen sind stets nur sehr geringe Algenmengen zu nehmen, etwa 10-20 [5 cm lange] Fäden auf einen Liter Lösung. s Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß. Will man sich davon überzeugen, dass das aktive Protein die von uns beobachtete Silberreduktion bedingt, so ist es gut, Objekte zu wählen, welche keinen andern reduzierenden Stoff, wie z. B. Glu- kose oder Gerbstoff, enthalten. Besonders ist es der Gerbstoff, welcher Manche anfangs zu Täuschungen führen kann. Wir haben schon bei unseren ersten Versuchen dies berücksichtigt und möglichst gerb- stoffarme Objekte zu jener Reaktion ausgewählt; noch besser aber ist es den Gerbstoff völlig auszuschließen. Bei Spirogyren findet sich der Gerbstoff manchmal nur in Spuren, öfters aber auch in beträchtlichen Mengen vor. Er wird, wie schon von mehreren Autoren hervorgehoben wurde, nicht oder nur sehr schwierig von den Zellen als Respirationsstoff verbraucht, was auf- fällt, da er ein leicht oxydabler Körper ist. Spirogyren kann man bis zum Hungertode im Dunklen aufbewahren, ohne dass der Gerb- stoff verschwindet; allerdings scheint sich seine Menge zu vermindern. Auch Beschleunigung der Respiration durch Züchtungsversuche bei höherer Temperatur (30°) entfernt ihn nicht. Unser Verfahren, gerbstofffreie Spirogyren zu züchten, gründet sich darauf, für den Eiweißbildungsprozess so günstige Umstände zu schaffen, dass der Gerbstoff dabei mit ver- braucht wird. Dieses ist der Fall bei mehrwöchentlicher Züchtung in folgender Nährlösung!). Man setzt zu Quellwasser: salpetersauren Kalk . 0.5 p. m salpetersaure Magnesia 0.5 p. m. schwefelsaure Magnesia 0.5 p. m. Monokaliumphosphat . 0.1 p. m. und etwas gepulvertes Schwefeleisen. Die Spirogyren gedeihen unter diesen Umständen ganz vorzüg- lich und werden bald völlig gerbstofffrei, so dass weder das Decoct mit Eisenlösungen im geringsten reagiert noch die in den Zellen mit Kaffein hervorgerufenen Proteosomen bei mehrtägigem Verweilen in Eisenvitriollösung (bei Luftzutritt) blau werden. Eine Probe Sp. nitida verlor nach 14tägigem Aufenthalt in der Lösung jede Spur Gerbstoff. Will man bei Vornahme unserer Silberreaktion mit solchen Algen sich überzeugen, dass überhaupt kein löslicher extrahierbarer Stoff als reduzierendes Agens inbetracht komme, so behandle man das Decoct mit 1prozentiger ammoniakalischer Silberlösung; es muss 24 Stunden lang farblos bleiben [natürlich im Dunkeln] ?). 1) Eine hievon etwas abweichende Vorschrift haben wir im bot. Central- blatt, 1889, Nr. 39 gegeben; sie gibt bei kleinen Spirogyren gute Resultate; srößere Arten verlieren darin ihren Gerbstoff weit langsamer; leise Spuren bleiben lange in den Zellen. 2) Gerbstofffreie Objekte, geeignet für Versuche über Silberreduktion des Plasmas, findet man besonders bei den Crueiferen. Es seien hier nur die Haare Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß. 9 2) Versuche über Proteosomenbildung und Aggregation. Proteosomen wurden von uns die Aggregate aktiven Albumins genannt, welche sich bei Einwirkung von Basen und vielen leicht spaltbaren Salzen derselben aus dem flüssigen Teil des Cytoplasmas oder auch aus dem Zellsaft ausscheiden und dann von der zu ihrer Erzeugung dienenden Base einen Anteil binden. Diese Bindung ist bei manchen Basen sehr locker, bei andern sehr fest, so dass die Proteosomen sehr resistent werden können; es sind in letzerer Beziehung die Ammoniakproteosomen hervorzuheben'!), welche ihr Reduktionsvermögen längere Zeit nach dem Tode der Zelle bewahren. In der Regel freilich sind die Proteosomen von sehr veränderlicher Natur und ganz spezielles Interesse verdienen in dieser Hinsicht die durch Kaffein hervorgerufenen, weil sie so außerordentlich empfind- lich sind, dass sie sich wie bloßes aktives Eiweiß oder wie lebende Materie verhalten; sie verschmelzen oft zu großen Kugeln und sind dann der Beobachtung leicht zugänglich. Diese Proteosomen reduzieren Silber aus sehr verdünnter alkalischer Silberlösung, thun es aber nicht mehr nach Behandlung mit Säuren von gewisser Stärke. Sehr intensiv proteosomenbildend wirken Koffein und Antipyrin; hier treten die ausgeschiedenen Kügelehen leieht zu größeren Kugeln zusammen. Kleine, weniger leicht oder nieht zusammenfließende Proteosomen bilden: Sehr verdünntes Ammoniak, Hydroxylamin, Aminbasen, Pyridin und basische Pyridinderivate, Basen der Benzolreihe, sowie die Salze aller dieser Basen (ausgenommen sind die Haloidsalze der Ammonium- basen, vergl. Journal f. prakt. Chemie, 36, 182); ferner verdünnte Lösungen von Kali und Natron (letzteres weniger als ersteres). Von den anorganischen Metallsalzen ist nur das neutrale und basische essigsaure Blei hier anzuführen. Geringe Proteosomenbildung bedingen: Eisenvitriol, essigsaures Zink, Kalkwasser, ferner Pyrrol. Nicht proteosomenbildend wirken: Neutrale Salze der Alkalien, Kupfer-, Quecksilber-, Silbersalze, ferner Säuren und indifferente Körper, Alkohole etc. Unter „Aggregation“ beschrieb zuerst Ch. Darwin?) die eigentümlichen Zellinhaltsveränderungen, welche Drosera - Tentakeln bei Reizung und besonders deutlich bei Kontakt mit sehr verdünnten Lösungen von kohlensaurem Ammoniak erfahren. Dieselben setzen an den Fruchtknoten von Farsetia erwähnt, unter vielen Haaren mit bereits abgestorbenem Plasma finden sich immer einige mit noch lebendem; an ihnen ist die Reaktion zu beobachten. 1) Diese Thatsachen stehen im vollen Einklang mit der Theorie von der Aldehydnatur des aktiven Albumins. Vergl. hierüber auch unsere Mitteilungen im botan. Centralblatt, 1889, Nr. 45 u. 46. 2) Insektivorous plants p. 38 fg. 10 Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß. sich nach H. de Vries!) zusammen aus Kontraktion (und Teilung) der Vakuolenwand und Ausscheidung von Eiweißballen aus der Vakuolen- flüssigkeit. Der eine von uns (B.) hat diese Vorgänge vor einiger Zeit?) von neuem studiert und ist zu dem Schlusse gekommen, dass es sich dabeium eineReaktion des aktiven Albumins handle, welche bei zahlreichen andern Pflanzen ebenfalls, wenn auch oft in weniger auffälligem Maße vorgefunden wird; zugleich wurden den bereits bekannten 2 Fällen von Aggregation (Ausscheidung von Eiweiß aus dem Zellsaft und Kontraktion der Vakuolenwand) durch vergleichende Unter- suchung zahlreicher Pflanzenzellen verschiedensten Ursprungs noch wei- tere 2 hinzugefügt, nämlich Ausscheidung von Eiweißkugeln aus dem Cytoplasma und gleichmäßige Kontraktion des gesamten Cytoplasmas. Die Bildung von Eiweißballen im Cytoplasma lässt sich bei zahl- reichen Pflanzenzellen beobachten und ist von uns schon früher bei Schilderung der Silberreaktion von Spirogyrenzellen unter der Be- zeichnung „Körnchenbildung“ oder „Granulation“ geschildert worden?) (das Ammoniak und Kali des von uns angewandten Silberreagens be- wirkte eben die Ballung des eytoplasmatischen Eiweißes zu kleinen Kügelchen); diese wurde dann noch bei zahlreichen anderen Zellen aufgefunden, besonders schön in gewissen Blattzellen von Echeveria. Kontraktion des gesamten Cytoplasmas bei Einwirkung basischer Stoffe wurde bis jetzt nur in einem Falle beobachtet, nämlich an den Narbenpapillen von Crocus vernus. Proteosomenbildung und Aggregation sind also zum Teil ein und dasselbe, nur dass der Begriff „Aggregation“ umfassender ist. Beide sind mit einer teilweisen Ausstoßung des Imbibitionswassers des aktiven Eiweißes verbunden, wodurch das Eiweiß diehter (wasserärmer) wird und ein stärkeres Lichtbreechungsvermögen annimmt. Spirogyra: Gut ernährte Spirogyren eignen sich zum Studium der Proteosomenbildung in Cytoplasma und Zellsaft. Um das plas- matische Eiweiß sich ballen zu lassen, bringt man wässerige Ammoniak- lösung von 1:5000 zur Einwirkung; fast momentan scheiden sich aus dem Cytoplasma kleine Kügelchen aus, welche ziemlich starkes Licht- brechungsvermögen haben. Sie stehen häufig sehr dieht und sind 4) Ueber Aggregation im Protoplasma von Drosera rotundifolia. Bot. Zeitung, 1886, S. 1—57. 2) Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., XX, 8. 427—473. 3) Nach gütiger brieflicher Mitteilung an den einen von uns (B.) hat Pringsheim derartige Bildungen bei Einwirkung von Alkalien auf lebende Spirogyrenzellen schon früher beobachtet. Auch Naegeli bemerkte die Bil- dung von Granulationen bei Versuchen über die Wirkung alkalischer Silber- lösung auf Spirogyren. Wir haben den Nachweis erbracht, dass die Körnchen aus aktivem Eiweiß bestehen, und dieselben bei zahlreichen andern Pflanzen- objekten aufgefunden. Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß. 11 über den ganzen Plasmaschlauch verbreitet; mitunter aber zeigen sich nur einzelne Partien desselben granuliert, indem die Kügelchen zerstreute Gruppen bilden. Deutlich ist zu sehen, dass dieselben auch an den über den Chlorophylibändern gelegenen Stellen zur Ausschei- dung kommen. Diese Veränderungen im Cytoplasma können sich ab- spielen, ohne dass dabei die Zelle unmittelbar abstirbt; Chlorophyli- band und Kern zeigen noch keine Veränderung, der Turgor ist un- verändert erhalten. Fast gleichzeitig zeigen sich häufig auch im Zellsaft Ausscheidungen, "welche sich ziemlich rasch zu Boden setzen und eben hiedurch als Zellsaftproteosomen kenntlich sind. Nach längerer Einwirkung treten freilich Quellungserscheinungen und damit der Tod ein. Doch können die Zellsaftproteosomen bei Spirogyra noch besser zur Anschauung gebracht werden, indem man statt des Ammoniaks wässerige Kaffeinlösung von 1:1000 einwirken lässt, welche das Eiweiß in offenbar leichtflüssigen Kügelehen zur Ausscheidung bringt, die rasch zu größeren verschmelzen und als mehr oder weniger große Ballen am Grunde der Zellen liegen?). Vorher auf irgend eine Weise abgetötete Spirogyren zeigen keine Proteosomenbildung mit den genannten oder anderen ‚Basen. Echeveria: Lässt man auf (durch mehrstündiges Aufbewahren in gekochtem und wieder abgekühltem Wasser) luftfrei gemachte Flächenschnitte von der Ober- oder Unterseite eines Echeveria-Blattes 1%/,, wässerige Kaffeinlösung einwirken, so bilden sich im Cytoplasma der unter der Epidermis gelegenen Zellen Proteosomen; schon wenige Augenblicke nach Eintritt des Kaffeins in die lebende Zelle ist der ganze Vorgang beendet, und nun liegen hunderte von stark licht- brechenden 2—10 u großen Kügelchen in dem Raum zwischen äußerer und innerer Hautschicht des Cytoplasmas, gewöhnlich dicht neben einander, mitunter größere Zwischenräume lassend. Nicht selten kon- trahiert sich die Vakuolenwand infolge der Kaffeineinwirkung erheb- lich und dann gleiten jene Kügelchen in dem nun erweiterten Raum zwischen äußerer und innerer Plasmahaut herunter, um sich auf dem Boden der Zelle anzusammeln; bisweilen aber kontrahiert sich auch die äußere Hautschicht (gewöhnlich in geringerem Maße als die innere) und nimmt die Proteosomen mit. Auch diese Proteosomen verschmelzen rasch zu größeren und bekunden dadurch ihre flüssige Natur; das Gemenge von Eiweiß und Wasser, aus dem das Cytoplasma wesent- lich besteht, ist also sogar dann noch flüssig, wenn es einen beträcht- lichen Teil des Imbibitionswassers ausgestoßen hat. Bei längerem 1) Es ist gewiss von hohem Interesse, dass der aktive Eiweißstoff auch außerhalb der eigentliehen Protoplasmamasse und zwar im noch nichtorgani- sierten Zustand in der Vakuolenflüssigkeit auftritt; dem „Zellsaft“* kommt hiernach eine weitergehende Bedeutung zu, als man bisher annahm, 12 Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Eiweiß. Liegen erstarren die Proteosomen, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man dieselben mehrere Tage hintereinander beobachtet, wobei sie in verschiedenartiger Weise sich zerklüften. Zur Vornahme von Eiweißreaktionen eignen sich diese Proteosomen wegen ihrer Größe vorzüglich. Auch Epidermiszellen der Narbe von Crocus vernus liefern ein geeignetes Objekt für die Proteosomenbildung im Cytoplasma: doch sei hier nicht näher darauf eingegangen!). 3) Wirkung verschiedener Metallsalze auf das aktive Albumin. Man lasse Fäden von gerbstofffreien Spirogyren in je 1proz. Lösungen von essigsaurem Zink, essigsaurem Blei und essigsaurem Kupfer 10—12 Stunden liegen. Bei starker Vergrößerung wird man dann unter dem Mikroskop bemerken, dass das 'essigsaure Zink?) eine geringe, das essigsaure Blei aber eine starke Granulation herbei- geführt hat, während das essigsaure Kupfer lediglich Gerinnung des Plasmaschlauches erzeugte. In den mit essigsaurem Blei behandelten Spirogyren zeigt sich eine diehtstehende Masse von starklichtbrechen- den Körnehen im Zellsaft, weniger im Cytoplasma; der Plasma- schlauch ist überall abgelöst, öfters zerrissen. Der Turgor ist in allen 3 Fällen verloren gegangen, die Organe sind tot; das geballte aktive Eiweiß) aber ist noch intakt und demgemäß reagieren die Bleizellen intensiv mit unserm alkalischen Silberreagens A bei 24stündigem Einlegen, die Zinkzellen weit weniger, die mit Kupfersalz behandelten gar nicht. 4) Versuche mit Ammoniakproteosomen. Versuch I. Man bringe einige gerbstofffreie Spirogyrenfäden auf !/, Stunde in Ammoniaklösung von 1:10000 (40—50 cem) und trage durch mehrmaliges Schütteln Sorge, dass die möglichst gleichmäßig 1) Es schien uns nicht unmöglich, dass die sogenannten Mikrosomen wenigstens zum Teil Proteosomen, d. h. geballtes aktives Eiweiß seien. In Wasser, das Spuren von Ammoniak enthält, ist diese Entstehung von Mikro- somen ja wohl denkbar; denn Lösungen von schwefelsaurem oder salpeter- saurem Ammoniak, welche auf 10000 bis 20000 Teile ag. nur 1 Teil Salz enthalten, rufen bei Sperogyra allmählich schwache Körnchenausscheidung im Plasma hervor; die Körnchen werden von dem strömenden Plasma mit lort- gerissen, das Leben der Zellen dauert dabei viele Tage lang fort. — Versuche mit natürlich vorkommenden Mikrosomen in Spirogyren zeigten, dass bei An- wendung von (frischbereiteter) Asparaginsilberlösung einzelne schwarze Pünkt- chen in deu Zellen auftraten. Doch sind zur definitiven Entscheidung der Frage noch weitere Versuche nötig. 2) Besonders kräftige Zellen ertragen eine 1proz. Lösung von essigsaurem Zink 6 Stunden lang ohne Turgorverlust. . Loew u. Bokorny, Versuche über aktives Elweiß. 13 verteilten Fäden mit genügenden Mengen von Ammoniak in Berührung kommen. Bei 4—-500facher Vergrößerung sieht man dann zahlreiche Körnchen, oft einzeln, oft zu Gruppen vereinigt, teils im Zellsaft, teils im Cytoplasma. In manchen Zellen ist das Chlorophyliband etwas gequollen und beschädigt. Gießt man nun die Flüssigkeit samt den Fäden in 1 Liter der Silberlösung A und nimmt von Zeit zu Zeit einige Fäden unter das Mikroskop, so kann man die zunehmende Schwärzung der Proteo- somen deutlich beobachten. Nach 12 bis 24 Stunden (im Dunkeln) sind sämtliche Proteosomen intensiv schwarz Versuch II. Lässt man auf gerbstofffreie Spirogyra- Fäden eine Lösung von 1proz. salpetersaurem Ammoniak einwirken, so tritt aus- giebige Granulation ein. Erwärmt man bei einem Parallelversuch die Fäden vorher auf 60°, so tritt keine Granulation ein. Lösung A schwärzt die Fäden des ersten Versuchs, die des letzteren nicht!). Im Anschluss hieran lasse man eine weitere Portion Spirogyren 2—3 Minuten in 1proz. Schwefelsäure liegen, wobei der Turgor gänz- lich verloren geht. Die so getöteten Zellen werden mit aq. dest. ge- waschen, dann zum Teil mit salpetersaurem Ammoniak, zum Teil direkt mit Lösung A behandelt; es zeigt sich nirgends eine Spur von Proteosomen, nirgends eine Spur von Schwärzung; die Zellen nehmen auch nicht die leiseste Gelbfärbung in dem Silberreagens an, wenn der gesamte Gerbstoff durch Züchtung entfernt wurde. 5) Versuche mit Kaffeinproteosomen. !/„proz. Kaffeinlösung erzeugt in Spirogyren Proteosomen, welche Neigung haben, mit einander zu größeren zu verschmelzen, was aber bei niederer Temperatur langsam von Statten geht. Lässt man Sp. maxima in jener Lösung einige Tage liegen oder erwärmt man die Lösung mit den Fäden auf 30°, so bilden sich durch Verschmelzung vieler Proteosomen große Ballen von aktivem Eiweiß, welche die Dieke von !/, des Zelldurchmessers erreichen können. Diese stark lichtbrechenden Kugeln verändern nach mehrtägigem Aufenthalt in der Kaffeinlösung ihr Aussehen. Die allmählich erfolgende chemische Veränderung beim Absterbeprozess der Zellen hat auch sie erfasst, sie werden trüb und hohl, sie gerinnen unter Wasserausstoßung. Im ursprünglichen Zustande sind sie offenbar sehr wasserreich; denn bei Behandlung mit Alkohol schrumpfen sie ungemein zusammen. Dureh Einwirkung verdünnter (1proz ) Schwefelsäure werden die (frischen) Kugeln plötzlich trübe oder lakunös oder sie zerfallen zu einer unförmlichen Masse. 1) Die Zellen müssen in letzterem Falle absolut farblos bleiben, wenn der Gerbstoff völlig fehlt; eine gelbliche Färbung würde auf Reste von Gerbstoft resp. gerbsaurem Eiweiß deuten. 44 Driesch, Stockbildung bei Hydroidpolypen. Dass jene Kugeln aus Eiweiß bestehen, zeigen die üblichen Reak- tionen (siehe hierüber bot. Centralbl., 1889, Nr. 45 u. 46). Ist in den Zellen Gerbstoff enthalten, so wird er in den Proteosomen festgehalten ; an umgelagerten Proteosomen bemerkt man deshalb in diesem Falle bald eine Gelbfärbung, herrührend von oxydiertem Gerbstoff. Nimmt man die Kaffeinlösung sehr verdünnt (!/, pro mille), so bilden sich etwas langsamer ebenfalls Proteosomen, aber die Zellen sterben — oft wochenlang — nicht ab. Versetzt man die Fäden nun wieder zurück in Quellwasser, dem man zweckmäßig noch Nährsalze zusetzt, so sind nach einigen Tagen nur noch Reste von Proteosomen sichtbar, sie werden wieder gelöst. Ganz frisch gebildete Kaffeinproteosomen verschwinden augen- blicklich, wenn man die Kaffeinlösung durch reines 25° warmes Wasser ersetzt; das aktive Eiweiß kehrt zu dem ursprünglichen Wassergehalt zurück, die erlittene Veränderung ist hier reparabel. Bei absterben- den Zellen indess werden die Proteosomen durch Gerinnung unlöslich, wie schon erwähnt. Während Kaffeinproteosomen sonst sehr schnell durch Behandeln mit Säuren ihr Reduktionsvermögen für alkalische Silberlösung ein- büßen, verlieren sie dasselbe weit schwerer, wenn sie vor der Säure- einwirkung mit verdünntem Ammoniak behandelt werden; sie sind nun viel resistenter gegen 1proz. Essigsäure geworden! Offenbar hat das aktive Eiweiß Ammoniak gebunden und diese noch immer redu- zierende Verbindung ist eben weit resistenter als das aktive Albumin an sich oder die lockere Kaffeinverbindung desselben!), die wir in den Koffeinproteosomen annehmen müssen. — Die Stockbildung bei den Hydroidpolypen und ihre theo- retische Bedeutung. Von Dr. Hans Driesch in Zürich. Die allgemeinen Resultate, welche sich mir aus dem Studium der dendritischen Hydroidenstöcke ergaben, habe ich zwar in den betreffenden Arbeiten ?) an verschiedenen Stellen bereits in Kürze 4) Lässt man verdünntes Ammoniak von 0.1 Prozent nur etwa 1 Stunde auf frische große Kaffeinproteosomen (am besten von Sp. maxima) wirken, so wird nur die äußere Schicht in die diehtere Ammoniakverbindung verwandelt; denn lässt man nun 12 Stunden lang eine 0.5 prozentige Essigsäure darauf wirken, so gewahrt man schlauchförmige Massen an vielen Kugeln; das noch flüssige Innere wird aus der dichter gewordenen Hülle hervorgepresst und natürlich durch den Kontakt mit der Essigsäure sofort umgewandelt. 2) Tektonische Studien an Hydroidpolypen I, II und III. Jen. Zeitschrift, XXIV. Bd., N. F. XVII. und XXV. Bd., N. F. XVII. Heliotropismus bei Hydroidpolypen. Zoolog. Jahrbücher syst. Abt. V. Driesch, Stockbildung bei Hydroidpolypen. 45 hervorgehoben; es scheint mir trotzdem nicht unangemessen zu sein, dieselben hier nochmals in übersichtlicherer Form einem größeren Publikum vorzuführen, da sie für die Prinzipien unserer morpho- logischen Auffassung der Organismen nicht ganz ohne Bedeutung sein dürften. Die Hydroidenformen bauen sich aus zwei Einheiten auf, dem Hydranthen oder Polypen im gewöhnlichen Sinne und dem Gonangium, wenn wir den Inhalt des letzteren hier außer Acht lassen. Alle Hydroiden zeigen den Gegensatz von Hauptstamm und Seitenästen wie die Mehrzahl der Pflanzen. Der Hauptstamm kann nach zwei verschiedenen Prinzipien gebildet sein: ra- cemös d.h. der erste aus der Larve entstandene Polyp stellt mit seinem Stiel den ganzen Hauptstamm dar und sein Köpfchen be- zeichnet stets die Spitze desselben, oder eymös d. h. jeder Polyp nimmt mit einem Teile seines Stieles am Aufbau des Hauptstammes Anteil, um mit dem distalen Ende desselben, das den Kopf trägt, sich von der somit entstandenen Scheinaxe (Sympodium) abzu- wenden. Letzterer sitzen also scheinbar die distalen Hydranthen- abschnitte wie einem einheitlichen Gebilde an. Racemös bilden sich die Hauptstämme der Tubulariden, ceymös diejenigen der Cam- panulariden, Sertulariden und Plumulariden; auf das ab- weichende Verhalten der Gattung Antennularia kann ich hier nicht eingehen. Die Kenntnis des erwähnten Unterschiedes verdanken wir Weismann. Die Bildung des Seitenzweigsystems geht nun bei Tubulari- den einfach so vor sich, dass am Hauptstamm durch Knospung neue Polypen entstehen, regellos, oder nur an 2 Seiten oder noch dazu nur in bestimmten Abständen. Erzeugt irgend einer dieser Seiten- zweige erster Ordnung wiederum Knospen, was wieder je nach Species regellos oder irgendwie geregelt geschieht, so erhalten wir Seitenzweige zweiter Ordnung und so fort. Wir können die für jede Species bestimmte Art und Weise, in welcher der Aufbau des Stockes sich vollzieht, ihr Wachstums- gesetz nennen. Wir werden ferner bei den Formen mit regellosen Seitenzweigen dasselbe eindeutig, bei denen, deren Seitensystem eine Ebene bildet, zweideutig bestimmt u. s. w. nennen. Der Zweck dieser Bezeichnung ist wesentlich der, einen präzisen Aus- druck zu gewinnen. Gegen das Wort „Gesetz“ dürfte nichts einzu- wenden sein. Das Wachstumsgesetz einer Species ist eben der Aus- druck für eine bei allen Individuen, die zur Untersuchung gelangten, beobachteten Erscheinung. Man kann doch auch die Thatsache, dass alle Menschen zwei Beine besitzen, ein Gesetz der menschlichen Entwicklung nennen !). 4) Hiermit glaube ich zugleich eine Bemerkung Lendenfeld’s (diese Zeitschrift, Bd. X, Nr. 17, 18) zurückgewiesen zu haben, die offenbar auf einem 16 Driesch, Stockbildung bei Hydroidpolypen. Nachdem wir an der Hand der einfachen Tubularidentektonik einige Begriffe festgestellt haben, gehen wir zu einer etwas eingehen- deren Betrachtung der komplizierteren cymösen Hydroidstöcke über, aus der sich einige wichtige Gesichtspunkte ergeben werden. Die Seitenzweige erster Ordnung der vorliegenden Gebilde ent- stehen dadurch, dass ein Polyp des Hauptstammes außer der Knospe, welche diesen fortzusetzen bestimmt ist, noch eine, die Sekundär- knospe erzeugt, welche nun ihrerseits in der geschilderten Weise den Seitenzweig als Sympodium aus sich hervorgehen lässt. Diese Sekundärknospe hat einen für jede Species konstanten Ursprungsort. Bekanntlich unterscheiden die Botaniker die Sympodien als Fächel oder Sichel, jenachdem die Spitze der konstituierenden Elemente abwechselnd nach verschiedenen oder stets nach derselben Seite der Scheinaxe gewandt ist. Diesen beiden Bildungen begegnen wir auch bei den Polypen. Es können Hauptstamm und Seitenzweig- system beide Fächel (Campanulariden, Sertulariden) oder beide Sichel (wenige Plumulariden) oder der eine jenes, das an- dere dieses sein (Mehrzahl der Plumulariden). Bisweilen zeigt ein oder der andere Seitenzweig in dieser Hinsicht ein anderes Ver- halten, als es die Regel zu fordern scheint; wir kommen hierauf zurück. Die Seitenzweige können auch hier, wie bei den Tubulariden, regellos verteilt sein, d. h. jeder Polyp kann solche bilden, er braucht es nicht, oder aber (z. B. Sertularia cupressina u. a.) es sind die Sekundärknospen produzierenden Polypen durch ein Zahlengesetz bestimmt, nur der a:° allemal gibt einem Seitenzweig den Ursprung. Für die Seitenzweige höherer Ordnung gilt dasselbe, was soeben ausgeführt ward; bisweilen scheint die Zahl der höchsten Ordnung Bestandteil des Wachstumsgesetzes zu sein, d. h. es kommen stets solche n!® und nie solebe höherer Ordnung vor, bisweilen ist das nicht der Fall. Die Verteilung der Tochteräste kann an den Seitenzweigen ver- schiedener Ordnung gleich oder verschieden sein, ebenso der eigne Bau, endlich können noch für die Species gesetzmäßige Drehungen Missverständnis beruht. Anderseits gebe ich gern zu, dass meine Verwendung des fraglichen Begriffs gelegentlich des „kormogenetischen Gesetzes“ falsch war (erste Abhandlung). Gesetz darf nur eine ausnahmslos beobachtete oder eine aus feststehendem notwendig — mathematisch — folgende Thatsache be- zeichnet werden, nicht aber eine völlig auf Hypothesen basierte Behauptung wie das biogenetische Gesetz und das meinige. Will man aber, ganz streng, meine Wachstumsgesetze „Regeln“ nennen, so darf wieder dieser Ausdruck (Müller’sche Regel — His) nicht für das „biogenetische Gesetz“ verwendet werden, sondern dieses muss schlechtweg Hypothese heißen. Der Sprach- gebrauch scheint mir für mein Vorgehen zu sprechen; so sehr viel kommt ja nicht darauf an. Driesch, Stockbildung bei Hydroidpolypen. 47 des ganzen Seitensystems oder von Teilen desselben die morpho- logische Gestaltung vollenden. Es wird ohne weiteres klar sein, dass, je einfacher das Wachs- tumsgesetz ist, um so indifferenter der Habitus der Stöcke sein wird und dass die charakteristisch gestalteten Kormen der Hydrallmania, Thujaria u. a. einem vieldeutig bestimmten Gesetze ihr Dasein ver- danken, wie ich das a. a. O. im Einzelnen ausgeführt habe. Verweilen wir nun ein wenig bei dem Begriffe der Bestim- mung des Wachstumsgesetzes. Sympodialknospung findet sich bei allen hier betrachteten Formen und soll daher nicht weiter hervorgehoben werden. Offenbar am wenigsten fixiert ist das Wachstumsgesetz des Stockes, sobald überall unbestimmt viele Seitenzweige, allerdings an festgesetzter Stelle der betrefienden Mutterpolypen, und wohl auch eine unbestimmte Anzahl Gonangien — auch diese haben einen nach Species geregelten An- heftungsort — gebildet werden können. Was heißt das aber? Es heißt, dass jeder Polyp hinsichtlich der Erzeugung von Knospen gleiche Fähigkeiten besitzt, gleichwertig ist. Nun sind aber die Exemplare hierher gehöriger Species (z. B. Cum- panularia gelatinosa) individuell verschieden hinsichtlich der Zahl von Seitensprossen, Gonangien ete., es werden also unbekannte innere oder äußere Veranlassungen die schlummernde Fähig- keit wecken müssen. Da sich somit das Hervorrufen der an jedem Polypen möglichen Knospen ungezwungen als Auslösung von Spann- kräften auffassen lässt, so können wir sagen, bei Stücken dieser Art hat jeder Polyp gleiche potentielle Knospungsenergie, womit wir jedoch nur der Sache einen Namen gegeben haben wollen, der uns nicht ganz unpassend erscheint. Die Reihe aaaa..... kann als Schema für derartige Bildungen dienen, und zwar gilt sie hier für Hauptstamm und jeden beliebigen Seitenzweig. Stehen die Seitenzweige wie z. B. bei Sertularia cupressina paar- weis zusammen an jedem nt und n —- 1!®" Polypen des Mutter- stammes — also nahezu gegenständig — so können wir sagen, das Wachstumsgesetz operiere mit 2 Einheiten verschiedener potentieller Energie (die eine Einheit bringt nur primäre Knospen hervor, solche die den betreffenden Ast weiterbauen, die andere noch dazu sekun- däre), deren Anordnung durch ein Zahlenverhältnis bestimmt ist. Wir wollen dieses Verhalten durch ma.nb.ma.nb..... ausdrücken. Es dürfte das Gesagte zur Erläuterung der vorliegenden Begriffe genügen. Kommen mehr als 2 Einheiten vor, treten etwa wie bei Aglaophenia tertiäre Knospen auf, bietet das Verhalten der Gonan- gien besonderes Interesse u. s. f., so lässt sich unsere Betrachtungs- weise stets unschwer anwenden. Namentlich in der ersten meiner zitierten Arbeiten hatte ich Gelegenheit einige komplizierte und doch überaus durchsichtige Fälle dieser Art zu beschreiben (Sertulariden). xl. 2 18 Driesch, Stockbildung bei Hydroidpolypen. Ich hebe, ehe ich zu allgemeineren Erörterungen übergehe, noch die Erscheinung besonders hervor, dass manche Species im unteren Teile ihrer Stöcke ein weniger spezialisiertes Wachstumsgesetz dar- zeigen als im oberen, derart dass ersterer (oder auch junge Stöcke als Ganzes) im unteren Teile sich nach dem Modus nabhe- stehender, durchweg wenig eharakteristischer Formen aufbauen. Ich habe diese Erscheinung als biogenetisches Gesetz für Stöcke oder kormogenetisches Gesetz bezeichnet, bin mir aber des Problematischen dieser Bezeichnungsweise bewusst geworden und weise daher auf die Erscheinung hier nur bin als auf einen Wechsel des Wachstumsgesetzes zum Spezielleren. Dieser Wechsel tritt nicht etwa in Beziehung zur Gonangienbildung auf, wie es ähn- lichen Verhältnissen bei den Pflanzen entsprechen würde; ich habe ihn a. a. OÖ. mit den bekannten Erscheinungen bei Thuya, Ranun- culus ete. verglichen. Der Vergleich passt nicht ganz, hinkt jedoch nicht gar zu sehr, sobald wir die konstituierenden Einheiten in Be- tracht ziehen: es geht dann eine Folge von Einheiten mit bestimmter potentieller Wachstumsenergie in eine solche mit anderer, ebenfalls geregelter über. Anhänger der sprungweisen Entwicklung könnten aus diesen Sachen Kapital schlagen. Ein vorzügliches Beispiel ist Hydrallmania. Ich möchte nun als Resultat unserer Betrachtungen drei Punkte hervorheben: ' 1) Wir haben in den Polypenstöcken ein aus leicht erkennbaren, nahezu gleichen Einheiten aufgebautes Gebilde vor uns und können das Ganze als das Resultat gesetzmäßiger Aneinander- fügung der Einheiten nachweisen; das Wachstumsgesetz lässt sich gleichsam in eine Formel zusammenfassen, welche die nach potentieller Knospungsenergie verschie- denen Einheiten sowie die Zahlen, in welchen jede in jeder Stockserie vorkommt, enthalten muss. Wir sehen somit nicht nur im ganzen ein Wachsen als gesetzmäßig vor uns, wie ja auch im Aufbau der Organismen aus Zellen (Ontogenie), son- dern wir können die Gesetzmäßigkeit durchaus im Ein- zelnen überschauen. Wir sehen, wenn ich so sagen darf, eine gesetzmäßige Bewegung des Substrates bis zur — hier freilich nie abgeschlossenen, sondern periodischen — Vollendung des Ganzen vor uns: ein Stück Entwieklungsmechanik im Sinne der geist- vollen Ausführungen von Roux!). Haben wir somit schon einen Gesichtspunkt gewonnen, der uns für die Auffassungsweise organischer Formen nieht ganz unwesentlich schien, so reiht sich nunmehr noch ein zweiter daran. I) Vgl. besonders dessen Beitrag zur Entwicklungsmechanik des Embryo I. Zeitschr. f. Biologie, XXI, 1885. Driesch, Stockbildung bei Hydroidpolypen. 14 2) Die Einheiten besitzen potentielle Energie; wie wird sie ak- tuell, wie tritt das mögliche in Erscheinung, hier ein Gonangium, dort ein Seitenzweig ete.? Ich habe mich auch hierüber schon a. a. O. ausgesprochen, kannte damals jedoch die trefflichen Arbeiten von Roux (namentlich die zitierte Arbeit ist bei Zoologen leider so sehr wenig bekannt) noch nicht. Ich wende nunmehr seine Terminologie an. Das, was ich primäre Knospenfolge nenne, der Aufbau des Hauptstammes, der Seitenzweige für sich, ist das Ergebnis von Selbstdifferenzierung d. h. die Bildung geht vor sich unter allen Umständen, die überhaupt Entwicklung des Stockes möglich machen. Wie aber, wenn der Habitus von Stöcken derselben Art verschieden ist? Bei einem Stock sitzt ein Seitenzweig nahezu an jedem Polypen der Hauptreihe, beim zweiten nur am 3, 9, 12, 13, 20, 34en ete, von unten an. Hier müssen es wohl äußere Agentien sein, welche das überall mögliche nur hie und da realisieren. Wir haben einen Fall korrelativer Differenzierung. Wohl ver- standen, das Agens veranlasst, es bewirkt nicht, zwei Be- griffe, die leider höchst selten genügend getrennt werden. Handelte es sich hier um Hervorrufen oder Nichthervorrufen eines potentiel möglichen, so sind noch interessanter die Fälle (ge- wisse Plumularien), in denen wir den Einheiten zwei potentielle Energien oder vielmehr die Möglichkeit zwiefacher Aus- lösung der potentiellen Energie zuschreiben müssen, wie dann, wenn plötzlich der Seitenast nicht sichel-, sondern fächelartig sich bildet. Bekanntlich sind ähnliche Erscheinungen auf botanischem Ge- biete in nicht geringer Zahl bekannt; ich verweise den Leser auf die Aufsätze über „Stoff und Form der Pflanzenorgane“ von Julius Sachs!). Hier eröffnet sich ein weites Gebiet für die experi- mentelle Forschung; Licht, Schwerkraft ete. werden hinsichtlich ihres Einflusses auf die definitive Gestaltung der Stöcke mit Erfolg zu untersuchen sein, ihr Konto als veranlassendes Agens festzustellen. Die Versuche, die ich selbst in dieser Richtung ausführte, sind zu fragmentarisch und in Bezug auf unsere Frage schlecht zu deuten, zeigen aber immerhin auch nach dieser Richtung einen gewissen Erfolg ?). Denken wir uns das Wachstumsgesetz der Art als gerade Linie dargestellt, so wird die erwähnte Erscheinung bei Plumularien 1) Arbeiten aus dem bot. Institut. Würzburg Bd. 2. 2) Dass Geotropismus meine Versuche, wenn überhaupt, so doch sehr wenig und in für das Hauptresultat, den negativen Heliotropismus, gleich- giltiger Weise beeinflusst hat, wird der Leser aus Seite 150, 151 meiner Arbeit entnehmen (vgl. Lendenfeld). DE 30 Driesch, Stockbildung bei Hydroidpolypen. einen Gablungspunkt der Linie bezeichnen: die Entwicklung kann nun so oder so weitergehen Der experimentelle Nachweis des hier von mir vermuteten wird seine Wichtigkeit noch erheblich steigern. Bezüglich der „Varietäten“ der Gattung Antennularia sei hier nur folgendes erwähnt: die Seitenzweige (Fiederchen) stehen bei dieser Gattung in alternieren den Wirteln. Die Zahl der Konstituenten dieser Wirtel variiert bei den einzelnen Individuen derselben Art, vermehrt sich ferner — sprungweise — mit zunehmendem Wachstum desselben Stockes und ist endlich bei ganz jungen Stöcken gewisser Arten noch nicht vor- handen, vielmehr finden wir hier die eymöse Ordnung der Plumulari- den: also ein Wechsel des Wachstumsgesetzes ohne Spe- zialisierung, denn die alten Stöcke sind ebenso bestimmt charak- terisiert wie jüngere. Bezüglich aller Einzelheiten verweise ich auf die dritte meiner tektonischen Arbeiten; jeder näheren Deutung der Verhältnisse enthalte ich mich hier wie dort, zumal die Gattung wegen ihrer weit geringeren Uebersichtlichkeit im Aufbau für unseren wesentlich methodologischen Zweck weniger ins Gewicht fällt. 3) Ein paar Worte möchte ich über die Vergleichung von Stöeken sagen. Eine Einheit eines Stockes ist derjenigen eines anderen vergleichbar, wenn sie nach Zahl und Entstehungsweise gleiche relative Lage hat. Dies ist ohne weiteres klar; es kann als Definition gelten. Daraus folgt, dass, wenn Tubulariden mit andern dendritischen Hydroiden verglichen werden sollen, nur der oberste, den ganzen Hauptstamm darstellende .Polyp ersterer mit dem un- tersten Polypen der anderen verglichen werden kann, sowie die Primärknospe des letzteren und eventuell vorhandene Sekundärknospen ganz im allgemeinen irgend welchen Knospen am Tubularidenhaupt- stamm (hier Seitenzweige erster Ordnung), aber sonst nichts. Da ich in meiner zweiten tektonischen Arbeit hierüber ausführlicher gewesen bin und die Sache keine prinzipielle Bedeutung besitzt, so begnüge ich mich mit Gesagtem. — Woran es mir lag, war der Hinweis auf das hier so leicht er- kennbare Wachstumsgesetz und auf den Begriff der potentiellen Knospungsenergie. Mögen diese Resultate unserer Betrachtung als gewonnene Gesichtspunkte wichtig sein, weit bedeutungsvoller wäre ihre eingehende Anwendung auf das Problem der Öntogenie. Wäre auch nur für ein einziges Tier seine Entstehung aus Zellen so zu übersehen und als Formel darstellbar, wie es hier der Aufbau der Stöcke aus ihren Einheiten ist, so wäre unsere Kenntnis der organischen Formen wenigstens auf dem Wege, auf dem sich an eine spätere Erkenntnis denken lässt. Die Hauptprinzipien der Aneinanderfügung von Einheiten, an deren Wesen derartige Bestrebungen anknüpfen müssten, habe ich in meiner Wasmann, Parthenogenesis bei Ameisen. 21 2 zweiten Arbeit ungefähr so dargelegt: „Auf mehreren Wegen bilden sich vielzellige Organismen: die Blastulakugel, der Algenfaden, das Car- chesium-Bäumchen sind drei derselben. Nicht alle ermöglichen srößere Komplikation der Lagebeziehungen der Konstituenten: der erste nur führt zu so verwickelten Gebilden, wie die Metazoen es sind. Der Aufbau der Polypenstöcke aus ihren Einheiten gleicht dem dritten der genannten Wege.“ Dass das Problem einer geo- metrischen Ontogenie der Tiere ein weit komplizierteres ist als das- jenige, welches uns hier besehäftigte, ist damit schon gesagt. Die Erscheinung ferner, dass beim Wechsel des Wachstumsgesetzes die Produkte seiner verschiedenen Epochen bei den Hydroidstöcken gleich- zeitig sichtbar sind, indem sie sich von unten nach oben zu folgen, liegt auch in dem Gesagten, nämlich in der Weise der Aneinander- reihung der Einheiten bei unseren Gebilden begründet; dasselbe gilt, wie leicht ersichtlich. vom Aufbau der Pflanzen: „Diese Teile (Schuppen, Blätter, Blumenblätter ete.) liegen übereinander, wodurch sich die Pflanzenmetamorphose von der tierischen unterscheidet; aber sie bilden sich auch nacheinander ...... “, mit diesen Worten hat Baer in seinem klassischen Aufsatz „Ueber Dar win’s Lehre“ diesen Unterschied treffend bezeichnet. — Linien, Kugeln und Zylin- der bieten zu einem System verbunden prinzipiell ver- schiedene Formen dar: diese Bemerkung dürfte vorstehende Ausführungen nochmals kurz präzisieren. — Roux beklagt sich, dass seine Bestrebungen wenig beachtet und verstanden werden. Das liegt an der fast durchaus historischen richtung der jetzigen Forschung. Erst kürzlich hat Wolff in einem trefflichen Aufsatz !) gezeigt, dass die Selektionstheorie für wirkliche Erklärung der organischen Erscheinungen zum mindesten bedeutungslos ist. Nägeli und viele andere haben ähnliches, wenn auch an der Hand anderer Gründe gesagt. Wer weils, ob nicht für selbstverständlich gehaltene Theorien von viel weittragenderer Bedeutung einmal ähnlich erschüttert werden? Wir'wissen eben über die Organismen noch nahezu nichts; sollten wir nicht angesichts dieser Thatsache etwas vorsichtiger in der An- wendung höchst problematischer Hypothesen sein ? = . . N “. . Parthenogenesis bei Ameisen durch künstliche Temperatur- verhältnisse. Von E. Wasmann N. .J. (Prag). Dass die Arbeiterinnen der Ameisen manchmal parthenogenetisch Eier legen, aus denen sich Männchen entwickeln, ist bereits durch 1) Ein Beitrag zur Kritik der Dar win’schen Lehre. Diese Zeitschrift, Bd. X, Nr. 15 u. 16, [ 22 Wasman, Parthenogenesis bei Ameisen. Forel und Lubbock bekannt!). Unter natürlichen Verhältnissen scheint diese Parthenogenesis am häufigsten vorzukommen bei manchen Zwischenformen zwischen Weibchen und Arbeiterin, ferner in solehen Kolonien, die keine normale befruchtete Weibehen mehr besitzen ?), In meinen Beobachtungsnestern wurden unter normalen Temperatur- verhältnissen parthenogenetisch Eier gelegt von Polyergus rufescens, Formica sangwinea, rufibarbis, fusca und Myrmica scabrinodis; es waren in diesen Fällen jedoch immer nur einige wenige Individuen, die Eier legten. Aus denselben erhielt ich Männchen. Was ich im Folgenden mitteile, bezieht sich auf die durch künst- liche Temperaturerhöhung veranlasste und auf die Mehrzahl der Arbeiterinnen in einem Neste sich erstreckende Parthenogenesis. Im Winter 1885 auf 1886 hielt ich (in Exaeten bei Roermond) in mehreren Glasnestern Lubbock’scher Methode eine große Zahl Arbeiterinnen von Formica sanguinea mit ihren Hilfsameisen (F. fusca). Um die Ameisen zu lebhafterer Thätigkeit anzuregen, legte ich ihnen erwärmte Glasplatten auf die obere Glasscheibe der Nester. Dadurch gerieten sie in fieberhafte Lebendigkeit, sprangen mit lebhaft zittern- den Fühlern auf der Unterseite der erwärmten oberen Glasscheibe umher und sammelten sich möglichst dicht an der wärmsten Stelle, während sie immer dasselbe behagliche Fühlerspiel fortsetzten. Nach- dem ich täglich mehrere Stunden lang die obere Glasscheibe auf die erwähnte Weise erwärmt hatte, begann, meist schon nach einer Woche, spätestens innerhalb vierzehn Tagen, das allgemeine Eier- legen. Dasselbe erfolgte mit viel größerer Anstrengung als bei den Weibchen. Oft sah ich einige Arbeiterinnen dasitzen mit gespreizten Hinterbeinen und möglichst weit nach vorn und oben gekrümmtem Hinterleib, aus dessen Spitze eben das Ei sichtbar wurde. Die Ameise betupfte es lebhaft mit den Fühlern, wandte auch öfters ihre Kiefer an, um es herauszuziehen. Durchschnittlich ging der Prozess um so mühsamer und langsamer, je kleiner das betreffende Individuum war. Die kleinsten brauchten zu einem Ei wenigstens zehn Minuten. Am 26. Januar 1886 sah ich von 8 bis 11 Uhr Morgens in einem Neste nicht weniger als 12 Arbeiterinnen von F. sanguinea mit Eier- legen beschäftigt. Meist waren es größere Individuen, doch befanden sich auch einige sehr kleine darunter. Die rings umher sitzenden 1) Vgl. Aug. Forel, Fourmis d. l. Suisse, p. 328 fg. und Etudes Myrme- colog. en 1884 p. 5; Lubbock, Ameisen, Bienen und Wespen S$. 30 fg.; Adlerz, Myrmecolog. Stud. II p. 122, 247 u. 329. — Adlerz vermutet, dass bei Tomognathus, deren Männchen und Weibchen unbekannt sind und zu fehlen scheinen, eine parthenogenetische Fortpflanzung der Arbeiterinnen stattfinde. Diese merkwürdige Ausnahme müsste allerdings erst durch direkte Beobach- tung bestätigt werden. 2) Vgl. meine soeben erscheinenden Mitteilungen „Ueber die verschiedeuen Zwischenformen von Weibehen und Arbeiterin bei Ameisen“ (Stett. Entomol. Zeitung, 1890). Wasman, Fühler der Myrmedonia. 233 Arbeiterinnen und Hilfsameisen (F\. fusca) waren eifrig beschäftigt die gelegten Eier zu sammeln, aufeinander zu kleben und an die warme Glaswand zu bringen. Manchmal wartete eine derselben nicht einmal, bis das Ei fertig gelegt war, sondern half der andern mit ihren Kiefern es herauszuziehen. Von den vielen Hunderten von Eiern, die auf diese Weise im Winter 85 auf 86, 87 auf 88 und 88 auf 89 gelegt wurden, kam kein einziges zur völligen Entwicklung. Sie wurden teils als Eier, teils als Larven von den Ameisen selbst verzehrt. Die Naschhaftigkeit derselben schien durch die ungewöhnlichen Temperaturverhältnisse gereizt zu werden. Oefters sah ich auch, wie eine Ameise der an- dern ein Ei aus dem Maule zu ziehen versuchte; schließlich zer- drückten sie es bei diesem Versuche und leckten dann, Mund an Mund, den Inhalt desselben mit großer Gier auf. Die in verschiedenen Jahren mit verschiedenen Kolonien von F. sanguinea über den Einfluss der künstlichen Temperaturerhöhung auf die Parthenogenesis der gewöhnlichen Arbeiterinnen angestellten Versuche hatten regelmäßig denselben Erfolg. War die Temperatur- erhöhung eine mäßige, so mehrten sich die Eier nicht so rasch, es wurden aber auch nicht so viele aufgefressen. Bei F. fusca hatte dieselbe Temperaturerhöhung — sie waren als Hilfsameisen in denselben Nestern — eine schwächere, nicht so rasche und so allgemeine Wirkung. Auch ging hier das Eierlegen meist noch mühsamer von statten, und die wenigen von F. fusca stammenden Eier verschwanden bald wieder. Diese Versuche zeigen, dass anormale Wärmeverhältnisse we- nigstens bei manchen Ameisen eine der Ursachen sind, durch welche bei gewöhnlichen Arbeiterinnen die Parthenogenesis hervorgerufen oder wenigstens sehr befördert wird. Es erübrigt noch, bei solchen Experimenten anatomische Untersuchungen der Ovarien vorzunehmen und festzustellen, in wie weit die Entwicklung derselben durch diese Temperaturverhältnisse beeinflusst wird. Zur Bedeutung der Fühler bei Myrmedonia. Von E. Wasmann N. J. (Prag). Die myrmekophilen Myrmedonien !) unserer nord- und mittel- europäischen Fauna gehören zu jener Klasse von regelmäßigen Ameisengästen, die man als „Ameisenfeinde“ und als „feindlich ver- folgte Einmieter“ bezeichnen kann. Als echte Raubtiere nähren sie sich von Ameisen und deren Brut und werden von ihren unfreiwilligen 1) Ueber ihre Lebensweise habe ich Näheres mitgeteilt in der Deutschen Entomol. Zeitschrift, 1886, S. 61—65; Wiener Entom. Zeitung, 1889, S. 156; Tijdschrift. v. Entomol. XXXII (1889—90) S. 31 u. 66 fg. 94 Wasıman, Fühler der Myrmedonia. Wirten heftig angegriffen und verfolgt, wenn sie sich unter dieselben hineinwagen. Daher weichen sie der Begegnung mit den Ameisen aus, halten sich vor dem Nesteingang oder in Schlupfwinkeln des Nestes verborgen, überfallen von dort aus einzelne Ameisen, nament- lieh zur Nachtzeit, und reißen sie in Stücke. Tote Ameisen und andere Insektenreste fressen sie ebenfalls. Die normale Wirtsameise von Myrmedonia funesta, humeralis, cognata, similis, lugens, laticollis, deren Lebensweise ich beobachtet und übereinstimmend gefunden habe, ist Lasius fuliginosus Latr.; wegen ihrer weichen Körper- bedeckung und ihrer relativen Langsamkeit ist dieselbe als Wirts- ameise für jene Räuber besonders geeignet. Es war mir interessant, zu versuchen, wie sich das Benehmen der Myrmedonien den Ameisen gegenüber gestalten würde nach dem Verluste der Fühler. Ich nahm zwei weite Glasgefäße, bedeckte deren Boden mit Erde und stellte in die Mitte eines jeden ein 1 cm hohes Korkstück, auf dessen oberer Fläche ich je acht lebende Ar- beiterinen von Lasius fuliginosus mit feinen Nadeln befestigte; nur einige wenige derselben starben bald infolge der Operation, die übrigen zappelten lebhaft und andauernd. In jedes der beiden Ge- fäße setzte ich 12 Myrmedonien (6 cognata, 5 funesta, 1 luticollis), in das eine solche mit Fühlern („Normale“), in das andere solche, denen die Fühler möglichst nahe an der Wurzel abgeschnitten waren („Fühlerlose“). Gleich anfangs fiel es mir auf, dass die Fühler- losen ohne Scheu den auf dem Korkstück zappelnden Ameisen sich näherten und unter denselben umherliefen, während die Normalen sogleich Halt machten, mit den erhobenen Fühlern zitterten und seit- wärts abbogen, wenn sie einer jener Ameisen auf etwa 5 Mill. nahe kamen. Nach einigen Stunden hatten sich die Normalen teils abseits vom Korkstück unter Blattstückchen u. s. w. verborgen, teils liefen sie am Rande des Gefäßes umher und suchten dasselbe zu verlassen. Von den Fühlerlosen, deren Behälter ebenso eingerichtet war wie jener, sitzt eine oben auf dem Kork, mitten unter den Ameisen, und putzt sich mit den Vorderfüßen den Kopf, besonders die Fühler- stummel. Eine zweite sitzt auf der Seite des Korkes, nahe bei den Ameisen und putzt sich ebenso. Eine dritte läuft an der Seite des Korkes hinauf, nähert sich dabei zufällig einer heftig zappelnden und um sich beißenden Ameise, und bleibt dicht vor ihr sitzen, so dass sie von den Kiefern derselben fast berührt wird; auch sie putzt sich anhaltend wie die vorigen, ohne die geringste Scheu vor den Ameisen. Ebenso beobachtete ich auch in den folgenden acht Tagen, dass die Fühlerlosen die normale Scheu vorder unmitel- baren Nähe der Ameisen ganz verloren hatten. Ganz anders benahmen sich die Normalen. Oft näherten sich eine oder mehrere wie witternd mit erhobenen Fühlern dem Korke, bogen dann plötzlich ab, kehrten wieder zurück, wagten etwas näher zu kommen, 52 Wasman, Fühler der Myrmedonia. 25 zupften an einem Bein einer zappelnden Ameise und liefen dann wieder rasch davon. Die nahe beisammen befindlichen, zum Teile lebhaft erregten Ameisen schieren ihnen Schrecken oder wenigstens vorsichtige Scheu einzuflößen. Erst nach mehreren Tagen, als die Ameisen sämtlich tot waren oder sich nur noch schwach bewegten, sah ich hie und da (aber selten) eine normale Myrmedonia zwischen ihnen ruhig dasitzen. Der Furehtinstinkt der Myrmedonien schien mit dem Verluste der Fühler völlig verloren zu sein. Nicht so der Beuteinstinkt. Am Morgen des 2. Tages war bei den Fühlerlosen noch keine Ameise angefressen, während bei den Normalen in derselben Nacht der Hin- terleib von zwei Ameisen ausgeweidet worden war. Aber bereits am Nachmittag des 2. Tages war auch bei den Fühlerlosen in den Hinterleib einer Ameise ein großes Loch gefressen. Am Abend des 3. Tages sah ich eine Fühlerlose damit beschäftigt, den Hinterleib einer zweiten Ameise auszufressen. Sie benahm sich dabei ebenso geschickt wie die Normalen. Am Morgen des 4. Tages war bei den Normalen nur an den zwei früheren Opfern etwas weiter gefressen worden; bei den Fühlerlosen war zwei neuen Ameisen der Hinterleib ausgehöhlt. Am Morgen des 6. Tages waren bei den Normalen erst 3 Ameisen angefressen, bei den Fühlerlosen 5, darunter 2 fast ganz aufgezehrt, so dass nur noch die Stücke der Brust, wo die Nadel durehging, und der Kopf übrig waren. An demselben Morgen be- obachtete ich wiederum eine Fühlerlose beim Fraße; sie ließ sich nicht stören, bis ich das Gefäß erschütterte. Am Morgen des 7. Tages: 7 bei den Fühlerlosen an- oder aufgefressen, 4 bei den Normalen. An demselben Tage wurde auch eine der Fühlerlosen, die gestorben war, von ihren Gefährtinnen halb aufgezehrt. Am 8. Tage war die Zahl der Opfer bei beiden noch dieselbe wie vorher, aber an mehreren Stücken war weitergefressen. Am 9 Tage waren bei den Fühlerlosen 7 Ameisen ganz!) oder teilweise aufgezehrt, die 8. hatte ein Loch im Hinterleib; bei den Normalen waren erst 4 ganz oder teilweise aufgezehrt, der Hinterleib einer 5. war angenagt. Das Resultat des Versuches war also kurz folgendes: Zahl der Opfer u Te U engem bei den Normalen bei den Fühlerlosen Am 1. Tag 0 0 ) 2. ” 2 1 ” 3 r) 2 2 Ber BLUE 2 4 N 6. >] 3 5 NR 4 ri 5 8 1) Stets mit Ausnahme des Kopfes und einiger Extremitäten. Der Fraß begann stets am Hinterleib. Der Kopf wird nie verzehrt; daher die große Zahl von Ameisenköpfen vor dem Nesteingang von Lasius fulginosus, wenn daselbst zahlreiche Myrmedonien hausen. 26 Wasman, Gehörsvermögen der Ameisen. Mir scheint hieraus zu folgen, dass die Fühler für die Nahrungs- suche bei Myrmedonia nicht so wichtig sind wie für die Wahr- nehmung feindlich erregter Ameisen. Deshalb vermute ich, dass die Distanzwahrnehmung der Nahrung bei ihnen vorzüglich oder wenigstens zum guten Teil durch die Taster vermittelt werde. Nach dem Ver- luste der Fühler wurde die Geruchswahrnehmung, die sich auf die Beute bezog, nieht mehr gekreuzt dureh jene, die von der Annäherung an die Ameisen abschreekte: hieraus erkläre ich mir den besseren Appetit der Fühlerlosen. Bei der Kleinheit dieser Käfer (ca. 5 mm) war eine Amputation der Taster nicht möglich, um zu versuchen, ob sie mit den Fühlern und ohne die Taster oder ohne beide noch Nahrung zu finden vermögen. Letzteres scheint mir ziemlich sicher unmöglich. Ueber Versuche mit Dytiscus, die nach Verlust der Fühler oder der Taster, aber nicht nach Verlust beider noch Nahrung zu suchen vermochten, habe ich schon früher berichtet !). Zur Frage nach dem Gehörsvermögen der Ameisen. Von E. Wasmann S. J. (Prag). Bei meinen Studien über die Lebensweise der Ameisengäste habe ich gelegentlich Einiges beobachtet, was für das Gehörsvermögen der Ameisen zu sprechen scheint. Ich teile es hier kurz mit. In einem Beobachtungsneste Lubbock’scher Methode, in dem ich eine kleine Kolonie Formica rufa mit Dinarda Märkelii und an- deren Gästen hielt, war die obere Glasplatte gesprungen, und ich hatte den Sprung mit Siegellack überklebt. Als der Lack trocken war, strich ich mit einer Stahlnadel leise darüber und bemerkte nun, wie die Ameisen im Neste plötzlich ihre Fühler erhoben und lebhaft bewegten und mit erhobenem Vorderkörper die obere Glasplatte mit den Füblern zu berühren suchten. Die Bewegung war eine so rasche und allgemeine, dass ich den ursprünglich absichtslosen Versuch mehrmals nacheinander wiederholte, stets mit demselben Erfolge. Wenn ich mit einem Falzbein oder einem anderen glatten Gegenstand über dieselbe Stelle rieb, kümmerten sich die Ameisen wenig darum; nur einige sprangen auf und setzten sich mit geöffneten Kiefern in drohende Stellung. Da Formica rufa gut sieht, war das letztere Verhalten leicht erklärlich; wenn ich, ohne die Glasscheibe zu be- rühren, den Finger über dieselbe hinführte, benahmen sie sich ebenso. Sobald ich aber wieder mit der Nadel über den Lack strich, entstand sogleich die oben erwähnte allgemeine Bewegung der Fühler und zwar ohne dass die Kiefer drohend geöffnet wurden. Nur wenige Ameisen waren mit der oberen Glasscheibe in unmittelbarer Be- 4) Biol. Centralblatt, IX, Nr. 10. Capparelli, Nervenendigungen im Magen. 27 rührung !); die untere Scheibe war mit einer mehrere Millim. hohen Erdschichte bedeckt. Somit scheint der leise, schrillende Ton, der durch die Nadelspitze auf dem Lack verursacht wurde, der Grund jener Erregung gewesen zu sein. Allerdings konnte die feine Er- schütterung der oberen Glasplatte vielleicht auf andere Weise auf die Ameisen wirken als durch eine eigentliche Schallwahrnehmung. Aber letztere Annahme scheint mir dem Vorgange am besten zu entsprechen. Ich habe den Versuch später öfters wiederholt, und es machte mir stets den Eindruck, als ob hier eine Gehörswahrnehmung vorläge; ob die Gehörsorgane in den Fühlern selbst liegen, ist eine weitere Frage, die mit jener nicht zusammenfällt. Bei jenem Vor- gange war es immerhin naheliegend, anzunehmen, dass die Fühler nicht bloß infolge der Schallwahrnehmung bewegt wurden, sondern die Wahrnehmung selbst vermittelten Da ein so ausgezeichneter Kenner des Ameisenlebens wie Dr. Aug. Forel der Ansicht ist, dass die Ameisen kein Gehör besitzen, wage ich diese Erklärungen nur als problematisch hinzustellen. In der That ist bis jetzt keine andere Beobachtung bekannt, die für das . Gehörsvermögen der Ameisen mit hinlänglicher Sicherheit spricht. Lubbock, der für die Annahme eines Gehörssinnes bei den Ameisen ist, stützt dieselbe auf anatomische Gründe, auf das Vorhandensein von mutmaßlichen Sehrilleisten am Hinterleibe mancher Arten und auf die Aehnlichkeit bestimmter Bildungen in den Tibien von Ameisen mit den tympanalen Sinneswerkzeugen der Orthopteren. Er hat über- dies die Vermutung ausgesprochen, dass die von Hicks entdeckten flaschenförmigen Organe in den Fühlern der Hymenopteren als mi- kroskopische Stethoskope dienen. Vielleicht sind auch die cham- pagnerpfropfenartigen Organe Forel’s als Gehörsorgane zu betrachten. Die Thatsache, dass sie sich bei der notorisch schlecht rieehenden Biene sehr zahlreich, bei den viel besser riechenden Wespen dagegen nicht finden, beweist, wie Forel selbst in seinen neueren Mitteilungen ausführt ?), dass diese beiden Arten von „inneren Fühlersinnesorganen“ nicht dem Geruchssinne dienen. Ihre Bedeutung ist noch ein „phy- siologisches Rätsel“. Die nervösen Endigungen in der Magenschleimhaut. Von Prof. Andrea Capparelli in Catania. So viel mir bekannt, hat bis jetzt kein Beobachter deutlich die in der Magenschleimhaut endigenden nervösen Endigungen sehen können. Rabe hat in der Magenschleimhaut des Pferdes ein nervöses Netz, 1) Die Distanz der beiden durch einen Holzrahmen verbundenen Glasplatten betrug 15 mm. 2) Experiences et Remarques Critig. sur 1. Sensations d. Insectes II p. 208 (Recueil Zool. Suisse, 31 mars 1887). 28 Capparelli, Nervenendigungen im Magen. welches die Magendrüsen umgibt, beschrieben, und gibt an, dass Fortsätze dieses Netzes in spindelförmige Körper endigen. Ich habe versucht die nervösen Endigungen in der Magenschleim- haut der Frösche und Hunde genauer zu verfolgen und mich zu diesem Zwecke der bekannten Methode Golgi’s zum Studium des Nerven- systems bedient. Die von mir an Fröschen angestellten Untersuchungen ergaben recht befriedigende Resultate, die an den Hunden waren weniger klar und bestimmt. Ich würde diese Untersuchungen haben ruhen lassen, wenn mich nicht eine im Jahre 1889 in Barcellona veröffentlichte Arbeit Ramon y Cajal’s, die sich mit ähnlichen Untersuchungen, jedoch nur am Dünndarm, beschäftigt, dazu bewogen hätte, die von mir bereits früher erlangten Resultate bekannt zu machen. Es scheint, dass man bei Fröschen, mittels der oben erwähnten Golgi’schen Methode, in der Muscularis mocosae bis tief ins Epithel hinein Fäden verfolgen kann, welche durch ihre Färbung, ihre außer- ordentliche Zartheit, durch die periodischen Anschwellungen während ihres Verlaufes und hauptsächlich durch ihre Gegenwart in der Epi- thelialschicht den Charakter nervöser Endigungen haben. Fig.1, 2, 3 u. 4. Nervöse Endigungen in der Magenschleimhaut des Frosches. Meistens gelangen diese Fortsätze bis in die Epithelialschicht hinein und wenden sich dann wieder um. Man sieht nicht selten, einen dieser dünnen sehleifenartigen Fortsätze, in der Form eines sehr zarten Geflechts, zwischen die epithelialen Elemente eindringen, und zwar so deutlich, dass der Verdacht, es handle sich hier um eiue, aus der Dicke oder aus der Richtung des Schnittes herrührende Täuschung, wohl auszuschließen ist. Siebe die Fig. 1, 2, 3 und 4 der beigefügten Abbildungen. Öapparelli, Nervenendigungen im Magen. 25 Ob diese terminalen Fäden nun beständig, wie in Fig. 2, eine kleine Anschwellung aufweisen oder nicht, konnte ich nicht mit ab- soluter Sicherheit feststellen. Sicher ist jedoch, dass zuweilen diese Terminalfäden sehr klar und deutlich mit einer keulenförmigen oder sphärischen Anschwellung im Epithel endigen. J rel a N € Fig. 5. Epithelzellen der Magenschleimhaut des Frosches in Verbindung mit den nervösern Fasern. Fig. 6. Epithelzellen der Magenschleimhaut des Hundes in Verbindung mit den nervösen Fasern. Auch bei Fröschen kann man ziemlich deutlich (Fig. 5) becher- förmige Zellen sehen, welche mit einem ganz dünnen Fortsatz ver- sehen, die Kennzeichen der nervösen Terminalfortsätze zeigen und welche nicht nur in das nervöse Netz, sondern auch bis tief in die Muskelschicht der Schleimhaut eindringen. Es wäre gewiss wünschens- wert, genau die Vereinigung dieser Fortsätze mit den Nervenfasern sehen zu können, aber wenn mir dies auch nicht möglich war, be- zweifle ich doch durchaus nicht, dass die oben beschriebenen Becher- elemente in direkter Verbindung mit den Nervenfasern stehen. In der Magenschleimhaut der Hunde erhielt ich ebenfalls diese becherförmigen schwarz gefärbten Elemente und konnte beobachten, wie sich dieselben in Verbindung mit einem sehr langen Fortsatz erhielten, welcher, sich verzweigend, tief in die Magenschleimhaut eindrang. Trinkler stellte fest, dass viele becherförmigen Zellen den oben beschriebenen Fortsatz haben, erkannte aber dessen nervöse Natur nicht an; es bleibt nun noch zu beweisen, ob diese von Trinkler be- schriebenen Elemente wirklich nervöse Endigungen sind oder nicht. 30 Errera, Einfluss des Magneten auf Kernteilung. Ich meinesteils, mich auf meine Präparate stützend, neige dazu, sowohl für die Frösche wie für die Hunde die Identität der Sache anzunehmen, d. h. zu glauben, dass die Nerven in der Magenschleim- haut in Verbindung mit den bis jetzt als Epithelzellen (Becherzellen) betrachteten Elementen stehen. Laboratorium der experim. Physiologie der Universität Catania. L. Errera, L’aimant agit-il sur le noyau en division? Compte-rendu de la seance du 11 janvier 1890 de la Societe royale de botani- que de Belgique. Bulletin, tome XXIX, deuxieme partie, p. 17—24. Schon 1873 machte Fol auf die Aehnlichkeit der Figuren auf- merksam, in welchen sich Eisenfeilspähne um zwei Pole eines Magnetes anordnen, und den Bildern, welche uns das Zellplasma bei der Kern- teilung darbietet. Nach ihm nahmen Strasburger, Flemming und Osear Hertwig diesen Gedanken auf; doch sprachen alle nur die Vermutung eines möglichen magnetischen Einflusses auf die Vor- gänge bei der Kernteilung aus, ohne dieselbe zu einer Hypothese auszubauen. Um nun Klarheit in diese Frage zu bringen, machte sich der Verf., auch angeregt durch die Versuche Matteucei’s, welcher den Einfluss eines starken Elektromagneten auf in einer Flüssigkeit frei suspendierte Oeltropfen nachwies, an die experimen- telle Lösung. Als Objekt dienten ihm die in der botanischen Mikro- skopie so beliebten Staubgefäß-Haare von Tradescantia virginica. Er hielt dieselben in einer Strasburger’schen feuchten Kammer. Die- selbe wurde zwischen die Pole eines Hufeisen - Elektromagneten von 35 cm Länge gestellt. Die Pole selbst bestanden aus zwei eisernen Würfeln mit 5,5 em und 6 cm Seitenlänge und trugen auf ihren Innen- flächen je eine 2,5 cm hohe abgestumpfte Pyramide, deren obere 4 gem große Flächen 5 cm von einander entfernt waren. Der Elektro- magnet wurde bei den verschiedenen Versuchen von einem Strome von 4 bis 20 Bunsen’schen Elementen bedient. Doch trotz dieses enorm starken Stromes hatten die mikroskopischen Untersuchungen der Objekte nur folgende Ergebnisse: 1) die Protoplasma-Strömungen blieben auch trotz des Stromes fortbestehen; 2) die Kernteilung und die Bildung der neuen Zellwände fand in völlig unveränderter Weise weiter statt; 3) auch eine Beobachtung bei polarisiertem Lichte ergab keine andern Resultate. Verf. kommt durch diese Ergebnisse, welche auch ganz analog den neuesten Beobachtungen von Hermann sind, zu der Ueberzeugung, dass der Magnetismus bei der Kernteilung durchaus keine Rolle spiele, enthält sich aber jeder bestimmten Ver- mutung, auf welchem andern Wege man eine Erklärung für die eigen- tümlichen Vorgänge bei der Karyokinese finden könnte; ja er muss schließlich bekennen, dass wir heute grade so, wie vor acht Jahren, noch nichts über die Kräfte wissen, welche hierbei eine Rolle spielen. H. Kionka (Breslau). Auerbach, Kernsubstanz. 34 Leopold Auerbach, Zur Kenntnis der tierischen Zellen. I. Mitteilung: Ueber zweierlei chromatophile Kernsubstanzen. Sitzungsber. d. kgl. preuß. Akad. d. Wissensch. zu Berlin, 1890, XXXII, S. 735— 749, — Sitzung d. phys -math. Klasse vom 26. Juni. Derselbe, Ueber die Blutkörperchen der Batrachier. Anat. Anzeiger, V. Jahrg., (1890), Nr. 20, S. 570—578. Verf. hat an den roten Blutkörperchen der Amphibien eine Reihe von Untersuchungen angestellt und, obwohl dieselben so leicht zu- gänglich sind und daher schon so oft als Untersuchungsobjekte ge- dient haben, mehrere neue Beobachtungen an ihnen gemacht. So sind die roten Blutkörperchen der Amphibien mit einer Zellmembran aus- gestattet, welche er bei Einwirkung einer Iprozentigen Borsäure- Lösung sich von dem Zellleibe hat abheben sehen. Zu demselben Resultate führte das Quellenlassen der Blutkörperchen in einer Chlor- natrium- oder einfach chromsaurer Ammoniaklösung von 2—10 Prozent. Diese Zellmembran schließt den Zellleib ein. Derselbe besteht aus einer Kortikalschieht und einer Marksubstanz, welche sich besonders in mit 1 prozentiger wässeriger Sublimatlösung behandelten Präparaten schön von einander abheben. Die Rindenschicht erscheint in solchen Präparaten rotgelb gefärbt, da sie das gesamte Hämoglobin des Blut- körperchens enthält. Sie besitzt außerdem eine bedeutende Kontrak- tilität und kann daher Runzelungen oder andere Unebenheiten auf der Oberfläche hervorrufen. Zuweilen zeigt sie in ihrem Innern Vakuolen. — Im Gegensatz zu dieser Kortikalzone ist die Mark- schicht farblos und erscheint in Sublimatpräparaten von zerstreuten dunklen Körnchen besetzt, in Pikrinsäurepräparaten dagegen farblos. Man könnte nun diese an den Präparaten sichtbaren Erscheinungen einfach auch auf die lebenden Blutkörperchen übertragen und auch an diesen homolog andern Zellgebilden und einzelligen Wesen ein Endo- und Exoplasma unterscheiden, jedoch möchte sich Verfasser zu diesem Schlusse noch nicht verstehen und lässt daher vorläufig diese Frage offen. Am eingehendsten hat sich Verf. mit der Be- schaffenheit des Kernes beschäftigt. In ihnen, sowie in allen andern ruhenden Zellkernen, d. h. solchen, die nicht in Mitose begriffen sind, unterscheidet er zwei Substanzen, die früher unter dem Namen Chro- natin zusammengefasst wurden. Die beiden Kernsubstanzen zeigen, wie Verf. beobachtet hat, ein verschiedenes Verhalten gegen gewisse chemische Reagentien, namentlich das schon oben erwähnte Chlor- natrium und das einfach chromsaure Ammoniak, und vor allem gegen Farbstoffe. Und zwar zeigt die eine eine größere Anziehungskraft gegen rote, bezw. rotgelbe Farstoffe, die andere gegen blaue, bezw. grüne. Verf. bezeichnet diese beiden Substanzen daher als kyano- phil und erythrophil. Was nun den morphologischen Bau der Zellkerne anlangt, so steht fest, dass die zuweilen beobachteten intra- 32 Auerbach, Blutkörperehen der Batrachier. nukleären Fadennetze nur Kunstprodukte infolge der Präparations- methoden sind. Es ist im Gegenteil die frühere Ansicht die richtige, nach welcher der Kern aus einer homogenen Grundsubstanz besteht, in welcher einige größere, scharf begrenzte, stark lichtbrechende, Farbstoffe gierig annehmende Körperchen eingebettet sind, die soge- nannten Nukleoli. Der ganze Kern wird gegen den übrigen Zellleib durch eine Membran abgegrenzt, welche aus zwei Schichten besteht, die Verf. nach ihrer Entstehung als eytogene und karyogene Kernmembran bezeichnet. Die Zahl der in die Kerngrundsubstanz eingelagerten Nukleoli ist meist eine große und ist bei den Blut- körperchen der verschiedenen Species verschieden, desgleichen ihre Lagerung im Innern des Kernes. Bei den Blutscheiben der ausge- wachsenen Tiere bestehen diese Nukleoli sämtlich aus kyanophiler Kernsubstanz, jedoch ist dies im Larvenzustande anders. Die erst wenige Tage alten, meist noch mit geringen Resten der Dottertäfel- chen versehenen Blutkörperchen des Larvenzustandes besitzen nnr je einen großen, deutlich erkennbaren Nukleolus, der bei Doppelfärbung mit Ehrlich-Biondi’scher Mischung eine violette oder Lilafärbung annimmt. Allmählich werden neben diesem großen Nukleolus eine Anzahl kleiner Körnehen sichtbar, die sich bei Doppelfärbung blau schimmernd von einem blassrosafarbenen Grunde abheben, während umgekehrt in dem großen Nukleolus rote, bezw. gelbe Kügelchen auf der blauen Grundsubstanz hervortreten. Es findet also hier offenbar eine Differenzierung der scheinbar homogenen Grundsubstanz des Kernes einerseits und der stärker lichtbrechenden Substanz des Nukleolus andrerseits statt. Während sich nun die kleinen kyano- philen Körnchen vermehren und durch gruppenweises Verschmelzen zu 6 bis 8 größeren Körnern werden, nimmt der Stammnukleolus immer mehr einen erythrophilen Charakter an, wobei er sich in mehrere Abschnitte zerlegt. Man erhält also in diesem Zustande bei Doppel- färbung das Bild, welches man bei Präparaten im Larvenzustande so oft sieht, den Kern ausgefüllt mit vielen blauen und einzelnen rot gefärbten Nukleolen. Schließlich gehen aber auch die letzten erythro- philen Reste der ursprünglichen Stammnukleoli zu Grunde, so dass in dem Kern nur die kyanophile Substanz übrig bleibt. Im Gegensatz zu den Kernen der roten Blutkörperchen der er- wachsenen Amphibien sind in den meisten andern Zellarten derselben in den multinukleären Kernen beide Substanzen eingeschlossen, doch ist die kyanophile in größerem Maße vorhanden, während sich nur einzelne Nukleoli in jedem Kern erythrophil zeigen. In besonders schöner Weise tritt dies in den Hautdrüsenkernen („Riesenkerne“) der Urodelen hervor, welche Verf. ebenso, wie die Leberzellen, Endothel- und Bindegewebszellen dieser Tiere gleichfalls einer eingehenden Untersuchung unterzogen hat. H. Kionka (Breslau). Verlag‘ von Eduard 'Besold in Erlangen. Ew "Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der NER in in Erlangen. 4 Nummern von je 2 , Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. &l. Band. 15. Februar 1891. Nr. 2. Inhalt: Bütschli u. Sehewiakoff, Ueber den feineren Bau der quergestreiften Muskeln bei Arthropoden. — Schlampp, Die Augenlinse des Proteus anguineus. — Nusbaum, Beiträge zur Embryologie der Isopoden. — Billroth, Ueber die Einwirkung lebender Pflanzen- und Tierzellen auf einander. — Perey F. Frank- land and Grace €. Frankland, Der Nitrifikations-Prozess und sein Ferment. — Knauthe, Zur Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften. — Koch, Fort- setzung der Mitteilungen über die Heilung der Tuberkulose. — Rudzki, Ueber ein angeborenes Gefühl der Kardinalrichtungen des Horizonts. Ueber den feineren Bau der quergestreiften Muskeln von Arthropoden. Vorläufige Mitteilung. Von ©. Bütschli und W. Schewiakoff (Hierzu 7 Figuren). In der Sitzung des naturhistorisch-medizinischen Vereins zu Heidel- berg vom 11. Juli 1890 berichtete O. Bütschli!) unter Anderem, dass er mit W. Schewiakoff gemeinsame Untersuchungen über den Bau der quergestreiften Muskelzellen verschiedener Arthropoden begonnen habe. Bei dieser Gelegenheit teilte er auch schon Einiges über die Ergebnisse dieser Beobachtungen mit. Während des Sommers und Herbstes 1890 setzten wir unsere Untersuchungen fort. Die be- absichtigte weitere Ausdehnung der Arbeit wurde durch verschiedene unabwendbare Hindernisse gehemmt und musste deshalb einstweilen auf unbestimmte Zeit vertagt werden. Obgleich demnach unsere Unter- suchungen vorerst nicht die gewünschte Vollendung erreichten, halten wir es dennoch für angezeigt, über die gewonnenen Ergebnisse vor- läufig zu berichten. Untersucht wurden: Thoraxmuskeln von Scolopendra sp. (gigantea?) und Lithobius forficatus, Cephalothorax- und Scheerenmuskeln von 1) 0.Bütschli, Weitere Mitteilungen über die Struktur des Protoplasmas. Verhandl,. d. naturh.-mediz. Vereins zu Heidelberg, N. F., IV. Bd., 3. Heft, 1590, Sep.-Abdr, $S. 12; siehe auch diese Zeitschrift, Bd X, Nr. 22, S. 697. XI. > 34 Bütschli u. Schewiakoff, Quergestreifte Muskeln der Arthropoden. Astacus fluviatilis und Flügelmuskeln von Lucanus cervus, Melolontha Fullo, Prionus coriarius, Hydrophilus piceus und Gastropacha pini. Die Beobachtungen wurden sowohl an lebenden, wie an konser- vierten Muskelzellen angestellt. Im ersteren Falle bedienten wir uns entweder einer Eiweißlösung (20 cem Hühnereiweiß, 18 Kochsalz und 200 cem Wasser), oder noch besser des Blutes der Tiere selbst. In diesen Flüssigkeiten wurden die herausgeschnittenen Muskeln in toto, wie auch zerzupft betrachtet. Sie blieben eirca 15—20 Minuten am Leben und man konnte sich überzeugen, dass die an konservierten Präparaten beobachteten Struk- turen keine Kunstprodukte, sondern auch im lebenden Muskel, wenn auch nicht ganz so scharf, wahrzunehmen sind. Noch besser eignen sich zum Studium lebender Muskelzellen kleine Crustaceen (C'yclops z.B.) oder auch gewisse Rotatorien, welche man im lebenden Zustande mit den stärksten Vergrößerungen bequem betrachten kann. Als Konservierungsmittel erwiesen sich am besten Pikrinschwefel- säure, Pikrinessigsäure, 10°/, Alkohol mit einer Spur Jod (Bütschli), 10—15fach verdünnte Müller’sche Flüssigkeit, sowie 5°/, doppelt chromsaures Ammoniak. In diesen Flüssigkeiten wurden die Muskeln 1—4 Tage maeceriert und dann zu Zupfpräparaten verarbeitet; gleich- zeitig wurden von in denselben Flüssigkeiten fixierten Muskeln in der üblichen Weise (Alkohol, Chloroform, Paraffin) Schnitte angefertigt. Die Längs- und Querschnitte hatten 1—2 w Dicke. Als Färbemittel erwiesen sich am brauchbarsten, Delafield’sches Hämatoxylin oder für gewisse Zwecke (wovon unten mehr) Anilinfarben, wie Fuchsin, Gentianaviolett, Methylviolett ete. oder noch besser Anilingentiana- violett (3 cem Anilinöl, 3 cem abs. Alkohol, 94 cem Wasser und Zusatz von Gentianaviolett bis zum Auftreten eines metallischen Schimmers auf der Oberfläche). Auch Goldimprägnationen wurden angewandt. Sämtliche Schnitte, wie auch die Zupfpräparate wurden nicht in Canadabalsam oder Damarlack, sondern in Wasser oder noch besser in Methylalkohol untersucht, da letztere Flüssigkeiten, wegen ihres geringeren Brechungsvermögens viel günstiger zum Studium feinerer Strukturverhältnisse sind. Die Beobachtungen wurden mit den homo- genen Apochromaten: Zeiss Obj. 2 mm Brennw. 1,30 und 1,40 Apert., sowie den Okularen 12 und 18 angestellt. Der Bau der untersuchten Arthropodenmuskeln ist nun nach unseren Ergebnissen kurz folgender: 1) Jede Muskelzelle (Muskelfaser, resp. Primitivfibrillenbündel) besteht aus zwei verschiedenen Protoplasmaarten: I. aus kontrak- tiler oder Fibrillensubstanz, welche die kontraktilen Ele- mente!) bildet und II. aus gewöhnlichem Protoplasma, welchem Ay Wir bedienen uns des Ausdrucks kontraktiler Elemente und nicht der Bezeichnung Fibrillen für diese Teile der Muskelzelle, weil dieselben, wie im weiteren gezeigt werden wird, selbst eine fibrilläre Struktur besitzen und Bütschli u. Schewiakoff, Quergestreifte Muskeln der Arthropoden. 535 diese kontraktilen Elemente eingelagert sind, sogenannte Sarkoglia (Kühne), Sarkoplasma (Rollet) oder Zwischensubstanz. 2) Die kontraktilen Elemente sind plasmatische Säulchen oder Plättchen, welehe in der Längsrichtung durch die Muskelzelle verlaufen. Ihr Querschnitt schwankt zwischen rundlicher bis band- förmiger Gestalt. Die Gestalt der kontraktilen Elemente ist, wie gesagt, bei verschiedenen Arthropoden verschieden. So sind sie bei Scolopendra und Lithobius (Fig. 5 ce e) in der oberflächlichen Region der Muskelzelle meist plattenartig (von 0,003—0,015 mm Breite und 0,0006-—-0,0012 mm Dicke) und stehen senkrecht zur Oberfläche; im Innern dagegen sind sie meist zylindrisch (0,002 mm im Durchmesser) von unregelmäßigem Querschnitt. Bei den untersuchten Insekten (Fig. 6 ce e) sind sie zylinderförmig (durehschnittlich 0,003 mm im Durchmesser), dagegen bei Astacus (Fig.2 e e) mehr prismatisch, mit ovalem oder polygonalem Querschnitte (0,0015—0,004 mm im Durchm.). 3) Das Sarkoplasma umgibt allseitig die kontraktilen Elemente, so dass letztere in ihm eingebettet sind. Es ist deutlich wabig strukturiert (Durchmesser der Waben 0,0006 — 0,0015 mm). Das Wabenwerk erscheint meist sehr unregelmäßig (Fig. 2 u. 7 s); nur zwischen den plattenartigen kontraktilen Elementen (in der oberfläch- lichen Region der Myriopodenmuskeln) ist es regelmäßiger ausge- bildet (Fig. 5 s), indem sich zwischen je zwei benachbarten Platten eine doppelte Lage von Sarkoplasmawaben einschiebt. Die gleiche Struktur findet sich auch bei Astacus an solchen Stellen, wo die Quer- schnitte der kontraktilen Elemente länglich oval sind. Das Waben- werk des Sarkoplasmas färbt sich nur sehr schwer, ähnlich wie das des gewöhnlichen Plasmas überhaupt; da die Wabenkanten ferner ungemein zart sind, so ist die ganze Struktur nur an möglichst stark gefärbten und sehr dünnen Schnitten mit Sicherheit zu erkennen. Weniger geeignet zu diesem Studium erweisen sich Zupfpräparate, in welehen das zarte Wabenwerk gewöhnlich zerrissen wird; doch erkennt man das Vorhandensein des wabigen Sarkoplasmas an den zarten Fäscrehen (zerrissene Wabenkanten), welche den isolierten kontraktilen Elementen an verschiedenen Stellen ansitzen. 4) Dem Sarkoplasma sind außer den kontraktilen Elementen noch die Kerne eingelagert. Ihre Zahl, Gestalt und Größe (0,01—0,017 mm lang und 0,004—0,01 mm breit) ist sehr verschieden. Zuweilen liegen sie unmittelbar unter der Oberfläche der Muskelzelle, zuweilen im Innern derselben. Sie sind allseitig vom Wabenwerk des Sarkoplasmas umgeben, wobei die Waben, welche den Kern zunächst umgeben, ge- wöhnlich kleiner sind, als diejenigen, welehe sich zwischen den kon- traktilen Elementen erstrecken. die Bezeichnung „Fibrille* bald auf diese Elemente als solche, bald auf ihre feineren Strukturelemente angewendet wurde. Um Irrungen zu vermeiden, scheint es unter diesen Umständen richtiger, den Ausdruck Fibrille nieht zu gebrauchen, Yın 6 Bütschli u. Schewiakoff, Quergestreifte Muskeln der Arthropoden. 5) Die äußerste Grenzschicht des Sarkoplasmawabenwerks, welche die Oberfläche der Zellen bildet, zeigt auch hier die Besonderheiten einer sogenannten Alveolarschicht, wie sie Bütschli bei Proto- zoen und anderwärts beschrieben hat. Die jene Schicht zusammen- setzenden Waben sind nämlich senkrecht zur Oberfläche gestellt, wes- halb die Alveolarschicht auf dem Quer- und Längsschnitt (Fig. 2, 5 und 7 al) radiär gestreift erscheint. Die Maschen der Alveolarschicht sind gewöhnlich etwas kleiner (0,0006 mm), als jene des Inneren; zeigen aber im Uebrigen dasselbe Verhalten. Ueberhaupt lässt sich verfolgen, dass das Wabenwerk des Sarkoplasmas in der axialen Region der Muskelzelle am breitmaschigsten ist und nach der Ober- fläche zu allmählich enger wird. Die äußere Grenzlamelle der Alveolar- schicht zeichnet sich auch hier durch stärkere Tingierbarkeit und stärkeres Lichtbrechungsvermögen als sogenannte Pellicula (p) besonders aus. Diese Pellieula dürfte dem Sarkolemm der früheren Autoren entsprechen, doch wurde vielleicht auch die Andeutung der gesamten Alveolarschicht gelegentlich in dieses einbezogen. Fig. 1. Astacus fluviatilis. [2 ae al A aan oL REN ; S-- -BRR A FE % } In 1 Ar 3 CH > Y a 3 E Längschnitt. Querschnitt. 6) Die Flügelmuskeln sämtlicher untersuchten Insekten zeigen noch eine weitere Komplikation. In dem Wabenwerk des Sarko- plasmas eingebettet (Fig. 6 u. 7 i k), liegen noch besondere kuglige Körperchen, welche von Kölliker als interstitielle Körner be- schrieben wurden. Ihre Größe und Gestalt ist sehr verschieden. Am kleinsten sind sie bei Gastropacha pini (0,0006 mm im Durchmesser), am größten bei Lucanus cervus (0,002—0,003 mm im Durchmesser). Meist sind sie kuglig, zuweilen ovoid bis unregelmäßig. In lebenden Muskelzellen erscheinen die interstitiellen Körner homogen, glänzend und stark lichtbrechend. Im fixierten Zustande zeigen sie einen fein- wabigen Bau deutlich und sind sehr stark tingierbar, fast so stark wie die Muskelkerne. Bei der Behandlung mit gewissen Reagentien Bütschli u. Schewiakoff, Quergestreifte Muskeln der Arthropoden. 37 bersten die Körner und können dadurch die Struktur des Sarkoplasmas unklar machen. Scolopendra sp. (gigantea ?) Kain. Fig. 4. Fig. 5. hy (3: 5 z _\ IN NR ill) \ullzl IN I I il N) ZT u il I INN) SU | Ber Radial. Längschnitt. Tangent. Längsschnitt. Querschnitt. Prianus curiarius. Fig. 7. eK LE BER i Längsschnitt. Querschnitt. Bedeutung der Buchstaben: s = Sarcoglia; c. e —= kontraktile Elemente; a = anisotroper, i= isotroper Abschnitt der kontraktilen Elemente; al = Alveolarschicht; p Pelli- eula; N = Muskelkern; i. k — interstitielle Körnehen. Vergrößerung ca. 2600. 7) Der feinere Bau der kontraktilen Elemente ist gleichfalls wabig und ziemlich kompliziert. Es wird leichter verständlich werden, wenn wir vom Bau der kontraktilen Elemente der glatten Muskel- 38 Bütschli u. Schewiakoff, Quergestreifte Muskeln der Arthropoden. zellen ausgehen. Bei Ascaris sind letztere wie Bütsehli’s!) Unter- suchungen gezeigt haben, dicht nebeneinander gestellte Platten, welche von einer einzigen Lage längsgereihter Waben gebildet werden. Dieses Wabenwerk der kontraktilen Platte zeichnet sich durch starke Tingir- barkeit vor dem umgebenden gewöhnlichem Plasma (Sarkoplasma) aus und ist durch die ganze Längsausdehnung der Platte gleichförmig entwickelt, ohne Differenzierung in verschiedene Abschnitte oder Quer- streifen. — Die kontraktilen Elemente der quergestreiften Muskel- zellen zeichnen sich ebenfalls durch starke Färbbarkeit gegenüber dem Sarkoplasma aus, doch ist diese Tinktionsfähigkeit, wie wir gleich sehen werden, keine gleichmäßige in der Längsrichtung. Ferner be- stehen die kontraktilen Elemente der quergestreiften Muskelzellen bei Crustaceen und Insekten nicht aus einer einzigen, sondern aus zwei oder mehreren Lagen längsgerichtete Waben. Dieser Bau lässt sich mit großer Deutlichkeit an recht dünnen (0,001 mm) und intensiv ge- färbten Querschnitten erkennen. Auf denselben erscheinen die kon- traktilen Elemente je nach ihrem Bau, als Kreise (Fig.7 c e), Ellipsen oder unregelmäßige Polygone (Fig. 2 c e), welche wiederum aus ein- zelnen dicht aneinander liegenden Waben aufgebaut sind. Letztere haben einen Durchmesser von eirca 0,0006—0,0008 mm. Auf den Längsschnitten soleher kontraktilen Elemente (Fig. 1 u.6ce) er- scheinen diese Waben als längsgereihte, längliche Maschen (von 0,0008—0,001 mm Länge), welche in ihrer Gesamtheit die Längs- streifung (fibrillären Bau) der kontraktilen Elemente bewirken. Die charakteristische Eigentümlichkeit der quergestreiften Muskel- zellen besteht aber darin, dass das Wabenwerk der kontraktilen Ele- mente eine Differenzierung in der Längsrichtung erfuhr. Betrachtet man einen Längsschnitt (Fig. 1, 3, 4 u. 6 c e) oder ein Zupfpräparat, so bemerkt man, dass die kontraktilen Elemente aus der Länge nach hintereinander gereihten, abwechselnd verschiedenartigen Abschnitten bestehen. Die Abschnitte der einen Art sind länger, matter und stärker tingirbar, die der anderen sind kürzer, glänzender und schwächer tingirbar. Die ersten sind die anisotropen (Fig. 1, 3, 4 u. 6 a), die letzteren die isotropen (Fig. 1,3, 4 u. 6 z) Querscheiben. Beide Sorten von Abschnitten bestehen aus je zwei Querreihen längsgereihter, ungefähr rechteckiger Waben oder Maschen, welche auf den Quer- schnitten als das oben geschilderte Wabenwerk erscheinen. Diese Differenzierung des Wabenwerks der kontraktilen Elemente in der Längsrichtung in zweierlei, verschieden lichtbrechende, abwechselnde Abschnitte bewirkt die charakteristische Querstreifung. — Der eben beschriebene Bau der kontraktilen Elemente lässt sich bei sämtlichen untersuchten Insekten und Crustaceen verfolgen. Etwas abweichend gestalten sich die Verhältnisse bei den Myrio- poden, obgleich im Grunde genommen der Bau der gleiche ist. Die 1) 0. Bütschli l. e. 8. 10-12. Bütschli u. Schewiakoff, Quergestreifte Muskeln der Arthropoden. 39 kontraktilen Elemente ihrer Muskelzellen sind, wie bereits erwähnt, von zweierlei Form: in der axialen Region der Zelle zylindrisch, gegen die Oberfläche der Zelle plattenartig (Fig. 5 ce e); allmähliche Ueber- gänge führen die beiden Formen in einander über. Die zylindrischen Elemente zeigen im Querschnitte dieselbe Wabenstruktur wie jene der Crustaceen oder Insekten; die plattenartigen bestehen auf dem Quer- schnitt aus einer oder zwei Reihen längsgereihter Waben und erinnern im ersten Falle lebhaft an die kontraktilen Platten der glatten Muskel- zellen von Ascaris. Betrachtet man solche plattenförmige Elemente von Scolopendra im Längsschnitte, so ergeben sie zweierlei Bilder (Fig. 3 u.4ce), je nachdem der Längsschnitt radial (Fig. 3) oder tangential (Fig. 4) durch die Muskelzelle geführt wurde. Diese beierlei Bilder sind auch an Zupfpräparaten wahrzunehmen, wobei man sich durch Wälz- ung des Objektes (mittels Verschieben des Deckglases) überzeugen kann, dass das Bild von Fig. 4 in jenes der Fig. 3 übergeht. Ein fernerer Unterschied der kontraktilen Elemente der Myriopoden be- steht darin, dass die anisotropen Abschnitte in der Längsansicht Fig. 3 u. 4 a) nicht nur aus zwei, sondern aus mehr Querreihen von Waben bestehen, welche außerdem nicht in gleicher Höhe neben ein- ander stehen, sondern unter einander alternieren. Der isotrope Ab- schnitt (Fig. 3 u. 4 z) besitzt aber denselben Bau wie bei den erst- geschilderten quergestreiften Muskelzellen. 8) Aus der Vergleichung unserer eben geschilderten Ergebnisse über die Struktur der quergestreiften Elemente der Muskelzellen mit den Befunden früherer Autoren dürfte sich vorerst etwa Folgendes ergeben: Die Hauptscheibe oder @ (Rollett) entspricht unseren zwei queren Wabenreihen des anisotropen Abschnittes; ob der Hensen’sche Streifen oder % der Grenzlinie beider Querreihen von Waben dieses Abschnittes entspricht, scheint ziemlich fraglich; die zwei isotropen Scheiben oder E entsprechen unseren zwei queren Wabenreihen des isotropen Abschnittes; die Zwischenscheibe oder z entspricht der Grenzlinie beider Quer- reihen von Waben dieses Abschnittes und die beiden Nebenscheiben oder N sind die Grenzlinien zwischen je zwei zusammenstoßenden Wabenquerreihen eines anisotropen und isotropen Abschnittes. Die Scheiben J zwischen N und Q konnten wir nie wahrnehmen; ohne jedoch ihr Auftreten unter gewissen Bedingungen oder an gewissen kontraktilen Elementen leugnen zu wollen. 9) Zum Schluss wäre noch zu bemerken, dass die quergestreiften Muskelzellen der Wirbeltiere, soweit wir es vorerst festzustellen ver- mochten, im Wesentlichen den gleichen Bau wie die der Crustaceen besitzen. Heidelberg im Januar 1891. 40 Schlampp, Augenlinse des Proteus anguineus. Die Augenlinse des Proteus anguineus. Von K W. Schlampp, Dozent an der tierärztlichen Hochschule in München, (Aus dem zool. Institute in Erlangen.) Alle Autoren, welche bislang ihre Studien über das Auge des Höhlenolmes veröffentlichten, stimmen darin überein, dass dessen unter der Haut verborgen liegendes Sehorgan im Vergleiche mit ihm zu- nächst verwandter Tiere eine weitgehende Verkümmerung zeigt. Als besonders auffallend und merkwürdig registrieren die Untersucher das vollständige Fehlen der Linse in diesem Auge, welches sich nur bis zur Entstehung der sekundären Augenblase entwickelt und auf dieser Bildungsstufe dann lebenslang verharrt. Beziehen wir diesen Befund auf das ausgewachsene Tier, so kann ich die eigentümliche Thatsache bestätigen, dass im Auge eines vielleicht 20 und mehr Zentimeter von der Schnauze bis zur Schwanzspitze messenden Individuum nirgends mehr auch nur eine Andeutung der Linse zu entdecken ist. Greift man aber auf die allerdings ziemlich schwierig erhältlichen jüngern Tiere und auf die Larve zurück (von welch letzteren Herr Dr. Zeller und Prof. Dr. Selenka mir einige zu überlassen die Liebenswürdig- keit hatten), so findet sich, dass im Proteus- Auge genau so wie in jedem anderen Vertebraten-Auge eine Linse angelegt wird. Sie wächst in den sekundären Augenbecher hinein, um späterhin sich wieder zu- rückzubilden und der Resorption zu verfallen, nachdem sie als einzige Andeutung eines dioptrischen Apparates in einem Auge, welches zur Perzeption scharfer Bilder aus anatomischen und biologischen Gründen unfähig ist, obsolet geworden ist. Die Linse zeigt sich bei meiner jüngsten 4 Wochen alten Larve als eine am distalen Augenpole gelegene, etwa 0,085 mm im Durch- messer haltende, aus teils zylindrischen (vordere Fläche), teils an- näherungsweise kubischen Epithelzellen bestehende Kugel, welche eine Glasmembran als Kapsel umzieht und gegen die ebenfalls zelligen Nachbarorgane scharf abgrenzt. Nach vorne stößt die Linse mit ihrem vorderen Pole an die Innenfläche der Augenkapsel, wo sie mit ihrer Kapsel befestigt ist, seitlich wird sie vom ringförmigen Stratum eiliare der Pigmentschicht getragen und nach hinten zu liegen ihr, weil jede Andeutung des Glaskörpers vollständig fehlt, direkt die Körnerzellen der nervösen Netzhautschichten an, ohne dass sie jedoch in irgend welche Verbindung mit diesen Organen trete. Beim 10 em langen Tiere hat die Linse ihrer Masse nach schon eine bedeutende Einbuße erlitten; sie liegt noch an gleicher Stelle in ihrer Kapsel, ist jedoch auf etwa ein fünftel und weniger ihres früheren Durch- messers geschrumpft und lässt auf Schnitten immer nur 5 bis 6 neben einander gelagerte Epithelzellen noch erkennen. Mit der Volums- abnahme der Linse wächst gleichzeitig das Ciliarstratum der Pigment- Schlampp, Augenlinse des Proteus anguwineus. 4l schichte vor, um sich — nachdem später die wenigen Linsenzellen vollständig resorbiert sind — zu berühren und zu schließen. Diesem meinem Befunde zufolge muss demnach die Linse wie bei anderen Tieren sich vom Ektoderm abschnüren und in die laterale Oeffnung des Augenbechers einwachsen, in welchen sie nach erfolgter Differen- zierung des benachbarten Mesoderms zur Augenkapsel eingeschlossen wird und dort alsbald der Rückbildung und vollständigen Resorption anheimfällt. Die Augenkapsel, welche den Augapfelinhalt umschließt, be- steht aus einer dünnen Lage feiner, kernhaltiger und leicht gewellter Bindegewebsfibrillen, in welche, was Leydig erstmalig angab und Hess in Jüngster Zeit bestritt, bei jüngeren Individuen einzelne Knorpel- zellen, bei älteren dagegen entweder in der Gegend des hinteren Augen- poles oder des Augenäquators Plättchen hyalinen Knorpels einge- schlossen sich vorfinden. Eine Differenzierung dieser aus dem Mesoderm hervorgegangenen Umhüllungsmembran in Sclera und Cornea tritt niemals auf; die Bindegewebslamelle behält ihre histologische Struktur auch in der Gegend des vorderen Augenpoles unterschiedslos bei. Nach innen zu liegt der Augenkapsel das Chorioidalstratum an, gebildet aus sehr zarten, dieht mit Pigmentkörnehen beladenen Binde- gewebsfasern. Indem dieselben sich unter sehr spitzen Winkeln kreuzen und durchflechten, entsteht zwischen ihnen ein enges Maschennetz (Lymphräume). Durch diese Anordnung wird ein Bild erhalten ähn- lich dem der Lamina fusca in andern Augen. Und dass diese Gewebs- lage wirklich als Aderhaut gedeutet werden muss, erhellt aus ihrem, bislang von allen Untersuchern bestrittenen Gehalte an Blutgefäßen. Ihre innerste Begrenzung bildet eine Kapillare, teils vollgepfropft mit den großen, scheibenförmigen Blutkörperchen, teils leer und kollabiert. An die Kapillarwandung stößt direkt die Netzhaut mit ihrer Pigment- schichte an: eine einfache Lage ovaler, mit ihrem Längsdurch- messer tangential zur Augapfeloberfläche gestellter Zellen mit großem Kerne, zwischen welche reichlich körniges Pigment eingestreut liegt. Vorwärts vom Augenäquator und in der Nähe des vorderen Augen- poles verliert die Pigmentschicht den Charakter einer einzelligen Lage, verbreitet sich zu einem mit seiner Hauptrichtung nach der Augenaxe hinziehenden Zelllager, in welches sich das schwarzbraune Pigment mit feinen Ausläufern hinein verliert. Indem eine derartige Verdickung des vorderen Teiles der über die nervöse Schichte der Retina nach vorne hinausragenden Pigmentschichte in allen Meridianen auftritt, entsteht am vorderen Augenpole ein ringförmiger, senkrecht auf der Augenaxe stehender Zellwulst — die embryonale Anlage von Corpus ciliare und Iris, welcher im Larvenstadium die Linse, wie oben schon angegeben, umfasst und dessen der Augenaxe zugekehrte Begrenzungs- fläche sich später beim erwachsenen Tiere, nachdem die Linse ver- schwunden ist, berührt. Die gleiche Textur, wie sie hier von der 49 Nusbaum, Embryologie der Isopoden. Larve beschrieben wurde, behält das Stratum ciliare retinae während der ganzen Lebensdauer, indem ein Dazwischenwachsen des Meso- derms zur Anlage und Bildung von Blutgefäßen, Muskeln ete. nicht stattfindet. Den ganzen weiteren Binnenraum des Auges nimmt bei dem voll- ständigen Fehlen eines Glaskörpers die infolge dessen annäherungs- weise kugelförmige nervöse Schichte der Netzhaut ein, in welcher, wie das Krause und Desfosses angegeben haben und Hess be- stätigt, alle die einzelnen Schichten sich nachweisen lassen, welche wir in der Netzhaut der Vertebraten zu finden gewohnt sind. In der Gegend des hinteren Augenpoles tritt der Sehnerv, ein zartes Stämm- chen aus Bündelchen markloser Nervenfasern, durch eine Lücke in der Augenkapsel hindurch, durchbricht die Pigmentschichte und läuft längs der Augenaxe durch die nervöse Schichte (resp. in der Axe der zu einem zylindrischen Zapfen angeordneten Ganglienzellenlage) hindurch, sich allmählich verjüngend nach Abgabe einer Anzahl radiär in die Netzhautkugel einstrahlenden Nervenfädcehen, um sich gegen den vordern Augenpol hin zu verlieren. Seine radiären Fädchen lassen sich durch die Lage der Ganglienzellen hindurch verfolgen und strahlen in die molekuläre Schichte ein, wo sie verschwinden; ob die von der letzteren weg durch die Körnerschichte ziehenden zahlreichen Fibrillen nervöser Natur oder dem bindegewebigen Stützgerüste angehörig sind, dürfte schwer zu entscheiden sein. Nach außen von der Körnerschichte gegen die Pigmentschichte zugekehrt finden sich die Endapparate tragenden Zellen. Ueber deren feinere Strukturverhältnisse zu be- richten sowie eine eingehendere Darstellung des Proteus-Auges behalte ich mir für eine in kurzer Zeit dieser vorläufigen Mitteilung folgende Arbeit vor. Erlangen, den 7. Januar 1891. Beiträge zur Embryologie der Isopoden. Von Dr. Jöozef Nusbaum in Warschau. 18 Während meines Aufenthalts an der zoologischen Station zu Conearneau im Sommer des verflossenen Jahres studierte ich die Ent- wicklungsgeschichte einiger mariner Isopoden. Indem ich eine aus- führliche Arbeit mit vielen Abbildungen erst später an einer andern Stelle publizieren werde, wünsche ich in einer Reihe von vorläufigen Mitteilungen hier kurz nur die wichtigsten Resultate meiner bisherigen Untersuchungen mitzuteilen. Bildung der Keimblätter und des Verdauungskanals bei Ligia oceanica L. An dem jüngsten Stadium, welches mir zu finden gelungen ist, beobachtete ich auf Schnitten an einem Pole des Eies dicht unter der Nusbaum, Embryologie der Isopoden. 43 inneren Hülle desselben eine Schicht sehr feinkörnigen Plasmas, die ungefähr ein Drittel der Eiperipherie einnahm; der ganze Rest des Eies war mit Nahrungsdotter ausgefüllt; mit Ausnahme des oben- erwähnten Drittels der Eiperipherie lag der Nahrungsdotter überall der inneren Hülle des Eies innig an. In dieser Plasmaschicht fand ich bei Durchmusterung der Schnittserien nur zwei ovale, feine Kerne, viele Chromatinkörnchen enthaltend. Diese Kerne waren ohne Zweifel die ersten Produkte des Segmentationskernes, welchen mir zu beob- achten leider nicht gelungen ist. Auf der folgenden Entwicklungsstufe breitet sich die obenerwähnte Plasmaschicht mehr oder weniger gleich- mäßig rings um die ganze Peripherie des Eies aus, die Kerne ver- mehren sich und verbreiten sich allmählich in dieser ganzen peri- pherischen, dünnen Plasmaschicht. Diese Blastodermkerne, die ein oder mehrere Kernkörperchen und viele feine Chromatinkörnchen ent- halten, verlängern sich bedeutend vor der Teilung; die Chromatin- elemente häufen sich hauptsächlich an den gegenüberliegenden Polen des verlängerten Kernes, in der Mitte aber verdünnt sich der Kern und zerfällt in zwei Teile. Diese Kerne verbreiten sich in der Plasma- schicht, in der sie liegen, sehr wahrscheinlich durch amöbenartige Bewegungen; denn auf Schnitten zeigen sie unregelmäßige Gestalten und verlängern sich hie und da in stumpfe, pseudopodienartige Fort- sätze. Auf Eiern, welche während einer halben Stunde dem Einflusse 3proz. Salpetersäure unterworfen waren (oder später mit Boraxkarmin gefärbt und aufgehellt wurden), kann man sehr gut diese amöben- artigen großen Kerne in der peripherischen Plasmaschicht von außen beobachten, denn dieselben erscheinen wie weißliche Flecke (oder intensiv gefärbt auf gefärbten Eiern) auf der gelblichen Fläche des Eies. Diese von außen hervorschimmernden großen Kerne sah auch W. Reinhard!) bei Porcellio scaber, hat sie aber für Zellen ge- nommen, indem er sagt: „wenn man die fixierten und gefärbten Bierchen eine gewisse Zeit in 40°/, Essigsäure legt... .. sie werden dabei vollkommen durchsichtig und die amöbenartigen, gefärbten Zellen, welche zur Peripherie kriechen, sind vollkommen sichtbar“. Erst auf dem folgenden Entwicklungsstadium differenziert sich rings um einen jeden Blastodermkern eine spezielle Schicht Plasmas, die Kerne werden mehr rundlich, und so entsteht eine Schicht von Blasto- dermzellen, die sehr bald an einem Pole (der der künftigen Bauchfläche und der hinteren Gegend des Embryos entspricht) dicht zusammen- gedrängt werden und hier eine Sehicht größerer, kubischer Zellen bilden — die erste Anlage des Keimstreifens; an der ganzen übrigen Eiperipherie liegen nur abgeflachte und weit von einander abstehende Blastodermzellen. Ich kann in keiner Weise die Beobachtungen Reinhard’s bei Porcellio scaber inbetreff der von ihm sogenannten 1) Zur Ontogenie des Porcellio scaber. Zooleg. Anzeiger, 1837, 44 Nusbaum, Embryologie der Isopoden. „Inselehen“ des Blastoderms bei Ligia bestätigen. Ich habe schon er- wähnt, dass auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe an einem Pole der Eiperipherie eine Scheibe kubischer Zellen existiert — die erste An- lage des Keimstreifens. Diese Stelle sieht von außen wie ein rund- licher Fleck aus. Nur aus dieser Stelle des Blastoderms entsteht durch weitere Differenzierung derselben das Ento- und Mesoderm, und ich fand trotz vieler Bemühungen keine andere Bildungsstätte des Ento- und Mesoderms in der Form einiger (2, # oder 6) distinkter Inselchen, wie es Reinhard für Porcellio scaber angibt. Ich vermute, dass die unten beschriebene, weitere Differenzierung der obengenannten ersten Keimstreifsanlage in drei lokale Verdiekungen sehr wahr- scheinlich Herrn Reinhard zur irrtümlichen Annahme einiger ge- sonderten „Inselchen“ als Bildungsstätte der Keimblätter führte. Fig. 1. Auf einem etwas späteren Stadium ver- erößert sich der oben- erwähnte, von außen wahrnehmbare Fleck : Ne und nimmt eine etwas RENTE a er] ..%. rundlich dreieckige Ge- ne stalt an. Von außen betrachtend (an Eiern, die eine halbe Stunde dem Einflusse einer 3°/, Salpetersäure unterwor- fen waren) können wir jetzt an diesem Flecke oder Keimscheibe sehr distinkt folgende Teile unterscheiden, die als mehr oder weniger verdickt und weißlich, die gelbe Farbe des Dotters stärker oder schwächer durchschimmern lassen. Wir unterscheiden (Fig. 1) eine hintere, etwas mehr verdickte Stelle (c) und zwei vordere, laterale (2), etwas divergierende nach vorn. Am meisten ist die ganze Keim- scheibe im Zentrum des hinteren Teiles (ce) verdiekt. Eine ununter- brochene Serie von Querschnitten durch das Ei dieses Stadiums ist sehr lehrreich. Wir ersehen aus derselben, dass auf der ganzen Peripherie des Eies mit Ausschluss der obengenannten Keimscheibe - das Blastoderm aus einer Schicht sehr abgeplatteter und weit von einander entfernter Zellen gebildet ist. Hier aber, d. h. im Bereiche der Keimscheibe, besteht das Blastoderm aus kubischen, dicht neben- einander zusammengedrängten und ansehnliche, rundliche Kerne be- sitzenden Zellen. Am Querschnitte, der in der Richtung a—b (auf Fig. 1) durchgeführt ist, finden wir eine seichte, äußerliche Vertief- ung (ce), aus welcher eine solide Anhäufung (ent.) von Zellen sehr tief in dem Dotter in etwa keilförmiger Gestalt eindringt (Fig. 2). (--- 1 Nusbaum, Embryologie der Isopoden. 45 Am Querschnitte, der etwas näher dem künftigen, vorderen Ende des Keimstreifens durehgeht, und namentlich in der Richtung c—d (Fig. 1), ist die zentrale Anhäufung von bie.2. Zellen (Fig. 3, ent.) viel weniger ent- wickelt, aber außerdem finden wir hier auch die zweilateralen Ver- diekungen (2), d.h. die Zellen spalten ca; sich hier vom Blastoderm in drei Stellen ab — im Zentrum (ent.) und lateralwärts (m). An einem noch näher dem Vorder- ende (in der Rich- tung e f) durch- geführten Quer- schnitte finden wir schon nur die la- teralen Verdick- ungen (/), in der Mitte aber besteht das DBlastoderm nur aus einer ein- zigen Schicht Zel- . len, oder mit anderen Worten hier spalten sich die Zellen (m) nur aus den lateralen Teilen der Keimscheibe ab (Fig. 4). Schon auf diesem Stadium spalten sich aus den inneren Schichten der Keimscheibe einige einzelne Zellen ab (d) und wandern in den Dotter, indem sie jedoch nur in der Nähe der Ventralfläche des Blastoderms liegen bleiben. Die Zellen der mittleren Anhäufung (ent.) liefern das sekundäre Entoderm, d. i. das Epithel des Mitteldarmes und der Leberschläuche; die lateralwärts sich abspaltenden Zellen (m) liefern die Mesoderm- elemente. Die Zellen der mittleren Verdiekung divergieren sehr früh als zwei Zellenhaufen lateralwärts und nach vorn unter die obenge- nannten Mesodermbildungsstätten (sie bleiben also hinter den Kopf- lappen liegen, die sich von vorne der obenbeschriebenen dreieckigen Keimscheibe sehr bald anlegen). Sowohl die Zellen des Entoderms wie auch die spärlichen im Dotter einzeln liegenden Zellen vergrößern sich durch Aufsaugung des Dotters, erreichen aber niemals eine solche -- - ----9 46 Nusbaum, Embryologie der Isopoden. Größe, wie das Prof. Bobrecki für Oniscus angibt !); anfangs mit Ausläufern versehen, werden sie später mehr rundlich. In den lateralen Entodermhäufchen sind die Zellen anfangs etwas lose zerstreut, werden aber bald diehter zusammengedrängt, so dass sie zwei mehr oder weniger solide Haufen bilden. Diese Haufen wachsen nach vorne und nach oben und indem sie sich im Vorderteile vereinigen, bilden sie hier die epitheliale Wandung des Mitteldarmes; außerdem wächst aus denselben jederseits eine parietale Schicht Zellen in der Richtung nach hinten hin, in der Form zweier rinnenförmiger, nach dem Dotter offenen und konkaven, nach außen konvexen und den äußeren Wänden des Embryokörpers anliegenden Anlagen, die später in zwei, einen Teil des Dotters umgebende und die Leberschläuche bildende Röhren in der schon von Bobrecki richtig bei Oniscus beschriebenen Weise umgeformt werden. Durch Längsteilung eines jeden Leberschlauches entstehen dann zwei Paare von Leberschläuchen, wie ich ?) es schon bei Oniscus zuerst beobachtet habe und was von Herrn Reinchard auch für Porcellio scaber bestätigt wurde. Der größte Teil des Dotters liegt eine gewisse Zeit ganz frei nach oben und hinter der Mitteldarm- wandanlange (die bald hinter dem Kopfe gelagert ist) und nach oben (also rückwärts) von den Leberschläuchen. Die in dieser dorsalen Dottermasse zerstreuten spärlichen Zellen (Dotterzellen) gehen allmäh- lich in dem Maße, als der Dotter durch die Epithelzellen des Mittel- darmes und der Leberschläuche aufgesaugt wird, unter. Viel länger als die Leberanlagen bleibt die Mitteldarmanlage von der dorsalen Seite gegen den Dotter hin offen und nur allmählich formt sie sich in ein sackförmiges Gebilde um. Wir sehen also, dass bei Zigia die Bildung des Epithels des Mitteldarmes und der Leberschläuche aus zwei vorderen Anhäufungen der Entodermzellen, ähnlich wie bei dem Oniscus nach meinen früheren Beobachtungen zu stande kommt. Nach Reinchard bildet bei Por- cellio die sich anlegende Wand des Mitteldarmes im Vorderteile des Keimes zwei nach vorn gerichtete Ausstülpungen, welche nachher ver- schwinden. Diese, wie sie Reinchard nennt, „Ausstülpungen“ ent- sprechen sehr wahrscheinlich unseren obenerwähnten paarigen Ento- dermzellen-Anhäufungen, aus deren vordersten Teilen, wie gesagt, die erste Anlage der Mitteldarmeswand sich formiert. Nach Reinchard’s Beobachtungen bildet sich ein viel größerer Teil des Epithels des Mitteldarmes aus den Entodermzellen, als ich es bei dem Onisens an- nahm. Bei Zigia konnte ich wirklich die Bildung einer sehr distinkten und ansehnlichen Anlage des Mitteldarmes aus dem Entoderm kon- statieren. Was die Entwicklung des Vorder- und Hinterdarmes an- 1) N. Bobrecki, Zur Embryologie des Oniscus murarius. Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. XXIV, 1874. 2) J. Nusbaum, L’Embryologie W’Onisceus murarius. Zoolog. Anzeiger, Nr. 228, 1886. 2 Nusbaum, Embryologie der Isopoden. 47 langt, so entstehen dieselben, wie gewöhnlich, als Ektodermeinstülp- ungen. Die Speicheldrüsen entstehen hier als ein Paar sehr distinkter Ausstülpungen des Stomadaeums; meine frühere Vermutung, dass die- selben bei Onzscus wahrscheinlich entodermalen Ursprunges seien, ist somit irrtümlich. Ich will noch einige theoretische Betrachtungen inbetreff der Ent- wieklung der Keimblätter hier in Kürze hervorheben. Auf der Fig. 1 sehen wir eine sehr frühe Anlage des Keimstreifens, die ich als Keim- scheibe bezeichnet habe. Das ist das Gastrulastadium. Als Homologon der Gastrulaeinstülpung darf man in keiner Weise nur die hintere, unpaare, etwas von außen vertiefte — Stelle c —, sondern die ganze Keimscheibe, also auch die lateralen Teile /, / betrachten. Diese ganze Keimscheibe entspricht der Gastrulaeinstülpung bei dem Astacus, wiewohl hier keine Sackbildung zu stande kommt. Diese Homologie geht nach meiner Ansicht aus dem Umstande hervor, dass wie aus der eingestülpten Wand der Gastrula der typischen Enterocölier das sekundäre Entoderm und Mesoderm hervorgeht, so auch bei Ligia aus den inneren Schichten der wiewohl sich nicht einstülpenden Keim- scheibe sowohl das innere wie auch das mittlere Keimblatt sich bildet. Es ist vom morphologischen Standpunkte sehr wichtig, dass das Meso- derm hier aus einer paarigen Anlage hervorgeht, wie es typisch für andere Enterocölerier ist. Ich habe schon vor einigen Jahren eine paarige Entstehungsweise des Mesoderms bei Mysis aus zwei lokalen Blastodermverdiekungen beschrieben und schon damals dieselbe An- sicht über die Gastrulation der Crustaceen ausgesprochen!). Meine Beobachtungen wurden von Herrn Lebedinski?, auch bei dem Seekrabben (Eripha spiniformis) bestätigt, wie es aus der folgenden Stelle der Arbeit des genannten Autors hervorgeht: „Das Mesoderm im Gastrulastadium bietet besonders ein großes Interesse dar: die beiden verdickten seitlichen Flächen des Gastrulasackes teilen viele Zellen ab und erscheinen als die wirklichen Zellenbildungsherde. Die abgeteilten Zellen bilden zwei kräftige Mesodermstränge aus, welche von der Bildungsstelle nach vorn und zur Peripherie verlaufen, aber nicht weiter als nur bis zu dem Vorderende der Keimscheiben. Die letztere hat nun eine bilateral- symmetrische Einrichtung: auf Quer- schnitten bietet sie zwei Ektodermverdiekungen dar, welche ... nach der inneren Fläche der Scheibe links und rechts von der Bauchmedial- linie verlaufen und sich divergierend nach vorn zu den Kopflappen wenden. Die beiden länglichseitlichen Ektodermverdick- ungen bieten auf ihrem Verlaufe Ektodermwucherungen (strenger gesagt — Blastodermwucherungen) dar, welche die Meso- 1) L’Embryologie des Mysis chamelio. Archives de Zoologie Experim. et Generale, 1888. 2) Einige Untersuchungen über die Entwicklung der Seekrabben. Biolog. Centralblatt, X. Band, 1890. 48 Nusbaum, Embryologie der Isopoden. dermzellen liefern“. In seiner russischen Arbeit, sagt Herr Lebe- dinski, dass die Querschnitte durch diese paarigen Mesodermbildungs- stätten bei Seekrabben ganz ähnlich den von mir in meiner Mysis- Arbeit beschriebenen und abgebildeten sind. Der Keimstreif und die Extremitäten. Fig. 5. Inbetreff der Entwicklung des Keimstrei- fens bei Liga oceanica will ich hier Folgendes hervorheben. Nach vorn von der auf Fig. 1 dargestellten Keimscheibe erscheint sehr früh die Anlage des Kopfes. Einen jungen von mir auspräparierten und isolierten Keimstreif (Fig. 5) muss ich als Nauplius- Stadium be- zeichnen; denn es gibt hier eine Anlage der Öberlippe (2) und nur 3 Paare von Extremi- täten: vordere und hintere Antennen (1, 2) und Mandibeln (3). Am Keimstreifen dieses Stadiums existieren paarige Augenlappen (0) d. h. Anlagen der Augen und Sehganglien, seitwärts die paarigen Entodermanlagen (%) d. i. zwei dichte Anhäufungen von Entodermzellen unter seitlichen etwas verdiekten Stellen des Ektoderms. Die Zellen des hinter dem dritten Paare von Extremitäten folgenden Teiles des Keimstreifens sind regulär und segmentweise angeordnet, und am hintersten etwas verdickten und brei- teren Ende desselben liegen einige Reihen dicht nebeneinandergedrängter und sehr regulärer, größerer Zellen, von denen neue Segmente in der Rich- tung nach vorn sich abspalten. Diese segmentbildende Zone liegt nach vorn von dem etwas später klarer hervor- tretenden Anus, der der Lage nach der Mitte des hinteren, unpaaren Teiles (c) der auf der Fig. 1 darge- stellten Keimscheibe, also dem Hinter- teile des Blastoporus, entspricht. Auf einem älteren, auf Fig. 6 dargestellten Keimstreifen beobachten wir Folgendes: Vorn zwei Augen- lappen (Anlagen der Augen o, und der Sehganglien g. 0); unter den Kopf- anhängen unterscheiden wir zwei Paare Billroth, Wechselwirkung von Tier- und Pflanzenzellen. 49 von Antennen, von welchen die vorderen (/) vor der Mundöffnung (2), die hinteren aber (2) hinter derselben gelagert sind, ein paar Mandibeln (3), zwei Maxillenpaare (Z u. 5) und endlich ein paar Maxillarfüße (6). Von diesen Anhängen sind die vorderen Maxillen (#) und die Maxillarfüße (6) zweiästig, d. i. aus einem gemein- samen, basalen Teil und zwei Aesten bestehend; alle anderen Kopfanhänge sind einästig. Es ist höchst interessant, (dass alle Extremitäten des Mittel- und Hinterleibes auch einen zwei- ästigen Bau besitzen. In den Mittelleibsbeinen geht später der äußere Ast zu Grunde und es entwickelt sich nur der innere, längere: in den Hinterleibsbeinen aber bilden die beiden Aeste die zweispaltigen, definitiven Extremitäten. Nach innen von den Antennen des ersten und zweiten Paares bilden sich zwei Paare Ektodermverdiekungen, welche zum Kopfnervensystem gehören; nach innen von allen anderen Extremitäten — die Anlagen der Ganglien der Bauchkette. Zwischen dem Anus (a) und dem letzten, schon differenzierten und Beine tra- genden Segmente liegt die Segmentbildungszone (k. z.), aus sehr regulären Reihen größerer Zellen bestehend. Nach außen von den Extremitäten (mit Ausnahme der 4 vordersten Paare) gibt es paarige Verdiekungen des Ektoderms (f), die eine ähnliche Lage haben wie die Stigmenöffnungen in den Keimstreifen der Tracheaten und die Anlagen der seitlichen Falten darstellen, die zur späteren Ditferen- zierung der den Pleuren entsprechenden Teile eines jeden Segmente: (dienen. Einige neuere Arbeiten über die Entwicklung der Crustaceen und besonders die Untersuchungen des Herrn Roule über die Entwick- lungsgeschichte des Ase/llus werde ich in meiner ausführlichen Arbeit berücksichtigen. Th. Billroth, Ueber die Einwirkungen lebender Pflanzen- und Tierzellen auf einander. Eine biologische Studie. Wien 1890. Sammlung medizinischer Schriften, herausgeg. von der Wiener klin. Wochenschrift. X. In dem gegenwärtigen Augenblicke, in welchem einer der groß- artigsten Erfolge auf dem Gebiete der Bakteriologie das tägliche Gesprächsthema bildet, ist eine Arbeit, wie die vorliegende, eine um so interessantere Lektüre, als in ihr ein so ausgezeichneter Chirurg, wie Billroth es ist, in großen Zügen seine Anschauungen über einen der wichtigsten Teile der Bakteriologie niedergelegt hat. Er greift auf sein im Jahre 1874 in Berlin in prachtvoller Ausstattung er- schienenes Werk über Coccobacteria septica zurück, ein Werk, welches aber, wie er selbst sagt, „nach fünfjähriger, rastloser Arbeit doch nur ein Fragment“ geblieben ist. Die in demselben aufgestellten Hypothesen wurden ja auch bald von den verschiedensten Seiten X1. 4 50 Billroth, Wechselwirkung von Tier- und Pflanzenzellen. widerlegt, und durch die Menge der systematisch durchgeführten Beobachtungen und die Fülle der von Cohn, Koch u.a. in ihren Versuchen gewonnenen Resultate ließ sich auch der verdienstvolle Forscher bald zu andern Ansichten bekehren. Jetzt hält auch er an dem Begriff spezifisch pathogener Bakterien fest, und die Einwirkung dieser Organismen, die er übrigens immer noch zu den Algen und nicht, wie die meisten andern Forscher, zu den Pilzen rechnet, auf den tierischen Körper bespricht er im ersten Teile des vorliegenden Aufsatzes. Auf ein lebendes tierisches Gewebe kann nur ein lebender, sich entwickelnder Organismus Einfluss ausüben, und schädlich kann dieser Einfluss nur sein, wenn die Assimilationskraft des fremden Organismus größer ist, als die des befallenen Gewebes. Dieser Einfluss kann ent- weder ein mechanischer sein, in einer Verdrängung von Organteilen bestehend, oder ein chemischer. Und zwar können die eingedrungenen Mikroorganismen erstens als reine Parasiten auftreten, welche den befallenen Geweben die nötigen Ernährungssäfte rauben, zweitens können sie durch teilweise Entziehung derselben teilweisen Zerfall oder Gerinnung oder drittens völlige Nekrose des Gewebes hervor- rufen. Schließlich aber scheiden dieselben auch für den tierischen Körper schädliche Stoffwechselprodukte, wie die Ptomaine und Tox- albumine aus. Neben dieser vernichtenden Wirkung der Bakterien finden wir dieselben jedoch sehr oft auch als Erreger von Gewebs- wucherungen, und diesem Punkte schenkt Verf. seine ganz besondere Aufmerksamkeit. Für die entzündlichen Vorgänge im Tierkörper werden jetzt allgemein Bakterien als Erreger anerkannt, und es be- sitzt auch jede Form von Entzündung ihre besondere Form von Bak- terien. Doch auch der sich an jede Entzündung anschließende Regenera- tionsprozess, die Vernarbung und Neubildung des affizierten Gewebes ist eine Wirkungserscheinung der Bakterien. Wir haben es also hier mit Mikrobien als direkte Erreger formativer Reize zu thun. Verf. behandelt im folgenden eine Anzahl Einflüsse auf den lebenden tieri- schen Organismus, welche er als formative Reize anspricht. Es sind dies zunächst die Konjugation und Kopulation, wie man es am deut- lichsten in der Wirkung der Spermatozoons auf das Ei sieht. Ferner wirkt auch Trennung des Zusammenhanges auf die verletzten Gewebe als formativer Reiz, so dass sich neue Muskeln, Nerven, Blutgefäße ete. bilden und auf diese Weise die Vernarbung herbeiführen. Ein anderes formatives Reizmoment ist das Vorhandensein von Fremdkörpern in einem Gewebe, wie die Einkapselung von Blutextravasaten, einge- drungenen Holz- oder Glassplittern oder Bleikugeln, oder auch der Einschluss von Sequestern in eine neu gebildete Knochenkapsel zeigen. Schließlich können auch Medikamente und Chemikalien Neubildungen der Gewebe hervorrufen, so die Granulationsbildung bei Einwirkung von Jodoform, Glyzerin u. a. Alle diese Momente treten auch bei Billroth, Wechselwirkung von Tier- und Pflanzenzellen. 51 der Wirkung eingedrungener Bakterien in Thätigkeit. Sind Mikro- organismen in ein lebendes tierisches Gewebe geraten, so führen sie daselbst eine Kontinuitätstrennung herbei, sie selbst wirken mit ihrem Volumen wie eingedrungene Fremdkörper und können diese Wirkung noch durch Zellteilungen und dadurch bewirkte Vermehrung, sowie durch Ausscheidung chemischer Umsetzungsprodukte erhöhen. — In diesem Sinne bespricht Verf. die Wirkung einiger spezieller patho- sener Bakterien. Die Wirkung des Bacillus des Rhinoskleroms ist eine rein formative. Es bildet sich ein derbes Granulationsgewebe an der Infektionsstelle, das sich bald zur Narbe verwandelt. Aehn- lieh verhält es sich bei Lepra. Weit mannichfaltiger und komplizierter ist die Wirkung des Tuberkelbaeillus. Zunächst tritt die Bildung des eigentlichen primären Tuberkels ein, häufig mit den bekannten Riesen- zellen; darauf im Innern desselben der Beginn des käsigen Zerfalls, während sich um den Tuberkel ein Granulationsgewebe ausbildet, das denselben umschließt. Diese Prozesse wechseln nach Ort und Gewebe auf das mannichfaltigste, so dass Verf. die Frage aufstellt, ob wir es hier nieht vielleicht mit verschiedenen Varietäten oder Vegetations- formen des Tuberkelbaeillus zu thun haben, die wir durch unsere jetzigen Mittel zu unterscheiden noch nicht im Stande sind. Doch äußert sich die Wirkung der Tuberkelbacillen meist in den Erschei- nungen akuter Entzündungen und ruft nur in geringerem Grade phleg- monöse Prozesse hervor. Dieses ist jedoch bei den Rotzbacillen der Fall, denen sich die Syphilisbaeillen anschließen. Was nun die Gono- kokken anbelangt, so glaubt Verf. in der Bildung der „spitzen Kondy- lome“ eine formative Reizwirkung derselben zu sehen, während er die Eiterungen und etwaigen Harnröhrenstrikturen für eine Wirkung zu- fällig anwesender Eiterkokken hält. Aehnlich vermutet er, dass „die Bildung sogenannter weicher breiter Kondylome an einer kontinuier- lich von Urin überrieselten Haut“ Ansiedelungen von Streptokokkus- Urinae-Kolonien entspreche. — Die formative Reizwirkung von Mikro- organismen auf tierische Epithelien steht, wie Verf. im einem an diese Stelle gehörigen längeren Schlussworte ausführt, nach den neueren Untersuehungen ebenfalls fest, und es dürfte daher auch die Existenz eines Karzinom - Bacillus wahrscheinlich sein. Im zweiten Teile seiner Arbeit bespricht Verf. die umgekehrte Wirkung lebender Tierzellen auf Pflanzenzellen und pflanzliche Ge- webe. Auch bei letzteren ist Kontinuitätstrennung im stande, als formativer Reiz zu wirken, wie die Ueberwallung und Vernarbung von Schnittwunden an Stämmen zeigt. Es können infolge pathologi- scher Reize neue Gewebe, ja sogar neue Organe gebildet werden, so- genannte „sekundäre“ Gewebsbildung nach de Vries!). Wohl die kompliziertesten Vorgänge auf diesem Gebiete spielen sich bei der 1) Siehe Hugo de Vries, Ueber abnorme Entstehung sekundärer Gewebe. Pringsheim’s Jahrb., Bd. XXII, Heft I. 4* > 52 Billroth, Wechselwirkung von Tier- und Pflanzenzellen. Bildung der Gallen ab. Die Gallen oder Cecidien sind — abgesehen von den durch Pilzwucherungen entstandenen Mycoceeidien — durch teize hervorgerufen, welche tierische Zellen auf das Pflanzengewebe ausüben. Diese Gallenbildungen treten uns in den verschiedensten Formen entgegen als Beutel- oder Taschengallen, als Rollungen, Fal- tungen, Verdiekungen oder Pockenkrankheiten der Blätter, Haarbil- dungen, Knospenanschwellungen und Triebspitzen-Deformationen, als Wurzel- und Stengelgallen. Man könnte vielleicht versuchen, alle diese verschiedenen Gewebsdeformationen analog den Geschwulst- bildungen tierischer Gewebe in Gruppen, wie Polypen, Fibrome, Sar- kome etc. zusammenzustellen. Ueber die Entstehung dieser Gallen und über die Wirkungsweise der tierischen Zellen bei derselben sind schon von verschiedenen Autoren Untersuchungen angestellt worden, doch sind dieselben bis jetzt noch zu keinem abschließenden Resultate gelangt. Verf. der vorliegenden Arbeit schließt sich in seinen Aus- führungen den Untersuchungen von Frank an. Schon vor Frank beschäftigte sich Thomas!) mit diesem Gegenstande. Derselbe nahm an, wenigstens von den Milben, dass sich die Tiere schon von Anfang an an der Stelle der späteren Galle befänden und durch fortwährendes Saugen die Reizwirkung hervorriefen. Diesem widerspricht Frank ?), welcher vermutet, dass dieser Vorgang zwar zuweilen „in einem An- stechen oder Ansaugen der Epidermiszellen, beziehentlich der Mesophyl]l- zellen bei den endophyt lebenden Milben, bestehe“, doch sei eine mechanische Verletzung der Zellen optisch nicht nachzuweisen, und für einen Teil der Milbengallen bestreitet F. diese Entstehungsart. Er legt in einem kurzen Resume über die Bedingungen der Gallen- bildung das Hauptgewicht darauf, dass sich der betreffende Pflanzen- teil noch im Entwicklungszustande befinden muss, und dass zweitens eine thätige Mitwirkung des Parasiten nötig sei. Letzteres bedingt z. B. die Erscheinung, dass an einigen Eucalyptus- Arten in New- Holland die männlichen Tiere einer Art Schildläuse anders geformte Gallen hervorrufen, als die weiblichen. Die thätige Mitwirkung des Parasiten kann eine verschiedene sein. Sıe kann mit der Ablage des Eies von seiten des Muttertieres oder auch erst bei Entwicklung des jungen Tieres aus dem Ei beginnen. So entstehen z. B. bei den Fliegengallen Randrollungen der Blätter schon, wenn noeh Eier in ihnen zu finden sind, auch kann man Rollen im jüngeren Zustande leer finden. „Man könnte das so deuten, dass der gallenerzeugende Einfluss nicht notwendig mit der Aktion der Eiablage verbunden sein muss“. „Dann kann es also, meint Billroth, nur ın einem chemi- schen, der Eiablage vorangehenden Effekt beruhen“. — In einem Aufsatze über den Generationswechsel der Eichen-Gallwespen kommt 1) Zeitschrift für die gesamte Naturwissenschaft, 1869: S. 313 fg.; 1872: S. 193, 459; 1873: S. 513; 1877: S. 329. 2) Dr. A.B Frank, Die Krankheiten der Pflanzen. Breslau 1880. S. 669 fg. Billroth, Wechselwirkung von Tier- und Pflanzenzellen. 53 , o Adler!) auf dieselben Verhältnisse zu sprechen. Er macht mit Recht darauf aufmerksam, dass, so verschiedenartig von Aussehen und Wuchs die Gallen sind, an so verschiedenen Organen der Pflanze sie sich entwiekeln können, der Mutterboden, aus dem sie entspringen, doch stets die gleiche physiologische Aufgabe habe, stets das Cabium sei. Hierdurch lässt sich auch die schnelle Zellenvermehrung erklären. Und dass nur von der Zone des Cabiumringes die Gallenbildung aus- sehen kann, beweist seine Beobachtung, dass, wenn das Ei bei der Ablage von der Wespe nicht ganz genau so gelegt wird, dass die auskriechende Larve den Cabiumring erreichen kann, sie ohne Gallen- bildung zu Grunde geht. Es wird demnach bei den Eichen-Gallwespen die Galle erst durch die ausschlüpfende Larve erzeugt, und der Akt des Eiablegens an sich hat gar keine Wirkung. Bei den Eichen- Gallen bleibt es auch nieht bei einer einfachen Zellwucherung; es wird auch der Stoffwechsel der Zellen alteriert; wenigstens zeigen die der Larve zunächst liegenden Zellen eine Trübung des Inbaltes und eine Anhäufung von Amylum -Körnchen. — Ganz entgegen den Beobachtungen Adler’s stehen nun wieder die von Beyerinck?), welcher bei Nematus-Gallen an Weidenblättern feststellte, dass die durch das Muttertier verursachte Verletzung des Blattes die Entsteh- ung eines Cecidiums veranlasse, auch wenn darin kein Ei abgelegt sei. Verschiedene diesbezügliche Beobachtungen und Versuche führten ihn zu der Ansicht, dass die Gewebswucherungen durch die mit dem Ei bei der Ablage in das junge Blatt hineingeführte Substanz aus der Giftblase hervorgerufen werde. Beyerinck stellt sich nun die Frage, ob es sich hier um einen lebenden Stoff handle, der unter günstigen Verhältnissen im stande ist, in dem pflanzlichen Protoplasma dauernde Veränderungen hervorzurufen, oder ob es eine nicht organisierte Sub- stanz sei. In letzterem Falle müssten bei einer eventuellen Ueber- entwieklung die eigenartigen Charaktere der Missbildung wieder ver- loren gehen und die ursprünglichen des gesunden Organes wieder zurückkehren. Eine Anzahl zu diesem Zwecke angestellter Versuche ergaben denn auch das letztere Resultat. Eine Vergleichung der Größe des in die Blattwunde bei der Eiablage ergossenen Inhaltes mit dem Volumen des lebenden Protoplasmas einer Galle führt B. zu der Vermutung, dass es sich hier um einen Eiweißkörper, ein nicht organisiertes Enzym handle, und er zögert auch nicht, diese Schlussfolgerung auf die Entstehung aller Cecidien auszudehnen. Doch bedarf diese Hypothese wohl noch weiterer Bestätigungen. Diese „cecidiogenen Proteinstoffe“ nennt B., da sie nur ausschließ- lich physiologische Funktionen haben, mit einem besonderen Namen: Wuchsenzyme. 4) Zeitschrift für wiss. Zoologie, Bd.XXXV, Leipzig 1881, 8.151 fg. 2) Siehe M. W. Beyerinck, Ueber das Cecidium von Nematus Capreae auf Salyx amygdalina. Botan. Zeitung, 46. Jahrg., Nr. 1 u. 2. 54 P. F. u. 6. €. Frankland, Ferment der Nitrifikation. Hiermit schließt die bis jetzt noch sehr kurze Reihe der diesen Punkt behandelnden Arbeiten, und es ergeben sich also folgende Gesamtresultate: Gallenbildung kann nur in einem wachsenden Pflan- zenteile stattfinden und muss von der Cambiumschicht ausgehen. Hervorgerufen kann dieselbe durch eine Einwirkung des die Eier ablegenden Muttertieres oder der auskriechenden Larven werden. Erstere besteht in einem Anstechen, Ansägen oder Ansaugen der betreffenden Pflanzenteile oder in der Absonderung eines ceeidiogenen Stoffes (Wuchsenzym). Die Wirkungsweise der auskriechenden Lar- ven ist bis jetzt noeh nicht erforscht; doch wird man sie wohl auch in eine mechanische und chemische zerlegen müssen. Die Gallen- bildung selbst besteht aus einer Gewebswucherung und einer Ab- lagerung von Stoffwechselprodukten der Zellen, wie Farbstoffen, Gerb- säuren U. a. H. Kionka (Breslau). Percy F. Frankland and Grace C. Frankland, The nitri- fying process and its specific ferment. Philos. Transact. of the Royal Society. Vol. 181 (1890), B, pp. 107—128. Seitdem durch die Arbeiten von Schlösing und Müntz „Sur la nitrifieation par les ferments organises“ (Compt. rend. 84, 301. 1877 und 85, 1018. 1878) die Ansicht zur Geltung gekommen ist, dass die Bildung von salpetriger Säure und Salpetersäure in den oberen Erdschichten auf die Lebensthätigkeit von Mikroorganismen zurückzuführen sei, hat man die Isolierung und Züchtung nitrifi- zierender Bakterien mehrfach versucht, ohne jedoch zu ganz zuver- lässigen Resultaten zu gelangen. Heräus, der zuerst die exakten Methoden der bakteriologischen Forschung auf diesem Gebiete verwertete (Zeitschr. f. Hyg. 1886, S. 193), will zwar aus Gartenerde vier verschiedene Bakterienarten, welche in Ammoniumsalzlösungen Nitrifikation bewirken, isoliert haben und will auch an Mierococeus prodigiosus, Bacillus anthracis, Staphylococeus eitreus, an Finkler-Prior’s Bacillen u. a. die gleiche Eigenschaft beobachtet haben. Aber diese Befunde sind zum Teil unzutreffend, zum Teil entbehren sie noch der Bestätigung. P. und G. Frankland haben zuerst 33 verschiedene Arten von Luft- und Wasserbakterien (Reinkulturen) auf ihre Nitrifikationskraft geprüft. Keine derselben bewirkte die Bildung von Nitrit oder Nitrat. Die Vff. sind sodann darauf ausgegangen, aus Gartenerde die nitrifizierenden Bakterien abzutrennen. Frühere, den Nitrifikations- prozess betreffende Untersuchungen haben gezeigt, dass durch Ein- bringen von gewöhnlicher Gartenerde in passende Ammoniaklösungen die Bildung von salpetriger Säure und Salpetersäure herbeigeführt P. F. u. G. C. Frankland, Ferment der Nitrifikation. a1) wird. P. und G. Frankland verwendeten als Vegetationsflüssigkeit eine Lösung von 0,1 Kaliumphosphat 0,02 „ kryst. Magnesiumsulfat 0,01 „ Caleiumchlorid 05 „ Ammoniumchlorid 5,0 „ Caleiumearbonat (?) in 1 Liter destillierten Wassers; den Zusatz organischer Substanzen vermieden sie, um solche Bakterien von vornherein auszuschließen, welche nur bei deren Gegenwart gedeihen. Diese Lösung wurde in sterilisierte kleine Medizinflaschen gefüllt, mit einer Spur Gartenerde geimpft und in den auf 30° erwärmten Brütschrank gestellt. Nach Verlauf von 11 Tagen ließ sich in der Füllung sämtlicher Flaschen, die allmählich wolkig trübe geworden war, mit Hilfe der Diphenyl- amin- und der Sulfanilsäurereaktion salpetrige Säure (und Salpeter- säure) nachweisen. Eine Ueberimpfung aus den nitrifizierten Lö- sungen in Nährgelatine ergab auf dem Plattenguss zahlreiche form- verschiedene Kolonien; aber keine einzige dieser verschie- denen Bakterienarten vermochte, wenn sie in Ammoniak- lösungen übertragen wurden, N,0, oder N,0, zu erzeugen. — Durch Ueberimpfen aus nitrifizierter in frische Vegetationsflüssigkeit haben die Vff. im Verlauf von 2!/, Jahren 24 Generationen der nitri- fizierenden Bakterien gezüchtet. Die Nitrifikationskraft blieb bei allen Generationen ungeschwächt, niemals aber gelang es, aus den im Plattenguss aufgegangenen Kolonien der ein- zelnen Generationen eine Bakterienart herauszufinden, welche für sich allein die Vegetationsflüssigkeit nitri- fiziert hätte. Auch wenn zwei oder mehr verschiedene Kolonien aus dem Plattenguss zusammen in Ammoniaklösung übertragen wur- den, trat niemals Nitrifikation ein. Da hiernach das Plattengussverfahren keinen Erfolg versprach, so haben die Vf. auf anderem Wege zum Ziel zu kommen gesucht. 2 Tropfen einer nitrifizierten Ammoniaklösung wurden mit 50 cem sterilisierten destillierten Wassers verdünnt und von dieser Ver- dünnung 1, 2, 3 bis 9 Tropfen in Vegetationsflüssigkeit übertragen. Nach 4 Wochen waren alle Flüssigkeitsproben nitrifiziert. Aus der mit nur 1 Tropfen der ursprünglichen Verdünnung geimpften Flüssig- keit wurden nun in derselben Weise weitere Verdünnungen herge- stellt, diese letzteren wiederum in sehr geringen, aber wechselnden Mengen in Vegetationsflüssigkeit übertragen und so fortgefahren, bis bei einer Serie von Impfungen in einzelnen Flaschen Nitrifikation noch nachzuweisen war, in anderen, die ebensoviel oder weniger Impfmaterial erhalten hatten, dagegen nicht mehr. Auf diese Weise gelang es den Vff. eine Bakterienart zu isolieren, welche stark nitri- fizierend wirkt und welche auf Gelatine zwar weiter lebt, aber nicht 8 56 P. F. u. 6. €. Frankland, Ferment der Nitrifikation. zu sichtbaren Kolonien auswächst. Letztere Eigenschaft dürfte manche Täuschungen und Widersprüche anderer Autoren erklären. Die weitere Untersuchung des in Reinkultur gewonnenen Mikro- organismus ergab folgendes: Der nitrifizierende Spaltpilz ist ein sehr kurzes Stäbchen, etwa 0,8 u lang, nur um ganz wenig länger als breit; seiner Form nach könnte er passend als Bacillococcus bezeichnet werden. Der lebende Pilz zeigt vibrierende Bewegungen. In passenden Ammoniaklösungen, die keine organischen Sub- stanzen enthalten, gedeiht er leicht; sein Wachstum in solchen Lö- sungen bleibt Jahre lang ungeschwächt. Seine Entwicklung ist begleitet von der allmählichen Umwandlung des Ammoniaks in salpetrige Säure; Salpetersäure erzeugt er nicht. Die allmählich nitrifizierten Lösungen bleiben durchsichtig und klar. Auf Peptongelatine wächst der in Ammoniaklösungen gezüchtete Spaltpilz nicht. | Um die Nitrifikationskraft des Pilzes quantitativ zu bestimmen, haben die Vff. bei mehreren Versuchen im Beginn die in den ver- wendeten Nährlösungen vorhandene Ammoniakmenge und am Schluss die gebildete salpetrige Säure (und Salpetersäure) analytisch er- mittelt. Bei einer Reinkultur des Pilzes fanden sie, dass von 12 Teilen NH, -Stiekstoff nach weniger als 5 Monaten 6,43 Teile in N,O, um- gewandelt waren. Die Bakteriengemische aus Gartenerde hatten das dargebotene NH, in 10 Monaten nahezu vollständig in N,O, — und nur in diese, nicht in N,0, — übergeführt. Die absoluten Mengen der gebildeten N,O, haben die Vff. nicht angegeben. Besonders interessant ist, dass der Pilz die Fähigkeit auf Gela- tine zu wachsen erwerben kann, wenn er vorher in Bouillon kultiviert wird. Impft man ihn aus einer nitrifizierten Ammoniaklösung in Bouillon über, so überzieht sich letztere in einigen Wochen (20 Tage bei Zimmertemperatur) mit einer weißlichen Haut, am Boden des Glases sammelt sich ein schleimiger Niederschlag an, die ganze Flüssigkeit wird schleimig und haftet an der Platinnadel in langen Fäden. Bei der mikroskopischen Betrachtung findet man, dass die Kultur aus ungefähr 1,5 w langen und 0,5 w breiten Stäbchen besteht, von denen meist 4 oder 5 Individuen kettenförmig zusammenhängen. Werden diese Stäbehen in frische Bouillon übertragen, so entwickeln sie sich ziemlich sehnell, und die zweite Bouillonkultur zeigt bereits schon nach 6 bis 10 Tagen das charakteristische Aussehen der ersten. Dass die Stäbehen wirklich nur die formveränderten nitrifizierenden „Baeillokokken“ sind, geht daraus hervor, dass sie, in Ammoniak- lösung zurückgebracht, ihre ursprüngliche Gestalt wiedererlangen. Werden die in Bouillon gezüchteten Stäbchen auf Gelatine über- geimpft, so wächst die Kultur unter langsamer Verflüssigung des Knauthe, Vererbung erworbener Eigenschaften. 97 Nährbodens in etwa 3 Wochen zu einer glatten, grauglänzenden Haut aus. Dabei tritt eine weitere Formveränderung der Individuen ein, das mikroskopische Präparat zeigt jetzt Kurzstäbchen, die meist paarweise zusammenhängen und in ihrer Größe und Gestalt etwa in der Mitte zwischen den „Bacillokokken“ und den in Bouillon kulti- vierten Langstäbcehen stehen. Ueberträgt man die erste auf Gelatine sezüchtete Generation der Kurzstäbehen in frische Gelatine, so liefert sie schon in 10 bis 12 Tagen eine ausgebreitete Kultur. Beide Formveränderungen, die Umwandlung zu Schmalstäbehen und die zu Kurzstäbehen, sind verbunden mit einer beträchtlichen Abschwächung, vielleicht aueh mit völligem Verlust des Nitrifikations- vermögens, — eine Erscheinung, welche die Vff. parallel stellen mit der Verminderung der Gärkraft mancher Gärungserreger, wenn ihre Ernährung sich ändert, mit der Abschwächung der Virulenz des Friedländer’schen Pneumococeus, wenn derselbe in Zuckerlösungen kultiviert wird, und mit dem Verlust der pigmentbildenden Eigen- schaft bei Micrococcus prodigiosus nach fortgesetzter Züchtung auf Gelatine oder Agar-Agar. Ob die beobachteten sehr bemerkenswerten morphologischen Ver- änderungen nicht eintreten, wenn die nitrifizierenden „Baeillokokken“ auf NH,-haltige Bouillon und NH, - haltige Gelatine ausgesät werden, haben die Vff., wie es scheint, noch nicht untersucht. Oskar Schulz (Erlangen). Zur Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften. Im Herbste des Vorjahres, kurz nach der Rückkehr von meiner Weltumsegelung, ließ mein Vater den unser „Schloss“ umgebenden sogenannten „Wallgraben“ befischen, unseren einzigen Streichteich, welcher im Frühlinge nach Angabe unserer Wirtschaftsbücher mit vier größeren (ca. 3 Pfund schweren) Karpfen (kleinere Fische laichen bekanntlich am eifrigsten), 2 Roggenern und ebenso vielen Milchenern von der Form des Cyprinus hungaricus Heck. besetzt worden war. Es wird nun hierorts noch die wohl uralte, höchst verwerfliche Me- thode festgehalten, dass der Strich mit den alten Tieren zugleich bis zum Oktober oder Anfang November im Teiche bleibt und dann erst in die Streekgewässer gesetzt wird; unsere Bäche, Gräben, Lachen und Tümpel sind aber samt und sonders ungemein nahrungsarm, denn es fehlen die Branchiopoden, dieses vorzügliche Nährmittel für die Karpfenbrut, fast vollständig, und die etwa noch vorhandenen werden vornehmlich von Leueiscus phoxinus Flem., Gobio fluviatilis Cuv., Leucaspius delineatus Sieb. und endlich Nemachilus barbatulus Günth. weggeschnappt. Diese schlechte Ernährung erzeugt bei den Cyprinoiden, wie der geneigte Leser aus früheren Arbeiten von mir im „zoologischen Garten“, Frankfurt a./M. 1888 III. V. S. 145 und der „Allgemeinen Fischerei- Zeitung“ München ersehen kann, stetig ein 58 Knauthe, Vererbung erworbener Eigenschaften. sehr mäßig ansteigendes Rückenprofil und eine sehr gestreckte Total- gestalt. Bei etwaigem besseren Futter verbreitert sich später wohl, auch das erwähnte ich bereits im „zoologischen Garten“, der Rücken ungemein schnell, dagegen dauert es sehr lange Zeit, ehe das Profil desselben steiler wird, daher erklärt sich das häufige Vorkommen des walzenförmigen Oyprinus hungaricus Heck. in unseren Gewässern. Zunächst brachten unsere Arbeiter beim Befischen drei vollständig regelmäßig geformte große Spiegelkarpfen (Uyprinus rex eyprinorum Bloch), 2 & und 1 2 nebst einer Unmasse Strich heraus, dem ich jedoch weiter keine Aufmerksamkeit schenkte, er wurde sofort in einen mit Wasser gefüllten Bottich geworfen, um später aus diesem herausgekätschert und sortiert zu werden. Beim letzten großen, einem wunderhübschen Lederkarpfen Cyprinus nudus vel «lepidotus Bloch, einem 2, riefen unsere Leute erstaunt aus, „der hat ja rich- tige Hörner!“ und in der That zeigte das os frontis dicht über jedem Auge eine sehr deutliche, nicht Kleine Höckerbildung von ungefähr 7 mm Breite an der Basis und 5 mm Höhe. (Die höchste Erhebung lag beiderseitig ziemlich genau in einer Verbindungslinie von der untersten Spitze des Interopereulum mit dem hintersten Rande der Pupille des Auges). Begierig konstatieren zu können, ob diese jeden- falls doch in allerfrühester Jugend erworbene Eigenschaft auch ver- erbt worden sei, wie dies ja bei der Mopsköpfigkeit früher schon beobachtet wurde, ließ ich nunmehr allen Strich gar sorgfältig auf- lesen und fand nun zu meiner großen Freude Folgendes: 2 ca. 2!/, Centimeter große, sehr abgemagerte Exemplare, bei denen gar keine Schuppen, sondern bloß die Höcker der verküm- merten Taschen am ganzen Körper vorhanden waren, sowie 2 weitere Stücke mit 4 großen, einfache Nebenröhrchen tragenden Schuppen dicht hinter dem Kopfe mit genau denselben „Hörnern“, wie sie die Mutter hatte, und 4 kleine Lederkarpfen mit schwach angedeuteten, beson- ders viel niedrigeren „Hörnern“. Der Beweis, dass diese abnorm gestalteten Jungen von der Mutter mit monströser Kopfform abstammten, lässt sich hier sonder Mühe führen, denn diese letztere war eben der einzige Cyprinus nudus in dem Teiche und sämtliche anderen Streichkarpfen waren mit einer vollständigen Reihe großer Schuppen vom Kopfe bis zur caudalis versehen. Um nun zu erfahren, ob diese erworbenen und vererbten Eigen- schaften bei kaltblütigen Tieren wie bei den Säugern auch rassig fixiert werden können, habe ich eine ziemlich große Lehmgrube aus- schachten lassen und in dieselbe die Monstrositäten einzig und allein gesetzt; sie sind, weil eben hier reichliche Nahrung vorhanden war, sehr schnell herangewachsen und werden in der Folgezeit zweifels- ohne dort laichen. Schlaupitz, 26. Juli 1890. Karl Knauthe. Koch, Tuberkulose. 59 Fortsetzung der Mitteilungen über die Heilung der T'uber- kulose. Von Prof. R. Koch in Berlin. (Aus der deutschen medizinischen Wochenschrift, 1891, Nr. 3). Seit der vor zwei Monaten erfolgten Veröffentlichung (vergl. Centralbl. X S. 665) meiner Versuche mit einem neuen Heilverfahren gegen Tuberkulose haben viele Aerzte das Mittel erhalten und sind dadurch in den Stand gesetzt, sich durch eigene Versuche mit den Eigenschaften desselben bekannt zu machen. So weit ich die bisher hierüber erschienenen Publikationen und die an mich gelangten brieflichen Mitteilungen übersehe, haben meine Angaben im großen und ganzen volle Bestätigung gefunden. Darüber, dass das Mittel eine spezi- fische Wirkung auf tuberkulösen Gewebe ausübt und infolge dessen als ein sehr feines und sicheres Reagens zum Nachweis versteckter und zur Diagnose zweifelhafter tuberkulöser Prozesse verwertet werden kann, ist man wohl all- gemein einig. Auch inbezug auf die Heilwirkung des Mittels wird von den meisten berichtet, dass trotz der verhältnismäßig kurzen Dauer der Kur bei vielen Kranken schon mehr oder weniger weitgehende Besserung eingetreten ist. In nicht wenigen Fällen soll, wie mir berichtet wurde, selbst Heilung er- zielt sein. Nur ganz vereinzelt ist behauptet, dass das Mittel nicht allein bei zu weit vorgeschrittenen Fällen gefährlich werden könne, was man ohne wei- teres zugeben wird, sondern dass es den tuberkulösen Prozess geradezu be- fördere, also an und für sich schädlich sei. Ich selbst habe seit anderthalb Monaten Gelegenheit gehabt, an etwa 150 Kranken mit Tuberkulose der ver- schiedensten Art im städtischen Krankenhaus zu Moabit weitere Erfahrungen über die Heilwirkung und die diagnostische Verwendung des Mittels zu sam- meln, und kann nur sagen, dass alles, was ich in letzter gesehen habe, mit meinen früheren Beobachtungen im Einklang steht, und dass ich an dem, was ich früher berichtete, nichts zu ändern habe '). So lange es nur daranf ankam, meine Angaben auf ihre Richtigkeit zu prüfen, war es nicht erforderlich zu wissen, was das Mittel enthält und woher es stammt. Es musste im Gegenteil die Nachprüfung um so unbefangener aus- fallen, je weniger von dem Mittel selbst bekannt war. Nachdem nun aber die Nachprüfung, wie mir scheint, in hinreichendem Maße stattgefunden und die Bedeutung des Mittels ergeben hat, wird es die nächste Aufgabe sein, das Mittel auch über den bisherigen Bereich der Anwendung hinaus zu studieren und womöglich die Prinzipien, welche der Entdeckung desselben zu Grunde liegen, auch auf andere Krankheiten anzuwenden. Diese Aufgaben verlangen selbstverständlich die volle Kenntnis des-Mittels, und ich halte deswegen den Zeitpunkt für gekommen, dass nach dieser Richtung hin die erforderlichen An- gaben gemacht werden, was in Folgendem geschehen soll. Ehe ich auf das Mittel selbst eingehe, halte ich es zum besseren Ver- ständnis der Wirkungsweise desselben für geboten, ganz kurz den Weg anzu- geben, auf welchem ich zur Entdeckung desselben gekommen bin. 4) Inbezug auf die Dauer der Heilung möchte ich hier anführen, dass von den Kranken, welche von mir vorläufig als geheilt bezeichnet waren, zwei in das Krankenhaus Moabit zur weiteren Beobachtung wieder aufgenommen sind, und dass sich seit drei Monaten keine Bacillen im Sputum gezeigt haben; auch die physikalischen Symptome sind bei denselben allmählich vollkommen ver- schwunden. HU Koch, Tuberkulose. Wenn man ein gesundes Meerschweinchen mit einer Reinkultur von Tuberkel- bacillen impft, dann verklebt im der Regel die Impfwunde und scheint in den ersten Tagen zu verheilen; erst im Laufe von 10—14 Tagen entsteht ein hartes Knötchen, welches bald aufbricht und bis zum Tode des Tieres eine ulzerierende Stelle bildet. Aber ganz anders verhält es sich, wenn ein bereits tuberkulös erkranktes Meerschweinchen geimpft wird. Am besten eignen sich hierzu Tiere, welche 4—6 Wochen vorher erfolgreich geimpft wurden. Bei einem solchen Tier verklebt die kleine Impfwunde auch anfangs, aber es bildet sich kein Knötchen, sondern schon am nächsten oder zweiten Tage tritt eine eigen- tümliche Veränderung an der Impfstelle ein. Dieselbe wird hart und nimmt eine dunklere Färbung an, und zwar beschränkt sich dies nicht allein auf die Impfstelle selbst, sondern breitet sich auf die Umgebung bis zu einem Durch- messer von 0,5—1 em aus. An den nächsten Tagen stellt sich dann immer deutlicher heraus, dass die so veränderte Haut nekrotisch ist, sie wird schließ- lich abgestoßen, und es bleibt dann eine flache Ulzeration zurück, welche ge- wöhnlich schnell und dauernd heilt, ohne dass die benachbarten Lymphdrüsen infiziert werden. Die verimpften Tuberkelbaeillen wirken also ganz anders auf die Haut eines gesunden, als auf diejenige eines tuberkulösen Meerschwein- chens. Diese auffallende Wirkung kommt nun aber nieht etwa ausschließlich den lebenden Tuberkelbacillen zu, sondern findet sich ebenso bei den abge- töteten, ganz gleich, ob man sie, wie ich es anfangs versuchte, durch niedrige Temperaturen von längerer Dauer, oder durch Siedehitze, oder durch gewisse Chemikalien zum Absterben gebracht hat. Nachdem diese eigentümliche Thatsache gefunden war, habe ich sie nach allen Richturgen hin weiter verfolgt, und es ergab sich dann weiter, dass ab- getötete Reinkulturen von Tuberkelbaecillen, nachdem sie verrieben und im Wasser aufgeschwemmt sind, bei gesunden Meerschweinchen in großer Menge unter die Haut gespritzt werden können, ohne dass etwas anderes als eine lokale Eiterung entsteht !). Tuberkulöse Meerschweinchen werden dagegen schon durch die Injektion von sehr geringen Mengen solcher aufgeschwemmten Kulturen getötet, und zwar je nach der angewendeten Dosis innerhalb von 6—48 Stunden. Eine Dosis, welche eben nicht mehr ausreicht, um das Tier zu töten, kann eine ausgedehnte Nekrose der Haut im Bereich der Injektions- stelle bewirken. Wird die Aufschwemmung nun aber noch weiter verdünnt, so dass sie kaum sichtbar getrübt ist, dann bleiben die Tiere am Leben, und es tritt, wenn die Injektionen mit ein- bis zweitägigen Pausen fortgesetzt werden, bald eine merkliche Besserung im Zustande derselben ein; die ulzerierende Impfwunde verkleinert sich und vernarbt schließlich, was ohne eine derartige Behandlung niemals der Fall ist; die geschwollenen Lymphdrüsen verkleinern sich; der Ermährungszustand wird besser, und der Krankheitsprozess kommt, wenn er nicht bereits zu weit vorgeschritten ist und das Tier an Entkräftung zu Grunde geht, zum Stillstand. Damit war die Grundlage für ein Heilverfahren gegen Tuberkulose ze- geben. Der praktischen Anwendung solcher Aufschwemmungen von abgetöteten Tuberkelbaeillen stellte sich aber der Umstand entgegen, dass an den Injek- tionsstellen die Tuberkelbaeillen nicht etwa resorbiert werden oder in anderer Weise verschwinden, sondern unverändert lange Zeit liegen bleiben und kleinere oder größere Eiterherde erzeugen. 1) Derartige Injektionen gehören zu den einfachsten und sichersten Mitteln, um Eiterungen zu erzeugen, welche frei von lebenden Bakterien sind. Koch, Tuberkulose. 61 Das, was bei diesem Verfahren heilend auf den tuberkulösen Prozess wirkt, ınusste also eine lösliche Substanz sein, welche von den die Tuberkelbacillen umspielenden Flüssigkeiten des Körpers gewissermaßen ausgelaugt und ziem- lich schnell in den Säftestrom übergeführt wird, während das, was eitererzeugend wirkt, anscheinend in den Tuberkelbaeillen zurückbleibt oder doch nur sehr langsam in Lösung geht. Es kam also lediglich darauf an, den im Körper sich abspielenden Vor- gang auch außerhalb desselben durchzuführen und womöglich die heilend wirkende Substanz für sich allein aus den Tuberkelbacillen zu extrahieren. Diese Aufgabe hat viel Mühe und Zeit beansprucht, bis es mir endlich gelang, mit Hilfe einer 40- bis 50prozentigen Glyzerinlösung die wirksame Substanz aus den Tuberkelbaeillen zu erhalten. So gewonnene Flüssigkeiten sind es gewesen, mit denen ich die weiteren Versuche an Tieren und schließlich am Menschen gemacht habe, und welche zur Wiederholung der Versuche an andere Aeızte abgegeben sind. DasMittel, mitwelchem dasneueHeilverfahren gegen Tuber- kulose ausgeübtwird, ist also einGlyzerinextraktaus den Rein- kulturen der Tuberkelbaecillen. In das einfache Extrakt gehen aus den Tuberkelbacillen natürlich neben der wirksamen Substanz auch alle übrigen in 50proz. Glyzerin löslichen Stoffe über, und es finden sich deswegen darin eine gewisse Menge von Mineralsalzen, färbende Substanzen und andere nnbekannte Extraktivstoffe. Einige dieser Stoffe lassen sich ziemlich leicht daraus entfernen. Die wirksame Substanz ist nämlich unlöslich in absolutem Alkohol und kann durch denselben, aller- dings nicht rein, sondern immer noch in Verbindung mit anderen ebenfalls in Alkohol unlöslichen Extraktivstoffen ausgefällt werden. Auch die Farbstofte lassen sich beseitigen, so dass es möglich ist, aus dem Extrakt eine farblose trockene Substanz zu erhalten, welche das wirksame Prinzip in viel konzen- trierterer Form enthält, als die ursprüngliche Glyzerinlösung. Für die An- wendung in der Praxis bietet diese Reinigung des Glyzerinextraktes indessen keinen Vorteil, weil die so entfernten Stoffe für den menschlichen Organismus indifferent sind, und also der Reinigungsprozess das Mittel nur unnötigerweise verteuern würde. Ueber die Konstitution der wirksamen Substanz lassen sich vorläufig nur Vermutungen aussprechen. Dieselbe scheint mir ein Derivat von Eiweißkörpern zu sein und diesen nahe zu stehen, gehört aber nicht zur Gruppe der soge- nannten Toxalbumine, da sie hohe Temperaturen erträgt und im Dialysator leicht und schnell durch die Membran geht. Das im Extrakt vorhandene Quantum der Substanz ist allem Anscheine nach ein sehr geringes; ich schätze es auf Bruchteile eines Prozents. Wir würden es, wenn meine Voraussetzung richtig ist, also mit einem Stoffe zu thun haben, dessen Wirksamkeit auf tuberkulös erkrankte Organismen weit über das hinausgeht, was uns von den am stärksten wirkenden Arzneistoffen bekannt ist. Ueber die Art und Weise, wie wir uns die spezifische Wirkung des Mittels auf das tuberkulöse Gewebe vorzusteilen haben, lassen sich selbstverständlich verschiedene Hypothesen aufstellen. Ich stelle mir, ohne behaupten zu wollen, dass meine Ansicht die beste Erklärung abgibt, den Vorgang folgendermaßen vor. Die Tuberkelbaeillen produzieren bei ihrem Wachstum in den lebenden Geweben ebenso wie in den künstlichen Kulturen gewisse Stoffe, welche die lebenden Elemente ihrer Umgebung, die Zellen, in verschiedener Weise und zwar nachteilig beeinflussen. Darunter befindet sich ein Stoff, welcher in einer 62 Koch, Tuberkulose. gewissen Konzentration lebendes Protoplasma tötet und so verändert, dass es in den von Weigert als Koagulationsnekrose bezeichneten Zustand überge- führt wird. In dem nekrotisch gewordenen Gewebe findet der Bacillus dann so ungünstige Ernährungsbedingungen, dass es nicht weiter zu wachsen vermag, unter Umständen selbst schließlich abstirbt. Auf diese Weise erkläre ich mir die auffallende Erscheinung, dass man in frisch tuberkulös erkrankten Organen, z. B. in der von grauen Knötchen durchsetzten Milz oder Leber eines Meer- schweinchens, zahlreiche Bacillen findet, während letztere selten sind oder gar fehlen, wenn die kolossal vergrößerte Milz fast ganz aus weißlicher, im Zu- stande der Koagulationsnekrose befindlicher Substanz besteht, wie man es häufig bei dem natürlichen Tode tuberkulöser Meerschweinchen findet. Auf große Entfernung vermag der einzelne Bacillus deswegen auch nicht Nekrose zu bewirken; denn, sobald die Nekrose eine gewisse Ausdehnung erreicht hat, nimmt das Wachstum des Bacillus und damit die Produktion der nekrotisieren- den Substanz ab, und es tritt so eine Art von gegenseitiger Kompensation ein, welche bewirkt, dass die Vegetation vereinzelter Bacillen eine so auf- fallend beschränkte bleibt, wie z.B beim Lupus, in skrophulösen Drüsen u. s. w. In solchem Falle erstreckt sich die Nekrose gewöhnlich nur über einen Teil einer Zelle, welche dann bei ihrem weiteren Wachstum die eigentümliche Form der Riesenzelle annimmt; ich folge also in dieser Auffassung der zuerst von Weigert gegebenen Erklärung von dem Zustandekommen der Riesenzellen. Würde man nun künstlich in der Umgebung des Bacillus den Gehalt des Gewebes an nekrotisierender Substanz steigern, dann würde sich die Nekrose auf eine größere Entfernung ausdehnen, und es würden sich damit die Er- nährungsverhältnisse für den Baeillus viel ungünstiger gestalten, als dies ge- wöhnlich der Fall ist. Teils würden alsdann die in größerem Umfange nekro- tisch gewordenen Gewebe zerfallen, sich ablösen und, wo dies möglich ist, die eingeschlossenen Bacillen mit fortreißen und nach außen befördern; teils würden die Bacillen so weit in ihrer Vegetation gestört, dass es viel eher zu einem Absterben derselben kommt, als dies unter gewöhnlichen Verhältnissen ge- schieht. Gerade in dem Hervorrufen solcher Veränderungen scheint mir nun die Wirkung des Mittels zu bestehen. Es enthält eine gewisse Menge der nekro- tisierenden Substanz, von welcher eine entsprechend große Dosis auch beim Gesunden bestimmte Gewebselemente, vielleicht die weißen Blutkörperchen, oder ihnen nahestehende Zellen schädigt und damit Fieber und den ganzen eigentümlichen Symptomenkomplex bewirkt. Beim Tuberkulösen genügt aber schon eine sehr viel geringere Menge, um an bestimmten Stellen, nämlich da, wo Tuberkelbacillen vegetieren und bereits ihre Umgebung mit demselben nekrotisierenden Stoff imprägniert haben, mehr oder weniger ausgedehnte Nekrose von Zellen nebst den damit verbundenen Folgeerscheinungen für den Gesamtorganismus zu veranlassen. Auf solche Weise lässt sich, wenigstens vorläufig, ungezwungen der spezifische Einfluss, welchen das Mittel in ganz bestimmten Dosen auf tuberkulöses Gewebe ausübt, ferner die Möglichkeit, mit diesen Dosen so auffallend schnell zu steigen, und die unter nur einigermaßen günstigen Verhältnissen unverkennbar vorhandene. Heilwirkung des Mittels er- klären Rudzki, Gefühl der Kardinalriehtungen. 65 Ueber ein angeborenes Gefühl der Kardimalriehtungen des Horizonts. Mein seliger Vater, Gutsbesitzer im Gouv. Padolien in Rußland, war mit einem merkwürdigen Ortssinne begabt. Er orientierte sich äußerst leicht in einer unbekannten Gegend, indem er die Lage der sichtbaren Gegenstände mit den vier Kardinalrichtungen des Horizonts verglich. Er besaß ein angeborenes Gefühl der Kardinalrichtungen, er konnte mit verbundenen Augen an einem unbekannten Orte die Kardinalrichtungen sofort anzeigen. Wie es geschah, konnte er nicht erklären. Im Gegenteil, ihn wunderte es nicht wenig, dass andere Leute dasselbe zu leisten nicht im stande sind. Von seinen Zeitgenossen hörte ich oft, dass sie mit ihm Experimente angestellt haben. — Sie verbanden ihm z. B. die Augen, führten ihn lange herum und befragten ihn dann nach den Kardinalrichtungen. Er war immer im Stande dieselben richtig anzuzeigen. Ich selbst hatte nur einmal Gelegenheit dieses zu sehen. Wir waren vor etwa 8 Jahren in Warschau, ein alter Bekannter, der damals in dieser Stadt weilte, lud uns zu einer Whistpartie in das sogenannte „Polnische Hötel* wo er wohnte. Da wir beide die Stadt so gut wie gar nicht kannten und mein Vater ohnedies nicht gerne zu Fuß ging, so fuhren wir abends!) in das genannte Hötel. Beim Whitsspiel kam das Gespräch auf den Ortssinn meines Vaters, und da einer der Teilnehmer, der meinen Vater zum ersten Male kennen ge- lernt hatte, diesem Ortssinne keinen Glauben schenken wöllte, so zeichnete mein Vater sofort auf dem Spieltische die Kardinalrichtungen ein. Wir riefen die Bediensteten des Hötels, und diese, indem sie sich erinnerten, woher die Sonne am Mittag einfällt, bestätigten die Richtigkeit der Angabe. Dagegen war für ihn eine Karte, ein Plan, sobald sie nicht nach den Kardinalrichtungen orientiert waren, so gut wie unverständlich. Er musste dieselbe auf den Tisch legen und so orientieren, dass die Richtungen auf der Karte mit den wirklichen Riehtungen zusammenfielen. Wenn er eine Marsch- route zeichnen wollte, wozu auf dem Lande die Gelegenheit öfters geboten war, so setzte er sich, das Gesicht dem Norden zugewendet, und zeichnete dann mit großer Präzision, da er sonst die Umgegend mehrere Meilen weit sehr gut kannte. — Der Anblick einer nicht nach dem Horizonte orientierten Karte versetzte ihn in einen gewissen Zorn, und er machte sich sofort daran, dieselbe richtig zu drehen. Ihn wunderte es, dass andere die Karte in jeder Stellung verstehen können. — Mein Vater starb vor vier Jahren im siebzigsten Lebensjahre an einer Leberkrankheit Er erfreute sich während seines ganzen Lebens einer guten Gesundheit, und konnte keineswegs unter die sogenannten „nervösen Leute“ gestellt werden. Er litt sonst auch nie an irgend einer Nervenkrankheit. — Was mich anbetrifft, so habe ich keineswegs dieses Kardinalrichtungs- gefühl geerbt. Gemeinsam mit meinem Vater habe ich nur eine Orientierungs- gabe, welche das gewöhnliche Maß derselben ziemlich übersteigt ?). Charkow am 2. Oktober 18390. M. P. Rudzki, Dr. phil. der Wiener Universität. 1) Es war im November. 2) So viel ich weiß, hat und hatte auch sonst Niemand in unserer Familie dieses Kardinalrichtungsgefühl. Aber meine Schwester z. B. orientiert sich auch sehr schnell in einer unbekannten Gegend, (4 Anzeigen. Soeben erschien und ist durch K. F. Koehler’s Antiquarium in Leipzig zu beziehen: ) Dr. Jozef Nusbaums Morphologische Studien. 1.7.81]: Zur Embryologie des Meloe proscarabaeus Marscham. Mit 7 doppelten Tafeln in Farbendruck, enthaltend 115 Abbildungen. Text polnisch, die Erläuterungen aller Abbildungen lateinisch. 8°. 106 Seiten. Preis 5 Mark. (Vorläufige Mitteilungen über diese Arbeit sind deutsch im Biolog. Central- blatte 1883, 1889 u. 1890 veröftentlicht.) Verlag von August Hirschwald in Berlin. Soeben ist erschienen: Hyeienische Rundschau Herausgegeben von Dr. Carl Fraenkel, und Dr. Erwin von Esmarch, Prof der Hygiene an der Univers. Privatdoz. der Hygiene an der Univers, in Königsberg i. Pr. in Berlin. I. Jahrgang. Berlin, 1. Januar 1891. Nr. 1. Die „hygienische Rundschau“ soll eine möglichst vollständige Uebersicht über alle in die Interessensphäre der Gesundheitspflege fallenden Veröffentlichungen des In- und Auslandes bringen und sowohl den Stand- punkt des Arztes, wie auch den des Technikers und des Verwaltungs- beamten berücksichtigen. Die hygienische Rundschau erscheint vom 1. Ja- nuar 1891 abzweimal monatlich in Heften von eirca 3 Bogen. Der Abonnementspreis beträgt halbjährlich 10 Mark. Bestellungen werden von allen Buchhandlungen und Postanstalten entgegengenommen. Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn in Braunschweig. (Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) Soeben erschien: Die mechanistische Theorie des Lebens, ihre Grundlagen und Erfolge. Von Dr. Julius Bernstein, ordent]. öffentl. Professor der Physiologie. er. 8.. geh... Preis 60,.Pf. P=- zeichneten Verlagshandlung seine Adresse anzugeben, da die unter der angegebenen Adresse (Universität Peters- burg) an ihn abgesandten Korrekturen und Sonderabzüge als unbestellbar wieder zurückgekommen sind. Erlangen. Eduard Besold. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck der kel. bayer. Hof- und Biologisches Uentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 1. März 1891. Nras: XI. Band. Inhalt: Keller, Die amerikanischen Reben und ihre Bedeutung für die europäische Rebenkultur. — Maria Gräfin Linden, Aus dem Insektenleben. — Looss, Ueber Degenerations-Erscheinungen im Tierreich, besonders über die Reduktion des Froschlarvenschwanzes und die im Verlaufe derselben auftretenden histo- lytischen Prozesse. — Apäthy, Ueber die „Schaumstruktur“ hauptsächlich bei Muskel- und Nervenfasern. — Gabryelski, Die Gelehrtensprache. — Rosen- thal, Zusatz zur vorstehenden Abhandlung. Die amerikanischen Reben und ihre Bedeutung für die europäische Rebenkultur. Literaturübersicht: 1) Compte Rendu des travaux du service du phylloxera. annde 1885 —1887. 2) Les vignes americaines et les maladies de la vigne par P. Fo&x 1837. 3) La vigne americaine et la viticulture en Europe. 12e et 13° annee. 4) Die Anpassung der amerikanischen Reben an den Boden von F, Sahut, deutsch von N. von Thümen. 1889. 5) Vignes americaines; rapport de la station viticole du Champ-de-l’air & Lausanne 1889. | 6) Une mission viticole en Am£rique par P. Viala. 1889. 7) Enquete sur la reconstruction des vignobles frangais et sur les plants americains. Rapport presents au departement de l’industrie et de Vagrieulture & Neuchätel 1890. Vor wenigen Jahren noch waren die amerikanischen Reben in den meisten weinbautreibenden Teilen Europas kaum andern als Spezialisten oder Liebhabern bekannt. Heute führt ihren Namen fast jeder Rebenbesitzer im Munde, dessen einst blühende Kulturen den Phylloxera -Invasionen verfallen sind. Knüpft er doch an diese Neu- linge in den europäischen Rebengeländen die rosigsten Hoffnungen für die Zukunft seines Rebenbesitzes. Die amerikanischen Reben er- freuen sich mithin in weiten Kreisen einer gewissen Popularität. Man geht daher in der Annahme kaum fehl, dass auch in Kreisen, in denen die Rolle, welche die amerikanischen Vitis- Arten im europäischen Rebenbau zu spielen berufen sind, wohl vorwiegend nur eine theore- IT: 5 66 Keller, Amerikanische Reben. tische Bedeutung hat, eine Darlegung der bisherigen Erfahrungen nicht unwillkommen ist. Ueber die Ursachen der verheerenden Krankheiten, welchen in den letzten Jahren unsere Weinkulturen in erschreckendem Maße ausge- setzt sind, gehen zur Stunde noch die Meinungen weit auseinander. Nachdem die Phylloxera zuerst in den französischen Weinbergen Fuß gefasst hatte und in einem furchtbaren Kriegszuge mehr denn die Hälfte des französischen Rebenareales befallen, in allen Wein- gebieten stärkere und schwächere Truppen vorgeschoben hatte um neue Positionen sich zu sichern, nachdem überall, unter günstigen klimatischen Verhältnissen, welche die feinen Weine der Charente werden ließen, wie nahe den Grenzen des Weinbaues wie z. B. in Naumburg an der Saale, das die Hauptmasse des „Kreo“ der Jenenser Studenten produziert, Reben der Phylloxera zum Opfer fielen, wurde der durchschlagende Erfolg des Schmarotzers vielfach einer Dege- neration der Rebe zugeschrieben. In der ungeschlechtlichen Fort- pflanzung, die während vieler Generationen nie durch eine geschlecht- liche unterbrochen wurde, sahen viele die Ursache der Entartung. Mit Recht hat Prof. Müller, Direktor der deutsch - schweizeri- schen Obst- und Weinbauschule in Wädensweil, in einem Vortrage über die Ursachen des krankhaften Zustandes unserer Reben, den er in der naturforschenden Gesellschaft des Kantons Thurgau hielt, diese Meinung des entschiedensten zurückgewiesen. Schon der Umstand, dass noch vor wenigen Jahrzehnten, in den 60iger Jahren, der Ertrag der Reben zum Teil ein vorzüglicher war, im Jahre 1865 sogar eine der besten Qualitäten des Jahrhunderts reifte, lässt es wenig wahrscheinlich erscheinen, dass nunmehr fast plötzlich die europäischen Rebensorten gewissermaßen an senilem Marasmus leiden sollen und deshalb ihren zahlreichen Feinden der Gegenwart, dem Oidium, der Phylloxera, der Peronospora, dem Blackrot u. s. f. widerstandslos zum Opfer fallen. In den europäischen Weinbergen werden bekanntlich die verschiedenartigsten Rebensorten, Formen der Vitis vinifera, kultiviert. Neben solchen, die seit langen Reihen von Jahren, seit Jahrhunderten, uns das edle Blut der Reben reiften, stehen jugendliche Sorten, die künstlichen Produkte sorgfältiger Selek- tion. Müsste also nicht naturgemäß an den verschieden alterigen Varietäten und Formen der Vitis vinifera die Wirkung der erwähnten tierischen und pflanzlichen Parasiten sehr ungleichartig sein? Während die einen erliegen, wäre die Jugendkraft der andern der Talisman, der sie vor Schaden bewahrte. Lehrt aber die Erfahrung leider nicht, dass jede Sorte der Vitis vinifera der Phylloxera erliegt, dass jede unter der Wirkung der Peronospora viticola, des falschen Mehltaues, ertragsunfähig wird und schließlich stirbt? Als die wesentliche Ursache der geringen Widerstandskraft der Rebe wird von andern die Erschöpfung des Bodens aufgefasst, die Keller, Amerikanische Reben. 67 um Rivaud’s Ausdrucksweise zu gebrauchen!) eine Anämie der Rebe herbeiführt. Mit jeder Ernte nimmt man dem Boden eine bestimmte Summe mineralischer Stoffe weg, deren die Rebe zu ihrem Gedeihen absolut bedarf, von deren Vorhandensein namentlich auch die Ertrags- fähigkeit in hohem Maße abhängig ist. Die Düngung sucht dem Boden dieselben wiederzugeben. Aber oft genug ist sie eine planlose, einseitige, die leicht die kluge Abwechslung durch die Menge ersetzt. Sie übersättigt mit gewissen Nährstoffen den Boden und vergisst ihm andere nicht minder wichtige zu bieten. Die rationelle Düngung ist dieser Erschöpfungstheorie gemäß die Waffe, welche die Rebe sieg- reich aus dem Kampfe mit ihren pflanzlichen und tierischen Parasiten hervorgehen lässt. Dass die Bodenbehandlung mancherorts zu wünschen übrig lässt, dass unrichtiger Düngung wegen die Reben oftmals nicht zu dem Maße der Vegetationskraft gelangen, das sie unter andern Verhält- nissen erreichen könnten, liegt leider außer allem Zweifel. Sie aber für die Wirkung der neuen Rebenkrankheiten voll und ganz verant- wortlich zu machen geht nach unserem Dafürhalten kaum an. Die gut ernährte Pflanze wird wohl z. B. der Phylloxera gegenüber länger widerstandsfähig sein als eine ungenügend ernährte. Das kräftige Wurzelwerk führt ihr reichlichere Nahrung zu. Die Schäden der Wurzelzerstörung durch den Parasiten machen sich weniger schnell fühlbar, als wenn von Anfang an die Pflanze mit einem schwächern Absorptionssystem arbeitet, die geringere Fähigkeit eines weniger vollkommen ausgebildeten Assimilationsorganes geringere Mengen von Reservestoffen produziert. Kommt ja die Wirkung der Phylloxera im Wesen einem Aushungern der Reben gleich. Mehr aber als eine Ver- zögerung des Todes bewirkt auch die rationellste Düngung in einem phylloxerierten Gebiete nicht. Das gleiche gilt von der Wettertheorie, die namentlich in Prof. Müller-Thurgau ihren eifrigen Vertreter gefunden hat. Trübe und kühle Witterung muss die Thätigkeit des Laubwerkes hemmend beeinflussen, die schlechtere Ernährung der Pflanze bewirken. Wenn Müller erwähnt, dass an einem Weinstock die Blätter, welche dem Lichte ausgesetzt waren von Pilzkrankheiten viel weniger heftig be- fallen wurden als die künstlich der Belichtung entzogenen, nachdem beide Teile gleichmäßig künstlich infiziert waren, so wird durch diese Beobachtung wohl erwiesen, dass der Ernährungszustand der Rebe von einer großen Bedeutung für die Widerstandsfähigkeit ist. Den- noch lehrt die Erfahrung namentlich in den Weinbergen Südfrank- reichs, dass auch gute Belichtung die verschiedenen Sorten der Vitis vinifera vor verschiedenen ihrer organisierten Sehädlinge nieht auf die Dauer zu schützen vermag. 1) Vergl. Revue scientifique, Nr. 24, T. 46, 1890. 68 Keller, Amerikanische Reben. So kommen wir auf den letzten Erklärungsversuch, der uns zu unserem Thema überleitet. Alle die so überaus gefährlichen neuern Rebenfeinde sind amerikanischen Ursprungs. Ruft diese Erkenntnis nicht die Vermutung wach, dass die Widerstandslosigkeit der europäi- schen Reben darauf zurückzuführen ist, dass sie während der langen Zeit ihrer Kultur wie in spontanem Zustande zu den Parasiten der ameri- kanischen Reben in keiner Wechselbeziehung standen? Muss also nicht umgekehrt die Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Rebenarten, die bis zu völliger Immunität sich steigern kann, das Züchtungs- produkt der während langer Reihen von Generationen bestehenden Wechselbeziehung zwischen Nährpflanze und Parasiten sein, also das Erzeugnis der natürlichen Auslese? Die logische Folgerung aus dieser Erkenntnis ist die, dass die natürlichste Sicherung der von der PAylloxera durchseuchten Wein- berge darin besteht, die Vitis vinifera gegen jene amerikanischen Rebenarten zu vertauschen, welche in lange dauerndem Kampfe ums Dasein die höchste Steigerung der schützenden Struktureigentümlich- keiten erworben haben. Ueber die wildwachsenden amerikanischen Reben hat sich Viala in dem oben zitierten Werke in ausführlicher, klarer Weise ausgesprochen. Die nachfolgenden Darlegungen, im wesentlichen pflanzengeographische und physiologische, fußen auf den sehr einläss- lichen Erörterungen Viala’s. Das Genus Vitis ist in Amerika in einer größeren Zahl von Arten vertreten. Viala nennt und beschreibt folgende Species: Sectio I. Zuwitis Planchon. Series 1. Labruscae. V. Labrusca L. Series 2. Labruscoideae. V. californica Bentham. V. caribaea De Condolle. V. coriacea Shuttleworth. V. candicans Engelmann. Series 3. Aestivales. V. Linsecomü Backley. V. bicolor Leconte. V. aestivalis Michaux. Series 4. Cinerascentes. V. cinerea Engelmann. V. cordifolia Miehaux. V. Berlandieri Planchon. Series 5. Rupestres. V. monticola Backley. V. rupestris Scheele. V. Arizonica Engelmann. Keller, Amerikanische Reben. 69 Series 6. Ripariae. V. rubra Michaux. V. riparia Michaux. Sectio 1. Muscadinia Planchon. V. rotundifolia Michaux. V. munsoniana Simpson. Die Mannigfaltigkeit wird um ein bedeutendes durch die Hybriden der spontanen Vitis-Arten erhöht, deren Viala nicht weniger als 40 aufzählt. V. Berlandieri ist die Rebe des südlichen Teiles der Union. Ihre nördliche Grenze liegt etwa in der Mitte von Texas, fällt damit ziem- lich genau mit der Südgrenze von V. cinerea und V. cordifolia zu- sammen. Gebirgige Gegenden zieht sie den Niederungen vor, ohne jedoch diesen völlig fremd zu sein. Ebenso gedeiht sie auf trockenem unfruchtbarem Boden besser als in fettem Erdreich. Die starken Temperaturschwankungen, welche den meisten Gebieten Nordamerikas eigen sind, kommen im allgemeinen in den Wärmeanpassungen der nordamerikanischen Reben trefflieh zum Ausdruck. V. Berlandieri, welche Temperaturen bis zu 42° erträgt, wiedersteht anderseits Tem- peraturerniedrigungen bis auf — 23°, selbst bis auf — 27°. Kalk- reicher Boden oftmals von so einseitiger Zusammensetzung, dass er kaum andern Pflanzen zu leben gestattet, wird von der Berlandsrebe bewohnt. Ich gebe nachfolgend eine der Bodenanalysentabellen wieder. Boden Untergrund. von Temple.| bei Austin. N RER 70 vollständig Hemer Erden a N a RD ı Spuren In HCl unlöslich feine Erde... : ........:21,730 Spuren DEEINO a ann 6302000 12,120 San a Te ln el 17.500 5,300 Ska DAN: ya en ale 000 4,050 a en Humiascn ch ans A202 _ (Sticks 00 0,165 | 0,023 Kali a ee ET 02 Chemische Analyse Phosphorsäure . . | 0,397 ' 0,566 Kohlensaurer Kalk | 51,900 | 74,080 Kalkan... 1.729.064 | 41,485 Eisen ar 1 ee] 4,060 4,000 Masnesiarn. nee@ | 2705334 0,240 Die Verbreitungsgebiete der V. cinerea und V. cordifolia die beides starkstämmige Reben üppigen Wachstums sind, fallen zum Teil zusammen. Sie schließen sich an die vorgenannte Art an. Während aber V. cordifolia, wenn auch als Seltenheit in der Nähe 70 Keller, Amerikanische Reben. des Niagarafalles getroffen wird, vornehmlich in Pennsilvanien, Vir- ginien, Illinois heimisch ist, muss erstere vorzüglich als die Rebe des nördlichen Texas und des mittleren Illinois bezeichnet werden. Ueber Jowa und Nebrasca geht sie nicht hinaus. In ihrem ausgedehnten Verbreitungsgebiete bewohnen sie die verschiedensten geologischen Formationen, Alluvium nicht minder als jurassische und primordiale Formationen. Ihre vorzüglichste Entwick- lung aber erreichen sie in dem fruchtbaren tiefgründigen Alluvium längs der Flüsse, wobei V. cinerea namentlich die tiefen Stellen der Flussufer, die im Winter überschwemmt sind, liebt. Sie kann dabei wie längs des Missouri, Mississipi, Obio ete. geradezu zur eigentlichen Sumpfpflanze werden. Obgleich sie auch hier das satte Grün eines kräftigen Laubwerkes zeigt, erscheint sie doch weniger kräftig als an den nicht sumpfigen Stellen der Flussufer. V. cordifolia hat keine eigentlich nassen Standorte. Doch findet auch sie sich reichlich in den fruchtbaren frischen Alluvionen längs der Flüsse. Während so beide Arten nach den Standorten ihrer üppigsten Vegetation zu urteilen als Freunde eines tiefgründigen feuchten Bodens zu bezeichnen sind, fehlen sie doch auch auf unfruchtbarem Boden, der dem Lieblingsstandorte der V. Berlandieri kaum über ist, nicht, wenn nur der Boden nicht zu trocken ist. Auf den Kalkfelsen des Mississipigebietes, die kaum andere Pflanzen zu nähren vermögen, ge- deihen sie, V. cordifolia leichter als V. cinerea. Gegen tiefe Temperaturen ist ihr überwinterndes Holz ebenso unempfindlich, wie die Y. Berlandieri. Bei Wintertemperaturen von — 25° bis — 28° leiden sie nicht und ebenso ertragen sie nach Be- obachtungen, die im Missourigebiet gemacht wurden, Sommertempera- turen von.40 —42°. Da beide Arten in den verschiedensten geologischen Formationen gefunden werden, ist es von vorneherein sehr wahrscheinlich, dass sie auch von der chemischen Beschaffenheit des Bodens unabhängiger sind als viele andere Arten, d. h. ihre Anpassung eine weniger ein- seitige, durch einen Bodenbestandteil bedingte ist. In überraschender Weise lehren das die nachfolgenden Zahlen physikalischer Boden- analysen: Boden aus dem Missouri- | Boden aus der Kreideformation von gebiet. & Texas. _ | 1 2 1 2 3 Tone. 38,326 83,500 | 17,200 | 12,900 68,450 Sand . . | 54,000 | 12,70 | 6120 | 5,450 | 28,520 Kalkstein 10,083 | 3,000 | 76,517 | 81,491 | 2,280 Humus . 0,042: 170,800: ».|| ..:0,163° 7) = 0.159297 0,750 Vitis monticola, eine relativ seltene ziemlich niedrige weit rankende Rebe, die nie dem Boden nach kriecht aber auch die großen Bäume Maria Gräfin Linden, Aus dem Insektenleben. 1 meidet, hat ein sehr beschränktes Verbreitungsgebiet. Im Zentrum von Texas am Coloradoflusse ist ihre Heimat. Ihre nördliche Grenze liegt um ein geringes südlicher als die der V. Berlandieri. Den Ebenen, dem Buschwerk, das die Flussufer einsäumt, ist sie fremd. Die buschigen Hänge der Hügel sind ihre Wohnstätten. Lianenartig um- rankt sie die Sträucher. Sie vegetiert in einer durch besondere Trocken- heit ausgezeichneten Zone. In dem Boden, den sie bewohnt, halten sich Kieselsäure und Kalkstein so ziemlich das Gleichgewicht. Vitis rupestris gehört ebenfalls dem Süden an. Die Mündung des Missouri in den Mississipi gibt genau die Nordgrenze ihrer Verbrei- tung an. Häufiger findet sie sich im Südwesten Missouris, im Süden von Kansas, in Texas, wo sie überall trockenen warmen Boden be- wohnt. Im Gegensatz zu andern Vitis-Arten meidet sie die Wälder und selbst das Buschwerk. An lichten Stellen, denen Holzgewächse irgend welcher Art fehlen, vegetiert sie, mit Vorliebe vor allem in den Prärien. Nur wenig, etwa 8-10 em erhebt sich der Stamm über den Boden oder er liegt selbst dem Boden an. Nach allen Seiten gehen vom Stamme Schosse ab, die eine Länge von 10—15 Meter erreichen, dem Boden dicht anliegend hinkriechen, um zahlreiche Neben- axen abzugeben. Temperaturerniedrigungen bis zu — 28° vermögen sie nicht zu töten. Ein tonreicher tiefgründiger Boden kennzeichnet fast im ganzen Verbreitungsgebiete ihre Standorte, ein Boden der reich an Kiesel- säure und kalkarm ist. In welch scharfem Gegensatze die Art in Beziehung auf ihr Bodenbedürfnis zu den bisher genannten Arten steht, zeigen folgende Zahlen. Im Missourigebiet hat der Boden, in welchem V. ruprestris wächst z. B. folgende Zusammensetzung: Von Su 5rn38B 7285 Hat ur ar 04600 Sands .6.325, 28040 432,850 Kalkstein sh tal 122,.10. 40,501 23275 Humusiksu, 130,238, 1.0 #8 22.4 30,270. (Schluss folgt.) Aus dem Insektenleben. Von Maria Gräfin Linden. Zum Zweck wissenschaftlicher Versuche hatte ich eine Kolonie von Larven der Phryganea striata, dieser in unsern Gewässern sehr häufigen Köcherfliege, in meinem Aquarium angesiedelt. Nachdem die Insekten an Steinen festgeheftet mehrere Monate hindurch ein höchst beschauliches Dasein geführt hatten, folgte eine Periode regen Lebens. Die Larven waren gewachsen und sahen sich gezwungen die sie umgebenden Gehäuse ihrer Körperlänge anzupassen. Während die einen den Anbau mit mühsam zerkleinerten Stengeln von Wasser- 12 Maria Gräfin Linden, Aus dem Insektenleben. pflanzen, Sand, kleinen Steinchen, Muscheln und Schneckengehäuse ausführten, versuchten die andern das nötige Material auf bequemere Weise zu gewinnen, und zwar auf Kosten ihrer Genossen. Vermittelst ihrer langen kräftigen Beine ergriffen sie die Opfer am hintern Ende ihrer Hüllen, umklammerten sie so fest, dass trotz der verzweifeltsten Versuche ein Entrinnen unmöglich war, und trennten nun mit ihren kräftig entwickelten Fresswerkzeugen ein Stückchen nach dem andern von den mühsam zusammengefügten Hüllen los. Hatten sie auf solche Weise genügend Material ge- wonnen, um den Bau ihrer Wohnungen fortzusetzen, so ließen sie den beraubten Genossen laufen, der sich schleunigst daran machte die beschädigte Hülle auszubessern. Zu meinem Erstaunen sah ich die raublustigen Attentäter ver- schiedene Male den Sieg über bedeutend größere und stärkere Indi- viduen davontragen, ein Beweis, dass auch im Insektenleben List und Gewandtheit dominieren. Um zu prüfen, wie weit sich diese Eigenschaften hier auch in andern Wechselfällen des Lebens be- währen, machte ich folgendes Experiment: Vermittelst einer Steck- nadel zwang ich eine größere und eine kleinere Phryganeenlarve — die erstere war kurz vorher von der kleineren eines Teils ihrer Hülle beraubt worden — ihre Gehäuse zu verlassen. Beide ließen sich ohne großes Widerstreben hinaustreiben und fielen in ein mit Wasser gefülltes Gefäß, in dem Stückchen alter Gehäuse, Splitter von Pflanzenteilen, Steinchen ete. lagen. Zuerst krochen beide Larven unbeholfen auf dem glatten Boden des Gefäßes umher, dann aber begann das kleinere Insekt die Gegenstände genau zu untersuchen, während sich das größere an einen Pflanzenstengel klammerte und auf demselben unbeweglich sitzen blieb. Als ich nun die geräumigere Larvenhülle und ein zweites leeres Gehäuse ähnlicher Dimension und Art in das Wasser fallen ließ, kroch das schwächere Insekt auf erstere zu, unterwarf die Hülle einer kurzen Musterung, fand alsbald den Eingang und schien sich in der neuen Wohnung recht wohl zu fühlen. Die andere Phryganee prüfte ebenfalls die vor ihr liegende Indusie, trachtete jedoch vergebens in das Innere zu gelangen. Zum zweiten Mal suchte ich nun die räuberische Phryganee aus ihrem angemaßten Domizil zu verdrängen, allein durch den Vorgang ge- witzigt kehrte sie sich diesmal, als ihr Hinterleibsende die Hülle noch nicht verlassen hatte, um und kroch mit großer Geschicklich- keit, den hornigen Kopf voran wieder in das Futteral hinein. Ich ließ sie gewähren, legte aber ihre eigene Hülle ganz in die Nähe. Neugierig steuerte sie alsbald auf den fremden Gegenstand zu und kroch von dem Befund befriedigt, das fremde Logis verlassend, durch die weite Kopföffnung in das heimatliche Gehäuse. Zwar stack die Larve verkehrt in ihrer Hülle, dies schien sie jedoch anfangs nicht Looss, Degeneration des Froschlarvenschwanzes. 75 zu bekümmern, denn erst nach mehreren Stunden fand ich sie in Umkehrungsversuchen begriffen. Sehr stumpfsinnig benahm sich dagegen die größere Larve. Auch ihr war das heimatliche Gehäuse zur Verfügung gestellt wor- den, da sie aber nach zweistündigen Versuchen noch nicht Mittel und Wege gefunden hatte hineinzudringen, erbarmte ich mich ihrer Beschränktheit und beförderte sie mittelst Stecknadel in ihre Be- hausung. Der Ortssinn, den die kleinere Phryganee bei diesem Experiment an den Tag legte, gab sich bei einem Versuch, den ich mit einer anderen Larve machte, in noch viel auffallenderer Weise zu erkennen. Auch sie war aus ihrer Hülle vertrieben und saß in einem mit Wasser gefüllten Gefäß, in welches ich leere Gehäuse von gleicher Größe und analoger Beschaffenheit gelegt hatte; ihr eigenes befand sich nicht unter ihnen. Mit wunderbarer Ausdauer musterte das Insekt die fremden Indusien der Reihe nach durch, prüfte jede Oeffnung und wollte bei dem letzten Exemplar angelangt die Visi- tation von neuem beginnen, als ihre Aufmerksamkeit durch eine weitere Indusie abgezogen wurde, welche ich ins Wasser warf. Während die Larve das neue Gehäuse besichtigte, fügte ich das ihr zugehörige in die Reihe der fremden Hüllen ein. Das Insekt von seinem erfolglosen Abstecher zurückkehrend, wiederholte die In- spektion der Indusienreihe und erkannte sofort die seinige. Fest- geklammert an dem wertvollen Besitz überlegte sie, auf welche Weise der Einzug am besten zu bewerkstelligen sei. Endlich wählte sie die Kopföffnung als Pforte, kehrte sich aber im Innern an- gekommen nicht um, sondern zog es vor ihren breiten Kopf durch das enge, für das Hinterleibsende bestimmte Stück der Hülle mit Aufbietung aller Kräfte hindurchzuzwängen. A.Looss, Ueber Degenerations-Erscheinungen im Tierreich, besonders über die Reduktion des Froschlarvenschwanzes und die im Verlaufe derselben auftretenden histolytischen Prozesse). Mit 4 Tafeln. Gekrönte Preisschrift der Fürstl. Jablonowskischen Gesellschaft. Nr. X der mathem.-naturw. Sektion. Leipzig 1889. Degenerations-Erscheinungen nicht pathologischer, sondern rein physiologischer Natur sind weiter verbreitet im Tierreich, als man im 1) Ein selbständig veröffentlichter Teil dieser Arbeit, der die Beteiligung der Phagocyten bei den Reduktionsvorgängen zum Gegenstande hat, ist schon an dieser Stelle einer Besprechung unterzogen, ich kann deshalb hier davon absehen, ausführlich zu schildern, inwiefern die positiven Ergebnisse der Looss’schen Untersuchungen im direkten Gegensatz zu der Metschnikoff’- schen Phagocytenlehre stehen. Vergl. Biol. Centralblatt, IX, 595. 14 Looss, Degeneration des Froschlarvenschwanzes. ersten Augenblick vielleicht zu glauben geneigt ist. Es gehören hierher alle diejenigen Fälle, wo in der Zeit des Ueberflusses Reservematerial gesammelt wird für die Tage der Not; und dies hat, wenn es sich auch unserer Beobachtung vielfach entzieht, doch wohl im ganzen Tierreiche statt. Wenn das Reservematerial in Gestalt eines Fett- körpers vorhanden ist, so weiß man, dass derselbe bei eintretendem Nahrungsmangel oder zu Zeiten erhöhter Ausgaben — z. B. Bildung der Geschlechtsprodukte — von dem Tierkörper resorbiert wird und man findet dies sehr natürlich; bezeichnet aber denselben Prozess als Degeneration, wenn sich die Resorption auf andere, nicht so ausschließ- lich als Reservefonds prädestinierte, sondern vielleicht als notwendige Organe funktionierende Teile des Körpers erstreckt. Hierher gehört z. B. der Schwund der Rückenmuskulatur des Lachses. Auf der weiten Wanderung, aus dem Meere in die Flüsse, während der nieht nur die Ausgaben der Arbeitsleistung, sondern auch die für die Pro- duktion der abzulegenden Geschlechtsstoffe zu bestreiten sind, nimmt der Lachs keine Nahrung zu sich!); als Ersatz muss die Körper- muskulatur dienen?). In ähnlicher Weise wird der große Seiten- muskel des Schwanzes bei Protopterus annectens während des Sommer- schlafes resorbiert, und zwar sind es hier nach Parker?) die Leuko- eyten, die die Zerstörung und Fortschaffung der Muskelfibrillen be- sorgen. Auch in dem vorigen Falle, der nicht daraufhin untersucht wurde, vermutet Looss eine Beteiligung der Leukocyten im Gegen- satz zu seinen Befunden beim Froschlarvenschwanz, der ohne Beihilfe der Leukocyten resorbiert wird. Looss glaubt nämlich, dass in Fällen, wo gleichzeitig mit der Reduktion eines Körperteils eine Metamorphose eintritt, wie also z. B. beim Frosch, die Iymphatische Körperflüssig- keit genügt, die Gewebe der zum Schwund kommenden Organe auf- zulösen und zu verdauen, dass aber anderseits dort, wo die Kraft des Wachstums im ganzen Körper die gleiche ist, wie bei den er- wähnten Fischen, die ja ihre definitive Körperform schon besitzen, die hauptsächlich chemisch-physiologische Wirkung der Blutflüssig- keit durch mechanisches Eingreifen gewisser geformter Elemente des Blutes, der Leukocyten, unterstützt werden muss. Hiermit scheint allerdings die mehrfach beobachtete Beteiligung der Leukoeyten bei den metamorphotischen Reduktionsvorgängen in der 1) Ein Umstand, der auch in dem ausschließlich marinen Charakter seiner Helminthenfanna Ausdruck findet. Vergl. Zsehokke, Erster Beitrag zur Parasitenfauna von Trutta salar. Verhandlungen der naturforschenden Gesell- schaft in Basel, VIII. Teil, 3. Heft, 1839 (Ref.). 2) Miescher-Rüsch, Statistische und biologische Beiträge zur Kenntnis vom Leben des Reinlachses im Süßwasser. Ichthyologische Mitteilungen aus der Schweiz zur internat. Fischereiausstellung zu Berliu, 1880. 3) W.Newton Parker, Preliminary note on the Anatomy and Physiology of Protopterus annectens. Nature, Vol. XXXIX, 1888. Nr. 992. Looss, Degeneration des Froschlarvenschwanzes. 7 Klasse der Insekten !) nicht übereinzustimmen;; denn hier finden wir trotz einer so weitgehenden Metamorphose, wie sie im ganzen Tierreiche nicht wieder vorkommt, eine sehr rege Thätigkeit der Phagocyten. Looss findet hierfür eine andere Erklärung. Die Umwandlung der Larve in das Geschlechtstier ist bei diesen Insekten mit so bedeutenden Aende- rungen in der ganzen Organisation verknüpft, dass eine vollständige Auflösung fast sämtlicher Gewebselemente erfolgen muss, der dann ein schneller Neubau folgt. Durch den Einsturz des Larvenorganismus ist aber auch die regelmäßige Blutzirkulation aufgehoben, an deren Stelle nun die Leukocyten das Geschäft der Verkehrsvermittlung über- nehmen müssen. Bei der Resorption des Froschlarvenschwanzes kommen nun bei- derlei Bedürfnisse nicht in Frage. Denn da der Ruderschwanz der Froschlarve zur Zeit ihrer Verwandlung seine Arbeit gethan hat, also überflüssig ist, so findet die nahrungsbedürftige Blutflüssigkeit einen Körperteil vor, bei dessen Zerstörung Zwecks Ernährung des Körpers sie nicht viel Widerstand finden wird, auf dessen Kosten sich also der Körper ernähren kann. Außerdem erleidet die Blutzirkulation während der Metamorphose im großen und ganzen keine Beeinträch- tigung, die Blutflüssigkeit kann also die zerfallenden Zellreste fort- führen: mithin sind die Leukocyten als Fresszellen in diesem Falle vollkommen zu entbehren. Forschen wir nun aber nach dem tieferen Grunde, der diese Reduktion des Larvenorgans bedingt, so scheint die Annahme einer phylogenetischen Vererbung geboten zu sein. Wir müssen vermuten, dass sich unsere heutigen Frösche aus salamanderartigen, pflanzenfressenden Wasserbewohnern im Laufe der Stammesentwicklung zu insektenfressenden Landtieren herausgebildet haben; man kann daher eine entsprechende Umwandlung auch in ihrer ontogenetischen Entwicklung erwarten. Dass diese nun in das freie Leben und nicht in das embryonale fällt, hängt aufs innigste mit den Lebensverhältnissen der Tiere zusammen. Die Gefahren für die Nachkommenschaft waren vielleicht einmal sehr groß, so dass sich nur diejenigen Formen erhielten, die eine große Anzahl Eier ablegten. Da nun aber von den Tieren nur ein bestimmtes Quantum von Material für die Fortpflanzung erübrigt werden konnte, so mussten die zahl- reicher abgelegten mit weniger Nährmaterial fürlieb nehmen, konnten daher nicht den früheren Grad der Entwicklung im Embryonalleben 1) Vergl. besonders Weismann, Ueber die nachembryonale Entwicklung der Musciden. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 1856, S. 165 und Kowalewsky, Beiträge zur nachembryonalen Entwicklung der Musciden. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, XLV, 1887, S. 542 und v. Rees, Beiträge zur Kenntnis der inneren Metamorphose von Musca vomitoria L. Zool. Jahrb., Abteilung f. Anatomie, III. 1888. 76 Looss, Degeneration des Froschlarvenschwanzes. erreichen und mussten eher daran denken, auf eigene Faust ihrem Nahrungserwerbe nachzugehen !). Wenn dann die Larve das Stadium erreicht hat, in welchem einst ihre Vorfahren die Lebensweise änderten, beginnen die gleichen meta- morphotischen Prozesse, die sich damals allmählich herausbildeten, auch bei ihr, und zwar verlaufen sie jetzt ziemlich rapide. Da die- selben zum Teil sehr einschneidender Natur sind, so muss eine ge- wisse Ruhe für das Tier eintreten, besonders für diejenigen Organe, die hauptsächlich Veränderungen erfahren. Das ist nun aber vor allem der Verdauungstraetus, der in seiner ganzen Ausdehnung be- deutenden Umwälzungen unterworfen ist. Schon die Metamorphose des Mauls würde genügen, um ein Pausieren der Nahrungsaufnahme zu veranlassen. Es entwickeln sich die definitiven knöchernen Kiefer mit ihrer Muskulatur, während dessen sind die hornigen Larvenkiefer noch vorhanden, stehen aber mit der zugehörigen Muskulatur gar nicht mehr in Zusammenhang, können also auch nicht mehr funk- tionieren. Es ist daher für das Tier unmöglich, Nahrung zu sich zu nehmen?). Auch hat Looss eine Nahrungsaufnahme trotz größter Aufmerksamkeit nie beobachten können und in Ueberein- stimmung hiermit während der Verwandlungszeit im Darm nie die geringsten Spuren von Nahrungsresten gefunden außer einigen Rück- ständen im Rektum. Dieser Umstand nun ist es, der den direkten Anstoß zu der pbylogenetisch vererbten, und daher notwendig gewordenen Resorp- tion gibt). 1) Wo die Verhältnisse durch irgend welche Umstände günstiger liegen, finden wir die Metamorphose in das Embryonalleben verlegt, so bei der ameri- kanischen Wabenkröte (Pipa americana), die durch eine eigenartige Brutpflege die Sicherheit ihrer Nachkommenschaft erhöht. Aehnlich Alytes und Noto- delphis ete. Welche Umstände bei einem Laubfrosch der Antillen (Hylodes martinicensis) so günstig wirken, dass 20 bis 30 Eier genügen, die Erhaltung der Art zu sichern, ist noch nicht bekannt. Die jungen Hylodes haben übrigens beim Verlassen der Eier noch einen kurzen Schwanzrest, der aber schon im Laufe des ersten Tages vollständig resorbiert wird. 2) Looss wendet sich hiermit gegen Barfurth, der die Ansicht ausge- sprochen hat, dass sich diejenigen Froschlarven, die man hungern ließe, schneller verwandelten, als solche die während der Verwandlungszeit Nahrung erhielten. Vergl. Barfurth, Der Hunger als förderndes Prinzip in der Natur. Archiv f. mikr. Anat., XXIX, 1887, S.28; Derselbe, Versuche über die Ver- wandlung der Froschlarven. Archiv f. mikr. Anat., XXIX, 1887, 8. 1. 3) Es wäre meiner Ansicht nach nicht undenkbar, dass sich im Laufe der Zeit die Lebensbedingungen für die Batrachier wieder änderten, so dass die Kaulquappen in ihrer jetzigen Form geschlechtsreif würden; wir hätten dann eine Zeit zu erwarten, zu der die geschlechtsreife Larvenform und die land- bewohnende Geschlechtsform nebeneinander vorkämen, wie heutzutage Stiredon neben Amblystoma. Vielleicht weist auch der Umstand darauf hin, dass die Larven — allerdings ohne geschlechtsreif zu werden — mehrere Jahre unver- Looss, Degeneration des Froschlarvenschwanzes. ar Das Tier erleidet Nahrungsmangel, da es nicht fressen kann, es sucht daher Reservematerial in seinem Körper und findet es in den allmählich außer Gebrauch gesetzten Ruderschwanze, dessen Gefäße in geringerem Maße mit Blut versorgt werden als bisher, da ein Teil des vorher ihm zugebote stehenden Blutes von den Gefäßen der kräf- tiger sich entwickelnden Hinterextremitäten in Anspruch genommen wird. Trotzdem nun dem Schwanze jetzt eine geringere Ernährung zu Teil wird, haben dessen Gewebe wie alle anderen des Tieres das Bestreben zu wachsen; und der innere Hunger muss erst eine gewisse Höhe erreicht haben, wenn es ihm gelingen soll, die Gewebselemente zur Resorption zu bringen. Ist dies geschehen und der Hunger dann in etwas gestillt, so tritt wiederum die Kraft des Wachstums als „vis major“ in ihre Rechte, die Resorption hört auf, bis dann das Nahrungsbedürfnis zum anderen Male so stark geworden ist, dass ein abermaliger Schwund von Gewebselementen erfolgen muss. Hieraus erklärt sich das schubweise Auftreten der Reduktions- erscheinungen und die Thatsache, dass kein bestimmter Zeitpunkt für den Beginn der Reduktion anzugeben ist. Im allgemeinen kann man als Norm ansehen, dass nach einem Trübewerden der gesamten Körperhaut und nach einer stärkeren Pigmentansammlung an der Schwanzspitze (Rana temporaria) die Reduktion sehr rapide vor sich geht. So resorbierte beispielsweise eine 40 mm lange Larve von Rana tempororia ihren 27 mm langen Schwanz in nicht ganz drei Tagen, und 100 mm lange Larven von Pelobates fuscus brauchten nur acht Tage, um ihren 70 mm langen Schwanz bis auf ein unschein- bares Höckerchen zu reduzieren. Da die Auflösung der Chorda iangsamer vor sich geht, als die Resorption des Flossensaums und der muskulösen Partien, so treten als weitere äußerlich siehtbare Zeichen eines im Schwunde begriffenen Schwanzes mehr oder minder unregelmäßige Krümmungen desselben auf. Verf. hat dann die histolytischen Vorgänge beim Zerfall der Haut, des Rückenmarks und der Nerven, der Muskeln, der Chorda, der Ge- fäße und des Bindegewebes aufs eingehendste studiert, für unsern Zweck möge es genügen, das Resultat im Allgemeinen zusammen- zufassen. Zuerst geht die Kittmasse, welche die einzelnen Zellen untereinander verbindet, in Lösung über, wodurch eine allgemeine Lockerung der Elemente herbeigeführt wird. Dieser folgt bald eine Veränderung des Zellprotoplasma; die Balken des Spongioplasma werden gröber und zerfallen endlich in kugelrunde Tröpfehen, die sich von dem umgebenden, homogen gewordenen Hyaloplasma durch stärkere Färbbarkeit auszeichnen. wandelt bleiben können. Ich kann Looss’ Vermutung, auch Rana möchte wie Pelobates längere Zeit als Kaulquappe existieren können, bestätigen. Ich habe dies schon früher beobachtet und habe auch augenblicklich wieder eine unverwandelte Larve von Rana esculenta im Aquarium. 18 Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern. Vakuolenbildung und Ausscheidung von Pigmentkörnern in den Zellen weisen darauf hin, dass auch noch weitere unsichtbare physio- logische oder chemische Prozesse bei diesem Zerfallsprozess eine Rolle spielen. Die flüssigen Bestandteile der Zelle verschwinden zuerst, indem sie sich mit der Jymphatischen Leibesflüssigkeit mischen, etwas später lösen sich dann auch die festern Bestandteile in der Leibesflüssigkeit selbständig auf; nur die Pigmentkörnchen sind unlös- lich und werden von den Leukocyten aufgenommen und fortgeführt. Die Auflösung der Muskelfibrillen zeigt einige Abweichungen. Nach Lösung der Kittsubstanz verquellen die Fibrillen bis zur gegen- seitigen Verklebung, die Querstreifung schwindet d. h. die Trennung in isotrope und anisotrope Substanz fällt fort; und nun beginnt die Auflösung in gleicher Weise, wie bei den übrigen Geweben. Auch bei der Resorption der Kerne ist eine Trennung der Kern- grundsubstanz von der chromatischen Substanz zu verzeichnen. Wäh- rend die Kerngrundsubstanz — vielleicht durch komplizierte chemische Umwandlungsprozesse — der Beobachtung gänzlich entrückt wird, sieht man die chromatische Substanz deutlich mehr und mehr zu- sammenschrumpfen, später in eine Anzahl stark gefärbter Balken und schließlich in kleine Bröckelchen zerfallen, die dann von der Leibesflüssigkeit gelöst werden. Wir sehen, dass die Resorption bis auf die Fortschaffung des Pigmentes ohne Zuthun der Leukocyten erfolgt und dass abgesehen von wenigen Epidermiszellen, die verloren gehen, das ganze Gewebe des Larvenschwanzes dem Froschkörper zu Gute kommt. Dr. G. Brandes (Halle a./S.). Ueber die „Schaumstruktur“ hauptsächlich bei Muskel- und Nervenfasern. Von Dr. Stefan Apäthy, Professor an der Universität Kolozsvär. Die neueste Auffassung der Struktur des Protoplasmas, welche ihr Autor durch das ganze Tierreich und bei verschiedenen Gewebs- arten konsequent durchzuführen versucht hat, ist wohl die von Bütschli!). Nach seiner Meinung ist die primitive Sruktur des 1) Bütschli O., Ueber Protoplasmastrukturen. Verhandl. des naturhist.- mediz. Vereins zu Heidelberg, N. F., Bd.IV, 1889. Derselbe, Ueber den Bau der Bakterien und verwandter Organismen. Vortrag, gehalten am 6. Dez. 1889 im naturhist.-mediz. Verein zu Heidelberg. Leipzig (C. F. Winter) 1890. 37 S. I Taf. Derselbe, Weitere Mitteilungen über die Struktur des Protoplasmas. Verhandl. ete. zu Heidelberg, N.F., Bd. V, 1890. [Die Abhandlung der Herren Bütschli und Schewiakoff in Nr.2 d. Bl. konnte Herın Apäthy bei Einsendung seines Artikels natürlich noch nicht bekannt sein. Anm. d. Red.] Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern.. ‘9 Protoplasmas die von ihm sogenannte Schaumstruktur. Es gelang ihm mikroskopische Tröpfehen mit solcher Schaumstruktur auch künstlich herzustellen, und er konnte an den in Glyzerin bei stär- kerer Vergrößerung untersuchten „Oelseifenschäumehen“ nieht nur an die der Zellen erinnernde Struktur, sondern auch ähnliche Bewegungen nachweisen. Eine schaumige Struktur des Zellleibes, gelegentlich auch des Zellkernes, sowohl in lebenden als auch in konservierten Zellen habe ich auch wiederholt beobachtet. Den Ausdruck „Schaum“, bei welchem wir, in seiner gewöhnlichen Bedeutung, auf kleine, Luft enthaltende Hohlräume denken, halte ich aber, trotz der Gründe Bütschli’s, nieht für besonders passend, zumal da die Hohlräume im Zellleib von irgend einer Flüssigkeit, seltener von einem festen Körper gefüllt sind. Ich glaube, treffender als der Ausdruck Schaum wäre doch noch der „Emulsion“, mit welcher das Protoplasma Berthold ver- glichen hatte. Aber nicht immer entspricht das Protoplasma einer Emulsion. Dieser entspricht es nach Bütschli, wenn die suspen- dierende Zwischenflüssigkeit die Tropfen der suspendierten Flüssig- keit an Masse überwiegt. Die Zwischenflüssigkeit, welche die Wand der „Waben“ bildet, ist jedoch — ebenfalls nach Bütschli — im Protoplasma immer in geringerer Menge vorhanden. Wenn nun das auch immer der Fall wäre, so würde es doch besser sein nicut von einer schaumigen, sondern alveolären Struktur zu reden, wie das Protoplasma auch von Bütschli abwechselnd bezeichnet wird: denn eine wabige Struktur bedeutet wohl dasselbe wie eine alveoläre. Und diese, welehe von einer schwammigen oder filzigen Beschaffen- heit natürlich gut zu trennen ist, ist kaum etwas anderes, als die von verschiedener Seite schon lange prätendierte blasige oder vakuoläre Struktur. Somit wäre in der Auffassung von Bütschli eigentlich nur die Bezeichnung „Schaum“ ganz neu, welche aber, da sie eine der Wirkichkeit nicht entsprechende Idee vom Protoplasma verhaffen könnte, als Neuerung nicht besonders zweckmäßig erscheint, Nützlich war die Durchführung des Gedankens von Bütschli für die Wissenschaft nichtsdestoweniger, da sie eine große Fülle höchst wichtiger Beobachtungen über einfachste Lebewesen mit sich gebracht hat. Weniger glücklich scheint mir die Uebertragung derselben auf gewisse Gewebe höherer Metazoen, namentlich auf das Nerven- und Muskelgewebe. Die Richtigkeit von Bütschli’s Beobachtungen (ab- gesehen von deren Deutung) getraue ich mich nur auf diesem Ge- biete zu bezweifeln, da ich sie, wie weiter unten auseinandergelegt werden soll, auch durch wiederholtes Untersuchen entsprechender Objekte gar nicht bestätigen konnte. Die meisten Autoren behandeln, wenn sie von Protoplasma sprechen, eigentlich die mehr oder weniger organisierte, umgestaltete Zelle, von welcher sie bloß den Kern und die Membran substrahieren. s0 Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern. Nun weiß es aber Jedermann, dass in der Zelle außer dem Kerne, — welcher vielleieht noch am ehesten als Protoplasma gelten könnte, da er den Speciescharakter des betreffenden Protoplasmas (resp. Protoblasten) am meisten, wenn nicht allein, bewahrt hat — noch viel anderes vorhanden ist, was nicht Protoplasma, sondern eine entweder noch fremde, oder schon fremde Substanz ist, d.h. entweder Nahrungsstoff (resp. unverdauliche Reste der Nahrung) oder Zellprodukt, welches wieder ebenso gut umgewandeltes Protoplasma, als auch eine durch das Protoplasma bloß durchfiltrierte, mehr oder weniger veränderte fremde Verbindung in Form von Konkrementen, Tropfen ete. sein kann. Unter den wässrigen Lösungen organischer, aber nicht protoplasmatischer Substanzen spielt aber bekannterweise dasjenige Ding die größte Rolle, welehe von den Botanikern Zellsaft genannt wird. Dieses ist wohl dasselbe, was Leydig unter dem Namen Hyaloplasma zum eigentlichen Träger des Lebens, zum pri- mum agens gemacht hat. Neben allen diesen Substanzen nimmt das Protoplasma, besser Somatoplasma, im Zellleib einen gelegentlich ganz verschwindenden Raum in Anspruch und bequemt sich, da es nicht löslich, aber in hohem Grade plastisch ist, zu den durch ander- weitige Substanzen gebotenen Raumverhältnissen. Das Resultat einer solchen Anpassung ist es nur, was von verschiedenen Forschern als Protoplasmastruktur bezeichnet wird. Die wabige oder Schaum- struktur ist auch nichts anderes als der Ausdruck dessen, dass sich das Protoplasma durch eine Lagerung, welche an die Wände der Waben erinnert, den in der Zelle entstandenen Raumverhältnissen angepasst hat. Das Lumen der Waben kann von verschiedenen Flüssigkeiten oder festen Konkretionen ausgefüllt sein; im einfachsten Fall ist die betreffende Flüssigkeit der Zellsaft. Bütschli selbst sagt ganz ausdrücklich, dass das eigentliche Protoplasma bloß die Wände der Waben bildet; und doch spricht er von der wabigen Struktur des Protoplasmas, anstatt von einer waben- förmigen Lagerung desselben, was aber eine wabige Struk- tur des Zellleibes (oder auch des Zellkernes) bedeutet, wie sie bereits von Leydig und anderen verschiedentlich beschrieben wor- den ist. Eine ähnliche Struktur des Protoblastes ist jedoch auch im pri- mitivsten Fall so zu sagen unumgänglich, da jener, um leben zu können, fortwährend Substanzen, welche sich mit dem Protoplasma nicht einfach mischen, in sein Inneres aufnehmen und andere aus- scheiden muss. Ob nun diese Körper flüssig oder fest sind, Tropfen oder Körner bilden, so bedingen sie, wenn sie nicht ganz minimal, mizellenhaft sind, notwendigerweise eine Struktur des Protoblasten, welche man je nach den Umständen eine wabige, vakuoläre, alveo- läre oder emulsionartige nennen kann. Bütsehli geht aber viel weiter. Nicht nur erklärt er die wabige Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern. s1 Struktur als eine überall vorhandene, primitive Eigenschaft des Proto- plasmas, sondern er glaubt sie auch innerhalb von Substanzen auf- gefunden zu haben, welche doch nur als — obwohl intrazelluläre — Zellprodukte sich vom Protoplasma ganz entschieden differenziert haben und mit nicht viel mehr Recht Protoplasma genannt werden können, als z. B. das Chitin oder die Zellulese. So will er die längs- fibrilläre Struktur der kontraktilen Substanz der glatten Muskelfasern und der leitenden Substanz der Nervenfasern auch auf die wabige Struktur des Protoplasmas zurückführen. Darin hat er vollkommen Recht, dass wabige Strukturen dadurch auch künstlich in eine scheinbar parallel längsfibrilläre Beschaffen- beit umgewandelt werden können, dass man das betreffende Gebilde einem kombinierten Ziehen (Dehnen) und Drücken unterwirft, wo- durch die Waben außerordentlich in die Länge gezogen, in paralleie Längsreihen gelagert erscheinen. Und in der That ist die Längs- streifung sowohl als auch die radiäre und konzentrische Streifung des Zellleibes (nicht des Protoplasmas) sehr oft auf eine Anordnung der Waben in regelmäßige Reihen zurückzuführen. Aber dieselbe wabige Struktur auch in der kontraktilen resp. leitenden Substanz zu postulieren ist einerseits gar nicht nötig, — da sie ja kein Protoplasma, sondern (die Fibrillen wenigstens) bloß Protoplasmaprodukt ist — und steht andrerseits, soweit ich mich überzeugen konnte, auch mit der Wirklichkeit in Widerspruch. Für beide Substanzen halte ich trotz Bütschli meine früheren Resultate, welche ich in dieser Zeitschrift wiederholt (zuert in 1873) dargelegt habe, vollkommen aufrecht. Einer der wesentlichsten Punkte der- selben ist aber, dass sowohl die kontraktile als auch die leitende Substanz, welche in den glatten Muskel - resp. Nervenfasern der Cölo- maten Metazoen meist je eine scharf unterscheidbare, besondere Schichte bilden, im wesentlichen aus praeformierten Längsfibrillen besteht; diese Primitivfibrillen werden durch die interfibrilläre Sub- stanz zusammengehalten; letztere unterscheidet sich vom Somato- plasma meist auch deutlich, gelegentlich steht sie diesem aber sehr nahe. Nun ist es dieses Somatoplasma, welches wegen der großen Menge von Zellsaft eine Lagerung zeigt, die dem Zellleib oft eine alveoläre Struktur verleiht; am Zellleib konnte ich selbst eine Bütscehli’sche längsfibrillär wabige Struktur hie und da auffinden, -— nicht aber an der von letzterem getrennten kontraktilen oder lei- tenden Substanz. Von diesem Gesichtspunkt habe ich die von ihm aufgezählten Tiere, und zwar auch nach seiner Methode, nochmals durchgearbeitet; ich konnte mich aber nur davon überzeugen, dass sich Bütschli in diesem Punkte irgendwie geirrt hat: weder von der kontraktilen, noch von der leitenden Substanz werden die Primitivfibrillen durch Querbalken mit einander verbunden. Davon kann sich jedermann XI. 6 82 Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern. am besten überzeugen, wenn er die Muskel- und Nervenfasern von einer Hirudinee, namentlich aber von Pontobdella muricata untersucht. Die Muskelfasern kann man sowohl frisch, als auch in Sublimat fixiert und nach meiner alkoholischen Hämatoxylin - Chromsalz- Methode gefärbt, dann am besten in Schnitten (Celloidin) beobachten. Die Nervenfasern werden in einer möglichst gedehnten Lamelle der den Darm umgebenden Muskel- resp. Bindegewebsschichte mit Gold- chlorid behandelt. Bei Pontobdella sind die Primitivfibrillen außer- ordentlich diek und daher deutlich; in den frischen Muskelfasern (beispielsweise der gedehnten Darmwand) ist ihr Verlauf schon durch ihre auffallende Doppeltbrechung aufs schärfste angegeben. Der Verlauf der Primitivfibrillen ist in der gestreeckten Muskelfaser eine beinahe mathematisch gerade Linie, und sie sind mit der Längsaxe der Faser vollkommen parallel. In den kleineren Nerven, welche hier hauptsächlich in Betracht kommen sollen, ist der Verlauf der Primi- tivfibrillen zwar mehr oder weniger wellig, sie sind aber von einander durch so große Zwischenräume, durch so viel Interfibrillärsubstanz getrennt, dass man einzelne Primitivfibrillen doch meilenweit (— mi- kroskopische Meilen —) verfolgen kann. Sind zwischen den Primitiv- fibrillen von derselben Substanz bestehende Kommissuren vorhanden, so müssen diese ebenso gefärbt, ebenso deutlich sichtbar sein. Dünner, also vielleicht schwerer wahrzunehmen können diese, da sie die kür- zeren Wände der Waben bilden müssen, gewiss nicht sein, als die Längswände der betreffenden Waben; im Gegenteil: soll die fibrilläre Struktur durch Dehnung der Waben entstanden sein, so müssen die Wände, in deren Richtung die Dehnung stattgefunden hat, eher dünner sein als die Querwände, welche nicht so unmittelbar in die Länge gezogen werden. Gewiss können aber die Querbalken wenigstens nicht dünner sein als die Längslinien, wären also solche vorhanden, so müssten sie mindestens so deutlich sichtbar sein, als die Primitivfibriden im alten Sinne, welche bei Pontoddella überaus auffallend sind. Bütschli’s Irrtum wurde wahrscheinlich von demselben Um- stand verursacht, welcher auch diejenigen Forscher auf einen falschen Weg geführt hat, die die fibrilläre Struktur der Nervenfasern über- haupt in Abrede gestellt haben. Sie haben in ihren Beobachtungen die eigentliche leitende Substanz von dem plasmatischen Teil der Nervenfaser (resp. der Nervenspindel, wie ich den der glatten Muskel- spindel, Muskelzelle, entsprechenden Absehnitt einer Nervenfaser ge- nannt habe) nicht gut zu trennen gewusst, welcher einem durch Zell- saft meist außerordentlich gelockerten Somatoplasma entspricht und z. B. bei den Wirbeltieren das Lumen des schlauchartigen Axen- zylinders ausfüllt und nur zum geringsten Teil um den Kern herum außerhalb dieses Schlauches gelagert ist, dessen Wand durch eine sehr dünne Lage von leitenden Primitivfibrillen und Interfibrillär- Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern. 55 substanz gebildet wird. Gewiss hat auch Bütschli nicht scharf genug die wirkliche kontraktile Substanz von dem in der That oft alveolär konstruierten Zellkörper (Somatoplasma) abzugrenzen ge- wusst, welcher gerade bei den Hirudineen auch den axialen Teil der Muskelspindel repräsentiert, ebenso wie in sehr vielen Nervenspindeln. Auch ein anderer Umstand kann gelegentlich eine wabige Struktur der kontraktilen Substanz im Längsschnitt vortäuschen. In den Inter- fibrillarräumen befinden sich, mehr oder weniger dicht eingelagert, nicht selten in ziemlich regelmäßigen Abständen Körnchen, welche zwischen zwei Primitivfibrillen, resp. Fibrillenleisten (bei Hirudineen) je eine Längsreihe bilden. Die Interfibrillarräume, gefüllt mit sehr verschieden dichter Interfibrillarsubstanz, thun sich bei den meisten Färbungen, auch ungefärbt sehr deutlich, als dunkle Linien hervor, an welchen die genannten Körnchen als kleine Verdiekungen, wie gesagt, nicht selten in regelmäßigen Abständen, sichtbar sind. Dadurch entsteht die Beschaffenheit, welche von mehreren französischen Au- toren als „moniliforme“ bezeichnet und den kontraktilen Primitiv- fibrillen zugeschrieben wird. (Ob das für die quergestreiften Fasern zutrifft, sei vorläufig hingestellt). Die Primitivfibrillen der glatten Fasern sind aber gerade die lichten Streifen zwischen den monili- formen Linien, und nicht letztere. Die lichten Streifen, welche sich immer schwerer färben, ja meistens farblos bleiben !), haben eine sehr deutliche positiv einaxige doppelte Lichtbreehung. (Sie haben also mit dem Leydig’schen Hyaloplasma, mit dem Zellsaft, nichts zu schaffen). Betrachtet man halbmazerierte (20°, Salpetersäure, 24 Stunden) platte Muskelfasern der Darmwand von Pontobdella, so siebt man sie zwischen gekreuzten Nichols als schnurgrade helle Streifen, voneinander durch kaum halb so breite dunkle (ein- 1) Eine frühere Behauptung von mir: (Nach welcher Richtung hin ete. Dieses Blatt, IX. Bd., S. 527 ff.). „Eine Färbung der Fibrillen par excellence gibt die Heidenhain’sche und meine Hämatoxylinmethode“ muss dahin modifiziert werden, dass durch besagte Methoden eine außerordentlich scharfe Differen- zierung der kontraktilen Fibrillen zu erzielen ist, welche aber durch das Un- gefärbtbleiben (grünlich gelben Schimmer) der Fibrillen, der in scharfen schwarzen, oft moniliformen Linien hervortretenden interfibrillären Substanz gegenüber, verursacht wird. Wenn aber die alte Heidenhain’sche Tinktion zu bläulich (hämatoxylinartig) ausfällt, so kann man gelegentlich umgekehrt gefärbte Fibrillen und ungefärbte Interfibrillarräume bekommen. Nur eine Konservierung, welche das Wasser möglichst langsam uud gleichmäßig entzieht und daher die Fibrillen ihre ursprüngliche Dicke beinahe behalten lässt, er- laubt aber in Balsampräparaten eine leichte Unterscheidung von Fibrillum und Interfibrillarraum, da so auch die doppelte Lichtbrechung des ersteren bedeu- tend schwächer wird. Osmiumsäure bräunt auch die Fibrillen, oft rascher und in einem anderen Ton als das übrige; man kann aber die Einwirkungsdauer der Säure nur selten so treffen, dass dieser Unterschied auch erhalten bleibe; deshalb sind Osmiumpräparate zum Studium der Muskelfasern wenig geeignet. e* 84 Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern. fach brechende) Zwischenräume getrennt, verlaufen und an den Riss- enden der Fasern oft einzeln oder divergierend hervorragen. Dreht man nun den Analysator allmählich, einen der lichten Streifen scharf ins Auge fassend, so überzeugt man sich aufs deutlichste, dass die früher hellen Streifen auch im erleuchteten Bild glänzender als alles übrige sind und die dunklen moniliformen Linien sieh zwischen diesen befinden, also die Interfibrillarräume bedeuten. Auch ein bloßgelegt hervorragendes, immer glänzendes Fibrillum wird von zwei dunklen Linien begrenzt, von welchen, wenn das Fibrillum schräg abge- schnitten ist, die eine kürzer sein kann; das sind aber keineswegs isolierte geformte Bestandteile der kontraktilen Substanz, sondern die Reflexlinien, welche jeden in Wasser eingelegten Glasstab, hier das ziemlich resistente Fibrillum in etwas verdünntem Glyzerin be- gleiten. — Die Körnchen des Interfibrillarraumes, die Verdiekungen der vermeintlichen Fibrille, drücken sich gelegentlich in die eigent- lichen Fibrillen, welche bei gleicher Lichtbreehung des einschließen- den Balsams etc. unbemerkt bleiben können, ein, und geschieht dies von beiden Seiten her, so können sie hie und da wie eingeschnürt aussehen und Querbalken zwischen den dunklen Linien vorgetäuscht werden. Die in Mazerationspräparaten an den Rissenden der Fasern hervorragenden ziemlich dieken und starren Fädehen, mit deutlicher Doppelbrechung und eigentümlichem, starkem Glanz, sind aber keines- wegs isolierte Längsreihen von Waben. Ein Blick auf solche Mus- kelfasern der Darmwand von Pontobdella in polarisiertem Licht bei etwa 1000facher Vergrößerung (Zeiss’sches Oeular 18 und Apo- chromat- Objektiv 4 mit etwas gesenktem Abbe’schen Apparat) lässt keinen Zweifel darüber, dass diese Fäden ganz homogen sind und mit einander nirgends anastomosieren. Bütschli’s Auffassung lässt sich mit diesem Bild kaum vereinigen. Dann stimmt sie aber für die glatten Muskelfasern überhaupt nicht; denn Pontobdella wird wohl keine Ausnahme bilden. Dass sie auch für die leitende Substanz der Nervenfasern keine Anwendung finden kann, habe ich bereits gezeigt; leider habe ich dazu bisher kein so leicht demonstrierbares Beispiel sefunden, wie die geschilderten Muskelfasern, obwohl Pontobdella auch in dieser Hinsicht ein sehr geeignetes Objekt ist Auf Grund der altbekannten radiären Streifung des Querschnittes der Hirudineenmuskeln bezeichnet diese Bütschli als nicht nur längs- fibrillär-, sondern auch radiär-wabig. Er hält es aber nicht für wahrscheinlich, dass „sich in dem Mantel kontraktiler Substanz selbst wieder Platten eigentlich kontraktiler, stark gefärbter Substanz und gewöhnliches Plasma unterscheiden ließen.“ Es ist jedoch nichts leichter, als sich an den Querschnitten der verschiedensten Hirudi- neenmuskeln, namentlich aber bei Clepsine und Pontobdella davon zu überzeugen, dass im radiär gestreiften kontraktilen Mantel brei- tere, im Präparate mehr oder weniger deutlich doppeltbrechende, Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern. SD aber immer eigentümlich glänzende, nach den meisten Methoden nicht färbbare Streifen mit schmäleren, das Licht sehr schwach brechenden, oft mit seitlich vorspringenden Körnchen besetzten, mit den meisten, üblichen Farbstoffen ziemlich stark färbbaren alternieren. Erstere entsprechen den in je eine radiäre Reihe zu- sammengeklebten Primitivfibrillen, letztere den Interfibrillarräumen, resp. der Interfibrillarsubstanz; umgekehrt, als wie es Bütschli be- schreibt. Die Anwendung des polarisierten Lichtes schließt auch hier jeden Zweifel aus. Wären nun die Primitivfibrillen, welche hinter einander gelagert je eine Lamelle bilden, von einander durch eine irgendwie nachweisbare Lage interfibrillärer Substanz getrennt, so könnte ihr Querschnitt als eine radiäre Wabenreihe aussehen. Davon ist aber, bei Pontobdella wenigstens, welche ich nach allen denkbaren Methoden behandelt habe, keine Spur vorhanden. Die allerbesten optischen Hilfsmittel, welche Zeiss liefert, zeigen die Lamellen sowohl im Querschnitt, als auch von der Fläche oder von der Kante gesehen nach jeder Behandlung und in jedem Medium (Wasser, Glyzerin, Balsam) vollkommen homogen; nur eine gelungene Mazeration in Königswasser lässt in diesen Primitivlamellen Spuren ihrer Zusammensetzung aus Primitivfibrillen nachweisen. Die der Oberfläche der Muskelspindel zugewendete Kante der Primitivlamellen von Pontobdella ist etwas verdickt, (nicht selten, aber weniger ist das auch bei der inneren Kante der Fall; dem ent- sprechend sieht man im Querschnitt eine schmale Zone kontraktiler Substanz mit oft kaum nachweisbarer Fortsetzung der Interlamellar- räume; außerhalb dieser Zone befindet sich noch eine dünne, aber durch starke Färbung auffallende Lage von Interfibrillärsubstanz, welche wohl der Alveolarschicht Bütschli’s entspricht, mir aber keine alveolare Struktur gezeigt hat. Durch eine ähnliche, aber noch dünnere Lage ist die kontraktile Substanz gelegentlich (nicht immer) auch gegen das Lumen der Muskelspindel abgegrenzt. Ein Sarco- lemma besitzen die Muskeln der Hirudineen nicht. Was nicht selten so aussehen kann, ist die erhärtete, leichter färbbare, dünne Grenz- schiehte der homogenen Bindesubstanz, in welche die Muskelfasern eingebettet sind. Ich will aber auf die Schilderung der feineren Struktur der Muskelfasern nicht weiter eingehen. Es sei mir nur noch gestattet einige Gesichtspunkte zusammenzufassen, nach welchen ich einerseits die Beschaffenheit des Protoplasmas und anderseits die Struktur der Protoblasten resp. Zellen (Kölliker) beurteilen zu müssen glaube. Ich finde es nämlich wichtig die Frage der Beschaffenheit des Proto- plasmas von der Frage der Struktur der Protoblasten und Zellen besser, als dies meist geschieht, zu trennen. Denn Protoplasma- struktur und Zellstruktur können sich nach den neueren Unter- suchungen Bütschli’s über den Bau der Bakterien, deren sachlicher Sb Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern. Inhalt kaum zu bestreiten ist, nicht einmal bei den Moneren, welche heute leben, decken. Aber eben deshalb, weil Bütschli das Wachs nur als Wabe behandelt, halte ich seine Theorie für etwas einseitig. Bekannter- weise hat nicht das Wachs eine alveolare Struktur, sondern die Wabe. Protoplasma und Protoblast bedeuten ebensowenig dasselbe wie Wachs und Wabe, obwohl der primitive Protoblast ebenso haupt- sächlich aus Protoplasma wie die leere Wabe aus Wachs besteht. Und wenn Bütsehli behaupten will, dass schon die ursprünglichsten Lebewesen einen charakteristisch wabigen Bau besitzen, mögen sie bloß aus Kernplasma oder Protoplasma im alten Sinne bestehen, (dabei aber, was die Hauptsache ist, keine Differenzierung in Kern und Körper zeigen): so könnte ich dagegen nichts einwenden, denn ich sehe es auch nicht ein, warum ein amorphes Protoplasma, die Protoplasma -Substanz, welche kein Individuum bildet und dabei zu keinerlei Struktur verwendet ist, schon an und für sich mit Leben begabt sein sollte. Was nun also die Beschaffenheit des Protoplasmas be- trifft, so glaube ich Folgendes nicht außer Acht lassen zu dürfen. 1) Das Protoplasma ist ein keineswegs gleichmäßiges Gemenge ziemlich vieler Substanzen, welche — neben gewissen gemeinsamen Charakteren — sehr verschiedene chemische und physikalische Eigen- schaften verraten. Einige befinden sich in einem beinahe flüssigen, andere in beinahe festen Agregatzustand, und so können jene ge- legentlich Tropfen, diese Körnchen bilden. 2) Ebenso wie alle geometrischen Formen auf den Punkt, können alle im Protoplasma befindlichen Gebilde auf das Körnchen (gra- nulum) zurückgeführt werden und bestehen aus Reihen oder ander- weitigen Gruppen dieser. (In diesem Sinne will ich auch den Gra- nula Altmann’s gerne gerecht werden). 3) Das Protoplasma wird unabhängig von dessen Kontraktionen und ohne allerlei präformierte Bette, von Strömungen mannigfacher, (gelegentlich wechselnder) Richtung fortwährend durchzogen, welche die Körnehen in sich sammeln, mit sich führen und in Form von Fädchen, Netzen ete. aneinanderreihen. (Diese Strömungen erinnern mich an die Strömungen der See [correntil, welche, wie bekannt, dem umgebenden Wasser gegenüber auch eine ziemliche Indivi- dualität bezeugen, und auch die suspendierten Körper der Nachbar- schaft — die pelagische Fauna — zum großen Teil in sich ver- sammeln. Geben wir es zu, dass zwischen verschiedenen Punkten des Protoplasmas Unterschiede in den thermischen, elektromotorischen oder anderen Zuständen vorhanden sein können, so haben wir auch das Zustandekommen jener Strömungen genügend erklärt). 4) Reagentien, welche das Protoplasma rasch und ohne verun- staltende Gerinnungen töten, fixieren alle Teilchen desselben in der Gabryelski, Gelehrtensprache. 57 eben eingenommenen Lage, also die Körnchen in den Strömungslinien in Form von Fädchen, Netzen ete. Dieser eben vorhandene, im Leben sehr veränderliche Zustand ist es gerade, was die gegenwärtig erreichbaren besten Präparate vor unsere Augen führen. Was wieder die Struktur der Zelle, namentlich des Zellleibes betrifft, so glaube ich Folgendes hervorheben zu können: 1) Außer dem eigentlichen Protoplasma befinden sich im Zell- körper kleinere oder größere Mengen verschiedener nicht protoplas- matischer Substanzen: a) gelegentlich einverleibte oder zufällig ein- gedrungene, nicht assimilierbare Fremdkörper; b) Wasser als in- differentes Lösungsmittel; e) noch fremde, aber zu Protoplasma werdende Substanzen; d) schon fremde, aus Protoplasma gewordene Substanzen. (Strömungen, wie sie im obigen 3. Punkt angedeutet worden sind, können innerhalb der Zelle auch in den nicht proto- plasmatischen Substanzen, z. B. im Zellsaft, unabhängig von Plasma- kontraktionen, zirkulieren). 2) Das Protoplasma ist ein in seinem Ganzen unlöslicher, aber weicher, gewissermaßen plastischer Körper; er bequemt sich also, was seine Lagerung betrifft, zu den Raumverhältnissen, welche durch die übrigen in der Zelle befindlichen Substanzen bestimmt sind. 3) Unsere besten Fixierungsmittel erhalten das Protoplasma in seiner dem Leben entsprechenden Lage auch dann, wenn die weitere Behandlung die übrigen Bestandteile, welchen es seine betreffende Lagerung zu verdanken hatte, aus der Zelle entfernt oder in dem Präparat unsichtbar macht. Das sind wohl meist altbekannte Sachen; vielleieht ist aber die obige Zusammenfassung doch nicht überflüssig, da die Konsequenzen, welche von einer ähnlichen Gruppierung derselben zu ziehen sind, von mehreren Forschern, die uns mit „Protoplasmastrukturen“ be- kannt machen, etwas ignoriert werden. Kolozsvär (Klausenburg), am 31. Oktober 1890. Die Gelehrtensprache. Der Gedanke einer Weltsprache ist fremd sowohl dem Altertum wie dem Mittelalter. Er taucht erst mit dem Ende des dreißig- Jährigen Krieges auf — zur Zeit also, in der die lateinische Sprache sich des Charakters einer Weltsprache entledigt hat. Der erste Ver- such, eine Universalsprache zu schaffen, stammt von Wilkins. Sein „Essay towards a Real Character and a Philosophical Language“ ist in London im Jahre 1668 erschienen. Nach Wilkins beschäfti- gen sich mit demselben Problem Dalgarno, Leibnitz, Descartes, Condorcet, Mersanne, Kalmar, Sigard, Wolke, Nähter, Schmied, Niethhammer, Stein, Baumgarten, Karl, Juhle, s8 Gabryelski, Gelehrtensprache. Bachmaier, Gablentz, Soudre, de Mas, Paiec, Dr. P., Volk, Fuchs, Sturmhövel, Baumgarten, Wölfert, Hasemann, Baranowsky, Schleyer, Steiner, Eichhorn, Lauda, Frie- drich, Lott, Damm, Verheggen, Menet, Maldant, Samen- hof, Sotos Ochando, Bauer, Dyer, Melville-Bell, Bürja, Maimieux und schaffen neues, die betreffende Frage auf befriedigende Weise lösendes. Im Jahre 1888 erscheint wieder in London eine Bro- schüre von J. G. Henderson „Lingua, an international language“. Ihr Verfasser verzichtet auf die Schaffung einer Weltsprache und will nur eine Gelehrtensprache haben. Im Oktober dieses Jahres erscheint schließlich „Le nov latin“ von Dr. Daniel Rosa, denn „le lingua de Henderson praesentaba mult inutil diffieultates et aliq irrational processes“. Leider genau dasselbe lässt sich von nov latin des Dr. Rosa behaupten. Dass wir uns von nun an auf dem richtigen Wege befinden, unterliegt für mich kaum einem Zweifel; dass aber nov latin eine „international scientifie lingua“ nicht sein wird, das steht für mich vollkommen fest. Warum? Aus eigenen Worten Rosa’s folgt, dass er die unnötigen Schwierigkeiten meiden wollte. Diesem Prinzip widerspricht: 1) dass man in seinem nov latin den Plural entweder mittelst des s oder es bilden kann, 2) dass Adjeetiva und Pronomina im Plural das eine Mal sich ändern, das andere unverändert bleiben, 3) dass die drei ersten Ordinalia auf andere Art gebildet werden als die übrigen, 4) dass auch für die Multiplieativa zwei Bildungsarten existieren, 5) dass die Mehrzahl der Pronomina personalia auf andere Art gebildet wird als die Mehrzahl der Substantiva, 6) dass es drei Konjugationen gibt, 7) dass die einen Adjectiva aus dem gen. sing. masc., die andern aus dem gen. sing. fem. gebildet werden sollen, 8) dass schließlich zur Bildung der Zeitwörter 5 Regelu ange- geben worden sind. Ebenfalls fehlerhaft erscheint mir: 1) dass sich im Plural sowohl das Hauptwort wie das Geschlechts- wort ändert, 2) dass zur Bildung der Multiplicativa das Wort „tempor“ ge- braucht wird, 3) dass das lateinische Alphabet um drei Buchstaben bereichert worden ist, welehe mit diakritischen Zeichen versehen sind, 4) dass nov latin ein Plusquamperfectum hat, 5) dass Substantiva aus dem lateinischen gen. sing. gebildet wer- den sollen |a) viele Worte werden dadurch verschiedenen Sinn haben; Gabryelski, Gelehrtensprache. 89 „mor“ würde bedeuten: Sitte, Maulbeere und Maulbeerbaum, „art“ würde bedeuten: Kunst, Gefüge und eingeschränkt u. s. w. — b) De- fectiva casibus, welche den Genitiv nicht besitzen, sowohl wie In- declinabilia könnten dadurch als Material zur Wortabteilung nicht verwendet werden. c) Dass vox im Gen. voeis, nox aber noctis lautet, nux nueis, frux dagegen fructis, nex neeis — lex legis, prex precis -— grex gregis, faex faecis — rex regis, werden wohl noch alle wissen. Dass dasselbe auch von pix pieis, strix strigis, nix nivis gilt, wage ich nicht zu behaupten], 6) dass Adjectiva ebenfalls aus dem gen. sing. gebildet werden, 7) dass es keine Syntax gibt, 8) dass schließlich (punetum saliens) nov latin keine Regeln ent- hält, die einen jeden in Stand setzen würden, sich Wörter ohne Hilfe des Wörterbuches bilden zu können. Zu der Grammatik gehören noch Worte; erst mit ihrer Hilfe kann man dem Gedanken die Form geben, durch die er die Eigenschaft erlangt, anderen mitgeteilt wer- den zu können. Es ist also ungenügend allein die Grammatik zu vereinfachen. Wer des lateinischen Wortschatzes Herr ist, der braucht neben der lateinischen keine Gelehrtensprache. Die nov latinische Grammatik und die nov latinischen Regeln zur Ableitung der Wörter sind also nicht einfach genug — einiges ist der Willkür überlassen — manches unentbehrliche fehlt. Hilft da vielleicht die tiefe Ueberzeugung, dass es doch so schön wäre, wenn alle in dem nov latin schreiben wollten? Ich glaube kaum. Bietet das Schreiben in dieser Sprache nicht größere Schwierig- keiten, als das Erlernen einiger fremder Sprachen nur so weit, als es notwendig ist, um das in diesen geschriebene verstehen zu können? Wenn von allen bis jetzt gemachten Weltsprachen nicht eine einzige dieses mit der Zeit geworden ist, was sie selbst schon bei der Ge- burt zu sein versicherten, so ist die Ursache dieser Erscheinung hauptsächlich darin zu suchen, dass in keiner von ihnen die lexico- logische Seite genügende Beachtung gefunden hat. Lassen sich die bis jetzt gemachten Fehler vermeiden? Wir wollen es versuchen. Die Grammatik, obwohl ihr nur untergeordnete Bedeutung beizumessen ist, wird aus pädagogischer Rücksicht vorangestellt. Grammatik. Alphabet. Das lateinische Alphabet sowie die lateinische Aus- sprache bleiben in unserer Sprache unverändert. Geschlechtswort. Für alle Geschlechter lautet der bestimmte Artikel „la“, der unbestimmte „unus“. Fürwort. Es bildet die Grundlage der ganzen Grammatik: Ba —1e20, er an si —lle, 0%, — alla, ur ——llge),; Ihas“ — n08, „es“ =; v08, „is“ — illi, „os“ = illae, „us“ = illa. Pro- 90 Gebryelski, Gelehrtensprache. nomina possessiva werden aus den persönlichen dureh Vorsetzung des Artikels gebildet: la a — mein, la e = dein u. s. w. — Pro- nomina interrogativa, relativa, demonstrativa et indefinita werden aus dem Lateinischen ohne Aenderung übernommen, verlieren aber ihre Geschlecht-, Zahl- und Fallmotion. Zeitwort. Es gibt 5 Zeiten und 5 Modi. Charakteristisch für Praesens ist a, für Imperfectum e, für Perfeetum i, für Futurum pri- mum o, für Futurum exaetum u, für Indicativ d, für Conjunctiv n, für Imperativ p, für Infinitiv f, für Partieip r. Geschlecht-, Zahl- und Fallflexion existiert nicht. a amad = amo | a amed — amabam EN „. amas | Ey „ amabas N „ amat ille lına „ amabat ille GER, = aralla OSuRs 2 = illa eye 5 „ allud kahläge A x illud as „ amamus ase, „ amabamus Er „ amaftis SSR, „ amabatis INCr „ amant illi | ISEIPRE „ amabant illi Bye a „. Alae O8 a“ a illae ua un Re Er ee a illa a amid = amavi, a amod —= amabo, a amud = amavero; a aman, amen, amin, amon, amun sind analoge conjunctive; a amap, amep... analoge imperative und optative; amar, amer.... partieipe; amaf, amef.. . infinitive. Hinzufügung des „a“ macht aus activen ana- loge passive Formen: a amada — ich werde geliebt, a ameda = ich wurde geliebt... Hauptwort. Es wird nicht fleetirt — dafür aber das Ge- schlechtswort: la homo = der Mensch, le homo = des Menschen, li homo — dem Menschen, lo homo = den Menschen, lu homo = Mensch! las homo — die Menschen u. s. w. — Eigenschaftswort. Geschlecht-, Zahl- und Fallflexion exis- tiert nicht. Comparativ und Superlativ werden durch Vorsetzung des plus und plurimum gebildet. Umstandswort. Es bildet die Steigerungsgrade, wie das Adjectiv. Vorwort. Es regiert den Nominativ. Zahlwort. Unus, duo, tres ... decem, decemunus, decem- duo... .. decemnovem, duodecem, tresdecem . . . centum, mille, mil- lion .... Ordinalia werden durch Vorsetzung des Geschlechtswortes gebildet. Lexikologie. Für denjenigen, der irgend ein lateinisches Wort vergessen hat, würde das Suchen im Wörterbuche, falls sich dieses unbekannte aus Gabryelski, Gelehrtensprache. 91 einem anderen ihm bekannten in kürzerer Zeit ableiten ließe, als Zeitverlust anzusehen — für denjenigen, der das betreffende latei- nische Wort kennt, wäre das Bilden eines neuen Wortes ein Zeit- verlust. Der erste also soll im Stande sein ein neues Wort bilden zu können — dem zweiten soll gestattet werden das ihm bekannte anzuwenden. Wortableitung. Worte unserer Sprache werden entweder aus der lateinischen oder aus der internationalen Sprache abgeleitet. Die in allen lateinischen Wörterbüchern fettgedruckte Form der Zeitwörter (größtenteils 1. pers. sing. ind. praes.) tauscht in unserer Sprache ihren letzten Laut gegen das Characteristicum der neuen Verben um. So wird aus amo „amad“, aus sum „suad“ ... Alle übrigen Wortarten bleiben völlig unverändert. Dass sie sich dennoch den angegebenen grammatikalischen Regeln fügen müssen, brauche ich kaum zu betonen. Alle lateinischen Zeitwörter sind in unserer Sprache zugleich transitiv und intransitiv — alle Pluralia tantum haben sowohl den Singular wie Plural. Unter internationaler Sprache verstehe ich alle Wörter, die der englischen, französischen und deutschen Sprache gemeinsam sind. Diese Wörter werden, falls sie in diesen drei Sprachen etwas ab- weichend geschrieben werden, auf die Form zurückgeführt, die sie im Lateinischen haben würden, und werden so geschrieben, wie man sie im Lateinischen schreiben müsste. Wortbildung. Man kann nur Begriffswörter bilden. Form- wörter, welche keine Begriffe, sondern Beziehungen zwischen den Begriffen bezeichnen, werden von lateinischen oder internationalen abgeleitet. Im allgemeinen kann die Wortbildung auf drei Wegen vor sich gehen: 1) durch Aenderung, 2) durch Wegwerfung, 3) durch Ansetzung einzelner Wurzellaute oder Wurzelsilben. In unserer Sprache kann nur die dritte Art der Wortbildung angewendet werden. Auch die Ansetzung einzelner Wurzellaute oder Wurzelsilben kann im all- gemeinen auf doppelte Art geschehen: 1) durch Vorsetzung, 2) durch Nachsetzung. In unserer Sprache wird hauptsächlich die Nachsetzung geübt. Hauptwörter. „tio“ bezeichnet in der lateinischen Sprache verba abstracta, die eine Thätigkeit ausdrücken (lectio, captatio, actio, reetio, seriptio, motio, flexio, monitio, quaestio, emendatio, cogitatio, auditio, lar- gitio... .). Die zu bildenden abstraeta dieser Art bekommen also in unserer Sprache diese Endung. So wird: anaesthetio — die An- aesthetisierung, hypnotitio — die Hypnotisierung, vaccinatio —= die Impfung u. s, w. — 9 Gabryelski, Gelehrtensprache. „tas“ bezeichnet abstracta, die eine Ruhe (Eigenschaft oder Zu- stand) ausdrücken (familiaritas, aedilitas, facilitas, immunitas, diffi- cultas, acerbitas, bonitas, capaeitas, felicitas, paupertas, libertas, celeritas, prosperitas, celebritax, integritas, pietas, varietas ...). Die zu bildenden abstraeta dieser Art werden also diese Endung er- halten. So wird: aphasitas = der aphatische Zustand u. 8. w. — „tor“ bezeichnet eine thätige Person (leetor, reetor, vietor, raptor, pistor, deelamator, actor, cautor, fautor, seriptor, monitor, amator, aestimator, imperator, petitor, auditor, viator, aleator, gladiator, fun- ditor, senator . ..). So wird: hypnotitor = der hypnotisierende, magnetitor = der magnetisierende u. 8. w. — „mentum“ bezeichnet den thätigen Gegenstand, also das Werk- zeug oder das Mittel (documentum, tegimentum, regimentum, argu- mentum, tormentum, alimentum, adjumentum, monumentum, movi- mentum, fomentum, medieamentum, blandimentum, experimentum, eondimentum, ornamentum, complementum ...). So wird: proba- mentum — Prüfmittel, tetanmentum = Tetanus erzeugendes, somni- mentum = Schlafmittel, abortimentum —= abortus erzeugendes (reme- dium abortivum kann nur „frühgeborenes Mittel“ bedeuten) u. s. w. — „arium“ bezeichnet den Aufbewahrungsort (ornamentarium, aera- rium, inventarium, armarium, granarium, vivarium, aquarium, aviarium, auctuarium, eolumbarium . . .). So wird: invalidarium = Invaliden- haus, aegerarium — Krankenhaus, orbarium —= Waisenhaus, pau- nerarium = Armenhaus (Asyl für Obdachlose), surdarium —= Taub- x \ 3 stummeninstitut, orangarium = Winterhaus für Orangenbäume, prae- paratarium’ —= Praeparatenkasten u s. w. — „ina“ bezeichnet den Arbeitsort (offieina, eulina, rupina, salina, sutrina, textrina, tonstrina, ustrina, latrina, moletrina.. ..). So wird: angellina — Engelfabrik, butyrumina — Butterfabrik, Iympheina = Lymphenfabrik, sapoina — Seifenfabrik, saltina = Tanzsaal, vac- einina = Impfanstalt, secina —= Secirsaal, urinina = Niere (im Ge- sensatz zu urinarium = vesica urinaria) u. 8. w. — „ia“ bezeichnet das Land (Macedonia, Thracia, Arabia, Arcadia, Arcanania, Seythia, Liguria, Persia, Caria, Lydia... .). So wird: Kamerunia —= Kamerunland u. s. w. — „an“ bezeichnet den Landsmann (Romanus, Trojanus, Africanus, Thebanus, Tusculanus, Formianus, Gallicanus .. .).. So wird: Ka- meruniangs — Kameruner ns’ w. — „ides“ bezeichnet die Abstammung (Tantalides, Priamides, Da- naides, Aenacides, Romulides, Agenorides, Minoides, Ceeropides, Thesides, Belides, Lyeurgides . . ..).. So wird: Indianides = Nach- komme der Indianer, Napoleonides — Nachkomme des Napoleon u. 8. w. — Gabryelski, Gelehrtenspräche. 03 „bo“ soll die durch Heirat entstandene Verwandtschaft bezeichnen. So würde: bofilius —= Schwiegersohn (beau-fils) u. s. w. — „ul“ bezeichnet die Deminutiva in Bezug auf: Qualität, Inten- sität und sowohl räumliche wie zeitliche Extensität. (Servulus, ba- eulus, sureulus, fratereulus, amiculus, hortulus, piseieulus, homuneulaus, laetieula, animula, specula, caruneula, arenula, uxoreula, virgula, ma- tereula, particula, Jamellula, ampullula, furfurieulae . . .). So wird: fluvius = Fluss, fluviulus —= Bach; silva = Wald, silvala = Busch; porta — Thor, portula = Thür: pluvia —= Regen, pluvinla — Traufe u. S. w. Zeitwörter. „it“ soll zur Bezeichnung der aus Eigenschaftswörtern abge- leiteten Zeitwörter dienen. So würde: facilitaf — erleichtern, diffi- eilitaf —= erschweren, bonitaf — verbessern, parvitaf — verkleinern, mollitaf = weicher machen, duritaf = härten, felieitaf — glücklich machen, magnitaf — vergrößern u. s w. — „ur“ bezeichnet verba desiderativa {cenaturire, proscripturire parturire, esurire, petiturire, moriturire, adulescenturire, sullaturire (den Sulla spielen wollen), scalpturire, empturire ... .).. So wird: inveniuraf — forschen, faciuraf — streben, eduraf = Hunger haben, biburaf —= Durst haben u. s. w. — „ta“ bezeichnet verba intensiva in Bezug auf: Qualität, Inten- sität und Extensität (captare — capere, cantare — canere, jactare — ja- cere, raptare — rapere, tractare — trahere, spectare — specere, volu- tare — volvere, tentare — tendere, tutari — tueri, crepitare — crepare, vomitare — vomere, saltare — salire, itare — ire, visitare — videre, elamitare — clamare, agitare — agere, cogitare — cogere....). So wird: foaf = sprechen, fotaaf — schreien; consiliaf — raten, consilitaaf — befehlen; bibaf — trinken, bibtaaf — saufen; opinaf —= vermuten, opintaaf — behaupten; lacrimaf —= weinen, lacrimtaaf — schluchzen ; exceitaf — reizen, exeittaaf — aufregen u. Ss. w. — Eigenschaftswörter. „ax“ bezeichnet die Geneigtheit zu einer Thätigkeit — aktive Fähigkeit (audax, capax, bibax, dicax, ferax, rapax, emax, edax, mordax, tenax, vorax, fallax, ioquax, ficax, minax, furax, bellax, pugnax, verax...). So wird: cantax, raptax, speetax, saltax, visitax u. a. gebildet werden können. „ilis“ bezeichnet die Tauglichkeit zu einer Thätigkeit — passive Fähigkeit (utilis, fragilis, facilis, habilis, sorbilis, fissilis, flexilis, ses- silis, messilis, fietilis, mobilis, volubilis, eredibilis, nobilis, vendibilis, utibilis, vineibilis, regibilis, possibilis, flexibilis, sensibilis, plausibilis, amabilis, laudabilis, honorabilis, aestimabilis....). So wird man bil- 94 Gabryelski, Gelehrtensprache. den können: emilis, tolleilis — leicht, persuadeilis, exeitilis, inflam- milis, explodilis, vidilis — sichtbar, oleolis — riechbar, audiilis — hörbar u. s. w. — „eus“ bezeichnet die Stofflichkeit (igneus, floreus, corporeus, osseus, ligneus, ferreus, aureus, niveus, cereus, sidereus, roburneus, saligneus, eburneus....). So wird man bilden können: Iympheus, plumbeus, cerieus, iridieus, lanthaneus, seleneus, terbieus, samarieus, thulieus, holmieus, nedymeus, decipieus, mosandrieus, vesbieus, ac- tinieus, philippieus u. s. w. — „ius“ bezeichnet die Zugehörigkeit (regius, patrius, sororius, uxorius, amatorius, oratorius, imperatorius, quaestorius, censorius, cursorius, Martius, Venerius, Junonius, Nepfunius ...).. So wird man bilden können: Iympha Kochius, antrum Highmorius, canalis Hunterius, cartilago Wrisbergius u. s. w. — „idus“ bezeichnet den Zustand (turbidus, fluidus, lueidus, tur- gidus, frigidus, nitidus, herbidus, gelidus, solidus, calidus, lepidus....). So wird man bilden können: paeidus, tenebridus u. s. w. — „in“ bezeichnet die entgegengesetzte (conträre und ceontradie- torische) Eigenschaft (incognitus, ineredibilis, incertus ...). Von diesem Präfixe kann sehr ausgiebiger Gebrauch gemacht werden. Umstandswörter. „0“ bezeichnet adverbia temporis (aeterno, sempiterno, perpetuo, continuo, cotidiano, erastino, matutino, nocturno, serodiutino, raro, subito, sedulo, inaugurato, auspicato, compacto, composito, festinato, testato . . ..). Die zu bildenden adverbia temporis bekommen die Endung „o“. „am“ bezeichnet adverbia numerus (tandem statt tamdem, tamen, quam, aligquam, quamde, quanquam, quamvis, quamlibet ....). Die zu bildenden adverbia numerus bekommen also die Endung „am“. „bi“ bezeichnet adverbia loci (ibi, ibidem, ubi, ubinam, ubique, ubieunque, ubivis, ubilibet, ubiubi, alibi, aliubi, utrubi, utrobi, utru- bique, utrobique, neutrubi, alicubi, neeubi, sieubi, numeubi, inibi, in- teribi, nullibi . ...).. So werden die zu bildenden adverbia loci die Endung „bi“ erhalten. „ter“ bezeichnet adverbia modi (prudenter, fortiter, acriter, ar- denter, leniter, ignoranter, latenter, prudenter, diligenter, sapienter, consequenter, felieiter, atrociter, audaeiter, amieiter, asperiter, avariter, benigniter, humaniter, integriter, largiter, luculenter, opulenter, vio- lenter......). Die zu bildenden adverbia modi bekommen also die Endung „ter“. Dass alle angeführten Suffixe nicht nur bei denjenigen Wortarten gebraucht werden können, zu denen sie in meinem Register gehören, Gabryelski, Gelehrtensprache. 95 brauche ich kaum zu erwähnen. So z. B. kann das bei Hauptwörtern angeführte „ul“ sehr gut auch bei Zeit- und Eigenschaftswörtern Verwendung finden: ridaf —= lachen, ridulaf — lächeln; lacrimaf — weinen, laerimulaf —= wimmern; foaf — sprechen, foulaf — flüstern ; tenax — geizig, tenulax — sparsam u. s. w. — Dasselbe gilt von „ta“, welches bei den Zeitwörter bildenden Suffixen erwähnt worden ist; auch dieses kann zur Bildung verschiedener Wortarten helfen: palus = Pfuhbl, paltaus — Teich; consilium — Rat, consilitaum — Befehl; vieus = Gasse, vietaus —= Straße u. s. w. — Dieses gilt ebenfalls von „in“ u. 8. w. — Wer weiß, dass im lateinischen Gasse — vieus, Straße — platea, gebrauche: vieus und platea. Wer nur platea kennt, gebrauche: pla- tea und plateula. Wer sich nur vieus gemerkt hat, gebrauche vicus und vietaus. Wem keines dieser Wörter bekannt ist, kann sich der Aus- drücke: magnus und parvus duodomordo (Zweihäuserreihe) bedienen. Wem das Gedächtnis auch diejenigen Worte nicht zur Verfügung stellt, die zur Umschreibung des unbekannten Wortes dienen Könnten, der muss das betreffende Wort im lateinischen Wörterbuche suchen. Wortzusammensetzung. Wörter, welche syntaktisch zusam- mengehören, vereinigen sich im Laufe der Zeiten zu einheitlichen Lautgebilden. Zusammengesetzt werden: 1) Begriffswörter unter- einander, 2) Formwörter untereinander, 3) Begriffswörter mit den Formwörtern (agriecola — antehae — convenire). Jedes zusammen- gesetzte Wort hat zwei Besiandteile: das bestimmende Wort und das bestimmte Wort — das bestimmende ist der Hauptteil der Zusam- mensetzung und nimmt in dieser die erste Stelle ein, das bestimmte gibt die Wortart der Zusammensetzung an und bildet den zweiten Teil desselben. Außerdem können die Zusammensetzungen doppelter Art sein: 1) synthetische (magnanimus) entstehen durch Verschmel- zung der Bestandteile — 2) parathetische (aquaeductus) verdanken ihre Entstehung einfacher Aneinandersetzung der Worte. Bla ver, 0, = 8ie, „u — es... Sol wird bos. —Ochse,,1h08 — Stier, obos — Kuh, ubos — Kalb; homo — Mensch, ihomo —= Mann, ohomo = Weib, uhomo — Kind, iuhomo = Knabe, ouhomo — Mädchen. (Auf diese Art bilden ihre Worte neben Engländern auch Japanesen: ousi = Ochse, meousi — Kuh, oousi = Stier). „e* und „o“ sind außerdem charakteristisch für Vergangenheit und Zukunft. So wird: vir — Mann, vire = Greis, viro — Jüng- ling; uxor — Gattin, uxore = Wittwe, uxoro — Braut u. s. w. — Die übrigen Zusammensetzungen bedürfen keiner Erläuterung. Syntax. Im allgemeinen ist der Satz am leichtesten verständ- lich, wenn die Reihenfolge seiner Teile sich so gestaltet: Subjekt mit seinen Komplementen — Prädikat mit seinen Komplementen — Ob- jekt mit seinen Komplementen. Dass diese Reihenfolge nie verlassen 315) Rosenthal, Zusatz zum vorhergehenden Aufsatz. werden darf, wage ich aus Rücksicht auf die Thatsache, dass ge- schickte Umkehrung der Reihenfolge zuweilen das Verständnis in hohem Grade erleichtern kann, nicht zu behaupten. Quamquam jam multi seribed de hie quaestio, tamen omnis ten- tatio appareid falsus. A sciad u — ergo non possuad speraf, quod la a tentatio plus felix suod, quam omnis anterior. A faciid, qui a possuid — las lector debead judicaf. Quod omnis faciliter la novus lingua intelligod, non suad quaestio. Ut omnis item faciliter possuod in hie lingua scribaf, debead ille las diffieiliter tradueilis verbum aut sententia eircumseribaf. Quod quisque ante seribaf debead discaf las ad formatio les vocabulum per- valde necessarius suffix et praefix, suad evident. Omnis, qui in hie lingua seribaf volad, tamen putad, quod hie aut ille non suad satis bonus, seribap aliter et addonap ad suus liber aut liberul las regula, in qui ille cum la a lingua non conveniad. Sie novus lingua mutod eredibile lo forma usque ad momentum, in qui las mutatio non suod necessarius. Sie debead hie lingua per se ipse transmutaf de lingua la a in lingua la internationalis. Sie nas- eid las vivar lingua — sie nascod la lingua tutmundus. 2. Gabryelski (Leipzig). Zusatz zur vorstehenden Abhandlung. Von J. Rosenthal. Nachdem ich durch Besprechung des nov latin die Frage der internationalen Sprache für wissenschaftliche Zwecke in dieser Zeit- schrift angeregt hatte, glaubte ich auch Herrn Gabryelski mit seinem Versuch zur Lösung der Aufgabe das Wort verstatten zu müssen Ich möchte aber damit nicht etwa alle, welche Lust ver- spüren, solche Sprache neu zu schaffen, eingeladen haben, sich im „Biolog. Centralblatt“ hören zu lassen. Dazu dürfte der Raum des- selben nieht ausreichen; auch wäre durch viele solche Versuche der Neuschöpfung eher eine Schädigung des Zweckes zu befürchten, da die allgemeine Annahme eines der vielen Vorschläge um so schwieriger zu stande käme, je größer die Zahl der Sprachen würde, die zur Aus- wahl vorlägen. In einem Punkte muss ich Herın Rosa wohl in Schutz nehmen gegen Herrn Gabryelski, da ich schuld bin an dem jenem gemachten Vorwurf. Die Syntax des nov latin ist nicht unvollkommner als die von Herrn G.’s neuer Sprache. Ungefähr dasselbe, was-Herr G. über die Wortstellung beibringt, sagt Herr Rosa auch. Meiner Meinung nach ist aber die Syntaxfrage mit der Wortstellung nicht erschöpft. Mit einer Beilage von Julius Klinkhardt in Leipzig: „Verviel- fältigung Wursenkechafieher " Abbildungen betr. s Verlag von Eduard Besold in Erlangen. = Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von 3 Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der pur in De 94 Ve von ie 2 "Bogen bilden einen Band. Pair’ "des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI. Band. 15. M März 181 Nr. 4. Tan. Keller, Die eheeken Reben und ihre Br für die europäische Rebenkultur (Schluss). — Carriere, Die Drüsen der ersten Hinterleibsringe der Insektenembryonen. — Apäthy, Ueber die „Schaumstruktur“ hauptsäch- lich bei Muskel- und Nervenfasern (Nachtrag). Die amerikanischen Reben und ihre Bedeutung für die europäische Rebenkultur. (Schluss. ) V. rubra, die häufig zu V. Riparia gezogen wird, bewohnt tief- sründige, sehr fruchtbare Alluvionen längs der Flüsse. Sie ist selten und wenig ausgebreitet. V. coriacea, eine Bewohnerin feuchter tropischer Gebiete, besitzt ebenfalls nur ein sehr beschränktes Verbreitungsgebiet. Sie ist vor allem in den Sümpfen, geologisch gesprochen im Spättertiär und Quartär von Südwest- Florida heimisch, im übrigen eine seltene Art. V. candicans ist die häufigste der nordamerikanischen Reben des Südens. ‘Auch im zentralen Teil der Union, sowie im Nordosten ist sie durchaus nicht selten. Der Arkansasfluss bildet die Nordgrenze ihres Verbreitungsgebietes. Südwärts geht sie bis nach Mexiko. Sie ist eine überaus kräftige Rebe, die nur etwa von Vitis californica an Größe übertroffen wird. Viala beobachtete in Texas Individuen, deren Stamm einen Umfang von 0,9 Meter hatte. An hochstämmigen Bäumen rankt der Mustang — dies ist der Trivialname der Y. can- dicans — empor und erstickt in den dichtesten Wäldern die stärksten Stämme. Ihre Zweige bilden ein diehtes Dach, das oft die Sonne kaum zu durchdringen vermag. „Im Zentrum von Texas, schreibt Viala, sah ich eigentliche Naturgartenlauben von einigen hundert Metern Länge, deren Dach das Blattwerk der Mustangrebe bildet. Die Stämme dieker von der Rebe erstickter Bäume trugen es. Das Innere dieser Lauben, das kein Sonnenstrahl erhellte, war nach allen Riehtungen mit Guirlanden von Lianen behangen, welche die gewun- denen Verzweigungen der Mustangstämme bildeten“. AT, —I 08 Keller, Amerikanische Reben. Hochgradige Trockenheit erträgt diese Art ohne Nachteil, findet sie sich doch oftmals an den Abhängen der Hügel in Gesellschaft von Pflanzenarten wie z. B. Cacteen, die auch lange dauerndem Wasser- mangel erfolgreich widerstehen. Doch sind diese Standorte natür- licherweise nicht die gewöhnlichen. Viel häufiger findet sie sich in den Niederungen längs der Flussufer. Hier erreicht sie auch ihre bedeutende Größe. In besonders kalkreichem Boden entfaltet sie ihre Vegetationskraft nie in ihrer ganzen Ueppigkeit. V. Linsecomii gehört wieder zu den weniger verbreiteten Arten. In den wärmeren Gebieten der Union hält sie sich vornehmlich an die Flussufer. Hier klimmt sie an den Eichenstämmen empor und entfaltet sich nicht selten zu bedeutender Mächtigkeit Sie ist kiesel- säure -liebend. V. bicolor von vielen Autoren bald zu voriger bald zu folgender Art gezogen bietet geringes Interesse. V. aestivalis dominiert im Zentrum und dem östlichen Teile der Vereinigten Staaten, vorab in Pennsilvanien und Virginien. Weniger individuenreich als die meisten der bereits erwähnten gewöhnlichen Arten, ist sie immerhin in den Hauptteilen ihres Verbreitungsgebietes keine Seltenheit. Gegen verschiedene physikalische Einflüsse ist sie ziemlich indifferent. Sie gedeiht in dem feuchten Boden der Fluss- ufer nicht minder gut als an den trockenen Abhängen der Hügel. In fruchtbaren Alluvialbildungen entfaltet sie sich zu ihrer vollsten Ueppigkeit und steht der V. candicans oder der V. californica kaum nach. Meist aber ist sie kleiner, eine Schlingpflanze der Sträucher und Bäume mittlerer Höhe. An lichten Stellen kriecht sie auch wohl über den Boden hin und verzweigt sich stark. Den Wärmeunter- schieden gegenüber verhält sie sich analog wie die bereits erwähnten Arten. Der Boden, den sie bewohnt, gehört zum großen Teil älteren Formationen an oder ist petrographisch auf diese zurückzuführen. Es ist vor allem der kieselsäurereiche Boden der azoischen und paläozoischen Formation. Vitis riparia ist eine überaus formenreiche Art. Unter allen amerikanischen Arten kommt ihr die größte Ausdehnung zu. Nord- wärts geht sie bis zum obern Mississipi, bis an die Ufer des Ober- Sees. Im Süden ist sie an den Ufern des Ohio in Kentuky, in Illinois, Arkansas u. s. f. häufig, und geht selbst bis nach Texas. Dass eine Pflanze von so bedeutender Verbreitung unter sehr ungleichartigen Bedingungen lebt, liegt auf der Hand. Im Norden sinkt die Temperatur bis auf — 30°, ohne dass die überwinternden Teile der Riparia deshalb erfrören. Gegen Frühjahrsfrost ist sie dagegen empfindlich, da sie sehr früh ausschlägt. Bedeutende Wärmegrade schädigen sie nicht, wenn schon sie recht eigentlich die Rebe des ge- mäßigten Nord- Amerika ist. Keller, Amerikanische Reben. 95 In geologischer Beziehung gehören die Standorte der V. riparia den ältesten Formationen oder den jungen, die diesen petrographisch gleichkommen, an. Nur wenige liegen in mesozoischen Formationen oder dem Tertiär. Im Mississipigebiet kommt ihren Standorten gewöhnlich folgende Bodenzusammensetzung zu. Bon». 2.2002 165,020.0, Sand ma IM TE2T,DSDN, Kalkstem ! 7%. 70,273, Hımusta 27.8 04,207, Vitis Arizonica, eine wenig verbreitete Art, die den Flussufern entlang gedeiht, doch auch steile unfruchtbare Hänge nicht ganz flieht, ist vornehmlich in Arizona heimisch. Sie kommt aber auch in Mexiko vor und wird auch aus Texas angegeben. Inbezug auf die Bodenanpassung verhält sie sich ähnlich wie V. ruprestris. V. californica, die wilde Rebe Kaliforniens und Oregons, ist der Riese unter den amerikanischen Weinreben, das Sinnbild strotzender Vegetationskraft. Viala beobachtete Individuen, deren Stämme einen Umfang von 1,55 Metern besaßen. „Einer dieser Stämme, schreibt Viala, dessen inneres einem alten Weidenstocke gleich hohl war, teilte sich in 4 Hauptäste, von denen jeder 20 cm Durchmesser hatte. Endlos verzweigten sie sich und bildeten über dem Buschwerk, dem Bestande der Abhänge einer Schlucht, bis in eine Höhe von 50 Metern ein diehtes Laubdach“. Im dichtesten Urwald rankt sie sich an den mächtigsten Stämmen empor bis in die Gipfel der gewaltigen Kronen. Auf trockenem Grunde ist sie gedrängter, dichter verzweigt, fast von krüppelhaftem Aussehen verglichen mit jenen Riesen, die der tief- gründige fruchtbare und etwas feuchte Boden längs der Flussufer nährt. Sie ist die formenreichste unter den Vitis- Arten, die leicht unter dem Einflusse wechselnder Bodenarten bald inbezug auf die Haar- bekleidung der Blätter, bald inbezug auf Größe, auf Zahnung ete. mehr oder weniger stark ändert. V. Labrusca bewohnt vorwiegend die Niederungen besonders des östliehen und nordöstlichen Teiles der Union. Sie gedeiht sozusagen nur im sandigen kieselsäurereichen Boden, wie er durch Verwitterung granitischer Gesteinmassen entsteht. V. caribaea soll im Süden Floridas spontan vorkommen. V. rotundifolia, eine wenig variable Art der südlichen Staaten der atlantischen Küste, gedeiht nnr in tiefem, sandigem etwas feuchtem Boden. Zu einer gedeihlichen Entwicklung bedarf sie durchaus be- deutender Wärme, feuchter Luft und feuchten Bodens. Dann aber kann sie eine erstaunliche Vegetationskraft entwickeln. „L’on m’a eite un pied de V. rotundifolia, schreibt Viala, qui recouvre dans lile de Roanoke pres d’un hectare (2 acres) et qui aurait donne en- viron 2000 gallons de vins en une annee (soit 90 heetolitres!)“ (? Ref.). 7: 100 Keller, Amerikanische Reben. V. munsoniana ist ebenfalls eine südliche Rebe. Sie bewohnt vor allem das fruchtbare warme Marschland Floridas. Werfen wir nunmehr einen kurzen Blick auf die kultivierten amerikanischen Reben. Ihre Bedeutung für den europäischen Weinbau hat Viala in seinem Rapport d’une mission viticole aux Etats-Unis mit folgenden Worten trefflich geschildert: La grande pr&oceupation des vitieulteurs d’ Vest et du nord-est a toujours et& de ereer de nouvelles varietes resistantes au black rot et au mildew. Les froids rigoureuse de l’hiver ne leur permettaient que d’user des varietes du V. Labrusca, adaptees A ces regions oü a 6te longtemps limitee la culture de la vigne. Les viticulteurs californiens, mieux favorises par le climat, n’ont d’ailleurs jamais adopte les producteurs directs de l’est et multiplent les varietes frangaises. Ces raisons, jointes & l’habitude acquise par les habitants de l’est de s’accomoder des vins foxes ou sucres, leur fond chaque jour accepter, avee esp6erances, tout producteur direct, nouvellement mis a jour par les pepinieristes qui cherchent ä ameliorer les varietes primitives du V. Labrusca, soit par croisement, soit par semis. La renomme&e, qu’ont acquise certaines de ces nouvelles vignes aux Etats- Unis a et& souvent la cause malheureuse de leur adoption en France. A mon retour des Etats-Unis, je demeure encore plus convaincu qu’ exception faite pour quelques produeteurs directes qui ont dejä fait leurs preuves dans le midi de la France, nous avons surtout & compter sur les porte-greffes americains portant nos varietes indigenes pour assurer la reconstitution de nos vignobles et maintenir aux vins francais leur legitime r&putation*. Dieses Urteil enthebt mich der Aufgabe, auch nur eine gedrängte Uebersicht der mehr als 400 amerikanischen Kulturreben zu geben. Es genügt zur Orientierung eine der so zahlreichen Sorten der Union kurz zu beschreiben. Eine der verbreitetesten Kulturreben Amerikas ist der „Concord“. In allen Werbergen von Neu-England bis in den Süden von Texas hinein begegnet er uns. Der bedeutende Grad der Widerstandsfähig- keit gegen tiefe Temperaturen, der ihm eigen ist, lässt ihn selbst in den kalten Gebieten Neu-Englands wohl gedeihen. Sein Produkt wird hauptsächlich als Tafeltrauben verwertet und bildet in allen großen Städten einen bedeutenden Handelsartikel, trotzdem auch nach dem Urteil der Amerikaner die Concordtraube von einer Reihe anderer amerikanischer Trauben an Güte übertroffen wird. Die Ertragsfähig- keit dieser Rebsorte ist die hauptsächlichste Ursache ihrer ausge- dehnten Kultur. Dazu kommt, dass ihre Frucht eine sehr frühzeitig veifende ist und dass der Rebe eine bedeutende Widerstandsfähigkeit gegen die Peronospora viticola innewohnt. Dem bösesten Feinde der amerikanischen Reben, dem Blackrot, fallen aber oftmals namentlich im Gebiete des atlantischen Ozeans ganze Ernten zum Opfer. Ueber Keller, Amerikanische Reben. 101 die Weinqualität geht das Urteil des Franzosen und der Amerikaner nicht unerheblich auseinander. „Les vins de Öoncord, sagt Viala, faits en rouge sont fort mauvais; les Americains s’en accomodent facilement et ils aiment beaucoup le gout atrocement fox& des raisins de ce ceepage“. Selten wird er zu Schaumwein verarbeitet. Seine Widerstandsfähigkeit gegen die Reblaus ist keine bedeutende, ausge- nommen in dem roten (also eisenreichen), kieselsäurehaltigen tief- sründigen Boden, in welchem er in Amerika fast ausschließlich kulti- viert wird. Die Bedeutung der amerikanischen Reben für den europäischen Weinbau wird in erster Linie bestimmt durch den Grad der Wider- standsfähigkeit gegen dic Phylloxera und die vielen kryptogamischen Schädlinge. Wir haben in der Einleitung darauf hingewiesen, dass die Wehr- losigkeit der Vitis vinifera auf den Mangel einer langen Wechsel- beziehung zwischen Schmarotzer und Nährpflanze zurückzuführen sei. Für diese Auffassung sprechen nun in der That auch die Beobach- tungen an den amerikanischen Reben selbst. Kalifornien wird durch die topographischen Verhältnisse von den übrigen Staaten der Union gewissermaßen isoliert. Bedeutende Ge- birge bilden die Barriere, welehe den natürlichen Wanderungen der Pflanzen — und zum Teil auch Tierwelt halt gebieten. So ist denn auch thatsächlich die Flora Kaliforniens in vielen Beziehungen von der unter analogen physikalischen Lebensbedingungen stehenden Flora der atlantischen Staaten der Union verschieden. Ueberraschend drückt sich diese Verschiedenheit auch im Charakter der vielgestaltigen Vitös californica aus. Der Peronospora gegenüber, die in Kalifornien noch nicht ihr Unwesen treibt, dort also auch nicht als endemische Pflanze lebt, ist die V. californica französischer Kulturen sehr empfindlich. Aehnlich war auch die Phylloxera Kalifornien ursprünglich fremd. Seit etwa drei Decennien haust sie im nördlichen Kalifornien. Zahlreiche Phylloxeren sah Viala am Wurzelwerke der kalifornischen Rebe erhebliche Veränderungen hervorrufen. Wenn sie nun auch allem Anscheine nach weniger schnell dem gefährlichen Rebenfeinde erliegt als ihre europäische Verwandte, die V. vinifera, so liegen doch eine Reihe unzweideutiger Beweise dafür vor, dass sie durch die Phylloxera vernichtet werden kann „selbst im guten Boden“. „M. C. m’a cite, schreibt Viala, le cas d’un pied sauvage de V. californica que l’on a trouve motrant aux environs de Napa; son trone avait 14 cm de diametre et son äge a et& evalue & 60 ans; toutes les racines &taient visiblement detruites par le phylloxera car on a constate sur elles des insectes et des nodosites“. Alle übrigen Arten sind widerstandsfähig. Bei einzelnen wie z. B. der V. rotundifolia erscheint die Widerstandsfähigkeit bis zur völligen Immunität gesteigert. 102 Keller, Amerikanische Reben. Das Verhalten der Vitis Labrusca zur Phylloxera gewinnt in doppelter Hinsicht Interesse, aus praktischen Gründen, weil sie nament- lich, rein oder in Kombination besondern Eingang in die europäischen Weinberge gefunden, in theoretischer Hinsicht, weil sie uns lehrt, dass dies Widerstandsfähigkeit bei ungünstigen Ernährungsverhält- nissen geschwächt wird. In dem tiefgründigen fruchtbaren Boden, in welchem sie im spon- tanen Zustande ganz besonders üppig gedeiht, ist ihr Wurzelwerk oft reichlich mit Wurzelläusen befallen. Man kann auch zahlreiche Nodositäten an ihm wahrnehmen. Trotzdem ist die Entwicklung der Rebe, die allerdings ein sehr kräftiges Wurzelwerk besitzt, in keiner sichtbaren Weise beeinträchtigt. In anderem Boden, z. B. mergeligem stirbt die V. Labrusca unter der Einwirkung der Phylloxera ab. Es verlohnt sich wohl einen Augenblick bei der Frage zu ver- weilen, welche konstitutionelle Eigentümlichkeiten die züchtende Aus- lese des Kampfes ums Dasein erzielte, welches die Ursache der Wider- standsfähigkeit der amerikanischen Reben ist. Am nächsten liegt es, daran zu denken, dass diese von größerer Vegetationskraft sind als die vielen Sorten der europäischen Reben, dass es ihnen möglich ist, durch Neubildung je wieder an Wurzeln das zu ersetzen, was ihnen durch die Thätigkeit der Phylloxera zerstört wurde. Nach Fo&x spielen sich in der von der Phylloxera befallenen Wurzelfaser folgende Vorgänge ab. Durch den Stich wird in den getroffenen Geweben eine Zufuhr stiekstoffhaltiger Stoffe veranlasst, die gegen die getroffenen Stellen hin mehr und mehr zunimmt. Ferner wird eine Umwandlung allfällig vorhandener Stärke in Glykose be- wirkt, Umstände die auf die Einwirkung einer Säure schließen lassen. Diese Erscheinungen verursachen eine durch lebhafte Vermehrung der Zellen bewirkte Hypertrophie. Hierdurch werden Volumenzunahmen be- wirkt. Hört infolge eines Druckes, der von benachbarten Gewebe- teilen ausgeübt wird, die Entwicklung der Anschwellung auf, dann vollziehen sich in ihr gewisse chemische Zersetzungen. Es entsteht nitrierte Glykose wahrscheinlich wegen einer Sättigung der Zellen, welche fortfahren zu absorbieren, ohne dass eine Resorption statthätte. Je nach den Umständen ist die Wirkung dieser Verletzung ver- schieden. Fehlt jungen Wurzeln ein ausgebildeter Holzteil, dann wird die Anschwellung besonders stark, und infolge der später sich vollziehenden Zersetzungen stirbt die ganze Wurzel ab. Hat sich die Differenzierung vollzogen, dann hängt die Größe des Volumens der Anschwellung von der Dicke und Dichte des Rindengewebes ab. Während bei amerikanischen Reben nur das Rindengewebe unter der Wirkung des Stiches leidet, werden bei V. vinifera verschiedene Gewebe, namentlich auch die Markstrahlen von der Zersetzung be- troffen. Dies bewirkt aber auch weitgehende Veränderung im Fibro- vasalsystem, dessen anatomische Elemente von Zersetzungsstoffen Keller, Amerikanische Reben. 105 durchdrungen werden. Die Folge ist, dass auch diese ältere, histo- logisch differenzierte Wurzel schließlich abstirbt. Bei den amerika- nischen Reben ist in diesem Falle die Zersetzung eine rein ober- flächliche, leicht vernarbende. Prüfen wir ferner das Verhalten der amerikanischen Reben gegen die durch gewisse parasitisch lebende Pilze verursachten Krankheiten, sowie diese selbst. Eine Reihe der parasitären Krankheiten der amerikanischen Wild- linge und Kulturreben hat in den europäischen Rebengebieten seit kürzerer oder längerer Zeit ihren Einzug gehalten, so dass ihr Wesen als bekannt vorausgesetzt werden darf. Ich denke hierbei besonders an das Oidium und die Peronospora viticola. Jenes ist allerdings in den nördlicheren Gebieten europäischer Weinkultur kaum gefährlich aufgetreten, um so schädigender in den südlichen. Der falsche Mehltau dagegen hat überall bedeutenden Schaden angerichtet, so dass in vielen Weinländern die methodische Bekämpfung des Pilzes ebenso staatlich organisiert wurde wie der Kampf gegen die Reblaus. Wenig bekannt ist in weitern Kreisen die Natur des Blackrot (Laestadia Ridwellii P. Viala et L.Ravaz), der gefährlichsten Krank- heit der amerikanischen Reben, die vor 4—5 Jahren in Frankreich (Dep. Herault) auch konstatiert wurde. Eine gedrängte Zusammen- fassung des Lebenszyklus der Laestadia mag an dieser Stelle um so eher Platz finden, als nach Analogie der Phylloxera und der Perono- spora za urteilen, wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit ist, wann auch unsere nördlicheren Weinberge unter dem Einflusse dieses amerikanischen Importes zu leiden haben. Dasselbe gilt vom Rotblane, von dem zur Stunde in Europa nicht nachgewiesenen Bitterrot. Der Blackrot findet sich auf allen Reben, den Wildlingen wie den Kulturreben vom Felsengebirge bis zum atlantischen Ozean. Kalifornien ist zur Zeit noch von dieser Geißel frei. Ebenso fehlt der Pilz in dem regenarmen Neu-Mexiko und Arizona. In welchem Grade der Schädling thätig ist, mögen nachfolgende Angaben zeigen. In Rebengebieten von Tennessee, in welchen im Jahre 1885 pro Hektare 4 Hektoliter Wein gewonnen wurden, belief sich der Ertrag zwei Jahre später, nachdem die Trauben vom Blackrot befallen waren, in den gleichen Pflanzungen pro Hektare auf 4 Liter. Unter den Wildlingen sind durch annähernde Immunität gegen den Blackrot ausgezeichnet Vitis rupestris, V. Berlandieri, V. cinerea, V. Linsecomi, V. monticola und V. candicans. Selten zeigen ihre Blätter Spuren der Krankheit, an den Früchten wurden auch diese nicht beobachtet. Ebenso werden gewöhnlich die Früchte der Vitis Riparia, V. novo-mexicana, V. cordifolia und V. rotundifolia nicht befallen. Große Hitze und Feuchtigkeit während des Sommers fördern dessen Entwicklung in hohem Maße. In den Gebieten mit trockenem 104 Keller, Amerikanische Reben, Sommer, wenn schon er heiß ist, macht die Krankheit nur sehr ge- ringe Fortschritte und der Pilz scheint dann recht harmloser Natur zu sein. Die Infektion zeigt sich immer, wie Viala nachgewiesen hat, zuerst an den Blättern, 3—4 Wochen darauf an den Trauben. Die Blätter sind alsdann schon stark geschädigt. Der Beginn der Blatt- krankheit ist natürlich nach Feuchtigkeit und Wärme verschieden, stets aber frühzeitig (Ende Mai oder Anfang Juni) und früher als die ersten Spuren des Mehltaus. Viala konstatierte im Krankheitsverlaufe der befallenen Reben zwei Perioden. Die erste ist verhältnismäßig gutartig. Sie fällt zusammen mit der Blütezeit der V. aestivalis und mit dem Abblühen der V. la- brusca. In dieser Zeit ist höchstens ein Drittel der Ernte vernichtet. Dann tritt ein vorübergehender Stillstand ein. Ende Juli oder Anfang August, nachdem die Traubenbeeren bereits vollkommener geworden sind, beginnt die Entwicklung des Blackrot von neuem und mit solcher Intensität, dass innerhalb weniger Tage die ganze Ernte vernichtet sein kann. Die Beeren erhalten anfänglich bleiche, später sich schwarzblau färbende Flecken, die sich schnell über die ganze Beere verbreiten. Das Fleisch verändert sich in eigentümlicher Weise. Die Traube vertrocknet und man sieht nun auf der Oberfläche in sehr großer Zahl kleine schwarze Pusteln auftreten. Die eingetrockneten Beeren fallen ab. Die Krankheit wird, wie bereits erwähnt, durch einen Pilz ver- ursacht, den die Wissenschaft mit 18 verschiedenen Speeiesnamen beehrt hat. Phoma wvicola Berkley et Curtis ist vielleicht die gebräuchlicehste Benennung, Laestadia Bidwellii P. VialaetL. Ravaz die wissenschaftlichere. Die farblosen Hyphen des Myceliums durchziehen das Blatt- und Fruchtgewebe, ernähren sich auf kosten des Zellinhaltes desselben. Wenn an der Frucht Veränderungen sich geltend machen, beobachtet man an verschiedenen Stellen des Myceliums knäuelförmige Gebilde, aus denen sich zweierlei Sporenbehälter entwickeln. Pyenidien, welche die Stylosporen erzeugen, und Spermogonien in denen die langen, stäbehenförmigen Spermatien entstehen. Daneben sind auch Sklerotien beobachtet worden, welche etwa die Größe von 2—5 Pusteln haben. Ihr Inhalt ist ein weißliches dichtes Gewebe. In künstlichen Kulturen geben aus ihnen Konidienträger hervor. Die Pyenidien sind für die Vermehrung des Pilzes von besonderer Bedeutung. Fast gleichzeitig mit den früh sich entwiekelnden Spermo- gonien erscheinend, vermögen sie den Winter zu überdauern. Sie dienen recht eigentlich zur Erhaltung der Art von Vegetationsperiode zu Vegetationsperiode. Aus den Pyenidien treten die Stylosporen in Form eines verwickelten Fadens aus, in soleher Zahl, dass bei feuchter Keller, Amerikanische Reben. 105 Witterung die Beeren mit ihnen völlig übersäht sind. Im Wasser trennen sich die durch eine ölige Masse miteinander zum Faden verklebten Sporen von einander. Es setzt also die Zerstreuung der Sporen die Lösung der Bindesubstanz voraus, die allerdings nicht nur in Wassertropfen möglich ist, sondern auch in einer feuchten Atmosphäre. Die Bindesubstanz quillt in ihr auf und die Sporen keimen an ihrer Oberfläche. Bei trockenem Wetter zerstäubt der Faden. Jedes Stäubehen enthält mehrere Stylosporen. Die Keim- fähigkeit erhält sich während mehrerer Wochen. Die Entdeckung der Perithecien hat die systematische Stellung des Pilzes aufgeklärt. Ende Mai und Anfangs Juni zeigen sie ihre volle Entwicklung. Während der kurzen Zeit ihrer Lebensdauer (1'/;—2 Monate) entwickeln sie sich in außerordentlichem Maße. In einem Peritheeium entstehen 40—120 Asei, die ungefähr keulenförmig sind. Jeder Schlauch schließt normal 8 farblose, länglich eiförmige Sporen ein. Paraphysen fehlen. Gegen den Blaekrot werden die gleichen Kupferpräparate mit Erfolg angewandt, welche sich gegen die Ausbreitung des falschen Mehltaues so wirksam erwiesen haben. Ueber den Bitterrot (Graneria fuliginea Viala) können wir uns kürzer fassen, da er in Deutschlands Weinbergen wohl kaum je als gefährlicher Krankheitserreger auftreten wird. Er ist in den be- sonders warmen und feuchten Weindistrikten Nord-Amerikas zu Hause. Er befällt hauptsächlich die Axenteile des Blütenstandes, die Blütenstiele und die Beeren. Die befallenen Teile, anfänglich braun gefärbt, sind später grau und mit Pusteln besetzt. Die veränderten Stellen der Kämme hindern die Säftezirkulation, ein Teil der Frucht vertrocknet und fällt ab. Die gleiche Erscheinung beobachten wir an den vom Pilze infizierten Beeren. In erheblichem Maße pflegt er die Ernte namentlich in Nordkarolina zu beeinträchtigen. Bezüglich der Zeit seines Auftretens wird angegeben, dass sein Erscheinen mit dem letzten Reifestadium der Beeren zusammenfällt. Er zeigt sich erst an den bereits gefärbten Beeren. Nachdem wir uns im Vorangehenden einigermaßen mit der Natur der amerikanischen Reben vertraut gemacht haben, soll im Nach- folgenden dargethan werden, welche eminente praktische Bedeutung ihre guten Eigenschaften, also vor allem ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Phylloxera und zum Teil gegen die Pilzkrankheiten, zunächst in Frankreich gewonnen haben. Wir befassen uns also mit einer Darlegung der Bedeutung der amerikanischen Reben für den europäischen Weinbau. Schon vor vielen Jahren wurden amerikanische Reben in euro- päischen Rebschulen gepflanzt, kaum in der Absicht, durch sie die in so vielen Beziehungen bessere Vitis vinifera zu verdrängen, sondern mehr nur aus Liebhaberei oder der Kuriosität wegen. Als man aber 106 Keller, Amerikanische Reben. vor mehr als 3!/, Decennien in Frankreich die Entdeckung machte, dass sie dem für die Weingebiete des-südlichen Europa sehr gefähr- lichen Oidium widerstanden, wurden zum ersten Male Anpflanzungen amerikanischer Rebsorten in größerem Maßstabe angelegt. Die Qua- lität ihres Produktes konnte ihnen allerdings nicht sonderlich viele Freude gewinnen. Wir dürfen nicht überrascht sein zu sehen, dass meisten Ortes diese Anpflanzungen wieder verschwanden, nachdem man in den Schwefelblumen ein die Entwicklung des Oidiums hin- derndes Mittel erkannt hatte. Für den landwirtschaftlichen Betrieb mussten die amerikanischen Reben gleichsam erst wieder entdeckt werden. So war wahrschein- lich der französische Rebenbesitzer Laliman von Bordeaux der erste, welcher auf dem Kongress zu Beaume (1868) die Aufmerksam- keit wieder auf sie lenkte und sie zur Wiederherstellung der durch die Phylloxera-Invasion so hart mitgenommenen französischen Wein- gelände empfahl. Und hunderte griffen im Laufe der Zeit nach vielen vergeblichen Versuchen, der Phylloxera Herr zu werden, nach diesem Rettungsanker, dem letzten, der sich ihren Blicken zeigte. Vertrauens- voll klammerten sie sich an ihn, um allerdings erst nach einer Zeit bitterster Enttäuschung zum sehnlichst erstrebten sichern Bord zu gelangen. Staat und Private förderten die Anpflanzung der amerika- nischen Reben in außerordentliehem Maße. Galt es doch, durch sie den nationalen Wohlstand Frankreichs, dem durch die Phylloxera-Ver- heerungen tiefere Wunden geschlagen wurden als durch die voran- gegangenen Kriegserreignisse, zu erhalten, zu gedeihlicherer Entwick- lung zu bringen. Von welchem Erfolge diese Bestrebungen begleitet waren, lehrt uns die nachfolgende statistische Tabelle, die uns ein Bild von der Neupflanzung in dem von der Phylloxera besonders stark infizierten Departement H£rault gibt. | | | Amerikan. Reben Noch nicht zerstörte Weinertrag Hektaren. | franz. Reben, ' in Hektolitern., 1878 500 Hektare 1879 ı 900 a 1880 2624 - 1881 5160 . 1882 OR IA 1883 1TESH RAR 1854 29689 - 1885 44654 = 25028 2148130 1886 61799 & | 23341 | 2995126 1887 76971 22012 | 3746989 ” Es besteht somit in diesem Departement der Rebenbestand zu °], aus amerikanischen Reben. Keller, Amerikanische Reben. 107 In ganz Frankreich waren Ende 1887 bereits 166517 Hektaren mit amerikanischen Reben bepflanzt, d. i. nahe zu !/;, des ganzen französischen Rebenareals, das zu der genannten Zeit 1944 150 Hek- taren umfasste. Von 60 Departements haben 38 mit der Kultur der amerikanischen Reben begonnen. Weniger als 100 Hektaren haben 10 Dep. bepflanzt. Zwischen 100-1000 Hektaren 11, zwischen 1000 bis 5000 H. 11 Dep., zwischen 5—10000 H. 1 Dep.; zwischen 10 bis 20000 H. 3 Dep., darüber 2 Dep. Wir würden nun allerdings sehr fehl gehen, wenn wir glauben wollten, dass diese amerikanischen Neupflanzungen durehgehends den sichern Erfolg gleichsam an der Stirne getragen hätten. Vielfach kehren in den Berichten an das franz. Ackerbauministerium Klagen über misslungene Versuche wieder und viele Aufsichtskommissionen schildern in beredten Worten die Missstimmung, welche die Ent- täuschungen erzeugten. Die Ursache des Fehlschlagens vieler Neuanpflanzungen ist in erster Linie zurückzuführen auf die Unkenntnis oder Missachtung der Anpassungsfähigkeit der amerikanischen Reben an die verschiedenen Bodenverhältnisse. Ohne große Wahl wurde jede amerikanische Rebe, die die Händler anboten, wenn sie nur widerstandsfähig gegen die Reblaus war, sei es als direkter Produzent, sei es als Unterlage europäischer Pfropfreiser gepflanzt, gerade wie ehedem neue Sorten der Vitis vinifera ohne besondere Wahl des Bodens gepflanzt wurden. Nun ist es aber eine Eigentümlichkeit der europäischen Weinrebe, dass sie von der physikalisch-chemischen Zusammensetzung des Bodens sehr wenig beeinflusst wird. Im kalkreichen Boden trägt sie ihre Früchte nicht minder als im kalkarmen; kieselsäurereicher gestattet ihr das Leben wie kieselsäurearmer. Ganz anders die amerikanischen Reben. Sie sind einseitiger. Sie verlangen eine ganz bestimmte Bodenbeschaffenheit. Verpflanzt man sie in einen ihnen nicht zusagenden Boden, dann beginnen sie bald zu kränkeln und ihre Unfähigkeit verschiedenen Bodenverhält- nissen sich anzupassen führt sie ebenso rasch dem sichern Untergang entgegen, wie die Widerstandsunfähigkeit gegen die Reblaus die europäischen Reben dem Tode weiht. Die amerikanischen Reben sind, wie unsere frühern Angaben über die Bodenzusammensetzungen darthun, in ihrer Mehrheit kieselsäurehold. So kann es uns denn nicht überraschen, in einer Reihe von Berichten der Zentralkommissionen zu lesen, dass die Neuanpflanzungen in kalkreichem Boden nach kurzer Zeit abstehen. Heute ist die Frage der Adaption der amerikanischen Reben als gelöst zu betrachten dank der gemeinsamen Arbeit hervorragender Praktiker und Theoretiker. Wir können nach dem Vorgange von Sahut und de Lamotte zehn Terrainmodifikationen aufstellen. Nr. 10 bedeutet den Boden, in 108 Keller, Amerikanische Reben. welchen alle amerikanischen Reben vorzüglich wachsen, einen Boden, dem folgende Eigenschaften zukommen: Er ist sehr reich an Kiesel- erde, infolge eines erheblichen Gehaltes an Eisenoxyd ist er rot ge- färbt; er ist verhältnismäßig locker, gut durchlässig und tiefgründig. Die verschiedenen Nummern bedeuten die allmähliche Annäherung an einen Boden (Nr. 1), der sehr arm an Kieselsäure ist, infolge des mangelnden Eisenoxydes weiß gefärbt ist; er ist sehr dicht, wenig durchlässig und nicht tiefgründig. Jeder Terrainmodifikation sind je bestimmte Sorten amerikanischer Reben vollkommen angepasst. Nr. 10 ist der allen amerikanischen Sorten gut zusagende Boden. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. 2 Auch empfindlichere Sorten, wie Cynthiana, gedeihen in ihm gut. Kieselerde mit Lehm vermischt; sonst wie 10. — Concord und Clinton (Hybride zwischen V. Riparia u. V. labrusca) gedeihen hier besonders gut. Lehm etwas reichlicher als in Nr. 9; dazu kommt etwas Kalk. Eisenoxyd in geringern Mengen. — Cynthiana ge- deiht hier nieht mehr; die sub 9 erwähnten kommen noch ziemlich gut fort, Riparia und Vialla sehr gut. . Kiesig-lehmiger Boden. Lehm überwiegt; etwas Kalk vor- handen. Durchlässigkeit vermindert. — Die sub 9 ge- nannten Sorten gedeihen hier nieht mehr; die sub 8 ge- nannten noch gut; Solonis und Rupestris vorzüglich. . Kieselerde in geringer Menge; Lehm überwiegt sehr; Kalk- gehalt größer. — Riparia, Solonis und Rupestris gedeihen darin ziemlich gut, Herbemont und Cunningham vorzüglich. Der Kalkgehalt nimmt zu; Eisenoxyd nicht mehr so viel. — Die vorgenannten gedeihen auch hier; besser aber Dlack- July, Elvira und Noah. . Kalkgehalt ziemlich bedeutend, Lehm und Kieselsäure in geringen Mengen; ebenso Eisenoxyd; Durchlässigkeit und Tiefgründigkeit mittelmäßig. — Die vorgenannten gedeihen zur Not. Sehr wohl befinden sich in diesem Boden Yorks Madeira, Taylor, Cinerarea und Cordifolia. Kalkgehalt überwiegend, zum Teil mit Beimengungen von Lehm und Kieselerde; Eisenoxydgehalt gering, selbst feh- lend. Durchlässigkeit und Tiefgründigkeit unbedeutend. — Für vorige Sorten nur noch wenig genügend, wohl aber noch gut für V. Berlandieri, V. monticola, V. candicans, Jaquez und Othello. für amerikanische Reben wenig geeignet (nach Sahut). Viala’s neuere Untersuchungen ergeben, dass Berlandieri und Candicans auch in diesem Boden noch gedeihen. Nr. 1 für alle amerikanischen Reben ungeeignet. Zu dieser schwierigen Frage der Bodenanpassung, welche erst durch viele kostspielige Versuche ihre befriedigende Lösung fand, Keller, Amerikanische Reben. 109 gesellte sich eine zweite kaum weniger schwierige: die Anpassung der Pfropfreiser an die Unterlage, die Anpassungsfähigkeit der europäischen Rebe an die amerikanische. Als man in Frankreich mit der Wiederherstellung der durch die Phylloxera vernichteten Weinberge begann, waltete die Absicht die europäische, nicht widerstandsfähige Vitis vinifera kurzer Hand durch die amerikanischen Kultursorten zu vertreten. Diesem Bestreben stand aber eine Schwierigkeit entgegen. Wir haben früher darauf hingewiesen, dass der Geschmack des amerikanischen Weines dem Europäer, der an das Produkt der Vitis vinifera gewöhnt ist, gar nicht zusagt, ja dass er ihn oftmals geradezu abscheulich findet. Fo&äx weist darauf hin, dass wenn auch viele amerikanischen Weine nichts weniger als gutmundende sind, das ungünstige Urteil in seiner Allgemeinheit nicht zutreffend ist. Die trefflichen Qualitäten, welche den guten Ruf der französischen Weine geschaffen haben, können allerdings mit der amerikanischen Rebe nicht erzeugt werden. Indess fehlen jene Sorten nicht, die einem guten französischen Tischweine gleichkommen. Mit diesem Urteil stimmt, wie zahlreiche Mitteilungen in der önologischen Zeitschrift „Vigne americaine“ lehren, das Urteil zahlreicher hervorragender Weinproduzenten überein. Man nennt vorab den Black July, welcher einen sehr feinen Wein gibt, leider aber nicht sehr produktiv ist. Nach Millardet ist er ein Hybride zwischen V. aestivalis, V.cinerea und V. vinifera. Doch wie sollte nicht auch in dieser Frage, die im Sprichwort ausgedrückte alte Erfahrung sich wieder neu bestätigen. Herlemont, eine Rebe die in verschiedenen Gebieten der Union, namentlich auch in Texas in ausgedehnterem Maße kultiviert wird, produziert nach Fo@x ebenfalls einen „sehr feinen“ Wein, während Viala in demselben keine be- merkenswerte Qualität sieht im Vergleiche zu den europäischen Reben. In die gleiche Kategorie der direkten Produzenten gehören andere Blendlinge zwischen europäischen und amerikanischen Reben, vor allem auch die amerikanischen Rebensorten Jaguez und Othello. Darüber aber besteht doch kein Zweifel, dass das Produkt dieser Sorten, welches im Hinblick auf den Charakter der amerikanisehen Weine rühmliche Epitheta beanspruchen darf, weit hinter den Weinen zurück- steht, die Frankreich vor der Phylloxera-Invasion in so bedeutenden Mengen produzierte. Diese Erkenntnis genügte, um wenigstens vieler- orts den Enthusiasmus für die amerikanischen Reben herabzusetzen. In Süd-Frankreich kam man bald wieder von den amerikanischen Reben als direkten Weinproduzenten ab; man wollte eben nicht nur Wein, sondern Wein vom alten Rufe produzieren. Die amerika- nische Rebe wurde zur Trägerin der europäischen ge- macht. Man schuf Sorten, in welchen der vegetative Teil der Pflanze die vorzüglichen Eigenschaften der amerikanischen Rebe zeigte, der generative, die Trauben, jene der europäischen Rebe. 110 Carricre, Drüsen der Insektenembryonen. Es würde uns zu weit führen, die vielfach irreleitenden Wege der mannigfachen Pfropfversuche auch nur iw wesentlichen anzu- deuten. Es genügt mir darauf hinzuweisen, dass wo heute in Frank- reich in größerer Ausdehnung amerikanische Reben angepflanzt werden, kaum mehr die direkten Produzenten in Frage kommen. Dass wirklich nicht nur in den Augen der Franzosen der lange von vielen Misserfolgen begleitete Kampf gegen die Phylloxera heute einem erfolgreichen Ende entgegengeht, scheint uns der Bericht an das Agrikulturdepartement des Kantons Neuenburg zu beweisen. „C'est la marche progressive, heißt es in dem Berichte, a pas de geant, de la reconstitution des vignes francaises par les plants americains portegreffes, supplantant toute autre lutte contre le phyllo- xera“. In Beaujolais, in Midi Lyonnais ist die Zeit des bloßen Herum- tappens vorüber. Ueberali, wo die Phylloxera die Weinberge ver- wüstet hat, wird heute an deren Wiederherstellung im größten Maß- stabe und mit größtem Erfolg gearbeitet. — So ist kaum mehr zu zweifeln, dass Amerika, von welchem aus der Todteind der europäischen Rebe in so erschreckender Weise über alle europäischen Weingebiete sich verbreitete, überall des energischen Kampfes, welcher mit Insektieiden gegen ihn geführt wurde, spot- tend, da und dort im Marsche wohl aufgehalten, aber nirgends dauernd zurückgedrängt, dass das gleiche Amerika uns auch wieder in seinen Reben den sichern Schutz gegen die verheerende Thätigkeit der Reb- laus bietet. Die bangen Gefühle, mit denen in stark phylloxerierten Weingegenden die Weinbauern jedem neuen Jahre entgegensehen mussten, das ihnen ja nur zum alten Schaden neue Wertverminder- ungen ihrer Kulturen bringen konnte, beginnen frohen Hoffnungen, die keine trügerischen mehr sind, zu weichen. Gutes Mutes können wir in die Zukunft schauen. Die Waffe, welche Frankreich im Kampfe wieder die Reblaus führt, sichert den Sieg. Dr. Rob. Keller (Winterthur). Die Drüsen am ersten Hinterleibsringe der Insektenembryonen. Von J. Carriere. Folgender Darstellung hätte ich auch den Titel geben können: „Die sogenannten rudimentären Abdominalbeine der In- sekten und die Beziehungen zwischen Myriapoden und Insekten“, aber der gewählte musste nicht nur als der kürzere, sondern auch, wie sich ergeben wird, sachgemäßere den Vorzug er- halten. — Es ist seit längerer Zeit bekannt, dass sich bei einer An- zahl von Insekten während des Embryonallebens auf dem ersten Hinterleibsringe mehr oder weniger zapfenförmige Fortsätze erheben, und zwar in vielen Fällen in gleicher Linie und Riehtung mit den Anlagen der Brustfüße auf den drei vorhergehenden Ringen. Ebenso Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. At finden sich bei ungeflügelten Insekten an der Bauchseite vieler Hinter- leibsringe Stacheln und kleine Säckehen, ja bei der Gattung Campodea auf dem ersten Hinterleibsringe ein Paar zweigliedriger Anhänge. Bei dem heutigen Stande unserer theoretischen Kenntnisse vom Ursprunge der Insekten gilt wohl die Hypothese als maßgebend, welche die Insekten in direkte Beziehung zu den Myriapoden bringt. Dabei sieht man natürlich die ungeflügelten Insektenformen als Vor- fahren der geflügelten an, um durch sie auf die Myriapoden zu kom- men, was nicht so schwierig scheint. — Ueber die Herkunft der Myriapoden selbst wissen wir bis jetzt nichts. Da einige der ältesten fossilen (earbonischen) Formen, die Euphoberiden, wie man an- nimmt amphibische Lebensweise führten und intersegmentale Doppel- paare von starken Chitinringen, bedeutend kleiner als die Stigmen und an der Innenseite der Beine auf der Bauchseite gelegen als Reste von Kiemen beziehungsweise als Kiemenöffnungen gedeutet werden, leitet man sie von Wasserbewohnern ab. Nun sind zwei, an den felsigen Küsten Europas weitverbreitete Tausendfüßler bekannt, zu der Gruppe der Geophiliden gehörig, Geophilus (Schendyla) submarinus und Geophilus (Scolioplanes) maritimus und in ihrem Körperbau nicht von ihren landbewohnenden Vettern verschieden, welche mit echten Meereswürmern zusammen die Flutzone bewohnen, so dass sie wäh- rend jeder Flut unter Wasser sind. Felix Plateau!) hat diese und analoge Fälle zusammengestellt und durch Versuche über die Fähigkeit echter Landinsekten, unter Wasser längere Zeit lebendig zu bleiben, ergänzt. Daraus geht hervor, dass eine ganze Menge luftatmender Insekten besonders aus den Familien der Käfer (Carabiden, Staphyliniden u. a. m.), der Wanzen (Aöpophilus) und der Thysanuren an den Ufern süßer Gewässer und den Meeresküsten sich daran gewöhnt haben, zum Er- werb ihrer Nahrung (Carabus clathratus z. B. jagt uuter Wasser auf die Larven von Libelluliden und andere wasserlebende Insektenlarven) freiwillig gelegentlich unter Wasser zu gehen oder passiv regelmäßige Ueberschwemmungen durch die Flut zu ertragen, ohne sich durch Veränderungen ihres Körperbaues an ein Leben im Wasser anzu- passen. Es beruht das auf der zuletzt und am eingehendsten durch Plateau nachgewiesenen Widerstandsfähigkeit echter Landinsekten gegen das Ersticken. Ein in unseren Gärten häufiger Tausendfüßler, Geophilus longi- cornis, kann bei der Temperatur von März und April (in Gent) mehrere Tage ohne Nachteil unter Süßwasser zubringen, nur auf Berührung 1) Felix Plateau, Les Myriopodes marins et la resistance des Arthro- podes a respiration a6rienne a la submersion. Journal de ’ Anatomie et de la Physiologie par Robin-Pouchet. Paris. T.XXVI. p. 236—69. — Ich kann an dieser Stelle nur einen ganz kurzen Auszug geben und muss für das übrige auf die interessante Abhandlung selbst verweisen, 413 Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. hin sich bewegend; ja, die Tiere reagierten darauf noch nach sechs, einzelne nach vierzehn Tagen, ehe der Tod eintrat. Unter Seewasser blieben sie ohne Nachteil im September und Oktober ununterbrochen 24—25, im Juli bis zu 12 Stunden lebend; wenn danach das Seewasser dem Süßwasser gegenüber eine geradezu giftige Wirkung zeigt, so bleibt doch selbst im Hochsommer eine Versenkung darin auf die doppelte Zeitdauer einer Flut ohne Nachteil für das Tier. Landkäfer verfallen unter Wasser rasch in tiefe Betäubung, aus der sie, recht- zeitig zum Trocknen auf Fließpapier gebracht, ohne Nachteil, wenn auch nach dem Grade der Betäubung erst nach vielen Stunden, er- wachen. Auch hier ist die Dauer der Lebensfähigkeit, das heißt die äußerste Zeit, nach welcher die Tiere wieder zum Leben erwachten, eine ganz auffallend große; bei Anchomenus angusticollis z. B. be- trägt sie 38, bei Carabus auratus T1'/,, bei Agelastica alni 72, bei Geotropes stercararius und Hylobius abietis 96 Stunden. Die an das Wasserleben angepassten und deshalb unter Wasser abgesperrt sich lebhaft bewegenden Schwimmkäfer ersticken viel früher, Gyrinus natator nach 3, Dytiscus marginalis nach 65!/, Stunden. Es kann danach nicht mehr auffallen, dass eine ganze Anzahl von durch Stigmen luftatmenden Strandinsekten ohne sichtbare Aende- rung ihrer Organisation sich daran gewöhnt haben, in Felsenritzen oder dem Sand und Schlamm unter Steinen die verhältnismäßig kurze Zeit einer Flut regelmäßig zu überstehen und so mindestens ihr halbes Leben unter Wasser zuzubringen. Diese amphibische Lebensweise ist dann keine zeitweilige, sondern eine dauernde; die Tiere müssen ihr ganzes Leben, auch ihre Entwicklung unter den gleichen Be- dingungen verbringen. Von einem Käfer, Aöpus Robinii, der unter Steinen in Gesellschaft von Meeresschnecken (Rissa) lebt, ist das durch das Auffinden seiner Larve am gleichen Orte nachgewiesen, für die anderen marinen Insekten und Myriapoden aus verschiedenen Gründen zweifellos; aber manche interessante Frage, namentlich inbezug auf die Fortpflanzung und Entwicklung, harrt da noch ihrer Lösung. Zwischen den nur bei Ebbe an die Luft kommenden Tieren und ihren trocken lebenden Vettern ist eine Reihe von Zwischenstufen eingeschaltet, deren Glieder, höher den Strand hinauf lebend sich nur ganz kurze Zeit oder nur bei Hochfluten (wie ein anderer Geophilide, Scolioplanes acuminatus) unter Wasser befinden. Wenn nun ein amphi- bisches Leben unveränderter Landtracheaten sich als durchaus keine Seltenheit und sicher als eine sekundäre Erscheinung erweist, dürfen wir jetzt nicht mehr aus dem mutmaßlich amphibischen Leben einer fossilen Myriapodengruppe Beweis oder Stütze für die Annahme eines Ursprunges dieser Tausendfüßler aus Wassertieren herleiten. Die kleinen doppelpaarigen Oeffnungen an der Innenseite der Beine, welche als kiemenartige Organe oder Branchienöffnungen be- zeichnet werden, lassen sich vielleicht ganz direkt auf andere, noch Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. 415 heute bei Myriapoden an der gleichen Stelle befindliche Organe be- ziehen. Eine Anzahl von doppelfüßigen Myriapoden (Juliden u. a.), als deren Ahnen jene carbonischen Euphoberiden betrachtet werden, und Scolopendrella, ein eigentümlicher, kleiner Myriapod mit voll- kommen zurückgebildeten Augen, besitzen an der Bauchseite einwärts von den Beinen kleine Bläschen, welche bei Scolopendrella freiwillig, bei den Diplopoden durch äußeren Druck vorgestülpt werden können, allerdings nur in der Einzahl, während sich bei einer einzigen Insekten- gattung Machilis, auf einer Anzahl von Segmenten entsprechend liegende Doppelbläsehen finden. Die Säckehen jener Diplopoden sind drüsiger Natur, und vertreten anscheinend die nur bei der Gruppe der Chordeu- miden vorhandenen Hüftdrüsen, unter den Chilopoden finden sich nur bei den kurzbeinigen Formen (Lithobius z. B.) eine größere Anzahl von Drüsen an den vier letzten Hüftpaaren, der wohl den Myriapoden zuzuzählende Peripatus trägt an der Unterseite der Beine je 1, 2 oder 3 Schenkeldrüsen, während über die Bedeutung der Säckehen von Seolopendrella und einiger flügelloser Insekten nur Vermutungen be- stehen. Wir sollen in ihnen in feuchter Luft zur Anwendung kom- mende Atmungsorgane, Kiemen sehen, die in Ergänzung eines unvoll- ständigen Tracheensystemes sich sekundär aus weit verbreiteten drüsigen Bildungen entwickelt haben. Aus der Organisation der Tausendfüße lässt sich also kein Beweis dafür anführen, dass die Ventralorgane der Euphoberiden Kiemen und nieht wie heute Drüsen gewesen seien; vor allem aber zeigen die heutigen Nachkommen jener alten Formen, dass dies Myriapoden zu einer amphibischen Lebensweise auch ohne Kiemen vollkommen befähigt sind. — Viel schwieriger als das Auffinden von wirklichen oder schein- baren Beziehungen zwischen Myriapoden und ungeflügelten Insekten möchte aber die Aufgabe sein, von letzteren, die sich hüpfend und kriechend in ihren Gebieten anscheinend ganz wohl befinden, auf die beflügelten zukommen. Umgekehrt die heutigen ungeflügelten Insekten von geflügelten abzuleiten wäre eigentlich viel sinngemäßer und ein- facher; denn für die Rückbildung und den Verlust von Flügeln in einzelnen Fällen haben wir bei den verschiedensten Gruppen zahl- reiche Beispiele. Aber dann verlören wir den direkten Zusammen- hang mit den Myriapoden. Doch sollte man immerhin in Betracht ziehen, dass die Entwicklung von Flügeln bei Tieren, die hauptsäch- lich unter Steinen und Moos leben, eben so unwahrscheinlich ist, wie die von Augen bei in Dunkelheit lebenden. Die kückbildung bezw. das Fehlen der Sehorgane bei Campodea dürfte wenigstens die An- nahme zulassen, dass bei dieser Urform infolge des Aufenthaltsortes auch die Flügel verloren gegangen sein können. Und merkwürdiger Weise haben die ältesten fossilen Inseckten, die wir bis jetzt kennen, 2 Paare wohlausgebildete Flügel. XI. fe) 114 Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. Es lag nun nahe, die Stacheln oder Griffel und die Ventral- säckchen an den Hinterleibsringen ausgewachsener, flügelloser In- sekten ebenso wie die vorübergehenden Anhänge am ersten Hinter- leibsringe vieler Insektenembryone als rudimentäre Myriapodenfüße zu betrachten, durch deren Verlust aus dem gleichmäßig gegliederten Myriapodenkörper der ungleichartig gegliederte Insektenkörper entstand. Wie verhalten sich nun in dieser Beziehung bei genauerer Unter- suchung einerseits die Embryone der geflügelten Insekten, anderseits die Borstenschwänze (Lepismatiden) und die Campodeiden, erstere eine hoch entwickelte, letztere die tiefstehende Form der ungeflügelten Insekten (Apterygota) ? Zunächst letztere Frage ist im Jahre 1889 von E. Haase!) in sehr eingehender Weise trefflich behandelt worden. In den einzieh- baren Ventralsäckchen, welche bei Machilis vom 1.—7., bei Campodea vom 2.—7., bei Japy& nur am 2. und 3. Hinterleibsringe ausgebildet sind, finden sich weder Tracheen noch Gefäße. Sie treten heraus, wenn die Tiere sich in feuchter Luft in Ruhe befinden (und beim Abtöten in Alkohol) und wären somit vielleicht als Hilfsorgane der Atmung, als Blutkiemen zu betrachten, in Ergänzung des zum Teil sehr unvollständigen Tracheensystemes. Ganz ähnliche Säckchen finden sich bei einem kleinen, sehr zarten Myriapoden, Scolopendrella, welcher mit Campodea zusammenlebt, an der Innenseite der meisten Beinpaare und am gleichen Orte bei verschiedenen Species der doppel- füßigen Myriapoden. Bei dieser Gruppe handelt es sich um Drüsen; sie kommt aber bei der Frage nach den Verwandtschaftsbeziehungen zu den Insekten nicht inbetracht; den hierfür wichtigen Chilopoden (nur ein Fußpaar an jedem Segment) fehlen derartige Bildungen. Haase nimmt an, dass die Ventralsäckchen der Thysanuren, Scolopendrellen und Diplopoden Abänderungen weit verbreiteter drü- siger Bildungen seien, nicht primäre Bildungen. Bei Campodea, Machilis und anderen verwandten Formen steht auf der Bauchseite der Hinterleibsringe, vom zweiten angefangen, je ein Paar von starren, beweglich eingelenkten Griffeln oder Borsten, an deren Innenseite eben die Ventralsäckchen liegen. In diesen Griffeln glaubte man rudimentäre Füße und damit den Hinweis auf direkte Beziehung der genannten Tiere zu den Myriapoden sehen zu müssen. Haase zeigte, dass bei Scolopendrella an der Innenseite der Beine, zwischen dem Hüftgliede derselben und dem Ventral- säckchen, je ein solcher Hüftsporn oder Coxalgriffel steht; bei Cam- podea finden sie sich vom 2.—7. Hinterleibsringe ab außerhalb der Linie, in welcher sich die Brustbeine fortsetzen würden, und bei Machilis stehen ganz gleiche, nur unbewegliche Griffel auch auf der Außenseite des zweiten und dritten Beinpaares. Auch noch an 1) Erich Haase, Die Abdominalanhänge der Insekten mit Berücksich- tigung der Myriopoden. Morpholog. Jahrbücher, 1889, Bd. 15. Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. 15 anderen Körperstellen vieler Insekten treffen wir ganz gleichgebaute Borsten oder Griffel und die gleichfalls beweglichen Griffel von Scolopendrella sind nicht an Stelle der Beine, sondern neben den- selben vorhanden). Fassen wir alles zusammen, so dürfen wir weder in den Ventralsäckehen, noch in den Ventralgriffeln der Insekten und Myriapoden Anzeichen oder Beweise dafür sehen, dass an den betreffenden Körperabschnitten früher Beine saßen, von denen diese Bildungen Ueberreste darstellten, noch viel weniger die Griffel direkt als verkümmerte Abdominalfüße betrachten. Denn die Ventralsäckchen liegen bei Scolopendrella nieht in, sondern neben den Hüftgliedern der Beine, und die Ventralgriffel treten gleichfalls unabhängig von den Beinen auf. Will man die Ventralgriffel der Insekten aber als rudimentäre Beine ansprechen, dann muss man folgerichtig die Brust- beine der Insekten nicht den Beinen der Myriapoden homolog setzen, sondern den Ventralgriffeln der Scolopendrella, oder die Beine der Myriapoden den Hüftsporen an den Beinen von Machilis, wie W ood- Mason es ausspricht. Die Griffel stehen bei den Insekten mit Ausnahme der Gattung Japyx vom 2. Hinterleibsringe an, die Säckehen bei Machilis vom ersten, bei Campodea und Japyx vom 2. Hinterleibsringe ab; letztere Gattung besitzt in dem Bauchringe des 1. Hinterleibssegmentes paarige Drüsen, Campodea dagegen hier ein paar zweigliedriger Anhänge. Diese sind die einzigen Bildungen, welche nach Haase als rudimentäre Abdominalfüße betrachtet werden dürfen; ich werde später darauf zurückkommen. Ueber das Vorkommen und den Bau der Anhänge am 1. Hinter- leibsringe bei Embryonen von Insekten hat kürzlich Wheeler?) eine gründliche und umfassende Untersuchung angestellt, bei welcher er alles über diesen Gegenstand bis jetzt veröffentlichte Material sam- melte und durch eigene wichtige Befunde vermehrte. Dabei ergaben sich folgende Hauptpunkte. Außer den beinähnlichen Anhängen, welche entweder fingerförmig, birnförmig, zwiebelförmig, breitlappig oder becherförmig sind, finden sich an der gleichen Körperstelle bei einer Anzahl von Embryonen solide, unter die Körperoberfläche eingesenkte, großzellige Organe, welche festes (fadenförmiges) oder flüssiges Sekret liefern und zweifel- los Drüsen sind. Aber auch die äußeren Anhänge müssen bei ge- 1) Es könnte mancher einen schwerwiegenden Unterschied zwischen den beweglichen Ventralgriffeln und den unbeweglichen Sporen an den Beinen von Machilis u. s. w. sehen zu müssen glauben; ich möchte deshalb hier betonen, dass auch bewegliche Griffel an verschiedenen Stellen des Insektenkörpers häufig vorkommen, wie z. B. an den Hinterleibsbauchplatten der Laufkäfer und den Beinen (Tibia) vieler Käfer. 2) W. M. Wheeler, On the appendages of the first abdominal Segment of Embryo Insects, Transactions of the Wisconsin Academy of Seience, Arts and Letters. Vol. VII. 1890. Qi 116 Uarriere, Drüsen der Insektenembryonen. nauerer Untersuchung als Drüsen bezeichnet werden; denn abgesehen von den becherförmigen Organen, bei welchen die Spitze eingestülpt und der entstandene Hohlraum von Drüsenzellen umgeben ist, er- scheint bei den zwiebel- oder birnförmigen der verdickte Teil aus großen, keilförmigen, nach außen divergierenden Zellen zusammen- gesetzt, welche den feineren Bau von Drüsenzellen zeigen, während bei den mehr abgeplatteten Formen die Zellen der äußeren Seite durch Größe und Struktur sich von denen der inneren Seite des Organes unterscheiden. Ein gemeinsames Kennzeichen aller derartiger Anhänge (mit Ausnahme der becherförmigen) besteht darin, dass der verengte Stiel, mit welchem sie dem Körper ansitzen, hohl, d.h. nicht gleich den Beinanlagen von Mesodermzellen erfüllt ist, sondern nur gelegentlich einzelne Wanderzellen, niemals Nervenfasern, Tracheen oder Muskeln enthält. Es wurde ferner nachgewiesen, dass die später birn- oder zwiebel- förmigen sowie die becherförmigen Organe zunächst als finger- oder zapfenförmige Anhänge auftreten, und erst allmählich ihre spätere Ge- stalt erlangen. Die fingerförmigen Anhänge sind somit ein frühes Entwieklungsstadium der birn-, zwiebel- und becherförmigen und müssen in den Fällen, in welchen sie keine weitere Veränderung er- leiden sollten, als rudimentäre Drüsenanhänge betrachtet werden. Eingesenkte Abdominaldrüsen fand Wheeler bei einer ameri- kanischen Wasserwanze, Zaitha fluminea und der Cicada septendecim, sie sind abgeplattet kugelig und dicht, so dass jede der großen Drüsen- zellen mit ihrem verschmälerten Ende auf der ebenen Körperober- fläche ausmündet, nach innen zu sich stark verbreitert, also die um- gekehrte Gestalt besitzt wie bei den äußerlichen Organen. Wheeler nennt beide Arten von Hinterleibsdrüsen „Pleuropodia“, weil sie alle mehr oder weniger im Laufe ihrer Entwicklung von der Mitte der Bauchfläche weg nach der Seite des Körpers hin, in einzelnen Fällen selbst hoch hinauf an die Pleuren wandern (Oecanthus niveus, Gryllotalpa, Stenobothrus). Er möchte aber den Namen „Adenopodia“ vorschlagen, falls seine Annahme, dass wir es in allen Fällen mit drüsenartigen Organen zu thun haben, sich als richtig erweist. Ich werde statt dieser Bezeichnung mit Rücksicht auf die allein maß- sebende ausgebildete Form der Organe einfach den Ausdruck „Ab- domimaldrüsen“ gebrauchen. Was erfahren wir nun über das Schicksal dieser merkwürdigen Bildungen? Ueber die eingesenkten Drüsen hören wir, dass bei Cicada septendecim in einem jüngeren Stadium an den entsprechenden Stellen Verdiekungen im Ektoderm vorhanden sind, deren große Zellen sich einer etwas vertieften Stelle der Oberfläche zuneigen; dann ist der Zustand höchster Entwicklung bekannt, in welchem dem tief unter das Epithel hinabreichenden kugeligen Organ eine klare Sekret- masse vorgelagert ist, und seine Auflösung gegen Ende der Embryonal- Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. 17 entwicklung. Von Zaitha flumine« wurden die Abdominaldrüsen nur im Zustand höchster Ausbildung mit Sekretfäden, welche einen über die Körperfläche vorragenden dieken und langen Pinsel bilden, be- obachtet. (Geformte Sekrete sind zwar nicht sehr häufig, aber auch nichts Ungewöhnliches bei Gliedertieren und Mollusken.) Was die Anhänge betrifft, so sind die fingerförmigen zum Teil nur aus einem Embryonalstadium bekannt (Mantis n. Wheeler und Graber) oder nicht weiter verfolgt (Neophylax coneinnus nach Patten), lassen also keine weiteren Schlüsse zu, oder müssen, wenn sie (wie bei Sialis infumata n. Wheeler) nur bei einem weitent- wiekelten Embryo beobachtet wurden, den rudimentären Abdominal- drüsen zugezählt werden. Von den birn- und zwiebelförmigen sind eine Anzahl!) von ihrem ersten Auftreten an bekannt, welches in Gestalt fingerförmiger Zäpfehen geschieht; von anderen kennt man nur die entwickelte Form ?). Aus dem Zäpfchen geht durch Vergrößerung der Zellen an der Spitze der zwiebel- oder birnförmige Körper hervor; dieser zerfällt dann bei Blatta germanica, wenn am 25. oder 26. Tage die Chitinbildung vollendet ist, und wird abgeschnürt, das gleiche Schieksal erleidet er bei Aiphidium ensiferum während des Aus- schlüpfens. Bei Melolontha und Gryllotalpa entsteht aus dem knopf- förmigen Organ ein, namentlich bei ersterem unverhältnismäßig großer, flach taschenförmiger Anhang, der bei Melolontha ungefähr die Länge von 4 Segmenten und die Breite von mehr als der halben Bauch- fläche erreicht, dann wieder an Größe abnimmt und zur Zeit des Ausschlüpfens noch ein Schüppchen von der Breite eines Segmentes darstellt. Eine ähnliche Rückbildung und Erhaltung bis zum Ver- lassen des Eies erfolgt bei @ryllotalpa. Die Pleuropodien von Oecanthus niveus sollen später atrophieren, bei Periplaneta orientalis verschwinden sie ebenfalls, wahrscheinlich durch Resorption in das Innere des Körpers; die Hinterleibsanhänge des Hydrophilus piceus sind kurz vor dem Ausschlüpfen noch als kleine Wärzchen hinter der Basis der Hinterbeine deutlich mit der Lupe zu erkennen. Während also in den einen Fällen die Organe schon einige Zeit vor dem Ausschlüpfen der Larve zurückgebildet werden und verschwinden, ist für andere Fälle ebenso ihr Bestand noch zu dieser Zeit, und zwar in verhältnis- mäßiger Größe, festgestellt. Was nun die becherförmigen Organe betrifft, welche bei Aeczlius durch Patten und bei Meloö durch Nusbaum beobachtet wurden, so hören wir über erstere, dass zuerst zäpfchenförmige Hervorrag- ungen auftreten, deren Ende später tassenförmig eingestülpt wird; 1) Blatta germanica n. Patten, Cholodovsky, Wheeler, Xrphidium ensiferum n. Wheeler, Melolontha n.Graber, Hydrobhilus piceus n.Kowa- lewsky, Graber, Heider. 2) Oecanthus niveus n. Ayers, Gryllotalpa vulgaris n. Rathke, Korot- neff, Graber, Stenobothrus n. Graber, Periplaneta orientalis n. Wheeler. IS Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. die Drüsenzellen scheiden kurze Fäden aus, die sich über der Mün- dung zu einer dieken, gestreiften Schicht vereinigen; zur Zeit der Degeneration fallen sie nicht ab, sondern werden in den Dotter ge- stoßen und resorbiert. Bei Meloe proscarabäus treten nach den Kopf- Brustanhängen die des ersten Hinterleibsringes als zylindrische Säckchen auf, welche dann in einen basalen zylindrischen und distalen kugeligen Abschnitt zerfallen. Die Zellen des äußeren Poles des letzteren stülpen sich ein und vergrößern sich, die Ränder der Einsenkung nähern sich bis auf eine kleine Oeffnung, die in eine rundliche, sonst geschlossene Höhle führt. Nach einigen Tagen wird das Plasma der Zellen faser- förmig, in der Höhle häuft sich klebriges, homogenes Sekret an, welches herausquillt. Das rundliche, endständige Glied (die Drüse) wird wahrscheinlich abgeworfen, der basale Teil wird verkürzt und verschwindet spurlos. Wheeler unterscheidet danach zwei Grundformen, die ausge- stülpten und die eingestülpten Organe, welche letztere wahrscheinlich den ersteren (den Pleuropodien) homolog seien. Doch gelang es ihm nicht außer der gleichen Lage eine weitere Beziehung zwischen beiden Formen aufzufinden, und er wie die Mehrzahl der anderen Beobachter sind über das schließliche Schicksal wenigstens der äußeren Adeno- podien vielfach im Ungewissen. Untersuchungen über die Embryonalentwicklung von Tenebrio molitor und Meloe proscarabäus, welche im gelegentlich meiner Mono- sraphie der Entwicklung von Chalicodoma muraria zu machen ge- nötigt war, und von welchen ich wenigstens für ersteren vollständiges Material vom abgelegten Ei bis zum ausgebildeten Käfer in Bearbei- tung habe, sowie einige gelegentliche Funde ermöglichen es mir, gerade diese Lücken auszufüllen. Da über Meloe schon ausführlichere Mitteilungen vorliegen, be- ginne ich mit dieser Gattung und kann zunächst Nusbaum’s!) An- gaben bestätigen. Die Abdominaldrüsen treten in der ee der Beine auf, gleich diesen zunächst zäpfenförmig; dann wird das Ende des Zapfens eingezogen und die eingestülpten Epithelzellen ver- wandeln sich in große Drüsenzellen, welche im Zentrum der apfel- förmigen Drüse einen kugeligen, durch eine kreisförmige Oeffnung ausmündenden Hohlraum frei lassen. Durch das Wachstum der Zellen und die Bildung der Sekrethöhle hat sich der Umfang der Drüse be- deutend vergrößert, so dass sie den unveränderten basalen Teil des Zapfens nach allen Seiten überragt und die Gestalt des ganzen Organes der eines Rheinweinglases (Römers) mit enger Mündung und kurzem 1) Nusbaum, Zur Frage der Segmentierung des Keimstreifens und der Bauchanhänge der Insektenembryonen (Biol. Centralblatt, Bd. IX, 1889), gilt auch eine größere Abbildung. Die von ihm angegebenen Drüsenanlagen auf den andern Hinterleibsringen kann ich nicht bestätigen, Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. 119 Fuße gleicht Fig. 1 u. 14). Von Sekret habe ich, vielleicht infolge anderer Behandlungsweise, nichts bemerkt. Zu dieser Zeit liegen die Abdominaldrüsen noch dicht an der Ganglienkette, rücken aber bei Fig. 1 u. 1A, 2 u. 2A sind je ein sagittaler Längsschnitt und ein Querschnitt durch einen jüngeren und einen dem Ausschlüpfen nahen Embryo von Meloe proscarabäus, bei ersterem die Abdominaldrüse becherförmig hervorragend, bei letzterem eingezogen, I, II, III die Ansätze der Brustbeine. weiterem Wachstum des Embryo zugleich mit den Beinen mehr nach der Seite hin. Dann tritt eine ziemlich plötzliche Veränderung in der äußeren Form des Embryo, vor allem darin ein, dass die bisher kurzen Beine sich verlängern; die Hinterbeine, welche bisher kaum bis an den dritten Hinterleibsring reichten, erstrecken sich nun bis zum achten. Zur nämlichen Zeit werden die becherförmigen Drüsen unter die Oberfläche des Körpers eingezogen, wobei sie unter geringer Aenderung ihrer Form etwas größer, breiter und flacher werden. Die Sekrethöhle wie deren kreisrunde, jetzt in der Körperoberfläche ge- legene Oeffnung bleibt erhalten. Es tritt auch eine weitere Ver- schiebung der Organe nach dem Rücken zu ein; bei dem reifen 1) Anm. Die Abbildungen sind nur Skizzen, um die Lage und relative Größe der Abdominaldrüsen zu zeigen; genauer ausgeführt werden sie in dem betreffenden Abschnitte der Entwicklung von Ohalicodoma erscheinen. 120 Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. Embryo liegt die Drüse an der Seite des Körpers, dicht unter dem Stigma des 1. Hinterleibsringes und kann wie in den vorhergehenden Stadien leicht an gefärbten und ganz in Lack eingeschlossenen Em- bryonen beobachtet werden. Während dieser Vorgänge findet keine Rückbildung der Drüse statt, die Drüsenzellen mit großem kugeligen Kern, in ihrem äußeren Ende diekwandig mit homogenen oder flüssigen Inhalt bewahren ihr Aussehen bis kurz vor dem Ausschlüpfen unver- ändert. Embryonen aus dieser Zeit selbst fehlen mir leider, so dass ich nicht angeben kann, auf welche Weise das bei der jungen Larve nicht mehr vorhandene Organ verschwindet. Ganz ähnlich ist der Bau der Abdominaldrüsen bei Tenebrio molitor, dem Mehlkäfer, nur sind sie bedeutend größer, haben größere Zellen und weitere Mündung, auch ihre Entwicklung findet in ganz ähnlicher Weise statt. Die Spitze der kleinen Zäpfehen wird zunächst massiv eine Strecke weit ins Innere zurückgezogen, und dann entwickelt sich dureh kugelige Erweiterung des äußeren Abschnittes die römerförmige Drüse. Der Stiel oder Fuß ist aber hier so kurz, dass man sie besser als becher- oder schalenförmig mit verengter Basis bezeichnen dürfte. Der Raum unter der Drüse ist nicht wie in vielen anderen Fällen von Flüssigkeit mit einzelnen Zellen, sondern von zusammenhängender Fettkörpermasse erfüllt!). Wie bei Meloe ist auch hier das innere, basale Ende der Drüsen- zellen aus körnigem Protoplasma mit großem, kugeligen Kern ge- bildet, während das äußere Ende röhrenförmig ist, d. h. ein ziemlich dicker Mantel von Protoplasma eine homogene Sekretmasse bezw. den Raum, in welchem diese enthalten war, umgibt. Der Sekret- behälter, in welchen die Drüsenzellen münden, ist nicht so kugelrund wie bei Meloe, sondern etwas flacher. Während der weiteren Ausbildung des Embryo rückt die Drüse etwas mehr nach der Seite und wird dann unter die Oberfläche des Körpers eingezogen, wobei sie sich etwas verbreitert und abflacht, während die Zellen und namentlich die Sekreträume in deren Vorder- ende sich vergrößern. Ich sehe in letzterem Verhalten einen deut- lichen Beweis dafür, dass die Drüse, auch nachdem sie eingezogen ist, noch in Thätigkeit ist. Bei der Larve ist sie zur Zeit des Aus- schlüpfens noch vorhanden, kurz darauf aber verschwunden. Während der ganzen Dauer ihres Bestehens ist sie an den gefärbten und ein- selackten Embryonen auch von außen deutlich sichtbar. An Embryonen von Hydrophilus piceus mit mittellangen, noch nicht vollkommen gegliederten Beinen, etwas älter als Heider’s Fig. 12, fand ich die Abdominaldrüsen als gestielte, dicke, scheiben- förmige, aus großen und dicken Zellen zusammengesetzte Organe vor. Die Scheibe war etwas in den vorne erweiterten Stiel eingezogen, AM Anm. Auch für Entwicklung und Bau dieser Drüsen folgen die Ab- bildungen in der Abhandlung über Chalicodoma, Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. 121 doch ohne dass es zur Bildung einer Sekrethöhle kam, sondern mit leicht konvexer Oberfläche. Auch diese Organe gehören also trotz ihrer äußerlichen Aehnliehkeit mit den birnförmigen von Blatta dem becherförmigen Typus an. Da sie von Graber kurz vor dem Aus- 'Fig. 3. Teil eines Querschnittes durch einen ganz entwickelten Embryo von Hydrophilus caraboides. A.D — Abdominaldrüse; A — Antenne; 1, 2 = Vorder- und Mittelkiefer; I, IL, III = die Brustfüße; @ = Ganglion des 1. Hinterleibsringes; St = Stigmen. schlüpfen noch in Form kleiner Wärzchen beobachtet wurden, wäre anzunehmen, dass es hier nicht zu einer Einsenkung der Drüse unter die Oberfläche komme. Heider wird hierüber wohl genauen Auf- schluss geben. Anders liegt die Sache bei dem so nahe verwandten Hydrophilus caraboides, Fig. 3. Hier liegen die auffallend großen Abdominaldrüsen bei fast ganz ausgebildeten Embryonen (nur solche standen mir zur Verfügung) seitlich an der Uebergangsstelle der Bauehfläche in die Seitenflächen, in gleicher Linie mit den Ansätzen der Brustbeine. In die Körperoberfläche eingezogen sind sie flach, unregelmäßig kreisförmig, weitgeöffnet ungefähr von der Form einer flachen Schale mit einwärts gebogenem Rande; die großen prisma- tischen Zellen, aus welehen der Boden der Schale besteht, füllen den Hohlraum derselben ganz aus. Auch hier zeigen wie bei Tenebrio und Meloe die äußere und innere Hälfte der Drüsenzellen verschie- denen Bau, diese den kugeligen Kern und körniges Protoplasma ent- haltend, während in jener, umgeben von sehr dünnem Protoplasma- mantel ein stark lichtbrechendes Sekret liegt, so dass oberflächliche Betrachtung das Bild einer kurzen, auf dicken Zellen sitzenden Stäbehensaumes vortäuschen kann. In manchen, ebensogut erhaltenen Präparaten sieht man statt eines dicken Sekret - Stäbchens eine srößere Anzahl ähnlicher, dünner Fasern im äußeren Ende der Zellen, einen dieken Pinsel bildend; es handelt sieh dabei vielleicht um ver- schiedene Sekretionszustände. Zuweilen liegen die Organe nicht unter der Körperoberfläche, sondern sie ragen gerade um ihre eigene Dicke über dieselbe hervor, wie sowohl Ansichten ganzer Embryone als auch Sehnitte zeigen; bei letzteren Fällen, in welchen es sich ent- weder um etwas jüngere Stadien oder verschiedene Kontraktions- 122 Uarriere, Drüsen der Insektenembryonen. zustände handeln wird, tritt eine allgemeine Aehnlichkeit mit den Abdominaldrüsen von Hydrophilus piceus noch stärker hervor. Ab- gesehen davon, dass das Organ nicht gestielt ist, stimmt sein Bau anscheinend mit dem der von Patten bei Acilius beschriebenen Ab- dominaldrüsen; besonders wichtig erscheinen mir aber die Zustände, bei welchen die zahlreichen feinen Sekretfasern in der äußeren Hälfte der Zellen einen direkten Vergleich mit der sonst vereinzelt dastehen- den Form der Abdominaldrüsen von Zaitha (mit pinselförmigen Sekret- massen) und so eine Verknüpfung derselben mit den übrigen gestatten. Welche Bedeutung dürfen wir diesen Organen zuschreiben und in welche Beziehung sind sie zu den Ventralsäckchen der Thysanuren zu bringen ? Haase sah sich schon auf Grund der damaligen Kenntnisse nicht im stande, die Pleuropodien als rudimentäre Beine oder den Beinen homologe Anhänge zu betrachten, und sprach die mit Flüssigkeit er- füllten Zäpfehen (die ersten Entwicklungsstadien der Drüsen, wie wir heute wissen) gleich den Ventralsäckehen als Blutkiemen an. Be- sonders nahe lag ihm diese Deutung mit Rücksicht auf die 4—5 glie- drigen, beinähnlichen Anhänge an den Seiten der ersten sieben Hinter- leibsringe der Larven von Si/alis, welche noch von Niemand als Abdominal- beine, dagegen allgemein als Tracheenkiemen bezeichnet wurden. Ob aber die Pleuropodien den Ventralsäcken homolog oder beide als sekundäre, unabhängig von einander aus drüsigen Organen entstandene Anpassungserscheinungen aufzufassen seien, lässt er unentschieden. Wheeler kann auf Grund seiner eigenen Untersuchungen und des ganzen vorliegenden Materiales die Pleuropodien ebenfalls nicht für Beine halten. Er bespricht die drei außerdem jetzt umlaufenden Hypothesen über die Bedeutung dieser Organe; dabei ist zu beachten, dass manche Forscher den Pleuropodien mehrfachen Charakter zu- schreiben, so Graber und Nusbaum sie als Kieme, aber auch mög- licherweise als Drüse bezw. umgekehrt bezeichneten, Patten als Drüse oder vielleicht als Sinnesorgan. Die älteste Hypothese ist die von Rathke, welcher nur die großen gestielten Säcke von Gryllotalpa kannte, und sie als Atmungs- organe des Embryo, als Kiemen, deutete; ihm schlossen sich dann Graber besonders mit Rücksicht auf die Säcke von Melolontha, und Nusbaum an. Diese Hypothese passt aber nur auf die Organe von Melolontha, nicht auf alle die anderen Formen von Pleuropodien und kann deshalb zur Erklärung derselben nicht genügen. Ebenso verhält es sich mit der Annahme von Patten und Cholodovsky, welche die Pleuropodien der manchmal geformten Sekrete oder halterenähn- lichen Form halber als Sinnesorgane, ähnlich den kammförmigen Anhängen an dem zweiten Hinterleibsringe der Skorpione bezeichnen. Schließlich glauben Patten, Graber, Nusbaum in elnzelnen, Wheeler in allen Fällen die Pleuropodien als drüsige Organe Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. 123 ansehen zu dürfen. Dafür spräche der Bau der Zellen auch bei den weniger weit entwickelten Formen und deren Aehnlichkeit mit sonstigen Drüsenzellen von Insekten, der Nachweis eines Sekretes bei den höher entwickelten Pleuropodien und das Fehlen des Chitins auch über den einfachen gebauten von Blatta, Periplaneta, Xiphidium und Stenobothrus, während das Fehlen eines deutlichen Nerven nicht gegen die Funktion als Hautdrüsen anzuführen sei!). Eine direkte Beziehung zu den Ventralsäckehen nimmt kein Autor an, und ich glaube mich der Ansicht Haase’s anschließen zu müssen, dass für beide höchstens die Möglichkeit einer gemeinsamen Anlage mit selbständiger Entwicklung nach verschiedenen Richtungen hin an- zunehmen sei; auch fehlen bei verschiedenen Thysanuren die Ventral- säcke gerade am ersten Hinterleibsringe. Dagegen dürften die Anhänge am ersten Hinterleibsringe von Campodea hierher zu beziehen sein; sie sind zwar in einen äußeren und inneren Abschnitt gegliedert, aber eine ähnliche Gliederung findet sich an vielen Pleuropodien, und im übrigen sind sie nicht beinähn- lieb. Eher machen sie den Eindruck von Abdominalorganen, welche sich nieht zu Drüsen eingestülpt sondern bei weiterem Wachstum ihre ursprüngliche Gestalt beibehalten haben. Dafür spräche, dass sie, relativ am größten bei ganz jungen Tieren, dann in der Entwicklung zurückbleiben, ganz besonders aber der Umstand, dass der äußere Absehnitt, welcher bei den embryonalen Organen zur Drüse wird, auch hier rein drüsiger Natur ist, während das Eintreten von Muskel- zügen in den inneren Abschnitt (dem Stiel der becherförmigen Ab- dominaldrüsen entsprechend) sehr gut als sekundäre Bildung, ver- anlasst durch die besondere Art der Ausbildung des Organes in diesem Falle, betrachtet werden kann. Jedenfalls wird man bei dem Ver- suche einer Erklärung jetzt nieht mehr von dem isolierten postembryo- nalen Vorkommen bei Cumpodea, sondern von den allgemein verbrei- teten und sehr gleichartig ausgebildeten Abdominaldrüsen der Embryone ausgehen müssen. Haase konnte sie damals gar nicht anders be- zeichnen als in der Entwicklung zurückgebliebene Beine, die sich zu drüsigen Organen umgebildet hätten — nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse sind sie von den fingerförmigen Entwicklungs- stadien der Abdominaldrüsen abzuleiten. Ihre Embryonalentwieklung ist unbekannt, kann aber kaum ein anderes Bild als die der Abdominal- drüsen bieten. Nachdem es mir gelungen ist, in zwei Fällen die ganze Entwick- lung der Abdominaldrüsen von ihrem ersten Auftreten als fingerförmige 1) In Beziehung auf letzteren Punkt möchte ich hinzufügen, dass bei den Insekten die innere Embryonalhülle (Amnion) vielfach als Drüse thätig ist, und ein Sekret in den Raum zwischen den Embryonalhüllen und dem Embryo absondert, welches bei Xiphidium, Cicada septendecim u. a, körnig gerinnt, ohne besondere Innervierung zu besitzen. 124 Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. Zäpfehen durch den becherförmigen Zustand hindurch bis zur ein- gestüpten Drüse nachzuweisen und somit die vorher vereinzelt auf- gefundenen Organe letzterer Art mit jenen in direkte Beziehung zu bringen, werden die von verschiedenen Seiten geführten Untersuchungen genügen, um ein klares Bild von den Organen des ersten Hinterleibs- ringes bei Insektenembryonen zu geben. Bei vollkommener Ausbildung sind es verhältnismäßig große Drüsen, welche sich zunächst auf kleinen Stielen entwiekeln, während des letzten Drittels des Embryonallebens unter die Oberfläche eingezogen werden und hier den Höhepunkt ihrer Entfaltung und Thätigkeit er- reichen. Der Grund, weshalb sie während ihrer Anlage und der ersten Zeit ihrer Thätigkeit über die Körperoberfläche erhoben sind und vielfach in gleicher Linie mit den Brustbeinen auftreten, ist vielleicht in rein äußerlichen Ursachen zu suchen. Bei jenen Insekten, bei welchen sie in den frühen, finger- und becherförmigen Zuständen ge- funden wurden, ist und bleibt der Keimstreif lange Zeit ungemein schmal, zwischen dem Raume für die Ganglien- und Stigmenanlagen nur einen ganz schmalen Ektodermstreif enthaltend; alle sonstigen ektodermalen Organe, welche wir später auf der Bauchfläche oder an der Seite der Tiere finden, müssen aus diesem schmalen Streifen und folglich in einer Reihe hervorgehen, wenn sie auch noch so verschie- dener Natur sind. Da die Drüse schon frühzeitig einen relativ be- deutenden Umfang erreicht, kann sie bei diesen Verhältnissen sich nicht in der Körperoberfläche, sondern nur über oder unter derselben entwickeln; dass bis jetzt nur der erstere, nicht der letztere Fall be- obachtet wurde, mag einen Grund darin haben, dass dort der locus minoris resistentiae liegt. Somit erhebt sich die Drüse zunächst über die Oberfläche, gewinnt hier ihre Größe und beginnt ihre Thätigkeit. Wenn gegen Ende der Embryonalentwicklung das Ektoderm sich um den Dotter herum nach dem Rücken zu ausdehnt, die Dottermasse erweicht und größtenteils geschwunden ist und die Stigmen an der Seite in die Höhe rücken, tritt auch die Drüse in und unter die nun- mehr Platz gewährende Körperoberfläche zurück. Hier bleibt sie bis zum Ausschlüpfen der Larve oder kurze Zeit länger (bis zur ersten Häutung?) erhalten, älteren Larven fehlt sie. Diese Drüse, welche ihre Hauptentwieklung im letzten Drittel des Embryonallebens gewinnt, muss nach Allem als ein wohl ansgebildetes embryonales Organ be- trachtet werden, nicht als rudimentäres, etwa den Beinanlagen der Bienenembryone vergleichbares !). Nieht in allen Fällen erreichen aber die Abdominaldrüsen diese vollkommene Ausbildung, öfters bleiben sie mehr oder weniger rudi- mentär. Bei starker Rückbildung finden wir nur kleine Zäpfehen 1) Die eben geschilderten Verhältnisse schließen natürlich nieht aus, dass unter anderen Umständen (wie vielleicht bei Cicada septendeeim) die Abdominal- drüsenanlage sich in der Körperoberfläche statt über derselben entwickeln kann. Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. 125 ohne weitere drüsige Bildung, bei geringerer entwickelt sich die Drüse bis zu einem gestielten Knopf; die flachen Säckchen müssen trotz der bedeutenden Größe, die sie in dieser Form erreichen können, als rudimentäre bezw. von der zapfenförmigen Anlage aus dann nach anderer Richtung ausgebildete Abdominaldrüsen bezeichnet worden. Als eine extreme Bildung der Art, welche postembryonal erhalten bliebe, wären die beinförmigen Anhänge am ersten Hinterleibsringe von Campodea zu betrachten. Welche Funktion und welche Bedeutung diese Drüsen haben, wissen wir noch nicht, wohl aber ist festgestellt, dass sie ein mehr oder weniger flüssiges Sekret ausscheiden und somit für zahlreiche Insekten während des Embryonallebens von Bedeutung sind. Niemand würde daran gedacht haben, diese Organe als rudimentäre Beine zu bezeichnen, wenn man zuerst die ausgebildete Drüse kennen gelernt hätte, statt zufälliger Weise die frühen Entwicklungszustände derselben. Sehr auffallend ist der Umstand, dass die Abdominaldrüsen nicht bei allen Familien der Insekten auftreten; ich gebe die Zusammen- stellung nach Wheeler mit einzelnen Verbesserungen und Zusätzen. Ordnung Orthoptera. Gryllidae: Oecanthus niveus Serville: Abdominaldrüsen vor- ragend, zwiebelförmig (Ayers). Gryllotalpa vulgaris L.: vorragend, zwiebelförmig (Rathke, Korotneff, Graben). Loeustidae: Xrphidium ensiferum Seud.: vorragend, wirbelförmig (Wheeler). Acridiidae: sStenobothrus: vorragend, zwiebelförmig, mit gelbem, körnigem Sekret (Graber). Mantidae: Mantis religiosa: vorragend, fingerförmig; abnorm einmal ein kleineres Paar am 2. Hinterleibsring ge- gefunden (Graber). Mantis carolina L.: vorragend, lang birnförmig (Wheeler). Blattidae: Blatta (Phyllodromia) germanica L.: vorragend, birn- förmig (Patten, Cholodovsky, Wheeler). Periplaneta orientalis L.: vorragend, birnförmig (Wheeler). Ordnung Hemiptera. Aphididae: Aphis pelargonü, A. saliceti, A. rosae. keine Abdomi- naldrüsen beobachtet (Will). Cicadidae: (icada septendecim L.: eingestülpt, zwiebelförmig, ohne Sekrethöhle, mit klarem Sekret (Wheeler). Belastomatidae: Zaitha fluminea Say: eingestülpt, kugelig, ohne Sekret- höhle mit faserigem Sekret (Wheeler). Ordnung Coleoptera. Hydrophilidae: Hydrophilus piceusL.: vorragend, fingerförmig (K o wa- lewsky, Heider); älter: vorragend, zwiebelförmig [becherförmig ohne Sekrethöhle] (Carri&re), kurz vor dem Ausschlüpfen: zwiebelförmig (Graber). Hydrophilus caraboides: eingezogen, schalenförmig [breit becherförmig ohne Sekrethöhle] (Carriere). 126 Carriere, Drüsen der Insektenembryonen. Dytiscidae: Acilius: vorragend, becherförmig ohne Sekrethöhle (Patten). Scarabäidae: Melolontha vulgaris Fabr.: vorragend, breit, flach, taschenförmig (Graber). Meloidae: Meloe proscarabaeus L.: vorragend, becherlörmig mit Sekrethöhle (Nusbanm); eingezogen, abgeplattet- kugelig mit Sekrethöhle (Carriere). Tenebrionidae: Tenebrio molitor L.: eingezogen, abgeplattetkugelig, mit Sekrethöhle (Carriere). Chrysomelidae: Lina tremulae Gmel.: keine Abdominaldrüsen (Gra- ber, Carriere). Ulythra läviuscula: keine Abdominaldrüsen (Car- IENIE)): Doryphora decemlineata: keine Abdominaldrüsen (Wheeler). Ordnung Neuroptera. Sialidae: Sialis infumata Newm.: vorragend, zapfenförmig (Wheeler). Ordnung Trichoptera. Phryganeidae: Neophylax coneinnus: vorragend, zapfenförmig (Pat- ten). Ordnung Lepidoptera. Bombyeidae: Bei keiner bisher untersuchten Species Abdominaldrüsen gefunden (Tichomiroff, Graber, Wheeler). Sphinx populi: Abdominaldrüsen vorhanden? (Kowa- lewsky). Ordnung Diptera. Chironamidae: Bei keiner bisher untersuchten Species Abdominal- Tabanidae: drüsen gefunden (Weismann, Völtzkow, Gra- Muscidae: ber, Wheeler). Ordnung Hymenoptera. Apidae: Bei keiner bisher untersuchten Species Abdominal- drüsen gefunden (Bütschli, Grassi. Carriere). Ordnung Thysanıra und Collembola. Die Entwicklungsgeschichte dieser Ordnung (ausgen. Collembola) noch unbekannt. Bis zu ihrer Auflösung bezw. bis zum Ausschlüpfen der Larve wurden die Abdominaldrüsen bis jetzt nur bei Tenebrio molitor, Meloe proscarabäus, Melolontha vulgaris, Hydrophilus piceus, Cicada septen- decim, Periplaneta orientalis und Blatta germanica verfolgt, von den übrigen sind nur einzelne Stadien untersucht. Aus den Ordnungen der Bienen, Zweiflügler und Schmetterlinge sind sie bis jetzt nicht bekannt geworden; in Anbetracht des Umstandes, dass in diesen Gruppen nur einzelne Familien genauer in Beziehung auf die embryo- nale Entwicklung studiert sind, und dass einzelnen Familien der Käfer die Abdominaldrüsen fehlen, während sie in anderen vorhanden sind, dürfen wir sie auch jenen Ordnungen noch nicht absprechen. In der Gruppe der ungeflügelten Insekten ( Apterygota) scheinen den Abdominal- drüsen wahrscheinlich homologe Bildungen postembryonal erhalten zu bleiben — die Anhänge am ersten Hinterleibsringe von Campodea aus Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern (Nachtrag). 127 der Ordnung der Thysanuren und das als Collophor oder Ventral- tubus bezeichnete, ausstülpbare drüsige Organ der Springschwänze (Collembola), von welchem wenigstens für eine Gattung Anurida maritima die embryonale Entwicklung aus gleich den Tentakelanlagen paarigen papillenförmigen Erhebungen der Seitenfläche der Bauch- platte festgestellt ist. (J. A. Ryder, American Nuturalist, Bd. XX, 1886, p. 299—302. The development of Anurida maritima Guerin, Zitat nach Wheeler.) Die in neuerer Zeit bekannt gewordenen Drüsen in der Oberseite des Hinterleibes von Blattiden sind mit den Drüsen des ersten Hinterleibsringes nicht in Beziehung zu bringen und treten wahr- scheinlich erst postembryonal auf. Eingehenden Untersuchungen, aber nicht theoretischer sondern praktischer Art dürfte auf diesem, wie aus obiger Zusammenstellung ersichtlich, sehr ungenügend durchforschtem Gebiete noch mancher wertvolle Fund zu danken sein. Anm. V.Graber veröffentlichte unter dem Titel „Ueber den Bau und die phylogenetische Bedeutung der embryonalen Bauchanhänge der Insekten“ in dem 9. Bande des Biol. Centralbl. 1889 einen Aufsatz über das nämliche Thema. Der Autor kommt darin zu den oben erwähnten Ergebnissen; von einem weiteren Eingehen auf denselben im Texte glaubte ich absehen zu dürfen, da darin teils aus ungenügender Kenntnis der zitierten Litteratur teils aus der damals noch mangelhaften und einseitigen Bekanntschaft mit den Formenreichtum der Abdominaldrüsen ein falsches Bild der Sachlage entworfen wird. Da ich mich aber genötigt sah, von dem Artikel eingehendere Kenntnis zu nehmen, bin ich gezwungen, zwei auffallende lapsus calami zu er- wähnen, damit nicht mein Schweigen an dieser Stelle der Flüchtigkeit oder dem Einverständnis zugeschrieben werde. S. 356 sagt Graber „weitere Bei- träge zur Kenntnis dieser .... Gebilde verdanken wir unter anderen vorzugs- weise Bütschli und Grassi, die bei der Biene allen Segmenten höcker- artige Ausstülpungen zuschreiben*“ — in Wirklichkeit aber erklärt Grassi ausdrücklich, dass er daselbst an den Hinterleibsringen keine Ausstülpungen gefunden hat, und Bütschli erkannte die durch seinen Schüler 14 Jahre später erfolgte Berichtigung stillschweigend an. S. 360 heißt es: „Besonders auffallend ist unter andern die Aehnlichkeit zwischen Machilis (Insekt) und Scolopendrella (Myriopod). Bei beiden Formen findet man nämlich vom zweiten bezw. ersten Bauchsegment an keine eigent- lichen, d.h. gegliederten Beine, sondern statt derselben je zwei andere Organe, ein äußeres in Form eines ungegliederten Griffels (und ein inneres in Form der Ventralsäckchen)“. Gerade in einer für weitere Kreise bestimmten Dar- stellung sollte man doch vermeiden dem Leser die Vorstellung zu erwecken, es gäbe insektenähnliche Tausendfüßler mit nur 3 Beinpaaren. Scolopendrella wenigstens hat zwar nicht tausend Füße, aber doch beträchtlich mehr als drei oder vier Beinpaare, und namentlich auch an allen Segmenten, an welchen die zwei andern Organe vorkommen. Ueber die „Schaumstruktur“ hauptsächlich bei Muskel- und Nervenfasern. Von Dr. Stefan Apathy, Professor an der Universität Kolozsvar. Nachtrag. Erst während der Korrektur dieses Artikels kam die Abhandlung des Herrn Prof. Bütschli und Schewiakoff in meine Hände. 125 Apäthy, Schaumstruktur bei Nerven- und Muskelfasern (Nachtrag). (Ueber den feineren Bau der quergestreiften Muskeln bei Arthropoden. Dieses Blatt Nr. 2.) Die darin mitgeteilten Resultate veranlassen mich aber keineswegs an dem Gesagten zu ändern. Die alveoläre Anord- nung des Somatoplasmas in den Muskelfasern habe ich immer ge- sehen. Ich habe ja den axialen Teil der Hirudineenmuskeln (sowohl als auch des Axenzylinderinhalts bei Wirbeltieren und Krebsen) als von Zellsaft sehr gelockertes Protoplasma bezeichnet. Ich kann sogar einen sehr eklatanten Beweis für die Präexistenz der Alveolen in der Muskelaxe von Hirudineen liefern. Man muss nur axiale Längs- schnitte von kontrahierten und gedehntenMuskelfasern (in Colloidin, nach meiner Hämatoxylinmethode behandelt) vergleichen. Die Alveolen erscheinen in beiden Fällen gestreckt; in kontrahierten Muskelfasern stehen sie quer zur Längsaxe, in exten- dierten parallel mit derselben. Auch meine Untersuchungen haben sich natürlich nicht auf glatte Muskelfasern beschränkt. Ich bearbeitete auch quergestreifte von Wirbeltieren, scheinbar quergestreifte von kleinen Salpen, von Muscheln, Chätognathen und Cölenteraten (Medusen), weniger von Arthropoden. Wenn ich noch letztere mehr berücksichtigt haben werde, so werde auch ich meine Resultate, welche in mehreren Punkten von denen anderer und namentlich von denen Bütschli’s abweichen, publizieren. Es sei mir nur eine Bemerkung noch erlaubt. Eine künstliche alveo- lare Zeichnung, welche durch Gerinnung von Colloid-Lösungen ent- standen ist, kann — weil hier unter Anderen die Maschen viel größer und unregelmäßiger sind — mit einer Schaumstruktur in Bütschly’s Sinne nicht verwechselt werden. Eine sehr schöne, kleinzellige und regelmäßige Wabenstruktur (Wabendurchmesser !/;—1 u) entsteht aber durch Quellung, besonders wenn Colloidsubstanzen, zu denen auch die kontraktile Substanz der Muskelfasern gehört, das Wasser allmählich ganz entzogen, und dann wieder rasch hinzugefügt wird. Dünne Paraffinschnitte aus reinem Colloidin, aus Gelatin, dünne Ool- lodium- oder Eiweißschichten im Paraffinofen langsam eingetrocknet, lassen solche Experimente leicht zu. Werden die dünnen Colloid- lamellen nur schwach tingiert, wie für Kernfärbung erforderlich, und in Balsam untersucht, so werden die Konturen der Alveolen ausge- löscht. Nach starker Ueberfärbung aber, und in schwach lichtbrechen- den Medien (Wasser, Methylalkohol) untersucht, erscheinen sie deut- lich, und zwar, was Form und Größe, innerhalb gewisser Grenzen, und Färbbarkeit anbelangt, je nach der betreffenden Substanz ver- schieden. — Bütschli’s Untersuchungsmethode bietet alles Mögliche, um eine Wabenstruktur in übrigens homogenen Colloidsubstanzen durch Quellung hervorzurufen. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologeisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. BReess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der RO in Ds I "Nummern von | je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI. Band. | 1. April 1891. Nr. 5u. 6. Inhalt: Mökius, Ueber die Folgen von beständiger geschlechtsloser Vermehrung der Blütenpflanzen. — Keller, Die Protoplasmaverbindungen zwischen benach- barten Gewebselementen in der Pflanze. — Elfving, Studien über die Ein- wirkung des Lichtes auf die Pilze. — Elfving, Ueber physiologische Fern- wirkung einiger Körper. — Emery, Zur Biologie der Ameisen. — Kollet, Ueber Wellenbewegung in den Muskeln. — Fick, Ueber die Form der Gelenk- flächen. — Schinz, Die deutsche Interessensphäre in Südwest-Afrika. — Der 10. Kongress für innere Medizin. Ueber die Folgen von beständiger geschlechtsloser Ver- mehrung der Blütenpflanzen. Von M. Möbius in Heidelberg. Der vorliegende Aufsatz wurde geschrieben auf Veranlassung des Direktors der Versuchsstation für Zuckerrohrkultur in Semarang auf Java, des Herın Dr. Franz Benecke, und ist in holländischer Sprache als Mitteilung der genannten Station erschienen). Eine wichtige Aufgabe dieser Stationen ist nämlich die Erforschung und Bekämpfung einer in den Zuckerrohrplantagen weit verbreiteten Epi- demie, die mit dem Namen „Sereh“ bezeichnet wird. Ihre Ursache ist noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen; während einige sie als parasitär betrachten und entweder Nematoden oder Bakterien als Krankheitserreger ansehen ?), fehlt es auch nicht an solchen, speziell unter den Pflanzern selbst, die an innere Ursachen glauben und eine Degeneration des Zuckerrohrs annehmen. Diese Degeneration soll in letzter Instanz auf die Art und Weise, wie das Zuckerrohr vermehrt D) Unter dem Titel „Over de gevolgen van voortdurende Vermenigvuldiging der Phanerogamen langs geslachteloozen Weg“ mit einer Vorrede von Dr. F. 3enecke in „Mededeelingen van het Proefstation „„Midden Java** te Sema- rang“ zu Semarang (G. C. T. van Dorp. & Co.) 1890. Gr. 8°. 30 pp. Für die deutsche Fassung sind nur einige nicht wesentliche Kürzungen vorgenommen und noch einige Arbeiten in den Anmerkungen zitiert worden. 2) W.Krüger, „Ueber Krankheiten und Feinde des Zuckerrohrs“, in: Be- richten der Versuchsstation für Zuckerrohr in West-Java, Kagok-Tegal (Java). Heft I. 1890. XI. 9 < 130 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. wird, zurückzuführen sein. Bekanntlich blüht die Pflanze, wo sie an- gebaut wird, nur sehr selten, sie wird auch niemals zum Zwecke des Anbaus aus Samen gezogen, sondern immer aus Stecklingen, soge- nannten Bibits. Bei dieser Kulturmethode, so nimmt man an, trete nach gewisser Zeit eine Altersschwäche ein, durch sie seien die Pflanzen schwäch- lich und wertlos geworden und nicht mehr fähig, verderbliehen äußeren Einflüssen Widerstand zu leisten; man werde bei der Fortsetzung der jetzigen Vermehrungsart das Zuckerrohr in kürzerer oder längerer Zeit dem gänzlichen Untergange zuführen. Da diese Theorie nicht bloß bei dem Auftreten der Sereh, sondern auch bei dem der Epidemien anderer Kulturpflanzen, die ebenfalls auf vegetativem Wege vermehrt werden, aufgestellt worden ist, so schien es erwünscht, eine kleine Untersuchung darüber anzustellen, was überhaupt bisher über die Folgen von beständiger geschlechts- loser Vermehrung von Blütenpflanzen bekannt geworden ist, um auf dieser Grundlage die Berechtigung der Theorie von der Altersschwäche prüfen zu können. Vielleicht hat die Besprechung der hier inbetracht kommenden Erscheinungen auch einiges allgemeinere biologische Interesse. Zunächst wollen wir einmal rein theoretisch prüfen, ob wir in der Art, wie das Zuckerrohr vermehrt wird, ein unnatürliches und darum für das Leben der Pflanze schädliches Verfahren zu erblicken haben. In der Natur finden wir bekanntlich, dass im Allgemeinen sich die höheren Pflanzen durch Samen vermehren, welche infolge der Befruchtung des weiblichen Organs durch das männliche entstanden sind. Aus den Samen erwächst ein neues Individuum und der ganze Prozess ist als eine Verjüngung im Pflanzenleben anzusehen. Eine Pflanzenart also, die sich immer durch Samen fortpflanzt, wird stetig verjüngt und ihr Fortbestehen für alle Zeit ist gesichert, falls nicht eine zu weit gehende Veränderung der äußeren Verhältnisse ihren Untergang herbeiführt. Man bezeichnet diese Art der Vermehrung als Reproduktion, von der man außer der eben erwähnten sexuellen auch eine ungeschlechtliche Form kennt. Ihr gegenüber steht die Propagation oder vegetative Vermehrung, die durch Stecklinge (Zucker- rohr), Absenker oder Ableger (Nelken), Ausläufer (Erdbeere, Quecke), Knollen (Karfoffeln) und dergleichen geschieht. Viele Autoren glauben nun, dass man in dieser Vermehrungsweise keinen Verjüngungsprozess sehen kann: nach ihrer Ansicht ist dieses nur eine Verlängerung des individuellen Lebens, und wie das Leben des Individuums beschränkt sei, so müsse auch hier eine Grenze der Weiterentwicklung bestehen. Die Anhänger dieser Ansicht fassen somit alle Pflanzen, die durch Propagation von einer aus einem Samen entstandenen Pflanze abgeleitet werden können, als ein Individuum auf Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 131 und bezeichnen diese Gesamtheit als eine „Sorte“!); wie das Indi- viduum allmählich altersschwach wird, so wird es auch die Sorte und diese wird denn schließlich auch durch Altersschwäche aussterben müssen. Dass eine aus einem Samen entstandene Pflanze nicht fähig ist, unbegrenzt fortzuleben, wird man allerdings zugeben müssen Denn selbst die Bäume, welche nachgewiesenermaßen mehrere tausend Jahre alt sind, würden nichts anderes beweisen, als dass die Exemplare sewisser Arten ein außerordentlich hohes Alter erreichen können, während wir bei anderen Arten, selbst von Bäumen, niemals so alte Pflanzen finden. Ob wir aber das, was von einem Individuum einer Art gilt, auch auf eine ganze Sorte (im obigen Sinn) übertragen dürfen, erscheint keineswegs sicher. Zunächst steht die Meinung, dass alle Exemplare einer Sorte nur Teile eines Individuums sind, durchaus im Widerspruch mit einer naturgemäßen Auffassung der Verhältnisse. Wir müssen Schleiden?) recht geben, wenn er sagt: „Ich meine, der gesunde Menschenverstand wird es immer lächerlich finden, wenn man ihm zumutet, die 2000 Pappeln einer meilenlangen preußischen Chaussee für Ein fortgesetztes Individuum anzusehen“. Die hier gemeinten Pyramidenpappeln, die nur durch Stecklinge fort- gepflanzt werden, wird also jeder unbefangene Beurteiler ebensogut für einzelne Individuen erklären als andere aus Samen erwachsene Bäume. Begründet wird diese Anschauung noch dadurch, dass die aus vegetativen Teilen älterer entstandenen neuen Pflanzen auch wirk- lich neue Eigenschaften annehmen können; sie zeigen oft gewisse Differenzen von ihrer Stammpflanze, wie es ebenso die Sämlinge gegen- über ihrer Mutterpflanze thuen. Diesen Umstand finden wir auch bei Sorauer hervorgehoben, der sich darüber in einem die angebliche Degeneration der Kulturpflanzen behandelnden Aufsatze ?) folgender- maßen äußert: „Von den durch Samen fortgepflanzten Individuen räumt Jeder ein, dass die Nachkommen in gewissen Eigenschaften von der Mutterpflanze abweichen können, wenn sie auch in den wesentlichsten Merkmalen mit derselben übereinstimmen. Von den ungeschlechtlich vermehrten Kulturpflanzen aber ist dasselbe Verhalten ohne Schwierigkeit zu erweisen. Der Gartenbau liefert hierfür die zahlreichsten Beispiele. Wem ist nicht bekannt, dass bei Veredlungen die Unterlage den Charakter des Edelreises oft beeinflusst und dass 1) Dies ist die Definition der Sorte von €. F. W. Jessen in seiner noch oft zu zitierenden Abhandlung: „Ueber die Lebensdauer der Gewächse“. Eine gekrönte Preisschrift (Verhandlungen der kaiserl. Leopoldinisch-Karolinischen Akademie der Naturforscher, 1855, Bd. XXV, I. 5. 63—248) 1. e. S. 19. 2) Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik, 4. Aufl. (1861) S. 643. 3) P. Soraner, Degenerieren unsere Kulturpflanzen ? (Oesterreichisches landwirtschaftliches Wochenblatt, 1877, Nr. 27.) (6) x 132 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. bei Stecklingen durch veränderte Ernährungsverhältnisse Variationen eintreten können? Wenn also selbst zugegeben wird, dass das zu- nehmende Alter bei einer Pflanze gewisse Veränderungen in der Ent- wicklung bedinge, und wenn selbst zugegeben würde, dass diese Veränderungen dem Kulturzwecke feindliche wären, also eine geringe Ernte quantitativ oder qualitativ bedingten, so fehlt doch immer noch der Nachweis, dass diese Veränderung bei der Vermehrung sich auf den Sprössling überträgt und erhält“. Es lässt sich also wohl fragen: ist die Fortpflanzung durch Samen und die Propagation so wesentlich verschieden, dass bei der einen die Pflanze immer verjüngt wird, bei der andern aber jede folgende Pflanze älter ist als die, welche sie erzeugt hat? Allerdings ist ein bedeutender Unterschied der, ob das Organ, aus dem sich die neue Pflanze entwickelt, infolge einer Befruchtung entstanden ist oder ohne diesen Prozess. Zwischen der oben erwähnten ungeschlechtlichen Reproduktion aber und der Propagation sind offenbar Uebergänge vorhanden und doch hat nie Jemand behauptet, dass die Pflanzen- arten, welche sich nur ungeschlechtlich fortpflanzen, wie durch ihre Sporen die meisten Pilze, altersschwach werden. Niemand denkt daran, die bei der Reproduktion entstandenen neuen Pflanzen mit der alten zu einem Individuum zu rechnen. Die auf vegetativem Wege aus einander entstandenen Pflanzen aber für ein Individuum zu halten ist nach allem, was gesagt wurde, auch kein Grund vorhanden. Wenn also auch bei dem Individuum Altersschwäche eintritt, so ist dies deswegen bei der Sorte nicht der Fall. Folglich ist es eine vom theoretischen Standpunkt aus ungerechtfertigte Annahme, dass fort- gesetzte vegetative Vermehrung zur Degeneration und Altersschwäche führt. Wir können uns aber nicht mit dieser theoretischen Widerlegung begnügen, sondern müssen auf eine nähere Betrachtung der Erschei- nungen eingehen, welche zum Beweise für das Vorhandensein von Altersschwäche dienen sollen. Man hat nun schon in dem Umstande, dass die immer vegetativ vermehrten Gewächse häufig die Fähigkeit verloren haben, sich sexuell fortzupflanzen, einen Beweis für den Eintritt der Degeneration sehen wollen. Was zunächst die angeführte Erscheinung betrifft, so ist dieselbe nicht abzuleugnen: viele Pflanzen, die sich durch Absenker, Ausläufer, Knollen, Zwiebeln u. s. w. vermehren, produzieren Keine oder äußerst spärliche Blüten oder in ihren Blüten findet keine Be- fruchtung statt oder aber die Früchte enthalten keine oder nicht keimfähige Samen; solche Pflanzen sind also in geringerem oder höherem Grade steril. Bevor wir uns näher mit einzelnen Pflanzen, die sich so verhalten, beschäftigen, müssen wir aber erklären, dass wir gar nicht mit Sicherheit sagen können, worauf das Fehlen der sexuellen Reproduktion in solchen Fällen beruht. Denn,.wie auch Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 133 Darwin!) sagt, es sind keine hinreichenden Beweise vorhanden, dass die lange Dauer der vegetativen Fortpflanzungsform die wirkliche Ursache der Sterilität jener Pflanzen ist. Wenn die Pflanze trotz der mangelhaften Ausbildung der Reproduktionsorgane kräftig gedeiht, so kann meiner Meinung nach auch nicht von einer allgemeinen Degeneration die Rede sein. Sehen wir nun zunächst zu, ob es in der Natur viele Pflanzen gibt, die sich ausschließlich oder vorwiegend vegetativ vermehren und ob diese Pflanzen sich in einem Zustande befinden, der als krankhaft bezeichnet werden kann. „Dass Pflanzen für lange Zeiträume durch Knospen fortgepflanzt werden können ohne die Hilfe einer sexuellen Zeugung, können wir sicher daraus schließen, dass es bei vielen Pflanzen der Fall ist, welehe in einem Naturzustande lange leben geblieben sein müssen“. Dies sind die Worte Darwin’s (]. e.), mit denen er die Betrachtung einer größeren Reihe von Beispielen dieser Art einleitet, von denen einige hier wieder gegeben sein mögen. Er weist zunächst auf viele alpine Pflanzen hin, die von einer gewissen Höhe ihres Wohngebietes an keine Samen mehr produzieren, sich also nur vegetativ vermehren. Eine besondere Eigentümlichkeit bieten gewisse Gräser dar, von denen er Poa« und Festuc« nennt; wenn dieselben auf bergigen Weiden wachsen, so sollen sie sich fast ausschließlich durch Zwiebeln fort- pflanzen. Bei diesen Gräsern nämlich verwandeln sich oft die ganzen Aehrchen oder die einzelnen Blüten mit Deck- und Vorspelze in klein- blätterige Laubsprosse, die an der Basis mit Wurzelanlagen versehen sind: dies sind die von Darwin „Zwiebeln“ genannten Organe. Sie lösen sich von der Rispe ab und bewurzeln sich auf dem Boden. Von Poa strieta Lindb. z. B. kennt man keine Früchte, sondern alle Pflanzen sind „lebendig-gebärend“ |[vivipar?)]. Bei Poa bulbosa L. kommen in gewissen Gegenden nur vivipare, in andern auch früchte- tragende Pflanzen vor. Poa alpina L. und Festuca ovina L. sind in Niederungen immer geschlechtlich, in Hochgebirgen und im Norden häufig apogamisch, bei Festuca Fuegiana Hook. und Deschampsia alpina R. et Sch. ist der geschlechtliche Zustand überhaupt sehr selten ?). Nach Darwin breitet sich der Calmus (Acorus calamus L.) über einen großen Teil der Erde aus, zeitigt aber seine Früchte so selten, dass diese nur von wenigen Botanikern gesehen worden sind. Letzteres gilt speziell von Mittel- und Westeuropa, wohin er aus süd- 1) Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. Ueber- setzung von Carus. 2. Ausgabe. 2. Bd. 8. 19. 2) So nennt man Pflanzen, die an Stelle von Blüten in den Blütenständen Brutzwiebeln oder Brutknospen hervorbringen. Man bezeichnet die Erscheinung auch als Apogamie. 3) Diese Beispiele sind angeführt nach Hackel’s Bearbeitung der Gräser inEngler undPrantl, Natürliche Pflanzenfamilien, II. Teil, 2. Abteilung, S.15. 134 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. lichen Gegenden eingeführt worden sein soll!); seine Verbreitung geschieht hier seit langer Zeit ausschließlich durch Verzweigung und Teilung der Rhizome, also auf rein vegetativem Wege. Achnlich ist es bei ZLysimachia nummularia L. und Vinca minor L., die äußerst selten Früchte produzieren, aber sich durch ihre Ausläufer bedeutend zu verbreiten wissen. Außer den Ausläufern besitzt Ranumeulus Ficaria L. noch andere Vermehrungsorgane in kleinen, mit knollen- förmigen Adventivwurzeln versehenen Knospen, die in der Achsel der Laubblätter stehen und sich von der Pflanze ablösen. Das Kraut derselben ist bereits Ende Mai ganz vertrocknet und die Knöllchen bleiben bis zum nächsten Frühjahr in der Erde liegen, um alsdann zu keimen. Darwin hat diesen Ranunculus nur einmal Samen tragend gefunden, während andere angeben, dass er in England, Frankreich und der Schweiz niemals Samen preduziere. Die Vermehrung von Ranuneulus Ficaria ist von D. Clos?) in einer besonderen Studie be- handelt worden; in derselben wird auch als eine fast immer sterile Pflanze das gemeine Schilfrohr (Arundo phragmites L.) erwähnt, das vielfach an Teichufern angepflanzt wird. Man bindet dazu Stücke des langen kriechenden Wurzelstocks an Strohseile und befestigt dieselben so, dass die Wurzelstöcke sich etwas unter Wasser befinden: so bewurzeln sie sich leicht und treiben weiter. Auch von einer Orchidee (Oncidium Lemonianum Lindl. auf St. Thomas) wird an- gegeben), dass sie nie Früchte trage, sondern sich immer nur durelı Brutknospen vermehre, die an den unten am Blütenstand befindlichen Schuppenblättern an Stelle von Blüten entstehen. Betrefis weiterer Beispiele von einheimischen und exotischen Pflanzen, welche blühen aber nicht oder nur selten fruktifizieren, sei auf das Verzeichnis ver- wiesen, das Decaisne*) bereits im Jahre 1858 aufgestellt hat. Hier wollen wir von wildwachsenden Blütenpflanzen nur noch die Elodea canadensis Rich. anführen, von der weibliche Pflanzen zuerst 1836 aus Nordamerika nach Irland gebracht wurden. Sie wurde dann auch im übrigen Großbritannien und in den meisten Ländern Mittel- und Nordeuropas eingeschleppt. Hier vermehrte sie sich stellenweise — in Deutschland z. B. bei Potsdam und Siegburg — so stark, dass sie durch Verstopfung der Flussläufe für Schifffahrt und Fischerei lästig und deshalb als Wasserpest bezeichnet wurde. Da männliche 1) Der Calmus soll erst 1574 von Glusius aus dem Süden in Wien ein- gefiihrt worden sein und sich von hier aus nach Norden und Westen verbreitet haben, andere Autoren bezweifeln dies. 3) Etude organographique de la Ficaire. (Annales des sciences naturelles. Botanique, Ser. III, T. 17, S. 129.) 3) E. Eggers, Vermehrungsweise von Oncidium Lemonianum Lindl. und Pancratium Cariboeum L. (Botanisches Centralblatt, 1882, Bd. VII, S. 122.) 4) Note sur la sterilit& habituelle de quelques especes. (Bulletin de la Societ& Botanique de France, 1858, T. V, p. 154.) Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 135 Pflanzen fehlen, so geschah die Vermehrung immer nur durch Zer- teilung der Stengel. Jetzt soll allerdings die Individuenzahl sich ver- ringert haben, doch kann dies eher dem Eingreifen und der Vorsicht der Menschen als einer Schwächung in der Entwicklung der Pflanze zuzuschreiben sein, denn, wo man sie in Flüssen antrifft, gedeiht sie auf das üppigste. Außer den Blütenpflanzen können wir als Beispiele vegetativer Vermehrung in der Natur auch einige niedere Pflanzen anführen, wie Moose und Flechten. Von ersteren sei Lunularia vulgaris Mich. ge- nannt, die in Deutschland, wo sie seit längerer Zeit eingeführt ist, niemals fruktifiziert, sondern sich nur durch sogenannte Brutknospen vermehrt; trotzdem bildet sie in den Gewächshäusern ein stark wucherndes Unkraut. Bei manchen Flechten findet man keine Früchte: sie vermehren sich dadurch, dass sich kleine Stücke von ihrem Laube abtrennen, die Soredien genannt werden und die Keime neuer Pflanzen bilden. Die nicht fruktifizierenden Flechten sind vor den übrigen durch besonders reichliche Soredienbildung ausgezeichnet. Bei den hier angeführten Pflanzen, welche im natürlichen Zustande, ohne Kultur, wachsen, ist es meistens kaum möglich zu sagen, wie lange sie bei dieser vegetativen Vermehrung gut gediehen sind, da genauere Beobachtungen darüber fehlen. Nur von Elodea wissen wir, dass sie seit mehr als 50 Jahren sich in Europa ohne Schaden nur vegetativ vermehrt. Es können also an dieser so wenig wie an den andern Pflanzen Zeichen von Altersschwäche wahrgenommen werden. Jedenfalls zeigen uns diese Umstände, dass die vegetative Vermehrungs- weise nicht etwas ganz widernatürliches ist und dass sich in ihr die Kultur keines Mittels bedient, das nicht auch von der Natur ange- wendet wird. Was nun die Kulturpflanzen betrifft, so haben wir auch unter ihnen solche, die nur oder wenigstens seit einem sehr langen Zeit- raum vegetativ vermehrt worden sind, ohne dabei Zeichen von Alters- schwäche zu geben. Das beste Beispiel dieser Art ist die Banane (Musa sapientium L.). Bekanntlich wird dieselbe jetzt in vielen Spielarten überall in der heißen Zone kultiviert, und zwar seit einer Zeit, die nicht mehr fest- zustellen ist!). Nach der Sage ließ Gott, als er die ersten Menschen schuf, auch die Banane aus dem Boden hervorsprossen: jedenfalls hat sich die Pflanze gleichzeitig mit den Menschenrassen ausgebreitet. Sie ist also als eine der ältesten Kulturpflanzen anzusehen. Ihre Ver- mehrung geschieht seit undenklichen Zeiten mur durch Sprösslinge, die aus dem unter dem Boden befindlichen Rhizome hervorkommen. Nur sehr selten bringt sie Samen hervor und selbst wenn dies ge- schieht, so scheinen sie doch niemals zu Kulturzwecken ausgesät zu 1) De Candolle, Ursprung der Kulturpflanzen. (Uebers. von E. Goetze Leipzig 1884. S. 306.) 136 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen, werden. Wenn bei irgend einer Pflanze, so würde man bei ihr ver- muten können, dass sie altersschwach geworden sei. Es ist aber gar nichts bekannt davon, dass die Kulturen der Bananen jetzt einen schlechteren Ertrag geben als früher oder dass die Pflanzen von Epidemien zu leiden hätten. Die Banane scheint sich vielmehr trotz ihres vieltausendjährigen Alters als Kulturpflanze, trotz ihrer regel- mäßig vegetativen Vermehrung immer noch des besten Gedeihens zu erfreuen. Diejenigen Schriftsteller, welche eine Degeneration der ge- schlechtslos vermehrten Pflanzen durch Altersschwäche vertreten, thuen auch der Banane keine Erwähnung. Gegen ihre Ansicht ist sie bei Behandlung der Frage „Do varieties wear out“ in Gardener’s Chroniele (1875. I. p. 148) von R. Binns bereits als gutes Beweis- material angeführt worden mit den Worten: „Do the Musa show any signs of deteriation? If not, it seems that, in thise case, the ordinary mode of propagation can be dispensed with without ill effeets“! Nach der Banane möchte ich zunächst die Dattelpalme (Phoenix dactylifera L.) erwähnen. Sie bringt allerdings in den Ländern, wo sie in ihren Früchten den Bewohnern das wichtigste Nahrungsmittel liefert, keimfähige Samen hervor, sie wird aber nicht durch diese sondern durch Steeklinge in der Kultur vermehrt!). Kultiviert wird die für den Menschen so wichtige Palme vielleicht ebenso lange als die Banane, von epidemischen Krankheitserscheinuugen wird nichts angegeben; wenn ihre Früchte fehlschlagen, so sind ungenügende Bestäubung der weiblichen Blüten oder schädliche Insekten (Flug- heuschrecken, Ameisen ete.) daran schuld. Ein weiteres Beispiel, das die Unschädlichkeit der geschlechts- losen Vermehrung der Kulturpflanzen beweist, ist die Yamswurzel (Dioscorea Batatas Deene) die in China, wo sie wahrscheinlich auch heimisch ist, seit mehr als 2000 Jahren angebaut wird. Sie vertritt dort die Kartoffel und wird wie diese nur vegetativ vermehrt durch Stecklinge von den Stengeln oder durch Wurzelstücke ?). Im letzterem Fall werden die oberen Enden der Wurzelknollen abgeschnitten und in den Boden gelegt. Von den Stengeln kann man sowohl Ableger als auch Stecklinge machen, die letzteren, welche man zwischen zwei Internodien herausschneidet, kann man selbst noch einmal längs spalten. Sie bewurzelu sich unter günstigen Verhältnissen mit Leich- tigkeit und treiben aus den am Knoten vorhandenen Knospen aus. Es wird nichts darüber berichtet, dass die Pflanze infolge dieser Kulturmethode irgendwie kränklich erscheine. 1) conf. Le unis Synopsis der Pflanzenkunde, 3. Aufl., bearbeitet von A. Frank, II. Bd., 8.894. Auch Seemann (Die Palmen, 2. Aufl., Leipzig 1869, S. 198) gibt an, dass die „Dattelpalme durch Wurzelsprösslinge leicht fortzu- pflanzen ist“; ebenso Hansen in seinem interessanten Aufsatz über die Dattel- palme (Prometheus) 1890. 2) Decaisne, Note sur le Dioscorea Batatas. (Comptes rendus des seances de la soci&t&e des sciences, Paris 1858. T. XI. p. 77—83.) Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 137 Eine ähnliche Rolle wie die Yamswurzel spielt in den meisten tropischen Ländern der sogenannte Taro (Colocasia antiquorum Schott.), über dessen Kultur ich leider keine so genauen Angaben gefunden habe wie über die von Dioscorea; nach allem aber ist zu vermuten, dass er nur durch Rhizomstücke vermehrt wird. Nun wird in Jes- sen’s Abhandlung (l. e. S. 125) allerdings berichtet, dass die Pflanze von einer Krankheit ergriffen wird ähnlich der, welche die Kartoffeln (siehe weiter unten) befällt. „Keine Art des Bodens oder der Lage wird von diesem Verderben verschont, und weder im Boden noch in der Pflanze kann irgend etwas entdeckt werden, was im Mindesten auf die Ursache dieser Krankheit führt“. Dass aber in jener Zeit nichts entdeckt werden konnte, beweist noch nicht die Abwesenheit eines von außen kommenden Krankheitserregers. Zudem wird diese Krankheit nur für Jamaica angegeben; dies spricht, wenn in den andern Ländern die Pflanze bis jetzt gesund geblieben ist, nur dafür, dass hier eine spezifische Erkrankung aufgetreten ist. Von der Batate (Convolvulus Batatas L.) können wir wohl das- selbe annehmen wie von der Yamswurzel. Dass sie nur vegetativ vermehrt wird, geht schon aus einer Angabe Darwin’s!) hervor, wonach (gemäß einer Mitteilung von Mr. Fortune) die Pflanze in China niemals Samen hervorbringt. Kultiviert wird sie aber jeden- falls schon länger als die Kartoffel und gehört in den tropischen Ländern, besonders der neuen Welt, wie jene zu den unentbehrlichsten Nahrungsmitteln. Von Krankheiten, die auf Altersschwäche beruhen sollen, erfährt man nichts. Wir können ferner auf den Feigenbaum (Ficus carica L.) hin- weisen als eine geschlechtslos vermehrte Kulturpflanze, die doch keine Degenerationserscheinungen zeigt. Derselbe wird nach De Candolle seit mehr als 4000 Jahren kultiviert und hat sich von seiner ursprüng- lichen, südasiatischen Heimat über alle Weltteile verbreitet, wo er in verschiedenen Spielarten gezogen wird. Seine Vermehrung geschieht fast nur durch Ableger, die schnell Wurzel schlagen, und durch Stock- ausschläge. Seit sehr langer Zeit also wird der Feigenbaum fort- gesetzt auf vegetative Weise vermehrt, ohne dabei jetzt schlechter als früher zu gedeihen, denn die Krankheiten, die gelegentlich Insekten oder Pilze hervorrufen, dürften schon lange bei ihm aufgetreten sein und zeigen kein allgemeines Schwächerwerden der Pflanze an. Wenn wir schließlich hier den Oelbaum (Olea europaea L.) an- führen, so geschieht dies nur auf das Zeugnis von Bolle?) hin, der ihn zu den Kulturpflanzen rechnet, die ohne Schaden vegetativ ver- mehrt werden: im übrigen sind die Angaben über diese Art von ein- ander abweichend. Die Kultur der Olive ist ungefähr ebenso alt wie 4) Variieren ete. Bd. II. S. 194. 2) Bouch& und Bolle, Degeneration aus Altersschwäche. (Monatschrift zur Beförderung des Gartenbaues, von Wittmack, 1875, S. 484.) 138 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. die des Feigenbaums; sie pflanzt sich durch Wurzelschösslinge, Ab- senker und Stecklinge fort. Wie mir Herr Prof. Penzig in Genua gütigst mitteilt, keimen die reifen Samen nie oder äußerst selten, so dass man in den ausgedehnten Olivenwäldern Milliarden von Früchten und Samen auf und in der Erde liegend, nie aber eine junge Keim- pflanze finden kann. Nach Metzgers landwirtschaftlicher Pflanzen- kunde !) „ist die Fortpflanzung durch Samen von sehr langer Hand, denn ein Olivenbaum trägt nicht leicht früher, als bis er 15 Jahre alt ist; diese Fortpflanzungsart aber sei das beste Mittel, jene Aus- artung zu verhüten, über welche sich die Bewohner des Südens be- klagen“. Ob dies aber eine durch Versuche erwiesene Thatsache oder bloß eine landläufige Ansicht ist, kann daraus nicht entnommen werden. Ich erfahre ferner, dass der Olivenbaum einer äußerst sorg- fältigen Pflege bedarf, wenn er überhaupt fortkommen und nicht ein- gehen soll und dass diese Erscheinung als Altersschwäche gedeutet wird. Doch können wir dieser für Italien gemachten Angabe die Bemerkung von De Candolle?) gegenüber halten, dass die Olive ein Baum ist, „der selbst auf dem undankbarsten Boden Erträgnisse liefert“. Somit scheint es mir, dass der Oelbaum wenigstens nicht gegen die Richtigkeit der oben ausgesprochenen Ansicht angeführt werden kann, einer Ansicht, für welche wohl das Verhalten der Banane als bestes Beweismittel gelten darf. Als solches können nun aber auch noch viele Zierpflanzen be- zeichnet werden, die in ihren besonderen Sorten seit langer Zeit da- durch erhalten werden, dass man sie nur aus Stecklingen, Knollen oder Zwiebeln zieht. So haben wir Sorten von Tulpen, Rosen, Hyazinthen, Geranien, Nelken, Georginen u.a.?), von denen manche mehr als 100 Jahre bei dieser Kultur gedeihen und ebenso kräftig wachsen als andere, regelmäßig aus Samen gezogene Pflanzen. Dem Verhalten, welches die hier genannten Kulturpflanzen, in deutlichster Weise die Banane zeigen, steht nun das gewisser anderer Kulturpflanzen gegenüber: von diesen wird angegeben, dass sie bei der geschlechtslosen Vermehrung früher zwar gut gediehen, nach be- stimmter Zeit aber anfingen, krank zu werden, so dass manche sogar ihr Aussterben befürchten lassen. Die Ansicht, dass dies ein Beweis für die Altersschwäche sei, findet sich am ausführlichsten dargelegt in der oben (eonf. Anm. 1 S. 131) zitierten Abhandlung von C. F. W. Jessen. Besonders wenn unter verbreiteten Kulturpflanzen Epidemien auftraten, wurden sie von den Vertretern jener Ansicht als Folgen der fortgesetzten ungeschlechtlichen Vermehrung der betreffenden Pflanzen angesehen. Es seien deshalb die hauptsächlichsten dieser Fälle jetzt etwas ausführlicher behandelt. 1) Heidelberg 1841. 1. Bd. S. 567. 2) Ursprung der Kulturpflanzen. 8. 357. 3) eonf. Anm, 2 der vorigen Seite. Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 139 Einen sehr bekannten Fall, dass die Vermehrung nur durch Steck- linge erfolgt und dass die so erzogenen Pflanzen in neuerer Zeit in großem Maßstabe erkranken, bietet die Pyramidenpappel (P. pyra- midalis Rozier —= P. dilatata Ait.). Die Heimat dieses Baumes ist nach den Angaben der meisten Autoren!) in Mittelasien zu suchen, von wo er nach Europa gebracht wurde. Zuerst in Italien angepflanzt, verbreitete er sich von da in die anderen Länder. Nach Deutschland kam er aus Frankreich in den siebziger Jahren des vorigen Jahr- hunderts und wird hier vielfach als Chausseebaum verwendet. Auch nach den vereinigteu Staaten ist er von England aus im Jahre 1809 durch den Kanzler Livingstone eingeführt worden?). Es darf wohl angenommen werden, dass die Verbreitung und Vermehrung dieser Pflanze in den großen Gebieten, welche sie jetzt bewohnt, ausschließ- lich durch Steckreiser geschehen ist. In Deutschland wenigstens stammen alle Exemplare von einem Baume ab und zwar war dieser Baum ein männlicher, da wie schon erwähnt, fast alle Exemplare männlich sind ?). Aus verschiedenen Ländern wird nun gemeldet, dass die Pappeln im Begriff sind auszusterben. In England gingen in den Jahren 1820 bis 1840 die meisten Bäume zu Grunde und in den vereinigten Staaten drohte sie schon 1840 ganz zu verschwinden‘). In Nord- und Mittel- deutschland scheinen die Pappeln besonders seit 1880 ebenfalls überall im Aussterben begriffen zu sein, während sie in Süddeutschland noch ganz gut gedeihen. Eine äußere Ursache für das Siechtum dieser 4) Willkomm (Forstliche Flora von Deutschland und Oesterreich. Leipzig und Heidelberg 1872, S. 456), der die Pyramidenpappel als eine Varietät der Schwarzpappel (Populus nigra L.) betrachtet, gibt folgendes an: „Sie findet sich nach Royle wildwachsend am Himalayagebirge, wo der männliche und weibliche Baum zusammen vorkommt, und ist daher wahrscheinlich nicht aus Persien nach Europa gekommen, wie man früher annahm“. Frank’s Angabe in Leunis’ Synopsis (Bd. II, S. 505), dass sie von den Ufern des Mississippi stamme, beruht auf einer Verwechslung mit einer andern Art. 2) Report of the Commissioners of Patents for 1829. Agriculture p. 270. (Zitiert in Jessen p. 201.) 3) Es existieren in Deutschland auch einige weibliche Exemplare, über deren Entstehung man nichts genaues weiß. Möglich ist es, dass an einem männlichen Baum ein Zweig mit weiblichen Blüten durch spontane Variation auftrat und dass dieser dann, als Steckreis verwendet, einen weiblichen Baum lieferte. Beobachtet ist aber eine solche Knospenvariation an der Pappel noch nicht. Man kann daher auch annehmen, dass die weibliche Pyramidenpappel entstanden ist durch Kreuzung eines männlichen Baumes dieser Art mit einem weiblichen von P. nigra; einige auf diesem Wege entstandene Sämlinge könnten dann den Wuchs des Vaters und das Geschlecht der Mutter geerbt haben. Die hier kurz besprochene Frage behandelt W. O0. Focke in seiner Abhand- lung über das Siechtum der Pyramidenpappeln. (Wittmack’s Gartenzeitung, 1883, 8. 389.) 4) Jessen |. ce. S. 201. 140 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. Bäume gibt sich nieht deutlich zu erkennen. Dass z. B in Nord- deutschland die große Kälte des Winters 1879/80 Veranlassung dazu gewesen wäre, ist nicht wahrscheinlich. Focke!) macht dagegen geltend, dass schon vor 1879 die Pyramidenpappeln zu kränkeln be- gannen. Ferner zeigten sich nach dem Frost in Norddeutschland die Pappeln, aber nicht die Obstbäume, in Süddeutschland die Obstbäume, nicht aber die Pappeln geschädigt. Drittens sind frühere noch kältere Winter (z. B. im Jahre 1821) von keinem so nachteiligen Einfluss auf die Pappeln gewesen. Focke nimmt nun an, dass die eigent- liche Ursache des Siechtums jener Bäume in der Alterschwäche der Sorte liegt, ohne zu leugnen, dass andere Umstände, wie Winterkälte und ein rauhes Klima dabei eine Rolle mit spielen. Eine nähere Be- sründung dieser Behauptung gibt der erwähnte Autor nicht und es ist ziemlich deutlich, dass seine Erklärung nur der Ausdruck der Unkenntnis eines wirklich nachweisbaren Grundes ist. Soll man wirk- lich glauben, dass nach noch nieht hundertjähriger Kultur eine Pflanze an Altersschwäche zu Grunde geht? Dies aber angenommen, wird man doch erwarten müssen, dass die Altersschwäche dann gleichzeitig bei allen Pflanzen eintritt. Es ist danach gar nicht einzusehen, warum in Süddeutschland und ım Südosten Europas die Pappelbäume ihre Jugendfrische erhalten, in Norddeutschland, Frankreich, England und Amerika aber altersschwach werden sollen. Einwände dieser Art sind auch Herrn Focke von anderer Seite gemacht worden, so von H. Jaeger und Tyge Rothe, die in dem folgenden Jahrgang der Gartenzeitung?) das Siechtum der Pyramiden- pappeln besprechen. Mit Recht hebt ersterer auch hervor, wie un- wahrscheinlich es ist, dass diese Sorte nach verhältnismäßig so kurzer Zeit an Alterschwäche leiden soll, während doch die so nahe ver- wandte Schwarzpappel gewiss schon seit den ältesten Kulturzeiten im ackerbauenden Tieflande durch Stecklinge fortgepflanzt wird. Jaeger stimmt mit den meisten Gärtnern darin überein, dass wieder- holte strenge Winter das Siechtum der Pappeln hervorgerufen haben, allein das Ungenügende dieser Begründung ist nicht nur schon oben dargethan worden, sondern es lässt sich sogar noch mehr dagegen anführen. So bemerkt Tyge Rothe, dass auch Exemplare, die einen so geschützten und günstigen Standort hatten, dass sie notorisch von Kälte und Eisschlag nichts litten, dessen ungeachtet später von der- selben Krankheit wie die andern Pappelbäume vernichtet wurden. Dieser Autor folgt in derErklärung der Krankheit Herrn E.Rostrup?), der einen Schmarotzerpilz als den wahrscheinlichen Urheber be- zeichnet hat. 1) conf. Anmerkung 3 der vorigen Seite. 2) Jahrg. 1884. S. 13, 59, 401. 3) Pyramidepoples Undergang. Tillaeg til Nationaltidende. Kopenhagen 13. Nov. 1883. Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 141 Der Pilz, weleher den Namen Dothiora sphaeroides Fries!) trägt, befällt die jungen Stämme und Aeste der Pappeln, durchzieht sie mit seinem Fadengewebe und bringt sie dadurch zum Absterben. Erst an den abgestorbenen Teilen bilden sich seine Fortpflanzungsorgane aus, ohne äußerlich gerade auffallend hervorzutreten. Auch an andern Pappelarten wird der Pilz gefunden, er schädigt dieselben aber weniger, da er nur die schon abgestorbenen Sprosse befällt. Es verhält sich also mit diesem Pilz wie mit manchen anderen: er ist in der Regel unschädlich, indem er nur aut bereits toten Pflanzenteilen — also saprophytisch — lebt, er kann aber, wenn er die geeignete ihm be- sonders zusagende Pflanze findet, zur parasitischen Lebensweise über- gehen und zu einem gefährlichen Schmarotzer werden. Die Pyramiden- pappel scheint nun gerade der Dothiora sehr günstige Bedingungen für ihre Entwicklung zu bieten und wird deshalb von ihr in ausge- dehntem Maße befallen. Es ist zwar auffallend, dass der Pilz ziem- lich plötzlich so überaus reichlich und verderblich als Parasit der Pyramidenpappeln auftritt, indessen mag er vorher bei mehr ver- einzeltem Erscheinen nicht bemerkt worden sein. Möglicherweise haben auch äußere ungünstige Verhältnisse die Pappeln an gewissen Orten und zu bestimmter Zeit weniger widerstandsfähig gegen seine Angriffe gemacht. Zu der Annahme, dass der Pilz von auswärts ein- sewandert sei, wie dies bei manchen andern Parasiten der Fall ist, bietet die Art und Weise seines Auftretens und seiner Verbreitung keinen Grund. Wenn man aber die Krankheit auf einen Parasiten zurückführen kann, so würde aus der ungleichmäßigen Verbreitung desselben es sich leicht erklären lassen, warum in einigen Gegenden die Pappeln absterben, in anderen nicht. So kann denn wohl diese Erklärung von der Ursache des Siech- tums als die annehmbarste betrachtet werden, wenn sie auch noch nicht sicher bewiesen ist. Denn meines Wissens sind Infektions- versuche bisher nicht angestellt worden und es ist noch nicht erwiesen, ob die Dothiora an jeder kranken Pappel zu finden ist. Man sollte darum einige noch ganz gesunde Exemplare der letzteren Art mit dem Pilze infizieren und zusehen, ob sie dann unter denselben Er- scheinungen erkranken, wie die in der Natur erkrankten Pflanzen. Ferner sollte man aber auch aus Samen gezogene Pappeln?) mit Stecklingen vergleichen, nachdem beide auf möglichst gleicher Ent- 1) Der Pilz ist ein Ascomycet aus der Familie der Discomyceten und der Unterfamilie Patellarieae. 2) Sämlinge können natürlich nur da erhalten werden, wo ein weibliches Exemplar der Pyramidenpappel zur Verfügung steht. Die Samen keimen schon am 3. Tage. Angaben über die Zucht von Pappelsämlingen findet man in den Arbeiten Vonhausen’s in der allgemeinen Forst- und Jagdzeitung von 1879 und 1881. Man vergleiche auch den Aufsatz von H. v. Salisch in Witt- mack’s Gartenzeitung, 1885, Jahrg. 34, S. 201. 142 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. wieklungsstufe mit dem Pilze infiziert sind. Es würde sich dann zeigen, ob die Stecklingspflanzen wirklich weniger widerstandsfähig gegen parasitische Angriffe sind als die Sämlingspflanzen, wie dies von Herrn von Thuemen!) angenommen wird. Außer den Pyramidenpappeln zeigen auch andere Arten der Gat- tung Populus an manchen Orten dieselben Erscheinungen des Ab- sterbens wie jene: so die Schwarzpappel (P. nigra L.), die Canada- Pappel (P. canadensis Mehx.), die Silberpappel (P. alba L. und P. canescens W.) und die Zitterpappel (P. tremula L.). Auch sie werden nur ungeschlechtlich fortgepflanzt, die Schwarzpappel, wie erwähnt, schon viel länger als die Pyramidenpappel. Trotzdem leidet erstere weder seit längerer Zeit noch jetzt intensiver an allgemeinem Siech- tume als die letztere. Besonders muss darauf hingewiesen werden, dass auch hier wiederum die Krankheit nur in einzelnen Gegenden an den genannten Bäumen auftritt und dass schon dieser Umstand genug dagegen spricht, als ob es sich um eine jetzt allgemein ein- tretende Altersschwäche handelte, Inwieweit bei den andern Pappel- arten Dothiora sphaeroides oder andere Pilze als Krankheitsursachen beteiligt sind, vermag ich nicht anzugeben. Im Anschluss an die Besprechung der Pappelkrankheit sei noch mitgeteilt, dass man auch an Weiden Beobachtungen über plötzliches allgemeines Absterben gemacht hat. So erwähnt Focke in dem oben zitierten Aufsatz, dass die Trauerweiden (Salix babylonica L.) zu Anfang der sechziger Jahre in Deutschland größtenteils zu Grunde gingen. Er führt dies natürlich auf die Altersschwäche der Sorte zurück. Allerdings stammen alle unsere, nur weiblichen Exemplare von einem und demselben Steckreis, das wohl Anfang vorigen Jahr- hunderts aus dem Orient nach Europa gebracht wurde?). So lange keine näheren Untersuchungen über die kranken Trauerweiden vor- liegen, lässt sich über die Ursache ihrer Erkrankung nichts weiteres sagen. Da doch die andern schon lange regelmäßig durch Stecklinge vermehrten Weiden nicht absterben, ist die von Focke gemachte Annahme betreffs der Trauerweide mindestens keine sehr wahrschein- liche. Die Vermutung Rothe’s?), dass es sich hier um den gleichen oder einen ähnlichen Pilz wie bei der Pyramidenpappel handelt, hat gewiss mehr für sich. Wenn wir somit bei Pappeln und Weiden auch die Behauptung, dass sie an Altersschwäche leiden, als ganz unerwiesen ansehen und zurückweisen müssen, so haben wir doch noch keine Sicherheit über den wahren Grund ihrer Erkrankung. Besser unterrichtet sind wir über die Ursachen der jetzt zu besprechenden Krankheiten. 4) Fühling’s Landwirtschaftliche Zeitung, 1885, Jahrg. 34, S. 201. 2) Angaben hierüber finden sich in K. Koch’s Dendrologie (Erlangen 1869 bis 1873) Bd. II, S. 509. 3) Siehe den zitierten Aufsatz in der Gartenzeitung. Möbius, Geschleehtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 143 In den Fällen, um die es sich hier handelt, weiß man, dass die Pflanzen durch gewisse Parasiten geschädigt werden, dass die Krank- heit nicht ohne dieselben auftritt und dass letztere wiederum ein Zeichen für die erstere sind. Man kennt auch die ganze Entwick- lung des Parasiten und kann seine Ausbreitung von dem ersten Auf- treten an ziemlich genau verfolgen. Von Kulturpflanzen kommen hier besonders in Betracht der Weinstock, die Kartoffel und die Obstbäume; die auf ihnen Krankheiten erzeugenden Schmarotzer sind Pilze oder Insekten. Manche Landwirte nehmen nun an, dass das Befallenwerden von den Schmarotzern an sich schon als eine Krankheitserscheinung auf- zufassen sei. Sie geben zu, dass die Schmarotzer dann den eigent- lichen Ausbruch der Krankheit bewirken und dazu auch notwendig sind, meinen aber, dass in den nun kranken Pflanzen schon vorher gewissermaßen der Keim dazu gelegen habe, der ohne das Hinzu- kommen der Parasiten latent bleibt. Pflanzen, die nicht diesen Keim in sich tragen, würden dann, auch wenn sie von Parasiten angegriffen werden, nieht krank werden, d.h. diese würden sich auf ihnen nicht entwickeln können. Die Pflanzen also, welche durch die Parasiten geschädigt werden, sollen eine krankhafte Anlage oder Prädisposition besessen haben. Ob bei den Pflanzen für gewisse Krankheiten eine solehe Prädisposition nötig ist oder überhaupt existiert, darüber ist viel geschrieben worden. In sehr gemäßigter und sachlicher Weise wird die Frage von Sorauer!) behandelt. Nach seiner Ansicht müssen die Krankheitserreger (Insekten oder Schmarotzerpilze) nicht immer die Krankheit erzeugen, sondern in manchen Fällen muss eine Prädisposition dazu da sein. In andern Fällen, gibt er zu, braucht sie nicht vorhanden zu sein, wie z.B. beim Auftreten des Mutterkorns im Getreide. Die Ursache der Prädisposition sucht er in exzessiver oder lang andauernder Kälte, in der Bodenbeschaffenheit und ähnlichen äußeren Umständen. Die Richtigkeit seiner Anschauung zu prüfen, ist hier nicht der Ort. Wir haben hier nur zu untersuchen, ob auch durch fortgesetzte Vermehrung auf vegetativem Wege eine Sorte oder Art zu Krankheiten prädisponiert wird. Gerade die sogenannte Alters- schwäche wird von Manchen als notwendige Prädisposition zur Krankheit da gefordert, wo zugegeben werden muss, dass sie nicht als alleinige Krankheitsursache angenommen werden kann. Diesen Punkt haben wir also im Folgenden auch immer mit zu berücksichtigen. In der auf Altersschwäche beruhenden Prädisposition sieht von Thuemen?) eine der wichtigsten Ursachen der stetig zunehmenden Parasitenschäden an unseren Kulturgewächsen und speziell am Wein- 4) Gibt es eine Prädisposition der Pflanzen für gewisse Krankheiten ? (Landwirtschaftliche Versuchsstationen, 1880.) 2) l. e. siehe Anm. 2 S. 14. 144 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen., stock. Er erbliekt in den Reben, die seit tausenden und tausenden von Jahren nur durch Stecklinge „auf die denkbar widernatürlichste Manier“ vermehrt werden, „scheinbar verjüngte Greise, denen keine echte innere Lebenskraft innewohnt“. Infolge dessen können sie — nach seiner Meinung — den Angriffen der Parasiten nicht wider- stehen und können diese solche Verheerungen unter ihnen anrichten, wie wir es thatsächlich sehen. Ob diese Annahme nötig ist, wird die folgende Erörterung zeigen. Gewiss ist der Weinstock seit den ältesten Zeiten in Kultur; Be- weise derselben sind in egyptischen Grabgewölben vorhanden und weisen auf den Gebrauch des Weines schon vor 5000—6000 Jahren hin. Seit dieser Zeit wird auch die Pflanze durch Stecklinge ver- mehrt. Mag sie sich im spontanen Zustand, in dem sie in prähistori- scher Zeit schon in Ländern existierte, in die sie erst später als Kulturpflanze eingeführt wurde, auch reichlich durch Samen ver- mehren, so hat man doch bei der Kultur wohl immer nur Stecklinge zur Zucht verwendet !). An den Rebensorten müssten also Zeichen von Altersschwäche, wenn es solche gäbe, gewiss zu bemerken sein: bemerkt man aber davon etwas an Pflanzen, die nicht von Schmarotzern befallen sind? Niemand klagt darüber und die Ansicht von einer solchen Altersschwäche beruht nicht auf Beobachtung, sondern auf reiner Theorie und Vermutung. Was nun die durch Schmarotzer hervorgerufenen Krankheiten betrifft, so treten dieselben als gefährliche Epidemien auf, die mit verschiedenen Namen bezeichnet werden. Zu den am längsten be- kannten gehört der sogenannte Mehltau. Möglicherweise hat man diesen schon im klassischen Altertum beobachtet, wenigstens spricht Plinius von einem Mehltau, der das Abfallen der Weinbeeren bedingt ?). Vor 200 Jahren ist dann ferner eine Notiz gegeben, die sich offenbar auf die in Rede stehende Krank- heit bezieht). Sicher beohachtet ist sie erst in diesem Jahrhundert: zuerst 1839 von Nietner in Deutschland ), dann 1845 von Tucker in England. Berkeley fand 1847 einen Pilz als stetigen Begleiter und offenbaren Urheber der Krankheit und nannte ihn Oidium 1) Die Früchte der Rebe enthalten zwar meistens Samen, allein dieselben sind in der Regel nur in geringem Prozentsatz keimungsfähig, ihre Keimungs- energie ist außerdem sehr schwach; die Samen edler Sorten besitzen ein schwächeres Keimungsvermögen als die gemeiner Sorten, wie schon Darwin angibt. (Variieren der Tiere und Pflanzen ete. Uebersetzt von Carus. 2. Aufl., Stuttgart 1873, II. Bd., S.193.) Vergleiche hiezn: F. Nobbe, Unter- suchungen über die Anzucht des Weinstockes aus Samen. (Landwirtschaftliche Versuchsstationen, Bd. XXX, S. 229.) 2) A. B. Frank, Die Krankheiten der Pflanzen. Breslau 1880. S. 559. 3) Jessen |. c. S. 153. 4) Jessen |. ce. S. 154. Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 145 Tuckerit). Bestimmt lässt sich also nicht angeben, wie lange die Rebe kultiviert worden ist, bis sie — nach von Thuemen’s An- sicht — so altersschwach wurde, dass sie dem Mehltaupilz nicht mehr Widerstand leisten konnte. Einige Jahrtausende scheint sie aber doch bei der „denkbar widernatürlichsten“ Vermehrung sich jugendfrisch erhalten zu haben. Es ist nun freilich nicht so leicht zu erklären, wodurch nach dieser Zeit eine so starke Ausbreitung der Traubenkrankheit — so wird der Mehltau auch bezeichnet — hervorgerufen wurde?). Denn dass es früher den Pilz nicht gegeben habe, ist nicht anzunehmen. So wurde denn die Altersschwäche der Rebe zur Erklärung herbeigezogen, und weil man keine andere hatte, erschien diese auch ganz plausibel. Einer näheren Prüfung konnte aber diese Theorie nicht Stand halten, wie aus den Verhandlungen darüber bei einem Kongress von Weinzüchtern in Trier im Jahre 1874 hervorgeht. Es sei gestattet aus diesen Verhandlungen das Wesent- liche mitzuteilen, weil sie von besonderem Interesse für unsern Gegen- stand sind. Die Frage, mit der sich die Weinzüchter unter anderen beschäftigten, lautet: „Ist die durch Friedrich Hecker ausge- sprochene, sehr wahrscheinliche Ansicht, dass die europäischen Reben in den letzten Jahren namentlich deshalb so sehr durch Krankheit aller Art leiden, weil die meisten jungen Reben aus sogen. Fechsern oder Schnittreben und nicht vielmehr aus Kernen gezogen werden, richtig“)? Der Referent, Dr. David, kommt nach einer längeren Exposition „zu dem überraschenden Resultate, einmal, dass der Wein- stock keineswegs, wie man so gern anzunehmen gewohnt ist, eine besonders geplagte Pflanze ist, und zweitens, dass es für die Anfällig- keit einer Kulturpflanze durch Krankheiten (Insekten oder Pilze) völlig gleichgiltig ist, ob dieselbe aus Samen gezogen, durch Schnittlinge direkt vermehrt oder endlich auf Samenpflanzen aufgepfropft wird. Die Ansicht Friedrich Hecker’s muss also als falsch bezeichnet werden“. Nels bemerkt, „dass zehnjährige Weinstöcke, die aus Samen gezogen wurden, wie alle andern vom Oidium befallen wurden und also keineswegs widerstandsfähiger sind“. Auf eine Anfrage Blankenhorns, „ob es nicht wahrscheinlich sei, dass Krankheiten, die durch Pilze hervorgerufen sind, durch Schnittreben leicht über- 1) Oidium Tuckeri Berk, ein Pilz aus der Abteilung der Pyrenomy- ceten, dessen vollkommene Fruchtform man aber noch nicht kennt, bildet auf den Rebenblättern weißliche, spinnwebenartige Ueberzüge und auf den Jungen Beeren braune Flecken. Sein Mycelium wächst auf der Oberhaut jener Organe und bildet an kurzen aufrechten Aesten einzellige Sporen. 2) 1851 kannte man sie schon in allen weinbautreibenden Ländern Europas und auch in Nordamerika. 3) Bericht über die Verhandlungen der Sektion für Weinbau auf der 16. Sektionsversammlung in Trier, vom 28.—30. Sept. 1874. Von Dr. Georg David. Heidelberg 1875. S. 30. XI. 10 146 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. tragen werden und so eine größere Verbreitung finden“, antwortet David: „Das sei möglich, aber die Kalamität bleibe bestehen, auch wenn die Weinpflanze durch Samen vermehrt wird, da die Samenpflanze doch immer veredelt werden müsse, also ebenfalls wieder der Teil eines schon vorhandenen Weinstocks in Gebrauch genommen werde“. Direktor Goethe zu Marburg schließt sich der Ansicht des Dr. David völlig an, „dass wir durch Samenzucht nicht eine Verminderung der Krankheit erreichen; Samenzuchten, schon vor 40 bis 60 Jahren an- gestellt, haben dies zur Genüge bewiesen. Schließlich kann sich auch Baron Da&l von Koeth „für die Hecker’sche Ansicht ebenfalls keinen rationellen Grund denken und stimmt der Ansicht des Refe- renten bei“. Nach diesen Aussprüchen von Fachmännern liegt also gar kein Grund zu der Annahme vor, dass die Rebensorten an Altersschwäche leiden. Wir können somit die Vermehrung durch Steeklinge nicht für die Traubenkrankheit verantwortlich machen, sondern müssen als alleinige Ursache derselben den Pilz, Oidium Tuckeri, betrachten. Dieser entwickelt sich auf jeder Rebe, wenn keimfähige Sporen auf letztere gelangt sind und es ist gar keine Prädisposition von Seite der Rebe dazu nötig. Wenn er sich aber entwickelt — wozu er natürlich auch gewisse äußere Bedingungen, wie Feuchtigkeit, braucht — so ruft er die Traubenkrankheit oder den Mehltau hervor. Offenbar ebenso verhält es sich mit einer andern Epidemie, die man zum Unterschied von der vorigen falschen Mehltau genannt hat und die in noch neuerer Zeit erst zu einer großen Kalamität für den Weinstock geworden ist. Auch hier werden die Anhänger der Lehre von der Altersschwäche der Reben diese als ursprünglichen Grund hinstellen und in dem Pilz nur die Veranlassung zum Ausbruch der Krankheit erkennen wollen. Dagegen lassen sich aber auch dieselben Gründe geltend machen wie bei der vorigen Krankheit; doch sind mir nähere Angaben und Versuche in dieser Hinsicht nicht bekannt geworden. Ganz vortrefflich lässt sich bei dieser Epidemie ihre Aus- breitung von Land zu Land erkennen, d.h. man sieht, wie der krank- heitserregende Pilz von Land zu Land übertragen worden ist. Ver- suche haben gezeigt, dass die Verbreitung durch die Sporen des Pilzes geschieht. Derselbe wird Peronospora viticola de By!) nannt und hat seinen Ursprung in Nordamerika, wo er auf den dort einheimischen Vitis- Arten parasitisch lebt. 1878 wurde er zuerst in Frankreich auf der kultivierten Rebe beobachtet und verbreitete sich von hier nach Deutschland, der Schweiz, Italien, Ungarn, Griechen- land, mehr oder weniger ernten elek hervorrufend. Be- 4) Der Pilz gehört nicht wie die bisher genannten zu den Ascomyceten, sondern zu den Phycomyceten in die Familie der Peronosporeen, seine Sporen (Sporangien) werden an oberflächlichen aufrechten Fadenästen abge- gliedert. Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 447 merkenswert ist, dass gegen die Extensivität und Intensivität der Verbreitung der Peronospora viticola alle ähnlichen, bei Pilzeinwan- derungen bisher beobachteten Erscheinungen weit in den Hintergrund treten !). Das meiste Interesse und die größte Besorgnis erregt gegenwärtig von den Krankheiten des Weinstocks die durch die Reblaus (Phylloxera vastatrix) verursachte. Eine ungeheure Litteratur über diesen Gegen- stand ist in wenigen Jahren entstanden. In dieser Litteratur fehlt es auch nicht an Schriften, in denen behauptet wird, die Reblaus könne nur deshalb solehen Schaden anrichten, weil die Rebsorten durch beständige vegetative Vermehrung altersschwach geworden seien. Zu den Schriften dieser Art gehören einige von Oh. Oberlin?). Er nennt die Vermehrung durch Stecklinge eine „barbarische“, welche eine Degeneration der Reben habe herbeiführen müssen; es werde durch diese Methode die Struktur des Zellgewebes der Rebe verändert und für die Angriffe der Reblaus empfindlicher gemacht. Dass diese Behauptungen ganz unerwiesene sind, haben bereits mehrere Oenologen dargethan. Da in ihren Ausführungen sich vieles wiederholt, was bei der Frage nach der Ursache des Mehltaues schon gesagt worden ist, so soll nicht weiter auf den Inhalt der unten zitierten Schriften ?) ein- gegangen werden. Es wird besser sein, wenn wir zum Schluss dieses Absehnittes die Gründe kurz zusammenfassen, welche dafür sprechen, dass die Rebsorten nicht an Altersschwäche leiden und dadurch zu den Infektionskrankheiten prädisponiert sind, sondern dass die Pilze und tierischen Schmarotzer als die eigentlichen und alleinigen Ursachen der betreffenden Krankheiten zu betrachten sind®). 1) von Thuemen, Die Einwanderung und Verbreitung der Peronospor«a viticola in Oesterreich. (Aus den Laboratorien der k. k. chemisch - physiolog. Versuchsstation für Wein- und Obstbau zu Klosternenburg bei Wien, Nr. 7, 1. Dez. 1888.) 2) Die natürliche Lösung der Phylloxera-Frage. (Ampelographische Be- richte, Bd. II, Nr. 4.) Die Degeneration der Reben, ihre Ursache und ihre Wirkungen. Lösung der Phylloxera-Frage. Colmar (E. Barth) 1881. 3) A. Marri, Die Regeneration der Rebe oder über den Zweck und die Art, die Rebe durch Samen fortzupflanzen. (Annalen der Oenologie, IX, S. 50, 1869.) — R. Goethe, Ueber Degeneration und Regeneration der Reben. (Ampelographische Berichte, II, Nr. 5, 1881.) — R. Goethe, W.Rasch, Ueber die Anzucht der Reben aus Samen. (Ampel. Ber. INr. 3 1880, III Nr. 5 1882.) — Müller-Thurgau, Ueber die Ursachen des krankhaften Zustandes unserer teben. Vortrag. (Sep.-Abdr. aus Mitteilungen d. thurg. naturf. Ges., Heft VII, 8°, 198.) Frauenfeld (J. Huber) 1890. 4) Dass ungeeignete Kultur, ungünstige Witterung u. dergl. das Wachstum der Reben schwächen und das ihrige dazu beitragen, die infizierten Stöcke noch kränker zu machen, ist selbstverständlich. Das sind aber immer nur lokale Erscheinungen, welche die inneren Eigenschaften der ganzen Pflanzen- sorte im Allgemeinen nicht verändern. INaye 148 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 1) Der Weinstock wird seit Jahrtausenden durch Stecklinge ver- mehrt und gedeiht da, wo Parasiten fehlen, in ganz normaler Weise; historisch nachweisbar ist, dass einzelne der noch jetzt kultivierten Sorten bereits seit 1500 Jahren auf dieselbe Weise vermehrt werden und trotzdem ihre vortrefflichen Eigenschaften bewahrt haben. 2) Dass die Vermehrung mittels Stecklirgen eine Veränderung in der Struktur der Rebe hervorbringe, lässt sich nicht nachweisen. Ueber- haupt wächst der neue Stock nur dann von vornherein anormal, wenn die Steeklinge von kranken oder schlecht ernährten Stücken genommen wurden. 3) Die Fortpflanzung auf vegetativem Wege kann bei der Rebe nicht als widernatürlich betrachtet werden, denn diese Pflanze hat in bevorzugtem Maße die Fähigkeit, beim Einlegen aus jedem Knoten Wurzeln und aus der an dem Knoten stehenden Knospe einen neuen Spross zn bilden. 4) Die aus Samen gezogenen Rebstöcke zeigen keine größere Widerstandsfähigkeit gegen Frost und Schmarotzer (Oidium) als die aus Stecklingen gezogenen. In beiden Fällen verhalten sich die neuen Pflanzen wie ihre Mutterpflanzen, deren Widerstandsfähigkeit in ge- wissem Grade von der Sorte, der sie angehören, abhängt. Um ganz analoge Erscheinungen, wie wir sie beim Weinstock kennen gelernt haben, handelt es sich auch bei der Kartoffel. Indessen wollen wir auch bei dieser Pflanze etwas näher auf ihre Kultur und ihre Krankheiten eingehen. Wir wissen nicht genau, seit welcher Zeit die Kartoffel in Kultur genommen worden ist. Jedenfalls ist dies in Amerika geschehen, bevor dasselbe von den Europäern entdeckt wurde. Zu dieser Zeit wurde sie bereits in den gemäßigten Regionen der Anden von Chile, welches Land als ihre ursprüngliche Heimat anzusehen ist, bis Neu- granada kultiviert. 1580. wurde die Pflanze von den Spaniern aus Südamerika direkt nach Europa gebracht. Die Engländer aber er- hielten sie erst 1585 durch Sir Walter Raleigh aus Virginien und hierhin war sie erst nach der Entdeekung Amerikas von Südamerika aus durch den Schiffsverkehr gekommen. Gegenwärtig hat die Kar- toffel als Kulturpflanze fast die ganze Welt erobert, doch ist ihre sroße Ausbreitung erst seit dem vorigen Jahrhundert zu datieren?). Beim Kartoffelbau im Großen wird die Pflanze nur durch die Knollen vermehrt. Dieselben werden entweder ganz in den Boden gelegt oder die Knolle wird vorher in so viel Stücke geschnitten als Augen (Knospen) an ihr vorhanden sind. Man kann allerdings die Kartoffeln auch aus Samen erziehen ?), es geschieht dies aber nur von 1) De Candolle, Ursprung der Kulturpflanzen. 2) Interessant ist es zu sehen, welche Unterschiede in der Blüten- und Samenbildung bei verschiedenen Kartoffelsorten auftreten. Nach einer Angabe in Gardeners Chroniele (Jahrg. 1880, Vol. XIV, p. 115) lassen sich dabei 6 Fälle Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 149 einigen Züchtern, die es auf die Erziehung neuer Sorten abgesehen haben; auch bringen die Sämlinge erst im zweiten Jahre brauchbare Knollen hervor. Bei der ungeheueren Wichtigkeit, welehe die Kartoffel als Nah- rungsmittel für den Menschen besitzt, ist es von größtem Interesse, ihre Ertragsfähigkeit möglichst hoch zu halten und alles zu vermeiden, was zu ihrer Schädigung beitragen könnte. Es wäre eine sehr traurige Aussicht, annehmen zu müssen, die Kartoffel entarte durch die fort- gesetzte Kultur, speziell die Vermehrungsmethode, immer mehr und könne den sie heimsuchenden Schmarotzer keinen Widerstand mehr leisten. Solehe Ansichten wurden besonders laut, als 1845 die sogenannte Kartoffelkrankheit ausbrach und sich mit größter Schnelligkeit nicht bloß über ganz Europa, sondern auch über die andern Weltteile ver- breitete. Dass eine allgemeine Entartung der Pflanze die Ursache sei, behauptete auch Schleiden). Nach ihm soll eine durch lange fortgesetzte Kultur gestörte anomal gewordene Ernährung und stofl- liche Zusammensetzung der Kartoffel sie schließlich zu Krankheit und Zersetzung besonders geneigt machen. Genauer begründet scheint diese Ansicht nieht zu sein. Etwas eingehender, aber ohne seine Meinung durch Untersuchung der wirklichen Verhältnisse zu stützen, spricht sich Unger?) aus: „Die Frage ist, inwieweit eine durch Kultur allmählich verhinderte Samenbildung die vorzüglich in den Samen abgesetzten stickstoffhaltigen Bestandteile der Pflanze auch über die vegetativen Teile des Gewächses verteilen und dadurch eine leichtere Zersetzung und Entmischung ebenderselben herbeizuführen im stande ist? Würde dies mehr oder weniger allgemein der Fall sein, so ließe sich die in der Kartoffel seit Jahren verminderte Frucht- bildung sicherlich als eine der wichtigsten prädisponierenden Ursachen der Kartoffelkrankheit ansehen“. Beide Forscher also, wenn sie es auch nicht deutlich aussprechen, suchen offenbar in der Kulturmethode d. h. der Vermehrung durch Knollen, den ursprünglichen Grund zur Krankheitsanlage. Wir wollen noch zitieren, wie sich Jessen in seiner schon mehrfach erwähnten Abhandlung über diesen Punkt äußert. Er sagt daselbst (S. 131): „Wir kommen zu dem Resultat, dass unsere Kartoffeln an einer unterscheiden: im 1. Fall produzieren die Kartoffelpflanzen niemals Blüten, im 6. Fall werden Blüten produziert, die sich selbst befruchten und reichlich Samen hervorbringen. Zwischen diesen beiden Extremen sind eine ganze Reihe von Uebergangsstufen wahrzunehmen 4) Eneyklopädie der theoretischen Naturwissenschaften in ihrer Anwendung auf die Landwirtschaft, Bd. III, 2, Anhang. (Zitiert nach de Bary, Kartoffel- krankheit.) 2) F. Unger, Beitrag zur Kenntnis der in der Kartoffelkrankheit vor- kommenden Pilze und der Ursache ihres Entstehens. (Bot. Zeitung, 1847, S. 305.) 150 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. inneren oder, wie man sagt, konstitutionellen Krankheit leiden, dass aber diese Krankheit bei passender Kultur und Bodenart in geringerer Heftigkeit auftritt als bei unpassender Kultur und ungeeignetem Boden. Man könnte noch eine Ansicht aufstellen, nämlich die, dass nur eine Erschöpfung des Bodens oder ungünstige Witterung, kurz äußere Umstände, ganz allein Ursachen der Krankheit seien. Gegen beide Annahmen spricht der Umstand, dass die Krankheit die ganze Erde nieht umzogen, sondern fast gleichzeitig ergriffen hat, ohne Rücksicht darauf, ob der Boden ein eben abgebranntes oder zum ersten Mal in Kultur genommenes Waldland oder ein durch tausendjährige Ernten, wie man sagt, erschöpfter war“. Was Verf. aber unter dieser inneren Krankheit versteht, sagt eine andere Stelle (S. 189), wo er sie zu denjenigen rechnet, „für deren Eintreten das Alter einen natürlichen und oft den einzigsten erkennbaren Grund abgibt“. Unter „Alter“ versteht aber der Verf., wie wir gesehen haben, „die über das Maß durch Ableger oder abgetrennte Sprosse verlängerte Existenz aller Abkömmlinge einer Samenpflanze“ (l. ec. S. 180). Eine Unterstützung für seine Anschauung glaubt er in dem wohl nicht ganz sicher be- wiesenen Umstand zu erblicken, dass eine Sorte um so bedeutendere Verluste durch die Krankheit erleidet je älter sie ist. Ferner weist er auf die frühere Epidemie hin, welche ungefähr 1770 ausbrach und bis gegen Anfang dieses Jahrhunderts dauerte. Damals wurde zu ihrer Bekämpfung die Anzucht aus Samen empfohlen und diese auch in großem Maßstabe in Holland und Norddeutschland vorgenommen. Die Samen kamen aus Amerika und die aus denselben erzogenen Sorten erfreuten sich unter dem Namen der holländischen Samen- kartoffeln bis zu Anfang der neuen Epidemie in Deutschland eines sehr guten Rufes. Offenbar aber ist in England und Frankreich die erste Epidemie ohne Anzucht von Samenkartoffeln ebenso gut er- loschen gewesen wie in Deutschland. Dass die Ausführungen Jessen’s für uns nicht maßgebend sein können, geht schon daraus hervor, dass er überhaupt von dem Pilz, welcher als Krankheitserreger bei der Kartoffel zu betrachten ist, nichts weiß. Es frägt sich also nur noch, ob dureh das Vermehrungs- verfahren die Kartoffel für die Pilzangriffe prädisponiert wird. Wenn die Prädisposition auf der Altersschwäche beruhte, so müssten doch die jüngeren Pflanzungen weniger als die älteren von der Krankheit gelitten haben. Es hat sich aber nicht gezeigt, dass die Abkömmlinge der oben erwähnten holländischen Samenkartoffeln der neuen Epidemie gegenüber widerstandsfähiger gewesen sind als die alten immer aus Knollen gezogenen Kartoffelsorten. Ferner wird man zugeben müssen, dass in den aus Samen gezogenen Kartoffelstöcken, in denen der Or- ganismus zu völlig jugendlicher Regeneration gelangt ist, keine krank- hafte Prädisposition vorkanden sein kann. Von diesen Sämlingen wäre nach Jessen’s Theorie zu erwarten, dass sie von den Pilzen nicht Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 151 angegriffen oder wenigstens nicht geschädigt werden. Nun aber er- liegen die Samenpflanzen der Krankheit ebenso wie die aus Knollen gezogenen Stöcke: es ist in ihrer Widerstandsfähigkeit oder Hinfällig- keit kein Unterschied zu bemerken. Hierin also dürfen wir wohl den direkten Beweis für die Unhaltbarkeit der Ansicht von der Prädis- position aus Altersschwäche sehen. Schließlich sei noch auf einen Punkt aufmerksam gemacht. Die- jenigen nämlich, welche die Ansicht verteidigen, dass die rein vege- tative Vermehrung zur Degeneration führe, wollen dies gewöhnlich schon daraus ableiten, dass jene Vermehrung nicht naturgemäß sei und dass die Natur immer eine Fortpflanzung durch Samen fordere. Sind nun aber gerade bei der Kartoffel nicht die Knollen ebenso gut wie die Samen von der Natur zur Vermehrung bestimmte Organe? Wenn wir schon bei dem Weinstock sagen konnten, dass die Ver- mehrung durch Stecklinge nicht so sehr den natürlichen Verhältnissen widerspricht, als dies von anderer Seite behauptet wird, so sind wir bei der Kartoffel zu einer analogen Ansicht gewiss in einem noch viel höherem Grade berechtigt. Alles in Allem: wir haben gar keinen genügenden Grund zu der Annahme, dass die Vermehrung der Kartoffeln aus Knollen zu einer Krankheit der Pflanze führe oder sie für Pilzinfektionen disponiert mache. Vielmehr ist schon durch das, was wir über die Entwicklung des Pilzes wissen, unwiderleglich dargethan, dass er auch wirklich die Ursache der Kartoffelkrankheit sei, dass er allein an der gesunden Pflanze die Krankheit hervorbringt !). Der Pilz ist von deBary Phytophthora infestans genannt worden und ist verwandt mit der den sogenannten falschen Mehltau des Wein- stocks verursachenden Peronospora viticola. Wenn er auf den Blättern schmarotzt, so bedingt er das Schwarzwerden des Kartoffelkrautes. Auf dem Laube bildet er die Sporen, durch die er auf andere Pflanzen derselben Art und auf ihre Knollen übertragen wird. Wenn sich das Mycel in den Knollen entwickelt, so ruft es die sogenannte Knollen- fäule hervor. Es hat die Fähigkeit, nicht bloß in den im Boden wachsenden Knollen zu leben, sondern auch in und mit den Knollen, selbst wenn diese geerntet sind, zu überwintern. So gelangt der Pilz im Frühling mit den infizierten Knollen wieder auf den Acker. Des- halb ist das einzige Mittel zur Verhütung der Krankheit die Ver- wendung völlig pilzfreien Saatgutes. Für die Intensität der Entwick- lung des Parasiten — d. h. für die Schnelligkeit seines Wachstums auf einer Pflanze und der Verbreitung auf andere Stöcke, nicht für sein Auftreten überhaupt — kommen äußere Umstände in Betracht. Von diesen ist der wichtigste die Feuchtigkeit des Bodens und der Witterung. „So ist es unzweifelhaft, dass die Epidemie, die wahr- scheinlich durch die Verbreitung der Phytophthora über die kartoffel- 4) Frank, Die Krankheiten der Pflanzen. $. 396. 152 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. bauenden Länder längs vorbereitet war, infolge der abnorm nassen Witterung des Jahres 1845, die dem Pilz mit einem Male ungewöhn- lich günstige Bedingungen schuf, plötzlich überall zum Ausbruch kam“). Die Ausbreitung der Krankheit, ihre Erscheinungen und die Lebens- weise des Pilzes näher zu schildern, darauf wollen wir hier verzichten. Ich glaube, diesen Abschnitt am besten schließen zu können, indem ich einige Sätze aus der den vorliegenden Gegenstand behandelnden Schrift de Bary’s?) anführe: „Wie man sich auch umsehen mag, man findet immer nur Beweise dafür, dass durch das Befallenwerden von Parasiten keinerlei Entartung der Kartoffel oder einer andern Kulturpflanze angezeigt wird, man muss daher, für unsern Fall wenigstens, jene trostlose Annahme als aus der Luft gegriffen, zurück- weisen. Es ist hier nicht der Ort auf die Gründe näher einzugehen, welche man anders woher für die allgemeine Annahme einer Ent- artung durch Kultur oder ungeschlechtliche Vermehrung vorgebracht hat. Allein das eine mag kurz bemerkt werden, dass sich diese An- nahme vielfach gerade auf die Wahrnehmung von Krankheiten gründet, welche ganz bestimmt in der Vegetation von Parasiten, die man übersah oder wegzudemonstrieren suchte, ihre Ursache haben, dass also diese Annahme jedenfalls für sehr viele andere Fälle ganz ebenso wie für die Kartoffel unbegründet ist“. Von wichtigeren Kulturgewächsen, die vegetativ vermehrt werden und deren Erkrankungen man diesem Umstande zugeschrieben hat, sind vor allen die Obstbäume zu nennen, speziell die Kernobstbäume, Apfel und Birne. Der Ursprung ihrer Kultur reicht in prähistorische Zeiten zurück, man kann aber nicht sagen, dass sie so lange immer durch Stecklinge oder Pfropfreiser fortgepflanzt worden seien°). Viel- fach hat man die Bäume aus Samen gezogen, denn man erhält wenigstens bei vielen Birnensorten aus den Sämlingen Pflanzen, welche die charakteristischen Merkmale festhalten und nicht in die wilde Form zurückschlagen *). Im engeren Sinne fasst man als eine Sorte jedoch nur auf die Gesamtheit „der von einem bestimmten Sämlinge durch Reiser abstammenden Stämme“ °). Es wird nun angegeben $®), 1) id. eod. S. 402. 2) Die gegenwärtig herrschende Kartoffelkrankheit, ihre Ursache und ihre Verhütung. Leipzig 1861. 8. 61. 3) Die Vermehrung durch Pfropfreiser ist in Europa die üblichste und für viele Sorten die allein ausführbare. Apfelstecklinge hat man erst in neuerer Zeit mit Erfolg bei uns gezogen. Von Südamerika dagegen wird erzählt, dass es dort genügt, armsdicke Aeste vom Mutterstamm abzureißen und in den Boden zu stecken, um in den nächsten Jahren ohne weiteres Zuthuen Früchte zu ernten. (F.C. Binz, Stecklingszucht und Baumsatz in Wittmack’s Garten- zeitung, 1883, S. 122—126.) 4) Ch. Darwin, Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. Uebersetzt von Carus. Stuttgart 1873. 1. Bd. S. 392. 5) Jessen |. c. S. 283. 6) Jessen |. c. S. 196. Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 153 dass von den 50 Aepfelsorten und 31 Birnensorten, welche J. Bauhin im Jahre 1598 beschreibt und abbildet, noch i9 Birnen- und 17 Aepfel- sorten „zum Teil unter demselben Namen, in derselben Gegend nach mehr als 250 Jahren vorkommen und sich in guter Gesundheit be- finden“. Nach van Mons kann das Alter unserer Birnensorten auf 200—300 Jahre angenommen werden, während Knight sehon das durchschnittliche Alter der Aepfelsorten auf mindestens 200 Jahre, das der Birnensorten aber auf das Doppelte schätzt !). Beide Forscher sind der Ansieht — und ihnen schließt sich Jessen natürlich an —, dass die alten Obstsorten infolge von Altersschwäche erkranken und absterben. „Durch Pfropfen und ungewöhnlich günstige Umstände (sorgfältig gewählten Standort u. s. w.) kann wohl die Dauer einer Sorte unnatürlich über das Maß der Samenpflanzen ausgedehnt werden, doch hört der kräftige Wuchs dann auf und es tritt bald eine Periode ein, über welche die Gebrechlichkeit des Alters sieh nicht mehr an- treiben lässt. Daher sind alle Sorten (d. h. wie oben, die aus einer Samenpflanze hervorgegangenen Gewächse) bei trägem Wuchse weit empfindlicher gegen Witterung, Lage und Boden. Junge Sorten da- gegen wachsen kräftig und rasch und sind in ihrem meist reichlichen und regelmäßigen Ertrage weniger von äußeren Einflüssen abhängig“ ?). Die Art und Weise, wie sich die Altersschwäche äußern soll, be- schreibt ein neuer Züchter?) folgendermaßen: „Der Baum trägt wenig und oft sehr spät, er wird vom Krebs, besonders dem Apfelkrebs, Spitzendürre (indem von oben herab die Zweige absterben) und anderen Krankheiten des Holzes und der Rinde stark und häufig be- fallen. Bei den Birnen kommt noch dazu ein Schorf oder Grind, wobei die Epidermis (oberste Rindenschieht) aufspringt. Auch sind die Bäume gegen Frost weniger widerstandsfähig. Hauptmerkmale bieten aber die Früchte selbst! Sie sind unansehlich, krüppelhaft, klein, aufgesprungen, rissig und steinig, hart und ungenießbar, be- sonders auch mit schwarzen Flecken bedeckt“. Dass gewisse Sorten in manchen Gegenden nicht mehr gedeihen, kann offenbar nach den Angaben und Klagen der Züchter nicht be- stritten werden. So gibt Knight (1841) an, dass die alten Cyder- sorten in Herefordshire vor Alter krebsig und krank sind. Eine der ältesten Apfelsorten, der sogenannte Borsdorfer, welcher schon zu Anfang des XVI. Jahrhunderts Erwähnung findet, verschwindet nach Jessen’s Angabe (1854) in ganz Norddeutschland mehr und mehr und unterliegt an vielen Orten dem Krebse. „Ueber sein langsames Wachsen, ein Zeichen seines hohen Alters, klagen alle neueren Obst- züchter“. Es ließen sich noch mehrere solcher Angaben anführen, 4) dessen 1. ec. 8.217. ayIdreod.;p.'21E 3) R. Zorn, Ueber die Altersschwäche von Obstsorten. (Der praktische Ratgeber im Obst- und Gartenbau, 1890, Nr. 34, 8. 554.) 154 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. bei denen aus der Kränklichkeit der Bäume einer Aepfel- oder Birnen- sorte auf ihre Altersschwäche geschlossen wird. Dem stehen aber die Meinungen und Beobachtungen so vieler anderer Forscher und Züchter gegenüber, dass auch hier die Annahme einer Altersschwäche einer unbefangenen Beurteilung nicht Stand halten kann. Jessen!) selbst gibt zu, „dass die Feststellung der Lebens- dauer einer Obstsorte immer eine missliche ist, ja dass selbst das Verschwinden einer Sorte an einem Orte noch nicht genügt, um zu behaupten, dass überall die Sorte verschwunden sei“. Wie lässt es sich mit Knight’s Theorie vereinigen, dass die Sorte, welche in einer Gegend abstirbt, in der andern noch sehr gut gedeiht? Gerade der Borsdorfer Apfel, der in Norddeutschland aussterben soll, trägt noch sehr gut in anderen Gegenden, wie Bolle?) mit Recht hervorhebt. In einem ähnlichen Sinne spricht sich Hogg°?) über den „Golden Pippin“ aus, an dem Knight in seinen Kulturen sehr viele Mängel gefunden hat; dieselben konnten nicht von Altersschwäche herrühren, denn man findet die Sorte noch jetzt (1875) in den ihr zusagenden Verhältnissen sehr üppig und fruchtbar. Croucher*) berichtet von dem sehr guten Gedeihen dieser Sorte in Sudbury (Essex, England) und ebenso tragen diese Bäume sehr schöne Früchte in Sussex °). Anderseits ist es nicht wohl einzusehen, warum nur einige alte Sorten aussterben sollen, andere aber, die ebenso alt oder noch älter sind, unverändert gut bleiben; ein Umstand, den schon Lindley®) zu bedenken gibt. Als Beispiel sei angeführt der „Winterpearmain“, welche wohl die älteste englische Sorte von Aepfeln ist, schon in Schriften um das Jahr 1200 genannt wird und dennoch keine Zeichen der Schwäche erkennen lässt”). Ferner wird die „Beurre gris“ von Bouch&®) angeführt, als eine Sorte, die zu den ältesten Birnensorten gehört und doch im Allgemeinen gesund geblieben ist. Von andern Obstsorten erwähnt Bolle als analoges Beispiel die „Reine Claude“ (eine Kultursorte der Pflaume‘, Prunus insititia L.), die schon von dem Jahre 1500 her datiert. Man findet aber nieht nur einige sehr alte Sorten noch in gutem Gedeihen, sondern auch dass Sorten, die erst in neuerer Zeit ent- standen sind, in einem unpassenden Boden an denselben Fehlern 1) Jessen 1. ce. 8.19. 2) Bouch& und Bolle, Degeneration aus Altersschwäche. (Monatsschrift des Vereins zur Beförderung des Gartenbaus von Wittmack. 1875, S. 484.) 3) The Fruit Manual. Zitiert nach Botan. Jahresbericht, Bd. III, S. 995. 4) Gardener’s Chroniele, 1875, Jan., p. 51. 5) eod. 1875, Dez., p. 750. 6) Wie in einem diesen Gegenstand behandelnden Artikel des Gardener’s Chroniele, 1875, I, p.16 gesagt wird. 7) nach Hogg. conf. Anm. 2. 8) conf, Anm. 2, Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 155 leiden, die von Knight und seinen Anhängern als Zeichen der Alters- schwäche angesehen werden. Overdieck!) führt als Beispiele neuerer Sorten Maria von Nantes und Hardenponts Winterbutterbirne an, welche in seinem jetzigen Gartenboden ebenso sehr an Grind leiden als die älteren Sorten, wie Wildling von Motte, Römische Schmalzbirne und Beurre blanc, „während andere, ohne Zweifel schon sehr alte Sorten (Kuhfuß, Rainbirn) in demselben Boden sehr gesund und kräftig vegetieren und Früchte tragen“. Overdieck gehört wie die meisten neueren Pomologen zu denjenigen, welche leugnen, dass die Obstsorten durch das Alter schwächer und krankhafter werden. Speechley?) hat sogar den Satz aufgestellt, dass „der Apfel bei richtiger Kultur seine guten Eigenschaften behält, so lange Sonne und Erde bestehen“. Diesem Ausspruch stimmen Lindley, Dow- ning und de Candolle bei?). Schließlich will ich auch noch die Worte eines Züchters anführen, den wir schon einmal zitiert haben*) und dessen Beobachtungen aus der allerneuesten Zeit datieren: „Es ist bisher nicht gelungen zu beweisen, dass unsere alten Obstsorten altersschwach seien. Zur Zeit müssen wir feststellen, dass die als Altersschwäche geltenden Krankheiten auch bei allen anderen neueren Sorten unter denselben Verhältnissen auftreten und dass diese Er- scheinungen bei günstigen Bedingungen auch an den alten Sorten nicht bemerkbar sind. In zusagenden und besonders aus Erfahrung als passend anerkannten Böden und Lagen möge man diese alten guten Sorten deshalb noch ebenso fleißig anpflanzen als andere, da- gegen sehe man in allen ungünstigen Verhältnissen, besonders also in zu trockenen, bindigen, kalten, unfruchtbaren und erschöpften Böden, sowie ungeschützten Lagen von ihrer Kultur ab und pflanze dafür geeignetere. Wir tragen dadurch dazu bei, dass die weitere Kultur so trefflicher und beliebter Sorten, Edelborsdorfer, Gravensteiner, Weiße Herbstbutterbirne ete. in allen geeigneten Verhältnissen nicht aufgegeben wird“. Von dem letztgenannten Autor werden also besonders die un- günstigen Verhältnisse des Bodens und der Witterung als Ursachen des Absterbens in Betracht gezogen. Häufig treten aber auch ganz spezifische Krankheiten auf, denn es wurde ja, wie wir gesehen haben, z. B. darüber geklagt, dass die Sorten „vor Alter“ krebskrank werden. Die Obstbäume werden aber ebensowenig aus Altersschwäche 1) Pomologische Monatshefte von Overdieck und Lucas, 1875, 8. 240 Zitiert nach Botanischem Jahresbericht, Bd. III, S. 995. 2) Gardener’s Chronicle, 1875, Jan., p. 16. 3) Eodem. — Mit der Widerlegung der Ansichten von Knight und van Mons beschäftigt sich vorzugsweise das Werk von Dachnahl. (Die Lebens- dauer der durch ungeschlechtliche Vermehrung erhaltenen Gewächse, besonders der Kulturpflanzen, Berlin 1854), das ich leider nicht selbst einsehen konnte, 4) R. Zornll. e. 156 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. vom Krebs befallen wie der Weinstock vom Mehlthau oder die Kar- toffel von der Phytophthora. Die Frage, worauf eigentlich die Er- scheinungen !) der Krebskrankheit beruhen, ist zur Zeit noch nicht in allen Fällen zu beantworten. Sehr oft ist aber der Stich der Blutlaus (Schizonevra lanigera Hausm.) die Ursache des Krebses. Wir haben es hier also wiederum mit einem Parasiten zu thun, der wie die meisten anderen sehr leicht von einer Pflanze auf die andere übertragen wird. Auch liefern die von krebskranken Bäumen ge- nommenen Pfropfreiser meist wieder krebskranke Exemplare. Es ist deshalb kein Wunder, wenn in einer Gegend, wo sich an einem Baume Krebs eingestellt hat, bald die ganze Kultur von dieser Krank- heit ergriffen wird. In solchen Fällen hat man denn wohl geglaubt, dass die Bäume besonders prädisponiert dazu gewesen sein müssten und zur Erklärung der Prädisposition die Sorten als altersschwach hingestellt. Die Blutlaus fragt aber nieht danach, ob die Sorte alt oder jung, der Baum aus einem Pfropfreis, einem Steckling oder Samen gezogen ist, und so fallen denn auch hier alle Gründe für das Vorhandensein einer Prädisposition fort. Auf die andern durch tierische oder pflanzliche Parasiten her- vorgerufenen Krankheiten der Obstbäume kann hier nicht eingegangen werden. Es sei nur erwähnt, dass nach von Thuemen’s Angabe?) der Apfelbaum 239, der Birnbaum 205 Arten von Pilzen beherbergt, von denen freilich nieht alle besondere Erkrankungen bedingen. Wo dies aber der Fall ist, da ist eben der Parasit auch der wirkliche Krankheitserreger, niemals ist erwiesen, dass eine besondere Prä- disposition für sein Auftreten vorhanden zu sein braucht. Somit liegen denn die Verhältnisse bei den Obstbäumen nicht anders als bei den vorher betrachteten Kulturgewächsen. Wir hoffen auch hier nachgewiesen zu haben, dass die so lange Zeit befolgte Methode der ungeschlechtlichen Vermehrung nichts bewirkt hat, was als Altersschwäche angesehen werden kann. Wir können daraus schließen, dass eine Abwendung der unsere Kulturpflanzen befallen- den Krankheiten nicht von einer Aenderung in der Art ihrer Ver- mehrung und Fortpflanzung zu erwarten ist, sondern dass dazu nur besonders der Kernholzbäume. Diese Wunden schließen sich nicht, sondern vergrößern sich immer mehr, weil immer neue Verwundnngen an den Ueber- wallungsrändern den Heilungsprozess stören. Anßerdem findet an diesen Stellen eine abnorme Holzbildung statt, indem an Stelle von echtem Holz ein weiches parenchymatisches Gewebe gebildet wird. Durch diese Erscheinungen unter- scheidet sich der Krebs von allen anderen mehr oder weniger in Heilung be- griffenen Wunden. (Nach Frank, Pflanzenkrankheiten, S. 158.) 2) von Thuemen, Die Pilze der Obstgewächse. Namentliches Verzeichnis aller bisher bekannt gewordenen und beschriebenen Pilzarten, welche auf unsern Obstbäumen, Obststräuchern und krautartigen Obstpflanzen vorkommen. Wien 1887. Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 457 die Anwendung spezieller, dem betreffenden Krankheitserreger an- gepasster Mittel führen kann. Noch einige Punkte bleiben jetzt zu erwähnen, auf die wir aber nur mit wenigen Worten hinzuweisen brauchen. Man schließt aus dem Auftreten von Epidemien bei Kartoffeln und anderen vegetativ vermehrten Kulturpflanzen auf ihre Altersschwäche und sieht in letzterer die Erklärung für jene: wie steht es nun mit den Kultur- pflanzen, die immer aus Samen gezogen werden? Es ist nicht zu bestreiten, dass auch sie von Krankheiten in ausgedehntem Maße heimgesucht werden. Auf diesen Umstand macht auch de Bary aufmerksam und bemerkt?!): „Unter den Kulturgewächsen sind z. B. die Getreidearten mindestens ebensosehr von Schmarotzern heimgesucht als irgend eine durch Ableger, Knollen, Schösslinge vermehrte Art“. Epidemische Krankheiten finden sich ferner beispielsweise bei Runkel- rüben, Gurken und Melonen, die ich gerade deswegen erwähne, weil sie auch von Jessen angeführt werden. Bei den einmal blühenden Pflanzen findet er eine genügende Erklärung ihrer Krankheit in „zu rascher Entwicklung, Missverhältnis in der Temperatur und Er- nährung“ 2. Die Pilze, wo solche nachgewiesen sind, wie beim Weizen, der Runkelrübe und der Gurke sind bei ihm nur Begleit- erscheinungen der Krankheit, welche immer „vor den Pilzen da ist“. Der Standpunkt dieses Autors wird von den wenigsten mehr geteilt werden: es verhält sich vielmehr bei den einmal blühenden Gewächsen wie bei den ausdauernden, sie werden von Pilzen und anderen Schma- rotzern befallen und diese rufen die Krankheit hervor; die anderen Umstände beeinflussen nur die stärkere oder geringere Heftigkeit und Ausdehnung derselben, je nachdem sie der Entwicklung der Sehmarotzer günstig oder ungünstig sind. Wie würde es sich sonst erklären lassen, dass in einem Getreidefeld kranke und gesunde Halme, die doch alle den gleichen äußeren Verhältnissen ausgesetzt sind, neben einander stehen? Schon Payen hat im Jahre 1853 auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Allerdings müssen wir ge- stehen, dass wir nicht in allen Fällen genau über die Natur und Wirkung des Parasiten unterrichtet sind — z.B. bei der sogenannten Fäulnis der Runkelrüben —; aber man mag die Ursache der Krank- heiten suchen, worin man will: bei den durch Samen vermehrten Pflanzen kann man keine Altersschwäche zur Erklärung zu Hilfe nehmen. Dies sollte doch schon zur Vorsicht mahnen, es bei den Pflanzen zu thun, die auf vegetativem Wege fortgepflanzt werden. Wenn beide Pflanzenformen in gleichem Maße von Krankheiten heim- gesucht werden, so werden die allgemeinen Ursachen auch wohl bei beiden auf demselben Prinzipe beruhen. 1) De Bary, Kartoffelkrankheit. S. 60. 2) Id. eod. 458 Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. Während sich das eben Gesagte nur auf die vom Menschen an- gebauten Gewächse bezog, so können schließlich auch die wild- wachsenden Pflanzen zum Vergleiche und zur Unterstützung der hier verteidigten Ansicht dienen, denn bei ihnen treten ebenfalls Krank- heiten, oft geradezu epidemisch, auf. Und zwar sind es nicht bloß ausdauernde, vielfach vegetativ sich vermehrende Pflanzen, sondern ebensosehr ein- und zweijährige, sich nur durch Samen vermehrende Formen, welche von Krankheiten heimgesucht werden, so dass auf keinen Fall von Alterschwäche die Rede sein kann. Auf diesen Um- stand legt auch de Bary ein besonderes Gewicht für den Nachweis, dass bei der Kartoffel keine Prädisposition durch Altersschwäche vorhanden ist. Er führt folgende Beispiele an !): Zunächst von peren- nierenden Pflanzen die Waldanemone (Anemone nemorosa), auf der drei bis vier Parasiten sehr häufig sind, besonders eine Peronospora (P. macrocarpa), und bei der man oft auf weite Strecken kaum ein- zelne Blätter findet, welche davon ganz frei wären. „Der Wald- meister (Asperula odorata), der gewöhnliche Hühnerdarm (Stellaria media) werden je von einer besonderen Peronospora so häufig und massenhaft heimgesucht, dass man wiederum oft in weiter Aus- dehnung die meisten Exemplare dieser geselligen Pflanzen befallen und verunstaltet findet. Die Quecke (Triticum repens) wird von den Rostpilzen gewiss mindestens so häufig und massenhaft wie die Ge- treidearten, die Wolfsmilcharten (Zuphorbia Cyparissias und andere) werden von ähnlichen Pilzen so sehr häufig bewohnt, dass man an vielen Stellen wenigstens soviel pilzbehaftete und verunstaltete als ge- sunde Stöckefinden kann“. „Von wildwachsenden einjährigen Gewächsen werden das Täschelkraut (Capsella) von dem ‘sogenannten weißen voste (Uystopus), der Bocksbart oder Haferwurz (Tragopogon) von dreierlei oft miteinander auftretenden Pilzen, die Klatschrose (Pa- paver Rhoeas), die Klappertopf- (Rhinanthus-) Arten von Peronospora Papaveris und densa mindestens ebenso oft bewohnt und krank ge- macht als irgend eine Kulturpflanze durch einen Schmarotzer.“ Dass uns die Krankheiten der wildwachsenden Pflanzen weniger in die Augen zu fallen pflegen, als die der angebauten, ist nicht zu verwundern. Denn wir beachten die letzteren natürlich viel mehr, weil das Gedeihen unserer Kulturpflanzen von viel größerem Interesse für uns ist als das der meisten nicht kultivierten. Sodann aber ist es vor allem der Umstand, dass selten dieselbe Pflanzenart so gleich- mäßig über große Flächen verbreitet ist, wie es sich bei den Kultur- pflanzen findet, dass also ein Pilz oder anderer Schmarotzer seine Nährpflanzen so dicht neben einander wachsend antrifft und ihm dadurch die Ausbreitung so leicht gemacht wird. „Wo jedoch eine wildwachsende Art eine Bodenstrecke so dicht bedeckt wie die Kul- 1) Kartoffelkrankheit, 8. 60. Möbius, Geschlechtslose Vermehrung der Blütenpflanzen. 159 turpflanzen unsere Aecker, da findet sich gar oft dieselbe gleich- mäßige Verbreitung des Parasiten über alle ihre Individuen wie bei jenen; die angeführten Beispiele von der Anemone und dem Wald- meister können das jedem Aufmerksamen zeigen !).“ So dienen denn hoffentlich auch die hier über die Erkrankungen der spontan wachsenden Pflanzen gemachten Bemerkungen dazu, die Ansicht, dass bei den Krankheiten von Kultursorten ausdauernder Gewächse die Altersschwäche eine Rolle spielt, zu entkräften. Und noch eines sei denjenigen, welche darauf dringen, dass man die alten Sorten durch Zucht aus Samen „autbessere“, zu bedenken gegeben: Hat nieht auch diese Kulturmethode ihre Schwächen und Gefahren und bietet Nachteile, welche bei der Vermehrung durch Knollen, Stecklinge und dergl. nicht in demselben Maße vorhanden sind? Stecklinge und Knollen sind doch von Anfang an weit robuster als die jungen Sämlinge, sie erscheinen widerstandsfähiger gegen die Witterungsverhältnisse und können auch dem Einrdringen von Schma- rotzern vermöge der Ausbildung ihrer Gewebe einen größeren Wider- stand entgegensetzen: es ist deshalb zu erwarten, dass sie leichter anwachsen werden, als die Sämlinge. Dass es besondere Keimlings- krankheiten der Kulturpflanzen gibt, ist mehrfach beobachtet worden ?). Die betreffenden Krankheiten „zeigen sich stets in hohem Grade ver- derblich, ihr Auftreten ist immer epidemisch und niemals kann an cine Rettung auch nur gedacht werden, weder auf kurativem Wege noch mit Hilfe der eigenen, dem betreffenden Gewächse selbst inne- wohnenden Lebenskraft“. So werden die Keimpflanzen von Zea Mais, Panicum miliaceum, Camelina sativa, Trifolium repens, Spergula arvensis, Sinapis nigra und anderen oft von einem, Pythium de Baryanım Hesse genannten Pilze befallen und erliegen demselben in einem sehr jungen Zustande der Entwicklung. Wenn nun auch diese Erscheinung direkt nichts mit der Frage nach der Altersschwäche der Kultursorten zu thuen hat, so ist es doch vielleicht von gewisser praktischer Bedeutung zu zeigen, dass man nicht glauben soll, mit der Zucht aus Samen wäre jeder Gefahr für die Kulturen vorgebeugt. Wir sehen dabei ganz ab von den Schwierigkeiten, welche es bei vielen angebauten Pflanzen haben würde, keimfähige Samen zu erlangen und Sämlinge aus ihnen zu ziehen. Dies gilt ja ganz besonders für das Zuckerrohr, wie Dr. Be- necke in seiner Schrift „Over Suikerriet wit Zaad“ in vortrefflicher Weise auseinandergesetzt hat?). 1 De Bary.l. ec 2) von Thuemen, Ueber zwei für die Landwirtschaft wichtige Keim- lingskrankheiten. (Fühling’s landwirtschaftliche Zeitung, 1885, Jahrgang 34, S. 513 - 517.) 3) Mededeelingen van het Proefstation „Midden-Java“ te Semarang, 1889. 160 Keller, Protoplasmaverbindunugen zwischen benachbarten Gewebselementen. Wir gehen auf diese Verhältnisse nicht weiter ein, sondern fassen nur noch die im Vorstehenden gegebenen Ausführungen kurz zu- sammen. Dass die Altersschwäche der auf geschlechtslosem Wege ver- mehrten Kulturpflanzen nur in der Einbildung gewisser Autoren und Züchter, in Wirklichkeit aber nicht besteht, haben wir aus theoreti- schen Gründen zu beweisen gesucht. Wir bestritten, dass die ganze „Sorte“ als ein fortgesetztes Individuum zu betrachten ist und dass die Vermehrung durch Stecklinge, Ableger, Knollen ete. eine unnatür- liche ist. Bei der Besprechung der unsere Ansicht bestätigenden Verhältnisse haben wir zuerst gezeigt, dass auch in der Natur viele Pflanzen auf die Dauer sich vegetativ vermehren, ohne dass sich nach- weisen lässt, dass das Fehlen der sexuellen Reproduktion eine minder kräftige Entwicklung der Pflanzen bewirkt. Ferner wurde angeführt, dass es Kulturpflanzen gibt, die seit sehr langer Zeit ausschließlich vegetativ vermehrt werden und zum Teil nur so vermehrt werden können, niehtsdestoweniger aber noch vollkommen gesund und kräftig sind. Von den kultivierten und vegetativ fortgepflanzten Gewächsen aber, die von Krankheiten zu leiden haben, konnten wir den Nach- weis führen, dass die Krankheit überall durch andere Ursachen her- vorgerufen wird als durch Altersschwäche und dass wir diesen Pflanzen auch keine Prädisposition zu Krankheiten zuzuschreiben brauchen. Es wurde sodann darauf hingewiesen, dass auf dieselbe Weise wie die soeben angeführten Pflanzen auch die fortwährend aus Samen gezogenen Kulturpflanzen von Krankheiten befallen werden und dass Epidemien selbst bei wildwachsenden Pflanzen, einjährigen wie mehr- jährigen, auftreten können. Demnach sind die Erkrankungen der durch Knollen, Stecklinge ete. vermehrten Kulturgewächse keine diesen eigentümlichen Erscheinungen, sie treten nur aus leicht begreiflichen Gründen bei ihnen auffallender hervor und verbreiten sich schneller. Die Protoplasmaverbindungen zwischen benachbarten Gewebs- elementen in der Pflanze. Kienitz-Gerloff hat unter obigem Titel in der Botanischen Zeitung (Nr. 1—5, Jahrgang 49) eine einlässlichere Abhandlung ver- öffentlicht, der wir nachfolgende Angaben entnehmen. An 60 Arten, welehe den verschiedensten Abteilungen des Pflan- zenreiches angehören, Lebermoosen, Laubmoosen, Farnen, Schachtel- halmen, Nadelhölzern, Monokotyledonen und Dikotyledonen, wurden Plasmaverbindungen in verschiedensten Geweben, namentlich im Parenchym des Markes und der Rinde nachgewiesen. Die Verbin- dungen bestehen ferner nieht nur zwischen den Angehörigen eines Keller, Protoplasmaverbindungen zwischen benachbarten Gewebselementen. 161 und desselben Gewebesystems, sondern oft gehen sie von einem Ge- webe ins andere über. So beobachtet man, dass z. B. die Epidermis- zellen durch Plasmafortsätze mit einander verbunden sind, dass diese aber auch in die Zellen der Rinde gehen und in das Collenchym. Das Plasma der Rinde ist wieder mit den Elementen des Weichbastes verbunden u. s. f£ Aus diesen Beobachtungen schließt K., „dass sämtliche lebende Elemente des ganzen Körpers der höheren Pflanzen durch Plasmafäden verbunden sind.“ In Bezug auf die Verteilung der Verbindungen beobachtet man, dass sie bei isodiametrischen Zellen ziemlich gleichmäßig an Längs- und Querwänden vorkommen; bei gestreckten Zellen werden die Längs- wände sehr bevorzugt. Für Siebröhren gilt das umgekehrte In der Stärke und Form der Verbindungen bestehen je nach den Arten oder auch Geweben viele Verschiedenheiten. Bei Phanerogamen schwankt ihre Dieke zwischen 0,05—0,1 u; die größte Dicke zeigten sie bei einem Moose (Thuidium delicatulum), nämlich 3 u. Die Plasmafort- sätze treten durch offene Poren hindurch, welche aber nicht bloß da sich finden, wo gleichartige Gewebselemente aneinander stoßen, son- dern auch zwischen ungleichartigen Elementen. Die Netzstruktur ist schon im Urgewebe nachweisbar. Die Durchlöcherung muss also schon sehr frühzeitig zu stande kommen. „Ja ich halte es für sicher, schreibt K., dass die Durchlöcherung überhaupt nicht erst nachträg- lich erfolgt, wie etwa bei der Entstehung der Tracheen oder der gegliederten Milchröhren, sondern dass an den betreffenden Stellen schon bei der Zellteilung keine Wandsubstanz ausgeschieden wird. Und damit fällt nun helles Licht auf die Thatsache, dass die Tüpfel zwischen benachbarten Gewebeelementen stets aufeinander treffen.“ Ihrer Form nach stellen die die Verbindung bewirkenden Plasma- fortsätze meist eine Spindel dar, welche Aehnlichkeit mit den achro- matischen Kernspindeln hat. Dieser Analogie wegen vermutete Russow folgende Entstehung der Plasmaverbindung. Wir geben seine eigenen Worte wieder. „Erinnern wir uns der Vorgänge, welche bei der Zellteilung im Protoplasmakörper der Zellen statthaben, der Plasmafäden, die zwischen den Kernpolen ausgespannt sind, und dessen, dass die sich bildende Scheidewand in der Mitte des Faden- komplexes rechtwinklig zum Verlauf der Fäden auftritt — was liegt da wohl näher als die Annahme, es bilde sich die Membran, ohne die Fäden, wie bisher angenommen, zu durchschneiden, in Form einer durchlöcherten Platte aus, durch welche die persistierenden Fäden hindurchgehen, und es bleibe so die Kontinuität des Proto- plasmas der beiden Schwesterzellen erhalten?“ Beobachtungen an Viscum sprechen nach K. nicht für diese Ansicht, dass die definitiven Plasmaverbindungen die Ueberreste der Spindelfasern sind. Diese, welche bei der Kernteilung übrigens erst sichtbar werden, nachdem XI. 11 469 Keller, Protoplasmaverbindungen zwischen benachbarten Gewebselementen. sich die Fadensegmente um eine ziemlich beträchtliche Strecke von einander entfernt haben, verschwinden allmählich. Von den Plasma- fortsätzen sind sie schon dadurch ganz wesentlich verschieden, dass sie nicht tinetionsfähig sind. Ebenso werden auch die Knötchen im Aequator der Kernspindel unsichtbar. An ihrer Stelle sieht man eine feine Linie, die Trennungslinie des Plasmas. Sie ist ein Schnitt durch die jugendliche Scheidewand der beiden Tochterzellen. „Leider ist sie in diesem Zustande durch kein Mittel zur Quellung zu bringen, und es ist daher ein vergebliches Bemühen, die sie jedenfalls schon jetzt durchsetzenden Plasmafäden zur Anschauung zu bringen.“ Bezüglich der Leistung hält K. dafür, dass die Plasmaverbin- dungen dem Stofftransporte organischer Körper dienen. Diese An- nahme gestattet K. die Erklärung verschiedener Erscheinungen. Junge Spiralgefäße sind noch nach Anlegung der Verdickungsleisten durch Plasmafäden mit benachbarten Parenchymzellen verbunden. Im aus- gebildeten Zustand fehlt aber den Gefäßen das Plasma völlig oder findet sich doch nur in Spuren. „Das Plasma wandert eben durch die Verbindungen aus den Gefäßen beim Abschluss ihrer Entwieklung in die Nachbarzellen aus. Ebenso verhält es sich aber auch mit den Korkzellen.“ Vielleicht vollzieht sich in ähnlicher Weise die Ent- leerung der Blätter im Herbst. „Sollte nieht das Plasma die in die Blätter ausgestreckten Fortsätze einziehen, wenn es diesen zu kalt oder sonst zu unbehaglich wird, ebenso wie ein Plasmodium seine Arme einzieht, wenn es in zu kalte Räume gelangt?“ Für diese Anschauung sprechen folgende Beobachtungen. Abgefallene Blätter von Aesculus, Acer, Malva, Daphne enthalten in ihren Blättern nur noch desorganisierte Plasmareste, an vergilbenden oder vergilbten Blättern, welche noch am Stengel sitzen, ist im Füllgewebe dasselbe zu beobachten; dagegen sind namentlich die Leptomelemente der Gefäßbündel noch nieht mit Plasma angefüllt. Ferner sah K., dass die Schließzellen bei der herbstlichen Entleerung ihre Plasmakörper und die Chlorophylikörner nieht verlieren. „Warum nur sie und keine andere Zelle?“ fragt K. „Ich erkläre mir das so, dass das Plasma der Schließzellen sich nur darum an der allgemeinen Auswanderung nicht beteiligen kann, weil ihm alle Wege versperrt sind, weil zwischen den Schließzellen und den benachbarten Epidermis- und Füllzellen die Plasmaverbindungen fehlen.“ Die Untersuchung der Wände zwischen den Zellen des Embryo und des Endosperms im keimenden Samen sowie der die Haustorie von den Zellen der Wirtpflanze trennenden Wände ließ eine solche Plasmaverbindung nicht erkennen. Das Pflanzenindividuum schließt sich gegen seine Umgebung vollständig ab. Der Stofftransport aller organischen in Wasser nicht gelösten Stoffe vollzieht sich im Plasma- netz. Wird ein diastaseähnliches Enzym ausgeschieden, dann geht der organische Stoff in eine wässerige Lösung über. Diese kann Elfving, Einwirkung des Lichtes auf die Pilze. 163 durch Osmose aus den Endospermzellen in die Keimlingszellen über- gehen. Aehnlich vollzieht sich wohl auch der Stoffübergang aus den Zellen der Wirtpflanzen in die Haustorien. Robert Keller (Winterthur). Fr. Elfving, Stüdien über die Einwirkung des Lichtes auf die, Bilze. (Helsingfors 1890. Mit 5 Tafeln.) In Bezug auf die große und interessante Gruppe der Pilze ist bis jetzt wenig über die Wirkung des Lichtes bekannt. Verf. sucht alles, was über dieses Thema geleistet ist, zusammen- zustellen und teilt eigene Untersuchungen hierüber mit. Hinsichtlich der früheren Literatur sei hier auf die im I. Kapitel gegebene Zusammenstellung verwiesen; in Folgendem sei nur eine kurze Darstellung der Resultate der Elfving’schen Versuche gegeben. In Kap. II: „Einfluss des Lichtes auf die organische Synthese bei den Schimmelpilzen“ kommt Verf. zu dem Schlusse, dass bei den Schimmelpilzen das Licht von einer gewissen unteren Grenze ab hemmend auf die Synthese wirkt. „Seine Wirkung ist desto geringer, je mehr die aufnehmbaren Nährstoffe sich dem Protoplasma selbst nähern. Sowohl die ultravioletten als die sichtbaren Strahlen sind bei dieser Hemmung wirksam. Von den sichtbaren Strahlen sind die schwächer brechbaren wirksamer als die stärker brechbaren.“ Die in Kap. III aufgeworfene Frage, ob die Kohlensäure von den Pilzen assimiliert wird, muss Verf. für den von ihm unter- suchten Fall verneinen. „Die Antwort hat natürlich keine allgemeine Giltigkeit, und nach den Auseinandersetzungen von Engelmann kann man wohl noch erwarten, dass in andern Fällen Assimilation bei farblosen Pilzzellen aufgewiesen wird.“ Hinsichtlich des im 4. Kapitel behandelten „Einflusses des Lichtes auf die Atmung der Schimmelpilze“ ist Verf. zu Resultaten gekommen, welche von denjenigen der Forscher Bonnier und Mangin teilweise abweichen. Das Hauptresultat genannter Forscher war: Herabsetzung der Pilzatmung durch das Licht. Elfving leitet aus seinen Ver- suchen ab: „Das Licht (in den bei meinen Versuchen angewendeten Intensitätsgraden) ist ohne Einwirkung auf die Atmung der Schimmel- pilze im ausgewachsenen Zustande, vermindert dagegen ihre Atmung bei der Synthese, und dabei sind — wenn man das Spektrum dureh Kaliumbiehromat und ammoniakalische Kupferlösung in eine schwächer und eine stärker brechbare Hälfte zerlegt — die schwächer brech- baren wirksamer als die stärker breehbaren. Man kann die Sache auch so ausdrücken: das Licht vermindert die Atmung der jungen 1 164 Elfving, Physiologische Fernwirkung. Pilze, ist dagegen ohne Einfluss auf die Atmung der ausgewachsenen. Da aber der jugendliche Zustand im Vergleich mit dem älteren eben durch die intensive Synthese charakterisiert ist, so gibt die erste Formulierung einen klareren Ausdruck der Thatsachen.“ In Kap. V: „Einwirkung des Sonnenlichtes auf die Entwieklung der Eurotium herbariorum Link“, teilt Verf. unter anderem mit, dass er bei Eurotium Sprosszellen aufgefunden habe und dass das Licht das ursächliche Moment bei der Bildung jener Sprosszellen sei. Th. Bokorny (Erlangen). Fr. Elfving, Ueber physiologische Fernwirkung einiger Körper. (Helsingfors 1890. Mit 2 phot. Tafeln.) Unter Fernwirkung eines Körpers versteht Verf. „eine Wirkung, welche sich in dessen Umgebung auf eine gewisse Entfernung hin manifestiert, ohne dass dabei Berührung oder Ueberführen von ma- teriellen Teilchen stattfindet.“ Solche Wirkungen beobachtete E. an Phycomyces nitens, einem Schimmelpilz, welcher ursprünglich in Finnland aufgefunden wurde und jetzt wegen seiner Brauchbarkeit zu physiologischen Experi- menten in vielen Laboratorien gezüchtet wird. Er gedeiht sehr gut auf Brod und treibt dort ausgesät binnen 8 Tagen seine 10—15 cm langen haarförmigen Fruchtträger senkrecht über das Substrat hervor. Solche Kulturen zeigen nun ausgesperrte Randfruchtträger, als ob die äußersten ihre Nachbarn gewissermaßen geflohen hätten. Was mag die Ursache dieser Erscheinung sein? Innere Wachstumsursachen sind nicht im Spiele nach E.; denn 2 verschiedene Kulturen, dicht neben einander gebracht, zeigen die- selbe Repulsion. Der von Molisch an Wurzeln entdeckte A&rotropismus kann es nach Versuchen des Verf. auch nicht sein. Ein Versuch mit kräftig wachsenden Keimlingen, deren Wur- zeln !) von Phycomyces-Fruchtträgern umgeben waren, lieferte das merkwürdige Resultat, dass sich die Fruchtträger von allen Seiten her im Uikreis von etwa 1 em gegen die Wurzel krümmten; „die attrahierende Wirkung der Wurzeln machte sich nur von der in der Nähe der Spitze liegenden wachsenden Region merkbar; die weiter nach oben liegenden Teile waren ohne sichtbaren Einfluss.“ 4) Der Versuch wurde angestellt, um zu sehen, ob sich die Fruchtträger von einer lebenden Kohlensäurequelle abwenden; Versuche mit Kohlensäure- haltiger Luft hatten Indifferenz ergeben. Emery, Zur Biologie der Ameisen. 165 Von den wachsenden Wurzeln geht also ein Reiz aus, auf den die in der Nähe wachsenden Phycomyces reagieren. Zeigen auch andere Körper ähnliche Wirkungen? Unter den Metallen übt Eisen deutliche Attraktion, Zink und Aluminium schwache. Der Magnetismus, an den man hiebei denken könnte, hat mit der Erscheinung nichts zu thun; denn ein magnetischer Stab von Nickel war indifferent, gerade so wie ein nicht magnetischer. Verf. kann sich die Sache nicht anders zurecht legen als „durch die Annahme, dass vom Eisen eine spezifische Kraft ausgeht, die sich eben durch ihre Wirkungen auf die Organismen manifestiert“. Verbindungen des Eisens haben diese Eigenschaft nicht. Verschiedene nichtmetallische Körper, wie Siegellack, Kolofoninm, glattes Papier ete. zeigten ebenfalls schwache Wirkung. Der Ge- danke, dass bei letzteren Körpern Elektrizität im Spiele sei, wurde durch Versuche des Verfassers beseitigt; elektrische Kräfte wirkten nicht. Auch hier ist also eine spezifische Wirkung der betreffenden Körper anzunehmen. „Die Thatsachen sind bemerkenswert genug, um weitere Unter- suchungen von verschiedenen Seiten zu verdienen.“ Th. Bokorny (Erlangen). Zur Biologie der Ameisen. Von Professor ©. Emery in Bologna. I.Diein Akaziendornen lebenden Ameisen von CostaRiea. Es haben die Botaniker mit genügender Sicherheit nachgewiesen, dass gewisse Pflanzen, um von Seiten der Ameisen Schutz zu ge- winnen, sich an diese Insekten durch Ausbildung verschiedenartiger Organe angepasst haben, und dadurch zu eigentlichen Ameisenpflanzen geworden sind. Es lag nahe zu fragen, ob es auch Pflanzenameisen gibt, d. h. solche Ameisen die nur auf gewissen Pflanzen leben und sonst nirgends vorkommen. Die Beobachtungen Fr. Müller’s über die bekannte Imbauba-Ameise (Azteca instabilis) ließen zwar vermuten, dass diese Art nur auf Cecropia lebt; die Frage über die Ameisen, welche die Cecropia- Stämme bewohnen ist aber nicht ganz einfach. Einerseits fand Belt in Nicaragua die Ceeropien von 3 verschiedenen Arten bewohnt; anderseits kommen Azteca-Arten auch auf anderen Pflanzen vor. Eine mit A. instabilis sehr nahe verwandte Form sandte mir Herr Dr. K. Schumann aus dem Berliner botanischen Museum zur Bestimmung; dieselbe wurde in den erweiterten Internodien einer Gardeniacee (Duroia hirsuta) gefunden; in anderen Exemplaren der- selben Pflanze fand er eine andere Ameise (Myrmelachista Schumanni Emery) und in anderen Arten der Gattung Duroia wohnten wiederum eine andere neue Azteca (mit brevicornis Mayr nahe verwandt) und 166 Emery, Zur Biologie der Ameisen. eine Myrmieide (Allomerus septemartieulatus Mayr). Die Gattung Azteca ist ziemlich formenreich und ich kenne nicht weniger als sechs ver- schiedene Arten, deren Lebensweise leider meist unbekannt ist. Indem ich hoffe, später über die Biologie der Azteken näheres zu erfahren, will ich hier die Ameisen, welche in Costa Rica in den paarigen Dornen gewisser Akazien wohnen, besprechen. Herr Anastasio Alfaro, Direktor des Museo nacional zu S. Jose hatte die Güte, mir über jene interessanten Verhältnisse seine Beobachtungen, welche die zoologische Seite des Problems aufzuklären geeignet sind, brieflich mitzuteilen. Die ersten genaueren Beobachtungen über die Ameisen der Akazien verdanken wir Belt. In Nicaragua fand er, dass eine Art, welche er als Pseudomyrma bicolor bezeichnet, die noch jungen und weichen Dornen nieht weit von ihrer Spitze anbohrt und die darin enthaltene weiche Pulpa auffrisst; von jedem Paar wird nur ein Dorn angebohrt; der andere wird von der Basis, d. h. vom angebohrten Dorne aus, ausgehöhlt. Später werden die Dornen hart und ihre Höhlung dient nun der Pseudomyrma zur Wohnung. Eine andere Ameise, der Gat- tung Crematogaster gehörig, bohrt nach Belt die Dornen näher an der Basis an. — Immer fand Belt einen Akazienbaum nur von einer dieser Ameisenarten bewohnt. In Costa Riea fand Herr Alfaro, als gewöhnliche Gäste der Akazien drei verschiedene Pseudomyrma-Arten, welche ich nach ihrer Farbe als die schwarze (P. Belti Emery), die rote (spinicola Emery) und die gelbe (nigrocineta Emery) bezeichnen werde. Diese Arten kommen nur auf Akazien vor, während andere Arten der- selben Gattung ihre Nester in Holz graben. Alle drei durch- bohren die Dornen nahe an der Spitze, als sie noch jung und weich sind, gerade wie es Belt beschreibt. Niemals wurde mehr als eine jener 3 Arten auf demselben Baum gefunden, und immer bewohnte die Ameise alle Dornen auf den lebenden Zweigen der Akazie. Tote Zweige beherbergen keine Pseudomyrmen; ihre angebohrten und hohlen Dornen bezeugen aber, dass sie früher be- wohnt aber später verlassen worden sind. — Die Pseudomyrmen sind sehr lebhafte und wehrsame Insekten; sie dulden auf ihrem Baum keine andere Tiere und greifen jeden Störer wütend an. Einmal sah Alfaro, als er mit seinem Messer an einer von der schwarzen Art bewohnten Akazie klopfte, um die Ameisen hervorzulocken, dass sie eine kleine Eidechse, welehe sich zufällig auf dem Stamm befand, überfielen und töteten. Es kommt auf Akazien in Costa Rica noch eine vierte kleinste Pseudomyrma vor (P. subtilissima Emery); sie ist aber selten und bewohnt nicht den ganzen Baum, sondern nur einzelne Dornpaare auf seinen Zweigen. Alfaro beobachtete sie nur einmal und zwar auf einem von P. Belti bewohnten Baum. Diese kleine Art ist flink Emery, Zur Biologie der Ameisen. 167 und furchtsam; bei jeder Störung versteckt sie sich in den Spalten und Ritzen der Rinde. Wurde die schwarze Eigentümerin des Baumes durch Klopfen oder Schütteln beunruhigt, so zog sich die kleinste, als fürchte sie den Zorn ihrer kriegerischen Nachbarin, zurück. Es scheint also, dass die Zwergpseudomyrme von der schwarzen Art, als unansehnlicher und unschädlicher Einwohner auf ihrem Revier nur geduldet wird, ohne dass zwischen beiden Ameisen wirkliche Freund- schaft bestehe. Von den Pseudomyrmen verlassene trockene Zweige dienen manch- mal anderen Ameisen zur Wohnung, nämlich kleinen Camponotus, welche verschiedenen Varietäten des Ü. senex, Rasse (©. planatus Rog. ge- hören. Diese Ameisen, welche aber auch anderswo vorzukommen scheinen, finden wohl in den hohlen und angebohrten Dornen eine willkommene Wohnstätte, um darin ihre Haushaltung einzurichten. Wir können sie gewissermaßen als Raumparasiten oder Einmietner der Pseudomyrmen betrachten, welche von den kriegerischen Eigen: tümern der Akazie ebenso wie P. subtilissima geduldet werden. Pseudomyrma Belti, P. spinicola und P. nigrocinecta sind nach meiner Ansicht speziell an das Leben in Akaziendornen angepasste Ameisenarten. Niemals fand sie Herr Alfaro an anderen Orten !), während mehrere andere Arten derselben Gattung in Costa Rica leben, von welehen Alfaro mir schreibt, dass sie nicht auf Akazien vor- kommen. Auch Belt schreibt, dass die von ihm in den Dornen be- obachtete Pseudomyrma sonst nirgends gefunden wurde. Die Be- stimmung der Art als P. bicolor (= gracilis F.) scheint mir zweifel- haft, da letztere Art auch in Costa Rica vorkommt und daselbst nicht auf Akazien zu leben scheint. Es ist doch nicht wahrscheinlich, dass in einander so nahe liegenden geographischen Gebieten große Unter- schiede in der Lebensweise einer und derselben Ameisenart entstanden sein mögen. Belt’s Ameisen wurden von Frederick Smith be- stimmt, einem Entomologen, dessen Unzuverlässigkeit heute allgemein anerkannt ist. N ateıhtstchh.ri f #. Eine jüngst angekommene Sendung aus Costa Rica enthält Ma- terialien, welche für die Geschichte der akazienbewohnenden Ameisen von großem Interesse sind. Zwei Schächtelehen mit dem Zettel von Herrn Alfaro’s Hand: „Hormigas recogidas en la misma Acacia al parecer totalmente abandonada por la Pseu- domirma“, enthielten folgende Arten: 1) Pseudomyrma bicolor, 1) Eine mit P. Belti sehr nahe verwandte Form, die ich als eine Rasse oder Subspecies betrachte (fulvescens Emery), wurde mir damals von Pro- fessor Beccari gesandt, der dieselbe in besonderen Höhlungen der Zweige von Cordia gerascanthos aus Guatemala fand. Eine andere Varietät wurde von Dr. Stoll ebenfalls in Guatemala auf Akazien gesammelt und mir von Prof. Forel geschickt. 168 Emery, Zur Biologie der Ameisen. var. mexicana Rog., 2) P. nigropilosa Emery, 3) P. Künckeli Emery (nur 1 Exemplar), 4) Crematogaster brevispinosus Mayr, 5) Oryptocerus minutus F., 6) Or. sp.? (mit discocephalus F. Sm. nahe verwandt, vielleicht diese Art), 7) Camponotus rectangularis Emery, 8) ©. (Colobopsis) n. sp.; ferner einige Prenolepis longicornis Latr., welche wohl zufällig auf dem Baum gefangen wurden. — Die Sendung enthielt auch mehrere von einigen dieser Arten (1, 2, 4, 6, 7, 8) bewohnte Dornen. Die meisten waren alte ansehnliche Gebilde, deren graue Oberfläche durch Verwitterung rauh geworden war und ihren Wachsüberzug verloren hatte. Zu den ältesten Dornen, wohl von dürren Zweigen, gehörten die von Oryptocerus bewohnten; ihre durchbohrte Spitze war in der Höhe des Loches abgestutzt und wie abgenagt. Die von Pseudomyrma und Colobopsis besetzten hatten in der Nähe der Spitze ihre nach Sitte der gewöhnlichen Akazien- Pseudomyrmen regelrecht angebrachte Oeffnung, nur war letztere bei P. mexicana und nigropilosa, dem Durchmesser des Kopfes der Ein- wohner entsprechend, größer als z. B. bei P. Belti. — Die Cremato- gaster-enthaltenden Dornen waren jüngere Gebilde mit grünlicher glänzender Oberfläche; das Bohrloch war in wechselnder Höhe an- gebracht, aber niemals so nahe an der Spitze wie bei Pseudomyrma; es war nicht kreisrund, sondern von unregelmäßiger Form und mit rauhen Rändern; an einen solchen Dorn war ein Zettel gebunden mit der Bemerkung, dass diese Ameise auf von Pseudomyrma ver- lassenen Bäumen wohnt und nicht die jungen, noch weichen, sondern die bereits hart gewordenen Dornen anbohrt. — Ob die anderen erwähnten Ameisen die Dornen selbst bohren oder nur die von Pseu- domyrma Belti u. dergl. verlassenen Dornen benutzen, kann ich vor- läufig nicht sagen. Letzteres scheint mir wenigstens für die Campo- notus- und Oryptocerus- Arten wahrscheinlich. Aus dem eben mitgeteilten ergibt sich, dass eine nicht geringe Zahl von Ameisenarten in Akaziendornen leben können und daselbst ihren Haushalt einrichten (ich fand nämlich in den Dornen entflügelte Weibehen, sowie Larven und Puppen), dass aber nur die drei oben geschilderten Pseudomyrma Belti, P. spinicola und P. nigrocineta im stande sind den ganzen Baum zu besetzen. Fehlen diese, so kann sich eine größere Anzahl verschiedener Ameisenarten, darunter auch verschiedene andere Pseudomyrmen, und zwar eine Varietät der P. gracilis, auf demselben Akazienbaum ansiedeln und daselbst fried- lich beisammen leben. Diese Thatsache scheint mir den oben ausge- sprochenen Satz zu bestätigen, dass jene drei Pseudomyrmen wirklich speziell an das Akazienleben angepasste Arten sind. Il. Liometopum microcephalum Panz., eine europäische Raubameise. Ich hatte letzten Sommer, nach mehreren Jahren, wieder Gelegen- heit an dieser Ameisenart Beobachtungen anzustellen, die ich leider Emery, Zur Biologie der Ameisen. 169 zu früh zu unterbrechen genötigt war. Trotz ihrer ziemlich großen geographischen Verbreitung (sie wurde in Italien, Oesterreich, Süd- russland, Griechenland, Kleinasien und Kalifornien gefunden), ist ihre Lebensweise wenig bekannt. In Italien ist sie ziemlich häufig und scheint beinahe ausschließlich Eichenstämme zu bewohnen, sowohl Quercus robur und verwandte Arten als Q. lex. Den Grund dieser Bevorzugung einer Gattung von Bäumen werden wir weiter erkennen. Liometopum ist eine exquisite kolonienbildende Art: stehen mehrere Eichen nicht weit von einander, so werden alle bewohnt und ein reger Verkehr verbindet die Bevölkerungen der einzelnen Stämme miteinander; diese oft sehr langen Prozessionen sind schon längst von Mayr beobachtet und besprochen worden. Von den einzelnen Stämmen gehen dann Züge aus, welche sich sehr weit erstrecken und entweder ein bestimmtes Ziel erreiehen, oder sich nach wiederholten Verzweig- ungen allmählich verlieren. Die Länge einiger solcher Züge schätzte ich auf mindestens 80 Meter. Der von mir beobachtete Ameisenstaat befand sich in der Nähe meiner Wohnung, am Ufer des im Sommer beinahe trocken liegenden Stromes Savena bei Bologna. Er nahm 4 große Eichen und den Stumpf eines vor Jahren abgesägten solchen Baumes ein. Zwei Bäume und der Stumpf bildeten eine Gruppe, zwischen den beiden anderen weiter entfernten Bäumen. Der Abstand der beiden extremen Stämme von einander betrug etwa 60 Meter. — Zwischen dem Stumpf und den benachbarten Bäumen war der Verkehr am regsten und zog über sorgfältig gereinigte Straßen, welehe aber nicht, wie etwa die von Formica rufa gebauten Wege, tief gegraben waren, sondern nur von losen Erdepartikeln, kleinen Steinen und sonst leicht beweglichen Gegenständen frei gehalten wurden; sie waren sogar minder regel- mäßig als diejenigen, welche Aphaenogaster barbarus zu bilden pflegt. Diese Unvollkommenheit hängt mit dem durchaus primitiven Stand der Baukunst von Liometopum zusammen. Unsere Ameise scheint ihre Nester weder zu bauen noch zu graben. Sie benutzt die von Lucanus- und Cerambix-Larven oder anderen größeren holzfressenden Insekten gegrabenen Gänge und Höhlen im Holz und unter der Rinde; kein anderer Baum bietet so weite und bequeme derartige Fraßhöhlen wie die Eiche. Niemals sah ich die Ameisen aus ihren Löchern Holzspähne hervorholen, wie man es bei Camponotus oder Crematogaster oft be- merkt; auch ist das Holz gesunder oder frisch abgestorbener Eichen viel zu hart, um von den spitzigen Mandibeln von Liometopum benagt werden zu können; außerdem kann L. auch Erdlöcher, Spalten unter Steinen, verlassene Bauten anderer Ameisen und allerlei andere Hohl- räume in Erde und Holz zu ihrem Aufenthalt benutzen. — Das Leben unserer Ameise ist hauptsächlich ein äußerliches; sie besetzt durch ihre Züge große Oberflächen; beinahe jede Furche in der Rinde der 170 Emery, Zur Biologie der Ameisen. von ihr bewohnten Bäume wird von einer Reihe auf- und absteigender Ameisen durchlaufen. In den heißesten Stunden der Sommertage ziehen sich zwar die Ameisen in ihre Höhlen zurück, aber sonst läuft die Mehrzahl der Individuen außerhalb des Nestes herum. Es interessierte mich zunächst zu wissen, was Liometopum auf Bäumen sucht. Während andere Ameisen nicht nur die Stämme und dickeren Aeste, sondern auch die jungen Zweige und die Blätter be- treten, um daselbst kleine Honig- oder Gummitropfen abzulecken oder Aphiden zu melken, kam mir auf den niederen, der Beobachtung leichter zugänglichen Zweigen der Eichen, nur selten Liometopum zu Gesicht, während sie von anderen Ameisen (Camponotus pubescens, ©. aethiops, ©. marginatus, CO. lateralis-atricolor und Formica cinerea) besucht waren. Einige Zweige mit Aphiden waren von Ü. pubescens besetzt und gehütet. Ich brach einen dieser Zweige ab, befreite ihn von seinen Ameisen und pflanzte ihn am Fuß eines von Liometopum bewohnten Baumes; bald kamen mehrere Liometopum auf den Zweig und fanden auch die Aphiden; aber statt letztere nach gewöhnlicher Ameisenart mit den Fühlern zu betasten, um von ihnen einen Honig- tropfen zu bekommen, bissen sie heftig zu und trugen die halbge- töteten Läuse fort. — Zur Beobachtung höherer Zweige, griff ich zum Fernrohr und konnte mich überzeugen, dass Liometopum auch da gewöhnlich nieht über die dickeren Aeste hinauskommt. — Auf Gräsern und Sträuchern ist unsere Ameise selten und mehr zufällig zu finden, besucht auch hier keine Aphiden. Die Stämme anderer Bäume als Eichen werden oft besucht, aber nicht regelmäßig und ausdauernd besetzt, wie es die Aphiden-!iebenden Ameisen thun; auch da sah ich sie mit dem Fernrohr nicht auf den jungen Zweigen. — Ich glaube aus vorigem schließen zu dürfen, dass Liometopum keine Aphiden pflegt und überhaupt den Nutzen dieses beliebten Ameisen- viehes nicht kennt. Sonst liebt unsere Ameise süße Stoffe weniger als andere Arten thun; Zuckerlösung leckte sie zwar gerne, trockenen Zucker achtete sie aber nicht und ließ von mir gebotene angeschnit- tene süße Früchte fast unberührt liegen. Liometopum ist vorzüglich eine Raubameise, und lebt beinahe ausschließlich von animalischer Kost. Die zabllosen Schaaren, welche in jeder Furche der Eichenrinde auf und ab laufen, sind immer bereit ein herangekommenes Insekt anzufassen. Halte ich eine unver- letzte Stubenfliege einem vorbeiziehenden Liometopum vor, so beißt es sofort zu; haben zwei Ameisen gebissen, so kann ich die Fliege lassen, sie ist (obschon die Ameise zu den kleineren Arten gehört, sie ist kleiner als z. B. Lasius fuliginosus) unrettbar verloren; in wenigen Sekunden fallen nun aus den Gruben und Rinnen der Rinde viele Ameisen auf die Fliege, zerren und ziehen an allen Gliedern und halten sie fest, während andere sich bemühen den Leib ihres Opfers zu zerstückeln. Liometopum beißt so stark und hält sich mit Emery, Zur Biologie der Ameisen. 171 seinen Krallen so fest an die Rinde, dass zwei Ameisen genügen, um einen starken Ohrwurm (Labidura gigantea) so lange zu halten, bis ihre Genossinnen zugeeilt ankommen, um den Gefangenen zu töten. Oft sieht man auf der Baumrinde und sonst in der Nähe der von Liometopum stark betretenen Straßen, oder um eine angegriffene Beute einzelne Ameisen, auf den vier hinteren Beinen stehend und bei auf- gerichtetem Vorderleib und geöffneten Mandibeln mit den Fühlern und Vorderfüßen in die Luft zappeln und den Kopf hin und her bewegen, als hielten sie Wache gegen Feinde oder warteten sie auf eine Beute; bewegt man die Hand oder irgend einen Gegenstand in der Nähe der Ameisen, so nehmen sofort viele diese Stellung. Ich hatte zuerst den Verdacht, dass meine Anwesenheit die Ameisen beunruhigt und zu dieser Wehrstellung veranlasst hätte; die Beobachtung mit dem Fern- rohr bewies aber, dass dem nieht so war; besonders schön sah ich dies einmal auf einem hohen Eichenast, wo viele Ameisen um den Leichnam einer Wespe versammelt waren. — Liometopum wartet also auf der Rinde der Bäume umbherlaufend auf die Ankunft anderer Insekten, die es angreift; es stellt derart manchmal förmliche Jagden auf großes Wild an. Mein Freund Dr. Fiori erzählte mir, dass er damals in der Umgegend von Modena, jeden Spätsommer auf ge- wissen Pappelstäimmen eine Anzahl von Vesperus luridus (einem 2 cm langen weichhäutigen Bockkäfer) zu fangen pflegte; seit einigen Jahren nieht mehr, weil Liometopum jene Stämme als Jagdrevier be- suchte. Die Käfer kamen geflogen an den Baum, wurden aber so- fort von vielen Ameisen an den Beinen angefasst und zerstückelt. Dass Liometopum auch flinkere Tiere als Vesperus mit Erfolg an- greifen kann, mag folgendes beweisen: ich warf zum Zweck anderer Beobachtungen eine Menge toter Fliegen auf die Erde, in der Nähe eines Liometopum-Baumes; die Fliegen, welche mittels einer jener gläsernen Fallen, worin sie in verdünntem Spiritus ertrinken, gefangen wurden, waren zum Teil verfault und übelriechend. Bald kamen die Ameisen in großer Schaar und begannen die Leichen fortzuschleppen; der Geruch rief aber auch Aasfliegen herbei; letztere wurden nun öfter angegriffen; mehrmals sah ich eine derselben stark summend sich mit einer oder mehreren Ameisen, die sie an den Beinen gepackt hatten, herumwälzen und endlich frei davonfliegen; aber einmal wurde eine große Aasfliege mit Erfolg angegriffen, festgehalten und gefressen. In seinen Jagden folgt Liometopum immer der gleichen Methode: von allen Seiten die Beute rasch überfallen und fest- halten. Auch in Kämpfen gegen andere Ameisen ver- fährt es in derselben Weise. Andere Ameisen greift Liometopum nicht gerne an, obschon mehrere Arten, wie gesagt, auf demselben Baum auf und ab spazieren; beim Zusammentreffen erweisen sich wie gewöhnlich die verschiedenen Arten gegen einander feindlich ge- sinnt; Formica cinerea, Camponotus aethiops können sich durch rasche 172 Emery, Zur Biologie der Ameisen. Flucht selbst durch Schaaren von Liometopum retten; andere Arten wie C. marginatus und C. lateralis sind furchtsam und ziehen sich bei der ersten Berührung mit anderen Ameisen zurück. Nur Aphaeno- gaster structor sah ich, als einzelne Arbeiter sich zu weit in die Nähe der Raubameise wagten, oft angegriffen und getötet. — Eine eigent- liche Schlacht zwischen Liometopum und anderen Ameisen habe ich nicht gesehen. Einmal gelang es mir einen Kampf mit Lasius fuli- ginosus zu veranlassen. Letztere hatten die Bevölkerung eines Nestes von Formica cinerea aus ihrem Bau getrieben und waren damit be- schäftigt die Larven und Puppen fortzuschleppen. Da brachte ich einen Haufen Liometopum herbei. Jeder Lasius wurde, wenn er nicht gleich forteilte, von mehreren Feinden an Fühlern und Beinen ge- packt und festgehalten; zahllose Schaaren von Liometopum kamen auf das Schlachtfeld geeilt, trotz Gift und Stinkdrüsen wurde der schwarze Lasius bald in die Flucht getrieben und die rotbrüstigen Sieger setzten den Plunder des Formica- Nestes für sich fort. Von den Zügen, welche die einzelnen Nester des Liometopum- Staates mit einander verbinden abgesehen, bildet diese Ameise, wie gesagt, andere sehr lange nach verschiedenen Richtungen ausstrah- lende Züge, die ich Raub- oder Jagdzüge nennen will. Dieselben sind durchaus unbeständig. Als ich meine Landwohnung im April zum ersten Mal besuchte, fand ein starker Verkehr zwischen dem Gebäude und der Ameisenkolonie statt und aus den Mauerritzen wurde manches Insekt herausgeholt und in Stücken fortgeschleppt. Mitte Juni zog ich ein und sah bis Mitte August kein Liometopum um das Haus. Ich war indessen in die Stadt zurückgekehrt. Bei einem späteren Besuch im September, fand ich, dass zahllose Ameisen- schaaren den Fuß der Mauer wieder besetzt hatten und in die sonst von Aphaenogaster structor bewohnten Löcher eindrangen; ein sehr lebendiger Verkehr verband das Haus mit der Liometopum- Kolonie; ein anderer Zug ging weiter, vom Haus zu einem Misthaufen. Wenige Tage später, war von allem dem nichts mehr zu sehen, aber die Zahl der um das Haus streifenden A. structor war sehr stark reduziert und ich vermute, dass ihre Nester von Liometopum geplündert worden waren. — Auf ähnliche Weise sah ich enorm lange Ameisenzüge, nach dem Strombett oder nach Bäumen und Gesträuchern gebildet werden und nach wenigen Tagen aufhören. Ich will hier eine Beobachtung aufführen, die ich vor mehr als 20 Jahren gemacht habe. In einem Garten in Portiei bei Neapel be- wohnte eine starke Liometopum -Bevölkerung mehrere Stämme von Quercus ilex; der letzte bewohnte Stamm stand an einem Wege, und ihm gegenüber auf der anderen Seite des Weges ein anderer Baum derselben Art; von letzterem Baum erstreckte sich eine aus trockenem Rohr geflochtene Wand weiter und war an andere Eichen befestigt. Der stark betretene Weg hinderte die Ameisen daran diese Bäume Emery, Zur Biologie der Ameisen. 173 und die Rohrwand zu besuchen. Es wurde nun eine Schnur zwischen den beiden Bäumen über den Weg gespannt und die Ameisen wurden durch dargebotene Insekten dazu veranlasst über die Seilbrücke zu gehen. Durch diesen sicheren Pfad gelangten sie zu dem Baum, wo sie zuerst die in seinem Stamm wohnende, einer anderen Art (Cremato- gaster scutellaris) gehörige Ameisenbevölkerung zu bekämpfen hatten. Einzelheiten des Kampfes erinnere ich mich nicht mehr. Die früher noch nie besuchte Rohrwand bot den Liometopum ein reichbevölkertes Jagdrevier, wie sich bald erwies, denn mehrere Tage hindurch wan- derten Stücke von toten Spinnen, Ohrwürmern und anderen Insekten über die Schnur, von den Raubameisen getragen, ihrem Neste zu. Ameisengäste habe ich bei Bologna unter Liometopum nicht ge- funden. Dr. Fiori fand daselbst Myrmedonia ruficollis. In Portiei sah ich mehrmals eine kleine blasse Ameisengrille (Myrmecophila) am Eingang der Nester. Ein Feind des L’ometopum ist eine Crabronide!), welche die Ameise raubt und ohne Zweiel zur Ernährung ihrer Brut benutzt; ich beobachtete sie sowohl in Portiei als bei Bologna. Ill. Ueber den Hochzeitsflug der Ameisen. Die Auswanderung der geflügelten Ameisen und ihre Begattung in der Luft gehören zu den bekanntesten Bildern des Lebens dieser Insekten. Ein solcher „Hochzeitsflug“ findet aber in seiner typischen Form nur bei gewissen Arten (z. B. Myrmica, mehreren Arten Lasius, Pheidole pallidula, Tetramorium caespitum, Crematogaster scutellaris, Solenopsis fugax) statt. — Bei vielen anderen Arten wurde ein solcher Flug nie beobachtet und über nächtliches Ausschwärmen, Begattung über den Wipfeln hoher Bäume (Forel) und dergleichen Möglichkeiten liegen kaum mehr als Vermutungen vor. Der typische Hochzeitsflug bietet, wenn die Geschlechtstiere mehrerer Nester zugleich auswandern, die günstigsten Bedingungen zur Exogamie. — Der entgegengesetzte Zustand, wie man ihn bei solehen Formen kennt, wo die Männchen flügellos bleiben (Anergates, Formicoxenus, Ponera punctatissima var. androgyna) bewirkt die strengste Inzucht und dürfte als letzte Folge, durch Schwund des männlichen Geschlechts, zur regelmäßigen Parthenogenese führen; der Fall von Tomognathus ließe sich vielleicht auf diese Weise erklären. Ein flügelloser Zustand der Weibchen würde gleichfalls die Exo- gamie ausschließen oder bedeutend erschweren. Wenn wir von den Doryliden absehen, deren Weibchen, sofern wir sie von Dorylus kennen, immer flügellos und sogar blind sind, wird ein soleher kongenital- 4) Die Bologneser Exemplare sind nach Bestimmung des Herrn Fr. Kohl in Wien Crabro (Brachymerus) curvitarsis Herr. Schäff. Diese Grabwespe soll, nach Mitteilung derselben Entomologen, sehr selten und bis jetzt nur bei Wien und in Italien gefunden worden sein, also in Gegenden, wo Liometopum zu Hause ist, 474 Emery, Zur Biologie der Ameisen. ungeflügelter Zustand des weiblichen Geschlechts, als etwas normales gewöhnlich nicht angenommen. Ungeflügelte fruchtbare Weibchen sind mehrfach als in ihrer Entwicklung gehemmte Individuen be- schrieben worden: bei manchen Arten, z. B. bei Polyergus rufescens, sind sie in gewissen Nestern sogar zahlreich vorhanden und wurden bereits von Huber erwähnt. — Ich bin davon überzeugt, dass es viele Ameisenarten gibt, welche keine geflügelte Weibehen haben. So berichtet E. Saunders, dass Walker in Gibraltar und Tanger in Nestern von Anochetus Ghilianii mehrfach größere flügellose arbeiter- ähnliche Exemplare mit Ocellen fand, aber niemals eine regelrechte Königin mit Flügelstummeln. Sollte auch bei dieser Art später ein geflügeltes Weibchen entdeckt werden, so würde doch die flügellose ergatoide Form die Regel bilden, die geflügelte Form dagegen eine durch Atavismus hervorgerufene Ausnahme. Die Entstehung einer normalen Weibchenform mit stark reduzierter Ausbildung des Thorax lässt sich am Besten aus einem dimorphen Zustand jenes Geschlechtes, wie wir ihn bei Po/yergus kennen, ableiten: ähnliche flügellose Weib- chen (?) mit arbeiterähnlichem Thorax habe ich von zwei amerika- nischen Arten von Odontomachus (einer mit Anochetus nahe verwandten Gattung) beschrieben: von beiden Arten sind normale geflügelte Weibchen bekannt. Sollte bei einer dieser Formen die seltene flügel- lose Form die Ueberhand nehmen, so würde ein Zustand erreicht, ungefähr wie wir ihn von A. Ghilianii kennen. Es gibt nun manche Gattung, besonders unter den exotischen Ameisen, wovon keine geflügelte oder geflügelt gewesene Weibchen bekannt sind. Bei seltenen Formen hat dieses nichts befremdendes, da wir vom Ameisenleben in den Tropenländern gar wenig wissen. Es scheint mir aber auffallend, dass von den in der ganzen indo- australischen Region verbreiteten und manche große und ziemlich häufige Art enthaltenden Gattungen Diacamma und Lobdopelta bis jetzt nur Arbeiter und Männchen, aber kein Weibehen bekannt worden sind, während bei den anderen Gattungen der Poneriden -Gruppe letztere ziemlich zahlreich vorkommen und sich von den Arbeitern fast nur durch die von den kurzen Flügeln bedingte Thoraxbildung und durch das Vorhandensein von Ocellen unterscheiden. Die Ver- mutung liegt nahe, dass bei Diacamma und Lobopelta die normalen Weibchen durch arbeiterartige ersetzt sind !). Es gibt aber geflügelte Ameisenweibchen, die nur schlecht fliegen können, wodurch sie zum eigentlichen Hochzeitsfluge unfähig sind. Weibehen und Männchen von Liometopum sah ich im Juli auf einem alten Eichenstamm am Abend in bedeutender Zahl auf und ab spazieren. 1) Von einigen Arten (Leptanilla Revelierei, Pheidole absurda, Parasyscia Peringueyi) kenne ich keine normale Weibchen, sondern nur flügellose, worauf ich, bei der unvollkommenen Kenntnis die wir von diesen Tieren haben, kein großes Gewicht legen will. Emery, Zur Biologie der Ameisen. 175 Die Flügel der Weibchen sind äußerst labil und fallen bei jeder unsanften Berührung außerordentlich leicht ab; nie sah ich sie von selbst fliegen; einige, die ich von meinem Finger abfliegen ließ, bewegten sich in der Luft horizontal, ungefähr wie Termiten zu thun pflegen, indem sie flattern und sich vom Winde treiben lassen. Ich vermute, dass die Begattung in der Dämmerung auf dem Baume stattfindet und dass die befruchteten Weibchen von hohen Zweigen abfliegen. — Die geflügelten Weibchen von Plagiolepis pygmaea, die ich am 11. Juli Morgens beobachtete, konnten zwar ziemlich gut fliegen, aber ohne Ausdauer; auch ihre Flügel fielen leicht ab. Sie begatteten sich auf der Spitze der Gräser und flogen von dort eine kurze Strecke, um bald auf die Erde zu fallen und sich dann der Flügel zu entledigen. Einen Schritt weiter in der Flugunfähigkeit geht Formica gagates. Die Weibehen zeichnen sich von denen aller anderer Formica- Arten, durch den großen Umfang ihres Abdomens aus. Am 11. Juli kamen sie Morgens aus den Oeffnungen des Nestes heraus und kletterten auf Gräsern, und Sträuchern bis zur Spitze der Zweige, wo ich eines in copula fand. Sie versuchten zu fliegen, ihr Flug geschah aber in stark absteigender Richtung, wodurch sie sehr bald den Boden er- reichten und dann, ohne die Flügel zu verlieren, munter herumliefen. Derartige Weibchen sind also ohne die Hilfe eines starken Windes nicht fähig sich auf größere Entfernungen fliegend zu transportieren, was die leichter gebauten Weibchen der verwandten Arten, F. fusca, F. cinerea und F. rufibarbis ohne Mühe thun können. Liometopum, Plagiolepis pygmaca und Formica gagates scheinen mir auf dem Wege zu sein das Flugvermögen im weib- lichen Geschleeht allmählich zu verlieren, und dieser Um- stand macht es um so wahrscheinlicher, dass andere Arten bereits völlig flugunfähig und sogar flügellos geworden sind }). Dient der Flug der jungfräulichen Weibehen und der Männchen zur Erleichterung der Exogamie, bei Arten deren Nester zahlreich aber verhältnismäßig schwach bevölkert sind (Pheidole, Solenopsis, Myrmica), so wird dieser Nutzen sehr vermindert bei solchen Arten, welche starke und räumlich ausgedehnte, aber von einander entfernte Staaten bilden (Formica, Liometopum), oder die sehr verborgen und zerstreut sind (viele Poneriden, Anergates, Formicoxenus ete.); be- sonders bei diesen letzteren wird es schwer, dass sich die Geschlechter weit vom Neste treffen. Zur Sicherstellung der Befruchtung wird die Begattung in unmittelbarer Nähe des Nestes selbst vorteilhaft. Am sichersten bewirkt das Ungeflügeltwerden eines Geschlechtes diese 4) Ich will noch erwähnen, dass ich unter einer Anzahl mit normalen Flügeln versehener Weibchen von Lasius alienus aus Stazzano bei Genua (von Herrn Marchese G. Doria gesammelt), einige Exemplare mit sehr kurzen Flügeln fand. Da ich dieselben nur tot gesehen habe, so weiß ich nicht, ob sie gut fliegen konnten. 176 Emery, Zur Biologie der Ameisen. Endogamie, welche sich dadurch zu einem Grade steigert, den wir, aus Aehnlichkeit mit einem analogen Zustand gewisser Pflanzenblüten, als Kleistogamie bezeichnen können (Anergates, Formicoxenus, Ponera punctatissima- androgyna, Anochetus Ghilianüi). Das befruchtete Weibchen kann aber, wenn es geflügelt bleibt, als schwärmender Keim eines neuen Volkes, zur Verbreitung der Art auf größere Entfernungen beitragen, ein Umstand, welcher in der Konkurrenz zwischen den einzelnen Arten nicht ohne Wert ist. Die Erhaltung oder der Schwund des Flugvermögens bei weib- lichen Ameisen wird also von folgenden 3Faktoren beeinflusst: a) Vor- teile desFluges für dieKreuzung zwischen verschiedenen Stämmen; b) Verbreitungsfähigkeit der Art durch flie- sende Geschlechtstiere; e) Sicherung der Befruchtung durch Inzucht. Aber es können auch andere Umstände im Spiele sein, wie z. B. Vorteile der Vergrößerung des Leibes der Weibehen zur Vermehrung ihrer Fruchtbarkeit, und infolge dessen, Verminderung des Flugvermögens; — Vervielfältigung der Nester durch ‚Kolonie- bildung und nicht mehr durch schwärmende Weibchen; parasitisches oder unterirdisches Leben; und wohl noch andere mir jetzt ganz un- bekannte Momente, welche sich nur aus der Beobachtung der vielen uns in ihrer Lebensweise ganz unbekannten Ameisenarten ergeben werden. IV. Die Ernte der Ameisen in Südeuropa. Moggridge hat in Mentone bemerkt, dass die Vorratskammern von Aphaenogaster (Messor) barbarus und A. structor im Mai noch von solchen Samen gefüllt sind, welche im Spätsommer und im Herbst reif werden und vermutete deshalb, dass die Haupternte der Ameisen zu jener Zeit stattfindet, so dass die aufgespeicherten Körner für den Gebrauch während langer Zeit genügen. Forel!) bestätigte in Süd- frankreich die Herbsternte dieser Ameisenarten und war dann über- rascht in Tunesien zu sehen, dass sie dort bereits im Frühling Körner sammelten; er vermutet, dass es deshalb geschähe, weil in der Wüste der Sommer die Notzeit ist, für welche Vorräte zusammengebracht werden. Ich kenne die Verhältnisse in Afrika nicht genug, um urteilen zu können, ob dieser Schluss richtig ist oder nicht. Ohne über die Ernte jener Ameisen förmliche Untersuchungen angestellt zu haben, habe ich sehr oft in verschiedenen Jahreszeiten beobachtet, wie sie die Körner pflückten und heimschleppten; in Sizilien schon im April, bei Neapel und hier den ganzen Sommer hindurch. Für Italien kann ich bestimmt behaupten, dass es gar keine be- stimmte Erntezeit gibt: die Ameisen sammeln immer, 80 lange es Samen zu sammeln gibt, je wärmer das Klima, desto früher fangen sie an und desto später im Herbst wird ihrer Ernte 1) Humboldt, IX. Band, 9. Heft, September 1890. Emery, Zur Biologie der Ameisen. Aura durch die Kälte, welche die Thätigkeit der Insekten lähmt, ein Ende gemacht. Wahrscheinlich ist dieses ebenso wie in Italien auch in Südfrankreich der Fall. Moggridge hatte keine Gelegenheit die Ameisen im Sommer zu beobachten; seine Bemerkung, dass die Vor- räte noch im Mai aus Herbstsamen bestehen, lässt sich dadurch er- klären, dass der Nahrungsverbrauch der Ameisen während des Winters sehr gering ist, dagegen die Zahl der im Herbst reifenden Samen- sorten sehr groß. Die am Ende des Frühlings und Anfang des Som- mers gesammelten Körner werden wohl, während der heißen Jahres- zeit, durch die dann sehr thätigen und deshalb nahrungsbedürftigen Ameisen bald verzehrt. Auch die Behauptung alter Schriftsteller, dass die Ameisen im stande sind durch Entführen von Getreide Schaden anzurichten, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Zur Zeit der Ernte sind die Ameisen überall, wo Getreide liegt oder verarbeitet wird, emsig mit Fortschleppen von Körnern beschäftigt, und gar nicht selten gelingt es ihnen, hie und da eine Handvoll oder sogar über einen Seidel in Löchern oder unter einem Stein zusammenzutragen, wo es von den Bauern gefunden werden kann. Diese Verlüste sind auf einem größeren Landgut, wo beträchtliche Mengen Getreide gehäuft und binnen kurzer Zeit durch Maschinen gereinigt werden, ganz unbedeutend, können aber für arme Bauern, welche wenig mehr als das für ihre eigene Haushaltung nötige produzieren, doch empfindlich werden. V. Ueber Beziehungen der Insekten zu den Ameisen. Die Ameisen bilden in der Natur eine sehr bedeutende Macht. Es ist nicht nötig die Tropenländer zu besuchen, um sich davon zu überzeugen; die wärmeren Gegenden der Mittelmeerländer bieten schon ein ziemlich prägnantes Bild davon. In der Insektenwelt beschränkt sich der Einfluss der Ameisen nicht auf ihre sogenannten „Gäste“; wo viele Ameisen leben, ist beinahe jedes kleinere Tier ihren An- griffen ausgesetzt und benutzt zu seiner Verteidigung besondere Schutz- mittel. — Ich will hier einige Beobachtungen mitteilen, welche geeignet sind zu zeigen, wie mannigfaltig diese Mittel sein können; viele der- selben sind, wie ich nachweisen werde, keine absolute; möglicherweise leisten sie nicht gleichsam Schutz gegen alle Ameisenarten; ich will auch nicht behaupten, dass derartige Mittel durch den Einfluss der Ameisen entstanden sind, sondern einzig und allein, dass sie wirklich nützlich sind. a) Die meisten Insekten retten sich vor Ameisen durch die Flucht. Auf der Rinde einer von Liometopum bewohnten Eiche dürfen langbeinige Ameisen, Fliegen u. dergl. ziemlich sicher herum- laufen, denn die rasche Bewegung ihrer Glieder macht einen Angriff auf solche Tiere schwer. Das Schnappen nach einer sitzenden Fliege wird von Ameisen (Liometopum, Formica cinerea und F\ rufibarbis) XI, 12 178 Emery, Zur Biologie der Ameisen. öfter versucht, gelingt aber sehr selten, weil erstere bei der leisesten Berührung ihrer Tastborsten augenblicklich aufspringt und davon fliegt. Auf den Liometopum-Eichen sah ich immer kleine Spring- spinnen ruhig sich bewegen; sehr oft wurden Angriffe auf sie ver- sucht, sie wussten aber durch einen kleinen Sprung sehr geschickt zu entweichen. Eine dieser Spinnen, welche an einem verletzten Beine leicht zu erkennen war, beobachtete ich auf demselben Baum mehrere Wochen hindurch. — Das Springen ist in der That das beste Schutz- mittel kleiner Insekten gegen Ameisen. Durch Honigtropfen myrme- kophil gemachte junge Levkojen-Pflanzen konnten, wie Kronfeld in dieser Zeitschrift mitteilt, von den Ameisen gegen Flohkäfer nicht geschützt werden. Aber auch größeren Arten ist die Sprungfähigkeit nützlich. Setze ich auf den Liometopum-Baum eine ihrer Hinterbeine beraubte Heuschrecke, so wird sie bald angegriffen und getötet, während ein unverletztes Exemplar sich mit einem Sprunge frei macht. b) Sehr kleine Insekten werden von größeren Ameisen gar nicht wahrgenommen; es ist dieses eine alte, von anderen Beobachtern genügend gewürdigte Thatsache. c) Andere Insekten sind durch ihren harten Panzer vollkommen geschützt. Ein Hirschkäfer z. B. klettert unter diehten Schaaren von Liometopum am Eichenstamm, wird von vielen Ameisen an den Beinen gepackt, wodurch sein Gang zwar etwas gehemmt wird, kommt aber ohne den geringsten Schaden durch. Das Chitin ist so fest und die Flügeldecken schließen sich dem Pygidium so dicht an, dass selbst ein toter Hirschkäfer nicht aufgefressen werden kann, wenn nicht durch Ausreißen eines Gliedes ein Loch in die harte Hülle gebracht wird. d) Die behaarten Raupen erhalten durch ihren Pelz und be- sonders durch ihre langen Borsteu einen eigenartigen Schutz gegen Ameisen, oder wenigstens gegen Liometopum (ich hatte keine Gelegen- heit mit Formica rufa und verwandten zu experimentieren). Wenn die Ameise sich der Raupe zum Angriff nähert, so stößt sie zuerst gegen die für ihre Augen unsichtbaren Haare, kann nichts anfassen als die Haare selbst, und die Raupe geht ihren Weg ruhig weiter. Gegen eine oder wenige Ameisen ist die langhaarige Raupe sicher. Wird sie aber von vielen Feinden an den Haaren gefasst und fest- gehalten und gelingt es endlich einer einzigen Ameise, sich durch die Haare oder unter denselben einen Weg zur Haut oder zu den Füßen der Raupe zu bahnen, so ist diese verloren. Das gebissene Tier krümmt und dreht sich krampfhaft und bietet die unbehaarte Bauch- fläche zu weiteren Angriffen. e) Die Larven von Lina populi sah ich auf Populus nigra immer auf der Spitze der jungen Zweige, welche durch einen sie überziehen- den klebrigen Stoff für Ameisen unwegsam gemacht sind. Dieseiben Emery, Zur Biologie der Ameisen, 179 Larven wurden sonst trotz der scharf riechenden Flüssigkeit, die sie aus einer Reihe von Hautdrüsen absondern, von Ameisen, welchen ich sie bot, gerne angegriffen und gefressen. f) Es hat Wasmann beobachtet, dass einige Ameisengäste und Feinde gegen eventuelle Angriffe ihrer Wirtstiere durch einen riechenden Stoff, den sie in der Gefahr von Analdrüsen von sich geben, geschützt sind. Ein ähnliches Mittel scheinen auch andere nicht myrmekophile Insekten zu brauchen. Ich will nur einen von mir beobachteten Fall erwähnen. — Anthieus und verwandte Gattungen sind kleine Käfer, welche zum Teil unter Laub und Gras, oder auf der Erde, öfter an von Ameisen besuchten Stellen sich herumtreiben. Wird ein solcher Käfer mit den Fingern gefasst, so gibt er einen penetranten aromatischen Geruch von sich, der an der Haut längere Zeit haftet. Eine Art, die ich diesen Sommer mehrmals fand (Formi- comus pedestris), setzte ich unter dichte Züge von Liometopum. Die Käfer wurden sofort angegriffen, aber auch bald wieder unbeschadet freigelassen, was sie, wie ich vermute, ihrem Geruch zu verdanken haben. Durch obige Notizen, behaupte ich keineswegs die Vorrichtungen, welche die Insekten gegen Ameisen schützen können, einigermaßen vollständig behandelt zu haben. Ich wollte nur die Aufmerksamkeit der beobachtenden Entomologen auf diesen Gegenstand lenken, da ich nicht weiß, wann es mir möglich sein wird, diese Untersuchungen fortzusetzen. Die Beziehungen der Insekten und anderer Tiere zu den Ameisen können unter 4 Gruppen verteilt werden: 1) Myrmekophagie. Ameisenfressende Insekten sind nicht zahlreich: ich erwähne hier Quedius brevis, Myrmedonia, Crabro curvi- tarsis. Der verdiente Erforscher des Lebens der Grabwespen, Herr Henri Fabre, teilt mir brieflich mit, dass er in Südfrankreich in Crabroniden-Nestern mehrmals Reste gefressener Ameisen gefunden hat, welche keine Liometopum sein können, da diese Ameise aus Frank- reich nicht bekannt ist. 2) Myrmekasphalie (von dogarsıa): Sicherheit gegen Ameisen durch verschiedene Schutzmittel, wie Sprungfähigkeit, Behaartsein, Geruch, Panzer u. dergl. 3) Myrmekophilie. Diese Bezeichnung möchte ich auf die „unechten Gäste“ Wasmann’s beschränken, welche zwar die Ge- sellschaft der Ameisen suchen, aber von ihnen weder gepflegt noch gefüttert werden. 4) Unter Myrmekoxenie (von &&%og) verstehe ich die Lebens- weise der „echten Ameisengäste“, wie Lomechusa, Atemeles, Claviger. Es versteht sich von selbst, dass diese Arten der Beziehung von Insekten zu Ameisen nicht getrennte Kategorien bilden, dass z. B. ein myrmekoxenes Tier zugleich myrmekophag sein kann, dass alle 12 * 180 Rollet, Wellenbewegung in den Muskeln. Myrmekophagen zugleich myrmekasphal sein müssen u. s. w. Ich habe diese zum Teil neue Wörter nur deshalb vorgeschlagen, um für bestimmte Begriffe entsprechende Symbole in die Sprache einzu- führen. Ueber Wellenbewegung in den Muskeln. Von Prof. Dr. A. Rollett in Graz. Seit langem ist es bekannt, dass sich der Kontraktionsvorgang im Muskel wellenförmig fortpflanzt. Dennoch gehört die Kenntnis der Beziehungen der Kontraktionswellen zu den bei den verschie- denen Formen der Kontraktion in die Erscheinung tretenden Gestalt- veränderungen des Muskels noch zu den frommen Wünschen der Physiologie. Es liegen, wie wir sehen werden, nur vereinzelte Vor- arbeiten für die Lösung dieser Frage vor, die noch von keiner Seite ernsthaft in Angriff genommen wurde. Während meiner Untersuchungen !) der Kontraktionsvorgänge von Insektenmuskeln glaube ich aber Gelegenheit gehabt zu haben, das für die einstige Lösung dieser Aufgabe vorliegende Material etwas zu erweitern, und darüber möchte ich hier zusammenfassend berichten. Zur Einleitung muss ich aber einige Bemerkungen über die an lebenden Insektenmuskeln zu beobachtenden Bewegungsvorgänge machen, die sich auf meine Untersuchungen der physiologischen Eigenschaften dieser Muskeln stützen. Es lassen sich diese Bewegungsvorgänge im Allgemeinen in zwei Kategorien scheiden. In die eine Kategorie rechne ich Bewegungen, die als prompte Beantwortung von Einzelreizen auftreten. In die zweite Kategorie rechne ich Bewegungen, bei welchen eine solche einfache Beziehung zwischen Reiz und Zuckung nicht vorhanden ist, sie laufen periodisch oder rhythmisch ab. Durch uns noch wenig bekannte Reize verfallen Muskeln von Insekten und anderen Everte- braten bekanntlich leicht in solche Bewegungen, die bei den Verte- braten viel seltener vorkommen. Gehen wir nun beiden Formen von Bewegungen in ihrer Be- deutung für die Lokomotion der Insekten näher nach. Mittelst elektrischer Reize erhielt ich Bewegungen der ersteren Form von geeignet isolierten Insektenmuskeln ganz ebenso wie von ausgeschnittenen Froschmuskeln. Isolierte Käfermuskeln zeichneten auf einzelne Induktionsschläge Myogramme, aus welchen sich eine Dauer der Einzelzuckungen zwischen 0.112 — 0.527 Sekunden berechnete, also eine Dauer, die innerhalb der Grenzen (0.104—1.800 Sekunden) liegt, die sich für die Zuekung verschiedener quergestreifter Verte- bratenmuskeln ergaben. Ich habe ferner bei den Muskeln der In- 1) Denkschrift der m. n. Klasse der kais. Akademie d. Wiss. in Wien, Bd. LII, 1887 und Bd. LVIII, 1890. Rollet, Wellenbewegung in den Muskeln. 481 sekten ganz ebenso, wie das bei den Vertebratenmuskeln gelingt, mittelst elektrischer Reize Myogramme glatter und klonischer Tetani dargestellt, die genaue Abbilder der Einzelreize waren, welche den Muskel getroffen hatten. Wir werden also für die Bewegungen der Insekten einen ähn- lichen natürlichen Tetanus voraussetzen müssen, wie für die Be- wegungen der Vertebraten. Als Element desselben aber die Einzel- zuckung, wenn auch, wie zu vermuten ist, eine gedehntere Einzel- zuckung, als die infolge von Momentanreizen, wie die Induktionsschläge, auftretende Einzelzuckung. Das entspricht auch den Vorstellungen, welche man sich schon von vorneherein von den Bewegungsakten der Insekten machen muss. Auch für diese Tiere können nur solehe Muskelbewegungen, welche von den Willensorganen oder den Reflexzentren zeitlich genau be- herrscht werden, einen Nutzen während des Ablaufes des Lebens haben. Von Bewegungen der zweiten Kategorie, wie sie z. B. in dem bekannten, andauernden Wellenspiele überlebender Insekten- muskeln vorliegen, müsste dagegen angenommen werden, dass sie nur geeignet wären, den Ablauf normaler Willens- und Reflexakte zu stören. Sie müssen darum als eine von außergewöhnlichen Bedingungen abhängige Leistung der Muskeln angesehen werden. Die experimentelle Grundlage für diese Folgerungen bildete haupt- sächlich das Ergebnis unserer Untersuchungen über die elektrische Reizung isolierter Insektenmuskeln. Zu ähnlichen Folgerungen führt aber auch die Beobachtung lebender Insekten, die man während der Untersuchung absterben lässt. Die Muskeln der durehsichtigen Larven von Corethra plumicornis lassen sich stundenlang beobachten, wie das G. R. Wagener!), Laulanie und in neuerer Zeit ich selbst gethan haben. Zwei Formen von Bewegungen der Muskeln sind dabei haupt- sächlich zu unterscheiden: 1) Die totalen Zusammenziehungen eines Muskelbündels, welche sich, wie Wagener hervorhebt, blitzähnlich schnell und energisch bei lebenskräftigen Tieren vollziehen und welche Laulanie als se- cousses, eontraetions totales et simultanees bezeichnet. 2) Die Bildung langsam über die Muskelfasern ablaufender Knoten (Wagener), ondes museulaires (Laulanie), welche bei ganz lebenskräftigen Tieren noch fehlt und erst nach einiger Zeit anfängt. Wagener führt aber schon ganz richtig an, dass der Ablauf von Knoten anfänglich nicht bedeutet, dass die Muskelfasern, an welchen sie beobachtet werden, die totale Kontraktion nicht mehr 4) Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. X, 1874. 2) Compt. rend., T. CI, 1885. 182 Rollet, Wellenbewegung in den Muskeln. ausführen können. Beide Bewegungsformen können an derselben Faser abwechseln. Nach großer Ermattung des Tieres kommt nur der Ablauf von Knoten noch vor. Die Erscheinungen an den Muskeln von Corethra-Larven müssen einer über die Angaben von Wagener und Laulanie hinausgehen- den Analyse gewürdigt werden. Betrachten wir zuerst das Wellenspiel, dann noch die totalen Kontraktionen etwas näher. Die anfangs nur in geringer Anzahl an einzelnen Muskelfasern auftauchenden, unter dem Mikroskope sicht- baren Wellen treten allmählich an immer zahlreicheren Fasern der Muskeln des Tieres zu Tage und wiederholen sich dann an derselben Faser in immer kürzeren Perioden, so dass sich ein lebhaftes Wellen- spiel einstellt, welches erst nach geraumer Zeit so wie es gekommen auch wieder vergeht. Die Wellen an den einzelnen Fasern wieder- holen sich nur mehr in längeren Perioden, die Zahl der Fasern, an welchen Wellen ablaufen, verringert sich immer mehr und nach einiger Zeit sind nur noch wenige Fasern vorhanden, an welchen nur noch in langen Perioden aufeinander folgende Wellen ablaufen, bis endlich nur an einzelnen Fasern in sehr langen Perioden noch Wellen auftreten. Außer diesem sehr bemerkenswerten Verlauf des Wellen- spieles ist noch die Thatsache von großer Wichtigkeit, dass die Länge der Wellen immer eine verhältnismäßig geringe ist. Das stützt sich allerdings nur auf Schätzungen, allein man geht dabei von einer sehr augenfälligen Thatsache aus. Die Wellen sind immer sehr steil an- steigende und abfallende Knoten, die oft nur 8 und im höchsten Falle 20 Querstreifen umfassen. Zwischen diesen Grenzen schwankend treten diese kurzen Wellen vereinzelt auf und laufen verhältnismäßig langsam über die Muskelfasern ab, wenn das Wellenspiel beginnt, wenn es am lebhaftesten ist und wenn es wieder aufhört. Man muss sich in Acht nehmen, dass man nicht durch die einige Zeit hindurch vorhandene rasche Wiederholung der Wellen etwa zu der irrtümlichen Annahme einer größeren Fortpflanzungsgeschwindigkeit der einzelnen Welle geführt wird. Von den nun genauer beschriebenen wellenförmigen Bewegungen sind, wie gleich anfangs gesagt, die totalen Kontraktionen der Muskeln des noch lebenskräftigen Tieres wesentlich verschieden. Sie vollziehen sich sehr rasch und sind offenbar in der Regel kürzer oder länger andauernde natürliche Tetani, möglicherweise gelegentlich auch Einzelzuckungen. Das letztere lässt sich beim bloßen Anschauen nicht ausschließen, wenn der Vorgang sehr rasch vorübergeht. Gewöhnlich verweilt aber der rasch verkürzte Muskel eine merklich lange Zeit im Zustande der Kontraktion, bis er wieder erschlafft. Solange die totalen Kontraktionen in den Muskeln er- folgen, muss angenommen werden, dass die Nervenzentren ihren Ein- fluss auf die Muskeln noch behalten haben. Zu einer Zeit, wo das Rollet, Wellenbewegung in den Muskeln. 183 noch der Fall ist, können aber auch schon vereinzelt die kurzen, sich langsam fortpflanzenden Wellen an solchen Muskeln auftreten und diese beruhen offenbar auf einer anderen Art von Reizung. Langt während des Ablaufes einer solchen Welle ein von den Nerven- zentren ausgehender Reiz im Muskel an, so sieht man die Welle in der totalen Kontraktion verschwinden und erst nach der Erschlaffung tritt in kürzeren oder längeren Perioden wieder der Ablauf von kurzen Wellen ein, die, sei es durch Reizung der Muskeln, sei es durch Reizung der peripheren Nerven bedingt sind. Das Wellenspiel bleibt endlich vorhanden, ja wird, wie wir gesehen haben, noch leb- hafter, wenn einmal keine totalen Kontraktionen mehr erfolgen. Die Reize, von welchen das Wellenspiel abhängt, entwickeln sich also mit dem Absterben der Nervenzentren in größerer Zahl und rascherer Folge. Für den Ablauf der totalen Kontraktionen muss eine normale Beschaffenheit der Muskelfasern angenommen werden. Da aber die ersten langsam ablaufenden Wellen schon an den noch totaler Kon- traktionen fähigen Fasern auftreten, so erweisen sich auch die kurzen Wellen nur als durch die Besonderheit der Reizung bedingte eigen- tümlich ablaufende Bewegungsvorgänge normal beschaffener Muskel- substanz. Die eben beschriebenen Wellen in den Muskeln absterbender Corethra-Larven zeigen die größten Uebereinstimmungen mit der häufigsten Form der seit Bowman!) oft untersuchten Bewegungen frisch ausgeschnittener Insektenmuskeln. Ich habe die letzteren an langen, schmalen Streifen von Muskeln einer sehr großen Zahl von Käfern untersucht und das Wellenspiel oft stundenlang fortdauernd beobachtet. Gewöhnlich ist dasselbe, wenn man die Muskelstückchen recht rasch unter das Mikroskop bringt, gleich beim ersten Anblick so lebhaft entwickelt, als es über- haupt beobachtet werden kann. Auch hier treten die Wellen als kurze, steil ansteigende und abfallende und langsam dahinrollende Knoten der Fasern auf und ihre Länge liegt auch hier in engen Grenzen, 12—24 Querstreifen etwa umfassend. Eine solche Begren- zung bleibt auch erhalten, wenn das Wellenspiel wieder weniger lebhaft wird, was auch hier dadurch geschieht, dass die Wellen an immer weniger Fasern in immer längeren Perioden und endlich nur an einzelnen Fasern in sehr langen Perioden auftreten. Ich habe versucht die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wellen ausgeschnittener Käfermuskeln zu messen. Ehe ich die Methoden und Resultate mitteile, soll aber hier eine Zusammenstellung der über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Kontraktionswellen in quergestreiften Muskelfasern bekannt gewordener Thatsachen Platz finden. 1) Philosoph. Transact. 1840. 184 Rollet, Wellenbewegung in den Muskeln. Aeby!) schrieb bekanntlich mittelst zweier entfernt von einan- der quer über einen horizontal ausgespannten entnervten Frosch- muskel aufgelegter Hebel die Verdickungskurve der betreffenden Querschnitte auf. Bei Applikation des Reizes an dem einen Muskel- ende zeigten die auf derselben Abseisse stehenden Kurven einen Abstand größer, als der Abstand der Querschnitte war. Die Differenz kommt auf Rechnung der Zeit, während welcher sich die Kontraktion von einem Querschnitt zum anderen fortpflanzte. Es ergab sich im Mittel 1 Meter Sekundengeschwindigkeit für den kräftigen Frosch- muskel. Früher noch erhielt von Bezold?) und später erhielten Place?), Engelmann) und Marey°), die ersteren nach einer etwas anderen Methode, der letztere nach einer mit Aeby’s Methode nahe übereinstimmenden Methode für die Sekundengeschwindigkeit der Kontraktion im Froschmuskel Werte, welche von dem Aeby’s nicht weit abwichen. Dagegen erhielt Bernstein®) nach einer der Methode Aeby’s nachgebildeten verbesserten Methode für die Sekun- dengeschwindigkeit (g) der Kontraktionswelle im Froschmuskel den Mittelwert 3.869 Meter. Seine Methode erlaubte ihm auch die Dauer (t) der Ausweichung eines Querschnittelementes des Muskels aus der Gleichgewichtslage zu bestimmen und er berechnet ausl=g.t die Länge der Kontraktionswelle zu 0.198—0.380 Meter. Mit Steiner fand Bernstein’) dann als gemeinsames Mittel von g für Warmblüter 3.500 Meter und für I die Werte 1.923 — 1.571 —1.080— 1.050 Meter. L. Hermann?) endlich, der Pouillet’s zeitmessende Methode zur Bestimmung der Zeitdifferenz zwischen der Verdiekung entlegener Querschnitte nach lokaler Reizung benützte, fand für den Frosch- muskel 3 Meter. Er bemerkt aber später, dass die Fortpflanzungs- geschwindigkeit in nicht ausgeschnittenen Muskeln wahrscheinlich viel größer gefunden würde. Für den lebenden Menschen ist ihm nach Versuchen, welche er gelegentlich seiner Untersuchung des phasischen Aktionsstromes an den Vorderarmmuskeln machte, eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung im Muskel von 10—13 Metern wahrscheinlich. 4) Untersuchungen über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den quergestreiften Muskeln. Braunschweig 1862. 2) Untersuchungen über die elektr. Erregung der Nerven und Muskeln. Leipzig 1861. 3) Nederl. Arch. v. Genees- en Naturk., III, 1867. 4) Jenaisch. Zeitschr. f. Natur- und Heilk., IV, 1868. 5) Du mouv. d. 1. fonct. d. 1. vie Paris 1868. 6) Untersuchungen über die Erregungsvorgänge im Nerven- und Muskel- system. Heidelberg 1871. 7) Archiv für Anatomie und Physiologie, 1875. 8) Pflüger’s Archiv, Bd. X 1874 und Bd. XVI 1878. Handbuch der Physiologie, I, 1. Leipzig 1879. Rollet, Wellenbewegung in den Muskeln. 185 Es sind aber an Muskeln von Wirbeltieren und vom Menschen auch viel langsamer ablaufende Kontraktionswellen bekannt gewor- den, nämlich die von Schiff!) infolge von topischer mechanischer Reizung beobachteten, an deren weiterer Untersuchung in hervor- ragender Weise Kühne?) und später Auerbach?) beteiligt waren. Der Letztere beobachtete solche Wellen auch bei der Perkussion der Muskeln lebender Menschen, also an Muskeln, welche noch durch Reize verschiedener Art zu totalen Kontraktionen veranlasst werden. Und es ist besonders wichtig, dass Auerbach mit aller Schärfe hervorhob, dass bei Muskeln, die einen hohen Grad von Erregbarkeit besitzen, der topische mechanische Reiz eine schnell vorübergehende Zuckung des ganzen Muskels, dann Erhebung des sog. idiomusku- lären Wulstes und endlich die von der Reizstelle nach beiden Enden hin ablaufenden langsamen, kurzen Wellen zur Folge hat. Die Sekundengeschwindigkeit der letzteren schätzte Auerbach auf 314-471 Millimeter und die Basis der über den Muskel hin- laufenden Wülste in der Längenrichtung des Muskels zu 6.5—13 Milli- meter. Kehren wir nach Anführung dieser Erfahrungen zu den Wellen überlebender Insektenmuskeln zurück, dann treten uns in denselben wahre Miniaturwellen mit äußerst geringer Geschwindigkeit entgegen. Die größere Länge und Geschwindigkeit, welche man denselben nach der Untersuchung mittelst stärkerer Vergrößerungen des Mikroskopes zuzuschreiben geneigt ist, ist eine scheinbare, und der Eindruck wird schon ein wesentlich anderer, wenn man nur sehr schwache Vergrößerungen anwendet. Ich habe aber nun gefunden, dass sich aus den Schenkel-Streckern und Beugern des hintersten Beinpaares größerer Käfer hinreichend lange Streifen herausschneiden lassen, um an denselben nach der Methode, welche E. H. Weber zur Messung der Geschwindigkeit des Kapillarkreislaufes benützt hat, die Geschwindigkeit der über die Muskelfasern ablaufenden Wellen zu messen. Die genaueren Angaben sind in der zitierten Arbeit ent- halten. Ich gelangte auf diese Weise für die Sekundengeschwindigkeit der Fortpflanzung jener Wellen zu Werten zwischen 0.080—0.670 Milli- meter und zu dem gemeinsamen Mittel von 0.169 Millimeter. Die Länge der Wellen bewegte sich zwischen 0.080—0.115 Millimeter. Wenn wir nun auch annehmen wollen, dass diese Werte wegen der erheblichen Schwierigkeiten der Methode mit nicht geringen Fehlern behaftet sind, so ist doch soviel sicher, dass die Wellen der 1) Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Tiere, Bd.I, 1876. Lehrb. d. Muskel- und Nervenphysiologie. Laar 1858—59. 2) Archiv für Anatomie und Physiologie, 1859. 3) Abhandl. d. schles. Gesellsch. f. vaterl. Kult., 1861. Zeitschr. f. rat. Med., 1862. 186 Rollet, Wellenbewegung in den Muskeln. ausgeschnittenen Insektenmuskeln ganz auffallend kurz und langsam ablaufend sind. Daran knüpfe ich das folgende. Aeby!) hat einmal, teilweise fußend auf Bowman’s Anschauungen, die Meinung ausgesprochen, dass die infolge einer lokalen direkten Reizung eines Muskels und die infolge der Reizung des Muskels vom Nerven aus auftretende totale Kontraktion des Muskels bedingt werde durch eine Summierung von sehr rasch an den Orten der Reizung immer neu entstehenden Wellen von der Art, wie man sie in dem Wellenspiele überlebender Insektenmuskeln beobachten kann. Das Wellenspiel komme nur zu Stande, weil sich zwischen die einzelnen Wellen Ruhepunkte von kürzerer oder längerer Dauer einschalten. Dieser Meinung widerspricht aber erstens nach den Beobachtungen, die wir früher mitgeteilt haben, die Art des Eintrittes, die Entwick- lung und das Aufhören des Wellenspieles an den Muskeln der Co- rethra- Larven. Der Eintritt erfolgt so, dass an Muskeln des noch lebenskräftigen Tieres Wellen von der Art ablaufen, wie sie später an einer immer größeren Anzahl von Muskelfasern des absterbenden Tieres in kür- zeren Perioden sich wiederholend auftreten. Sowie aber das Wellen- spiel auf diese Weise immer lebhafter wurde, so nimmt seine Leb- haftigkeit auch wieder allmählich ab, so dass an den im letzten Stadium des Ueberlebens befindliehen Muskeln ganz ähnliche Be- wegungsvorgänge beobachtet werden, wie beim ersten Eintritt des Wellenspieles. Nach Aeby’s Hypothese sollte man an ganz lebens- kräftigen Muskeln einzelne Wellen nicht beobachten. Erst mit der Ermüdung und dem Absterben sollte die Entstehung der Wellen eine weniger rasche werden und darum die einzelnen Wellen sichtbar werden. Wir sahen aber kurze, in langen Perioden mit geringer Ge- schwindigkeit ablaufende Wellen schon an den vollkommen lebens- kräftigen Muskeln auftreten, welche gleichzeitig noch totale Kon- traktionen auszuführen im Stande sind. Diese Beobachtung zeigt uns die merkwürdige Thatsache, dass die Muskelsubstanz den Kontrak- tionsvorgang je nach der Art, wie sie erregt wird, in Form von langen und in Form von kurzen Wellen fortzupflanzen vermag. Und auf diese Thatsache stoßen wir auch bei den Muskeln des lebenden Menschen, bei welchen, wie oben angeführt wurde, ein to- pischer mechanischer Reiz zuerst eine rasch vorübergehende Zuekung des ganzen Muskels, weiterhin aber Erhebung des idiomuskulären Wulstes und endlich die von der Reizstelle nach beiden Enden hin ablaufenden kurzen und langsamen Wellen zur Folge hat. Zweitens spricht gegen die angeführte Meinung von Aeby auch die ermittelte Länge und Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wellen ausgeschnittener Insektenmuskeln. Rollet, Wellenbewegung in den Muskeln. 187 Nehmen wir an, dass die totale Kontraktion einer 5 Millimeter langen Muskelfaser auf die Hälfte ihrer ursprünglichen Länge nach der Erregung des einen Endes der Faser bedingt wäre durch Wellen, welche einem wirklichen Falle entsprechend mit 0.230 Millimeter Ge- schwindigkeit in der Sekunde fortschreiten und immer neu an der Erregungsstelle entstehen, etwa so, dass sie nur in Abständen von einer halben Wellenlänge nn - — 0,0575 Millim. aufeinander folgen, dann würde erst nach 10.8 Sekunden die totale Kontraktion auf- treten und dabei würden eirca 44 Wellen, die sich in Intervallen von 0.25 Sekunden folgen, längs der Faser liegen. Würden wir aber annehmen, dass die totale Kontraktion der Faser bedingt wäre dureh eben solche Wellen, die von einer in der Mitte der Faser liegenden Eintrittsstelle eines motorischen Nerven in der gleichen Folge aus- gehen und gegen die Enden hin ablaufen, dann würde erst nach eirca 5.4 Sekunden die totale Kontraktion auftreten. Wir würden also bei der Annahme der kurzen und langsam fort- schreitenden Wellen auf einen zeitlichen Verlauf der Totalkontrak- tionen geführt, welehem die Beobachtungen dieser letzteren Kon- traktionen an den lebenden Corethra-Larven ebenso widersprechen wie die Zeiten, welche ich für die mittelst eines Induktionsschlages von nicht entnervten Käfermuskeln ausgelösten Einzelzuekungen er- mittelt habe und die sich zwischen 0.112—0.527 Sekunden bewegten. Für diese Vorgänge muss eine viel raschere Fortpflanzung der Kontraktion und müssen viel längere Wellen angenommen werden. Deren Beziehung zu den verschiedenen Formen der Kontraktion ge- nauer zu untersuchen muss unsere künftige Aufgabe sein. Für die Insektenmuskeln ist es aber wahrscheinlich, dass auch die längsten Wellen weit hinter jenen der Muskeln der Vertebraten zurückbleiben. Es muss darum einer Einrichtung gedacht werden, die geeignet sein würde, bei der Erregung vom Nerven aus auch bei verhältnismäßig kurzen Wellen von geringer Fortpflanzungsgeschwindigkeit doch eine rasche Summierung derselben zur Kontraktion zu bewirken. Es wäre das eine möglichst vielfache Verknüpfung der Muskelfaser mit dem Nerven, so dass an der Faser infolge eines Nervenreizes möglichst viele Knoten gleichzeitig sich erheben würden. In der That finden sich an den Insektenmuskeln Einrichtungen, die uns so verständlich würden. Ich erinnere an die von Föttinger!) und von mir?) genauer untersuchten Muskelfasern der Chrysomeliden, die durch eine große Zahl von Nervenhügeln ausgezeichnet sind. Bei Chrysomela caerulea zählte Föttinger 9 Nervenhügeln auf einer 1) Onderzoek. ged. i. h. physiol. Laborat. d. Utrecht. Hoogeschoo!. Donders en Engelmann, 1880. 2) Denkschrift der m. n. Klasse d. kais. Akademie d. Wiss. in Wien Bd. XLIX, 1885. 188 Fick, Form der Gelenkflächen. Strecke von 1 Millimeter einer Muskelfaser. Etwas Aehnliches findet sich bei anderen Käfern. Bei Passalus glaberrimus fand Föttinger 4—5 Nervenhügel auf einer Strecke von 1.5 Millimeter, bei Hydro- philus piceus 6 Nervenhügel an derselben Faser. Schon Föttinger macht die Bemerkung, dass die große Zahl der Nervenhügel darauf hinweise, dass sich die Kontraktion bei den Insekten langsam fort- pflanze. Rudolf Fick, Ueber die Form der Gelenkflächen. Archiv für Anatomie und Physiologie, anatomische Abteilung. 1890. S. 391 bis 402. 1 Tafel. Rud. Fick bestrebt sich, etwas über die Ursachen für die Ver- teilung von Pfanne und Gelenkkopf auf die gleitend gegeneinander bewegten Skeletteile zu ermitteln. Er geht von der Ansicht seines großen Onkels Ludwig Fick aus, dass die Gelenkflächen durch die Bewegung der Teile gegen einander geschliffen werden und knüpft an die Auffassung Henke’s an, dass immer dasjenige Gelenkende konkav geschliffen werde, an dem die Muskeln nahe dem Gelenke ansetzen, das Gelenkende mit entfernten Muskelansätzen hingegen konkav werde. Zunächst legst F. durch eine analytische mathema- tische Betrachtung dar, dass das Gelenkende mit nahem Muskelansatz beim Anziehen über die Kante desjenigen mit entferntem Ansatz abgleiten wird, während dasjenige mit langem Ansatz gegen das an- dere umkippen und mit seiner Kante in dem ersteren entgegenge- setzter Richtung sich über die Fläche desselben verschieben wird. Darauf teilt F. die Ergebnisse direkter Versuche mit. Reiner Gyps erwies sich zu hart; eine Mischung von !/, Raumteil Gyps, !/, desgl. Bimsteinpulver und !/, Raumteil Wasser ergab Stangen, die nach ihrer Erhärtung und rechtwinkeligen Halbierung sich als geeignet erwiesen. Die eine Hälfte der Stange wurde auf eine Unter- lage gekittet; durch die andere wurde zur Befestigung der Bindfäden ein Stift gesteckt, und nach dem Aufsetzen auf die andere wurden die beiden Fäden in Richtung des festen Blockes alternierend durch einen Motor gezogen. Die Stangen hatten 1—6 Quadratcentimeter Querschnitt. Bei Ansatz der Fäden in !/;—1 cm Abstand von der Berührungsfläche wurde konstant das feste, bei größerem Insertions- abstand (von 3—6 cm) das bewegte Ende zum Kopfe und bei längerer Dauer des Versuches schliff sich auch eine entsprechende Pfanne aus. Die Ursache dafür, dass zuerst die Konvexität hervortrat, erblickt F. in Gründen, die (wohl nur zum kleinsten Teil, Ref.) im Auge des Beschauers zu suchen sind, insofern Abweichungen an den Kanten leichter bemerklich sind als an der Fläche. F. vergleicht mit diesem schönen, der Theorie vollkommen ent- sprechenden Ergebnis die Insertionsabstände an den Gelenken des Sehinz, Deutsche Interessensphäre in Südwestafrika. 489 Menschen und gewinnt das Resultat, dass bei den Gelenken des- selben die Gelenkform im Großen und Ganzen dem Gesetz entspricht, dass dasjenigeGelenkende, bei welchem die Muskeln nahe am Ge- lenke ansetzen, zur Pfanne, dasjenige, an dem sie entfernt angreifen, zum Kopf wird. Aus diesen Ergebnissen zieht Fick nicht den Schluss, dass die Gelenke ihre Form durch Schleifen erhielten, sondern er fol- gert bloß: „es ist durch unsere Schleifversuche nachgewiesen, dass die Anordnung und Form eine zweckmälige, den mecha- nischen Gesetzen entsprechende ist, also geeignet zur Vererbung durch natürliche Zuchtwahl.“ Diese kluge Beschränkung ist sehr zu loben. Gleichwohl erblicke ich noch einen besonderen Wert der Arbeit darin, dass, soweit die Gelenkformation nicht durch Selbstdifferenzierung der einzelnen Gelenkenden entsteht, Fick’s Ableitung zugleich als Grundlage für eine direkte mechanische Erklärung der Gelenk- formen in normalen und vielen pathologischen Verhältnissen zu dienen geeignet ist, auch ohne dass das Prinzip der Abschleifung hierbei irgend eine Verwendung findet, nämlich wenn man berücksichtigt, dass Fick’s Stellen stärkster Schleifung zugleich die Stellen stärksten Druckes sind. W. Roux (Innsbruck). Dr. Hans Schinz, Die deutsche Interessensphäre in Südwest- Afrika. (In: Fernschau, IV. Bd.). In einer einlässlichen Darstellung der Natur des deutschen Südwest: Afrika, welche bezweckt, „das verzerrte Bild des der Unternehmungs- lust erschlossenen Deutsch-Südwestafrikas an Hand der Forschung zu rekonstruieren und es sowohl von dem trüben Schleier, den der Kolonialgegner über jene Gebiete geworfen hat, als von dem unechten Tand, mit dem es der Kolonialschwärmer ziert, zu befreien“ finden wir ein überaus anziehendes Vegetationsbild des Gebietes. Die strenge Abhängigkeit von den klimatischen Verhältnissen führte zur Ausbildung zweier distinkter Vegetationsformationen, einer Litoral- und einer Binnenlandvegetation. Der Groß-Nama- landküste fehlt das Grundwasser, ein Umstand der die Eintönigkeit der an Arten und Individuen armen Vegetation bedingt. Meist sind es kleine !/, Meter hohe Sträucher oder Halbsträucher oder dem Boden flach anliegende Kräuter, die hier vegetieren. Bäume fehlen. Die wichtigsten sind die sparrige Salsola Zeyyheri, deren knorrige Wurzeln das Brennmaterial in den Faktoreien von Angra Pequena bilden, gelb und rosarot blühende Sarcocalon und Pelargonien, Dicoma capensis und eine kleinblätterige Abart der Lebeckia multiflora. Giesekia, 190 Schinz, Dentsche Interessensphäre in Südwestafrika. Grielium, Zygophyllum simplex bilden im eigentlichsten Sinne den Bodenteppich. Sie alle ermangeln des frischen Grüns, indem die meist außerordentlich kleinen, kurzlebigen Blätter eine diehte graue Haarbekleidung besitzen oder ihr Chlorophyll durch rote und gelbe Farbstoffe verdecken. Zwei Eigentümlichkeiten sind für die Strand- vegetation vor allem charakteristisch, der Mangel einjähriger Pflanzen und die das ganze Jahr hindurch ununterbrochene Vegetationsfrische. Die unbedeutende Differenz der klimatischen Verhältnisse bringt es mit sich, dass die meisten der Litoralpflanzen während des ganzen Jahres Blüten ansetzen und entwickeln. Im Gebiete des Dünensandes fehlt sozusagen jede Vegetation. Eine Art, die sich dem zerstörenden Sturmwind angepasst erweist, ist von besonderem Interesse, das Ectadium virgatum var. latifolim, dessen rutenförmigen Zweigen eine bedeutende Elastizität innewohnt. Ueber der Dünenzone beginnt das Grundwasser, ein Faktor, der das veränderte Aussehen der Binnen- landvegetation wesentlich bedingt. Den Uebergang zwischen beiden Vegetationsformationen bildet ein dunkelgrauer 1!/,—2'/, Meter hoher Euphorbienstrauch mit seiner steten Begleiterin, der schmarotzenden Hydnora africana. Der Uebergang zeigt sich ferner in der Scheidung der Büsche und Halbsträucher von den Ephemeren und Kräutern, welch letztere den Sand fliehend zu den Bewohnern der Felskuppen werden. Die sparrigen, meist scharf bewehrten, kaum Meter hohen, diehtstehenden Sträucher, die das Buschwerk der Ebene bilden, ge- hören zumeist zu den Büttneriaceae, Acanthaceae, Scrophularineae und Compositae. An der Grenze zwischen Binnenlandvegetation und Euphorbien- zone tritt als erster Baum die Aloe dichotoma auf, eine Pflanze, welche durch „eine glatte, gelbe Rinde, die sich in langen und breiten, papier- dünnen Streifen abziehen lässt, und aloeartige Blätter, die gleich Rosetten am Ende der wurstartigen Aeste angeordnet sind“, ausge- zeichnet ist. Die Bäume werden bald häufiger. Der Aloe gesellen sich vorab Akazien bei. Ausgedehnte mannigfach belebte Grasfluren treten auf. „Ich wüsste nichts schöneres als eine solche Grasflur. — Es ist Herbst, kühl weht vom Westen der Seewind herüber, nach den drückend heißen Mittagsstunden uns herzlich erfrischend. Kosend überfährt er die silberglänzenden, langen Federschweife der Aristida: sich langsam neigend folgen diese der Richtung des Windes und nun erglänzt die wogende Fläche wie eitel Silber. Und erst im Frübjahr! Noch ist die Grasnarbe kaum spannenhoch; fast über Nacht strecken sich aber die saftigen, grünen Halme zur doppelten Höhe; rechts und links, wohin wir nur unser Auge richten, ist alles in Blüte, aus dem Winterschlaf erwacht: brennend rote Haemanthus, gewaltige Dolden von bis zu !/, m Durchmesser der verschiedensten Brunsvigia-, Baphane- und Ammocharis-Arten, krautige Acanthaceae und Serophu- larineae — und wie sie alle heißen, diese vergänglichen Kinder des Frühjahres“. Schinz, Deutsche Interessensphäre in Südwestafrika. 191 Doch die Aristida-Steppe ist auch die Wiege vielen Ungemachs. Die spitzen Früchtehen der Aristida werden zu lästigen, schmerzhaften Peinigern des Wanderers. Auch der Busch kann in anmutiger Blumenpracht prangen, in zartem Weiß oder feurigem Rot das Auge erquicken. Gehen wir nordwärts in das Gebiet der bei Rekoboth beginnen- den Galleriewälder, die vornehmlich aus Akaziensträuchern gebildet werden. Dort an der Grenze des Groß-Namalandes begegnen uns die süidlichsten Vorposten der prächtigen Acacia albida. Der früh im Jahre eintretenden Nachtfröste wegen vermag sie hier ihre Früchte nicht zu reifen. In der ganzen Interessensphäre schätzt Verfasser 20 Akazienarten, im Hererolande allein 13 Species. Die Küstenregion dieses Gebietes zeigt einen etwas andern Pflanzenwuchs als im Groß- namalande. Wir sind von der Kapkolonie nun weiter entfernt und zahlreiche Pflanzen, die von dort aus allmählich der Küste entlang nordwärts gewandert sind, wie die Pelargonien Sarcocaulon, Lebeckia Eetadium und andere Arten haben diese Breite noch nicht erreicht. Dafür sind vom Norden her Arten, die dort fehlen, hierher gewandert. Das Grundwasser, das sich hier findet, gestattet vielen Arten des Hinterlandes die Litoralregion zu besiedeln. „Auch hier konstatieren wir eine Euphorbienzone — aber weit entfernt davon, einen so ex- klusiven Charakter wie im Groß-Namaland zu besitzen, ist sie hier gewissermaßen neutrales Terrain, auf dem sich Küsten und Binnen- pflanzen friedlich die Hand reichen. Ganz allmählich differenziert sich aus dieser gemischten Zone im Osten die Pflanzendecke des Hinterlandes, im Westen dem Meere zu, die des Litorales“. Hier sind vor allem zwei Arten von Interesse, die Welwitschia miriabilis, von deren kurzem, im Sande fast verborgenem Stamme bis drei Meter lange, oft wunderlich verkrümmte, dem Boden anliegende Blätter abgehen, und die Acanthosicyos horrida, eine Cucurbitacee, an deren dornigem Aestegewirr, essbare Früchte entstehen. Die Kalachari ist im wesentlichen ein gewaltiger, mit Strauch- steppe gemischter Buschwald. Dichtes Akaziengebüsch das oft Stunden weit sich ausdehnt, wechselt mit großem Grasebenen, „in denen die Giraffenakazien und später die Ahnenbäume gleich wie in einem Obst- garten, durch große Abstände getrennt, zerstreut sind“. In der Fruchtbildung der Cucurbitaceen zeigen sich eigentümliche Anpassungsverhältnisse, die ihre Verbreitung durch Tiere verunmög- lichen. Sie sind entweder sehr groß, so „dass es einer Antilope ein- fach unmöglich ist, sie anzubeißen“, oder sie sind klein, dann aber sehr stachelig. Der bittere Stoff der unreifen Früchte dürfte eben- falls als ein Schutzmittel gegen Frass aufzufassen sein. Die reifen von der Mutterpflanze gelösten Früchte erhalten bald eine harte, brüchige Fruchtschale. Rollt sie der Wind über die Steppe 492 Der 10. Kongress für innere Medizin. hin, dann wird sie an einem Baum oder Stein eingeschlagen. Durch die entstandene Oeffnung entleert sie die Samen. Den dünenartigen Bodenerhebungen der Kalachari gehören zwei stattliche Bäume: die Copaifera coelosperma und ein Pterocarpus an. Dr. Robert Keller (Winterthur). Der 10. Kongress für innere Medizin findet vom 6. bis 9. April 1891 zu Wiesbaden statt. Den Vorsitz übernimmt Herr Leyden (Berlin). Folgende Hauptthemata sollen zur Verhandlung kommen: Montag, 6. April: Die Gallensteinkrankheiten. Referenten: Herr Nau- nyn (Straßburg) und Herr Fürbringer (Berlin). Dienstag, 7. April: Das Koch’sche Heilverfahren bei Lungentuberkulose und anderen inneren tuberkulösen Erkrankungen. Mittwoch, 8. April: Angina pectoris. Referenten: Herr A. Fränkel (Berlin) und Herr O. Vierordt (Heidelberg). Außerdem sind folgende Vorträge bereits angemeldet: Herr Kahler (Wien): Ueber intermittierende Albuminurie. — Herr Mosler (Greifswald): Ueber Be- handlung der Leukämie. — Herr Th. Schott (Nauheim): Ueber Differential- diagnostik der Perikardialexsudate und der Herzdilatation. — Herr Knoll (Prag): 1) Zur Lehre von den Kreislaufstörungen. 2) Zur Lehre von den krankhaften Veränderungen der quergestreiften Muskulatur. — Herr Brieger (Berlin): Ueber chemische Vorgänge bei Infektionskrankheiten. — Herr Rosenstein (Leiden): Ueber die Diagnose der hypertrophischen Lebercirrhose. — Herr Quincke (Kiel): Ueber Hydrocephalus. — Herr Eichhorst (Zürich): Wahr- nehmungen über den Patellarreflex bei Tabes dorsalis. — Herr Edlefsen (Kiel): 1) Zur Frage der Entstehung des vesikulären Atmungsgeräusches. 2) Zur Statistik der Varicellen, mit Rücksicht auf die neuerdings wieder behauptete Zugehörigkeit derselben zur Variola. — Herr Külz (Marburg): Thema vorbe- halten. — Herr Tappeiner (München): Ueber die diuretische Wirkung der Phenylmethylpyrazolkarbonsäure. — Herr G. Klemperer (Berlin): Thema vor- behalten. — Herr Leo (Bonn): Thema vorbehalten. — Herr Friedländer (Leipzig): 1) Ueber die Methode der „mathematischen Diagnostik“ des akuten Gelenkrheumatismus und aller sonstigen Gestaltungsformen des Rheumatismus centralis. 2) Zur Aetioloyie des Morbus Brightü. — Herr Leubuscher (Jena): Klinische Uutersuchungen über die Säureabscheidung bei Geistes- und Nerven- krankheiten. — Herr Lenhartz (Leipzig): Thema vorbehalten. — Herr Schmaltz (Dresden): Die Untersuchung des spezifischen Gewichts des mensch- lichen Blutes und das Verhalten desselben bei anämischen Zuständen. — Herr Mordhorst (Wiesbaden): Zur Diagnose und Behandlung der Gicht. Mit dem Kongresse ist eine Ausstellung neuerer ärztlicher Apparate, Instru- mente, Präparate u. s. w. verbunden. Anmeldungen für dieselbe sind an den Sekretär des Kongresses, Herrn Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Friedrich- straße, zu richten. Verlag von Eduard Besold in Erlangen. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches CGentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der meer in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. &l. Band. 1. Mai 1891. Nr. Tu 8. Inhalt: Büsgen, Der nen — Mrautzseh, Ren zu den Versuchen des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. — Graber, Ueber die embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. — Graber, Bemerkungen zu J. Carriere’s Aufsatz „die Drüsen am ersten Hinterleibsringe der Insekten- embryonen“. — Kochs, Beiträge zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. — Liebreich, Die Wirkung der kantharidinsauren Salze. Der Honigtau !). Biologische Studien an Pflanzen und Pflanzenläusen. Von M. Büsgen, Privatdozent der Botanik an der Universität Jena. Mit dem Namen Honigtau werden zwei sehr verschiedenartige Erscheinungen bezeichnet. Erstens versteht man darunter die süßen Ausscheidungen, welche der Mutterkornpilz, Claviceps purpurea, auf den von ihm befallenen Grasähren veranlasst; zweitens aber heißen Honigtau die kleinen Tröpfehen oder auch zusammenhängenden Ueberzüge einer klebrigen, ebenfalls süßen Substanz, welehe man im Sommer auf der Oberfläche der Blätter sehr verschiedener Pflanzen, besonders auffallend an Linden- und Ahornbäumen, auch an Hopfen und Erbsen und endlich zu jeder Jahreszeit an Zimmer- und Ge- wächshauspflanzen auftreten sieht. Nur von diesem zweiten Honig- tau soll im Folgenden die Rede sein. Die Erscheinung selbst ist von Alters her wohlbekannt, über ihre Entstehung aber gehen noch heute die Ansichten weit auseinander. Nach der Meinung eines Teiles der Beobachter, zu welchem wohl die Mehrzahl der Zoologen gehört, besteht aller Honigtau aus den flüssigen Exkrementen der Pflanzen- 1) Nachfolgendes ist ein kurzer Auszug einer bei G. Fischer in Jena erschienenen Arbeit (gr. 8° 37 S. 2 Tafeln), welche in 6 Kapiteln die Geschichte unserer Kenntnisse vom Honigtau, das Verhältnis der Pflanzenläuse zum Honig- tau, Versuche über die Möglichkeit des vegetabilischen Honigtaus, die Nahrungs- aufnahme der Pflanzenläuse, die Bedeutung des Honigtaus für die Pflanzen und die Bedeutung des Honigtaus für die Pflanzenläuse behandelt. XI. 13 194 Büsgen, Der Honigtau. läuse, während andere, namentlich Botaniker, neben solchem ani- malischen einen vegetabilischen Honigtau zu kennen glauben, der aus den Pflanzen selbst ausschwitzt. Gerade in den letzten Jahr- zehnten schien durch die Angaben von Autoritäten wie Treviranus, Unger, Boussingault, Th. Hartig, Hooker und H. Hoff- mann das Vorhandensein dieses vegetabilischen Honigthaues sicher gestellt zu sein, sodass von Wilson eine theoretische Erklärung desselben versucht werden konnte, welcher auch Pfeffer in seiner Pflanzenphysiologie eine Stelle einräumte. Die Geschichte unserer Kenntnisse vom Honigtau zeigt, dass einerseits die zu Gunsten des vegetabilischen Honigtaues geltend gemachten Beobachtungen unzureichend sind, anderseits aber auch die von den Vertretern des ausschließlich animalischen Ursprungs desselben angeführten Daten nicht genügen, um alle Honigtauvor- kommnisse auf die Pflanzenläuse zurückzuführen und ein vielleicht selteneres Auftreten vegetabilischen Honigtaues auszuschließen. Sie genügen namentlich nicht zur Beurteilung der immer wiederkehren- den Angabe der Verteidiger des vegetabilischen Honigtaues, dass die Zahl der bei einem zitierten Honigtauvorkommen beobachteten Blattläuse zur Erklärung desselben zu gering gewesen sei. Um diesem Mangel abzuhelfen, wurden Bestimmungen der von den Pflanzenläusen in einer gewissen Zeit hervorgebrachten Flüssig- keitsmengen vorgenommen. Dieselben ergaben eine Tabelle, in welcher charakteristischer Weise die Bewohner derjenigen Pflanzen mit den größten Zahlen auftreten, welche besonders oft als Honig- tauproduzenten genannt worden sind. Beispielsweise lieferte ein Individuum einer auf Acer pseudoplatanus var. purpureum in großen Mengen lebenden Aphis-Art innerhalb 24 Stunden 48 Tropfen (von circa 1 mm Durchmesser), eine Camellienschildlaus in derselben Zeit 13 Tropfen (von !/, mg Trockengewieht) Honigtau. Eine Berechnung für die Acer-Laus ergibt, dass ein mit 15 Blättern besetzter Zweig bei mäßiger Okkupation durch die Blattläuse im Tage 1440 Tropfen Honigtau liefern würde, eine Ziffer, welche es begreiflich macht, dass Blätter eines Baumes nach dem Abwaschen durch einen Ge- witterregen in kürzester Zeit sich wieder mit Honigtau überziehen können und dass von einem solchen Baume ein fortwährender Tropfen- regen niederfällt, der auf den unten befindlichen Gegenständen sehr deutliche Spuren hinterlässt. Auch ein genaueres Studium der Form des Auftretens und der Vermehrung des Honigtaues führt zu dem Resultat, dass er überall tierischen Ursprungs ist. Alle beobachteten Vorkommen ließen sich mit leichter oder schwieriger zu entdeckenden ungeflügelten oder geflügelten Pflanzenläusen in Beziehung setzen. Findet man irgendwo unerklärliche Tropfen, so braucht man dieselben nur mit einem Pa- pier zu bedecken, um durch ein baldiges Erscheinen von solchen Büsgen, Der Honigtau. 195 auch auf diesem darüber belehrt zu werden, dass sie nicht aus dem Inneren der Pflanze stammen. Der oft konstatierte Zusammenhang im Auftreten des Honigtaues mit der Witterung erklärt sich aus seiner Löslichkeit in Wasser und seiner Hygroskopizität, welche ihn am taufeuchten Morgen nach einer kalten Nacht im Sommer auf- fallender werden lässt. Zu berücksichtigen ist übrigens, dass es einige Erscheinungen an Pflanzen gibt, welche mit dem Honigtau verwechselt werden können. Außer der oben schon erwähnten Zuckerausscheidung vor der Entwickelung des Mutterkorns gehören hierher die süßen Sekrete der extrafloralen Nektarien und die klebrigen, aber nicht süßen Stoffe, welche gewöhnlich am Blattrande secerniert, manchmal die ganze Oberfläche junger Blätter überziehen. In allen diesen Fällen handelt es sich um die Produkte besonders ausgebildeter Sekretionszellen, während das Auftreten des Honigtaues von den anatomischen Ver- hältnissen der befallenen Pflanzenteile ganz unabhängig ist. Ein echter, von Cieaden ausgeschiedener Honigtau scheint vorzuliegen bei den südamerikanischen sogenannten Regenbäumen, von welchen ein Tropfenregen herniederfällt, der zu den abenteuerlichsten Hypothesen Anlass gegeben hat. Wie im Obigen gezeigt wurde, dass die Inanspruchnahme der Tiere zur Erklärung aller Honigtauvorkommnisse ausreicht, so lehrt eine von den Pflanzen ausgehende Betrachtung, dass eine direkte Beteiligung der letzteren bei dem Zustandekommen des Honigtaues ihrer Organisation nach nicht stattfinden kann. Die Eigenschaften der Cutieula gestatten weder ein Ausschwitzen von Zuckersäften aus dem Zellinneren, noch, wie Wilson annahm, ein osmotisches Heraus- saugen von Flüssigkeit durch auf der Blattfläche befindliche Zucker- tröpfehen, wie solche die Blattlausexkremente darstellen. Derartiges findet nur bei Wasserpflanzen statt, die hier nicht in Betracht kommen. Die Versuche, welche Wilson zur Begründung der Nektarientheorie dienten, die zu seinen Aeußerungen über den Honigtau geführt hat, müssen in anderer Weise gedeutet werden, als es von ihm geschehen ist. Die Art und Weise, wie die Pflanzenläuse sich das Material zur Bildung des Honigtaues verschaffen, ihre Nahrungsaufnahme ist noch keiner eingehenderen Untersuchung unterworfen worden, obwohl sie eine Reihe außerordentlich interessanter Punkte darbietet. Die Pflan- zenläuse saugen, indem sie ihre vier Mundborsten zu einem Bündel vereinigt in die Nährpflanze einstechen und dann wohl wie andere Hemipteren teils kapillar, teils durch Herstellung eines luftverdünnten Raumes im Gaumen den Saft bestimmter Zellen durch einen von den Maxillarborsten gebildeten Kanal in ihre Speiseröhre hinaufsteigen lassen. Der Schnabel dient als Führung der Borsten zur Einstich- stelle, welche diesen außerordentlich biegsamen Organen ein Aus- weichen unmöglich macht. Im Inneren der Pflanze bahnen die Ober- 9 496 Büsgen, Der Honigtau. kieferborsten dem Saugrohr den Weg zu der Nahrung spendenden Zelle, innerhalb deren seine beiden Teile auseinanderklaffen, um dem Nahrungsstrome einen bequemen Eintritt zu gestatten. Der Weg der Borsten geht oft tief ins Innere der Pflanze hinein und auch hier bedürfen sie einer Führung, wenn sie ungehindert vordringen sollen. Ohne die Führung würden die Oberkieferborsten beim Aufstoßen ihrer Spitzen auf eine etwas härtere Zellwand jedesmal Halt machen, während, wenn der Druck seitens des Tieres fortdauert, ihre weiter rückwärts gelegenen Teile überall, wo Platz dazu ist, also im Inneren durchbohrter Zellen und in den Interzellularräumen sich krümmen müssten. Derartige Krümmungen aber verhindert ein eigentümliches Sekret, welches die Tiere, wohl aus ihren Speicheldrisen, während des Einstichs in die Wunde gelangen lassen. Dasselbe stellt eine . eiweißartige Substanz dar, welehe rasch erhärtet und in diesem Zu- stande ein das Borstenbündel eng umhüllendes festes Rohr bildet, innerhalb dessen die Borsten sich leicht bewegen, welches sie aber nicht seitlich durchbreehen können. Auch für den Beobachter ist dieses Rohr vom größten Werte. Es bleibt erhalten, wenn das Tier die Borsten aus der Pflanze herauszieht, oder wird sogar bei diesem Vorgange noch mit neuen Mengen der Rohrsubstanz erfüllt, so dass es ein ausgezeichnetes Mittel zur Bestimmung der Orte bietet, von welchen jenes seine Nahrung bezegen hat. Indem das Rohr die Ge- stalt der Stichkanäle konserviert, lässt es uns die ganze Geschichte der Nahrungsaufnahme eines Tieres während seines Aufenthalts an einer bestimmten Stelle der Pflanze überblicken. In den Blättern und Sprossen unsrer einheimischen Pflanzen gleichen die Stichkanäle gewöhnlich etwa einem einfachen von der Epidermis her in die Pflanze eingedrungenen Pilzfaden, der im Weichbast der Gefäßbündel oder im Cambium Rhizoiden treibt. Daraus geht hervor, dass die Borsten in diesen Fällen erst in irgend einer Richtung bis in die letztgenannten Gewebe einstechen und dann eine kurze Strecke weit zurückgezogen werden, um in wechselnder Richtung immer wieder in dieselben einzudringen. Die Spitze des Saugorgans besucht auf diese Weise immer neue Cambium- resp. Weichbastzellen und wir müssen annehmen, dass dies geschieht, um bald hier bald dort Tribut zu erheben. Der Grund dafür, dass die Tiere gerade in den be- zeichneten Teilen ihre Nahrung suchen, welche oft durch dicke Sclerenchymschichten und vorgelagerte Sekretbehälter schwer zu- gänglich gemacht sind, liegt darin, dass sie nur hier Säfte finden, deren Eiweiß- und Kohlehydratgehalt ihren Bedürfnissen entspricht. Die peripherisch gelegenen Elemente des Pflanzenkörpers, die Zellen der Rinde und die Epidermis, führen nicht nur verhältnismäßig eiweißarme Säfte, sondern enthalten auch oft Substanzen, welche, wie sich durch Fütterungsversuche für den sogenannten Gerbstoff nachweisen läßt, den Pflanzenläusen unangenehm sind. Büsgen, Der Honigtau. 19% Von ausländischen Pflanzenläusen liefert ein Beispiel für den besprochenen Stichtypus Coccus Cacti, die Cochenille-Schildlaus, welche dem Cambium der von ihr befallenen Opuntia-Stengel farb- lose Substanzen entnimmt, die sie zur Carminbildung benutzt. Beim Liegen an der Luft schon entstand in Schnitten einer in Algier zur Cochenille-Kultur gezogenen Opuntia ein roter Farbstoff, der mög- licherweise mit dem Carmin identisch ist. Einen zweiten Stichtypus finden wir bei den Schildläusen mancher Früchte und immergrüner Gewächse Hier zeigen die Stichkanäle nicht gegen das Ende hin gehäufte Verzweigungen, sondern sie be- sitzen in ihrem ganzen Verlaufe hier und da abgehende Aeste. Auch sind sie nicht nach den Gefäßbündeln oder dem Cambium hin ge- richtet, sondern sie verlaufen in beliebiger Richtung im Grundgewebe, oft fast parallel der Oberfläche des betreffenden Pflanzenteils und selbst rückläufig nach der Einstichstelle. Das Borstenbündel befindet sich hier eben in jeder Parenchymzelle an der Nahrungsquelle und dringt vor, indem es eine nach der anderen erschöpft. Die außer- ordentliche Länge der Borsten erklärt sich in diesem Falle nicht daraus, dass sie tief im Gewebe den Weichbast aufzusuchen hätten; sie ist aber notwendig, um eine genügend große Anzahl von anzu- saugenden Zellen in den Bereich der Tiere zu bringen, welche sich bekanntlich sehr lange nicht von der Stelle bewegen. Der Einstich der Pflanzenläuse geschieht häufig auf der Grenze zwischen zwei Epidermiszellen und auch weiterhin kann der Stich vollständig interzellular bis zu den Nährzellen verlaufen. In diesem Falle umgeht das Tier die ihm gleichgiltigen oder unangenehmen Zellsäfte, doch darf man nicht annehmen, dass dies der Grund des interzellularen Stichverlaufs sei. Derselbe ist vielmehr dadurch be- dingt, dass der Widerstand, welchen die Zellwände in tangentialer Richtung oder die Interzellularsubstanz dem Borstenbündel bieten, in den in Rede stehenden Fällen geringer ist als der, welchen die Zellwände selbst einer Durchbohrung in der Richtung des Radius der Zelle entgegensetzen. Besonders auffällig kann dieser Umstand inner- halb verholzter Gewebspartien werden, deren Zellwände starke Ver- diekungschichten besitzen. Hier macht der interzellulare Verlauf des Borstenbündels die letzteren für die Tiere ziemlich indifferent. Der interzellulare Einstich in die Epidermis findet dann statt, wenn die Außenwände ihrer Zellen nach außen stark konvex gewölbt sind. In diesem Falle gleitet der Schnabel der Tiere beim Ansetzen von selbst in die über den Seitenwänden derselben befindlichen Ver- tiefungen. Die Folgen der Stiche für die Zellen sind verschieden. Nicht überall werden dieselben getötet; doch ließ sich in dem großzelligen Parenchym einiger Pflanzen, in welchem der Stich dem zweiten Typus folgt, Vergilbung oder Bräunung der Chlorophylikörner und Verän- 198 Büsgen, Der Honigtau. derung des Zellkerns beobachten, Erscheinungen, welche vielleicht auf eine mit dem Stich verbundene Giftwirkung schließen lassen. Wie die Wanzen besitzen die Pflanzenläuse neben dem eigentlichen Saugrohr einen zweiten engeren Kanal zwischen den zusammen- gelegten Maxillarborsten. Möglich, dass durch diesen der Erguss eines Giftes stattfindet; sei es, dass dasselbe ein besonderes Sekret darstellt oder dass die Giftwirkung an die wohl auf denselben Weg angewiesene Rohrsubstanz geknüpft ist. Der im Vorstehenden beschriebene Modus der Nahrungsaufnahme seitens der Pflanzenläuse legt die Frage nach der Natur der so- genannten Ausschwitzungen nahe, welche auf den Stich mancher dieser Tiere von den Pflanzen gebildet werden sollen. Aus den Wun- den können jene Stoffe nicht wohl ausfließen, denn diese werden durch die Rohrsubstanz geschlossen. Auch eine durch die Tiere etwa veranlasste Gewebedegeneration habe ich bisher nirgends wahr- genommen. In der That hat man in den von Pflanzenläusen ver- ursachten Mannabildungen aller Wahrscheinlichkeit nach nichts an- deres als Honigtau, also Pflanzenlausexkremente, vor sich. Auch der gewöhnlich als pflanzliche Ausschwitzung betrachtete Gummilack ist ein tierisches Produkt, wie sich am Stocklack nachweisen lässt. Er ist in eine Linie zu stellen mit den mannigfachen Wachs- und „Wolle“- Ausscheidungen, welche bei den Pflanzenläusen so verbreitet sind und auch bei anderen Arten Schild- oder Blasenform annehmen können. Die Bedeutung des Honigtaues für- die Pflanzen besteht nicht darin, dass er eine direkte Schädigung der Zellen etwa durch Ver- mittlung osmotischer Vorgänge ausübte. Wohl aber kann er schäd- lich und selbst gefährlich werden, indem er epiphytischen und para- sitischen Pilzen günstige Ansiedelungsbedingungen bietet. Unter den ersteren sind vor allem die Rußtaupilze zu nennen, welche im Spät- sommer ganze Bäume überziehen und, wie sich durch einen einfachen Versuch nachweisen lässt, durch Abhaltung des Lichtes von den Blättern deren Assimilationsthätigkeit beeinträchtigen. Sie sind die rein epiphytischen „Coprophilen* der Blattlausexkremente, welche in den Gallertschichten und der dunklen Farbe ihrer Membranen be- sondere Anpassungen an die trockenen, stark besonnten Standorte auf den Blättern der Bäume besitzen. Für parasitische Pilze gewinnt der Honigtau Bedeutung, indem er sie in günstige Keimungsbedingungen versetzt. Manche, wie Botrytis cinerea und vielleicht auch Septoria mori werden sogar durch ihn erst zu Parasiten gemacht, da sie, um infektionstüchtig zu werden, eines Erstarkens bei saprophytischer Lebensweise bedürfen. Somit kann z. B. in einem Gewächshause jedes Tröpfehen Honigtau zum Heerde einer gefährlichen Pflanzen- erkrankung werden. Von einem Nutzen des Honigtaues für die Pflanzen kann in unseren Gegenden kaum die Rede sein. Es ist wahr, dass derselbe Biüsgen, Der Honigtau. 199 Ameisen anlockt, deren Bedeutung als Ungeziefer-Vertilger außer Frage steht. In der Regel ist aber der durch die Saftentziehung seitens der Läuse und die pilzernährenden Eigenschaften des Honig- taues herbeigeführte Schaden wohl größer als der durch den Besuch der honiglüsternen Ameisen gestiftete Nutzen, sodass für unsere ein- heimische Vegetation wenigstens an eine Anpassung der Pflanzen an die Pflanzenläuse in dem Sinne, dass erstere einen Teil ihrer Säfte opferten, um den Schutz der Ameisen zu gewinnen, nicht gedacht werden kann. Anders mag es sich in den Tropen verhalten, wo die Ameisen eine größere Bedeutung besitzen. Man kennt an einigen tropischen Pflanzen gleichzeitig von Ameisen und Coceiden bewohnte Hohlräume, wodurch der Gedanke an eine dreigliedrige Symbiose in der That nahegelegt wird. Eine Betrachtung der Bedeutung des Honigtaues für die Pflan- zenläuse hat von seiner chemischen Zusammensetzung auszugehen. Die vorhandenen Analysen !) lehren, dass er im Traubenzucker eine Substanz enthält, welche für Tiere und Pflanzen sonst einen be- deutenden Nährwert besitzt. Wir: sind daher berechtigt zu fragen, welchen Nutzen diese anscheinende Verschwendung den Tieren bringe. Die Antwort darauf ist schon oft gegeben worden: der Honigtau verschafft den Pflanzenläusen den Schutz der Ameisen, welche ihre Feinde von ihnen fern halten. Bringt man die Blattlaus-fressenden Larven von Coceinellen oder Schwebfliegen in eine von Ameisen be- suchte Kolonie, so sieht man wie die letzteren die ersteren wütend angreifen und durch ihre Bisse verjagen, wobei sich oft interessante Kämpfe abspielen. Die trägen Fliegenlarven z. B. scheiden auf den Biss einer Ameise an ihrem Vorderende einen sehr klebrigen Schleim aus, mit welchem sie jene zu beschmieren suchen. Gelingt ihnen dies, so lässt die Ameise von ihnen ab, um sich zu reinigen, wodurch die Larve Zeit zum Abzug gewinnt. Uebrigens werden nicht alle Pflanzenläuse von Ameisen besucht, weil einerseits nicht alle süße Exkremente besitzen und andrerseits nicht jede Pflanzenoberfläche von den Ameisen leicht beschritten wer- den kann. Diese Tiere ohne Ameisenschutz sind indessen keineswegs ganz schutzlos. Sie besitzen recht wirksame Verteidigungsorgane in den beiden Rückenröhren, über deren Funktion bis jetzt keine Klar- heit erzielt worden war. Noch heute wird in Lehrbüchern die alte, schon von R&aumur widerlegte Fabel wiederholt, dass die Röhren den Honigtau aussonderten, welcher thatsächlich stets aus dem After der Tiere austritt. Ihre wahre Funktion ergibt sich fast von selbst, wenn man sie in ihrer Thätigkeit beobachtet. Das Röhrensekret tritt z. B. aus, wenn feindliche Larven die Blattläuse angreifen. Man sieht dann auf einer oder auf beiden Röhrenspitzen je einen durch- 1) In der Originalarbeit befindet sich eine Zusammenstellung der Honig- tauanalysen, darunter auch neue Angaben. 200 Trautzsch, Versuche des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. sichtigen Tropfen erscheinen, welchen die Blattlaus mit ziemlicher Sicherheit dem Feinde auf den Vorderteil schmiert. Die Flüssigkeit erstarrt rasch und bildet so eine lästige Kruste, mit deren Abstreifung das getroffene Tier lange zu thun hat. Besonders auffallend spricht sich der Wert der Röhren in der Schonung aus, welche die Coceinellen ihretwegen den Blattlausmüttern im Vergleich zu den jüngeren In- dividuen angedeihen lassen. Es ist ohne Zweifel vorteilhaft für die ganze Kolonie, wenn die trächtigen Tiere weniger als die übrigen der Vernichtung ausgesetzt sind. Durch Berührung mit einer Nadel- spitze kann man die Tiere veranlassen, ihr Röhrensekret an die Nadel zu schmieren. Auf diese Weise wurde eine kleine Quantität desselben zusammengebracht, die zur chemischen Untersuchung be- nutzt werden konnte. Dieselbe ergab, dass das Sekret weder Zucker noch Harnstoff enthält, sondern aus einer wachsartigen Substanz be- steht, die wohl den sonstigen Wachsausscheidungen der Pflanzenläuse verwandt ist. Die Leistung der Röhren zeigt uns also nur eine Funktion unter Ausbildung eines besonderen Apparates lokal ge- steigert, welche auch sonst unter den Pflanzenläusen verbreitet vor- kommt. Anmerkungen zu den Versuchen des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. Unter dem Titel „Untersuchungen zur physiologischen Morpho- logie der Tiere“ hat Herr Dr. Jacques Loeb eine Abhandlung ver- öffentlicht, welche als 1. Teil seine Versuche über Heteromorphose bekannt geben soll. (Dieselbe ist erschienen in Würzburg im Verlag von Georg Hertz, 1891.) Herr Dr. Loeb nimmt hier eine Frage auf, die seit langer Zeit die Geister der Naturforscher bewegt und auch schon zu verschie- denen Malen in Angriff genommen ist. Der Autor will die Frage entscheiden, „ob und inwieweit es möglich ist, die Organbildung der Tiere durch äußere Umstände zu beherrschen“. Auf botanischem Ge- biete liegen schon tiefgehende Bearbeitungen in dieser Richtung von Sachs, Vöchting, Noll ete. vor. Weniger war bisher auf zoolo- gischem Terrain erreicht, obwohl die Versuche Trembley’s, Rösel von Rosenhof’s an Hydren vielfach wiederholt und mit histologi- schen Untersuchungen verbunden wurden. Herr Dr. Loeb geht von der Thatsache aus, dass es eine Reihe von Tieren gibt, bei denen, wenn ein Organ verloren gegangen ist, an der Stelle dieses Organs ein neues gebildet wird; er hätte noch weiter gehen und darauf aufmerksam machen können, wie weit die Regenerationsfähigkeit z. B. bei Seesternen geht. Seine Aufgabe soll es nun sein, zu prüfen: „ob und durch welche Mittel es bei Tieren möglich sei, an Stelle eines verlorenen Organes mit Sicherheit ein Trautzsch, Versuche des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. 201 typisch anderes, der Form und den Lebenserscheinungen nach vom verlorenen verschiedenes Organ wachsen zu lassen“. Herr Dr. Loeb glaubt die gestellte Frage gelöst zu haben. Er illustriert seine Abhandlung durch zahlreiche Versuche und zieht die Folgerungen daraus, welche er zum Aufbau der Erklärung nötig hat. Ich will es versuchen, an der Hand der Abhandlung seinen Versuchen zu folgen und dieselben daraufhin zu prüfen, ob und wie weit sie zu den Folgerungen berechtigen, die der Verfasser glaubt, ziehen zu müssen. Ich bestreite, dass es Herrn Dr. Loeb gelungen ist, die gestellte Frage zu lösen, und kann ihm nur zugeben, dass er die Frage ver- tieft hat. Die Resultate seiner Versuche berechtigen ihn nicht zu so weit gehenden Folgerungen. Dieselben werden in ihrem Werte erst erkannt werden können, wenn zu der „kausalen Morphologie“, wie der Verfasser seine Betrachtungsweise nennt, eingehende „rein formelle morphologische“ Studien treten, auf die in der Abhandlung mit einem gewissen Lächeln herabgesehen wird. Herr Dr. Loeb hat seine Studien an Hydroidpolypen angestellt, und vergleichsweise Aktinien herangezogen. Es muss zunächst darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Versuche in der zoologischen Station zu Neapel stattfanden, also unter den denkbar günstigsten Um- ständen ; trotzdem und auch gerade deshalb muss hervorgehoben werden, dass sie mehr Vorsicht in der Beurteilung ihrer Tragweite erforderten, weil die Lebensbedingungen in den Aquarien der Station ganz andere sind, als in der Tiefe des Meeres. Der Verfasser hat das an einigen Stellen selbst empfunden; es muss deshalb Wunder nehmen, dass er nicht überall auf die veränderten Umstände Rücksicht genommen hat. Verfolgen wir indess seine Abhandlung. „Die Organe, um die es sich in diesen Versuchen handelt, sind der orale und aborale Pol“. Ich will die Nomenklatur des Verfassers jetzt nicht einer Kritik unterziehen, der Gebrauch des Begriffes Organ, dürfte aber von den Morphologen gerügt werden, zumal der Ver- fasser sich hier als Morphologen betraehtet, wenn auch als physio- gischen. Er bestreitet die Behauptung Allmann’s!) und Marshall’s?) betreffs der Polarität des Tierkörpers und bezweifelt die durchgängige Geltung der Vorstellungen Nussbaum’s®); er zieht die Beobach- tungen Bonnet’s*) heran, welcher dreimal an Stelle eines abge- 4) Geo. J. Allman, Report on the present state of our knowledge of the reproductive system in the Hydroidea. Rep. of the Brit. Assoc. for the advancem. of Science, 1864. 2) W. Marshall, Ueber einige Lebenserscheinungen der Süßwasser- polypen ete. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. 37, 1882. 3)M. Nussbaum, Ueber die Teilbarkeit der Materie. Arch. f. mikrosk. Anatomie, Bd. 26 u. 29. 4) Ch. Bonnet, Oeuyres d’histoire nat. et de Philosophie. Neuchätel 1779. dba 302 Trautzsch, Versuche des Herın Dr. Loeb über Heteromorphose. schnittenen Kopfes bei Würmern eine Schwanzbildung gesehen haben will. Herr Dr. Loeb geht nun darauf aus, an Stelle oraler Gebilde aborale zu erzeugen und umgekehrt. Sehen wir zu, wie es ihm ge- lungen ist, solehe heteromorphe Organe sich bilden zu lassen. In dem Kapitel überschrieben: Heteromorphose bei Tubularia mesembryanthemum (Tubularien, welche an jedem Ende in einen Kopf auslaufen), wird die Terminologie der Botanik eingeführt: der Kopf heißt Spross, Spitze, der Fuß-Wurzel. Ich halte es für verfehlt, die alten guten Bezeichnungen einer rein äußerlichen Aehnlichkeit wegen durch andere zu ersetzen, die weder morphologisch noch physiologisch den geringsten Anlass dazu bieten; der Verfasser hat sich auch selbst nicht daran gebunden, — überall treten die alten Namen wieder auf, wohl weil das Gefühl zum Durchbruch kam, dass diese „vergleichende“ Terminologie schief sei. An Tubularien wurden die „Polypen“ und die „Wurzeln“ abge- schnitten, die aboralen Enden in den Sand gesteckt. Es entsteht dann am oralen Schnittende ein Polyp, am aboralen unterbleibt jede Neubildung. Wurden die oralen Enden in den Sand gesteckt, so ent- standen an den aboralen Polypen. Daraus wird gefolgert: „Im Gegensatze zu der Theorie der „„Polarität““ des Tierkörpers sind Bruchstücke von Tubularia mes- embryanthemum im stande, auch am aboralen Ende Polypen zu bilden“. Werden beide Schnittenden vom Wasser umspült, so bildet der Stamm an jedem Ende einen Kopf, und das Tier bleibt für die Dauer seines Lebens bioral. Befinden sich beide Enden im Sande, also unter Druck, so unterbleibt die Polypenbildung. Am oralen Pole bildet sich der Polyp früher als am aboralen. Im Kontakt mit festen Körpern bildet sich am aboralen Ende eine Wurzel, d. h. der Körper schließt sich hier, am oralen Ende unterbleibt jede Neubildung unter gleichen Umständen. Die Lebenserscheinungen der künstlich gezogenen Organe sind dieselben wie bei unverletzten Individuen. Auf Grund seiner Beobachtungen bestreitet Herr -Dr. Loeb die Theorie Allman’s von der Polarität des Tierkörpers, gibt aber zu, dass man diese doch immer nachweisen könne, wenn man die Schnitte nahe am oralen oder aboralen Ende ausführe. Dass bei normalen Umständen am oralen Schnittende ein neuer Kopf, ebenso bei Kontakt des aboralen Schnittendes mit festen Kör- pern, das ist auch ein „normaler“ Umstand — Wurzeln entstehen, fällt aus dem Kreis der Betrachtung: es bietet nichts neues, und kann nur, in Berücksichtigung dessen, dass diese Organbildung bei Druck unterbleibt, darauf hinweisen, dass zur Neubildung der Organe der entsprechende Reiz nötig ist: für die Entwicklung eines neuen Kopfes mit Armen eine kräftige Thätigkeit des Entoderms durch Begünstigung Trautzsch, Versuche des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. 205 der Nahrungsaufnahme — für die Entwicklung eines neuen Fußes eine dauernde Reizung des Ektoderms durch Kontakt. Das Interessante des Versuches von Herrn Dr. Loeb liegt in der Möglichkeit der Erzeugung eines Kopfes am aboralen Schnittende bei entsprechender Orientierung des Bruchstückes. Worin liegt hierbei der Kardinalpunkt? Mir scheint: in der dauernden starken Reizung der zu Tage tretenden Gewebe der Schnittenden durch das fließende Wasser, welches dem Entoderm an beiden Enden Nahrung zuführt, und dasselbe zu kräftiger Thätigkeit anregt, während die spezifische Kontaktreizbarkeit des Ektoderms nicht dadureh berührt wird. Die starke Thätigkeit des Entoderms halte ich für den Grund, warum auch an dem sogenannten aboralen Schnittende unter diesen Um- ständen die Bildung eines neuen Kopfes stattfindet. Dabei kann man die Stellen des Ektoderms, an welchen durch die Einklemmung des Tierkörpers die Kontaktreizbarkeit in Thätigkeit versetzt wird, als Fuß wirkend auffassen. Der Morphologe wird aber die beiden ent- standenen Köpfe nicht als „zwei“ Köpfe „eines“ Individuums auf- fassen, sondern er kann im Hinblick auf die in der Klasse der Hydroiden vielverbreitete Kolonie- und Stockbildung die beiden Köpfe als zwei Köpfe zweier Individuen ansprechen und sagen, hier ist durch einen mechanischen Eingriff ein Stock erzeugt worden. In solchem Falle könnte man die Frage nach der Polarität des Tierkörpers umgehen. Da aber Herr Dr. Loeb sehr viel Gewicht gerade darauf zu legen scheint, so muss ich wenigstens darauf auf- merksam machen, wie weit die Versuche ihn berechtigen, dagegen aufzutreten. Unter normalen Umständen bleibt die Polarität des Tierkörpers auch nach seinen Versuchen unanfechtbar, ja sie bleibt auch bestehen, wenn die Schnitte nahe den Enden ausgeführt werden; es entwickeln sich dann selbst unter den anormalen Umständen, bei freier Umspülung beider Enden am oralen Pole ein neuer Kopf, am aboralen Pole ein neuer Fuß. Im besten Falle könnte also Herr Dr. Loeb schließen, dass die Polarität des Tierkörpers von seinen beiden Enden nach der Mitte zu abnehme, d. h. sich ausgleiche, dass hier das Protoplasma geeignet sei, schneller auf eine veränderte Reizung einzugehen, als an den Enden; oder er könnte geltend machen, für die Polarität tieferes Verständnis zu tage gefördert zu haben. Eine Erklärung der Thatsache, dass dann jede Neubildung unter- bleibt, wenn beide Enden sich unter Druck befinden, hat Herr Dr. Loeb gar nicht versucht. Wie soll eine solche Neubildung aber zu stande kommen, wenn eine Teilung der Zellen erschwert wird, wenn das Entoderm an seiner spezifischen Thätigkeit, der Nahrungsaufnahme, also der Beschaffung von Material zur Neubildung von Zellen, geradezu gehindert wird? Jeder Histolog wird hier die Frage einschalten: Warum hat Herr Dr. Loeb die Neubildungen nicht in ihren verschiedenen Stadien 904 Trautzsch, Versuche des Herın Dr. Loeb über Heteromorphose. mikroskopischer Untersuchung unterzogen? Und mit Recht! Gewiss werden die mikroskopischen Bilder viel Lieht in die Sache bringen; ja sie werden erst das Verständnis der physiologischen Vorgänge bei diesen Regenerationserscheinungen möglich machen und ein sicheres Urteil anbahnen darüber, ob es nicht doch nur Knospungen sind, die Herr Dr. Loeb für Heteromorphose erklärt oder als solche deutet. Tiefer in die Materie führen die Versuche ein, welche an Agla- ophenia pluma ausgeführt wurden; denn hier gelang es, „bibasale Aglaophenien“ herzustellen, das heißt solche mit zwei „Wurzeln“. An dieser stockbildenden Form hat Herr Dr. Loeb folgende Ver- suche angestellt: 1) Der Stamm wurde nahe der Wurzel durchschnitten und mit der Spitze in den Sand gesteckt. An dem basalen Schnitt- ende entstehen dann neue Spitzen, also biapikale Tierstöcke. 2) Ein ebensolcher Stamm, nach Abschneidung der Wurzel auf- recht in den Sand gesteckt, zeigt keinerlei Regenerations- erscheinungen. 3) Derselbe mit dem basalen Schnittende nach unten frei im Wasser aufgehängt, ergibt Regeneration der Wurzel. 4) Es wurde Spitze und Wurzel abgetrennt, das nach unten ge- richtete Schnittende, gleichviel ob vorher Spitze oder Wurzel, ergibt Wurzelbildung. An dem nach oben gerichteten Ende entsteht meist ein Spross, vereinzelt eine Wurzel, in den letz- teren Fällen findet also eine doppelte Wurzelbildung statt. 5) Waren ebensolche Bruchstücke horizontal orientiert, so er- folgte am basalen Ende stets Wurzelbildung, am apikalen Ende fast immer Spitzenbildung, nur ausnahmsweise Wurzel- entwicklung. Nebenher ergab sich, dass jede Neubildung der abgeschnittenen Organe bei Liehtabschluss unterblieb, dass die Wurzeln Kontaktreiz- barkeit und die Tendenz zur Abwärtskrümmung zeigen. Wie sind nun diese Erscheinungen aufzufassen ? Herr Dr. Loeb drückt sich etwas vorsichtig aus; er schreibt (S. 26): „Es scheint, dass die Stellung des Aglaophenia-Stammes mit bestimmt, ob am basalen Schnittende eine Heteromorphose eintritt oder nur eine Regeneration des verloren gegangenen“. Dem wäre kaum etwas entgegenzuhalten, wenn nicht die Erfahrung aus Versuch 4 darüber belehrte, dass an abgeschnittenen Sprossenden die nach oben gerichtet sind, Wurzeln entstehen. Herr Dr. Loeb, schreibt aber nichts genaues darüber, ob ein solcher Fall vorgekommen sei, wo nach Abtrennung beider Enden, bei Aufhängung mit dem Spitzenende nach oben, eine Wurzelbildung eingetreten ist. Die nebenbei gefundenen Beobachtungen über Kontaktreizbarkeit des Wurzelendes, oder vielleicht besser gesagt des Ektoderms, sowie Trautzsch, Versuche des Herın Dr. Loeb über Heteromorphose. 205 die Notwendigkeit des Lichtes zur Regeneration sind wertvolle Be- merkungen und Anregungen für neue Versuche. Mir scheint es aber, als dürfe man die Beobachtungen über die „Spross- und Wurzelbildung“ an stockbildenden Hydroiden nieht in eine Linie stellen mit den oben besprochenen Vorgängen bei Einzel- individuen. Es ist morphologisch scharf zu scheiden zwischen dem „gemeinsamen“ Stamm und den an ihm sitzenden Einzelpersonen. Beim Stock ist eine schärfere Arbeitsteilung eingetreten; die Nahrungs- aufnahme haben die einzelnen Personen übernommen, die Festsetzung der Stamm; es darf schon deshalb nieht Wunder nehmen, wenn der letztere mehr dazu tendiert, sich so zu regenerieren, dass er eine neue Anheftung bewirken kann; bei ihm wirkt jeder Reiz mehr „aboral“, wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf, und es ist eine einschnei- dendere Trennung der physiologischen Eigenschaften eingetreten, ohne dass die Möglichkeit für den Stamm ganz verloren gegangen ist, auch sprossbildend zu reagieren. Es folgen nun die Versuche, welche der Verfasser an Plumularia pinnata angestellt hat; dieselben bieten nichts neues. Bemerkenswert erscheint mir aber ein Satz, der sich am Schluss dieses Kapitels findet. Es heißt hier: „Das Protoplasma zog sich aus demjenigen Teile des Sprosses, der im Sande steckte, zurück“. (S. 33.) Schade, dass Herr Dr. Loeb nicht angegeben hat, wie er diese Beobachtung gemacht und warum er sie nicht genauer angesehen hat. Es wäre für einen Morphologen eine interessante Aufgabe gewesen, dieses Zurückziehen des Protoplasmas zu verfolgen und histologisch zu unter- suchen. Ist die Bemerkung sachlich richtig, dann könnte man wohl annehmen, dass die Gewebe, welche im Sande stecken, zu Grunde gehen, oder doch degenerieren — es würden sich dabei vielleicht wichtige Perspektiven eröffnet haben. Seine Beobachtungen an Aglaophenia beschreibt der Verfasser, ohne dabei auf die Theorie der „Polarität“ einzugehen, aber in dem Kapitel über Eudendrium (racemosum?) wird auch diese Form zu denen hinzugezogen, bei welchen eine durch innere Strukturverhält- nisse endgiltig bestimmte Polarität nicht allein die Resultate der Ver- suche bestimmt, sondern auch die Reizursachen den Effekt beein- flussen. Er kann also doch nicht umhin, den inneren Strukturverhält- nissen einen Einfluss zuzuschreiben. Die Versuche an Eudendrium zeigten übrigens dasselbe Resultat, wie die an Tudularia angestellten. Bei beiderseits freien, vom Wasser umspülten Schnittenden bildeten sich Polypen; nur der Unterschied trat hervor, dass an der Schnitt- fläche des Stammes gelegentlich neben den oralen (apikalen) Neu- bildungen auch Wurzeln entstanden. Leider fehlt jede Angabe, ob das am Spitzen- oder am Wurzelende geschah. Es ist nicht nötig, bier zu wiederholen, was ich über Tubularia gesagt. Nur sei betont, dass es sich um Stöcke handelt, die ihren Reizwirkungen nach sich 906 Trautzsch, Versuche des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. viel enger an die Einzelindividuen anschließen, als dies bei Aglaophenia der Fall zu sein scheint. Aber eine gelegentliche Beobachtung des Verfassers dürfte eine größere Bedeutung haben, als ihr derselbe in seiner Schrift einräumt. Er hat den positiven Heliotropismus der Eudendrien betont und er- zählt dann so nebenher, dass ein Eudendrium-Stamm sich in unmittel- barer Nähe der Kanalöffnung einer kräftigen Ascidie befunden habe, so dass der von dieser ausgespieene Wasserstrahl den Kudendrium- Stamm traf. Der vom Wasserstrahl getroffene, wachsende Teil des Eudendrium-Stammes krümmte sich konkav gegen die Quelle der Strömung. Herr Dr. Loeb nennt dies Rheotropismus. Ich glaube, diese Beobachtung ist geeignet, tieferes Nachdenken zu veranlassen und erklärt vielleicht auch die Entwicklung der zwei- köpfigen Individuen und Stämme, oder bringt uns der Erklärung wenigstens näher. Ich denke mir, wenn der Eudendrium-Stamm sich mit seinen Nahrung aufnehmenden Personen dem Strome entgegen- krümmt, so muss dies doch eine Ursache haben. Die einfache, zu erwartende Wirkung des Wasserstrahles müsste doch gerade die ent- gegengesetzte sein; von der Gewalt des Strahles müsste das Euden- drium-Stämmehen von der Ascidienöffnung hinweggekrümmt werden. Ich schließe daraus, dass die Krümmung dem Strome entgegen auf Eigenbewegungen des Tierstockes beruht. Die Nahrung aufnehmenden Polypen strecken sich dem Strome entgegen, um die in ihm schwimmenden Nahrungspartikelehen in sich aufzunehmen. Es muss der Strom als Reiz auf sie einwirken, und der Reiz muss ganz spezifisch auf sie einwirken, dass alle Teile des Tieres dazu sich anstrengen, sich einem mechanisch entgegenwirken- den Agens entgegenzustellen und dasselbe sogar zu überwinden. Alle Reizbarkeit hat aber im Protoplasma ihren Sitz und das Protoplasma der Köpfehen muss die spezifischen Eigenschaften besitzen, gerade in soleher Weise zu reagieren. Ob dabei besonders Ektoderm- oder Entodermzellen thätig sind, bleibe dahingestellt. Nun denke man aber an jene Bruchstücke von Tubularia, von Eudendrium, und erinnere sich, dass dieselben an beiden Enden von einem Wasserstrome ge- troffen werden. Die Aquarien in der zoologischen Station in Neapel empfangen ihren Zufluss durch Wasserstrahlen, die von oben herein- führen. Ein ununterbrochener Strom geht Tag und Nacht durch ihr Wasser, führt diesem Luft und zahllose Nahrungspartikelchen zu; sollte man da nieht daran denken können, dass dieser seine Reiz- thätigkeit auf die Schnittenden und zwar auf beide in gleicher Weise geltend macht, wie der Wasserstrahl der Aseidie auf das Eudendrium- Stöckehen; sollte die fortwährende Strömung nicht von hohem Ein- flusse auf die Regenerationsthätigkeit des Bruchstückes sein und die Bildung zweier Fangöffnungen für die Nahrung die Entwicklung zweier Personen begünstigen, wenn nicht direkt verursachen! Die Trautzsch, Versuche des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose.. 9207 eigentümliche Reizfähigkeit der Hydroiden in dieser Richtung ist konstatiert, warum zieht Herr Dr. Loeb keine Folgerung daraus? An Sertularia (polyzonias?) ist es nur gelungen, biapikale Stöcke zu ziehen. Oefters hat es sich aber auch ereignet, dass an dem basalen Schnittende (dieses nach oben gerichtet) eine Wurzel entstand, aus welcher auf der Lichtseite ein neuer Spross hervorwuchs, die Wurzel nach unten, der Spross nach oben. Mir scheint, man hat es hier mit einem der gewöhnlichen Knospung sehr nahe stehenden Vorgang zu thun: es tritt ein neues Individuum auf, welches bestrebt ist, sich von dem alten Stocke unabhängig, selbständig zu machen und aus sich einen neuen Stock zu erzeugen — ob die Lostrennung erfolgt oder nicht, ob sie früher oder später ein- tritt, ändert an dieser Auffassung nichts. Herr Dr. Loeb legt bei dieser Form großes Gewicht auf den positiven Heliotropismus des Sprosses und den negativen der Wurzel. Die Erscheinungen lassen sich wohl so deuten, doch glaube ich nicht, dass dies zur Erklärung der eigentümlichen Regeneration ausreicht. Driesch!) hat bei Sertularien Stolonenbildung beobachtet, die an Stelle normaler Personen auftreten. Loeb meint nun, diese seien nur deshalb entstanden, weil Driesch seine Aquarien zu mangelhaft durch- lüftet habe. Es mag sein, dass bei „guter“ Durchlüftung immer die Er- scheinungen so auftreten, wie sie Herr Dr. Loeb beobachtet hat; aber das schließt gar nicht aus, dass unter ganz natürlichen Bedingungen die Stolonenentwieklung doch eintritt, ja es könnte sein, dass die so sehr günstigen Bedingungen, unter denen Herr Dr. Loeb seine Sertu- larien hielt, die Regeneration nur sehr kräftig begünstigten, so dass die Stolonenentwieklung unterblieb und die direkte Knospung eintrat. Wie wäre es aber, wenn man die Frage stellte, haben Driesch und Loeb dieselben Generationen gezogen? und ist nicht vielleicht die Generation, welehe Stolonen bildete, eine Zwischengenerätion, deren Nachkommen sich durch direkte Sprossung fortpflanzen und ver- mehren? Uebrigens hat Herr Dr. Loeb darauf gar keine Rücksicht genommen, dass die einzelnen Personen bei den Untersuchungen in betracht gezogen werden müsse. Ich suche vergebens darnach, ob bei den Schnitten bald mehr das aborale oder bald mehr das orale Ende der Personen getroffen wurde. Auch wäre es wünschenswert gewesen, bei den angestellten Ver- suchen auf das Verhältnis des gemeinsamen Stammes zu den einzelnen Personen Rücksicht zu nehmen. Die Beobachtungen an Gonothyraea Lovenii bieten keinen Anlass, näher darauf einzugehen. Interessant ist daran nur, dass die Wurzel im Kontakt mit dem Wasserspiegel gehalten, an diesem entlang wächst, was als Reaktion auf Kontaktreiz zurückgeführt wird, indem 14) H. Driesch, Heliotropismus bei Hydroidpolypen. Zool. Jahrbücher, herausgegeben von Spengel, Bd. V, S. 150. 208 Trautzsch, Versuche des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. der Wasserspiegel wie ein fester Körper wirken soll. Bis auf wei- teres möchte ich mir dazu noch ein Fragezeichen erlauben. Eingehendere Beachtung verdienen nun aber die Versuche, welche an Individuen und Bruchstücken von Cerianthus membranaceus ange- stellt wurden. Das betreffende Kapitel ist überschrieben: „Ueber den Ort der Tentakelbildung bei Cerianthus m.“; die meisten Versuche erstrecken sich auf den oralen Teil. Es wurden seitlich aus der Wandung der Tiere dreieckige Kerben ausgeschnitten und ein Zusammenwachsen der Wundränder in den ersten Tagen verhindert. An der nach oben stehenden Schnittfläche entwickelten sich dann neue Tentakeln, und zwar umsomehr, je größer der Anteil des Schnittes am Umfange des Körpers war, um so eher, je näher der Schnitt dem Munde lag. Erfolgte die Verletzung nahe dem aboralen Pole, so unterblieb die Tentakelbildung. Denselben Erfolg erzielt man, wenn man zwei oder drei Einschnitte in die Wan- dung des Tieres ausführt. Es entstehen dann ebensoviele neue „Köpfe“, wie Einschnitte vorhanden sind. Schneidet man ein viereckiges Stück aus der Wandung aus, so entwickeln sich an der nach dem Munde zu gelegenen Schnittfläche Tentakeln, die anderen Ränder rollen sich ein. An einem herausgeschnittenen Mittelstück bildet der orale Schnitt- rand Tentakeln, der aborale schließt sich zu einem neuen Fuße. Dazu entnehme ich aus Kap. XII S. 57, dass bei solehen Ausschnitten sich keine Mundöffnung bildete. Ich glaube, es liegt an der morphologi- schen Auffassung des Herrn Dr. Loeb, dass hier ein Missverständnis entstehen kann. Er glaubt, dass die Oeffnung, die doch nach dem Einrollen der Seitenränder vorhanden bleibt, keine äußere Nahrung aufnehme, ja er behauptet, bei solchen regenerierenden Stücken sei gar keine Leibeshöhle vorhanden und sucht eine andere Quelle der Ernährung. Ob die Leibeshöhle, d. h. hier richtiger der Entoderm- sack, resp. die Darm- oder Magenhöhle an dem Schliz noch ein wenig offen oder ganz geschlossen ist, thut für die morphologische Auf- fassung gar nichts und physiologisch wird das Entoderm nach wie vor dem Schnitt seine Funktion der Nahrungsverdauung ausführen, da ihm durch das Seewasser durch die Oeffnungen an der neu sich bildenden Tentakelreihe genug Nahrung zugeführt werden kann und zugeführt wird. Trotzdem meint Herr Dr. Loeb 8.46: „Es braucht nach alledem kaum noch besonders hervorgehoben zu werden, dass die Tentakelbildung unabhängig ist von äußerer Nahrungszufuhr; ohne Leibeshöhle ist ja dazu keine Möglichkeit“. Herr Dr. Loeb fasst nun die Resultate seiner Versuche so auf, als ob an den einzelnen Einschnitten neue Köpfe sich bildeten, er sieht den Kopf als ein Organ an; das verletzte Tier bildet das Organ also vielfältig. Jeder Morphologe wird dem entgegenhalten: diese Erscheinungen deuten auf die Knospenbildung unter den Hydroiden zurück; die Bildung der neuen Köpfe ist keine neue Organbildung, Trautzsch, Versuche des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. 20% sondern die Einleitung zur Entwicklung neuer Personen; ein solches Tier mit drei Köpfen ist nicht als eine Person, sondern als Stock mit 3 Personen aufzufassen. Der Verfasser hat nun versucht, durch einen Vergleich mit dem Verhalten von Hydra bei der Knospenbildung seine Ansicht zu stützen. Ich meine, die richtige Auffassung der Vorgänge bei Hydra hätte ihn davor bewahren sollen, einen Cerianthus mit drei oder mehr Köpfen als ein Individuum aufzufassen. Hier wie dort handelt es sich um Knospenbildung in Anlehnung an eine in der Klasse der Hydroiden sehr verbreitete Fortpflanzungsweise, Knospung und Sprossung, die mit Abschnürung der neuen Personen endigen kann, oder wenn der Zusammenhang bestehen bleibt, zur Stockbildung führt. Den einzigen Unterschied zwischen den Vorgängen bei Hydra und denen bei Cerianthus vermag ich darin zu finden, dass die Knospen, die Personen, bei ersterer selbständiger werden, während bei letzterem die scharfe Ausprägung der Personen nicht den Grad vollkommen erreicht, den man als vollendete Stockbildung bezeichnet. Herr Dr. Loeb schreibt darüber (S. 44): „Von einer Hydra ist unser Cerianthus wesentlich verschieden. Während bei Aydra nicht nur ein Kopf, sondern ein ganzer Hydra-Körper sprosst, bleibt es in unserem Falle nur bei der Bildung der Mundscheibe. Während bei Hydra der neue Spross mit der Zeit sich ablöst, bleibt der neue Kopf bei Cerianthus für immer am Muttertier. Während ferner bei Hydra das neusprossende Tier die volle Zahl der Tentakel wie das Mutter- tier bekommt und wie dieses einen kreiszylindrischen Körper hat, ist bei Cerianthus die Zahl der sprossenden Tentakel abhängig von der Größe der Schnittfläche“. Ich kann diese Unterschiede als prinzipiell wesentlich für meine Auffassung nicht anerkennen, halte sie im Gegenteil für graduelle, unwesentliche Unterschiede, die eine Stufen- leiter in der Fassung von Person und Stock vermitteln könnten. Die unmorpholagische Ansicht des Herrn Dr. Loeb findet übrigens darin den beredtesten Ausdruck, dass auf derselben Seite, wo er die hervorsprossende Knospe bei Hydra für ein Tier, also eine Person erklärt, sich die Auffassung vertreten findet: „So lange sie (die Knospe) am Muttertiere sitzt, ist dieses als ein Tier mit zwei über- einander befindlichen Köpfen anzusehen; denn die Leibeshöhlen des jungen und alten Tieres kommunizieren“. Ja, dann sind die Siphono- phoren auch keine Tierstöcke, sondern ein Tier mit vielen Köpfen und allerlei Organen, dann ist ein Aglaophenia-Stock eben kein Stock, sondern ein Individuum mit vielen Köpfen. Damit hören aber alle morphologischen Begriffe auf, eine halbwegs bestimmte Bedeutung in Anspruch nehmen zu dürfen. Ich will gar nicht erst beson- ders hervorheben, dass er den etwas auffallenden Satz aufstellt: In der Mitte des Kreises (der Tentakeln) befindet sich die Mund- öffnung, die zugleich als After dient — dann wäre wohl der Mund XI. 14 940 Trautzsch, Versuche des Herın Dr. Loeb über Heteromorphose. des Menschen auch als After anzusehen, wenn der verstimmte Magen einer unverdaulichen Speise den Weg rückwärts anbefiehlt? Die regelmäßige Orientierung des Cerianthus mit dem oralen Pole nach oben, mit dem aboralen nach unten führt Herr Dr. Loeb auf die Einwirkung der Schwerkraft zurück. Wäre es aber nicht mög- lich, daran zu denken, dass diese Einstellung des Cerianthus- Leibes auf jahrtausendfacher Gewöhnung beruht, die darin ihren Grund findet, dass den festsitzenden Tieren ihre Nahrung immer nur von oben herab zukam und zukommt? Die Frage aber, ob die Tentakelbildung am oralen Schnittende nicht auch auf dem Einflusse der Schwerkraft beruhe, wodurch dle Polaritätstheorie beseitigt würde, bleibt besser undiskutiert. Es ist gewiss ein löbliches Bestreben, die Erscheinungen in der Lebewelt möglichst auf physikalische Gesetze zurückzuführen, aber man muss nicht denken, dass man mit einem alles erklären kann und muss bedenken, dass die Verhältnisse nicht so einfach und leicht vor Augen liegen, wie sie sich Herr Dr. Loeb konstruieren zu können glaubt. Ganz übergehen lässt sich das XII. Kapitel nicht, welches Be- merkungen über die Form und die Lebenserscheinungen der neuge- bildeten Köpfe von Cerianthus bringt, obwohl dieselben nicht von hervorragender morphologischer Bedeutung sind. Der Schwerpunkt ist darin auf die Lebenserscheinungen gelegt. Wir erfahren hier erst, dass bei den Schnittversuchen Herr Dr. Loeb die Wundränder über den neuzubildenden Köpfen nur einige Tage am Zusammen- wachsen gehindert hat, dass dies aber dann doch eingetreten ist; — leider fehlen jegliche Zeitangaben darüber, auch jede Andeutung, ob es nicht versucht worden sei, die Oefinung während der ganzen Regeneration offen zu halten. Dieselbe schloss sich also, und die Tentakeln zeigten Reizbarkeit für aufgelegte Nahrung wie die nor- malen Tentakeln; sie führten die Nahrung der Mundscheibe zu, wo sie nicht aufgenommen werden konnte und deshalb nach vergeblichen Bemühungen fallen gelassen wurde. Der Reiz ist wahrscheinlich chemischer Natur; — mir scheint aber diese spezifische Reizbarkeit der Tentakeln dafür zu sprechen, dass eben das Protoplasma different ist in verschiedenen Körperteilen, gegenüber den Versuchen, jede Polarität zu leugnen, mag man damit eine Erklärung andeuten wollen oder nicht. Daran schließt sich in der Schrift über Heteromorphose ein Kapitel über die Bedeutung des Turgors für das Wachstum der Tentakeln von Cerianthus. Wäre das weiter ausgeführt, so ließe sich darüber diskutieren, eine Bemerkung darf aber nicht unwidersprochen bleiben. Herr Dr. Loeb schreibt S.61: „Man begegnet zuweilen der Anschau- ung, dass allgemein die Streckung der Tentakel bei Actinien dadurch bedingt sei, dass infolge einer Kontraktion der Muskeln der Körper- wand Wasser aus der Leibeshöhle in die Hohlräume der Tentakel Trautzsch, Versuche des Herrn Dr. Loeb über Heteromorphose. 41 gepresst werde. Hierauf kann der Turgor der Tentakel bei Cerianthus schwerlich beruhen, denn sonst müsste ja, wenn man die Leibeshöhle durch einen queren Einschnitt öffnet, der Turgor aller Tentakel auf- hören; es hört aber nur der Turgor der über der Stelle des Ein- schnittes befindlichen Tentakel auf, während er bei den anderen er- halten bleibt“. Mir scheint, das ganze beruht auf einem Missverständnisse des Autors gegenüber dem Worte Leibeshöhle, wie oben. Würden sich die Muskeln des Körpers zusammenziehen, so würde sich das Wasser aus der Leibeshöhle (d. h. was Herr Dr. Loeb darunter versteht und von den Morphologen als Magenhöhle, Urdarmhöhle bezeichnet wird) durch die Mundöffnung nach außen ergießen. Wie soll es denn auch durch das Entoderm so schnell in die Tentakeln gelangen ? Hier wären histologische Untersuchungen der Tentakeln erst am Platze, und ein Nachweis einer Tentakelhöhle, sowie einer damit zusammen- hängenden Höhlung zwischen Ektoderm und Entoderm nötig gewesen; ich vermisse das sehr. Aber die Beobachtung lässt sich ganz anders auffassen. Wird ein Teil der Leibeswand durchschnitten, dann werden auch die betreffenden Muskelfasern außer Thätigkeit gesetzt, welche die zugehörigen Tentakeln versorgen, daraus folgt — dass ihre Thätigkeit eingestellt werden muss. Die Versuche, welche noch zur Vergleichung an Aktinien ange- stellt wurden, entbehren eines eingehenderen Interesses, da sie auf die „Heteromorphose“ keinen oder geringen Bezug haben, sie bestä- tigen die Erfahrungen, die über die spezifische Reizbarkeit der Ten- takeln schon früher gemacht wurden. Ich eile daher zum Schluss und fasse kurz zusammen: die Ver- suche, welehe Herr Dr. Loeb angestellt hat, sind in ihrer Deutung nicht einwandsfrei. Die beiden Prinzipien, die Kontaktreizbarkeit und die spezifische Reizbarkeit mancher Teile für Nahrungsaufnahme reichen allein nicht aus zur Erklärung; es ist für viele Erscheinungen die Anpassung an die besonderen Lebensbedingungen herbeizuziehen. Die morphologischen Verhältnisse sind nicht auseinandergehalten und darum geht die Präzision verloren. Allerorts macht sich das Bedürfnis nach eingehender „formell morphologischer“ und speziell histologischer Untersuchung geltend, welcher die Entscheidung über die Auffassung mancher Erscheinung zufallen wird. Die Deutung der Vorgänge als reiner Regenerationserscheinungen steht auf schwachen Füßen; es ist zum mindesten genauer zu untersuchen, ob dieselben nicht vornehmlich auf Fortpflanzungs-, Knospungs- und Sprossungs- Vorgänge zurückzuführen sind. Darum ist die Frage nicht gelöst, sondern nur vertieft. Die Polaritätstheorie erhält durch die Versuche mehr Stützen als Stöße, wenn sie sich auch gefallen lassen muss, mehr mechanistisch aufgefasst zu werden. 14® 949 Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten, Die Fälle, in denen es aber wirklich gelang, bibasale Stücke zu erzeugen, sind wohl morphologisch anders aufzufassen, als es in der Schrift des Herrn Dr. Loeb geschehen ist, und damit dürfte die ganze „Heteromorphose“ im Tierreich sich als ein Traum erweisen. Die Fragestellung wird aber auch eine andere. Sind die Vorgänge, welche Herr Dr. Loeb als Regenerationserscheinungen auffasst und eventuell für Heteromorphose erklären will, wirklich nur Regenera- tions- oder Fortpflanzungserscheinungen oder doch auf solche zurück- zuführen? Ich entscheide mich für das letztere. Dr. H. Trautzsch (Freienwalde a./O.). Ueber die embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten*). Von V. Graber. Wie in übersiehtlicher Weise und auf Grund zahlreicher eigener Beobachtungen besonders Wielowiejski!) gezeigt hat, finden sich in der Leibeshöhle der meisten Insekten sehr mannigfache Gewebe beziehungsweise Zellen vor. Man unterscheidet da hauptsächlich 1) die eigentlichen Blutzellen oder Blutkörperchen, 2) den Fettkörper im engeren Sinn, der aber bekanntlich außer Fetttropfen vielfach u.a. auch harnsaure ete. Konkremente enthält, 3) die wegen ihrer oft weingelben Farbe von Wielowiejski als Oenocyten?) bezeich- neten nach seiner Entdeckung meist in segmentalen Gruppen auftretenden Elemente und 4) endlich — von anderweitigen Gewebs- bildungen sei hier abgesehen — die in der Nähe des Rückengefäßes vorkommenden Elemente, die sog. Perikardialzellen. Alle diese zum Teil ein sehr differentes Aussehen darbietenden Zellen und Zellkomplexe wurden von Wielowiejski zunächst „nur im physiologischen Sinne“ d. i. im Hinblick auf ihre enge Beziehung zu dem durch das Blut vermittelten Stoffwechsel als „Blutgewebe“ zusammengefasst, ein Ausdruck, statt dessen ich, um doch die hoch- wichtige Stellung, welche in diesem ganzen großen Zellenverband der eigentliche Fettkörper einnimmt, anzudeuten, die Bezeichnung hämosteatisches Gewebe in ran: bringe. Inbetreff der physiologischen Seite des Blutgewebes sei hier kurz auf eine jüngst erschienene verdienstliche Arbeit von Verson und Bisson?) hingewiesen. Diese Forscher suchen es wahrscheinlich *) Dieser Aufsatz ist bei der Redaktion des Centralblatts eingelaufen, ehe derjenige des Herrn Carri@re (in Nr. 4) ausgegeben war, was wir im Interesse des Herrn Verf. hiermit konstatieren. 1) H. Wielowiejski, Ueber das Blutgewebe der Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 43. Bd., 1886. 2) Da der Wein zuweilen auch rot ist, würden Ausdrücke wie z. B. Kirro- oder Xantocyten wohl vorzuziehen sein. 3) E. Verson ed E. Bisson, Cellule glandulari ipostigmatiche nel Bombyx mori. Pubblicazioni d. R. stazione bacologica di Padova, 1891. Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. 213 zu machen, dass die nach meinen Erfahrungen wohl als typische Oenocyten zu betrachtenden „hypostigmatischen Zellen“ der Seidenraupe, Drüsen sind, welche unter eigentümlichen periodi- schen Veränderungen des Kerns und Plasmas ein hinsichtlich seiner chemischen Beschaffenheit nicht näher bekanntes Sekret in das Blut absondern !). Es liegen aber auch schon seit Langem Beobachtungen vor, denen zu Folge zwischen den früher erwähnten Geweben ein wirklicher, ich meine, ein genetischer Zusammenhang besteht. Unter anderen warf ich selbst — was neueren Forschern entgangen zu sein scheint — bereits im Jahre 1871 gestützt auf eine ziemlich ausgedehnte Unter- suchung der Insekten-Blutkörperchen?), die ich häufig mit Fetttröpfehen beladen fand (S. 14), die Frage auf „sind die von uns herkömmlicher- weise als Blutkörperchen beschriebenen (Zell-) Formen nicht vielleicht als serumreiche oder fettarme Fettzellen aufzufassen“? und fügte u. a. noch die Bemerkung hinzu „Jedenfalls scheint mir zwischen den sogenannten Blutkörperchen und den Elementen des C. adiposum ein innigerer Zusammenhang zu bestehen, als man gewöhnlich anzu- nehmen beliebt“. Speziell hinsichtlich des genetischen Zusammen- hanges zwischen den eigentlichen Blutkörperchen und den Elementen des Fettkörpers hat dann in jüngster Zeit C. Schäffer?) einige sehr beachtenswerte Beobachtungen mitgeteilt, die mir freilich noch nicht vollkommen beweiskräftig erscheinen. Unter anderem glaubt sich dieser Forscher überzeugt zu haben, dass bei der Raupe von Hypo- nomeuta Blutkörperchen einerseits vom Fettkörper und anderseits von der Tracheenmatrix sich ablösen. Was dann die genetische Beziehung zwischen den Elementen des vielgestaltigen Oenocytengewebes zu denen des eigentlichen Fett- körpers und zu den Blutkörperchen anlangt, worüber bisher, soweit ich orientiert bin, gar nichts Sicheres bekannt ist, so bin ich in der Lage hierüber ein Paar, wie ich glaube, nicht unwillkommene und unwichtige eigene Beobachtungen mitteilen zu können. Ich besitze zunächst Schnittpräparate von jungen Stenobothrus-Larven, die es, wie man sich aus der in Vorbereitung begriffenen ausführlichen Arbeit überzeugen wird, nicht unwahrscheinlich machen, dass hier die Ele- mente des eigentlichen zum Teil „retikulären“ Fettkörpers durch allmähliche Vakuolisierung der später noch näher zu erwähnenden 4) Diese Zellen zeigen u. a. in gewissen Perioden au ihrem Plasma eine radiäre von den Verf. mit der Sekretion in Zusammenhang gebrachte Streifung, die vielleicht von ähnlicher Art ist, wie sie Wielowiejski (s. o. S. 515) an den Oenocyten von Chironomus beschrieben hat. 2) V. Graber, Ueber die Blutkörperchen der Insekten, LXIV. Bd. Sitz- ungsberichte d. k. Akad. d. Wissensch. in Wien, I. Abt., 1871. 3) C. Schäffer, Beiträge zur Histologie der Insekten. (II. Ueber Blut- bildungsherde bei Insektenlarven.) Spengel’s zool. Jahrbücher, 3. Bd., Ab- teilung f. Anat. u. Ontogenie. 914 Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. am Embryo zuerst auftretenden Oenoeyten entstehen. Aehnliche Bilder sah ich ferner bei Zygaena, wo der Uebergang der Oenocythen in die Fettzellen aber weniger augenfällig ist. Weiters habe ich bei älteren Embryonen von Mantis beobachtet, dass die innerhalb des Rückengefäßes und anderer Bluträume vor- handenen und demnach sicher als wahre Blutkörperchen zu deutenden Zellen ganz dasselbe auffallend stark gelb gefärbte, äußerst feinkörnige und dichte Plasma besitzen, wie es für die typischen Oenocyten charakteristisch ist und wurden von mir ähnliche gelbe Zellen seiner- zeit auch im ventralen bezw. supraganglionalen Blutsinus fast reifer Museidenkeime wahrgenommen !). Wenden wir uns nun zu unserm eigentlichen Gegenstand d. i. zur Frage nach der ersten beziehungsweise embryonalen Anlage des hämosteatischen Gewebes, wobei wir uns aber vorwiegend auf den eigentlichen Fettkörper und die Oenocyten beschränken, so tritt uns da, analog etwa wie hinsichtlich der Ableitung des Darmdrüsenblattes, und zwar nicht nur etwa in der älteren sondern auch noch in aller- jüngster Zeit eine große Verschiedenheit der Angaben und Meinungen entgegen. Indem ich hinsichtlich der älteren Daten hier nur kurz erwähne, dass einige Forscher, jedoch ohne entsprechende Begründung, den Fettkörper von den Dotterzellen oder dem sogenannten primären Entoderm ableiteten, während ihn andere wieder — darunter auch Metschnikoff — im Mesoderm entstehen ließen, sei noch besonders hervorgehoben, dass in besonders klarer Weise zuerst Weismann?) den Fettkörper mit dem Ektoderm in Beziehung brachte, indem er bei den Embryonen der Musciden (S.82) nachwies, „dass die Lappen des Fettkörpers ganz aus denselben kugligen Embryonalzellen wie die (bekanntlich aus Ektodermeinstülpungen hervorgehenden) Tracheen- stränge bestehen“. Diese Angabe Weismann’s verdient umsomehr Beachtung, als in neuester Zeit u. a. ©. Schäffer (s. 0.) bei der Musca-Larve beobachtete, dass ihr Fettkörper „wenigstens zum größten Teil“ von der Tracheenmatrix aus entsteht, und als ich selbst u. a. an den Embryonen von Hydrophilus auffallende und wohl mit der Fettkörperbildung zusammenhängende Zellwucherungen der aus den bekannten umfangreichen Tracheenlängsstämmen entspringenden Seiten- äste sowohl an Schnitten als auch an isolierten Keimstreifen auffand?°). 1) Siehe meine Arbeit: vergl. Studien über die Embryologie der Insekten und insbesondere der Musciden. Denkschr. d. k. Akademie d. Wiss. in Wien. LVI. Bd. Fig. 32—40vR. 2) A. Weismann, Die Entwicklung der Dipteren. Leipzig 1864. 3) C. Schäffer glaubt an Muscidenlarven u. a. auch beobachtet zu haben, dass unmittelbar von der integumentalen Zelllage (Hypodermis) aus einerseits Blutkörperchen und anderseits Fettkörperzellen entstehen und meint, dass vielleicht gewisse von Weismann bei der Corethra-Larve beobachtete zum Teil zapfenförmige Hypodermiswucherungen, Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. 215 Das Verdienst wenigstens für einen Teil der hämosteatischen Gewebsgruppe und zwar für gewisse Oenocyten den unzweifelhaften Beweis erbracht zu haben, dass er ektodermatischen Ursprungs ist, muss Tichomirof!) zugeschrieben werden, und wenn dessen Ent- deckung, wie sich zeigen wird, nicht bei allen spätern Forschern die entsprechende Anerkennung fand, so liegt es wohl in dem Umstand, dass die betreffende Hauptarbeit in russischer Sprache erschienen ist, Tiehomirof fand am Embryo bezw. an der Raupe des Seidenspinners und zwar „zwischen den Stigmen und dem Nervensystem“ unter der Hautmatrix ein „besonderes Organ“, welches er anfangs für eine Art Fettkörper hielt, es jedoch mit Rücksicht auf seinen Bau und seine Entstehung für ein „Gebilde sui generis“, das er als „drüsenartigen Körper“ bezeichnete, halten zu müssen glaubte. Aus der ganzen Dar- stellung dieses Forschers, namentlich aus der Bemerkung, dass der drüsenartige Körper aus auffallend schnell sich vergrößernden und um die Stigmen sich herumlagernden Zellen mit sehr stark sich tin- gierenden Kern besteht, geht aber, wie ich in meiner ausführlichen Arbeit nachweisen werde, auf das unzweideutigste hervor, dass diese Zellkomplexe identisch sind einerseits mit den von Wielowiejski (8. 0.) 8. 533 bei mehreren Lepidopterenraupen beschriebenen „in der Nähe der abdominalen Stigmata“ befindlichen segmentalen Oenoeyten- gruppen, und anderseits mit den schon oben erwähnten „cellule glan- dulari ipostigmatiche“, welche Verson und Bisson studiert haben. Bei der Identifizierung der erwähnten Bildungen stütze ich mich ins- besondere auch auf meine eignen ausgedehnten Erfahrungen bei den Sehmetterlingen und bei einigen anderen Insekten sowie auf die noch später zu erwähnende Darstellung Korotnef’s bei Gryllotalpa. Was nun den Ursprung der in Rede stehenden önoeytischen Elemente betrifft, so macht es Tiehomirof ganz evident, dass er im Ektoderm beziehungsweise in der Matrix des Körper- integumentes liegt. Man kann nämlich nach ihm in analoger Weise wie bei der Entstehung des Bauchmarkes beobachten, dass einzelne Zellen aus dem Ektoderm sich nach innen drängen und ge- wissermaßen aus ihm „herausschlüpfen“. Auf diese Bildungsweise deutet insbesondere auch der von Tiechomirof hervorgehobene und von Verson und Bisson bestätigte Umstand hin, dass die ekto- dermatische Grenzschichte an der Ursprungsstätte dieser Zellen mit- unter auffallend dünn ist und eine die abgelösten Zellen umgebende nischenartige Höhlung bildet. Auch sieht man an den zugehörigen die Weismann mit der Bildung der imaginalen Kutikularanhänge in Beziehung bringt, ähnlich zu deuten wären. Ich muss jedoch auf Grund meiner Kenntnis der Muscidenembryologie offen gestehen, dass mir Schäffer’s Angaben doch noch nicht überzeugend genug erscheinen. 1) A. Tichomirof, Zur Entwicklungsgeschichte des Seidenspinners (Bom- by& mori) im Ei. Arbeiten des Laborat. d. zool. Museums in Moskau, 1882. 916 Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. Abbildungen (Holzschnitt Fig. 47), dass die losgetrennten Oenoeyten umsomehr an Größe zunehmen, je weiter sie sich vom Ursprungsherde d. i. von der Körperperipherie entfernen. Enge an Tichomirof schließt sich dann die bereits erwähnte aber ganz kurze Darstellung Korotnef’s!) bei Gryllotalpa an und gibt namentlich dessen Fig. 42 ein sehr anschauliches Bild einer zapfen- artig in die Leibeshöhle vorspringenden Oenocyten- Anlage. Korot- nefs’ Schilderung dieser Verhältnisse wird nur dadurch etwas ver- wirrt, dass er (8. 575 u. 576) diese Gebilde als Mesenchym ansieht und überhaupt das ganze Mesoderm auf das Ektoderm zurückführt. Von weiteren Angaben über die Anlage der hämosteatischen Ge- webe erwähne ich zunächst, dass nach Witlaczil?) bei den Aphiden „Längsmuskeln, Fettzellen und Herz nebeneinander“ aus der Mesoderm- sehichte hervorgehen sollte, während u. a. Cholodkowsky?°) wieder den Fettkörper von Blatta aus den Dotterzellen entstehen lässt. Auffallend erscheint es, dass auch Wielowiejski, dem doch Tiehomirof’s Arbeitgenau bekannt sein musste, das Blutgewebe nicht vom Ektoderm ableitet. Er sagt hierüber nämlich: „Bevor meine embryologischen Untersuchungen vollständig abgeschlossen sind, will ich hier nur so viel andeutungsweise erwähnen, dass ich mich einer Zurückführung desselben auf das sogenannte sekundäre Entoderm (Tiehomirof) ziemlich anschließe, besonders da ich selbst den direkten embryologischen Zusammenhang einzelner Teile dieses Organ- systems mit den Dotterballen konstatieren konnte“. Beiläufig möchte ich bier nur erwähnen, dass, soweit ich Tichomirof’s Darstellung verstehe, Dotterballen und sekundäres Entoderm keineswegs identische Begriffe sind. Etwas näher müssen wir auf die einschlägigen Angaben Whee- ler’s®) bei Doryphora eingehen. Dieser Forscher stellt auf Fig. 89 größtenteils in unmittelbarer Verbindung mit dem integumentalen Ekto- derm ganz auffallend große Zellen dar, die er dem Fettkörper zu- rechnet. Unbekannt, wie es scheint, mit Tichomirof’s und Korot- nef’s Arbeit, leitet er aber diese Riesenzellen nieht vom Ektoderm sondern vom Enteroderm ab, indem er u. a. (S. 362) behauptet, dass sie anfänglich mit den Darmdrüsenzellen verbunden seien und diesen mehr als den Mesodermzellen glichen. Nach dem zu urteilen, was ich 1) A. Korotnef, Die Embryologie der Gryllotalpa. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 41. Bd., 1885. 2) E. Witlaezil, Entwieklungsgeschichte der Aphiden. Zeitschrift für wiss. Zoologie, 40. Bd., 1884. 3) Cholodkowsky, Zur Embryologie der Hausschabe. VIII. Kongress russischer Naturforscher ete in Petersburg. Vergl. Biolog. Centralblatt, 1890, Ne Asrun 14: 4) Wm. M. Wheeler, The embryology of Blatta germanica and Doryphora decemlineata. Yournal of Morphol., Vol. III, 1889, Boston. Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. 217 selbst bei der nahe verwandten Lina beobachtet habe!) und mit Rück- sicht auf gewisse Bemerkungen Wheeler’s z. B. die, dass die Körper- wand an den betreffenden Stellen ausgehöhlt erscheint, unterliegt es aber keinem Zweifel, dass die besagten Zellen önoeytische Elemente sind und dass ihr Bildungsherd nicht im Entero-, sondern im Ektoderm zu suchen ist. Zugleich lehrt uns dieser Fall wieder, dass man bei der Beurteilung embryologischer Bilder und insbesondere einzelner Schnitte nieht vorsichtig genug sein kann. Ich gebe nun zunächst eine gedrängte Schilderung der von mir über die Anlage des önocytischen Gewebes bei Stenobothrus gemachten und sehr eingehenden Untersuchungen. Am in der ventralen Längs- linie aufgeschnittenen, dann ausgebreiteten und entsprechend isolierten Hautmuskelschlauch eines reifen Embryos fallen einem die auf die stigmatragenden acht vordersten Abdominalsegmente be- schränkten Oenoeytengruppen, die sich mehr oder weniger bandförmig von den Stigmen gegen die Dorsalplatte hin ausdehnen, durch die auffallende Größe, den eckigen Umriss und die gelbliche Farbe ihrer durchwegs einkernigen Elemente sofort in die Augen. Auch sieht man medianwärts von den geschlossenen Verbänden der Oenocyten einzelne den Elementen der letzteren sonst vollkommen gleichende völlig isolierte Zellen, die, wie Querschnitte lehren, inner- halb des Perikardialraumes liegen, weshalb die von Wielowiejski für die Gewebe des genannten Dorsalsinus gebrauchte Bezeichnung „Perikardialzellen“ etwas zweideutig erscheint. Was nun die Entwicklung der Oenocyten von Stenobothrus be- trifft, aus denen, wie man sich erinnern wird, zum Teil wenigstens, der eigentliche Fettkörper hervorgeht, so konnte ich deren Abstam- mung vom Ektoderm Schritt für Schritt auf das Genaueste verfolgen. Die ersten Spuren fand ich in einem Stadium, wo die dorsalwärts gerichteten Divertikel der Mesodermsäcke noch ihr primitives in meiner letzten Arbeit?) beschriebenes Verhalten zeigen und wo in dem der Darmhöhle zugekehrten einschichtigen Epithel dieser Mesodermsäcke in Gestalt einzelner großer durch relativ chromatinarme Kerne aus- gezeichneten Zellen die erste Anlage der Genitaldrüsen?) auf- 4) Eine freilich nur wenig bemerkbare Andeutung der Zina-Oenoeyten und zwar in einem späteren Stadium, wo sie schon in der Leibeshöhle mitten unter dem somatischen Mesoderm liegen, findet man in Fig. 30 meiner Arbeit über die Keimhüllen und die Rückenbildung der Insekten (Denkschr. d. k. Akad. d. Wiss. in Wien, LV. Bd., 1888) rechts neben der Marke Ih. 2) V.Graber, Vergl. Studien am Keimstreif der Insekten. Denkschr d. k. Ak. d. Wiss. in Wien, 57. Bd., 1890. 3) Wie auf $.40 meiner eben zitierten Arbeit angemerkt ist, hatte ich seinerzeit, alsich von den älteren Studien von Stenobothrus noch keine Schnitt- serien besaß, die bereits in meiner Keimhüllen- und dann in der Museidenarbeit abgebildeten mesodermatischen Anlagen der Genitaldrüsen als Verdiekungen des Darmfaserblattes gedeutet. 218 Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. tritt. In diesem Stadium, wo noch keine Stigmeneinstülpungen sichtbar sind, bemerkt man — die Schilderung bezieht sich auf Querschnitte — im dieken Ektoderm der Seitenwandung des Embryos, und zwar an einer Stelle etwas ventralwärts von den künftigen Stigmen einige auf- fallend große Kerne (bezw. Zellen), die zum Teil noch genau in der- selben Reihe wie die übrigen Kerne stehen und wie diese mit der Längsaxe ihres elliptischen Körpers senkreeht auf die Oberfläche gerichtet sind. An Schnitten durch etwas ältere Stadien befinden sich einzelne dieser Großkerne auch nach innerhalb des Ramens des Ekto- derms, andere aber, noch größer als die ersteren, ragen bereits in das Mesoderm hinein und erscheinen, gleich dem sie umgebenden Plasmahof kugelförmig abgerundet. Noch später bilden die betreffen- den Zellen, die nun alle fast dieselbe Größe und Form erlangt haben, einen knollenartigen Körper, der vom Ektoderm scharf abgegrenzt ist aber zum Teil immer noch in einer nischenartigen Aushöhlung des letzteren liegt, wobei die äußere Wand dieser Nische viel dünner als das umgebende Ektoderm ist. Bald darauf zeigt dann das Plasma dieser dicht gedrängten, in Fig. 1 (links) meiner Keimhüllen — sowie in Fig. 128 (g) meiner Museidenabhandlung sichtbaren und zum Teil polyedrisch gestalteten Zellen mehr oder weniger jenen gelblichen Anhauch, wie er für die typischen Oenocyten bezeichnend ist. Während die Entstehung aller bisher besprochenen önoeytischen und namentlich der in der Nähe der Stigmen auftretenden segmen- talen Gebilde dieser Art von Geweben auf einer einfachen Wucherung und darauf folgenden Ablösung oder Delamination des integumentalen Stamm-Ektoderms beruht, habe ich im Laufe des letzten Jahres, wo ich mich hauptsächlich zum Zwecke des genaueren Studiums der embryonalen Abdominalanhänge neuerdings wieder mit Aydrophilus beschäftigte, zunächst bei diesem Insekt dann aber auch bei einigen anderen eine ganz neue bisher von Niemand beobachtete Bildungs- weise des parastigmatischent) OQenocyten-Gewebes kennen gelernt, nämlich dureh Einstülpung oder Invagination des Ektoderms, eine Bildungsform, die aber, wie sich zeigen wird, von einer und vielleicht auch in der Umgebung der Invaginationsstelle stattfindenden Wucherung und Delamination begleitet wird. Die einzige bisherige Angabe über diese Bildungen, die aber ein Stadium betreffen, in welchem das invaginierte Ektoderm-Areal wieder fast ganz glatt erscheint, verdanken wir ©. Heider. Er sagt hier- über in seiner verdienstvollen Abhandlung über die Embryonalent- 4) Da, wie sich schon bisher gezeigt hat, das önoeythische Gewebe auch bei den Schmetterlingen nicht eigentlich unter den Stigmen sondern in ihrer Umgebung entsteht, dürfte der von mir gebrauchte Ausdruck parastigmatisch angemessener als der von Verson und Bisson eingeführte Terminus hypo- stigmatisch sein. Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. 219 Folgendes. „Fig. 134 gibt einen Querschnitt aus der hinteren Partie des 7. Abdominalsegmentes. Wir erkennen die abdominale Extremität als eine schwach markierte Vorwölbung zu den Seiten der Bauch- ganglienkette. Zu den Seiten derselben finden wir einen mächtigen Ektodermwulst. Ueber die Bedeutung und das weitere Schicksal dieser Ektodermverdiekung, welehe der Lage nach der Seiten- linie der Larve entspricht, bin ich noch nicht völlig ins Klare gekommen. Wir finden sie in diesem und dem folgenden Stadium an sämtlichen Abdominalsegmenten wiederkehren und den Raum zwischen der Extremitätenanlage und den Tracheenstigmen einnehmen. Möglicherweise entsprechen sie nur späteren Muskel- insertionsstellen. Diese [?] Ektodermverdiekungen wurden von Tiehomirof für Bombyx beobachtet und als Drüsenkörper bezeichnet und werden auch von Korotnef für Gryllotalpa angegeben, ohne dass die betreffenden Autoren eine Deutung der erwähnten Anlagen hätten geben können“. — Bezüglich dieser Darlegung wäre zuerst zu bemerken, dass die erwähnten ventralwärts von den Stigmen befind- lichen und von C. Heider nur am Querschnitt gezeichneten Ektoderm- wülste wohl nicht der Seitenlinie der Larve entsprechen, da die Seitenlinie bei den meisten Insekten (z. B. Mantis) gerade in die Stigmen fällt und speziell bei der Hydrophilus-Larve eher noch weiter dorsalwärts in der Linie gewisser fast tracheenkiemenartiger kurzer Anhänge liegt. Weiters wäre darauf hinzuweisen, dass es doch etwas bedenklich erscheint, wenn C. Heider die seiner Ansicht nach viel- leicht als „Muskelinsertionsstellen“ aufzufassenden Wülste ohne wei- teres mit den „Drüsenkörpern“ bei Bomdbyx identifiziert. Vor allem muss ich nun aber die Gründe hervorheben, warum ich in meiner bereits zitierten Abhandlung über den Keimstreif der Insekten (8. 76 u. 77) gegen die Homologisierung der in Rede stehenden Bildungen mit den parastigmatischen Oenocytengruppen von Bomdby& mich aus- sprach und mit den von mir an isolierten Keimstreifen nachgewiesenen aber von Heider geleugneten Seitenlappen der Abdominalanhänge in Beziehung brachte. Ein Hauptgrund war zunächst der, dass C. Heider bezüglich der fraglichen Ektodermwülste angibt, dass sie auf allen Abdominalsegmenten vorkommen, während bekanntlich die segmentalen Oenocytenwucherungen, so viel man bisher wenigstens weiß, nur den stigmatragenden Metameren zukommen, so dass also bei Hydrophilus die letzten drei Somiten, welche stigmenlos sind, voraussichtlich solcher entbehren dürften. Zweitens war ich damals gegen die erwähnte Vergleichung, weil alle Zellen der von Heider in Fig. 134, 136 u. 137 dargestellten nach innen vorspringenden Ekto- dermzapfen dieselbe Größe und Beschaffenheit wie die Elemente des übrigen Ektoderms zeigen, während die bisher bekannt gewordenen önoeytischen Wucherungen aus relativ sehr umfangreichen und meistens auch wenigstens in jüngeren Stadien aus ungleichgroßen 990 Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. Elementen bestehen. Besonders ausschlaggebend war aber für mich seinerzeit der Umstand, das ©. Heider im nächstfolgenden Hydrophilus- Stadium (12) auf keinem der einschlägigen abdominalen Schnitte (z. B. Fig. 158) irgend eine Andeutung der gewissen Wülste gibt. Dies schien mir nämlich insoferne gegen die önocytische Natur der Wülste zu sprechen, als die parastigmatischen Wucherungen bei andern Insekten (z. B. gerade auch bei Bombyx) nach ihrer Ablösung vom Ektoderm und nach ihrer Versenkung in das Mesoderm sich von den Elementen des letzteren als sehr distinktes Gewebe abheben. Auch leitet Heider (8. 60) gleich Carriere und Witlaczil den Fettkörper ausdrücklich vom Mesoderm ab. Auf Grund der mir gegenwärtig vorliegenden Schnitte muss ich nun aber auch erklären, dass ich mich seinerzeit bei der Deutung des einschlägigen Flächenbildes (Studien am Keimstreif Fig. 42/a,a—la,a) insoferne irrte, als, wie sich gleich herausstellen wird, die betreffenden in toto zuerst von mir dargestellten „Verdickungen“ zwar nicht ganz aber dem Hauptteil nach nicht auf die mit der Stammhypodermis verschmolzenen lateralen Lappen der Abdominalanhänge, sondern that- sächlich auf önoeytische innere Ektodermwucherungen zu beziehen sind '). 4) Hier möchte ich über das Ergebnis meiner neuesten hauptsächlich an Längsschnitten gemachten Studien über die Abdominalanhänge von Hydrophilus vorläufig nur Folgendes kurz erwähnen. Die vordersten oder protoabdominalen Anhänge (Wheeler’s Bezeichnung Pleuro- oder Adenopodia ist wohl nicht ganz passend) sind in gewissen Stadien, wie ich dies längst behauptet habe, entschieden zweilappig und entwickelt sich nur der mediane Lappen zu einer großkernigen, etwas konkaven Scheibe, die zuletzt ohne sich aber einzustülpen oder abzufallen, vom umgebenden klein- kernigen Ektoderm überzogen wird. In ersten Stadium der Zweilappigkeit der Protoabdominalanhänge ist an den übrigen Hinterleibssegmenten bloßder Heider unbekannt gebliebene Laterallappen deutlich entwickelt, der sich in dem Grade rückbildet, als der Medianlappen stärker hervortritt. Später, nach dem Hüllenriss, verschwindet aber wieder der letztere und treten nun, aber fast am früheren Ort, neue und stärker entwickelte Seitenlappen auf. Gegen das Ende des Eilebens verschwinden aber auch diese sekundären Seitenlappen wieder und sprossen — es handelt sich hier um ein merkwürdiges Alter- nieren — neue und mehr griffelförmige Medianlappen hervor, die den primären Mediananhängen wohl homostich jedoch nicht ganz homolog zu sein scheinen. Erwähnt sei bei diesem Anlass zunächst noch erstens, dass eine Art schwacher Segmentierung der Protoabdominalanhänge (in zwei Glieder) zuerst von J. Nusbaum bei Meloe nachgewiesen wurde — bei Mantis ist sie aber viel stärker — und zweitens, dass bei Mantis nur derbasale Teilder stets kleinkernig bleibenden Protoabdominal- anhänge sich einstülpt, während der Distalteil sich abschnürt und abfällt. In Wheeler’s letzter hochinteressanter Schrift über die in Rede stehen- den Anhänge (Transact. Wisconsin Acad., 1890) ist mir eine auf meine ein- schlägigen Melolontha-Studien (Polypodie der Insektenembryonen. Morphol. Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. 2991 Ich gebe nun eine kurze Schilderung der wichtigsten von mir gemachten einschlägigen Beobachtungen, indem ich hinsichtlich des Details wieder auf die ausführliche Arbeit verweise. Mit Rücksicht auf Wheeler’s Darstellung, der beim Doryphora- Embryo allen 11 Abdominalsegmenten (er unterscheidet übrigens gegen alle bisherige Erfahrung noch ein 12., nämlich das von ihm als Kaudal- platte bezeichnete Analsegment) ein Stigmenpaar zuschreibt, ist vor Allem zu betonen, dass sowohl bei Hydrophilus als auch — wie auf Fig. 30 meiner vergl. Studien über den Keimstreif zu sehen ist — bei der mit Doryphora nahe verwandten Zina ausschließlich nur die acht vordersten Abdominalsegmente Stigmen besitzen, während an den letzten drei Ringen auch an Längs- und Querschnitten und zwar in keinem Stadium irgend eine Spur von den Stigmen homologen Einstülpungen zu sehen ist, es wäre denn, dass man im Sinne Gegenbaur’s die gegenwärtig aber nur auf das Analsegment be- schränkten Anlagen der drei Paare von Malpighi’schen Gefäßen als solche ansähe?). In einem gewissen Stadium nun, das ungefähr der Fig. 105 C. Heider’s entspricht, bemerkt man und zwar an dem von den Jahrbuch, 1887) bezügliche Stelle aufgefallen. „This is notable — heißt es S. 114,2 — the case in Melolontha, the pleuropodia of which are so gilllike that Graber figures an Isopod side by side with the insect embryo for the sake of comparison“. Sollte vielleicht Wheeler einen der von mir abgebildeten Maikäfer- embryonen für einen Isopoden angesehen haben? Jedenfalls ist Wheeler’s Ausdrucksweise, soweit ich das Englische verstehe, etwas zweideutig; denn ich habe bloß im Text die Protoabdominalanhänge von Melolontha hinsichtlich ihrer Form und Größe mit den Deckplatten der Isopoden verglichen. — Ferner ist es mir unklar geblieben, warum Wheeler in dieser Arbeit meine in der Polypodiearbeit niedergelegten Beobachtungen bei Hydrophilus und Gryllotalpa unerwähnt lässt. 1) Bedenklich erscheint mir in Wheeler’s Darstellung der Doryphora- Embryologie besonders die Behauptung, dass die Ausführungsgänge der Ge- schlechtsdrüsen am 11. Hinterleibssomit ausmünden sollten. — Sehr auffallende Behauptungen über die Stigmenanlagen stellt übrigens auch J. Carriere — die Entwicklung der Mauerbiene im Ei. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 35, 1890 — auf, indem u, a. die metagnathale Mündung der Spinndrüsen durch eine Verschiebung der prothorakalen Stigmen nach vorne entstehen soll. Bei den Schmetterlings- raupen sind doch außer der Spinndrüsenmündung auch noch Prothorakalstigmen vorhanden! Zudem sieht man in Fig. 135 u 137 meiner Studien am Keimstreif, bei einem andern Hymenopteron, nämlich bei Hylotoma auf das deutlichste, dass die paarigen Anlagen der Spinndrüsenmündung am Metagnathalsegmente selbst entstehen und bei den Musciden (vergl. meine Figur 25—27) scheint es ähnlich zu sein. Unter anderem dürfte J. Carriere auch mit der Angabe, dass die Hymenopteren überhaupt (!) nur eine Keimhülle, bezw. kein Amnion oder Entoptygma haben ziemlich allein stehen, da bekanntlich in neuerer Zeit auch Grassi der Biene eine doppelte Hülle zuschreibt und ich selbst auch bei Hylotoma ein Amnion fand. 9299 Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. Ei- und Keimhüllen befreiten Ei zunächst schon mit der Lupe fast unmittelbar hinter jedem abdominalen Stigma ein kleines kreisrundes scharf umschriebenes C. Heider entgangenes Grübchen, das wie ein zweites Stigma aussieht. Eine überaus lehrreiche Uebersicht über diese Gebilde geben dann die freilich nur mit größter Mühe herzu- stellenden isolierten Keimstreifen. Die gewissen metastigmatischen Grübchen erscheinen hier bei durchfallendem Licht als helle kreis- runde Flecken, die, ähnlich den Stigmen selbst, von einem dunkeln Rahmen umgeben werden, der aber weniger wulstig als der Stigmen- rand erscheint. An den meisten meiner Präparate erscheinen die hellen beziehungsweise invaginierten Stellen kleiner als die der Stigmen; an einzelnen, wahrscheinlich relativ jüngeren Stadien angehörig, sind sie größer als diese. Eine sehr deutliche Darstellung dieser meta- stigmatischen neben den Anhängen liegenden Grübehen, welche Heider auffallenderweise ganz unberücksichtigt ließ, gab ich bereits in meiner Polypodienarbeit Fig. 4?r,—tr,; irrtümlicherweise zeichnete ich solche aber auch am Metathorakalsegment und deutete sie fälsch- lich als Ausdruck der Tracheenanlagen. In der That erhält man auch eine ganz richtige Vorstellung über diese Gebilde nur an guten Sagittalschnitten und der Umstand, dass Heider, wie man aus seinen Tafeln schließen muss, seinerzeit gleich mir vorwiegend nur Quer- schnitte studierte, erklärt es, dass uns beiden dieses interessante Ver- halten verborgen blieb. Auf einem derartigen Schnitt zeigt nun die Ektodermplatte eine Reihe eigentümlicher Einkerbungen. Von diesen entsprechen zunächst die seichtesten und einen spitzen Winkel bilden- den Vertiefungen den Grenzen der aufeinanderfolgenden Segmente. Zwischen je zwei solehen Kerben sieht man nun abermals je zwei Einstülpungen. Von den letzteren entspricht die tiefere, welche etwas vor der Mitte des Segmentes sich öffnet, der Stigmen — bezw. der Tracheenanlage. Ihr Umriss gleicht ungefähr dem eines fersenlosen menschlichen Fußes, wobei die Spitze dieser unsymmetrischen Taschen, aus der der Tracheenlängsstamm hervorgeht, nach vorne gewendet ist und eine relativ sehr dünne Wandung besitzt. Was dann die uns hier besonders interessierende zweite oder die metastigmatische Einstülpung betrifft, so zeigt sie die Form eines kurzen rundlichen Sackes, dessen Lumen an meinen Schnitten ziemlich klein ist und dessen Bodenwand im Gegensatz zur stigmatischen Tracheenanlage mindestens so dick und stellenweise sogar etwas dicker als die übrigen nicht eingestülpten Teile der Ektodermplatte erscheint. An der Wand und insbesondere im Bodenteil der Einstülpung findet nun bald eine sehr lebhafte Zellenvermehrung statt, so dass diese invaginierten Gebilde an Schnitten nur wenig älterer Stadien sich als nahezu mas- sive Zapfen darstellen, an denen nur noch kurze Zeit äußerlich eine kleine Höhlung sichtbar ist. Bezüglich einer noch späteren Phase ungefähr dem Stadium Fig. 11 Heider’s entsprechend, wo die Graber, Embryonale Anlage des Blut- und Fettgewebes der Insekten. 293 trachealen Taschen sich auch nach hinten verlängern und am Sagittal- schnitt durch die sich verengenden Stigmen die Figur eines mit Ferse versehenen Fußes zeigen, ist hervorzuheben, dass inzwischen auch unmittelbarvor denAbdominalstigmeneineinnere solide Ektodermwucherung entsteht, die in vieler Hinsicht und nament- lich insoferne den parastigmatischen Oenocyten - Anlagen anderer Insekten, z. B. von Bombyz und Stenobothrus gleicht, dass das integu- mentale Ektoderm über ihr eine dünnwandige wohl auf einen Dela- minationsprozess hindeutende Kuppe bildet. Auch erscheinen etwas ventralwärts vom Stigma die Zellen von beiderlei Anlagen d.i. der pro- und metastigmatischen mit einander ver- schmolzen. Im Gegensatz zu den oben beschriebenen parastigmati- schen Ektodermwucherungen wäre noch zu bemerken, dass ihre Zellen in diesen Stadien noch alle dieselbe Größe und Form besitzen, sich aber doch schon namentlich durch ihren etwas größeren Umfang und die in Kürze schwer zu beschreibende Beschaffenheit ihres stets kugelrunden Kernes sowohl von den Elementen der ektodermalen Mutterlage als des Mesoderms etwas unterscheiden und gilt dies auch vom späteren Heider’schen Stadium 12, wo Heider bekannt- lich dieses Gewebe gar nicht mehr zur Darstellung bringt. Was nun die weitere Entwicklung dieser teils invaginierten teils delaminierten Ektodermzellen nach ihrer völligen Ablösung betrifft, so ist deren Erforschung eine sehr schwierige. Ich beschränke mich hier auf die kurze Darstellung des Befundes im Stadium, wo das Rückenrohr schon fast das engste Kaliber erhalten, aber noch kein Rückengefäß gebildet ist. Hier findet man nun in der Umgebung der stigmatischen Seitentracheen dreierlei Zellformen: 1) Elemente mit einem randständigen Kern, wie man ihn oft an echten Fettzellen antrifft, und stark vakuolisiertem Plasma, 2) kugelige feinkörnige Zellen von mäßig großem Umfang und mit einem zentralen Nukleus, der im Wesentlichen mit dem der primären parastigmatischen Zellen überein- stimmt und endlich 3) mäßig große Zellen mit önoeytischem gelb- lichem Plasma. Letztere Elemente sind im Gegensatz zu den ersteren, welche größere zusammenhängende Massen bilden, nur sehr spärlich vertreten und erscheinen ganz lose. Ob aber alle diese drei Gewebs- formen auch thatsächlich Differenzierungsprodukte des parastigmati- schen Ektoderms sind, das muss ich vorläufig leider unentschieden lassen. Mit der Muskelinsertion haben jedoch diese Bildungen absolut Nichts zu schaffen. Ganz ähnliche lateralwärts von den Ventralanhängen liegende metastigmatische Ektodermsäckchen wie bei Hydrophilus beobachtete ich bisher u. a. auch an 14 Tage alten isolierten Keimstreifen von Melolontha, bei dem man schon vor dem Hüllenriss innerhalb der Leibeshöhle zum Teil wahrhaft kolossale und schon mit einer Lupe wahrnehmbare, bräunlich gefärbte 994 Graber, Carriöre’s Aufsatz über die Drüsen der Insektenembryonen. kugelige Oenoeyten findet. Weniger sicher bin ich über das ein- schlägige Verhalten von Lina. An einigen isolierten Keimstreifen von 4 Tage alten Eiern, wo die abdominalen Stigmen als lange schmale Querspalten erscheinen, sehe ich unmittelbar hinter ihnen d. i. in der Mitte der Segmente eine zum Stigmenschlitz parallele und letzterem ähnliche Furche, so dass beide zusammen den Eindruck eines Doppelstigmas machen. Da ich aber die einschlägigen Stadien noch nicht geschnitten habe, bin ich außer Stand anzugeben, ob die auch bei diesem Insekt vorkommenden embryonalen Oenocyten auf diese Bildungen zurückzuführen sind. — Erwähnt sei noch, dass meiner Ansicht nach die etwaige Annahme, dass die meta- stigmatischen Ektodermeinsaekungen als modifizierte bezw. invaginierte Abdominalanhänge aufzufassen seien, höchst unwahrscheinlich ist und zwar hauptsächlich aus dem Grund, weil nach meiner Erfahrung an den hintersten stigmenlosen Segmenten, wo man zum Teil sowohl bei Hydrophilus als bei Melo- l!ontha deutliche Extremitätenstummel beobachtet, solche Einstülpungen nicht vorkommen !). Czernowitz den 21. Februar 1891. Bemerkungen zu J. Carriere’s Aufsatz „die Drüsen am ersten Hinterleibsringe der Insektenembryonen“ ?). Von V. Graber. Da es den Lesern dieses Blattes doch zu viel werden könnte, fort und fort von den in der Aufschrift bezeichneten Organen zu hören und eine wirkliche Förderung in der Erkenntnis dieser gewiss sehr interessanten aber auch, wie ich wiederholt andeutete, äußerst schwierigen Frage durch derartige nicht entsprechend durch Ab- bildungen erläuterte Artikel auch kaum zu erwarten ist, so will ich mich hier, indem ich die geehrten Fachgenossen zugleich auf meine letzte größere Arbeit „vergleichende Studien am Keimstreif der In- sekten“°) sowie auf eine eben in Vorbereitung begriffene zum Teil denselben Gegenstand behandelnde Schrift verweise, nur auf einige wenige Bemerkungen beschränken. 4) Dass sich aber nicht bloß die protoabdominalen sondern auch die hin- teren Abdominalanhänge invaginieren können, hat zuerst J. Nusbaum bei Meloö nachgewiesen, Hier möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass wohl die zuerst von Wheeler entdeckten invaginierten Proto- abdominalgebilde bei Cicada und Zaitka, falls sie den eigentlichen An- hängen überhaupt homotop bezw. homolog sind, wahrscheinlich sogar ontogenetisch von ursprünglich evaginierten Gebilden abzu- leiten sind. 2) Dieses Blatt, 1891, Nr. 4. 3) Denkschriften der kais. Akademie in Wien, 1890. Graber, Carriere’s Aufsatz über die Drüsen der Insektenembryonen. 995 Zunächst sei es mir verstattet, die von Carriere gegen mich Seite 127 erhobenen, wenig freundlichen Vorwürfe zurückzuweisen. Carriere rügt u. a. zwei auffallende lapsus calami in meinem in diesem Blatt, IX. Bd., S. 355 fg., erschienenen Aufsatz „über den Bau und die phylogenetische Bedeutung der embryonalen Bauch- anhänge der Insekten“. Der erste, welcher die Stellung Grassi’s zur Frage nach den von ihm geleugneten embryonalen Hinterleibs- anhängen bei der Biene betrifft, ist u. a. durch meine richtige frühere Darstellung in der Polypodiearbeit!) (S. 591) sowie in der zitierten Abhandlung über den Keimstreif (S. 72) hinlänglich als ein bloßes Versehen gekennzeichnet. Den zweiten lapsus aber betreffend die, wie Jeder weiß, mehr als 6beinige Scolopendrella habe ich, wie Carriere auch aus dem Index dieses Blattes hätte entnehmen können, rechtzeitig (IX. Bd., S. 608) selbst verbessert. Carriere behauptet dann ferner, ich hätte in jenem Aufsatz teils „wegen un- genügender Kenntnis der zitierten Litteratur“ teils aus der damals noch mangelhaften und einseitigen Bekanntschaft mit dem Formen- reichtum der Abdominaldrüsen ein falsches Bild der Sachlage ent- worfen“. Was zunächst meine angeblich ungenügende Kenntnis der zitierten Litteratur betrifft, so begreife ich nicht, wie sich Carriere davon überzeugen konnte, da ich ja in jenem kurzen Aufsatz nicht beab- sichtigt hatte, eine erschöpfende Uebersicht der Sachlage zu geben, sondern mich vorwiegend darauf beschränkte gewisse neuerdings auch von Carriere nicht gebilligte Annahmen Cholodkowsky’s zurückzuweisen und einige eigene neue Beobachtungen mitzuteilen ?). Mit Rücksicht darauf, dass Carriere bei andern einen so strengen Maßstab anlegt, möchte es vielleicht doch erlaubt sein darauf hin- zuweisen, dass er selbst in seinem jüngsten Aufsatze zum Teil aus wirklicher Unkenntnis der diese Frage unmittelbar zunächst be- treffenden Litteratur manche wichtige Verhältnisse unbeachtet ge- lassen hat. Vor Allem kann man aus seiner ganz unhistorischen Dar- stellung nicht entnehmen, dass die erste Angabe über den drüsigen Charakter gewisser Protoabdominalanhänge, auf welche er im An- schluss an Wheeler?) seine vermeintlich allein richtige Hypothese 1) Morpholog. Jahrb., 13. Bd., 1887. 2) Sollte aber Carri&re meinen, dass ich die von mir selbst zitierte Litteratur nicht kenne, so müsste ich eine solehe Zumutung entschieden zurück- weisen, so lange eine solche ganz unüberlegte Anschuldigung nicht bewiesen wäre. 3) On the appendages of the first abdom. Segment of embıyo Insekts (Transaet. Wisconsin Acad. 1890.) — Wheeler veröffentlichte eine vorläufige Notiz allerdings vor meinem im August erschienenen Aufsatz; er sagt aber S. 116 selbst, dass die betreffende Nummer des mir übrigens leider unzugäng- lichen „American naturalist* erst im November ausgegeben wurde. xl. 15 996 Graber, Carriöre’s Aufsatz über die Drüsen der Insektenembryonen. baut, gerade in jenem von ihm so geringschätzig behandelten Artikel von mir selbst gebracht wurde. Auch hat Carriere meinen Aufsatz in der innerhalb Deutsch- lands doch weit verbreiteten Zeitschrift „die Natur“!), wo ich von den betreffenden Organen bei Stenobothrus und andern Formen auch Abbildungen brachte, völlig mit Stillschweigen übergangen. Carriere scheint aber auch die sein Thema betreffenden Haupt- arbeiten nur sehr ungenügend zu kennen. Ich schließe das u. a. daraus, dass er hinsichtlich der in meiner Polypodiearbeit dar- gestellten und von mir entdeckten riesigen Melolontha- Aussackungen S. 117 angibt, dass sie nur ungefähr die Länge von 4 Segmenten haben, während sie sich doch mindestens über 6 erstrecken und fast den ganzen Bauch einhüllen. Auch ist ihm (S. 126) entgangen, dass ich u. a. auch die Entwicklung der fraglichen Stenobothrus- Anhänge bis zu ihrem Abfallen verfolgt habe. Gänzlich unbekannt ist ihm ferner die längst erschienene für unsere Frage ganz besonders wich- tige ausführliche mit lateinischer Tafelerklärung versehene Arbeit J.Nusbaum’s über Meloe; denn, wenn er davon Kenntnis hätte, so könnte er doch kaum Angesichts der so klaren Abbildungen wie z.B, Fig. 15—17 u. Fig. 20 (S. 118) die Behauptung wagen, dass er das Vorkommen der von J. Nusbaum so überaus deutlich dargestellten „Drüsenanlagen“ auf den „anderen“ Hinterleibsringen nicht bestätigen kann?). Im Hinblick auf Nusbaum’s erwähnte Zeichnungen mag noch die Bemerkung erlaubt sein, dass Carriere’s den gleichen Gegen- stand veranschaulichende vier Holzschnitte auf S.119 ziemlich über- flüssig sind und zum Teil, wie Fig. 1, weil hier die in einem gewissen Stadium sicher vorhandenen Hysteroabdominalanhänge fehlen, völlig falsche Vorstellungen erwecken. Auffallend ist es dann u. a. noch, dass Carriere in seiner Tabelle über die Verbreitung der fraglichen Gebilde, für welche Tabelle der Grund bekanntlich in meiner Polypodiearbeit (S. 611) gelegt wurde, hinsichtlich der Aphiden sich bloß auf das negative Ergebnis Will’s und nicht auch auf das positive Witlaezil’s sich beruft. Wenn dann Carriere weiterhin (S. 127) behauptet, ich hätte seiner Zeit ein „falsches Bild der Sachlage“ entworfen, so muss ich erklären, dass dasjenige, welches er jetzt im Anschluss an Wheeler entwirft, noch viel unriehtiger ist. Wheeler teilt die fraglichen 1) Ueber die embryonalen Hinterleibsanhänge der Insekten und ihre Be- deutung für die Erkenntnis der Vorfahren dieser Tiere. Halle 1889. Nr. 42. 2) Wie wenig Carri@re Ursache hat Anderen wegen der Litteratur- benützung unbegründete Vorwürfe zu machen, zeigt sich u. a. in seiner Arbeit über COhalicodoma (Archiv f. mikr. Anat., 35 Bd.), wo er einfach gar Nichts zitiert. Graber, Carriere’s Aufsatz über die Drüsen der Insektenembryonen. 997 Gebilde u. a. in ein- und in ausgestülpte ein. Nun ist aber für die wenigen nur im eingestülpten Zustand bekannten von Wheeler entdeckten Fälle nicht bewiesen, dass ihnen nicht doch in einem frühen Stadium ein ausgestülpter Zustand vorhergeht. Speziell die eingestülpte Endform von Zaitha kann ebenso gut aus einer Aus- stülpung hervorgegangen sein, wie es z.B. nach Patten, Wheeler, Carriere und meinen letzten Untersuchungen bei Acilius beziehungs- weise Hydrophilus!) der Fall ist. Diese ganze Einteilung ist aber überhaupt hinfällig. Ich habe nämlich, wie bekannt (vergl. Anmerkung 1), bei Mantis in der letzten Zeit gefunden ?), dass ausschließlich nur der Wheeler unbekannt gebliebene basale Teil des zweigliedrigen evaginierten Anfangsstadium sich einstülpt, während der „griffelförmige“ überaus lange Distalteil in ähnlicher Weise abgeschnürt wird, wie dies zuerst von mir bei Melolontha sichergestellt worden ist. Das angeblich Falsche in meiner Darstellung kann, wenn man mir wenigstens ein Urteil über den wesentlichen Inhalt meiner eigenen Publikationen gestattet, wohl nur darin liegen, dass ich die fraglichen Gebilde, was ich, natürlich unter gewissen Voraus- setzungen, auch heute noch thue, — um mich der Worte der Poly- podiearbeit S. 612 zu bedienen — „als bloße auf verschiedenen Sta- dien der Verkümmerung befindliche Ueberreste von (den Beinen homo- stichen, diesen aber nicht unbedingt gleichenden®) Gliedmaßen“ ansehe, während Wheeler die Anschauung vertritt, dass sie ausnahmslos aus drüsenartigen Teilen der Urinsekten hervorgingen und Carriere (S. 124 u. 125) speziell die in den Stamm eingestülpten Säcke als „wohlausgebildete embryonale Organe“ ansieht, denen er die nicht eingestülpten Anhänge als „mehr oder weniger rudimentäre Abdomi- naldrüsen* gegenüberstellt. „Niemand — sagt Carriere S. 128, und in diesem Passus kommt seine Auffassung am deutlichsten zum Ausdruck — würde daran gedacht haben, diese Organe als rudi- mentäre Beine [sollte allgemeiner heißen Gliedmaßen] zu bezeichnen, wenn man zuerst die ausgebildete Drüse kennen gelernt hätte.“ Um das Bedenkliche dieses in der vergleichenden Morphologie sonst keineswegs allgemein üblichen Prinzipes, die morphologische Dignität einer Bildung nach dem End- und nicht nach dem Anfangsstadium 1) Vergl. meinen früheren Aufsatz über das Blut- und Fettgewebe der Insekten (dieses Blatt, 1891, Nr. 7 u. 8). 2) An mehrere Fachgenossen versandte ich hektographierte Abzüge der betr. Zeichnungen. 3) Carriere’s Darstellung ist derart, dass man glauben könnte, speziell ich auch hätte unsere Gebilde kurzweg als „rudimentäre Beine“ gedeutet, während sich ja der von Carri&re angegriffene Aufsatz gerade gegen diese u. a. von Cholodkowsky und (vergl. unten) von Carriere selbst (!!) ausgesprochene Anschauung wendet. 15* 998 Graber, Carriere’s Aufsatz über die Drüsen der Insektenembryonen. zu beurteilen, zu beleuchten, möchte ich mir beispielsweise die Frage erlauben, ob man je von einer Sacculina oder einer Ascidie eine richtige morphologische Vorstellung erhalten hätte, wenn man sie bloß im entwickelten Zustand und nicht auch in ihrer ersten Anlage kennen gelernt hätte? Speziell Carriere’s Hypothese — Wheeler drückt sich weit vorsichtiger aus — wird namentlich durch die Konsequenzen, welche dieser Forscher ziehen zu müssen glaubt, sehr fragwürdig. Denn es ist doch keine ungezwungene Er- klärung der Erscheinungen, wenn Carriere die kleine eingestülpte Hydrophilus- „Drüse“, die auch im Stadium der höchsten Entfaltung kaum die ganze Breite eines Segmentes einnimmt, als ein „wohl ausgebildetes Organ“ bezeichnet, während nach ihm die relativ riesigen über wenigstens 6 Segmente sich erstreckenden Melolontha: Säcke nur darum, weil sie sich nicht einstülpen, sondern abfallen, „als rudimentäre Abdominaldrüsen bezeichnet werden müssen“. Nicht minder muss es befremden, dass auch die persistierenden zweigliederigen Campodea-Protoabdominalanhänge, die bisher fast allgemein und zumal auch von Brauer und Haase als rudi- mentäre Gliedmaßen angesehen wurden, Carriere’s Theorie zu Liebe (S. 123) ihre doch wahrlich kaum zu leugnende Beinähnlich- keit verlieren sollten. Und wenn Carriere das Vorkommen von Muskeln in diesen Stummelanhängen als sekundäre Bildung deuten will, so darf man doch mindestens mit ebensoviel Recht das Drüsig- und Eingestülptwerden der freien Anhänge ebenfalls als sekundäre Erscheinung auffassen. Auch ist meines Erachtens wenigstens für die keine Absonderungen liefernden, sich aber einstülpenden proto- abdominalen Bildungen die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, ja es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass das Sich- einstülpen gerade so wie in anderen Fällen das Sich- abschnüren eben ein Reduktionsvorgang bezw. eine Folge der Rückbildung der Anhänge ist. Besonders bedenklich erscheint mir auch an der Be- weisführungCarriere’s, dass sie sich bloß auf die „drüsen- artigen“ Protoabdominalorgane stützt und speziell auf die doch auch der Erklärung bedürftigen u. A. von Ko- walevsky, Patten, Heider, Nusbaum und an mehreren Insekten sehr eingehend auch von mir studierten Hystero- abdominalanhänge gar keine Rücksicht nimmt. Diese oft recht unscheinbaren, aber doch nicht wegzuleugnenden Bildungen, deren Studium allerdings ungleich schwieriger als jenes der dem Mikrotom bequem zugänglichen vorderen Anhänge ist, sind, da sie meist, ohne sich einzustülpen oder sich abzuschnüren, verschwinden, der „Drüsenhypothese“ allerdings wenig günstig. In besonders hohem Grade gilt Letzteres u. a. von Hydrophilus, an dessen Embryo ich bekanntlich nicht weniger als vier zeitlich aufeinanderfolgende bezw. Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 299 alternierende Reihen von sich nicht einstülpenden Abdominalanhängen nachgewiesen habe. Sollten diese alle Stinkdrüsen (Wheeler) sein?! Zum Schlusse sei noch erwähnt, dass Carriere, was er jetzt sonderbarer Weise völlig ignoriert, in seiner erst vor Jahres- frist erschienenen Chalicodoma-Arbeit (S.125) dem 1. u. 2. Abdominal- segment zum Teil „freie Zäpfchen“ darstellende Anhänge zuschreibt, und diese ausdrücklich wiederholt als Hinterleibs-Beinanlagen be- zeichnet. — Carriere hätte also wohl seine neuesten Belehrungen zuerst an sich selbst adressieren sollen. Czernowitz, den 22. März 1891. Beiträge zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. Von Dr. W. Kochs, Privatdozent. Obwohl seit fast einem Jahrhundert in der gebildeten Welt, wenn auch mit längeren Unterbrechungen, Studien über hypnotische Zustände beim Menschen und einigen Tieren angestellt werden, sind bis heute die Thatsachen so wenig geklärt, dass sogar ein Teil der Naturforseher dieselben noch immer geradezu leugnet. Auf keinem Gebiete stehen sich die Ansichten so schroff gegenüber, auf keinem wird so cum ira et studio gekämpft, und werden die widersprechendsten Aeußerungen durch die Tagespresse unter die großen Massen der Halbgebildeten getragen, die für die fraglichen Phänomene ein überaus großes Interesse bekunden. Es wird nicht unzweckmäßig sein, die Gründe für diese eigen- artige Erscheinung, wie sie in gleicher Weise bei naturwissenschaft- lichen Fragen wohl noch nie zu Tage getreten ist, näher zu beleuchten. Ist etwa der Hypnotismus eine ganz neue Entdeckung, oder weiß man darüber noch so wenig, dass große, folgenschwere Fortschritte täglich zu erwarten sind? Ist es der Reiz des Unbekannten, welcher die Geister mächtig bewegt? Hypnotische Zustände sind offenbar bereits im Altertume!) be- obachtet und gekannt worden. Ueber ihr Wesen ist man heute noch völlig im Unklaren; aber der Schlaf, so alt wie die Menschheit, ist uns seinem Wesen nach ebenso unbekannt, und man kann nicht sagen, dass das Studium des Schlafes sich in wissenschaftlichen Kreisen großer Beliebtheit erfreue, weitere Kreise interessieren sich im Vergleich mit dem Hypnotismus gar nicht dafür. Die erste Mitteilung, die der Neuling gewöhnlich über Hypnotismus empfängt, besteht darin, dass in diesem Zustande der Mensch seines freien Willens beraubt ist und er dem Willen eines anderen gehorchen muss. Diese Angabe genügt, um bei den meisten Menschen, Gelehrte 1) Vergleiche die zahlreichen von W. Preyer gesammelten Belege in „Der Hypnotismus* von W. Preyer. Leipzig 1890. S. 151—160. 930 Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismns und des Schlafes beim Menschen, nicht ausgenommen, sofortigen Unwillen hervorzurufen, der sich je nach dem Charakter auf verschieden starke Weise äußert. Die einen erklären rund weg: das kann nicht sein; andere, derartige Versuche sind geradezu Verbrechen und es ist hohe Zeit, dass die Gesetzgebung dagegen mit allen Mitteln einschreitet; wieder andere geben zu, dass mit willensschwachen, bemitleidenswerten Subjekten wohl der- artige Versuche gelingen könnten, ein normaler, tüchtiger Mensch könne nie ein „Medium“ sein. Auf den angeblich freien Willen ist der Mensch seit jeher, wie es scheint, sehr stolz gewesen und er ist des- halb über jeden Versuch, wodurch er unter die Herrschaft eines anderen Willen kommen zoll, von vornherein entrüstet. Eigentüm- licher Weise ist aber der Zustand völliger Willenlosigkeit im Schlaf oder der Narkose durch Chloroform u. dgl. ihm keineswegs unan- genehm oder verhasst. Dagegen empört sich Niemandes Gefühl. Das aufregende und verletzende muss also wohl darin liegen, dass er Zwangshandlungen vollführen muss, abgesehen davon, dass er sieh lächerlich machen könnte. Dazu kommt, dass den Begriff Hypnotismus bislang ein mystischer Nebel umgibt, wodurch bei einzelnen Menschen eine gewisse Angst hervorgerufen wird. Der Schlaf ist ihnen ein alter Bekannter, sie bilden sich ein über ihn hinreichend orientiert zu sein, er ist eben nichts besonders merkwürdiges für die Massen. Aber mit dem Hypnotismus, der nach schnell gefasster Meinung mindestens zu den halb übernatürlichen Dingen gehört, wollen sie nichts zu thun haben. Andere hingegen werden durch die in der menschlichen Natur stark entwickelte Vorliebe für das Mystische von den unklaren halb verbürgten Vorfällen mächtig angezogen. Die erregte Phantasie neigt zu Uebertreibungen und macht eine ruhige, sachgemäße Kritik der Thatsachen unmöglich. Da der Kampf von keiner der geschilderten Klassen sachlich geführt wird, werden sie sich schnell immer weiter von einander entfernen und der Wissenschaft nieht zu weiterer Auf- klärung verhelfen können. Mehr oder minder hat jeder von uns, auch der nüchternste und geschulteste Gelehrte, einmal zu der einen oder anderen Gruppe ge- hört. Ein Vorwurf soll dieses für Niemand sein, da die Sachlage allerdings eine ganz eigentümliche ist. Wenn der hypnotische Zustand ein physiologischer Zwischen- zustand zwischen Schlaf und Wachsein ist, also jeder Mensch dessen fähig sein muss, dann ist es schwer zu begreifen, wie erst jetzt hierüber verhandelt wird, und die Ansichten sich in der wissenschaft- lichen Welt nicht längst geklärt haben. Nach den Vorschriften der Nancyer Schule soll die überwiegende Mehrzahl der Menschen in diesen Zustand gebracht werden können. Mit Recht sagt da jeder dasselbe, was Bernheim!) von seinen 1) Bernheim, De la suggestion et de ses applications & la Therapeutique. 2. edition. Paris 1888. Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 2931 Zuschauern berichtet. „Comment, disent ils, a-t-on pu passer pendant des siecles & cöt& de cette verit&e si aisee A demontrer sans la decouvrir ?“ Selbst diejenigen der Fachgenossen, welche auf die Namen der Männer hin, welche über hypnotische Versuche berichten, an der Richtigkeit der Beobachtungen nicht zweifeln, halten doch zunächst daran fest, dass es sich um neuropathische Individuen handeln müsse. Durch Heidenhain’s!) Schrift „Der sogenannte tierische Magne- tismus“ bin ich zuerst auf unseren Gegenstand aufmerksam gemacht worden. Lange Zeit hatte ich keine Gelegenheit hypnotische Ver- suche zu sehen, und meine eigenen ab und zu nach Heidenhain angestellten Versuche hatten kein Ergebnis. Es war auch bei mir ganz selbstverständlich, dass derartige Phänomene überhaupt nur bei hochgradig nervösen resp. hysterischen beobachtet werden könnten, und vollends bestärkt wurde ich durch Heidenhain’s Worte „Richtig ist es ohne Zweifel, dass nicht jedermann, ja, dass sogar nur ein verhältnismäßig kleiner Prozentsatz der Personen, an denen hypno- tische Versuche angestellt werden, den Experimentator mit Gelingen belohnt. Soweit ich sehe, liegt die Empfänglichkeit in einer mehr oder weniger hochgradig gesteigerten sensibelen Reizbarkeit. Deshalb sind es vorzugsweise blasse, anämische Individuen, welche dem Hypnotismus verfallen“. Im Januar 1890 wurden in Bonn im Hötel Stern eines Abends von einem gewissen Albin Krause vor einem zahlreichen gebildeten Publikum mit Schülern und Studenten der Universität hypnotische Versuche angestellt. Jeder aufmerksame Zuschauer konnte sich bald überzeugen, dass Herr Krause durch seine Prozeduren das Nerven- system der Versuchspersonen erheblich alterierte, dass die Muskel- starre wirklich vorhanden war und, dass von einem verabredeten, auf Täuschung berechneten, Schauspiel keine Rede sein konnte. In gleicher Weise wie Heidenhain?) dieses von Hansen be- schreibt, ließ Krause die Versuchspersonen 10 Minuten irgend einen kleinen Gegenstand anstarren, Messer, Schlüssel, Ringe, Uhren u. dgl. als sogenannte „vorbereitende Operation“. Heidenhain sagt: „Herr Hansen sieht darin ein Beruhigungs- mittel, ich sehe darin ein Aufregungsmittel“. Nach meinen zahlreichen Versuchen kann ich darin Heidenhain nur beipfliehten und wird sich die Wichtigkeit dieser Erkenntnis noch weiter ergeben. Schein- bar im Widerspruche steht zwar die Thatsache, welche Braid?°) in 1) Heidenhain, Der sogenannte tierische Magnetismus. Leipzig 1880. 8. 25- 2) Heidenhain op. eit. S. 26. 3) Braid, Ueber die Unterschiede des nervösen und des gewöhnlichen Schlafes. Manchester 1845. Uebersetzt von W. Preyer als Anhang zu „Der Hypnotismus“ Vorlesungen von W. Preyer. Wien und Leipzig 1890. 8. 183. 232 Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Sehlafes beim Menschen, Manchester zuerst demonstrierte, dass unverwandtes Anstarren leb- loser Objekte schlafähnliche Zustände bewirkt. Er sagt: „So haben wir denn hier in allen drei Fällen einen klaren Beweis dafür, dass die Herbeiführung des Schlafes einzig das Ergebnis des starren Blickens oder der stetigen Anspannung der Aufmerksamkeit seitens der Patienten war, nicht aber irgend eines esoterischen Ein- flusses oder einer Sympathie oder einer Nachahmung oder eines Glaubens“. Bei der Besprechung des Schlafes, weiter unten, glaube ich, diese scheinbaren Widersprüche befriedigend erklären zu können. Bei den Versuchen des Herrn Krause fiel mir auf, dass einige der jungen Herren offenbar viel leichter und schneller affiziert wurden als andere. Diese besonders „empfänglichen“ fand Krause ersicht- lich sehr schnell heraus und richtete dementsprechend seine Versuche ein, besonders kräftige Leute befanden sich nicht darunter; so blieb ich zunächst bei meiner Meinung, dass neuropathische Individuen er- forderlich seien. Ein zartgebauter Jüngling aus Zentralamerika erwies sich als besonders geeignet und zeigte sich hinterher auch recht ab- gespannt, oder vielmehr verwirrt und schlaftrunken. Seit jener Zeit habe ich, von bestimmten Gesichtspunkten aus- gehend, eine große Zahl von Versuchen mit den verschiedensten Per- sonen angestellt und glaube einiges mitteilen zu können, was zum Verständnis und eingehenden Studium dieser merkwürdigen Zustände nützlich sein kann. Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass durch die später genau zu beschreibenden Maßnahmen der Zustand des Nervensystems der Versuchspersonen erheblich alteriert wird, und sehr häufig der soge- nannte hypnotische Zustand eintritt, habe ich zunächst die körper- lichen Erscheinungen möglichst genau festgestellt, um hierdurch über den Vorgang selbst Anhaltspunkte zu gewinnen, oder einen Zu- sammenhang zwischen Hypnose und natürlichem Schlafe zu finden. Durch folgenden Versuch kann man leicht den fraglichen Sym- ptomenkomplex hervorrufen und studieren. In einem geräumigen, gut temperierten Raume lasse ich etwa 20 junge Leute, die für die gebräuchlichen Untersuchungsmethoden gesund erscheinen, mit etwa 1 bis 2 Schritt Abstand, sich auf Stühle setzen. Etwaigen Zuschauern sollen alle den Rücken zu- wenden; keiner darf den anderen stören. Im einzelnen sollen die Leute ohne Anlehnung sitzen mit eingezogenem Kreuz, etwa wie der Reiter im Sattel. Die Kniee sollen im rechten Winkel gebeugt sein und die Füße, etwa !/, Meter auseinander, voll auf dem Boden auf- stehen. Nachdem alle so gleichmäßig sitzen, bitte ich jeden einen kleinen Gegenstand: Bleistift, Taschenmesser, Uhr oder dergl. in die rechte Hand zu nehmen und in der Höhe der Nasenwurzel, in 15 bis 20 em Entfernung, zu halten und mit beiden Augen zu fixieren. Beide Bulbi sind alsdann etwas nach oben und innen gerollt. Der linke Arm wird dann rechtwinkelig vor der Brust gebogen und unterstützt Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 233 mit der Hand den Ellenbogen des rechten Armes. Geräusche und Zugluft sind zu vermeiden. Außerdem muss man bei jedem einzelnen Herren nachsehen, ob er nicht etwa durch zu enge Kleidungsstücke belästigt wird, oder ob vielleicht ein grelles seitliches Licht ihn stört. Wenn die Leute 10 Minuten so sitzen bleiben und ihre Ge- danken auf den Anblick des kleinen Gegenstandes konzentrieren, wird man folgendes bemerken. 1) Einige Herren sind und bleiben zerstreut, sehen nach rechts und links und sind auch durch wiederholte Aufforderung nicht dazu zu bringen, sich zu konzentrieren. Am Ende der 10 Minuten sind dieselben in gleicher Verfassung wie zu Anfang. 2) Andere Herren werden nach einigen Minuten immer versunkener, neigen den Kopf mehr und mehr nach vorne und scheinen einzu- schlafen. Einige lassen den rechten Arm sinken, oft auch den fixierten Gegenstand fallen. Die Augen werden meist von selbst geschlossen. 3) Andere sitzen nach einem kurzen Erregungsstadium, welches sich durch Zucken mit den Gesichtsmuskeln, oft auch Lächeln kund- gibt, ganz starr mit weit geöffneten Augenlidern, ganz weiten oder sehr engen Pupillen. 4) Andere beginnen in dem Erregungsstadium bald Zuckungen zu bekommen, wanken hin und her, sinken nach einiger Zeit um, oder fallen plötzlich um und bleiben tief schlafend, gegen äußere Reize fast unempfänglich liegen. Selbstverständlich finden sich auch Herren, welche Uebergänge zwischen den oben skizzierten hauptsächlichen Verhaltungsarten zeigen. Nach Ablauf von 10 Minuten sind, wie schon gesagt, nur die Herren sub 1 ganz unbeeinflusst. Wenn man nun mit nicht zu lauter Stimme die übrigen Herren auf- fordert aufzustehen und wegzugehen, werden einige plötzlich, wie aus tiefem Schlafe, wach, machen ein verwirrtes Gesicht, gehen aber so- gleich mit weg. Einige scheinen jedoch nichts mehr zu hören oder zu sehen, sie bleiben trotz wiederholter Aufforderungen sitzen, und es ist zunächst zu untersuchen, ob dieselben sich in gewöhnlichem, oder hypnotischem Schlafe befinden. Durch einige Suggestionen überzeugt man sich leicht vom hypnotischen Schlafe und kann man dann durch Befehl oder Anblasen des Gesichtes diese Individuen schnell ganz wecken. Jetzt sind aber alle, auch die bald wieder wachen in einem wesentlich anderen Zustande, wie vor dem Versuche; es lässt sich dieses durch folgende Maßnahmen leicht zeigen. Setzt sich einer derselben im Verlauf von ein oder zwei Stunden von Neuem, wie oben beschrieben, hin, so genügen wenige Augen- blicke oder einige Minuten, um ihn wieder in den geschilderten Zu- stand zu bringen. Meist wird derselbe sich noch vertiefen. Bei den bis jetzt beschriebenen Versuchen ist zur Herbeiführung der Hypnose jede sogen. Verbalsuggestion, oder eine Beeinflussung durch die Person des Hypnotisierenden nach Möglichkeit vermieden worden. Aller- 934 Kochs. Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen dings ist es streng genommen wohl nicht zu vermeiden, dass der Gedanke der Möglichkeit des baldigen Einschlafens, zur lebhaften Vorstellung des Schlafes führt und durch Autosuggestion denselben herbeiführt. Ich möchte jedoch zunächst auf den Eintritt des Schlafes bei obiger Versuchs- anordnung einen geringeren Wert legen, als auf die Feststellung des Symptomenkomplexes, welcher dem Eintritt des Schlafes vorhergeht. Die Art der einzelnen Symptome und die Regelmäßigkeit, mit der sie aufeinander folgen, gibt uns die Möglichkeit auf die Natur der inneren Vorgänge Schlüsse zu machen. Vielfach wird es mög- lich, das Experiment danach zu modifizieren, und es werden sich dann auch praktisch wichtige Folgerungen daraus ergeben. Zunächst ist es zweifellos, dass dureh solche Versuche die leicht reizbaren Nervensysteme schnell kenntlich werden. Mehrfach habe ich äußerlich stark entwickelte Männer nach wenigen Minuten in tiefe Hypnose versinken sehen, während kleine, äußerlich schwächliche Individuen selbst 20 Minuten ohne sichtbare Aenderung des Befindens ganz konzentriert fixieren konnten. Zumeist waren es jedoch die sogenannten „nervösen“ „neuropathischen“ Individuen, welche durch das Fixieren besonders stark angegriffen wurden. Nach meinen Erfahrungen glaube ich, dass diejenigen, welche durch den obigen Versuch erheblich alteriert werden, nicht als zur Zeit ganz gesund zu bezeichnen sind, jedenfalls hat sich das Nerven- system gleich bei Beginn des Versuches schon in einem Zustande abnormer Reizbarkeit befunden. Solche gesteigerte Reizbarkeit scheint im Laufe eines Tages öfters einzutreten und wieder zu verschwinden. Jeden- falls besteht nach einem Fixieren von 10 Minuten fast immer eine er- höhte Reizbarkeit, wie aus folgendem Versuche hervorgeht. Wenn ich einen der schnell wieder wachen Herren bitte mir scharf in die Augen zu sehen und ich mich so aufstelle, dass meine Augen hell beleuchtet sind, und der betreffende entweder sitzt, oder er durch meinen Standpunkt genötigt ist etwas in die Höhe zu sehen, wird man mit kleinen Abweichungen zumeist folgendes bemerken. Die Person beginnt nach ganz kurzer Zeit mit den Augenlidern zu blinzeln, Thränen überfluten die Augen, das Blinzeln wird häufiger, bis die Lider sich ganz schließen, um nach einigen krampfhaften Oefinungsversuchen ganz geschlossen zu bleiben. Unter den Lidern sieht man oft einige Zeit die Bulbi in rellender Bewegung nach oben. Dabei bekommt das Gesicht einen maskenhaften Ausdruck, häufig plötzlich und dadurch besonders bemerkbar. Oftmals tritt Muskel- starre in einzelnen Gruppen von selbst ein, speziell die Kaumuskeln, die Nacken- und Armmuskulatur werden leicht kataleptisch. Sanftes Streichen der Muskeln speziell der Arme und Beine ruft die Starre sofort hervor, ebenso eine energische Verbalsuggestion. Das gleiche Verfahren hebt ebenso schnell die Starre wieder auf, ohne, dass die Versuchsperson im stande wäre, das eine oder das andere zu verhindern. Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 235 Welche Bedeutung haben die bisheran besprochenen Erscheinungen ? Dass dieselben wirklich vorhanden sind, oder vielmehr jedesmal ein- treten, wern man bei etwa 20 jungen Leuten so verfährt, wie ich angegeben habe, davon kann sich jeder leicht überzeugen. Viele sehr gute Beobachter haben dieselben, wenn auch in etwas anderer Weise, hervorgerufen und beschrieben. Ich verweise hier nur auf die Arbeiten von Grützner, v. Schrenk-Notzing, Moll, Krafft- Ebing, Wetterstrand und die zahlreichen in der Revue de l’Hypnotisme niedergelegten Beobachtungen bewährter Forscher aller Länder. Um dem Verständnis dieser Zustände näher zu kommen und jede Täuschung durch Simulation auszuschließen, wollen wir den Symptomenkomplex, der denselben vorangeht oder sie begleitet, näher betrachten. Das Nervensystem des normalen gesunden Menschen befindet sich für gewöhnlich in einem Gleichgewichtszustande. Die Vernunft ist Herrscherin und reguliert etwaige Schwankungen. Der Mensch kann sich beherrschen. Die Körperfunktionen, welche zur Erhaltung des Lebens notwendig sind, verlaufen, ohne dass er normaliter viel davon merkt; er kann sie nur auf Umwegen beeinflussen. Sobald aber durch einen einseitigen Reiz, wie wir ihn oben durch das Fixieren bewirkten, eine Gleichgewichtsstörung sich bildet, treten der Reihe nach mit geringen individuellen Schwankungen folgende Einzelphä- nomene auf. Zuerst ändert sich die Atmungsweise, indem sie sich ver- langsamt, dann werden die Atemzüge tiefer und schließlich oft schnarchend. Der Puls wird stets beschleunigt, und kräftiger. Die Pupillen zeigen bald Kontraktionen, oft rythmische, welche fast immer mit ganz enger Pupille enden. Die Lichtempfindlichkeit nimmt zumeist sehr ab, selbst in den Fällen, wo die Pupille weit bleibt. Der Feuchtigkeitsgrad der Konjunktiva ändert sich in analoger Weise wie beim Eintritt der Schläfrigkeit. Die Person hat das Be- streben die Augen zu reiben, und, da die Hände unbeweglich gehalten werden sollen, beginnt sie mit den Lidern zu blinzeln. Zuerst ist die Ursache größere Trockenheit der Konjunktiva, bald aber wird die Thränensekretion reichlich, die Augen sind geradezu überschwemmt, und die Konjunktiva erscheint stärker injiziert. Während dieser Vor- gänge kann man zumeist deutlich fibrilläre Zuckungen in den Lid- muskeln und dem M. orbieularis sehen. Die Stirne runzelt sich häufig plötzlich, um sich ebenso schnell wieder zu glätten. Zuweilen laufen Thränen über die Backen. Die Gesiehtshaut wird blässer und feuchter und bald zumeist auch kühler. Zuckungen in der mimischen Gesichts- muskulatur und den Masseteren werden häufiger. Nervöses lächeln oder gar lachen, wenn nicht weinen, tritt ein. Die Speichelsekretion ist vermehrt. Es werden Bewegungen mit der Zunge gemacht, wie zum Schmecken, dann macht das Individuum Schluckbewegungen. 236 Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. Einzelne Halsmuskeln ziehen sich zusammen. Die Augen zeigen meist Akkommodationskrampf und häufig findet automatischer Lidschluss statt. Die Person sinkt um oder fällt plötzlich vom Stuhle. Die Hände sind fast immer kalt und feucht. Sollte es nicht möglich sein, die fibrillären Zuckungen zu sehen, so lege man der Versuchsperson ganz sanft seine Daumen auf die Stirne oberhalb der Augen; man wird dann leicht die fibrillären Zuckungen im M. orbieularis fühlen. Sämtliche bisheran beschriebenen Symptome deuten unzweifelhaft auf Reizzustände, respektive gesteigerte Erregbarkeit sowohl auf direkte Reize, als auf dem Wege des Reflexes. Auch das Gleich- gewicht der psychischen Funktionen ist erheblich alteriert, der be- treffende ist, wie wir schon erwähnten, suggestibel geworden. Nachdem die künstliche Erregung einen hohen Grad erreicht hat, zeigt die Person einen schlafähnlichen Zustand, hervorge- rufen nieht durch Beruhigung, sondern durch künstliche Er- regung und Steigerung der Erregbarkeit. Als ich im letzten Jahre zahlreiche Versuche dieser Art mit Per- sonen verschiedenen Alters, Standes und Geschlechtes mit in den Hauptpunkten stets gleichem Erfolge gemacht hatte, bemerkte ich, dass meine Fertigkeit, den hypnotischen Zustand herbeizuführen, offenbar zunahm. Ohne mich an ein bestimmtes Schema zu halten, fand ich immer schneller und leichter die für jede Person geeignetesten Maßnahmen, um Hypnose zu erzielen. Der Grund liegt darin, dass ich jede Reizerscheinung gleich sehe und die Versuchsperson in ruhigem Tone darauf aufmerksam mache, wodurch die Erregung sich sehr schnell steigert. Eine unrichtige Bemerkung, welche der stets sehr aufmerksamen Versuchsperson so- fort zum Bewusstsein kommt, unterbricht die fortschreitenden Er- regungsvorgänge und es tritt sobald keine Hypnose ein. In dem Vorstehenden habe ich versucht, möglichst erschöpfend die äußerlich erkennbaren somatischen Erscheinungen beim Eintritt deshyp- notischen Zustandes zu schildern. Ich bin aber weit entfernt davon zu behaupten, dass durch Fixieren ete. die Hypnose eingeleitet wird, im Gegenteil glaube ich mit der Nancyer Schule, dass die Manipulationen nur behilflich sind, bei der Versuchsperson die Vorstellung des Schlafes hervorzurufen und, dass mit der lebhaften Vorstellung der Schlaf wirklich eintritt. Die Reizerscheinungen erinnern unwillkürlich und unbewusst, wie wir weiter unten sehen werden, an den Eintritt des natürlichen Schlafes. Dieses kann nicht ohne tieferen Grund sein; so wird diese Betrachtung vielleicht das Verständnis beider Zustände am ehesten fördern helfen uud sichere Anhaltspunkte gewähren für die therapeutische Verwertung des hypnotischen und des natürlichen Schlafes. Die deutschen Physiologen, welche sich eingehend mit dem Hypno- tismus befasst haben, stehen zumeist heute noch nicht auf dem Boden Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 937 der Nancyer Schule. Heidenhain, hält die Hypnose für eine Außerfunktionsetzung der Rindenzentren, und Preyer, der in seinem neuesten Buche „Ueber den Hypnotismus“ 1890 noch auf Braid’s Standpunkt steht, behandelt die Suggestion, wie Charcot’s Schule, als Kapitel im Hypnotismus, als eine Art Abteilung desselben. Die wirklich bahnbrechenden Forschungen Liebeault’s und Bernheim’s berührt er nur ganz nebenbei. Forel!) hingegen spricht sich in seinem neuesten, inhalt- reichen Buche „Der Hypnotismus“ 1891 folgendermaßen aus: „Die Braid’sche Fixierung eines glänzenden Gegenstandes, der man in Paris und in Deutschland so viel Gewicht beigelegt hat, erzeugt an sich keine Hypnose. — Wenn Jemand bei dieser unzweckmäßigen Methode hypnotisiert wird, so wird er es durch die Vorstellung, dass diese Prozedur ihn einschläfern muss, nicht durch die Prozedur selbst, die an sich meist nur eine nervöse Aufregung (bei Hysterischen ab und zu auch hysterische Anfälle) hervorruft. Höchstens dürfte in einzelnen Fällen die Ermüdung und dadurch das Fallen der Lider unbewusst suggestiv wirken, wie überhaupt bei sehr suggestibelen Menschen jedes Mittel zur Hervorrufung der Hypnose zum Ziele führt“. Ueber den wissenschaftlichen oder praktisch-therapeutischen Wert der Suggestionen möchte ich mich jetzt noch nicht äußern, weil ich meiner Ansicht nach noch nicht hinreichend orientirt bin, aber folgende Beobachtung scheint mir doch sehr beachtenswert für weitere Versuche auf diesem täuschungsreichen Gebiete. Die vielfach beschriebenen ver- blüffenden Suggestionskunststücke, welche besonders in Frankreich so große Bewegung hervorrufen und welche Fuchs?) so scharf gegeißelt hat und worin ihm Forel?) mit Rücksicht auf den angezogenen speziellen Fall beistimmt, beruhen größtenteils auf Täuschung. Wenn man mit einem Individuum, welches noch nichts über hypnotische Versuche weiß, Suggestionsversuche machen will, mnss man demselben im wachen Zustande vorab erklären, es brauche etwaige Befehle nicht auszuführen, es solle sich bemühen zu widerstehen und nur nach Verbrauch aller Widerstandsmittel folgen, dann fallen die Versuche wesentlich anders aus. Aber man überzeugt sich leicht, dass die Thatsache der Suggestibilität besteht. Man sieht z. B., dass auf die Behauptung, „das linke Knie beugt sich“ jedesmal trotz aller Gegen- anstrengungen ein Einknicken desselben stattfindet und dasselbe sich schließlich wirklich beugt. Ich bin mir wohl bewusst, durch dieses Verfahren eine Suggestion im Wachen vor dem hypnotischen Versuche gegeben zu haben. Wie soll ich aber anders mich dagegen schützen, dass die hypnotisierte 1) Forel, Der Hypnotismus. 2. Aufl. Stuttgart 1891. 8. 28. 2) Fuchs, Die Komödie der Hypnose. Berliner klinische Wochenschrift, 1890, Nr. 46. 3) Forel op. eit. 8. 89. 938 Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen; Person meinen Befehlen Folge leistet, weil sie glaubt, sie müsste dieses thuen, es gehöre dieses zum Versuch? Meine Anweisung, nur zwangsweise zu folgen, soll einem möglichen und von mir einigemale sicher festgestellten Irrtume von Seiten der Versuchsperson vorbeugen. Betrachten wir nun näher die Umstände beim Eintritte des natür- lichen Schlafes. Purkinje hat in Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie!) eine ausführliche Abhandlung über Wachen, Schlaf, Traum und ver- wandte Zustände geschrieben, welche manche wichtige Angaben ent- hält, die sich in den neuern Lehrbüchern der Physiologie nicht mehr finden. Er hebt hervor, dass der Eintritt des Schlafes nicht bedingt sei durch Ermüdung oder Erschöpfung der physischen und psychischen Kräfte. Nach übertriebenen, anhaltenden Kraftäußerungen tritt Müdig- keit und Schwächegefühl auf und hindert uns die Anstrengung weiter fortzusetzen, ohne dass es notwendig zum Schlafe käme. Die Kräfte können durch bloße Ruhe wieder gewonnen werden. Er sagt: „das Agens des Schlafes ergreift das Leben auch in vollster Erregung des Wachens, sobald seine Zeit gekommen ist“. Ein eigenes Wohlgefühl von sanftem Druck lagert sich leise um die Schläfe zwischen Auge und Ohr und hüllt, sich steigernd und ausbreitend, diese Sinne in seine Nebel. Dieses Wohlgefühl nimmt auch wohl zuerst die Stirne ein und steigt gegen den Scheitel herauf. Ein äbnliches Gefühl legt sich mit sanften Banden um die Handgelenke und um alle Gelenke des Körpers. Am Halse, der Herz- und Magengegend und längs des ganzen Rückgrates melden sich nieht selten ähnliche Empfindungen, eine Art von Kitzel, auch wohl gelinder Frostschauer begleitet dieselben. Diese Empfindung soll Gähnen oder einen Gähnversuch erregen, oder es findet reflektorisch ein allgemeines Dehnen und Strecken statt. Alle diese Empfindungen haben das Eigentümliche, dass sie auf die Sinneskräfte verdunkelnd wirken, in ähnlicher Weise, wie es vom geschlechtlichen Wollustgefühl bekannt ist. Auf dem motorischen Gebiet zeigen sich folgende Erscheinungen. Wenn der Schlaf nicht zu schnell eintritt, suchen wir eine möglichst bequeme Lage, jeden- falls eine solehe, wo dem Körper die größte Anzahl Unterstützungs- punkte gegeben werden und in den Muskelsystemen durch geeignete Stellung der Glieder möglichstes Gleichgewicht hergestellt wird. Die Augenlider gehen allmählich in die Halbschließung über und schließen sich endlich ganz, indem der Kreismuskel über den Anfheber des oberen Augenlides die Oberhand gewinnt. Gleichzeitig zieht sich der Bulbus etwas in seine Höhle zurück, und die Kornea wendet sich etwas nach oben und innen. Exner?) gibt unter Bezugnahme auf Joh. Müller?) an, dass 1) Wagner, Handwörterbuch der Physiologie, III. Bd., S. 420. 2) Hermann, Handbuch der Physiologie, Bd.II, 2, S. 297. 3) Joh. Müller, Handbuch der Physiologie. Koblenz 1840. 8. 583. Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 939 die Augen des Schlafenden nach ein- und aufwärts gerichtet sind, und die Pupille verengt ist. Landois!) gibt die letzteren Angaben noch genauer: „Die Pupillen sind im Schlafe um so enger, je tiefer er ist, so dass sie im tiefsten Schlafe durch Lichteinfall nicht noch enger werden können. Im Augenblick des Erwachens nehmen sie die größte Weite an (Plotke). Es scheint im Schlafe weiterhin ein Reizzustand des Zentralorganes zu bestehen, durch den eine vermehrte Aktion gewisser Schließmuskeln wie des Irissphinkters und des Lidschließers bewirkt wird“ (Rosenbach). Die Verengung der Pupillen findet sich auch im künstlichen, durch Narkotika bewirkten Schlaf. Binz?) sagt: „Während des Schlafes durch Chloral sind die Pupillen, wie auch im normalen Schlafe, verengt; beim Erwachen oder Erwacht- werden erweitern sie sich gleichfalls. Das thuen sie nicht, wenn der Schlaf durch eine gute Dosis Morphium veranlasst worden war. Die Myosis hält da noch einige Stunden an“. Beim Bestreben sieh wach zu erhalten sucht man das Gefühl der Trägheit der Augenlider durch Druck zu beschwichtigen, indem man die Augenlider kräftig zuschließt und so die Augen zusammenpresst, oder indem man dieselben mit den Fingern reibt. Kleine Kinder zeigen bekanntlich, wenn sie müde werden, vor dem Einschlafen die Reizzustände mancher Teile des Nervensystems recht deutlich. Für die richtige Beurteilung des Wesen des natürlichen Schlafes scheint die obenerwähnte Angabe Rosenbach’s ein wichtiger Finger- zeig. Um den hypnotischen Schlaf herbeizuführen, mussten wir par- tielle Ueberreizungen bewirken, welche während der Hypnose eine gesteigerte Erregbarkeit in einzelnen Teilen des Nervensystems, in anderen oft geradezu Unerregbarkeit zur Folge haben. Während des natürlichen Schlafes ist die allgemeine Erregbarkeit herabgesetzt, aber es bestehen Reizzustände in einzelnen Teilen des Körpers. Alle Sphink- teren sind kontrahiert, der Irisphinkter befindet sich sogar in Maximal- kontraktion. Der Kraftverbrauch ist offenbar hier im Schlafe größer wie im Wachen. Wenn der Schlaf ein Ruhezustand wäre, um die im Wachen ver- brauchten Kräfte zu ersetzen und die angesammelten Ermüdungsstoffe zu beseitigen, müsste die übermäßige geistige und körperliche Arbeit unserer Zeit Fälle von abnorm vielem und langem Schlafen liefern, während gerade das Gegenteil der Fall ist. Die thätigsten unserer Zeitgenossen klagen über schlechten, kurzen Schlaf, oder gar über Schlaflosigkeit. Die geläufige Auffassung, dass der Schlaf der notwendige Ruhe- zustand des Körpers sei, um die im Wachen verbrauchten Kräfte zu ersetzen und die bis jetzt hypothetischen Produkte der Arbeit, die Er- müdungsstoffe zu beseitigen, scheint mir noch der Begründung zu ent- 4) Landois, Lehrbuch der Physiologie, 7. Aufl., S. 804. 2) Binz, Vorlesungen über Pharmakologie. Berlin 1884. S. 82. 940 Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen: behren. Eine genaue Aufstellung des Kraftverbrauches, oder besser ge- sagt, der Umwandlung von Spannkräften in lebendige Kraft im Wachen und Schlafen, wenn sie heute bereits möglich wäre, wird keinen so sehr großen Unterschied ergeben. Ich werde weiter unten darthun, dass der menschliche Körper eine sehr unvollkommene Maschine, respektive eine ganz fehlerhaft konstruierte wäre, wenn der Schlaf wirklich das wäre, wofür er bis- heran gehalten wurde. Wenn es sich im Schlafe um eine Aufspeicherung von Spann- kräften in den Zentren der psychischen und motorischen Thätigkeit handelte — die Zentren der vegetativen Thätigkeit funktionieren im Schlafe ebenso wie im Wachen — so müsste beim Erwachen so zu sagen der Dampf am höchsten gespannt sein und die Leistungsfähig- keit am größten, was bekanntlich nicht der Fall ist. Vielleicht kann man einwenden, dass die Summierung der Reize im Laufe des Tages Abends die Spannkräfte leichter entbinde. Wenn auch zweifellos Summationen von Reizen stattfinden können und plötzlich größere Wirkungen hervorrufen, als es durch einen einzelnen Reiz, wie er auch sei, möglich ist, so scheint mir doch diese Annahme zur Er- klärung der gegen Abend zumeist gesteigerten geistigen Leistungs- fähigkeit bedenklich, weil dann einer der verwickeltsten schwerlich je begreifbaren Vorgänge eine Hauptrolle im Leben des Menschen spielen würde. Ferner müsste ein recht langer Schlaf ein um so größeres Quantum Energie im Körper aufspeichern, welches sich dann in einem langen thätigen Wachsein äußern müsste. Dieses ist aber durchaus nicht der Fall. Im Gegenteil sind kurzer, erquickender und langer, erschlaffender Schlaf ganz gewöhnliche Vorkommnisse. Wenn der Grund des notwendigen periodischen Schlafes darin läge, dass im Wachen die Ausgaben die Einnahmen überwiegen und immer wieder eine Zeit gespart werden müsste, so bestände im menschlichen Organismus ein bei keiner Maschine geduldeter Kon- struktionsfehler. Man denke sich eine Lokomotive, die während der Fahrt nicht im Stande ist den Kessel genügend mit Wasser zu speisen, und deren Feuerung so eingerichtet und so bemessen ist, dass sie zur Erhaltung des Dampfdruckes auf der Fahrt auf die Dauer nicht ausreicht, und, sobald sich Schlacken gebildet haben, niehts übrig bleibt, als einige Zeit — !/,; der Zeit beim Menschen — still zu stehen, um Wasser und Feuer in Ordnung zu bringen. Hätte man im menschlichen Körper wirklich eine so unvollkom- mene Maschine vor sich, so würden die notwendigen Ruhepausen sich mit absoluter unabänderlicher Regelmäßigkeit wiederholen müssen und eine unveränderliche Summe darstellen. Ein Verschieben der Ruhe und Arbeitszeit wäre unmöglich. Wenn man ferner bedenkt, dass weitaus die größte Nahrungsauf- Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 241 nahme am Morgen und Mittag stattfindet und die Resorption doch spä- testens in 5 Stunden beendet ist, so müssten, wenn die Gehirnzellen wesentlich Nachts im Schlafe ernährt würden, die Nahrungsstoffe so lange kreisen. Man wird ferner zu der Annahme genötigt, dass ein waches Ge- hirn zwar von Blut durchströmt wird, welches an sich fähig ist Nahrung zuzuführen, weil es damit gesättigt ist, und Ermüdungsprodukte abzuführen, dass diese Vorgänge aber wegen des Wachseins nicht stattfinden können. Der Mensch ist noch dazu im Stande den Schlaf — also die Aufspeicherung neuer Spannkräfte — im gesunden Zustande recht lange hinauszuschieben. 6—7 Tage und Nächte ohne jeden Schlaf werden wohl viele aushalten können. Bei hochgradigem Fieber, wo sehr viel Körpersubstanz zerfällt, besteht Schlaflosigkeit. Geistes- kranke toben mehrere Wochen, ohne einen Augenblick zu schlafen. Umgekehrt, wenn man 8 Stunden recht gut geschlafen hat, und ge- stärkt mit einem Vorrat von neuen Spannkräften und entfernten Ermüdungsstoffen wach wird, können viele sich sofort wieder für manche Stunden behaglich hinstrecken und von Neuem tüchtig schlafen. An Bord der Schiffe unter den Tropen kann man vielfach sehen, wie gesunde Leute, so zu sagen wochenlang, mit geringen Unter- brechungen aus Langeweile schlafen. Nehmen wir zur Erklärung des prolongierten physiologischen Schlafes an, dass eine gesteigerte Ansammlung von Spannkräften möglich sei, so muss dieses ohne gleichzeitige Entfernung von Er- müdungsstoffen stattfinden, da dieselben bald entfernt sein müssen und man doch nicht im Schlafe die Bildung neuer Stoffe dieser Art annehmen kann. Es müsste demnach verschiedene Arten des physio- logischen Schlafes geben. Aus dem Gesagten dürfte hervorgehen, dass wir uns die Lebensvorgänge, das Werden und Vergehen im Zentralnerven- system durchaus kontinuierlich vorzustellen haben. Der Blutkreis- lauf und die Atmung sind kontinuierlich, sie vermitteln die An- und Ab- fuhr der zum Leben notwendigen Stoffe, aber sie werden dieses, wie es sich für eine gut konstruierte Maschine gehört, kontinuierlich thun. Uebrigens ist ja der größte Teil des Zentralnervensystems kontinuierlich von der Geburt bis zum Tode thätig, nur das Be- wusstsein setzt periodisch im Schlafe ganz oder teilweise aus. Für die Zellen, welche Atmung und Herzthätigkeit regieren, müsste also eine kontinuierliche ausreichende Ernährung vorhanden sein, für die Großhirnteile, an die sich zweifellos das Bewusstsein knüpft, aber nicht. Das Missliche dieser Annahme liegt auf der Hand. Findet nun wirklich während des Schlafes eine Ruhe des größten Teiles des Körpers statt? Der thätigste Muskel des Körpers, das Herz, arbeitet fast gleich- mäßig im -Schlafe wie im ruhigen Wachen. Ich finde nur die An- 342 Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. gabe, dass der Puls im Liegen weniger frequent sei, als im Stehen; über eine geringere Arbeitsleistung des Herzens während der Nacht ist anscheinend nichts bekannt. Die Atmungsfrequenz scheint im Schlafe etwas geringer zu sein, als im Wachen. Landois!) gibt Folgendes an: „Durchgängig zeigt sich im Schlafe eine Verminderung der CO,- Ausscheidung etwa —=!/, (Scharling) in dem Maße, als die konstante Wärme der Umgebung im Bette, die Dunkelheit, die fehlende Muskelthätigkeit und der Aus- fall der Nahrungsaufnahme dies zur Folge haben. Nach Petten- kofer und Voit sowie nach L. de Saint Martin scheint im Schlafe eine geringe Aufspeicherung des OÖ stattzufinden (? Lewin). Nach dem Aufwachen am Morgen beschleunigen und vertiefen sich die Atemzüge, wodurch zuerst die Kohlensäureausscheidung steigt; im weiteren Verlaufe des Vormittags fällt sie jedoch wieder, bis die Mittagsmahlzeit eine Steigerung zum Höhepunkt bedingt.“ Wie wenig die geringe Aenderung der CO,-Ausgabe im Schlafe ins Gewicht fallen kann, ergibt sich wohl zur Genüge aus der That- sache, dass die CO,-Abgabe beim Gehen dreimal so groß sein kann als beim Liegen (Smith vgl. Landois S. 244). Die Atmung erfordert demnach im Schlafe fast den gleichen Kraftaufwand als im Wachen. Magen- und Darmbewegungen sollen nach Busch, siehe Landois S. 298, bei der Nachtruhe aufhören. Dass dieses mitunter der Fall ist, kann nicht bezweifelt werden; die Regel ist es keines- wegs. Nach starker Abendmahlzeit kann man ganz fest schlafen und am andern Morgen doch den Fortschritt der Ingesta zweifellos erkennen. Meines Erachtens findet eher das Gegenteil statt. Jäger haben mir mehrfach versichert, dass, wenn man Morgens 2 Hunde gleich füttert, einen mit auf die Jagd nimmt und den andern schlafen lässt, dieser Abends verdaut hat, während der andere nach der Jagd noch das Futter unverdaut im Magen hat. Ein Nach- mittagsschlaf sistiert beim Menschen nicht die Verdauung und Fort- bewegung der Ingesta. Demnach unterscheidet sich der Schlafende vom Wachenden im Wesentlichen nur durch das mehr oder minder mangelnde Bewusstsein. Dass der Schlafzustand nicht notwendig ist zur Erhaltung des tierischen Körpers, sondern durch die geistige Thätigkeit bedingt ist, zeigt ein Blick auf die Tierreihe. Der Mensch und die höheren Wirbeltiere haben allein den wirklichen Schlaf. Mit der geringeren Entwieklung des Großhirns nimmt das Schlafbedürfnis resp. die Mög- lichkeit des Schlafes ab, Amphibien, Reptilien und Fische haben keinen Schlaf, ebensowenig die wirbellosen Tiere. Dass während des Schlafes eine geringere Verbrennung statthat, ist nicht zu bestreiten, nur ist das Minus zu gering, um daraus einen besonderen Gewinn herleiten zu können. In letzter Zeit hat Forel 4) Landois, Lehrbuch der Physiologie, 7. Aufl., 1891, 8. 243. Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 945 sich über den Schlaf in sehr bemerkenswerter Weise geäußert in seinem schon oben zitierten Buche „Der Hypnotismus“ }). „Man sagt herkömmlicher Weise in der Physiologie, der Schlaf werde durch Ermüdung erzeugt. Dieses ist aber nicht richtig. Wenn auch die wirkliche Erschöpfung des Gehirns gewöhnlich das sub- jektive Ermüdungsgefühl bervorruft und letzteres aus Zweckmäßig- keitsgründen mit Schläfrigkeit für gewöhnlich assoziiert ist, so müssen wir auf der andern Seite festhalten: 1) dass nicht selten starke Er- schöpfung schlaflos macht; 2) dass man umgekehrt durch Schlaf immer schlafsüchtiger wird; 3) dass Ermüdungsgefühl, Schläfrigkeit und wirkliche Erschöpfung oft ganz unabhängig von einander vor- kommen; 4) dass die Schläfrigkeit in der Regel zu bestimmter, ge- wohnter, autosuggerierter Stunde erscheint, und wenn man sie besiegt hat, nachher trotz wachsender Erschöpfung verschwindet. Diese Thatsachen sind durch die sehr unbefriedigenden chemischen Theorien der Physiologen (Milchsäuretheorie von Preyer ete.) ganz unerklärlich. Ich für meinen Teil habe nie eine schlaferzeugende Wirkung der Milchsäure konstatieren können und halte die angeb- lichen Bestätigungen dieser Wirkung für suggestiv, denn ich habe mit Brunnenwasser bei gehöriger Suggestion ungleich bessere Resultate erzielt. Die Physiologen (Kohlschütter) haben die Intensität des Sehlafes durch die Schallstärke messen wollen, welche zum Wecken nötig ist. Wie wenig damit bewiesen ist, zeigt die Thatsache, dass ein gewohntes Geräusch bald nicht mehr weckt, auch wenn es sehr stark wird (z. B. eine Weckuhr), während leise, ungewohnte Ge- räusche sofort wecken. Manche sorgsame Mutter wird durch das leiseste Geräusch ihres Kindes geweckt, während sie beim Schnarchen ihres Ehemannes oder sonstigem gewohnten Lärm nicht erwacht. Stille, sowie langweilige, eintönige Vorgänge, welche den Wechsel der Vorstellungen nicht fördern, machen uns schläfrig; ebenso be- queme Lage des Körpers und Dunkelheit. Dabei treten assoziierte Erscheinungen ein, wie Gähnen, Einnicken, Gliederausstrecken, die das subjektive Schläfrigkeitsgefühl noch erhöhen und die bekanntlich von Mensch zu Mensch sehr ansteckend sind.“ Hervorgerufen, oder besser gesagt ausgelöst, wird der Schlaf, wie es scheint, stets durch Ueberreizung einzelner Bezirke des Ner- vensystems. Auch bei dem durch Einverleibung der sogenannten Narkotika bewirkten Schlafe sehen wir zuerst eine mächtige Reizung und daran anschließend erst den scheinbaren Erschlaffungszustand, charakterisiert durch Ausschaltung des Bewusstseins. Binz?) beschreibt die Wirkung einer subkutanen Einspritzung von 1,5 eg Morphin wie folgt: 1) Forel op. eit. S. 38. 1) Binz, Vorlesungen über Pharmakologie. Berlin 1884. 8. 51. 16* 944 Kochs, Zu® Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. „Nach einigen Minuten tritt in der Regel ein unbestimmtes Gefühl von allgemeinem Behagen ein. Die seelische Stimmung ist angenehm erregt, das Gehirn scheint freier und ohne den Druck der Schädel- höhle zu arbeiten. Phantastische Lichterscheinungen, der Eindruck des Glanzes umgeben das Auge. Der eigene Wille fesselt uns an den Platz, auf dem wir sitzen oder liegen. Die geringste Bewegung, welche wir ausführen sollen, ist uns lästig. Fragen werden nur lallend beantwortet. Andeutungen verschwommener lieblicher Traum- bilder treten nach außen. Aber all das Schöne ist von kurzer Dauer. Schwere senkt sich auf die Augenlider. Die vorher nur aus Lust an der behaglichen Ruhe trägen Glieder werden unbeweglich. Jeder Antrieb, den wir mit innerer Kraftanstrengung vom Gehirn aus an sie zu senden suchen, verklingt schon an der Stätte seiner Erzeugung. Bleiern schwer fühlen wir den ganzen Körper; es ist die letzte Em- pfindung, denn sehr bald liegen wir in tiefem Schlaf.“ Weiterhin: „Der Morphiumschlaf ist mit Ausnahme des Anfangsstadiums in nichts von dem regelrechten zu unterscheiden, wenn die Gabe des Alkaloides die oben genannte mäßige war.“ Es ist doch eine eigentümliche Sache, dass der Schlaf dann ein- tritt, wenn durch eine in den Kreislauf gebrachte Substanz ein plötz- licher Erregungszustand, so zu sagen des gesamten Nervensystems, hervorgerufen wird. Ein theoretisches Schlafmittel müsste doch die Erregung, wie sie im wachen Zustand besteht, dämpfen und so direkt zur Ruhe des Schlafes führen. Wie es scheint wirken alle Schlaf- mittel zuerst erregend, so sagt z. B. Binz weiter vom Chloralhydrat S. 83. 3. „Hysterische Zustände: In ihnen hat man oft das sonst fast ganz fehlende Erregungstadium der hypnotischen Chloralwirkung und zwar in unangenehmer Form gesehen.“ Ich glaube zwar zur Zeit, dass der durch Narkotika erzielte Schlaf sich vom physiologischen und vom hypnotischen prinzipiell unterscheidet, ich will hier nur betonen, dass ohne vorherige Erregung es wohl keinen Uebergang vom Wachen zum Schlafen gibt. Für einzelne Narkotika hat Binz!) seit lange nachgewiesen, dass dieselben auf das Protoplasma der Nervenzellen direkt ein- wirken und dasselbe so verändern, dass es optisch wahrnehmbar ist. Diese Beobachtung ist für das Verständnis der Wirkung der Nerven- gifte von Belang und macht es erklärlich, dass ein Morphiumschläfer nicht so leicht weckbar ist wie ein normal schlafender. Wer aus dem Morphiumschlaf durch stärkere Reize gewaltsam geweckt wird, bleibt längere Zeit schlaftrunken und schläft, wenn er erst im An- fange des Schlafes war, sehr bald von neuem ein. Aehnlich verhält es sich mit dem Schlafe nach reichlichem Alkoholgenuss. Einen normal schlafenden, z. B. einen Reisenden auf der Eisenbahn, kann man leicht sofort ganz wecken und ist derselbe im Stande, ohne be- 4) Archiv f. exp. Path. u. Pharmakologie, Bd. 6, S. 312. Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. 945 sondere Anstrengung wach zu bleiben, oder, je nach seinem Willen, wieder einzuschlafen. Den durch Narkotika bewirkten spezifischen Schlaf zunächst außer Acht lassend, will ich jetzt die Unterschiede zwischen dem natürlichen und dem hypnotischen Schlafe näher erörtern. Der natürliche Schlaf tritt ein als Folge längerer Reizung, aber nur dann, tritt er sicher ein, wenn ein gewisser Grad von Ueber- reizung da ist. Wird diese Stufe überschritten, verschwindet er zunächst wieder. Später tritt dann, wie ich glaube, stets ein noch tieferer Schlaf ein, welcher auch zumeist länger dauert. Wenn man Jemand durch die im Anfange dieser Arbeit be- schriebenen Maßnahmen, oder auch durch alleinige Verbalsuggestion, künstlich schnell in bestimmter Art reizt, tritt ein oberflächlicher Schlafzustand ein, der sogenannte hypnotische. Der normal Schla- fende hört meines Wissens nichts, auch wenn er nicht gerade tief schläft, d. h. das Hören ist mit Rücksicht auf die geistige Per- zeption zu verstehen. Der schlafende Müller wird wach, sobald die Mühle stille steht. Wenn bei einem Schlafenden Geräusche, oder Aenderungen von Geräuschen, zum Bewusstsein kommen, wird, resp. ist er wach. Die Hypnotisierten, mit Ausnahme der sich in dem relativ sel- tenen, wohl kaum noch physiologischen, tiefsten Stadium befindlichen, hören alles, was der Hypnotisierende zu ihnen spricht, häufig auch, was andere sprechen, oder leichte Geräusche, und können dadurch geweckt werden, in der Regel schlafen sie aber ruhig weiter. Der natürlich schlafende ist der Spielball seiner Träume, es nützt pichts, dass er sich vor dem Einschlafen fest vornimmt nicht zu träumen. Es können so staıke psychische Reizzustände gegen den Willen im Schlafe eintreten, so dass von keiner Erholung des Ge- hirnes mehr die Rede ist, sondern der Schläfer ermüdet, abgespannt, in Schweiss gebadet wach wird. Für das Verhalten im hypnotischen Schlafe ist es von großem Belang, was der betreffende sich vorgenommen hat. Er ist im Stande, ohne wach zu werden, selbst mit Worten zu opponieren und den Wunsch auszusprechen geweckt zu werden. Selbst bei hoher Traumerregung kann es lange dauern, bis jener Thätigkeitszustand erreicht wird, den wir Bewusstsein nennen. Im hypnotischen Schlaf ist das Bewusstsein zumeist erhalten und werden überlegte Handlungen ausgeführt, wie schon das Wort Somnambule besagt, von in somno ambulantes. Von den Vorgängen, welche sich während des Schlafes im Geiste oder am Körper des Schlafenden abspielen, hat derselbe nur eine sehr undeutliche kurz dauernde Erinnerung. Das meiste haftet über- haupt nicht. Für den tiefen Schlaf besteht wohl bei Allen Erinnerungs- losigkeit. Beim hypnotischen Schlafe kann die Erinnerung speziell bei den geringeren Graden völlig vorhanden sein. Bei den tieferen 946 Kochs, Zur Kenntnis des Hypnotismus und des Schlafes beim Menschen. Graden besteht jedoch zumeist absolute Amnesie, respektive kann dieselbe durch Suggestion leicht herbeigeführt werden. Nach meinen Versuchen glaube ich aber, dass die Ereignisse während des tiefen hypnotischen Schlafes sich dennoch im Gehirne niedergelegt finden, denn es gelingt durch kleine Hilfen fast immer sehr vieles in das Gedächtnis, des zuerst völlig amnestischen, zurück- zurufen, obwohl alles Besinnen der Person selbst zuerst nichts zu Tage förderte. Trotzdem nun der hypnotische Schlaf sich vom physiologischen wesentlich unterscheidet, habe ich durch zahlreiche Versuche die Ueberzeugung gewonnen, dass derselbe sehr leicht von selbst in den physiologischen Schlaf übergehen kann, respektive durch geeignete Versuchsanordnung und Suggestionen in denselben übergeleitet wird. Hierin sehe ich eine wichtige, schon jetzt therapeutisch verwertbare Thatsache. Schlaflosigkeit ist jedenfalls ein krankhafter Zustand und schädigt erfahrungsgemäß auf die Dauer den Organismus in hohem Maße. Solche überreizte Individuen kann man fast immer bei einiger Uebung zu jeder Tageszeit in ruhigen hypnotischen Schlaf versetzen. Bei ge- eignetem Verhalten und absoluter Ruhe der Umgebung sieht man bald den Uebergang in normalen Schlaf sich vollziehen, der aller- dings, wie mir scheint, bei diesen Leuten selbst bei geringen An- lässen wieder in den hypnotischen Schlaf übergeht. Dieser so künst- lich erzeugte normale Schlaf kann aber, wie ich mich vielfach über- zeugt habe, mehrere Stunden andauern und wohlthätig wirken. Von allen geeigneten, zweifellos oft recht wirksamen Suggestionen abgesehen, wird jeder zugeben müssen, dass mit täglich 6 Stunden Schlaf, zu welchem sich auch bald zumeist eine relativ gute Nachtruhe hinzufügen lässt, bei Zuständen von Schlaflosigkeit und nervöser Ueber- reizung die Wiederherstellung unter Anwendung sonstiger geeigneter Mittel sehr erleichtert wird. Jedenfalls scheint es mir für die Prak- tiker sehr lohnend, sich der großen heilsamen Wirkungen eines ruhigen Schlafes, erzielt ohne innere Mittel, in allen geeigneten Fällen zu be- dienen. Auf dieser Basis werden sich dann zuverlässige Indikationen für die weitere therapeutische Verwertung des Hypnotismus gewinnen lassen. Vielleicht werden sich auch Anhaltspunkte ergeben, wodurch ein Verständnis des Wesens des Schlafes ermöglicht wird. Bis jetzt wissen wir doch nur so viel, dass derselbe für die Erhaltung des Lebens beim Menschen durchaus nötig ist, obgleich er, wie ich im Obigen glaube auseinandergesetzt zu haben, nicht als ein Ruhezustand in des Wortes eigentlicher Bedeutung aufgefasst werden darf. Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. 347 Die Wirkung der kantharidinsauren Salze. Eine pharmakologische Mitteilung. Von O. Liebreich. Am Schlusse der Einleitung meiner Schrift über das Chloralhydrat') hatte ich den Wunsch ausgesprochen, es möge jede Arzneimitteluntersuchung mit chemischen Operationen beginnen, eine physiologische Prüfung folgen und dann am Krankenbette beobachtet werden, ob die theoretischen Voraussetzungen sich bestätigen würden. Es sollte damit ausgedrückt werden, dass die mole- kulare chemische Betrachtung mehr in den Vordergrund gebracht werde, damit das durch die chemischen Methoden in so ungeahnter Menge hervorgebrachte Material benutzt werden könne. Als Beispiel für die außerordentliche Produk- tionsfähigkeit der Chemie diente die Rechnung von Broughton, dass es durch eine Reaktion allein, durch die Substitution von Alkoholradikalen in Ammoniak, indem man nur 52 einatomige und 32 zweiatomige Radikale an- nimmt, möglich werde 35 Tausend Millionen Körper zu erhalten! Jede che- mische Substanz ist ein Individuum für sich und mit der Anwendung jeder derselben würden wir eine neue Wirkungsweise bei hinreichend feiner Beobach- tung erkennen können. Denn wir treffen nicht zwei Körper an, welche eine vollkommen identische Wirkung besitzen; die Zahl der bis jetzt aufgefundenen Stoffe ist außerordentlich groß und kann mit Leichtigkeit, besonders bei den heute vervollkommneten Methoden der Chemie, ins Unendliche vermehrt werden. Von solchen theoretischen Erwägungen, welchen die Berücksichtigung der chemischen Konstitution eines Körpers zu Grunde lag, ausgehend, war es mir möglich geworden, die Wirkung des Chloralhydrats im Voraus festzustellen. Wie notwendig solche theoretischen Gesichtspunkte sind, ergibt sich daraus, dass die Existenz dieser Substanz bereits im Jahre 1832 von Justus von Liebig lestgestellt worden war, während der therapeutische Nutzen derselben erst 37 Jahre später zur Geltung kommen konnte. Es ist mir eine große Be- friedigung gewesen, dass nach der Auffindung des Chloralhydrats als Schlaf- mittel aus ähnlichen Voraussetzungen eine große Zahl nützlicher Substanzen für die Therapie gewonnen sind, unter denen die erste, die Salicylsäure, eine besonders große Bedeutung erlangt hat. Diese chemische Methode den pharmakologischen Untersuchungen allein zu Grunde zu legen, würde mit Recht als eine Einseitigkeit aufgefasst werden müssen. Dass auch in Verfolg anderer Priuzipien der Therapie zu Hilfe ge- kommen werden kann, dürfte man in den Untersuchungen über das Lanolin bestätigt finden. Die Thatsache, dass bei manchen Tieren die Hornsubstanz eigentümliche Cholesterinfette enthält, führte zu der Betrachtung über das Verhalten der Hornsubstanz beim Menschen. Die an diese Substanzen sich knüpfenden Theorien haben durch weiter fortgesetzte Untersuchungen ihre Begründung gefunden, und die Cholesterinäther, aus denen das Lanolin besteht, haben nicht bloß in hygienischer Anwendung ihre Nützlichkeit gezeigt, sondern es wurde möglich, durch wissenschaftliche Untersuchungen das bis zur Ver- achtung gering geschätzte Gebiet der äußerlichen Anwendung von Salben auf eine wissenschaftliche Basis zu erheben. Wenn nun betont worden ist, dass infolge dieser neuen Richtung der Arzneimittellehre die Fortsetzung der Untersuchung älterer Mittel außer Acht gelassen wird, so ist zunächst dieser Vorwurf nicht ganz gerechtfertigt, da in der That die nach neuen Methoden gewonnenen Körper sich auf die bekannten 1) Das Chloralhydrat, Berlin, Verl. 0. Müller, II. Aufl. 248 Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. Wirkungen älterer stützen, und dieselben mit in den Kreis der Untersuchung hineingezogen werden. Freilich sind manche ältere Mittel in der Therapie für die heutige Zeit vollkommen verloren gegangen, obgleich dieselben von Wert sein dürften. Es liegt dies nicht an dem mangelnden historischen Interesse für die Entwicklung der Pharmakologie Die Ursache dürfte darin zu suchen sein, dass die geschichtlichen Daten ohne naturwissenschaftliche Kritik be- trachtet worden sind, Die Berichte von Heilungen, umhüllt von jetzt über- wundenen Vorstellungen, werden, sobald sie dieser entkleidet sind, für dauernde Zeiten von Wert bleiben, sofern wir es mit glaubwürdigen Autoren zu thun haben. Der Verlauf dieser Untersuchungen dürfte diese Ansicht bestätigen. Dass es noch andere Methoden gibt, habe ich bereits früher erwähnt !), Die Untersuchung der Desinfektionsmittel durch Robert Koch gab die Ver- anlassung zu eingehenden Experimenten an Tieren und zu Heilversuchen. So erfolgreich diese Untersuchung für die Desinfektion von Wunden sich gezeigt hat, so ist dieselbe für die innere Behandlung von keinem Erfolge gewesen. Die praktischen Versuche haben gezeigt, dass die außerhalb des Organismus an Bakterien mit Hilfe von desinfizierenden Mitteln angestellten Untersuchungen keinen Schluss auf die Wirkungsfähigkeit innerhalb des Organismus zulassen. Es liegt für diese Thatsache nicht nur eine Reihe schon bekannter Gründe vor, wie die Abschwächung der Giftigkeit der Substanzen durch Koagulation des Eiweißes vor Eintritt der Möglichkeit ihrer Wirkung, sondern die Versuche, welche anknüpfend an das Chloralhydrat zu den von mir beobachteten toten Räumen bei chemischen Reaktionen führten, haben es zur Gewissheit gemacht, dass die Substanzen, welche im Organismus wirken, innerhalb der kleinen Räume der Zellen eine Beschränkung ihrer Reaktionsfähigkeit erfahren müssen. Aber anderseits hat die große Entdeckung Koch’s, die Auffindung des Tuberkel- bacillus, für die Therapie neue Hoffnungen erweckt, dass nämlich die von Pasteur für die Gärung nachgewiesene Erscheinung verwertet werden könne, nach welchem die von den kleinen Organismen gebildeten Stoffe für sie selber als Vernichtungsmittel dienen. Es ist zu hoffen, dass bei der Fortsetzung dieser Versuche neue und überraschende Resultate gewonnen werden. Aller- dings muss eine große Schwierigkeit noch überwunden werden, da die Exkre- tionsprodukte der Bakterien hochgradige Giftigkeit zeigen, und daher wird man für die Untersuchung eines Specificums die pharmakodynamische Methoden nicht aufgeben dürfen. Viel günstiger stehen die Bestrebungen, durch abge- schwächte Kulturen therapeutisch zu wirken. Auch mit diesen Methoden ist das Angriffsgebiet von Heilmitteluntersuchungen nicht erschöpft. Die von Pelikan im Jahr 1886 der Petersburger Akademie gemachte Mitteilung, dass das Saponin, einem Tiere unter die Haut gespritzt, lokale Anästhesie mache, wurde bisher wenig beachtet. Diese Thatsache steht nicht vereinzelt da, es zeigte sich mir bei dem Aufsuchen ueuer Körper, welche in ähnlicher Richtung wirken, dass die verschiedensten Substanzen, ohne dass irgend ein Zusammenhang mit der chemischen Konstitution sich nachweisen ließ, die Eigenschaft besitzen, lokale Empfindungslosigkeit bei gleichzeitiger Schmerzhaftigkeit in der Nähe der injizierten Stelle hervorzurufen, und dass hier nurein rein physikalischer Vorgang als Wirkung angerufen werden könne Eine außerordentlich große Anzahl von Körpern wurde diesem Ver- suche unterzogen, und zwar solche, von welchen es bekannt ist, dass sie nur bei lokaler Anwendung an entfernten Teilen des Organismus, sobald eine Ent- zündung innerer Organe vorliegt, eine Wirkung hervorrufen, und ferner die- > 1) Die historische Entwicklung der Heilmittellehre. Rede zur Feier des Stiftungsfestes der militärärztlichen Bildungsanstalten. Berlin 1887. Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. 249 jenigen, welche eine lokale und entfernte Wirkung durch Resorption gleich- zeitig hervorbringen. Die Gruppe dieser Körper habe ich ihrer eigentümlichen Wirkung ent- sprechend mit dem Namen der Anaesthetica dolorosa bezeichnet !). Da ich bei diesen Untersuchungen die Wirkung einer ganzen Reihe hierher gehöriger Körper genauer verfolgt hatte, so mussten mir die Beobachtungen bei der Wirkung der Koch’schen Injektionen, deren erste ich an einer Form von Lupus Gelegenheit hatte zu machen, die Vorstellung erwecken, dass hier die Wirkung eines Stoffs vorliegen müsse, den wir als zur Gruppe der Acria gehörig bezeichnen. Meine erste Aufmerksamkeit lenkte ich auf das Kan- tharidin. Es sei mir daher gestattet, um zu dem Verständnis der Wirkung des Kantharidins zu gelangen, die historischen Erfahrungen, welche sich an die spanischen Fliegen knüpfen, aus denen diese Substanz gewonnen wird, den Lesern vorzuführen. Die spanischen Fliegen, Lytta vesicatoria, welche in Süd- und Mitteleuropa ein gewöhnliches Insekt sind, gehören zur Klasse der Pflasterkäfer, welcher nicht weniger als 800 Arten angehören. In diesen Insekten befinden sich scharfe Substanzen, welche flüchtiger und nicht-flüchtiger Natur sind. Der eigentümliche Geruch dieser Käfer hat etwas Betäubendes. Diese flüchtigen Substanzen sind aber bisher nicht in genügender Weise isoliert worden, da- gegen gelang es Robiquet im Jahre 1812, das krystallisierte Kantharidin darzustellen, welches in kleinen, farblosen, geruchlosen Krystallen auftritt und eine für Pflanzenfarben neutrale Reaktion zeigt. Bekannt ist seine fast voll- kommene Unlöslichkeit in Wasser, seine geringe Löslichkeit in Alkohol und seine leichte Löslichkeit in Chloroform und Aether. Für die bisherige thera- peutische Anwendung war seine Löslichkeit in Oel von Bedeutung. Diese schön krystallisierte Substanz fängt bei 121° an zu sublimieren, schmilzt bei 205°. Die leichte chemische Bereitung mag hier übergangen werden, da die- selbe genügend oft beschrieben worden ist. Für die Therapie sind bisher in Anwendung gezogen die Tinktur, das Pflaster, zuweilen aus reinem Kantharidin hergestellt, ferner Salben ete. Eine systematische subkutane Anwendung des Kantharidins zu therapeutischen Zwecken ist meines Wissens in der Therapie nicht zur Anwendung gelangt, es sei denn zur subkutanen Injektion als lokal wirkendes Mittel bei Neuralgien, und zwar in Dosen von 0,004 bis 0,012). Was die innere Anwendung betrifft, so ist dasselbe empfohlen worden zu 1 mg 3—4 Mal täglich (Dietionaire encyclop&dique des Sciences medicales, Paris 1371, Art. Cantharides). Dass die spanischen Fliegen in der That wirksame Sub- stanzen enthalten, musste natürlich leicht beobachtet werden, da beim längeren Verweilen der Käfer in der Hand oder sonst wo an der Haut sich eine blasen- ziehende Wirkuug offenbart. Und da selbst im Altertum diejenigen Substanzen, welche sich schon äußerlich durch eine scharfe Wirkung kennzeichnen, in empirischer Weise zu Heilversuchen benutzt wurden, so ist es nicht wunderbar, dass wir über den Gebrauch und die Wirkung der Kanthariden eine bis ins Altertum reichende Kenntnis besitzen. Hippokrates hat eine Reihe von Indikationen angegeben, welche für spätere Zeiten maßgebend gewesen sind. Abgesehen von den öligen Ein- reibungen (VI, 421 ed. Littr&) benutzte er Kanthariden bei der Behandlung 1) Verhandlungen des V. Kongresses für innere Medizin: Ueber lokale Anästhesie; Note sur l’anesthesie locale, Comptes rendus des seances de la Soeiete de Biologie. 2) Siehe Eulenburg’s Realencyklopädie, Bd. X. I50 Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. von Wunden, zusammen mit verschiedenen anderen Mitteln, von denen Schwefel und Arsenik hervorzuheben sind. Aber auch die innerliche Anwendung war ihm nleht unbekannt und ebenso die Beobachtung, dass zuweilen Strangurie dabei einträte (VII, 325), welche er in ganz zweckmäßiger Weise mit warmen Bädern und reizmildernden Geträaken zu behandeln verstand. Natürlich sind die Vorschriften seiner Präparate, dass er den Kopf, Flügel und Füße entfernen ließ, nur insofern von Belang, als die Masse eine wirksamere wurde, da in den entfernten Teilen die Ablagerung der wirksamen Substanz entweder fehlt oder sehr gering ist. Dass auch schon im Altertum Vergiftnngen mit Kanthariden beobachtet sind, zeigt der so oft zitierte, von Plinius erwähnte Fall des „Eques Romanus“, welcher, die Kanthariden bei einer Hautkrankheit benutzend, am Uebermaß zu Grunde ging. Welches Insekt gebraucht wurde, lässt sich wohl aus der Beschreibung des Dioscorides ersehen (Liber II, Caput 65), der eine in China heimische Art der spanischen Fliegen beschreibt, die keine grünen, sondern gelb und schwarz gestreifte Flügeldecken besitzt. Wenigstens spricht Geoffroy 1763 die Vermutung aus, dass es dieselben Fliegen sind, welche in den heißen Ländern und China einheimisch sind; das hiesige pharmakologische Institut besitzt durch Ueberweisung der Riedel’schen Sammlung seitens des Kultus- ministers Herrn von Gossler ganz besonders schöne Exemplare dieser In- sekten, welche zu einer weiteren Untersuchung dienen sollen. Es lässt sich denken, dass bei einer solchen Grundlage, wie sie durch Hippokrates gegeben ist, sich nach ähnlichen Richtungen hin die folgenden Jahrhunderte in der Anwendung der Kanthariden bewegt haben, mit dem Unterschiede, dass mit zunehmender klinischer Erfahrung man bestimmte Indi- kationen stellte. Man wird hier wesentlich zwei Richtungen unterscheiden müssen, einmal den Versuch die Kanthariden innerlich zu verwenden, und zweitens die reizenden und blasenziehenden Eigenschaften zu benutzen. Der innerlichen Anwendung setzten sich die giftigen Eigenschaften und Neben- wirkungen derselben entgegen, welche zu einer Einschränkung führen mussten. Nicht bloß die Strangurie war es, sondern die heftige Einwirkung, welche die spanischen Fliegen und ihre Präparate auf Magen und Darm ausüben, vor Allem aber gefürchtet ist die Wirkung auf den Urogenital-Apparat. Die Ge- fahren der Kanthariden für die Menschen sind der Wissenschaft zahlreich zur Kenntnis gekommen, da durch die Vorurteile des Publikums und durch eine unglückliche pharmazeutische Spekulation die Kanthariden in Form der als Diabolini bezeichneten Bonbons und der Pastilles galantes benutzt wurden, welche vielfach Unheil anstifteten. Die Nutzlosigkeit dieser Präparate ist am besten durch die Worte Dieu’s gekennzeichnet: „Le libertin &puise et le vieillard impuissant, loin d’avoir trouve dans ce remede les ressources qu’ils y cherchaient, y ont souvent trouv& la mort“. Dass aber der längere Ge- brauch kleiner Dosen keine besonderen Störungen hervorzurufen im stande ist, zeigt der Taylor’sche Fall, in dem sechs junge Leute ein halbes Jahr lang gepulverte Kanthariden aus Versehen als Pfeffer benutzt hatten. Die folgenden Erscheinungen bestanden nur im Drang zum Harnlassen, welches aber nach der Mahlzeit nur einige Stunden anhielt. Die schärferen Vorschriften, die Verabreichung der Kanthariden betreffend, datieren schon aus dem 18. Jahrhundert, in welchen den Apothekern geboten war, Kanthariden nur an Diejenigen im Publikum zu verabreichen, welche ihnen genügende Bürgschaft dafür gaben, dass kein Missbrauch geschehe. Dass aber von den Aerzten der innere Gebrauch verdammt wurde, zeigt am besten der Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. 951 Beschluss des College of Physieians in London 1689, welcher dahin wirkte, dass John Greenfield für seine Behandlungsweise mit Gefängnis bestraft wurde und heute ist sein Werk „A treatise of the safe internal use of Can- tharides in the practice of Physic“ ein interessantes Werk, welches die Be- handlungsweise bei Steinerkrankungen und Nierenleiden in so vorsichtiger Weise uns vorführt, dass die Strenge des Urteils sich mit unseren modernen Begriffen von ärztlicher Vorsicht nicht in Einklang bringen lässt. Was die äußere Anwendung betrifft, so ist besonders durch die Lehre vom „Gegenreiz“ das Mittel zur systematischen Anwendung gelangt. Wenn auch die Möglichkeit durch Herbeiführung einer künstlichen äußeren Entzün- dung eine Ableitung auf die krankhafte innere Entzündung auszuüben nicht abgeleugnet werden soll, so wird man bei der Kritik der günstigen Kranken- geschichten inbetreff der Kanthariden immer inbetracht ziehen müssen, dass auch bei der äußerlichen Anwendung das wirksame Prinzip der Kanthariden, das Kantharidin, resorbiert wird und thatsächlich also eine innerliche Wirkung in Rechnung zu ziehen ist. Für die Ausführung der meinen Ideen zu Grunde liegenden Beobachtungen führe ich aus der zahllosen Litteratur diejenigen Fälle an, welche für die be- sondere Wirkungsart und vor allem auch für die Dosierung des wirksamen Bestandteiles, des Kantharidins einen Schluss zulassen. Von besonderer Wich- tigkeit sind die Aussagen Alph&e Cazenave’s bei der Behandlung der Lepra und Psoriasis, indem er die absolute Gefährlichkeit der Kanthariden- tinktur bestritt, sich auf Biett stützend. Er wandte die Tinktur in Dosen von 3—4 Tropfen täglich an und steigerte bls zu 25 und 30 Tropfen, indem er angibt, man könne ohne Gefahr diese Tinktur noch in viel größeren Dosen anwenden. Es wird ein Fall von Biett berichtet, iu welchem ein Mann von 28 Jahren, der im Hospital St. Louis am 27. Juli 1821 eintrat, an einer alten Psoriasis systematisch mit Kantharidentinktur behandelt wurde. Er stieg inner- halb zweier Monate zu der enormen Dosis von 60 Tropfen und am 28. Oktober konnte der Mann das Hospital geheilt verlassen. Auch beim Ekzema chronicum konnte ein Mann, der 13 Jahre an dieser Affektlon gelitten, in einem Monat geheilt werden. Auch andere Autoren berichten in ähnlicher Weise. So ist von Rayer bei der Psoriasis und anderen chronischen Hautaffektionen dieses Mittel gerühmt worden, obgleich er angibt, dass er in anderen Fällen keine Wirkung gesehen habe; aber auch er stieg in der Dose bis auf 60 Tropfen. Die heutige Therapie hat diese Tinktur im Ganzen verlassen und in den Werken von Hebra und Kaposi findet sie sich nicht mehr unter den Mitteln erwälınt, an welche man eine besondere Erwartung zu knüpfen hat. Der Grund ist neben dem Hervortreten der lokalen Therapie augenscheinlich der, dass solche Tinkturen differenter Substanzen von größter Unzweckmäßigkeit sind, da eine genaue Dosierung des Kantharidins nicht möglich ist, denn die zur Anwendung gezogenen Kanthariden enthalten von 0,3—0,6proz. Kantharidin, es kann also in einzelnen Fällen gerade das Doppelte gegeben werden. Und man kann wohl sagen, dass ein Teil der Schuld des Aufgebens in der Unsicherheit des Prä- parates zu suchen ist. Denn es muss als fester Grundsatz gelten, dass eine genaue Dosierung das erste Erfordernis bei der Anwendung giftiger Sub- stanzen ist. Die Frage der Giftwirkung des Kantharidin ist natürlicherweise ein häufiger Ge- genstand wissenschaftlicher Untersuchunggewesen. Arbeiten, welche das meiste Interesse nach dieser Richtung hin he}vorrufen, sind diejenigen von Cornil'), 1) Etudes sur la pathologie du Rein. Cornil und Brault. Paris 1884. 252 Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. Ida Eliaschoff!) und von Aufrecht?). Die Befunde beziehen sich auf akute Vergiftungen, bei denen es sich wesentlich um die Veränderungen handelt, welche das Mittel in den Nieren hervorruft. Es tritt ein zelliges Exsudat ein. Bei dem Versuch, eine chronische Vergiftung hervorzurufen, wurden von Cornil solche Dosen benutzt, welche bei der jedesmaligen Injektion eine Albuminurie erzeugten. Es traten rote Blutkörperchen, Eiweiß und hyaline Zylinder im Harn auf und bei der Injektion ergaben sich dieselben Erschei- nungen, welche bei der akuten und subakuten Nephritis auftreten. Auch Aufrecht hat bei einem Kaninchen durch 25malige Injektion (beinahe jeden 2. Tag), indem er 2,5 mg, eine fast zur Tötung hinreichende Dose, anwandte, Schrumpfniere erzeugt. Es ist von Interesse, dass in diesen Fällen nicht mehr die Präparate der Kanthariden, sondern das Kantharidin selber in Anwendung gezogen wurde. Diese Thatsachen sind natürlich für die therapeutische Be- nutzung nur insofern heranzuziehen, als sie uns die Warnung geben, mit der äußersten Vorsicht das Mittel zur Anwendung zu bringen. Man kann sich aber überzeugen, dass die Todesursache bei einer gerade ausreichenden Dose bei Kaninchen augenscheinlich in einem exsudativen Vorgang zu suchen ist, welcher die Respiration beeinträchtigt. Die tötliche Wirkung der Kanthariden ist bisher wesentlich auf die Nephritis bezogen worden, ogleich man den Einfluss auf die Respiration nicht übersehen hat. Es hat sich jedoch bei den Versuchen gezeigt, dass, wenn man, um den Tot herbeizuführen, nur solche Dosen, welche eben ausreichen, um eine akute Vergiftung zu erzeugen, verabreicht, der Nierenbefund keinen Anhalt für die Todesursache darbietet. Wir sehen nach Verlauf von einigen Stunden Kaninchen an Dyspnoe zu Grunde gehen. Die Sektion ergibt keine Hyperämie der Nieren, keine oder nur geringe Hyperämie der Lungen, allerdings haben sie ein leicht rosarotes Ansehen. Was bei den Lungen auffällt, ist ihre etwas vermehrte Konsistenz. Bei der mikroskopischen Untersuchung, welche von Herrn Dr. Hansemann ausgeführt wurde, ergab sich, dass es sich nicht, wie ich mich auch überzeugt habe, um ein akutes Lungenödem handele, sondern um den Austritt eines nur sehr ge- ringen, im Wesentlichen zellenfreien, nicht zur spontanen Gerinnung neigenden Exsudates 3). Der Vorgang dieser Wirkung des Austritts einer serösen Flüssigkeit aus den Kapillaren findet ohne eine Veränderung des Blutdrucks und ohne wesent- liche Veränderung der Herzthätigkeit statt, wie Versuche am Kymographion gezeigt haben. Ebenso wenig aber treten Hyperämien und Extravasate auf. Augenscheinlich findet, ähnlich wie bei der Haut, ein Austritt seröser Flüssig- keit statt, ohne dass wie hier ein hyperämischer Vorgang zu bemerken ist. Wenn wir für diese Vorgänge auch keinen direkt experimentellen Nachweis haben, so ist man vom pharmakodynamischen Standpnnkt aus gezwungen, für die Wirkung der Kanthariden eine eigenartige Einwirkung auf die Kapillaren anzunehmen, und zwar einen der chemischen Beschaffenheit des Körpers eigen- tümlichen Reizvorgang. Wir sehen, dass durch Tartarus stibiatus es zur Bil- dung eiteriger Pusteln kommt, dass bei dem Krotonöle trotz größerer Hyper- ämie die Blasenbildung, wenn sie auftritt, einen eigentümlichen Charakter zeigt, und wir sehen bei fast jeder auf die Haut wirkenden Substanz eine derselben eigentümliche Reizerscheinung auftreten. Bei den Kanthariden führt 4) Virchow’s Archiv, 94, S. 323. , 2) Centralblatt für die ges. Medizin, 1882 3) Bei Anwendung künstlicher Respiration, welche das Leben des Tieres verlängert, entwickelt sich ein starkes Lungenödem. Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. 253 die Beobachtung zu der Annahme, dass eine direkte für uns in ihrem Wesen bisher nicht zu erklärende Wirkung auf die Kapillaren derartig geäußert wird, dass dieselben zu einer Exsudation von Serum Veranlassung geben, und nur bei hochgradigen Intoxikationserscheinungen treten jene zellulären Exsudationen ein, welche dis Mikroskopiker gezeigt haben. Die reizende Einwirkung der Kanthariden auf die Gefäßwand kann. wenn dieselbe schon in einem nicht mehr normalen Zustande sich befindet, eine größere sein. Und von dieser durch nichts bewiesenen Hypothese aus konnte man den Versuch unternehmen, ob eine Dose von Kantharidin sich für den Organismus finden lasse, bei welcher die Kapillaren von geringerem Widerstande diejenige Exsudation zeigen, welche bei größeren Dosen den normalen zukommt. Wenn also an irgend einer Stelle des Organismus durch einen lokalisierten Reiz baeillärer oder anderer Natur ein pathologischer Vorgang erzeugt worden ist, so musste, falls die Hypothese eine richtige war, an Ort und Stelle durch die Exsudation irgend eine Ein- wirkung erscheinen. Dass minime Mengen von Material einen solchen Vor- gang hervorrufen können, liegt nicht außer dem Bereich der Möglichkeit, denn ohne auf die neuesten Untersuchungen Koch’s über die Wirkung des Tuber- kulins einzugehen, zeigt es sich, wie oft die geringsten Qnantitäten einer Substanz pathologische Veränderungen in einem Gewebe hervorrufen können. Um für diese Hypothese die Möglichkeit eines Beweises zu finden, schien mir die Anwendung des Kantharidins bei Menschen berechtigt, da die aus der historischen Einleitung sich ergebenden Beobachtungen bis zu einer relativ beträchtlichen Menge und für längere Zeit die Anwendung des Kantharidins erlauben und gefahrlos zeigen. Das reine Kantharidin ist, wie schon gesagt, bisher in der internen Therapie nicht zielbewusst benutzt worden (S. Dujardin- Beaumetz, Dietionaire de Therapeutique). Die innerliche Anwendung des Kantharidins schien mir für diese Versuche vollkommen ungeeignet, da ähnlich wie bei Anwendung der Kanthariden von seiten des Magens und Darms Reizerscheinungen auftreten mussten, so dass das Bild der reinen Kantharidin- Wirkung hierdurch getrübt wird. Der sub- kutanen Anwendung des Kantharidin setzte sich für den Menschen die Schwierig- keit entgegen, dass es in Wasser unlöslich ist. Die Auflösung desselben m Essigäther, wie sie von Cornil probiert wurde, kann naturgemäß aus dem Grunde nicht zur Anwendung kommen, weil der in Wasser schwer lösliche Essigäther Reizerscheinungen unter der Haut hervorruft, die auch hier jede Beurteilung der Wirkung für therapeutische Dosen erschwert haben würde, ebenso die von Aufrecht in Anwendung gezogene Lösung in Oel. Wenig ermutigend waren die Angaben Cornil’s, dass er bei Anwendung einer Lösung von Kantharidin in Kali derartige Eiterungen bekam, dass er seine Beobach- tungen über Nephritis durch diese Nebenwirkung beeinträchtigt fürchtete. Es hat sich aber gezeigt, dass die eitererregende Wirkung im Unterhautfettgewebe nicht durch das Kantharidin bewirkt wird, wie es leicht wahrscheinlich er- scheinen konnte, sondern durch den Ueberschuss von Kali. Es wurde daher unter äußerster Vorsicht die geringste Menge von Kali oder Natron benutzt, welche nötig war, um das Kantharidin in Arzneilösung zur Anwendung zu bringen. Hier zeigte es sich, dass dle subkutane Injektion in hinreichender Verdünnung bei Tieren eine störende Wirkung nicht hervorruft; es war also eine Lösnng gewonnen, in welcher die uns seit Wood (1853) geläufige Methode der subkutanen Injektion zur Anwendung gebracht werden konnte. So lange bei der Anwendung dieser Lösungen kein Eiweiß oder Blut im Harn auftrat, konnte die Dose gesteigert werden. Bei dem vorsichtigen Vergrößern der- selben und dem ersten Auftreten der Erscheinung einer Nierenreizung brauchte 254 Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze insofern keine Gefahr für den Organismus gefürchtet zu werden, als die von mir zitierten früheren Fälle und zahlreiche andere beweisen, dass eine dauernde Schädigung für die Gesundheit bei der Kantharidenbehandlung nicht eintritt. Ja, ich erinnere mich sogar eines sicheren Falles aus früheren Jahren, bei welchem durch Blasenpflaster und die nachfolgende Resorption es zu einer starken Fibrinabsonderung kam, welche nach der Form des abgeschiedenen Fibrins sich in der Harnblasenwand gebildet haben musste, und dass bei diesem Patienten eine vollkommene Genesung in kurzer Zeit herbeigeführt wurde. Ich begann mit einer Dose von '/,, mg bei einem alten Mann, der eine Speiseröhrengeschwult hatte. Die Injektion war fast schmerzlos, die Stich- stelle am nächsten Tage nicht gerötet und auf Druck nicht mehr empfindlich, als es bei Morphiuminjektionen u. s. w. vorkommt. Freiwillig gab der Mann an, dass er leichter hätte aushusten können. Die Dose wurde nun gesteigert. Bei einem Tuberkulösen wurde auch hier dieselbe Erscheinung beobachtet. Ich glaube hier übergehen zu können, in welch vorsichtiger Weise die Steige- rung stattfand, und bemerke, dass bei 6 demg, die an ein und demselben Tage drei Patienten gegeben wurde, zwei tuberkulösen Männern, einer tuberkulösen Frau mit Blasenentzündung, bei allen gleichmäßige Beschwerden aufgetreten waren. Die Männer klagten über ein brennendes Gefühl beim Urinieren am nächsten Tage, das nach der Verabreichung von 5 Tropfen Opiumtinktur schwand. Bei der Frau zeigte sich neben der Beschwerde beim Harnlassen ein rötlicher Schimmer des Urins und konnten mit der Guajakprobe minimale Spuren von Blut nachgewiesen werden, ebenso durch das Mikroskop Blut- körperchen, ohne Auftreten von Harnzylindern. Diese Dose von 0,6 mg würde ich als die äußerste Maximaldose betrachten, welche bei kräftigen Männern erlanbt ist. In dem einen Falle hatte der Patient außer seiner Lungentuber- kulose eine solche des Larynx. Nach der gemeinsamen Beobachtung mit Herrn Dr. Bode ergab sich, dass schon am nächsten Tage es mir möglich war, eine leichte Differenz in der Sprache herauszuhören, auf welche ich allein keinen Schluss aufgebaut hätte, wenn nicht nach einigen Tagen der Befund am Kehl- kopf eine, wenn auch nur sehr leichte, Besserung gezeigt hätte, die aus den geschickten Zeichnungen des Herrn Dr. Bode jedoch klar hervorging. Bis dahin waren meine Versuche in dem Augusta-Hospital mit freundlicher Unterstützung des Herrn Prof. Ewald und Herın Dr. Gumlich und in dem städtischen Krankenhause am Friedrichshain nach vorhergehendem Einver- ständnis mit Herrn Geh. Prof. Dr. Hahn und der sehr thätigen Beihilfe des Herrn Dr. Bode angestellt. Für die Frage der Wirksamkeit des Mittels musste vor allen die Erkran- kungen sichtbarer Schleimhäute, besonders des Kehlkopfes, das beste Objekt zur Beobachtung geben. Ich wandte mich an Herrn Dr. Heymann, der mir reichlich Fälle zur Disposition stellte, und dessen Urteil, basiert auf seiner wissenschaftlichen Kenntnis, mir für das fernere Vorgehen eine große Stütze war, und an Herrn Prof. B. Fränkel, den Direktor der Universitätspoliklinik, dessen Urteil mir für meine erweiterte Anwendung von besonderem Werte sein musste, da derselbe, abgesehen von großen Erfahrungen auf dem Gebiete der Larynxerkrankung und wie bekannt, gerade durch seine therapeutischen und seine wissenschaftlichen Untersuchungen auf dem Gebiete der Tuberkulose eine Gewähr dafür bot, dass meinen Beobachtungen eine richtige Deutung ge- geben werden konnte. Dann hatte Herr Stabsarzt Dr. Land graf, dessen Erfahrung auf dem Gebiete der Kehlkopferkrankungen durch seine wissen- schaftliche Thätigkeit uns bekannt ist, Fälle der Privatpraxis der Behandlung unterzogen und mir freundlichst Bericht zugehen lassen. Bei beiden Herren Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. 955 kamen eine Reihe von Fällen zur Beobachtung, welche den heilenden Einfluss der Mittel außer Zweifel stellten und zwar in kürzester Zeit. Die Resultate dieser Beobachtung werden gesondert veröffentlicht werden. Die weitere kli- nische Beobachtung wird dem Mittel die Grenzen anweisen, bis zu welchen die Wirksamkeit und seine Verwertung in der Praxis sich erstreckt. Freilich hätte ich gewünscht, eine längere Zeit zur Disposition zu haben; äußere Um- stände haben mich gezwungen mit der Publikation meiner durchaus noch nicht abgeschlossenen Untersuchung öffentlich hervorzutreten. Was die Methode der Anwendung betrifft, so habe ich dieselbe folgender- maßen in Vorschlag gebracht. Je nach der Größe des Individuums wird von der Lösung, deren Zusammensetzung ich am Schlusse angeben werde, 1 ccm gleich 2 demg am Rücken mit der Pravaz’schen Spritze eingespritzt, nach- dem selbstverständlich die gebräuchlichen Kautelen für die Desinfektion der Stichstelle und der Spritze angewandt worden sind. Die Patienten können ihrer gewöhnlichen Beschäftigung nachgehen. Bei einer Form von Tuberkulose des Larynx gestattete ich sogar das Rauchen und der heilende Einfluss wurde nicht aufgehalten. Eine Rötung der kranken Stelle wurde ebensowenig wie Fiebererscheinungen nach der Injektion beobachtet. Besonders scharf zu beobachten ist das Verhalten des Urins und des Stuhlgangs. Bei eintretendem Gefühl in der Harnröhre muss sofort ein Aussetzen der In- jektion stattfinden. Wenige Tropfen Tinet. opii genügen, um das Brennen ganz schnell zum Verschwinden zu bringen. Bei solchen Individuen würde ich auch die nächste Injektion mit der halben früher angewandten Dose vor- nehmen. Die Praxis muss zeigen, ob nicht Dosen von 1 oder !/, demg in den meisten Fällen genügen, und unter Umständen nur vielleicht eine höhere Dose anzuwenden ist. Auch möchte ich darauf hinweisen, diese Injektionen nicht täglich, sondern einen Tag um den andern vorzunehmen. Ueber Erfahrungen bei Tuberkulose anderer Organe muss die weitere klinische Untersuchung ent- scheiden. Es hat sich gezeigt, dass nicht bei Kehlkopftuberkulose allein, sondern bei chronischen katarrhalischen Anschwellungen der Stimmbänder ebenfalls eine Heilung sich vollzog, und die bisher mit Kantharidenpräparaten erreichten Erfolge ermutigen die subkutane Methode des kantharidinsauren Alkali, bei anderen Erkrankungen in Anwendung zu ziehen. — Aber die außerordentlich schnelle Wirkung, welche das Mittel auf tuberkulöse Geschwüre der Kehlkopf- schleimhaut ausübt, erweckt die Vorstellung, dass die an der Geschwürsfläche entstehende Exsudaiion dazu führte, dass den Gewebselementen, d. h. den fixen Gewebszellen derartig Nahrung zugeführt wird, dass sie durch normale Proliferation die Heilung bewirken trotz der Anwesenheit der Bakterien, oder indem die Schädlichkeit der Bakterien aufgehoben wird. Aber diese Exsudation des Blutserums dürfte man nach den heutigen Er- fahrungen nicht nur als für den Heilungsprozess notwendigen Flüssigkeitserguss auffassen, sondern es kommt hier inbetracht, dass die Erfahrungen für das Blutserum beim Kaninchen und Hund nach der so feinen Beobachtung Buch- ner’s und beim Menschen nach Stern das Resultat ergeben haben, dass das- selbe die Kraft besitzt, Bakterien zu töten. Und zwar ist diese Thatsache für diejenigen Bakterien, welche nicht als Blutbakterien aufzufassen sind, nachgewiesen, also z. B. für Typhusbaeillus, Cholera ete. Leider liegen aus technischen Gründen keine Erfahrungen für den Tuberkelbaecillus vor, doch wissen wir, dass derselbe sicher kein Blut- baeillus ist, obgleich dieselben sich vereinzelt im Blute vorgefunden haben, Wenn also das Serum eine Heilwirkung durch Vernichtung der Bakterien be- I565 Liebreich, Wirkung der kantharidinsauren Salze. wirkt, so würde man durch die Wirkung des Kantharidins das herbeiführen, was man durch Transfusion mit Blutserum sich zu erreichen bemüht, was aber naturgemäß keinen so schlagenden Effekt geben kann, weil der Motor fehlt, um auch einen vermehrten Transsudationsstrom an den Locus affectus zu bringen. Nachdem dieser Weg vorgezeichnet worden ist, lässt sich voraussehen, dass sich auch andere Substanzen finden lassen werden, welche eine dem Kantharidin gleiche oder ähnliche Wirkung herbeiführen werden. Auch anderseits bietet das Kantharidin für eine weitere experimentelle Untersuchung jetzt einen Anreiz dar, denn das Kantharoxim, die Kantharsäure, das Kantharen, welche aus dem Kantharidin bis jetzt hergestellt sind, haben noch keine pharmakodynamische Prüfung gefunden. Auch dürften neue Ver- bindungen in das Bereich der Untersuchung zu ziehen sein. Wenn auch die chemische Konstitution des Kantharidins bis jetzt nicht aufgeklärt worden ist, so ist durch Homolka') festgestellt worden, dass von seinen fünf Sauerstoffatomen drei der Gruppe — CO — COOH angehören. Uebrigens ist durch Herrn Dr. Spiegel im hiesigen Institut ein neuer Körper durch Einwirkung von Phenylhydrazin auf Kantharidin dargestellt worden. Es ist mir ein Bedürfnis, allen Herren Kollegen, welche mich bei meinen Untersuchungen unterstützt haben, meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. Ueber Darstellung der Kantharidinlösung. Das kantharidinsaure Natron sowie die übrigen von Dragendorff und Masing dargestellten Salze der Kantharidinsäure sind wegen der wahrschein- lich wechselnden Mengen von beigemengtem Kantharidin nicht reine chemische Körper, so dass sie für eine genaue Dosierung bis jetzt nieht benutzt werden dürfen. Um eine konstante Lösung zu erhalten, wurden gewogene Mengen Kantharidin durch längeres Erwärmen mit Alkali in Lösung gebracht und dann vorsichtig mit Wasser bis zur gewünschten Konzentration verdünnt. Es stellte sich dabei heraus, dass die theoretisch für die Umwandlung in kantharidin- saures Salz notwendige Menge Alkali nicht ausreichte, um das Kantharidin in Lösung zu halten. Durch eine größere Anzahl von Versuchen zeigte es sich vielmehr, dass zur Erhaltung einer auch beim Verdünnen und Abkühlen klar bleibenden Lösung an Kalihydrat das Doppelte, an Natronhydrat das Andert- halbfache der angewendeten Menge Kantharidin notwendig ist. Das Alkali muss rein, trocken und frei von Kohlensäure sein. Es wurden also Lösungen in folgender Art bereitet: 0,2 g Kantharidin 0,4 g Kalihydrat, aufs Genaueste abgewogen, werden in cinem 1000 ecm-Messkolben mit etwa 20 cem Wasser im Wasserbade erwärmt, bis klare Lösung erfolgt; dann wird ganz allmählich unter fortdauerndem Erwärmen bis ungefähr zur Marke Wasser zugesetzt, schließlich nach dem Erkalten genau bis zur Marke aufgefüllt. Oder 0,2 g Kartharidin 0,3 g Natronhydrat werden in derselben Weise zum Liter gelöst. 4) Berichte der deutsch. chem. Gesellsch., Bd. 19, 1082. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI Band. 1. Juni 1891. Nr.9 u. 10. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. — Loew, Ueber die physiologischen Funktionen der Phosphorsäure. — Kraus, Ueber das Kalk- oxalat der Baumrinden. — Kionka, Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. — Schimkewitseh, Versuch einer Klassifikation des Tierreichs. — Birula, Einiges über den Mitteldarm der Galeodiden. — Knipowitsch, Zur Ent- wicklungsgeschichte von Olione limacina. — Giltsehenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. — %ünther, Einführung in das Studium der Bakteriologie mit besonderer Berücksichtigung der mikroskopischen Technik. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. Das nachfolgende Referat bezweckt die Leser mit den Ergeb- nissen einer Reihe pflanzenphysiologischer Untersuchungen des ver- flossenen Jahres bekannt zu machen. Dasselbe will natürlich nicht an Stelle der Originalien treten, die dem Fachmann auch die besten Referate nicht ersetzen können. Es ist vielmehr an die Adresse des Nichtfachmanns gerichtet, der sich gerne über die wichtigsten Er- scheinungen auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie orientieren möchte. Deshalb sehe ich auch von einlässlichen Erörterungen, welche die Untersuchungsmethode betreffen, im allgemeinen ab; ich suche, statt dem krummen Pfade zu folgen, auf welchem der Forscher oft mühevoll ein erstrebtes Ziel erreicht, die gerade Straße auf. Ich will mich auch nicht anheischig machen alle wichtigsten Arbeiten berührt zu haben. Eine gewisse Subjektivität ist eben bei der Wertschätzung einer Arbeit nie zu vermeiden. Dazu kommt, dass es oftmals nicht möglich ist, die in zahlreichen Zeitschriften zerstreuten Abhandlungen rechtzeitig zur Hand zu haben. — Studien, die unsere Kenntnisse über den Protoplasten nicht unwesentlich förderten, hat Pfeffer unter dem Titel „Zur Kenntnis der Plasmahaut und der Vakuolen nebst Bemerkungen über den Aggregatzustand des Protoplasmas und über osmotische Vorgänge“ im XVI. Bande der Abhandlungen der XT. IT 258 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. mathematisch-physischen Klasse der k. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften S. 185—344 veröffentlicht. Der Ursprung der Plasmahaut, die als Hautschicht und Vakuolen- haut auftreten kann, wird in doppelter Weise erklärt. de Vries tritt für ihre Autonomie, ihren homogenen Ursprung ein, d. h. analog wie Zellkern und Chromatophoren immer aus ihresgleichen entstehen, also nur durch Descendenz erhalten und überliefert werden, durch Neubildung aber aus dem Cytoplasma nicht hervorgebracht werden können, soll sich auch die Haut als selbständiges Organ bilden. Dem gegenüber hält Pfeffer „die Plasmahaut für ein Differen- zierungsprodukt aus der Leibessubstanz des Cytoplasma“. Für diese Ansicht führt er in der oben erwähnten einlässlichen Untersuchung folgende wichtigste Beobachtungen an. Werden Plasmodienstränge von Myxomyceten durchschnitten, dann beobachten wir, wie an der Sechnittfläche die sich bildende Haut- schichte aus dem Körnerplasma entsteht. Schnell grenzt es sich scharf ab und nach wenigen Minuten ist ein Hyaloplasmasaum vorhanden. Da- bei spielen sich im alten Hyaloplasma keine Vorgänge ab, „die etwa unabhängig von dem Zusammenneigen der Schnittränder zu einem Ueberziehen der Schnittfläche mit Hautschicht führen könnten“. Die Umwandlung von Körnerplasma in Hyaloplasma vollzieht sich durch das Zurücktreten der Körnchen von der Peripherie. Die Plasmahaut ist also ein Organ des Plasmakörpers, welches aus dem Cytoplasma unter den an der Grenzfläche desselben bestehenden Bedingungen wenigstens im Wasser gebildet wird. Mit der Rückführung ins Innere des Plasmakörpers hört die Existenz dieses Organes auf. Seine Bau- materialien verteilen sich im Cytoplasma. Sobald sie aber wieder an die Oberfläche gelangen, dann formen sie sich wieder zur Plasmahaut. Doch nicht jedem Teile des Cytoplasmas kommt die Eigenschaft zu zum Aufbau des Grenzwalls zu dienen. Die verschiedenartigen Körnchen, welche ihm eingelagert sind, die Mikrosomen, scheinen nieht in die Plasmahaut einzutreten, ebenso auch nicht die Zellkerne und die Chlorophylikörper. Dass nur ein Teil des Plasma, das Hyaloplasma, das Baumaterial der Plasmahaut ist, hindert nieht in ihr eine Neubildung zu sehen. Ein Zusammentreten differenzierter Teilchen zu ihrer Bildung ist nicht zu beobachten. Nicht nur für die Hautschiehte, auch für die Vakuolenhaut gilt dies. Die direkte Beobachtung an künstlichen Vakuolenbildungen lehrt, dass die Vakuolenhaut plötzlich und als eine Folge der einge- leiteten Lösung des die Vakuolenbildung vernrsachenden Fremdkörpers an jeder Stelle im Cytoplasma entstehen kann und durchaus nicht an das Dasein vorgebildeter kleiner Vakuolen gebunden ist. Diese Erkenntnis fußt auf folgenden wichtigen Versuchen. Plas- modien nehmen aus gesättigten Lösungen lösliche Stoffe in fester Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 955 Form auf. Sofern die betreffenden Körper nicht giftig und nicht zu löslich sind, wird alsdann folgendes zu beobachten sein. Aus ge- sättigten Lösungen wurden z. B. Asparaginkrystalle aufgenommen, die nach Verlauf einiger Stunden in großer Zahl im Plasmodium ver- teilt waren. Durch Auswaschen kann deren plötzliche Lösung erzielt werden. Man sieht eine Vakuole sich bilden, welche durch die osmotische Wirkung des sich lösenden Asparagins vergrößert wird. Dass die Vakuolenbildung durch die Lösung bedingt wird, ist daraus zu entnehmen, dass nur um die Asparaginkrystalle und nur wenn die Lösung wirklich eintrat Vakuolen entstehen, nicht aber allgemein im Protoplasma, „wie es der Fall sein müsste, wenn indirekt durch die vom Asparagin ausgehende Wirkung eine Vakuolenbildung ein- geleitet würde“. Die unmittelbare Beobachtung lehrt ferner, dass diese Neubildung, von benachbarten kleinsten oder größern Vakuolen durchaus unabhängig ist. Dies spricht gegen die Lehre von de Vries, dass kleine Vakuolenbildner, die Tonoplasten, zur Bildung der Vakuolen- haut und der Vakuolen nötig sind. Bei kleinen Protoplasmaklümpchen, die zu reicher Vakuolenbildung veranlasst werden, kann der größte Teil des Cytoplasma sich in die die entstehenden Vakuolen umgren- zende Haut umwandeln. Vom Standpunkte der Tonoplastentheorie käme man also in solchen Fällen zum Schlusse, dass das Cytoplasma wesentlich aus Tonoplasten aufgebaut sei. Dies führte aber zur Uebereinstimmung von Hyaloplasmen und Tonoplasten, d. h. also zur Preisgabe der Autonomie der Plasmahaut. Schlussfolgerungen aus Beobachtungen an den künstlichen Va- kuolen dürfen aber auf die natürlichen übertragen werden, da zwischen beiden vollständige Uebereinstimmung besteht. Wie diese so können z. B. künstliche Vakuolen zu einer Vakuole verschmelzen, ein Vor- gang, der allerdings nicht gerade häufig beobachtet wird. Sie ver- mögen auch Fremdkörper aufzunehmen, so dass auch dem Inhalte nach beiderlei Vakuolen nicht von einander unterschieden werden können. Die Identität wird durch das Vorhandensein kontraktiler Vakuolen im Plasmodium nicht aufgehoben. Denn man beobachtet, dass neben den bei der Zusammenziehung der Wahrnehmung sich entziehenden Vakuolen auch solche vorhanden sind, deren Durch- messer in unregelmäßigen oft längern Zwischenräumen bald nur wenig, bald bis unter die Hälfte sich verkleinert. Ferner beobachtet man, dass in einer pulsierenden Vakuole die totale oder partielle Zusammen- ziehung ganz eingestellt werden kann. So bestehen also zwischen den pulsierenden und den unveränderlichen Vakuolen alle möglichen Uebergänge, so dass sie beide dem Wesen nach als die gleichen Formen zu erklären sind. Zudem sind auch künstliche Vakuolen mit mäßigen Volumenschwankungen beobachtet worden. Aus diesen Darlegungen geht hervor, dass die Hautschieht und die Vakuolenhaut in ganz analoger Weise entstehen. Sie beide sind 17° 360 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Produkte des Cytoplasma und nicht ihrem Wesen nach, sondern nur räumlich verschieden. Die direkte Beobachtung lehrt denn auch, dass die Hautschicht unmittelbar zur Vakuolenschicht werden kann, indem sie durch Umwallung einen Raum umschloss. Der Plasmahaut wohnt die Fähigkeit inne allen Formveränderungen, die z. B. der freibewegliche Protoplast einer Myxomycete durchmacht, zu folgen gleich wie eine zäheflüssige Masse. Es steht dies im Zu- sammenhang „mit der leichten gegenseitigen Verschiebbarkeit der jeweils aufbauenden Teile und der Fähigkeit des Cytoplasma da, wo es Flächenvergrößerungen erfordert, neues Baumaterial einzu- schieben, aber auch solches beim Abnehmen der Oberfläche wieder in sich aufzunehmen“; denn wie auch die Oberfläche sich vergrößert oder verkleinert, die Plasmahaut behält anscheinend die gleiche Dicke bei. Im Wesen einer solchen Wechselbeziehung, welche in besonders scharfer Weise die Entstehung der Plasmahaut aus dem Cytoplasma darthut, liegt es, dass die Abgrenzung zwischen beiden keine ganz scharfe sein kann. Die beiden Plasmaformen, das an der Grenz- fläche liegende Hyaloplasma und das Körnerplasma können denn auch thatsächlich unter den Augen des Beobachters sich in einander verwandeln. Die genauere Ursache der Entstehung der Vakuolenhaut, also allgemeiner der Umwandlung von Cytoplasma in Plasmahaut zu er- mitteln, führt großenteils auf das Gebiet bloßer Vermutung, da eben die Natur des Protoplasmas in chemischer und physikalischer Be- ziehung noch zu wenig aufgehellt ist. Die Beobachtung lehrt, wie schon früher bemerkt wurde, dass die Mikrosomen an ihrer Bildung keinen Anteil nehmen; ob mit Ausschluss dieses das ganze Hyalo- plasma oder nur ein Teil desselben zur Bildung der Plasmahaut be- fähigt ist, wissen wir noch nicht. Ebenso kann nicht entschieden werden, ob die Plasmahaut nur durch Zusammenschließen ungelöster Teile oder unter gleichzeitiger Entstehung solcher aus löslichen Sub- stanzen gebildet werde. Die äußerste Micellenschichte der Plasma- haut kann allerdings Gelöstes nicht enthalten. Es müsste ja vom anstoßenden Wasser unvermeidlich aufgenommen werden. Die leichte Verschiebbarkeit der Micellen der Plasmahaut in Verbindung mit der noch zu erwähnenden erheblichen Veränderlichkeit des Kohäsions- zustandes des Cytoplasmas spricht eher für einen wechselseitigen Ueber- gang zwischen flüssigem und festen. Die Plasmahaut erscheint dem- nach als ein verdichtetes Cytoplasma. Die dichtere Lagerung der Micellen ergibt sich teils aus diosmotischen Verhältnissen, teils aus der Möglichkeit der Isolation der Plasmahaut, wie sie durch sehr verdünnte Säuren erreicht wird. Während unter der Einwirkung dieser das Innenplasma zu einer porösen Masse erstarrt, bleibt die Plasmahaut als dichtere, zusammenhängende Haut zurück. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 261 Bezeichnen wir, wie es oben geschehen ist, die Bildung der Plasmahaut „als eine Funktion der Grenzfläche wenigstens in Be- rührung mit Wasser“, so bleibt immer noch der nähere Modus nicht aufgehellt. Ist sie als das Resultat mechanischer Wirkungen, die sich an der Oberfläche geltend machen, zu erklären oder ist eine vitale Funktion mit im Spiele? Letzteres ist kaum wahrscheinlich. Denn zur Bildung der Plasmahaut ist die volle Thätigkeit des Cytoplasmas nicht unbedingt nötig. Sie geht auch in kernlosen Plasmastücken vor sich, auch bei mangelndem Sauerstoff und selbst bei Gegenwart von Chloroform bleibt sie nicht aus. Sind vitale Funktionen sonach auszuschließen, dann können wir fragen, „ob schon in der freien Oberfläche resp. in den mit dieser zusammenhängenden Molekularwirkungen direkt oder indirekt die Be- dingungen für Entstehung der Plasmahaut gegeben sind, oder ob es dazu noch besonderer Mitwirkung des Außenmediums bedarf“. Als Spannhäutchen darf die Plasmahaut nicht aufgefasst werden, wie ja schon der früher erwähnte Isolierungsversuch beweist, der die Plasmahaut als eine Membran von messbarerer Dicke liefert. Dagegen ist es wohl denkbar, dass eine Ausscheidung der Proteinstoffe an der Grenzfläche durch Entziehung des Lösungskörpers erreicht wird und damit oder unter Mitwirkung dieses Vorgangs die Kontinuität der Plasmahaut erzielt, zugleich aber auch die Entfernung des Lösungs- mediums aus dem Cytoplasma vermieden wird. Dem Protoplasma wohnt keine große Festigkeit inne, namentlich beim Vorhandensein einer Zellhaut. Es ist zähflüssig oder gallertig. Die Bewegungsvorgänge im Plasma deuten 2 Konsistenzen an, zäh- flüssig strömendes und festeres ruhendes Plasma, Formen die sich leicht in einander verwandeln können. Die ruhenden Plasmaschichten sind allen durch die Stromkraft entwickelten Druck- und Stoß- wirkungen vollständig gewachsen. Nirgends beobachtet man ein Mitreißen der ruhenden Ufer oder ein Vorwölben der umhüllenden Schicht. Oeltropfen und Vakuolen von Kegelform werden in engen Strömungskanälen gleich einem elastischen Ball deformiert. Durch Belastung freier Plasmodienstränge (Chondrioderma) wurde folgende Festigkeit bestimmt. „Ein Zug von 30—60 mg pro 1 mm? wird ohne merkliche Ueberschreitung der Elastizitätsgrenze ausgehalten, wenn die Spannung nur 1—4 Minuten anhält“. Dabei wird allerdings das strömende Plasma wenig zur Tragfähigkeit beitragen. Das Trag- vermögen des ruhenden festern Plasma muss also erheblich größer sein. Wenn der Querschnitt dieses letztern !/,—!/, des ganzen Quer- schnittes beträgt, dann kann die Belastung bis auf 300 mg gehen, im Maximum selbst auf 1000 mg. Die Festigkeit eines Bleidrahtes vom gleichen Querschnitte ist 1,9—2,3 kg. Die Ausgestaltung des Protoplasten wird vielfach der Aenderung der physikalischen Spannung an der Grenze zwischen dem Plasma 262 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. und dem anstoßenden Medium zugeschrieben. Die Kohäsion lässt aber diese Erklärung kaum zu; denn sie ist immerhin groß genug um zu verhindern, dass durch Oberflächenspannung z. B. kleine Pseudo- podien selbst aus ruhendem Plasma heraus entstehen können. Die Umwandlungen, welche sich zwischen dem zähflüssigen und festern Aggregatzustande zeigen, gehen auch im Innern also unabhängig von einer Oberflächenspannung vor sich. Die Umwandlung zähflüssigen Plasmas in den noch festern Zustand der Plasmahaut oder des ruhen- den Plasmas vollzieht sich auch im Innern der Zelle, also unabhängig von einer Oberflächenspannung. „Sind aber solche Wechselzustände in der nicht strömenden Plasmaschicht Thatsache, so mögen wohl auch Imbibition oder andere Vorgänge in freilich noeh nicht ermit- telter Weise zu lokaler Hervortreibung der Pseudopodien führen können“. Die Regelung des Stoffaustausches ist eine wesentliche Leistung der Plasmahaut. Der zwischen den Micellen befindliche Raum ist in den wasserdurchtränkten Plasmahäuten ein geringer, denn die Be- obachtung lehrt, dass vielfach Moleküle von verhältnismäßig unbe- deutender Größe nieht durchtreten können. Diese allein bestimmt freilich die Möglichkeit des Durchtrittes nicht. Das Eindringen hängt eben auch von der gegenseitigen Anziehung zwischen den Stofiteilen der Haut und den Teilchen des gelösten Körpers ab. „Immer aber hängen Eindringen in die Haut und ebenso osmotische Leistungen von Molekularkräften ab, deren Bereich sich nur auf minimale Ent- fernung erstreckt und direkte Fernwirkungen des innern Plasmas können also z. B. für diosmotische Aufnahme von außen nicht ent- scheidend sein“. Eine axakte Erklärung für diese wird schon des- halb unmöglich, weil die Plasmahaut je nach der Beschaffenheit der wässerigen Lösung ihre Eigenschaften selbst wechseln dürfte, weil ferner Zersetzungen der gelösten Stoffe denkbar sind; „die sich mög- licherweise als Folge von Wechselwirkungen an und in der Plasma- haut abspielen könnten“. Dazu kommt, dass innerhalb des Proto- plasmas ein Körper besondern Einflüssen ausgesetzt sein kann, die auf die Diosmose einen bestimmenden Einfluss ausüben. „Dann ist weiter in dem Bewegungszustande und in der Energie des lebendigen Protoplasten überhaupt eine Arbeitskraft geboten, die in verschiedener Weise in den Stoffaustausch eingreifen kann“. Aufnehmende oder ausgebende Thätigkeiten können durch die Bewegungen im lebenden Protoplasten entwickelt werden. Ungelöste feste oder flüssige Teilehen können durch die Bewegungstätigkeit des Plasma direkt aufgenommen oder abgegeben werden. Ausstoßung des Vakuoleninhaltes ist an Plasmodien schon beobachtet worden, wobei die gelösten Stoffe des Vakuoleninhaltes in den Zellsaft oder auch in die Außenflüssigkeit gelangen. Die Neubildung von Vakuolen kann leicht den Einschluss von Stoffen nach sich ziehen, die durch die Plasmahaut nicht durchtreten würden. Außenflüssigkeit, also auch Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 263 Stoffe, welehe sich in ihr befinden, können, wie schon früher ange- geben wurde, durch Umwallung in den Protoplasten gelangen. „Ver- möge des Austausches der den Protoplasten aufbauenden Micellen zwischen Plasmahaut und umschlossenem Plasma könnte auch ein Transport gelöster, nicht diosmierender Stoffe erreicht werden, z. B. indem ein solcher Körper durch physikalische oder chemische Bindung an die Micellen gekettet und mit diesen von der Peripherie in das Innere oder umgekehrt gefördert wird“. Sind die Bedingungen für die Aufnahme eines Körpers vorhanden, dann tritt er so lange ein, als die bedingenden Ursachen es gestatten. Ein rein diosmotischer Vorgang erreicht also mit dem Gleichgewichts- zustande sein Ende. Der Gleichgewichtszustand aber ist vorhanden, wenn eine gleiche Konzentration vor und hinter der zu durehdringen- den Haut besteht. Wird dieser gestört, dann geht die Stoffaufnahme immer wieder vor sich und sie kann so zu einer Anhäufung des diosmierenden Körpers in der Zelle führen. Die Aenderung des Gleich- gewichtszustandes kann z. B. in einer Umwandlung des aufgenom- menen Körpers beruhen, die eine so leichte Umlagerung sein kann, dass sie durch die üblichen Reaktionen nicht nachweisbar ist. Ohne chemische Umwandlung gehen dann die Stoffanhäufungen durch Dios- mose vor sich, wenn eine einseitige Beförderung eines Stoffes mög- lich ist. — Durch die Trennung gelöster Stoffe, welche die verschiedenen in einander geschachtelten Plasmahäute, wie Hautschicht und Vakuolen- haut, bewirken, entsteht in der Zelle ein osmotisches System. Die osmotischen Wirkungen im Zellsaft gelöster Stoffe machen sich an der Vakuolenhaut geltend, die einer von außen zutretenden Lösung an der Außenfläche der Hautschicht entsprechen. Sind endlich im Cytoplasma gelöste Stoffe vorhanden, dann werden diese an beiderlei Plasma- häuten diosmotisch wirksam sein. Der von dem Protoplasten gegen die Zellwand ausgeübte Druck übertrifft die osmotische Leistung des Zellsaftes nicht, so lange wenigstens der Protoplasmakörper keine Spannungen entwickeln kann. Für den Gleichgewichtszustand in diesem osmotischen System hat das seine Giltigkeit, sowohl wenn die nötige Gegenleistung im Protoplasma durch die Gegenwart gelöster Stoffe als auch durch Quellungskraft erreicht wird. Vollständig kann sich allerdings der osmotische Druck nicht gegen die Zellhaut geltend machen; „denn der Protoplasmakörper setzt der osmotischen Spannung einen gewissen Zentraldruck entgegen, welcher indess bei der geringen Kohäsion im Protoplasma, mitsamt der Oberflächenspannung, nur einen geringen Bruchteil des meist auf einige Atmosphären steigenden osmotischen Druckes ausmacht“. Der osmotische Druck hängt nur von der Natur und der Menge des gelösten Stoffes ab, nicht aber von der Qualität und Dicke der abschließenden Haut. Seine Größe ist folgende: Einer 1 prozentigen 264 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Salpeterlösung entspricht ein Druck von 3,4Atmosphären, einer 1proz. Rohrzuckerlösung von 0,67 Atmosphären. Der Druck steigt, sofern die Lösungen verdünnte sind, proportional der Konzentration, in konzen- trierten dagegen wächst der osmotische Druck schneller als die Konzentration. Uebt die Qualität der Haut keinen Einfluss auf die Höhe des osmotischen Druckes aus, dann ist es natürlich zulässig, die Druckhöhe in lebenden Zellen genau nach den physikalischen Resultaten zu bemessen. „Abweichungen von den physikalisch zu fordernden osmotischen Leistungen würden anzeigen, dass durch anderweitige besonders aktive Leistungen der lebenstätigen Zelle eine Steigerung oder Verminderung der Turgorkraft herbeigeführt werde“. Aenderungen der osmotischen Leistungen vollziehen sich mit dem Eintritt oder mit der Entfernung eines Körpers. Jener ruft einer Erhöhung dieser einer Senkung des Turgordruckes. Stoffumwand- lung, durch welche weniger wirkende Körper entstehen, bewirken ebenfalls seine Verminderung. Empirisch ist festgestellt, dass gewisse Reizbewegungen auf diese Druckwirkungen zurückzuführen sind. An den Staubfäden der Cyna- reen beobachten wir, dass ein Reiz den Druck des Zellinhaltes gegen die Zellwand, also die Turgorkraft plötzlich herabsetzt; „und unter dem Druck der gespannten Zellhaut, welche ihre elastischen Eigen- schaften unverändert bewahrt, filtriert so lange Wasser aus der Zelle bis wiederum Gleichgewicht zwischen Turgorkraft und Zellhautspan- nung hergestellt ist“. Wohl ist die direkte Ursache der Reizkontraktion noch nicht bekannt. Aber so viel lässt sich doch sagen, „dass die nötige ansehnliche mechanische Leistung nicht durch aktive Kontrak- tion des Protoplasmas zu stande kommen kann. Dagegen spricht der Kohäsionszustand des Plasmas, das z. B. während und unmittelbar nach der Reizbewegung in den aktiven Zellen der Staubfäden von Centaurea ungeschwächt fortströmt, also auch nicht vorübergehend eine festere Beschaffenheit annahm. Die nächste Ursache der Reiz- bewegung muss also die Schwankung osmotischen Druckes sein, wenn- schon die Ursache, welche diese Veränderung herbeiführt, noch nicht klar liegt. Ein Austritt gelöster Stoffe aus der Zelle scheint nicht im Spiele zu sein. Die Bildung oder Zuleitung genügend wirksamer Stoffe ist ebenfalls nicht wahrscheinlich. „Ebenso ist es kaum denk- bar, dass durch eine aktive, etwa wie eine Pumpe wirkende Thätig- keit Wasser unabhängig von osmotischen Leistungen nach einer Seite getrieben und so der hydrostatische Druck in der Zelle vermindert oder vermehrt wird“. Kommt all das nicht in betracht, „so muss in der Erzielung der zur Reizbewegung nötigen Turgorsenkung eine Ver- minderung der osmotischen Leistung des Zellsaftes allein maßgebend oder doch wesentlich mitbeteiligt sein“, z. B. durch Umwandlung eines Stoffes in einen andern bewirkt werden können. Die Bildung von Rohrzucker aus Traubenzucker genügt erfahrungsgemäß um die osmotische Leistung auf die Hälfte herabzudrücken. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 265 Ed. Palla’s Abhandlung Beobachtungen über Zellhaut- bildung an des Zellkernes beraubten Protoplasten (Flora, 73. Jahrgang, 1890, IV. Heft, S. 314—331) ist ein Glied jener in den letzten Jahren in rascher Folge entstandenen Untersuchungsreihe über die Beziehungen des Zellkernes zu den Funktionen anderer Teile des Protoplasten. Aus den Untersuchungen von Schmitz, von Klebs und Haber- landt ergab sich, dass ihres Kernes beraubte Protoplasten nicht die Fähigkeit besitzen eine Zellhaut zu bilden. Schmitz beobachtete an den vielkernigen Zellen der Siphono- cladiaceae, dass bei einer Verletzung der Zelle das Plasma gewöhn- lich mehrere kleinere und größere Kugeln bildete. Rasch entstand an ihnen eine Haut, sofern das Plasma wenigstens einen Kern ent- hielt. Kernfreie Plasmateile gehen immer ohne Bildung einer Haut zu Grunde. Klebs bewirkte durch Plasmolyse den Zerfall der Proto- plasten von Zygnema, Spirogyra, Oedogonium und Funaria hygrome- trica. Konstatierte er einerseits, dass sich auch die kernlosen Teile während langer Zeit am Leben halten, so wies er anderseits darauf hin, dass nie an kernlosen Protoplasten eine Zellhautbildung beob- achtet wurde. Haberlandt glaubt auf Grund von Versuchen an Vaucheria-Fäden, „dass die Lebensfähigkeit der ausgeworfenen Proto- plasmateile an das Vorhandensein mindestens eines Zellkernes ge- bunden ist“. An Protoplasten einer Reihe von Haaren sah er die Einkapselung von Teilstücken, also die Zellhautbildung, nur an solchen Plasmakörpern, welche einen Kern besaßen. Palla weist im Gegensatze zu den kurz erwähnten Beobach- tungen an Hand einer Reihe von Fällen nach, dass unter Umständen auch kernlose Protoplasten eine Zellhaut zu bilden vermögen. Einer ersten Versuchsreihe liegen die Pollenschläuche von Lewcojum vernum, Galanthus nivalis, Scilla bifolia, Hyacinthus orientalis, Hemerocallis Fulva, Gentiana exeisa, Cytisus Weldeni und Dietamnus albus zu Grunde. Die Pollenkörner, welche in einer Rohrzuckergelatinelösung kulti- viert wurden, bilden Schläuche, die oft schon bei geringen Erschüt- terungen wohl zumeist an ihrer Spitze platzen. Traten dabei der vegetative und der generative Kern aus dem Schlauche aus, so ging der in demselben verbleibende Teil des Plasmas gewöhnlich zu Grunde (Leucojum), ohne eine Zellhaut zu bilden. In einzelnen Fällen jedoch schloss sich das kernlos gewordene Schlauchplasma mit einer Cellu- losekappe gegen den verletzten Scheitel ab, ein Vorgang, der häufig beobachtet wurde, wenn nur der generative Kern ausgestoßen wurde. Bei Galanthus bildete der kernlose Teil des Schlauchplasmas in den meisten Fällen die Cellolosekappe. Bei Scilla zog das Platzen des Pollenschlauches den Zerfall des zurückgebliebenen Plasmarestes nach sich. Die einzelnen Teile kapselten sich ein, so dass 20 und mehr Plasmakapseln in einem Schlauche nicht selten sind. Aehnlich ver- 266 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. hält sich Hyacinthus. Bei Hemerocallis trat durch das Platzen stets ein größerer Teil des Plasmas aus dem Schlauche aus. Derselbe bildete eine Haut, trotzdem er zumeist kernlos war. Die Beobach- tungen an den Pollenschläuchen ergeben also, „dass einerseits in den Pollensehläuchen befindliche losgetrennte, anderseits infolge des Platzens der Schläuche ausgestoßene Protoplastenteile sich lebend erhalten und mit einer Cellulosehülle umkleiden, auch wenn sie kernlos waren“. Zu den plasmolytischen Versuchen verwendet Palla Blätter von Elodea canadensis, „deren Wachstumsfähigkeit aber allem Anschein nach noch nicht gänzlich erloschen war“, ferner Wurzelhaare der Keimlinge von Sinapis alba, Rhizoide von Marchantia polymorpha und Fäden von Oedogonium. Die Protoplasten vieler langgestreckter Zellen von Elodea zer- fielen bei der Plasmolyse in 2 oder mehrere Teile. Da in der Regel die Zelle nur einen Kern enthält, konnte also auch nur ein Teil- protoplast kernhaltig sein. Sehr häufig umgaben sich auch die kern- losen Plasmastücke mit Häuten. An den Protopiasten der Keimlings- wurzelhaare von Sinapis bewirkt die Zuckerlösung sehr verschiedene Erscheinungen. Einzelne Haare sterben sofort ab, andere wachsen weiter, wieder andere platzen am Scheitel, und nicht selten zerfiel der Protoplast in zahlreiche Teile, von denen nur einer einen Zell- kern enthalten konnte. Beim Platzen zeigten sich ähnliche Erschei- nungen, wie sie oben für die Pollenschläuche beschrieben wurden. Auch wenn der Kern austrat, also das Haar einen kernlosen Proto- plasten enthielt, bildete sich unterhalb der Wundstelle eine oft dicke Haut, welche deutlich die Cellulosereaktion — Violettfärbung durch Chlorzinkjodlösung — zeigte. Zerfiel der Protoplast in mehrere Teile, dann konnten Teilstücke nach einigen Tagen ohne Zellhautbildung zu Grunde gehn oder die Membran entstand und zwar auffälligerweise am häufigsten an dem „am Grunde der Zelle befindlichen und bei hinreichender Länge des Wurzelhaares stets kernlosen Teilprotoplasten“. Bei Oedogonien fällt zunächst in den Versuchen von Palla die lange Lebensfähigkeit auch der kernlosen Protoplasten auf. Dabei konnte an einer ziemlichen Anzahl derselben nach 3—4 Tagen, auch erst nach einer Woche die Umkleidung mit einer Haut beobachtet werden. Auch diese zweite Beobachtungsreihe lehrt also, „dass es nicht notwendig ist, dass der Protoplast, wenn er eine Zellhaut ausbildet, sich während dieses Prozesses noch im Besitze eines Zellkernes be- findet“. Palla glaubt, dass seine mit den Angaben anderer Autoren nicht im Einklang stehenden Beobachtungen darauf zurückzuführen seien, dass in diesen Fällen der Zellhautbildung im kernlosen Proto- plasten eine Nachwirkungserscheinung der Thätigkeit Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. 267 des früher vorhandenen Kernes vorliege. Die Versuchsobjekte waren derartige, dass die kernlosen Protoplasten, welche die Neu- bildung der Membran zeigten, „solchen kernhaltigen Zellen entstammten, welche meist im Wachstum begriffen waren, jedenfalls aber noch ihre Zellhaut verdiekten“. Wenn Klebs zum Teil an den gleichen Ver- suchsobjekten andere Resultate erzielte als Palla, so dürfte das dem Umstande zugeschrieben sein, dass Klebs im Herbste und im Winter experimentierte, „also zu einer Zeit, wo sich zweifelsohne die zu Experimenten verwendeten Pflanzen in einem Ruhezustand be- fanden“. Gerade die Verschiedenheit der Resultate, die auf ver- schiedenen Versuchsbedingungen beruhen kann, spricht nach Palla dafür, „dass die Zellhautbildung zu irgend einer Art der Zellkern- thätigkeit in einer Beziehung steht und demnach die Einkapselung kernlos gewordener Protoplasten oder Protoplastenteile Nachwirkungs- erscheinungen dieser Zellkernthätigkeit sind“. Von Wiesner liegen uns zwei Abhandlungen vor, welche die Elementargebilde der Zellen betreffen. Tragen sie beide auch den Charakter vorläufiger Mitteilungen, so scheinen sie uns doch be- deutungsvoll genug um schon in dem diesjährigen Referate erwähnt zu werden. Sie heißen: Vorläufige Mitteilung über die Elementargebilde der Pflanzenzelle (Sitzungsberichte der kais. Akademie der Wissen- schaften in Wien. Math.-naturw. Klasse, Bd. XCIX, Abt. I, 1890, S.1—7. Versuch einerErklärung des Wachstums der Pflanzen- zelle (Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft, Bd. VIII, Heft 7, S. 196—201). Das Wachstum der Zelle und ihrer Teile erfolgt, wie die einen Botaniker annehmen, durch Zwischenlagerung kleinster Stoffteilchen, durch Intussuszeption, nach der Meinung anderer durch Anlagerung, durch Apposition. Nach dieser letztern Vorstellung soll das Flächen- wachstum in der starken nachträglichen Dehnung der durch Apposition entstandenen Teile beruhen. Wiesner sieht im Zellenwachstum eine dem Wachstum eines vielzelligen Organismus durchaus entsprechende Erscheinung. Sein Wachstum wird eingeleitet durch die Teilung der Zellen. „Die neu entstandenen Zellen dehnen sich aus und durch das Zusammenwirken der ihr Volumen vergrößernden Zellen gewinnt das Organ seine Ge- stalt, vergrößert seine Oberfläche, wächst in die Dieke, Länge und Breite...“ Analog vollzieht sich das Wachstum der Zelle ohne sicht- bare Einschiebungen ‚von außen. Wiesner stellt seinem Erklärungsversuche zwei Voraussetzungen voran: Ein lebender, der Zelle zugehöriger Körper kann nicht aus toter Materie entstehen, z. B. also ein Zellkern aus Eiweiß. Inner- halb des Organismus geht Lebendes nur aus Lebendem, 268 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Örganisiertes nur aus Organisiertem hervor. Die zweite Voraussetzung ist die, „dass kein anderer Modus der Neubildung im Organismus stattfindet als der der Teilung. .. Die Teilung ist mit dem Werden aller Lebewesen so verknüpft, dass die Annahme, sie spiele vielfach auch dort eineRolle, wo wir mit unsern beschränkten Mitteln ihre Wirksamkeit noch nicht nachweisen können, wohl berechtigt sein dürfte“. Aus diesen beiden Voraussetzungen folgt, dass die Neubildung durch innere Teilung erfolgt. Denn das Plasma ist kein chemi- sches Individuum, charakterisiert durch eine bestimmte Molekular- struktur, sondern ein organisiertes Gebilde „Die Organisation aber repräsentiert, wie schon Brücke in seiner bedeutungsvollen Schrift „Die Elementarorganismen“ betonte, einen für die lebenden Teile des Organismus spezifischen Bau, welcher mit dem innern Gefüge eines chemischen Individuums ebensowenig verglichen werden kann, als sich ein aus Zellen zusammengesetztes Organ mit dem innern Bau irgend eines unbelebten Körpers vergleichen lässt“. Dem- nach haben wir uns die lebende Substanz der Pflanze als eine Zu- sammensetzung kleinster organisierter Individualitäten zu denken, die teilungsfähig sind. Es muss ihnen aber auch die Fähigkeit zu wachsen inne wohnen. Sie müssten ohne dieses infolge der Teilung schließlich so weit zerfallen, dass sie nicht mehr als organisierte Individuen betrachtet werden könnten. Wachstum aber setzt die Fähigkeit der Assimilation voraus. Wiesner nennt diese einfachsten Elementarorgane der Zelle Plasomen. Die Möglichkeit des Vorkommens einfachster organisierter Elementargebilde hatte schon Brücke eingeräumt. Für das Vorhandensein derselben als der der Zelle untergeordneten Formelemente im pflanzlichen Organismus nimmt Wiesner folgende Thatsachen in Anspruch. Die Inhaltskörper der Pflanzenzelle z. B. die Chlorophylikörner, „welche gleich den Zellen assimilieren, wachsen und sich durch Tei- lung vermehren“, lassen uns erkennen, dass die Zellen nicht die letzten Formelemente der Pflanzen bilden können. Die kleinen protoplasmatischen „Anlagen“, aus denen die Chlorophyllkörner entstehen, aus denen die Stärkekörner werden ete., all diese An- lagen, deren gemeinsamer Charakter der ist, dass sie teilungsfähige Protoplasmagebilde sind, fasst Wiesner als Plasomen oder Gruppen solcher auf. Wohl sind sie sehr verschiedenartig. Aber diese Mannig- faltigkeit kommt ja auch dem „Elementarorganismus“ nach bisher gebräuchlieher Auffassung, der Zelle, zu. Das Plasom verhält sich zur Zelle analog wie die Zelle zum Gewebe. Auf unterster Stufe, bei den einfachsten Schizophyten, gleicht ein Plasom dem andern; auf einer höhern Stufe kennzeichnet sie eine Arbeitsteilung, sie lassen verschiedenartige Produkte entstehen. „Wenn aber die Zelle und ihre lebenden Teile aus Plasomen zusammengefügt sind, wie etwa ein Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. 269 Blatt aus Zellen sich zusammensetzt, so muss das Wachstum der Zelle ebenso durch das Wachstum ihrer Plasomen erfolgen, wie ein vielzelliges Organ infolge der organischen Volumsvergrößerung seiner Zellen wächst“. Wie aber vollzieht sich das Wachstum der Plasomen? Als Teile des Plasmas kommt ihnen auch die Kohäsion desselben zu. Sie sind also durch leichte Verschiebbarkeit der Teilchen ausgezeichnet. „Auf dem Wege der Diffusion und Absorption treten Wasser und gelöste feste Körper, bezw. Gase in diese Körperehen (die eben ge- teilten Plasomen) ein und werden daselbst assimiliert, wobei die festen Assimilationsprodukte das Volumen des Plasoms fixieren“. Un- beantwortet bleibt hierbei die Frage, wie im Plasom die eintretenden oder gebildeten chemischen Individuen organisiert werden, wie also „die toten Bausteine in die schon bestehende lebende Einheit sich so einfügen, dass dieselben unter den Bedingungen ihrer Existenz in einem bestimmten Zeitpunkte aufgehoben wird und Teilung eintritt“. Die in oder an der Zelle sich abspielenden Teilungsvorgänge beruhen nach Wiesner auf der Teilungsfähigkeit der Plasomen. Teilt sich z. B. das Plasma als Ganzes, dann ist es eine Schichte von Plasomen, in welchen sich die Teilung vollzieht. Wachstum des Plasmas und der Plasomen sind dem Wesen nach verschieden. Er- gänzt das Plasom durch Wachstum seine Masse, so ist das Wachs- tum des Plasmas durch die Neubildung wachsender Plasomen be- dingt. Eine Mitbeteiligung der Volumenvergrößerung der Zelle durch Dehnung ist nicht ganz ausgeschlossen. Sie kann im gleichen Sinne beteiligt sein, „wie beim Wachstum eines aus Zellen bestehenden Organes“, hervorgerufen durch den Gesamtdruck des Cytoplasmas. Ueber die physiologischen Funktionen der Phosphorsäure. Von ©. Loew, Privatdozent an der Universität in München. Die Frage, warum die Phosphorsäure für pflanzliches wie tierisches Leben so überaus wichtig ist, hat die Physiologen vielfach beschäftigt. Als man fand, dass der für Zellteilung und Fortpflanzung so wichtige Zellkern aus einer Verbindung von einem Eiweißstoff mit Phosphor- säure, dem Nuklein!) besteht, war man einen erheblichen Schritt 1) Vergl. A. Kossel, Die Nukleine und ihre Spaltungsprodukte. Straß- burg 1881; Leo Liebermann, Ber. d. deutsch. chem. Gesellsch., 21, 589; E. Zacharias, Botan. Ztg., 1887, S. 282 und 1888 Nr. 28 u. 29. Merkwürdig ist ein Gehalt der Nukleine an Basen der Xanthingruppe. Den Nukleinen ähnlich, vielleicht nur ein polymeres Nuklein, ist das chemisch noch wenig studierte Plastin, welcher in den Zellen nach Behandlung mit Pepsin - Salz- säure und darauf folgender Extraktion des Nukleins mit Soda zurückbleibt; es ist gegen Alkalien und Säuren resistenter als Nuklein und enthält nach Reinke Phosphorsäure. Vergl. hierüber E. Zacharias, Botan. Zeitg., 1887, Nr. 18—24. 270 Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. vorwärts gekommen. Doch bleibt noch dunkel, warum gerade eine solche Verbindung sich besser zum Aufbau des Zellkerns eignet, wie z. B. ein hochpolymerisierter Eiweißkörper für sich. — Erklärlich wird aber, dass bei der Entwicklung der Pflanzen „der Phosphor stets den Eiweißstoffen folgt“. Denn wenn aus den Phosphaten in der Pflanze das unlösliche Nuklein gebildet wird, so müssen nach den Gesetzen der Osmose stets dahin neue Mengen von Phosphaten strömen, wo dieselben aus der Lösung verschwinden. Also müssen in den Teilen der Pflanze in denen Wachstum und Zell- teilung resp. Neubildung von Zellkernmasse am lebhaftesten statt- findet auch relativ die größten Mengen Phosphorsäure in der Asche gefunden werden. So hat Weber z.B. bei den peripherischen Teilen des Buchenstammes mehr Phosphorsäure in der Asche gefunden, als bei den zentralen Teilen, während für Kali das Umgekehrte gefunden wurde). Liebig schrieb der Phosphorsäure eine Rolle beim Eiweißbildungs- prozess zu: „Die verbrennlichen Teile der Samen sind reich an Stick- stoff, alle Samenaschen enthalten Phosphorsäure; die Untersuchungen von Mayer, Fehling und Faist haben mit Bestimmtheit dargethan, dass zwischen diesen beiden Samenbestandteilen, dem stiekstoffhal- tigen oder Blut bildenden Stoffe und der Phosphorsäure ein Verhältnis der Abhängigkeit besteht; mit der Zu- oder Abnahme an dem einen wächst oder vermindert sich die Menge des andern Bestandteiles, so dass wir uns die Bildung des stickstoffhaltigen Stoffes ohne die Gegen- wart und Mitwirkung der Phosphorsäure nicht denken können“). Spätere Untersuchungen haben freilich gezeigt, dass das Ver- hältnis von Phosphorsäure zum Stickstoffgehalt bei verschiedenen Pflanzensamen kein so konstantes ist, wie man anfänglich glaubte). So wurde dasselbe bei Leguminosensamen zwischen 1:4 und 1:6 schwankend gefunden, beim Roggen zwischen 1:2,0 und 1:2,3, bei den Weizenkörnern zwischen 1:2,3 und 1:3,3. Welche Phosphorsäureverbindung Liebig als beim Eiweißbildungs: prozesse thätig vermutete, geht aus seinen Aeußerungen nicht hervor. In den Samen ist die Hauptmenge der Phosphorsäure in Form an- organischer Phosphate abgelagert; ein kleiner Teil ist als Nuklein’ der Zellkerne und als Leeithin vorhanden, wohl auch als Pflanzen- kasein, dessen Phosphorsäuregehalt nach Ritthausen wesentlich ist. Der Umstand aber, dass Phosphate im Samen abgelagert sind, lässt viel eher Schlüsse auf den Bedarf für den sich entwickelnden Embryo 4) Robert Hartig und Rudolf Weber, Das Holz der Rotbuche. Berlin 1888, 2) Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultnr und Physiologie, 7. Aufl., 1.8.9: 3) Vergl. Detmer, Physiologie des Keimungsprozesses $. 92 und Ritt- hausen und Pott, Landw. Versuchsstationen, XVI, 398. Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. Dr als auf die Mitwirkung beim Eiweißbildungsprozess im reifenden Samen zu. Die Aufspeicherung ist notwendig zur Bildung des Nukleins; dass ferner Proteinstoffe und Phosphate in nur mäßig schwankenden Proportionen zu einander aufgespeichert werden, dürfte am ehesten als eine Anpassungserscheinung aufzufassen sein. In den Zellen steht die Nukleinmenge (resp. der Zellkern) auch in einem gewissen Verhältnis zum Cytoplasma-Eiweiß und wenn die Bedingungen eines normalen Wachstums bei dem sich meist sehr rasch entwickelnden Embryo erfüllt sein sollen, wird auch das Verhältnis zwischen Phos- phaten und Proteinstoffen kein ganz unbestimmtes sein dürfen. Die Phosphate, primäre und sekundäre, mögen zum Teil mit den Proteinstoffen chemisch verbunden in den Samen abgelagert sein, was bei der dreibasischen Natur der Phosphorsäure leicht begreiflich wäre. Wahrscheinlich sind aber diese Verbindungen nur lockere, schon durch viel Wasser zersetzbare, da die basischen Eigenschaften der Eiweißkörper nur schwach ausgeprägt sind Für die Existenz jener Verbindungen spricht z. B. die Beobachtung, dass die Gegen- wart von Dinatriumphosphat die Fällung von Albuminatlösungen beim Ansäuern verhindert. Wir wissen ferner, dass beim Fleischansatz im Tiere stets Phosphate mitgespeichert werden, welche in Hungerperioden neben dem Stickstoff der zersetzten Eiweißkörper im Harne wieder erscheinen!). Diese Speicherung der Phosphate bringt mancherlei Vor- teile für das Tier mit sich. Dass die Körnerproduktion aufs Innigste mit der Phosphatzufuhr zusammenhängt, ist seit lange bekannt, aber nicht der Grund dieser Erscheinung?). Die Erklärung wäre einfach, wenn sich die Ansicht von Sehmitz und Strassburger bestätigen würde, dass dem pflanz- lichen Zellkerne auch die Funktion der Eiweißbildung zukäme. Die Rolle der Phosphorsäure würde in der Ermöglichung der Bildung des aktiven Nukleins®) des Zellkerns bestehen, welcher durch seine 4) Im Muskelfleische ist das Verhältnis von Phosphorsäure zum Stickstoff wie 1:7; im Hungerharne steigt jedoch die Phosphorsäure relativ an, weil wie Munk zeigte, sich auch das Knochengewebe beim Umsatz beteiligt; siehe Biol. Centralblatt, VII, 372. 2) Vergl. Lehrbuch der Agrikulturchemie v. A. Mayer, 3. Aufl., I, 253, Anmerkung. — In der ganzen organischen Chemie ist keine einzige Thatsache bekannt, wonach die freie Phosphorsäure chemische Umsetzungen herbeiführen könnte verschieden von denen der Salz- oder Schwefelsäure. Und was phosphor- saure Salze der Alkalien betrifft, so bemühte ich mich vergebens, einen Ein- fluss derselben auf verschiedene chemische Vorgänge zu erkennen. Ich ließ z. B. eine 2proz. Formaldehydlösung mit 5proz. Dikaliumphosphat 3 Monate lang stehen, ohne eine Spur von Zuckerbildung zu beobachten, während Kalk- hydrat schon nach 3—4 Tagen diese bewerkstelligt. Auch bei Versuchen mit stickstoffhaltigen Körpern war ich nicht glücklicher. — 3) Dass das Nuklein des lebenden Kernes einen labilen Eiweißkörper enthält, der beim Absterben der Zelle verändert wird, ist eine logische Folge- rung aus verschiedenen Thatsachen. 272 Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. energische Atombewegungen diejenigen Reduktionen, Spaltungen und Kondensationen herbeiführen könnte, welche schließlich zum Molekül des aktiven Eiweißstoffs führen. Jene Rolle wäre daher eine indirekte oder sekundäre. Für die Ansicht von Schmitz und Strassburger ließe sich anführen, dass auch die zu den Eiweißstoffen gehörenden Enzyme vom Kerne secerniert werden. Bruno Hofer!) fütterte Amöben mit Paramäeien und teilte sie dann in kernlose und kernhaltige Stücke; letztere verdauten das Futter, erstere nicht, obgleich sie noch längere Zeit fortlebten. Frei- lich ist es eine geringere chemische Leistung für die Zellen, Enzyme aus Eiweißstoffen herzustellen, als die Eiweißstoffe synthetisch zu bilden ?). Größere Mengen von Nuklein werden von Spross- und Schimmel- pilzen ?) gebildet, welche wie die Spaltpilze zur energischen Aus- übung ihrer spezifischen Thätigkeiten einer bedeutenden Zufuhr von Phosphaten bedürfen. Möglicherweise hängt die Gärthätigkeit der Spross- und Spaltpilze, sowie die große Oxydationstüchtigkeit der Schimmelpilze mit dem Nuklein zusammen. Abgesehen von der Knochenbildung bei Wirbeltieren spielt die Phosphorsäure aber noch eine andere wichtige Rolle und zwar in der Form von Leeithin. Man hat diesen Körper im Hirn, Nerven, Eidotter, in den Blutkörperchen, in tierischen wie pflanzlichen Fetten ®), in den Samen der Phanerogamen ebensogut wie in Algen und Pilzen nachgewiesen. Die Reindarstellung aus pflanzlichen Objekten (Wieken- und Lupinensamen) gelang aber erst vor Kurzem E.Schulze?°). Aus Eidotter wurde das Leeithin schon i. J. 1847 von Gobley ge- wonnen®). Ueber die Rolle des Leeithins ist noch nichts Sicheres bekannt. Meiner Ansicht nach ist wohl die plausibelste Annahme die, dass die physiologische Verbrennungdes Fettes durch das Leeithin ermöglicht, oder wenigstens erleichtert wird. Das 4) Sitzungsberichte der Gesellschaft für Morphologie und Physiologie in München, 1889, S. 59. 2) Es ist in dieser Hinsicht die oft bedeutende Größe der Zellkerne in Drüsen einerseits, in den Meristemzellen anderseits von einigem Interesse. 3) Stutzer, Zeitschrift für physiol. Chemie, VI, 573. 4) Stellwag (Landw. Versuchsstat., XXXVII, 136) fand z. B. im Fett der Kartoffel 3,07 pCt., im Fett der Erbsen aber 27,37 pCt. Leeithin. Ueber Leecithin- bestimmung vergl. auch E. Schulze, Zeitschr. f. phys. Chemie, XIII, 382. 5) Berichte der deutsch. chem. Gesellsch., XIV, 71. 6) Eine dem Lecithin nahestehende weitere Phosphorverbindung, Jecorin genannt, wurde i.J. 1886 von E. Drechsel in der Leber entdeckt und später von Baldi auch im Hirn, Blut, Milz und Muskel nachgewiesen. Ber. Sächs. Akad. d. Wiss., Febr. 1886 und Archiv f. Anat. u. Physiol., 1888, S. 100. Die von Liebreich Protagon genannte phosphorhaltige Substanz des Gehirnes ist nach Hoppe-Seyler ein Leeithin -haltiges Gemenge. Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. 25 Leeithin besteht bekanntlich aus Fettsäuren, Glyzerin, Phosphorsäure und Cholin. Wir wollen der Einfachheit halber die Fettsäureradikale mit (/), den Cholinrest mit (ch) bezeichnen, die allgemeine Formel wird dann: CH,—0—(f) | CH-0-g), OH 7 en oe O— (ch) Wenn wir uns nun denken, dass die Fettsäuren (/) wegoxydiert werden, so können stets neue Moleküle Fettsäuren aus zerlegten Fetten in die freigewordenen Stellen eintreten!) und von Neuem zur Verbrennung gelangen. Das Leeithinmolekül erscheint quasi als eine Maschine, in welcher die Fettsäuren in einem leicht verbrennlichen Zustand dem Protoplasma dargeboten werden. Der Grund, warum die physiologische Verbrennung der höheren Fettsäuren in der Leeithinform weit leichter stattfinden kann als in Form von Neutralfetten oder freier Säuren, liegt nahe. Während diese in Wasser unlöslich sind, daher nicht fein genug verteilt werden können, hat das Leeithin wie bekannt die Eigenschaft in Wasser aufzuquellen. Ja das Leecithin ist sogar in Wasser etwas löslich. Wenn man mit Wasser aufgequollenes Leeithin mit viel Wasser gut schüttelt, und das schwach opalisierende Filtrat mit starker Salzsäure versetzt, so bemerkt man sofortige Trübung und nach mehr- stündigem Erwärmen ausgeschiedene beim Erkalten erstarrende Oel- tröpfehen, welche aus den abgespaltenen Fettsäuren bestehen. Auch die klare Lösung des Weißen von Hühnereiern enthält etwas Leeithin gelöst. Dass ein Körper im gelösten Zustande dem Protoplasma dar- geboten werden muss, wenn er ausgiebig veratmet werden soll, wird am besten durch das Verhalten des tierischen und der pflanzlichen Cholesterine illustriert. Diese stetigen Begleiter der Fette, welche bei der Verbrennung mehr Kalorien liefern würden, wie die Fette, unterliegen doch nicht dem Verbrauche?); jedenfalls deshalb nicht, weil in den Zellen keine löslichen Verbindungen desselben entstehen ?). Gerade diese Beständigkeit aber mag das Cholesterin 1) Man findet bekanntiich häufig in den pflanzlichen Fetten Beimengungen freier Fettsäuren. So enthält z. B. nach Stellwag (l. e.) das Erbsenfett 11,22 pCt., das Kartoffelfett 56,92 pCt., das Gerstenfett 14,0 pCt. freier Fett- säuren. 2) Vergl. E. Schulze und J. Barbieri, Ueber das Verhalten der Cho- lesterine bei der Keimung. Journ. f. prakt. Chemie, XXV, 159 und Landw. Versuchsstationen, XXXVIJ, 416. 3) Die Cholesterine dürften am ehesten als Nebenprodukte bei der Fett- bildung aus Zucker aufzufassen sein. Da nun Zucker (resp. Fett) auch aus XI, 18 274 Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. im Tierkörper zu andern Funktionen sehr wertvoll machen; der hohe Gehalt von 51 Prozent in der trocknen weißen Substanz des Gehirns gibt jedenfalls zu denken. — Es ist gewiss eine interessante Thatsache, dass da wo ein recht lebhafter Atmungsprozess eingeleitet wird, auch das Leeithin in größeren Mengen vorhanden ist. Gerade die Eier und Keimlinge sind reich daran. Maxwell fand vor Kurzem, dass der Leecithingehalt während der Keimung beträchtlich zunimmt), so bei Phaseolus von 0,933 pCt. des Gehalts im Samen auf 3,230 pCt. bei dem Stadium der Plumula- Entwicklung; im Baumwollsamen von 0,94 pCt. auf 2,00; bei Mais von 0,186 auf 0,319 pCt. Da 75 Teile des gekeimten Materiales durch- schnittlich aus 100 Teilen der reifen Samen (beide auf wasserfreiem Zustand berechnet) hervorgegangen sind, so vermehrte sich also die Leeithinmenge auf circa das 2!/,fache bei Phaseolus. Dass es hier aus den Phosphaten der Samen und dem Neutralfett derselben behufs leichterer Verbrennung des Fettes entstanden ist, dürfte wohl nicht zu bezweifeln sein. Dass das Leeithin in Tieren dem Verbrauche leicht unter- liegt, zeigt eine neuere Mitteilung von Heffter über die Abnahme des Leeithins in der Leber beim Hungerzustand ?). Wenn wir in den Blutkörperchen zwar Leecithin aber kein Fett finden, so kann das wohl kaum als ein Argument gegen die Ansicht von der Leeithinbildung aus Fett benützt werden. Es wäre ja sehr wohl denkbar, dass in diesen Gebilden aus der zugeführten Glukose sofort Leeithin statt Neutralfett entstünde, was bei dem reichlichen Gehalte an Phosphaten im Blute nicht überraschen könnte. Nun ließe sich einwenden, dass bei den höheren Tieren die Fette vor ihrer Verbrennung in die löslichen Alkaliseifen übergeführt werden können, und die thatsächlich im Blute in geringer Menge aufgefundenen Seifen die Form seien, in welcher die höheren Fettsäuren zur Ver- brennung im Protoplasma gelangen. Wenn dieses richtig wäre, so müsste die Annahme gemacht werden, dass sich neue Mengen Seife nur in dem Maße bilden, als sie der Verbrennung unterliegen; denn ziemlich geringe Mengen Seife wirken nach Munck giftig und schon 0,14 & Oelsäure als Natronseife bringen bei einem Kaninchen das Herz nach 40 —50 Minuten zum Stillstand ?). Das Leeithin ist gegenüber den Seifen weit vorteilhafter für die höheren Tiere, es kann sich nicht über einen geringen Grad hinaus Proteinstoffen entstehen kann, so wäre die Auffassung mancher Forscher, dass die Cholesterine Stoffwechselprodukte der Proteinstoffe seien, ebenfalls richtig. 4) Chem. Centralblatt, 91, I, 365. Der Verf. bestimmte die Menge des Leeithins indem er nicht nur den P-Gehalt des Aetherextrakts, sondern auch des ätherlöslichen Teils des alkoholischen Extrakts berücksichtigte. 2) Chem. Centralblatt, 1891, I, 459. 3) Archiv f. Physiologie. Suppl. 1890. S. 116. Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. PA 6) in den Säften anhäufen, weil es nur einen geringen Löslichkeitsgrad besitzt. Bei niederen Tieren und bei Pflanzen ist aber nie eine Bildung von Alkaliseifen aus Fetten beobachtet worden und auch aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Die Unersetzlichkeit der Phosphorsäure durch andere Säuren beim Leeithinmolekül ist leieht zu erklären aus ihrer dreibasischen Natur. Für die Bildung von Leeithin und Nuklein ist sie aber noch durch ihre große Beständigkeit wertvoll. Nitrate und Sulfate können von pflanzlichen, Arseniate auch von tierischen Zellen reduziert werden, Phosphate aber niemals. Von einem Ersatz der mit starken Affinitäten begabten Phosphorsäure durch viel schwächere Säuren wie Bor- oder Kieselsäure kann ohnedies nicht die Rede sein. — Im Nuklein ist nach Leo Liebermann!) nicht die dreibasische oder Orthophosphorsäure, sondern die einbasische oder Metaphosphor- säure enthalten und es gelang sowohl ihm als Pohl?) aus Eiweiß und Metaphosphorsäure einen Körper von den wesentlichen Eigenschaf- ten der Nukleine (Unverdaulichkeit, Färbevermögen mit Karmin cete.) zu gewinnen. Haben nun die Phosphate noch irgend welche andere Wirkungen auf Pflanzenzellen, als diejenigen, welche sich aus der Bildung von Nuklein, resp. eines gut ernährten und gut funktionierenden Zellkernes erklären lassen, oder sich aus der Gegenwart von Leeithin ableiten ? Ueber diese Frage konnte man möglicherweise Aufschluss erhalten bei Züchtung von Pflanzen in phosphathaltigen und phosphatfreien Nährlösungen. Alles was man über die Wirkung des Phosphatmangels weiß, beschränkt sich darauf, dass hiebei eine Pflanzenentwicklung entweder nieht oder in nur sehr untergeordnetem Grade möglich ist. Raulin züchtete Aspergillus niger in Nährlösungen mit und ohne Phosphorsäure und fand, dass im letzteren Falle die Ernte nur !/goo der ersteren betrug?). Ueber Versuche mit Sprosspilzen äußert sich A. Mayer): „eine irgendwie mächtige Entwicklung der Gärung und der Hefepilze ist nur möglich, wenn wenigstens Phosphorsäure neben dem Kali gegeben wird. Die Gärung erlahmt jedoch nach einiger Zeit, wenn nicht auch für Zufuhr von Magnesiumsalzen Sorge getragen wird“. — Der Effekt des Phosphatmangels auf höher stehende Pflanzen ist ebenfalls nur in seinem Endresultat bekannt; nie hat man gesucht, die primären Folgen an lebenden Pflanzenzellen zu verfolgen und mit dem Mikroskop die Störungen zu beobachten, welche in erster Linie entstehen. Ein treffliches Objekt, um die gestellte Frage zu entscheiden, schien mir die Alge Spirogyra zu sein. Die Zellen können hier sehr 4) Ber. d. deutsch. chem. Gesellsch., XXI, 598. 2) Zeitschr. f. physiol. Chemie, XIII, 294. 3) Compt. rend., LVI, 229. 4) Lehrb. f. Agrikulturchemie, 3. Aufl., III, 149. 276 Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. gut mikroskopisch durchsucht werden, wenn die Chlorophylibänder nicht zu eng aneinander liegen, sie sind fähig relativ große Mengen aktives Eiweiß im nicht organisierten Zustand in Zellsaft und Cyto- plasma aufzuspeichern, die Zellen haben eine bedeutende Größe, so dass Unterschiede im Wachstum sehr leicht zu konstatieren sind und schließlich war ich seit vielen Jahren gerade mit diesen Objekten so sehr vertraut geworden, dass mir jede abnorme Erscheinung sofort auffallen musste. Ein solches einfaches Objekt versprach jedenfalls eher direkte Aufschlüsse, als eine hoch entwickelte Pflanze mit viel- fach differenzierten Geweben, wo die schließlichen Resultate nur das Endglied einer Reihe verwickelterer Vorgänge sein konnten. Die Spirogyren bedürfen nur sehr geringer Phosphatmengen, sie sind fähig, aus unglaublich verdünnten Lösungen die Phosphate. aufzunehmen und zu verwenden. Man sieht oft üppige Vegetationen in Tümpeln, in denen Phosphate nur in äußerst minimalen Spuren vorhanden sind. Bringt man sie nun in Nährlösungen in denen etwa 0,5 p. m. Mono- kaliumphosphat vorhanden ist, so gedeihen sie zwar anfangs weit besser alsim Freien, jedoch entwickelt sich bald eine so große Menge von Parasiten (Spaltpilze, Fadenpilze, Infusorien), dass die Kulturen wenig vorteilhaft aussehen. Dieser Uebelstand lässt sich indessen sehr bedeutend vermindern, wenn man relativ sehr wenig Algenmasse als Aussaat nimmt, die Temperatur ziemlich tief hält und die Menge der Phosphate weiter herabsetzt. Von mehreren Vorversuchen, welche zur Orientierung behuls Auffindung eines recht günstigen Nährstoffverhältnisses angestellt wurden, will ich nur folgenden erwähnen. Die Phosphat- Nähr- lösung enthielt je 1 p. mille Kalium- und Natriumnitrat, je 0,1 p. mille Caleiumnitrat und Magnesiumsulfat (kryst.) und 0,2 p. mille Mono- kaliumphosphat mit Spur Ferrosulfat. In der Kontrol-Lösung fehlte nur das Phosphat. Die Lösungen waren mit destilliertem Wasser hergestellt, von dessen Unschädlichkeit ich mich zuerst überzeugt hatte). Nach 3 Wochen zeigte sich, dass die Phosphatzellen (so will ich kurzweg die in der phosphathaltigen Nährlösung kulti- vierten Spirogyrenzellen nennen) der Spirogyra nitida erheblich länger waren als die Kontrolzellen und dass jene auch einen weit größeren Gehalt an oxalsauren Kalk besaßen als diese. Höchst auffallend erschien mir sofort die Thatsache, dass die meist kreuzweise ge- stellten Prismen desselben in der Nachbarschaft des Zellkerns, also im zentralen Teile der zylindrischen Zellen, teils im Cytoplasma, teils in den Plasmodiensträngen sich befanden. Es ließ sich somit einerseits eine intensivere chemische Thätigkeit bei den Phosphat- 4) Häufig enthält das destillierte Wasser minimale Spuren von aus dem Destillationsapparate stammenden Metallen, die schädlich wirken können, In reinstem destillierten Wasser hatte ich ohne jedweden Zusatz Spirogyren mehrere Wochen am Leben. Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. IT zellen folgern, anderseits aber, dass bei der Bildung der Oxal- säure der Zellkern einen Einfluss übt. Da nun immer wahrschein- licher wird, dass wenigstens ein großer Teil der Oxalsäure durch Wechselwirkung zwischen Zucker und Nitraten beim Eiweißbildungs- prozess entsteht, wobei in der ersten Phase die Nitrate in Ammoniak verwandelt werden und ihren Sauerstoff auf den Zucker werfen, diesen zu Oxalsäure (und andere organische Säuren) oxydierend!) — so gewinnt die oben zitierte Ansicht von Schmitz und Strassburger über die eiweißbildende Funktion des Zellkerns eine weitere Stütze. Bei dem schließlichen Hauptversuch verfubr ich wie folgt: In zwei je 5 Liter haltende Glasflaschen wurden je 2 Liter Nährlösung von folgender Zusammensetzung gebracht: Kaliumnitrat . . . 0,2 p. mille Caleiumnitrat . . . 0,2 p. mille Natriumsulfat . . . 0,1 p. mille 2) Magnesiumsulfat . . O,1p. mille) Ferrosulfat . . . .' Spur Eine der Lösungen erhält außerdem noch 0,1p.m. Monokalium- phosphat und manchmal wurden ein paar Blasen Kohlensäure in beide Flaschen, die mit Glasstöpsel verschlossen wurden, eingeleitet. Da eine andere Versuchsreihe über die Verwendung organischer Schwefelverbindungen für die Eiweißbildung in den Spirogyren mich in meiner Vermutung bestärkte, dass das Methylsulfid eine günstigere Schwefelquelle abgebe, als Sulfate ?), so setzte ich zu beiden Flaschen, um den Prozess der Eiweißbildung möglichst zu erleichtern, noch je 0,05 p. mille Methylsulfid. Dieser stark riechende Körper wird sogar noch in einer Konzentration von 1 p. mille von verschiedenen Algen ertragen. Die zu dem Versuche dienenden Spirogyra-Arten, Sp. nitida und Sp. Weberi wurden zuerst mit viel Wasser gewaschen, um Infusorien und Pilzsporen möglichst vollständig zu entfernen; dann wurde eine größere Partie Fäden zu einem Strange vereinigt und in 3 gleichlange Teile geteilt. Ein Teil diente zur Trockensubstanzbestimmung, er wog nach dem Trocknen bei 100° 0,022 g. Die andern beiden Portionen wurden in die Nährlösungen versetzt, welche zunächst 4 Wochen (Mitte Dezember bis Mitte Januar) bei einer Temperatur von 3—6° dann weitere 4 Wochen bei 10—12° stets im zerstreuten Tageslicht stehen blieben. Es ergab sich nun schon beim bloßen Anblick ein sehr großer Unterschied: Die Vegetation der Phosphatalgen nahm einen viel größeren Raum ein als die der Kontrolalgen und das schöne Dunkel- 1) Vergl. auch O0. Loew. Biolog. Centralblatt, X, 582. 2) Auf den Krystallwasser - haltigen Zustand bezogen. 3) Ueber diese Versuche werde ich später nach weiteren Studien berichten. 278 Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. srün der ersteren kontrastierte sehr mit dem Gelblichgrün der letzteren). — Kleine möglichst gleichgroße Portionen der Algen wurden nun beiden Flaschen behufs mikroskopischer Prüfung entnommen, während die Hauptmengen bei 100° getrocknet gewogen wurden. Das Gewicht betrug bei den Phosphatalgen fast doppelt so viel als bei den Kontrolalgen, nämlich 0,075 g gegenüber 0,039 g. Dass letztere an Gewicht zunahmen beruhte zum Teil sicherlich auf der Bildung einer ziemlich beträchtlichen Menge Stärkemehl, wovon bei der Aus- saat nur wenig vorhanden war. — Die mikroskopische Besichtigung ließ sofort einen sehr großen Unterschied in der Länge der Zellen erkennen, während der Durch- messer überall zwischen nahezu gleichen Grenzwerten schwankte. In beiden Fällen wurden 12 der längsten und 12 der kürzesten Zellen gemessen und der Durchschnitt genommen; das Resultat war bei Spirogyra nitida: | Phosphatzellen Kontrolzellen Länge im Maximum . . 483,0 u 265,3 u FR me NinImUme 330,5 „ 142,025 Breite im Maximum . . 100,0 „ 100,0 „ 3.0 htm. oo 80,50% 82,0 „ Bei Spirogyra Weberi ergab sich: Länge im Maximum . . 458,6 u 280,6 u 7 imoMinmumen BAD2n 203.055 Breite im Maximum . . 3050, | 32,0, „ im Minimum . . 255, | 25,0 , Das Längenmaximum der Kontrolzellen ist also noch weit ge- ringer als das Längenminimum der Phosphatzellen. Bei Spirogyra nitida ist die durchsehnittliche Länge der Kontrolzellen sogar nur halb so groß (203,6) als die durchschnittliche Länge der Phosphat- zellen (406,7 u). Die Gesamtzahl der Umgänge der 3—4 Chlorophylibänder der Zellen bei Spirogyra nitida schwankte zwischen 8 und 10 und zwar ergab sich hier kein Unterschied zu Gunsten der Phosphatzellen. Da aber letztere durchschnittlich doppelt so lang waren als die Kontrol- zellen, so konnte man den Zellkern hier gut beobachten, während 4) Außer den Spirogyren hatten sich noch zwei andere Algen eine Kon- fervenart und eine kleine Mougeotia in untergeordneten Mengen in beiden Flaschen entwickelt. Abgestorbene Fäden, Pilze und Infusorien waren im Ganzen wenig zahlreich. — Bei früheren ähnlichen Versuchen hatte ich die Vegetationszeit viel kürzer genommen, daher ein Unterschied in der Massen- zunahme weit weniger zu bemerken war. — Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. 2379 bei den kurzen Kontrolzellen die Windungen so eng aneinander lagen, dass man nur selten etwas vom Zellkern zu sehen bekamt). Bei mangelhafter Ausbildung des Zellkernes wäre das verringerte Wachstum und die langsamere oder unterbliebene Zellteilung leicht begreiflich. Wie das Wachstum aufs engste an den Zellkern ge- bunden ist, hat Klebs vor einigen Jahren bereits an der Alge Zygnema gezeigt, bei welcher es ihm gelang kernlose Stücke herzu- stellen und dieselben längere Zeit am Leben zu erhalten?). Dieser Forscher bemerkt noch: „und wenn die kernlosen Stücke vielleicht ein wenig am Gesamtvolumen zuzunehmen schienen, so er- klärte sich das wohl ausreichend durch das große in ihnen aufge- speicherte Stärkematerial“. Wie bei den Versuchen von Klebs also die Stärkebildung durch den Mangel des Zellkernes nicht litt, so beobachtete ich ebensowenig einen Einfluss bei der mangel- haften Zellkernernährung: die Kontrolzellen schienen fast noch mehr Stärkemehl aufgehäuft zu haben als die Phosphatzellen. Der Gerbstoffgehalt, welcher bei Beginn des Versuchs sehr gering war, wurde in beiden Fällen ein verschwindendes Minimum; die Spirogyra Weberi wies sogar in den meisten Zellen keine Spur mehr auf. Bei Spirogyra nitida bläuten sich bei mehrtägigem Liegen in Eisenvitriol nach vorheriger Behandlung mit Koffein nur die Proteo- somen des Zellsaftes, nicht aber die des Cytoplasmas. Wie Bokorny und ich bereits früher mitgeteilt haben, kann man in speziellen Nähr- lösungen auch die letzten Spuren Gerbstoff durch Begünstigung des Eiweißbildungsprozesses zum Verschwinden bringen 3), Was die Fettreaktion betrifft, so gaben die Phosphatzellen nach 12stündigem Aufenthalt in 1prozentiger Ueberosmiumsäure nur selten eine stärkere Reaktion, meist nur schwache Graufärbung; die Kontrolzellen aber gaben in der Regel so intensive Schwärzung, dass das Chlorophyliband nicht mehr zu erkennen war. Bei denjenigen Kontrolzellen, welche etwas weniger intensive Reaktion zeigten, schien es, als ob jene minimalen nur bei 1000 facher Vergrößerung sichtbaren Partikeln, welche im strömenden Plasma die Körnchen bilden, sich stärker geschwärzt hätten, als der Rest des Plasmas, was Fett- speicherung vermuten lässt. — Der Grund jenes auffallenden Unterschiedes im Fettgehalte der Zellen bei An- resp. Abwesen- heit von Phosphaten mag entweder darin liegen, dass bei der be- deutenden Streckung der Phosphatzellen der aus dem Stärkemehl gebildete Zucker zur Cellulosebildung diente, während die entsprechende Menge bei den im Wachstume gehinderten Kontrolzellen in Fett um- gewandelt wurde — oder dass bei der durch Phosphatzufuhr be- 1) Ich beabsichtige daher, an besseren Objekten zu untersuchen, wie weit die Größe des Zellkerns von der Phosphatzufuhr abhängig ist. 2) Biol. Centralblatt, VII, 161. 3) Biol. Centralblatt, XI, 4. 280 Loew, Physiologische Funktionen der Phosphorsäure. günstigten Umwandlung von Fett in Leeithin das Fett leichter zur physiologischen Verbrennung gelangte, als in den Kontrol- zellen. Möglicherweise wirkten beide Umstände zusammen. Wie ver- hielt es sich nun mit der Eiweißbildung? Die Spirogyren häufen für gewöhnlich viel aktives Eiweiß in Cytoplasma und Zellsaft auf, bevor dasselbe in Organe (Plasmahaut, Plasmodienstränge, Zellkern, Chloro- phylikörper) verwandelt wird. Dieses nichtorganisierte aktive Eiweiß lässt sich mit Koffein in Kugeln ausscheiden, welche mit- einander verschmelzen !). Bei 4stündiger Einwirkung einer kalt ge- sättigten Koffeinlösung ergab sich nun, dass die Kontrolzellen weit mehr aktives Eiweiß aufgespeichert hatten, als die Phosphatzellen?); der Unterschied war besonders groß im Cytoplasma. Bei Anwesenheit von Phosphat fand also Umbildung des größten Teiles des aktiven Albumins in organisierte Materie statt; aus formlosem Stoff wurde geformter da, wo dem Zell- kerne Gelegenheit gegeben war, durch Nukleinbildung zu wachsen und damit auch Wachstum und Teilung der Zellen herbeizuführen. Bei Abwesenheit von Phosphat war keine Neubildung von Nuklein möglich, daher baldiges Nachlassen, resp. Aufhören speziell jener Zellkernfunktionen und deshalb Anhäufung des gebildeten Eiweiß- stoffes °). Dass die Synthese von Eiweißstofft auch bei ‚Ausschluss der Phosphate, also in den sich nicht mehr teilenden Zellen (bis zu einem gewissen Sättigungsgrad) fortdauern kann, wurde zwar in unserm Falle aus der Zunahme der Koffeinreaktion bei den Kontrolzellen wahrscheinlich *), ergibt sich aber noch deutlicher aus einigen andern Versuchen: Spirogyra Weberi wurde zuerst in einer phosphathaltigen Nährlösung) gezüchtet, bis unter bedeutender Streckung der Zellen sämtliches aufgespeichertes aktives Eiweiß verbraucht war, so dass Koffein keine Proteosomenbildung mehr hervorrief, was nach 2 Wochen der Fall war. Nun wurden die Fäden nach dem Waschen in eine 1) Vergl. Loew u. Bokorny. Biol. Centralblatt, XI, 1. 2) Der Abschätzung nach mindestens 3—4 mal so viel. 3) Dieser Zustand kann auch bei Anwesenheit von Phosphaten unter gewissen Bedingungen eintreten z. B. bei Zusatz von 0,5 pCt. Chlor- natrium zu obiger phosphathaltiger Nährlösung. Die Zellen von Spirogyra nitida zeigten hiebei nach 3 Wochen selten mehr als 260 # Länge und lieferten reichliche Proteosomenbildung mit Koffein. Während also dieser Salzgehalt die Zellkernfunktionen verlangsamt, tritt hiebei noch keine Schädigung der Assimilation ein, wie das bei höheren Pflanzen von Schimper beobachtet wurde (Preuß. Akad. Ber., Juli 1890). Entstärkte Spirogyren bildeten unter diesen Verhältnissen bald reichlich Stärke. 4) Bei solchen Vergleichsversuchen fixiert man nach 4stündiger Koffein- wirkung mit Ueberosmiumsäure und bewahrt die Präparate in Wasser bei Canada - Balsamverschluss auf. 5) Diese enthielt je 0,5 p. m. Caleiumnitrat, Magnesiumnitrat und Magnesium- sulfat und 0,1 p. m. Monokaliumphosphat mit Spur Eisenvitriol, Loew, Physiologische Funktionen des Phosphorsäure. 281 phosphatfreie Nährlösung!) gebracht, worauf schon nach 10 Tagen mit Koffein wieder gespeichertes aktives Eiweiß in Zellsaft und Cytoplasma nachgewiesen werden konnte. Auch bei Versuchen über Eiweißbildung in Algenzellen aus form- aldehydschwefligsaurem Natron (wobei nach 4 Wochen dauerndem Aufenthalt im Dunkeln der Stärkevorrat kaum angegriffen wurde) habe ich reichliche Eiweißspeicherung bei Ausschluss von Phos- phaten beobachtet?). Von den Versuchen, die ich über Eiweißbildung aus formaldehyd- schwefligsaurem Natron bei Lichtzutritt und Gegenwart von Phosphaten machte, erwähne ich noch folgende zwei: In einer Nährlösung, welche hergestellt wurde mit reinstem destillierten Wasser und je 0,5 p. m. formaldehydschwefligsaurem Natron und Mononatrium- karbonat, ferner je 0,2 p. m. Caleium- und Magnesiumnitrat und je 0,05 p. m. Monokaliumphosphat und Eisenvitriol entwickelten sich Spirogyren überaus schön und üppig und Koffein brachte selbst nach mehreren Wochen noch reichliche Proteosomenbildung hervor, so dass man schließen konnte, dass die Eiweißbildung mindestens ebenso energisch fortging als die Organbildung. — Bei Steigerung der Phosphor- säuremenge aber war dieses Verhältnis geändert. Dieselbe Spirogyra- Art (Sp. nitida) gab nach mehrwöchentlichem Aufenthalt in einer Nähr- lösung hergestellt mit je 1 p. m. formaldehydschwefligsaurem Natron, Dikaliumphosphat und Kaliumnitrat und Spuren von Caleium- und Magnesiumnitrat — nur sehr minimale Proteosomenbildung in den sehr gestreckten Zellen. Die Organisierung hatte also ein rascheres Tempo angenommen als die Eiweißspeicherung 3). — Zusammenfassung: Bei Zufuhr von Phosphaten wird Er- nährung des Zellkernes und damit Wachstum und Teilung der Zellen ermöglicht. Zellen von Spirogyren können zwar längere Zeit ohne Phosphatzufuhr leben und sowohl Stärkemehl als Eiweiß bilden, doch leidet Wachstum und Vermehrung. Die Ansicht, dass an- organische Phosphate sich bei dem Eiweißbildungsprozess beteiligen, findet in den Beobachtungen an Spirogyren keine Stütze. 1) Diese enthielt: 0,4p.m. Kaliumnitrat, 0,2 p. m. Natriumsulfat und 0,1 p.m. Caleiumnitrat mit Spur Eisenvitriol. 2) Botan. Centralblatt, Nov. 1890. 3) Bringt man Spirogyren, welche viel aktives Eiweiß aufgespeichert haben, in eine phosphathaltige Nährlösung, so kann man während der nächst- folgenden Tage eine rege Zellteilungsarbeit beobachten, welche sich erst mit der Verringerrung jenes Vorrates verlangsamt, wobei dann die Zellen vor der Teilung eine größere Länge erreichen. 282 Kraus, Das Kalkoxalat der Baumrinde. G. Kraus, Ueber das Kalkoxalat der Baumrinden. (Halle 1891.) Es gibt kaum eine Stelle in der Pflanze, wo soviel oxalsaurer Kalk angehäuft ist, wie in der Bastschicht der Bäume und Sträucher. Bei manchen Pflanzen kann derselbe !/, des Rindengewichtes aus- machen. Untersuchungen, die durch mehrere Vegetationsperioden reichen, setzen Verf. in die Lage, aussprechen zu können: „Das Rindenoxalat ist Reservestoff, wenn man anders darunter einen Körper versteht, der an bestimmten Orten in der Pflanze aufgehäuft, später nach Be- darf wieder in Gebrauch genommen wird.“ Nach einer Reihe angeführter analytischer Resultate verschwindet mit dem Erwachen der Vegetation im Frühling das Rindenoxalat zum guten Teil (bis zu 50°/,). „Was wird nun aus demselben? Es geht in Lösung und wird fortgeführt.“ Da in der Botanik oxalsaurer Kalk als unlösliches Salz an- gesehen wird, wenigstens als unlöslich in Pflanzensäuren, stellte Verf. Versuche über die Löslichkeit desselben an und fand, dass der oxal- saure Kalk gar nicht so unlöslich ist; er löst sich in den verschie- densten Pflanzensäuren, wie Wein-, Aepfel-, Zitronen-, Trauben-, Bernstein-, Fumarsäure u. s. w., freilich langsam und in geringem Grade; auch einige ihrer Salze wirken lösend. Wasser mit !/,o°/o einer Pflanzensäure bringt schon ganz auffällige Veränderungen her- vor; !/ooprozentige, Ja "/ioon prozentige Lösungen sind auch noch wirksam. Nach unseren dermaligen Kenntnissen von der Zusammensetzung des Zellsaftes wird also a priori fast jeder Zelle die Befähigung, Kalkoxalat zu lösen, zugeschrieben werden können. Dazu kommt noch, dass die die Krystalle umspülende Flüssigkeit in den Zeiten des Erwachens der Vegetation nicht in Ruhe gedacht werden darf. „Der Wasserstrom, der aus der Wurzel kommt, läuft nicht bloß im Holze, er fluthet in täglichen, ja unter Umständen stündliehen Oseillationen auch in der Rinde aus und ein.“ Hiedurch und durch das Fehlen eines eigenmächtigen Protoplasmakörpers in den Krystallzellen wird die Auflösung des Kalksalzes begünstigt. Th. Bokorny (Erlangen). Die Wurzelknöllchen der Leguminosen. Zusammenfassender Bericht über die gesamte diesbezügliche Litteratur mit besonderer Berücksichtigung der neueren. Von H. Kionka in Breslau. Schon seit langer Zeit beschäftigen sich die Botaniker eingehend mit dem Studium der eigentümlichen knöllchenartigen Gebilde, welche Kionka, Wurzelknöllchen der Leguminosen. 255 sich fast konstant an den Wurzeln fast aller Papilionaceen, der meisten Caesalpinaceen und Mimosaceen finden. Ihr Sitz ist meist seitlich an den Nebenwurzeln, doch befinden sie sich auch manchmal, z. B. regelmäßig bei der Lupine, an den Pfahlwurzeln. Ihre Größe schwankt von I mm bis 1 cm, ebenso ihre Form. Bald ist sie kuglig (bei Phaseolus), oval (Trifolium), bald handförmig (Vieia cracca), gelappt (Robinia), mantelartig, korallenartig verzweigt ete. — Ein Querschnitt durch ein derartiges Gebilde zeigt ungefähr Folgendes: Ein nach außen bräunlich gefärbtes verkorktes Rindengewebe aus flachen Zellen umschließt ein großzelliges Parenchym. In demselben fallen besonders einzelne Gruppen von Zellen mit einem feinkörnigen, gelblichen Inhalte auf, während die übrigen Parenchymzellen heller erscheinen und mit einer Menge kleiner, verschieden geformter Kör- perchen erfüllt sind. Neben diesen, übrigens hellglänzenden und deutlich konturierten Gebilden erscheinen noch andere blassere Körper von stäbchenförmiger Gestalt, welche auffällig an Bakterien erinnern. Häufig sieht man auch die Zellen des Parenchyms von hyphenartig verzweigten Plasmasträngen durchzogen, welche von dicken Wandbelegen ihren Ausgang zu nehmen scheinen. Diese wunderbaren Gebilde haben nun schon die mannigfachste Deutung gefunden. Zuerst beschreibt sie Marcellus Malpighi 1675 in seiner Anatomie der Pflanzen als eine Eigentümlichkeit der Wurzeln von Vicia Faba. Er hielt sie für Insektengallen. A. B. de Candolle sah in ihnen krankhafte Auswüchse; Treviranus!) sprach sie als schlafende Knospen an, die unter bestimmten Ver- hältnissen auswüchsen. Andere hielten sie für Saugorgane u. s. w. Im Jahre 1852 wurden zum ersten Male von Schlechtendal?) die bakterienähnlichen Körper bei Phaseolus beschrieben. 1866 fand sie Woronin?°) ebenfalls in den Knollen von Lupinus luteus und hielt sie für pflanzliche Parasiten. Dieser Ansicht trat Hoffmann) ent- gegen; doch fand bald darauf Erikson) bei Vicia Faba im Innern der parenchymatischen Zellen die Pilzhyphen, sodass die Auffassung dieser Knöllchen als Pilzgallen die allgemein herrschende wurde. Frank) benannte diesen Pilz in einer 1879 erschienenen Arbeit Schinzia — später Phytomysa — Leguminosarum. Nur mit geringen Modifikationen nahmen auch Kny”) und Prillieux®) die pilzliche 1) Botan. Zeitung, 1853, S. 593. 2) Botan. Zeitung, 1852, S. 893. 3) Ueber die bei der Schwarzerle und der Lupine auftretenden Wurzel- anschwellungen. Me&m. de l’Acad. de St. Pötersb., T. 10, Nr. 6, 1866. 4) Botan. Zeitung, 1869, S. 265. 5) Acta Univ. Lundensis, 1873, T. 10. 6) Botan. Zeitung, 1879, S. 377. 7) Botan. Zeitung, 1879, S. 537. 8) Bulletin de la soc. botan. de France, 1879. 254 Kionka, Wurzelknöllchen der Leguminosen. Natur der bakterienähnlichen Einschlüsse als sicher an. Ebenso hält sie de Vries!) für Pilze, jedoch sieht er in ihnen nicht die wesent- lichen Erreger der Knöllehen. Schindler?) glaubt, es finde in den Knöllehen eine Symbiose zwischen einem Pilz und der Leguminose statt. Er sowohl wie de Vries halten die Knöllchen für Eiweiß- bildner und Eiweißspeicher für die Pflanze‘ Der Annahme der pilzliehen Natur dieser Gebilde trat zuert 1885 Brunchorst?) entgegen. Er wies darauf hin, dass diese körnchen- artigen Organismen sicher nicht mit den von Erikson u. a. beob- achteten „Pilzbyphen“ zusammenhingen, da letztere bei Lupine z. B. stets fehlten, während sich doch regelmäßig die „Bakteroiden“, wie Br. die bakterienartigen Einschlüsse zuerst benennt, fänden. Hiermit fiele auch der Einwand von Prillieux, welcher ihre Entwicklung aus den „Plasmodiensträngen“ beobachtet hatte. Außerdem beobachtete Brunchorst selbst die Entwicklung der Bakteroiden aus den Zellen des Parenchyms durch Trübe- und Körnigwerden und Zerfall des Zellinhaltes. Hiernach könnte man an der Pilznatur dieser Gebilde nicht länger festhalten, sondern müsste wegen des konstanten Auftretens der Knölleben dieselben für normale Organe des Zell- plasmas halten. Und zwar sollten diese Knöllchen, vielleicht als Eiweißbildner, eine Bedeutung für die Ernährung der Pflanze haben, und die Bakteroiden wiederum die Vermittler dieser Funktion der Knöllehen darstellen. Während also Br. den Bakteroiden die Pilz- natur abspricht, ist er hingegen geneigt, die in den Knöllchen beob- achteten hyphenartigeu Fäden für Pilzformen anzusehen. — Diesem gegenüber stellt Hellriegel*) wieder den Satz auf, wir hätten in den Bakteroiden pilzliche Organismen vor uns, die sich auch im Boden vorfänden, und unter deren Einfluss die Assimilation des „ele mentaren Stiekstoffs der Atmosphäre“ vor sich gehe. Er stellte hier- bei folgende Versuche an: Lupinen wurden teils in sterilisiertem Boden, teils in sterilisiertem Boden, dem ein Auszug aus Ackererde, die mit Leguminosen bestanden war, zugesetzt war, kultiviert, und es ergab sich, dass die auf letztere Weise gezogenen Pflanzen kräftige Entwicklung und Knöllchenbildung zeigten, während diese bei den ersteren Pflanzen ausblieb und die Pflanzen selbst verkümmerten und zu Grunde gingen. — Dieser Behauptung Hellriegel’s, die Bak- teroiden seien pilzliche Organismen, traten wiederum Tschirch’) 1) Landw. Jahrb. v. Thiel, 1877, 8.233. 2) Botan. Centralblatt, 1884. Ä 3) Brunchorst, Ueber die Knöllchen an den Leguminosenwurzeln. Ber. d. deutsch. botan. Ges., 1885, S. 241. 4) Hellriegel, Ueber die Beziehungen der Bakterien zu der Stickstoff- ernährung der Leguminosen. Zeitschrift d. Ver. f. Rübenzucker - Industrie des deutsch. Reichs, 1886, S. 863. 5) Tsehirch, Beiträge zur Kenntnis der Wurzelknöllchen der Legumi- nosen (I). Ber. d. deutsch, botan. Ges., Bd. V, Heft 2, S. 58. ” Kionka, Wurzelknöllchen der Leguminosen. 285 und Benecke!) mit Entschiedenheit entgegen. Sie führten gegen die Pilznatur der Gebilde folgende Punkte an: 1) Es war bisher noch nicht gelungen, die Bakteroiden auf irgend welchem künstlichen Nährboden außerhalb der Pflanze zu kultivieren, und obligate bakterielle Parasiten an Pflanzen seien bis dahin noch nicht bekannt geworden. Außerdem könnten die Bakteroiden auch nicht zu derartig obligaten Parasiten rechnen, da man notwendiger- weise eine Infektion vom Boden aus, in dem sie also auch vorkommen müssten, annehmen müsste. 2) Spricht auch die variable Form der Bakteroiden gegen ihre Bakteriennatur; jedenfalls müssten sie, wenn sie wirklich Bakterien wären, einen besonderen, ganz neuen Formenkreis bilden. 3) Sind die Bakteroiden in den Knöllchen fast aller Legumi- nosenarten morphologisch von einander verschieden; man hätte es also hier mit einer großen Zahl spezifisch von einander verschiedener Bakterienarten zu thun, die sämtlich überall im Boden oder im Wasser vorhanden sein müssten. Thatsächlich sind aber bei den zahlreichen von den verschiedensten Forschern angestellten Bodenuntersuchungen niemals derartige auffällige Bakterienformen gefunden worden. 4) Müssten die Bakteroiden, wenn wirklich, wie Hellriegel meint, die Infektion vom Boden aus stattfindet, durch den Korkmantel der Wurzel in dieselbe eindringen, während grade dieser, ebenso wie die tierische Epidermis, einen bakteriensicheren Schutz für die Pflanze abgibt. Somit treten Tschirch und Benecke vollständig der Ansicht von Brunchorst bei, dass die Bakteroiden ein „schwammartig- differenziertes Plasma“ vorstellten, widersprechen aber der Auffassung Brunchorst’s, die Bacteroiden seien ein Ferment: „Fermente pfle- gen, wie Tschirch bemerkt, gegen Reagentien nur wenig beständig sich zu erweisen und selbst bei geringen chemischen Eingriffen der Zersetzung anheimzufallen.“ Die Bakteroiden aber gehören zu den gegen Reagentien resistenteren Eiweißkörpern, weshalb sie Tschirch der Gruppe der Pflanzencaseine anreiht. So schien über die Ansicht Hellriegel’s, die Bakteroiden stellten Formen eines pilzlichen Organismus dar, endgiltig der Stab gebrochen zu sein, als Ende 1888 ziemlich gleichzeitig mehrere Ar- beiten erschienen, welehe die Pilznatur der Bakteroiden außer allen Zweifel setzten. So wies Marshall Ward?) nach, dass bei Kul- turen von Vicia Faba in sterilisierter Nährlösung die Knöllchenbil- dung ausbleibt, jedoch sicher eintritt, wenn zersehnittene Knöllehen zwischen die Wurzelhaare gebracht werden, oder wenn Keimlinge zu diesen Kulturen benützt werden, welche vorher im Gartenboden 1) Benecke, Ueber die Knöllchen an den Leguminosen-Wurzeln. Botan. Centralblatt, Bd. XXIX, 1887, Nr. 2, S. 53. 2) Philosoph. Transaet., 1837, Vol. 178, B. p. 539. 286 Kionka, Wurzelknöllehen der Leguminosen. angekeimt und einige Tage darin belassen sind. Ferner hatte Hell- riegel mit Wilfarth!) zusammen Versuche über die Wirkung des Bodenaufgusses auf das Wachstum von Gramineen und Leguminosen angestellt. Hierbei kamen die Forscher u. a. zu folgenden Resul- taten: Ohne Bodenaufguss verkümmern die Pflanzen bei gleichzeiti- gem Fehlen von Nitraten, hingegen gedeihen die Leguminosen in einer Nährlösung ohne Nitrate, aber mit Bodenaufguss, während die Gramineen verkümmern. Kocht man den Bodenaufguss längere Zeit, so verliert er seine Wirkung vollständig. Auch ohne Nitrate und ohne Bodenaufguss vermögen unter Umständen die Leguminosen normal zu wachsen, wenn man nämlich den zufälligen Zutritt von Pilzsporen aus der Luft nicht sorgfältig verhindert. Es haben also die Leguminosen an sich nicht die Fähigkeit, den freien Stickstoff der Atmosphäre zu assimilieren, sondern es ist hierzu die Betheili- gung von lebensthätigen Mikroorganismen im Boden nötig, welche in ein direktes symbiotisches Verhältnis mit den Pflanzen treten müssen. Zugleich zeigten die Versuche, dass die Wurzelknöllchen nur in Nähr- lösung mit nicht sterilisiertem Bodenaufguss auftraten, während sie sich in sterilisiertem Aufguss bei gleichzeitigem Fernhalten von Keimen aus der Luft nicht bildeten. Sie sind daher nicht nur als Reservespeicher für Eiweißstoffe zu betrachten, sondern stehen mit der Assimilation des freien Stickstoffs in einem ursächlichen Zu- sammenhange. Zu ganz ähnlichen Resultaten kam Prazmowski?), welcher auch die Anlagen der Wurzelknöllchen in Haaren und Epi- dermiszellen der Wurzeln, sowie pilzartige Gebilde im Innern der- selben entdeckt zu haben glaubte. Jedoch gelang es ihm nicht, etwas Genaueres nachzuweisen oder die Bakteroiden in der Kultur zum Wachstum zu bringen. — Diese Aufgabe löste Beyerinck?), dem es möglich war, aus den Knöllchen ein Bakterium zu züchten. Und zwar isolierte er aus den Knöllchen aller Papilionaceenarten dasselbe, welches er Bacillus Radicicola nannte. Er kultivierte diesen Bacillus auf einer Nährgelatine, bestehend aus einem mit 8°/, Gela- tine erstarrtem Absud von frischen Vieia Faba-Stengeln mit 1°], Rohrzucker, ?/,°/, Pepton sieeum und !/,°/, Asparagin. Dieser Ba- eıllus besitzt Stäbehenform und außerdem noch sehr minimale Sehwärmer. Diese letzteren dringen auf einem bis dahin noch nicht erforschten Wege in die Zellen der Leguminosenwurzeln ein und me dort Zu) zu Stäbchen, später zu Y- und X -förmigen N Hellnierki u. Wilfarth, Untersuchungen über die Stickstoffnahrung der Gramineen und Leguminosen. Beilagsheft zu der Zeitschr. d. Ver. fd: Rübenzueker-Industrie d. deutsch. Reichs, Nov. 1888. 2) Prazmowski, Ueber die Wurzelknöllchen der Leguminosen. Botan. Centralblatt, Bd. 36, 1888, S. 215. 3) Beyerinck, Die Bakterien der Papilionaceenknöllehen. Botan. Zei- tung, 1888, S. 726. Kionka, Wurzelknöllchen der Leguminosen. 987 Formen aus, wodurch das Bakteroiden-Gewebe entsteht. In diesem Zustande sind die Organismen sowohl wachstums- als vermehrungs- unfähig. Es ist also nicht möglich, aus dem Bakteroidenstadium Kulturen des Baeillus herauszuzüchten. Beyerinck hat ebenso wie die meisten früheren Beobachter bemerkt, dass gewöhnlich im Herbst eine Entleerung der Knollen stattfindet, sodass die in den Zellen ent- haltenen Stoffe mit samt den Bakteroiden von der Pflanze resorbiert werden. Es scheint also hier eine Form von Symbiose vorzuliegen. — Diese von Beyerinck beobachteten Thatsachen wurden vollständig in einer späteren Arbeit von Prazmowski!) bestätigt, welcher seine Beobachtungen an den Wurzelanschwellungen der Erbse an- stellte. Er stellte durch Impfversuche den direkten ursächlichen Zu- sammenhang zwischen Bacillus radieicola Beyerinck und den Wurzelknöllchen fest. Jedoch kann die Bildung derselben nur im jugendlichen Zustande der Wurzel stattfinden, da die Bakterien direkt durch die noch unverkorkte Zellmembran in die Wurzelhaare und Epidermiszellen der Wurzeln eindringen. Weiterhin studierte Praz- mowski die speziellere Entwicklung und den genaueren histologi- schen Bau der Knöllehen. Kulturversuche, welche er mit Pisum- Pflanzen in der Weise anstellte, dass er sie unter Ausschluss aller andern Mikroorganismen der Infektion von Baeillus radicicola Beye- rinck in sterilisiertem Boden aussetzte, ergaben, dass „Pflanzen, denen alle Nährstoffe zur Verfügung standen, ein kräftigeres Wachs- tum zeigten und höhere Ernten ergaben, wenn sie mit Knöllchen- bakterien infiziert waren, als ebensolche Pflanzen ohne Mitwirkung von Bakterien.“ Ebenso zeigten infizierte Pflanzen auch in einem stickstofffreien Boden ganz normales Wachstum, während nicht infi- zierte Pflanzen zu Grunde gingen. Die Knöllchenbildung ist also für die Leguminosenpflanze in ihrer Ernährung und Entwicklung förder- lich, und die Pflanze zieht aus der Symbiose mit den Bakterien direkten Nutzen. — Zu demselben Schlusse kam M. Ward?) bei seinen ebenfalls an Pisum angestellten Versuchen. Es gelang ihm an der Erbse Infektion mittels des Knöllcheninhaltes von Vieia Faba hervorzurufen, wodurch er die Identität des Knöllchenpilzes beider Pflanzen bewies. Ferner fand auch er, ebenso wie schon vorher Hellriegel°) die Thatsache, dass nur an in völlig sterilisierten Substraten wachsenden Pflanzen sich keine Wurzelknöllchen ent- 1) Prazmowski, O istocie i zuaezenin biologieznem brodawek korzenio- wych groehn, (Das Wesen und die biologische Bedeutung der Wurzelknöllchen der Erbse.) Vorläufige Mitteilung. Berichte aus der Sitzung d. k. k. Akad. d. Wissensch. in Krakau, Juni 1889; referiert im Botan. Centralblatt, Bd. 39, 1889, S. 356. 2) M. Ward, On the tubereles on the roots of Leguminous Plants, with special reference to the Pea and the Bean. Preliminary Paper. Proceed. of the Roy. Soc. of Lond., Vol. XLVI, Nr 284, 1889, p. 431. 3). re: 288 Kionka, Wurzelknöllchen der Leguminosen. wickelten; und Stickstoffanalysen der Ernte und des Bodens führten ihn zu der Ansicht, „dass die Leguminose Stickstoff gewinnt, indem sie die stickstoffhaltige Substanz der Bakteroiden aus den Knöllchen absorbiert.“ Diese von den genannten Forschern somit festgestellte That- sache, dass es sich bei der Anwesenheit der Bakteroiden in den Wurzelknöllchen der Leguminosen um eine Pilzsymbiose der letzteren handle, wurde nun auch von andrer Seite weiter erforscht, in Einzel- heiten berichtigt, im allgemeinen jedoch bestätigt. So macht Frank!) darauf aufmerksam, dass es falsch sei, die an Pisum, Lupinus u. a. gemachten Beobachtungen ohne weiteres für die gesamte Familie der Leguminosen zu verallgemeinern, im Gegenteil die einzelnen Legumi- nosenarten ständen der Infektion von Bacillus radicicolla ganz ver- schieden gegenüber, und während Lupine und Erbse direkten Nutzen aus dieser Pilzsymbiose zögen, seien die Bakterien für Phaseolus Parasiten. Und auch für Erbsen und Lupinen haben, wie Versuche Frank’s feststellten, die Knöllchen gar keinen Nutzen, wenn in dem Boden genügend Humus vorhanden ist. Nur wenn Pflanzen in rein mineralischem sticekstofffreiem Boden kultiviert werden, können die Knöllchenbakterien der Pflanze den Stickstoff der Atmosphäre nutzbar machen und somit ihr Wachstum kräftigen. Ferner finde man durch- aus nicht die Bakteroiden allein in den Wurzelknöllchen, sondern in den Geweben der gesamten Pflanze, auch in den überirdischen Teilen. Bei Phaseolus sind dieselben auch in den Samenanlagen beobachtet, während sie an dieser Stelle bei den übrigen Leguminosen nicht ge- funden werden. Es kann also ein Phaseolus-Pflänzchen schon im Embryo von den Knöllchenbakterien infiziert sein; und es lässt sich somit die auffällige, öfters beobachtete Thatsache erklären, dass Phaseolus-Pflanzen auch im sterilisierten Boden Knöllchen zu bilden im Stande sind. Was die Bakteroiden betrifft, so sind dieselben nach Frank’s Ansicht keineswegs zur Ruhe gekommene Mikro- organismen, wie Prazmowski annimmt, noch reine Bildungen des Leguminosenplasmas, wie Brunchort glaubte, sondern sie sind aus beiden zusammengesetzt. Frank beobachtete nämlich in den Bak- teroiden kleine kokkenähnliche Einschlüsse, welche er als Anfangs- stadien der Schwärmer auffasst. Diese Schwärmer können nach Auflösung der Bakteroiden frei werden und ausschwärmen, wie Frank selbst in Kulturen im hängenden Tropfen beobachten konnte. Von ganz ebenso zusammengesetzter Beschaffenheit wie das Bak- teroiden-Gewebe ist der Plasmakörper der jungen Knöllchenzellen, 4) Frank B., Ueber den Einfluss, welchen das Sterilisieren des Erdbodens auf die Pflanzenentwicklung ausübt. Ber. d. d. bot. Ges., VI.Gen. Versamml.- Heft, S. XXXI. Derselbe, Ueber die Pilzsymbiose der Leguminosen. Ber. d. d. bot. Ges., 1889, S.332 und Landwirtsch. Jahrb., Bd. XIX, Heft 4, 8. 523. Kionka, Wurzelknöllehen der Leguminosen, 289 weleher sich noch nicht zu Bakteroiden differenziert hat, das „Myko- plasma“, wie es Frank bezeichnet. Es ist daher auch aus diesem möglich, das „Rhizobium leguminosarum“, wie Frank den Organis- mus nennt, herauszuzüchten. In ähnlicher Weise beurteilt Frank die hyphenartigen Fäden, welche schon von jeher in den Wurzel- knöllehen beobachtet wurden. Während Prazmowski, Beyerincek, Ward und die meisten andern Forscher annahmen, diese Fäden ge- hörten zu dem die Knöllchen verursachenden Pilze, der im späteren Stadium ein Plasmodium bilde, sieht Frank ebenso wie Tschirch in diesen „Infektionsfäden“ eine Bildung des Plasmas der Nährpflanze, „bestimmt zum Einfangen und Leiten der symbiotischen Bakterien nach dem Orte ihrer Bestimmung“. — Neuerdings hat A. Koch!) darauf aufmerksam gemacht, dass es ihm durch eine sichere Methode gelungen ist, die Cellulosenatur der Schlauehmembran dieser Fäden, welche schon Piehi und Vuillemin 1888 annahmen, bei allen un- tersuchten Leguminosen-Arten nachzuweisen. Doch würde diese Eigenschaft der Schlauchmembran noch nicht gegen ihren Ursprung von Seiten der eingedrungenen Mikroorganismen sprechen, da wir mehrere frei lebende Bakterienformen mit zweifelloser Cellulose- membran — z. B. das Essigbakterium — kennen. Auch Praz- mowski?) hat kürzlich in einer neuen, seine früheren Ausführungen zusammenfassenden und ergänzenden Arbeit die Membran der Schläuche für eine Ausscheidung der Bakterien erklärt, welche dieselben gegen den Einfluss des Protoplasmas schützt, durch das sie in Bakteroiden umgewandelt und schließlich als tote Eiweißkörper aufgelöst werden. In den Schläuchen sind die Bakterien noch lebensfähig und können sich auch auf geeignete Nährböden von hier versetzt außerhalb der Pflanze weiter entwickeln. Aus ihnen gelangen sie durch irgend welche Verletzungen der Knöllchen in den Erdboden, von wo aus sie wiederum neue Pflanzen infizieren können. — Zwei französische Arbeiten von Laurent?) und Prillieux), welche sich ebenfalls mit dieser Frage beschäftigen, bringen weiter keine neuen Gesichtspunkte. Laurent ist es gelungen, die Infek- tionsfäden, entgegen den Beobachtungen der meisten andern Botaniker, auch bei Phaseolus und Lupinus zu beobachten. Die Bakteroiden betrachtet dieser Forscher als selbständige Organismen, welche er 1) Alfred Koch, Zur Kenntnis der Fäden in den Wurzelknöllchen der Leguminosen. Botan. Zeitung, 1890, Nr. 38. 2) Ad. Prazmowski, Die Wurzelknöllchen der Erbse. Erster Teil: Die Aetiologie und Entwicklungsgeschichte der Knöllchen. Die landwirtschaftl. Versuchs-Stat., Bd. XXXVIJ, Heft3 u. 4, S. 161. 3) E.Laurent, Sur le mierobe des nodosit&s des Lögumineuses. Compt. rend. de l’Ac. de sc. de Paris, Tome CXI, 1890, p. 754. 4) Prillieux, Anciennes observations sur les tubereules des racines des Legumineuses. Compt. rend. des seanc, de l’Ac. de sc. de Paris, Tome CXI, 1890, p. 928. XI. 19 290 Kionka, Wurzelknöllehen der Leguminosen. jedoch nieht zu den Bakterien rechnet, sondern mit dem früher von Metschnikoff beschriebenen Parasit der Daphniden: Pasteuria ra- mosa zu einer neuen Gruppe der Pasteuriaceen vereinigen will, die ihre Stellung im System zwischen den Bakterien und den niederen Fadenpilzen haben soll. — Von Interesse sind die Versuche, welche er mit Schloesing!) zusammen anstellte. Hellriegel und Will- fahrt?) hatten durch indirekte Methode nachgewiesen, dass die Leguminosen den freien Stickstoff der Atmosphäre zu binden im Stande wären. Derselbe Nachweis — aber auf direktem Wege — gelang den beiden Forschern durch eine Reihe höchst geistvoll durch- geführter Experimente und Beobachtungen. — Schließlich hat auch Beyerinck ?) in einer vor wenigen Wochen erschienenen Arbeit als Ergänzung zu seinen früheren Publikationen den direkten Beweis gebracht, dass der von ihm gezüchtete Bacillus radicicola thatsächlieh im Stande ist, an in sterilisiertem Boden kul- tivierten Papilionaceenpflanzen Knöllchen zu erzeugen. Zu diesem Zwecke wurde Samen von Vicia Faba steril keimen gelassen und die Keimpflanzen alsdann in einen vorher sterilisierten, innen und außen glasierten Blumentopf gepflanzt. Derselbe war mit vorher geglühtem Sande angefüllt, welcher unten auf grobkörnigem, eben- falls sterilisiertem Kies ruhte, und die Oefinungen am Boden des Gefäßes waren mit sterilisierter Glaswolle verstopft. Das ganze Ge- fäß stand in einem Becken, welches ringsum durch einen Mantel vor Verunreinigungen aus der Luft geschützt war; und ebenso war der Blumentopf oben dureh einen an den Rändern übergreifenden Deckel gedeckt, der nur in der Mitte eine mit sterilisierter Baumwolle ver- stopfte Oeffnung zum Austritt der Keimpflanze besaß. Die so her- geriehteten Gefäße waren außerdem noch durch zwei Röhren mit einem Saugapparat in Verbindung gesetzt, durch welchen ein Be- gießen der Pflanzen stattfand. In dieser Weise wurden 12 Blumen- töpfe eingerichtet, je mit einer Vieia Faba- Pflanze bepflanzt und als- dann in vier Gruppen geteilt. Alle 4 Gruppen wurden mit einer Mischung von 0,1 g Kalinummonophosphat, 0,03 Chlorealeium, 0,06 Magnesiumsulfat auf 1 Liter Wasser beschickt, die Töpfe der ersten beiden Gruppen ohne Zuthat, die der dritten mit Zufügung von 0,28 Caleiumnitrat, und die der vierten von 0,2 g Ammonsulfat. Nachdem alle Pflanzen das zweite Blatt getrieben hatten, wurde je ein Topf der Gruppe 2, 3 und 4 und alle 3 Töpfe der Gruppe 1 mit einer Aufschwämmung von Kulturen von Baeillus radieicola var. Fabae 4) Schloesing flls Th. et Laurent Em., Sur la fixation de l’azote gazeux par les L&gumineuses. Ebenda p. 750. Dale: 3) M. W. Beyerinck, Künstliche Infektion von Vieia Faba mit Baeillus radieicola. Ernährungsbedingungen dieser Bakterie. Botan. Zeitung, 1890, Nr. 52, p. 838. Schimkewitsch, Klassifikation des Tierreichs. 391 übergossen. Ungefähr 8 Wochen nach dem Einsetzen der Pflanzen wurde der Versuch unterbrochen, und es ergab sich nun das zweifel- lose Resultat, dass sämtliche 6 mit Bacillus radieicola infizierte Pflanzen an ihren Wurzeln Knöllchen trugen, während an den übrigen keine Spur davon zu sehen war. Der Zusatz von Caleiumnitrat und Ammonsulfat zeigte sich ohne Einfluss auf die Knöllchenbildung. — Im Anschlusse hieran teilt Beyerinek noch einige Beobachtungen mit, die er über die Ernährungsbedingungen von Bacillus radicicola angestellt hat. So hat er bei seinen letzten Versuchen ebenso wie früher beobachtet, dass in Agar-Agar, worin sich nur Salze mit Rohrzucker gelöst befinden, das Wachstum derselben stille steht, sobald die geringe Menge des assimilierbaren Stickstoffs darin ver- braucht ist, und dass eine Bindung des freien, atmosphärischen Stick- stoffs außerhalb der Papilionaeeenknöllchen in den Kulturen durch den Bacillus nicht stattfinde. Es besitzt also der Baeillus die Fähig- keit, die geringsten Mengen des im Boden vorhandenen gebundenen Stickstoffs als Körpersubstanz für die Papilionaceenpflanze in Reserve festzulegen, aber nur bei gleichzeitiger Anwesenheit von Rohrzucker oder andern Kohlenhydraten. Hiermit ist die Reihe der bis jetzt über diesen Gegenstand er- schienenen Arbeiten geschlossen. Es steht also heute im Gegensatz zu der noch vor 2 Jahren allgemein gehegten Ansicht die pilzliche Natur des die Knöllchen erzeugenden Organismus als Thatsache fest, und die nächste Zeit dürfte uns wohl nur genauere Beobachtungen über die Art der Infektion, die Entwicklung und Anlagen der Knöll- chen und besonders die chemische Wirkungsweise des Mikroorganismus bringen. Jedenfalls wissen wir jetzt, dass die den Landwirten sehon lange bekannte Thatsache, dass auf stickstoffarmem Boden Lupinen, Klee, Erbsen und andere Leguminosen schließlich in der Ernte mehr Stickstoff produzieren, als im Boden enthalten war, ebenso, wie die meisten Erscheinungen des gesamten Pflanzenbaues, auf der Thätig- keit von Bakterien beruht. Breslau, im März 1891. Versuch einer Klassiffikation des Tierreichs. Von Prof. Wladimir Schimkewitsch in St. Petersburg. Im vorigen (1890) Jahre habe ich in einer russischen Monats- schrift einen Versuch der Klassifikation der Tiere veröffentlicht. Diese Klassifikation, etwas modifiziert, ist als Grundlage des von mir zusammen mit Dr. N. Polejaeff russisch geschriebenen Lehr- buches angenommen und ich möchte an diesem Platze nur auf ihre Hauptpunkte die Aufmerksamkeit lenken. Wie die meisten Zoologen teile ich das Tierreich in zwei Haupt- sruppen: I. Protozoa (s. Monozoa) und II. Metazoa (Polyzoa) und die 19 * 399 Schimkewitsch, Klassifikation des Tierreichs. letzteren in 1) Radiata und 2) Bilateria. Badiata sind Tiere mit radiärer Symmetrie oder mit deren Spuren, mit einer einzigen Leibes- höhle, die der Gastralhöhle entspricht, ohne gesondertes Exkretions- system. Hiezu gehören Coelenterata und Spongiaria. Coelentera be- sitzen gewöhnlich nur eine Körperöffnung, die dem Blastoporus entspricht; ihre Gastralhöhle differenziert sich entweder in regel- mäßig angeordnete Abteilungen oder nicht; die Körperwandung be- steht aus Ekto- und Endoderm, mitunter mit mäßig entwickeltem Mesenchym; die Muskeln entwickeln sich gewöhnlich auf Kosten der primären Keimblätter, das Nervensystem ist durch isolierte Ner- venzellen oder Nervenringe und Ganglien dargestellt. Die Geschlechts- zellen stammen von den primären Keimblättern. Hiezu gehören Hy- ılrozoa, Scyphozoa, Ctenophora und Ctenophoroidea (Ctenoplanidae und Coeloplanidae). Fast jedes dieser Merkmale vermissen wir bei den Spon- giaria: durch zahlreiche Hautporen charakterisiert besitzen sie die Körperöffnung, welche mit dem Blastoporus nicht zu homologisieren ist; die Gastralhöhle oder deren gewisse, meistens unregelmäßig an- geordnete Abteilungen sind mit Kragenepithel bedeckt; die Kör- perwandung, abgesehen von den primären Keimblättern, besteht aus stark entwickeltem Mesenchym, welche die Muskel- und Geschlechts- zellen produziert. Angesichts dieser eigentümlichen Verhältnisse ist diese Schicht dem Mesenchym anderer Tiere nicht gleichzustellen und für deren Benennung schlage ich das Wort „Parenchym“ vor. Das Nervensystem ist nicht genug bekannt. Bilateria sind durch den seitlich symmetrischen Bauplan charak- terisiert; sie besitzen die Darmhöhle und gesonderte Geschlechts- höhlen (Gonaden), welche sich unter Umständen in die Leibeshöhle (Cölom) modifizieren; die Exkretionsorgane sind entwickelt. Dem Bauplane des Nervensystems nach teile ich die Bilaterien in A) Gastro- neura, B) Tetraneura, C) @yeloneura und D) Notoneura. 3ei den Gastroneura ist das Nervensystem durch ventrale Stämme oder Ganglien dargestellt, welehe mit Ganglien, auf der Rückenseite des Vorderendes des Körpers vor der Mundöffnung gelagert, durch seitliche Kommissuren verbunden sind. Bei den Tetraneura s. Malacozoa sind auf Grund der Beobachtungen von Kowalewsky (die Entwicklung des Nervensystems bei Chiton) theoretisch 4 Nervenstämme zu unterscheiden, 2 ventrale und 2 seit- liche, wobei die beiden Paare durch Ganglien repräsentiert sind und mit der Supraoesophagealmasse durch Kommissuren verbun- den sind. Bei den Cyeloneura, welehe nach Semon als modifizierte Bila- teria aufzufassen sind, hat das Nervensystem die Form eines Ringes um den Schlund mit den radiär verlaufenden Strängen. Die Notoneura sind mit einem Nervensystem ausgestattet, welches auf der Rückenseite liegt und gewöhnlich ein hohles Rohr darstellt. Schimkewitsch, Klassifikation des Tierreichs. 295 Hiezu füge ich eine tabellarische Uebersicht der vorgeschlagenen Klassifikation hinzu: I. Protozoa s. Monozoa. II. Metazoa s. Polyzoa. (Hydrozoa. 1. Radiata. (A. Coelenterata !Scyphozoa. Ctenophora. Ütenophoroidea. "B.Spongiaria 2. Bilateria. A. Gastroneura. 2), Acoelomatı jl. Anaemaria s. Plathelminthes. 2. Haemataria s. Nemertint. . . Nemathelminthes (Kinorhyncha, Echinorhyncha, Nematodes, Nematomorpha). 1 N Asegmentata (Rotatoria, ß) Pseudocoelomata Gastrotricha). 2. Triehhelminthes / Segmentata (Dinophilidae). Parasita (Orthorectidae, Di- eyemidae). l Inarticulata (Sipunculordea, Phoronida, Bbryozoa, Rhabdopleurida). \ y) Eucoelomata 4. Helminthozoa s. | Triartieulata (Chaetognatha, Vermes Brachiopoda). BA N Articulata (Chaetopoda, Ste- lechopoda, Hirudinei, Echiuroidea). 2. Prototracheata 3. Tracheata (inkl. Arachnida) Branchiata Ss. Crustacea Han B. Tetraneura s. Malocozoa. C. Oyeloneura s. Echinozoa. a) Achordata s. Enteropneusta. Hr 1. Leptocardii D. Notoneura i , 2. Tunicata. 3. Vertebrata. ß) Chordata Für eine ausführlichere Charakteristik dieser Gruppen kann Fol- gendes hinzugefügt werden: Die Gastroneura besitzen entweder das Cölom oder entbehren es; in ersterem Falle sind sie mit Metanephri- dia, in letzterem mit Pronephridia (= Protonephridia Hatschek’s) ausgestattet. Bei den Tetraneura wird wegen der starken Entwick- lung des Mesenchyms das Cölom gewöhnlich nur durch die Peri- kardialhöhle repräsentiert; sie besitzen nur ein Paar von Metanephri- dia (Bojanus’sche Organe oder Nieren), der Embryo dagegen ist durch den Besitz von Pronephridia gekennzeichnet. Bei den Cyelo- neura wandelt sich ein Teil des Cöloms, das vermutliche Homologon 294 Schimkewitsch, Klassifikation des Tierreichs. des Kopfeöloms der Gastroneuren, in das Ambulacralsystem !) um. Endlich die Notoneura sind meistens durch das echte Cölom und die Kiemenspalten, welche sonst nirgends vorkommen, ausgezeichnet. Die Gastroneura teile ich in Acoelomata, Pseudocoelomata und Encoelomata. «@) Die Acoelomata entbehren sowohl der primären als der se- kundären Leibeshöhle (wenn man nicht die mit Endothel bedeckte Scheide des Rüssels der Nemertinen für das Homologon des Kopf- cöloms halten darf), das Mesoderm (d. h. Mesenchym samt Gonaden) ist stark entwickelt. Die Exkretionsorgane treten in der Form ent- weder von Pronephridia oder eines Kanalsystems, welches mit dem Zirkulationssystem in Verbindung steht, auf. Hiezu gehören die Anaemaria 8. Plathelminthes und die Haemataria s. Nemertint. ß) Die Pseudocoelomata sind mit der primären Leibeshöhle ver- sehen, ihr Mesoderm ist schwach entwickelt; die Exkretionsorgane bald nach dem Pronephridialtypus, bald in der Form der Kanäle ohne Kommunikation mit der Leibeshöhle. Würde es einmal nach- gewiesen werden, dass das hintere Paar der Segmentalorgane der Dinophilidae echte Metanephridia sind, dann würden diese Tiere als eine hochinteressante Zwischengruppe von den Pseudo- zu den Bu- coelomata aufzufassen sind. Hiezu gehören: Nemathelminthes (Ki- norhyncha, Echinorhyncha, Nematodes incl. Nematomorpha) und Trich- helminthes mit drei folgenden Untergruppen: Asegmentata (Rotatoria, Gastrotricha); Segmentata (Dinophilida) und Parasita (Orthonectida und Dieyemida). y) Die Euecoelomata sind durch die sekundäre Leibeshöhle charakterisiert; ihr Mesoderm ist gut entwickelt. Im Embryonal- zustande nicht selten die Pronephridia, im erwachsenen die Meta- nephridia, oder deren Modifikationen. Hiezu rechne ich: Helmintho- zoa, Prototracheata, Tracheata (inel. Arachnida) und Branchiata s. Crustacea. Was nun die Brachiopoda und Chaetognatha betrifft, so sind sie als echte dreigliedrige Formen aufzufassen, typisch mit zwei Paaren von Metunephridia versehen; es ist aber anzunehmen, dass sie divergierende Zweige vorstellen, indem die letzteren die pela- gische Lebensweise fortgesetzt hatten, die ersteren dagegen die fest- sitzende anerworben. Anderseits stellen die Endoprocten Formen dar, welche das Cölom verloren haben und zu dem embryonalen Zu- stande des Nephridialsystems zurückgekehrt. Mit den Ektoproeten verglichen sind sie sicher modifizierte Formen, was ebenso durch die Art ihrer Metamorphose (Barrois, Harmer), als auch dureh die weitere Verschiebung der Analöffnung ins Innere des Tentakelkranzes 4) Die Frage über die morphologische Bedeutung der Exkretionsorgane der Echiniden (Gebr, Sarasin) und des Steinkanals bleibt unentschieden. Birula, Mitteldarm der Galeodiden. 295 bewiesen ist!). Dem obigen entsprechend teile ich die Helminthozoa s. Vermes in: Inartieulata (Sipunculoidea, Phoronida, Bryozoa, Rhabdopleurida; Triartieulata (Brachiopoda und Chaetognatha) und Artieulata (Chaetopoda, Stelechopoda incl. Myzostomidae, Hirudinei und Echiuroidea). Die Notoneura teile ich in «) Achordata s. Enteropneusta: keine Chorda, die Haut mit Flimmerepithel bedeckt; der Körper ist aus dem Kopfsegment (Kopfeölom), Kragensegment und dem unseg- mentierten Rumpfsegment zusammengesetzt, und P) Chordata (die Chorda entwickelt, das Integument im erwachsenen Zustande ohne Flimmern; der Körper segmentiert, oder sekundär ohne Segmen- tierung) — Leptocardii, Tunicata und Vertebrata. Einiges über den Mitteldarm der Galeodiden. Von A. Birula. (Aus dem zootomischen Institut der Universität St. Petersburg.) Der allgemeine Bau des Darmkanals der Galeodiden ist mehr oder minder nach den Arbeiten von Blanchard?), Dufour?) und Kittary*) bekannt. Die gröberen anatomisch - topographischen Ver- hältnisse sind in Kürze die folgenden. Der Vorderdarm, nachdem er das Kopfganglion durchbohrt hat, erweitert sich etwas und geht in den ziemlich erweiterten Miteldarm über, der in seinem vorderen Abschnitte zwei erste Paare zusammenliegender und nach vorn ge- richteter Blindschläuche bildet; hinter diesen Blindschläuchen in einiger Entfernung finden wir das dritte Paar und noch weiter nach hinten in derselben Entfernung das vierte Paar. Die Blindschläuche der beiden letzteren Paare sind an ihrem freien Ende zweilappig. Beim Uebergange dieses im Cephalothorax liegenden Mitteldarm- abschnittes in den Abdominalmitteldarm münden in den Darm An- hänge, welche als einfache Aussackungen der Mitteldarmwände an- zusprechen sind und welche Blanchard’?°) „portion anterieure de Vintestin accompagnee des premieres glandes hepatiques“ nennt; Kittary®) nennt dieselben „Leber“. Diese Anhänge (ich will sie 1) Wenn es einmal bewiesen wird, dass Rhodope zu den Malacozoen zu rechnen ist, dann werden wir in ihr eine Form erblieken müssen, die ganz den Endoproeten analoges Beispiel der Rückkehr zum embryonalen Zustande dar- stellt. 2) Emile Blanchard, L’organisation du Regne animal. Arachnides. 3) Dufour, Anatomie, Physiol. et Hist. natur. des Galeodes,. Me&moires pr. p. div. savants a l’Acad. d. Sciences d. France, tom. XVII, 1862, p. 338. 4) Kittary, Anatomische Untersuchungen der gewöhnlichen und der stechenden Solpuga. 5) E. Blanchard |, ce. Arachnides, pl. 28, f. An. DaRıttaryckreepe)s, Tab. 3,2 126. 2965 Birula, Mitteldarm der Galeodiden. provisorisch Darmsäcke nennen) scheinen bei anderen Arachnoi- deen und auch bei einigen Galeodiden zu fehlen; namentlich nach Dufour!) sind dieselben bei der Gattung Rhax nicht vorhanden. Die Abdominalabteilung des Mitteldarmes nimmt zugleich die so- genannten Leberschläuche in sich auf. In histologischer Hinsicht besteht der im Cephalothorax liegende Teil des Mitteldarmes aus drei Schiehten: der äußersten Schicht des Bindegewebes, der Tuniea propria und dem auf T. propria sitzenden Epithel. Der Bau des Bindegewebes entspricht im Allgemeinen der Beschreibung Frenzel’s?) dieses Gewebes einiger Dekapoden. In dem Gebiete der Blindschläuche sind die Mitteldarmwände etwas dicker als in allen übrigen Orten, und diese Verdiekung entsteht lediglich auf Kosten des Bindegewebes; die dorsale Darmwand ist dabei dicker, als die ventrale. Der Charakter dieses Gewebes (Fig. c) ist im Ganzen zellig-schwammig, namentlich hat es diesen Bau im innern, während die äußerste Schicht mehr oder minder aus zellig- faserigen Elementen besteht. Mit starker Vergrößerung kann man sehen, dass dieses zellig- schwammige Bindegewebe aus mehr oder minder dunklen sich schwach färbenden, feinkörnigen rundlichen Plasmaabteilungen besteht, in denen Kerne liegen. Diese Abteilungen sind durch glänzende, farblose, homogene Streife voneinander ab- gegrenzt, welche letztere sich auch vielfach zu verästeln und mit einander zu anastomosieren scheinen. Diese Plasmaabteilungen sind die einzelnen Zellen des Bindegewebes und die homogenen Streifen zwischen ihnen sind Frenzel’s „Interzellularsubstanz“, welche dieser Verfasser für Produkt dieser Zellen hält. In dem Bindegewebe sind schwach gefärbte, aber mit großen, intensiv gefärbten Chromatin- körnchen versehene kleine polyedrische Kerne zerstreut. Häufig liegt im Kerne ein intensiv färbendes glänzendes Körnchen, das als Nucleus (oder Nucleoid?) bezeichnet werden kann; zwischen den größeren Körnchen und den kleineren Chromatinkörnchen sind aber allmäbliche Uebergänge vorhanden. In dem peripherischen Teile des Binde- sewebes bekommt man Tracheenäste und sehr selten einzelne Fasern zur Ansicht, welche an Muskelfasern erinnern; diese Fasern sind aber nicht quergestreift. Bezüglich der Anwesenheit der Muskel- fasern bei den echten Spinnen sind in der Literatur im Allgemeinen ziemlich unbestimmte Daten vorhanden. Während in dem Mitteldarm der Insekten und Urustaceen Längs- und Quermuskelfasern von vielen Autoren mit Klarheit konstatiert sind, stellt Plateau?) solche an dem in Cephalothorax liegenden Teil des Mitteldarmes der echten 4) Dufour!l..e. PL. 3, Rie.13. 2) Joh. Frenzel, Ueber den Darmkanal der Crustaceen ete. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 25, 1885, S. 160. 3) Plateau, Recherches sur la structure de l’appareil digestif chez les Araneides. Bull. de ’Acad. de Belgique, 2. serie, tom. XLIV. Birula, Mitteldarm der Galeodiden. 297 Spinnen gänzlich in Abrede. Bertkau!) sagt darüber Folgendes: „Ich will nun nieht behaupten, dass die erwähnten Fasern Muskel- fasern sind, glaube vielmehr, dass sie dem Bindegewebe ange- hören“. Ich kann auch keine bestimmte Meinung über die Natur der oben beschriebenen Querfasern aussprechen. Das Bindegewebe ist nach hinten dünner und nimmt zellig-faserigen Bau an. Die Tunica propria (Fig. 5), welche das Bindegewebe von der Epithelschicht absondert, ist ein höchst dünnes, stark lichtbrechendes homogeues Häutehen, das auf den Querschnitten den früher beschriebenen glän- zenden Streifen des Bindegewebes gleicht und vielleicht derselben Abstammung ist. Das Epithel (Fig. «) des im Cephalothorax liegenden Teiles des Mitteldarmes besteht aus hohen und sehr schmalen zylinderförmigen Zellen, die sich am freien Ende etwas erweitern. Die Kerne der- selben sind groß und von länglich-ovaler Form; sie liegen fast in der Mitte der Zellen und, wenn exzentrisch, in der nach dem Lumen gerichteten Partie der Zellen. Die Epithelzellen enthalten gewöhnlich Vakuolen mit einer feinkörnigen und bräunlichen Masse innerhalb, welche sich auch in dem Darmlumen befindet. Die Blindschläuche haben im Ganzen dieselbe Struktur wie die Darmrohre; ihre Binde- gewebsschicht ist aber etwas schmäler und zellig- faserig; die Tunica propria ist etwas gröber und bietet auf den Längsschnitten einen wellenartigen Streif dar. Das Epithel der Blindschläuche bietet auch einige Eigentümlichkeiten dar: es besteht nämlich aus den dicht sitzenden niedrigeren Zellen, deren Kerne dabei in der unteren Hälfte derselben liegen. Zwischen dem dritten Paare der Blindschläuche und den oben beschriebenen „Darmsäcken“ stellt die dorsale Wand des Mittel- darmes ein drüsiges Feld dar; namentlich sieht man auf den Quer- schnitten, dass in dieser Partie des Mitteldarmes, innerhalb der Binde- gewebwülste, sich eigentümliche Drüsen befinden, welche sich sehr scharf nach dem Charakter ihrer Epithelzellen von den anderen drüsigen Gebieten des Mitteldarmes unterscheiden. Die erste solehe Drüse (Fig. e) befindet sich vor dem letzteren Paare der Blind- schläuche und liegt in der verdickten Bindegewebslage in Gestalt eines nach vorn gerichteten und hier in vier taschenförmige Ein- stülpungen zerteilten Hohlraumes, mit großen rundlichen Epithelzellen (Fig. f) ausgekleidet. Die Besonderheit dieser Zellen besteht darin, dass ihre im Zentrum der Zelle liegenden Kerne von einem hellen Hofe umgeben sind und gleichsam „in einer Vakuole“ liegen. Aehn- liche Erscheinungen beschreibt Faussek?) aus der Epithellage des 2) Bertkau, Ueber den Verdauungsapparat der Spinnen. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. 24, 1885, 8. 413. 1) V. Faussek, Beiträge zur Histologie des Darmkanals ‘der Insekten Zeitschrift f. wissensch, Zoologie, Bd. XLV, S. 700. 308 Birula, Mitteldarm der Galeodiden. Darmes von Eremobia. Im Lumen der Drüse befinden sich gestor- bene Epithelzellen, welche eine Vakuole mit kleinen dunklen Körnchen innerhalb enthalten; in einigen Fällen sieht man hier auch rosetten- förmige Mengen der länglichen paralellepipedförmigen Krystalle (Fig. d). An seinem hinteren Ende öffnet sich die Drüse in den Mitteldarmkanal. Da, wo sich diese Drüse befindet, ist das Epithel des Mitteldarmes sehr hoch und um die Drüsenöffnung herum werden seine Zellen (Fig. 9) typisch keulenförmig je mit ovalem Kern in ihrem erweiterten Teile, Neben der beschriebenen Drüse befindet sich eine andere kleinere Drüse. Hinter dem letzteren Paare der Blindschläuche liegen noch drei solehe Drüsen, in der Art, dass sie alle auf demselben Quer- schnitte gesehen werden können. Auf einigen Querschnitten kann man sehen, dass das Lumen jeder unserer Drüsen durch eine Binde- gewebszwischenleiste in zwei Nester geteilt ist. Vor dem Uebergange ins Abdomen bildet der Mitteldarm eine Drüse, die ich oben Darmsäcke genannt habe. Diese Drüse besteht aus vier Teilen, welche man als einfache taschenförmige Ausstül- pungen der Mitteldarmwände betrachten kann. Zwei solche Aus- stülpungen befinden sich auf der oberen Seite des Darmschlauches in Gestalt von zwei nach hinten gerichteten mehrlappigen Blindsäcken; zwei andere befinden sieh auf der unteren Seite; die ventralen Blind- säcke sind aber kleiner und entspringen etwas weiter nach hinten. Die Epithellage und die Wände dieser Darmsäcke unterscheiden sich nicht von denjenigen der im Cephalothorax liegenden Mitteldarm- Birula, Mitteldarm der Galeodiden. 295 abteilung; nur sind die Epithelzellen etwas lockerer und enthalten je eine Vakuole mit bräunlichen zusammengeklebten Körnchen im Innern. Diese Körnehen erinnern an Pigmentkörnchen der Leber- zellen, sind aber kleiner und von hellerer Farbe. Im Hinterleib bildet der Mitteldarm sogenannte Leberschläuche. Im Gegensatz zu den echten Spinnen, deren Leberschläuche durch ein Zwischengewebe „zu einer kompakten Masse“ (Bertkau, |. e.) vereinigt werden, stellen die Leberschläuche von Galeodes ein System diehotomisch verästelter zylinderartiger Röhren dar, welche durch das Zwischengewebe nicht verbunden sind, obwohl die Tunica serosa einer Leberröhre mit derjenigen einer andern verschmelzen kann. Die Leberröhren füllen alle Zwischenräume zwischen den übrigen Organen aus. Jede einzelne Leberröhre ist von der Tunica serosa, der Tunica propria und der drüsigen Epithellage umhüllt. Die äußerste Hülle, d. h. die Tunica serosa, bietet nicht eine vollständige Schicht dar, bildet aber, wie Weber!) für Oniscus und Gammarus beschreibt, ein loekeres Maschenwerk, das aus netzartig unter einander verbundenen Zellgruppen besteht. Am blinden Ende jeder Leberröhre sind die Zellen der Tuniea serosa höher, rundlich und gruppieren sich zu einer mehr zusammenbängenden Lage. Die Tunica propria bietet ein sehr dünnes und strukturloses Häutehen dar. Nach Arbeiten von Plateau (l. e.), Schimkewitsch?), Bertkau?°) und M. Weber (l. e.) wird das Epithel der sogenannten Leber (Weber’s Hepato- pancreas, Bertkau’s Chylusmagen) bei echten Spinnen und Crusta- ceen aus zweierlei Arten von Zellen, „Ferment- und Leberzellen“ aufgebaut, die sich in morphologischen und physiologischen Be- ziehungen von einander scharf unterscheiden. Das Epithel der Leber- schläuche von Galeodes hat einen ganz anderen Bau: es besteht pämlich überall aus gleichförmigen, zylinderartigen, hohen Zellen. Im Grunde oder häufiger über der Mitte der Zelle befinden sich ein ovaler Kern und konstant eine oder mehrere ziemlich große Va- kuolen, in welchen große bräunliche oder gelblich - braune zusammen- geklebte Pigmentkörnchen liegen. Das Vorhandensein dieser Pigment- körnehen weist nach, dass die Zellen, welche dieselben enthalten, mit den Leberzellen von Spinnen, Crustaceen und Mollusken verglichen werden müssen. Sehr selten bekommt man zwischen den gewöhn- lichen Epithelzellen und an deren Basis kleinere dreieckige Zellen zur Ansicht, die keine Pigmentkörnchen haben. Die Seltenheit derselben und deren Habitus erlaubt aber nicht diese 1) M. Weber, Ueber den Bau und die Thätigkeit der sogen. Leber der Crustaceen. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 1880, Bd. 17, S. 394. 2) W. Schimkewitsch, Etude sur l’anatomie de l’epeire. Ann. sc. nat. Zool. 1884. 3) Bertkau, Ueber den Bau und die Funktion der sogen. Leber bei den Spinnen. Archiv f, mikrosk. Anatomie, Bd. 23, 1834. 300 Knipowitsch, Zur Entwicklungsgeschichte von Obione kimaeina. Zellen als Fermentzellen zu betrachten. Nach ihrer Gestalt erinnern sie vollständig an die sogenannten „neugebildeten“ Zellen des Epithels, welche von vielen Autoren ') in der Epithellage des Mitteldarmes der Insekten beschrieben worden sind; wahrscheinlich sind sie junge Epithelzellen. Ob nun die physiologischen Beschaffenheiten der Leber von Ga- leodes auch ihrem Baue entsprechen, d. h. ob eine Verteilung der Leber- und Pankreasthätigkeit vorhanden ist, vermag man allerdings ohne entsprechende Versuche über die Erscheinungen der Verdauung bei Galeodes nicht zu entscheiden ?). Jedenfalls kann man die Abwesen- heit der Zellen, welehe morphologisch den „Fermentzellen“ der Spinnen und Crustaceen gleichzustellen wären, in der Epithellage der Leber von Galeodes damit in Verbindung setzen, dass sich in dem Mitteldarm von Galeodes andere Drüsen befinden, welche bei den übrigen Spinnen, wie es scheint, fehlen und welche wahrscheinlich die Funktion der Pankreaszellen (= Fermentzellen) auf sich nehmen. Zu meinen Untersuchungen diente Galeodes ater Bir.°). Der Darm wurde mit Sublimatlösung (60° C.) und Alkohol, die Leber mit ver- schiedenen (Lang’s, Flemming’s, Pereny’s, Alkohol abs. und Müller’s) Flüssigkeiten behandelt. Färbung mit Borax-Carmin (Grenacher’s). St. Petersburg, den 20. Februar 1891. Zur Entwicklungsgeschichte von Chone limacina. Von N. Knipowitsch. Vorläufige Mitteilung. (Aus dem zootomischen Kabinet der k. Universität zu St. Petersburg ) Eine ausführliche Arbeit über die embryonale (und zum Teil auch postembryonale) Entwicklung von Olione limacina zur Veröffentlichung vorbereitend, die im Herbste dieses Jahres zusammen mit meiner Arbeit über Dendrogaster astericola (s. Biol. Centralblatt, Nr. 1, 1891, Vorl. Mitteilung) erscheinen wird, will ich jetzt nur einige Thatsachen daraus mitteilen und hauptsächlich diejenigen, welche den Gastru- lationsprozess und die Keimblätterbildung betreffen. Wie bekannt, ist die embryonale Entwicklung der Pteropoden nur sehr mangelhaft erforscht. Nach der im Jahre 1875 erschienenen Abhandlung Hermann Fol’s (sur le developpement des Pteropodes. Archive de Zool. ex- 4) Frenzel, Einiges über den Mitteldarm der Insekten. Archiv f. mikr. Anatomie, 1886; V. Faussek |. ce. 2) Wegen Mangel an frischem Material konnte ich nicht die Osmiumsäure- reaktion Weber’s machen. 3) A. Birula, Zur Kenntnis der russischen Galeodiden. Zool. Anzeiger, Nr. 333, 1890. Knipowitsch, Zur Entwicklungsgeschichte von Clione limacina. 301 perimentale et generale, T. IV) ist bis jetzt, so viel ich weiß, keine Arbeit darüber veröffentlicht worden. Die genannte Untersuchung war aber ohne Anwendung der Schnittserienmethode ausgeführt, und dieser Umstand berechtigt für sich allein eine Nachuntersuchung. Eine solche Nachuntersuchung unternahm ich im vergangenen Sommer, während meines Aufenthalts auf der biologischen Station der Insel Solowezkij, da im Golfe, an dessen Ufer die Station liegt, Olione limacina sehr zahlreich ist. Diese Tiere fangen sehr früh im Frühling an sich fortzupflanzen (anfangs Juni fand ich schon Larven die etwa ein Monat alt waren), ihre Fortpflanzung beschränkt sich nicht auf diese Jahreszeit sondern beginnt im Juni oder Juli wieder, wenn das Wetter günstig, d. h. still und warm ist. Etwa 20 bis 24 Stunden nach der Befruchtung (die in allen von mir beobachteten und näher untersuchten Fällen immer gegenseitig war und etwa 4 Stunden dauerte) legt das Tier einen ziemlich großen Eiklumpen aus sehr flüssiger, zäher Gallerte ab, in welcher sehr zahlreiche Eier liegen. Bald darauf (nach einem oder mehreren Tagen) sterben die Tiere. Der Eiklumpen bleibt fast immer auf dem Boden des Aquariums liegen und hat meistens einen Durchmesser von 4cm. Das Eiablegen dauert etwa 4 Stunden und ist an keine bestimmte Zeit des Tages gebunden. Die Eier haben einen Durchmesser von 0,12 mm und sind von einer ovalen dünnen und ganz durchsichtigen Schale umgeben, deren lange Axe 0,21mm, die kurze 0,16 mm hat (diese Zahlen variieren jedoch bedeutend). Die Verteilung des Protoplasmas und des gelblichen Nahrungsdotters entspricht der von H. Fol be- schriebenen. Auch ist die Furchung von diesem Autor im großen und ganzen genau beschrieben, in Einzelheiten will ich hier nicht ein- gehen; ich muss jedoch bemerken, dass die Struktur der 4 ersten Mikromeren von der Struktur der Makromeren sehr deutlich ver- schieden und keineswegs dieselbe ist, wie dies Fol für seine O%o aurantiaca (l. ce.) beschreibt. Am Ende der Furchung sehen wir also 4 von gelblichem Nahrungsdotter erfüllte Makromeren, die von einer bedeutenden Zahl feinkörniger Mikromeren von oben und von den Seiten bedeckt werden, das ganze Ei ist dabei etwas abgeplattet. Dann beginnt aber die eigentliche Gastrula- und Mesodermbildung. Eine der vier Makromeren teilt sich in zwei. Diese zwei Blastomeren bezeichnen deutlich von dieser Zeit an das Hinterende des Eies und liegen ganz symmetrisch; die Struktur ihres Protoplasmas unter- scheidet sich nur unbedeutend von der Struktur der übrigen Makro- meren, sie sind nämlich etwas heller. Diese Zellen sind die Mutter- zellen des Mesoderms, sie wandern nach und nach in den Raum zwischen den drei übrigen Makromeren (resp. ihren Teilungsprodukten) und den Mikromeren, also in die spaltförmige und nicht immer deut- lich wahrnehmbare Furchungshöhle. Noch früher als diese Zellen aus der Berührung mit dem äußeren Medium ganz ausgeschlossen 302 Knipowitsch, Zur Entwicklungsgeschichte von Clione limacina. sind, beginnen sie sich in je zwei zu teilen und die so entstandenen vier Zellen liegen ganz symmetrisch am hinteren Ende des Eies und sind die Urmesodermzellen. Ihre Lage kann man deutlich in der Fig. 1 sehen, welche einen Längsschnitt des Eies darstellt. Zur selben Zeit fangen auch die drei vorderen Makromeren an sich zu teilen und einzustülpen und dieser Prozess führt zur Bildung einer bilateral- symmetrischen Gastrula. Figuren: Msbl #° \Ms Der Blastoporus wird länglich, beinahe spaltförmig, wovon man sich leicht überzeugen kann, wenn man die beiliegenden Zeiehnungen mit einander vergleieht. Die Figur 2 stellt einen Querschnitt durch die mittlere Region eines Embryos dar, etwa von demselben Alter wie der in Fig. 1; die Figur 3 — einen Querschnilt durch den vorderen Teil eines ein wenig älteren Embryos; die Figur 4 — einen Längssehnitt einer vollkommen gebildeten Gastrula und die Figur 5 — einen (uer- schnitt des mittleren Teiles eines ebenso alten Embryos. Am Rande des Blastoporus bemerkt man immer einige kleinere und mehr klein- körnige ektodermale Zellen, deren Kern sich mit Boraxkarmin be- deutend tiefer als die anderen Zellen färbt. Diese Zellen verengern allmählich den Blastoporus, und wenn eine neue ektodermale Ein- stülpung stattfindet, die zur Bildung des Vorderdarms führt, so kann man an der Grenze von Vorder- und Mitteldarm diese Zellen ganz deutlich unterscheiden. Dadurch ist auch jeder Zweifel über den Platz, wo der Mund sich bildet, beseitigt. In der Fig. 4 sieht man, dass das Vorderende der Gastrula einen Vorsprung bildet, der von verhältnismäßig hohen Ektodermzellen gebildet ist; dieser Vorsprung bildet später das Vorderende der Larve. Nach der Bildung der Gastrula (Fig. 4 u. 5) fangen die Meso- blasten an sich zu teilen, dabei bilden sie kleine Mesodermzellen mit einem ebenso grobkörnigen Protoplasma, wie die Mesoblasten selbst. Bisweilen sieht man auf der Peripherie eines Mesoblasten eine ganze teihe von kleinen Mesodermzellen, die später überall in der spalt- förmigen Furchungshöhle liegen. Dass diese kleinen Elemente in der Knipowitsch, Zur Entwieklungsgeschichte von Clone Imacina. 3053 That sich von den Mesoblasten abspalten, beweisen nicht nur direkte Beobachtungen (nämlich, dass die Mesoblasten in Teilung sieh finden und an ihrer Peripherie man diese kleine Zellen bemerkt), sondern auch dieselbe grobkörnige Struktur ihres Protoplasmas. Uebrigens habe ich weder im Endoderm noch im Ektoderm etwas bemerken können, was auf Ursprung der Mesodermzellen aus diesen Schichten hinweise. Alle Zellen dieser beiden Keimblätter teilen sich immer nur so, dass die Teilungsebenen der freien Oberfläche dieser Blätter senkrecht sind. Auch bemerkt man niemals eine Einwanderung der Zellen dieser Blätter in die Furchungsspalte. Dazu sei noch bemerkt, dass in den Endodermzellen der protoplasmatische Teil mit dem Kerne der Oberfläche des Archenterons zugewandt ist, und eine Wanderung der Zellen aus dieser Schieht würde man sehr leicht bemerken können. Die Zeichnungen 6 und 7 stellen zwei nacheinander folgende Schnitte einer älteren Gastrula dar. Die Richtung der Schnitte ist eine schräge, dadurch kann man alle vier Mesoblasten sehen. Mit der Vorwärts- wanderung der Mesodermzellen ordnen sie sich nach und nach so, dass sie eine splanchnische und eine somatische Sehicht bilden. Was die weiteren Schicksale des Endoderms betrifft, so gehen die Zellen dieses Blattes ohne weiteres in die Zellen des Mitteldarms über, nur kann man später bemerken, dass in diesem Blatte eine Differenzierung stattfindet, einige der Zellen bleiben dotterreich, andere werden kleiner und bestehen nur aus Protoplasma. Es scheint, dass die ersteren sich in die Leberzellen umbilden, die letzteren die kleinzellige Teile des Darmtraktus bilden. Wir sehen also, dass wir es bei den Pteropoden (bei der Olione wenigstens) mit einer deutlichen Einstülpungsgastrula zu thun haben, die sich so bildet, wie die Gastrula der Paludina. Der Unterschied besteht nur in der größeren Menge von Nahrungsdotter und geringeren Anzahl der Endo- dermzellen bei Olione. Was die Bildung des Mesoderms betrifft, so ist sie der von Rabl bei Planorbis beschriebenen ähnlich, nur bilden sich bei Clione keine deutlichen Mesodermstreifen. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass bei denjenigen Pteropoden, wo eine der vier Makromeren (wie Fol beschreibt) kleiner und ärmer an Nahrungsdotter ist, diese Zelle ganz so wie die hintere Makromere bei unserer Form dem Mesoderm Ursprung gibt und keines- wegs einen Teil des Ektoderms bildet. Was Fol über die Entstehung der Mesodermzellen aus dem Ektoderm sagt, ist, wie man aus dem obengesagten sehen kann, nicht richtig. St. Petersburg 5. April 1891. 304 Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. Dr. N. W. Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. St. Petersburg 1390. 8. 217 Seiten mit 8 Tabellen. 1. Die Osseten. Die genannte Abhandlung, eine bei der militär- medizinischen Akademie zu St. Petersburg veröffentlichte Doktor- Dissertation, be- handelt einen sehr interessanten Gegenstand —- die Anthropologie der Ossen oder Osseten auf der Grundlage genauer Messungen. — Der Verfasser, der seine medizinischen Studien an der St. Peters- burger militär- medizinischen Akademie gemacht hat, begann seine anthropologischen Untersuchungen in Wladikawkas, woselbst er 1857—1888 als Arzt des Kabardin’schen Regiments thätig war. Nach einem kurzen Aufenthalt in St. Petersburg 1888/89 nahm er im Som- mer 1889 seine Messungen wieder auf, um endlich die Resultate der- selben — unter Beihilfe des Professor Dr. Tarenetzky (in St. Peters- burg) — zu veröffentlichen. Der Verfasser hat in den Jahren 1887/88 alle Osseten gemessen, die ins Spital kamen: Verwundete, Kranke, Arrestanten ete. im Ganzen 60 Individuen; später hat er (Juni-Juli 1889) 180 Osseten gemessen, die in einem kaukasischen Kosaken-Regimente dienten, und fast alle aus den Aulen (Dörfern) Ossetiens und Digoriens stammten. Doch bat er schließlich bei den Berechnungen nur 200 Individuen berücksichtigt, indem selbstverständlich alle kranken, gebrechlichen Individuen ausgeschieden werden mussten. Den Messungen ist das von Broca angegebene Schema zu Grunde gelegt mit einigen kleinen Modifikationen Tarenetzky’s. Auf eine Wiedergabe des Reglements, sowie eine Beschreibung der beim Messen in Anwendung gebrachten Instrumente muss hier selbstverständlich verzichtet werden. Der Abhandlung sind die Messungen von 200 Individuen in 8 Ta- bellen in tabellarischer Form (auf jeder Tabelle 25 Individuen) angefügt. Der Verfasser liefert zunächst I. eine kurze geographische Skizze des von den Osseten bewohnten Landstrichs (S. 15-21), dann II. eine kurze Geschichte der Osseten (S. 22—42), weiter III. einen ethnographischen Abriss (S.43—80), in dem nach einander er- örtert werden die Wohnungen, die Nahrung, die Lebensweise (das Leben der Gemeinden und das Leben der Einzelnen), die Gastfreund- schaft, Hochzeitsgebräuche, die Sprache, Bildung, Kleidung, Krank- heit, Sterben und Tod. Das sehr fleißig zusammengebrachte Material kann auszüglich nur kurz wiedergegeben werden; dabei mögen nur einige Zahlen bier Platz finden; es sei die interessante Thatsache angeführt, dass der Volksstamm der Osseten in den letzten Jahrzehenten an Kopfzahl zugenommen hat. Im Jahre 1833 zählte man 35,750 Osseten, am Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. 305 Ende der sechziger Jahre 66,126 Individuen (46,802 nördliche, 19,324 südliche). Am 1. Januar 1871 zählte man 49,444 Nord -Osseten, im Jahr 1877 61,438 (Mitteilungen über die Süd-Osseten fehlen). Nach den Erhebungen des kaukasischen statistischen Komites rechnete man in Transkaukasien: Süd-Osseten 51,980, Nord-Osseten 58,925. Nach den allerneuesten Erhebungen soll die Zahl der Nord-Osseten sogar bis auf 74,520 Individuen beiderlei Geschlechts gestiegen sein. — Wir wenden uns zu den eigentlichen anthropologischen Beobach- tungen des Verfassers (S. 81—107). IV. Anthropologische Beobachtungen (S. 81—107). „Die Alanen sind schön und stattlich; ihre Haare sind blond; sie sind schrecklich wegen ihrer drohenden Augen; sie sind sehr lebhaft und beweglich wegen der Leichtigkeit ihrer Bewaffnung“, so schrieb Am- mianus Marcellinus in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts über die Vorfahren der heutigen Osseten. W. Müller (Moskau), ein genauer Kenner des Kaukasus, ist der Ansicht, dass das Aeußere der Össeten der Beschreibung des Marcellinus sehr nahe kommt; man fände unter den Osseten sehr viele blonde Individuen mit grauen und blauen Augen; insonderheit seien in der niederen Klasse, die sich einen reinern nationalen Typus erhalten habe als die höhere, viel blonde Individuen zu finden. Im Gegensatz hiezu bemerkt der Verfasser, dass es unter den Össeten mehr brünette als blonde Individuen gibt. Er glaubt den Unterschied dadurch aufklären zu können, dass er vorzugsweise Individuen der Gemeinden Alagyr und Kurtatinsk gesehen habe, dass dagegen unter den Digoriern (92 Individuen) ganz entschieden sehr viel blonde Individuen angetroffen werden. Unter 652 Notierungen der Haar- und Augenfarbe sind: dunkle Haare und dunkle Augen 422 (darunter 41 Weiber) 64,72°/, n ” ) helle ) 118 ( ” 4 „ ) 1810 „ helle „ „dunkle, 98 ( a2 ER IESNOR TEN ” ” » helle ” 2 ( ” Ar ” ) 2,15 ” 652 57 Ziehen wir die Zahlen noch mehr zusammen, so ergibt sich, dass unter den Osseten dunkelhaarig sind 82,82°/,, darunter dunkel- äugig 64,72 9],. ; Unter diesen 652 Individuen wurden bei 200 die einzelnen Nüancen der Haarfarbe besonders notiert. Darnach ergab sich folgendes: schwarzaarig . I. SR 755 dunkelbraun, fast schwaszz . . .. 25 DE dunkelbraun.) in am 1:62 31,0, hellbraun . . Ba, 19 35,2. hellbraun, fast, blond . tesa: 1 0.99: Das Grauwerden der Haare tritt im allgemeinen spät ein. Die Haupthaare werden abrasiert oder die Haare sehr kurz geschoren; einen Osseten mit mäßig langen Haaren sieht man selten. Im allgemeinen sind die Haare der Osseten schlicht und stets dicht; unter 200 wurde nur 2mal krauses Haar und 2 mal ge- XI, 20 306 Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. locktes beobachtet; in diesen 4 Fällen waren die Haare überdies rauh. Wie bekannt, sind die Haare der indogermanischen Völker, zu denen auch die Osseten gehören, nicht kraus und nicht rauh. Den- noch sieht man bei den Osseten verhältnismäßig oft rauhe Haare; unter 200 Individuen hatten 60 rauhe Haare. — Viel seltener trifft man auf wirklich weich und zart anzufühlendes Haar. Die Haare der Augenbrauen und Augenwimpern sind meistens dunkel, nämlich bei */, aller Individuen; besonders häufig sind sie schwarz bei schwarzem Kopfhaar, seltener bei dunkelbraunem; noch seltener sind die Augenlidhaare hellbraun — meist bei hellen Kopf- haaren. Eine Uebersicht gibt die nachfolgende kleine Tabelle, die ich in etwas verkürzter Form wiedergebe: Farbe der Kopfhaare der Augenbrauen und der Wimperhaare hellpraun. 22: rc ea 5 ee SR, schwarz |duk elbraum urn; En aan a SCHWATZE Ss ao 1 er NR ET, hellbraun. RR ar \ünkelran De Me dunkelbraun . SCHWATZE.Ar N ARTEN, a ee hellbraun. ETFs NER er sale dunkelbraun‘... 12 Immae Fr mean SCHWATZ. 2 Te 1a nn Sera 2 Die Baarthaare erscheinen erst spät bei den Osseten; bei 16 bis 17jährigen Osseten sind nur einzelne Haare auf der Oberlippe und am Kinn ein schwacher Flaum zu bemerken; !/, aller Osseten hat im 21. Jahre noch keinen Bart, erst im 23. bis 27. beginnt der Bartwuchs an der Oberlippe und am Kinn. Die Farbe der Barthaare ist gewöhnlich dieselbe wie die der Kopfhaare. Die Hautfarbe ist im Allgemeinen im Gesicht und den Händen brünett, bei vielen dunkelzimmtfarbig; aber ebenso ist auch die Farbe an den bedeckten Körperstellen. Farbe U der Haut der Haare heil: 36 Ar RE Eee rosig weiße . . 81 ke 2 a RE es ee ee hell: .... 22 Alan ee ee etwas brünett . . 55 2 RR RR SE Kellıs 3°... Saab MR Ze brünett . ..... 36 dunkel INES, SAD IS Murat. AR EEE ARRINe E sehr brünett 2 en 9 Die Stirn ist gerade und hat gut entwickelte Stirnhöcker; eine Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. 307 niedrige, leicht nach hinten geneigte Stirnform ist selten, noch seltener ist eine stark zurückweichende, fliehende Stirn. Die Nasenform wurde nach dem Schema Topinards be- stimmt. Darnach ergeben sich Individuen mit" gerader’ Nase"... 153790 823,79, BRNNaler- Nase HM. Mg RA EOS, er Hlatien Nasen IB NZ Aus dieser Tabelle geht hervor, dass die Mehrzahl der Osseten eine gerade Nase hat, fast */,; nur wenige (10,3°/,) haben eine Adler- nase und noch weniger (7°/,) haben eine platte Nase oder Stutznase. Die Lippen sind fein, grade, der Mund hübsch geformt, nicht groß, dieke aufgeworfene Lippen sind sehr selten, unter allen 200 In- dividuen nur 2mal. Das Kinn ist schmal, mitunter spitz, sehr selten breit. Die Zähne sind meist von mittlerer Größe, gleichmäßig gerade, dicht neben einander. Unter 180 wurden nur 5mal große und 5mal kleine Zähne beobachtet. Lücken zwischen den Zähnen wurden bei 34 Individuen bemerkt, darunter sehr kleine bei 27; nur bei 7 Indi- viduen waren die Zähne durch sehr beträchtliche Lücken von einander geschieden. Bemerkenswert ist, dass bei einigen Individuen zwischen den Schneidezähnen, besonders den oberen, beträchtliche Lücken waren, auch bei solchen Personen, deren übrige Zähne dicht standen. Die Zähne sind von weißer Farbe und gesund. Kranke Zähne kommen erst bei alten Personen vor; kariöse Zähne wurden nur bei 2 Individuen gefunden. Die Kanten der Zähne (Kauflächen) werden erst spät, im 45.—50. Jahr, abgeschliffen. Die letzten Backenzähne (sogenannte Weisheitzähne) brechen erst spät durch. Es fehlte noch der Weisheitzahn im 21. Lebensjahr bei 30°/, der untersuchten Indi- viduen, im 22. Lebensjahre bei 8°/,, im 23. bei 2°],. Die Ohren sind oval, von mittlerer Größe; sie stehen vom Schädel ab, der obere Teil des Ohres ist nach vorn und unten geneigt (um- gebogen). Diese Ohrform wird nicht allein bei den Osseten, sondern auch bei andern kaukasischen Bergvölkern beobachtet; es wäre sehr interessant, die Ursache zu entdecken. Bereits Knaben von 8 bis 10 Jahren haben abstehende Ohren, während bei Frauen und Mädchen niemals etwas Aehnliches beobachtet wird. Der Grund scheint in der Kopfbedeckung zu liegen: die Frauen bedecken den Kopf mit einem Tuche, wodurch die Ohren an den Kopf angedrückt werden; die Männer dagegen, schon die Knaben, tragen eine große und schwere Mütze aus Schaffell (Papacha), durch welehe die Ohren vom Kopf abgedrängt werden. — Am Schluss dieses Kapitels macht der Verfasser noch einige Be- merkungen über den Hinterkopf der Osseten und über die eigen- tümliche Form desselben, die er infolge der meist rasierten Köpfe gut beobachten konnte. Trotzdem, dass die Osseten brachycephal sind, hat in den meisten Fällen (48 mal unter 90) die Scheitelgegend 20 308 Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. (Scheitelbogen) das Aussehen eines langen, an der Stirn beginnenden, sich gleichmäßig bis zum Hinterkopf erstreckenden Gewölbes. In den übrigen 42 Fällen war der Scheitelbogen ein kurzes Gewölbe 27mal dagegen kurz, breit und flach 15mal. Der Hinterkopf erscheint abgeplattet, entweder im Ganzen oder teilweise oben, links oder rechts. Die Abplattung lässt sehr verschiedene Grade erkennen, von der kaum bemerkbaren Verringerung der hinteren Schädelkrümmung bis zu einem solchen Maße, dass es scheint, als sei ein Teil des Schädels hinten abgeschnitten. Der Hinterkopf ist gleichmäßig rund bei . . . 118 Individuen, 59°], er abgeplattet.. . 2.14.10 oben 12 teilweise abgeplattet . rechts 29 links 31 Die Abplattung ist so häufig, dass sie unmöglich zufällig sein kann. Eine künstliche Deformierung des Kopfes der Neugeborenen durch etwaiges Binden wird von den Össeten nicht geübt. Es scheint, dass eine eigentümliche Konstruktion der Wiege in Verbindung mit andern Umständen beschuldigt werden muss. Ein hartes Kopfkissen, das lange, zwei und mehr Jahre anhaltende Stillen der Kinder und die Gewohnheit, die Kinder auch beim Stillen in der Wiege zu lassen, scheinen die Abplattung des Hinterkopfs herbeizuführen. (Der Verf. verweist dabei auf eine Abhandlung Pokrowski’s (Moskau) „über den Einfluss der Wiege auf die Deformation des Kopfes“.) Der Verf. resumiert seine Beobachtungen allendlich in folgenden Sätzen: 1) Die Össeten haben dunkle Haare und dunkle Augen. 2) Auch die Barthaare sind dunkel, doch stets heller als das Haupthaar. 3) Die Barthaare kommen spät. 4) Der Körper ist wenig behaart. 5) Die Augen sind kaum von mittlerer Größe, die Augenlidspalte horizontal. 6) Hautfarbe brünett, an unbedeckten Körperstellen dunkler als an bedeckten. 7) Die Stirn ist hoch, grade, breit, mit gut entwickeltem Stirnhöcker und schwach entwickelten Augenbrauen-Bogen. 8) Die große Nase springt vor; sie ist grade mit einem hohen und schmalen Rücken; die Nasenöffnungen haben die Form ausgezogener Ellipsen. 9) Der Mund klein, die Lippen grade, fein. 10) Das Kinn nicht breit, springt vor. 11) Die Zähne sind grade, von mittlerer Größe, stehen dicht, die oberen greifen über die unteren. 12) Die Ohren sind ab- stehend, der obere Teil gebogen. 13) Der Scheitelbogen ist ein Ge- wölbe. 14) Der Hinterkopf ist in verschiedenem Grade ab- geplattet. | 41%), V. Anthropometrisches (S. 108—204). 1) Die Körpergröße. Der Verfasser referiert zuerst über die Messungen anderer Forscher: Ercekert hat 6, Chantre und Pan- tjuchow 16 Individuen gemessen. Die Ziffern sind wegen der ge- Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. 309 ringen Zahl der gemessenen Individuen ohne Bedeutung; ich lasse daher hier wie später die Vergleiche, die der Verfasser zwischen seinen Messungen und denen der genannten Forscher macht, bei Seite. Der Verfasser hat 200 im besten Mannesalter stehende Osseten gemessen und gibt als Mittel 1695,3 mm an; danach sind die Osseten als hochgewachsen zu bezeichnen. Die gewonnenen Zahlen schwanken zwischen 1560 (Minimum) und 1900 (Maximum). In der folgenden Tabelle sind alle Maße — nach Bertillon — in Gruppen geordnet, die 2,7cm (= 1 Zoll) von einander entfernt sind: in Millimeter Zahl der Individuen Prozent von 1560—1569 2 It „ 1570—1597 8 4 „ 1598—1624 15 25 „ 1625—1651 25 12,5 „ 1652—1678 31 15,5 „ 1679 —1705 37 18,5 „ 1706—1732 29 14,5 „ 1733—1760 23 11,5 „ 1761—1787 15 75 „ 1788—1814 11 5,5 „ 1815 und mehr 4 2 Nach Topinard in größeren Gruppen geordnet: bis 1600 11 >> von 16001650 37 18,5 „ 1650—1700 62 al „ 1700 und darüber 90 45 Der Jhering’sche Osecillationsexponent ist auf 4,92 berechnet. Die Gruppierung der Größe nach den Jahren ergibt: 2 22 23 24 25 26 27 28 1688,2 1688,4 1701,0 1686,38 1705,4 1696,7 1705,8 1731,5 Hiernach scheint es, als ob bei den Osseten das Wachstum nicht im 21.—23. Jahr aufhört, sondern weiter bis zum 30. Lebensjahr an- dauert. — Jedenfalls gehören die Osseten zu den Nationen mit sehr bedeutender Körpergröße; zu diesem Resultat kommt auch Anutschin; nach seinen Mitteilungen liefert der Kaukasus die größten Rekruten. 2) Der Brustumfang. Der Brustumfang wurde gemessen bei erhobenen und auf dem Kopf ruhenden Armen, wie die russische Instruktion für die Rekruten-Aushebungen es vorschreibt. Das Mittel des Brustumfanges bei 196 Osseten ist 893,9 mm, d. h. 52,72°/, der Körpergröße; mit andern Worten der Brustumfang ist um 46 mm be- deutender als die Hälfte der Körpergröße. Der Brustumfang schwankt von 775 (Minimum) bis 1041 (Maximum) Differenz 266 mm. Die Zunahme des Brustumfangs hört nicht mit dem 21. Jahr auf, sondern hält mit dem Wachstum bis zum 29.—30. Jahr an. Jahr: 21 22 23 24 25 26 27 28 29 Brustumfang: 883,8 886,9 900,5 889,5 905,6 906,4 931,5 902,0 924 310 Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. Der Brustumfang ist in allen Lebensaltern bedeutender als die Hälfte der Körpergröße und diese Differenz nimmt mit den Jahren zu. Es sei übrigens hier bemerkt, dass zwischen dem Brustumfang bei erhobenen Armen und dem Brustumfang bei herabhängenden Armen ein Unterschied ist, der bei den Össeten (auf Grund der Doppel- messung an 36 Individuen auf 20 mm anzuschlagen ist. Durch Hinzu- addieren von 20 mm zu allen Einzelzahlen oder zum Mittel (893,9) kann man den Brustumfang bei herabhängenden Armen erhalten. Der Abstand zwischen den beiden Brustwarzen wurde bei 167 In- dividuen bestimmt; er betrug im Mittel 199,9 mm (Maximum 236 bei einem Individuum mit Brustumfang von 948 mm und Körpergröße von 1764 mm; Minimum 162mm bei einem 23jährigen Individuum, dessen Brustumfang 892 und dessen Körpergröße 1635 mm). 3) Der Rumpf. Die Rumpflänge wurde mit Hilfe der Glissiere anthropometrique (Topinard) gemessen vom oberen Rand der Scham- beinfuge bis zum oberen Rand des Brustbeingriffs. Die Rumpflänge bei 158 Individuen gemessen beträgt im Mittel 530 mm oder 31,32 der Körpergröße. Das Minimum 467, das Maximum 601 mm. Die Schulterbreite wurde mittels Topinard’s Glissiere ge- messen durch den Abstand des einen Acromion vom andern: Der Ab- stand beträgt im Mittel (bei 164 Individuen) 392,0 mm oder 23,12°/, der Körpergröße (Minimum 352 mm, Maximum 449 mm). Trotzdem, dass die Schulterbreite nicht mit einem Bande, sondern mit einer Glissiere gemessen wurde, daher eher kleinere Zahlen als gewöhnlich ergeben hat, so übertrifft sie doch die Schulterbreite der Neger und Araber — um 20 mm (Topinard) — die Osseten haben jedenfalls eine sehr beträchtliche Schulterbreite. Der Bauchumfang wurde bei 164 Individuen gemessen. Das Mittel beträgt 729 mm oder 43,05°/, der Körpergröße und 81,65°/, des Brustumfanges. Die Messung erfolgte an der engsten Stelle, „der sogenannten Taille“, die bei den Osseten durch einen besonderen Ein- druck kenntlich ist, weil alle sich mittels eines Riemens den Leib zusammenschnüren, um eine enge „Taille“ zu haben. Als Ideal der männlichen Schönbeit gilt unter den Bergvölkern: hoher Wuchs, breite Schultern und eine enge Taille. Der Bergbewohner des Kaukasus kennt kein höheres Lob als wie es das Sprüchwort sagt: seine Schultern sind so breit und die Taille so eng, dass, wenn er auf der Seite liegt, eine Katze durchkriechen kann, ohne den Körper zu be- rühren. Doch kommen die Osseten diesem Ideal nicht nahe, sie sind massiger und stämmiger als die andern Bergbewohner, aber doch schlanker als z. B. die russischen Kosaken. Außerdem wurde bei 60 Individuen der Bauchumfang in der Höhe des Nabels gemessen. Der Umfang beträgt im Mittel 788 mm, d.h. 59 mm mehr als der Bauchumfang in der Taille (Minimum 622 mm, Maximum 881 mm). Im Allgemeinen ist der Leib der Osseten ein- gesunken und eingezogen — Ausnahmen sind selten; die große Armut, Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. 311 die schlechte und unzureichende Nahrung sind wohl die Ursache für diese Erscheinung; übrigens essen die Bergbewohner, wenn sie nicht irgendwo zu Gaste sind, sehr wenig. Die Nabelhöhe betrug bei 164 Individuen gemessen im Mittel 1008,3 mm oder 59,47°/, der Körpergröße (das Maximum beträgt 1115 mm). Nabelhöhe schwankt: 900—1000 bei 74 Individuen 45°], 1000—1050 540D 33,0, 1050— 1100 a2 5 196; 1100 und darüber „ 3 153% Bemerkenswert ist, dass die Höhe des Nabels sich mit den Jahren ändert. Lebensjahr: 21 22 23 24 25 26 27 28 Mittel Nabelhöhe: 996,8 10082 1011,5 1010,3 1016,7 1016,4 1007,3 1031,5 1008,3 Körpergröße: 1688,2 1688,4 1701 1686,6 1705,4 169,7 1705,0 14731,5 1695,35 Die Beckenbreite — der größte Abstand der Cristae ossis ilium von einander beträgt im Mittel 267,6 mm d. h. 15,78 °/, der Körpergröße (das Minimum 282 mm, das Maximum 302 mm). 4) Die obere Extremität. Die Klafterweite. Der Abstand der Spitzen der Mittelfinger bei gespreizten Armen wurde mittels eines Messbandes bestimmt. Die Klafterweite beträgt im Mittel (bei 195 Individuen gemessen) 1754 mm, d. h. 103,46°/, der Körpergröße (das Minimum 1569, das Maximum 1942 mm). Die Länge der oberen Extremität wurde nicht mittels eines Bandes, sondern mittels der Topinard’schen Glissiere bestimmt, und zwar wurde nur eine Extremität, die rechte, in herabhängender Lage gemessen. Die Länge beträgt im Mittel, bei 164 Individuen gemessen, 749,2 mm, oder 44,1°/, Körpergröße. Das Minimum der Länge be- trägt 656 mm, das Maximum 840 mm. Länge 656—700 bei 8 Individuen, oe a Sue red 6 ea eh E22 U. EEHR aRels RN BOB Eee?) =. ” Die Länge nimmt mit den Jahren zu, ähnlich wie die Körper- größe zunimmt. Der Oberarm und der Vorderarm. Das Verhältnis der oberen Extremität (Oberarm und Vorderarm) zur unteren Extremität (Ober- schenkel und Unterschenkel) ist bei den Osseten — 72,82, das Ver- hältnis des Vorderarms zum Oberarm = 85,77. Die Länge des Öberarms, bei 164 Individuen gemessen, ist im Mittel 326,2 mm (Minimum 283 mm, Maximum 373 mm); die Länge des Vorderarms 279,5 mm (Maximum 308 mm); die Länge des Oberarms und Vorder- arms zusammen 606 mm. 312 Giltschenko. Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. Die Hand; als Länge der Hand mit dem Mittelfinger wurde im Mittel gefunden 196,5 mm; das Verhältnis zur Körpergröße 11,59 (Minimum der Handlänge 175 mm, Verhältnis zur Körpergröße 11,31, Maximum 227 mm, Verhältnis zur Körpergröße 12,45). Vergleichen wir die bei den Osseten gewonnenen Ergebnisse mit den Resultaten der Messungen bei andern Völkern, so ergibt sich dass noch kürzere Hände sich finden in Algier bei den Kurugli (9,9), bei algerischen Negern (10,8), Arabern (11,1), Berbern (11,1), Belgiern und Rumänen (11,5). Länger als bei den Osseten sind die Hände verhältnismäßig bei den Deutschen, Slawen und Chinesen. Die Behauptung, dass die im Verhältnis zur Körpergröße längere Hand charakteristisch für eine tiefere Rasse sei, ist nicht stichhaltig. Die Hand der Osseten ist an und für sich groß und stark, die Finger nicht sehr dick, allmählich zum Nagelglied sich verjüngend. Die Hände aller 164 gemessenen Osseten wurden auf ein Blatt Papier gelegt und der Kontur gezeichnet. Schließlich sei noch auf einen Umstand aufmerksam gemacht. Die Länge der oberen Extremität, direkt gemessen vom Akromion bis zur Spitze des Mittelfingers, ist stets um 30—60 mm kürzer als die Länge der oberen Extremität, die wir durch Addieren der Länge vom Oberarm, Vorderarm und Hand erhalten. Die Erklärung für diese Thatsache ist darin zu suchen, dass beim Messen der einzelnen Teile der Extremität nicht die entsprechenden End- und Anfangs- punkte gewählt wurden. 5) Die untere Extremität. Ihre Länge wurde beim stehenden Menschen gemessen, durch den Abstand des Trochanter major vom Boden; sie beträgt im Mittel 885,3 mm; das Verhältnis zur Körper- größe — 52,3, zur Rumpfhöhe 167; das Verhältnis der Rumpfhöhe zur unteren Extremität 59,8. Mit andern Worten: die Osseten haben sehr lange und gut ausgebildete untere Extremitäten. Die Länge der unteren Extremität (Oberschenkel und Unterschenkel ohne Fuß) ist im Mittel 832,1imm. Das Verhältnis zur Körpergröße 49,2. Die Länge des Oberschenkels im Mittel 441 mm (Minimum 385 mm, Maximum 495 mm); Verhältnis zur Körpergröße 26,1. Die Länge des Unterschenkels im Mittel 390 mm (Minimum 339, Maximum 444 mm); Verhältnis zur Körpergröße 23,0; das Verhältnis des Unterschenkels zum Oberschenkel = 88,34. Der Fuß. Es wurde, wie bei der ganzen Extremität, stetsrechts gemessen und zwar beim Stehen. Die Länge im Mittel 286,8, Ver- hältnis zur Körpergröße 1514 (Minimum 224, Maximum 289 mm). Außerdem wurde bei 30 Individuen der größte und der geringste Umfang des Unterschenkels gemessen. Der größte Umfang auf der Höhe der Wade ergibt im Mittel 363,4 mm (Minimum 525, Maximum 409 mm) und der geringste Umfang oberhalb des Fußknöchels 226,1 mm (Minimum 201 mm, Maximum 258). Das Verhältnis des unteren geringen Umfanges zum oberen größten Umfange = 62,21. Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. 315 6) Der Kopf. Der Hirnschädel. Die Osseten sind subbrachy- cephal. Der Kopfindex beträgt im Mittel (200 Individuen) — 82,62. Die größte Länge — 189,4, die größte Breite 156,5 mm. Der Autor gibt uns hier eine Zusammenstellung seiner Resultate mit denen anderer Forscher (v. Erekert, Chantres, Malijew, Bogdanow, Müller); allein diese Zusammenstellung kann bei dem geringen Material, das den andern Autoren zu Gebote stand, nicht verwertet werden. Erekert hat 16 Osseten gemessen und fand bei 14 einen Cephalindex von 80,5, bei zweien einen Index von 87,6. Chantres hat 17 Individuen gemessen und erhielt einen Index von 83,11. — Össeten-Schädel sind nur wenige untersucht worden, weil es nur wenige gibt, 2 im Museum der Universität Kasan (Malijew, Index 88,4); 3in Moskau (Bogdanow, Index 83,83, 82,25 und 78,82); 1 in St. Petersburg (Index 86,4). Der Verfasser hebt hervor, dass es wünschenswert ist, bei Mes- sungen von Össeten zu berücksichtigen, ob man deformierte Köpfe vor sich hat oder nicht: Chantres hat das bereits gethan. Der Ver- fasser hat deshalb von den 200 Individuen 82 mit plattem Hinterkopf unberücksicht gelassen, und nur die übrigen 118 in betracht gezogen, um den wirklichen Index zu gewinnen. Daraus ergibt sich der Index der nicht-deformierten Köpfe 81,76 (118 Indiv.), ferner der Index der deformierten Köpfe 83,79 (82 Individuen). Mit Rücksicht auf Broca’s Klassifikation gruppieren sich die 200 Osseten wie folgt: Dohrehocephall == 1.7 20.. 1.2219, Subdolichocephalt!. 1222. 22.76, Mespcephalen., 2.7.1032... 2.2.7..168,, Subbrachycephali . ..»72" ......2..36 „ Brachyeephali 1.9.1. 182 2 7.2 Al}, Hieraus geht zur Evidenz die Kurzköpfigkeit der Osseten hervor. Bemerkenswert sind 2 Individuen, von denen der eine einen Index von 93,85, der andere einen Index von 94,18 besaß, also beide kolossal kurzköpfig. Ueber den hier eingeschalteten Vergleich der Osseten mit andern kaukasischen Völkerstämmen können wir hinweggehen. Den Oscillationsexponent (Jhering) bestimmt der Verfasser für das Mittel des Kopfindex (82,62) auf 3. — 1) Die Länge des Kopfes (der Verfasser spricht stets vom „Schädel“, allein da er es mit Lebenden zu thun hat, so meint er damit den Kopf). Die Kopflänge der lebenden Osseten beträgt im Mittel 289,4 (aus 200 Individuen). Minimum 172, Maximum 240 mm. Länge des Kopfes von 172—179 mm bei 15 Individuen 7,5%, ” ” )) b)) 180—189 ” )) 82 ” 41,0 )) 2) „ ” p)) 190—199 „ „ 93 ” 46,5 b)) 2 BD Fan 10 5 5,0 „ Das Verhältnis der Kopflänge zur Körpergröße ist 1517. 314 Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. Der Verfasser referiert dabei über einige Messungen an Osseten- Schädeln. Bogdanow fand an einem kindlichen Schädel die Länge 167 mm „ weiblichen 3 2 37416954 „ alten Gräberschädel 380 ” r ] ” ” 170 ” Malijew " Schädel (Kasan) e 0 91519 ” ” ” ” ” 160 ” 5 „ (St. Petersburg) „ a hr Der auffallende Unterschied zwischen der Schädellänge und der Kopflänge veranlasste den Verfasser zu einigen eigenen Versuchen, um zu ermitteln, ob der Unterschied zwischen Schädel und Kopf bei einem und demselben Individuum wirklich so bedeutend sei. Er be- nutzte dazu einige Leichen der im Hospital zu Wladikawkas Ver- storbenen; — wie viel Individuen er gemessen und was für Resultate er im Allgemeinen gewonnen, darüber berichtet er nichts. Er meldet nur, dass er unter andern 2 Össeten gemessen, und gibt die Resultate in folgender Tabelle: (Des Kopfes (Des Schädels x mit Weichteilen) ohne Weichteile) Differenz Länge Nr. !: 183 182 61: 3 Mittel 7 NT 180 172 5! ne Breite Nr. 1 157 144 N 12 Nr 2E 161 150 1 3 r] Der Verfasser äußert sich weiter nicht über die hier deutlich zu Tage getretene Differenz zwischen dem Kopf- und Schädel-Durch- messer. Die Breite des Kopfes beträgt im Mittel 156,5 mm (Minimum 142, Maximum 170). Das Verhältnis der Kopf-Breite zur Körpergröße ist 9,25. Breite von 142—149mm bei 17 Individuen 8,5%], N ” 150—159 „ N 129 N 64,5 ” Sie EUTCHETOTFHA NEE ME 26,6 „ ” b2] 170 ”» ” 1 ” 0,5 ” Die Höhe des Kopfes ließ sich nicht an allen Individuen fest- stellen; sie konnte nur bei 50 Individuen gemessen werden und betrug im Mittel 124 mm (Minimum 112, Maximum 140 mm). Höhe von 112—119mm bei 11 Individuen 22°), ) h) 120—129 „ „ 30 ” 60 2 ” „ 130—139 ” ” 8 ” 16 „ n ” 140 n n 1 „ 2» Mit Rücksicht auf Topinard’s Empfehlung wird dann weiter berechnet der Höhenindex auf. . . 65,27 Höhenbreitenindex auf 79,53 und aus diesen beiden der gemischte Höhenindex auf . . . 72,40 Hiernach ist der Osseten-Kopf platycephal (chamaecephal). Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. >15 Der Horizontal-Umfang des Kopfes konnte infolge der Ge- wohnheit der Osseten, den Kopf zu rasieren sehr bequem gemessen werden. Im Mittel beträgt dieser 560 mm. Das Verhältnis zur Körper- größe ist 33,03; folglich haben die Osseten einen verhältnismäßig großen Kopfumfang (Minimum 524, Maximum 593 mm). von 524 mm bei 1 Individuum 0,5°/, h) 530—539 „ y„ 7 b) 39 ” 540—549 ” » 40 ” 20 n ) 550—559 „ „ 52 ” 26 ” „560-569, 15,48 . 24 „ ” 570—579 ) ” 33 16,5 „ h) 580-589 „ „ 17 „ 8,5 „ n 993 » 2 2 ? Ph] ” Der Querumfang des Kopfes (OPO) [vertikaler Querumfang des Kopfes von einer Ohröffnung zur andern] beträgt im Mittel 350,8 mm. Das Verhältnis zur Körpergröße 20,69 (Minim. 321, Maxim. 377 mm). Querdurchmesser des Kopfes (OO) gemessen von einer Ohr- öffnung bis zur andern (da die Ohröffnung bei Lebenden nicht genau als Ausgangspunkt der Messung dienen kann, so wurde von nach dem Beispiel Topinard’s die Mitte des Tragus genommen). Der Quer- durchmesser beträgt (bei 36 Osseten gemessen) im Mittel 141,8. Das Maß ist interessant, weil damit die Breite der Schädelbasis bestimmt wird. Man kann aus der Addierung dieser Breite der Basis und des vertikalen Querumfangs (00 — OPO) den Quer-Umfang des ganzen Hirnschädels und Kopfs bestimmen; er beträgt im Mittel 491,8. Diese Zahl ist nicht gewonnen durch Addieren der beiden Mittel, sondern es wurde aus den Zahlen, die von 36 Osseten den Querumfang des Kopfes ergeben hatte ein besonderes Mittel 350,0 berechnet, und dieses zu dem Mittel der Basis-Breite 141,8 addiert. Die geringste Stirnbreite (FF) wurde bei 36 Individuen mit 110,6 mm im Mittel bestimmt (Minimum 101, Maximum 131 mm). Broca vergleicht diesen kleinsten Stirndurchmesser mit der größten Stirnbreite in der Gegend des Schlätenbeins gemessen (Index stephani- que) und mit der größten Schädelbreite (Stirnindex). Bekanntlich kann man aber die obere (quere) Stirnbreite (zwischen den beiden Stephanion) an Lebenden nicht messen, darum kann nur der zweite Index (der Stirnindex) berechnet werden. Er beträgt im Mittel 69,82. Der Verfasser stellte im Laufe einiger Jahre im Kriegshospital zu Wladikawkas an den Leichen der hier Verstorbenen Hirnwägungen an, über die er aber nichts näheres berichtet. Er setzt nur die Resultate der Wägung der Hirne dreier Össeten an: 1) Knabe von 12 Jahren Hirn-Gewicht 1362,32 g Körpergröße 1170. 2) Mann „2A - 1541,5: 5 5 1660. 3) „ „ 21 ” 1515,35 ” ” 1720. Das Mittel beträgt 1473,05 g Das Gesicht der Osseten ist nicht sehr breit, oval, ganz allmäh- lich zum Kinn sich verjingend. Die Backenknochen sind schwach 316 Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. entwickelt, stehen einander nahe; doch trifft man nicht selten stark entwiekelte vorspringende Backenknochen. Das Gesichtsprofil erscheint orthognath oder ein wenig prognath. Die graden Zähne und die ungewöhnlich stark entwickelte Stirn vermehren den Eindruck. An 46 Individuen wurde mit einem Instrument (Broca) der Gesichtswinkel gemessen; er beträgt im Mittel 76°; an 26 Individuen dagegen wurde der Gesichtswinkel mittels Projektion bestimmt (Topi- nard); der so gewonnene Winkel beträgt im Mittel 75,5. Der Gesichtsindex. Das Verhältnis der vollen Gesichtslänge zur größten Breite 82,72 5 4 der gewöhnlichen „ 3 5 s 48,98 r B der größten > a & 5 121,10 R 4 der größten Breite zur größten Länge 82,57 Die Gesichtslänge wird nicht von allen Forschern in gleicher Weise gemessen. Es wurden hier 3 verschiedene Maße genommen. Die größte Länge des Gesichts von der Haargrenze der Stirn bis zum Kinn; die gewöhnliche Länge von der Nasenwurzel (Ophryon) bis zum Kinn, oder von dem Ophryon bis zum oberen Zahnrand des Oberkiefers. An 163 Osseten wurde die einfache Gesichtslänge gemessen von der Nasenwurzel bis zum Kinn; sie beträgt im Mittel 119,3 mm (Minimum 106, Maximum 133 mm). An 36 Osseten wurde die größte Gesichtslänge gemessen; sie beträgt im Mittel 172,2 mm (Minimum 153, Maximum 198). An 36 Osseten wurde die gewöhnliche Länge im Mittel auf 709 mm bestimmt. Die Gesichtsbreite. Die größte Breite (Abstand der Joch- beinhöcker von einander) wurde bei 200 Individuen bestimmt; sie beträgt im Mittel 144,8 mm (Minimum 122, Maximum 158 mm). Die obere Gesichtsbreite, Abstand der lateralen Augenhöhlenränder von einander, bei 200 Individuen gemessen, beträgt im Mittel 111,2 mm. Das Verhältnis der oberen Gesichtsbreite zur größten Gesichtsbreite ist 76,2, d. h. die Osseten gehören zu den Rassen mit mittlerem Ge- sicht (Index von 76-80). — Die untere Gesichtsbreite (Abstand der Winkel des Unterkiefers), wurde bei 200 Individuen gemessen; sie beträgt im Mittel 110,1mm (Minimum 97, Maximum 123 mm). Das Verhältnis dieses Mittels zur größten Gesichtsbreite ist 76,01. Außer- dem wurde bei 36 Individuen die Länge des Unterkiefers gemessen, d. h. der Abstand des Kinnstachels vom (hinteren) Winkel. Die Länge beträgt im Mittel 99,2mm (Minimum 88, Maximum 115 mm). Die Breite des Mundes (Abstand der Mundwinkel von ein- ander) wurde bei 20 Osseten gemessen, beträgt 51,1 mm, das Ver- hältnis zur Körpergröße 3,03. Die Nase. Der Höhenbreitenindex der Nase, das Ver- hältnis der Nasenbreite zur Höhe, beträgt bei den Osseten (200 Indi- viduen) 66,84. Der zweite Nasenindex ist der Index antero- Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. SE posterieur d. i. das Verhältnis der größten Nasenbreite zur Länge des Nasenscheidewandknorpels (des Abstands der spina nasalis anterior von der Nasenspitze) wurde bei 30 Osseten bestimmt; der Index be- trägt 68,93. Die Länge der Nase von der Nasenwurzel bis zur Nasen- scheidewand ist im Mittel 54,9, Verhältnis zur Körpergröße 3,24. (Das Minimum der Länge ist 46,5, das Maximum 65.) Die Nasenbreite, auch untere Nasenbreite genannt, der Abstand der lateralen Ränder der Nasenflügel von einander wurde bei 200 Individuen ge- messen und beträgt 36,7” mm (Minimum 30, Maximum 42 mm). — Der Diameter antero-posterieur oder die sogenannte Höhe der Nase von dem unteren Nasenpunkt bis zur Nasenspitze ist 25,3 mm. — Die obere Nasenbreite oder der Abstand zwischen den medialen Augenlidspalten ist im Mittel 33,3, das Verhältnis zur Körpergröße ist 1,96. Die Ohren wurden bei 20 Osseten gemessen; wie bemerkt stehen die Ohren ab und sind oben geknickt. Es wurden nur grade Ohren gemessen. Gewöhnlich sind nieht beide Ohren gleich, das rechte Ohr ist 64,8, das linke 63,1 mm hoch, Verhältnis der mittleren Ohrenlänge zur Körpergröße 3,0. — Zum Schlusse führt der Verfasser noch einige physiologische Beobachtungen an den Össeten an. Die Körpertemperatur — während der Sommermonate Juni und Juli — wurde in der rechten Achselhöhle gemessen bei 20 Indi- viduen von 20—25 Jahren. Das Mittel beträgt 37°%3. (Minimum 364, Maximum 3707.) Bei einer andern Anzahl Osseten, die, ohne krank zu sein, aus andern Gründen zur Beobachtung dem Hospital zuge- wiesen worden waren, wurden gleichfalls Temperaturmessungen ange- stellt; bei diesen 17 Individuen im Alter von 21—65 Jahren betrug die Temperatur im Mittel 3701. Der Puls, bei 59 Osseten, die in einem Kosaken - Regiment dienten und im Alter von 21—25 Jahren standen, zeigte im Juni und Juli Vormittags 10—11 Uhr gemessen, im Mittel eine Häufigkeit von 69 Schlägen. Diese geringe Frequenz ist um so bemerkenswerter, als bei den meisten- der Individuen der Puls unmittelbar nach Be- endigung der anthropometrischen Beobachtung gemessen wurde. Der Puls war bei einzelnen (11) Individuen bis auf 60 Schläge, bei einem Individuum bis auf 56 Schläge, bei einem andern bis auf 55 Schläge verlangsamt. Das Atmen ist bei den Osseten oberflächlich, nicht tief. Auch nach angestrengtem Marsch in den Bergen, beim Ersteigen der Berge wurde die Atmung nur um ein Geringes tiefer. Im Mittel beträgt die Atemfrequenz 18 in der Minute. Die Sehsehärfe wurde bei Tagesbeleuchtung zwischen 10 bis 12 Uhr Mittags geprüft. An 142 Individuen wurde die Sehschärfe geprüft, welche im Mittel 2,4 ergab, nämlich 318 Giltschenko, Materialien zur Anthropologie des Kaukasus. bei 2 Osseten Sehschärfe 1,0 ” 5 ” n 1,5 , 37 ” r)) 2,0 r 34 n ” 2,5 „0 » 2,75 ” 32 „ ” 3,0 ” 2 tz] ” 3,8 Hervorzuheben ist dabei, dass die Geprüften Soldaten waren. Im Allgemeinen überschreitet bei vielen Völkern die Sehschärfe das normale (1) Maß. Bei den übrigen Kosaken des Regiments ergab eine Prüfung der Sehschärfe 2,65, also noch mehr als bei den Osseten. Eine noch höhere Sehschärfe fand sich bei den Kalmücken, im Mittel 2,7 (Dr. Kotelmann in Hamburg). Unter 164 Osseten war kein einziger farbenblind. Das Gehör wurde nicht mit genauen Apparaten untersucht; nur ganz allgemeine Beobachtungen wurden angestellt: die Entfernung, in welcher ein Ossete den Schlag der Uhr hört, ist nicht größer als bei andern Leuten. Dagegen vernimmt der Ossete im Freien, auf der Ebene wie in den Bergen, in ganz ungewöhnlich großer Ent- fernung bestimmte Töne, versteht gesprochene Worte u. dgl. Das Gefühl (die Empfindlichkeit) ist, wie es scheint, bei den Osseten nicht besonders entwickelt, sondern etwas stumpf. Die Mehr- zahl der Erwachsenen, auch der Kinder, erträgt Schmerzen mit großer Ruhe — stoisch. Auf Grund der mitgeteilten Messungen kommt der Autor zu folgenden Schlüssen: 1) Die Osseten sind hochgewachsen. 2) Der Brustumfang ist nur um ein geringes größer als die Hälfte der Körperlänge. 3) Die (relative) Länge des Rumpfes ist gering. 4) Der Umfang des Bauches ist recht groß. 5) Die Schulterbreite und Beckenbreite ist bedeutend. 6) Die obere Extremität ist absolut und auch im Vergleich zur Körperlänge recht lang, und der Grund dafür ist in der Länge des Vorderarms zu suchen. x 7) Die untere Extremität hat eine beträchtliche absolute Länge, der Fuß nur geringe. 8) Die Osseten sind ihrem Kopfindex nach subbrachycephal, stehen aber der Brachycephalie näher als der Mesocephalie. 9) Der größte Längendurchmesser und größte Breitendurchmesser sowie der Horizontalanfang des Kopfes sind beträchtlich, die Kapazität des Schädels erscheint deshalb recht groß. 10) Der Ossete hat ein „Mittelgesicht“ mit steter Hinneigung zum „Kurzgesicht“. 11) Die Nase der Osseten ist beträchtlich lang, schmal und stark vorspringend. is 12) Die Sehsehärfe der Osseten ist beträchtlich höher als die so- genannte normale; die Farbenempfindung ist normal. L. Stieda (Königsberg i. Pr.). Günther, Einführung in die Bakteriologie. 319 Karl Günther, Einführung in das Studium der Bakterio- logie mit besonderer Berücksichtigung der mikroskopischen Technik. gr.8. 2448. Leipzig. Thieme. 1890'). Bei Anfertigung dieses Werkes lag es in der Absicht des Verf., speziell für den Mediziner in knapper, aber möglichst umfassender Weise eine Einführung in das Studium der Bakteriologie zu geben. Es ist deshalb auch das Hauptgewicht auf die Behandlung des me- thodischen Teiles, der manuellen Technik, speziell im Gebrauche des Mikroskopes gelegt, und das allgemeine morphologische und bio- logische Verhalten der Mikroorganismen ist nur insoweit berührt, als es zum Verständnis der praktischen Anleitungen nötig ist. Es werden daher in den ersten 3 Kapiteln die Morphologie, Systematik, Physiologie und Biologie der Bakterien nur kurz be- handelt. Nur auf einzelne, für die praktische Anwendung wichtige Punkte, wie die Desinfektion und Sterilisation, ist Verf. etwas ge- nauer eingegangen, und im Anschluss hieran macht er die Leser mit den Begriffen der Antiseptik und Aseptik vertraut. In weit größerer Ausführlichkeit sind die beiden letzten Kapitel des ersten Teiles be- sprochen: die allgemeine Methodik der Bakterienbeobachtung und der Bakterienzüchtung. Bei ersterer kommen nacheinander: Die Aus- rüstung des Arbeitstisches, die Beobachtung der Bakterien im leben- den Zustande, das gefärbte Deckglas- Trockenpräparat, Beobachtung der Bakterien in Schnitten, Allgemeines über Färbung und Entfärbung und die Gram’sche Methode der Kernfärbung zur Behandlung. Im Anschluss an die einzelnen Abschnitte bespricht Verf. etwas aus- führlicher das von ihm genau definierte „Prinzip der maximalsten Beleuchtung“, die Anfertigung von Blutpräparaten und die Geißel- färbung. Bei Besprechung der Färbungsmethoden macht auch Verf. als der erste darauf aufmerksam, dass „der Alkohol als solcher gar keine entfärbenden, rein alkoholische Farblösungen gar keine färben- den Eigenschaften haben“. — In dem folgenden Kapitel: „Allgemeine Methodik der Bakterienzüchtung“ macht uns der Verf. mit der Her- 1) Während des Druckes dieses Referates ist bereits eine zweite vermehrte und verbesserte Auflage (Leipzig 1891. gr. 8. 274 Seiten) dieses Werkes erschienen. Schon diese Thatsache bezeugt zur Genüge die Güte und Vorzüg- lichkeit dieses Buches, welche auch in obigem Referate hervorgehoben wor- den ist. Verf. hat auch in dieser neuen Auflage die Einteilung des Stoffes, die er der ersten Auflage zu Grunde gelegt hat, im Wesentlichen beibehalten und sich damit begnügt, überall in den einzelnen Kapiteln die etwaigen Lücken und Mängel zu beseitigen. So ist auch die in der ersten Auflage, wie oben bemerkt, so schlecht behandelte Methodik der Wasseruntersuchung zu ihrem Rechte gelangt, und hat eine längere Besprechung gefunden. Die wesentlichste Verbesserung hat Verf. seinem Werke dadurch angedeihen lassen, dass er einen Teil der beigegebenen Photogramme durch bessere ersetzte und die Zahl derselben von 60 auf 72 vermehrte. 390 Günther, Einführung in die Bakteriologie. stellung der wichtigsten bakteriologischen Nährböden: der Nährgela- tine, Nähragar, Nährbouillon, Blutserum, Kartoffel und deren Be- schickung bekannt, beschreibt ferner die Anfertigung des „Klatsch- präparates“, der „Stich- und Striebkulturen“, der „Kartoffelkulturen“, „Kulturen im hängenden Tropfen“, der „Rollröhrehenkultur“, sowie der Züchtung der Ana@roben. In einem Anhangskapitel kommen noch die Methoden der bakteriologischen Luft-, Wasser- und Boden- untersuchung zur Besprechung. Doch dürfte wohl die grade für den Mediziner so wichtige Methodik der Wasseruntersuchung auf Kosten der etwas gar zu ausführlich behandelten mikroskopischen Technik hierbei etwas zu kurz gekommen sein. Im zweiten Teile des Werkes sind die einzelnen Bakterienarten im Speziellen besprochen, und zwar zuerst 31 der häufigsten patho- genen Bakterien, wobei im Anschluss an den Milzbrandbaeillus die Sporenfärbung und bei Besprechung des Tuberkelbaecillus die Färbung desselben behandelt wird. In einem Anhange finden noch die patho- genen Schimmelpilze und Protozoen mit besonderer Berücksichtigung des Plasmodium Malariae eine Besprechung. In derselben Weise, doch bedeutend kürzer, behandelt Verf. im Folgenden eine große Anzahl saprophytischer Bakterien, wobei der Bacillus subtilis, die Bakterien der Buttersäuregährung und die Bakterien der Mundhöhle eine etwas eingehendere Berücksichtigung finden. — Was aber diesem — übrigens in jeder Beziehung nach den Lehren und Anschauungen der Berliner Schule geschriebenen — Buche den Hauptschmuck ver- leiht, sind die ihm beigegebenen 10 Tafeln mit 60 höchst gelungenen Photogrammen. Dieselben sind zum größten Teil nach teils schwä- cheren, teils stärkeren mikroskopischen Vergrößerungen von Deckglas- Trockenpräparaten und Schnittpräparaten angefertigte Mikrophoto- graphien, zum Teil geben sie auch in natürlicher Größe Darstellungen von einer Reihe von Kulturen wieder. Sämtliche mikroskopische Aufnahmen sind, mit einer einzigen Ausnahme, bei Petroleumlicht gemacht, und es ist bei keinem einzigen Bilde, um ihnen keine Spur ihrer Objektivität zu nehmen, ein Strich oder ein Punkt Retouche angebracht worden. Auch die Wiedergabe der Photogramme durch Liehtdruck ist eine durchaus vorzügliche, und man kann der Verlags- buchhandlung nur Dank wissen, dass sie einem so ausgezeichneten Werke eine auch in allen Dingen so elegante Ausstattung ver- liehen hat. H. Kionka (Breslau). Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wünschen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten anzugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI Band. 1. Juli 1891. Nr. 1. Inhalt: Wolff, Erwiderung auf Herrn Prof. Emery’s „Bemerkungen“ über meine „Beiträge zur Kritik der Darwin’schen Lehre“. — Wasmann, Vorbemer- kungen zu den „Internationalen Beziehungen“ der Ameisengäste. — Kühn, Neuere Versuche zur Bekämpfung der Rübennematoden. — Marktanner- Tuoneretscher, Die Mikrophotographie als Hilfsmittel naturwissenschaftlicher Forschung. — Berichtigung zu dem Aufsatz des Herrn Knipowitsch über Olione limacina in Nr. 9 und 10. Erwiderung auf Herrn Prof. Emery’s „Bemerkungen“ über meine „Beiträge zur Kritik der Darwin’schen Lehre“. Von Dr. Gustav Wolff in Heidelberg - Neuenheim. Herr Prof. Emery meint in seinem Angriff!) auf einen Teil des siebenten Abschnittes meiner „Beiträge zur Kritik der Darwin’schen Lehre“?), dass jedes konkrete (jedes in der Natur vorkommende) Variierungsinkrement eine Kombination von zahlreichen „Elementar- varlierungen“ sei. Für letztere gelte allerdings meine Behauptung, dass ein Plus ebenso wahrscheinlich sei, als ein Minus. Aber dass zufällig eine große Anzahl solcher Elementarvariierungen in so günstige Konstellation kämen, dass ihre Kombination eine verbessernde „kon- krete Variation“ darstelle, dafür spreche nur geringe Wahrscheinlich- keit, so dass es bei Ausfall der Selektion „für eine ungeheure Zahl verschlechternder Variationsmöglichkeiten nur einige wenige verbes- sernde geben“ werde, die Summe mithin notwendig zur Entartung führe. Bei rein „numerischen“ Aenderungen könne an und für sich meine oben erwähnte Behauptung auch für „konkrete“ Variierungen gelten, aber — wie Emery gleich hinzufügt — auch da nicht einmal. Unter einer „numerischen“ Aenderung versteht Emery offenbar eine graduelle. Herr Prof. Emery übersieht also uk andie. dass ich in jener Ableitung nur ex hypothesi spreche, dass ich mich auf den Stand- 4) Biolog. Centralblatt, Bd. X, S. 742 fg. 2) Ebendaselbst, Bd. X, 8.449 fg. XI. 21 322 Wolft, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre. punkt des Darwinismus stelle, und dass der ganze Darwinismus in der That nur mit graduellen Unterschieden rechnet. Jede Darwinistische Deduktion sucht darzulegen, wie ein Vorhandenes im Laufe phylogenetischer Entwicklung größer oder kleiner wird. Die Anfänge müssen vom Darwinismus, wenn er nicht zeigen kann, dass auch diese Anfänge nur graduelle Aenderungen, also keine An- fänge sind, immer vorausgesetzt werden, ein Punkt des Darwinismus, auf den ja schon mehrfache Angriffe gerichtet wurden. Stelle ich mich daher auf den Standpunkt des Darwinismus, speziell des ex- tremsten und konsequentesten Darwinismus, wie ihn Weismann vertritt (und auf diesem Standpunkte stehe ich dort, indem ich zu zeigen suche, dass Weismann mit seinen eigenen Voraussetzungen sich in Widerspruch setzt), so muss ich Darwinistisch rechnen. Die Lehre von der natürlichen Zuchtwahl wird erläutert durch die Analogie der künstlichen Zuchtwahl. Schon hieraus ist ersicht- lich, dass es sich nur um graduelle Aenderungen handeln kann. Der Züchter operiert nur mit solchen. Er will z. B. Schafe mit kurzen Vorderbeinen. Die Nachkommen eines Tieres variieren. Dass das Bein größer ist, ist eben so wahrscheinlich, als dass es kürzer ist; der Züchter könnte ebensogut auch lange Vorderbeine züchten. Die passenden wählt er zur Fortpflanzung aus und erst dadurch wird die Summe der Differenzen von Null verschieden. Statt des Züchters wird nun der Kampf ums Dasein in die Rechnung eingesetzt. So rechnet der Darwinismus überall, und so muss er rechnen. Wo ihm nachgewiesen wird, dass er nicht mit solchen graduellen Ver- änderungen rechnen kann, ist er aufs Trockene gesetzt. Wäre die Wahrscheinlichkeit einer nützlichen Variierung wirklich so klein, wie Emery behauptet, wäre sie wirklich so klein, wie die Wahrscheinlichkeit, dass in dem Satz einer Druckseite durch be- liebiges Ersetzen eines beliebigen Buchstaben durch einen beliebigen andern ein Druckfehler verbessert wird, dann könnte sich der Dar- winismus gleich von vornherein begraben lassen. Er könnte dann nicht mehr sagen: die Auslese des Bessern muss notwendig eine Steigerung des Nützlichen ergeben. Die erforderlichen Voraussetzungen wären dann noch viel verwickelter; es müsste dann auch noch über den Intensitätsgrad !) des Selektionsprozesses eine Voraussetzung ge- macht werden: er muss so hoch sein, dass die Summe aller über- lebenden + dx?) (unter denen vor Eintritt des Selektionsprozesses 4) Dieser Intensitätsgrad ist eine genau bestimmte, wenn auch selten be- stimmbare Zahl. Sie gibt das Verhältnis der erzeugten zu den sich fort- pflanzenden Nachkommen an. Man könnte diese Verhältniszahl den Selek- tionskoeffizienten nennen. 2) Ich muss trotz der Einwendungen Emery’s meine Schreibweise dx beibehalten. Sage ich, dass der Darwinismus mit dem Variierungsinkrement nur dann rechnen dürfe, wenn er von ihm keine bestimmte Größe voraussetzt, Wolff, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre. 393 die ungeheure Mehrzahl negativ, das Vorhandensein positiver dagegen äußerst unwahrscheinlich war) eine positive Zahl wird. Der Kampf ums Dasein an und für sich nützt also noch gar nichts; erst wenn er jenen ganz bestimmten Intensitätsgrad erreicht, dann erst wirkt die Selektion verbessernd. Und wie hoch ist dieser von Emery ge- forderte Intensitätsgrad! Nimmt man an, ein Tier habe 40.000 Millionen Kinder, von welchen nur 2 Individuen sich fortpflanzen, so wäre nach Emery’s Rechnung dieser Selektionsprozess noch nicht einmal intensiv genug, um es wahrscheinlich werden zu lassen, dass diese 2 im Durchschnitt sich irgendwie verbessert haben!). Und dabei ist noch vorausgesetzt, dass die Selektion von den 40000 Millionen wirklich ganz genau die 2 Besten herausgefunden hat. Dies wird natürlich nie der Fall sein. Denn je geringer die Prozentzahl der günstigen Variierungen ist, um so weniger wird das Resultat der Selektion von Variierungsvorteilen, um so mehr dagegen von Situationsvorteilen?) abhängen. Nehmen wir z.B. eine Tierklasse, bei welcher die Verhältniszahl der erzeugten und der erhaltungsfähigen Individuen der von Emery geforderten Zahl vielleicht am nächsten kommt: die Bandwürmer. Nehmen wir also an, ein Bandwurm erzeuge während seines ganzen Lebens 40 000 Millionen Eier. Unter den abgehenden Eiern findet eine Selektion statt: nur die, welehe vom Zwischenwirt gefressen werden, können sich zur Finne entwickeln. Es werden aber ungeheuer wenige gefressen, die meisten gehen ungefressen zu Grunde. Wir haben also eine intensive Selektion. Wovon hängt es aber ab, ob das Ei gefressen wird? Ganz ausschließlich von äußern Umständen. Die indivi- duellen Eigenschaften der Bier kommen nicht in Betracht. Wir haben also hier einen Selektionsprozess, bei welchem ein Einfluss der Variierungsvorteile absolut ausge- sondern ihm gestattet, sich der Null beliebig zu nähern, und will ich dies durch ein mathematisches Zeichen ausdrücken, so ist das einzig richtige dx. Ob die wirklichen Variierungsinkremente messbar sind oder nicht, ist dabei ganz gleichgiltig. Uebrigens ist Emery im Irrtum, wenn er meint, alle seien messbar. Die wenigsten sind es. Die Differenz in der Disposition zur Tuber- kulose zwischen zwei völlig gesunden Individuen ist z. B. gewiss nicht messbar, und doch kann gerade hier eine, wenn auch noch so kleine Differenz, im Kampf ums Dasein den Ausschlag geben. 4) Wobei noch zu beachten ist, dass die Zahl 100 der Elemente, in welche Emery ein Organ sich aufgelöst denkt, selbstverständlich eine willkürliche ist, und dass diese Zahl der Wirklichkeit natürlich um so näher kommen wird, je größer sie angenommen wird. Wie enorm würde sich dann erst die Zahl der Kombinationen vermehren! Uebrigens kommt es auf die Zahlen gar nicht an: das Wichtige ist, dass mit der Emery’schen Annahme der Hypothesen- komplex, welchen die Selektionstheorie darstellt, um eine neue und zwar das Fundament betreffende Hypothese vermehrt würde. 2) Siehe Kapitel X meiner „Beiträge“ (Biol. Centralbl., Bd. X, S. 469). 7 Es 394 Wolff, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre. mw schaltet ist, bei welchem ausschließlich Situationsvorteile in Be- tracht kommen. Nur in Bezug auf die Resistenzfähigkeit könnten Variierungsvorteile von Belang sein, die wir aber ausschalten können, indem wir uns auf ein bestimmtes Anpassungsgebilde beschränken (was überhaupt bei jeder Darwinistischen Betrachtung nötig ist), z. B. die Entstehung der Saugnäpfe ete. Dass unter den relativ wenigen gefressenen Eiern sich eines von den 2 mit einer in Bezug auf die Saugnäpfe vorteilhaften Keimesanlage befinde, ist äußerst unwahr- scheinlich. Die gefressenen Embryonen kommen nun „zur engern Wahl“. Nicht alle werden im fremden Organismus bleiben. Viele werden einfach abgehen. Bei diesem Selektionsprozess, der lange nicht so intensiv ist, als der erste, können auch (aber keineswegs ausschließlich) Variierungsvorteile mitwirken. Die soweit gelangten Finnen kommen nun zu einer noch engern Wahl. Nur diejenigen entwickeln sich weiter, deren Zwischenwirte gefressen oder gegessen werden. Diesen Selektionsprozess können wieder eine Unzahl der verschiedensten Faktoren beeinflussen. Mehr oder weniger großer Geschmack an rohem Fleisch, mehr oder weniger große Achtsamkeit der Sanitätsbehörden, diplomatischer Notenwechsel über Grenzverkehr: das sind alles Faktoren, die in Betracht kommen können. Eine schneidige Reichstagsrede kann unter Umständen über Tod und Leben von Tausenden von Bandwürmern entscheiden. Eine Klasse von Faktoren kommt aber ganz gewiss nicht in Betracht, das sind individuelle Vorteile der Finnen. Auch hier ist also die Wirkung der Variierungsvorteile ausgeschaltet. Unter den gefressenen oder ge- gessenen Finnen findet wahrscheinlich wiederum ein Selektionsprozess statt, bei welchem Variierungsvorteile (aber keineswegs ausschließlich) mitwirken können. Von den 2 Individuen mit vorteilhaft variierten Saugnäpfen wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach kein einziges zur letzten Wahl gekommen sein. Also selbst bei denjenigen Tieren, bei welchen die Ueberproduktion die größte ist, könnte nach der Emery’schen Rechnung die Selektionstheorie zur Erklärung der An- passungserscheinungen nicht mehr verwendet werden. Ich bin über diesen Punkt übrigens nur deshalb so ausführlich gewesen, um mir die Gelegenheit zur Erörterung eines so interes- santen Beispieles von Selektionsprozessen!), bei welchen Variierungs- vorteile ausgeschaltet sind, nicht entgehen zu lassen. An und für sich kommt es mir hier nur darauf an, zu konstatieren, dass Emery 4) Wenn wir hier einen Fall haben, bei welchem wir zufällig ganz genau bestimmen können, welch ungeheuren Einfluss auf das Resultat der Selektion die Situationsvorteile haben, so wird Jedem klar sein, dass dieser Einfluss auch da vorhanden sein wird, wo wir ihn nicht genau bestimmen können; es wird also klar sein, dass eine Ausschaltung der Situationsvorteile, wie sie der Darwinismus vornimmt, falsch, und die Annahme, dass die Variierungsvorteile überall das Ausschlaggebende seien, hypothetisch ist. Wolff, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre. 325 mit der von ihm angenommenen geringen Wahrscheinlichkeit einer günstigen Variierung den Darwinistischen Standpunkt!), von welchem aus ich meine von Emery angegriffene Argu- mentation geführt habe, verlässt, und, indem er gezwungen ist, eine Voraussetzung über den Intensitätsgrad des Kampfes ums Dasein zu machen, einen Standpunkt einnimmt, der jede Darwinistische Erklärung erschwert. Denn im Allgemeinen ist doch wohl jener Intensitätsgrad eine Größe, für die wir keinen Maßstab ?) haben, und wenn wir eine bestimmte Größe voraussetzen, so ist dies immer eine willkürliche Hypothese, vollends gar, wenn wir einen so hohen Grad voraussetzen würden, wie Emery dies müsste. Während also bisher doch wenigstens die Voraussetzungen des Darwinismus anerkannte Thatsachen (Variierung und Ueberproduktion) und nur seine Folge- rungen hypothetische waren, müsste er nunmehr sogar eine Hypothese zur Voraussetzung machen. Zu einer solchen Hypothese würde übrigens in jedem Falle die Anerkennung der Weismann’schen?) Lehre von der Panmixie den Darwinisten zwingen. Denn wenn schon zur Erhaltung eines Organes ein Kampf ums Dasein nötig ist, so muss ein heftigerer nötig sein zur Verbesserung desselben: es müsste also über den Intensitäts- grad eine Voraussetzung gemacht werden. Der besprochene Einwand Emery’s richtet sich also durchaus nicht gegen mich, sondern gegen den Darwinismus. Ist der Einwand richtig, so besagt er nur, dass ich dem Darwinismus zu weitgehende Konzessionen gemacht habe *®). 1) Herr Prof. Emery scheint ganz übersehen zu haben, dass Dar win selbst in ausführlicher Erörterung solch vereinzelten Glücksfällen der Variierung, denen Emery so große Bedeutung zuspricht, die Brauchbarkeit für die Selek- tionstheorie aberkennt. Es mögen solche vorkommen, aber der Darwinismus kann nicht mit ihnen rechnen. Für diejenigen Variierungsinkremente, mit denen er rechnet, muss er vielmehr häufiges Auftreten voraussetzen. (Siehe Darwin, Entstehung der Arten, deutsche Ausgabe von Carus, 7. Aufl., S. 111 fg.) 2) Immerhin ist klar, dass die Verhältniszahl der erzeugten Nachkomwen zu den sich fortpflanzenden, welche Emery für alle Organismen als Minimum annehmen müsste (20000 Millionen : 1), für keine Organismen zutrifft. Darwin selbst erklärt die Zahl 99:1 schon für eine extreme Schätzung wenigstens für höhere Tiere. 3) Eigentlich ist Weismann nur der Urheber des Namens. Die Ansicht, dass die natürliche Zuchtwahl nicht nur die Bildung, sondern auch die Erhal- tung nützlicher Eigenschaften bewirke, wurde schon von Darwin selbst aus- gesprochen (l. e. S. 105). 4) Um so auffallender ist Emery’s Ankündigung, dass er nur eine einzige meiner Folgerungen zu kritisieren brauche, um zu zeigen, wie fehlerhaft „ge- wisse“ meiner Folgerungen begründet seien. Denn wenn Emery’s Ausfüh- rungen richtig wären, so gäben sie allen meinen übrigen Folgerungen eine weitere wertvolle Stütze. 326 Wolff, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre. Ich habe zwar keine Veranlassung, den Darwinismus gegen Herrn Prof. Emery in Schutz zu nehmen, immerhin sei Eines bemerkt: Nimmt man an, der Darwinismus habe Unrecht, wenn er meint, die Bildung von Organen sei durch graduelle Aenderungen erfolgt, es seien vielmehr immer besonders glückliche Variierungsk ombinationen nötig gewesen, so folgt daraus doch noch lange nicht, dass diese auch zur Erhaltung des betreffenden Organes erforderlich waren. Im Gegenteil! Es handelt sich ja in diesem Falle doch nur darum, dass die Kinder werden wie die Eltern. Nicht besonders günstige Variierungskombinationen, sondern möglichst wenig Variierung wird verlangt. Dass der Skatspieler ein Treffspiel mit 10 in die Hand bekommt, erfordert eine besonders günstige Kombination, für deren Eintreten eine bestimmte sehr kleine Wahrscheinlichkeit spricht. Hier hat allerdings die Wiederholung dieses Glücksfalles keine größere Wahrscheinlichkeit. Beim Organismus ist es aber denn doch wohl ein klein wenig anders. Dort spricht für Wiederholung eine sehr große Wahrscheinlichkeit, weil der mächtige Faktor der Vererbung sie be- günstig. Emery setzt in den Darwinismus selbst da den Zufall ein, wo er sich bisher noch auf Gesetze stützte. Es haben wohl noch Wenige bestritten, dass die Nachkommen im Durchschnitt den Eltern gleich sind, d. h. dass Differenzen nach der einen Seite bei diesem Nachkommen im Allgemeinen wieder ausge- glichen werden durch gleichwahrscheinliche Differenzen nach der andern Seite bei jenem Nachkommen. Höchstens hat hochgradiger- Optimismus eine spontane Vervollkommnungstendenz angenommen. Die Theorie von der Panmixie muss notwendig eine Tendenz zur Ver- schlechterung annehmen. Aber Herr Prof. Emery begründet ja diesen Pessimismus nicht nur mit der Seltenheit der von ihm verlangten glücklichen Variierungs- kombinationen, sondern auch da, wo er solehe nicht verlangt, wo es sich nämlich auch nach seiner Ansieht nur um graduelle Verände- rungen handelt, wo also auch für ihn Plus und Minus gleiche Wahr- scheinlichkeit haben, auch da sucht er eine Verschlechterungstendenz zu begründen durch Einführung zweier Faktoren, die zur Degenera- tion jedes nicht mehr unter der schützenden Obhut der Selektion stehenden Organes führen sollen. Diese Faktoren sind die „Kon- kurrenz mit andern Organen“ und — — der Atavismus. Emery sagt: „Aber gerade in diesem Falle verhält sich die Selektion nicht indifferent, denn das unnütz gewordene Organ hat mit einem Faktor zu kämpfen, welcher zu seiner Reduktion beiträgt, nämlich der Konkurrenz anderer, infolge der neuen Existenzbeding- ungen bevorzugter Organe um die Nahrungsstoffe“. Ich muss leider bekennen, dass ich in der Nomenklatur der Logik nicht so bewandert bin, wie offenbar Herr Prof. Emery. Ich weiß daher nicht, ob es einen lateinischen Namen gibt für das Ver- Wolff, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre. 397 fahren, das Jemand einschlägt, wenn er bei Anfechtung einer Schluss- folgerung die gesetzte Voraussetzung, unter welcher der Schluss er- folgte, einfach durchstreicht. „Aber gerade in diesem Falle verhält sich die Selektion nicht indifferent“. Meine ven Emery angegriffene Argumentation hat zur Voraus- setzung, dass Panmixie eintritt d.h. dass die Selektion sich indifferent verhält, und Herr Prof. Emery wiederholt diese Voraussetzung aus- drücklich, indem er annimmt, dass das zu besprechende Organ „der Einwirkung der natürlichen Auslese entzogen“ sei. Und schon im zweitnächsten Absatz spricht er von Fällen, in denen sich die Selek- tion nicht indifferent verhalten soll! Oder hat Emery sich nur falsch ausgedrückt? Wollte er sagen, dass bei Ausfall der Selektion andre Kräfte eintreten, welche die Rückbildung herbeiführen? Dann hätte Emery allerdings nicht meine Voraussetzung, wohl aber meine Behauptung geändert, welche nur dahin ging, dass Panmixie keine Rückbildung hervorbringe. Obwohl also demnach der zitierte Satz des Herrn Emery mich nichts angehen kann, möchte ich ihn doch noch etwas näher be- trachten. Will Emery vielleicht sagen, die Rückbildung eines überflüssigen ÖOrganes sei für den Organismus vorteilhaft, weil jetzt wichtigere Organe sich dafür kräftiger entwickeln könnten, und insofern verhalte sich die Selektion nicht indifferent, sondern führe eben die Rück- bildung herbei!)? Dann bildet sich eben das Organ nicht durch Panmixie, sondern durch direkte Züchtung zurück, und der Fall ent- spricht eben nicht der Voraussetzung meiner Argumentation. Oder will Emery vielleicht das Lamarckistische, neuerdings von Roux ausführlich behandelte Prinzip der „funktionellen Anpassung“ in jenem Satze als erklärenden Faktor einführen? Der Ausdruck „Konkurrenz anderer Organe um die Nahrungsstoffe“ scheint ja auf Roux hinzudeuten. Wenn dem so ist, so entspräche also dieser Fall nicht meiner Behauptung; denn ob durch die direkte Wirkung der Funktionslosigkeit eine Rückbildung eintreten kann, diese Frage habe ich in meiner Arbeit gar nicht behandelt, oder wenigstens nur nebenbei einen Weismann’schen Gegengrund angeführt. Außerdem stehe ich Ja in jener Ableitung auf dem Weismann’schen Standpunkte, und von diesem aus greife ich die Weismann’schen Folgerungen an. Es handelt sich um die Erklärung eines phylogenetischen Pro- zesses. Zur Erklärung eines solchen erlaubt der Weismann’sche Rückschritt in der Natur, S. 16) ist prinzipiell identisch mit der Dar win’schen (Maulwurfsaugen). Auch gegen sie gilt natürlich, was ich gegen die Darwin’- sche Erklärung eingewendet habe. 328 Wolff, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre. passung. Weismann begründet ja in jener Schrift, für welche Emery eine Lanze bricht, seine Erklärung unter anderm ganz be- sonders damit, dass dieselbe auch in Fällen, wo von einer direkten Wirkung der Funktionslosigkeit gar keine Rede sein kann, Befrie- digendes leiste. Dort finden sich Beispiele von Rückbildungen bei deren Betrachtung auch Herr Emery nicht mehr hätte im Zweifel sein können, dass es sich einerseits um graduelle Veränderungen handle, während andrerseits von einer direkten Wirkung der Funk- tion bezw. des Ausfalls derselben nicht gesprochen werden könne, z. B. die Rückbildung des Stiels „funktionsloser“ Staubfäden '). Die Größe des Stieles wird natürlich bei den Nachkommen variieren, aber es ist gleichviel Wahrscheinlichkeit vor- handen, dass der Stiel größer, als dass er kleiner wird; findet daher keine Selektion statt, so ist die Summe der Differenzen gleich Null, die Durchschnittsgröße bleibt dieselbe. Zu dieser einfachen Ueberlegung wird uns die Betrach- tung jedes konkreten Falles nötigen. Nun lässt aber Emery bei funktionslosen Organen die Rück- bildung auch noch durch den Atavismus begünstigt werden. Ueber diesen Punkt will ich mich kurz fassen. Denn eine Erscheinung, die wir völlig unregelmäßig ab und zu auftreten sehen, als bewirkenden Faktor zur Erklärung einer regelmäßig verlaufenden Erscheinungs- reihe zu verwerten, dieser Gedanke kommt mir so unheimlich vor, dass mir beinahe der Mut fehlt, ihm so weit nachzugehen, um zu finden, dass nach dieser Kalkulierung die durch mehrere Generationen bereits eingeleitete Rückbildung wieder annulliert, und das Rück- gebildete zum frühern Grad der Ausbildung zurückgebracht werden müsste, und dass außerdem das biogenetische Grundgesetz ?) beweist, dass die Rückbildungen nicht durch „Hemmung in der Ontogenese“ entstanden sein können. — Ich habe mir die größte Mühe gegeben, den Aufsatz des Herrn Prof. Emery zu verstehen. Wenn ich in demselben trotzdem, auch mit dem besten Willen, keine Widerlegung der von ihm angegrif- fenen Ausführung erblicken kann, so will ich, die Möglichkeit, dass ich nicht zum vollen Verständnis emporgedrungen, offen haltend, jetzt annehmen, Emery habe vollkommen Recht, und mein Angriff auf die Lehre von der Panmixie sei von ihm erfolgreich zurückgewiesen. Was folgt daraus? Daraus würde folgen, mein Beweisversuch, dass die Lehre von der Panmixie sogar vom Standpunkt des Selektions- theoretikers falsch sei, wäre misslungen. Würde daraus aber folgen, dass diese Lehre richtig ist? Durchaus nicht! und sie würde dann EI CS. AIRa 2) Darunter verstehe ich hier bloß die Erscheinung, dass rückgebildete Organe so häufig sich ontogenetisch anlegen und wieder zurückbilden. Wolff, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre. 329 immer noch widerlegt durch das, was ich gegen jede selektions- theoretische Erklärung der Rückbildungen eingewendet habe: durch das biogenetische Grundgesetz. Aber ich bin bereit, Herrn Prof. Emery noch größere Zu- geständnisse zu machen. Ich will ihm nicht nur zugestehen, seine Bekämpfung meines Angriffs auf die Lehre von der Panmixie sei ge- lungen, sondern ich will ihm sogar einräumen, diese Lehre sei voll- kommen richtig. Wir wollen einmal unter dieser Voraussetzung das Verhältnis der Panmixie zur Selektionstheorie etwas näher betrachten. Für Jeden, der sich den Grundgedanken der Selektionstheorie auch nur einigermaßen klar gemacht hat, kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die natürliche Selektion immer nur ein einziges An- passungsgebilde, niemals aber zwei oder gar noch mehr zu gleicher Zeit züchten kann. Es können z.B. Auge und Ohr nicht gleichzeitig gezüchtet werden, denn sonst müssten ja die ausgelesenen Individuen mit den besten Augen zugleich auch diejenigen mit den besten Ohren sein, eine Voraussetzung, die wir um so weniger machen dürfen, als dieselbe ja auf alle übrigen Organe ausgedehnt werden müsste. Die Naturzüchtung wird sich immer auf die Züchtung desjenigen Organes verlegen, dessen bessere Ausbildung für das Tier den größeren Vor- teil bietet!). Ist ein gutes Auge nützlicher, als ein gutes Ohr, so sind die Individuen mit den besten Augen denen mit den besten Ohren gegenüber im Vorteil: sie werden gezüchtet. Während also das Auge gezüchtet wird, steht das Ohr nicht unter dem Einfluss der Selektion, also unter dem Einfluss der Panmixie. Unter diesem Einflusse stehen aber sämtliche Organe mit Ausnahme des einzigen, welches gerade gezüchtet wird, sie fangen daher alle an, einen Rückbildungsprozess einzugehen. Sobald nun eines der nicht gezüchteten Organe bereits so weit rückgebildet ist, dass der Zustand desselben eine Gefahr für den Organismus in sich schließt, alsdann wird sich die Naturzüchtung diesem Organe zuwenden, denn dann ist eine bessere Ausbildung dieses Organes ein größerer Vorteil als die des andern. Die Selektion überlässt also dieses letztere seinem Schieksal, d. h. der rückbildenden Panmixie, unter deren Einflusse die andern Organe immer noch stehen. t Wem die Absurdität dieser ganz unvermeidlichen Konsequenzen noch nicht einleuchtet, der möge sich die Sache an einem Bilde ver- sinnlichen. Wenn ein Lehrer eine Klasse von Schülern zu unter- richten hat und dabei so verfährt, dass er immer einen Schüler zu sich auf sein Zimmer nimmt und dort unterrichtet, unterdessen aber 1) Jedes Gebilde, welches durch Naturzüchtung hervorgebracht ist, auch wenn es jetzt von untergeordneter Bedeutung ist, muss einmal Generationen hindurch, d. h. so lange als die Selektion zu seiner Herstellung brauchte, das allerwichtigste gewesen sein, eine Konsequenz, die allein genügt, den ganzen Darwinismus ad absurdum zu führen. 330 Wolff, Zur Kritik der Darwin’schen Lehre, die übrigen treiben lässt, was sie wollen, so wird er bei einer In- spizierung durch den Schulrat mit seiner Klasse wenig Staat machen können, weil die Schüler weit mehr Zeit auf das Vergessen, als auf das Behalten und Lernen verwendet haben. Sie werden daher nicht nur das, was sie bei diesem Lehrer in den wenigen Einzellektionen, sondern auch das, was sie in den frühern Klassen gelernt hatten, vergessen haben. Genau so beim Organismus. Alle Organe stehen eine weit längere Zeit unter dem Einflusse der Panmixie, als unter dem der Selektion; wenn also die Panmixie einen Einfluss ausübt, so wird dieser Einfluss der überwiegende sein, und wenn dieser Ein- fluss dem der Selektion entgegengesetzt ist, so wird der Einfluss der Selektion gänzlich aufgehoben werden, d. h. der rückbildende Ein- fluss würde die Oberhand behalten, das ganze Tier müsste sich mit Stumpf und Stiel — zurückbilden, ein Vorgang, bei welchem die Panmixie zu vergleichen wäre einem Feuer, das ein Dorf ergriffen hat, die Selektion dagegen einer Feuerwehr, welche mit der Spritze immer wieder an dasjenige Haus fährt, aus dem gerade die stärksten Flammen herausschlagen. Diese Feuerwehr wird gewiss nicht viel von dem Dorfe retten. Der Darwinismus muss also, wenn er der Absurdität dieser Kon- sequenzen entgehen will, notwendig annehmen, dass diejenigen Organe, welche jeweilig nicht unter dem Einflusse der Selektion stehen, ruhig und unbeschadet warten können, bis die mütterliche Sorgfalt der Selektion, welche sich immer nur einem ihrer Kinder widmen kann, sich ihrer wieder annimmt. Das heißt der Darwinismus muss an- nehmen, dass die Panmixie keinen Einfluss auf die Organisation hat. Da aber die Variierung eine Thatsache ist, so muss er annehmen, dass günstige und ungünstige Variierung die gleiche!) Wahrscheinlichkeit haben, womit ein wei- terer Beweis geliefert ist, dass der Darwinismus nur mit graduellen Veränderungen rechnen kann. Die Lehre von der Panmixie und die Selektionstheorie vertragen sich nieht mit einander. Aus der Richtigkeit der einen folgt die Falschheit der andern. Und insofern die Selektionstheorie eigentlich die Voraussetzung zur Lehre von der Panmixie ist, vernichtet diese letztere sich selbst dureh ihre bloße Existenz. Ihre Bejahung schließt ihre Verneinung in sich, d. h. sie leidet an einem unlösbaren innern Widerspruch. 1) Ist man, wie Emery, der Ansicht, dass ungünstige Variierungen größere Wahrscheinlichkeit haben als günstige, so muss man hieraus allein die Unrich- tigkeit der Selektionstheorie folgern. Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. 331 Vorbemerkungen zu den „Internationalen Beziehungen“ der Ameisengäste. Von E. Wasmann N. J. Die Beziehungen der Ameisengäste zu ihren Wirten sind ein sehr dankbares Feld für biologische Studien. Während der letzten fünf Jahre habe ich eine Reihe von Arbeiten veröffentlicht über die Be- ziehungen der Ameisengäste zu ihren normalen Wirten'); ich gehe nun über zur Veröffentlichung meiner siebenjährigen Beob- achtungen über die „Internationalen Beziehungen der Amei- sengäste“. Die ersteren bezogen sich auf das Verhältnis der Myr- mekophilen zu jenen Ameisen, bei denen sie für gewöhnlich zu leben pflegen, und zwar an erster Stelle auf ihr Verhältnis zu den Ameisen jener Kolonie, in weleher die Gäste selbst ihre Entwieklung durch- gemacht oder in welcher wenigstens ihre Eltern gelebt haben). Es erübrigt nun, zu sehen, wie die Ameisengäste behandelt werden erstens bei fremden Kolonien derselben Art und zweitens bei fremden Ameisenarten. Bekanntlich begegnen sich nicht bloß Ameisen fremder Arten, sondern auch Mitglieder fremder Kolonien derselben Art durchschnitt- lich feindlich?); es fragt sich also, inwiefern die Ameisengäste an dieser Stammesfeindschaft teilnehmen oder nicht. Die Behandlung der Gäste bei fremden Ameisenarten gibt auch einigen Aufschluss über die Bedingungen, die zu dem Zustandekommen eines echten Gastverhältnisses erforderlich sind. Aus diesen wiederum lässt sich Einiges folgern über die Entstehung und Entwicklung jener Wechsel- beziehungen in der Stammesgeschichte der Ameisen und ihrer Gäste. Die internationalen Beziehungen der Aphiden, Coceiden u. s. w., die auch außerhalb der Gesellschaft von Ameisen leben und von diesen nur aufgesucht und „gemolken“ werden, gehören nicht in den Bereich unserer Untersuchung; denn wir haben uns nur mit den regelmäßigen Ameisengästen zu beschäftigen, die an die Symbiose mit den Ameisen gebunden sind. Es ist übrigens schon länger bekannt, besonders durch Dr. Aug. Forel’s „Ameisen der Schweiz“, dass die Blattläuse gewissermaßen ein internationales Gut für die honigliebenden Ameisen- 1) Ueber die Lebensweise einiger Ameisengäste I. u. II, (Deutsch. Ent. Zeitschr., 1886 u. 1887). Zur Lebens- und Entwicklungsgeschichte von Dinarda (Wien. Entom. Zeitg., 1889); Beiträge zur Lebensweise der Gattungen Atemeles und Lomechusa (Tijdschr. v. Entom, XXXI u. Haag 1888). Vergleichende Studien über Ameisengäste und Termitengäste (Tijdschr. XXXII u. Haag 1890 mit Nachtrag), ete. 2) Diese Bemerkung gilt für die Atemeles, die als Larven bei Formica, als Käfer bei Myrmica leben. 3) Ueber die hauptsächlichsten Ausnahmen von dieser Regel vergleiche „Zufällige Formen gemischter Ameisenkolonien“ (Natur u. Offenb, 1891). 388 Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. arten sind und oftmals aus dem Besitze einer Ameisenkolonie in den einer anderen, oder einer Ameisenart in den einer anderen übergehen. Auch in seinen Etudes Myrmecologiques en 1875 [p.58 (26)] berichtet Forel einen Fall, in welchem Formica rufa die Lasius niger von den Blattläusen eines Gebüsches vertrieben und die Ausnutzung derselben für sieh in Anspruch nahmen; nur die mit jenen rufa verbündeten sanguinea aus derselben Kolonie durften sich auch daran beteiligen. Es ist leicht begreiflich, dass die Blattläuse den Ameisen gegenüber diesen internationalen Charakter tragen; denn ihre Pflege bietet eine Hauptnahrungsquelle für viele Ameisenarten und ist für dieselben eine so zu sagen fortwährende Lebensbeschäftigung. Da es sich hier um die Bethätigung eines alltäglich ausgeübten Instinktes handelt, ist es kaum anders zu erwarten, als dass die Wahrnehmung einer honigführenden Blattlaus einen angenehmen Eindruck auf jede der betreffenden Ameisen macht, mag sie dieser oder jener Kolonie, dieser oder jener Art angehören; deshalb kann auch über die Art und Weise ihrer Behandlung kaum ein Zweifel obwalten. Anders verhält sich die Sache bei den meisten regelmäßigen Ameisengästen. Viele derselben leben nur bei einer oder bei einigen wenigen Ameisenarten, finden sich überdies nur in wenigen Nestern und auch dort nur in geringer Zahl. Daher können Ameisen fremder Kolonien oder Arten nur in wenigen Fällen aus Erfahrung den Charakter dieser Gäste und deren Behandlungsweise kennen. Die internationalen Beziehungen der Ameisengäste bieten deshalb ein psychologisch viel interessanteres, aber auch ein viel verwickelteres Problem, als die internationalen Beziehungen der Aphiden. Die bisherige Literatur über unseren Gegenstand ist ziemlich spärlich. Es sind meist nur vereinzelte, „gelegentlich gemachte Be- obachtungen, selten systematisch angestellte Versuche. Die haupt- sächlichsten derselben sollen hier kurz erwähnt werden. P. W. Müller teilt in seinen für die biologische Myrmekophilen- kunde grundlegenden „Beiträgen zur Naturgeschiehte der Gattung Claviger“ Y) (8. 106 und 107) Folgendes hierüber mit. Er hatte zu- fällig Claviger longicornis mit dessen Wirten (Lasius umbratus) in ein Gläschen gesetzt, in welchem Claviger foveolatus mit Lasius flavus sich befanden. Während die kleineren gelben Ameisen (favus) von den größeren umgebracht wurden, gingen die kleineren Claviger (/oveolatus) unmittelbar in die Pflege von Lasius umbratus über und wurden mit den größeren Claviger (longicornis) gemeinschaftlich er- nährt und gefüttert. Mehrere absichtliche Versetzungen der beiden Claviger-Arten zu den fremden Wirten (Z. umbratus bezw. flavus) zeigten den nämlichen Erfolg. Müller schloss aus diesen Beobach- tungen, „dass, obgleich die verschiedenen Ameisenarten, bei welchen sich meine beiden Keulenträger-Arten aufhalten, unter sich selbst in E 4) Germar’s Magazin der Entomologie III (1818). Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. 335 Feindschaft leben und einander töten, sie sich doch gegen die Käfer aus ihrer Feinde Nestern, wenn sie zufällig in das ihrige kommen, nicht feindselig beweisen.“ Dagegen berichtet Ch. Lespes!), dass einige Olaviger Duvali, die er von deren Wirtsameisen („Lasius niger“) in ein anderes, keine Gäste enthaltendes Nest derselben Art setzte, von den fremden Ameisen feindlich angegriffen und aufgefressen wurden. Die letzteren „Lasius niger“ waren überdies aus einer an- deren Gegend als die ersteren. Lespe&s bemerkt ferner, dass Lasius flavus bei Toulouse keine COlaviger habe, während dieselbe Ameise bei Dijon den Olaviger foveolatus halte, und dass umgekehrt Lasius niger in der Gegend von Dijon keine Claviger besitze, während diese Ameise bei Toulouse den C/. Diwvali beherbergt?). Lespes hatte sich deshalb vorgenommen, diese beiden Olaviger- Arten bei den ge- nannten beiden Lasius wechselweise zu versetzen, um zu sehen, wie Cl. Dwvali bei L. flavus und Cl. foveolatus bei L. niger behandelt werde. Ob er diesen Vorsatz ausgeführt, darüber ist mir nichts bekannt. Fr. Mäklin?) sah, wie eine Anzahl Camponotus ligniperdus in ein Nest von F. fusca*) einbrachen und die letzteren in die Flucht schlugen oder töteten; eine bei den Fusca wohnende Lomechusa (Atemeles) paradoxa floh mit ihren Wirten. V. Hagens berichtet in seiner vortrefflichen Arbeit „Die Gastfreundschaft der Ameisen“ >) (S. 125) über einen Versuch mit Lomechusa strumosa. Er setzte eine Lomechusa von F. sanguinea zu Lasius fuliginosus in ein Glas. Die Ameisen berührten den Fremdling anfangs mit den Fühlern wie aus Neugierde; bald bekümmerten sie sich um ihn jedoch nicht mehr, obwohl er den Ameisen seine Fühler entgegenstreckte und ihre Nähe zu suchen schien. Ueberhaupt schien sich die Lomechusa hier un- behaglich zu fühlen und hielt sich beständig an der Oberfläche des Laubwerkes. Zu F. sanguinea gesetzt schien sie sich wieder heimisch zu fühlen und begab sich tief in das Glas hinein. Bald darauf wurde sie von einer F. sanguinea an den gelben Haarbüscheln beleckt. Nach einigen Tagen lag sie tot mit verstümmelten Beinen im Glase. Ueber die internationalen Beziehungen jener Käferlarven, die Forel bei F. rufa, sanguinea, rufibarbis, Polyergus rufescens be- obachtete, und die von mir später als die Larven von Atemeles (bezw. Lomechusa) erkannt wurden, hat Forel folgenden Versuch gemacht 1) Bull. S. E. Fr. 1868 p. XXXVIIL 2) Diese Angaben enthalten eine etwas starke Verallgemeinerung und dürften nach ihrer negativen Seite nicht ganz zuverlässig sein. 3) Coleopt. Myrmecoph. Fenniae (Bull. Soc. Imp. d. Nat. d. Moscou 1846) p. 160. 4) Mäklin nennt sie F\. fuliginosa; da er jedoch F\ fusca und L. fuligi- nosus nicht unterschied und die Atemeles bei L. fuliginosus nicht vorzukommen pflegen, ist wohl F. fusca gemeint. 5) Jahresber. d. Naturw. Ver. f. Elberfeld 1863. 334 Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. (Fourm. d. 1. Suisse p. 325). Er gab einer Kolonie von F. sanguinea eine Anzahl jener Larven, die er bei F. rufa gefunden hatte. Sie wurden sofort aufgenommen und wie die eigenen Larven gepflegt. Wenn sie umherkrochen, wurden sie von den Ameisen zu den eignen Larven zurückgetragen. Er sah auch, wie eine dieser Adoptivlarven aus dem Munde einer F. sanguinea gefüttert wurde. Weitere Wahr- nehmungen Forel’s über diesen Gegenstand werden weiter unten zu berichten sein. L. Peringuey!) setzte sieben Paussus lineatus zu einer Kolonie von Acantholepis capensis. Da er nur einmal zwei, sonst immer höchstens ein Exemplar jenes Paussus in einer Kolonie der genannten Ameise gefunden hatte, waren in dem Peringuey’schen Beobach- tungsneste wenigstens sechs aus fremden Kolonien entnommen; daher bezieht sich dieser Versuch auf die internationalen Beziehungen der Ameisengäste. Der Erfolg desselben war, dass in zwei Tagen sämtliche P. lineatus sich durch die Ameisen widerstandslos ver- stümmeln oder töten ließen. Vier neue, die er hineinsetzte, ereilte dasselbe Schicksal, bis auf einen, der sich auf einen hervorragenden Zweig geflüchtet hatte. Lubbock?) machte einige Versuche mit Platyarthrus Hofmann- seggü, einer bei fast allen nord- und mitteleuropäischen Ameisen lebenden weißen Assel. Er setzte sie wiederholt aus einem Neste in ein anderes derselben Ameisenart, auch von Lasius flavus zu F. fusca; sie wurde überall gleichmäßig geduldet. Er brachte ferner einige Exemplare einer fremden Platyarthrus-Art aus Südfrankreich mit und setzte sie in ein Nest von F. fusca, wo sie längere Zeit lebten und mehr als eine Generation aufbrachten. Ueber die Behandlung der kleinen Gastameise Formicoxenus ni- tidulus durch fremde Formica pratensis und Lasius niger hat Forel einige Beobachtungen verzeichnet). Sehr gute Experimente über das Verhältnis von Tomognathus sublaevis zu Leptothorax fremder Kolonien bietet Adlerz in seinen Myrmeeologisea studier (II. p. 238 bis 245). Auch über die Aufnahme von Anergates atratulus bei frem- den Tetramorium hat er eine Reihe von Versuchen angestellt (l. ce. p. 232). Meine eigenen früher mitgeteilten Beobachtungen über die inter- nationalen Beziehungen der Ameisengäste (Deutsch. Ent. Ztschr. 1886, S, 65 u. 66) sind noch sehr unvollständig und weit davon entfernt, ein Urteil über die Gesetze zu ermöglichen, die diesen interessanten Verhältnissen zu Grunde liegen. Bevor ich zur Registrierung meiner seitherigen, viel eingehen- deren Versuche übergehe, muss ein vielleicht naheliegender Einwand 4) Notes on three Paussi (Trans. Ent. Soc. Lond. 1883) 8.137. 2) Ameisen, Bienen und Wespen 8. 75. 3) Fourm. d. 1. $S. p.353 und Etudes Myrmec. en 1886 p. 134 (4). € Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. 335 berücksichtigt werden, den man gegen derartige Experimente erheben könnte. Manchem dürfte es nämlich zweifelhaft erscheinen, ob die- selben auch eine Bedeutung haben für die natürlichen Lebens- verhältnisse der Ameisengäste. Wir müssen also zusehen, ob die Versetzung der Gäste zu fremden Ameisen nicht bloß ein künstlicher Versuch ist, dem in freier Natur nichts entspricht. Es gibt eine große Menge von Thatsachen, die aus der unmittel- baren Beobachtung der Ameisengäste in freier Natur bekannt sind, und die mit den internationalen Beziehungen der Ameisengäste innig zusammenhängen. Viele Gäste verlassen gelegentlich das Ameisennest, in dem sie bisher wohnten, sei es nun, dass das alte Nest von den Ameisen selbst verlassen wird, wobei die Gäste auch ausziehen !), oder dass die Gäste zum Zwecke der Paarung mit anderen Individuen ihrer Art fremde Nester aufsuchen. Ich habe Thiasophila angulata (Gast von F. rufa und pratensis) im Fluge gefangen, desgleichen Myrme- donien, die bei Lasius fuliginosus zu wohnen pflegen. Myrmedonia humeralis fand ich auf Wegen laufend, Oxypoda vittata in größerer Anzahl an ausfließendem Eichensaft, fern von L. fuliginosus. Roger sagt über Lomechusa strumosa, die er in Oberschlesien bei F. san- guinea und pratensis traf: „an warmen Tagen sieht man die Lo- mechusen häufig aus- und einspazieren.“ Nach’ dem älteren Sahl- berg ist L. strumosa auch im Fluge gefangen worden. Häufiger findet man umherlaufende oder umherfliegende Atemeles emarginatus und paradoxus. Die myrmekophilen Paussiden in Afrika und Ostin- dien scheinen das Vagabundieren noch mehr zu lieben; denn man hat schon viele derselben vereinzelt im Fluge gefangen, besonders an gewitterschwülen Abenden. Dass die Ameisengäste von ihren Streifzügen nicht immer zu ihrem alten Neste zurückkehren, ist selbstverständlich. Aber oftmals kommen sie nicht einmal zu Ameisen derselben Art, sondern zu ganz anderen, und suchen dort Aufnahme. Dies beweisen alle die zahl- reichen Fälle, in denen regelmäßige Gäste einer bestimmten Ameisenart ausnahmsweise bei einer anderen Wirtsameise angetroffen wurden. Ich will nur einige Beispiele aus meinen eigenen Beobach- tungen in Holländisch-Limburg anführen. Dinarda dentata (Gast von F. sanguinea) fand ich einmal in einer ungemischten Kolonie von F. rufibarbis (nur 1 Exemplar), Notothecta flavipes (Gast von F. rufa und pratensis) einmal bei F. sanguinea (1 Exemplar), Oxypoda vittata (Gast von Las. fuliginosus) zweimal bei F. rufa (nur je 1 Exemplar), Myrmedonia cognata (Gast von L. fuliginosus) einmal bei L. niger (1 Exemplar), Myrmedonia lugens (Gast von L. fuliginosus) einmal bei L. brunneus (1 Exemplar) u. s. w. In manchen Fällen trifft man 1) Vergl. hiezu Deutsch. Ent. Zeitschr. 1886 S. 57, 1887 S. 108—110 und Forel Et. Myrm. en 1886 S. 135 (5). 336 Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. echte Gäste vereinzelt selbst bei solchen Ameisen an, von denen sie sicherlich nicht aufgenommen, sondern getötet werden, wenn sie nicht schleunig ein anderes Nest aufsuchen. So fand Mayr den Atemeles emarginatus bei F. rufa, und nach Westhoff ist derselbe Käfer auch bei Tetramorium caespitum getroffen worden. In einem Neste von F. sanguinea (bei Exaeten) fand ich im Mai 1889 einen zerbis- senen Atemeles emarginatus, dem das Halsschild auf die Bauchseite gekehrt war. Jenen Olaviger testaceus, den v. Hagens (l. e. S. 126) _ im Siebengebirge bei Tapinoma erraticum gefunden, dürfte wohl ein ähnliches Schicksal erwartet haben wie Atemeles emarginatus bei F.rufa und Tetramorium caespitum, d.h. tötliche Misshandlung; denn meine diesbezüglichen Versuche hatten stets diesen Ausgang. Nach Fred. Smith und Ed. Janson trägt F. fusca Exemplare von Atemeles emarginatus, denen sie in der Nähe ihrer Nester be- gegnet, in dieselben hinein und hält sie daselbst gefangen. Diese „Gefangenschaft“ ist allerdings, was jene Autoren noch nicht wussten, ein echtes Gastverhältnis und zugleich von großer Bedeutung für die Arterhaltung der Atemeles. Ich habe in meinen Beobachtungsnestern einen ganz ähnlichen Atemeles-Raub durch F. fusca ausführen lassen; das Ergebnis desselben war, dass F. fusca eine ganze Generation von Atemeles emarginatus aufzog. Aehnlich wie bei uns die Atemeles, so werden auf der südlichen Halbkugel der alten Welt Paussiden von den Ameisen in ihre Nester geführt, wie namentlich Gueinzius und Peringuey beobachtet haben. Für Atemeles emarginatus und paradoxus, die als Käfer bei Myr- mica scabrinodis, ruginodis ete. leben, als Larven dagegen bei For- mica-Arten, ist es selbstverständlich, dass ihr Lebenslauf mit den internationalen Beziehungen der Ameisengäste innig verknüpft ist. Nach der Paarung, die noch in den Myrmica-Nestern zu erfolgen pflegt, beginnen die Atemeles umherzustreifen. Man findet dann — meist mit Anfang Mai — Atemeles emarginatus bei F. fusca und bei jenen Arten, die F. fusca als Sklaven halten (F. sanguinea und Polyergus rufescens), Atemeles paradoxus dagegen bei F. rufibarbis Etwas später trifft man in den genannten Formica - Nestern die sechs- beinigen Larven der Atemeles an, die von den Ameisen gleich den eigenen Larven gepflegt werden. Die Ameisen helfen den Larven noch bei der Verpuppung, die im Neste selber erfolgt. Im Sommer oder Herbst gehen die jungen Käfer zu den Myrmica; dort lassen sie sich pflegen, überwintern in den tiefsten Gängen des Nestes und bleiben bei den Myrmica bis Mitte Frühling !). So gestaltet sich der Lebenslauf eines Atemeles zu einer kleinen Odyssee; den Schlüssel 1) Vergl. für die näheren Angaben über Fundort und Fundzeit der Atemeles und ihrer Larven „Verzeichnis der Ameisen und Ameisengäste von Holländisch Limburg“ (Tijdschr. v. Entom. XXXIV. Haag 1891) p.59 fg. Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. 33[ zum Verständnis derselben bieten die internationalen Beziehungen der Ameisengäste. Um den Ameisengästen, besonders den Atemeles, den Uebergang von einer Ameisenart zu einer fremden zu erleichtern, richtete ich öfters sogenannte zusammengesetzte Nester ein, in denen verschie- dene Ameisenarten nebeneinander wohnten. Auch in freier Natur trifft man die Atemeles manchmal in ähnlichen Verhältnissen. Roger fand Atemeles emarginatus in einem aus F. fusca und M. laevinodis gebildeten, doppelten Neste; ich fand Atemeles paradoxus am 7. Juli 1889 unter einem Holzstück bei F. rufibarbis und Myrmica scabrinodis, vielleicht gerade im Begriffe von ersteren zu letzteren überzugehen. Eine andere Reihe von Fällen, in denen die internationalen Be- ziehungen der Ameisengäste in freier Natur sich bethätigen, ist bei den Kämpfen der Ameisen untereinander zu suchen, wobei das Nest nicht selten in fremden Besitz übergeht. Fr. Märkel!) berichtet bereits eine interessante hierauf bezügliche Beobachtung Strübing'’s. Letzterer fand unter einem Steine vier Olaviger testaceus bei Lasius niger ?). Die Claviger wurden von letzteren gerade so, wie es bei L. flavus geschieht, erfasst und mit der Ameisenbrut in die tieferen Gänge hinabgetragen. Strübing bemerkte zugleich eine Anzahl Leichen von L. flavus in jenem Neste. Märkel fügt bei: „Wahr- scheinlich war die Kolonie der letzteren von den braunen Ameisen in Besitz genommen und die gelben Ameisen getötet worden; die Claviger blieben jedoch verschont und wurden nun von den braunen Ameisen als Gäste aufgenommen.“ Auch Bach und Förster haben das Vorkommen des Claviger testaceus bei Lasius niger und brunneus auf dieselbe Weise erklärt?). Förster schrieb hierüber an Bach, er habe schon mehrmals Lasius niger und flavus unter demselben Steine beisammen getroffen samt den Claviger; andere Male habe er Olaviger in den Kolonien von L. niger gefunden zugleich mit einigen wenigen Nachzüglern von L. Aavus, die von ersteren aus dem Neste verdrängt worden waren. Auch nach Lubbock hat ZL. flavus be- sonders oft das Missgeschick, von anderen verwandten Ameisenarten expropriiert zu werden. Daher dürfte diese Erklärung auch für das Vorkommen der Claviger bei Lasius niger nicht selten zutreffen. Ueber den Raub der merkwürdigen sechsbeinigen Käferlarven (Larven von Atemeles) durch fremde Ameisen hat Forel einige in- teressante Beobachtungen gemacht (F. d. 1. S. p. 427). Er sah, wie F. rufibarbis, die durch F. sanguinea aus ihrem Neste vertrieben 4) II. Myrmekophilenverz., Nr. 272 (Zeitschr. f. Entom. 1844 V 3.260). 2) Märkel’s „Formica fusca“ ist hier wie bei Förster und anderen älteren Autoren — Lasius niger. Die Bezeichnung „braune Ameisen“ lässt hierüber keinen Zweifel, da F. fusca keineswegs eine braune Ameise ist. 3) M. Bach, Ueber Ameisen und ihre Gäste (Stett. Ent. Zeitg. 1851 XI) S. 303. XI. 22 338 Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. wurden, jene Adoptivlarven !) gleich den eigenen Larven und Puppen auf der Flucht mitnahmen; er sah ferner, wie F. sanguinea ihnen die Käferlarven zu entreißen suchte; der Streit um dieselben war ebenso heftig wie um die Aufibarbis-Larven. Forel hat auch beobachtet, dass Polyergus rufescens auf einem Raubzuge gegen F. rufibarbis diesen ebenfalls die Käferlarven raubte und sie in ihr eigenes Nest trug. Ein interessantes Beispiel dafür, wie Gäste einer Ameisenart manchmal in großer Anzahl in die Gesellschaft einer fremden Wirts- ameise gelangen können, begegnete mir im August 1889 am Laacher See. Am Fuße einer alten Eiche hatte ich Lasius brunneus entdeckt und begann das Nest, das ungewöhnlich umfangreich schien, aufzu- graben. Dabei kamen gegen hundert Oxypoda vittata und mehrere Dutzend Myrmedonia cognata, laticollis und /ugens zum Vorschein, sämtlich normale Gäste nicht von Lasius brunneus, sondern von L. fuliginosus. Das Nest war, wie auch seine Bauart bewies, durch L. fuliginosus angelegt und wahrscheinlich erst vor kurzem von L. brunneus in Besitz genommen worden. Von den ursprüng- lichen Wirtsameisen war keine einzige mehr im Neste und dessen Umgebung zu entdecken, sondern nur L. brunneus; die Gäste der ersteren waren jedoch, wenigstens zum großen Teile, in der alten Wohnung geblieben. Um in das Problem der internationalen Beziehungen der Ameisen- gäste Ordnung und Klarheit zu bringen, ist es vor allem nötig, zwischen den verschiedenen biologischen Klassen von Gästen zu un- terscheiden. Für vielwirtige (polyphile) Arten, wie Platyarthrus, die bei mehreren Dutzenden verschiedener Ameisenarten leben, bei allen dieselbe Färbung und dieselben Größenstufen zeigen und von allen gleichmäßig ignoriert werden, ist es fast selbstverständlich, dass auch ihre internationalen Beziehungen sich ganz anders und viel einfacher gestalten werden als bei einwirtigen (monophilen) Arten, wie ZLo- mechusa strumosa. Ferner ist auch schon a priori zu erwarten, dass die internationalen Beziehungen der echten Gäste, die eine wirklich gastliche Pflege von Seite der Wirte genießen, sich viel verwickelter gestalten müssen als jene der indifferent geduldeten und der feindlich verfolgten Einmieter. Bei den ersteren handelt es sich darum, dass sie durch objektive Nachahmung des Fühlerverkehrs der Ameisen und durch ähnliche Täuschungen oder Lockmittel die Gunst ihrer Wirte gewinnen und dieselben dazu bewegen, sie wie ihresgleichen oder wie ihre Brut zu pflegen; und je geringer die eigentlichen An- ziehungsmittel des Gastes sind, je größere Initiative er aufbieten muss, um sich durch Ameisenähnlichkeit des Benehmens den Wirten aufzudrängen (Aiemeles emarginatus und paradoxus!), desto mannig- 1) Wahrscheinlich handelte es sich um die Larven von Atemeles paradoxus, die bei F. rufibarbis ihre Entwicklung durchmachen. Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. 339 faltiger und verschlungener werden seine internationalen Beziehungen ausfallen. Dagegen lässt sich das Problem der internationalen Be- ziehungen der indifferent geduldeten und der feindlich verfolgten Einmieter schließlich auf den Satz zurückführen: Cateh me, if You can! d. h. die gleichgiltig geduldeten Gäste werden nur bei solchen Ameisen fortkommen, deren misstrauische Aufmerksamkeit sie nicht zu sehr erregen und deren eventuellen Angriffen sie sich rasch und leicht entziehen können, ohne die Ameisen sehr zu reizen; sonst wer- den sie zu feindlich verfolgten Einmietern, und als solche können sie nur bei jenen Ameisen bestehen, denen sie durch Kraft oder Behen- digkeit oder Schutzgerüche u. s. w. gewachsen sind. Je nachdem ferner zwischen den betreffenden Gästen und ihren normalen Wirten eine Aehnlichkeit in Größe und Färbung besteht, oder eine bloße Aehnlichkeit der Färbung verbunden mit einer bestimmten Proportion der Körpergröße, oder nur letztere allein vorhanden ist, oder endlich keine von allen diesen biologisch bedeutungsvollen Eigentümlichkeiten vorliegt, — werden auch die Beziebungen der Gäste zu fremden Ameisenarten eine verschiedene Gestalt annehmen. Daraus geht hervor, dass man mit möglichst vielen verschiedenen Gästen Versuche anstellen muss und nicht zu früh verallgemeinern darf. Es folgt ferner die Notwendigkeit, die einzelnen Gäste zu möglichst verschiedenen Ameisenarten zu setzen. Auch darauf ist zu achten, dass man die Versuchsmethoden nicht zu einförmig gestalte, sondern bei Experimenten mit denselben Arten von Gästen und Wirten verschiedene Wege, die Gäste zu den Wirten zu versetzen anwende, und auch die Einrichtung der Versuchsnester wechsle, wobei man Acht habe, verschiedene in freier Natur mögliche Lagen getreu nach- zuahmen; man wird dabei manchmal auf eine überraschende Ent- deckung stoßen, auf die man bei anderen Versuchsmethoden jahrelang nicht gekommen ist. Ich habe mich bemüht, diese Regeln zu befolgen. Näheres über die Einrichtung der betreffenden Versuchsnester !) u. s. w. bei den betreffenden Experimenten. Es sei nur noch bemerkt, dass ich auch mit Gästen und Ameisen aus verschiedenen Gegenden operierte, z. B. böhmische Gäste zu holländischen Ameisen setzte und holländische Gäste zu alpinen Ameisen etc. Es folgt das Verzeichnis der von mir bisher angestellten Versuche: 1) Mit Lomechusa strumosa F. Bei fremden Formica sanguinea, bei F\. rufa, pratensis, exsecta, rufibarbis, fusca, Jusco-rufibarbis, Polyergus rufescens, Lasius fuliginosus, niger, umbratus, Camponotus ligniperdus, Tetramorium caespitum, Myrmica rubida, scabri- nodis, ruginodis. 1) Eine allgemeine Anweisung über Einrichtung von Beobachtungsnestern für Ameisengäste habe ich schon in den „Beiträgen zur Lebensweise der Gat- tungen Atemeles und Lomechusa“ 8.10 (254) gegeben. a 22° 340 Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. 2) Mit Atemeles emarginatus und paradoxus Grv. Bei fremden Myrmica scabrinodis, ruginodis, rugulosa, bei Myrmica laevinodis, lobicornis, rubida, Tetramorium caespitum, Leptothorax acervorum, tuberum, Stenamma Westwoodi (= Asemorhoptrum lippulum), Formica fusca, rufi- barbis, sanguinea, rufa, pratensis, fusca-pratensis (natürliche Allianzkolonie), exsecta, Polyergus rufescens, Camponotus ligniperdus, Lasius fuliginosus, niger, alienus, umbratus, mixtus, emarginatus. 3) Mit Larven von Lomechusa strumosa. Bei fremden F. sanguinea, bei F. rufa, pratensis, rufibarbis, fusca, Polyergus rufescens, Myrmica ruginodis. 4) Mit Larven von Alemeles (paradoxus). Bei fremden F. rufibarbis, bei F. sanguinea, fusca, rufa, pratensis, Polyergus rufescens, Lasius fuliginosus, niger, Myrmica scabrinodis, laevinodis, rugt- nodis, rugulosa. 5) Mit Olaviger testaceus Preyssl. Bei fremden Lasius flavus und alienus, bei L. niger, emarginatus, Formica fusca, Tapinoma erraticum, Tetramorium caespitum, Strongylognathus testa- ceus. 6) Mit Chennium bituberculatum Latr. Bei fremden Tetramorium caespitum, bei Strongylognathus testaceus. 7) Mit Larven von Chennium. Bei fremden Tetramorium caespitum und Strongylognathus testaceus. 8) Mit Batrisus formicarius Aube&. Bei fremden Lasius brunneus, bei L. niger, umbratus, flavus, Formica sanguinea (mit fusca). 9) Mit Homoeusa acuminata Mrkl. Bei fremden Lasius niger. 10) Mit Dinarda dentata Grv. und deren Larven. Bei fremden F. sanguinea, bei F. fusca, rufibarbis, rufa, pratensis, truncicola, exsecta, Polyergus rufescens, Camponotus ligniperdus, Lasius fuliginosus, niger, mixtus, umbratus, Myrmica rubida, ruginodis, scabrinodis, Tetra- mordum caespitum, Stenamma Westwoodi. 11) Mit Dinarda Märkelii Ksw. Bei fremden F\. rufa, bei F. pratensis, sanguinea, rufibarbis, fusca, Polyergus rufescens, Lasius fuliginosus, niger, umbratus, Myrmica rubida, ruginodis, Tetramorium caespitum, Stenamma Westwoodt. 12) Mit Thiasophila angulata Er. Bei fremden F\. rufa u. pratensis, bei F\. sanguinea, fusca, rufibarbis, Polyergus rufescens, Myrmica ruginodis. 13) Mit Nothothecta flavipes Grv. Bei fremden F. rufa und pratensis, bei sanguinea, rufibarbis, fusca, ewsecta, Myrmica ruginodis. Be -. Bei - Be -. Be -. Be -. Bei 20) Bei Bei - Be -. Bei - Bei - Bei - Bei Bei Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. 34 14) Mit Nothothecta anceps Er. fremden F'. rufa und pratensis, bei sanguinea, fusca, rufibarbis. 15) Mit Oxypoda haemorrhoa Sahlbg. fremden F. rufa und pratensis, bei fusca, sanguinea, rufibarbis, Polyergus rufescens, Myrmica ruginodis. 16) Mit Oxypoda vittata Mrkl. fremden Lasius fuliginosus. 17) Mit Homalota talpa Heer. fremden F rufa und pratensis, bei rufibarbis, ewsecta und Myrm. ruginodis. 18) Mit Stenus aterrimus Er. fremden F. rufa und pratensis, bei sanguinea, fusca, rufibarbis, exsecta, Polyergus rufescens, Lasius umbratus, Myrmica ruginodis, rubida. 19) Mit Leptacinus formicetorum Mrkl. fremden F. rufa und pratensis, bei Lasius umbratus, Myrmica scabrinodis und ruginodis. Mit Xantholinus picipes Thoms (atratus Kr.) und dessen Larve. fremden F. rufa, bei exsecta und Myrmica rubida. 21) Mit Quedius brevis Er. fremden F. rufa und L. fuliginosus, bei pratensis, sanguinea, rufıbarbis, fusca, Polyergus rufescens, (amponotus ligniperdus, Lasius niger, Tetra- morium caespitum, Myrmica lobicornis, ruginodis, scabrinodis, rubida. 22) Mit Myrmedonia funesta Grv. fremden L. fuliginosus, bei sanguinea, rufibarbis, fusca, rufa, pratensis, Polyergus rufescens, Myrm. scabrinodis, ruginodis, rubida. 23) Mit Myrmedonia humeralis Grv. fremden L. fuliginosus, bei F. rufa. 24) Mit Myrmedonia cognata Mrkl. fremden L. fuliginosus, bei F. sanguinea. 25) Mit Myrmedonia laticollis Mrkl. fremden L. fuliginosus, bei F. sanguinea, fusca. 26) Mit Myrmedonia lugens Grv. fremden L. fuliginosus, bei F. rufa, fusca, Polyergus rufescens, Myrmica scabrinodis, Tetramorium caespitum. 27) Mit Hetaerius ferrugineus Oliv. fremden F\ fusca, sanguinea, Polyergus rufescens, bei F\. rufibarbis, L. umbratus, niger, Tetramorium caespitum, Myrm. rubida. 28) Mit Dendrophilus pygmaeus L. fremden F. rufa und pratensis, bei sanguinea, rufibarbis, fusca, exsecta, Las. fuliginosus, umbratus, Myrmica scabrinodis. 342 Wasmann, Internationale Beziehungen der Ameisengäste. 29) Mit Myrmetes piceus Payk. Bei fremden F. rufa u. pratensis, bei F. sanguinea, fusca, rufibarbis, Polyergus rufescens, Myrmica scabrinodis, ruginodis, Stenamma Westwoodt. 30) Mit Amphotis marginata F. Bei fremden L. fulöginosus, bei L. fiavus, F. rufibarbis, fusca, sanguinea, Camponotus ligniperdus, Myrmica ruginodis. 31) Mit Emphylus glaber Gyll. Bei fremden F. rufa, bei F. exsecta. 32) Mit Monotoma angusticollis Aube. Bei fremden F\. rufa, bei pratensis und exsecta. 33) Mit Monotoma conicicollis Aube. Bei fremden F. rufa und pratensis, bei Myrmica ruginodıs. 34) Mit Larven von Clythra #- punctata L. Bei fremden F\ exsecta, bei F. rufa, sanguinea, Myrmica rubida. 35) Mit Larven von Cetonia floricola Gyl1. Bei fremden F\. rufa und pratensis, bei Camponotus ligniperdus. 36) Mit Formicoxenus nitidulus Nyl. Bei fremden F. rufa und pratensis, bei sanguinea, fusca, Polyergus rufescens. 37) Mit Strongylognathus testaceus Schenk. Bei fremden Teiramorium caespitum. 38) Mit Anergates atratulus Schenk. Bei fremden Tetramorium caespitum. 39) Mit Platyarthrus Hoffmannseggii Brdt. Bei fremden F. rufa, Lasius fuliginosus, emarginatus, niger, Tetramorium caespitum. 40) Mit Lepismina polypoda Grassi. Bei fremden F\. sanguinea u. Tetramorium caespitum, bei F. rufa u. Myrmica rubida. Vergleichsversuche mit Arten, die nicht zu den regelmäßigen Myrmekophilen gehören: Mit Stenamma Westwoodi bei Lasius brunneus und niger; mit Astilbus canaliculatus bei Myrmica laevinodis, ruginodis, scabrinodis; mit Falagria obscura bei L. niger; mit Tachyporus hypnorum bei Stenamma Westwoodi; mit Conurus pubescens bei F. pratensis und Myrmica scabrinodis; mit Mycetoporus splendidus bei Myrm. ruginodis; mit Ocypus edentulus bei F. rufibarbis; mit Philonthus politus bei F. sanguinea und Myrm. scabri- nodis; mit Xantholinus linearis bei F. rufibarbis und Myrm. ruginodis ; mit Stenus biguttatus bei F. sanguinea, rufibarbis, fusca; mit Stenus bi- Kühn, Bekämpfung der Rübennematoden. 34) punctatus bei F, rufa; mit Oxytelus rugosus bei F. rufibarbis; mit Nebria brevicollis bei M. rubida ; mit Agonum Mülleri bei Myrm. scabrinodis; mit Byrrhus pilula und dorsalis bei F. sanguinea; mit Simplocaria aenea bei Myrm. rugulosa ; mit Sitones griseus bei F. sanguinea. Die internationalen Beziehungen von Lomechusa strumosa werden den nächsten Abschnitt dieser Arbeit bilden. Nachtrag. Während des Druckes obiger Arbeit habe ich noch manche neue Versuche angestellt, die hier nicht mehr verzeichnet werden konnten, besonders mit Olaviger und Chennium, ferner mit Centrotoma lucifuga, Myrmedonia similis, Hister ruficornis und Myrmecophila acervorum. Neuere Versuche zur Bekämpfung der Rübennematoden. Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Julius Kühn, Direktor des landwirtschaftlichen Instituts der Universität Halle a. S. Von den zur Bekämpfung der Rübennematoden angewandten Methoden hat sich die auf Grund des Studiums der Entwicklungs- geschichte dieser argen Feinde der Zuckerrüben von mir empfohlene Ansaat von Fangpflanzen bis jetzt am besten bewährt. Ich ent- deckte zuerst, dass die Embryonen der Nematoden die Rübenwurzel nicht, wie man früher glaubte, von außen ansaugen, sondern in das Innere der Wurzel eindringen. Ich stellte gleichzeitig fest, dass sie hier nach kurzer Zeit ihre Wurmform verlieren und flaschenförmig anschwellen. In diesem Zustande haben sie ihr Bewegungsvermögen verloren, bedürfen aber noch vieler Nahrung, um zum geschlecht- lichen Tiere sich entwickeln zu können. Wird in diesem Zeitpunkte die Nährpflanze zerstört, so müssen die angeschwollenen Larven ab- sterben, da sie keine neue Nährpflanze aufsuchen können. Es ist also die Aufgabe, die Würmer durch geeignete Nährpflanzen gleichsam einzufangen, um sie dann durch Zerstörung derselben mit zu vernichten. Als beste Fangpflanze hat sich seiner zarten Wurzelbildung wegen der Sommerrübsen bewährt. Werden vier Fangpflanzensaaten nach einander während eines Jahres angesäet und rechtzeitig in vorschriftsmäßiger Weise zerstört, dann sind die Nematoden in solehem Grade vermindert, dass Aecker, welche bei stärkster Düngung nur 60 Ctr. oder noch weniger Zucker- rüben pro Morgen trugen, schon im nächsten Jahre nach Anwendung der Fangpflanzen eine Ernte an geputzten zuckerreichen Rüben von 185 Ctr. und mehr pro Morgen lieferten, wie sie dem Ertrage rüben- sicherer Böden der betreffenden Feldlage und des betreffenden Jahr- ganges entsprachen. Durch Nematoden extrem rübenmüd gemachte Böden erlangten also plötzlich mittelst der Fangpflanzenmethode ihre frühere Ertragsfähigkeit 344 Kühn, Bekämpfung der Rübennematoden. wieder. Auch wenn mit dem dritten Jahre die Zuckerrüben wie- derkehrten, war ihr Ertrag ein noch sehr guter. — Durch dieses Bekämpfungsverfahren werden die Nematoden aber nicht gänzlich vernichtet und die verbleibenden Reste geben umsomehr Veranlassung zu neuer Vermehrung, als die sämtlichen Halmgetreidearten und zahl- reiche Unkräuter ebenfalls zu den Nährpflanzen dieser Schmarotzer gehören und ihre Entwicklung in hohem Maße begünstigen können. Es ist deshalb erforderlich, nach einem Jahre gründlicherer Reinigung auch später noch das Niederhalten der Nema- toden durch geeignete Maßnahmen zu bewirken. Ein Versuch, dieses Ziel dadurch zu erreichen, dass in die Stoppeln des nach den Rüben folgenden Getreides bald nach der Ernte eine Herbstfang- pflanzensaat ausgeführt wurde, führte nicht sicher zum Ziel. Der Ausfall des Getreides läuft häufig früher auf, als der Rübsen. Zer- stört man nun erst, wenn die Entwickelung der Nematoden den geeignetsten Zeitpunkt in den Rübsenwurzeln erreicht hat, dann sind diese Schmarotzer an den Wurzeln des Getreideausfalles schon zu weit ausgebildet und führen zu einer teilweisen Vermehrung der- selben; bricht man das Feld aber früher um, dann ist die Rübsen- saat vergebens ausgeführt und der Effekt zu gering. Ich schlug deshalb einen andern Weg ein, indem ich versuchte, den Zweck durch den Anbau des Hanfes zu erreichen. Dieser kann noch Ende Mai gesäet werden, es ist daher möglich, vor seiner Aussaat eine Frübjahrsfangpflanzensaat zu zerstören. Der Hanf gedieh auch bei diesem Verfahren vortrefflich, und als nach zweimaligem Hanfbau im dritten Jahre (1886) Zuckerrüben folgten, ergaben diese auf der einen, zu Hanf mit Stallmist gedüngten Parzelle 210,93 Ctr. pro Morgen bei 17,62°/, Zucker im Saft, und auf einer andern, zu Hanf mit künstlichen Düngemitteln gedüngten Parzelle 182,59 Ctr. bei 16,85°/, Zucker im Saft. — Im Jahre 1889 wurden nach zweimaligen vortrefflichen Hanfernten, denen im Frühjahr jeden Jahres eine Fang- pflanzensaat voranging, 220 Ctr. 44 Pfd. Zuckerrüben mit 17,7%, Zuckergehalt gewonnen. Es ist somit in der That möglich, durch gelungene Fangpflanzensaaten, die im Frühjahr dem Hanf voran- gehen, die Nematoden in solchem Maße niederzuhalten, dass normale Rübenernten gewonnen werden können. Es gelang aber bis jetzt nicht, eine befriedigende Verwertung des Hanfes zu erzielen. Die gewöhnlichen Zubereitungsmethoden des Hanfes sind in dem Großbetriebe der Zuckerrübenwirtschaften nicht durchführbar und werden hier auch zu kostspielig. Die Versuche, durch Maschinen ohne vorheriges Rösten die Bearbeitung des Hanfes auszuführen, blieben bisher ohne praktisch verwertbares Resultat. Es steht jedoch, wie es scheint, die Lösung dieser Aufgabe bevor. Herr Max Raabe in Gomeral in England konstruierte eine Ma- schine, welche, zunächst für Rame& bestimmt, auch für Bearbeitung Kühn, Bekämpfung der Rübennematoden. 345 des Hanfes benutzt werden kann. Eine dem auf unserem Versuchs- felde erbauten Hanf entnommene und nach Gomeral gesandte Probe wurde in sehr befriedigender Weise entfasert. Die Maschine zu er- langen dürfte aber erst möglich sein, wenn der Erfinder sein Patent verwertet haben wird. Dann wird auch der Anbau des Hanfes wie- der zur Mitanwendung kommen können beim Niederhalten der Nema- toden. Die bisherigen ungünstigen Erfahrungen mit dessen Ver- wertung veranlassten mich aber, nach weiteren Pflanzen zu suchen, welche vor ihrem Anbau eine Frühjahrsfangpflanzensaat zulassen. Zunächst versuchte ich die Kultur des Spätleines. Die Qualität des hier in der Provinz Sachsen bei Maisaat gewonnenen Leines war jedoch nieht befriedigend. Um so mehr war ich erfreut, als ich auf einen günstigeren Ausweg durch eine im Jahre 1889 gemachte Er- fahrung aufmerksam wurde. Ein Stück älterer Luzerne hatte über Winter nicht unerheblich gelitten, und als die Hoffnung, es möchte sich bei günstiger Frühjahrswitterung wieder erholen, fehl zu gehen schien, entschloss ich mich zum Umbruch mit Doppelpflügen und brachte am 16. Mai auf dies Land das vom Kartoffelsortiment übrig gebliebene Saatgut. Die Kartoffeln entwickelten sich gut und er- gaben durchschnittlich pro Morgen 84,24 Otr. Die Qualität war bei den frühen wie bei den später reifenden Sorten eine ganz befrie- digende. Dies Resultat führte mich zu dem Gedanken: Frühkartoffeln als Spätkartoffeln zu bauen, d. h. Sorten mit kürzerer Ent- wicklungszeit spät auszulegen, um vorher eine Fangpflanzen- saat zerstören zu können. Ich stellte im Jahre 1890 zur Prüfung dieser Idee einen Versuch auf einer Fläche von 8 Morgen an. Die Fangpflanzen wurden am 25. März gesäet und am 16. Mai zerstört. Das Auslegen der Kartoffeln erfolgte am 22. Mai auf eben geeggtem Lande mit dem Spaten. Darauf ward sogleich eine zweite Fang- pflanzensaat ausgeführt, die zum geeignetsten Zeitpunkte durch Furcheneggen und Handhacken, sowie zum Teil durch Aufnehmen der Pflänzehen mit der Hand vernichtet ward. In diesem Zeitpunkte (am 21. Juni) hatten die aufgelaufenen Kartoffeltriebe eine Höhe von ca. 10 cm erreicht. Bei diesem Versuch wurden 54 Sorten in Ver- gleich gezogen und zwar 34 frühe und mittelfrühe, 10 mittelspäte und 10 Spätkartoffeln. Die erstere Gruppe war zur Zeit der Ernte zum Teil gänzlich abgestorben, zum Teil stark abgewelkt. Die zweite Gruppe zeigte welkes oder halbwelkes, die dritte Gruppe noch grünes Laub. Die einzelnen Sorten verhielten sich bei diesem späten Aus- legen nicht gleichmäßig in ihrem Ertrage. Ich werde darüber im 8. Hefte der „Berichte“ unseres landwirtschaftlichen Institus ausführ- liche Mitteilung machen, hier führe ich nur diejenigen auf, welche die günstigeren Resultate gaben, und nenne Ertragszahlen pro Morgen nur bei solehen Sorten, welche mindestens auf einer Fläche von 6 Ar zum Anbau gelangt waren. 346 Kühn, Bekämpfung der Rübennematoden. Einen besonders günstigen Ertrag gab Paulsen’s Rosalie, pro Morgen 127,65 Ctr. bei 9,1°, kranken Knollen und 15,1°/, Stärke- gehalt, was pro Morgen eine Stärkeproduktion von 1927,5 Pfd. ergibt. Es ist dies eine mittelfrühe Sorte von gutem Geschmack, also als Speisekartoffel brauchbar. Hortensie, eine wohlschmeckende mittelfrühe Speisekartoffel, ergab 109,78 Ctr. pro Morgen bei 3,4°, kranken Knollen und 14,5 bis 17,1, im Mittel von vier Bestimmungen — 16,1°/, Stärke, was 1767,4 Pfd. Stärke pro Morgen ergibt. Die gelbe Rose, eine sehr gute Speisekartoffel, ergab 92,76 Ctr. pro Morgen mit 8,58%, kranken Knollen bei 16,2°/, Stärke, mithin 1502,7 Pfd. Stärkeproduktion pro Morgen. Die Alpha, eine wohlschmeckende Speisekartoffel, am frühesten abgestorben, zeigte keine kranken Knollen und ergab 77,65 Ctr. pro Morgen bei 15,4°/, Stärke. Paulsen gibt für diese Sorte den Er- trag pro 1890 bei normaler Auslegezeit pro ha zu 32,666 Pfd. an, was 83,4 Otr. pro Morgen, also nicht viel mehr austragen würde: Die frühe Nassengrunder ergab zwar noch 70,2 Ctr. pro Morgen bei einem mittleren Stärkegehalt von 15,9°/,, aber sie lieferte 17°), kranke Knollen, ist daher zum Spätauslegen wegen dieser Neigung zu leichtem Erkranken nicht zu empfehlen. Von frühen und mittelfrühen Sorten zeigten sich noch relativ günstig im Ertrage: Paulsen’s Juli, Paulsen’s Rothaut, Fifty fold, frühe Rose, Richter’s frühe Zwiebel, Richters ovale frühblaue, Heine’s Delikatesse, frühe Maus, Schneeflocke, Silberhaut, Braunschweiger Zuckerkartoffel, Early Sun- rise, Pauline Lukka, Regent, Alkohol, Chancellor. Von mittelspäten und späten Sorten ergaben folgende relativ gute Erträge: Paulsen’s Matador pro Morgen 111,9 Ctr. bei 2,6°/, kranken Knollen und 11,99—14,5°/, Stärkemehlgehalt. Paulsen’s Anderssen ertrug pro Morgen 92,33 Ctr. bei 0,74], kranken Knollen und 19,9°/, Stärke, was pro Morgen einen Stärke- ertrag von 18374 Pfd. ergibt. Paulsen fand in demselben Jahr- gange bei frühem Auslegen 33,500 Pfd. Ertrag pro ha und 20,7%, Stärke, was 1770,35 Pfd. Stärkeproduktion pro Morgen entspricht, also der auf unserem Versuchsfelde gewonnenen Stärkemenge sehr nahe kommt. Die späte Sorte Hermann ergab 89,09 Ctr. pro Morgen bei 2,46°/, kranken Knollen und einem Stärkegehalt von 20,7°/,, somit einen Ertrag an Stärke pro Morgen von 1844,2 Pfd. Paulsen’s Odin gab 79,99 Ctr. pro Morgen mit 2,44°/, kranken Knollen und 17,1°/, Stärke; Paulsen’s Aurelie 78,29 Ctr. bei 7,5°/, kranken Knollen und 17,5°/, Stärke; Kühn, Bekämpfung der Rübennematoden, 347 Paulsens Juno 74,96 Ctr. bei 1,27%), kranken Knollen und 19,4°/, Stärke. Die weißfleischige Zwiebel 63,88 Ctr. bei 22,95°/, kranken Knollen und 20,1°/, Stärke. Von sonstigen mittelspäten und späten Sorten zeigten noch be- friedigende Erträge: Elephant, Magnum bonum, Deutscher Reichskanzler, Charlotte, Amaranth, Athene, Frigga, Fürst Lippe. Dass unter den mittelspäten und spätreifen Sorten einzelne für vorliegenden Zweck besondere Beachtung fordern dürfen, zeigen für unser Versuchsfeld und den Jahrgang 1890 die beiden Sorten An- derssen und Hermann, welche beide als Speisekartoffeln wie für Brennerei und Stärkefabrikation wertvoll sind und die hier in Kon- kurrenz treten dürfen mit den einträglichsten frühen und mittelfrühen Sorten. Diese Thatsache ist das Auffallendste bei diesem bedeut- samen Versuch. Ich fürchtete, dass der Stärkemehlgehalt infolge des späten Auslegens im Allgemeinen etwas geringer sein würde, als es bei normaler Auslegezeit der Fall ist, namentlich aber erwartete ich bei den mittelspäten und spätreifen Sorten auffallende Differenzen. Dies hat sich aber durchaus nicht bestätigt. Nur ganz vereinzelte Sorten zeigten spät ausgelegt eine geringe Verminderung des Stärke- gehaltes. So hat die Juno beim Auslegen im Mai einen Stärke- gehalt von 19,4°%/,, beim Auslegen im April von 20,5°/,. Bei den weitaus meisten Sorten ist dagegen der Stärkegehalt bei dem Aus- legen im Mai etwas höher, als bei dem Auslegen im April. So zeigte die Anderssen bei frühem Auslegen 18,8°/,, bei spätem 19,9%); Rosalie entsprechend 14,9 und 15,1°/,; Alpha 13,6 und 15,4°/0; die weißfleischige Zwiebel 19,2 und 20,1°/,. Es ist auf solche Schwankungen um wenige Prozente nicht viel Wert zu legen, da sie aber bei der weitaus größten Zahl der Fälle zu Gunsten des Spätauslegens sich stellen, so ist darin für die in Frage stehende Methode immerhin ein günstiger Umstand zu erblicken. Es haben sonach die Kartoffeln bei dem Anbau nach Zerstörung zweier Fangpflanzensaaten bei einer größeren Zahl von Sorten in Bezug auf Quantität eine befriedigende und in Bezug auf Qua- ität eine durchaus normale Ernte ergeben. Allerdings stützt sich diese Schlussfolgerung nur auf die Resultate eines Versuchs- jahres und einer einzigen Oertlichkeit — es muss dies Verfahren noch durch mehrere Jahre hindurch in möglichst vielen Oertlichkeiten geprüft werden und deshalb möchte ich mich an alle diejenigen Herren, welche die Rübennematoden auf ihren Feldern zu fürchten haben, mit der Bitte wenden, schon in diesem Jahre womöglich einen Versuch zu machen und wäre es auch nur auf einem einzigen Morgen Land. Die Aussaat des Sommerrübsens erfolgt am zweckmäßigsten gegen den 10. April. Frühere Aussaat bewirkt nur höheren Wuchs 348 Kühn, Bekämpfung der Rübennematoden. des Rübsens, ist aber auf den Zeitpunkt der Zerstörung erfahrens- mäßig ohne wesentlichen Einfluss. Nach Zerstörung der Fangpflanzen muss das Auslegen der Kartoffeln und Aussäen einer zweiten Fang- pflanzensaat alsbald erfolgen. Vorteilhaft ist es, die Kartoffeln 18 Zoll oder 0,47 Meter im Quadrat auszulegen; es ist dann das Zerstören der zweiten Fangpflanzensaat durch kreuzweises Befahren mit der Furchenegge um so besser auszuführen, doch muss in der Nähe der aufgelaufenen Kartoffeltriebe mit der Handhacke, eventuell durch Ausziehen der Rübenpflänzchen mit der Hand nachgeholfen werden, und zwar so, dass auch alle etwa vom Boden nur bedeckten Pflänzchen beseitigt werden. Ein etwas enger Stand der Kartoffeln ist bei dem späten Auslegen zur Gewinnung eines befriedigenden Quantums rätlich. Es würde sich empfehlen, alle in der betreffenden Oertlich- keit bewährten Sorten bei dem vergleichenden Versuch mit zu ver- wenden, da obige Angaben zeigen, dass auch später reifende Sorten zum Teil bei dem Auslegen im Mai sich bewähren können. — Ich bitte angelegentlichst um Mitteilung der Versuchsresultate und glaube hoffen zu dürfen, dass sie günstig sein werden. Wenn sich dies be- stätigt, dann ist die Frage über die Nematodenvertilgung zum endlichen Abschluss gebracht. Dass ein Brachjahr mit 4 Fangpflanzensaaten die Nematoden hinreichend zu vermindern ver- mag, um auch auf dem rübenmüdesten Lande alsbald wieder normale Rübenernten gewinnen zu können, ist, wie oben bereits hervorgehoben wurde, durch frühere Versuche zweifellos entschieden worden. Ich möchte hier aber noch an eine besonders bemerkenswerte Thatsache erinnern. Auf dem Felde, das ich von der Halle’schen Zuckersiederei- Kompagnie erpachtete, um die Zerstörung der Fangpflanzen zum ersten Male mit Pferdeinstrumenten auszuführen, waren nach Ausweis der Rechnungsbücher der Kompagnie infolge des Nematodenreichtums dieses Ackers pro Morgen nur 47,5 Ctr. Zuckerrüben geerntet worden und dieser äußerst geringe Ertrag rechtfertigte vollkommen die Aeußerung des derzeitigen Wirtschaftsdirigenten der Zuckersiederei- Kompagnie: „hier können nie wieder Rüben gebaut werden!“ Durch ein Brachjahr mit 4 Fangpflanzensaaten gelang mir es aber, schon im folgenden Jahre eine normale Ernte von 1855 Ctr. 34 Pfd. pro Morgen auf diesem Felde zu erzielen! Zu gleich günstigen Resultaten gelangte die anhaltische Versuchsstation in Bern- burg. Nach einem Referat in der Magdeb. Ztg. schloss der Leiter derselben, Herr Professor Dr. Hellriegel seinen Bericht über die dortigen Versuche in der Versammlung des Anhaltischen Zweigvereins für Rübenzuekerindustrie am 15. Januar d. J. mit den Worten: „Der von Prof.-Jul. Kühn-Halle a. S. gegen die Nematoden em- pfohlene Fangpflanzenbau ist demnach, wenn er sorg- fältig mit dem Mikroskop überwacht und nur einiger- maßen von der Witterung unterstützt wurde, von dem Kühn, Bekämpfung der Rübennematoden. 549 größten Erfolge und hält auch, wie sich aus diesen Re- sultaten ergab, eine längere Reihe von Jahren vor.“ — Da aber die Gefahr, dass die Nematoden sich wieder in zu hohem Maße vermehren können, nicht zu unterschätzen ist, so ist es von außerordentlicher Bedeutung, dass wir nach den oben mitgeteilten neueren Versuchsergebnissen die Möglichkeit in Aussicht haben, durch den Kartoffelbau nach zwei Frühjahrsfangpflanzensaaten die Entwicklung der Nematoden dauernd beschränken und ihre Ver- mehrung ausreichend niederhalten zu können, um alle drei Jahre eine nach Quantität und Qualität volle normale Rübenernte zu gewinnen. — Nur darf man nicht verlangen, dass nur durch die vor den Kartoffeln auszuführenden zwei Fang- pflanzensaaten ein stark rübenmüder Acker wieder völlig rübensicher werden solle. Wo die Rübenerträge pro Morgen bis zu 100 Ctr. und darunter gesunken sind, da ist das Opfer eines Brachjahres mit 4 Fangpflanzensaaten unerläss- lich. Erst nach solcher gründlichen Reinigung wird das neu em- pfohlene Verfahren mit Erfolg zur dauernden Sicherung der Rüben- erträge anzuwenden sein. Wo aber die Nematoden noch weniger um sich gegriffen haben, wo die Erträge sich verminderten, aber noch nicht so tief, wie eben angegeben wurde, gesunken sind, da wird sich höchst wahrscheinlich durch Kartoffelbau mit 2 Frühjahrsfangpflanzensaaten allein schon nicht nur weiteres Sinken der Erträge verhüten, sondern allmäh- lich die volle normale Ertragsfähigkeit zurückgewinnen lassen. Ueber diese neueren Versuche habe ich bereits am 7. Februar d. J. in der Vorstandssitzung der Nematoden - Vertilgungs- Station berichtet. In einem am 13. Februar gehaltenen Vortrage, über den in mehreren landwirtschaftlichen Zeitungen berichtet wurde, gedenkt auch Herr Dr. Wilfarth-Bernburg des Anbaues von Frühkartoffeln nach Fangpflanzen. Wenn derselbe dabei äußert: „nur die erste Fang- pflanzensaat, die viele Nematoden zu Tage fördert, ist entschieden beizubehalten, die Nachfangpflanzensaaten sind dagegen wegzulassen“, so ist dies ein wenig sachgemäßer Rat. Abgesehen von der eben erwähnten Unentbehrlichkeit eines Brachjahres mit 4 Fangpflanzen- saaten bei extrem rübenmüden Böden muss auch bezüglich des spä- teren Niederhaltens oder der Verhütung weiteren Umsichgreifens bei noch weniger intensivem Auftreten der Nematoden hervorgehoben werden, wie im Vergleich mit der Hanfkultur es gerade ein Vorzug des von mir zuerst empfohlenen und versuchten Verfahrens, Früh- kartoffeln spät auszulegen, ist, dass dabei zwei Frühjahrsfang- pflanzensaaten in Ausführung kommen können. Wer jemals bei mehreren auf einander folgenden Fangpflanzensaaten die Unter- suchung auf Nematoden selbst ausgeführt hat, wird gefunden haben, 350 Kühn, Bekämpfung der Rübennematoden. dass auf einem nematodenreichen Felde in der zweiten Saat eher noch mehr Larven als in der ersten sich finden, weil die zweite Saat gerade in die wegen der größeren Bodenwärme für die Nematoden günstigste Entwickelungszeit fällt, was deren Einwanderung in die Wurzeln fördert. Man begnüge sich daher ja nicht mit einer Fangpflanzensaat, wo deren zwei im Frühjahr ausge- führt werden können. Wenn ferner die Ansicht ausgesprochen worden ist, die Fang- pflanzenmethode komme zu theuer zu stehen und könne auf größeren Flächen nicht wohl ausgeführt werden, so beruht dies auf einer irrigen Auffassung. Bei der im Frühjahr vorigen Jahres mit Fang- pflanzen besäeten Fläche von 8 Morgen erforderte die normale Zer- störung einer Fangpflanzensaat, das dann erfolgende Pflügen des Landes zur vollen Tiefe mit Schälsech und die Bestellung der neuen Saat pro Morgen im Garzen 4 Pferdetage von 10 Stunden Arbeitszeit. Ein Brachjahr mit vier Fangpflanzensaaten würde daher die Arbeits- leistung von 16 Pferdetagen & 10 Stunden erfordern. Hiernach ver- mag jeder Landwirt die Kosten für seine Oertlichkeit zu berechnen — sie stellen sich nicht erheblich höher als bei einer schwarzen Brache, bei welcher außer der Herbstfurche noch im Brachjahre min- destens 4 Furchen gegeben und in der Zwischenzeit so oft geeggt werden müssen, dass die Begrünung der Brache verhütet wird. Da früher tausende von Morgen mit schwarzer Brache behandelt wurden, so wird wohl auch ein nicht viel mehr Arbeit erforderndes Fang- pflanzen-Brachjahr in der Gegenwart praktisch durchführbar sein, und zwar um so mehr, als die Gespannhaltung in Zuckerrübenwirt- schaften bei weniger ausgedehntem Getreidebau eine relativ bedeu- tendere ist und die Zerstörung der Fangpflanzen zwischen die Früh- jahrs- und Herbstbestellung fällt. Die Kosten des Rübsensamens werden durch die düngende Wirkung der zerstörten Fangpflanzen kompensiert und die Bearbeitungskosten sowie die verlorene Pacht des Fangpflanzenbrachjahres deckt der zu seiner normalen Ertrags- fähigkeit zurückgeführte Acker durch den Mehrertrag einer einzigen vollen Zuckerrübenernte mehr als ausreichend. — Was aber das oft geäußerte Bedenken bezüglich der mikroskopischen Untersuchung anlangt, so ist dieses völlig unbegründet. Ich habe wiederholt zu konstatieren Gelegenheit gehabt, wie die in den Zuckerrübenwirt- schaften während der Vegetationsperiode minder dringend beschäf- tigten Chemiker und Fabrikdirigenten die mikroskopische Unter- suchung der Fangpflanzen aufs Exakteste auszuüben verstehen, die bei Anwendung von etwas Jodlösung auch zu den durchaus nicht schwierigen mikroskopischen Arbeiten gehört. Der Vorsteher der dem hiesigen landwirtschaftlichen Institut angeschlossenen Nema- todenvertilgungsstation, Herr Dr. Hollrung, der in vielen Wirt- schaften an Ort und Stelle die Ausführung der mikroskopischen Marktanner- Tuoneretscher, Mikrophotographie. 351 Untersuchung von Fangpflanzen kontrolieren konnte, versicherte mir gleichfalls, dass dieselbe in der Regel mit größter Sorgfalt bewirkt werde. Wenn dennoch zuweilen nicht günstige Resultate bei der Fangpflanzenmethode gewonnen wurden, so hat es nicht an der mi- kroskopischen Untersuchung, sondern an der mangelhaften prak- tischen Ausführung der Zerstörung der Fangpflanzen ge- legen. Es kommt zuweilen vor, dass die Herren Wirtschaftsbeamten klüger sein wollen, als der Professor Kühn in Halle, und diese glauben dann nicht nötig zu haben, seine Instruktion genau zu be- folgen, sind auch über die Anwendung des von ihm für diesen Zweck konstruierten Grubbers und über die Anwendung des auch für andere Zwecke sehr praktischen Schäl- oder Scharseches weit erhaben, ob- gleich doch der Professor Kühn am besten wissen muss, was wirk- lich erfordert wird, um den Zweck sicher zu erreichen und er auch aus eigener langjähriger Erfahrung im Großbetriebe recht wohl zu beurteilen vermag, was in demselben durchgeführt werden kann, wenn man nur ernstlich will. Doch das ist eine vorübergehende Entwickelungsperiode. So gut wie man vor 40 Jahren einem Vor- urteile gegen die Anwendung der Drillmaschinen begegnete, während die jüngere Generation keine Ahnung mehr davon hat, so wird sich auch die Fangpflanzenmethode mehr und mehr Bahn brechen und ihre praktische Ausführung wird schließlich ganz allgemein eine exakte und gut wirksame werden zur dauernden Sicherung unserer Rübenzuckerindustrie und damit auch zur Förderung der allgemeinen Wohlfahrt. Halle, den 14. März 1891. Marktanner-Tuoneretscher, Die Mikrophotographie als Hilfsmittel naturwissenschaftlicher Forschung. Halle a. S. W. Knapp. 1890. 344 S. mit 195 Abbildungen im Text und 2 Tafeln. Das vorliegende „kleine Werkehen“ bezweckt „denjenigen Ge- lehrten, die die Mikrophotographie zu ihren Forschungen und Ar- beiten als Hilfsmittel heranziehen wollen, einen Leitfaden an die Hand zu geben, um diesen Zweck mit möglichst geringer Mühe und wenig Zeitaufwand erreichen zu können.“ Der Verf. hat sich dieser Aufgabe mit Eifer und Liebe zur Sache unterzogen. Neben klaren sachlich -theoretischen Auseinandersetzungen finden sich eine Reihe praktischer Winke, die, vielfach neu, den Lesern sehr willkommen sein werden. Mit der richtigen Beschränkung in den Schilderungen der Ein- richtung des Mikroskopes selbst gibt der Verf. zunächst nach einem kurzen Abriss der Geschichte der Mikrophotographie und ihrer An- 352 Berichtigung zum Aufsatz des Herrn Knipowitsch. wendung eine Beschreibung der einen vollständigen mikrophoto- graphischen Apparat zusammensetzenden Einzelinstrumente, definiert dann die verschiedenen Lichtquellen in ihrer Wirkung, Brauchbarkeit und Herstellung (hier dürfte noch zur Vervollständigung das Zirkonlicht nachzutragen sein, da durch die transportabeln Sauerstoffbomben von Elkan-Berlin die Bereitung des Sauerstoffs erspart werden kann). Alsdann bespricht er die Eigenschaften der mikrophotographischen Präparate bezüglich der Art der Bildentstehung und gibt eine knappe und doch umfassende Anleitung für die praktische Thätigkeit, für die Handgriffe, die zur Herstellung der Mikrophotogramme erforder- lich sind. Ein sehr ausführliches Litteraturverzeichnis, die sehr in- struktiven Abbildungen und die sehr gut ausgeführten Mikrophoto- gramme erhöhen die Brauchbarkeit des Buches. Spener (Erlangen). Berichtigung zu dem Aufsatz des Herrn Knipowitsch über Clione limacina in Nr. 9 und 10. Da die Revision dieses Aufsatzes leider zu spät eingetroffen ist, um sie noch berücksichtigen zu können, so lassen wir hier die beiden letzten Sätze der Abhandlung (S. 303 unten) nochmals in der veränderten Fassung, welche ihnen der Herr Verfasser jet»t gegeben hat, folgen: Was die weiteren Schicksale des Entoderms betrifft, so gehen die Zellen dieses Blattes ohne weiteres in die Zellen des Mitteldarms über, nur kann man später bemerken, dass in diesem Blatte eine Differenzierung stattfindet, einige der Zellen bleiben dotterreich, andere werden kleiner und bestehen nur aus Protoplasma. Die ersteren bilden die Dottersäcke, die letzteren die klein- xelligen Teile des Darmtraktus. Wir sehen also, dass wir es bei den Ptero- poden (bei der Olione und auch bei Limaeina arctica) mit einer deutlichen Einstülpungsgastrula zu thun haben, die sich so bildet, wie die Gastrula der Paludina. Der Unterschied besteht nur in der grösseren Menge von Nahrungsdotter und geringeren Anzahl der Entodermzxellen ber Olione. Was die Bildung des Mesoderms betrifft, so ist sie der von Rabl bei Planorbis beschriebenen ähnlich, nur bilden sich bei Olione keine deutlichen Mesoderm- streifen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass bei allen denjenigen Ptero- poden, wo eine der vier Makromerem (wie auch Fol beschreibt) kleiner und ärmer an Nahrungsdotter ist, diese Zelle ganz so wie die hintere Makromere bei unserer Form dem Mesoderm Ursprung gibt und keineswegs einen Teil des Ektoderms bildet. Ich habe diese Vorgänge bei Limacina arctica unter- sucht und im grossen und ganzen ganz dasselbe gefunden, was ich oben über Clione mitgeteilt habe. Was Fol über die Entstehung der Mesoderm- xellen aus dem Ektoderm sagt, ist, wie man aus dem obengesagten sehen kann, nicht richtig. Ausserdem soll es 8. 302 Z. 15 v. u. statt: als die anderen Zellen heissen: in den anderen Zellen. Verlag von Eduard Besold in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI. Band. 15. Juli 1891. Yr.12u12. Inhalt: Nusbaum, Zur Morphologie der Isopodenfüße. — Imhof, Die Arten und die Verbreitung des Genus (anthocamptus. — Werner, Bemerkungen zur Zeichnungs-Frage. — Ziegler, Die biologische Bedeutung der amitotischen (direkten) Kernteilung im Tierreich. — Spener, Ueber den Krankheitserreger der Malaria. — Carriere, Erwiderung. Zus MEosrıpshro or oite@tdreires’orp od en Tune. Von Dr. Jözef Nusbaum in Warschau. Für die Beine der Crustaceen nimmt man bekanntlich den folgenden allgemeinen Bautypus an. Ein vollständig entwickeltes Gliedmaß besteht bei der Mehrzahl der Crustaceen: 1) aus einem basalen Teil — Protopodit, der aus zwei Gliedern zusammengesetzt ist, 2) aus einem inneren Ast — Endopodit, der aus einer Anzahl Gliedern besteht und als eine direkte Fortsetzung des Protopoditen aufzufassen ist, 3) aus einem vom zweiten Gliede des Protopoditen entspringenden Außenast — Exopodit, 4) aus einem Nebenast — Epi- podit, welcher vom ersten Gliede des basalen Teiles entspringt, un- gegliedert bleibt und in der Regel im Dienste der respiratorischen Funktion steht. Einen scharfen Gegensatz zu diesem allgemeinen Typus bilden unter anderen die Rumpffüße (der erste Rumpffuß ist hier bekamnt- lich als Kieferfuß entwickelt) der Isopoden, da sie weder einen Außenast noch einen Nebenast im definitiven Zustande be- sitzen. Nur am ersten Rumpffuße d. i. dem Kieferfuße der Isopoden hat sich ein reduzierter Epipodit erhalten in Form einer „derben Platte“ und bei der Gattung Apseudes haben sich nicht bloß große Epipodialanhänge an den Kieferfüßen sondern auch rudimentäre Exo- poditen am zweiten und dritten Rumpffußpaare erhalten, was wie Lang in seinem „Lehrbuch der vergleichenden Anatomie“ (S. 326) sich ausdrückt „für die Zurückführung der Brustfüße der Arthrostraken auf Spaltfüße sehr wichtig ist“. Es scheint mir deshalb eine in XI, 23 In4 Nusbaum, Zur Morphologie der Isopodenfüße, morphologischer Hinsicht nicht unwichtige Thatsache zu sein, die es mir bei meinem Studium der Isopodenembryologie zu konstatieren selungen ist, dass bei den Embryonen der Isopoden alle Rumpffüße einen für andere Crustaceen so charakteristi- schen, zweiästigen Bau besitzen und vielleicht dem Typus der Brustfüße der Nebalia, nach Prof. Claus, am nächsten stehen (zweigliederiger Protopodit, fünfgliederiger Endopodit, ungegliederter Exopodit und einfacher lamellenförmiger Epipodit). In meinem un- längst in dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsatze !), habe ich die /Zweiästigkeit der Rumpffüße bei Ligia oceanica hervorgehoben, indem ich sagte, „. . . dass alle Extremitäten des Mittel- und -Hinterleibes einen zwelästigen Bau besitzen. In den Mittelleibsbeinen geht später der äußere Ast zu Grunde und es entwickelt sich nur der innere, längere ; in den Hinterleibsbeinen (Pleopoden) aber bilden die beiden Aeste die zweispaltigen, definitiven Extremitäten“. Weitere Untersuchungen haben mir gezeigt, dass dieses Verhältnis nicht bloß der Zigia, sondern auch dem Oniscus muriarius und ohne Zweifel auch allen anderen Isopoden eigentümlich ist. Ich habe Schritt für Schritt die Entwicklung der Gliedmaßen dieser beiden Isopoden an isolierten Keimstreifen und auf Schnitten studiert und einige neue interessante Einzelheiten gefunden, die ich später in meiner Monographie der Isopodenembryologie zu veröffentlichen beab- sichtige. Hier will ich nur einige Thatsachen in Kürze mitteilen. 22 Fig. 41. Ein Teil des Keimstreifens des Oniscus 3% murarius von der Bauchseite gesehen. Oc.1 Ob. 3 nr Mikr. Merk. und Ebel. 2 mx — Anlage der hinteren Maxillen, | 1 = Anlage des Kieferfußes, 2 = Anlage des ersten Gehfußes, f = Seitliche Scheibe. Die erste Anlage aller Rumpffüße tritt als zwei dicht zusammen- hängende papillenartige Vorsprünge des Ektoderms hervor. Gleich- zeitig erscheint nach außen von jeder soleher Fußanlage eine kleine scheibenförmige Ektodermverdiekung (Fig. 1 u. 2 f). Die allmähliche Differenzierung der Beine geht, wie gewöhnlich, in der Richtung von vorn nach hinten, d. h. die vorderen Extremitäten unterliegen früher einer weiteren Entwicklung als die folgenden, hinteren. Von beiden papillenartigen Vorsprüngen einer jeden Extremitätenanlage verlängert sich der innere stärker als der äußere, so dass die ganze Anlage die in Fig. 1 dargestellte Form annimmt. Etwas später differenziert 1) Beiträge zur Embryologie der Isopoden. Biol. Centralblatt, Bd. XI, Nr. 2, 1891. Nusbaum, Zur Merphologie der Isopodenfüße. 355 sich ein gemeinsamer, basaler ungegliederter Teil — Anlage des Protopoditen. Fig. 2. Fig. 2. Ein Teil des älteren Keimstreifens des Oniscus murarius von der Bauchseite gesehen. Oec. 1 Ob. 3 Mikr. Merk. u. Ebel. pr!, pr? —= Das erste und das zweite Glied des Protopoditen des ersten Rumpffußpaares. en. pr2 pr. e2,= Exopodit. en = Endopodit. iS f = Seitliche Scheibe. ;E Noch später sieht man schon den Protopoditen aus zwei Gliedern bestehen (Fig. 2 pr', pr?) und mit dem zweiten derselben hängt der äußere Ast — Exopodit, als ein ungegliederter, hohler länglicher Schlauch zusammen; auf Schnitten findet man in denselben Mesoderm- elemente (wie in den Endopoditen). Mit der weiteren Entwieklung der Extremität vergrößert‘ sich die seitliche Anlage (/) und zerfällt in einem distalen, etwas breiteren Teil und einem proximalen, schmäleren, der mit dem Basalgliede des Protopoditen innig zu- sammenhängt (Fig. 2). In meinem oben zitierten Aufsatze sagte ich, dass diese seitlichen Ektodermverdiekungen eine ähnliche Lage haben wie die Stigmenöffnungen in den Tracheatenkeimstreifen und die An- lagen der seitlichen Falten darstellen, die zur späteren Differenzierung der den Pleuren entsprechenden Teile eines jeden Segmentes dienen“. Weitere Untersuchungen und besonders das Studium dieser Verhält- nisse bei dem Oniscus murarius überzeugten mich, dass diese Gebilde als abgegrenzte Teile der Extremitätenanlagen aufzufassen sind und da sie mit weiterem Wachstum, wie oben gesagt, in einen inneren proximalen und äußeren, distalen, nahe dem Rande des Keimstreifens liegenden Teil zerfallen, so ist es höchst wahrscheinlich, dass sie nicht bloß an der Bildung der Pleuren sondern auch an der Bildung der Epimeren (Teile zwischen den Pleuren und der Extremitätenbasis) einen wichtigen Anteil nehmen. Jedes dieser Gebilde steht in einem direkten Zusammenhange mit dem entsprechenden Protopoditen und namentlich mit dem basalen Gliede desselben, gelangt aber nicht zur vollen Entwicklung, wird nicht schlauchförmig wie die Extremitäten selbst sondern stellt nur eine nicht hohe Ausstülpung des Ektoderms dar. In späteren Entwicklungsstadien kann man das betreffende Gebilde an der ventralen Wandung eines jeden Segmentes schon nicht mehr unterscheiden. An den schon fünfgliederige Endpoditen be- sitzenden Rumpfbeinen existieren noch während einer gewissen Zeit die Exopoditen; sie wachsen aber nicht weiter. Im Verhältnis zum Wachstum der ganzen Extremität wird deshalb der Exopodit immer unansehnlicher, so dass man bei den ausschlüpfenden Jungen den- selben schon mehr nicht unterscheiden kann. Es scheint mir sehr wahr- 92% 23 356 Imhof, Das Genus Canthocamptus. scheinlich, dass die obenerwähnten, scheibenförmigen Verdickungen des Ektoderms (f), die mit dem Basalgliede des Protopoditen direkt zusammenhängen, wiewohl sie aus einer gesonderten Anlage entstehen, die Homologa der nicht zur vollen Entwicklung gelangenden Epipoditen darstellen; es ist nur zu bedauern, dass wir die Entstehungsweise der Epipoditen bei den Embryonen anderer Crustaceen, wo dieselben auch im definitiven Zustande persistieren, nicht näher kennen. In jedem Falle können wir sagen, dass bei den Isopoden ein sich im innigen Zusammenhange mit den Extremitäten ent- wickelnder Teil (wahrscheinlich ein Homologon der Epipoditen) an der Bildung der Bauchwandung eines jeden ent- sprechenden Segmentes einen wichtigen Anteil nimmt. Die genannten Bildungen (f) entstehen sowohl neben den Rumpf- füßen (inklusive Kieferfüßen) wie auch neben den Pleopoden, wo sie ganz ähnlichen weiteren Modifikationen unterliegen. Am Kopfe existieren sie nicht }). Die Arten und die Verbreitung des Genus Canthocamptus. Von Dr. Othm. Em. Imhof. Die Copepoden - Familie der Harpacticida enthält vorwiegend Meeresbewohner. Für die Süßwasser-Fauna ist von hervorragendem Interesse das Genus Canthocamptus. Nur zwei Arten leben im Meer- wasser und eine Species im Brackwasser: Canthocamptus rostratus Ols. bei Messina. e parvulus „ 2 Nı7za% 5 palustris Brady. Auf der Seilly-Insel, S. Mary, bei Manningtree an der Mündung des Steurflusses in Suffolk und bei der Insel Oronsay. Eine ansehnliche Zahl von Arten dieser Gattung Canthocamptus wurde bis anhin aus dem Süßwasser beschrieben, die sich in den ver- schiedenen Arbeiten über Copepoden, meist nur in kleiner Zahl, vor- finden. Zur Gewinnung einer Uebersicht folgt hier ein chronologisches Verzeichnis, vielleicht noch lückenhaft, aber zur Vervollständigung bereit. 1) 1792. Canthocamptus minutus OÖ. F. Müller. (Zoologiae danicae prodromus, 1776, Taf. XVII, Fig. 1—7.) 2) 1820. 4 staphylinus Jurine. 3) 1845. A alpestris Vogt. 4) 1857. r horridus Fischer. 5) 1857. B elegantulus Fischer. 1) In der Fig. 6 des oben zitierten Aufsatzes im Biol. Centralblatt ist irrtümlich ein Paar dieser Bildungen in dem Segmente des zweiten Kiefer- paares dargestellt. Imhof, Das Genus (anthocamptus. 35 ’ )ı) 6) 1857. Canthocamptus mareoticus Fischer. 7) 1869. n pygmaeus Sars. 8) 1863. ea gracilis Sars. 9) 1863. ı crassus SArS. 10) 1863. n brevipes Sars. 11) 1874. dentatus Poggenpol. 12) 1376. 2 minosiensis Forbes. 13) 1880. Y hibernicus Brady. 14) 1880. s trispinosus Brady. 15) 1880. „ northumbricus Brady. 16) 1880. h lucidulus Rehberg. 17) 1880. 5 fontinalis Rehberg. 18) 1884 5 ornatus v. Daday. 19) 1884. er treforti v. Daday. 20) 1884. is brevicornis v. Daday. 21882. 5 tenuicaudis Herrick. 22) 1885. ” minnesotensis Herrick. 23) 1889. z Borcherdingi Poppe. Varietäten: 1) 1885. Canthocamptus minutus occidentalis Herrick. 2) 1885. 5 northumbrieus americanus Herrick. Wenn diese Uebersicht vollständig sein sollte, so wurden in Europa 18 Arten aufgefunden: In Dänemark, Schweden und Norwegen 5 Species. SBBElandE RENT Ha a A “ FRRUSSTand sr SA ne .@) Deutschland ran. aa “ 0esterreich Ungarn.» Hu 1% re. 00502 N Hader Schweiz np „BEST SE RE ” Aalirankteichkrsnn er se ee # RE AlEnsgt ER Tr . Anlsden Azoren ee „ In Afrika wurden gefunden: 3 Species, davon 2 auf Madeira. „ Amerika (Nordamerika): 3 H und 2 Varietäten. Aus den übrigen Weltteilen dürften bis anhin noch keine Cantho- camptus- Arten bekannt sein. Die Arten des Genus Canthocamptus leben besonders in kleineren mit Pflanzen bewachsenen Wasserbecken, so namentlich in den Torf- gewässern. In den kleineren und größeren Seen trifft man Cantho- camptus-Species an den Ufern und in größeren Tiefen auf dem Grunde allgemein verbreitet. Forel und Duplessis zitieren das Vorhanden- sein ven Canthocamptus minutus aus 25—150 Meter Tiefe und Canth. staphylinus (nach Forel) bis aus 300 Meter Tiefe aus dem Genfersee. In der Tiefsee-Fauna des Züricher Sees findet sich ein Canthocamptıus, der dem ©. Borcherdingi Poppe sehr ähnlich sieht, bis zu 115 Meter 358 Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. Tiefe. Auch hochgelegene Seen beherbergen auf ihrem Grunde Cantho- camptus-Arten. So meldet Moniez ©. staphilinus Jur. aus dem Silser- see. Im St. Morizersee wurde ein Canthocamptus angetroffen, der durch den sehr langen blassen Kolben am 4. Ringe der Antenne, der das Ende derselben noch überragt, sich auszeichnet. Der Campfer-, der Silvaplaner-, der Cavloceio- und der Sgrischus-See, letzterer mit 2640 m Höhenlage enthalten Canthocamptus - Arten. Die Fauna der subterranen Gewässer, der sog. Dunkel- Fauna weist Canthocamptus-Arten auf, z. B. C. minutus (?) nach Vejdovsky in den Brunnengewässern von Prag. Aus der vorhandenen Litteratur geht hervor, dass die Arten des Genus Canthocamptus ziemlich allgemein in den süßen Gewässern vor- kommen und dass die Zahl der bisher bekannten Arten eine ansehn- liche ist. Bemerkungen zur Zeichnungs-Frage. Von Dr. phil. Franz Werner in Wien. Die in Nr. 22 des X. Bandes (vom 15. Dez. 1890) des „Biolog. Centralblattes“ erschienene Rezension meiner „Untersuchungen über die Zeichnung der Schlangen“!) veranlasst mich, an dieser Stelle einige Punkte klarzulegen, welehe ich in erwähnter Abhandlung, wie ich wohl weiß, nicht mit der wünschenswerten Deutlichkeit und Prä zision behandelt habe. Damit will ich den zweiten Teil meiner Untersuchungen über die Wirbeltierzeiehnung, welcher im Laufe dieses Jahres in den „Zoolog. Jahrbüchern“ erscheinen wird, nicht antizipieren und bemerke daher nur, dass eine bessere und durch äußerst zahlreiche Beobachtungen in den größten Museen von Deutschland und Holland als richtig er- wiesene Darstellung der mutmaßlichen phylogenetischen Entwicklung der Schlangen-Kopfzeichnung in diesem zweiten Teil gegeben wird. Wenn ich den Postokularstreifen früher den anderen Zeichnungen des Kopfes gleichgestellt habe, so war dies allerdings ein Irrtum meinerseits; denn dieser Streifen hat von allem Anfang an nichts mit dien Kopfschildern der Schlangen zu thun gehabt, ist höchst wahr- scheinlich monophyletischen Ursprungs und mindestens auf die Amphi- bien zurückzuführen, möglicherweise sogar noch auf die Fische, wenn sie auch gerade den Selachiern fehlt. Das Interokularband aber z. B., wenn auch nicht jünger als die postokulare Zeichnung, ist wahrschein- lich mehrmals selbständig entstanden und besitzt daher immer eine ganz charakterische Form; so ist das der Selachier doppelt (vorderes und hinteres Querband); das der Batrachier besteht aus einer linken und rechten, ursprünglich getrennten Portion; das der Bidechsen ist 1) Erschienen bei K. Krawani. Wien 1890. Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. 359 kontinuierlich, das primäre der Schlangen aus drei Flecken (zwei supraokularen und einem frontalen) zusammengesetzt, das sekundäre (präfrontale) der Schlangen aber wieder kontinuierlich. Dasselbe ist auch mit der Subokularzeichnung der Schlangen der Fall; bei den Peropoden ist sie wie bei den älteren Eidechsenformen (Geekoniden, Iguaniden, Monitoriden) ganz und gar unabhängig von der Lage und Zahl der Oberlippenschilder, bei den Colubriden aber und ihren Ver- wandten rückt sie, weil an die Sutur zweier bestimmter Oberlippen- schilder gebunden, mit der Vermehrung oder Verminderung der Anzahl dieser Schilder anscheinend nach hinten oder nach vorn. Die Trennung, welche ich zwischen Kopf- und Rumpfzeichnung gemacht habe, ist nicht unberechtigt, wenigsteus für die Schlangen; denn mit Ausnahme der eigentlichen Oceipitalzeiehnung, welehe aus dem vordersten Teil der Dorsalzeiehnung hervorgegangen ist und anscheinend noch immer hervorgeht, wobei eine große Mannig- faltigkeit von Zeichnungen in der Nackenregion entsteht — Tropi- donotus vittatus und Psammophis sibilans — ist eine genetische oder sonstwelche Beziehung der Kopf- und Rumpfzeichnung nicht zu be- merken, wie ich gleich später, wenigstens bezüglich des Postokular- streifens, nachzuweisen versuchen werde. Die Kopfzeichnung der Schlangen besteht außer der Post- und Subokularzeichnung noch aus den 9 Flecken, welche auf den in derselben Zahl vorhandenen großen Schildern der horizontalen Kopfoberfläche gelegen sind und daraus gehen alle übrigen Zeichnungen des Kopfes hervor; sie ist daher von der Rumpfzeichnung ebenso verschieden, als es diese Kopfschilder von den Schuppen des Rumpfes sind oder, wo sie es nicht mehr sind, wenigstens unzweifelhaft waren. — Dass ich die Occipital- zeichnung trotz ihrer genetischen Beziehung zu der des Rumpfes bei der Kopfzeichnung behandelt habe, rührt daher, dass ich damals wegen ihrer bedeutenden Differenzierung im Vergleich zur Rumpf- zeichnung und ihrer vielfachen sekundär gewonnenen Beziehungen zu der des Kopfes (Verschmelzungsvorgänge ete.) sie wirklich als Kopf- zeichnung ansah und von der wirklich noch dazu gehörigen Parietal- zeichnung noch nicht scharf genug unterschied. Ursprünglich vollständig gleiche Kopf- und Rumpfzeichnung finden wir nur bei den niedrigen Wirbeltieren z. B.: Selachiern und anderen Fischen, sowie bei Urodelen; die Anuren besitzen bereits wie die Reptilien eine deutlich von der Rumpfzeichnung verschiedene Kopfzeichnung, die sich genetisch nicht mehr auf erstere zurück- führen lässt. Für den von Herrn Dr. Häcker vermuteten genetischen Zu- sammenhang des Zügel- (Prä- und Postokular-) Streifens mit der lateralen Rumpfzeichnung habe ich trotz meiner Bemühungen keinen Beweis finden können, sondern viele Thatsachen, die gerade für das Gegenteil sprechen. Ich muss daher noch immer daran festhalten, 360 Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. dass der Zügelstreifen erst sekundär mit der Lateralzeichnung ver- schmolzen ist, wo man eine solehe Kontinuität bemerkt; und dass der Postokularstreifen niemals in Form einer Fleckenreihe angelegt ist, ist auch nieht ganz richtig, da es unter den Amphibien, Reptilien und Säugetieren, wenn auch nicht viele, so doch immerhin einige Beispiele gibt, wo dies doch der Fall ist; so z. B. bei Tritonen (T. alpestris u. a.), Geckoniden und von den Säugetieren bei Katzen (Cynailurus, viele Leoparden: Felis antiquorum, pardus, variegata, Diardi, onca, Geoffroyi, serval u. 8. W.). Dass die Lateralstreifung des Rumpfes mit dem Zügelstreifen so häufig in Verbindung tritt, ist lediglich darauf zurückzuführen, dass bei den betreffenden Tieren Kopf und Rumpf keinen oder keinen be- deutenden Winkel bilden; dass eine solche Verschmelzung (d. h. ur- sprüngliche Kontinuität nach der Ansicht v. Dr. Häcker) nicht statt- finden muss, dürften einige Beispiele (zuerst von Schlangen) ge- nügend klarlegen. In vielen Fällen läuft der Postokularstreifen fast vertikal an der Seite des Halses herunter, nachdem er den Mund- winkel passiert hat (Oligodontiden, besonders Sömotes) oder er biegt sich hinter dem Mundwinkel an der Kehle wieder nach vorn (Colu- briden: Coluber quadrilineatus ete.) oder er liegt mit seinem Hinter- ende über oder unter dem Anfangsstück des angeblich dazu gehörigen Streifens (oder der entsprechenden Fleckenreihe), wie oft bei Pytho- niden. Der Postokularstreifen einer Seite kann sich mit dem der anderen Seite (bei Eidechsen, nachdem er die Ohröffnung passiert hat) am Nacken bogenförmige verbinden und dies ist gerade für viele ältere Eidechsenformen, wie Geekoniden und Monitoriden (für erstere führe ich als Beispiele den @ymnodactylus pulchellus, für letztere den Varanus niloticus an) charakteristisch, findet sich sogar noch bei Iguaniden ete. ja auch bei Schlangen, wenn auch seltener. Ander- seits bilden die Postokularstreifen bei Katzen miteinander auf der Kehle einen Bogen; derselbe Streifen setzt sich bei manchen Schlangen manchmal statt in den Lateral- in einen der anderen Längsstreifen des Rumpfes fort (Zamenis versicolor, wo der Postokularstreifen seine Fortsetzung in der Marginalfleckenreihe findet), was bei An- nahme der Kontinuität des Postokularstreifens mit einem bestimmten Rumpfstreifen nieht wohl der Fall sein kann). Auch gibt es Fälle bei Eidechsen und Schlangen, wo der Postokularstreifen trotz voll- ständiger Querstreifung des ganzen Körpers in seiner vollen Länge persistiert, wofür bei der Annahme, dass er von der Rumpfzeich- nung nicht verschieden sei, absolut kein Grund vorhanden ist; bei manchen Batrachiern richtet sich das hintere Ende des Postokular- streifens auf die Basis der vorderen Extremität hin oder ist durch 4) Etwas Aehnliches finden wir bei Tritonen, wo sich die Postokular- zeichnung oft in eine Fleckenreihe fortsetzt, die als Analogon der Marginal- reihe der Reptilien aufzufassen ist. Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. >61 einen deutlichen Zwischenraum von dem sonst kontinuierlichen Lateral- streifen getrennt oder ist ganz anders gefärbt u. 8. w. u. S. w. Das, was man eben hier im Auge behalten muss, ist wie gesagt Folgendes: Wo Postokularstreifen und Lateralzeiehnung mit einander in einer Linie liegen, da tritt in der Regel Verschmelzung beider ein; wo sie einen Winkel mit einander bilden oder wo ihre Enden über einander liegen, da bleiben sie ebenfalls in der Regel von einander getrennt. Da der Postokularstreifen wirklich äußerst häufig in einer Linie mit dem lateralen liegt, so tritt auch diese Verschmel- zung in so außerordentlich zahlreichen Fällen ein; aber die Konti- nuität der Postokular- und der lateralen Rumpfzeichnung ist des- wegen noch immer nichts Ursprüngliches. Dass es gestreifte Vögel gibt, ist mir bereits bekannt gewesen, aber die Existenz längsgestreifter Tiere ist gerade noch kein Beweis für die Ursprüngliehkeit der Längsstreifung und für die ursprüng- liehe Kontinuität der Kopf- und Rumpfstreifung. Wollen wir aber die Längsstreifung der Vögel direkt von der der Eidechsen ableiten, was ja nicht so unwahrscheinlich ist, so können wir, wenn wir be- denken, dass sich der Postokularstreifen der jüngeren Eidechsen- formen, also der durchwegs gestreiften Lacertiden, Tejiden und Sein- coiden, ausnahmslos wirklich in den Lateralstreifen fortsetzt und wenn wir dasselbe für die fossilen Vorfahren der Vögel annehmen, denjenigen Rumpf-Streifen der gestreiften jungen Vögel, welcher die - Fortsetzung des Zügelstreifens bildet, ohne weiteres mit dem Lateral- streifen der Eidechsen homologisieren — und damit auch vielleicht die anderen Streifen! Dass die Eimer’sche Hypothese von der ursprünglichen Längs- streifung der Wirbeltiere auf sehr schwachen Füßen steht und eigent- lich nicht viel mehr zu ihrer Begründung angeführt werden kann, als dass es gestreifte Wirbeltiere gibt, wird sich teilweise aus meinen nächsten Publikationen, worin ich auch die Säugetiere auf Grund eines umfassenden Materials behandeln werde, ergeben; zu bemerken wäre nur, dass die Eimer’schen Befunde an Eidechsen sich nur auf die Lacertiden und eine einzige Tejiden-Art (Onemidophorus sexlineatus) erstrecken, dass ich aber fast alle Eidechsen- und alle Sehlangen- Familien neuerdings auf Genaueste untersucht habe, und diese Unter- suchungen durchaus keinen Grund ergaben, meine Ansicht über die Längsstreifenzeichnung, als einer ebenso wie die Querstreifung aus der Fleckenzeiehnung entstandenen und der Querstreifung daher phyletisch gleichwertigen Zeichnung auch nur im mindesten zu ändern. Ich habe aus den meisten gezeiehneten Schlangenfamilien Junge ge- sehen und kann nur wiederholen, dass ich bei Verschiedenheit der alten und jungen Exemplare derselben Art stets die Fleckenzeichnung als die jugendlichere konstatieren konnte (sofern sie nämlich pri- mär war). 3652 Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. Die Annahme Eimer’s, dass das Vorderende der Tiere eine ursprünglichere Zeichnung zeigt, als die Mitte und diese wieder, als das Hinterende, werde ich bei Gelegenheit der Publikation meiner Sängetier- Untersuchungen zu widerlegen Anlass nehmen; hier will ich nur kurz erwähnen, dass die Zeichnung des Kopfes der ja doch wohl das Vorderende eines Tieres vorstellt, ebensowenig ursprünglicher ist, als die des Rumpfes, als es der Bau des Schädels im Vergleich zur Rumpfwirbelsäule oder der Bau des Gehirns im Vergleich zum Rücken- mark ist. Der Kopf ist dem Rumpf in der Regel etwas in der Ent- wicklung der Zeichnung voraus und er bildet oft seine Zeichnung schon früher zurück. Wenn irgend ein Körperteil eine ursprünglichere Zeichnung trägt, so ist es die Kaudalregion: als Beispiele erwähne ich nochmals von Sehlangen: Arizona lineatocollis (hinten noch mit der gefleckten Colubrinenzeichnung); Dromophis praeornatus (hinten noch mit der gestreiften Psammophidenzeichnung); Pelamis bicolor (hinten noch mit der quergestreift-gefleckten Hydrophiden-Zeichnung;) ; Boa constrietor (hinten noch mit einfachen, ungeteilten Dorsalflecken); Ery& thebaicus (hinten noch gezeichnet, vorn schon einfarbig) u. s. w. Was den Zusammenhang der Zeichnung und zwar der Längs- streifung mit der Monokotylenflora älterer Erdperioden anbelangt, so bin ich allerdings in der Phytopaläontologie nicht so gut beschlagen, um selbst zu wissen, ob die früher existierenden Monokotyledonen tiefere Teile des Meeres bewohnten; aber die wenigen jetzigen marinen Monokotyledonen aus den Familien der Najadeen und Zosteraceen gehen, wie ich erfahren habe, nicht tiefer als 10 Meter ins Meer hinab und die einzige mir bekannte fossile marine monokotyle Pflanze ist eine Zostera (Z. marina). Und nun frage ich: Woher haben die gestreiften Meeres-Fische ihre Zeichnung? Durch Anpassung an den Schatten dieser paar Monokotyledonen, die doch wohl alle erst aus dem süßen Wasser eingewandert sind? Und, wenn man annehmen will, dass die fossile Monokotylenfauna des Meeres uns nieht genügend bekannt ist und früher sehr reichhaltig war, warum haben die so alten Selachier und Ganoiden so wenig Längsstreifung in die Jetztzeit herübergerettet ? Und, wenn man annehmen will, die jetzigen marinen Monokotylen seien einer Anpassung nicht mehr günstig, warum gibt es jetzt noch so viele längsgestreifte Fische ? Und wie müsste man sich nach Eimer im Grunde genommen die frühere Monokotylenfauna vorstellen? Da ein Tier doch nur dann die schützende Wirkung der Anpassung genießt, wenn seine Zeiehnung mit der Form der Blätter der betreffenden Pflanze oder ihrem Schatten einigermaßen übereinstimmt, nun aber anderseits die längsgestreiften Tiere fast alle (mit einigen Ausnahmen unter den Säugetieren) parallel- streifig sind, so folgt daraus, dass die Pflanzen der damaligen Zeit einen ähnlichen Wuchs darbieten mussten, wie ihn heutzutage nur mehr der Spargel und einige andere Pflanzen (der Cereuskaktus ete.) Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. 969 darbieten. Einem Wald von Telegraphenstangen, einer Wiese von Besenstielen und Zündhölzern müsste die Flora dieser Zeit geglichen haben. Man sieht ein, dass diese Annahme nicht auf besondere Wahr- scheinlichkeit Anspruch machen darf; es dürfte wohl kaum früher solche Pflanzen gegeben haben, und der Schatten der früheren Mono- kotyledonen wird wohl ebenso unregelmäßig (bei einigermaßen strahliger Grundform des Schattens der einzelnen Pflanzen) gewesen sein, als dies jetzt der Fall ist und die so häufige Symmetrie und Segmen- tation der Zeichnung ist daher eine nichts weniger als eine schützende Einrichtung. Aber angenommen, es sei die Flora früherer Erdperioden wirk- lich so gewesen (unter den heutigen Monokotylen — z.B. den Grami- neen — leben übrigens sehr viele quergestreifte Tiere: der Tiger!), das Zebra und seine Verwandten, die Strepsiceros- und Tragelaphus-Arten, ein quergestreiftes Gnu — Connochoetes Gorgon — u. 8. W.) was ist das wichtigste Erfordernis für ein Tier, welches durch seine Längs- streifung an den Schatten der spargelförmigen Monokotyledonen an- gepasst ist? Es muss bei seinen Bewegungen mit seiner Längsaxe immer in der Schattenrichtung bleiben; denn kreuzt es die Schatten- richtung mit seinen Streifen unter irgend einem Winkel, so ist die Längsstreifung so gut wie nutzlos. Es kann aber auch nur ausge- streckt liegen! Eine Schlange aber, welche in der Ruhe stets zu- sammengeringelt ist oder wenigstens starke seitliche Biegungen auf- weist, ist durch ihre Zeiehnung nichts weniger als geschützt in dem parallelen Spargelschatten! Außerdem ist sehr wohl zu beachten, dass nicht jedes Tier, welches dem menschlichen Auge geschützt und gut angepasst erscheint, dies auch wirklich seinen Feinden gegenüber ist. Besonders wenn dieses Auge nicht einem alten Sammler angehört, dessen Sinnen- schärfe häufig der der Feinde der betreffenden Tiere nahekommt. Man beachtet viel zu wenig, dass ein großer Unterschied zwischen einem Menschen besteht, der aus irgend einem Grunde gelegentlich z. B. Eidechsen fängt, und einem Tiere, welches durch den Hunger ge- trieben, seine aus Eidechsen bestehende Nahrung aufspürt. Es unter- liegt keinem Zweifel, dass wenn jemand einmal gezwungen wäre, sich von Eidechsen zu ernähren, er sehr bald erkennen würde, wie wenig die Zeichnung der Eidechsen diese demjenigen gegenüber schützt, der sie mit Eifer und dem Aufgebot aller natürlichen Hilfs- mittel verfolgt. Ist Herrn Prof. Eimer jemals eine Eidechse des- wegen entkommen, weil er sie übersehen hat? Kaum, denn ein halb- wegs geübter Fänger sieht auf einem bestimmten Fleck jede Eidechse, 1) Warum ist übrigens der Tiger, der doch mit dem Guzeratlöwen am Indus ete. dieselben Oertlichkeiten bewohnt, gestreift und dieser nicht? Der Guzeratlöwe hätte eine Anpassungszeichnung doch weit nötiger! 364 Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. die überhaupt dort liegt. Die Schnelligkeit und Fähigkeit sich zu verstecken, retten jedenfalls mehr Eidechsen, als ihre Anpassung an irgend welche Pflanzen oder dergl. Auch suchen viele Tiere ihre Beute dem Geruch nach auf, be- sonders die Schlangen — diesen Tieren gegenüber ist jede Anpassung vergebens. Nehmen wir aber an, die Anpassung liege darin, dass das Tier vor seiner Beute unkenntlich gemacht wird. Wozu aber dann die Zeichnung der Pflanzenfresser? Und wie wäre der Vorgang der Erwerbung der Längsstreifung zu denken? Doch jedenfalls nicht so, dass sich das Tier so lange in den Schatten einer Pflanze legt, bis ihm die Sonnenstrahlen die Zwischenräume zwischen den Schattenstreifen dunkel brennen! Son- dern derart, dass unter den Individuen einer bestimmten Art die- jenigen, welche die Längsstreifenzeichnung, als die — angenommen, es sei so — nützlichste Zeiehnungsform relativ am deutlichsten und am vollständigsten ausgebildet zeigen, erhalten bleiben und ähnliche Formen erzeugen, während die anderen Individuen, die diese Zeich- nung weniger gut entwickelt zeigen, zugrunde gehen. Denn wenn wir annehmen, die Längsstreifenzeichnung sei gleich von allem Anfang an, wenn auch noch so schwach, dagewesen!), so wissen wir gerade so wenig über ihre Entstehung als jetzt; und wenn mir Herr Dr. Häcker vorwirft, durch meine Annahme der ursprünglichen Flecken- zeichnung sei die Frage nach der Entstehung der Zeichnung nur zurückverschoben, so kann der Eimer’schen Längsstreifenhypothese deswegen noch nicht das Kompliment gemacht werden, dass sie die Entstehungsweise der Zeichnung aufgeklärt habe. Vielleicht war die Längsstreifenzeichnung schon vor den Monokotylen da; dann hatten die betreffenden Tiere nur die Möglichkeit, die schädliche, auffallend- machende Wirkung der Zeichnung durch Verbergen in möglichst ähnlichem Pflanzenwuchs zu paralysieren — also nicht „Zeichnung wegen daraus sich ergebenden Schutz durch Pflanzen“, sondern Schutz suchen bei Pflanzen zur Vermeidung des Gesehenwerdens infolge der auffallenden Zeichnung. So würde ich die Anpassung der Zeichnung an Pflanzen u. dergl. im Allgemeinen auffassen. Ist aber die Längsstreifung nicht von allem Anfang an dagewesen, so muss sie aus etwas Anderem entstanden sein: also aus anderen Zeichnungen: als solche wären nur folgende Grundformen in Betracht zu ziehen: Flecken- und Querstreifenzeichnung. Was letztere anbe- langt, so stimme ich darin mit Eimer überein, dass sie aus der Fleckenzeichnung hervorgeht: also bleibt nur die Fleckenzeichnung als diejenige übrig, aus welcher die Längsstreifung entstanden sein kann. Ich habe die allmähliche Entstehung der Längsstreifung aus der Fleckenzeichnung durch vergleichende Studien ziemlich weit ver- 1) Also direkt aus der Einfarbigkeit entstanden. Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. 365 folgen können und kann darüber folgende Mitteilungen machen. Ich habe als ursprüngliehste Zeichnung die unregelmäßige Fleckenzeich- nung angenommen und kann diese meine Annahme als ganz richtig beibehalten. Welches sind die nächsten Stadien der Fleckenzeichnung ? Zuerst findet eine allmähliche Umordnung der Flecken statt, indem diejenigen Flecken die ungefähr in einer Linie liegen, diese ihre Anordnung deutlicher erkennen lassen und eine sehr unregel- mäßige Längsreibe bilden. Diejenigen Flecken aber, welche zwischen den Reihen liegen, werden entweder rückgebildet oder rücken allmäh- lich in eine dieser Reihen ein. Am längsten bleiben die Flecken der Kaudalregion ungeordnet, oft noch, wenn die der vorderen Rumpfhälfte schon deutliche Längsreihen, die des Kopfes bereits deutliche Streifen bilden. Es gibt Fälle, besonders bei Urodelen und Fischen, wo direkt aus der unregelmäßigen Fleckenzeichnung die Längsstreifung hervor- seht. Ein solcher Streifen besteht dann nicht aus einer einzigen Fleckenreihe, sondern aus einem unregelmäßigen Gewirr von Flecken, die sich allmählich vergrößern und endlich ein gleichmäßig dunkles Band mit unregelmäßiger Konturierung bilden, wie es an den Rumpf- seiten äußerst vieler Urodelen vorkommt und für diese Gruppe geradezu charakteristisch ist. Natürlich lässt sich ein solcher Streifen dann mit keinem der Reptilien und Anuren, die alle aus einer Flecken- reihe hervorgehen, vergleichen. Man wird nun mit Dr. Häcker fragen: Wenn ich die Flecken- zeichnung als Vorstadium vor die Längsstreifung gesetzt habe — wie entsteht nun erstere? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir auf solche Tiere zurückgehen, welche einfarbig sind, aber auf gewisse Reize durch Entstehung einer Fleckenzeichnung reagieren. Bei allen diesen Tieren, soweit sie mir bekannt sind, entsteht eine solche unregeimäßige Fleckenzeichnung; fast nirgends eine Längs- streifung; die Längsstreifen an den Seiten der Chamaeleons können oft nieht mehr ganz vollständig zurücktreten, sondern sind auch bei völliger Einfarbigkeit des Tieres im übrigen mehr oder weniger deutlich sichtbar. Solche Reize, auf welche durch Auftreten einer Zeichnung reagiert wird, sind besonders Wärme und Sonnenlicht, Feuchtigkeit; ferner bei anderen Tieren wieder das Gegenteil; außerdem Angst, Zorn, Hunger u. dergl. Es ist also diesen Tieren, die besonders den Klassen der Fische, Amphibien und Reptilien angehören, möglich, eine Zeichnung der einfachsten Art auf ihrer Haut erscheinen und wieder verschwinden zu lassen. 366 Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. Nimmt man nun z.B. an, dass ein solcher Reiz auf eine Anzahl von derartigen Tieren derselben Art lange Zeit fortwirkt, so werden alle diese Tiere, die ihre Fleckenzeiehnung früber nicht nur der Lage, der Größe und Dunkelheit der Flecken nach verändern — was z.B. die Pleuro- nektiden noch im Stande sind — sondern auch wieder einfarbig werden können, nicht nur allmählich eine bestimmte Fleckenzeichnung mit immer derselben Lage und Größe der Flecken erlangen (viele Fische, einige Urodelen und Eidechsen), sondern sie werden auch nicht mehr ganz einfarbig. Wirkt nun dieser Reiz auch auf die Nach- kommen dieser Tiere ein, so werden dieselben nieht nur durch die Vererbung!) sondern auch durch das Fortwirken dieses Einflusses, die Fleekenzeichnung früher und einigermaßen konstanter in Lage, Größe und Häufigkeit der Flecken erlangen als ihre Ahnen, und die Fähigkeit, wieder einfarbig zu werden, wird noch etwas geringer sein als bei diesen. Endlich werden die Nachkommen dieser Formen eine ganz konstante Fleckenzeichnung von mehr oder weniger unregel- mäßiger Form erlangen. So lange kann von einer Homologisierung der Zeichnung keine Rede sein; erst bei dem Auftreten von Flecken- reihen können solche Fleckenreihen, ja auf dem Kopfe sogar einzelne Flecken als homolog erkannt werden. In diesem Fall ist selten mehr etwas von der ursprünglichen Fähigkeit des Farbenwechsels zu er- kennen; immerhin gibt es Tiere, wie die Chamaeleonten, die trotz einer in der Familie gut homologisierbaren Kopf- und Rumpfzeichnung noch einfarbig werden können; und die außerordentlich häufige Er- scheinung, dass Tiere im Alter einfarbig werden, ist nichts als eine Erinnerung an diese Fähigkeit des Farbenwechsels, der bei Fischen noch momentan erfolgen kann, aber im Allgemeinen immer längere Zeit braucht, je höher wir in der Wirbel-Tierreihe aufsteigen. Welche Bedeutung hat nun aber die Zeichnung, wenn sie mit der Anpassung nichts zu thun hat? Ich will nieht behaupten, dass sie wirklich nie zu Schutzzwecken dient; diese Behauptung widerspräche den Thatsachen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass viele Fleekenzeichnungen der Wirbeltiere — und nur diese habe ich in diesen Zeilen im Auge — vielfach durch Nach- ahmung von Steinen, dürren und frischen Blättern u. dergl. eine schützende Wirkung hervorbringen: aber wohlgemerkt, nur als unter- stützendes Moment der Anpassungsfärbung?). Wo die Färbung eines Tieres nicht seinem Aufenthaltsort angepasst ist, da nützt keine Zeich- nung etwas, und wenn sie noch so täuschend der Form nach ist. 4) Deren Wirkung bei der Paarung von in gleicher Weise ver- änderten Individuen um so merklicher sein wird! 2) Und fast nur bei denjenigen Tieren, deren Zeichnung noch ganz un- regelmäßig ist; je deutlicher diese segmentiert und je mehr sie symmetrisch ist, desto auffälliger wird das Tier in seiner Umgebung. Werner, Bemerkungen zur Zeiehnungsfrage. 367 Und diese beiden Begriffe werden so häufig verwechselt, oder besser gesagt nicht auseinandergehalten; Zeichnung ist die Form, in welcher die Pigmentanhäufungen auftreten. Wenn wir wissen, dass die Flügel- decken einer Feldheuschrecke an dem einen Ort mit mehr grauen Kalkboden grau, an einem andern Ort mit braunem Lehmboden braun sind, so wissen wir, dass die Flügeldecken ihrer Färbung nach an die des Bodens angepasst sind; aber wir wissen deshalb nicht, wes- halb bei beiden Formen die Flügeldecken quergebändert sind — denn das hat mit der Anpassung nichts zu thun. Dass die Zeichnung an sich bei der Anpassung nicht von Be- deutung ist, zeigen unter anderem folgende Thatsachen: Unter den Baumschlangen gibt es längsgestreifte (Dendrophiden, Dryadinen) ge- fleekte und quergestreifte Formen (Dipsadiden); sie alle aber sind in bester Art ihrem ständigen Aufenthaltsort angepasst; desgleichen sind längsgestreifte (Psammophis), gefleckte (Eryx, Zamenis, Echis, Cerastes) und quergestreifte (Sc/neus) Wüstenreptilien trotz ihrer verschiedenen Zeichnung von dem gelblichen Sandboden kaum zu unterscheiden. Die Natrieinen und Homalopsiden weisen zahlreiche Sumpfbewohner auf, die oft überraschend ähnlich gefärbt sind (indem sie den Schlamm- boden ihrer Wohngewässer nachahmen) aber dabei die verschiedensten Zeichnungen tragen; eine Art (Tropidonotus quincunciatus) kommt in einer längsgestreiften und in einer gefleckten resp. quergestreiften Form vor, und dessen ungeachtet ist mir nicht bekannt, dass die beiden Formen eine verschiedene Lebensweise führen oder dass eine ihrem Aufenthaltsorte nicht angepasst wäre. Die Zeiehnung kann eben die schützende Wirkung der Färbung erhöhen, aber sie allein kann dem Tiere keinen Schutz gewähren auch bei Mimiery-Fällen; kein Tier würde eine schwarz und weiß oder schwarz und grün geringelte Schlange mit einem Zlaps verwechseln und sie respektieren; die rote Färbung zwischen den schwarzen Ringen allein bewirkt die Täuschung. Die obenerwähnten Wüstenschlangen zeigen alle trotz ihrer gleichen Färbung die charakteristische Zeichnung ihrer respektiven Familie oder wenigstens Gattung; die einzige europäische Dipsadide (Tarbophis vivax), welche in ihrer Zeichnung mit der nahverwandten süd- amerikanischen Leptodira annulata oft die größte Aehnlichkeit be- sitzt, stimmt in der Färbung mit der Fipera ammodytes, welche mit ihr gemeinsam die grauen Steingerölle und Kalkfelsen Dalmatiens bewohnt, überein. Die Bedeutung der Zeichnung — und zwar die Hauptbedeutung — scheint mir eine rein physiologische zu sein; so ist sie z.B. teils die Stelle der stärksten Pigmentausscheidung aus dem Organismus, teils wahr- scheinlich zur Absorption von Wärme in Beziehung stehend. In ersterer Eigenschaft dienen die periodisch auftretenden Erscheinungen der Häutung, der Mauser und des Haarwechsels dazu, um das in Form der Zeichnung an die Oberfläche des Körpers gelangte Pigment nach 368 Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. außen zu schaffen; in letzterer wird durch die dunkle Zeichnung vielleicht gewissen Teilen des Körpers eine größere Wärmemenge zu- geführt, wie z. B. dem Gehirn durch die Interokularzeichnung u. s. w. Dass die Zeichnung mit der inneren Organisation der Wirbeltiere in einem gewissen Zusammenhang steht, scheint mir höchst wahrschein- lich; schon ihre Segmentation und Symmetrie in den höheren Stadien der Entwicklung, die so häufig abweichende und höhere Entwicklung der Kopf- im Vergleich zur Rumpfzeichnung, die vielfach relativ primitive Form der Kaudalzeichnung, die oftmalige Wiederholung derselben Zeichnung an denselben Stellen des Körpers in verschiedenen Wirbel- tiergruppen — auch die häufige 6-Zahl der Fleckenreihen bei jedes- maliger selbständiger Entstehung gehört hierher — scheinen mir darauf hinzuweisen, dass die Zeichnung in ihrer Entwicklung mit der des inneren Baues des Tierkörpers parallel geht. Es wäre daher meiner Meinung nach die Frage nach der Funktion der nach vorausge- gangener Untersuchung, inwieweit die Segmentation des Skeletts, der Muskulatur ete. mit der der Zeiehnung Hand in Hand geht, ob die Dorsalflecken auf bestimmte Wirbel oder Wirbelkomplexe fallen, ob die Lateralflecken auf Muskelsegmente, Spinalnerven oder dergleichen zu liegen kommen, zu beantworten. Ich habe gelegentlich anderer Untersuchungen an Eidechsen ge- funden, dass bei einer nicht unbedeutenden Anzahl derselben ein heller, meist gelber Fleck das Parietalloeeh umgibt und auch bei solehen Eidechsen, wo dieses äußerlich nicht mehr erkennbar ist, mitunter noch persistiert; und dieser helle Fleck liegt noch bei den Schlangen in der Mitte der Parietalregion, an der Naht der beiden Parietalschilder. — Bei einer Unzahl von Wirbeltieren zieht der schon oft genannte Postokularstreifen vom Auge bis zur Ohröffnung resp. bei kiemenatmenden Tieren bis zum Rande des Kiemendeckels; mir scheinen diese und andere konstante und uralte, Tieren der aller- verschiedensten Lebensweise eigenen Zeichnungen, wie schon bemerkt, weit eher in einem uns allerdings noch völlig unbekannten Connex mit der inneren Organisation der Tiere zu stehen; wir dürfen nicht vergessen, dass wir noch lange noch nicht alles wissen und dürfen nicht alles als Anpassung bezeichnen, was wir nicht begreifen, und das Wort „Anpassung“ als Aufbewahrungsort für die verschiedensten uns rätselhaften Dinge benützen. Noch einige Dinge möchte ich wenigstens kurz erwähnen. Es gibt bekanntlich Schlangen, namentlich Colubriden, welche in der Jugend gefleckt, im Alter aber längsgestreift sind. Dazu gehört z. B. Elaphis quaterradiatus (cervone), die ich sehr oft beobachtet habe. Das Tier ist in der Jugend wirklich wundervoll an den gewöhnlichen Aufenthaltsort, die grauen Kalkfelsen und Geröllflächen Dalmatiens angepasst; die dunklen Flecken scheinen thatsächlich dürre Blätter u. dergl. nachzuahmen, so dass es kaum erkennbar ist. Im Alter Werner, Bemerkungen zur Zeiehnungsfrage. 369 aber ist es braun, mit vier schwarzen Längsstreifen geziert und überall schon von weitem auffällig, wo es sich im Freien zeigt. Ich frage nun: nachdem diese Schlange sich stets an denselben Orten aufhält, erscheint es wahrscheinlich, dass sie mit ihrer Zeichnung, wie es nach der Eimer’schen Annahme der Fall sein sollte, im Ver- laufe ihres Lebens an zwei verschiedene Floren angepasst ist? Und ist ein Grund vorhanden, warum diese Schlange das sie so außer- ordentlich sehützende Jugendkleid aufgibt und ein relativ weit auf- fallenderes annimmt? Und wenn die Längsstreifung eine Anpassung an die der jetzigen Flora vorhergegangene Monokotylenflora war, wie ist dies damit zu vereinbaren, dass ein Tier in seiner ontogene- tischen Entwicklung gerade ein dem entgegengesetzten Vorgange ent- sprechenderes Verhalten zeigt? Und wie sind diejenigen Tiere aufzufassen, die vorn quer-, hinten längsgestreift sind oder umgekehrt? Abgesehen davon, dass die Thatsache, dass sowohl die eine als die andere Form vorkommt, direkt gegen die von Eimer angenommene postero-anteriore Entwick- lung der Zeichnung spricht, so kann ein Tier, welches zu gleicher Zeit solche verschiedenartige Zeichnungen trägt, nur durch eine der- selben geschützt sein, wenn man die Zeichnung eben als schützendes Moment betrachtet; durch die andere aber nicht, denn sonst wäre absolut nicht einzusehen, warum es verschiedene Zeichnungen gibt, wenn unter denselben Umständen die eine denselben Anforderungen entspricht, wie die andere. Ist die nicht angepasste Zeichnung schädlich — warum dann überhaupt eine solche? und ist sie gleichgiltig für das Tier, warum gibt es solche weder nützliche noch schädliche Zeichnungen? wenn sie nicht eben eine andere Bedeutung haben! Was hat es übrigens mit der Querstreifung für eine Bewandtnis? Die Längsstreifung soll mit der Monokotylenflora zusammenhängen; angenommen, dies sei richtig, die Fleckenzeichnung in Reihen mit den rundblättrigen Dikotylen u. dergl. Pflanzen (da sich übrigens nach Eimer die Flecken aus Längsstreifen bilden, eigentlich also nur Fleckenreihen erlaubt sind, und anderseits mit dem Flecken- schatten der jetztigen Pflanzen in Beziehung stehen sollen, so sollten eigentlich die Blätter dieser Pflanzen ebenfalls Reihen bilden; da bis jetzt aber die Fleckenschatten gewöhnlich sehr unregelmäßig sind, so gehört die eigentlich zu erwartende Reihenstellung der Blätter wohl in die Kategorie der spargelförmigen Monokotylen). — Aber auch das angenommen, wenn auch nicht zugegeben. Mit welchen Pflanzen haben nun die quergestreiften Tiere zu thun? Sind sie an noch lebende Pflanzen angepasst, die wir nicht kennen? Oder an Monokotyledonen ? oder gar nicht? Wenn die Querstreifung, wie es noch am wahrscheinlichsten wäre, eine Anpassung an monokotyle Pflanzen und deren Schatten vorstellen xl, 24 370 Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. würde; warum dann diese Bevorzugnng der Längsstreifung durch Eimer? Warum soll, wenn wir annehmen, dass es wirklich Pflanzen gebe oder gegeben habe, die einen parallelstreifigen Schatten werfen konnten, — warum soll die Längsstreifung ursprünglicher gewesen sein als die Querstreifung, ja sogar durch das Stadium der Flecken- zeichnung von ihr getrennt, wenn im Grunde genommen kein größerer Unterschied zwischen ihnen besteht, als dass sich das längsgestreifte Tier mit seiner Längsaxe parallel mit der Richtung des Linienschattens der Monokotylen, das quergestreifte aber vertikal dazu stellen oder legen müsste, um den Schutz der Pflanze zu genießen. Ist die Querstreifung aber keine besondere oder gar keine Form der Anpassung, was ist sie denn und warum ist es im letzteren Falle Fleckenzeichnung und Längsstreifung ? Nachdem ich die verschiedenen, mir aufgestiegenen Bedenken gegen die Eimer’sche Längsstreifen- und Monokotylenhypothese so ziemlich vollständig erwähnt habe, will ich nur noch einmal kurz meine Ansichten über diesen Gegenstand rekapitulieren; die wichtigsten Punkte sind folgende®): 1) Die Zeichnung als Form ist von der Färbung streng aus- einanderzuhalten; letztere ist in den meisten Fällen Anpassungs- färbung, resp. Warn- oder Schreekfarbe oder tür die geschlecht- liche Zuchtwahl von Bedeutung. Erstere hingegen unterstützt nur mitunter die Wirkung der Färbung, vermag aber niemals an sich schützend oder dergleichen zu wirken. Die gleiche Färbung deutet im allgemeinen den gleichen Aufenthaltsort (Baum-, Sumpf-, Wüsten-, Kalk- oder Lehmboden- Färbung) die gleiche Zeichnung aber die Verwandtschaft an. Die Zeichnung ist in der Kaudalregium (in der Regel) am ursprünglichsten und gegen den Kopf hin immer mehr ent- wickelt und ausgebildet; desgleichen ist der Rücken immer den Seiten und diese den Bauchrändern in der Entwicklung voraus. Die Entwicklung der Zeichnung (phylogenetisch) scheint folgende Hauptstadien aufgewiesen zu haben, die jetzt wohl kaum alle an demselben Tier, ja vielleieht nicht einmal an derselben Art beobachtet werden können; doch sind einige aufeinanderfolgende Stadien häufig bei demselben Tiere zu bemerken. 2 ur 3 u 4 2 1. Stadium: Unregelmäßige Fleckenzeichnung, welche während der Dauer eines Reizes bestimmter Art anhält und nach Aufhören desselben wieder vollständig verschwindet (Fische, wie Pleuronektiden, manche Perkoiden ete.; Laubfrosch; Proteus. 4) Ich bemerke hier ausdrücklich, dass ich nur die Wirbeltiere im Sinne habe! Werner, Bemerkungen zur Zeichnungsfrage. 31 2. Stadium: Unregelmäßige Fleckenzeichnung, welche bei jedem neuen Erscheinen an derselben Stelle bemerkbar wird, aber wieder vollständig verschwinden kann (Fische, manche Tritonen; viele Geckoniden. 3. Stadium: Fleekenzeichnung derselben Art; kann aber nach Auf- hören des Reizes nicht mehr vollständig verschwinden: Fische, Tritonen, Chamaeleonten; Geekoniden. 4. Stadium: Die unregelmäßige Fleckenzeichnung verschwindet höch- stens im Alter allmählich. (Beispiele aus allen Wirbel- tierklassen.) Diese Stadien sind lauter solche, in denen die Zeichnung noch wenig (z. B. bei Chamaeleonten) oder gar nicht homologisiert werden kann. Es folgt das 5. Stadium: Flecken in deutlichen aber nicht vollständigen Reihen: dazwischen unregelmäßig zerstreute Flecken (Tapire; vielleicht Hirsche und Nager). 6. Stadium: Deutliche Fleckenreihen ohne dazwischenliegende ein- zelne Flecken. 7. Stadium: Deutliche Streifen irgendwelcher Art; Querstreifen be- sonders bei Haien, Montoriden, Dipsadiden, Elapiden, Equiden; Längsstreifen bei Raniden, Lacertiden, Psam- mophiden, Nagern. Daraus — und zwar aus verschiedenen dieser Stadien gehen speziell gewissen Tiergruppen eigene Zeichnungen hervor: so die Ocellarzeichnungen der Rochen, die Radiärzeichnung der Raubsäuge- tiere (Viverren, Katzen, Hyänen etc.) und Equiden; die Retikular- zeichnung der Lacertiden. Erwähnen will ich noch das Auftreten sekundärer Zeichnungen, welche in der Regel auf Längsstreifen auftreten und denselben Ent- wicklungsgang gehen, wie die primären, also zuerst als Flecken auf- treten, welche zu Längsstreifen verschmelzen können — oder auch zu Querstreifen: (viele anure Batrachier, Eidechsen und Schlangen; wenige Säugetiere). Eine spezielle Form der sekundären Zeichnungen sind die von mir sogenannten einfachen Zeichnungen!) (bei Eidechsen, Schlangen; wahrscheinlich auch bei Konturfedern der Vögel; die Zeichnungen der jungen Vögel sind immer primär): Auch die Formen der „Altersschwäche“ der Zeichnung werden im zweiten Teil meiner Arbeit ausführlichere Erörterung finden. _ Hiemit glaube ich meine Stellung zu den Eimer’schen Zeich- nungstheorien einigermaßen klargelegt zu haben. Denjenigen Herrn Zoologen, welche in dieser Angelegenheit irgendwelche Fragen zu stellen wünschen, bin ich gern bereit, solche, so ausführlich als es das von mir gesammelte Material erlaubt (wenn nötig mit Abbildungen) 1) Siehe meine obenerwähnte Arbeit S. 10 fg. 24 * 312 Ziegler, Amitotische Kernteilung. zu beantworten. Das Interesse für diese Studien ist durch die wich- tigen Arbeiten Eimer’s über Eidechsen, Schmetterlinge und Säuge- tiere fortwährend gewachsen und die Untersuchung der Zeichnung — die früher höchstens als Spielerei höherer Kategorie gegolten haben mag — dürfte in nieht allzuferner Zeit eine neue zoologische Disziplin bilden. | Die biologische Bedeutung der amitotischen (direkten) Kern- teilung im Tierreich. Von H. E. Ziegler, Dr. ph., Prof. extraord. der Zoologie, Freiburg i. B. W. Flemming schreibt in seiner neuesten Arbeit !) Folgendes: „Es scheint mir nieht ausgeschlossen, dass man sich über die Frag- mentierungen der Leukocytenkerne — und über die amitotische Kernteilung überhaupt — auch folgende Anschauung bilden könnte. Die Leukoeyten finden ihre normale physiologische Neubildung gleich den Zellen anderer Gewebe durch Mitose; nur die auf diesem Wege neuentstandenen erhalten das Vermögen länger fortzuleben und auf demselben Wege ihres Gleichen zu erzeugen. Fragmentierung des Kerns, mit und ohne nachfolgende Teilung der Zelle, ist überhaupt in den Geweben der Wirbeltiere ein Vor- sang, der nieht zur physiologischen Vermehrung und Neubildung von Zellen führt, sondern wo er vorkommt, ent- weder eine Entartung oder Aberration darstellt, oder vielleicht in manchen Fällen (Bildung mehrkerniger Zellen durch Fragmentierung) durch Vergrößerung der Kernperipherie dem zellulären Stoffwechsel zu dienen hat. Wenn sich also Leukoeyten mit Fragmentierung ihrer Kerne teilen, so würden hiernach die Abkömmlinge dieses Vor- gangs nicht mehr zeugungsfähiges Material sein, sondern zum Unter- gang bestimmt, obwohl sie zunächst noch lange in den Geweben und Säften weiterleben können.“ Obgleich Flemming diese Sätze nicht als bewiesene Resultate, sondern nur als wahrscheinliche Hypothesen hinstellt, so sind sie doch von großer Wichtigkeit und die Ausführungen Flemming’s werden viel dazu beitragen, die richtige Beurteilung der amitotischen Kernteilung?) zur allgemeinen Anerkennung zu bringen. Ich habe seit mehreren Jahren hinsichtlich der biologischen Bedeutung der 4) W. Flemming, Ueber Teilung und Kernformen bei Leukocyten und über deren Attraktionssphären. Archiv f. mikr. Anatomie, 37. Bd., 1891. 2) Die amitotische Kernteilung umfasst nach der Arnold’schen Termino- logie die „direkte Segmentierung“, die „direkte Fragmentierung“ und die „in- direkte Fragmentierung“. Ich sehe von den Arnold’schen Bezeichnungen ganz ab, weil sie, wie mir scheint, auf einer unnatürlichen Einteilung beruhen. Ziegler, Amitotische Kernteilung. 373 amitotischen Kernteilung eine derartige Ansicht gehegt, wie sie in den obigen Sätzen Flemming’s ausgedrückt wird, und habe dieselbe seither durch alle Fälle amitotischer Kernteilung, welche mir in der Litteratur zu Gesicht kamen, bestätigt gefunden; daher glaube ich, dass die amitotische Kernteilung, wo immer sie auftritt, im Sinne der oben zitierten Darlegungen zu deuten ist. Das Studium der im Periblast der Knochenfische befindlichen Kerne war für mich der Ausgangspunkt solcher Ueberlegungen ge- wesen !. „Die Kerne des Periblastes der Knochenfische teilen sich zur Zeit der Furchung durch Karyokinese, wie dies von vielen Au- toren übereinstimmend angegeben wird; später aber nehmen sie einen eigentümlichen Habitus an?) und zeigen die Bilder direkter Kern- teilung.“ Ich führte damals weiter aus, dass „sich in sehr verschie- denartigen Fällen eigentümliche Kernformen finden, die man den Periblastkernen der Knochenfische an die Seite stellen kann, und dass diese Erscheinungen ein für die Naturgeschichte des Zellkerns über- haupt wichtiges Kapitel bilden.“ „Es würde passend erscheinen, wenn man den Ausdruck Fragmentation im Tierreich (und zwar zu- nächst nur bei Metazoen) für die morphologisch und physiologisch zusammengehörigen Fälle gebrauchen würde, welche in folgender Weise charakterisiert sind. Die Kerne sind beträchtlich größer als gewöhnliche Kerne desselben Tieres und zeigen anormale Armut an 1) E. Ziegler, Die Entstehung des Blutes bei Knochenfischembryonen. Archiv f. mikr. Anatomie, 30. Bd., 1887, S. 160. 2) Dieselben Erscheinungen zeigen sich nicht nur bei den im Dotter ge- legenen Kernen der anderen meroblastischen Wirbeltiere, sondern auch bei den im Dotter liegenden Kernen der Arthropoden. Wie es bei der Entwicklung der meroblastischen Eier der Wirbeltiere höchst unwahrscheinlich und min- destens nicht bewiesen ist, dass die im Dotter liegenden großen Kerne in irgend einer Weise morphologisch am Aufban des Embryo beteiligt sind, so kann dasselbe für die Kerne behauptet werden, welche bei den Arthropoden nach der Bildung des Blastoderms und der Anlage des Keimstreifs noch im Dotter verharren. Ich zitiere die bezüglichen Bemerkungen von Graber (Vergleichende Studien über die Embryologie der Insekten und insbesondere der Musciden. Denkschriften der k. Akademie zu Wien. Math.-naturw. Klasse, 56. Bd., 1889). „Innerhalb des Blastoderms, zerstreut im Dotter, findet man bekanntlich bei den Musciden sowie bei allen hierauf untersuchten Insekten Zellen oder mindestens Kerne, die man daher auch vielfach als Dotterzellen (Vitellophagen nach Nusbaum) zu bezeichnen pflegt. Was nun die Rolle anlangt, welche diese vielbesprochenen Zellen beim Aufbau des Embryos spielen, so ist die gegenwärtig weitaus verbreiteste Ansicht die, dass sie bloß die Assimilierung des Dotters befördern und dass sie, obwohl gemeinsamen Ursprungs mit den Blastodermzellen, insbesondere keine gewebebildenden und in die Kategorie der eigentlichen Keimblätter einzuordnenden Elemente sind“. Die Vitellophagen der Musceiden sind Kerne ohne Plasmahof und erscheinen „als im Allgemeinen sehr unregelmäßig umgrenzte oder amöboide Gebilde von relativ riesiger Größe*, 374 Ziegler, Amitotische Kernteilung. Chromatin oder anormale Verteilung desselben. Die Kerne vermehren sich durch direkte Kernteilung; häufig wird die Teilung nicht bis zur Trennung der Teilstücke durchgeführt, so dass die Kerne knospen- ähnliche Fortsätze und unregelmäßige Ausläufer zeigen, oder dass sie durch Einsehnürungen zerteilt erscheinen. Die Fragmentation kommt vor in Zellen, welche sich nicht mehr teilen oder in Protoplasma- massen, welche durch unvollständige Zellteilung (d. h. durch Kern- teilung ohne zugehörige Zellteilung) entstanden sind. Das Auftreten der Fragmentation hängt damit zusammen, dass die Zelle sich spe- zialisiert, sich an eine bestimmte physiologische Funktion angepasst hat, dass sie z. B. Dotter beherbergt und assimiliert, dass sie irgend einen Sekretions- oder Resorptionsvorgang besorgt u. Ss. w. Die Kerne sind degeneriert, insofern die Zelle keiner Teilung mehr fähig ist und folglich sich an dem weiteren Aufbau des Embryo oder an Regenerationsvorgängen nicht mehr morphologisch beteiligen kann; wenn man die Kerne in diesem Sinne als degeneriert bezeichnet, so schließt dies nicht aus, dass sie ihre physiologische Funktion mehr oder weniger lange Zeit hindurch erfüllen. Es gibt einfachere Modi der Degeneration, welche zu raschem Untergang führen, die Frag- mentation tritt nur dann auf, wenn die Kerne erst eine spezialisierte Funktion übernehmen und dann zu Grunde gehen.“ Nach dem heutigen Stand der Forschung darf man behaupten, dass die amitotische Kernteilung stets das Ende der Reihe der Teilungen andeutet. Wo dieser Teilungsmodus auf- tritt, da finden nur noch eine beschränkte Zahl von Teilungen oder nur noch ganz wenige oder gar keine Teilungen mehr statt, während die durch Mitose sich teilenden Kerne für die ganze Lebensdauer des Individuums eine unbegrenzte Vermehrungsfähigkeit besitzen. Es ist schon a priori wenig wahrscheinlich, dass Kerne, welche durch ami- totische Teilung entstanden sind, sich jemals wieder durch Mitose teilen; denn bei der amitotischen Kernteilung findet die Verteilung des Chromatins in einer rohen und meist sehr ungleichmäßigen Weise statt; infolge dessen hätte die Mitose, welche eine gesetzmäßige und durchaus gleichmäßige Teilung des Chromatins bewirkt, nachher gar keine Bedeutung und keinen Wert mehr, oder sie würde wenigstens ganz unverständlich bleiben. Flemming (l. ce.) zeigt bei der amitotischen Teilung der Leuko- eytenkerne, dass bei der Kernzersehnürung eine Teilung der Attraktionssphäre und ihres Centralkörpers nicht stattfindet!). Mit dem Ausbleiben dieser Teilung kann vielleicht 1) Diese Beobachtung gibt eine wichtige Stütze für die Ansicht, dass die Vorgänge der amitotischen Kernteilung und der Verzweigung der Kerne mit einander verwandt sind und in einander übergehen; auch die außergewöhn- liche Größe trifft bei den verzweigten, wie bei den amitotisch sich teilenden Kernen zu. Korschelt („Beiträge zur Morphologie und Physiologie des Zell- Ziegler, Amitotische Kernteilung. 30 die Thatsache in Verbindung gebracht werden, dass der amito- tischen Kernteilung in der Regel die Zellteilung nicht nachfolgt. Wie Flemming sagt, werden weitere Untersuchungen zu entscheiden haben, ob in den Fällen, in welchen die amitotische Teilung von einer Zellteilung begleitet ist, eine Teilung der Attrak- tionssphäre auftritt. Nach allen vorliegenden Beobachtungen steht fest, dass die Kerne, welche sich amitotisch teilen, stets durch beson- dere Größe ausgezeichnet sind!). Diese Eigentümlichkeit kerns“. Zool. Jahrbücher, Abteilung für Anat. und Ontogenie, Bd. IV, 1889) hat in zusammenfassender Weise gezeigt, dass verzweigte Kerne häufig in solchen Zellen vorkommen, in welchen eine intensive Sekretion stattfindet. Die Verzweigung der Kerne deutet darauf hin, dass die Kerne in hohem Maße an die spezialisierte physiologische Funktion sich angepasst haben, und diese weitgehende Anpassung zieht nach kürzerer oder längerer Zeit den Untergang der Kerne nach sich. — Dass die amitotische Teilung und die Verzweigung der Kerne physiologisch und morphologisch zusammengehörige Erscheinungen sind, geht auch daraus hervor, dass sie häufig neben einander vorkommen; z. B. sah ich an einigen Präparaten des in toto eingelegten Darmkanals von Porcellio scaber (welche mir Herr Dr. vom Rath freundlichst zur Untersuchung überließ), dass die Kerne des Epithels in der hinteren Hälfte des Mitteldarms mannigfache Verzweigungen zeigten und da und dort die Bilder direkter Tei- lung gaben. Beiläufig möchte ich bemerken, dass solche Kernformen, wie man sie hier findet, von van Bambeke (Des deformations artificielles du noyau. Archives de Biologie, T. VII, 1887) beschrieben und abgebildet sind, dass ich aber auf diese Arbeit nicht genauer eingehen kann, weil mir nicht ganz klar geworden ist, was van Bambeke unter Deformation artificielle verstehen will. — Es wird vielleicht zu empfehlen sein, aus denjenigen Fällen amitotischer Kernteilung, welche gemeinsam mit der Verzweigung der Kerne auftreten, eine Unterabteilung derselben zu machen. — 1) In einigen Fällen sind solche große Kerne als Riesenkerne bezeichnet worden. Es wäre angezeigt für alle bei den Metazoen vorkommenden außer- gewöhnlich großen Kerne (mit Ausnahme der Kerne der Genitalzellen) stets denselben Namen zu gebrauchen. Man könnte den Ausdruck Riesenkern in diesem Sinn verallgemeinern. Das Wort Makronukleus, welches bei den ciliaten Infusorien und Acineten gebraucht wird, sollte man nicht auf die Metazoen übertragen, da ja die genannten Protozoen hinsichtlich der Kernverhältnisse eine ganz aparte Stellung einnehmen. Ich möchte für den bei Metazoen vor- kommenden Typus ungewöhnlich großer Kerne den Namen Meganukleus vorschlagen. Die neueren Erfahrungen lassen sich dann sehr kurz in folgenden Sätzen ausdrücken: wo Meganuklei vorkommen, da findet ein lebhafter Sekre- tions- oder Assimilationsvorgang statt; Meganuklei können sich amitotlsch teilen und die amitotische Kernteilung kommt unter den Metazoen nur bei Meganuklei vor; die Meganuklei haben eine beschränkte Teilungsfähigkeit und gehen stets nach einiger Zeit zu Grunde. — Es würde sich empfehlen, den Kernen der Genitalzellen eine Ausnahmestellung zu geben und sie nicht unter die Meganuklei zu rechnen. Freilich erreicht der Eikern in Anpassung an die ovogenetischen Vorgänge eine außerordentliche Größe, aber er ist einer Ver- 376 Ziegler, Amitotische Kernteilung. scheint auch den amitotisch sich teilenden Leukocytenkernen zuzu- kommen, obgleich sie hier nicht so deutlich wie sonst hervortritt. Die ungewöhnliche Größe der Kerne hängt unzweifelhaft mit der physiologischen Funktion zusammen und man darf, wie ich glaube, die Hypothese aufstellen, dass bei den Metazoen die amitotische Kernteilung (vorzugsweise, vielleicht ausschließlich) bei solehen Kernen vorkommt, welche einem ungewöhn- lich intensiven Sekretions- oder Assimilationsprozess vorstehen. Mit Rücksicht auf diese Gesichtspunkte will ich hier einige Fälle amitotischer Teilung ins Auge fassen. Wenn Eizellen im Ovarium der Wirbeltiere zur Rückbildung kommen, so geschieht dies mit Hilfe von Leukocyten, welche in das Innere derselben hineinkriechen, und von Zellen des mehrschichtig gewordenen Follikelepithels, welche am Rande in die Zelle eindringen; die Kerne der Zellen, welche die Resorption der Eizelle bewirken, entarten unter zunehmender Vergrößerung und zeigen amitotische Teilung. Die physiologischen Verhältnisse sind hier dieselben wie bei den Kernen im Dotter der meroblastischen Embryonen der Wirbel- tiere, insofern es sich darum handelt, auf das Dottermaterial eine assimilatorische Einwirkung auszuüben. Die Veränderungen, welche die Leukocyten und die Follikelzellen während der Resorption der Eizelle erfahren, insbesondere auch die Vergrößerung des Kernes, die mannigfachen Formen der amitotischen Teilung, das Vorkommen - mehrkerniger Zellen und der Zerfall von Kernen sind von Ruge!) neuerdings bei verschiedenen Amphibien eingehend untersucht worden. Die Arbeit von Ruge gibt so viele für die vorliegende Frage be- deutsame Beobachtungen, dass ich auf dieselbe verweisen muss und nieht versuchen kann die Resultate hier mit wenigen Worten wieder- zugeben. Sehr typisch ist der Fall, welehen Chun ?) beschrieben hat. Bei den Schwimmglocken der calycophoriden Siphonophoren findet man in den Radiärkanälen und in den netzförmig sich verzweigenden Ausläufern derselben „die abgeplatteten großen Entodermzellen mit einer Brut von Kernen erfüllt“. „Die größeren derselben zeigen selten jüngung fähig; während bei einem typischen Meganukleus, so viel man weiß, niemals mehr eine mitotische Teilung stattfindet, tritt der Eikern in mitotische Teilung ein, indem aus ihm die erste Richtungsspindel hervorgeht. Bei den Kernen somatischer Zellen konnte die Anpassung an eine bestimmte physio- logische Funktion so weit schreiten, dass die normale Teilungsfähigkeit darüber zu Grunde ging, bei den Kernen der Genitalzellen durfte dies natürlich nicht geschehen. 1) G. Ruge, Vorgänge am Eifollikel der Wirbeltiere. Morphologisches Jahrbuch, XV. Bd., 1890. 2) C. Chun, Ueber die Bedeutung der direkten Kernteilung. Schriften der physikal.-ökon. Gesellschaft zu Königsberg i. Pr., 31. Jahrg., 1890. Ziegler, Amitotische Kernteilung. 3 rundliche Konturen; meist sind sie band- oder wurmförmig aus- gezogen und mit seitlichen Höckern besetzt.“ „Bald zerschnüren sich hantel- oder bisquitförmige Kerne in zwei gleich große Hälften, bald ähnelt die Kernteilung mehr einer Knospung, insofern der abgeschnürte Kern bedeutend kleiner ist und gleichzeitig der größere Kern ver- schiedene Prolifikationen aufweist, die ebenfalls sich abzuschnüren beginnen.“ „In keinem Fall bedingt die direkte Kernteilung bei den Siphonophoren eine nachfolgende Zellteilung“; auf diese Thatsache legt Chun besonderen Wert, „da auch in allen Fällen, wo bis jetzt direkte Kernteilung nachgewiesen wurde, es zur Bildung von viel- kernigen Zellen kommt, ohne dass mit Sicherheit eine nachfolgende Zellteilung beobachtet wurde.“ Es lässt sich wahrscheinlich machen, dass den von Chun beschriebenen Kernen eine energische physio- logische Thätigkeit der obengenannten Art zukommt; denn die Bil- dung der netzförmig anastomosierenden Ausläufer der Radiärkanäle deutet darauf hin, dass das Epithel dieser Kanäle in möglichst großer Fläche mit den umgebenden Geweben in Berührung kommen soll und, wie Chun angibt, für den Stoffwechsel der zur Schwimmbewegung dienenden Muskulatur der Schwimmglocken von großer Wichtig- keit ist. Bei vielen Insekten findet man ganz auffallend große Kerne in den Nährzellen, welche im Ovarium der Eizelle sich anlagern, um ihr Nahrungsmaterial zu liefern t); Korschelt?) hat bei solchen Nährzellen in der Endkammer der Ovarien verschiedener Wanzen die Bilder amitotischer Kernteilung gesehen. In dem Follikelepithel, welches das Ei der Maulwurfgrille umhüllt („le tapis cellulaire qui recouvre loeuf de la taupe- grillen arrive a l’etat parfait“), sah Carnoy?°) amitotische Kern- teilung und mehrkernige Zellen. Da die Zellen des Follikelepithels bei der Ernährung der wachsenden Eizelle eine große Rolle spielen und da sie mit der Reife der Eizelle ihre Bedeutung verlieren, so treffen auch hier die oben betonten biologischen Verhältnisse zu. Bei den großen Kernen der äußeren Schiehte der Embryonalhülle eines brasilianischen Skorpions hat Blochmann*) direkte Kern- teilung beobachtet. „Zu einer mit dieser Kernteilung im Zusammen- 4) Man vergleiche auch die Abbildung der großen Nährzellen von Musca vomitoria in der Schrift von Henking: „Die ersten Entwicklungsvorgänge im Fliegenei*. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 46, 1888. 2) Korschelt, Ueber die Entstehung und Bedeutung der verschiedenen Zellenelemente des Insektenovariums. Zeitschr f. wiss. Zoologie, Bd. 43, 1886. 3) J. B. Carnoy, La Cytodierese chez les arthropodes. La Cellule, T.], 1884, 8.219. 4) Blochmann, Ueber direkte Kernteilung in der Embryonalhülle der Skorpione. Morphol. Jahrbuch, X. Bd., 1885. 378 Ziegler, Amitotische Kernteilung. hang stehenden Zellteilung kommt es wohl überhaupt nie.* Bloch- mann hat in keinem seiner Präparate eine Andeutung einer Zell- teilung gefunden, „auch spricht für das Unterbleiben der Zellteilung die große Masse der zweikernigen Zellen, die sich in allen Teilen der Embryonalhülle finden.“ „Die Embryonalhülle ist ein vergäng- liches Gebilde, welches jedenfalls bald nach diesen Teilungen dem Untergang anheimfällt.“ Ob diese Embryonalhülle eine wichtige physiologische Funktion hat, ob sie etwa eine seröse Flüssigkeit ab- scheidet, welehe den Embryo umgibt, dies ist zur Zeit nicht zu ent- scheiden. Bei Cyclas cornea (einer kleinen im Süßwasser vorkommenden Muschel) habe ich in den Bruttaschen, welehe in den Kiemen ent- stehen und die Embryonen umschließen, an den Kernen des Epithels auffallende Vergrößerung und eigentümliche Fragmentierung be- obachtet !). In den Brutkapseln sammelt sich allmählich eine Flüssig- keit an; es kann daher eine sekretorische Funktion der Zellen für wahrscheinlich gehalten werden. Einzelne der Epithelzellen lösen sich von der Wand ab und werden von den Embryonen gefressen, welche innerhalb der Brutkapseln bis zur Geschlechtsreife heran- wachsen. Das Epithel der Harnblase verschiedener Säugetiere, vorzugs- weise der Maus und des Hundes hat neuerdings eine eingehende Untersuchung erfahren durch A. S. Dogiel, welcher Folgendes be- richtet ?). „In ein und demselben vielschichtigen Epithel geht die Kernteilung in den Zellen der obern Schichte amitotisch, in den übrigen Schichten dureh Hilfe von Mitose vor sich.“ „Die obersten Epithelzellen der Harnblase haben bei verschiedenen Säugetieren, hauptsächlich aber bei den kleinen Nagern eine außerordentliche Größe und besitzen eine große Zahl von Kernen.“ „Wir sehen, dass der Vermehrungsprozess der Kerne in den Epithelzellen der obersten Sehichte ähnlich wie in den Riesenzellen, den Leukocyten, in dem Epithel der Milchdrüsen ete. vor sich geht, nämlich durch direkte amitotische Kernteilung oder sogar, richtiger gesagt, durch Knospen- bildung.“ Die obersten Zellen des Harnblasenepithels haben eine sekretorische Funktion und sondern die Schleimschicht ab, „welche die Blasensehleimhaut vor der unmittelbaren Einwirkung des Harnes schützt.“ Wenn man noch bedenkt, dass bei mehrschichtigen Epi- thelien stets die oberste Zellenschieht einer allmählichen Degeneration unterliegt und von den tieferen Schichten aus regeneriert wird, so 4) H. E Ziegler, Die Entwicklung von (yelas cornea. Zeitschrift für wiss. Zoologie, 41. Bd., 1885. 2) A. 8. Dogiel, Ueber das Epithel der Harnblase. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 35. Bd., 1890. Ziegler, Amitotische Kernteilung. 379 sieht man, dass in dem hier vorliegenden Fall amitotischer Kern- teilung die biologischen Verhältnisse recht typische sind '). In Zellen, welche typische Drüsenzellen sind, ist die amitotische Kernteilung nicht selten?2). Drüsenzellen, in denen eine ener- gische Sekretion stattfindet, haben stets einen großen Zellleib und in der Regel einen großen Kern?), welcher niemals mehr mitotische Teilungen eingeht; wenn ami- totische Teilung des Kerns eintritt, so folgt gewöhnlich keine Zell- teilung nach. Bei Triton werden [nach Klein]*) in den großen Drüsenzellen, welche die sackförmigen Hautdrüsen auskleiden (oder richtiger ge- sagt ausfüllen), die Bilder amitotischer Kernteilung getroffen und kommen ebenda auch mehrkernige Zellen vor. Bei Anilocra (einem Krebs aus der Ordnung der Isopoden) fand O0. vom Rath’) in großen drüsigen Zellen, welche höchst wahr- scheinlich die Speicheldrüsen des Tieres sind, sehr große Kerne, welche sich amitotisch teilen; häufig werden mehrere Kerne in einer Zelle gefunden. Hier reihen sich die Fälle direkter Kernteilung an, welche im 4) Nicht allein bei Säugetieren, sondern auch bei Urodelen ist amitotische Kernteilung im Blasenepithel gefunden worden. Flemming sah dieselbe beim Salamander, ist aber geneigt das Vorkommnis nicht für ein normales, sondern für ein pathologisches zu halten (Flemming, Amitotische Kernteilung im Blasenepithel des Salamanders. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 34, 1890). 2) Der Drüsensekretion verwandt ist die Milchsekretion, jedoch kann man die Milchzellen nicht als typische Drüsenzellen ansehen, denn der Zellleib und der Kern sind nicht beträchtlich vergrößert. Nissen (Archiv f. mikr. Anat,, Bd. 26, 1886) schreibt über die Milchzellen Folgendes. „Mitosen habe ich in Hunderten von Präparaten nicht auffinden können, trotzdem dass Vermehrung der Kerne ein überaus häufiges Ereignis ist. Vielleicht also findet hier direkte Kernteilung statt. Wie dem auch sei, die an dem Innenende der Zelle liegen- den Kerne lösen sich, umgeben von einer Portion Protoplasma von den Epithel-. zellen los“. 3) Korschelt („Ueber die Bedeutung des Kerns für die tierische Zelle Sitzungsber. der Gesellschaft naturf. Freunde zu Berlin, 1887, S. 127) schreibt: „Es ist höchst auffällig, dass die voluminösen Kerne — — gerade in Zellen mit secernierender Funktion vorkommen. Es dürfte dies darauf hinweisen, dass für solche Zellen die Kerne von ganz besonderer Bedeutung sind, dass sie einen gewissen Einfluss auf die Thätigkeit der Zelle ausüben. In dieser Vermutung werden wir noch bestärkt durch die Thatsache, dass die Kerne nicht schon anfangs den bedeutenden Umfang und die außergewöhnliche Form haben, sondern diese erst annehmen, wenn die Zellen in Funktion treten“. 4) E. Klein, Observations on the Glandular Epithelium und Division of Nuclei in the Skin of Newt. Quarterly Journ. of micros. science, Vol. XIX, 1879. 5) Otto vom Rath, Ueber eine eigenartige polyzentrische Anordnung des Chromatins. Zoologischer Anzeiger, 1890, 8. 334. 380 Ziegler, Amitotische Kernteilung. Epithel des Darmkanals bei Crustaceen und Insekten !), in den Leber- schläuchen von Crustaceen und den Malpighi’schen Schläuchen von Insekten zur Beobachtung kommen. Denn es handelt sich hier stets um Zellen von drüsigem Charakter. Was die Malpighi’schen Schläuche betrifft, so fand Carnoy?) amitotische Teilung bei der Larve von Aphrophora spumaria, Plat- ner?) bei Dytiscus marginalis. „Die Zellen der Malpighi’schen Ge- fäße der Insekten werden“, wie Platner schreibt, „an Größe nur noch von den Eiern übertroffen. Der Kern übertrifft den der Sala- manderzellen oft um das Dreifache und mehr an Durchmesser, und dabei findet sich trotz regster Zellvermehrung, wie es der Verbrauch bei der Funktion erheischt, keine Mitose. Die Zellen sind in den verschiedensten Größen anzutreffen; die großen enthalten einen großen Kern oder zwei kleinere, oder 3, 4, 5; die Kerne selbst trifft man in allen Stadien der direkten Teilung.“ Die Verhältnisse des Mitteldarmepithels der Insekten *) und Crusta- ceen bedürfen einer besonderen Erörterung. Nach einer kritischen Durehsieht der Litteratur muss man zu der Ansicht kommen, dass bei solchen Epithelzellen, welche bereits als Drüsenzellen funk- tionieren, oder bei welchen der Sekretionsprozess eben beginnt, die direkte Kernteilung auftreten kann, dass dann diese Zellen und Kerne einer allmählichen oder einer periodischen Abstoßung unterliegen und dass die Regeneration des Epithels in der Regel von inselartig ein- gelagerten Gruppen jugendlicher Zellen oder Regenerationkrypten ausgeht, deren Zellen sich mitotisch vermehren. In diesem Sinne lassen sich auch die Beobachtungen von Frenzel?) deuten. Bei Phronima sah er im Darmepithel einzelne verstreute Inseln jüngerer 4) Auch bei Nematoden kommt im Epithel des Darmkanals amitotische Teilung vor. Hoyer fand die Bilder direkter Kernteilung und mehrkernige Zellen im Darmkanal von geschlechtsreifen Exemplaren von Rhabdonema nigro- venosum (Hoyer, Ueber ein für das Studium der „direkten“ Kernteilung vor- züglich geeignetes Objekt. Anatom. Anzeiger, 5. Jahrg., 1890, 8. 26). 2) J. B. Carnoy, La cytodiörese chez les Arthropodes. La Cellule, T. I, 1884, 8. 219. 3) G Platner, Beiträge zur Kenntnis der Zelle und ihrer Teilungs- erscheinungen. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 33. Bd. 4) Nicht allein im Mitteldarm, sondern auch im Enddarm der Insekten kommt amitotische Kernteilung vor. Faussek (Beiträge zur Histologie des Darmkanals der Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 45, 1887) sah die- selbe im Enddarm 'einer Heuschrecke (Eremobia muricata Pall.) und an den tektaldrüsen von Aeschna-Larven. So viel man weiß, folgt auf diese Kern- teilung hier keine Zellteilung. 5) J. Frenzel, Ueber den Darmkanal der Crustaceen nebst Bemerkungen zur Epithelregeneration. Archiv für mikrosk. Anat., 25. Bd., 1885. — Einiges über den Mitteldarm der Insekten, sowie über Epithelregeneration. Archiv für mikrosk. Anat., 26. Bd., 1886. Ziegler, Amitotische Kernteilung. oS1l Zellen, welche noch nicht in Sekretbildung begriffen waren, und sich lebhaft durch Mitose vermehrten. Bei Astacus, Maja und Dromia beobachtete er typische amitotische Kernteilung !). Hinsichtlich der Insekten schreibt Frenzel Folgendes. „Die Mitteldarmzellen haben die Aufgabe zu erfüllen die Verdauungssekrete zu liefern, und ein Teil derselben, nämlich die eigentlichen Epithelzellen, bei den Raupen die Zylinder- wie die Schleimzellen, gehen hierbei stetig zu Grunde 2)“. „Die eigentlichen Epithelzellen im Mitteldarm der Insekten, gleich- giltig, ob sie dem Darmschlauch selbst oder dessen Ausstülpungen angehören, gleichgiltig ferner, ob sie dem Typus der langgestreckten Zylinderzellen oder dem der rundlichen Schleimzellen zuzuzählen sind, pflanzen sich auf dem Wege der direkten amitotischen Kern- teilung fort.“ Soweit stimmen die Angaben Frenzel’s sehr gut mit den hier durchzuführenden theoretischen Anschauungen überein. Aber Frenzel fährt fort: „während die spezifischen Drüsenzellen der Krypten sich auf dem Wege der indirekten (mitotischen) Kernteilung vermehren.“ Frenzel meint also, dass die Epithelzellen durch ami- totische Teilung, die Drüsenzellen durch Mitose sich vermehren, und diese Auffassung steht mit den obigen Ausführungen in schroffem Widerspruch. Die Sachlage klärt sich sehr leicht auf, wenn man bedenkt, dass die Zellen der Krypten, welche sieh mitotisch teilen, nicht die mindeste Veranlassung geben für Drüsenzellen gehalten zu werden; der Zellkörper ist klein und enthält keinerlei Sekrettropfen. Es ist demnach viel einleuchtender die Krypten nicht als Drüsen- krypten, sondern als Regenerationskrypten anzusehen und anzu- nehmen, dass die „eigentlichen Epithelzellen“ von da aus regeneriert und vorgeschoben werden. Bei Periplaneta orientalis L. habe ich mich durch das Studium von Schnitten von der Richtigkeit dieser Auffassung überzeugt. Es wäre also ganz unbegründet, wenn man annehmen wollte, dass im Darmkanal der Crustaceen oder Insekten die Zellvermehrung auf der amitotischen Kernteilung be- ruhe und es zeigt sich vielmehr, dass die amitotische Kernteilung nur in solchen Zellen auftritt, welche im Begriff stehen als Drüsen- 1) Bei Astacus habe ich auf Schnitten gesehen, dass die Kerne der Epithel- zellen des Mitteldarmes an gewissen in der Tiefe der Falten gelegenen Stellen das Aussehen jugendlicher Kerne haben, welche sich wahrscheinlich mitotisch teilen. 2) Wie sich in den Zellen des Mitteldarms der Insekten das Sekret an- sammelt und wie solche Zellen mit ihren Kernen bei der Entleerung des Sekretes in das Darmlumen abgestoßen werden, das hat A. van Gehuchten eingehend beschrieben (Recherches histologiques sur l’appareil digestif de la larve de Ptychoptera contaminata. La Cellule, T. VI, 1890). Auch Mingazzini erwähnt die Abstoßung der Epithelzellen (Ricerche sul canale digerente dei Lamelli- corni fitofagi. Mitt. a. d. zool. Station zu Neapel, IX. Bd., 1889, 8.55 u. 279). 382 Ziegler, Amitotische Kernteilung. zellen zu funktionieren und bei dieser Funktion über kurz oder lang zu Grunde gehen werden. Es mag hier auch bemerkt werden, dass bei manchen Arthropoden zu gewisser Zeit eine Abstoßung des ganzen drüsigen Epithels des Mitteldarms stattfindet. Nach Bizozzero (Atti della R. Accad. d. se. di Torino, Vol. 24, 1888—89, $. 702) wird bei Hydrophilus piceus alle 2—5 Tage das ganze Epithel des Mittel- darmes abgestoßen und bildet sich das neue Epithel von den „Intestinaldrüsen* (Regenerationskrypten) aus durch Vorsechiebung und Umwandlung der Zellen. Bei Polydesmiden beobachtete O. vom Rath), dass während der Häutung das Epithel des Mitteldarms abgestoßen und regeneriert wird. Bei den Hymenopteren wird das Epithel des Mitteldarms während der Puppenruhe erneuert (s. Frenzel l. e. S.257). Im Puppenstadium der Museiden ist die Auflösung des bestehenden Mitteldarmepithels durch die grundlegende Untersuchung von Weismann?) schon vor längerer Zeit bekannt geworden und wurde die Entwicklung des neuen Epithels neuerdings durch Kowa- levsky°) und van Rees) beschrieben. Der letztere gibt folgende Darstellung. „Der ganze innere Epithelschlauch samt einer Anzahl von kleineren Zellen, die ich als Bindegewebe zu deuten geneigt bin, wird nach dem Lumen zu abgestoßen. Nur eine Anzahl Epithelinsel- chen bleiben zurück und zwar angeschmiegt an die vorläufig noch un- aufgelöste larvale Muskelschicht.“ Nach Carnoy (l. e.) trifft man die amitotische Kernteilung bei den Arthropoden auch bei den Kernen der Muskelfasern und bei Kernen der Hodenschläuche. Carnoy behauptet, dass er bei aus- gebildeten Muskelfasern aller Arthropoden stets nur direkte Kern- teilung gesehen habe’); man wird daraus gegen die oben vertretenen 4) ©. vom Rath, Ueber die Fortpflanzung der Diplopoden (Chilognathen). Berichte der naturf. Gesellschaft zu Freiburg i. B., Bd. V, 1890, 8. 13. 2) A. Weismann, Die nachembryonale Entwicklung der Musciden. Zeit- schrift f. wiss. Zoologie, 14. Bd., 1864. 3) A. Kowalevsky, Beiträge zur Kenntnis der nachembryonalen Ent- wicklung der Museiden. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, 45. Bd., 1837. 4) J. van Rees, Beiträge zur Kenntnis der innern Metamorphose von Musca vomitoria. Zool. Jahrbücher, Abt. für Anat. u. Ontog., III. Bd., 1889. 5) Hinsichtlich der bei Wirbeltieren an Muskelzellen beobachteten direkten Kernteilung spricht sich Flemming (l. e. 8.290) dahin aus, dass sie bei dem physiologischen Wachstum der Muskeln keine Rolle spielt und dass die bei pathologischer Regeneration von Muskelfasern auftretenden amitotischen Kern- vermehrungen die Bedeutung degenerativer Erscheinungen haben. Nachträg- lich kann ich noch auf die Arbeit von Robert „Versuche über die Wieder- bildung quergestreifter Muskelfasern* (Ziegler’s Beiträge zur pathol. Ana- tomie und allgem. Pathologie, X. Bd., 1891, $. 169) verweisen, nach welcher bei\der Zellvermehrung, auf Grund deren die jungen Muskelfasern entstehen, ausschließlich mitotische Teilung vorkommt. Ziegler, Amitotische Kernteilung. 383 Anschauungen keinen Einwand machen können, weil es leicht be- sreiflich ist, dass die Kerne ausgebildeter Muskelfasern ihren beson- dern physiologischen Funktionen sich anpassen. Was die Kerne der Hodenschläuche betrifft, so muss natürlich strenge unterschieden werden, ob die amitotische Teilung bei den Kernen von Spermato- gonien oder bei den Kernen der sekretorisch funktionierenden Stütz- (Begleit- oder Saft-) Zellen auftritt. Bei den letzteren kann man amitotische Teilung erwarten; aber es liegen auch einige Angaben vor, nach welchen dieselbe bei Spermatogonien vorkomme; diese Fälle müssen einer erneuten Untersuchung unterworfen werden. Da Herr Dr. vom Rath zur Zeit im hiesigen zoologischen Institut über diese Frage arbeitet, will ich nicht weiter auf dieselbe eingehen!). Man wird sich nicht wundern, dass in den Zellen des Fettkörpers der Arthropoden amitotische Kernteilung vorkommt; denn diese Zellen sind in ihrer physiologischen Funktion an die Aufspeicherung von Nahrungsmaterial angepasst und zerfallen, wenn das Nahrungsmaterial für den Aufbau anderer Gewebe gebraucht werden soll. Carnoy (l. e.) beschreibt die amitotische Teilung der Kerne von Fettkörper- zellen und erwähnt, dass infolge des Ausbleibens der Zellteilung sehr häufig Zellen mit mehreren Kernen (2 bis 10 Kernen) getroffen werden ?). Die Aufzehrung der Zellen des Fettkörpers hat van Rees (I. e. S. 76—83) bei der Puppe von Musca vomitoria eingehend beobachtet. „Es sind nicht die Muskeln der Larve allein“, schreibt er, „welche von den Leukocyten der Puppe als Nahrung benutzt werden. Ich habe gefunden, dass auch die Fettzellen von ihnen heimgesucht wer- den, ihnen zur Nahrung dienen und mindestens teilweise von ihnen zum Zerfall gebracht werden. Am dritten Tage konnte ich an Quer- schnitten die Anwesenheit einer geringen Zahl von Blutkörperchen im Innern dieser Fettzellen mit Sicherheit erkennen. Die meisten von ihnen lagen in unmittelbarer Nähe des Kernes, einige wenige im Protoplasmanetz der Fettzelle zwischen den kleinen Fettkörnchen. In einzelnen Blutkörperchen traf ich zwei bis drei Kerne an, ja sogar sechs oder noch mehr. Am sechsten Tage waren die Leukoeyten zu mehr als hundert um den Kern der Fettzelle gelagert, der an färb- barer Substanz fortwährend verliert, so dass der Gedanke nahe liegt, 4) Ich verweise auf die demnächst im Zool. Anzeiger erscheinende Mit- teilung über „die Bedeutung der amitotischen Kernteilung im Hoden“ von O0. vom Rath. 2) Auch bei den Wirbeltieren trifft man in den Fettzellen bei manchen Arten der Fettresorption mehrere Kerne an (Flemming, Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd.7, 1871, 8.71, 330, 357 Anm. und Virchow’s Archiv, 1872). Da die bezüglichen Untersuchungen aus älterer Zeit stammen, in der man auf den Unterschied mitotischer und amitotischer Teilung noch nicht achtete, ist der Fall in dieser Hinsicht noch nicht klar gelegt. 384 Ziegler, Amitotische Kernteilung. dass sich dieselbe löst und auf osmotischem Wege den Blutkör- perchen zugeführt wird. Erst nach mehreren Tagen zerfällt ein Teil der Fettzellen, ein anderer noch später. Die Leukocyten zerstreuen sich nun in die Körperflüssigkeit, und man ist dann im Stande neben einkernigen Leukocyten auch solche zu erkennen, welche mehrere Kerne etwa bis 12 besitzen.“ Unter den Würmern findet man bei den Echinorhynchen ein typisches Beispiel amitetischer Kernteilung. Nach der eingehenden Beschreibung von Hamann!) wachsen die Kerne der Hautschicht und die Kerne der Lemnisken zu enormer Größe heran und zeigen häufig verzweigte und gelappte Formen. Durchschnürung in zwei gleichgroße oder ungleichgroße Teile oder Zerfall in mehrere Teil- stücke kommen häufig vor. Da die Zellgrenzen verschwunden sind, kann von einer der Kernteilung folgenden Zellteilung nicht die Rede sein. Die Funktion der Kerne ist offenbar eine assimilatorische. Denn bekanntlich besitzen die Echinorhynchen keinen Darm und ernähren sich auf osmotischem Wege durch die Haut; in der Haut- schicht bilden sich Vakuolen, welche zu einem Lakunensystem zu- sammenfließen; die Lemnisci, welche als lokale Verdiekungen der Hautschicht entstanden sind, werden von größeren Hohlräumen durchsetzt, welehe mit den Lakunen der Hautschicht des Halses und des Rüssels in Verbindung stehen. Da der Rüssel und der Hals in die Darmwand des Wirtes eingebohrt sind und der übrige Körper im Darmlumen von dem Darminhalt umgeben ist, kann sowohl durch das Lakunensystem des Rüssels, des Halses und der Lemnisci, wie durch dasjenige der übrigen Hautschicht die Ernährung vermittelt werden. Das Lakunensystem der Lemnisei hat außerdem eine hydro- dynamische Bedeutung für das Ausstrecken und Einziehen des Rüssels. Nach Kückenthal?, kommt bei den Anneliden in den „Iymphoiden Zellen“, welche in der Leibeshöhle schwimmen, direkte Kernteilung vor; manche dieser Zellen enthalten zwei oder vier Kerne. Kückenthal meint, dass auf die direkte Kernteilung die Zellteilung folge, und er glaubt, dass die vierkernigen Zellen in vier einkernige sich zerlegen. Die so entstandenen Zellen setzen sich nach seiner Ansicht am Rückengefäß und am Darm an und wandeln sich in Chloragogenzellen um °?), welche dann schließlich durch Ablösung und 4) 0. Hamann, Monographie der Acanthocephalen (Echinorhynchen). Jen. Zeitschrift, 25. Bd., 1890, S. 140 u. 215. 2) W. Kückenthal, Ueber die Iymphoiden Zellen der Anneliden. Jen. Zeitschrift f. Naturw., 18. Bd., 1885. 3) Diese Angabe Kückenthal’s widerspricht der Beobachtung von Vejdovsky (System und Morphologie der Oligochäten, Prag 1884, S. 112), nach welcher die Regeneration der zerfallenden Chloragogenzellen von kleinen jugendlichen Zellen ausgeht, welche in der Tiefe zwischen den großen Zellen sitzen. Ziegler, Amitotische Kernteilung. 385 Zerfall zu Grunde gehen. Es scheint mir, dass die Frage der Re- generation der Iymphoiden Zellen und der Chloragogenzellen durch diese Beobachtungen noch nicht ganz aufgeklärt ist. Im Uterus der Säugetiere kommt bei den Vorgängen, welche dem Eintritt der Schwangerschaft folgen, insbesondere bei der Placenta- bildung, amitotische Kernteilung an verschiedenen Geweben vor. Aus den Arbeiten von Masius!) und von Minot?) kann man er- sehen, dass beim Kaninchen in dem zu Grunde gehenden Uterus- Epithel Fragmentation der Kerne und vielkernige Zellen vorkommen und in den Endothelzellen degenerierender Gefäßwände große frag- mentierte Kerne und eigentümliche auf direkte Kernteilung hindeutende Kerngruppen getroffen werden. Ich gehe auf diese Vorkommnisse nicht genauer ein, weil es zu schwierig und zu weitläufig wäre, zu untersuchen, inwiefern in diesen Fällen Resorptions- und Sekretions- vorgänge im Spiele sind. Die Fälle amitotischer Kernteilung, welche in das Gebiet der Pathologen gehören, insbesondere die Kernteilung in den Riesen- zellen ?), welehe in der Milz, im Knochenmark *) und in Geschwülsten getroffen werden, lasse ich hier ganz bei Seite. Aus allen den vorstehenden Ausführungen wird man ersehen haben, dass die amitotische Kernteilung bei den Metazoen nur in solchen Fällen vorkommt, in welchen die Kerne an eine spezielle Funktion sich angepasst haben; sie deutet stets auf den demnächstigen Untergang der Kerne hin. Waldeyer?°) ist der Ansicht, dass der amitotische Teilungsmodus als der einfachere die Grundform der Kern- teilung sei. Die bei den Metazoen vorkommenden Fälle sind durchaus ungeeignet, diese Ansicht zu stützen; die amitotische Kerntei- lung erscheint bei den Metazoen stets als sekundär er- 4) J. Masius, Da la Genese du Placenta chez le lapin. Archives de Biologie, T. IX, 1889. 2) Ch. Sedgwiek Minot, Uterus and Embryo, I. Rabbit, I. Man. Journ. of Morphology, Vol. II, 1889, Boston, Mass. 3) Ich kann es nicht wagen, in die Erörterung der dunklen physiologischen Bedeutung der Riesenzellen einzutreten; ich verweise auf die Ausführungen von Flemming (Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 37, 8.292). Das Auftreten der direkten Kernteilung und der Riesenzellenbildung im Knochenmark und in Geschwülsten behandelt neuerdings die Schrift von Straebe „Ueber Kern- teilung und Riesenzellenbildung in Geschwülsten und im Knochenmark“. Diss. vorg. d. med. Fakultät zu Freiburg i. B., 1890. 4) Bei manchen Tieren (z. B. der Maus) ist das Vorkommen von Riesen- zellen in der Milz und im Knochenmark ein so gesetzmäßiges, dass man als Ursache eher einen normalen als einen pathologischen Prozess vermuten wird. 5) Waldeyer, Ueber Karyokinese und ihre Beziehungen zu den Befruch- tungsvorgängen. Archiv f. mikrosk. Anatomie, 32. Bd., 1888, S. 44. XI. 25 386 Ziegler, Amitotische Kermteilung. worben. Es erübrigt das Vorkommen der amitotischen Kernteilung bei den Protozoen zu erörtern. Da die Karyokinese im ganzen Tierreich und im ganzen Pflanzen- reich mit so auffallender Uebereinstimmung abläuft, kann man daraus den Schluss ziehen, dass dieser Vorgang ein phylogenetisch sehr alter ist und schon bei den gemeinsamen Urformen der Tiere und Pflanzen allgemein verbreitet war. Es passt dazu, dass die mitotische Teilung thatsächlich bei fast allen Klassen der Protozven beobachtet ist. Unter den Rhizopoden ist sie bei Kuglypha'), unter den Heliozoen bei Actino- sphaerium?) genau festgestellt worden; auch bei den Radiolarien scheint sie nicht zu fehlen, denn Brandt?) hat bei den kleinen Kernen der Sphärozoiden eine spindelförmige Umbildung während der Teilung beobachtet. Unter den Flagellaten hat Bütschli an Euglena bei der Kernteilung „eine deutliche Spindel mit zarter Kernplatte“ gesehen und Bütschli ist der Ansicht, dass die Kernteilung der Flagellaten „sich der sogenannten indirekten Kernteilung im Allge- meinen anschließt“ *). Bei den eiliaten Infusorien teilen sich die Mikronuklei stets mitotisch’°). Wenn wir nun die amitotische Teilung bei den Protozoen betrachten wollen, so müssen wir zuerst eine strenge Scheidung durch- führen zwischen denjenigen Protozoen, welche gleichzeitig einen Makro- und einen Mikronukleus enthalten, und denjenigen, bei welchen nur eine einzige Art von Kernen vorhanden ist. Bei den ersteren ist die amitotische Teilung des Makronukleus eine sicher konstatierte That- sache, bei den letzteren ist mir kein Fall bekannt, wo einwurfsfrei und unzweifelhaft die amitotische Teilung erwiesen wäre. Da man erst seit anfang der achtziger Jahre die Protozoen mit solchen Kon- 4) Sehewiakoff, Ueber die karyokinetische Kernteilung von Euglypha alweolata. Morphol. Jahrbuch, 13. Bd., 1837. 2) A. Gruber, Ueber Kernteilungsvorgänge bei einigen Protozoen. Zeit- schrift f. wiss. Zoologie, Bd.38, 18383. R. Hertwig, Ueber die Kernteilung bei Actinosphaerium Eichhorni. Jenaische Zeitschrift, Bd. 17, 1884. 3) K. Brandt, Die koloniebildenden Radiolarien (Sphaerozoen). Fauna und Flora des Golfes von Neapel, XIII. Monographie, Berlin 1885. 4) Bronn’s Klassen und Ordnungen. I. Bütschli Protozoa. II. Abt. Mastigophora. 8. 742. 5) Bei der Opalina ranarum, bei welcher, so viel man bis jetzt weiß, nicht beide Arten von Kernen, sondern nur eine einzige Form von Kernen vorkommt, hat Pfitzner die mitotische Teilung genau beschrieben (Pfitzner, Zur Kern- teilung bei den Protozoen. Morphol. Jahrbuch, Bd. XI). Da hier der Kontur des Kerns während der Mitose stets deutlich ist, und folglich die Teilung bei Anwendung einer ungenügenden Tinktionsmethode als eine direkte erscheinen würde, so hat man umsomehr Recht, die Angaben über direkte Kernteilung bei Protozoen einer strengen Kritik zu unterwerfen. Ziegler, Amitotische Kernteilung, 387 servierungs- und Färbungsmitteln behandelt, dass das Verhalten des Chromatins bei der Kernteilung sich erkennen lässt!), kann auf keine ältere Angabe Wert gelegt werden. Auch auf die neuere Beobach- tung von Brandt (l. e.), dass bei der Schwärmerbildung der Sphäro- zoiden direkte Kernteilung vorkomme, kann ich kein großes Gewicht legen, in Anbetracht, dass bei solchen kleinen Kernen die Chromatin- elemente und die Spindelform schwer zu sehen sind und die ersteren durch die kleinsten Mängel der Konservierung zur Verklumpung ge- bracht werden können. Wenden wir uns jetzt zu den ceiliaten Infusorien und den Acineten, bei welehen ein Mikronukleus (Kleinkern, Nebenkern) und ein Makro- nukleus (Großkern, Hauptkern) sich vorfindet und betrachten wir die morphologischen Eigenschaften und die Funktion des Makronukleus, so werden wir erkennen, dass zwischen dem Makronukleus der Proto- zoen und dem Meganukleus der Metazoen (vgl. S. 375 Anm.) mannig- fache Analogien ?) bestehen. Der Makronukleus der Protozoen hat für die Ernährung und das Wachstum die größte Wichtigkeit). Er ist durch auffallende Größe ausgezeichnet*) und nimmt bei großen Infusorien eine bandförmige, rosenkranzförmige oder verzweigte Form an. Hinsichtlich der Chromatinverteilung zeigt er eine gewisse Aehn- 1) Die Entwicklung der Methoden der Konservierung von Protozoen und der Färbung ihrer Kerne ist durch die Publikationen von A. Certes (Compt. rend. Acad. sc., Paris, T. 88, 1879); E. Korschelt (Zool. Anzeiger, Nr. 109, 1882); Landsberg (Zool. Anzeiger. Nr. 114, 1882) und A. Gruber (Zeitschr. f. wiss, Zoologie, Bd. 38, 1882) gekennzeichnet. 2) Die Entstehung des Makronukleus und diejenige des Meganukleus sind auf zwei von einander unabhängigen Wegen vor sich gegangen. Von einer Homologie darf nicht gesprochen werden, weil die ciliaten Infusorien und die Acineten als Endzweige des Protozoenstammes aufgefasst werden müssen, welche sich nach oben nicht fortsetzen; die Metazoen gehen an ihrer Wurzel nicht aus diesen Zweigen der Protozoen hervor und es ist durchaus unzulässig die Meganuklei der Metazoen und die Makronuklei der Protozoen phylogenetisch mit einander in direkte Beziehung zu setzen. 3) Neuerdings wird häufig nach dem Vorgang von Bütschli der Mikro- nukleus als Geschlechtskern, der Makronukleus als Stoffwechselkern bezeichnet (s. Bütschli, Protozoa, II. Abt. Infusoria, S. 1643). Man vergleiche auch die Ausführungen von R. Hertwig, Ueber die Konjugation der Infusorien. Abhandl. d. k. Akademie, München, II. Kl., 17. Bd., 1889, S. 216 u. fg. 4) Maupas (Le rajeunissement caryogamique chez les cilies. Archives de Zoologie, exp. et gen., 2. Ser., T. VII, 1889, X, p. 444) schreibt: „L’accroissement des nouveaux macronucleus a pour consequence un fait extr&mement important, Ces noyaux en effet perdent la facult& de se diviser par Karyomitose et dorenavant ne se multiplieront plus que par simple &tranglement. En m&me temps, leur fonction, devenue purement v&g6tative, se bornera ä presider & la nutrition, & l’accroissement et ä la multiplication agame. Ils ont perdu toute faculte de Karyogamie rajeunissante. 25 * 988 Ziegler, Amitotische Kernteilung. lichkeit mit den Meganuklei der Metazoen. Der Teilungsvorgang kann kurzweg als ein direkter oder mit Rücksicht auf die eintretende Längsstreifung und feinfaserige Struktur des sich teilenden Kerns als eine Zwischenstufe mitotischer und amitotischer Teilung bezeichnet werden. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Zahl der möglichen Teilungen keine unbeschränkte ist und dass, wie Bütschli und Maupas (l. e. p.400) auf Grund von Züchtungen darlegen, von Zeit zu Zeit die Konjugation eintreten muss, bei welcher der derzeitige Makronukleus zerfällt!) und durch einen neugebildeten ersetzt wird. Wie bei den Metazoen, so tritt also auch bei Protozoen die amito- tische Teilung nur bei solchen Kernen auf, welche nach einiger Zeit zu Grunde gehen; freilich können eine große Anzahl, mehrere Hun- derte von Teilungen erfolgen bis die Regeneration notwendig wird, während bei den Metazoen die amitotische Teilung das nahe Ende der Teilungen andeutet; dabei ist aber zu beachten, dass die amito- tische Teilung des Makronukleus regelmäßiger abläuft und der mito- tischen Teilung viel näher steht als die typischen Fälle amitotischer Teilung, welche bei Metazoen vorkommen. Es wäre nicht ganz richtig, kurzweg zu behaupten, dass bei den Protozoen auf die direkte Teilung die Zellteilung folge, denn vor der Teilung eines ciliaten Infusoriums oder einer Acinete findet eine dop- pelte Kernteilung statt, die direkte des Makronukleus und die indirekte des Mikronukleus ?). Nach Allem kann man annehmen, dass auch bei den Protozoen die amitotische Teilung, soweit wir dieselbe jetzt kennen, nicht als der ursprüngliche, sondern als der sekundär entstandene Teilungs- modus sich darstellt. Man hat also zur Zeit keinen empirischen Grund für die Ansicht, dass die indirekte Kernteilung phylogenetisch aus der direkten hervorgegangen sei. Die Frage der ersten Ent- stehung der Mitose führt auf die Frage der ersten Entstehung des Kerns und ist ebenso dunkel wie diese. Freiburg i.B., Zoologisches Institut der Universität, April 1891. 4) Maupas (l. e. p. 446) schreibt: „L’elimination de l’ancien noyau s’ef- fectue suivant les esp&ces de facons un peu differentes. Chez les Colpidium — — il se desorganise tout d’une piece et fond peu & peu par une resorption lente, ressemblant & une veritable digestion. Chez les Oxytrichides, les Loxo- phylles, les Euplotes et les Vorticellides cette r&esorption est precedee d’une fragmentation; enfin chez les deux grandes Paramecies, la fragmentation elle- möme est preparde par un deroulement prealable de la masse nucl&aire, qui s’&tire en longs rubans“. Eine ausführliche Darstellung des Zerfalls des Makro- nukleus findet man bei Bütschlil. e. S. 1613. 2) Da bei vielen Acineten und insbesondere in den Schwärmsprösslingen von Podophrya Mikronuklei nachgewiesen sind (s. Bütschli l. ec. 8. 1873, Maupasl.c. 8.385), so stellt die bekannte Kernabschnürung bei der Schwärmer- bildung der Podophrya lediglich die Teilung des Makronukleus dar. Ziegler, Amitotische Kernteilung. 389 Nachtrag. Kurze Zeit bevor ich die Korrekturbogen erhielt, erschien die Arbeit von M. Loewit über „Neubildung und Beschaffenheit der weißen Blutkörperchen“ (Ziegler’s Beiträge zur pathol. Anatomie und allg. Pathologie, 10. Bd., 1891, S. 213), in welcher dargelegt wird, dass die im Blute des Flusskrebses schwimmenden Zellen stets amitotische Kernteilung zeigen; häufig folgt dieser Kernteilung die Zellteilung, es kommen aber auch mehrkernige Zellen vor. Wie mir scheint, kann aus diesen Beobachtungen kein Einwand gegen meine obigen Ausführungen gemacht werden. Denn erstens wird von Loewit selbst die sekretorische Natur der Krebsblutzellen ausführlich erörtert; er hebt hervor, dass „im Zellleibe zahlreicher Krebsblutzellen im frischen Zustande hellglänzende, fettähnliche, tropfenartige Gebilde von wechselnder Form und Größe enthalten sind“; er bezeichnet die Blutkörperchen geradezu als „einzellige bewegliche Drüsen“, mit Rücksicht auf die chemische Natur der Absonderung als „globulin- haltige Eiweißdrüsen“. Zweitens hat Loewit, soviel man aus seiner Publikation ersieht, nur das aus dem Körper an einer Wundstelle ausfließende oder zwischen den Organen mit einer Pipette aufgenom- mene Blut untersucht; es ist folglich die Hypothese möglich, dass beim Flusskrebs wie bei den Insekten (Siehe S. 213 dieses Bandes des Biol. Centralblatts) Regenerationsherde für die Blutkörperchen vorhanden sind, welche in physiologischer Hinsicht den Lymphdrüsen der Wirbeltiere zu vergleichen wären und in denen die Zellteilungen auf mitotischem Wege erfolgen können. Wenn dies der Fall ist, so erscheint es nicht auffallend, dass bei den im Körper zirkulierenden Blutkörperchen, welche ja eine assimilatorische und sekretorische Funktion haben, amitotische Kernteilung vorkommt. Vor Kurzem hat Cu¬ (Archives de Zoologie exp. et gen., I. Serie, T.IX, 1891, p. 78 u. 83) beim Flusskrebs in den Kiemen und in der Nähe des Herzens befindliche „Glandes Iymphatiques“ beobachtet, welche er als die Regenerationsherde der Blutkörperchen ansieht. Ich glaube daher, dass durch Loewit’s Untersuchungen nicht einwurfsfrei er- wiesen ist, dass eine „regenerative“ amitotische Kernteilung existiert. Beiläufig will ich erwähnen, dass mir Dr. vom Rath die Sehnitt- serie einer jungen Fischassel (Cymothoa sp. von Neapel, 5 mm lang) gezeigt hat, in welcher man vielfach mitotische Teilung von Blut- körperchen sehen konnte. 390 Spener, Krankheitserreger der Malaria. Ueber den Krankheitserreger der Malaria. Zusammenfassender Bericht. Von Dr. C. Spener. 1. Im Verfolg meiner im Sommer 1890 unter Leitung des Herrn Professor Quincke an der medizinischen Klinik in Kiel begonnenen Malariablut-Studien habe ich auf eine Anregung des Herrn Heraus- gebers dieses Centralblattes hin die nachfolgende Arbeit verfasst, die sich an den in Band VIII dieser Zeltschrift (Nr. 18 S. 567) enthaltenen Aufsatz Rosenthal’s?!) anschließt. Der genannte Autor stellt sich in demselben auf den damals noch nicht glücklich genug angefochtenen Standpunkt Tommasi-Cru- deli’s und Klebs’?), die als Erreger der Malaria einen Bacillus an- nahmen. Und doch war auch damals schon, wie der erwähnte Artikel angibt, gegen die Theorie des Bacillus malariae eine Reihe von Arbeiten erschienen, die ein den untersten Klassen des zoologischen Systems einzureibendes, mikroskopisches Lebewesen als den Erreger der Malariafieber hinstellten. Als erster hat Laveran im Jahr 1881/1882 seine im Vorjahr gemachten Entdeckungen auf diesem Gebiete in einer Veröffentlichung?) der Pariser Akademie mitgeteilt; im Jahr 1883 haben die Italiener Celli und Marchiafava*) ihre ungefähr gleichzeitig gemachten Beobachtungen veröffentlicht; das Jahr 1884 brachte endlich das erste ausführliche Werk über die Sumpffieber und ihre Aetiologie von der Hand Laveran’s°). In demselben fasst er noch einmal alle seine Beobachtungen zusammen und kennzeichnet genauer vier verschiedene Arten von Körpern, die er als Entwicklungsphasen eines Parasiten anspricht. Die 4 Arten sind: 1) halbmondförmige Körper, unbeweglich, farblos, die in der Mitte ihrer Länge einen Haufen kleiner schwärzlicher Pigment- körner zeigen. Sie verändern langsam ihre Form und gehen so allmählich über in 4) Rosenthal J., Die Malaria und die Mittel zu ihrer Bekämpfung (Biol, Centralblatt, 1888, VII, 18). 2) Tommasi-Crudeli und Klebs (Archiv f. experiment. Pathologie, 1879, Bd. II). 3) Laveran, Communications ä& l’Acad&mie de medecine (23. Novembre et 28. Decembre 1880 et 25. Octobre 1881). — Communications A l’Academie des Sciences (24. Octobre 1881 et 23. Octobre 1882). 4) Marchiafava und Celli (Fortschritte der Medizin 1883, Nr. 18). 5) Laveran, Trait& des Fievres palustres avec la deseription des microbes du paludisme. Paris 1884. Spener, Krankheitserreger der Malaria. 391 2) runde Körperchen, hyalin, verschieden groß, die teils frei, teils auch zu mehreren, auf ein rotes Blutkörperchen „angeheftet“ erscheinen und zumeist Pigment führen. Einige rote Blutkörperchen zeigten einen helleren, unbegrenzten Fleck, der von Laveran als vielleicht identisch mit den von Celli und Marchiafava beschrie- benen pigmentlosen Körpern erklärt wird. Diese Körper zeigen auch zuweilen amöboide Beweglichkeit und teilen sich in kleinere Partikel. 3) Geißelfäden: lebhaft bewegliche und auch die Umgebung in Bewegung versetzende, farblose Fäden, die teils frei, teils an den runden Körperchen haftend vorkommen. Sie tragen oft an verschie- denen Stellen eine Anschwellung, die am häufigsten am freien Ende lokalisiert ist, zuweilen aber auch ihren Ort am Faden verändert. Diese „filaments mobiles“ scheinen sich in den rundlichen Körperchen zu entwickeln und diese dann zu verlassen, um als freie Fäden zu erscheinen. 4) „Corps kystiques Nr. 3“. — Unter diesem Titel beschreibt Laveran noch eine Reihe größerer byaliner, pigmenthaltiger Körper von im ganzen sehr unregelmäßiger und verschiedenartiger Gestalt, deren Auftreten es sehr wahrscheinlich macht, dass sie als Zerfalls- produkte der anderen Körperchen zu deuten sind. Diese Untersuchungen Laveran’s wurden von Richard!) vollauf bestätigt. Im nächsten Jahr erschien eine weitere Mitteilung von Celli und Marchiafava?) sowohl in italienischer wie in deutscher Sprache und brachte neben vortrefflichen Abbildungen eine weitere Ausführung der früheren Mitteilungen. Während sie in diesen schon die nicht pigmentierten, rundlichen Formen, und ihre durch Verwandlung des Hämoglobins in Melanin bewirkte Veränderung in pigmentierte Kör- perchen beschrieben, unterscheiden sie in jener die nicht pigmentierten genauer in ringförmige, d. h. mit einer Vakuole versehene, ver- schieden große, meist unbewegliche Körper und in bläschenförmige, keine Vakuolen zeigende Körper mit häufig ausgesprochener amöboider Bewegung. Neben diesen fanden sie auch die pigmentierten Körper, teils frei teils innerhalb der roten Blutkörperchen; hier konnten sie deutlich gleichfalls Form- und Lageveränderungen derselben kon- statieren, die jedoch nie die Grenze der Blutkörperchen überschritten. Sehr viel seltener als Laveran fanden sie auch die von diesem be- schriebenen Halbmondformen und konnten ihren im Blutkörperchen sich vollziehenden Entwicklungsgang aus Spindelform bis zu gänz- licher Entfärbung des roten Blutkörperchens und völliger Ausbildung 1) Richard (Comptes rendus, 1882). 2) Celli und Marchiafava, Neuere Untersuchungen über die Malaria- Infektion (Fortschritte der Medizin, 3, 1885, Nr. 11). 392 Spener, Krankheitserreger der Malaria. der Halbmondform verfolgen. Außer den Laveran’schen Geißel- fäden fanden sie ferner auch noch andere sich bewegende Formen, die nicht eine Bewegung durch Geißelfäden zeigen, sondern durch ein wellenförmiges Auf- und Abwogen der Peripherie sich um sich selbst drehen und ihre Form verändern. Sehr wesentlich ist auch die wei- tere Beobachtung, dass sich auch sehr viel kleinere Körperchen teils mit, teils ohne Pigment in dichten, kugelförmigen Haufen aneinander- gereiht vorfinden, deren Entstehung durch Spaltung eines größeren Körpers durch direkte Beobachtung festgestellt werden konnte. Dass die beschriebenen Körper Lebewesen sind, die mit der Malaria in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, haben beide Forscher einerseits aus der Analogie mit gewissen Parasiten des Froschblutes und namentlich daraus geschlossen, dass bei Ueberimpfungen von Malariablut auf gesunde Personen in dem Blut dieser sekundär an typischer Malaria Erkrankten ebenfalls die beschriebenen Körperchen in den roten Blutscheiben sich fanden. Im gleichen Jahr 1885 erschien wieder in 2 Sprachen eine weitere Mitteilung der beiden italienischen Forscher!) über Malaria, die zum größten Teil sich mit den unpigmentierten, hyalinen, amöboiden Formen beschäftigt, dieselben namentlich in ihren Bewegungen und Formveränderungen genauer beschreibt, ihre Lage in den roten Blut- körperchen bestimmt, ihre Färbbarkeit erörtert und ihnen den Namen des Plasmodium malariae beilegt, indem dabei die relative Häufigkeit des Befundes hervorgehoben wird im Gegensatz zu den pigmentierten Formen, die bei genauer Durchmusterung der Präparate an Zahl sehr viel geringer erscheinen. Diese letzteren enthalten sehr häufig im Inneren Vakuolen, die besonders bei der Färbung distinkt hervor- treten; auch sie sind mit amöboider Bewegungsfähigkeit begabt und zeigen, wie die Autoren auch schon in früherer Mittelung betonten, die Spaltung in mehrere Tochterkörperchen, ein Vorgang, der durch häufige Untersuchung bei einem der mitgeteilten Fälle die Vermutung sehr nahe legt, dass es sich dabei um eine Vermehrung der parasi- tären Organismen handelt. Die Forscher suchen dann durch Analogien mit gewissen Parasiten in verschiedenen Pflanzen die parasitäre Natur dieser „Hämoplasmodien“ zu beweisen und erhärten endlich durch intravenöse Injektion von solehem „Plasmodien“ haltendem Blut in den Körper eines Gesunden und die dadurch hervorgerufene Malaria- infektion mit sicherem Parasitennachweis die ätiologische Bedeutung der Organismen. Ein in demselben Jahr in diesem Blatte erschienener Aufsatz von Danilewsky?) darf hier nicht unerwähnt bleiben, denn aus ihm 1) Marchiafava und Celli, Weitere Untersuchungen über die Malaria- Infektion (Fortschritte der Medizin, 3, 1885, Nr. 24, S. 786). 2) Danilewsky, Zur Parasitologie des Blutes (Biolog. Centralblatt, V, 1885, 8. 529). Spener, Krankheitserreger der Malaria. 393 erkennen wir ebenfalls zahlreiche Analogien zwischen den von den oben gemachten Forschern studierten Hämoparasiten und anderen Blutparasiten bei Fröschen, Fischen, Eidechsen und Vögeln; Analogien, die der genannte Autor im Jahr 1886 in einer neuen Abhandlung !) genauer ausführt. Dasselbe Jahr brachte auch weiterhin durch zwei Abhandlungen Golgi’s?) gewichtige Bestätigungen der Lehre von den „Malaria- Plasmodien“. Auch er fand in den untersuchten Fällen sowohl die pigmentierten wie die pigmentlosen Körper wie in einem Fall auch Sichelformen und erkannte auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Entwicklung eines Parasiten und dem Verlauf des so- genannten Quartanafiebers oder der Tertiana. Im ersteren verläuft innerhalb dreier, im letzteren innerhalb zweier Tage die Entwicklung eines Körpers derartig, dass am Ende eines Fieberanfalls die pig- mentierten Körper etwa !/,—!/, der Größe der roten Blutkörperchen einnehmen, alsdann sich allmählich vergrößern auf Kosten des immer mehr verschwindenden Blutkörperchens, bis schließlich ein freier pig- mentierter Körper sichtbar ist, der nur selten noch eine feine Hülle als Ueberbleibsel des umhüllenden roten Blutkörperchens erkennen lässt. Indem sich nun das Pigment allmählich in der Mitte konzen- triert, teilt sich die helle Substanz der Peripherie in mehrere anfangs ovale oder birnförmige, später runde Körperehen, die kranzförmig um das pigmentierte Zentrum gelagert sind und nachdem die um- hüllende dünne Substanz verschwunden ist, als freie Gruppen von 4—12 Körperchen erscheinen. Dies ist ungefähr zeitlich zusammen- fallend mit dem Ende der Apyrexie und geht dem Fieberanfall um weniges vorauf. Während des Frostes und auch der ersten Fieber- periode verschwinden alle Teilungsformen aus dem untersuchten Fingerblut; eine Thatsache, die die Vermutung nahe legt, dass die- selben sich in irgend einem inneren Organ festsetzen, um erst am folgenden, ersten Apyrexietage als unpigmentierte „Plasmodien“ zu erscheinen und einen neuen Anfall anzukündigen. Während dieser Entwicklungsgang mit seinen verschiedenen Formen sich sowohl in der Tertiana, wie in der Quartana und auch in der Quotidiana, wenigstens in einigen Fällen findet, zeigen die atypisch verlaufenden Fieber noch die anderen hier nicht erwähnten Befunde, nämlich die freien, sichelförmigen, ovalen oder halbmondförmigen Körper. 1) Danilewsky, Zur Frage über die Identität der pathogenen Blut- parasiten der Menschen und der Hämatozoen der gesunden Tiere (Centralblatt für die mediz. Wissenschaften, 1886, Nr. 41 u. 42). 2) GolgiC., Sull’ infezione malarica (Archiv. per le scienze mediche, Vol.X, Fasc. 1) [Referat im Centralbl. f. Bakt., I, 347). Derselbe, Ancora sull’ infezione malariche (Gaz. dell. Ospit., VII, 1886, Nr. 72) [Ref. im Centralbl. f. Bakt., I, 347]. 394 Spener, Krankheitserreger der Malaria. So war also sowohl die parasitäre Natur der von Laveran, Marchiafava und Celli gefundenen Organismen durch neue Unter- suchungen bestätigt, es war auch der von letzteren beobachtete Spal- tungsvorgang als eine Vermehrung und Neubildung der Parasiten gekennzeichnet worden, als in demselben Jahr eine Arbeit von Tommasi-Crudeli und Schiavuzzi!) erschien, die auf Grund eingehender Untersuchung in der Luft von Malariagegenden, im Wasser der Abzugsgräben aus Malariaterrain einen Bacillus konstatierte, der morphologisch mit dem von Klebs und Tommasi-Crudeli früher gefundenen Baecillus malariae übereinstimmte, der bei Kaninchen, subkutan injiziert, Veränderungen hervorbrachte wie intermittierendes Fieber, Milzschwellung und Pigmentbildung in Milz und Lymphdrüsen, die für Malaria als charakteristisch gelten, der endlich auch sich aus den Organen dieser infizierten Tiere weiter auf Gelatine züchten ließ, wo er inForm eines weißen Belags bei geringer Verflüssigung wächst. Die genannten Forscher glaubten ihn daher nach diesen Untersuch- ungen mit um so größerem Recht als den Erreger der Malaria be- zeichnen zu müssen und erklärten die von Marchiafava u.a. ge- fundenen Körper für Veränderungen der roten Blutkörperchen, die unter dem Einfluss des eigentlichen Malariavirus entstanden. Diesen Veröffentlichungen folgten in diesem und dem folgenden Jahr eine Reihe von Aufsätzen, die sämtlich in gleichem Sinne sich aussprachen, die sämtlich den „Bacillus malariae“ aufrecht erhalten wissen wollten. Es sind das die Aufsätze von Baruggi?), Tom- masi-Crudeli?) und Mosso*). Der letztere hat namentlich durch 4) Tommasi-Crudeli, Ricerche sulla natura della Malaria, esseguite dal Dr. B. Schiavuzzi (Rendiconti della R. Accademia dei Lincei. Seduta del 5. Decemb. 1886) [Referat im Centralbl. f. Bakt., I, p. 203]. 2) Baruggi C., Sulla eritiche mosse al Plasmodium malariae diMarchia- fava, Celli, Golgi e da von Sehlen e da Tommasi-Crudeli (Estratto del giornale la Riforma medic. 1886) [Referat im Centralbl. f. Bakt., I, 351]. 3) Tommasi-Crudeli: a) Ricerche sulla natura della Malaria, b) Preservazione dell uomo nei paesi di Malaria (Rendiconti della R. Accadem. dei Lincei. Sitzungen vom 5. Dez. 1886 u. 3. April 1887). ce) Stato attuale delle nostre connoscenze della natura della malaria e sulla bonifica dei paesi malarica (Rendiconti della R. Accadem. dei Lincei. Sitzung vom 1. Mai 1887) [Referate im Centralbl. f. Bakteriologie, II, 16 fg.]. 4) Mosso: a) Communicazione preliminare sulla trasformazione dei corpusculi rossi in leucoeyti (Rendiconti della R. Accad. d. Line. Sitzungen vom 3. u. 17. April 1887) [Referat im Centralbl. f. Bakt., II, 16]. b) Die Umwandlung der roten Blutkörperchen in Leukoeyten und die Nekrobiose der roten Blutkörperchen bei der Koagulation und Eite- Spener, Krankheitserreger der Malaria. 395 experimentelle Untersuchungen nachzuweisen gesucht, dass die roten Blutkörperchen unter geeigneten Bedingungen alle die Veränderungen zeigen, die von den anderen Forschern für Entwicklungsphasen eines Parasiten betrachtet werden. Auch Klebs!) spricht sich in diesem Sinne aus und vermisst namentlich die von R. Koch und ihm selbst aufgestellten Kriterien für den Nachweis eines Parasiten. Ebenso sprach Cohn?) in der Wanderversammlung der Sehlesischen Gesell- schaft für vaterländische Kultur, unter wesentlichster Berücksichtigung der Befunde Sehiavuzzi’s; in demselben Sinne äußerte sich letz- terer ?) wieder auf dem VI. Internationalen Kongress für Hygiene und Demograpbie zu Wien 1887, während in der auf diesen Vortrag folgenden Diskussion B. Fischer die Fruchtlosigkeit seiner Versuche erörterte, die ihm nicht gestatteten, weder in dem einen noch in dem anderen Sinne Partei zu ergreifen, Versuche, die sogar auf Impfungen von Affen mit Malariafieberblut sich erstreckten. Neben diesen den Malaria-Bacillıs in den Vordergrund stellenden Arbeiten hat das Jahr 1887 noch eine Reihe von Aufsätzen gebracht, zumeist nicht-italienischer Autoren, die sich alle auf den Boden der Marchiafava-Celli’schen Befunde stellen. Metschnikoff*) fand bei zwei an Malaria gestorbenen Kranken die „Plasmodien“, zumeist pigmenthaltig; er konnte sich auch von der „Rosettenform“ und der Teilung in Tochterzellen überzeugen. Councilman?’) konnte gleich- falls die Befunde Celli’s und Golgi’s bestätigen, auch er konsta- tierte in intermittierenden Fiebern, zumeist tertianen, sowohl „Plas- modien“ und zwar im stadium algidum, als auch die pigmentierten rung. Vorläufige Mitteilung aus dem Laborat. für Histiologie an der Turiner Universität (Archiv für pathol. Anatomie [herausge- geben v. Virchow], 109, S. 205—277, 1887). 4) Klebs: a) Referat über Tommasi-Crudeli’s und Mosso’s Mitteilungen (Centralblatt für Bakt., II, 16). b) Die allgemeine Pathologie oder die Lehre von den Ursachen und dem Wesen der Krankheitsprozesse. I. Teil: Die Krankheits- ursachen. Allgemeine pathologische Aetiologie. Jena1887 (Referat im Centralblatt f. Bakt., II, 248). 2) Ferd. Cohn, Ueber die Aetiologie der Malaria. Vortrag, gehalten auf der Wanderversammlung der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur zu Breslau am 19. Juni 1887 (Centralbl. f. Bakt., II, 363). 3) Schiavuzzi B., Ueber Malaria im Allgemeinen und insbesondere in Istrien. Vortrag, gehalten auf dem VI. internationalen Kongress für Hygiene und Demographie zu Wien, 1887 (Centralbl. f. Bakt., II, S. 353). 4) Metschnikoff El., Zur Lehre von den Malariakrankheiten (Russkaja Medic., 1887, Nr. 12, p. 207) [Referat im Centralbl. f. Bakt., I, S. 624]. 5) Couneilman, Further observations on the blood in cases of malarial fever (Medical News, 1887, Bd. I, Nr. 3, p. 59) [Ref. im Centr. f. Bakt., II, 377]. 396 Spener, Krankheitserreger der Malaria. runden Formen; bei remittierenden Fiebertypen, den chronischen und kachektischen Fieberformen dagegen kamen konstant Halbmondformen, zuweilen daneben auch „Plasmodien“ vor; diesem Befund gleicht der bei der sogenannten Febris pernieiosa comatosa, wo Couneilman auch Halbmonde in großer Zahl fand. Auch die mit Geißelfäden be- setzten Körper fanden sich in mehreren seiner Fälle; post mortem aber waren sowohl diese wie die Halbmonde nicht mehr zu konsta- tieren, während die Plasmodien sich deutlich in den Kapillaren nach- weisen ließen. Auch Osler!) hat eine Reihe von Fällen untersucht, die meist quotidianen oder tertianen Typus zeigten, während einige als chro- nische Malariaaffektionen mit unregelmäßigem Verlauf zu bezeichnen waren. Er setzt seine Befunde genauer auseinander, trennt die in roten Blutkörperchen eingeschlossenen Formen von den frei im Blut- serum befindlichen Körpern und lässt aus seiner Beschreibung den Leser deutlich erkennen, dass die von ihm gesehenen Dinge im ganzen völlig den von Laveran, Marchiafava u.s.w. beobachteten Körpern gleichen; auch er konnte aus dem Umstand, dass zu gewissen Zeiten im Fieberverlauf sich die „Plasmodien“ häufen, schließen, dass die- selben in direkter Beziehung zum einzelnen Fieberanfall stehen; er kommt bezüglich der Einreihung der einzelnen Befunde zum Schluss, dass es Varietäten eines sehr polymorphen Organismus seien, die die verschiedenen Beobachtungen bilden. Eine neue Veröffentlichung der römischen Forscher Marchia- fava und Celli?) brachte wiederum eine Reihe neuer Beobachtungen, die namentlich die Verschiedenheit der Plasmodienformen in den ver- schiedenen Jahreszeiten betrafen und deutlich konstatierten, dass im Frühjahr und Sommer vorzugsweise pigmentierte, im Herbst und Winter vorzugsweise unpigmentierte Körper sich im Blute finden. Eine andere fast gleichzeitige Mitteilung derselben Autoren?) griff die Angaben Mosso’s an: auf Grund eigener Versuche erklärten die Forscher die experimentell erzeugten Veränderungen der roten Blut- körperchen für so ganz verschieden von den Plasmodienformen, dass nur die von Mosso selbst zugestandene Unbekanntschaft mit dem mikroskopischen Bilde derselben einen Vergleich entschuldigen könne. 1) Osler W., An adress on the hematozoa of malaria (Brit med. Journ. of March., 12, p. 556, 1887) [Ref. in Schmidt’s Jahrb., 214, S. 229]. 2) Marchiafava e Celli, Sulla infezione malarica (Estratti degli Atti della R. Accad. med. di Roma, Anno XIII, 1886/87, Ser. II, Vol. III [Referat im Centralbl. f. Bakt., II, S. 621]. 3) Marehiafava e Celli, Sui rapporti fra le alterazioni del sangue di cane introdotto nel cavo peritonei degli uccelli e quelle del sangue del’ uomo nel’ infezione malarica (Bollet. d.R. Accad. med. di Roma, 1887, Nr. 7) [Referat im Centralbl. f. Bakter., II, 620]. _ Spener, Krankheitserreger der Malaria. 397 Die gleiche Tendenz, nämlich die Angaben und Versuche Mosso’s auf ihren Wert und die Richtigkeit der Schlussfolgerungen zu prüfen, verfolgten 1883 die Assistenten Golgi’s, Cattaneo und Monti!). Durch zahlreiche und gewissenhafte Versuche gelang es ihnen, in 18 Fällen, in denen sie Hundeblut in die Peritonealhöhle von Hühnern und Tauben injizierten, nachzuweisen und durch genaue Zeichnungen zu veranschaulichen, dass zwar gewisse Degenerationen der roten Blutkörperchen, wie sie die Uebertragung in die Peritonealhöhle her- vorbrachte, gewissen Formen der Malaria-Blutbefunde ähneln, dass aber doch sehr wesentliche Punkte im einzelnen differieren und dass auch im allgemeinen die Entwicklung der sogenannten „Plasmodien“ in der Mehrzahl der roten Blutkörperchen von den Angaben und Bildern Mosso’s völlig abweichende Figuren zeigt |vergl. Baum- garten?)]. Zu gleicher Zeit prüfte auch Golgi?) die Angaben Schiavuzzi’s und Tommasi-Crudeli’s nach und konnte durch genaue Tempe- raturmessungen konstatieren, dass die Injektionen einer Reinkultur des von Schiavuzzi gezüchteten Malaria-Baeillus die Körpertemperatur mehrerer Kaninchen so wenig und leicht veränderte, dass von einem ausgebildeten Malariatypus keine Rede sein konnte; er entkräftete auch die übrigen Thesen Schiaouzzi’s, die die Pathogenität des „Malaria-Daeillus“ beweisen sollten, so gründlich, dass er mit Recht sagen durfte: „Der sogenannte Bacillus malariae von Klebs, Tommasi-Crudeli und Schiavuzzi hat nichts mit der Malariainfektion zu thun“. Diesen auf dieZurückweisung der gegen die Lehre der „Plasmodien“ erhobenen Angriffe gerichteten Arbeiten reihen sich aus demselben Jahr einige Abhandlungen an, die wiederum direkt die Existenz und Pathogenität der „Plasmodien“ bestätigen, die Arbeiten von Chen- zinsky und Councilman. Ersterer*) konnte bei 15 Malariakranken des städtischen Kranken- hauses in Odessa die meisten der Formen, die von den früheren Forschern beschrieben waren, konstatieren; nur war die Zahl der gefundenen pigmentlosen „Plasmodien“ und die der Geißelfäden sehr gering, der Befund der letzteren sogar unsicher. Auch in den Kapil- laren der grauen Substanz des Gehirns konnte er in den roten Blut- 1) Cattaneo e Monti, Alterazione degenerative dei corpuscuoli rossi del sangue e alterazione malariche dei medesimi (Archiv. med., Vol. XII, Nr. 6) [Referat in Virchow-Hirsch’ Jahresbericht, 1887]. 2) Baumgarten (Jahresbericht über die Fortschritte in der Lehre von den pathogenen Mikroorganismen, 3. Jahrgang, 1888, S. 256). 3) Golgi C., Ueber den angeblichen Bacillus malariae (Ziegler’s Bei- träge, Bd. 4, S. 419). 4) Chenzinsky, Zur Lehre über die Malaria (Centralbl. f. Bakt., III, S.457). 395 Spener, Krankheitserreger der Malaria. körperchen pigmentlose kugelige Einschlüsse auffinden. Er weist dann auch seinerseits die Angriffe Mosso’s zurück und erklärt die Angaben Pfeiffer’s!), der in den roten Blutkörperchen vaceinierter Hunde und scharlachkranker Menschen ebensolche „Plasmodien“ ge- funden haben wollte, für irrtümlich. Councilman?) unterschied bei seinen Untersuchungen, die ein „verhältnismäßig reiches“ Material betrafen, zehn Formen des Para- siten. Die 5 ersten sind identisch mit den von Marchiafava und Celli, zum Teil auch von Laveran gesehenen und von Golgi als Entwicklungsphasen eines Parasiten beschriebenen „Plasmodien“- formen. Auch Councilman hat von diesem Entwicklungsgange sich überzeugen können und bildet die entsprechenden Formen deut- lich ab. Die 5 anderen Formen, die sich nur bei den chronischen und atypischen Malariafiebern, sowie bei der Kachexie fanden, ent- sprechen ebenfalls den zuerst und zumeist von Laveran beschrie- benen Formen, den Halbmonden und größeren pigmentierten Formen, sowie den mit Geißelfäden besetzten Körpern. Die gefundenen Körper waren im Milzblut sehr viel reichlicher als im Fingerblut; namentlich waren die Teilungsformen und die geißeltragenden in der Milz zu finden. Da es ihm auch gelang, in einem zur Sektion gekommenen Fall in den Hirngefäßen zahlreiche in Teilung begriffene „Plasmodien“ zu entdecken, so erscheint die ganze Arbeit als eine völlige Bestätigung der früheren Beobachtungen. Einen gleichen Zweck verfolgt und erreicht eine weitere Abhand- lung Marchiafava’s und Celli’s®); in ihr berichten die Forscher, dass sowohl in den Frühjahr- und Winterfiebern wie in den aku- teren Infektionen des Sommers und Herbstes sich deutlich die Golgi’- schen Spaltungsvorgänge und ihre Beziehungen zu den verschiedenen Fiebertypen nachweisen ließen. Als einen ebenfalls schwerwiegenden Beweis für die Pathogenität des gefundenen Körpers sehen die beiden Forscher mit Recht die Thatsache an, dass bei den schwereren, in längerer Krankheitsdauer zum Tode führenden Fieber eine fortschrei- tende Verminderung der „Plasmodien“zahl statt hatte, eine Thatsache, die auch für andere chronische Infektionsformen nachgewiesen ist. Indem hier die noch im Jahr 1888 erschienenen Arbeiten von 4) Pfeiffer L., Das Vorkommen Marchiafava’scher Plasmodien im Blut von Vaceinierten und von Scharlachkranken (Zeitschrift f. Hygiene, II, S. 397). 2) Couneilman, Neuere Untersuchungen über Laveran’s Organismus der Malaria (Fortschritte der Medizin, 1888, Nr. 12 u. 13). 3) Marchiafava e Celli, Sulla infezione malarica, Memoria IV. (Archiv. per le scienze mediche, Vol. XII, Nr.8, p. 153) [Referat im Centralbl. f. Bakt., IV, S. 132]. Spener, Krankheitserreger der Malaria. 399 James!), Sacharoff?2) und Ball?) der Erwähnung bedürfen, da sie zum Teil die diagnostische Bedeutung der „Plasmodien“ hervor- heben, benötigen die Mitteilungen von Celli und Guarnieri#®) eine höhere Beachtung, da sie als Vorläufer eines größeren Aufsatzes >) erscheinen, der im Jahr 1889 veröffentlicht wurde. Das Ergebnis dieser drei Arbeiten ist ein sehr bemerkenswertes. Nach den genannten Forschern muss man zwei Hauptphasen endocellulärer Entwicklung unterscheiden, nämlich die amöboide und die sichelförmige Phase. Durch ein eigentümliches Färbeverfahren differenzieren sich in dem ersteren, dem amöboiden Stadium der Plasmodien, so lange noch keine Teilungsvorgänge eintreten, zwei verschiedene Teile, ein stärker und ein schwächer färbbarer, das „Ekto“- und das „Endoplasma“, so genannt, weil meist das letztere von dem ersteren ringförmig umschlossen ist; in dem Endoplasma lassen sich noch wieder färbbare Körnchen und Gebilde nachweisen, die vielleicht als Kerne anzusehen sind, während andere ebenfalls färbbare, am Rande des Ektoplasma gelegene Punkte „dem Beginn einer Kerndifferenzierung entsprechen könnten“. Auch in den bei der Segmentation neu entstehenden kleinen Körpern lassen sich ähn- liche, nur weniger scharf ausgeprägte Befunde erheben. Die Autoren bringen dann weiterhin für die „Sporulation“ eine Reihe neuer Mo- mente; sie konnten teils die früheren Beobachtungen an ihrem reichen Material (ca. 2000 Fieberkranke) bestätigen, teils konnten sie neue Abarten der Sporenbildung, z. B. die Bildung der länglich - spindel- förmigen Sporen, ferner die Segmentation nur eines lateral gelegenen Teiles des Plasmodiums, beschreiben. Auch bezüglich der Zeit der Sporulation machen sie neue Angaben, die dahin lauten, dass die Stunden vor und nach dem Fieberanfall Sporulationsformen zeigen. 1) James, The microorganismus of malaria (Medical Record., V01.33, 1888, Nr. 10, p. 269) [Referat im Centralbl. f. Bakt., V, S. 419]. 2) Sacharoff: a) Untersuchungen über den Parasiten des Malariafiebers (Protokolle d. Sitz. d. kaukas. mediz. Gesellschaft zu Tiflis, 1888, Nr. 6, S. 147) [Referat im Centralbl. f. Bakt., V, S. 452]. b) Ueber die Aehnlichkeit der Malariaparasiten mit denjenigen der Febris reeurrens (Protokolle d. Sitz. d. kauk. med. Gesellsch. zu Tiflis, 1888, Nr.11) [Referat im Centralbl. f. Bakt., V, S. 420]. 3) Ball, On some diffieulties in the diagnosis of typhoid fever (Medical Record, Vol. 34, 1888, Nr. 9, p.225) [Ref. im Centralbl. f. Bakt., V, S. 421]. 4) Cellie Guarnieri, Sulla intima struttura del Plasmodium malariae, a) Nota preventiva I. (Riforma med., 1888, Nr. 208), b) Nota preventiva II. (Riforma med., 1888, Nr. 236) [Referat im Cen- tralblatt f. Bakt., V, S. 91]. 5) Celli und Guarnieri, Ueber die Aetiologie der Malariainfektion (Fortschritte der Medizin, 1889, Nr. 14 u. 15, $. 529). 400 Spener, Krankheitserreger der Malaria, Das sichelförmige Stadium hat ebenfalls durch die Autoren für unsere Kenntnisse einen weiteren Ausbau erfahren. Diese Körper, in wechselnder Form bald sichelförmig, bald spindelig, bald eiförmig, bald rund auftretend, haben meist an den Polenden stärker färbbare Protoplasmateile, während in den runden Formen der Protoplasma- kern, der das Pigment enthält, stärker sich färbt. Dass diese letz- teren, die geißeltragenden runden Formen, sich aus den ovalen und halbmondförmigen entwickeln, haben die Forscher ebenfalls deutlich verfolgen können. Auch die Körper des zweiten, sichelförmigen Stadiums zeigen einen Teilungsvorgang, der jedoch mehr unter dem Bilde der Ausstoßung von Knospen auftritt. Die Arbeiten enthalten dann noch weitere Notizen über die Phagocytose und verbreiten sich noch über die systematische Einreihung des sog. „Haematobium malariae“. Noch bevor die letzte dieser soeben zitierten Arbeiten erschienen war, hatte Golgi!) das Ergebnis einer Reihe von Untersuchungen der typischen Tertianafieber veröffentlicht. Es gelang ihm, in dieser Arbeit auf Grund seiner genauen Beobachtungen nachzuweisen, dass in der That, wie schon früher eine kurze Mitteilung konstatierte, die Typen des tertianen Fiebers einer ganz bestimmten und von der Parasitenform des Quartanafiebers sehr deutlich unterschiedenen Form der „Plasmodien“ entsprechen. Einem von Golgi genau studierten Entwicklungsgange stehen bestimmte klinische Stadien des Malaria- fiebers gegenüber; diese Analogie geht so weit, dass man aus den im Blut gefundenen Formen die Fieberform, das Fieberstadium, ja die Fieberintensität erkennen und vorhersagen kann. Die Haupt- unterscheidungsmerkmale zwischen den Parasiten des tertianen und quartanen Malariafiebers zeigen sich sowohl hinsichtlich ihrer biolo- gischen als ihrer morphologischen Eigenschaften: Da der Entwick- lungskreislauf sich bei dem tertianen in 2, bei dem quartanen Fieber in 3 Tagen vollendet, so gehen auch die Lebensäußerungen des Parasiten, seine Bewegungen, die durch ihn veranlasste Entfärbung und endliche Vernichtung des Protoplasmas der roten Blutkörperchen in sehr viel energischerer und schnellerer Weise vor sich. Auch im Aussehen und den Umrissen des Parasiten zeigt sich eine deutliche Verschiedenheit, indem die Körper des tertianen Fiebers besonders im amöboiden Stadium eine feinere, zartere Protoplasmakörnung und deutlichere, schärfere Konturen zeigen als die der Quartana, während das Pigment bei letzterem Typus viel gröber, viel massiger als bei der Tertiana erscheint. Ebenso zeigen die überhaupt bei der Tertiana vielgestaltig und in veränderlicher Weise verlaufenden Teilungsvor- 1) Golgi C., Ueber den Entwicklungskreislauf der Malariaparasiten bei der Febris Tertiana (Fortschritte der Medizin, 1839, S. 81). Spener, Krankheitserreger der Malaria. 401 gänge besonders bezüglich der Zahl und Größe der Tochterkörperchen deutliche Unterscheidungsmerkmale. Mit einer Reihe genauer Beobachtungen tritt uns in demselben Jahr ein neuer italienischer Forscher, Canalis, entgegen. In mehreren einzelnen Abhandlungen!) die zum Teil erst 1890 erschienen, bringt er seine Untersuchungen, die sich hauptsächlich mit den Parasiten- formen der atypischen Fieber beschäftigen, d. h. der Fieberformen, die in unregelmäßigen Perioden Fieberanfälle von gewöhnlich langer Dauer zeigen, bei denen der Schüttelfrost als Anzeichen neuer An- fälle im weiteren Verlauf der Krankheit verschwindet, die zumeist in späterer Zeit in die Form der Malariakachexie übergehen. Die Unter- suchungen ergaben, dass analog den typischen Malariaformen auch diese Varietät des Fiebers einer ganz bestimmten und wohl charak- terisierten Parasiten- Abart ihr Dasein verdankt, die mit den früher beschriebenen Arten ihren Ausgangspunkt in den hyalinen, amöboiden, unpigmentierten „Plasmodien“ nimmt, die wie jene eine Sporulation und Vermehrung zeigt, die in gleicher Weise auch bei Beginn des Fieberanfalls ihre Reife erlangt. Entsprechend dem Kurvenbild dieser Fieberform, in dem anfangs ein fast regelmäßiger der Tertiana oder Quartana gleichender Typus sich zeigt, in dem die weiteren Anfälle aber in unregelmäßigerem Typus auf einander folgen und keine regel- mäßigen Apyrexiezeiten zwischen den Anfällen haben, zeigt die von Canalis beschriebene Parasitenvarietät ebenfalls zwei verschiedene „Cyelen“. Der erste Cyclus, der gewöhnlich in 48, selten in 24 Stunden verläuft, tritt in seiner ersten Phase mit jenen rundlichen, pigmentlosen, amöboiden Formen auf, die sich hier nur von den von Golgi be- schriebenen durch ihre geringe Größe unterscheiden, aber auch wie Jene die Differenzierung in Ento- und Ektoplasma zeigen. Durch allmähliches Wachstum der Parasiten, durch die Verwandlung des Hämoglobins in Melanin wird in verhältnismäßig langer Zeitdauer die zweite Phase des ersten Cycelus vorbereitet, eine Phase der Teilung und Sporulation, die zur Bildung von 6— 10 runden oder eiförmigen Körperchen rings um einen Pigmenthaufen führt. Der zweite Cyelus, der den Fieberanfällen mit längerer Dauer, protrahierteren Schüttel- frösten und abnehmenden Apyrexiezeiten entspricht, zeigt vier ver- 4) Canalis'P.: a) studi sulla infezione malarica. Torino 1889. (Vorläufige Mitteilung in den „Publicazioni della Direzioni di sanitä publiea“. 10. Okt. 1889), b) contributo alla storia degli studi moderni sull’ infezione malarica (Lo spallanzani, 1890, Fasc. 3 e 4). e) Studien über Malariainfektion. Ueber die parasitäre Varietät „Laveran’sche Halbmonde“ und über die malarischen Fieber, die davon abhängen (Fortschritte der Medizin, 8, 1890, 8. 285, Nr. 8 u. 9). XI, 26 402 Spener, Krankheitserreger der Malaria. schiedene Stadien, von denen das erste, das amöboide, jener ersten Phase des ersten Cyelus völlig entspricht. Unter der zunehmenden Pigmentierung und Vergrößerung des Plasmodiums erfolgt gleichzeitig ein Längerwerden des Parasiten, der eiförmig wird, dann sich an seinen Enden krümmt und so das zweite Stadium, das halbmond- förmige, darstellt. Die Formen desselben zeigen keine deutliche Differenzierung des Ento- und Ektoplasmas, haben scharfe Umrisse und deutliches, zu größeren Haufen geballtes Pigment, das sich mit zunehmendem Blasserwerden des roten Blutkörperchens vermehrt. Durch eine einfache Formveränderung verwandeln sich die Halbmond- formen in runde Körper, die das Pigment meist kranzartig im Zentrum angeordnet zeigen, ein Befund, der dem Autor auf die Anwesenheit eines kleineren (kernartigen?) Gebildes hinzudeuten scheint, dessen innere Fläche von dem Pigment austapeziert sei. Diese runden Körper (3. Stadium) scheinen zuweilen auch mit Geißeln versehen zu sein; denn nur mit diesen zusammen sind die geißelförmigen Körper in einigen der untersuchten Fälle vom Autor gesehen worden. Das 4. Stadium ist das Stadium der Segmentation und Teilung der runden Körper, aus denen ungefähr 8 kleinere Körperchen hervorgehen, die einen dunkleren, zentralen Teil deutlich aufweisen und um einen Pigmenthaufen herumgelagert sind. Den Vorgang der Teilung selbst hat der Beobachter nicht gesehen, aber doch wenige Stunden nach der Teilung des runden Körpers bei Beginn des Fiebers wieder die amöboiden Einschlüsse in den roten Blutkörperchen gefunden, die den Anfang des Entwicklungskreislaufes bilden. — Ebensowenig war es ihm vergönnt, die Uebergangsformen von den amöboiden zu den Halbmondformen zu beobachten, ein Umstand, der ihn zu dem Schlusse führt, dass diese Entwicklungsphase ebenso wie die Sporulation in speziellen Organen (Milz, Leber, Knochenmark) sich vollzieht. Ungefähr gleichzeitig, in einer vorläufigen Mitteilung jedoch vor Canalis, erschienen 1889/90 mehrere Abhandlungen von Celli und Marchiafava!). Diese Forscher haben ihre Beobachtungen auf die im Sommer und Herbst in Rom herrschenden Malariafälle be- 1) Celli und Marchiafava: a) Ulteriore contributo alla morfologia del plasmodi della malaria (Riforma med. Agosto 1889). b) Sulla febbri malariche predominanti nell’ estate e nell’ antunno in Roma. «) Nota preventiva (Riforma medica, 1889, Sept.). £) [Atti della R. Accademia medica di Roma, 1889, Anno XVI, Vol. V, Ser. II). y) Annali dell’ istituto d’igiene sperimentale dell’ universita di Roma, publieati per eura del Prof. Celli (Vol. II, Ser. I, Roma 1890). d) Uebersetzung (Fortschritte der Medizin, 9, 1891, S. 233). Spener, Krankheitserreger der Malaria. 403 schränkt, die sich als unregelmäßig verlaufende, in Form von Kopf- schmerzen sich verlängernde und oft in kontinuierliche oder perniziöse übergehende Formen zeigen. Den Hauptbefund bei diesen Fieber- formen nach den Beobachtungen der Autoren bilden kleine, pigment- lose, lebhaft bewegliche „Plasmodien“, zu einem oder mehreren in den roten Blutkörperchen eingeschlossen; dieselben zeichnen sich in ihrem Entwicklungsgange namentlich durch die Schnelligkeit desselben aus; ohne Größenzunahme, zum Teil auch ohne Pigmentbildung kom- men sie zur Reife, zur Sporulation, die meist sogar intraglobulär ver- läuft. Es sind jedoch diese Sporulationsformen, wie überhaupt einige Entwicklungsphasen gerade dieser den Herbst- und Sommerfiebern eigentümlichen „Plasmodien“ im Fingerblut nur sehr selten aufzu- finden, ein Umstand, der auch eine deutliche Differenzierung zu den Organismen der Tertiana und Quartana bildet. Neben diesen und niemals ohne dieselben fanden sich weiterhin in dem Fingerblut der Kranken die Halbmondformen, am meisten in den schwereren Fiebern des Herbsters. Die Beobachtung dieser Formen und das genaue Studium derselben konnte alle früheren Beobachtungen bestätigen; nur den von Canalis beobachteten Uebergang der amöboiden Formen in die spindel- und sichelförmigen konnten die Beobachter nicht kon- statieren, obgleich sie auch aus anderen experimentellen Untersuch- ungen !) auf einen genetischen Zusammenhang zwischen den beiden Formen schließen mussten. Jedenfalls sind aber die Halbmonde, wegen ihrer Resistenz gegen Chinin, die Ursache gerade der Umwandlung der gewöhnlichen Fieber von kürzerem Verlauf in die chronischen Formen, indem sie die Infektion im Blut „konservieren“. Gleichzeitig mit Canalis und den vorgenannten beiden Forschern hat sich auch Golgi?) mit den „intermittierenden Fieberformen der Malaria mit langen Intervallen“ beschäftigt und glaubt dadurch die Lehre vom Bestehen dieser Typen, wie sie besonders in der älteren Medizin herrschte, bestätigt zu haben. Auch diese Fieberformen sind, wie der Autor ausführt, an den Entwicklungskreislauf einer bestimmten Parasitenart, der „Halbmondformen“ gebunden. Dieselben erreichten in dem genau beobachteten Krankheitsfall in einer Periode von 7 bis 12 Tagen, indem sie verschiedene Uebergänge von den runden zu den ovalen, zu den spindelförmigen zeigten, den Entwicklungsgrad, der als Reifezustand der Sporulation unmittelbar vorauszugehen pflegt. Indem sich diese Formen nicht alle auf gleicher Höhe der Entwick- lung fanden, sondern in Intervallen von 20—30 Stunden ihrer Reife und damit der Sporulation entgegengeführt wurden, häuften sich auch nach langer fieberfreier Zeit in 3 Tagen drei oder mehr Anfälle, bei 4) Gualdi und Antolicei (Riforma med., 1889, Nr. 274). 2) Golgi C., Ziegler’s Beiträge zur pathologischen Anatomie, Bd.7. 26 * AOD4 Spener, Krankheitserreger der Malaria. denen übrigens konstant das Auftreten einer beträchtlichen Anzahl amöboider, nicht pigmentierter Körperehen und spärlichen Geißel- formen in den roten Blutkörperchen beobachtet wurde. Auch die außerdem konstatierte Unregelmäßigkeit in der zeitlichen Dauer der Entwicklung der Halbmonde und die außergewöhnliche Widerstands- fähigkeit derselben gegen die Chininwirkung sind geeignet, die Be- deutung der Halbmonde in das richtige Licht zu setzen. Zum Schluss erwähnt er noch, dass er von Celli und Marchiafava darin ganz besonders abweiche, dass er nicht die amöboiden „Plasmodieu“ (der Autoren) als Hauptform gefunden habe bei allen seinen Untersuchungen, und glaubt dieses auffallende Verhalten in der Verschiedenheit der Infektionsherde begründet zu sehen. Als dann im Oktober 1889 der zweite Kongrsse für innere Medizin in Rom tagte !), konnte Marchiafava nach eigenen und Bignami’s Untersuchungen genauere Mitteilungen über den Leichenbefund bei Perniciosa machen, der sich so gestaltete, dass in den Kapillaren des Gehirns sehr viel pigmentierte und pigmentlose Parasitenformen sich fanden, dass dagegen in den anderen inneren Organen, wie Milz, Leber, Lungen die pigmenthaltigen weißen Blutkörperchen vorwiegen, in denen zum Teil auch Reste von roten Blutscheiben vorhanden sind. Damals konnte auch Baccelli auf Grund reichen Untersuchungs- materials seiner Klinik, die bisher veröffentlichten Beobachtungen be- stätigen, so dass auch dadurch schon die in der Diskussion wieder- holte Ansicht Mosso’s, dass die vermeintlichen Parasiten Degenera- tionsprodukte der roten Blutkörperchen seien, zurückgewiesen wurde. Dasselbe Jahr 1889 brachte noch einen wichtigen Beitrag zur Zoologie des Malariaparasiten von Danilewsky?). Derselbe hatte, mit der vergleichenden Parasitologie des Blutes verschiedener Tiere beschäftigt, im Blute der Vögel ein „Hämatozoon“ gefunden, das, mit lebhaft beweglichen fadenartigen Gebilden (Geißeln) versehen, eine große Analogie mit den Malariaparasiten Laveran’s zeigt. Dieser „Polymitus sanguinis avium D.“ scheint zu den Flagellaten zugehören. Mehr zur Klasse der Gregarinen gehörig erscheint ein bei Schildkröten gefundener Parasit, der in den roten Blutkörperchen als rundliche, protoplasmatische Masse auftritt, später in die Länge wächst, Be- wegungen ausführt und endlich aus dem Blutkörperchen frei ins Blut- plasma austritt. Ueber das Schicksal dieses freien Parasiten ist nichts genaueres bekannt. Von Wichtigkeit aber ist namentlich wegen der Analogie mit dem Malariaparasiten, dass die weitere Entwicklung des Individuums, die sich in den intraglobulären Formen vollzieht, 1) Referat im Centralblatt für Bakteriologie, 8, 1890, S. 402 fg. 2) Danilewsky B., Nouvelles recherches sur les parasites du sang des oiseaux. Recherches sur les h&matozoaires des tortues (La parasitologie comparee du sang, let II, Kharkoft, 1889) [Referat im Biol. Centralbl., X, 13/14]. Spener, Krankheitserreger der Malaria. 405 derartig verläuft, dass zuerst unter Größenzunahme der Parasit sich abrundet und im Innern einen Kern erkennen lässt, um den herum dann eine Furehung und Teilung in verschiedene Tochterkörper statt hat, die durch Platzen des umgebenden Blutscheibenrestes frei ins Blutplasma austreten und auch später in den Blutkörperchen wieder zu finden sind. Diese Analogie mit dem Malariaparasiten findet ihre Bestätigung durch die auch in einer späteren Abhandlung !) geschil- derte Beobachtung eines gregarinenartigen Parasiten des „Pseudo- vermieulus D.“ im Blute der Vögel, der wahrscheinlich dem „Malaria- Plasmodium“ sehr nahe steht. Mit der Frage der Einreihung in das zoologische System be- schäftigten sich auch zwei Forscher, Grassi und Feletti?), die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die innere Struktur des „Plasmodiums“ zu erforschen. Als sie, in diesem Bestreben begriffen, einen deut- liehen bläschenförmigen Kern mit Kernkörperchen in den „Plasmodien“ nachweisen konnten, als sie ferner die von den frühern Forschern be- schriebene Sporulation als von einer Teilung des Kernkörperchens, später des Kernes ausgehefd fanden, als auch sie die amöboiden Be- wegungen konstatierten, glaubten sie sich berechtigt, in dem Parasiten eine Amöbe zu sehen und nannten auch deren Sporen „Gymnosporen“. Sie scheiden in ihrer Mitteilung diese Form streng von der „Mond- sichelform“, der „Laverania“, deren Entstehung aus den „Plasmodien“ sie aber ebenfalls annehmen; auch bei diesen konnten sie einen Kern nachweisen, um den herum in dem Plasma das Pigment aufgelagert ist. Wenngleich es ihnen nur wenige Male gelang, eine Sporulation der rund gewordenen „Laveranien“ zu sehen, so nehmen sie doch die Möglichkeit an und fassen als Ort dieser Segmentation (nach den Beobachtungen Danilewsky’s an Vögeln) das Knochenmark auf, zweifeln aber sehr an der Angabe Canalis’, der diese Teilung im Fingerblut gesehen haben will. Ebenso wenig halten sie die von Celli und Guarnieri ete. angenommene Sprossung für richtig und wollen auch den Geißelfäden nur den Sinn einer Degenerations- erscheinung zuerkennen. Sie rechnen den Malariaparasit zu den Rhizo- poden, insbesondere zu den Amoebiformen, und trennen ihn in zwei Genera: „Die Haemamoeba malariae (der regelmäßigen Fieber) und die Laverania malariae (der unregelmäßigen Fieber)“. Dieser Arbeit folgen im Jahre 1890 und bis in die neueste Zeit eine Reihe von Untersuchungen, die alle mehr oder weniger die Frage der Systematisierung des Parasiten der Malaria zum Gegenstand haben. Des Zusammenhangs wegen seien sie hier alle angereiht. 1) Danilewsky, Developpement des parasites malariques dans les leuco- cytes des oiseaux (Annales de l’Institut Pasteur, 1890, Nr. 7) [Referat im Centralblatt f. Bakt., VIII, S. 661]. 2) Grassi und Feletti, Ueber die Parasiten der Malaria. Vorläufige Mitteilung. (Centralbl. f, Bakt., VII, Nr. 13 u. 14, S. 396.) 406 Spener, Krankheitserreger der Malaria. Kruse [Neapel] !) berichtet von Blutparasiten, die er beim Frosch gefunden hat und die unter dem Bilde länglicher, an den Enden zu- gespitzter, beweglicher, meist endoglobulärer Körper erscheinen. Die- selben erinnern so deutlich an die Laveran’schen Halbmonde. Unter Umständen verwandeln sie sich in runde amöboide Körper, die einem Sporulationsprozess verfallen. Dieser letztere bietet auch viel Ana- logien mit dem der Malariaparasiten. Auch im Blut der Nebelkrähe, die aus einer Malariagegend stammte, fand sich ein Parasit, der sich in intracellularem Entwicklungsgange aus der amöboiden Form in die gregarinenartige Phase umwandelt. Namentlich die erstere Form, die beobachtete amöboide Beweglichkeit, die Pigmentbildung, endlich auch die Sporenbildung legen einen Vergleich mit dem Malariaparasiten nahe, der noch weiterhin durch den pathologisch-anatomischen Befund bei der Nebelkrähe, der den Malariaveränderungen sehr ähnelt, fast bis zu einer Gleichstellung geführt wurde. Auf Grund dieser Befunde stellt Kruse eine neue zu der Unterklasse Gregarinida, Ordnung Monoecystidea gehörige, den Coceidien g’eich zu stellende Familie der Haemogregariniden auf, in die er auch das „Plasmodium malariae Celli und Marchiafavae“ einreiht. Schon seit längerer Zeit beschäftigte sich L. Pfeiffer mit den biologischen und morphologischen Eigenschaften der Protozoen, nament- lich der zu ihnen gehörigen parasitischen Coceidien und Gregarinen; die Resultate seiner Untersuchungen finden sich in mehreren Auf- sätzen, von denen hier drei, alle aus diesem Jahre 1890 stammend, Erwähnung finden müssen. Der erste derselben ?) bestätigt haupt- sächlich die schon oben erwähnten Beobachtungen Danilewsky’s (s. S. 393) und berichtet von dem Ergebnis der Malariablutstudien, die der Autor anzustellen Gelegenheit hatte. Von 3 Fällen hat nur einer ein positives Resultat gegeben; in dem Blut dieses Kranken, der schon viel Chinin genommen hatte, fanden sich ziemlich zahl- reiche Sichelformen. Eine weitere Entwicklung dieser Formen hat der Forscher nicht beobachtet; er steht sogar auf Grund seiner Vogel- blutstudien besonders den geißeltragenden Körper sehr zweifelnd gegenüber und glaubt dieselben als ein Zerfallsprodukt (wie auch Grassi ete.) ansehen zu müssen. Ausdrücklich aber werden die Analogien dieses Parasiten mit denen der Blutkörperchen der Vögel, Schildkröten u. a. aufgeführt. So bahnt er die Einreihung der Malaria- parasiten in die Coccidien an, die er dann in einer zweiten Veröffent- lichung ?) festhält. Sowohl in dieser Abhandlung, wie auch in der 1) Kruse, Ueber Blutparasiten. I. Mitteilung. (Virchow’s Archiv, Bd. 120, S. 549.) U. Mitteilung. (Virchow’s Archiv, Bd.121, S. 359.) 2) L. Pfeiffer, Beiträge zur Kenntnis der pathogenen Gregarinen. IV. Gregarinformen innerhalb der Blutzellen bei Schildkröten, Eidechsen, Vögeln und von Malariakranken. Zeitschrift für Hygiene, 1890, Bd. 8, S. 309 fg. 3) L. Pfeiffer, Unsere heutige Kenntnis von den pathogenen Protozoen. Centralblatt für Bakteriologie, 8, 1890, S. 761 fg. Spener, Krankheitserreger der Malaria. 407 dritten!) bezieht sich unser Autor auf die erst kürzlich gemachte Entdeckung der Schwärmsporen bei den Coceidien neben den Dauer- cysten, ein Befund der sich bei allen Coceidien findet und von dem sich auch einzelne Teile bei dem einen wie bei dem anderen der jüngst erst näher erforschten Blutparasiten der Tiere, und auch bei dem Intermittensparasiten findet. Den bei einer abgelaufenen Coc- eidieninfektion vermittelnden Trägern der Krankheit, die die Ueber- tragung derselben nach außen in neue Wirte herbeiführen, den soge- nannten Dauercysten von eiförmiger Gestalt mit Sichelformen enthal- tenden Sporen entsprechen vielleicht nach der Ansicht Pfeifler’s die Halbmondformen der Malaria; den die akute Coceidienkrankheit aber und die erneute Infektion desselben Wirtes herbeiführenden Schwärmsporeneysten sind die vor der Sporulation stehenden Rosetten- und „Gänseblümchen“-Formen des Malariaparasiten analog. Diese als Hypothesen gelöenden Sätze würden die Einreihung der Inter- mittensparasiten in die Ordnung der Coceidien rechtfertigen, doch sind auch noch andere Ordnungen, zum Beispiel die der Amöben, der Chitridien, oder Synchytrien hier in Betracht zu ziehen, da auch mit ihnen zahlreiche Analogien in den Parasitenformen der Malaria be- stehen. In der Fortsetzung seiner Untersuchungen über Vogelparasiten hat weiter Danilewsky?) dadurch interessante Beiträge zu der Parasitenfrage geliefert, dass er eine völlige Analogie zwischen der Malariakrankheit des Menschen und einem Fieber der Vögel fest- stellte. Wie dort ein akutes und ein chronisches Stadium nicht nur klinisch, sondern auch durch Blutbefund sich unterscheiden lässt, so zeigen auch die Vögel malarischer Gegenden eine chronische und eine akute Form des Fiebers, die sich in symptomatischer Beziehung deutlich unterscheidet, indem bei der letzteren ein deutliches Krank- sein, Temperaturerhöhung, Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit an den Vögeln sich nachweisen lässt, während die chronisch erkrankten äußer- lich keine Veränderung darbieten. Auch der Blutbefund zeigt eine deut- liche Verschiedenheit: im Beginn der akuten Krankheit finden sich in den roten Blutkörperchen kleine unbewegliche, durchsichtige, meist runde Körper, ohne Pigment und ohne amöboide Bewegung; dieselben vergrößern sich am 2. Krankheitstage und nehmen Pigment auf; am 3. und 4. Tage tritt die Sporulation ein, indem die Körper sich radiär in 8—-10—20 kleine ovale Formen teilen; diese trennen sich und ge- langen frei im das Blutplasma. In der chronischen Infektion finden 1) L. Pfeiffer, Vergleichende Untersuchungen über Schwärmsporen und Dauersporen bei den Coceidieninfektionen und bei Intermittens. (Fortschritte der Medizin, 8, S. 939.) 2) Danilewsky, Ueber die Mikroben der akuten und chronischen Malaria- infektion. (Annales de l’Institut Pasteur, 1890, Nr. 12.) AUS Spener, Krankheitserreger der Malaria. sich überwiegend halbmondförmige und geißeltragende Formen, deren Uebergang aus jenen ersten Körpern der akuten Krankheit, den rund- lichen, durehsichtigen Körpern, längere Zeit braucht. Dieselben bleiben bei den verschiedenen Vögeln verschieden lange Zeit im Blut sichtbar, um dann nach kürzerer oder längerer Dauer des Verschwindens wieder von neuem aufzutauchen. — Diese Analogien der Vögel- und der Menschenblutparasiten geben dem Autor Berechtigung, sie zu dem gleichen Genus zu zählen, indem er noch die Ansicht ausspricht, dass die Halbmond- und Kugelformen wohl nur Stadien eines und des- selben Organismus sind. Die Gleichstellung der beiden Parasiten wird in der neuesten Ab- handlung Danilewsky’s!) bis zur Identifizierung fortgesetzt: „es lässt sich weder in biologischer noch in morphologischer Beziehung irgend ein wesentlicher Unterschied finden“; er unterscheidet beide Parasiten, die er Polymitus malariae nennt nur durch den Zusatz avium und hominis. Es ist dem Forscher gelungen, einen neuen Bei- trag zur Auffassung der Gänseblümchenform der beiden Parasiten als Schwärmsporenstadium im Sinne L. Pfeiffer’s zu geben, in dem er die Entwicklung mehrerer Individuen des Polymitus innerhalb eines Leukocyten konstatierte, der gleichsam als Cyste für den sich ver- mehrenden Parasiten dient. Da diese Thatsache die Parasiten zu den Coceidien stellen würde, da selbst mit den Gregarinen, den Mya- tozoen und den Myxospordien Aehnlichkeiten bestehen, so will der Autor die Bestimmung dieser Organismen „kompetenten Fachspezia- listen“ überlassen, indem er empfiehlt, dabei den transformierenden Einfluss im Auge zu behalten, den das Blut auf die Parasiten un- zweifelhaft auszuüben vermag. Noch einen Schritt weiter in der Systematisierung gehen in einer erst in allerneuester Zeit in deutscher Sprache veröffentlichten Arbeit die Italiener Grassi und Feletti?). Sie geben zunächst ihre Be- funde an: In dem Blute der Sperlinge und Haustauben aus Malaria- orten fand sich eine den Halbformen nahestehende durch relativ dieke Polenden und eine diffusere Lagerung des Pigments sich vor jenen auszeichnende „Mondsichel“, die sich unter dem Mikroskop zu geißeltragenden runden Formen umwandelt. (Laverania Danilewskyi der Autoren.) Ferner fand sich, doch niemals ohne diese Mondsicheln, eine runde sich endogen fortpflanzende Amoeba (Haemamoeba praecox der Autoren), die besonders durch den Umstand, dass die Teilung vor der gänglichen Zerstörung des Blutkörperchens eintritt der bei den Sommer- und Herbstfiebern Roms von Celli und Marchiafava 1) Danilewsky B., Ueber den Polymitus malariae. (Centralbl. f. Bakt., Bd. IX, Nr. 12, 1891.) 2) Grassi u. Feletti, Malariaparasiten in den Vögeln. Vorläufige Mit- teilungen. (Centralbl. f. Bakt., IX, 1891, S.403, Nr. 12 u. 13.) Spener, Krankheitserreger der Malaria. 409 gefundenen „Plasmodienform“ analog erscheint. Auch für die Halb- monde scheint ein gewisser Wachstumsvorgang zu bestehen, indem die Forscher in 10tägigen Perioden das Auftreten kleiner Halbmonde und ihr Größerwerden beobachteten; einen Zusammenhang dieser Formen aber mit der Haemamoeba schließen die Verfasser aus ver- schiedenen Gründen aus und stellen schließlich 2 besondere Gattungen a) Laverania, b) Haemamoeba mit je mehreren Arten auf. Zur Unter- stützung ihrer Ansicht von der Individualität der Amoebda soll die Mitteiluug dienen, dass sie auf malarischem Boden und in der Nasal- höhle der eine Nacht dort verweilenden Tauben eine kleine, langsam bewegliche Amoebe fanden. Daraus und dass sie einige Tage später im Blut jener Tauben „Laveranien“ fanden, schließen sie auf eine mögliche Verwandtschaft mit dem Malariaparasiten !). — Das Jahr 1890 war aber insofern noch für die Geschichte der Malariaparasiten von ganz besonderer Bedeutung, weil es uns die ersten Bestätigungen des gefundenen Mikroorganismus als Erreger der Malaria aus den deutschen Ländern brachte. Schon im Anfang des Jahres veröffentlichte Paltauf?) seine Blutuntersuchungen bei 10 Malariakranken, die sämtlich „Plasmodien“ aufwiesen, teils als rundliche oder geißeltragende, teils als halbmond- förmige Gebilde. Ebenso konnte v. Jaksch?) in einem Fall von Quartanfieber nicht nur die „Plasmodien“ sondern auch ihren Entwicklungsgang, wie ihn Golgi beschrieben hatte, konstatieren. Als erster des engeren Deutschlands hat Plehn seine erfolg- reichen Blutuntersuchungen veröffentlicht. Von seinen drei Abhand- lungen *) enthält die letzte, größte die Resultate einer großen Reihe von Beobachtungen und umfasst auch den Inhalt der anderen früheren Arbeiten. Er hebt darin die Schwierigkeit der Auffindung der Para- siten hervor und sieht in diesem Umstand, der durch die geringere Zahl der Plasmodien in den Blutpräparaten der einheimischen Kranken 1) Wohl mit Recht macht der Referent (Monti — Pavia) im Centralblatt für Pathologie, II, S. 243 auf die Widersprüche aufmerksam, die sich in den Angaben der Autoren finden, die einerseits jeglichen Zusammenhang zwischen Laveranien und Amoeben leugnen und anderseits eine Abstammung der ersteren von den letzteren annehmen. 2) Paltauf R., Zur Aetiologie der Febris intermittens. (Wiener klinische Wochenschrift, 1890, Nr.2 u. 3.) 3) v. Jaksch, Ueber Malariaplasmodien. (Prager mediz. Wochenschrift, 1890, Nr. 4.) 4) Plehn: 1) Zur Aetiologie der Malaria. (Berl. klin. Wochenschr., 1890, Nr. 413.) 2) Beitrag zur Lehre von der Malariainfektion. (Zeitschrift für Hygiene, Bd. 8, Heft 1, S. 78.) 3) Aetiologische und klinische Malariastudien. Berlin, Hirsch- wald, 1890, gr. 8°. 410 Spener, Krankheitserreger der Malaria. gegenüber den in Italien entnommenen Proben unterstützt wird, einen Grund für das bisherige Fehlen positiver Erfolge bei den unternom- menen Untersuchungen. Es gelang ihm aber bei 17 Fällen mit völliger Sicherheit die beschriebenen Parasiten Laveran’s und Celli’s etc. zu sehen; er beschreibt auf Grund seiner Beobachtungen die successive Entwicklung eines Parasiten (der Tertiana) von den amöboiden, frei oder endoglobulär befindlichen, runden, hyalinen, pigmentlosen Formen zu den allmählich bis zur Größe des Blutkörperchens ausgewachsenen, pigmenthaltigen Körpern, und bis zu der Teilung derselben in kleinere Toehterkörperehen. Seine Schilderung gleicht an einzelnen Stellen völlig dem von Golgi beschriebenen Entwieklungsverlau‘, abweichend und überhaupt neu erscheint in diesem Berieht nur der Umstand, dass die auch häufig frei zu findenden „Plasmodien“ Geißelfäden tragen, die zwar in frischen Präparaten kaum sichtbar, in gefärbten aber deutlich als lange, mit 2—5 deutlichen, dunklen Anschwellungen versehene Fäden erscheinen; dieselben sind jedoch an den intra- globulären Formen nicht oder doch nur unsicher erkennbar. Auch an den aus dem reifen Körper hervorgegangenen ovalen Sporen, deren Entstehung Plehn im Heizkasten genau beobachten konnte, hat der- selbe Geißelfäden in gut gelungenen farbigen Präparaten nachgewiesen. Bis auf den Uebergang der Sporen in Amöboidformen ließen sich die Studien der Entwieklung direkt unter dem Mikroskop verfolgen; doch ist die zeitliche Folge dieser Studien unter diesen Bedingungen nicht ganz gleich derjenigen der noch im Körper befindlichen Formen, wie sie sich durch häufige Blutaufnahme und Untersuchung nach- weisen lässt, eine Ungleichheit die nach Ansicht des Autors in der Empfindlichkeit der amöboiden Formen gegen äußere Einflüsse, z. B. die Belichtung ihren Grund hat. Solche schädigende Einwirkungen bewirken alsbald den Tod der Parasiten, der durch fehlende Färb- barkeit, Aufhören der Körnchenbewegung, Einziehen der Fortsätze dokumentiert wird. — Obwohl die Beschreibung des Wachstums und Reifeprozesses des Parasiten bei Plehn in vielen wesentlichen Punkten der Golgi’schen Auseinandersetzung völlig gleicht, so kann Plehn doch nicht das Golgi’sche Gesetz in seinen Konsequenzen anerkennen: er glaubt nieht an die Möglichkeit, aus dem Blutbefund Tag und Stunde des nächsten Anfalles zu bestimmen, er kann sich nicht vom Bestehen morphologischer und biologischer Unterscheidungsmerkmale zwischen den Tertiana- und Quartanafiebern überzeugt halten, er sucht die von Golgi angeführten Gründe zu widerlegen und glaubt vielmehr in der individuellen Disposition ein Moment für das Zustande- kommen bestimmter Fieberformen zu erblicken. Außer diesen Amöboidformen fand Plehn auch in 2 Fällen von tropischer rezidivierender Malaria Halbmonde mit zentral angehäuftem Pigment, mit ihrem konkaven Teile den roten Blutkörperchen an- liegend und im Heizschrank träge Streck- und Beugebewegungen Spener, Krankheitserreger der Malaria. 411 vollführend. Eine Erklärung dieser Form, namentlich bezüglich ihres Zusammenhanges mit den amöboiden Körpern, gibt Plehn nicht, sondern macht nur auf die Möglichkeit aufmerksam, dass diese einer durch veränderte äußere Verhältnisse hervorgerufener Atypie des Ent- wicklungsganges ihre abweichende Form verdanken. Dass er geißeltragende Formen häufiger als andere Beobachter gesehen hat, ist schon erwähnt; in einem bis zur Kachexie schon vorgeschrittenen Tertianafall hat er einmal auch ein genau den Laveran’schen Geißelträgern gleichendes Bild gesehen. Der Autor spricht weiterhin die Vermutung aus, dass, da der Organismus nur als Parasit seinen Eigenschaften gemäß leben kann, die gegen äußere Einflüsse sehr viel resistenteren Sporen vielleicht die Krankheit verbreiten, eine Vermutung die durch die Unwirksam- keit der Chiningaben zur Zeit der Sporulation, d. h. 3 Stunden ca. vor dem Anfall, gestützt wird. Er gibt fernerhin eine Erklärung für den intermittierenden Charakter der Fieber auf Grund seiner Beobachtungen: er glaubt, dass, wenn von einer Parasitengeneration eine genügende Anzahl der Organismen zur Reife gelangt ist, durch den hierdurch hervorgerufenen Anfall „selbst wieder die in der Entwicklung zurückgebliebenen, sowie die etwa inzwischen durch Neuinfektion in den Körper gelangten, noch im amöboiden Stadium befindlichen Organismen abgetötet werden“. In einem in seiner Widerstandsfähigkeit aber herabgesetzten Körper werde es durch den Anfall nicht mehr zu einem Absterben der amöboiden Formen kommen, sondern zur Entwicklung mehrerer Generationen neben einander und damit zu einem unregelmäßigen Fieberverlauf. Solche und andere Abweichungen von den bisher gebräuchlichen Anschauungen ausgenommen, stimmt der Autor aber doch darin mit den übrigen Forschern überein, dass die Entdeckung des Malaria- Parasiten von hoher diagnostischer Bedeutung für die Zwecke des praktischen Lebens ist. — [Nicht unerwähnt dürfen hier die beiden der Monographie beigegebenen farbigen Tafeln bleiben, die bei der angewendeten Doppelfärbung ein sehr klares Bild von den verschie- denen Formen geben. | Rosin!) berichtet von einer Reihe von akuten Malariafällen, die alle die spezifischen Parasiten zeigten, sowohl als homogene, amöboid bewegliche, wie als pigmentierte größere, und endlich als sich teilende Körper. In einer gleichzeitigen Veröffentlichung will Rosenbach?) aus der helleren und dunkleren Farbe des Pigmentes einen Schluss 1) Rosin, Ueber das Plasmodium malariae. (Deutsche mediz. Wochen- schrift, 1890, Nr. 16, 8. 326.) 2) Rosenbach O., Das Verhalten der in den Malariaplasmodien enthal- tenen Körnchen. (Deutsche mediz. Wochenschrift, 1890, Nr. 16, S. 325.) 412 Spener, Krankheitserreger der Malaria, auf die Schwere der Infektion machen, da die Bildung des schwarzen Pigmentes auf eine besondere Lebhaftigkeit der Zersetzungsvor- gänge hinweise. — Zugleich berichtet er über Kulturversuche, bei denen die in eiweißarme sterilisierte Asecitesflüssigkeit übertragenen Parasiten in der That eine Weiterentwicklung erkennen ließen. Gleichzeitig berichtete Dolega dem Kongress!) für innere Medizin über seine Blutbefunde bei Malaria, Beobachtungen die er später noch erweiterte und in größerem Maßstabe veröffentlichte ?). Bei 3 Malaria- fällen beobachtete er fast alle amöboiden Formen der Parasiten und hatte auch Bilder der Entwicklungsreihe, wie sie Golgi für das tertiane Fieber beschrieb, er sah auch längliche Formen mit einem Blutkörperehen in einem Fall von Tertiana reeidiva, die eine entfernte Aehnlichkeit mit den Halbmonden aufweisen, und beobachtete an demselben Fall die bei dem Recidiv stark vermehrte Resistenz der Parasiten gegen Chinin; erst nach (20!) Gramm gegen sonst 9 g ver- schwanden die Parasiten aus den Präparaten und machten größeren pigmentierten Protoplasmaschollen von unregelmäßiger Gestalt Platz. Die anfänglich vom Autor gehegten Zweifel über die Zugehörigkeit der hyalinen, pigmentlosen Einschlüsse zu den Malaria - Parasiten scheinen bei der Fortsetzung seiner Studien gehoben zu sein. — |Die der Arbeit beigegebenen Tafeln, namentlich die Photogramme frischer Präparate, sind besonders beachtenswert.] Auch Quincke?) fand bei seinen Malaria-Kranken die Malaria- „Plasmodien“. Dieselben erscheinen teils als blasse intraglobuläre pigmentfreie „Protoplasmakörper“, teils als größere pigmentführende Formen; er beobachtete auch einmal lebhaft bewegliche Geißelfäden, die an einem größeren pigmentführenden Parasiten angeheftet waren, und kleinere rundliche, meist pigmentfreie Körper, „wie von einer unsichtbaren Geißel getrieben“. Er konnte jedoch nicht auf Grund eigener Anschauungen die von Golgi beschriebene Teilung bestätigen, denn nur andeutungsweise zeigte sich die Sternblumenform der be- ginnenden Sporulation; ebensowenig war ein Parallelismus zwischen dem Blutbefund und den Fieberperioden deutlich. Er schließt aus diesen Abweichungen, dass die Malariaparasiten verschiedener Länder verschiedene Species einer Gattung sind, indem er eine Vielheit der- selben bei der Mannigfaltigkeit des klinischen Bildes für wahrschein- licher als eine Einheit erachtet. 24 Fälle von eingeschleppter Malaria, die zumeist aus den niederen Küstenorten Westafrikas, aus den Antillen und Zentralamerika kamen, 1) s. Verhandlungen desselben, auch Deutsche mediz. Wochenschr., 1890, Nr. 26, S. 576.) 2) Dolega, Aus der medizinischen Klinik zu Leipzig. Blutbefunde bei Malaria. (Fortschritte der Medizin, 1890, Bd. 8, Nr. 21 n. 22, S. 809 fg.) 3) Quincke H., Ueber Blutuntersuchungen bei Malariakranken. (Mittei- lungen f. d. Verein Schleswig-Holsteinischer Aerzte, 1890, 12, 4.) Spener, Krankheitserreger der Malaria. 413 hatte Brandt!) im Seemannskrankenhaus zu Hamburg Gelegenheit zu untersuchen. Der Umstand, dass die meisten Kranken auf den Schiffen schon mit Chinin behandelt worden waren, war zum größten Teil daran schuld, dass nur 10 Fälle einen positiven Untersuchungs- befund ergaben. Bei diesen fand er immer die „Plasmodien“, konnte sogar bei mehreren diagnostisch zweifelhaften Fällen, wie auch Plehn und Quincke aus dem Befund die wahre Natur der Krankheit er- kennen. Bei einem Fall von Tertianafieber konnte er deutlich unter dem Mikroskop das Auseinandergehen der Teilungsformen und „ihre Bemühungen sich in einem neuen roten Blutkörperchen einzunisten“, verfolgen. Sichere morphologische Kennzeichen aber, die eine Unter- scheidung der Parasiten auf Grund einmaligen Blutbefundes in Er- reger des Tertian- und Quartanfiebers gestatten, hat der Autor nicht konstatieren können. Mit einer kürzlich erst erschienenen Mitteilung von Hertel und v. Noorden?), welehe ebenfalls die hohe diagnostische Bedeutung der „Malariaplasmodien“ hervorzuheben bestimmt ist, schließt die Reihe der aus deutschen Ländern bisher veröffentlichten Bestätigungen der Lehre von den Malariaparasiten, wie sie Laveran, Celli u. a. geschaffen und ausgebaut haben. Doch sei hier noch die Mitteilung L. Martin’s?) anhangsweise erwähnt, der im Spitale Santo Spirito eine Reihe von Blutuntersuchungen bei Malariakranken unter Anleitung Celli’s und Marchiafava’s anstellte und sich dadurch von der parasitären Natur der „Plasmodien“ überzeugte. Von der außerdeutschen Litteratur des Jahres 1890 seien hier zunächst drei Veröffentliehungen Laveran’s*) angezogen. In den- selben wendet er sich unter Wahrung der Priorität der Parasiten- entdeckung, besonders gegen die Hervorhebung der pigmentlosen „Plasmodien“ als wichtigste Form des Parasiten; er spricht sich ab- 4) Brandt, Beitrag zur Malariafrage. (Deutsche mediz. Wochenschrift, 1890, Nr. 39, 8. 864 fg.) 2) Hertel O. und v. Noorden (., Zur diagnostischen Verwertung des Malariaplasmodiums. Aus der Klinik des Geheimrat Gerhardt. (Berl. klin. Wochenschrift, 1891, Nr. 12, S. 300.) 3) Martin L., Ueber die Krankheitserreger der Malaria. (Münch. mediz. Wochenschrift, 1890, Nr. 3.) 4) Laveran: a) Des h&matozoaires du paludisme (Archives de Medecine expe£ri- mentale, T.I, 1889, p. 798; T. III, 1890, p. 1) [Referat im Central- blatt f. Bakt., VII, S. 539]. b) An sujet de l’hematozoaires du paludisme et de son &volution. (La semaine medicale, 1890, Nr. 21) [Referat im Centralblatt für Bakt., VIII, S. 559]. c) De l’examen du sang an point de vue de la recherche de l’h&mato- zoaires du paludisme (La semaine medic., X, 1890, Nr. 53) [Referat im Centralbl. f. Bakt., IX, S. 15]. 414 Spener, Krankheitserreger der Malaria. lehnend über die von italienischen Forschern behauptete Theorie aus, dass die verschiedenen Malariatypen durch verschiedene, genau charak- terisierte Parasitengenera erzeugt werden und behauptet, dass die Verschiedenheit der Fiebertypen vielmehr ihren Grund in der Indi- vidualität des Kranken, in seiner Disposition, seiner Widerstands- fähigkeit suche. Er hält sämtliche im Malariablut gefundenen Formen für verschiedene Entwicklungszustände einer Species, die zu den Sporozoen gehöre. — Eine Reihe von Untersuchungsmethoden schließt er daran. Von der englischen Insel Mauritius berichtet Anderson"), dass es ihm gelungen sei in 11 unter 15 Fällen die Malariaparasiten nach- zuweisen. Aus Russland sind zwei Mitteilungen bekannt geworden. Die erste von Sacharoff?), berichtet von Nachprüfungen der Golgi’schen Befunde, die darnach völlig bestätigt wurden; doch fiel dem Unter- sucher auf, dass neben den in typischem Entwicklungsgange befind- lichen Formen noch eine mäßige Anzahl andere Entwicklungsphasen sich im Blute finden, ein Befund, der ihn zu der Vermutung ver- anlasst, dass entweder mehr als eine Generation bei den typischen Fieber im Blute lebt, oder dass die Parasiten anderer Stadien in der Entwicklung zurückgeblieben sind. Für die quotidianen Fieber konnte er sich den Anschauungen Golgi’s, als seien dieselben doppelte Tertiana- oder Quartana-Formen, nicht anschließen, fand vielmehr eine besondere Parasitenart, die viel kleiner als die Golgi’schen, sich durch den Mangel oder die haufenförmige Lagerung des Pigments, sowie das geringe Wachstum unterschied. In manchen chronischen Malariafiebern will er bei Fortdauer desselben die Parasiten gänzlich vermisst: haben. Titoff?) hebt wiederum die diagnostische Bedeutung der Malaria- parasiten hervor, bestätigt den Entwicklungskreislauf der Tertiana und stellt den Satz auf, dass die Malariaparasiten des gemäßigten Klimas sich nicht von denjenigen des südlichen Klimas unter- scheiden. Auch aus Italien sind noch eine Reihe von Beobachtungen und Abhandlungen veröffentlicht worden, die die früheren Forschungen bestätigen und ausbauen. 4) Anderson (The Lancet, VIII, Vol. 2, 1890) [Referat in Deutsche med. Wochenschrift, 1890, Nr. 36, S. 820]. 2) Sacharoff N., Malaria an der Transkaukasischen Eisenbahn im J. 1889. Mikroskopische Beobachtungen mit Beilage von 12 Mikrophotogrammen. Von der kaiserl. kaukas. mediz. Gesellschaft gekrönte Preisschrift (Tiflis 1890) [Referat im Centralbl. f. Bakt., IX, 1891, S. 16]. 3) Titoff H., Die diagnostische Bedeutung der Malariaparasiten (Inaugural- dissertation, St. Petersburg 1890) [Referat im Centralbl. f. Bakt., IX, 1891, S. 284]. Spener, Krankheitserreger der Malaria. 445 Antolisei!) hat Golgi’s Beobachtungen nachgeprüft und ist zunächst bezüglich der Febris quartana zu dem Resultat gekommen, dass der Entwicklungsvorgang in der angegebenen Weise verläuft; nur soll nach ihm der neue Fieberanfall nicht durch die Invasion der Parasiten in die Blutkörperchen, sondern schon durch den Auscritt der Sporen in die Blutflüssigkeit hervorgerufen werden; demnach soll die Intensität des Fiebers der Zahl der in Teilung begrifienen Formen entsprechen, nicht aber von der Menge der Parasiten überhaupt ab- hängen. Bezüglich des Tertianfiebers und seiner Parasiten hat er die Anschauung gewonnen, dass die Tertiana-Form nicht, wie Golgi will, kleiner als die Quartanageneration sei, sondern dass ihre Größe sogar die doppelte eines roten Blutkörpers bisweilen erreicht. Er konnte ferner beobachten, dass einige pigmentierte Körper bei diesen Parasiten der Tertiana eine Umbildung ihres Protoplasmas erleiden, so dass sich kleine, glänzende, rundliche Körper bilden, aus denen dann protoplasmatische Fäden austreten, ein Bild, das den Geißel- formen Laveran’s gleichen soll. Da nur während dieser Umbildung des Protoplasmas dasselbe eine lebhafte Bewegung zeigt, die nach erfolgter Bildung der Kugeln aufhört, will der Autor in dem Vorgang ein Absterben und in den geißeltragenden Kugeln ein Produkt des Absterbens sehen. Derselbe Forscher hat dann noch mit einem andern, Angelini?), zusammen in den unregelmäßigen Fiebern des Sommers und Herbstes den Entwicklungsgang der diesen Fiebern (nach Beobachtung der Forscher) eigentümlichen Parasitenvarietät der Halbmondformen stu- diert. Sie fanden 3 Arten der Entwicklung dieser Parasitenspeeies: 1) die runden, pigmentlosen, kleinen Amöben vergrößern sich wenig und gelangen vor der Pigmentaufnahme zur Sporulation; 2) dieselben verwandeln sich in rundliche, mit einem einzigen Pigmenthaufen ver- sehene Körper und teilen sich dann; 3) in viel langsamerem Gange gelangen dieselben erst durch die sichel- und halbmondförmigen Phasen zur Sporulation. Diese letzteren Formen, wie überhaupt die Entwick- lungsstadien lassen sich leichter im Milzblut finden. Mit dem Hervorheben der Halbmondformen in diesen Fieber können sich Celli und Marchiafava?°) in einer ihrer letzten Ab- handlungen nicht einverstanden erklären. Dieselbe, zum Zweck der 4) Antolisei: a) L’ematozoo della quartana (Riforma medie., 1890, Nr. 12/13). b) Sull’ ematozoo della terzana (Riforma medic., 1890, Nr. 26/27) [Ref. im Centralbl. f. Bakt, IX, S. 410]. 2) Antolisei e Angelini, Nota sul cielo biologico dell’ ematozoo falei- forme (Riforma medic., 1890, Nr. 54—56) [Referat im Centralbl. f. Bakt., 1891, Nr. 410]. 3) Marchiafava e Celli, Ancora sulle febbri malariche. (Archivio per le secienze mediche, XIV, fasc. 4, 1891.) 416 Carriere, Erwiderung, Wahrung der Priorität gegen Canalis geschrieben, betont, dass der Hauptbefund bei den fraglichen Fiebern die kleine, pigmentlose „Amöbe“ sei, während die Halbmonde mehr als Nebenbefund zu be- trachten seien die vielleicht einer abweichenden Entwicklung ihr Dasein verdanken. Die letzte !) Veröffentlichung des Gebietes ist von Golgi?) ver- fasst. Dieselbe, welche kurz die früher von dem Autor über die Malariaparasiten der typischen Fieber, namentlich der Quartantypen gemachten Beobachtungen rekapituliert, dient besonders zur Einführung und Erläuterung der beigegebenen Photogramme, die zum Teil vor- trefflich ausgeführt, den Entwicklungsgang des Parasiten in deutlicher Weise versinnbildlichen. Es schließt damit die geschichtliche Uebersicht der Forschungen auf dem Gebiet des Malariaparasiten. Die aus den oben erwähnten Forschungen zu ziehenden Resultate, d. h. den jetzigen Stand in der Frage über die Natur des Krankheitserregers der Malaria, soll die zweite Abteilung enthalten. Zu Graber’s Bemerkungen Seite 224 fg. Dem Herrn Kollegen Graber spreche ich meinen besten Dank dafür aus, dass er so freundlich die allgemeine Aufmerksamkeit auf meine harm- lose Darstellung einer interessanten Frage lenkte. Wie leicht wird so etwas vom Leser überschlagen! Er wird wohl damit einverstanden sein, dass ich in meiner Chalicodoma- Entwicklung. bei Besprechung seiner Arbeiten mich nur von ihrem wissenschaftlichen Werte leiten lasse, bis dahin aber auf alle etwa am dieser oder an anderer Stelle folgenden »Bemerkungen«, schweige. Nur noch zwei Worte zu Graber’s rechtzeitiger Selbstverbesserung des Scolopendrella- Lapsus. Sein Aufsatz erschien, IX. Bd. 1. August; in der Nummer vom 1. Dezember findet sich in der That am Ende die Be- richtigung »es könnte in Folge mangelhafter Stilisterung ein Absatz (die von mir Seite 127 zitierten Sätze) so verstanden werden, als ob Scolopen- drella keine eigentlichen gegliederten Abdominalbeine hätte. Umklare und mangelhaft stilisierte Stellen mögen ja bei Graber vorkommen, aber in diesem Falle muss ich ihn in Schutz nehmen, die betreffende Stelle ist klar, fehler- und zweifellos stilistert. Ich muss nur gestehen, dass mir diese »Berichtigung« vorher entgangen war und dass ich anderseits nicht wirklich an einen Lapsus calami, wie ich mich zu höflich ausgedrückt hatte, ge- glaubt habe. J. Carriere. 4) Die Arbeit ist abgeschlossen am 1. April 1891. 2) Golgi C., Demonstration der Entwicklung der Malariaparasiten durch Photographien. I. Reihe: Entwicklung der Amoeba malariae febris quartanae. (Zeitschrift für Hygiene, X, 1, S. 138.) Verlag von Eduard Besold in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI Band. 1. August 1891. Nr. 14. Inhalt: Friedländer, Zur Beurteilung und Erforschung der tierischen Bewegungen. — Spener, Ueber den Krankheitserreger der Malaria (Schluss). — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Zur Beurteilung und Erforschung der tierischen Bewegungen. Von Benedict Friedländer. Das Geschäft der Naturwissenschaft ist, äußere Ereignisse mit der Absicht, sie vorherzusagen, zu erklären. Buckle, Geschichte der Civilisation in England. — Le but de toute science, tant des £tres vivants que des corps bruts peut se caracteriser en deux mots: prevoir et agir. Claude Bernard, Lecons sur les phenomenes de la vie. Im Folgenden will ich versuchen eine, wie ich glaube, unklare Vorstellungsart und eine daran anschließende unwissenschaftliche Forschungsmethode (oder vielmehr eine Methode, die Forschung auf einem gewissen Gebiete ernstlich zu behindern) bis zu ihrer Quelle zu verfolgen und damit einen Beitrag zu ihrer Ausmerzung zu liefern. Es handelt sich um das Gebiet von Erscheinungen, welches im Titel angedeutet ist, um die tierischen Bewegungen ganz im allgemeinen, besonders aber um diejenigen, welche von vielen als „willkürliche“ bezeichnet oder zum mindesten als solche gedacht werden. Die ent- sprechend der Stufenfolge der Lebewesen zunehmende Analogie der tierischen Bewegungen mit unsern menschlichen war und ist noch zum Teil die Ursache und das Maß des Hineintragens anthropo- morpher und psychologisierender Gesichtspunkte in unser Problem. Wir gehen daher von der Betrachtung unserer eigenen „willkür- lichen“ oder bewussten Bewegungen aus. Um möglichst anschaulich zu bleiben, wählen wir eine einzelne konkrete Bewegung, z. B. die willkürliche Bewegung eines Armes. Sicherlich ist die unmittelbare Ursache dieser Bewegung eine Kontraktion gewisser Muskeln; diese hängt wieder ab von der Integrität der entsprechenden Nerven, da sie bekanntermaßen nach Durchschneidung derselben nicht mehr zu Stande kommt. Ist uns nun schon der Mechanismus der Muskel- XI. 27 418 Friedländer, Tierische Bewegung. kontraktion unbekannt, so gilt dies noch mehr von dem Wesen der Nervenerregung. Von dem Verhältnis der beiden lässt sich jedoch mit Bestimmtheit das aussagen, dass es sich um einen sogenannten Auslösungsvorgang handelt, indem die Nervenerregung, welche sehr erhebliche Arbeitsleistungen des zugehörigen Muskels verursacht, durch sehr geringe Energiequantitäten, z. B. durch die so äußerst schwachen Ströme des Bell’schen Telephons bewirkt werden kann. Ob die Fortpflanzung des Nervenprinzips im Nerven selbst ein so einfacher Vorgang ist wie die Fortpflanzung eines Druckes oder Zuges, Schalles oder elektrischen Stromes, oder vielmehr eine Reihe von Auslösungsvorgängen wie zZ. B. die Explosionen von in Reihen geordneten Teilchen einer explosiven Materie, müssen wir unentschie- den lassen. Den normalen Ursprungsort der Nervenerregung kennen wir gleichfalls nicht, wenigstens bei Bewegungen, die ohne äußern Reiz zu Stande kommen. Eine etwaige Funktion der Ganglienzellen kennen wir nicht mit irgend ausreichender Sicherheit, da wir diese nicht ohne anderweitige Verletzungen zerstören können und vor allem nicht wissen, ob eine solche, wenn sie möglich wäre, nicht etwa dazu gehörige Nerven in Mitleidenschaft ziehen würde. Das einzige also, was sich sagen lässt, ist, dass es sich um Auslösungsvorgänge han- delt, bei denen aus dem Verhalten ausgeschnittener Nerv-Muskel- präparate zu schließen, die die Auslösung bewirkende Energiemenge eine sehr geringe sein kann; ziehen wir nun noch die Reizbewegungen des ganzen Organismus in Betracht, so lässt sich vermuten, dass jene Energiemenge auch bei willkürlichen Bewegungen thatsächlich eine sehr geringe sein wird. Versuchen wir einen Schritt weiter zu gehen, so treffen wir auf zwei Vorstellungsarten, die beide ihre An- hänger bis auf die Gegenwart haben. Nach Ansicht der einen sind jene Vorgänge, welche die Nervenerregung und ferner die Muskel- kontraktion verursachen, gleichsam identisch mit unserem Willensakt. Mit jenem „gleichsam“ soll angedeutet werden, dass diese Vor- stellungsweise allerdings eine erhebliche Schwierigkeit mit sich bringt. Man bedenke aber, dass unser gesamtes Naturforschen darauf hinauskommt, dass wir die Regelmäßigkeit in der Aufeinanderfolge von Veränderungen beobachten, sodann experimentell ergründen, welche Bedingungen der einen Veränderung (welche wir aus mehreren Einzelbedingungen zusammengesetzt annehmen) für das Zustande- kommen der zweiten notwendig und zureichend sind. Haben wir so das „Abhängigkeitsverhältnis“ der Qualität nach nachgewiesen, so verbleibt noch die quantitative Messung; ist auch das geschehen, so ist Alles gethan, was überhaupt gethan werden kann; der Zweck der Wissen- schaft, der als Motto dieser Schrift vorgedruckt ist, ist erreicht; wir können überall, wo die erste Veränderung (Zustand) der Qualität und Quantität nach bekannt ist, das Eintreffen der zweiten voraussagen und überall da, wo wir den ersten Zustand mit unsern Mitteln er- Friedländer, Tierische Bewegung. 419 zeugen können, den zweiten willkürlich hervorrufen. Diese Beherr- schung der Natur hat freilich eine allgemeine Regelmäßigkeit der Abhängigkeitsbeziehungen zur Voraussetzung, d. h. die Annahme, dass identische Bedingungen identische Folgen haben. Wenn dies aber nicht der Fall wäre, so wäre jede Vorausbestimmung eines Naturereignisses sowie jede technische Anwendung unmöglich. Die angenommene Regelmäßigkiet — Naturgesetzlichkeit — ist somit kein Dogma, sondern ein thatsächliches Verhalten. So hat die Annahme nicht mehr so etwas außergewöhnliches an sich, dass gewissen — uns noch unbekannten — Veränderungen in unserem Körper das entspricht, was wir als unseren Willen be- zeichnen. Bei dieser Annahme ist es ohne weiteres klar, dass die „be- wussten“ Bewegungen mit derselben Notwendigkeit und Gesetzmäßig- keit von Ursachen abhängen, die teils im Körper, teils außerhalb desselben sich abspielen mögen, wie die Naturerscheinungen überhaupt. Viele werden aber diese Ansicht nicht zu teilen vermögen und ihren Willen als etwas anderes betrachten, als materielle Vorgänge in ihrem Körper. Diese zweite Ansicht zerfällt wiederum in zwei Anschauungsweisen, von denen die erste, was ihre Konsequenzen anbelangt, sich eng an die streng materialistische Anschauungsweise anschließt, während die zweite ganz im Gegensatze dazu für das betreffende Erscheinungsgebiet die Kompetenz einer rationellen For- schung bestreitet. Nach der ersten der angedeuteten Vorstellungs- weisen ist der menschliche Wille zwar etwas besonderes, aber nicht frei, sondern dem Kausalgesetz unterworfen wie alles andere; die zweite hingegen statuiert die sogenannte Willensfreiheit. Im einzelnen verweise ich auf die bekannte klassische Abhandlung von Schopen- hauer, da eine Wiedergabe des Gedankeninhalts in gedrängterer Form kaum möglich ist, ohne dass das Original dabei zu kurz käme. Ich beschränke mich daher hier auf eine kurze Darsteilung der An- sicht von der sogenannten Willensfreiheit, um nachher die für die Naturforschung praktischen Konsequenzen ziehen zu können. Nie- mand kann leugnen, dass die äußern Umstände auf unsern „Willen“ als „Motive“ einwirken, noch auch dass die innern Umstände, d. h. Zustände des Körpers auf unsere Willensthätigkeit gleichfalls Ein- fluss haben. Man erinnere sich nur an die verschiedenen Grade der Müdigkeit, die Wirkung gewisser Gifte (Alkohol) u.s. w. Da dies von Niemand ernstlich in Abrede gestellt werden kann, so bleibt für die Anhänger der Willensfreiheit nur die Möglichkeit anzunehmen, dass zwar die innern und äußern Bedingungen mit einer gewissen Wahr- scheinlichkeit, aber nicht mit absoluter Sicherheit auf die Willens- aktion und damit auf die willkürlichen Bewegungen einwirken. Oder, anders ausgedrückt, es können nach der Ansicht dieser völlig iden- tische Bedingungskomplexe verschiedene Wirkungen haben. Zwar 27* 420 Friedländer, Tierische Bewegung. mag die eine der möglichen Wirkungen mehr Wahrscheinlichkeit für sich haben als die andere, aber selbst die völlige Kenntnis aller Umstände würde keine sichere Vorherbestimmung der Wirkung erlauben. Ganz scharf formuliert finden wir diese Ansicht bei keinem Geringern als Robert Mayer. Diese Anschauung führt ganz notwendig zu einer Zwieschlächtig- keit der ganzen Weltbetrachtung. Die eine Kategorie von Erschei- nungen fände nach unabänderlichen Gesetzen mit absoluter Notwen- digkeit statt. Diese Gesetze könnten wir ergründen und dann die Erscheinungen vorausbestimmen und zum Teil beherrschen; eine zweite Kategorie von Erscheinungen, insbesondere die Bewegungen des Menschen und der höheren Tiere entzögen sich einer exakten Forschung. Wenn im Bereiche der anorganischen Natur einmal eine Erscheinung anders verläuft, als man erwartete, so untersucht man noch einmal die Bedingungen, indem man vermutet, dass der Be- dingungskomplex, der erfahrungsgemäß sonst die erwartete Erschei- nung hervorruft, auch wirklich vollständig gewesen ist; und zeigt sich, dass hier Alles in Ordnung war, so wird man nachforschen, ob nicht zu diesem Bedingungskomplex unvermerkt und unbeabsichtigt eine Bedingung hinzugefügt war, die für gewöhnlich fehlt; wenn dies der Fall ist, wird man sie beseitigen und sehen, ob nun die erwartete Erscheinung eintritt; und gelingt das alles nicht, so nimmt Jedermann an, dass es nur nicht gelungen ist, die „störende“ Ursache ausfindig zu machen, dass eine solche aber notwendig vorhanden sein müsse. Versagt eine Maschine ihren Dienst, so pflegt man vielleicht gleich- sam scherzweise zu sagen: „sie will nicht gehen“, fügt aber sogleich hinzu: „wir wollen einmal sehen, warum sie eigentlich nicht gehen will, was die Ursache sein mag“; unter Ursache versteht man aber nur irgend einen physikalischen oder chemischen Umstand. Wenn eine Pflanze, die als positiv heliotropisch bekannt ist, in einem be- stimmten Falle dies nicht wäre, etwa die umgekehrte Eigenschaft zeige, so würde auch hier wohl noch die überwiegende Mehrzahl der Forscher annehmen, dass hier eben ein besonderer (gewöhnlich nicht vorhan- dener) physikalischer oder chemischer Umstand die Ursache sei und sich bemühen diesen zu eruieren. Anders im Gebiete der Tier- psychologie: Das „Wollen“ oder „Nieht-Wollen“ gilt bei Manchen anscheinend als eine „Erklärung“. Betrachten wir aufmerksam eine Anzahl von Tieren, etwa einen Ameisenhaufen, oder denken wir uns, wir sähen aus der Vogelper- spektive auf das Getriebe der Menschen in einer großen Stadt; lassen wir einmal alle die landläufigen psychologischen Gesichtspunkte bei Seite und beobachten mit denselben Augen wie der Astronom den Lauf der Himmelskörper, der Meteorologe die Formen und Bewegungen der Wolken, der Physiker beliebige Anziehungs- und Abstoßungs- vorgänge oder der Chemiker irgend eine chemische Reaktion. Was Friedländer, Tierische Bewegung. 421 uns da auffallen muss, wie ich denke, d. h. was die Bewegungen jener belebten Naturkörper einigermaßen auszeichnet, (obwohl sich ähnliche Verhältnisse auch bei manchen Bewegungen anorganischer Naturkörper zeigen) ist zweierlei: erstens eine anscheinende Unregel- mäßigkeit, zweitens die sogenannte Reizbarkeit, d.h. die Eigentümlich- keit, dass die geringfügigsten Veranlassungen die größten Wirkungen unter Umständen nach sich ziehen. Einige Ameisen bewegen sich gar nicht, andere laufen hierhin, jene dorthin, hinein, heraus u. 8. w. in beständigem Wechsel. Berühren wir hingegen die eine oder die andere oder „reizen“ sie in anderer Weise, so übt oft der geringste Reiz die größte Wirkung aus. Wir nehmen hingegen weder „Willens- akte“ noch „Empfindungen“ der Tiere wahr. Betrachten wir nun einen einzelnen jener belebten Naturkörper näher und experimentieren mit ihm systematisch, so stellt sich alsbald heraus, dass zahlreiche Be- wegungen mit größter Regelmäßigkeit unter bestimmten Bedingungen sich einstellen; für viele andere will uns zunächst das Gegenteil scheinen; sie treten — scheinbar — regellos, so zu sagen capriciös, unerwartet auf. Eine genauere Betrachtung, umsichtige und ohne mystische Hintergedanken unbefangen angestellte Versuche haben aber ergeben, dass gar manche der anscheinend regellosen Be- wegungen dennoch regelmäßige Folgen äußerer Ursachen sind, die wir daher vorherbestimmen und beherrschen können. Doch ver- bleiben immerhin noch gar manche, bei denen das bisher nicht ge- lungen ist. In der anorganischen Natur ist das aber im Grunde nicht anders. Die Bewegungen vieler Gestirne und die allgemeinen Gesetze ihrer Bewegung sind zwar in großem Maßstabe und teilweise sehr genau bekannt; die astronomischen Erscheinungen, welche im voraus be- rechnet sind, treffen pünktlich ein; die meteorologischen Phänomene spotten aber bisher noch im allgemeinen einer exakten Voraus- bestimmung. Kein Naturforscher zweifelt aber daran, dass daran nichts als unsere bisher nicht zureichende Kenntnis oder die allzu große Kompliziertheit jener Sehuld ist. Auch Bewegungen, die auf verhältnismäßig einfachen und uns ganz gut bekannten Beziehungen beruhen, können unter Umständen in so verwickelter Gestalt auf- treten, dass die Vorherbestimmung nicht wohl möglich ist; wer wollte im voraus berechnen, wo z. B. 10 Blätter Papier zur Ruhe kommen werden, die ich 10 m in genau bestimmten Anfangslagen herabfallen lasse? Und doch wird Niemand daran zweifeln, dass hier nur die bekannten Gesetze des Falls, der schiefen Ebene, des Luftwider- standes u. s. w. in Frage kommen, und dass, wenn etwa uns noch nicht bekannte Gesetze im Spiele sein sollten (zu welcher Annahme hier kein Grund vorliegen dürfte), doch auf jeden Fall die Bewegungen jedes der 10 Blätter mit absoluter Notwendigkeit stattfinden müssen. An alle Erscheinungen aber, die der Vorausbestimmung und Beherrschung 4922 Friedländer, Tierische Bewegung. sich entziehen, knüpft der Aberglaube an. Zwar machen wir bei Sonnenfinsternissen keinen Lärm mehr, wie die „Wilden“, aber noch ganz kürzlich wurden „Bittgebete“ veranstaltet behufs Verbesserung der Witterung; es sollte nämlich regnen. Und wirklich regnete es einige Zeit darauf, wie es ja auch den Wilden gelingt, die Sonnen- finsternis nach wenigen Minuten zu beenden. Aus der Lage der Karten glauben noch viele die Zukunft zu ergründen. Mit Entsetzen gewahrt der Naturforscher, auf wie niederem Niveau die Bildung eines großen Teils des Volks sich befindet. Was aber übersehen wird, ist die traurige Thatsache, dass in Bezug auf das hier behandelte Problem die Physiologen und Zoologen oft auf einer nicht sonderlich höhern Stufe stehen. Was sollen die Worte „Wille“ und erst gar „Instinkt“? Solche Worte sind nicht etwa als unschuldige Lücken- büßer unserer Unwissenheit anzusehen. Sie sehen so aus, als wenn sie Erklärungen wären; wenn man sagt: das Tier macht diese Be- wegung, weil es will oder weil der Instinkt es ihm vorschreibt. Falsche Erklärungen sind weit schlimmer als gar keine, noch schlimmer aber jene leeren Redensarten; sie wirken einschläfernd auf den Geist der Forschung und verzögern den Eintritt einer wirklichen Erkenntnis. Schon lange hat vielleicht der Leser, der mir bis hier gefolgt ist, den Einwand bei sich ausgesprochen oder doch ein gewisses Widerstreben gefühlt, meinen Ausführungen zuzustimmen. Es könnte nämlich den Anschein gehabt haben, als ob das sogenannte „Psy- chische“, die Empfindung, der Wille der Lebewesen einfach geleugnet werden sollte. Die Vorstellung, dass andere Menschen im Ganzen ähnlich em- pfinden, denken, wollen, wie man selbst, ist eben einmal nicht ab- zuweisen. Wer das ernstlich in Abrede stellte, dürfte konsequenter Weise diese seine Ansicht in keiner Weise äußern; denn seine Worte könnten doch wohl keinen andern Zweck haben, als ähnliche Vor- stellungen bei Hörern oder Lesern zu erregen, womit erwiesen wäre, dass es jenem Autor mit seiner angeblichen Meinung nicht Ernst gewesen sein kann. Es soll also die Empfindung, der Wille u. s. w. mit nichten ge- leugnet werden. Es wäre das durchaus verkehrt, da es, wie aus- geführt, Niemand im Ernste einfallen kann, die Fähigkeit seiner Mitmenschen zum Empfinden und Wollen in Abrede zu stellen. Gibt man aber das einmal zu, so lässt sich vernünftigerweise innerhalb der absteigenden Stufenfolge des organischen Lebens keine Grenze ziehen, wo Wille und Empfindung aufhören sollte; ja noch mehr, man wird geneigt sein, Empfindung und Willen auch auf die unbelebte Natur auszudehnen. Dieser Gedanke ist durchaus nicht neu, wer z.B. die Werke Schopenhauer’s kennt, wird sofort nahe Berührungspunkte mit der hier skizzierten Anschauungsweise vorfinden. Es ist aber streng festzuhalten, dass solche Spekulationen über nicht experimentell kon- Friedländer, Tierische Bewegung. 423 trolierbare Dinge, wie Wille und Empfindung anderer Wesen außer- halb des Bereichs der Wissenschaft liegen; sie mögen immerhin dazu dienen die gesamte Weltanschauung einheitlicher und harmonischer zu gestalten, können aber niemals zu wissenschaflichen Erklärungen gebraucht oder vielmehr zu Scheinerklärungen gemissbraucht werden. Vielleicht kann man auch zugeben, dass in den Fällen, wo Tiere unter bestimmten Bedingungen sich ähnlich verhalten, wie Menschen es unter denselben Bedingungen thun, man berechtigt sei, das Vor- handensein ähnlicher „Empfindungen“ vorauszusetzen; mit eigent- licher Wissenschaft haben solehe Annahmen nichts zu thun; der an die Scholastik erinnernde oder vielmehr mit ihr wesentlich identische Fehler beginnt aber erst dann, wenn die „Empfindung“ als Ursache der Bewegung bezeichnet wird. Die Bewegung eines Lebewesens wird durch die Unterschiebung oder Einschiebung eines „verursachen- den Willens“ oder gar „Instinkts“ um nichts klarer; so wenig als die Thatsache, dass vom galvanischen Strom umflossenes Eisen ein an- deres Eisenstück anzieht, dadurch „erklärt“ oder verständlicher würde, dass man sagte, jenes Eisen „empfände“ die Elektrizität und „wolle“ nun das Eisen anziehen; oder sowenig als die Auslösung der Ex- plosion des Gemisches von Chlor und Wasserstoff durch kurzwelliges Lieht erklärt oder verständlicher würde, indem man sagte, dieses erregte in den betreffenden Atomen den „Willen“ sich miteinander zu verbinden. In letzter Instanz haben alle wissenschaftlichen Er- kenntnisse die Form, dass erfahrungsmäßig gewisse Erscheinungen eintreten, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind. Insbesondre dann, wenn beide, die („ursächlichen“) Bedingungen und die erfolgenden Erscheinungen „Wirkungen“, messbare Größen sind, ist es klar, dass wir, ohne der Sprache Gewalt anzuthun, die Wirkung „Funktion“ im Sinne der in der Mathematik üblichen Bezeichnungsweise nennen können. So ist bekanntlich die Anziehungskraft zweier gegebener Massen die Funktion ihres Abstandes, d. h. wenn wir zwei Massen in einen bestimmten Abstand bringen, so ist ihre Beschleunigung von jenem Abstande abhängig und in diesem Falle bekanntlich dem Qua- drate desselben umgekehrt proportional. Diese Beziehung ist eine empirisch festgestellte und im allge- meinen ist in der Wissenschaft alles „empirisch“ festgestellt. „Erklärt“ nennen wir eine Erscheinung, wenn wir sie als notwendige Folge einer oder mehrerer soleher bekannter Beziehungen erkennen. Das Wort „empirisch“ wird nun oft in einer gleichsam schiefen und leicht Unklarheit erzeugenden Manier gebraucht. Oft hört man sagen, die Medizin sei eine „bloß“ empirische Wissenschaft; das ist nun zweifellos richtig, dass wir nur empirisch, d. h. aus Erfahrung wissen, dass z. B. Chinin das Malariafieber vertreibt (wir nehmen zur Bequem- lichkeit an, es helfe immer). Richtig ist ferner, dass man mit dem Worte „bloß“ andeutet, es müsse hier noch untersucht werden. wie 494 Friedländer, Tierische Bewegung. die Wirkung zustandekomme; wir kennen nämlich keine allgemeine Beziehung zwischen Chinin und Temperatur. Zwischen dem Nehmen des Chinins und dem Sinken der Temperatur besteht ein ursächlicher Zusammenhang; es ist aber kein unmittelbarer, sondern zwischen den beiden Veränderungen liegen wahrscheinlich zahlreiche andere, uns noch unbekannte. Erst wenn die ganze Reihe bekannt ist, nennen wir die Erscheinung „erklärt“. Anschaulicher wird die Sache noch, wenn wir ein Beispiel nehmen, wo uns die Kette der kausalen Be- dingungen bekannt ist, und wenn wir im Anfange fingieren, es sei das nur mit den Endgliedern der Fall. Stellen wir uns z. B. vor, das Telephon sei eine Einrichtung, die wir in der freien Natur vor- fänden. Es würde so funktionieren, wie es jetzt funktioniert; sprechen wir auf der einen Seite hinein, so hört man auf der andern Seite die Worte. Nichts würde uns hindern, das Ding so zu benutzen, wie wir es jetzt benutzen; es würde auch durchaus richtig sein, zu sagen, dass das Sprechen auf der einen Seite die Ursache sei, dass wir es auf der andern hören. Wir könnten auch in dem Falle, dass der Apparat Worte vernehmen lässt, sagen, das sei erklärlich, weil auf der andern Seite hineingesprochen sei — denn erfahrungs- gemäß höre man dann regelmäßig die Worte auch auf dieser Seite. Nennen wir das Sprechen auf der einen Seite «, und das Vernehm- lichwerden auf der andern d, so können wir sagen, d sei eine Funktion von a. Die Konstatierung dieses Abhängigkeitsverhältnisses ist der erste Schritt. Wir könnten uns dabei aber nicht beruhigen, denn wir kennen kein allgemeines Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Sprechen auf der einen und dem Hörbarsein auf der andern Seite auf so große Entfernungen. Schrittweise die Sache erforschend würden wir finden, dass das Hörbarwerden (5) von Schwingungen der Stahlplatte (x), diese von Intensitätsänderungen der magnetischen Anziehung (y), diese hingegen von elektrischen Strömen (z) herrührt; die Ströme ihrerseits haben ihren Ursprung in Intensitätsänderungen des Magnetismus im zweiten Magnetstabe (u), letztere aber in Schwingungen der zweiten Stahl- platte, diese endlich in dem Sprechen « auf der Aufgabestation. So führten wir die vorher konstatierte Funktionalität zwischen a und 5 darauf zurück, dass d Funktion von x, x von y, y von 2 und 2 von u, u aber von a ist. In unserem Falle aber sind bis jetzt diese dazwischen liegenden Abhängigkeitsverhältnisse als einfachste und allgemeinste anzusehen !). Mit dem Fortschreiten der Wissen- schaft wird es vielleicht gelingen, viele der bisher als relativ ein- fach und irreduetibel Funktionalitätenangesehenen in noch einfachere zu zerlegen; ähnlich wie mit den Grundstoffen oder Elementen in der 4) Wir dachten uns zwei miteinander verbundene Bell’sche Telephone ohne Mikrophon und ohne konstanten Strom. Friedländer, Tierische Bewegung. 425 Chemie. In letzter Instanz ist aber unser gesammtes Naturwissen nichts als die Kenntnis solcher Funktionalitäten. Die Aufgabe des Naturforschers ist es, Abhängigkeitsverhältnisse aller Art zu konstatieren und dann womöglich in der skizzierten Weise in allgemeinere und einfachere aufzulösen. Die einfachsten und allgemeinsten sind aber diejenigen, die wir als physikalische und chemische Gesetze kennen. (Die Aufgabe des Technikers da- gegen ist die Zusammensetzung, wie ich mich hier kurz ausdrücken will, da der Sinn aus obiger Auseinandersetzung wohl nicht zweifel- haft sein kann). Oft genug mag nun diese Auflösung verwickelterer und speziellerer Beziehungen in einfachere und allgemeinere nicht ausführbar sein, wenn nämlich letztere vorderhand gar nicht oder nur zum Teil bekannt sind. Denken wir wieder an das als Natur- einrichtung gedachte Telephon, so wäre offenbar die Auflösung der ursächlichen Beziehungen zwischen dem Sprechen in den einen Ap- parat und dem Vernehmbarwerden auf der andern Seite nicht aus- führbar, wenn uns nicht gewisse einfachere und allgemeinere Be- ziehungen, und zwar hier gewisse als akustische, elektrische und elektromagnetische Gesetze bezeichnete Abhängigkeitsverhältnisse be- kannt wären. Leicht könnte aber die Untersuchung selbst der Anlass zum Bekanntwerden dieser werden. — Niemand wird sich z.B. bei der Konstatierung der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen den Richtungen der Lichtstrahlen und gewissen Bewegungen von Tieren und Pflanzen beruhigen wollen; aber Niemand kann leugnen, dass mit eben jener Konstatierung der erste Schritt gethan ist. Es verbleibt nun noch die Aufgabe, jene Abhängigkeitsverhältnisse auf einfachere und all- gemeinere zurückzuführen. Inwieweit das jetzt schon möglich ist bei dem augenblicklichen Stande unserer chemischen und physikali- schen Kenntnisse, ist nicht abzusehen. Aber das kann nicht scharf genug betont werden, dass mit bloßen Worten wie „Wille“ und „Instinkt“ nichts klarer gemacht wird. Auch die Annahme gewisser Einflüsse von „Gewohnheiten der Vorfahren“ nützt nichts; denn die unmittel- baren Ursachen einer Bewegung müssen gegenwärtige sein. Dagegen mag, wie angegeben, das gleichsam ästhetische Bedürfnis nach Ein- heit die Anschauung berechtigen, dass z. B. die heliotropischen Be- wegungen der Pflanzen wie der Tiere mit Empfindung und Willen verbunden sind, und zwar deswegen, weil man diese bei unsern Mit- menschen notwendig annehmen muss, und wohl die Bewegungen zunächst der höhern Tiere, weiterhin auch der niedern, dann auch der Pflanzen und wenn man will auch der anorganischen Natur nicht unter verschiedene Gesichtspunkte bringen will. Nur die wüste Vor- stellung des sogenannten „freien Willens“ wäre ein Einwand gegen unsere Betrachtungsweise. Sie würde besagen, dass mitunter absolut identische Bedingungen verschiedene Folgen haben können. Diese Annahme würde die Forschung nach den Ursachen der tierischen 496 Friedländer, Tierische Bewegung. Bewegungen so zu sagen mattsetzen. Umgekehrt wird man schließen dürfen, dass die schon jetzt erreichten Resultate (z.B. Loeb, der Helio- tropismus der Tiere und seine Uebereinstimmung mit dem Helio- tropismus der Pflanzen. Würzburg 1890; und andere Schriften des- selben Autors) die Annahme eines freien Willens auch für die- jenigen sehr unwahrscheinlich machen muss, die etwa infolge anderer Einwirkungen, insbesondere religiöser, dieselbe nicht von vornherein abzuweisen geneigt sind. Aus unseren Betrachtungen folgt noch eine weitere Schlussfolgerung, die eigentlich mehr in das Gebiet der so- genannten Erkenntnistheorie gehört. Die Thatsache allein, dass es sonst ganz normale Menschen gibt, welche an der „Willensfreiheit“ festhalten, beweist augenscheinlich, dass auch die Annahme eines allgemeinen notwendigen Zusammenhangs der Erscheinungen, die so- genannte Kausalität, nicht aprioristischer Natur ist, wie von vielen angenommen zu werden scheint. Denn jene Anhänger der Willens- freiheit führen manche Erscheinungen (z. B. menschliche Bewegungen) auf „Willensakte“ zurück. Diese sind nach ihrer Ansicht die Ur- sache jener. Die sogenannten Willensakte ihrerseits aber sind von andern Ursachen zwar einigermaßen „beeinflusst“, aber nicht ein- deutig und mit Notwendigkeit bestimmt; also sind es auch jene Be- wegungen nicht. Mithin gilt für jene Bewegungen die Kausalität nicht. Sogenannte aprioristische Anschauungen müssten aber allen Menschen gemeinsam sein; da das nicht der Fall ist, ist das soge- nannte Prinzip der Kausalität durch Erfahrung gewonnen, indem uns diese nämlich lehrt, dass identische Bedingungen identische Folgen haben. Scheinbare Ausnahmen lassen sich regelmäßig darauf zurück- führen, dass die Bedingungen doch nicht identisch waren. Je kom- plizierter der verursachende Bedingungskomplex, um so schwerer ist die Identität zu konstatieren. Das gilt in hervorragendem Grade für die organische Natur. Ich wurde auf die hier auseinandergesetzten Probleme zuerst aufmerksam durch Lektüre der Schriften von J. Loeb, sowie per- sönliche Unterhaltungen mit diesem Autor. Auch ‘den Schriften von Mach verdanke ich manche Anregung. Aber auch sonst mache ich nicht den Ausspruch, hier originale Ideen entwickelt zu haben. Der Nachweis, dass die Zurückweisung des „Willens“ und überhaupt der psychologischen Gesichtspunkte als Erklärungsgrund nicht iden- tisch ist mit der Leugnung desselben, mag manche ge- neigter machen, jener Säuberung der Physiologie von bloßen Worterklärungen, die unsere Unwissenheit ver- schleiern und dadurch der Aufklärung hinderlich sind, beizupflichten. Bei näherem Zusehen zeigt sich auch, dass nicht nur im Gebiete der organischen, sondern auch der anorganischen Naturwissenschaft die psychologisierenden Scheinerklärungen regel- mäßige Früchte der jeweiligen Unkenntnis sind, die ihrerseits wieder Friedländer, Tierische Bewegung. 497 zur Stütze derselben werden. Der Grund, solche Scheinerklärungen aufzustellen, liegt wohl darin, dass man etwas zu gewinnen scheint, wo vorher gar nichts war; es sieht so aus, als ob man die Sache erklärt hätte. Man vergisst aber, dass jener Gewinn schlimmer als ein bloß imaginärer ist, indem er sich der unbefangenen Forschung entgegenstell. Wer wird Zeit und Arbeit an Dinge verschwenden wollen, die angeblich erklärt sind? Wer sich aber doch diesem Zweige der Naturforschung zuwendet, wird nur allzuleicht dem gleichen Fehler verfallen. Vielleicht wird der eine oder der andere mir den Einwand machen, diese Ausführungen seien deswegen belanglos, weil jeder sie ohne weiteres anzunehmen bereit sei, weil jene Worterklärungen wenigstens heutzutage nicht mehr ihr Unwesen trieben. Nur aus diesem Grunde muss ich wenigstens an einem Beispiele zeigen, dass dem doch so ist. Wählen wir z. B. eine Stelle aus den Schriften von W. Preyer: Es heißt da (Biolog. Zeitfragen S. 202, 203, 217, 218—219): „Also kann das Protoplasma für sich schon messen und zählen und wägen und — man scheut sich es auszusprechen — die Menge des für den Teilspross erforderlichen Materials bereehnen. Oder will man das Instinkt nennen? Dann muss, um ihn zu erwerben, das Protoplasma Gedächtnis haben.“ Charakteristisch ist das „man scheut sich es auszusprechen“. Mit nahezu demselben Rechte könnte man die chemischen Aequivalentzahlen auf Wägungs- oder Rechenkünste der chemischen Elemente zurückführen. — Rekapitulieren wir kurz unsern Gedankengang und ziehen die für die Forschungsmethode wichtigen praktischen Schlüsse. Die Wissenschaft hat es nur mit der Beobachtung zugänglichen Er- scheinungen zu thun; in unserem Falle mit den Bewegungen der Organismen. Ihre Aufgabe ist, die Kausalbeziehungen derselben zu ergründen, d. h. in unserem Beispiel die (im Organismus wie außer- halb desselben liegenden) Ursachen, also die notwendigen und aus- reichenden Bedingungen jener Bewegungen zu erforschen. Das Mittel dazu ist im allgemeinen das Experiment. Nachdem dies geschehen ist, bleibt die — bis jetzt vielleicht in vielen Fällen unerfüllbare — Forderung, die gefundenen Abhängigkeitsverhältnisse als die Anfangs- und Endglieder einer Kette ursächlicher Beziehungen einfachster und bekannter Art, also physikalischer und chemischer, nachzuweisen. Ist dies geschehen, so ist Alles „erklärt“ und die Möglichkeit des „pre- dire et agir“ Claude-Bernard’s gegeben. Man darf nur nicht vergessen, dass der Begriff „einfachste“ Beziehungen ein relativer ist. Das Gravitations- und Trägheitsgesetz ist bislang z. B. ein ausge- zeichnetes Beispiel einer solchen. Dasjenige Phänomen, welches sich als Einzelfall unter jene Gesetze einreihen lässt, gilt für „erklärt“. Damit ist aber nicht gesagt, dass jenes Gesetz für immer die ein- fachste der bekannten Beziehungen bleiben müsse. Vielleicht kommt 498 Friedländer, Tierische Bewegung. die Zeit, wo die Massen- Anziehung als Folge anderer, noch ein- facherer Beziehungen sich ergründen lässt. Der schlimmste der denkbaren Abwege von einer wahrhaft wissenschaftlichen Methode ist die Anzweiflung der Allgemeingiltigkeit des Kausalgesetzes, worauf der Aberglaube vom freien Willen schließlich herauskommt. Er be- streitet die eigentliche Erforschbarkeit der betreffenden Erscheinungen. Er wird erzeugt durch die anscheinende Unregelmäßigkeit der tieri- schen Bewegungen und die bisherige fast absolute Unwissenheit be- treffs ihrer Ursachen. Nahezu ebenso schlimm und in wissenschaft- lichen Kreisen verbreiteter ist der Wahn, dass trotz Leugnung des „freien“ Willens doch „Wille“, „Instinkt“ und ähnliche Worte als „Ursachen“ angegeben werden, wohl gar noch in Verbindung mit so- genannten phylogenetischen Spekulationen. Dieser Abweg ist eine Folge der Unklarheit darüber, was man unter einer wissenschaftlichen „Erklärung“ zu verstehen habe. Eine fernere Ursache endlich für die sonst auffällige Erscheinung, dass jene Abwege noch heute begangen werden, scheint darin zu bestehen, dass manche die grundsätzliche Fernhaltung derselben mit einer Leugnung „subjektiver“ Empfindungen anderer Lebewesen verwechseln. Den im übrigen vortrefflichen Arbeiten von J. Loeb kann vielleicht insofern ein leiser Tadel nicht unerspart bleiben, als sie dem zuletzt erwähnten Irrtum einigen Vorschub leisten könnten, freilich nur dadurch, dass gegen die fragliche Verwechslung nicht ausdrück- lich Verwahrung eingelegt wird. Es sei gestattet, an noch einem Beispiele zu veranschaulichen, dass die anscheinende Regellosigkeit von Bewegungen wie in unserem Beispiel eines Ameisenhaufens keinen Anlass geben darf, an der völligen Gesetzmäßigkeit zu zweifeln, und an der Möglichkeit der Ergründung derselben zu verzweifeln. Es wäre einem geschickten Techniker sicherlich ein Leichtes, einen Apparat zu konstruieren, dessen Bewegungen den Anschein völliger Regellosigkeit darböten. Denken wir uns beispielsweise eine durch Aceumulatoren betriebene elektrische Lokomotive, an welcher außerdem elektrische Schellen und andere Vorrichtungen angebracht sein sollen. Es wäre nun nicht schwierig, durch mikrophonartige Kontakte, Quecksilberkontakte, Selenzellen u. s. w. eine äußerst komplizierte und sehr empfindliche Abhängigkeit der verschiedenen Bewegungen des Apparats vom Schall, Temperatur, Luftdruck, Beleuchtung zu erreichen. Die weitere Aus- führung dieser Idee kann der Phantasie des Lesers überlassen bleiben. Nur will ich hervorheben, dass es jedenfalls anginge, die Sache so einzurichten, dass eine Vorausbestimmung der Bewegungen äußerst schwierig würde infolge großer Kompliziertheit, Wechselwirkung und Empfindlichkeit für sehr geringe Aenderung der bewegungsbestim- menden Ursachen. Das Auffallende dieser Konzeption verschwindet, wenn wir bedenken, dass der Techniker ganz im Gegensatz zu der Spener, Krankheitserreger der Malaria. 429 hier angenommenen Maschinerie darauf ausgeht, Apparate zu bauen, deren Bewegungen sehr leicht vorherbestimmbar und beherrschbar sind. Zum Schlusse hebe ich noch einmal hervor, dass ich mir wohl bewusst bin, nicht etwas eigentlich Neues gebracht zu haben. Im Gegenteil, die zu Grunde liegenden Gedanken sind sogar sehr alt. Wohl aber ist eine Hervorhebung und Veranschaulichung derselben bis auf den heutigen Tag leider nicht überflüssig geworden. Ueber den Krankheitserreger der Malaria. Zusammenfassender Bericht. Von Dr. C. Spener. (Schluss..) 1a Wie die oben mitgeteilten Forschungen ergeben, hat als Erreger der Malaria ein Mikroorganismus zu gelten, der sich in seinen morpho- logischen und biologischen Eigenschaften ganz bedeutend von den- Jenigen Organismen unterscheidet, die bis jetzt als Erreger einer großen Reihe von Infektionskrankheiten gekannt sind. Er tritt uns als ein in den roten Blutzellen schmarotzendes Lebe- wesen entgegen und zeigt sich, wie alle Forscher betonen, besonders in zwei Haupttypen, die auch hier auseinander gehalten werden sollen. Der eine Haupttypus, „das amöboide Stadium“, als dessen Charakteristieum wir die Eigenbewegung, und dessen Grundtypus die runden Protoplasmakörper bezeichnen, hat zwei Hauptphasen. Die erste, die „vegetative Phase“ dient hauptsächlich der Entwicklung des Parasiten und führt ihn von seinem Jugendzustand einer Reife entgegen, die zur Bildung von neuen Jugendformen, zur Erzeugung neuer Generationen führt und als „reproduktive Phase“ bezeichnet wird. In der vegetativen Phase erscheint er zunächst in der Form eines Gebildes, das als „Amoeba“ oder „Plasmodium“ be- zeichnet werden kann. Seine Gestalt ist vorwiegend rund, doch infolge der dem Organismus eigenen Bewegungsfähigkeit sehr wechselnd; der zentrale Teil scheint in der Dicke hinter dem Rand zurückzustehen, so dass der ganze Körper etwa die Form einer bikonkaven Linse darbietet; durch den verdünnten mittleren Teil sieht man häufig die hämoglobin- farbene Substanz des roten Blutkörperchens durchschimmern und kann daher die Form mit einem Ring, ja, wenn jener verdünnte Teil nicht genau in der Mitte liegt, sondern der Rand an einer Stelle eine be- deutendere Ausdehnung hat, mit einem Siegelring vergleichen. Die Größe dieses Körpers schwankt; sie wird am besten nach den roten Blutscheiben bestimmt und beträgt !/,, bis !/, der Größe derselben. Diese Schwankungen sind nicht nur durch das Wachstum 430 Spener, Krankheitserreger der Malaria. des Parasiten bedingt, sondern auch als deutliches Unterscheidungs- merkmal einiger Formen konstant vorkommend. Die Farbe desselben ist als weiß-grau zu bezeichnen, jedoch wohl nur als ein Ausdruck seines fast homogenen, hyalinen Inhalts zu erklären. Von der Struktur des Parasiten ist zu sagen, dass derselbe sich auf den ersten Blick als gleichmäßig durchsichtige protoplasma- tische Masse zeigt; erst bei längerer Betrachtung, wenn der Blick sich für die sehr zarten Objekte geschärft hat, gelingt es, eine peri- phere, diekere und glänzendere Schicht, das Ektoplasma, und von ihr allseitig, doch nicht in gleichmäßiger Dicke umgeben, eine innere, weniger glänzende, bisweilen feinkörnige Substanz, das Entoplasma, zu erkennen. Die letztere, bisweilen exzentrisch liegend, scheint, wie schon bemerkt, häufig sehr dünn, so dass sie entweder als hellerer „Kern“ erscheint oder das rote Blutkörperchen mehr oder weniger deutlich durchschimmern lässt; es scheint sogar auch zuweilen ein Teil des Hämoglobins in dem Parasiten eingeschlossen zu sein. An Stelle des inneren, helleren Teiles sind auch zwei bis drei scheinbar von einander getrennte oder nur durch eine Brücke ver- bundene dunklere Punkte oder Körperchen gesehen worden. Diese Struktur tritt durch die Färbung noch viel deutlicher zu Tage. Bei Anwendung von Methylenblau erscheint das Ektoplasma als ein dunkel- blauer Ring, von manchmal geschlängeltem Verlauf, mit einzelnen intensiver gefärbten Punkten; das Entoplasma dagegen färbt sich gar nicht oder wenig, nur in der Mitte zeigt sich zuweilen ein hellblauer Punkt. Von einigen Forschern wird das Entoplasma als Kern ange- sehen, an dem sie auch eine zarte, oft undeutliche Kernmembran, Kernsaft und Kernnetz mit Kernkörperchen unterscheiden. — Die Beobachtung, dass an den extrazellulären, freien Amöben geißelartige Anhänge zu finden seien, möge hier anhangsweise erwähnt werden. Die Umrisse des eben beschriebenen Körpers sind sehr undeut- lich; nur im Zustande völliger Ruhe lässt sich ein einfacher, zuweilen gezahnter Kontur konstatieren. Diese Formen liegen meist in den roten Blutkörperchen, zu- weilen zentrisch, häufiger jedoch exzentrisch, ragen auch wohl mit Teilen ihres Leibes aus demselben hervor. Einige Beobachter geben an, dass sie auch frei vorkommen im Blutplasma. In den roten Blutkörperchen beträgt ihre Zahl selten mehr als eins. Von ihren biologischen Eigenschaften heben wir zunächst ihre Beweglichkeit hervor. Ihre Bewegung ist eine ausgesprochen amöboide, sie entspricht ungefähr derjenigen der Süßwasseramöben und verläuft scheinbar etwas schneller als die der weißen Blutkörperchen: Fingerförmige Fortsätze von verschiedener Länge und Form, die deutlich vom Ekto- Spener, Krankheitserreger der Malaria. 431 plasma ausgehen und lebhaften Glanz zeigen werden, herausgestreckt und geben den Parasiten die verschiedensten Formen!); bald er- scheinen dieselben sternförmig, bald kreuzförmig; bald ziehen sie sich sehr in die Länge und kehren dann wieder zur runden Form zurück, um von neuem das Spiel zu beginnen. Die Fortsätze färben sich auch sehr intensiv, so dass sich auch im farbigen Bilde die ver- schiedenen Formen fixieren lassen. Die Dauer dieser Bewegung ist sehr verschieden; sie sind bis zu 4!/, Stunden nach Anfertigung des Präparates als bewegungsfähig beobachtet worden, auch ohne dass dabei die Temperatur künstlich erhöht worden wäre. Ein zweiter Bewegungsmodus besteht in einfachen Kon- traktions- und Expansionsbewegungen und verändert die Form nur zeitweise. Ferner ist eine Bewegung des Protoplasmas beobachtet worden, die in einem Strömen eines Teiles derselben in bestimmten Wegen bestand, die sich durch den ruhigen Teil des Protoplasmas hindurchzogen. Endlich ist auch hier noch der Bewegung zu gedenken, die den oben erwähnten geißelartigen Fortsätzen zuzuschreiben wäre. Alle diese Bewegungsarten aber werden unbemerkbar nach dem Tode des Kranken, namentlich hört die amöboide Bewegung dann auf, die Parasiten werden rund, verkleinern sich und scheinen aus dem Blutkörperchen auszutreten. Diese amöboide Bewegung scheint auch hier, wie bei anderen Amöben, neben der Ortsveränderung auch die Ernährung des Parasiten zu bezwecken; es ist wenigstens beobachtet, dass durch diese Fortsätze, die anfangs ausgestreckt sich mit dem freien Ende dem Parasitenleib wieder genähert und angeschlossen haben, Teile des Hämoglobins in den Parasiten eingeschlossen werden, um dort zu Melaninkörnern verwandelt zu werden. Das Verhalten der Parasiten gegen äußere Einflüsse entspricht im allgemeinen den Verhältnissen anderer Mikroorganismen; auch sie werden durch schon geringere Kältegrade in ihren vitalen Eigenschaften herabgesetzt und schließlich ertötet; auch höhere Wärmegrade, die anfangs die amöboide Beweglichkeit erhöhen, führen zum Absterben der Parasiten, ja sogar die einfache Belich- tung des Präparates durch den Spiegel des Mikroskopes lässt die untersuchten Formen degenerieren. Gegen chemische Reagentien sind sie im ganzen auch sehr empfindlich: Reines destilliertes Wasser, Kochsalzlösung von 0,5 bis 0,75 °/,, sowie eine der Pacinischen Flüssigkeiten (Hydrarg. bichlor. 1,0; Natr. chlor. 4,0, Acq. dest. 200 g), ferner verdünnte Mineralsäuren, organische Säuren und verdünnte Alkalien lähmen sofort die Bewegung 1) Vergl. die Abbildungen 1—26 auf Taf. VI des Jahrgangs 1885 der „Fortschritte der Medizin“. 432 Spener, Krankheitserreger der Malaria. und zerstören die Parasiten. Die vernichtende Wirkung des Chinins auf diese Parasitenformen ist sowohl aus klinischen, wie aus mikro- skopischen Beobachtungen bekannt; nach der Darreichung dieses Mittels hört nicht nur alsbald die Bewegung des Parasiten auf, son- dern dieselben verschwinden sogar aus dem Blute gänzlich. Von Farbstoffen werden am leichtesten die kernfärbenden Anilinstoffe, wie Methylenblau, Fuchsin und Gentianaviolett angenom- men, während die übrigen in der mikroskopischen Technik ange- wendeten Farbstoffe die Parasiten nur wenig oder gar nicht tingieren. Aus diesem einem jugendlichen Zustand entsprechenden Stadium gehen die Parasiten, durch eine allmähliche Wachstumszunahme, durch eine fortschreitende Zerstörung des Blutkörperchens über in das zweite Stadium der vegetativen Phase, dem der pigmentierten Amöbe, des pigmentierten Plasmodiums. Sie ist diejenige Form, die die Untersucheuden zuerst und anfangs am meisten gefesselt hat. Sie entspricht in ihrer Gestalt und Farbe der früher beschrie- benen Phase, erscheint nur ihr gegenüber vergrößert, indem sie einen größeren Teil des roten Blutkörperchens einnimmt. Auch in ihrem Bau und ihren Umrissen gleicht sie dem pigmentierten Körper; doch zeigt zuweilen das gefärbte Präparat in ihrem Inneren eine oder mehrere Vakuolen von scharfer Umgrenzung manchmal mit kleinen Körperchen im Innern versehen. Während ihr sonstiges Ver- halten, das intra- und extraglobuläre Vorkommen, die Färbbarkeit und ihre amöboide Beweglichkeit, im ganzen ebenfalls den Verhält- nissen jener ersten Gruppe entspricht, unterscheiden sie sich haupt- sächlich von ihnen durch die Pigmentkörner, die in ihnen sich befinden. Es sind das feine Körnchen und spitzige Stäbchen von minimaler Größe, zuweilen so klein, dass gespannteste Aufmerksam- keit zu ihrer Beobachtung gehört. Ihre Farbe ist wechselnd von rot durch braun zu schwarz, ihrer Herkunft entsprechend scheint sie sich aus der roten Farbe der Blutkörperchen allmählich zum schwarz umzubilden, eine Metamorphose, aus deren zeitlichem Verlauf ein Beobachter auf die Intensität des Krankheitsprozesses einen Schluss machen wollte. Ueber die Entstehung des Pigmentes berichten die Forscher, dass es sich aus dem in die Substanz des Parasiten auf- genommenen Hämoglobin umwandele, indem dasselbe anfangs zu röt- lichen Bröckeln zerfalle, die dann in Melaninkörner übergeführt würden. Es ist entweder unregelmäßig im Körper zerstreut oder auch in 2 bis 3 Häufchen zusammengeballt und liegt meist im Ektoplasma. Als eine sehr hervortretende Eigenschaft ist seine Beweglichkeit zu bezeichnen; in lebhaftem Auf- und Niedertanzen drehen die einzelnen Körperchen sich um sich selbst, wechseln ihren Platz, sollen auch bisweilen aus dem Parasiten heraus in das Blutkörperchen austreten. Die Bewegung scheint nicht eine einfache Molekularbewegung zu sein, sie verläuft in einem viel trägeren Rythmus. Spener, Krankheitserreger der Malaria. 433 Indessen vergrößert sich der Parasit weiter, greift immer mehr Blutkörperchensubstanz in sich, bis endlich das ganze oder der größte Teil desselben verschwunden und entfärbt ist, so dass schließlich nur noch in einer doppelten Konturlinie die Andeutung der umgebenden Blutscheibe zu finden ist. Aus den weiter sich ergebenden Differen- zierungen heraus müssen wir diese Form als Reifestadium bezeichnen und treten damit in die zweite Hauptphase des amöboiden Stadiums in die „reproduktive Phase“ ein. Die Reifeform des Parasiten trennt sich nicht nur durch ihre, doch nur relative, Größe deutlich von den früheren Formen, sondern hat auch noch andere Kennzeichen: die amöboide Beweglichkeit hat gänzlich aufgehört und der Körper ist zur runden Form zurückge- kehrt; in seinem Inneren ließen sich die beiden getrennten Schichten, das Ekto- und das Entoplasma nur noch undeutlich unterscheiden, und der Kontur des Körpers, an dem jene zweite, äußere als Hülle des roten Blutscheibehens zurückgebliebene Linie für eine spätere Betrachtung sehr beachtenswert ist, zeigt oft eine leicht wellige oder unregelmäßig buchtige Beschaffenheit. Die Arten der Teilung dieser reifen Parasiten zeigen nach den den Ergebnissen der zahlreichen Forschungen eine große Mannig- faltigkeit. Die Zahl derselben gestaltet sich dadurch übersichtlicher, wenn man eine Teilung vornimmt und zunächst diejenigen Formen betrachtete, bei denen die ganze Masse des Parasiten zur Teilung verwendet wird. In diesem Fall wird sich das Pigment, das kurz vor der Differenzierung eine noch lebhaftere Beweglichkeit zeigt, ent- weder ganz in dichtem Kranze an die Peripherie des Parasiten sich begeben, oder in mehreren Klümpchen (4—6) geballt am Rande sich verteilen; die ganze übrige Masse teilt sich entweder radiär vom Zentrum aus oder regelmäßig in eine Anzahl (4—6—8—10) kleinerer Körperchen die deutlich von einander getrennt sind. Die pigmentierte Randmembran verschwindet; die Körperchen sind frei. In anderen Formen sieht man das Pigment sich in radiären Strahlen oder in rundlicher Netzanordnung rings durch die ganze Masse des Körpers verteilen und dieselbe so in eine Anzahl rundlicher oder ovaler Körper scheiden, die dann frei werden. Endlich auch konzentriert sich das Pigment ganz eng in kleinen Haufen in die Mitte des Parasiten, dessen übriger Teil sich nun in eine Menge kleinerer Formen teilt, die zum Teil rund, zum Teil oval, ja auch exquisit spindelförmig erscheinen. Der andere Teilungsmodus, bei dem nur ein Bruchstück des Parasitenleibes zur Bildung der kleinen Körper verwendet wird, zeigt auch wieder eine Reihe verschiedener Modifikationen des Vorganges. Hier findet man das Pigment immer in einen mehr oder weniger großen Teil des Protoplasmas eingebettet; bald umschließt es so ring- förmig den sich differenzierenden Zentralteil, von dem es durch eine deutliche Grenzlinie geschieden ist, bald liegt es selbst als ein pig- XI. 28 434 Spener, Krankheitserreger der Malaria. mentierter Granulationskern in der Mitte eines Kranzes rundlicher oder ovaler Tochterkörper. Einige Autoren beschrieben auch einen exzentrisch gelegenen pigmenthaltigen Protoplasmakern, an dessen einer Seite eine Menge der kleinen neugebildeten Kügelchen liegen. Zu diesen Teilungsformen gesellen sich noch einige nur selten beobachtete und in ihrer Bedeutung noch nicht genau erklärte Formen, wie die ruckweise verlaufende Sporulation, bei welcher die „früher nicht deutlich von einander zu unterscheidenden Tochterkörper auf einmal mit einem Ruck aus einander springen“. Ferner ist auch hier die beobachtete direkte Teilung der erwachsenen Amöbe zu erwähnen, die ebenfalls konstatiert worden ist. Die feinsten Vorgänge bei der Teilung sind auch schon Gegenstand der Beobachtung gewesen: einige Forscher haben in dem als Kern mit Kernkörperchen angesehenen Zentralteil des Parasiten einen successive bei dem Kernkörperchen beginnenden „Kernteilungsvorgang“ beobachtet, der zur Bildung der Segmentationsfiguren führte. Die Spaltung verläuft fast stets intrazellulär, wenn man jene zarte Membran als Blutkörperchenhülle bezeichnet; sie geschieht fast stets erst nach erfolgter Pigmentbildung, ist jedoch auch schon an den pigmentlosen Amöben beobachtet worden. Die Dauer des Vor- ganges beträgt nach einigen 2—3 Stunden; er soll, wie wir noch ge- nauer sehen werden, immer mit dem Beginn eines neuen Fieberanfalls in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang stehen. In dem Finger- blut der Kranken, das wohl am meisten zur Untersuchung verwendet wird, sind die Teilungsformen nicht häufig zu finden; es scheinen die Kapillaren der inneren Organe, der Milz, der Leber, des Gehirns, hauptsächlich der Ort des Spaltungsvorganges zu sein. Die Bedeutung der beschriebenen Vorgänge für die Entwick- lung des Parasiten kann nur diejenige sein, dass aus dem reifen Parasiten eine Anzahl von neuen Körpern ausgeht, die geeignet sind die Generationen des Parasiten fortzuführen, die ihrerseits einer Reife entgegengehen und neue entwieklungsfähige Tochterkörper, Sporen, erzeugen. Die Beschaffenheit dieser durch die Sporulation erzeugten Körper zeigt ebenfalls einige Eigentümlichkeiten, die sie einerseits deutlich von den früher beschriebenen amöboiden Formen trennten, anderseits doch auch ihre nahen Beziehungen zu denselben hervorheben. Ihre Gestalt ist vorwiegend rund oder oval, doch sind auch deut- liche Spindelformen konstatiert worden; ihre Größe beträgt ungefähr !/,. des roten Blutkörpers; sie sind stark lichtbrechend und haben häufig eine zentrale Vakuole. Während man im frischen Präparate eine Differenzierung zweier verschiedener Schichten im Innern nicht deutlich unterscheiden kann, trennt sich in dem farbigen Präparat deutlich eine äußere dunkel gefärbte Substanz von einer inneren, schwach färbbaren, in der nur zuweilen noch ein dunklerer Punkt Spener, Krankheitserreger der Malaria. 435 sichtbar wird; bei den ovalen und birnförmigen Körpern scheint die ektoplasmatische Substanz sich an den Polen zusammenzudrängen, denn sie erscheinen vorzugsweise gut färbbar. Eine amöboide Be- weglichkeit besitzen sie nicht; die von einigen Beobachter gesehenen Bewegungen in raschem Durchschwimmen des Gesichtsfeldes be- stehend, ist vielleicht auf nur undeutlich konstatierte Geißeln zu be- ziehen. Wenn nun diese Sporen, wie man zwar sicher annehmen, aber doch nicht nachweisen kann, von neuem in rote Blutkörperchen ein- dringen und dort wieder amöboid beweglich werden, so würden wir das Bild der intraglobulären Amöbe wieder vor uns haben und damit den Ring des Entwicklungsverlaufes des einen Haupttypus der Para- sitenformen, des amöboiden Stadiums geschlossen sehen. Der andere Haupttypus, das „nalbmond- oder siechelföürmige Stadium“ ist in den gegenseitigen Beziehungen seiner einzelnen Formen zu einander, sowie in denjenigen zu dem eben beschriebenen Typus keineswegs sehr klar; wir können nicht einen Entwicklungs- gang als sicher erwiesen annehmen; wir finden die einzelnen Formen anscheinend regellos oft zusammen und können nicht, wie bei dem amöboiden Stadium die beiden Hauptphasen der Reifung und Spal- tung unterscheiden. Wir betrachten zunächst die einzelnen Formen. Die auffälligste, vielleicht früheste Form, nach der der ganze Typus den Namen hat, ist die Halbmond- oder Siehelform. Mit dieser Bezeichnung ist die Gestalt des Körpers schon genügend bezeichnet: wir sehen in ihm einen mehr oder weniger gekrümmten, länglichen, schmalen Körper, dessen Polenden bald spitz bald abgerundet sind. In seinem Umfange entspricht er immer nur einem Bruchteil des Blutkörperchenumfangs, aber in der Länge seines Durchmessers über- ragt er häufig den Durchmesser der ihn beherbergenden Blutzelle. Sein Inhalt erscheint. im ganzen hyalin und von starkem Refrak- tionsvermögen, an den Polen stärker glänzend, hisweilen fein granu- liert, im Zentrum meist glatt und scheinbar bläschenförmig erhaben; dort zeigt sich auch bisweilen ein dunklerer kernartiger Punkt. Durch die Färbung treten die dunkleren Pole und oft ein kleines rundes Körperchen gegen die Mitte hin stärker hervor; der übrige Teil ist blass-blau gefärbt; einige Formen nehmen auch eine gleichmäßige bläuliche Färbung an. Die Konsistenz des Baues ist dem Anschein nach eine sehr feste, denn das beherbergende rote Blutkörperchen schließt sich völlig den Formen des Parasiten an, sodass, wenn er sich streckt, auch das Blutkörperchen eine mehr ovale Konfiguration annimmt. Der Sichelkörper zeigt meist doppelte Kontur, bisweilen von leicht rötlich gelber Hämoglobinfärbung, und erscheint auch manchmal in unregelmäßiger Wellenlinie. Man findet die Formen fast stets eingeschlossen in dem roten Blutkörperchen und der- artig gelagert, dass der konkave Rand dem Zentrum des Blutkörper- 29 436 Spener, Krankheitserreger der Malaria. chens zu liegt, während die konvexe Seite mit dem Rand der roten Blutkörperchen zusammenfällt. Einige Körper lagen gerade in ent- gegengesetzter Lage, sodass ihre konvexe Seite nach der Mitte zu gewandt war, während der konkave Rand mit dem Blutkörperrand ein spitzes Oval bildete. Pigment ist immer in den Halbmond- formen enthalten, zuweilen in Linien durch den ganzen Körper ver- laufend, zuweilen in der Mitte vereinigt; hier liegt es dann meist kranzförmig und scheint gleichsam die innere Wand eines kleinen bläschenförmigen Kernes „auszutapezieren“. Es ist unbeweglich. In seinen biologischen Eigenschäften steht der Sichelkörper der Amöbe nahe, nur fehlt ihm die amöboide Beweglichkeit völlig; es sind an ihm nur Streck- und Beugebewegungen beobachtet worden. Eine zweite Form dieses Stadiums ist die Spindelform; sie zeigt sich teils kleiner, teils größer als die vorhergehehende, gleicht aber sonst in ihren äußeren und inneren Verhältnissen derselben gänz- lich und wird nur der veränderten länglich-spitzigen Form wegen von ihr unterschieden. Noch größer erscheint der ovale Körper, dessen Gestalt auch bisweilen mehr eiförmig oder rundlich ist. Die runden Körper sind größer als ein normales rotes Blut- körperchen und zeigen meist im Zentrum einen distinkten, im frischen Präparat helleren, im farbigen Bilde zuweilen dunkel färbbaren pigmenthaltigen Protoplasmakern; die Pole, von denen auch hier noch Andeutungen zu sehen sind, werden seltener gefärbt. Auch die runden Körper sind zum Teil intrazellulär; es haben sich in diesen Fällen die Blutscheiben ebenfalls ausgedehnt und geben so auch den runden Körpern einen deutlichen doppelten Kontur. Das Pigment dieser Körper zeigt wieder in einigen Formen lebhaftere Bewegungen, die aber nie den Raum der inneren Körperchen zu überschreiten scheinen. Erst nach längerer Zeit werden die Bewegungen noch lebhafter, einige der Pigmentkörnchen treten aus dem Kranze heraus und „rennen“ lebhaft durch den ganzen Körper. Die Hülle derselben wird nun allmählich undeutlicher bis mit einer plötzlichen Bewegung die Gestalt des Körpers sich auf die Hälfte reduziert, während am Rand desselben lange, fadenförmige Fortsätze hängen. Das ist das Bild der geißeltragenden runden Formen, die außerhalb der roten Blutkörper liegen. Die Geißeln, 1-5 an der Zahl, sind blasse, glänzende Fäden, die ein mehrfaches der Länge eines Blutkörperchendurchmessers haben; sie tragen meist am Ende und zuweilen auch in ihrem Verlaufe eine olivenförmige Anschwellung, die längs dem ganzen Geißelfaden ihren Platz wechseln kann. Sie inserieren sich an der Peripherie des runden Körpers in der mannigfachsten Weise, bald gleichmäßig ver- teilt, bald zu mehreren an einer Stelle. Die Bewegungen, die sie aus- Spener, Krankheitserreger der Malaria. 437 führen, sind ebenfalls sehr mannigfaltig; bald ruhig und kontinuvier- lich, bald ruckweise, peitschenartig; sie bringen dadurch auch das umgebende Blutplasma sowie die nahe liegenden Körperchen in heftige Bewegung, schleudern sie zur Seite und schlagen sie fast über das ganze Gesichtsfeld hin. Bisweilen hat man die Geißeln auch unbe- weglich am Körper hängen sehen, doch lösen sie sich meist, bevor sie ruhig werden, von dem Körper los, werden frei und fahren nun als freie, spirillenartige, lebhaft bewegliche Fäden im Plasma herum. Ihre Widerstandsfähigkeit gegen irgend welche mechanische oder chemische Einflüsse ist sehr gering; in Trockenpräparaten haben nur wenige Beobachter sie gesehen, ihre Färbbarkeit ist nur von einem Forscher konstatiert. Zuweilen ist auch ein Einwandern von Pigment- körnchen aus dem runden Körper in die Geißelfäden beobachtet. Die runden Körper, an denen sich die Geißeln ansetzen, sind kleiner als die oben beschriebenen, uicht mit Geißeln besetzten Formen und erreichen etwa die Hälfte der Größe einer roten Blutscheibe; ihre Gestalt kann sich auch bisweilen mehr eiförmig zeigen; ihr Inhalt erseheint hyalin, mit deutlicher, zentraler Vakuole. Zuweilen bemerkt man ein augenscheinlich aus ihnen entstandenes Protoplasma- züngelchen zwischen den Ansatzpunkten der Geißeln am Rand her- vorragen. In jener zentralen Vakuole oder an ihrem Rande befindet sich meist das kranzartig angeordnete Pigment mit lebhaften tanzen- den Bewegungen, nur zuweilen im Ruhezustand. Nur ein geißel- tragender runder Körper ohne Pigment ist beobachtet worden. Dass diese runden Körper ausschließlich extraglobulär sein müssen, leuchtet deutlich ein, und doch sind Beobachtungen mitgeteilt, nach denen die Geißeln von einem intraglobulären runden Körper ausgehend durch die Substanz der Blutkörper hindurch aus seiner Peripherie heraus sich erstreckt und sich dort lebhaft bewegt haben. Neben diesen durch die Geißelgebilde bewegten runden Formen gibt es noch andere runde Formen, die ihre Beweglichkeit einem „Undulieren“, einem wellenförmigen Auf- und Abwogen des lockeren Konturs verdanken, mit Hilfe dessen sie sich um sich selbst drehen und auch ihren Ort verändern können. Sie zeigen im allgemeinen die nämliche Beschaffenheit, wie sie sich an den früher beschriebenen runden Körperchen zeigt, haben aber eine scheinbar schärfere Dif- ‚ ferenzierung zwischen der hyalinen Hülle und dem blassen Kern. Ihre Bewegungsfähigkeit dauert etwa 2040 Minuten, dann verharren sie noch einige Zeit in am Ort haftenden Oseillationsbewegungen, um endlich ganz in Ruhezustand überzugehen. Damit haben wir alle Formen jenes sichelförmigen Stadiums er- schöpft. Ob sie sieh in der eingehaltenen Reihenfolge auch, eine aus der anderen sich entwickeln, das ist noch nicht ganz sicher er- wiesen. Sie finden sich in den meisten Präparaten zusammen vor, doch ist schon sicher festgestellt, dass im Anfang der Untersuchung 438 Spener, Krankheitserreger der Malaria. meist die sichelförmigen Körper im Präparat vorherrschen, während im weiteren Verlaufe der Durchforschung die anderen genannten Formen auftreten; dabei ist es den Forschern aufgefallen, dass die einzelnen Formen anscheinend sehr lange Zeit hindurch auf ihrem Status stehen bleiben können, ehe sie in die anderen Formen übergehen. Der bisher beobachtete Entwieklungsgang in diesem halb- mondförmigen Stadium ist folgender: In einem roten Blutkörperchen befindet sich ein länglicher, spindeliger Körper, der in seinem Zentrum Pigment trägt; zugleich mit einer allmählichen Vergrößerung krümmt es sich bis zu Halbmondform, die nun der oben beschriebenen Weise in dem blasser gewordenen roten Blutkörperchen liegt, unter Zunahme der Pigmentkörnermenge blasst das Blutkörperchen immer mehr ab, bis zuletzt nur noch eine zarte Linie, die von dem einem Polende des Parasiten zu dem anderen verläuft, von der früheren Hülle der Parasiten kunde gibt. Aus diesen Halbmondformen gehen dann wohl successive die übrigen parasitären Typen, die ovalen und runden, end- lich die runden geißeltragenden hervor, wobei kaum eine erhebliche Vergrößerung der Parasiten statt hat, nur scheinen hier noch zuweilen „leichte Bewegungen und Formveränderungen (z. B. Höckerig werden)“ den Verlauf zu unterbrechen. Ob nun jenes kleine, intraglobuläre, spindelige Körperchen aus einer pigmentierten Amöbe hervorgegangen ist, die infolge irgend welcher Einflüsse sich in die Länge gestreckt hat, dafür sind noch nicht genügend Beobachtungen beigebracht. Einige Forscher glauben auch die von ihnen gefundenen spindelförmigen Sporen (s. S. 555) damit in Beziehung setzen zu müssen; andere wieder sehen in den Formen dieses zweiten Typus eine vom Wege abgewichene Entwick- lungsreihe. — So unklar wie die Entstehung dieser Formen, sind auch die be- obachteten Fortpflanzungserscheinungen in ihrer Bedeutung und ihrer Richtigkeit. Von einem Forscher sind in einem runden nicht geißeltragenden Körper neben einem pigmenthaltigen Kern eine Reihe runder oder eiförmiger Körperchen beobachtet worden, die einen dunkleren zentralen Teil und doppelten Kontur haben; dieselben gleichen völlig denjenigen Körpern, die von ihm häufiger in der Nähe der halbmondförmigen, ovalen und runden Körper gesehen wurden und lassen die Vermutung hegen, dass es Sporen dieses sichelförmigen . Stadiums sind, dass der Vorgang der Sporulation analog ist. Andere Forscher haben aber weder im Fingerblut, noch in dem aus der Milz gewonnenen Blut, noch in den Kapillaren des Gehirns je Vorgänge beobachtet, die den obigen Beschreibungen gleichen. Wohl aber konnten auch sie am Rande der geißeltragenden, aber auch der anderen Formen des zweiten Stadiums eines oder mehrere runde Körperchen mit ringartiger scharfer, dunkler sich färbender Außen- Substanz nachweisen, die anscheinend resistenter sind als die großen Spener, Krankheitserreger der Malaria. 439 Formen, von denen sie sich abschnüren. In ihnen sehen die Autoren den Sporen des ersten Stadiums gleichende Formen und glauben den ganzen Vorgang der Abschnürung und Lostrennung dieser Körperchen als eine Knospung, eine Gemmation, bezeichnen zu können. So verläuft im ganzen der Entwiecklungskreislauf des Malaria- parasiten; mit den oben beschriebenen einzelnen Phasen und Formen sind im allgemeinen alle seine Typen erschöpft, unter denen er sich den Beobachtern gezeigt hat. Manche dieser Formen aber haben unter sich noch eine ganz besondere Beziehung, scheinen unter sich einen eigenen Entwicklungskreislauf mit eigenen, charakteristischen Figuren zu haben, der uns wegen seiner nahen Beziehungen zu den verschiedenen klinischen Formen des Malariafiebers von großer Be- deutung ist. Zuerst wurde im Blute von Kranken, die an der quartanen Form des Wechselfiebers litten, ein besonderer Entwicklungszyklus des Parasiten konstatiert. Die als erstes Stadium bezeichnete amöboide Form zeigt sich hier unter dem Bilde eines körnigen, mit deutlichen und scharfen Umrissen umgebenen rundlichen Körpers, der nur un- deutliche amöboide Bewegungen zeigt. Das allmähliche Wachstum dieser Form, die Umwandlung des Hämoglobins in Melanin geschieht ziemlich langsam und unter lang andauernder Schonung der Farbe des Blutkörperchens, das bis zur letzten Phase, die nur noch einen schmalen Saum als Hülle des Parasiten bildet, die charakteristische, gelblich-grüne Farbe des Hämoglobins aufweist; dieser Invasionsart entsprechend schrumpfen die Blutkörperchen bei diesen Wachstums- vorgängen leicht, während das Pigment in Form dickerer Stäbchen und Körnchen auftritt. Wenn so der Parasit seine bedeutende Größe erlangt hat und als reife Amöbe erscheint, beginnt das Pigment sich in die Mitte zusammenzuziehen, während gleichzeitig die ersten leisen Anzeichen der Spaltung auftreten. Diese werden deutlicher, es dif- ferenzieren sich um einen pigmentierten kleinen Haufen etwa 6—12 kleiner sowohl runder als eiförmiger Körperchen, die ein glänzendes, in farbigen Präparaten gut tingiertes Körnchen (Kern?) in ihrem Innern zeigen; dieselben trennen sich fernerhin von einander los, werden frei und lassen den Pigmenthaufen allein zurück. Dieser soeben beschriebene Entwicklungsgang verläuft innerhalb drei Tagen, derartig, dass die erst beschriebenen Formen, die Amöben etwa in der zweiten Hälfte des ersten der drei Tage erscheinen, dass die beiden folgendea Apyrexie-Tage eingenommen sind von dem Wachs- tumsvorgang und dem Ausreifen des Parasiten, bis endlich am Ende der Apyrexie zugleich mit dem Beginne des neuen Tages und des neuen Fieberanfalls die Sporulatior und die Neuinvasion der Parasiten in die roten Blutkörperchen einsetzt. Ein anderer Entwicklungszyklus ist als charakteristisch für die Parasiten des tertianen Fiebers nachgewiesen worden. Die sehr 440 Spener, Krankheitserreger der Malaria. viel lebhafter beweglichen Amöben dieses Zyklus haben ein viel zarteres Aussehen, viel feinere Kontur, als die beschriebenen Formen der Quartana und gehen in ziemlich rascher Stufenfolge in die Form und Größe der reiferen Parasiten über; auch die Entfärbung des roten Blutkörperchens geschieht in kurzer Zeit; das neugebildete Pigment tritt in sehr feinen Stäbchen und Körnchen auf. Bezüglich der Teilungsformen waltet auch bei diesem Typus der Parasiten eine sroße Mannigfaltigkeit ob. Bald teilt sich radiär nur der äußere einen ziemlich großen pigmentierten Protoplasmakern umgebende, hyaline Ring in 15—20 Körperchen, die durch radiäre Strahlen ge- trennt, rings um den Kern sich wie die Blätter einer „Sonnenblume“ anreihen, bald tritt das Pigment in einem dichten Haufen in dem Mittelpunkte zusammen, während die ganze übrige Masse des Parasiten- leibes in einen unregelmäßigen Haufen von Körperchen zerfällt; es ist noch ein dritter Modus beschrieben, jedoch nicht als sicher er- wiesen, bei welchem das Pigment sich in einem peripherischen Proto- plasmaring sammelt, während in dem zentralen, sehr hellen Teil eine kleine Anzahl Kügelchen entsteht, die den als Sporen beschriebenen Körpern gleichen. Der ganze Entwicklungszyklus verläuft in zwei Tagen: der erste Tag, der des Fieberanfalls zeigt in seiner zweiten Hälfte die amöboiden Formen, diese vergrößern sich und entfärben das rote Blutkörperchen in dem Zeitraum des zweiten Tages, der Sporulationsvorgang wird wieder den dritten Tag und damit den neuen Fieberanfall einleiten. Für einen Teil der als regelmäßige Quotidiana geltenden Fieberformen ist keine eigene Parasitengeneration beschrieben worden, da für diese das Gesetz Giltigkeit haben soll, dass diese Formen entweder doppelte Tertiana- oder doppelte (dreifache) Quartanatypen sind und durch zwei oder drei nebeneinader her sich entwickelnde Generationen der Quartana- oder Tertianaparasiten mit einem im- mer um einen Tag verschobenen Entwicklungszyklus hervorgerufen werden. Eine andere Reihe von nicht so regelmäßig verlaufenden Quo- tidianafiebern, die sich namentlich im Sommer und Herbst, wenigstens in Rom, finden und einen protahierteren Verlauf nehmen, derartig dass zwischen den einzelnen Fieberanfällen keine deutliche Apyrexie eintritt, dass bei den späteren Anfällen sogar der Schüttel- frost sistiert, ferner die große Zahl aller jener als atypisch be- zeichneten Malariaformen, die bald einen intermittierenden Cha- rakter mit langen Intervallen zeigen, bald Uebergänge zu den perni- ziösen Fiebern mit nachfolgender schwerer Anämie und zu den perni- ziösen komatösen Fiebern sowie zur Malariakachexie bilden, zeigen einen von den oben beschriebenen Formen recht abweichenden Be- fund, der, von mehreren Forschern verschieden berichtet, noch keine allgemeine Geltung gefunden hat. Spener, Krankheitserreger der Malaria. 441 Uebereinstimmend ist bei den verschiedenen Schilderungen nur der Befund der Halbmondformen, die nach längerem Bestehen des Fiebers sich vorfinden. Darauf fußend hat der eine der Forscher für die in Rede stehenden Fieberformen eine eigene Parasitenvarietät, die der „Laveran’schen Halbmonde“ beschrieben, deren Entwick- lungsgang in zwei Zyklen verläuft: der erste entspricht im ganzen den oben beschriebenen Zyklen der Tertiana und Quartanaformen; doch vollzieht er sich schneller als diese; die Formen des Parasiten sind kleiner, ihre Pigmententwicklung spärlicher und ihre Sporulation erzeugt nur etwa 6—10 kleine Körperchen. Bei längerer Dauer des Fiebers geht dieser Zyklus über in den zweiten, in dem die amöboiden Formen eine längliche Gestalt annehmen, spindelförmig werden und nun in dem oben (s. 8. 999) erwähnten Entwicklungsgang aus sich die sichelförmigen, ovalen und runden Formen entstehen lassen. Diese letzteren Körper bilden dann in ebenfalls schon geschilderter Weise Sporen, die den Entwicklungszyklus der Halbmondformen auf dieselbe Weise in Gang setzen. Die Dauer des zweiten Zyklus ist sehr unbestimmt, doch vergeht eine Reihe von Tagen, bis eine Sporu- lation in dem Verlaufe eintritt. Anderen Forschern ist in den Fiebern der oben näher definierten Form die große Zahl der unpigmentierten, amöboiden Parasiten auf- gefallen, die oft den einzigen Befund gebildet haben. Dieselben sind besonders klein, wachsen aber nur wenig und zeigen geringe Neigung zur Pigmentbildung; ohne dass sie das rote Blutkörperchen ganz er- füllen, ohne dass sie alles Hämoglobin in Pigment verwandelt haben, ja überhaupt ohne ein Körnchen Pigment zu zeigen, kommen sie zur Sporulation, die eudoglobulär verlaufen kann. Bei längerer Dauer des Fiebers treten auch hier die Halbmondformen auf und zeigen jene Form und Gestaltveränderungen, wie sie den Formen des „sichel- förmigen Stadiums“ zukommen; doch legen denselben die Autoren nicht die Bedeutung bei, die ihnen von anderer Seite vindiziert wird. Wie sind nun diese Abweichungen der Entwieklungszyklen der Parasiten zu erklären? Es dürften sich dafür zwei Möglichkeiten er- geben: entweder gibt es nur eine Form des Malariaparasiten, die nur durch irgend welche Verhältnisse der Außenwelt in ihrem Wachs- tum und ihrer Entwicklung Abweichungen von einem normalen Ver- lauf erfährt, die sich in den obigen Typen darstellen — oder es gibt eine Anzahl verschiedener Spezies oder Varietäten des Parasiten, von denen jede ihren eigenen mehr oder weniger fest vorgeschriebenen Entwicklungsgang hat!). Die endgiltige Entscheidung darüber muss 1) Zu dieser Frage bringen Celli und Marchiafava: in ihrer Abhand- lung: Il reperto del sangue nelle febbri malariche invernali (Bulletino delle R. Accad. Med. di Roma, XVI, 89/90, Fasc. VI) [Ref. im Centralbl. f. Bakt., IX, Nr. 3/4] einige Beiträge. Sie hatten nämlich im Winter 89/90 oftmals Ge- legenheit zu konstatieren, dass innerhalb derselben Krankheitsdauer eines 442 Spener, Krankheitserreger der Malaria. bei dem Stande unserer Kenntnisse des Parasiten noch hinausge- schoben werden. Die einzelnen darüber herrschenden Ansichten sind bereits im I. Teil mitgeteilt; eine Wiederholung derselben an dieser Stelle erscheint daher überflüssig. Wir haben oben die Entwicklung und Reifung des Parasiten, die Vorgänge der Fortpflanzung seiner Art betrachtet, und es gebührt nun auch seines weiteren Schicksals zu gedenken. Wie wird der Parasit schließlich einmal vernichtet? Kennen wir Vorgänge an ihm, die wir als Degenerationserscheinungen deuten können ? Schon der erste Forscher auf dem Gebiete unseres Malaria- parasiten hat Formen beobachtet, die er als „formes cadaveriques“ bezeichnet; es waren das Protoplasmahaufen von meist unregelmäßiger Gestalt und hyalinem Inhalt, die ungefähr die Größe von weißen Blutkörperchen hatten, von denen sie sich aber durch ihr Licht- brechungsvermögen und durch das Fehlen eines Kernes deutlich unterschieden. Auch die späteren Forscher haben häufig in ihren Präparaten Formen und Formveränderungen gesehen, die sie auf Degeneration zu beziehen geneigt waren. Sie beschreiben Gebilde mit einfachem Kontur und ganz blasser Farbe, die sich allmählich in kleine rundliche blasse Klümpchen zerteilen, die dann schließlich in noch kleinere Bröckel zerfallen und endlich verschwinden. Ein anderer Autor schildert, wie einige Körper, die ihren Farbenreflex ganz ver- loren haben und nur noch einen ganz besonders hohen Glanz urd ganz deutlichen doppelten Kontur zeigen, allmählich eine Umwandlung ihrer Substanz in eine Menge runder oder unregelmäßiger, einfach konturierter Körper von verschiedener Größe, die später unter einander verschmelzen und dem Parasiten ein gleichmäßig homogenes Aussehen geben, das nur noch durch den meist exzentrisch gelegenen Pigment- körnerhaufen an die ursprüngliche Parasitennatur erinnert. Auch unter Berücksichtigung der Empfindlichkeit der Amöben gegen Kälte gelang es durch Aufbewahren des Präparates bei niederer Temperatur oder bei Untersuchung des einige Zeit im Blutegelkörper aufbewahrten Malariablutes gleichsam experimentell sich von der Art der Degenera- tion zu überzeugen: die Parasiten, die in diesem Zustand nicht mehr die Anilinfarben annehmen, zeigen sich dann meist als intrazelluläre blasse mit dunklen Körnehen und Stäbchen angefüllte runde Scheiben von verschiedener Größe. Malariafiebers mit dem Typus des Fiebers auch die Form des Parasiten im Blut sich änderte und knüpfen nun an einige diese Beobachtung illustrierende Fälle eine Reihe von theoretischen Erörterungen über die beiden oben ange- führten Möglichkeiten, im Verlauf deren sie sich nach Gründen der Analogie und der klinischen Erfahrung für die Einheitslehre entscheiden möchten. (Da die Abhandlung durch einen unglücklichen Zufall zu spät in die Hände des Verfassers gelangte, konnte sie in den ersten Teil nicht mehr aufgenommen werden.) Spener, Krankheitserreger der Malaria. 443 Es erscheint übrigens auch theoretisch das Vorkommen von Degenerationsformen sehr berechtigt und erklärlich; denn bei der Annahme, dass die Fieberanfälle durch eine Teilung der Körper her- vorgerufen werden, ist das Absterben der im Präparat sich außerhalb des Entwicklungskreislaufes befindenden Formen erforderlich, ebenso wie auch eine Erhaltung aller jener durch die Sporulation erzeugten neuen Formen zu einer konstanten Erhöhung der Parasitenzahl führen würde, die im Präparat niemals konstatiert werden konnte. Allerdings ist bei dieser Betrachtung noch ganz die vitale Energie des Körpers unberücksichtigt geblieben, die ja doch sicher auch zur Vernichtung der Parasitenformen beiträgt. Dass dies durch die Phago- eytose auch hier zum größten Teil geschieht, geben die meisten Au- toren an; einige von ihnen haben dafür als Beweis die pigment- haltigen Leukocyten angeführt, die man in dem Blute der Malaria- kranken findet. Andere haben weiße Blutkörperchen gefunden, die mehr oder weniger zahlreiche runde Kügelehen enthielten, die als Reste des Parasiten anzusehen waren; auch ganze Parasiten sowohl der Amöben wie der halbmondförmigen Phase sind innerhalb der Leukocyten gesehen worden. Ein Forscher beschreibt sogar aus- führlich den Vorgang der Umschließung des Plasmodiums durch einen Leukocyten: „Das grobe Protoplasma des Leukocyten leckte an das Plasmodium heran, umfloss dasselbe allmählich und verleibte es seinem Innern ein. In dem Plasmodium hatte nun lebhaftes Spiel der Pigmentstäbchen stattgefunden. In einer Phase schien es, als wollten einige der Pigmentkörnchen aus dem Plasmodium in das Protoplasma übertreten, doch kehrten sie dann wieder innerhalb des Konturs des Plasmodiums zurück. Die Kerne der Leukoeyten wechselten außerordentlich ihre Gestalt, waren bald länglich, bald mehr flach gedrückt, bald rundlich. Während der Dauer der Beobachtung (2 Stunden) wurden allmählich ihre Konturen immer undeutlicher und schließlich war nur noch ein Kern sichtbar, neben der Scheibe des Plasmodiums, innerhalb deren die Pigmentteilchen vollkommen zur Ruhe gekommen waren !),“ Wir haben dann die Wirkung der Parasiten als Krankheits- erreger zu betrachten und unterscheiden da zweckmäßiger Weise die allgemeinen Folgen der Invasion der Parasiten in das Blut des In- dividuums und die speziellen Wirkungen auf ihre Wirte, die Blut- zellen. Die allgemeinen Folgen für den Körper kennen wir zur Genüge aus klinischen Erfahrungen. Doch ist es hier an der Zeit besonders die Beziehungen der Parasiten zu den einzelnen Fieberzeiten genauer hervorzuheben. Entsprechend dem Entwicklungsgange der einzelnen Formen verläuft das Fieber, welches, wie der Erforscher des Gesetzes darstellt, mit der Teilung der reifen Parasiten, dem Auseinander- 1) Fortschritte der Medizin, Bd.8, 1890, $. 811 u. 812. A4A Spener, Krankheitserreger der Malaria. treten der Sporen und der Invasion derselben in die roten Blutkörper zusammen beginnt. Wenn aber auch das Blut schon diese Formen aufweist, braucht der Kranke doch immer noch keine deutlichen Symptome des Fiebers zu haben; nur eine genaue Temperaturmessung würde vielleicht eine leichte Erhöhung als erstes Zeichen des be- ginnenden Anfalles ergeben. So ist also die Bestimmung, dass mit der Sporulation des reifen Parasiten das Fieber mit dem Schüttelfrost einsetzt, in erweitertem Maße so festzuhalten, dass sich eine zeitliche Koineidenz sicher behaupten lässt. Während der Parasit nun all- mählich wächst, das Blutkörperchen entfärbt und sein Pigment bildet, nimmt das Fieber wieder ab und während der ganzen folgenden Apyrexiezeit bis einige Stunden vor dem neuen Anfall dauert der Reifungsprozess der Amöbe. Es gilt dies Gesetz aber nicht nur für die typischen Fieberformen, sondern ist auch von den anderen Au- toren auf die anderen zahlreichen Malariatypen ausgedehnt worden. So sind die sogenannten intermittierenden Fieber mit langen Inter- vallen dadurch erklärt worden, dass die in diesen Fällen gefundenen Halbmondformen mehrere Tage zu ihrer Entwicklung bedürfen und so jene lange Apyrexie bedingen sollen. So ist ferner für die aty- pische Quotidiana, bei der die ersten Anfälle anfangs mit Schüttel- frost, aber allmählich abnehmender Apyrexie und später auch mit fehlenden Schüttelfrösten verlaufen, während sie bei längerer Dauer der Krankheit in mehr weniger protrahierte Fieber übergehen, be- schrieben worden, dass die ersten Anfälle einem raschen Entwick- lungszyklus des Parasiten entsprechen, bei dem keine völlige Zer- störung des roten Blutkörperchens und nur eine geringfügige Pig- mentbildung eintritt. In den langsamer verlaufenden Fiebern treten dann die Halbmondformen auf, die man überhaupt schon seit den ersten Untersuchungen in den schweren Fällen hauptsächlich vor- gefunden hat. Auf die dritte hierher gehörige Bemerkung, dass eine Reihe der unregelmäßig protrahierten Quotidianaformen ihr Dasein einer wieder anders gearteten Parasitenvarietät verdankt, will ich hier nur noch unter Verweisung auf die früher mitgeteilten Forschungen erwähnen. Dass nicht nur von dem Entwicklungszyklus, sondern auch von der Menge der Parasiten im kreisenden Blut die Krankheit speziell in ihrer Intensität deutlich abhängt, ist von den meisten Forschern festgestellt worden. Neben diesen allgemeinen Folgen der Parasiteninfektion ent- wickeln diese Schmarotzer auch noch in ihren Wirtszellen, den roten Blutkörperehen, speziellere Wirkungen. Die Gestalt derselben bleibt meist gleich rund, nur zuweilen scheinen sie sich den läng- lichen Halbmondformen in ihrer Form anzupassen. Bezüglich ihrer Größe ist die Wirkung der Parasiteninvasion eine sehr verschiedene, sie sind sowohl als verkleinerte Hämocyten beschrieben, als auch ist Spener, Krankheitserreger der Malaria. 445 bei einigen Formen ihre besondere Größe konstatiert. Die Farbe der Blutkörperchen erleidet wohl die schwerwiegendste Veränderung: dureh die Verwandlung des Hämoglobin in Melanin wird das Blut- körperchen allmählich seines Farbstoffes beraubt, blasst ab, um schließlich oft nur als bloße Hülle den Parasiten zu umschließen; bisweilen sammelt sich auch der noch nicht vom Parasiten zerstörte Rest des Hämoglobins ringförmig um denselben herum, während die peripherische Randzone des Blutkörpers hämoglobinfrei, also blass erscheint. Eine Parasitenform, die als kleinere, meist unpigmentierte Amöbe mit eudoglobulärer, vielfach pigmentloser Teilung beschrieben wird und für die protrahierten Sommer- und Herbstfieber charak- teristisch sein soll, hat nach den Schilderungen der Autoren eine „akuteste tötliche Atrophie der Blutkörperchen“ im Gefolge; dieselbe stellt sich dar als eine Schrumpfung des Körperchens; dasselbe wird kleiner, runzlicher und nimmt eine dunkelgelbe, „messingähnliche“ Färbung an. Die Veränderungen, die sich bei Malariablutuntersuchungen an den weißen Blutkörperchen finden, sind zumeist durch ihre phago- cytäre Thätigkeit erzeugt, die oben schon geschildert wurde. Außer den Pigmenthaufen, die als Ueberbleibsel der Malariaparasiten sich in den Leukocyten finden, scheinen einige der Blutkörperchen auch Pigment anderer Genese zu enthalten. Es sind nämlich bei den‘ schweren Fiebern des Sommers und Herbstes bisweilen in den weißen Blutkörpern die oben beschriebenen dunkelgelben bis schwarzen ge- schrumpften roten Blutzellen gefunden worden, aus denen ebenfalls ein großer Teil des Melanins der weißen Blutkörperchen stammen dürfte. Das Melaninpigment ist es ja auch, was die übrigen patho- logischen Veränderungen erzeugt, die als charakteristisch für Malaria- infektionen gelten, wie die Melanose der Milz, der Leber, des Gehirns u.s. w., und zwar sind es, wie die Forschungen gezeigt haben, nicht nur die früher schon gekannten Pigmentschollen und pigmen- tierten weißen Blutkörperchen, die diese Schwarz- oder Graufärbung der Organe bewirken, sondern auch die in oft großen Mengen in den Kapillaren namentlich des Gehirns sich findenden pigmentierten Para- sitenformen tragen dazu erheblich bei. In der Schilderung des Parasiten fehlt noch die Erörterung des Vorkommens desselben. Wie aus den auch vergleichungsweise zahlreich angestellten Untersuchungen hervorgeht, ist der Parasit bis jetzt nur beim Menschen und auch hier nur bei solchen gefunden worden, die an einem der klinisch genau zu charakterisierenden Malariafieber erkrankt waren. Sie sind dadurch nicht nur pathognomonisch für diese Er- krankung geworden, sie haben auch eine hohe diagnostische Be- deutung erlangt, denn die Untersuchungen einer großen Reihe ander- 446 Spener, Krankheitserreger der Malaria. weitig erkrankter Menschen sind stets negativ verlaufen. Was die Tiere anlangt, so sind zwar ähnliche und ihnen analoge Parasiten in sehr vielen Blutarten gefunden worden, doch nur von einem im Blut gewisser aus Malariagegenden stammenden Vögel entdeckten Parasiten wird berichtet, dass er der Erreger einer mit Fieber ein- hergehenden, sowohl akut wie chronisch verlaufenden Erkrankung ist, die der menschlichen Malaria gleichgestellt wird. Ob der Parasit aber, wie der Autor will, als identisch mit dem oben beschriebenen Parasiten zu gelten hat, das dürfte noch weiterer Beweise bedürfen. Der bekannte endemische Charakter der Malaria aber lässt noch einen Fundort sehr wahrscheinlich werden, nämlich den Boden der als Malariagegend bekannten Landstrecken. Die diesbezüglichen Untersuchungen aber haben noch keine Erfolge von Bedeutung gehabt. Ebenso sind die vielfach angestellten Versuche die Parasiten durch Impfung auf andere Nährböden zu übertragen, nur in einem Punkte gelungen: es ist möglich durch die Injektion eine geringe Menge Malariabluts bei einem vorher völlig gesunden, aus nicht Malariaorten stammenden Menschen experimentell eine der Malaria völlig gleichende Erkrankung zu erzeugen, bei der auch die Blut- untersuchung die uns hier beschäftigenden Malariaparasiten in den betreffenden Entwicklungsstadien zeigt‘). Die Versuche auch bei Tieren durch diese Injektionen Malaria zu erzeugen, haben keine nennenswerten Ergebnisse gezeitigt. Ebenso haben die nach der durch R. Koch in die Wissenschaft eingeführten bakteriologischen Methode unternommenen Kultur- versuche keine positiven Resultate ergeben ?); eine Thatsache, die bei dem intrazellulären Leben des Parasiten von vornherein eine gewisse Erklärung findet. Die Eigenschaften und die biologischen Charaktere unseres Ma- laria- Parasiten, wie sie in Obigem geschildert worden sind, haben aber noch nicht eine genauere zoologische Klassifizierung gestattet. Fast alle Forscher haben auch darauf ihr Augenmerk gerichtet und diesen Punkt mehr oder weniger eingehend in ihren Mitteilungen erörtert; häufig aber finden wir auch darin die Be- merkungen, dass es vorläufig bei dem jetzigen Stande unserer Kennt- nisse auch den gewiegtesten Kennern schwer sein dürfte, eine gesetz- 1) Eine genauere Uebersicht würde den Rahmen dieses Berichtes über- schreiten, ich verweise daher auf die bezüglichen Arbeiten von Gerhardt (Zeitschrift f. klin. Medizin, Bd. 7); Celli und Marchiafava (Fortschritte der Medizin, 1885, 8. 347 fg. u. 8.795 fg.); Gualdi u. Antolisei (Baum- garten’s Jahresbericht, Bd. 5, 1889); Grassi u. Feletti (Centralblatt für Bakteriologie, 1890, Nr. 14, S. 439) u. a. [Vergl. auch Plehn, Monogr., 1890, S.22 u. Anm. 38.] 2) Vergl. hier bes. Celli u. Marchiafava (Fortschr. d. Medizin, 1885); Rosenbach (Deutsche mediz. Wochenschrift, 1890, S. 326). Spener, Krankheitserreger der Malaria. A4T mäßige Systematisierung aufzustellen. Die Zugehörigkeit unserer Lebewesen zu den Protozoen, zu der niedrigsten Klasse des Tier- reiches ist unbestritten; doch besteht darüber eine Ungewissheit, ob sie zu den Sporozoen oder den Rhizopoden zu zählen sind. Für jede dieser Klassen lassen sich erhebliche Analogien auffinden; beide haben viele Anhänger gefunden !), Die endgiltige Entscheidung dieser Frage wird aber erst mit der wachsenden Erkenntnis der Eigenschaften des Malariaparasiten erfolgen. Dann wird auch wohl eine Einigung über den dem Organismus beizulegenden Namen erzielt werden. Zum Schluss sei hier noch Einiges über die Untersuchungs- methoden angeführt, die von den Forschern empfohlen und benutzt wurden. Die Entnahme des Blutes geschah meist durch Stich in die wohlgereinigte Fingerbeere, doch ist auch das Ohrläppchen dazu be- nutzt worden; ja auch Punktionen der Milz sind vorgenommen worden. Der von allen Untersuchern betonten Forderung, eine mög- liehst dünne Blutschieht zwischen Objektträger und Deekgläschen auszubreiten, wurden die einzelnen in verschiedener Weise gerecht, indem sie teils durch Druck auf das Deckgläschen, teils durch Ueber- streichen desselben mit Carton oder Glimmerplättehen die Schicht gleichmäßig zu verteilen suchten. Die weitere Untersuchung geschah entweder frisch und dann häufig auf heizbarem Objekttisch oder im Wärmschrank, eine Vorsicht, die die Bewegungsfähigkeit in ihrer Dauer meist zu verlängern geeignet war. Der Austrocknung des Präparates suchte man durch Paraffinumrahmung entgegenzutreten 2), Plehn empfiehlt flüssiges Paraffin in einem hohlen Objektträger als Einbettungsmaterial des frischen Blutes. v. Jacksch empfiehlt die Bestreichung der unteren Fläche des Objektträgers mit einer Anilin- farbe. Für die Färbung von Trockenpräparaten, die besser durch Alkoholhärtung als durch die Flamme hergestellt werden, wird von verschiedenen Seiten Eosin-Methylenblau-Lösung benutzt, für die verschiedene Gemische angegeben werden ?). Celli und Guarnieri suchten durch die Vermischung von Methylenblau-Lösung (in sterili- sierter Ascitesflüssigkeit) mit dem Blut die beiden Methoden zu ver- einigen und sowohl die Lebensfähigkeit zu erhalten, als die distinktere Hervorhebung durch Färbung zu erreichen. Die Untersuchung der 1) Hier soll noch die ebenfalls verspätet in meine Hände gelangte Arbeit von Antolisei (Considerazioni intorno alla classificazione dei parasiti della malaria. La Rifor. med., 1890, Nr. 99—103 [Centralbl. f. Bakt., IX, 3/4]) Er- wehnung finden, der einen eingehenden auch historischen Bericht über diesen Teil der Malariafrage gibt. 2) Hier ist darauf zu achten, dass das Immersionsöl das Paraffin in kürzerer oder längerer Zeit auflöst, was ein Eindringen von Luft in das Präparat zur Folge haben kann. 3) ef. Plehn, Quincke, Dolega, Chenzinsky. 448 Räthay, Einwirkung des Blitzes auf die Weinrebe. Präparate selbst hat mit Immersion und Abb&’schem Kondensor zu geschehen; es ist für eine genauere Untersuchung eine 1000fache Vergrößerung sehr wünschenswert; doch genügt zum Aufsuchen der parasitentragenden Blutkörperchen ganz wohl eine 5—600fache. Für die frischen Objekte ist nach Plehn noch darauf zu achten, dass eine länger dauernde Belichtung die Objekte schädigt, während für den Untersuchenden selbst eine Abblendung des überflüssigen Lichtes der Umgebung durch Lichtschirm oder Dunkelkammer mit dem Mi- kroskopspiegel entsprechender Lichtöffnung empfehlenswert erscheint. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 16. April 1891. Das w. M. Herr Prof. Dr. J. Wiesner überreicht eine von Herrn Prof. E.Räthay ausgeführte Arbeit über die Einwirkung des Blitzes auf die Wein- rebe, welche zu den folgenden Resultaten führte: 1) Die von Caspary bezweifelte Behauptung Colladon’s, dass sich das Laub der Reben infolge von Blitzschlägen rötet, ist bezüglich aller Reben richtig, deren Blätter im Herbste sich röten. 2) Diese Rötung des Laubes ist der Vitis sylvestris Gmel., ferner allen blauen und gewissen roten Sorten der Vitis vinifera L. und endlich auch ge- wissen, aber nicht allen Sorten verschiedener amerikanischer Reben eigen. 3) Reben, welche ihre Blätter im Herbste röten, thun dies auch infolge von mechanischen Verletzungen der Blattnerven, Blattstiele und Internodien. Ringelung, Knickung und teilweises Durchschneiden der letzteren bedingt die rote Verfärbung sämtlicher über der verletzten Stelle befindlicher Blätter. 4) Die Rötung der Rebenblätter nach mechanischen Verletzungen wird nicht durch verminderte Wasserleitung bedingt. 5) Rebenblätter, welche infolge mechanischer Verletzungen eine rote Farbe angenommen haben, transpirieren viel weniger als grüne Blätter. 6) Die rote Färbung der Rebenblätter nach Blitzschlägen gleicht in allen bisher untersuchten Beziehungen jener, welche nach mechanischen Verletzungen eintritt. 7) Sie ist eine mittelbare Folge des Blitzes und wird dadurch verursacht, dass dieser in den Mittelstücken zahlreicher aufeinanderfolgender Internodien die außerhalb des Cambiums befindlichen Gewebe tötet und so eine Art Ringelung bewirkt. 8) Das Cambium der vom Blitze getroffenen Laubsprosse (Lotten) bleibt lebend und erzeugt nach außen einen von Wundkork umhüllten Callus und nach innen einen Holzring, der von dem älteren Holze durch eine dünne, ge- bräunte Schichte geschieden ist. 9) Nach fremden und eigenen Beobachtungen vertrocknen die Trauben der vom Blitze getroffenen Reben. 10) Die Lottengipfel der vom Blitze getroffenen Reben sterben ab, während sich die unter ihnen befindlichen Teile mindestens einige Zeit erhalten. 11) Nach den bisherigen Beobachtungen trifft der Blitz in den Weingärten, ebenso wie in Schafheerden, nicht einzelne, sondern viele Individuen. Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — DrnEhaer kgl. ba yer. Harana Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches CGentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xl Band. 15. en 1891. Nr. 15 u. 16. Inhalt: Hansgirg, Beiträge zur Kenntnis der nyktitropischen, gamotropischen und karpo- tropischen Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele bezw. -Stengel. — Frenzel, Ueber die primitiven Ortsbewegungen der Organismen. — Sehewia- koff, Bemerkung zu der Arbeit von Prof. Famintzin über Zoochlorellen. — Bloehmann, Eine freischwimmende Muschellarve im Süßwasser. — (ori, Unter- suchungen über die Anatomie und Histologie der Gattung Phoronis. — Hasse, Die Formen des menschlichen Körpers und die Formveränderungen bei der Atmung. — Rosenthal, Versuche über Wärmeproduktion bei Säugetieren. — Kochs, Ueber die Ursachen der Schädigung der Fischbestände im strengen Winter. — Hansgirg, Erwiderung. — 64. Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte. Halle a. Ss. 21.—25. September 1891. r Beiträge zur Kenntnis der nyktitropischen, gamotropischen und karpotropischen Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele bez. -Stengel. Von Prof. Dr. Anton Hansgirg. Im Nachfolgenden sind einige Resultate meiner im Jahre 1890 bis 1891 durchgeführten Untersuchungen über die periodisch sich wiederholenden (nyktitropischen) und die bloß einmal zur Blütezeit oder zur Fruchtzeit erfolgenden gamo- und karpotropischen (resp. geotropischen, heliotropischen und spontanen) Krümmungen der Knos- pen-, Blüten- und Fruchtstiele bez. -Stengel enthalten, welche ich an einer nicht unbedeutenden Anzahl von bisher diesbezüglich nicht näher untersuchten Pflanzenarten vor und während der Anthese sowie in der Periode der Postfloration und während der Fruchtzeit an- gestellt habe. Da die periodischen Krümmungen der Blüten- ete. Stiele bez. -Stengel, soviel mir bekannt, bisher bloß von Linne, Sprengel, Treviranus, Gärtner, Kerner und Wittrock an einigen wenigen Pflanzenarten konstatiert wurden !), die bloß einmal (nicht 1) Von Linn& an Nymphaea alba, Draba verna, Ranunculus polyanthemus, Geranium striatum, Verbascum blattaria, Ageratum conyzoides, Achyranthes lapponica, Euphorbia platyphylla; von Sprengel an Anemone hepatica, Tusst- XI, 29 450 Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. periodisch) erfolgenden Bewegungen der Blüten- und Fruchtstiele oder -Stengel in neuerer Zeit von Hofmeister, Vöchting, Noll Lindmann, Hildebrand und Urban an einer nicht geringen Anzahl von Pflanzenspecies mit zygomorphen und an einigen Pflanzen mit aktinomorphen Blüten nachgewiesen und bezüglich der äußeren und inneren Ursachen von den drei zuerst genannten Forschern näher untersucht wurden, so habe ich im Laufe der letzten zwei Jahre meine Aufmerksamkeit hauptsächlich den Krümmungen der Blüten- stiele der diesbezüglich noch nicht untersuchten Pflanzen und speziell den bisher am wenigsten untersuchten Bewegungen der Fruchtstiele gewidmet und nähere Untersuchungen über die periodisch sich wie- derholenden, sowie über die sich nicht wiederholenden geotropischen, heliotropischen ete. Bewegungen der Blütenstiele bez. -Stengel an zahlreichen Pflanzenarten mit aktinomorph und an einigen Pflanzen mit zygomorph gebauten Blüten durchgeführt. Was die bei meinen Untersuchungen angewandten Methoden be- trifit, so sei an dieser Stelle bloß erwähnt, dass ich außer den von Vöchting und Noll bei ähnlichen Untersuchungen angewandten Methoden und den durch die soeben genannten zwei Forscher bekannt gewordenen Versuchen noch verschiedene andere Experimente durch- geführt habe, über welche Näheres in meinen „Phytodynamischen Untersuchungen“ !) nachzulesen ist. Bei allen von mir im Nachstehenden angeführten Pflanzenarten, an welchen ich Versuche zur Feststellung des Geotropismus der Blü- tenstiele etc. angestellt, resp. an welchen in Invers- oder Horizontal- stellung oder am Klinostat längere Zeit gehaltenen Pflanzen ich Beobachtungen gemacht habe, wurden auch stets Umkehrungsver- suche durchgeführt. Bloß an einigen annuellen u. ä. Pflanzen, welche bei Klinostatversuchen oder durch die an diesen Pflanzen in der Dunkelkammer oder in einem großen Dunkelkasten mit doppelten Verschlussthüren durchgeführten Versuche nicht mehr in normalem Zustande sich befanden oder welche infolge länger andauernder un- genügender (einseitiger) Beleuchtung mehr gelitten haben (so insbe- sondere einige einjährige Pflanzen, welche ich längere Zeit in den bloß an einer Seite mit einer Glaswand versehenen oder an dieser Seite offenen Zinkkästen in Töpfen kultiviert habe) und zu weiteren Versuchen nicht gut geeignet waren, wurden solche Umkehrungs- versuche unterlassen. lago farfara u.ä.; von Treviranus an Capsella bursa pastoris; Alyssum montanum, Heracleum absinthifolium, Monarda punctata; von Gärtner an Geum canadense, striectum, urbanum; von Wittrock an Tordylium trachycarpum ; von Kerner an Viola tricolor, Pimpinella magna, saxifraga, Daucus carota, mazximus, Falcaria Rivini, Scabiosa lucida und columbaria. 4) In den Sitzungsberichten der k. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften in Prag, 1889. Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. 451 Wie an verschiedenen Blattorganen, so erfolgen auch an manchen Axenorganen, insbesondere an den Blütenstielen bez. Stengeln vieler Pflanzen infolge des täglichen Beleuchtungswechsels etc. periodische Krümmungen, welche ähnlich wie die periodisch sich wiederholenden Bewegungen der Blattorgane einfache Nutationen sind und meist mit geringer Amplitude ausgeführt werden. Solche hauptsächlich durch den täglichen Lichtwechsel und durch Variation der Temperatur oder des Wassergehaltes bedingten Wachstumsbewegungen der Blüten- stiele bez. -Stengel sind wie die täglichen periodischen Bewegungen der Blütenhülle (resp. das Oeffnen und Schließen der Blüten) bei den Anthophyten nicht allgemein verbreitet, sondern werden, wie aus meinen und andern diesbezüglichen Untersuchungen sich ergibt, ähn- lich wie die nyktitropischen Bewegungen der Laubblätter u. ä. bloß an einer verhältnismäßig nicht allzu großen Anzahl von Pflanzenarten in auffälliger Weise ausgeführt !). Wie die periodisch sich wiederholenden Bewegungen der Blatt- organe, so erfolgen auch die nyktitropischen Krümmungen der Blüten- stiele bez. - Stengel, resp. das Aufrichten der Blüten des Morgens und das bogenförmige Herabkrümmen der Stiele oder der ganze Blüten- stände tragenden Blütenschäfte ete. des Nachts (auch bei Regenwetter) je nach dem Alter der soeben genannten Axenorgane mit ungleicher Energie. Die Amplitude der beim Aufblühen und in der ersten Hälfte der Blütezeit meist recht ansehnliechen periodischen Bewegungen der Blü- tenstiele bez. -Stengel der im Nachfolgenden aufgezählten Pflanzen- arten wird in der zweiten Hälfte der Blütezeit geringer und beim Verblühen hören in der Regel diese Bewegungen vollständig auf. Doch können die periodischen Bewegungen der Blütenstiele auch früher eingestellt werden, wenn z. B. die vorher in normalem Be- wegungszustande befindlichen Pflanzen, resp. deren Blütenstiele bez. -Stengel durch plötzliche Veränderung äußerer Bedingungen etc. in einen abnormalen Zustand übergeführt und vorübergehend bewegungs- unfähig werden. Ansehnliehe periodisch sich wiederholende Krümmungen der Blü- tenstiele bez. -Stengel, durch welche die während der Nacht, insbe- sondere in kühlen Nächten) oder bei Regenwetter herabgekrümmten Blüten an sonnigen Tagen mit der Oeffnung zur Sonne (zenithwärts) sich richten und am Tage eine solche Lage einnehmen, in welcher sie von weitem sichtbar und den die Kreuzbefruchtung vermittelnden 4) Ueber die Verbreitung der nyktitropischen Bewegungen (Variations- bewegungen) der Laubblätter, der gamotropischen und karpotropischen Be- wegungen der Blütenhülle ete. siehe mehr in des Verfassers diesbezüglichen Abhandlungen im Botanischen Centralblatt 1890—1891, in den Berichten der botanischen Gesellschaft in Berlin 1891, in seinen „Phytodynamischen Unter- suchungen“, 1839 etc. 2 452 Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. Insekten ete. leicht zugänglich sind, habe ich an folgenden Pflanzen- arten nachgewiesen: Fam. Rosaceen: Gatt. Potentilla (P. atrosanguinea, formosa, rupestris, recta, appenina, chrysantha, nepalensis, astrachanica, stoloni- JFera, eurdica, bifurca, heptaphylla, norwegica, turingiaca, megalontodon, bei P. grandiflora, pulcherrima, fruticosa, tormentilla, insignis, ca- labra, argentea, elegans, canescens, Gaudini, pallida schwächer; Gatt. Fragaria(F.vesca, collina, grandiflora, elatior) ; Gatt. Gemum (@.vir- ginianum, bei G@. Laxmanni und coccineum schwächer. Fam. Oxalideen: Gatt. Oxalis (0. Valdiviensis, rosea, crassipes, caprina, lasiandra, Deppei, esculenta, umbrosa, Andrieuxi, articulata, vespertilionis, tetraphylla, latifolia, catharinensis, tropaeoloides, bei O. strieta und acetosella schwächer). Fam. Lineen: Gatt. Linum (L. usitatissimum , perenne, austria- cum, grandiflorum, humile). Fam. Geraniaceen: Gatt. Geranium (G. sanguineum, pratense auch var. album, argenteum, cristatum, pyrenaicum, asphodeloides, Lon- desii, aconitifolium, cinereum, nodosum, bei anderen Geranium - Arten schwächer; Gatt. Erodium (E. Manascavi, moschatum, cicutarium, botrys, gruinum, bei anderen schwächer). Fam. Limnantheen: Gatt. Limnanthes (L. alba, Douglasii). Fam. Saxifragaceen: Gatt. Saxifraga ($. Huetiana, Camposi, bei 8. Zrifurcata u. ä. schwächer). Fam. Loasaceen: Gatt. Mentzelia (M. Lindleyi, bei einigen an- deren Loasaceen schwächer). Fam. Umbelliferen: Gatt. Astrantia (A. major, minor, alpina, carniolica), Meum (M. athamanticum), Carum (C. carvi schwach); wie an diesen Umbelliferen, so habe ich auch an Coriandrum sa- tivum, Anethum graveolens, Sowa u. ä. meist nur an jungen Dolden periodische Bewegungen und das nach heftigem Regen erfolgende Nicken beobachtet. Fam. Cistineen: Gatt. Helianthemum (H. vulgare, roseum, bei grandiflorum und tomentosum u. ä. schwach). Fam. Violaceen: Gatt. Viola (V. lutea, stagnina, cucullata, bei V. cornuta auch var. alba nur schwach). Fam Crueiferen: Gatt. Cardamine (C. pratensis, amara schwä- cher); Diplotaxzis (D. tenufolia); Erysimum (E. repandum schwächer); Bunias (B. erucago); Bisciutella laevigata; Isatis tinctoria schwach u. ä. Fam. Papaveraceen: Gatt. Papaver (P. alpinum, nudicaule, cro- ceum, orientale, somniferum, rhoeas, bei P. pyrenaicum u. ä. schwächer; Chelidonium (Ch. maius, laciniatum); auch an jungen Blüten von Escholtzia californica u. ä. erfolgen bei heftigem Regenwetter während des Tages ete. schwache Krümmungen der Blütenste. Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. 455 Fam. Ranuneulaceen: Gatt. Anemone (A. stellata, rivularia, nemorosa, ranunculoides u. ä); Ranunculus (R. acer, tuberosus, repens, auricomus, bei R. gramineus u. ä schwächer); Trollius (T, americanus, europaeus); Isopyrum (I. thalictroides). Fam. Caryophyllaceen: Gatt. Dianthus (D. silvestris, fragrans, plumarius, squarrosus, bei D. caesius, banaticus u. ä. schwächer) ; Gypsophila elegans; bei Molachium aquatile, Tunica saxifraga habe ich bloß an jungen Blüten schwache, periodisch sich wieder- holende Bewegungen der Blütenstiele beobachtet; Gatt. Stellaria (S. holostea, graminea u. ä.); Alsine laricifolia; Cerastium per- Foliatum, triviale, alpinum, hirsutum, bei ©. Boissieri, repens, Bieber- steinii, tomentosum, tenuwifolium u. ä. schwächer. Fam. Onagraceen: Gatt. Oenothera (Oe. speciosa, Lamarckiana, fruticosa, bei Oe. glauca u. ä. schwächer); Epilobium hirsutum. Fam. Malvaceen: Gatt. Malva ((M. silvestris und M. crenata schwächer); Lavutera trimestris; Malope trifida; Althaea Jici- folia schwach u. ä. Fam. Primulaceen: Gatt. Anagallis (A. arvensis, coerulea, gran- diflora); Gatt. Androsace (A. septentrionalis). Fam. Polemoniaceen: Gatt. Gilia (@. tricolor, achilleaefolia schwächer); Phlox Drummondii. Fam. Solanaceen: Gatt. Petunia (P. violacea); Solanum tu- berosum schwach. Fam. Hydrophyllaceen: Gatt. Nemophila (N. maculata, insignis u. ä.); Whitlavia grandiflora und Eutoca viscida schwach. Fam. Serophulariaceen: Gatt. Veronica (V. chamaedrys, lati- folia, multifida, urticaefolia, fruticulosa, gentianoides u.ä; bei Mimu- lus guttatus, luteus, Tillingü, tigrinus u. ä. schwächer. Fam. Convolvulaceen: Gatt. Convolvulus (©. tricolor, bei C. mau- ritanicus u. ä. schwächer). Fam. Campanulaceen: Gatt. Campanula (C. turbinata, carpatica auch var. alba, drabaefolia, patula, rhomboidea, Reuteriana, bei C. Scheuchzeri, latifolia, medium, rotundifolia, persicifolia auch var. «alba, pusilla u. ä. schwächer). Fam. Compositen: Gatt. Emilia (E. sagittata, sonchifolia); bei Tragopogon pratensis u. ä.; Bellis perennis; Chrysanthemum leucanthemum schwächer; Lindheimeria texana;, Cosmos bipinna- tus; Coreopsis tinctoria, cardaminefolia;, Mulgedium Plumieri; Lactuca perennis. Fam. Dipsaceen: Gatt. Knautia (K. macedonica, silvatica); Scabiosa arvensis, graminifolia, bei $. vestita, atropurpurea und silenifolia schwächer; Cephalaria procera, alpina u. ä. schwach. Fam. Boragineen: Gatt. Cynoglossum (C. linifolium). 454 Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. Fam. Euphorbiaceen: Gatt. Euphorbia (E. stricta, cyparissias pilosa, trigona, Lagascae, palustris, pilosa, bei E. helioscopia, falcata u. ä. schwächer). Fam. Liliaceen: Gatt. Tulipa (T. silwestris); Triteleja uni- flora; Nothoscordon fragrans. Fam. Commelinaceen: Gatt. Tradescantia (T. virginica, erecta, u. ä. schwach). Wie aus der vorhergehenden Uebersicht zu ersehen ist, kommen auffällige, periodisch sich wiederholende Bewegungen der Blütenstiele in verschiedenen Pflanzenfamilien und Gattungen an einer nicht sehr großen Anzahl von Arten vor und zwar sowohl an Pflanzen mit ga- motropischen sich wiederholt öffnenden und schließenden Blüten (z. B. Anemone, Ranunculus, Bellis, Tragopogon, Gilia, Oxalis, Tulipa u. ä.), wie auch an ephemeren (Linum, Convolvulus, Helianthemum u. ä.) und an agamotropischen Blüten (Cynoglossum, Campanula, Fragaria, Geum, einigen Kompositen, Dipsaceen u. ä.). Was den Nutzen der periodischen, fast ausschließlich während der Anthese und zwar meist mit ungleicher Energie auch bei nahe mit einander verwandten Arten erfolgenden Bewegungen der Blüten- stiele bez. -Stengel betrifft, so besteht dieser hauptsächlich darin, dass die Blüten und die in diesen befindlichen meist zarten Repro- duktionsorgane sowie der in den Nektarien enthaltene Honig durch die täglichen Krümmungen in eine solche Lage gebracht werden, in welcher sie mehr vor verschiedenen schädlichen äußeren Einwirkungen (vor Feuchtigkeit, Regen, unberufenen Gästen ete.) sowie vor schäd- licher Wärmeausstrahlung des Nachts geschützt!), oder in welcher die Funktion der einzelnen Blütenorgane erleichtert, bez. ermöglicht wird. Da nun die periodischen Bewegungen der Blütenstiele bez. - Stengel eine ähnliche biologische Bedeutung haben wie die nyktitropischen Bewegungen der Laubblätter und die gamotropischen Bewegungen der Blütenhülle und ähnlicher Blütenorgane, so gehören sie nicht in die Kategorie der echten Schlafbewegungen, sondern sind kombinierte (nyktitropische und gamotropische) Krümmungen. Am Schlusse dieser kurzen Mitteilung über die Verbreitung ete. der periodischen Bewegungen der Blütenstiele bez. -Stengel sei hier noch erwähnt, dass ich ansehnliche, sich wiederholende Krümmungen dieser Axenorgane auch durch künstlich mit Hilfe eines übertrag- baren, springbrunnenartig wirkenden Apparates erzeugten Regen an sonnigen Tagen in folgenden Arten hervorgerufen habe: Oxalis Val- diviensis, latifolia, caprina, catherinensis, vespertilionis, tetraphylla, crassipes, articulata, Andrieuxi, lasiandra, Deppei; Papaver alpinum; 1) An Pflanzen, deren vollständig entfaltete Blüten herabhängen (nicken), habe ich bisher periodische Bewegungen der Blütenstiele nicht beobachtet. Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. 455 Campanula carpatica; Geranium sanguineum; Malva sp. (M. moschata?); Limum usitatissimum und perenne; bloß schwache Krümmungen wur- den erzielt an einigen Geranium-, Erodium- und Campanula - Arten. Die vor oder erst nach der Entfaltung der Blüten nur einmal erfolgenden Krümmungen der Blüten- oder Fruchtstiele bez. - Stengel, welche lediglich den Zweck haben die Blüten in eine solche Lage zu |bringen, in welcher sie den sie besuchenden Insekten ete. von weitem sichtbar sind und in welcher die Bestäubung, insbesondere die Fremdbestäubung, erleichtert wird (sog. gamotropische Be- wegungen der Blütenstiele)!), oder in welcher die reifende Frucht in eine ihrer Entwicklung günstige Lage gebracht oder, wenn die Krümmung der Fruchtstiele erst zur Samenreife erfolgt, die Aussaat der Samen erleichtert wird (die sogenannten karpotropischen Be- wegungen) !), sind, wie aus meinen und andern diesbezüglichen Be- obachtungen sich ergibt, unter den Anthophyten bei weitem mehr verbreitet, als die periodisch sich wiederholenden, während der An- these erfolgenden Bewegungen der Blütenstiele bez. - Stengel. Unter den zahlreichen mir bekannten Pflanzenarten, deren Blüten- stiele auffallende gamo- oder karpotropische Krümmungen ausführen, gibt es jedoch nur verhältnismäßig wenige, an welchen die Blüten- stiele ete. zweierlei, seltener dreierlei scheinbar gleichartige, in bio- logischer Beziehung aber ganz verschiedene Bewegungen ausführen ?), Zu solchen in biologischer Beziehung mehrfach interessanten Pflanzen gehören z. B. viele Oxalis: Arten, einige Stellaria-, Cerastium-, Holosteum-, Malachium-, Linum-, Helianthemum-, Geranium-, Ero- dium-, Veronica- ete. Arten, dann einige Umbelliferen, Rosaceen, Campanulaceen, Ranuneulaceen u. ä., deren Blütenstiele periodische und zugleich auch gamotropische und karpotropische Krümmungen ausführen. Was das Habituelle anbelangt, so erfolgen die gamotropischen und karpotropischen Bewegungen der Blüten- und Fruchtstiele bez. -Stengel in einer und derselben Gattung oder beinahe mit einander verwandten Gattungen meist gleichartig; doch gibt es auch Beispiele, wo diese (insb. die karpotropischen) Bewegungen in einer und der- selben Gattung ungleichartig ausgeführt werden (so z. B. in der Gatt. Ornithogalum, Aloe u. ä.), während sie, wie aus nachfolgender Uebersicht ersichtlich wird, bei vielen gar nicht mit einander ver- wandten Pflanzen auf eine und dieselbe Art zu Stande kommen. Nicht minder zahlreich sind auch Beispiele von Gattungen, in welchen die karpotropischen Krümmungen der Fruchtstiele bei einigen 4) Mehr über diese Art von Bewegungen siehe in des Verfassers dies- bezüglichen Abhandlungen. 2) Einige Beispiele sind in meiner Abhandlung in den Berichten der deutch. botan, Gesellsch. in Berlin, 1891, 1, angeführt. 456 Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. Arten auffallend, bei anderen Arten derselben Gattung aber gar nicht oder sehr schwach ausgeführt werden, so z. B. in der Gatt. Rosa R. pimpinellifolia und R. eglanteria, Dryas (D. Drummondi und octo- petala), Fragaria (F. vesca und indica), Sisymbrium (S. Loeselii und elatum), Clematis (©. integrifolia und recta), Veronica (V. gentianoi- des und umbrosa), Galium (G. saccharatum und aparine), bei welchen an der zuerst genannten Art die Blütenstiele karpotropisch an der zweiten Art aber akarpotropisch sind; ebenso gibt es in der Gattung Allium, Primula, Heracleum und bei einigen anderen Umbelliferen neben Arten mit karpotropischen auch Arten mit nicht karpotro- pischen Blütenstielen. Die gamo- und karpotropischen Bewegungen der Blüten- und Fruchtstiele bez. -Stengel erfolgen bei den von mir bisher dies- bezüglich näher untersuchten Pflanzen nach folgenden sechs von einander wesentlich verschiedenen Typen: T. Oxalis-Typus. Wie bei den meisten Oxalis-Arten so krümmen sich auch bei einigen Caryophyllaceen, Geraniaceen, Cistineen, Lineen, Postulaceen u. ä. die Blüten kurz vor der Entfaltung aufwärts zum Ziele; nach erfolgter Befruchtung der Blüten bewegen sie sich aber abwärts, um später, kurz vor dem Aufspringen der Samenkapsel sich meist (so bei Oxalis, Stellaria, Malachium, Cerastium, Holosteum, Montia u. ä.) wieder aufwärts zu krümmen. Solche Bewegungen der Blüten- und Fruchtstiele erfolgen nach meinen bisherigen Beobachtungen an Oxalis Valdiviensis, crassipes, rosea, lasiandra, pentaphylla, corniculata, carnosa, stricta, Deppei, tetra- phylla, caprina, catherinensis, multiflora, Martiana, articulata, lasiope- tala, vespertilionis, tropaeoloides, esculenta, Andrieuzxi, latifolia, umbrosa, bei O. pubescens, Ortgiesii und jrolifera schwächer, weiter an Stel- laria media, Holosteum umbellatum, Cerastium perfoliatum, Malachium aquatile, Montia minor. Aehnliche Krümmungen der Blütenstiele mit oder ohne Gerad- streckung der Fruchtstiele- zur Zeit der Samenreife erfolgen auch bei einigen Linum- (L. austriacum, perenne u. ä.), Helianthemum- (H. vulgare, roseum, polifolium u. ä.), Geranium- (G. pratense, cinereum, aconitifolium, Londesii, Endresii u. ä), Erodium- (E. gruinum, serotinum, laciniatum, romanum, cicutarium, alsiniflorum, macrodenum, ciconium, moschatum u. ä.), Pelargonium (P. sani- culaefolium, alchemilloides u. ä.). II. Primula-Typus. Wie bei zahlreichen Umbelliferen, so krümmen sich auch bei nachfolgenden Pflanzenarten mit doldenartigen Blütenständen die Blütenstiele kurz vor der Entfaltung der Blüten exzentrisch von einander sich entfernend, so dass die anerst fast vertikal aufrecht und dicht nebeneinander stehenden Blüten in eine mehr oder weniger schiefe, die Randblüten öfters in eine fast horizon- tale Lage gebracht werden (so z. B. bei Primula japonica, einigen Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. 457 Astrantia- und Allium-Arten, bei Fulbagtria violacea u.ä.). Die Frucht- stiele krümmen sich dann aber nach erfolgter Befruchtung der Blüten wieder exzentrisch gegen einander, so dass die reifende Frucht ähnlich wie die Blütenknospen in eine mehr geschützte Lage gebracht wird; erst später zur Zeit der Samenreife krümmen sich die Frucht- stiele öfters, so insbesondere bei einigen Umbelliferen (Daucus u. ä.) wieder exzentrisch auseinander, wodurch die Aussaat der reifen Frucht erleichtert wird. Zu diesem Typus gehören: Primula japonica, cortusoides, japo- nica > cortusoides, farinosa, pubescens, bei clatior, officinalis, macro- calyx, obconica erfolgen die karpotropischen Krümmungen schwächer; Cortusa Matthioli; Chelidonium maius und laciniatum sind schwach karpotropisch; Allium hymenorrhizum, schoenoprasum u. ä.; Tordylium syriacum, trachycarpum; Lophosciadum meifolium ; Oenanthe pimpinelloides, carsthia, Matthioli; Myrrhis odorata; Athamenta cretensis, Chaerophyllum aureum, temulum u.ä; Hera- cleum sphondylium, eminens, bei H. giganteum, granatense, asperum, trachyloma u. ä. sind die karpotropischen Krümmungen schwächer, ebenso bei einigen Astrantia- und Pimpinella-Arten, hingegen führen die Fruchtstiele einiger Daucus-Arten sehr auffallende Krümmungen aus. III. Veronica-Typus. Beizahlreichen Pflanzenarten mit trauben- artigen Blütenständen aus der Familie der Cruciferen, Serophularineen, Liliaceen und bei einigen Colchieaceen krümmen sich die zuerst (vor der Entfaltung) aufwärts gerichteten und dem sie tragenden Stengel genäherten Blüten kurz vor dem Aufblühen vom Stengel, wobei sie sich auch von einander, ähnlich wie im vorhergehenden Typus, ent- fernen; nach der Befruchtung der Blüten bewegen sich aber die Fruchtstiele wieder in entgegengesetzter Richtung dem Stengel sich mehr oder weniger nähernd und sich meist auch steif gerade streckend, so dass die Frucht an den Stengel angepresst wird. Als ausgezeichnete Beispiele zu diesem Typus führe ich hier von Serophularineen einige Veronica- und Linaria-Arten an, so insbesondere Veronica gentianoides, aphylla, latifolia, sasatilis, Devoniensis, falcata, offieinalis, candida, Bachofenü, candidissima, schwächer karpotropisch sind V. teucrium, chamaedrys u. ä.; Linaria (Alonsoa) bipartita, pur- purea, aparinoides, vulgaris, bei L. alpina schwächer u. ä Weiter gehört hierher Erinus alpinus, Gratiola officinalis. Von Serophu- larineen schließen sich an diesen durch Veronica gentianoides u. ä. repräsentierten Typus noch die von mir beobachteten Pentstemon- und Verbascum-Arten, welche durch ihre nicht einfach trauben- artigen Blütenstände ete. vom Veronica-Typus jedoch einigermaßen abweichen. Ansehnliche karpotropische Krümmungen der Fruchtstiele habe ich außer an Pentstemon barbatum, gentianoides, pubescens, digitalis, coeruleum, Makayanum, cobaea auch an nachfolgenden Cruciferen be- 458 Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. obachtet: Myagrum perfoliatum, Sisymbrium Loeselii, austriacum, Eruca vesicaria, cappadocica, sativa schwächer; Melanosinapis communis; Brassicanigra,; Berteroa incana,; Rapistrum perenne, glabrum, rugosum; Crambe hispida; Ochthodium aegyptiacum ; Biscutella raphanifolia schwächer. Von Liliaceen gehören an diesem Typus nach meinen bisherigen Untersuchungen Ornithogalum scilloides, caudatum, Ekloni, pyre- naicum, pyramidale; Eremurus spectabilis, altaicus; Asphodelus luteus, Villarsi, albus, ramosus; Paradisea liliastrum; Agraphis nutans, patula; Asphodeline cretica, lutea; bei Anthericum liliago, ramosum; Scilla campanulata, nutans, cernua u. ä habe ich bloß schwache karpotropische Bewegungen der Fruchtstiele beobachtet. Von Colchicaceen führe ich bier noch Tofieldia calyculata bei- spielsweise an. IV. Aloe-Typus. Bei den meisten Aloe-Arten, so z. B. bei den von mir beobachteten Aloe echinata, vulgaris, vera, sacotorina, suberecta, dichotoma, verrucosa, angulata, trigona, saponaria, elongata, disticha, trachyphylla, nigricans, margaritifera, ciliaris krümmen sich die zuerst fast vertikal aufrecht gestellten Blütenknospen vor der Entfaltung ähnlich wie im vorhergehenden Typus von dem sie tragen- den Blütenstengel (bei Aloe albilinea, Reinwardli und recurva bleiben aber auch vollständig entfaltete Blüten, wie die Knospen und die Blüten nach der Anthese schief aufwärts gerichtet) und zwar meist so, dass die Blüten während der Blütezeit mit ihrer Oeffnung schief oder vertikal herabgekrümmt sind; zur Zeit der Fruchtreife krümmen sich aber die bereits geschlossenen Blüten wieder wie beim Veronica- Typus aufwärts, dem Stengel sich mehr oder weniger nähernd, so dass die Frucht meist direkt den Stengel berührt (Aloe echinata, sub- rigida, dichotoma u.ä.) oder von diesem mehr oder weniger weit ab- stelit (A. angulata u. ä.). Von Liliaceen nähern sich dem Aloe-Typus auch einige Funkia und Muscari-Arten, bei welchen die Krümmungen der Knospen- und Blütenstiele fast so wie bei den meisten Aloe-Arten erfolgen, die Frucht aber öfters, so bei einigen Muscari-Arten, fast horizontal vom Stengel absteht. Von Dicotylen gehören hierher neben einer größeren Anzahl von Leguminosen, Saxifragaceen und Campanulaceen auch einige Ona- graceen und Scrophularineen, bei welchen die jungen Blütenknospen an den meist traubenartigen Blütenständen zuerst aufwärts gerichtet sind, später aber und zwar meist schon lange vor der Entfaltung der Blüten vollständig herabgekrümmt sind, so z. B. bei Astragalus-, Galega-, Lupinus-, Indigofera-, Onobrychis-, Thermopsis-, Melilotus-, Oxytropis u. ä. Leguminosen-Arten, dann bei einigen Arten aus der Gattung Heuchera, Digitalis und Campanula, nach erfolgter Be- fruchtung der Blüten krümmen sich aber die Blütenstiele wieder Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. 459 aufwärts wie beim Veronica-Typus, an welchen sich der Aloe-Typus anschließt. Solehe gamotropische und karpotropische Krümmungen habe ich bisher an folgenden Leguminosen: Astragalus sulcatus, glyeyphyllus, Onobrychis montana, sativa schwächer; Melilotus officinalis, albus, altissimus; Lathyrus platyphyllus, pyrenaicus; Lupinus esculentus, polyphyllus, perennis, Vieia faba und in geringerem Grade auch bei einigen Galega-, Oxytropis- und Thermopsis- Arten beobachtet. Von Saxifragaceen an: Heuchera himalayensis, villosa, americana, kichardsonü, pilosissima, ribifola, hispida, coccinea und an Foloniea (Heuchera) Menziesii; von Onagraceen an: Epilobium angustifolium, an E. Dodonaei u. ä., dann bei VDenothera Lamarckiana und biennis schwächer; von Campanulaceen an: Campanula persicifolia,; von Serophularineen an: Digitalis lutea, ambigua, purpurea, argyrostigma, an D. lanata schwächer. Von Campanula-Arten nähern sich dem Aloe-Typus auch ©. trachelium, rapunculoides, bononiensis, collina, allinsiaefolia u. ä., bei welchen die Knospen- und Blütenstiele zwar so wie bei den meisten Aloe-Arten sich verhalten, die Fruchtstiele aber nicht aufwärts, sondern mehr oder weniger bis vertikal herab- gekrümmt sind. Am häufigsten erfolgen aber wie es scheint, die gamo- und karpo- tropischen Bewegungen der Blütenstiele ete. nach folgenden zwei Fragaria- und Aquillegia-Typen: V. Fragaria-Typus. Zu dem durch Fragaria vesca, grandifiora, elatior und monophylla u. ä. repräsen- tierten Typus, bei welchen die entfalteten Blüten an mehr oder minder aufrecht stehenden Stielen mit der Oeffnung seitwärts gerichtet sind, nach erfolgter Befruchtung der Ovarien aber sich herabkrümmen, wobei die reifende Frucht von dem persistierenden und bei vielen hierher gehörenden Pflanzen sich karpotropisch schließenden Kelche vollständig umschlossen oder doch dachartig geschützt wird, gehören von Rosaceen noch folgende von mir beobachtete Arten: Rosa pim- pinellaefolia, rugosa, cinnamomea, alpestris schwächer; Waldsteinia geoides, sibirica; Coluria geoides; Agrimonia eupatorium, leu- cantha u. ä&.!); Cotoneaster nummularia u. ä. Einfache Herabkrümmung der Blütenstiele während der Frucht- reife habe ich weiter an folgenden Pflanzenarten nachgewiesen: von Monokotylen an Tradescantia virginica, crassula, navicularis, pilosa, erectau.ä.; Tinnantia fugax u. ä.; von Dikotylen an Calandrina discolor; Fribulus terrestris schwächer ; Stellaria holostea; Lathy- rus sativus, odoratus; Pisum sativum,; Trigonella spruneriana; Trifolium repens, elegans; Coronilla montana u.ä; Fumana procumbens; Linaria pallida, cymbalaria; Nemophila insignis, 1) Bei diesen und einigen anderen oben angeführten Pflanzen erfolgt die karpotropische Krümmung der Fruchtstiele nicht gleich nach der Befruchtung der Blüten, sondern meist viel später. 460 Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. . maculata u. ä; Nonnea rosea; Nolana prostrata, grandiflorn; Ga- lium saccharatum, tricorne; Campanula sarmatica, eriocarpa, mi- crantha, drabaefolia, latifolia, Reuteriana u.ä.; Convolvulus siculus, scammonta, alsinoides u.ä.; Ipomea bona nox, coccineau.ä.; Anagallis arvensis, coerulea, grandiflora u. ä; Lysimachia nemorum, nummu- laria schwächer, latifoliau.ä.; Vincetoxicum purpurascens, medium u. ä.; Asclepias cornuti, hybrida, Douglassii, albida, Sullivanti, prin- ceps, syriaca u. ä.; Aristolochia clematitis u. v. a. Ferner dürften diesem Typus auch noch Tussilago farfara, Adoxa moschatellina u. ä. Pflanzen angesellt werden, deren zur Blütezeit aufrecht stehender Stengel bei der Fruchtreife sich herab- krümmt; und vielleicht gehören auch noch Nicandra physaloides, einige Myosotis- und Solanum- Arten ete. hierher. Was die Krümmungen der Blütenstiele der Wasserpflanzen an- belangt, deren Blüten vor der Entfaltung über die Wasseroberfläche sich erheben, später aber nach erfolgter Befruchtung ins Wasser wieder untertauchen, wo dann auch die Frucht reift, so glaube ich, dass sie am besten mit dem Fragaria-Typus vereinigt werden können. Auffallende hydrokarpische Bewegungen der Blütenstiele er- folgen an zahlreichen in Wasser lebenden Pflanzen aus folgenden Gattungen: Vallisneria, Bootia, Hydrilla, Elodea, Enalus, Ottelia, Lagarosiphon und anderen Hydrocharitaceen, an Hydrocleis-, Limno- charis-, Pontederia-, Heterantera-, Nymphaea-, Nuphar-, Victoria- Arten u. ä. Dem Fragaria-Typus am nächsten stehen auch die geokarpi- schen Krümmungen der Blütenstiele, welche an einer größeren An- zahl von Pflanzen, deren Frucht in der Erde reift, nachgewiesen werden. VI. Agwilegia-Typus. Wie bei Aguilegia vulgaris so richten sich auch bei nachfolgenden von mir beobachteten Pflanzen die während der Anthese niekenden, d. h. mit der Oeffnung herabge- krümmten Blüten, nach erfolgter Befruchtung der Blüten oder zur Zeit der Fruchtreife aufwärts und strecken sich auch meist steif gerade. Von Ranuneulaeeen gehören hierher: Aguilegia chrysantha, Skinneri, olympica, atrata, Sternbergii, canadensis, leptoceros, califor- nica, arctica, coerulea, sibirica, nigricans, pyrenaica, Bauhini, stellata, Ottonis, advena, Haenkeana, lutca, Kitaibelii, thalietrifolia, Bertolon?, hybrida, versicolor, nevadensis, Einseliana u. ä.; Isopyrum thalie- troides ist schwach karpotropisch; Anemone albana, pulsatilla, Hal- leri u. ä; Aconitum Iycoctomum var. pyrenaicum, vulgare, na- pellus, paniculatum u. ä&.; Delphinium grandiflorum, elatum, for- mosum, Hendersonii, cancasum, cuneatum, laxiflorum u. ä.; QOlematis integrifolia u. ä Von Rosaceen: Geum rivale, pallidum, tiro- lense — G. rivale x montanum,; Dryas Drummondü. Von anderen Dikotylen und Monokotylen: Silene nutans, diurna; Hermannia Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. 461 candicans, alnifolia, mollis, micans, althaeifolia, flammea, discolor, angularis, hirsuta; Solanum capsicastrum, pseudocapsicum, argen- tinum, Hendersonii, humile, laciniatum u. ä.; Streptocarpus Rhexii, paniculatus; Naegelia cinnabarina,; Polemonium coeruleum, Richard- sonüi, gracile; Pinguicula vulgaris; Platycodon Mariesii; Scero- phularia orientalis, nodosa u. ä; Tetranema mezxicana,; einige Fritillaria- Arten; Lilium martagon,; schwächer karpotropisch sind auch die Blütenstiele von Lilium dalmaticum, Uvularia grandi- flora u. ä. Ferner dürften zu diesem Typus auch einige Symphytum- Arten und ähnliche Boragineen zugereiht werden, deren Blütenstiele zur Fruchtzeit sich aktiv aufwärts krümmen, und vielleicht auch Impa- tiens noli tanyere u. ä., deren Stiele zur Fruchtzeit steif gerade werden oder sich schief aufwärts richten. Weiter mögen hier auch noch die Viola- Arten angeführt werden, bei welchen die Fruchtstiele jedoch nicht während der Fruchtzeit, sondern erst noch zur Fruchtreife sich aufwärts krümmen und gerade strecken, so z. B. bei den von mir beobachteten Viola multicaulis, tricolor, alba, mirabilis, silvatica, cornuta, odorata, biflora, elatior u.ä. Von Pflanzen, deren Blüten- und Fruchtstiele bezw. Stengel auf- fallende gamotropische und karpotropische Krümmungen ausführen, welche aber von den im Vorhergehenden kurz beschriebenen sechs Haupttypen mehr oder weniger abweichen, seien hier bloß einige Nareissus- und Loasa-Arten, dann auch Dodecatheon meadia und integrifolium erwähnt. Während die Krümmungen der Blüten- und Fruchtstiele des Nareissus pseudonareissus, Jongwilla u. ä. an Aquilegia-Typus die der Loasa-Arten an Aloe-Typus mehrfach erinnern, sind die Bewegungen der Blüten- und Fruchtstiele der Dodecatheon- Arten, bei welchen die zuerst nach oben gerichteten Knospen sich später so stark herab- krümmen, dass sie fast vertikal herabhängen, die befruchteten Blüten sich aber wieder aufwärts krümmen und gerade strecken, mit dem zuletzt genannten Typus der karpotropischen Bewegungen der Blüten- stiele kaum zu vereinigen !). Bezüglich der Krümmungen der Knospenstiele bemerke ich hier noch, dass das Nicken junger Blütenknospen vieler Papaver-Arten (P. alpinum, nudicaule, pyrenaicum, ceroceum, rhoeas, rupifragum, spi- catum, apulum, Hookeri, olympicum, modestum, somniferum, argemone u. ä.) ähnlich wie das Nicken junger Blütenköpfchen einiger Compo- 1] Auch einige Campanula- Arten (CO. pulla, sibirica, medium u. ä.), dann Adenophora communis u. ä., deren Fruchtstiele bloß stärker als die Blütenstiele herabgekrümmt sind, lassen sich weder dem F'ragaria-Typus noch einem anderen gut unterordnen. Außerdem gibt es auch Pflanzen, welche keinem von den oben angeführten sechs Typen angehören, sondern von einem Typus zum anderen (so z. B. vom Veronica-Typus zum Aloe-Typus) Uebergänge bilden. 462 Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele. siten (Scorzonera eriosperma, Leontodon hastilis u. ä.) sowie das Herabkrümmen der Endteile der Blütenschäfte einiger Allium- Arten (A. ophioscordon, angulosum, nutans, sativum, ampeloprasum, fallax, anescens u. ä.), dann das Nicken der Knospen vieler Saxzifraga- Arten (S. sarmentosa, hypnoides, umbrosa, caespitosa, geum, rotundi- Folia, Camposii u. ä.) durch positiven Geotropismus der Knospenstiele bedingt ist und dass das in späteren Altersstadien erfolgende Auf- richten der Blütenknospen bezw. Blütenköpfchen der vorher genannten Pflanzen, wie ich durch wiederholt argestellte Versuche nachgewiesen habe, hauptsächlich durch negativen Geotropismus zu Stande kommt. Inbetreff der Ursachen der gamotropischen und karpotropischen Krümmungen der Blüten- und Fruchtstiele bezw. Stengel möge hier erwähnt werden, dass aus meinen sowie aus den von Vöchting und Noll vor mir durchgeführten diesbezüglichen Untersuchungen sich ergibt, dass die soeben genannten Bewegungen der Blütenstiele etc. fast ohne Ausnahme resultierende Bewegungen sind, welche durch Kombination von geotropischen, heliotropischen und spontanen (so die meisten gamotropischen Krümmungen der Blütenstiele) oder durch Kombinierung von geotropischen und autonomen, seltener von negativ heliotropischen und spontanen (so die meisten karpotropischen Krüm- mungen) zu Stande kommen. Was die autonomen Bewegungen der Blüten- und Fruchtstiele bezw. Stengel anbelangt, so geht aus den von Vöchting und von mir an einer größeren Anzahl von Pflanzenarten durchgeführten Klinostatversuchen hervor, dass diese Bewegungen neben den helio- tropischen und geotropischen in Aktion sind und bei der überwiegen- den Mehrzahl der diesbezüglich näher untersuchten Pflanzen allem Anschein nach die Hauptrolle spielen. Doch sind die autonomen Bewegungen und die von Vöchting als Rectipetalität bezeichnete Eigenschaft der Blüten- und Fruchtstiele bezw. -Stengel ähnlich wie die geotropische und heliotropische Reiz- barkeit der soeben genannten Axenorgane bei verschiedenen Pflanzen- Arten in sehr ungleichem Grade entwickelt. Neben Pflanzen, deren bestimmte Lage der Blüten oder der Frucht vorwiegend durch den Einfluss der Schwerkraft oder des Lichtes bedingt ist, gibt es auch Pflanzen, deren Fruchtstiele seltener auch die Blütenstiele sich dem Einfluss des Lichtes oder der Schwerkraft gegenüber fast indifferent verhalten und bei welchen die Lage der Blütenstiele ete. nicht durch äußere, sondern hauptsächlich durch innere Kräfte verursacht ist. Da also bei verschiedenen auch nahe mit einander verwandten Pflanzen die Herstellung der zweckentsprechenden Lage der Blüten oder der reifenden Frucht wie aus den von Vöchting, Noll, Wiesner u. a. sowie von den von mir an zahlreichen Pflanzen an- gestellten Versuchen mit Sicherheit sich ergibt, durch geotropische, Hansgirg, Bewegungen der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele.. 463 heliotropische und spontane Krümmungen (bezw. Torsionen) der Blüten- und Fruchtstiele mit sehr ungleicher Energie erfolgt, resp. die Fähig- keit der Blütenstiele ete. infolge von veränderter Einwirkung der Schwerkraft oder des Lichtes durch geotropische oder heliotropische Krümmungen zu reagieren in mehr oder minder hohem Grade ent- wickelt oder gar nicht vorhanden ist, so kann angenommen werden, dass die Eigenschaft der Blüten- und Fruchtstiele bestimmte gamo- tropische und karpotropische Bewegungen auszuführen, ähnlich wie die nyktitropische Bewegungsfähigkeit der Blütenstiele (auch der Blütenhülle und der Laubblätter) durch Anpassung nach und nach erworben wurde. Dass die gamo- und karpotropischen Bewegungen der Blütenstiele ete. zu den Anpassungserscheinungen der Anthophyten gehören, steht wohl, da die gamotropische und karpotropische Be- wegungsfähigkeit dieser Organe bei verschiedenen Pflanzenarten aus einer und derselben Gattung mehr oder minder potenziert oder gar nicht vorhanden ist außer allem Zweifel !). Von Pflanzen, deren Krümmungen der Fruchtstiele bezw. -Stengel durch negativen Heliotropismus bedingt sind, seien hier neben der von Hofmeister diesbezüglich näher untersuchten Linaria cym- balaria, des von Wiesner untersuchten Helianthemum vulgare und des durch Darwin als negativ heliotropisch bekannt gewordene Cyclamen persicum auch folgende drei von mir näher untersuchten Pflanzen angeführt: Nemophila insignis, maculata, Linaria pallida. Mehr oder minder auffallend positiv heliotropisch sind bei mäßiger Beleuchtung die Blütenstiele bezw. -Stengel von Stellaria media, Agrosiemma coronaria schwächer, Nemophila insignis, Linaria pallida, Arenaria capensis, einiger Cerastium-, Oxalis-, Linum-, Ranunculus-, Geum-, Geranium-, Erodium-, Papaver-, Chelidonium-, Scabiosa-, Cam- panula-, Gagea-, Doronicum-, Buphthalmum-, Chrysanthemum-, Pyre- thrum-Arten, dann die Blütenstiele bezw. -Stengel einiger Umbelliferen und Cynareen. Ansehnliche negativ geotropische Krümmungen der Blütenstiele bezw. -Stengel habe ich an folgenden von mir meist durch längere Zeit in inverser Stellung beobachteten Pflanzen, deren Blütenstiele aber zumeist auch mehr oder weniger stark positiv heliotropisch sind, nachgewiesen: Kichhornia tricolor, Pontederia crassipes (der Blüten- stengel), an einigen Tulipa-, Allium-, Gagea-, Euphorbia-, Chrysan- themum-, Pyrethrum-, Scorzonera-, Leontodon-, Tragopogon-, Helian- themum-, Geranium-, Erodium-, Pelargonium-, Stellaria-, Cerastium-, Arenaria-, Saxifraga-, Oxalis-, Potentilla-, Papaver, Fragaria-, Wald- 1) Nebenbei bemerke ich hier, dass ich an einigen Pflanzen mit karpotropischen Blütenstielen, welche in einigen Exemplaren in mehr trockenem, kalkhaltigem Boden und unter sonst gleichen Bedingungen zugleich auch in mehreren Exem- plaren in feuchtem, humusreichen Boden kultiviert wurden, ein ungleiches karpotropisches Verhalten der Blütenstiele beobachtet habe. 464 Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. steinia-, Oenothera-, Chelidonium-, Nymphaea- Arten, dann schwächere negativ geotropische Krümmungen auch an Alisma plantago, Agathaea amelloides, Bellis perennis, Cistus salvifolius, Alchemilla vulgaris, Eche- veria floribunda, Fuchsia repens, Holosteum umbellatum, Phlox ovata, Carum carvi, Meum athamanticum und einigen anderen Umbelliferen und Kompositen. Hingegen positiv geotropisch reagieren die Blütenstiele an in verkehrter Stellung befindlichen Pflanzen von Aloe echinata, subrigida u. ä., Lilium martagon, Dalmaticum, Geum rivale, pallidum, Folmica Menziesii, Loasa hispida, Tetranema mexicana, Dodecatheon meadia, integrifolium, Cynoglossum offieinale, Geranium macrorhizum, an einigen Symphytum-, Scrophularia-, Polygonatum-, Heuchera-, Aqguilegia-, Viola-, Fritillaria- Arten u. ä. Negativ geotropische Krümmungen der Fruchtstiele habe ich an folgenden Pflanzen konstatiert: Ornithogalum secilloides, caudatum, umbellatum, Asphodelus luteus, Camarsia esculenta, Hyacinthus orientalis und Antherium liliago schwach, Tofieldia calyculata, Sisymbrium Loeselii, Cardamine pratensis und Thlaspi arvense schwächer, Eruca sativa, Cochlearia offieinalis, Kaphanus sativus, Sanginaria canadensis, an den sich aufwärtsrichtenden Fruchtstielen von Holosteum umbellatum, Stellariu media, Cerastium perfoliatum und einiger Oxalis-Arten, deren Fruchtstiele in jüngern Altersstadien (gleich nach der Befruchtung der Blüten) sich positiv geotropisch herabkrümmen; an jungen Frucht- stielen von Scrophularia orientalis, nodosa, Linaria macrocarpa, Erinus alpinus, Polemonium coeruleum, Tetranema mexicana, Viburnum lantana, Syringa vulgaris, Astragalus glycyphyllus, Heuchera villosa, Dodecatheon meadia, integrifolium, an einigen Veronica-, Delphinium-, Aconitum-, Aquilegia-, Primula-, Saxifraga-Arten, an Geranium macrorhizum und ähnlichen Geraniaceen, deren Fruchtstiele sich aufwärts krümmen. Hingegen krümmen sich positiv geotropisch junge Fruchtstiele von Helianthemum vulgare, roseum, pilosum, einiger Linum- und Fra- garia-Arten, Waldsteinia geoides, Ornithogalum nutans, Stellaria holostea und der vorher genannten Caryophyllaceen, deren Fruchtstiele zur Zeit der Fruchtreife herabgekrümmt sind, später aber (bei der Samen- reife) sich negativ geotropisch aufwärts krümmen; ähnliches gilt auch von Geranium pratense und einigen anderen Geraniaceen. Transversal geotropisch sind die Blütenstiele von Narcissus, Jonquilla patiens, pseudonarcissus und ähnlichen Monokotylen, deren Blütenstiele unter dem Einfluss der Schwerkraft horizontale Lage ein- nehmen. Ueber die primitiven Ortsbewegungen der Organismen. Von Prof. Johannes Frenzel. Man pflegt bekanntlich die Bewegungen der Organismen in zwei Gruppen einzuteilen, in gestaltsverändernde und ortsverändernde. Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. 465 Erstere kommen im allgemeinen sowohl Tieren wie auch Pflanzen, letztere vorwiegend den Tieren zu. Die Bewegungen dieser Art kann man wieder in zwei Gruppen zerlegen, in freiwillige und selbständige einerseits, und in unfreiwillige oder doch nicht selbständige ander- seits. Die der ersteren Art ist allen höheren Tieren eigen und wird durch Bewegungsorgane von besonderem Bau hervorgerufen. Sie be- ginnt unter den niedersten Organismen etwa bei den echten Amöben, deren Pseudopodien, wie schon der Name andeuten soll, als Füße gebraucht werden. Allgemein angenommen wird ferner, dass die Flagellaten sich mit Hilfe ihrer Geißel fortbewegen. Dieses Organ aber dient in sehr vielen Fällen gleichzeitig als Tast- oder Fang- apparat, und man sieht nicht selten eine langsam vorwärtsgleitende Flagellate, deren Geißel augenblicklich starr und regungslos gehalten wird, ohne dass auch bei längerem Verweilen in diesem Zustande ein Aufhören der Vorwärtsbewegung des Tieres eintritt. Andere, sonst ganz unzweifelhafte Vertreter dieser Ordnung sind gar nicht mehr im Besitze einer Geißel und bleiben dennoch im stande, eine Ortsver- änderung vorzunehmen. So fand ich hier in einer Regenwassertonne eine schöne, große Euglena in zahllosen Exemplaren, die, sämtlich geißellos, sich nichtsdestoweniger, wenn auch nur langsam, von Ort zu Ort bewegten !). Erst die ceiliaten Infusorien lassen ganz typische Bewegungsorgane in Gestalt der Wimpern erkennen, deren Funktion eine streng abge- grenzte ist, und die nun bei zahlreichen niedern Metazoen (Turbel- larienete.) und bei der Mesozo& Salinella salve?) zur Anwendung kommen. Wenn man nun wieder von jenen geißellosen Flagellaten ausgeht, so wird man unter den Protisten eine ganze Reihe von Formen an- treffen, die besonderer Einrichtungen zur Fortbewegung entbehren und dennoch eine solche zeigen. Als Beispiel hierfür seien zunächst die Heliozoen angeführt; denn besitzen dieselben auch als Pseudo- podien bezeichnete Apparate, so sind diese doch gewöhnlich nichts als Fühl- und Fangorgane und werden in keiner irgendwie sichtbaren Weise zur Ortsveränderung benutzt. Zwar hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Strahlen der Heliozoen auch als Bewegungsorgane in Anspruch zu nehmen; doch kann man diese Versuche kaum glücklich nennen und höchstens für einen ganz speziellen Fall in Rechnung bringen. K. Brandt?) beobachtete z. B. bei Actinosphaerium Eich- 1) Dies war aber keine Kriech- sondern eine Schwimmbewegung, also keine Bewegung nach Art der Spannerraupe, wie sie von kriechenden geißel- tragenden Euglenen etc. wohl ausgeführt wird (vergl. OÖ. Bütschli in Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreichs. I. 848). 2) Siehe meine: Untersuchungen über die mikrosk. Fauna Argentiniens, Salinella salve. (Im Erscheinen begriffen.) 3) Untersuchungen an den Axenfäden der Heliozoen von Dr. K,Brandt. Sitzungsber. d. Gesellsch. naturf. Freunde zu Berlin. Oktober 1878. 8. 171 fg. IR 30 466 Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. hornii eine Schiefstellung der Strahlen und eine damit verbundene Drehung des Tieres. Er ließ die Frage aber eine offene bleiben (l. e. S. 177), „ob die Schiefstellung der Pseupodien oder die sie her- vorrufende Ursache die Bewegung des Tieres veranlasst“. Ganz irrtümlich jedoch ist die Auffassung Eugen Penard’s!) (l.c. S. 44). Dieser möchte die Bewegungen der Heliozoen dahin zusammenfassen, „dass das Tier einige seiner Fäden von sich streckt, welche momentan ihre Starre verlieren, dann erstarren und den Körper nach sich ziehen, indem sie ihn ein wenig von oben nach unten wenden; andere Fäden ersetzen die ersten und ziehen ihrerseits, so dass im Verlaufe des Phänomens das Tier wie ein Ball auf der Tafel rollt und dies zu- weilen so schnell, dass es wie eine Spinne zu laufen scheint“. Ich möchte nun durchaus nicht bestreiten, dass es unter den Heliozoen Bewegungen dieser Art gebe. Sie jedoch verallgemeinern zu wollen, ist durchaus unzulässig. Ich habe wohl viele Hunderte große und kleine Heliozoen der verschiedensten Arten anhaltend be- obachtet, ohne dass mir ein Tanzen und Balancieren auf den Pseudo- podien aufgefallen wäre, wenn nicht vielleicht große Formen durch den Druck des Deckgläschens an einer freien Bewegung überhaupt verhindert werden und sich dann natürlich mit ihren Strahlen gegen die Glasfläche stemmen. Sehr kleine Heliozoen indessen schwimmen oft, wie ich mich genau überzeugt habe, ohne die geringste Bewegung der Strahlen und ohne irgendwelche Rotation. Man wird daher wohl mit OÖ. Bütschli2) (l. e. S. 292) überein- stimmen müssen, welcher der Ansicht ist, dass im Gesamten „bis jetzt das Verständnis dieses Bewegungsvorganges noch wenig ausreichend erscheint“. Mit den Heliozoen eine große Aehnlichkeit zeigen Tierchen, welche bald zu den Rhizopoden ete., bald zu jenen gerechnet werder. Ich habe sie zur Unterklasse der Heliomöben ?) vereinigt und rechne dazu die Vampyrellen, Nuclearien, meine Nuclearella und andere von mir hierselbst gefundene, jedoch noch nicht näher beschriebene Pro- tisten. Ihre Bewegungen sind im Allgemeinen sehr träge, und man kann erkennen, dass die oft strahlenähnlichen Pseudopodien hierbei keinen Anteil nehmen, so dass wir also dieselben Erscheinungen wie bei den echten Heliozoen vor uns haben. Als nicht minder rätselhaft müssen uns die Bewegungen der Gregarinen erscheinen. Zwar treten zu diesen nicht selten Gestalts- veränderungen hinzu, die sogar in schlangenartigen Biegungen des 1) Die Heliozoen der Umgegend von Wiesbaden von Dr. ph. Eugen Penard. Jahrb. d. Nassauisch. Vereins f. Naturkunde. Jahrg. 43. (1890). 2) Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreichs. Erster Band: Protozoa von Dr. O. Bütsehli. I. Abteilung: Sarcadina und Sporozoa. Leipzig und Heidelberg. 1880— 1882. 3) Siehe meine Untersuchungen ete. Vorläufiger Bericht. (Im Erscheinen.) Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. 467 Körpers ihren Ausdruck finden können, wie ich es sehr schön bei einer hiesigen Polycystee, Pyxinia erystalligera ‘) beobachten konnte. Nichtsdestoweniger aber dürften diese kaum im stande sein, das Tier vom Fleck zu bewegen. Die Gregarinen besitzen, wie bekannt, keine irgendwie differenzierten Bewegungsorgane; ferner ist irgend ein andrer forttreibender Mechanismus nicht zu entdecken, und dennoch sind diese Organismen einer unverkennbaren Ortsveränderung fähig, ob- gleich sie m Wirklichkeit eine sehr träge sein dürfte. Denn man muss bedenken, dass die aus dem Darme ihres Wirtes entnommenen Gregarinen unter dem Mikroskope sich durchaus nicht mehr unter natürlichen Verhältnissen befinden, und dass daher ihre Bewegungen lebhafter erscheinen, als sie in Wahrheit sind. Denn wenn man in einem günstigen Falle ohne Verletzung des bewirtenden Organes die Gregarinen an Ort und Stelle beobachten kann, so wird man sie ge- wöhnlich ruhend finden, wie z. B. bei meiner Callyntrochlamys Phro- nimae?). Deshalb musste ich mich auch gegen die Ansicht Plate’s3) wenden, nach welchem die Kettenbildung nur dazu dienen sollte, den hinteren Individuen die Fortbewegung zu erleichtern, wie ja auch viele Zugvögel bei ihren Wanderungen in einer Reihe sich hinter- einander ordnen, um den Widerstand der Luft und des Windes auf diese Weise leichter überwinden zu können (l. ce. S. 238). Wenn wir nunmehr zu denjenigen Organismen übergehen, welche für echte Pflanzen gehalten werden, so begegnen wir unter den Dia- tomeen bei den Naviculaceen ortsverändernde Bewegungen, welche die größte Aehnlichkeit mit denen der Gregarinen haben. Auch hier weiß man bekanntlich nichts von irgendwelchen Bewegungsorganen zu melden. Zwar haben ja manche zur Erklärung angenommen, dass diese Organismen ganz feine Pseudopodien aussenden, mit deren Hilfe sie kriechen oder schwimmen. Es hat aber noch niemand meines Wissens solche Apparate hier gesehen, was doch mit Benutzung unserer starken Immersionssysteme möglich sein müsste. Denn wenn schließlich jene Pseudopodien so außerordentlich fein wären, dass sie sich noch den stärksten Vergrößerungen entzögen, so wäre gar nicht abzusehen, wie sie einen relativ so großen Körper wie eine Diatomee fortzubewegen im stande sein sollten. Andere haben wieder das Vorhandensein von Flüssigkeitsströmungen angenommen, welche am Hinterende des Körpers austretend diesen vorwärts treiben sollten. Aber auch hier müsste man etwas wahrnehmen, man müsste in der Nähe sich befindende kleine Körperchen in Bewegung geraten sehen, was indessen alles durchaus nicht der Fall ist. 1) Siehe meine Untersuchungen ete.: Ueber einige argentinische Grega- rinen ete. (Im Erscheinen.) 2) Ueber einige in Seetieren lebende Gregarinen. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 24, S. 545 fg. 3) Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. 43. 30 468 Frenzel. Primitive Ortsbewegungen. Schon an einem andern Orte (Argentinische Gregarinen |. c.) habe ich einer Erscheinung gedacht, welche mir in hohem Grade auffiel. Ich beobachtete nämlich eine Naviculacee, welche augenblick- lich ruhig lag. Durch irgend eine schwache Strömung wurde ihr ein kleines lebloses und an sich bewegungsloses Körperchen zugeführt. Kaum gerieht dieses in ihre nächste Nähe, als es mit einem — ich möchte fast sagen „hörbaren“* — Ruck angezogen wurde und nun mehrmals in etwa tanzender Bewegung auf der Schalenoberfläche (Schalenansicht) der Naviculacee längs der Mittellinie auf und nieder- glitt. Es sah ganz so aus, als wenn dieses Körperchen von unsicht- baren Greifarmen gepackt und hin und her geschoben worden wäre. Endlich wurde es in einer ganz auffälligen Weise wieder abgestoßen und lag nun völlig regungslos da. Auch die Spaltpilze führen Formen, welche sich in lebhafter Weise bewegen, und wenn auch bei manchen eine oder zwei Geißeln nach- gewiesen sind, so fehlen diese Apparate anderen Spaltpilzen doch ganz unzweifelhaft, was nur bei der so außerordentlich geringen Größe vieler sehr schwer nachzuweisen ist. Die Geißeln sind daher bloß bei großen Formen wirklich gesehen worden, können aber auch recht wohl gänzlich fehlen. So fand ich hier im Enddarm von Kaul- quappen erstaunlich große Bacillen, die unter gleichzeitigem Rotieren um ihre Längsaxe vorwärts eilten, ohne dass doch eine Geißel zu sehen gewesen wäre. Zwar weiß ich wohl, wie leicht sich diese dem Blick entziehen kann; dennoch aber bin ich der Ansicht, dass ich bei Anwendung aller Vorsichtsmaßregeln, z. B. des langsamen Austrock- nens, des Färbens ete. wenigstens Spuren davon hätte bemerken sollen. Die kleinsten Schizomyceten, die Kokken, liegen oft ganz still, oft dagegen zeigen sie jene tanzende Bewegung, welche man der sogenannten (Brown’schen) Molekularbewegung gleichgestellt hat, eine Bewegung, mit der jeder Mikroskopiker so vertraut ist, dass er sie gar nicht mehr beachtet. Und dennoch bietet sie des Interessanten viel, zum Teil schon deshalb, als sie gar nicht selten unter Umständen vermisst wird, wo man sie am allerehesten erwarten sollte. Auch die Molekularbewegung ist in ihrem Wesen durchaus noch nicht irgendwie erklärt. Sowohl die pflanzlichen, als auch die tierischen Spermatozoen be- sitzen gleich den Flagellaten im Allgemeinen einen geißelartigen Schwanz, mit dessen Hilfe, so dürfte es wohl sein, sie sich vorwärts bewegen. Man sollte daher meinen, dass sie keines weiteren Agens bedürfen, um an ihr Ziel zu gelangen. Auch nahm man früher ge- wöhnlich an, dass ihre Bewegungsrichtung eine durchaus planlose sei. Erst die sorgfältigen Untersuchungen J. Dewitz’!) baben uns von 4 4. Ueber die Vereinigung der Spermatozoen mit dem Ei. Archiv f. die gesamte Physiologie ete., Bonn 1885 und 2. Ueber Gesetzmäßigkeit in der Ortsveränderung der Spermatozoen etc. Ebenda Bd. 38 (1836) S. 358 fg. Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. 469 dieser irrtümlichen Ansicht befreit und den Nachweis gebracht, dass wenigstens die Spermatozoen der Orthopteren fast genau in Kreis- bahnen verlaufen (l. ec. S. 360 fg.). Dies würde nun vielleicht nicht so überraschend sein, da wir uns vorstellen könnten, dass die Sperma- tozoen eine derartige Krümmung ihrer Axe annehmen, dass sie in einer Kreisbahn gesteuert würden, welche übrigens zuerst von Th. Eimer!) bemerkt worden zu sein scheint. Um vieles merkwürdiger aber müssen uns die Resultate W. Pfef- fer’s?) erscheinen, zu denen dieser bei der Untersuchung der Sperma- tozoen von Kryptogamen gelangt ist. Bei den Farnkräutern fand dieser Forscher nämlich, wie die Spermatozoen durch einen chemischen Reiz, durch Apfelsäure, angezogen werden. In ähnlicher Weise wies sodann J. Dewitz (l. ce.) nach, dass auf tierische Spermatozoen die Flächen in gleicher Weise anziehend wirkten, so dass sie sich mit Vorliebe auf diesen in Kreisbahnen bewegten. Ihre selbständige Vorwärtsbewegung einerseits, die Kreisbahn und die Flächenanziehung anderseits nahm daher Dewitz in Anspruch, um das endliche Ein- dringen des Spermatozoon in das Ei zu erklären. Ob weiterhin hierbei noch eine chemische Anziehung inbetracht komme, darüber lässt sich jener Autor nicht aus. In Hinblick aber auf die Ergeb- nisse, zu denen W. Pfeffer?) gelangt ist, möchte eine solche wohl kaum ausgeschlossen erscheinen, und man wird sich recht wohl vor- stellen können, wie sowohl das pflanzliche als auch das tierische Ei auf die Samenkörperchen eine anziehende Kraft ausübe. Dewitz lässt die Flächenanziehung nur dort eine Rolle spielen, wo die Sperma- tozoen sich in einer nicht schleimigen Flüssigkeit befinden. Denn versetzte er seine zur Verdünnung benutzte Kochsalzlösung mit Gummi arabicum, so fand er sie verhindert, sich zur Fläche zu begeben (l. e. S. 362). Nun müssen wir aber bedenken, dass die Spermatozen in sehr vielen Fällen, so vor Allem bei den Vögeln und Säugetieren mit einer recht schleimigen Substanz vermischt sind. In diesem Falle könnte sich also die Flächenanziehung gar nicht geltend machen, und wenn dennoch eine Anziehung überhaupt stattfindet, wie die Untersuchungen Pfeffer’s lehren, so möchte diese doch gerade chemischer Natur oder vielleicht auch eine kombinierte sein. Dennoch aber ist die Beobachtung von J. Dewitz von großer Tragweite, auch wenn sie bei den Spermatozoen nicht von allge- meinerer Giltigkeit sein dürfte. Denn untersucht man ein Tröpfehen der Samenflüssigkeit von einer Maus oder einem anderen Säugetier unter dem Deckglase, so wird man zunächst das bunte Durcheinander- wimmeln bemerken. Dass sich aber an der oberen oder unteren 4) Untersuchungen über den Bau und die Bewegung der Samenfäden. Phys. med. Gesellsch., Würzburg 1374. 2) W. Pfeffer, Lokomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. Untersuchungen aus dem bot. Institut zu Tübingen, Bd.1, Heft 3, 1884. 470 Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. Grenzschichte die Samentierchen besonders reichlich ansammeln, ist eine Beobachtung, die man kaum mit der nötigen Sicherheit fest- stellen kann. Sie gelingt aber in der That, wie ich fand, wenn das Sperma mit ganz schwach alkalisch gemachter Kochsalzlösung ver- dünnt wird. Da ferner die weiblichen Geschlechtsorgane, soweit be- kannt, ebenfalls alkalische Sekrete liefern, so ist es recht wohl mög- lich, dass sie etwas zur Verdünnung des Sperma beitragen und daher die Flächenanziehung in gewissem Grade ermöglichen. Wir haben schon weiter oben die Spermatozoen mit Flagellaten verglichen; auch mit geißeltragenden und geißellosen Bakterien haben sie eine gewisse Aehnlichkeit. Untersucht man nun einen Tropfen bakterienhaltigen Wassers, so wird man bald bemerken, wie auch hier bald zwei getrennte Schichten entstehen, eine obere und eine untere, zwischen denen sich freilich immer noch eine Anzahl von Bakterien befindet. Aber man wird dennoch ganz unverkennbar eine Flächenauziehung im Sinne von Dewitz konstatieren können eine Thatsache, auf die man bisher nicht besonders geachtet zu haben scheint. — Entnimmt man ferner aus einer geeigneten Kultur ein Tröpfehen Flüssigkeit und bringt es in der gewöhnlichen Weise unter das Mikroskop, so wird man zunächst die darin enthaltenen Amöben und anderen Organismen freischwimmend antreffen. Bald jedoch ändert sich das Bild, und es tritt auch hier eine mehr oder weniger aus- gesprochene Neigung der Lebewesen ein, sich in zwei Schichten zu sondern und entweder auf dem Objektträger oder dem Deckglas gleitend zu bewegen. Natürlich werden dies besonders diejenigen Organismen thun, welche überhaupt weniger freischwimmend als viel- mehr kriechend leben. Man sollte daher denken, dass die Schwer- kraft auf sie einwirke, und in der That findet man die Amöben ge- wöhnlich auf dem unteren Glase. Nichtsdestoweniger gibt es aber stets einige, welche an der Unterseite des oberen, des Deckglases sitzen, weshalb man wohl annehmen muss, dass die Flächenanziehung in stärkerer Weise gewirkt habe als die Schwerkraft. Wenn diese nun dennoch in der Regel überwiegt, so muss man bedenken, dass der Wassertropfen oft noch mineralischen und pflanzlichen Detritus enthält, welcher sich rasch zu Boden senkt und nun seinerseits als weitere Anziehungskraft nach unten hin wirkt. Damit aber sehen wir, dass die Flächenanziehung nichts weiter ist, als eine besondere Form einer allgemeineren Erscheinung, nämlich der Anziehung, welche die Körper als solche gegenseitig aufeinander ausüben. Ehe wir hierauf indessen genauer eingehen, möge einer anderen Reihe von Beobachtungen gedacht werden, welche ganz besonders interessante Resultate geliefert haben. W. Zopf!) fand nämlich, dass man die 1) Ueber einige niedere Algenpilze (Phycomyceten) und eine neue Methode, ihre Keime aus dem Wasser zu isolieren. Abhandl. der naturf. Gesellschaft zu Halle, Bd. 17, Heft 1 und 2, (1888), S.77 fg. Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. 41 Keime einiger Chytridiaceen, Saprolegnieen und Monadinen isolieren kann, indem man sie „mittels isolierter Pflanzenzellen, wie Pollen- körner, Farnsporen, Pilzsporen ete., die man einfach dem betreffenden Wasser aufsäet, einfängt und sich dieselben weiter entwickeln lässt bis zur Fruktifikation“ (l. e. 8. 80). Weiterhin konstatierte Zopf, dass bei einigen der im Wasser vorkommenden niederen Organismen (Phycomyceten) die Keime die Eigentümlichkeit zeigen, „dass sie so- fort oder doch bald nach der Aufsaat von Pollenzellen nach diesen hinwandern, sich an die Membran derselben ansetzen, abrunden und nun in das Innere eindringen. Diese Thatsache“, so fährt der Autor fort, „die durch direkte Beobachtung leicht festgestellt werden kann, beruht wahrscheinlich darauf, dass in den Pollenzellen Stoffe vor- handen sind, welche auf die im Wasser suspendierten Keime solcher niederen Phycomyceten einen anlockenden Reiz ausüben, der sie veranlasst, auf die Pollenkörner zuzusteuern und sich an ihnen fest- zusetzen“, Noch ehe mir die Abhandlung W. Zopf’s bekannt war, gelangte ich zu ähnlichen Ergebnissen. Als ich nämlich zu Zuchtversuchen von Protisten Fliegeneier in Salinen- und auch in Süßwasser streute, fand ich immer ganz bestimmte Amöben und Flagellaten teils außerhalb, teils innerhalb derselben vor. Ebenso bemerkte ich in dem verwesenden Körper eines kleinen Salzwasser- Branchipoden immer wieder bestimmte Protozoen, während dieselbe Flüssigkeit noch maunigfaltige andere Organismen beherbergte, die sich aber fern- hielten. Nichtsdestoweniger indessen scheint mir die Ansicht Zopf’s noch nicht strenge bewiesen zu sein. Denn man könnte recht wohl noch annehmen, dass auch die Keime andere Organismen mit den anlockenden Körpern in Berührung kämen, dass sie aber dort keine geeignete Stätte zur Weiterentwicklung fänden. Man brauchte dann kaum auf eine Anziehungskraft Bezug zu nehmen, sondern könnte es rein dem Zufall überlassen, dass nach und nach die passenden Schma- rotzer zugeführt werden und haften bleiben. Trotzdem wird man anderseits nicht leugnen können, dass die Meinung Zopf’s sehr viel für sich hat. Auch sieht dieser, ähnlich wie Pfeffer, die Anziehung nur für eine mehr indirekte an. Denn seine Keime sind ja mit Geißeln versehen und einer selbständigen Bewegung fähig. Sie würden also doch nur so angelockt werden, wie ein Necrophorus etwa durch ein Stück Aas. Eine andere Beobachtung jedoch, die ich machte, lässt die Sache eine etwas andere Wendung nehmen. Außer obigen Organismen fand ich nämlich auch in gewissen Stoffen zahlreiche Wesen, die meiner Nuclearella nahe stehen, ferner, was auch schon Leydig seiner Zeit beobachtet hatte, psorospermienartige Körperchen in kranken oder toten Ostracoden!). Diese sowohl wie jene besitzen keine Bewegungs- T77 4) Fr. Leydig, Der Parasit in der neuen Krankheit der Seidenraupe noch einmal. Müller’s Archiv, 1863, S. 186 fg. 472 Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. mw organe. Man könnte nun wohl meinen, sie würden durch Flüssig- keitsströmungen an den passenden Ort geführt. Allein die Beobach- tung jener Nuclearellen belehrte mich, dass sie gerade wie eine Heliozoe ohne den Einfluss von Strömungen zu wandern vermögen. Es ließe sich daher recht wohl denken, dass sie weniger durch Zufall, als vielmehr durch eine gewisse Anziehungskraft getrieben wurden. Würden wir dies nun aber anerkennen, so müssten wir auch zugeben, dass dasselbe Motiv gleichfalls an anderen Orten zulässig sei und könnten jetzt für alle jene Organismen, deren Ortsbewegungen wir bisher nicht zu erklären vermögen, die Erklärung dahin formulieren, dass eine bestimmte Anziehung auf sie einwirke und sie nach einer gewissen Richtung hin treibe. Denn es lässt sich bei diesen unschwer erkennen, dass sie sich meist gradlinig fortbewegen und dass sie gemeinhin ihre Richtung nur ändern, wenn sie entweder, wie manche Baeillen, eine gekrümmte Längsaxe haben, oder nachdem sie Halt gemacht und durch Drehung ihrer Axe eine andere Richtung ange- nommen haben. Nicht selten treten ferner kombinierte Bewegungen auf, wie wir dies bei manchen Gregarinen wahrnehmen, welche durch Kontraktionen ihres Körpers ihre Bewegungsrichtung fortdauernd ändern können; denn man wird sich vorstellen können, dass in der Nähe eines solehen Tierchens nicht ein, sondern mehrere Attraktions- zentren existieren, von denen bald das eine, bald das andere über- wiegt. Pfeffer, dem sich Zopf anschließt, sah im chemischen Reiz die anziehende Kraft. Dewitz wies als solche eine Fläche nach. Da nun jeder Körper doch aus chemischen Substanzen besteht und ebenso von Flächen begrenzt ist, wenn er fest ist, so werden wir jene Ansichten recht wohl mit einander vereinigen können und in der Massenanziehung der Körper die fundamentale Kraft erblicken, grade wie die Astronomen die Weltkörper sich durch Massenanzieh- ungen in ihren Kurven bewegen lassen. Der kleinste Protist ist in dieser Hinsicht nichts anderes als solch ein Körper und unterscheidet sich darin in nichts von einer Weltensonne. Andere Körper anziehend wird er von diesen angezogen und dadurch in Bewegung gesetzt. Sind diese Körper gelöst, so mag die Anziehung im Sinne Pfeffer’s ein chemischer Reiz sein; sind sie nicht gelöst, so werden wir von einer Flächenanziehung im Sinne Dewitz’ sprechen können. Versuchen wir nur noch einmal, auf die verschiedenartigen Orga- nismen einzugehen, so werden wir uns folgende Anschauungen bilden können. Die Molekularbewegung kleinster Körperchen, um mit dieser zu beginnen, mag oft von feinsten Flüssigkeitsströmungen bedingt sein. Oft aber müssen diese durchaus in Abrede gestellt werden. So be- wegen sich die Körncehen im Nukleus mancher ciliaten Infusorien mit größter Lebhaftigkeit in tanzender Weise. Wollte man nun Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. 4713 Strömungen annehmen, so müssten sich diese auch im Endoplasma des Infusors in nächster Nachbarschaft des Kernes geltend machen, was aber nicht nachweisbar ist. Bekannt ist ferner die Bewegung in den Speichelkörperchen, und gerade hier dachte man zumeist an einen Austausch von Flüssigkeit. Wenn dies nun der Fall wäre, so müsste doch endlich einmal dieser Austausch beendet sein und Ruhe eintreten, was gewiss nicht so ist; denn so lange man solch ein Körperehen beobachtet, so lange tanzen auch die Körnchen. Und wenn es endlich platzt, so fahren diese ununterbrochen in ihrer Be- wegung fort. Ich untersuchte hier eine noch unbekannte Heliozoe, deren Inhalt ein sehr körniger ist, Wenn die Beobachtung sehr lange fortgesetzt wurde, so starb das Tier stets ab und platzte, so dass jene Körn- chen heraustraten. Im selben Augenblick begann nun auch schon ihre Molekularbewegung, während benachbarte Körperchen gewöhn- lich in völliger Ruhe verharrten. An eine Flüssigkeitsströmung war daher in diesem Falle ebenfalls kaum zu denken, weshalb, wie uns scheint, für diese Art der Bewegung keine andere Erklärung mehr übrig bleibt, als die, dass entweder die einzelnen Körnchen unter sich eine Anziehung ausüben oder von anderen Körpern in Bewegung gesetzt würden, so dass sie, da der Anstoß ein allseitiger ist, schließ- lich in pendelartige Schwingungen geraten. Die Mikrokokken sind so kleine Gebilde, dass sie oft dieselbe Bewegungserscheinung zeigen. Auch hier wird die gleiche Erklärung zulässig sein, und wenn andere völlig ruhig liegen, so wird man sich denken können, dass der auf sie ausgeübte Reiz ein zu geringer ist, um eine Bewegung auszulösen. Andere wieder zeigen ein deutliches Wandern. Wie wichtig hier der chemische Reiz wird, haben uns die Arbeiten Engelmann’s bewiesen, welcher zeigte, wie der Sauer- stoff eine anziehende Kraft auf zahlreiche Bakterien auszuüben im stande ist. Die Diatomeen werden vielleicht durch Körper oder Stoffe an- gezogen werden, welche kohlensäure- oder ammoniakhaltig sind. Die Gregarinen leben bekanntlich parasitisch und ernähren sich, wie man sagt, durch Endosmose, indem sie entweder die Verdauungs- produkte des Darmes, also Pepton, Zucker, Fett ete. oder bereits assimilierte Substanzen aufnehmen, wenn sie in einem anderen Organe hausen. Jene Stoffe werden nun auf sie eine gewisse Anziehung aus- üben und zwar direkt lokomotorisch wirken, da den Gregarinen Ja besondere Bewegungsorgane gerade wie den Diatomeen mangeln. Anderseits werden diese Organismen auch andere Körper anziehen können, weshalb sie, wenn die Anziehung eine allseitige ist, ruhig liegen. Dann wandert der Körper zu ihnen hin, wie wir dies oben bei der Naviculacee gesehen hatten, wo er von verschiedenen Stellen derselben nach und nach angezogen wurde und daher längs ihr hin- wanderte. 474 Frenzel, Primitive Ortsbewegungen. Die Gregarinen sind wohl die größten Körper, welche eine solche Bewegung zeigen, und daher ist ihre Bewegung auch eine sehr träge, wenn sie nicht noch davon ganz unabhängige Kontraktionen aus- führen. Aehnlich ist es auch mit den Heliozoen, und man kann hier beobachten, dass kleine Formen sich viel rascher als große fort- bewegen, da vermutlich die anziehende Kraft, die zum Teil wohl von dem Objektträger und dem Deckgläschen ausgeht, eine gleich große bleibt. Sie muss daher auf einen kleinen Körper stärker als auf einen großen wirken. Eine Aectinophrys oder gar ein Actinosphaerium bewegen sich in einem kleinen Tropfen unter dem Mikroskop sehr langsam oder wohl gar nicht, auch wenn sie nicht durch den Druck des Decekgläschens gehemmt werden. Wahrscheinlich also ist ihnen gegenüber die anziehende Kraft in dieser kleinen Wassermenge eine zu geringe, um noch zur Erscheinung zu gelangen. Der Anziehungskraft sind, wie wir sahen, alle Körper unter- worfen, vom kleinsten Mikrokokkus bis zum Weltenkörper. Dennoch aber wird sie, sobald es sich um größere Organismen handelt, von untergeordneter Bedeutung. Die einen haben ganz auf eine ÖOrts- veränderung verzichtet und sind zu typischen Pflanzen geworden, die anderen aber haben besondere Bewegungsorgane entwickelt und sind zu Tieren geworden. Ihnen genügte die Anziehungskraft nicht mehr, um von Ort zu Ort zu gelangen und ihre Nahrung aufzusuchen. So bildeten sich zuerst die Geißeln und Wimpern als die primitivsten Lokomotionsorgane bei den Protozoen und Entwicklungszuständen sehr vieler höherer Organismen, z. B. bei den Spermatozoen. Dass aber eine völlige Emanzipation von der Anziehungskraft damit nicht eingetreten ist, sehen wir eben bei den letzteren, darauf hingeführt durch die schönen Beobachtungen Pfeffer’s und Dewitz’, grade wie wir Alle der Schwerkraft unterworfen sind, wenn wir ihr auch in gewisser Weise entgegenzuwirken vermögen. Man wird mir vielleicht entgegenhalten, dass mit der Aufstellung einer allgemeinen Attraktionskraft nicht gar so viel gewonnen sei, da uns diese ihrem Wesen nach völlig unbekannt ist. Dann aber dürfte auch der Astronom sie nicht in seine Spekulationen einführen. Al unser Forschen, all’ unser Suchen nach einer Erkenntnis kann doch schließlich weiter keinen Endzweck haben, als all’ unser Wissen auf einen einzigen Punkt zurückzuführen, von dem wir nichts wissen, auf eine einzige Kraft, die wir nicht kennen und vielleicht niemals kennen lernen werden. Somit möchte auch die Hypothese von der Anziehungskraft gerechtfertigt sein. — Cordoba, Argentinien, im Mai 1891. Schewiakoff, Zoochlorellen. 475 Bemerkung zu der Arbeit von Professor Famintzin über Zoochlorellen. Von Dr. W. Schewiakoff, Assistent am zoologischen Institut in Heidelberg. In seiner Arbeit „Beitrag zur Symbiose von Algen und Tieren“ (M&m. de l’Acad. Imper. d. Seiene. de St. Petersb., VII.Ser., T.XXX VII, Nr. 4) behandelt Herr Prof. A. Famintzin sehr ausführlich die in einigen Infusorien lebenden Zoochlorellen. In der historischen Ueber- sicht der die Zoochlorellen betreffenden Arbeiten, die Herr Professor Famintzin als eine „vollständige“ (]. e. S. 8) bezeichnet, übersieht er vollkommen die Beobachtungen, welche ich seinerzeit (Frühjahr 1887) an Zoochlorellen (Zoochlorella conductrix) von Frontania leucas Ehrbg. angestellt habe; obgleich meine diesbezüglichen Beobachtungen schon von Bütschli an mehreren Stellen seines Protozoenwerkes!), das Famintzin mehrfach zitiert, besprochen werden, darauf in meiner im Sommer 1859 erschienenen Arbeit?) genauer ausgeführt werden und noch außerdem von Dangeard?) und teilweise von Beyerinck‘®) erwähnt werden. Abgesehen von der Beschreibung der allgemeinen Organisations- verhältnisse der Zoochlorella conductrix (rundliche Zelle von 0,004 bis 0,005 mm im Durchmesser, ein muldenförmiges Chromatophor, ein durch Hämatoxylinfärbung nachweisbarer Kern) und von ihrer Tei- lungsfähigkeit im Infusor, wies ich zuerst ihre Vermehrung auch außer- halb des Wirtes sicher nach. Schon Brandt beobachtete, dass die isolierten Zoochlorellen in Wasser fortleben können und dabei an Zahl zuzunehmen scheinen. „Dass letzteres thatsächlich der Fall ist, beobachtete Schewiakoff (uned.) an den isolierten Zoochlorellen von Frontonia leucas, und ich konnte die Richtigkeit ‘seiner Unter- suchungen selbst kontrolieren“ sagt Bütschli in seinem Protozoen- werk (l. e. $. 1836) und nach ihm Dangeard (l.e. $.11u.12). Ich kultivierte (meine Arbeit 1. e. S. 40) die durch Zerquetschen von Frontonia leucas isolierten Zoochlorellen (gegen 20 Tage) im hängenden Tropfen unter dem Mikroskope und konnte ihre lebhafte Vermehrung durch Teilung feststellen, wobei der Teilung der Zoochlorellen die Zweiteilung des Kerns und des Chromatophors immer voranging. Dadurch wurde ein sicherer Nachweis geliefert, dass die Zoochlorellen selbständige Organismen sind. 4) Bütschli, Protozoa (Bronn’s Klassen und Ordnungen des Tierreichs) S. 1832—1838. 2) Schewiakoff, Beiträge zur Kenntnis der holotrichen Ciliaten. Biblio- theca zoologica, Heft 5, Cassel 1889, S. 40. 3) Dangeard, Etude de l’Ophrydium versatile. Botaniste, 2 Ser., 1 fasc., S. 8—14. 4) Beyerinek, Kulturversuche mit Zoochlorellen, Lichenogonidien und anderen niederen Algen. Botan. Zeitung, 1890, Nr. 45—48. 476 Blochmann, Freischwimmende Muskellarve im Süßwasser, Wenn demnach Herr Prof. Famintzin den Anspruch erhebt, dass er zuerst die selbständige Existenz der Zoochlorellen, sowie ihre Vermehrung außerhalb des Wirts erwiesen habe, so befindet er sich in einem Irrtum, welchen diese Zeilen zu berichtigen bestimmt sind. Ein weiterer Punkt betrifft die Infektion der farblosen (zoochlorellen- freien) Infusorien mit Zoochlorellen. Wie ich 1889 mitteilte, gelang es mir nach mehreren missglückten Versuchen endlich eine farblose Frontonia leucas mit Zoochlorellen zu infizieren, „indem ich zu mehreren isolierten (d. h. zoochlorellenfreien) Exemplaren einige chlorophyll- haltige (resp. zoochlorellenhaltige) zerdrückte Tiere hinzusetzte, worauf eines der Tiere am folgenden Tage mehrere Zoochlorellen enthielt, die sich im Verlauf von ein paar Tagen so stark vermehrten, dass das Tier vollkommen grün erschien“ (meine Arbeit 1. ec. S. 40). Dieser Versuch war für meine Zwecke entscheidend, um die Identität der beiden von Ehrenberg beschriebenen Arten, die sich nur durch die Farbe von einander unterscheiden sollten — Frontonia leucas (farblos) und Fr. vernalis (grün), nachzuweisen. Obgleich nun auch schon Bütschli in seinem Protozoenwerke (l. ec. 8.1836), (sowie Dangeard ]. c. S. 12) ausdrücklich bemerkt: „dass sich Ciliaten mit Zoochlorellen infizieren lassen, erwies Schewia- koff für Frontonia leucas“ u. s. w. hat Herr Prof. Famintzin auch dieses übersehen, indem er sagt (l. ec. S.11 u. 12): „Die nächste der Entscheidung harrende Frage unter welchen Umständen und auf welche Art Stentoren, Paramaecien und andere grüngefärbte Tiere sich mit Zoochlorella symbiotisch vereinigen, bleibt bis jetzt, auch trotz meiner Untersuchungen, vollkommen dunkel. Es lassen sich in dieser Hinsicht nur mehr oder weniger gewagte Voraussetzungen, aber keine sicher beobachtete Thatsachen anführen“. Heidelberg, im Juli 1891. Eine freischwimmende Muschellarve im Süßwasser. Von Prof. F. Blochmann. Während wir über die merkwürdige Entwicklungsgeschichte unserer Unioniden ebenso wie über den einfacheren Entwicklungsgang der Cyeladiden schon lange ausreichende Kenntnisse besitzen, fehlten uns solche bis jetzt vollständig über eine Muschel, welche schon darum unser besonderes Interesse verdient, als sie erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit eine Bewohnerin der mitteleuropäischen Flüsse und Seen ist, wohin sie aus dem schwarzen und kaspischen Meer und aus den Strömen, welche sich in diese ergießen, eingewandert ist. Diese Muschel ist Dreissena polymorpha Pall. (Tichogonia Chemnitzii Rossm.). Obwohl sie jetzt an manchen Stellen z. B. im Tegeler See bei Berlin, in zahlreichen Seen Mecklenburgs und in der Ober - Warnow bei Rostock so häufig ist, dass stellenweise der Blochmann, Freischwimmende Muskellarve im Süßwasser. 477 Boden mit ihr geradezu gepflastert erscheint, so ist sie doch schon durch ihr äußeres und auch durch ihre Lebensweise leicht als Fremdling unter unseren übrigen Süßwassermuscheln zu erkennen. Während die Schalen dieser die gewöhnliche, allbekannte Muschel- form haben, kann man die Gestalt der Dreissena wohl am besten mit einer Paranuss vergleichen; während die andern Muscheln frei im Sande oder Schlamme stecken und mit Hilfe ihres Fußes beträcht- liche Strecken kriechend zurücklegen, oder auch lebhaft zwischen Wasserpflanzen herumkriechen, wie die Pisidien, liegt die Dreissena durch ihren Byssus fest vor Anker. Durch äußere Gestalt und Lebens- weise erscheint sie der bekannten an unseren Meeresküsten so häufigen Miesmuschel ähnlich. Diese Aehnlichkeit erstreckt sich auch auf die innere Organisation, so dass sie zur Familie der Mytilidae gerechnet wird. Man hatte nun aus diesen engen verwandtschaftlichen Beziehungen wohl schon öfter den Schluss gezogen, dass die Entwicklung von Dreissena ähnlich verlaufen möge, wie die von My£ilus, mit anderen Worten, dass auch bei Dreissena ein freischwimmendes Larvenstadium sich finden würde, welches bei den übrigen Süßwassermuscheln fehlt, bei den marinen dagegen ganz gewöhnlich ist. Allerdings mag es sonderbar erscheinen, dass eine so eigentüm- liche und charakteristische Tierform, wie eine freischwimmende Muschel- larve in unseren Süßwässern verborgen geblieben sein sollte, während dieselben gerade in nenester Zeit von verschiedener Seite in ein- gehendster Weise nach ihren mikroskopischen Bewohnern durchforscht werden, wie die mit einer gewissen unheimlichen Regelmäßigkeit er- scheinenden Namensverzeichnisse beweisen. Die Larve ist trotzdem entsprechend der großen Zahl der er- wachsenen Tiere in ungeheurer Menge vorhanden. Ich sah dieselbe vor einigen Tagen zum ersten Male in einem Präparate, welches mir Herr Levander aus Helsingfors, der im hiesigen zoolog. Institute arbeitet, wegen anderer Dinge zeigte. Herr Levander hatte auf der Ober-Warnow mit dem feinen Netze gefischt und hatte eine reiche Ausbeute an Protozoen, Rotatorien und Entomostraken. Die Gläser mit dem Auftriebe hatten über Nacht gestanden. Das erwähnte Prä- parat enthielt eine kleine Probe des Bodensatzes. Darin sah ich zunächst eine Menge leerer Schalen, deren Tiere jedenfalls über Nacht zu Grunde gegangen waren, dazwischen fand ich bald auch einige noch lebende Larven von verschiedenen Entwicklungszuständen. Die Larven entsprechen durchaus den Larven der marinen Muscheln. Ich unterlasse hier jedes weitere Eingehen auf dieselben, da Herr Dr, Korschelt, mit welchem ich wenige Tage zuvor noch über die Dreissena-Entwickelung sprach, die Larven inzwischen auch gefunden hat. Er hat es unternommen uns mit der Entwicklungsgeschichte der Dreissena bekannt zu machen. Ich will hier nur noch anfügen, 478 Cori, Gattung Phoronis. was Herr Dr. Korschelt auch schon beobachtet hatte, dass die Eier, welche von den Muscheln in kleinen, weißlichen Klümpchen ausgestoßen werden, auf dem Boden liegen bleiben. Erst die ausschwärmenden Larven gelangen in die höheren Wasserschichten. Die Eier sind recht durebsichtig und sind jedenfalls ein zur Untersuchung sehr ge- eignetes Objekt, von dem wir gute Resultate erwarten dürfen. Rostock, den 7. Juli 1891. C. J. Cori, Untersuchungen über die Anatomie und Histo- logie der Gattung Phoronis. Separat- Abdruck aus: Zeitschrift für wissensch. Zoologie, LI, 2 u. 3. Mit Taf. XXII—-XXVII, Leipzig, Engelmann, 1890. Diese Studie über Phoronis könnte man wegen ihrer Vollständig- keit und Allseitigkeit mit Recht als eine „Monographie der Gattung Phoronis“ bezeichnen. Obgleich sie sich nämlich vorzüglich mit Phoronis psammophila beschäftigt, werden doch auch die verwandten Arten, wo ihr Verhalten von jener abweicht, in den Bereich der Untersuchung gezogen. Außerdem ist die Litteratur über die Anatomie und Entwicklung von Phoronis eingehend besprochen und die geo- graphische Verbreitung, die systematischen Unterschiede und die Biologie der Phoronis- Arten behandelt. Phoronis psammophila Cori unterscheidet sich von der Neapler Species, Ph. Kowalevskii, zunächst durch ihre bedeutendere Größe, ferner durch ihre rote Färbung, die in dem großen Blutreichtum und der beträchtlichen Größe der Blutkörperchen ihren Grund hat; die Blutkörperchen aller übrigen Phoronis sind viel kleiner. Noch andere Unterschiede werden erwähnt, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Der Fundort von Phoronis psammophila ist ein kleiner Küsten- salzsee (Pontano) bei Faro, nördlich von Messina. Sie wurde daselbst von Prof. Hatschek entdeckt. Derselbe hatte schon längere Zeit das häufige Auftreten von Aetinotrocha in jenem Pontano bemerkt, ohne den Aufenthaltsort der Muttertiere zu kennen. Schließlich fand man dieselben auf dem Grunde des zum größten Teil sehr seichten Sees, wo sie in Sandröhren leben und an verschiedenen Stellen dichte Rasen von mehreren Quadratmetern bilden. Cori hat Phoronis psam- mophila längere Zeit lebend beobachtet und dabei auch in Erfahrung gebracht, dass das Tier seine Tentakelkrone abwirft, wenn es sich in ungünstigen Lebensverhältnissen befindet. Die Röhre der Phoronis, eine Schutzröhre, wird dadurch gebildet, dass das Tier ein Sekret ausscheidet, welches zu einer durchsichtigen Hülle erstarrt und außen von verschiedenen Fremdkörpern umgeben ist, bei Ph. psammophila von Sandkörnchen und anderen Gegenständen wie kleinen Muschel- und Schneckenschalen. Die Röhre ist an keiner Stelle mit dem Körper des Tieres verwachsen; wir haben es also hier nicht mit einer Ektocyste zu thun wie bei den Bryozoen. Bemerkenswert ist, dass Cori, Gattung Phoronis. 479 nach Haswell und Benham Phoronis australis nicht selbst Röhren bildet, sondern leere Cerianthus-Röhren als Wohnplatz aufsucht. Aus dem anatomisch-histologischen Hauptteile der Arbeit kann nur Einiges angedeutet werden. Unter der Epithelschicht der Tentakel, welche zwar eine Outieula aber keine Basalmembran bildet, liegt eine Gewebsschicht, die Cori als „Stützsubstanz“ bezeichnet. Dieselbe bildet im Tentakel eine dünnwandige, oben geschlossene Röhre, welche nach innen vom Peritoneum überzogen ist. Cori hält die Stützsub- stanz für ein Produkt der Peritonealzellen, also für eine basale Aus- scheidung des somatischen Peritoneums; die röhrenartige Anordnung führt er sodann auf einen Faltungsprozess zurück (S. 515). Die Epithelschicht des Magens bietet ein wesentlich anderes Bild während der Verdauungsthätigkeit und während der Ruhe. Im Stadium größter Thätigkeit bemerkt man keulenförmige, aus der Epithelschicht in das Darmlumen hineinragende Fortsätze, die aus Plasma bestehen, in welches runde bis ovale Kerne eingestreut sind. Verf. erklärt diese Fortsätze als Epithelzellen, die ihre ursprüngliche Form und Lage verändert haben, um in ihren Zellleib die Nahrungsbestandteile auf- zunehmen. Die Nahrungsaufnahme und Verdauung beschreibt er folgendermaßen (S. 526). Durch den flimmernden doppelten Tentakel- kranz, der den Mund umgibt, wird ein gegen die Mundöfinung ge- richteter Wasserstrom erzeugt, der die Nahrung von Phoronis, Diato- meen und Protozoen, mit sich führt und zugleich auch stets sauerstoff- reiches Wasser liefert. Durch die Zwischenräume der Tentakel kann das Wasser wie durch ein Sieb abfließen, während sich am Grunde der Tentakelkrone eine größere Menge Nahrung ansammelt, welche durch Oeffnen des Epistoms in den Darmtraktus aufgenommen wird. Tentakel und Epistom besorgen dabei die Aufgabe eines Auslese- apparates. Oesophagus und Vormagen befördern die aufgenommene Nahrung durch peristaltische Bewegung nach abwärts in den Magen, auf welchem Wege die lebenden Protozoen und Diatomeen durch Sekrete des Darms zum Absterben gebracht und für die Verdauung vorbereitet werden mögen. Im Magen angelangt wird die Nahrung durch die hier stattfindende Flimmerbewegung in rotierende Bewegung gesetzt und schließlich von den Zellen, welche die keuligen Fortsätze bilden, erfasst, damit die nötigen Nahrungsstoffe ausgelaugt werden können. Während dieser Periode sieht man die als Nahrung dienen- den Diatomeen oder Protozoen stets in eine Flüssigkeitsvakuole ein- geschlossen. Wenn die „Auslaugung“ vollendet ist, werden die unbe- nutzten Reste von den Epithelgebilden wieder ausgestoßen und ge- langen, eingeschlossen in eine schleimige Masse und in Ballen geformt, in den Dünndarm. Unter den Scheidewänden, die durch die Verbindung der Somato- pleura mit der Splanchnopleura entstehen, unterscheidet der Verf. das Diaphragma von den Mesenterien. Ersteres ist quer zur Axe des 480 Cori, Gattung Phoronis. Tieres gestellt und ist dort ausgespannt, wo die Tentakelkrone in das Mittelstück des Körpers übergeht. Dadurch wird die gesamte Leibeshöhle in eine „Tentakelkronenhöhle“ und eine „Körperhöhle“ zerlegt. Erstere setzt sich weiter zusammen aus der „Lophophor“- und „Epistomhöhle“ und aus den „Tentakelhöhlen“. Die drei Mesen- terien verlaufen zur Körperaxe parallel. Das Hauptmesenterium scheidet die Körperhöhle in einen rechten und linken annähernd gleichen Raum; die Lateralmesenterien trennen diese Unterabteilungen wieder in ein Paar oralwärts gelegene größere und in ein Paar anal- wärts gelegene kleinere Kammern. Die fiederförmigen Bänder der Längsmuskulatur stehen bei Ph. psammophila in einem gesetzmäßigen Verhältnisse zu den Mesenterien, das sich bei Ph. Kowalevskii und Ph. Buskii nicht finden ließ. Ihrem histologischen Bau nach bestehen die Mesenterien, wie auch das Diaphragma, aus zwei Peritonealblättern, die nicht selten muskulöse Elemente zwischen sich enthalten. Die Peritonealzellen sind platte Zellen, deren Kern auf Querschnitten ge- wöhnlich etwas über das Niveau des Zellleibes vorragt. Die Nephridien, deren Charakter als Nierenorgane von mehreren früheren Autoren nicht erkannt worden war, werden eingehend be- schrieben. Ihre Funktion ist zugleich die eines Exkretionsorgans und eines Ausfuhrweges für die Geschlechtsprodukte. Cori glaubt das Nephridium von Phoronis nach Hatschek als ein Metanephri- dium bezeichnen zu müssen. Das Blutgefäßsystem ist bei dieser Gattung verhältnismäßig auffallend vollkommen. Das Vorhandensein eines wirklichen roten Blutes zeichnet sie aus. Dasselbe rührt von roten, kernhaltigen Blutkörperchen her, die Cori hypotbetisch für losgelöste Endothelzellen der Gefäße hält. Er begründet diese An- sicht durch die Aehnlichkeit gewisser Endothelzellen mit den Blut- körperchen, namentlich mit Rücksicht auf die Struktur des Plasmas und des Zellkerns; er findet auch alle Uebergangsstufen zwischen sich umbildenden Epithelzellen und Blutkörperchen. An die Be- schreibung des Nervensystems von Phoronis, das im Vergleich zum Gefäßsystem unvollkommen entwickelt ist und aus einem in der Tentakelkronenhöhle liegenden Ringnerven, der sich zu einem Ganglion verdickt, und aus einem auf der linken Körperseite, unterhalb der Nierenregion, gelegenen Lateralnerven besteht, schließt Cori die Lophophorgane an, da dieselben gleichfalls Nervenfasermassen ent- halten. Er neigt jedoch, namentlich auf Grund der Untersuchungen am lebenden Tiere, zu der Ansicht, dass diese Organe hauptsächlich drüsiger Natur seien und in einer Beziehung zur Geschlechtsfunktion der Phoronis stehen. Als „Gefäßperitonealgewebe“ bezeichnet Verf. eine den hinteren zwei Drittteilen des Lateralgefäßes aufliegende dicke Hülle, die von Kowalevsky „Fettkörper“ genannt wurde. Dasselbe erzeugt nicht bloß Eier und Samen, was seine Hauptfunktion zu sein scheint, son- Hasse, Formen des menschlichen Körpers. 481 dern ist nach Cori wahrscheinlich auch der Ort, an welchem die Blutkörperchen ihren Untergang resp ihre Umbildung in andere Stoffe erfahren. Die Läppehen des Gefäßperitonealgewebes bestehen aus stark liehtbrechenden Kugeln, enthalten außerdem auch Blutgefäße, gelbe Pigmentmassen und endlich spindelförmige Körper von eigen- tümlicher Natur, die später in die Leibeshöhle des Tieres gelangen und durch die Nieren ausgeschieden werden. In dem Schlusskapitel „Ueber die Stellung von Phoronis im System“ bespricht Verf. die verwandtschaftlichen Beziehungen der Phoroniden und der Bryozoen. Er hält dieselben keineswegs für so nahe verwandt, dass er der Ansicht Lankaster’s und Me Intosh’ folgen könnte, welche die Phoronis als eine aberrante Form der Bryozoen betrachten. Der Verf. stellt eine zusammenhängende Be- arbeitung der Entwicklungsgeschichte von Phoronis in Aussicht und behält sich vor, dann auf Grund dieser Studie die Stellung von Pho- ronis im System noch genauer zu präzisieren. Piria® E. Wasmann S. J. C. Hasse, Die Formen des menschlichen Körpers und die Formänderungen bei der Atmung. I. Abteilung: Die Formen und die Formänderungen der Oberfläche. Groß Oktav, 36 S. Mit Atlas von 10 Tafeln. Großfolio, Jena, G. Fischer, 1888. Zur Feststellung der normalen äußeren Formen des menschlichen Körpers in der Ruhe sowie bei der Brustatmung hat Hasse die Photographie verwandt. Die photographische Aufnahme der Unter- suchungspersonen — als solche wurden junge kräftige Männer ge- wählt — fand nach Aufstellung derselben hinter einem in regelmäßige Quadrate von 2 cm Seite geteilten Drahtgitter statt. Als die beiden wesentlichsten Ergebnisse erscheinen zunächst folgende Sätze: „Kein größerer Abschnitt des erwachsenen Körpers ist streng symmetrisch gebaut. Die Kopf-, Hals-, Brust-, Bauch- und Beckenhälften sind ungleich, un- gleich auch die rechte und linke obere und untere Ex- tremität“ — und „die Seitwärtskrümmung der Wirbelsäule ist maßgebend für die Art der Asymmetrie größerer Körperabschnitte, namentlich auch der Extremitäten und Extremitätengürtel“, Bei der häufigeren Abweichung der Brustwirbelsäule nach rechts sind die Rumpfabschnitte rechts nicht nur breiter, sondern auch in der Sagittalen größer, die rechte obere Extremität ist länger, die rechte untere dagegen kürzer als die linke. Auffallen muss es, dass die be- sonders schön gebauten Leute —, so auch der photographierte — eine links-konvexe physiologische Dorsalskoliose zeigten, ohne dass dabei Linkshändigkeit vorhanden war. Diesen ersten, die allge- XI, 3l 482 Hasse, Formen des menschlichen Körpers. meinen Verhältnisse über die Formen der Körperoberfläche in der Ruhe behandelnden Abschnitt schließt die Besprechung der Litteratur. Die Ausbeute in derselben ist gering; außer J. M. Weber, der die Asymmetrie des Kopfes sehr ausführlich behandelt hat, gehen die Autoren meist rasch über das betreffende Kapitel hinweg. Da- gegen bringen die meisten in der Litteratur vorhandenen Abbildungen einzelner Körperabschnitte die Asymmetrien richtig zum Ausdruck. Ganz besondere Beachtung verdient dabei Dürer, dessen Zeichnungen in seiner Proportionslehre fast alle Abweichungen erkennen lassen. Von den Besonderheiten der einzelnen Körperteile seien folgende erwähnt. Am Kopf überwiegt die linke Schädelbälfte im queren wie im senkrechten Durchmesser, so dass der Rückschluss auf eine bedeutendere Entwicklung der linken Hirnhälfte wohl gestattet ist. Am Gesicht zeigen sich Asymmetrien in der Höhe des Kieferwinkels, an Ohren, Augen, Nase. Mund und Kinn sind dagegen symmetrisch gebaut. Von den Asymmetrien des Halses hängt der höhere Stand der seitlichen Halsknickung mit dem höheren Stande der Schulter zu- sammen (im vorliegenden Falle für die linke Seite giltig). Letztere hängt natürlich mit der Richtung der physiologischen Skoliose zu- sammen und zeigt daher eine feste Gesetzmäßigkeit, die sich an dem Stand der Brustwarzen nicht erkennen lässt. Allerdings scheint häu- figer die rechte mammilla bei Rechts-Skoliose höher zu stehen. Die Messung des Brustraumes ergab im vorliegendeu Falle ein Plus für die linke Hälfte in allen Durchmessern, aber in den queren erheb- licher als in den sagittalen. Bauch und Becken sind ebenfalls asymmetrisch. Die rechte Hälfte des letzteren steht bei Linksskoliose höher und ist weniger geräumig als die linke Hälfte. Die Schiefheit jedes normalen mensch- lichen Beckens darf als Regel angesehen werden, dies gilt jedoch nur für das große Becken. Untersuchungen über das kleine Becken sind noch weiter auszudehnen. Die Unterschiede zwischen rechts und links sind jedenfalls nicht so bedeutend wie am großen. Was die Extremitäten betrifft, so ergaben die Messungen an Skeletten, dass bei Rechtsskoliose der rechte Oberschenkel entsprechend dem Tiefstand der rechten Beckenhälfte um 1 cm kürzer ist als der linke, die rechte obere Extremität dagegen die linke um 1 cm über- trifft }). Das allgemeine Verhalten der Körperoberfläche bei der Atmung ist bisher nach des Verfassers Ansicht von Riegel am besten ge- schildert worden. Schon Riegel hat 1873 mittels der graphischen 1) Dass beim Neugebornen Gleichheit der entsprechenden Extremitäten herrscht, ist bereits von Arnold (Handbuch der Anatomie des Menschen, I. Bd., 1844) festgestellt. Ref. konnte dies bestätigen. (Ueber die Maß- und Gewichtsdifferenzen zwischen den Knochen der rechten und linken Extremitäten des Menschen. Inaug.-Dissertation, Breslau 1889.) Hasse, Formen des menschlichen Körpers. 483 Methode festgestellt, dass die Schwankungen der Inspirationsgröße vom Manubrium sterni bis zum Processus ensiform. nur geringe sind und dass ferner die Erweiterung vorn größer ist als an den Seiten. Eine Ungleichheit der Thoraxerweiterung auf der rechten und linken Seite kommt nach Riegel nicht ganz selten im normalen Zustand vor, zeigt dann meist die rechte Seite begünstigt, beträgt aber nur sehr geringe Grade. Am häufigsten seien die Bewegungen beider Seiten gleich. Im Gegensatz zu dieser letzten Angabe stellt Hasse an die Spitze seiner Bemerkungen über die Atmungs-Veränderungen den Satz: „Bei rechts gewandter Wirbelsäule sind die Bewegungsgrößen der rechten Brusthälfte in allen Richtungen und an allen Punkten größer wie die der linken, bei nach links gekrümmter Wirbelsäule ist das- selbe im senkrechten und sagittalen Durchmesser mit der rechten Brusthälfte der Fall, jedoch finden an einzelnen Stellen der linken Brusthälfte im queren Durchmesser größere Bewegungen statt, immer aher in einem so unerheblichen Grade, dass die Atmung bei der Be- trachtung von vorne oder von hinten den Eindruck einer vollständig gleichmäßigen auf beiden Seiten macht“. Die Bewegung nach vorn und aufwärts ist erheblicher als die nach der Seite, das Brustbein wird nach oben und vorn gehoben; dabei ist, wie auch schon Duchenne betont hat, das Maß der Be- wegung namentlich an der obern Brustgrenze ein sehr bedeutendes (2 em und darüber). Dementsprechend werden die ersten Rippen sowie die Schlüsselbeine bedeutend gehoben. Ohne Rücksicht auf die Wirbelsäulenkrümmung macht die rechte Brusthälfte weit größere Bewegungen als die linke, doch ist bei Rechts- Skoliose nach des Verfassers Ansicht die Differenz zu Gunsten der rechten Seite mehr viel bedeutender, als bei Links- Skoliose. Von Bewegungen, welche die tiefe Brustatmung begleiten, sei hervorgehoben: die Einziehung in der Unterbauchgegend, die rechts und links um !/, cm differiert, sowie die Streckung der Wirbelsäule, die eine Längenzunahme des Körpers um fast !/, cm zur Folge hat, Streckung und Seitwärtsbewegung des Kopfes und die mit den Schlüssel- beinen erfolgende Hebung der Schulter. Von besonderen Formveränderungen der einzelnen Körper - Ab- schnitte bei der Brustatmung werden geschildert: Leichte Caput ob- stipum-Stellung des Kopfes, abhängig von der stärkeren Kontraktion des rechten Kopfnickers. Am Hals macht sich infolge der Schulter- Hebung eine Verkürzung bemerkbar, rechts bedeutender als links. Bemerkenswert ist, dass, was auch Duchenne geschildert hat, bei der Atmung die Strecker des Halses und Kopfes, die Splenii, die Schlüsselbeinportionen des Cucullaris in Thätigkeit sind. An der da- durch bedingten Streckung des Kopfes beteiligt sich auch der obere Teil der Brustwirbelsäule, was wieder eine besonders vorn erhebliche Erweiterung der obern Brustapertur im Gefolge hat. 3 484 Hasse, Formen des menschlichen Körpers. An der Brust fällt auf: die Hebung der Schlüsselbeine, Schulter- blätter, der Brust und der Brustwarzen, des Brustbeines und der Rippenbogen; im Breitendurchmesser kann nicht nur keine Verbrei- terung, sondern selbst eine Verschmälerung bemerkbar sein. Ver- schiedenheiten zwischen rechts und links betreffen die Hebung der Schlüsselbeine (!/, em), die Stellung der Brustwarzen (0,7 cm) und die Hebung des Rippenbogens (0,5 cm), alles zu Gunsten der rechten Seite. Die rechte Schulter und der rechte Arm werden bei der Atmung bedeutender nach vorn und aufwärts bewegt als dies links der Fall ist. Der Bauch wird bei der Atmung rechts um etwas mehr als links erweitert. II. Abteilung: Die Formen und Lagen, und die Form- und Lageänderungen der Brust- und der Bauchorgane bei der Atmung. Groß Oktav, 57 8. Mit einem Atlas von 16 Tafeln. Jena, G. Fischer, 1890. Der Lage der Brust- und Baucheingeweide in der Ruhe sowie der Lageänderung derselben bei der Brustatmung ist der zweite Teil des Hasse’schen Werkes gewidmet. Für die Ausdehnung der Rumpf- höhle sind hinten drei Punkte von Wichtigkeit: 1) Die vertebra prom. 2) Die Sehnittpunkte der Verbindungslinie der beiden spin. scap. mit den Senkrechten aus der Mitte der Schulternackenlinie. Die drei Punkte mit einander verbunden ergeben die obere seitliche Grenze der Rumpfhöhle. Vorn ist für die obere Grenze wieder das Niveau des Nackenhöckers maßgebend. Die beiden zur Konstruktion nötigen seitlichen Punkte werden gefunden, wenn man die durch die Brust- beinmitte gezogene Horizontale durch die beiden Senkrechten aus den spin. ant. sup. schneiden lässt. In der Profilansicht schließlich verläuft die hintere Begrenzungs- linie vom höchsten Punkt der erista ossis ilei zum hervorragendsten Punkt der Schulter, von da nach aufwärts zum Kieferwinkel. Die vordere beginnt in der Mitte des Halses in der Höhe der vert. prom., läuft von hier schräg abwärts zur Brustwarze und von dieser aus senkrecht nach abwärts. Die vordere Begrenzungslinie der Wirbel- säule verläuft vom höchsten Punkt der Ohrmuschel parallel dem hin- teren Grenzkontur des Körpers, ziemlich genau in der Mitte von Hals und Brust (in genauer Profilstellung) und an der Grenze des hinteren und der vorderen zwei Drittel der Brusthöhle. Hinter dieser Linie liegen in der Brust lediglich das hintere Drittel der Lungen und die hintere Hälfte der Lungenspitzen, im Bauch vor Allem die Nieren mit den Nebennieren und die Milz. Als typische Mittelstellung des Zwerchfells ist die zu bezeichnen, wo der höchste Punkt rechts in der Höhe der Mitte, links in der Höhe des unteren Randes der Brustwarze, hinten in der Höhe der beiden unteren Schulterblattwinkel steht. Dann liegt der tiefste Punkt des Centrum tendineum in der Höhe der Basis des Schwertfortsatzes. Hasse, Formen des menschlichen Körpers. 485 Bei der tiefen Brustatmung ist zu scheiden die aktive Bewegung des Zwerchfells von der durch die Hebung der Brustwände bedingten passiven. Letzterer kommt die größere Bedeutung zu, wenn sie auch bisher meist unbeachtet geblieben ist. Für die aktive ist es unzweifelhaft, dass das Centrum tend. sich ebenfalls an ihr beteiligt, dass sie nach vorn abwärts geht und nach Alter, Geschlecht, Indi- vidualität hinsichtlich des Maßes schwankt. Was die passive Be- wegung anlangt, so ist dieselbe bedingt durch die Stellungsveränderung der Brustwände, folglich findet vorn in der Mittellinie eine Hebung und Vorwärtsbewegung um je 2 em, in der Axillarlinie neben einer ungefähr gleichen Hebung eine Seitwärtsbewegung um 0,8 cm statt, während hinten nur eine reine Aufwärtsbewegung um 1 cm statt hat. Folglich sieht bei tiefer Brustatmungsstellung die Axe des Zwerchfell- sewölbes mehr gegen das Epigastrium, bei Exspirationsstellung mehr gegen die obere oder untere Nabelgegend. Bei der Kontraktion ziehen die vorderen Bündel das Centr. tend. also nicht nach abwärts, sondern nur nach vorwärts, um es zu spannen. Der ganze vordere Teil des Zwerchfells erleidet demgemäß bei der Inspiration eine — passive — Hebung, der hintere eine — aktive — Senkung. Das Gesamtresultat der Inspirationsmuskel-Aktion auf den untern Brustraum ist demnach eine nach abwärts seitwärts gerichtete Erweiterung des hinteren unteren und eine nach aufwärts vorn gerichtete des vorderen unteren Abschnittes. Dies findet sich im Bronchialbau bestätigt!). Die Richtung der Hauptarme des Bronchialbaumes in beiden oberen und dem mittleren rechten Lappen geht nach vorne aufwärts, folgt also der nach vorn aufwärts gerichteten Bewegung der oberen Brustöffnung und der vorderen Brustwand. Die Hauptäste der untern Lappen dagegen sind nach abwärts seitwärts und hinten gerichtet, folgen also dem Nieder- gehen der hinteren Zwerchfellabschnitte und dem Seitwärts- Aufwärts- gehen der seitlichen hintern Brustwand. Es ist dies übrigens ein Verhalten, das sich nieht erst intra vitam ausbildet, sondern bereits beim Neugeborenen ausgeprägt, mithin eine Vererbungserscheinung ist, abhängig von der Atemmechanik des Brustkastens, die denn auch die Teilung der Lunge in den obern (resp. obern — mittleren) und hintern Lappen zur Folge hat. — Von den Lungen werden die Spitzen, die bei Exspiration 2'/, em über der Ebene des oberen Schlüsselbeinrandes stehen, im Augenblicke der Einatmung nur in ihren vorderen Partien stark ventiliert — dabei auf beiden Seiten etwas ungleich — hinten dagegen findet nur eine Hebung um wenige Millimeter, mithin sehr mangelhafte Ventilation statt. Bei der Inspiration kommt als praktisch wichtig auch inbetracht, 1) Vergl. auch Hasse, der Bau der Lungen des Menschen, bedingt durch die Bewegung der Brustwände bei der Atmung. Verhandlungen des X. inter- nationalen medizinischen Kongresses. 486 Hasse, Formen des menschlichen Körpers. dass durch die Hebung der Schlüsselbeine (um 2 em) die Lungenspitze bis auf ein Stück von 0,5 em Höhe verdeckt wird, somit bei der Aus- atmung die Perkussion einen viel günstigeren Spielraum hat. — Die Höhe des Sparraumes des Thorax ist in der Axillarlinie am größten (rechts 5,5 em, links 4 cm), der Sparraum des Brustfellsackes besitzt eine Höhe von 1,5 cm. Bei der Ausatmung ist ferner in der Axillarlinie die untere Grenze der Lunge in der Höhe des Ansatzes des Deltamuskels zu suchen. Die Richtung der einströmenden Luft in den oberen und unteren Teilen der Lunge stellt sich so, dass in der Lungenspitze besonders nach vorn seitlich ein starker Strom stattfindet, schwach dagegen nach hinten; dass das Gleiche im oberen Teile des Lungenkörpers der Fall ist; dass dagegen in den unteren Lappen die Richtung nach hinten abwärts seitwärts gewandt ist. Damit dürfte die Teilung der Lunge in einen obern und untern Flügel zusammenhängen. Was den Herzbeutel anlangt, so wird dessen vordere Wand bei der Atmung nach vorn oben um 2!/, em gehoben, eine Thatsache, die auch in dem nach vorn oben gerichteten Verlauf der Lig. sternoperie. zum Ausdruck kommt. Dagegen erleidet der dem Zwerchfell auf- liegende Teil, vor Allem die Umgebung des For. quadrat. eine Senkung, so dass eine Gesamt-Erweiterung in der Richtung von vorn oben nach binten unten resultiert, die das Einströmen des Blutes ins Herz bei der Diastole erleichtert. Vielleicht hängt auch hiermit die dünnere Wandung der rechten, der Brustwand anliegenden Kammer sowie der Vorhöfe zusammen. Das Herz selbst, dessen Spitze im Ausatmungszustand 2 em von der Brustwarzenlinie nach innen und etwa 2,5 em unter dem Niveau der Brustwarze an der vorderen Brustwand liegt, erleidet bei der Einatmung eine Bewegung nach vorn aufwärts („absolute Hebung“) um 2,0—2,5 em, wobei seine relative Lage zur vordern Brustwand unverändert bleibt. Der Punkt, um den es sich dabei dreht, ist das Ende des Aortenbogens, der Uebergang zur Aorta descendens, grade senkrecht über dem Punkt gelegen, wo Aufwärts- und Abwärts- bewegung des Zwerchfells sich scheiden. Von den großen Schlagadern wird namentlich die Pulmonalis durch die Einatmung von ihrem sonstigen aufwärts gerichteten Verlauf zu einem mehr rein horizontalen abgelenkt, wobei die Arbeit der rechten Herzkammer bei der Einatmung eine bedeutende Erleichterung erfährt. Die schwächere Entwieklung der Muskulatur dieser Kammer findet nach Ansicht des Verf. hierin genügende Erklärung. — Leber. Die Lage der Leber wird, wie folgt, festgesetzt. Sie ragt rechts bis zur Höhe der Brustwarze, links nicht ganz so weit in der Höhe, endet links 2 em medial von der Mammillarlinie hinter der Herzspitze und zieht sich hinter der Basis des Schwertfortsatzes Hasse, Formen des menschlichen Körpers. 487 nach rechts und aufwärts. Die Gallenblase liegt der vorderen Bauch- wand in der Mitte zwischen rechter Parasternal- und Mammillarlinie an, die Grenze zwischen rechtem und linkem Leberlappen liegt 1 cm nach rechts von der Sternallinie. Hinten erhebt sich die Leber bis in die Höhe des oberen Endes der Wülste der beiden unteren Schulter- blattwinkel und findet links in der Mitte des linken untern Schulter- blattwinkels, das Herunterhängen des Armes vorausgesetzt, ihr Ende. Die Leber nimmt rechts die ganze Profil-Ebene ein — vorn bis in die Höhe der Brustwarze, hinten bis in die Mitte des ruhig herabhängen- den Armes und unten bis an den Rippenbogen (in der Axillarlinie bis 1 cm unterhalb desselben). In der linken Profilebene des Bauch- raumes beginnt der linke Lappen vorn an der Grenze des Rippen- bogens, erhebt sich dann bis zu 1 cm unter der Brustwarzenhöhe und verläuft mit seiner untern Grenze vom untern Rippenrand bis zur Höhe des Ansatzes des Deltamuskels. Bei der Atmung geht der vordere Leberrand (entsprechend der Hebung der vorderen Brustwand) etwas in die Höhe und senkt sich nur im Verhältnis zur untern Be- grenzung des gehobenen Brustkorbes (also relativ). Diese vordere und seitliche Hebung beträgt aber schwerlich mehr als '/, cm, während die relative Senkung hinter 1, seitlich bis 2 em beträgt. Form und Krümmung der Leber erleiden bei der Atmung eine Aenderung derart, dass besonders die vorderen und seitlichen Teile gedehnt und gestreckt werden, wobei die untere Leberfläche sich abflacht. Das damit ver- bundene Steigen des intraabdominellen Druckes kommt als entleeren- des Moment für die Gallenblase wesentlich inbetracht. Zudem lehrte das physiologische Experiment, dass bei der Einatmung Behinderung des venösen Zuflusses, Beförderung des venösen Abflusses eintritt, ein Umstand, der die Stauungen in der Leber bei mangelhafter und ober- flächlicher Brustatmung zu erklären geeignet ist. Auch das Einströmen der Galle in die Gallengänge wird bei der Einatmung erleichtert, während bei der Ausatmung eine Entleerung in die Duct. hep. stattfindet. Milz. Zwischen der linken Skapular- und Axillarlinie, etwa 5 cm oberhalb des Rippenbogens gelagert, mit ihrem oberen Rand auf der linken Niere, seitwärts und hinter der Cauda pancreatis gelagert, muss sie bei der Inspiration den Bewegungen des hinteren Zwerch- fellabschnittes folgen, d. h. nach vorn übergeneigt und dabei nach abwärts komprimiert werden. Dabei gleitet sie um 1cm über den oberen Nierenrand hinter dem Magen nach vorn abwärts. Einatmung hindert den arteriellen Zufluss und fördert den venösen Abfluss. Bei der Ausatmung wird der arterielle Zufluss erleichtert. Vom Magen liegt bei mittlerer Füllung die Cardia links von der Mitte der Wirbelsäule, in der Höhe des unteren Schulterblattwinkels, der Fundus minor an der vorderen Bauchwand, herab bis zur Ver- bindungslinie der tiefsten Punkte der beiden Rippenbögen, der Pylorus an der Stelle, wo die rechte Parasternallinie den Rippenbogen schneidet. 488 Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren, In der linken Profilfläche liegt der Magen vorn unter dem Rippen- bogen in einer Ausdehnung von 1—5 cm der weichen Bauchwand an, während er vorne die untere Hälfte des Epigastriums einnimmt, und im übrigen sich vollkommen im linken Hypochondrium verbirgt. Die Einatmung wirkt derart auf den Magen, dass seine große Kurvatur sich um eine dureh Cardia und Pylorus gehende Axe nach vorn aufwärts dreht und dass die Magenwandung von vorn nach hinten zusammengepresst wird. Dadurch wird der Uebertritt der Speisen aus dem Magen ins Duodenum bedeutend erleichtert. Vom Darm ist nur bemerkenswert, dass die livke Diekdarm- krümmung höher liegt als die rechte, dass das Colon transv. nach abwärts gekrümmt und der Gallenblase angelagert ist, dass das Colon ascend. und dese. in der Profilfläche in der Achselhöhlenlinie liegt, hinten dagegen in der Senkrechten vom höchsten Punkt des Darm- beinkammes zum Rippenbogen. In der Höhe der Spina ant. sup., 4 cm einwärts von ihr, liegt die Valvula coli. Bei der Atmung unterliegen die Därme einem nach hinten auf- wärts gehenden Druck und besonders das Colon transv. bewegt sich nach aufwärts. Niere und Pankreas werden von der Atmung nicht beeinflusst. E. Gaupp (Breslau). Versuche über Wärmeproduktion bei Säugetieren. Von J. Rosenthal. Schon seit mehreren Jahren bin ieh mit Untersuchungen über die Wärmeproduktion beschäftigt und habe dieselben u. a. auch auf die Vorgänge beim Fieber ausgedehnt. Da ich nicht voraussetzen kann, dass alle Leser mit meinen anderen bis jetzt veröffentlichten Ver- suchen und mit den benutzten Untersuchungsmethoden bekannt sind, so will ich in gegenwärtigem Aufsatz über diese berichten und die Mitteilungen über die Fieberuntersuchungen später nachfolgen lassen. Obgleich mich diese Versuche, wie gesagt, schon seit Jahren be- schäftigen, so sind meine Veröffentlichungen doch bisher nur lücken- haft gewesen und beziehen sich nur auf einzelne Punkte. Es war von vornherein meine Absicht, den Gegenstand, welcher schier un- erschöpflich ist, so weit als irgend möglich nach allen Seiten zu ver- folgen und dann in einer Monographie zusammenhängend darzustellen. Weil aber die Arbeit wegen ihrer Mühseligkeit nur langsam fort- schreiten konnte, habe ich einzelne Bruchstücke derselben gelegent- lich veröffentlicht, Uebersichten über einzelne Versuchsreihen auch mündlich in gelehrten Gesellschaften vorgetragen, so seit Jahren in der hiesigen physikalisch-medizinischen Gesellschaft, im Frühjahr 1889 in der physikalischen und in der physiologischen Gesellschaft zu Berlin, im Herbst 1890 in der physiologischen Sektion der Natur- Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren. 489 forscher- Versammlung zu Bremen, über die angewandten Methoden unter Vorzeigung von Zeiehnungen auch auf der Naturforscher - Ver- sammlung zu Straßburg (1886) und auf dem internationalen physio- logischen Kongress zu Basel (1889). Die erste Beschreibung des Apparates wurde veröffentlicht in der Doktordissertation meines Neffen Carl Rosenthal (abgedruckt in du Bois-Reymond’s Archiv für Physiologie, 1888, 8. 1 fg.); die erste genauere Auseinandersetzung und Begründung der Methode gab ich in eben diesem Archiv, 1889, S. 1 fg. Außerdem veröffentlichte ich einzelne Ergebnisse von Ver- suchsreihen in den Sitzungsberichten der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften am 13. Dez. 1888, 28. März 1889 und 17. April 1890, sowie in der Münchener mediz. Wochenschrift (Berieht der hiesigen physikalisch - medizinischen Gesellschaft), 1889, Nr. 53 und im biolog. Centralblatt, Bd VII, 8.657. Auch wurden einzelne Versuchsreihen in Doktordissertationen der hiesigen medizinischen Fakultät mitgeteilt!). Trotzdem müssen meine Arbeiten doch sehr wenig bekannt ge- worden sein, da Herr Prof Rubner in Marburg in einer vor Kurzem veröffentlichten Schrift: Kalorimetrische Methodik?) dieselben ganz unerwähnt lässt und selbst Untersuchungen, welche von mir schon an- gestellt und veröffentlicht sind, ankündigt mit dem Bemerken, dass sie durch das jetzt von ihm beschriebene Versuchsverfahren erst mög- lich geworden seien. Dieses Versuchsverfahren will ich nun zunächst etwas genauer, wenn auch nur kurz, auseinandersetzen., Bekanntlich haben schon Lavoisier und Crawford versucht, die von einem Tier produzierte Wärmemenge zu messen. Lavoisier wandte dazu das von ihm in Gemeinschaft mit Laplace konstruierte Eiskalorimeter, Crawford eine Art von Wasserkalorimeter an. Mit dem letzteren führten später Dulong und Despretz (unabhängig von einander) jeder eine Reihe von Versuchen aus. Von neueren Forschern ist Herr Senator hervorzuheben, welcher mit vielem Ge- schick einige der Anwendung des Wasserkalorimeters entgegenstehende Schwierigkeiten möglichst zu verringern wusste. 4) Solehe Dissertationen sind bisher erschienen (außer der schon ange- führten von Carl Rosenthal) von den Herren Zenetti, Dürrbeck, Loewy und Friedmann in den Jahren 1888 bis 1890. Von diesen behandelt die des Herın Dürrbeck den Einfluss der Umgebungstemperatur, die des Herrn Friedmann den Einfluss von Chloralhydrat, Chinin, Chinolin und Antipyrin auf die Wärmeproduktion bei Kaninchen. Die Arbeit des Herrn Loewy handelt von der Wärmeabgabe des menschlichen Armes, Einfluss der Bekleidung u. dergl. 2) Kalorimetrische Methodik, von Max Rubner, Professor der Hygiene nnd Staatsarzneikunde zu Marburg. Mit 2 lithographierten Tafeln und 5 Holz- schnitten. 4. 36 Seiten. Marburg, N. G. Elwert’sche Verlagsbuchhandlung, 1891. Separat-Abdruck aus der Carl Ludwig zu seiner 50jährigen Doktor - Jubel- feier von der mediz. Fakultät zu Marburg gewidmeten Festschrift, 490 Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren. Diese Schwierigkeiten liegen besonders in dem Umstande, dass wir es bei der tierischen Kalorimetrie mit einer stetig wirkenden Wärmequelle zu thun haben, während das Wasserkalorimeter seiner Natur nach nur für die Messung begrenzter und verhältnismäßig kleiner Wärmemengen bestimmt ist. Welche Schwierigkeiten bezw. Fehler hieraus erwachsen, will ich hier nicht weiter erörtern, verweise vielmehr auf meine schon früher gegebene Darstellung derselben in Hermann’s Handb. der Physivlogie, Bd. IV, Teil2, S. 354 fg. (1882). Ein anderes kalorimetrisches Verfahren haben Scharling, Vogel und Hirn versucht. Sie brachten einen Menschen in einem engen Kasten und beobachteten die Temperaturdifferenz zwischen der Luft im Kasten und in der Umgebung. Diese Methode war sehr unvoll- kommen. Sie wurde wesentlich verbessert von Herrn d’Arsonval im Jahre 1854. Da ich seit Jahren mich mit dem Problem beschäftigt hatte, die physiologische Kalorimetrie zu verbessern und zu der Ueber- zeugung gelangte, dass auf dem von Herrn d’Arsonval eingeschla- genen Wege in der That ein brauchbares Kalorimeter konstruierbar sei, so entwickelte ich die Theorie und teilte die Beschreibung des von mir benutzten Apparates, sowie einige der mit ihm angestellten Messungen mit (du Bois-Reymond'’s Archiv, 1889, Seite 1). Das Wesentliche der Methode ist folgendes: Das Tier, dessen Wärmeproduktion bestimmt werden soll, wird in einen metallenen Behälter mit doppelten Wänden gebracht. Die zwischen diesen Wänden eingeschlossene Luft nimmt von dem Tier Wärme auf und gibt an der äußeren Fläche Wärme ab. Nach einer gewissen Zeit stellt sich ein Gleiehgewichtszustand zwischen Wärmeaufnahme und Wärmeabgabe her. Ist dieser Zustand erreicht, so ist die Wärmeausgabe des Tieres gleich der Wärmeausgabe der äußeren Fläche. Letztere aber lässt sich berechnen. Nach dem Newton’schen Abkühlungsgesetz ist die Wärmeaus- gabe proportional der Temperaturdifferenz des wärmeausgebenden Körpers und seiner Umgebung. Diese Temperaturdifferenz lässt sich messen durch die Druckzunahme der abgesperrten Luft. Da der Druck eines konstanten Luftvolums seiner absoluten Temperatur proportional ist, so gelangt man durch eine einfache algebraische Ableitung, welche ich a. a. O. nachzulesen bitte, zu der Gleichung: Ta Wa— ES m: = worin W die Wärmeproduktion, m der Manometerstand, T, die Tem- peratur der Luft zu Beginn des Versuchs (nach der absoluten Scala gemessen), b, der Barometerstand zu Beginn des Versuchs und E eine durch besondere Versuche zu bestimmenden Konstante des Ap- parats ist !). 1) Die Bedeutung des Faktors a haben weder Herr d’Arsonval noch a andere Autoren, welche mit Luftkalorimetern gearbeitet haben, berücksichtigt, Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren. 491 Voraussetzung für die Richtigkeit der Bestimmung ist, dass die Temperatur des Versuchstiers selbst sich nicht geändert habe. Der Hauptvorteil des Apparats ist aber gerade, dass die Tiere sich in Luft von normaler Temperatur befinden und dass die im Anfang jedes Versuchs stattfindende Wärmeabgabe von dem Tier an das Kalorimeter, welcher die Versuche mit dem Wasserkalorimeter kom- pliziert, ganz ohne Einfluss ist. Wo aber die Versuchsbedingungen Temperaturänderungen des Tieres einführen, da lassen sich diese in Rechnung ziehen ?). Wir haben bei unserem Apparat die Temperatur des kalori- metrischen Luftraumes indirekt durch die Veränderung ihres Drucks gemessen. Statt dessen kann man auch die Veränderungen ihres Volums benutzen, wenn der Druck unverändert bleibt. Diese Variante hat schon Herr Richet unmittelbar nach Herrn d’Arsonval’s erster Veröffentlichung eingeführt und auch Herr Rubner macht von ihr Gebrauch. Theoretisch kommen beide Verfahren auf dasselbe hinaus, wenn man den Gleichgewichtszustand abwartet, was allerdings Herr Richet nicht beachtet. Praktisch aber ist das Volumverfahren, wie ich es zum Unterschied von dem Druckverfahren nennen will, mit einer Unbequemlichkeit behaftet. Es setzt voraus, dass der aus dem Apparat verdrängte Volumanteil Luft dieselbe Temperatur be- halte wie der zurückgebliebene. Das wird in Wirklichkeit niemals der Fall sein; der verdrängte Volumanteil wird die Temperatur der Umgebung annehmen, also eine niedrigere. Der hierdurch eingeführte Fehler muss natürlich um so größer sein, je größer die Temperatur- differenz, also je größer die Wärmeproduktion ist. Hieraus erklärt es sich, warum Herr Rubner keine genaue Proportionalität zwischen Wärmeproduktion und den Angaben seines Apparates fand ?). auch Herr Rubner nicht. Alle diese Herren haben es überhaupt unterlassen, die Theorie des Apparats zu behandeln; sie bedienen sich desselben ganz empirisch. Dass der Faktor = nicht ganz zu vernachlässigen ist, ergibt sich a daraus, dass für die bei den Versuchen thatsächlich vorkommenden Temperatur- und Barometerschwankungen Fehler der Berechnung bis zu 10 pCt. entstehen können. 1) Absolut genau kann diese Korrektion freilich niemals sein. Denn wo immer auch die Eigenwärme des Tiers gemessen werde, man kann niemals be- haupten, dass sie die wahre Durchschnittstemperatur des gesamten Tierkörpers sei. Ueber die Fehler, welche hierdurch entstehen können, vgl. meine Schrift: Zur Kenntnis der Wärmeregulierung bei den warmblütigen Tieren, Erlangen 1872, und den angeführten Abschnitt im Handbuch der Physiologie. Da dieser Fehler allen physiologisch-kalorimetrischen Methoden anhaftet, so ist natürlich diejenige im Vorteil, welche die Temperatur des Tieres am wenigsten ändert, und das trifft für das Luftkalorimeter selbst bei tagelangem Verweilen des Tieres im Apparat zu. 2) Diesen Umstand beobachtete Herr Rubner schon bei seinem ersten, kleineren Luftkalorimeter (Zeitschr. f. Biol. XXV) und er kehrt bei seinem 492 Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren, Man kann dem Apparat jede beliebige Größe geben, also ihn auch so groß machen, dass ein Mensch darin Platz hat. Herr d’Arsonval hat das gethan. Mitteilungen von Versuchsergebnissen hat er aber meines Wissens nicht veröffentlicht. Ich habe mich, da so große Apparate kostspielig sind und sehr viel Raum erfordern, damit begnügt, den Arm oder das Bein des Menschen in den Apparat einzuführen. Versuche dieser Art sind in den Arbeiten meiner Schüler seit 1888 mehrfach veröffentlicht und weitere, namentlich auch an Fieberkranken angestellte, werde ich im zweiten Teil dieser Arbeit mitteilen. Auch Herr Rubner hat einige solche Versuche ausführen lassen, auf welebe ich aber eben wie auf die im hiesigen Laboratorium schon früher ausgeführten hier nicht weiter eingehen will. Ich habe bei meinen bisherigen Arbeiten besonders die Bezieh- ungen zur Ernährung, zur Atmung, zur Umgebungstemperatur, zum Kreislauf und zum Nervensystem untersucht. Da diese Versuche sehr zeitraubend und verwickelt sind, so konnten sie noch nicht alle ab- geschlossen werden. Was ich bis jetzt veröffentlicht habe, bezieht sich besonders auf die drei ersterwähnten Faktoren. Sorgt man für gehörige Ventilation des Raums, in welchem sich das Tier befindet, so kann dasselbe tagelang im Kalorimeter unter ganz normalen Verhältnissen verweilen. Ich habe festgestellt, dass unter solchen Umständen bei einmaliger Fütterung in Zwischenräumen von je 24 Stunden ein periodisches Schwanken der Wärmeproduktion stattfindet, bei welchen das Maximum ungefähr in die 7. Stunde nach der Nahrungsaufnahme fällt, während zwei Minima, das eine etwa 1, das zweite etwa 23 Stunden nach der Nahrungsaufnahme, vorhanden sind Ich habe ferner nachgewiesen, dass die Nahrung einen großen Einfluss auf die Wärmeproduktion hat und namentlich durch reich- liche Fettfütterung sehr gesteigert werden kann, dass aber keine Proportionalität zwischen Art und Menge der Nahrung und Wärme- produktion besteht, dass es namentlich durchaus nicht möglich ist, aus den Werten der Verbrennungswärmen der aufgenommenen Nah- rungsstoffe die Wärmeproduktion zu berechnen. Nur bei Tieren, welche ‘lange Zeit bindurch d. h. mehrere Wochen mit gleichförmiger und ausreichender Nahrung gefüttert worden sind und welche sich demnach in vollkommenem Ernährungsgleichgewicht befinden, können die aus der Nahrung berechneten, und die aus längeren Versuchsreihen (von 14 Tagen etwa) sich ergebenden Mittel- werte der Wärmeproduktion ziemlich genau übereinstimmen. Bei solehen ausreichend ernährten und in vollkommenem Stoff- wechselgleichgewicht erhaltenen Tieren bleiben die an aufeinander jetzt beschriebenen größeren Apparat wieder. Ich bemerke übrigens noch, um Misverständnissen vorzubeugen, dass auch jene erste Publikation eines Luft- kalorimeters von Seiten des Herrn Rubner zeitlich erst nach der Veröffent- lichung des meinigen erfolgte. Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren. 4953 folgenden Tagen produzierten Wärmemengen, wenn man auch die anderen Faktoren, welche auf dieselbe von Einfluss sind, konstant erhält, einander nahezu gleich, d. h. ihre Schwankungen bewegen sich innerhalb enger Grenzen. Wie verwickelt aber im allgemeinen die Beziehungen zwischen Ernährung und Wärmeproduktion sind, geht aus den Erscheinungen hervor, welehe bei Wechsel in der Ernährung eintreten. Entzieht man einem mäßig genährten Tiere die Nahrung ganz, so sinkt die Wärmeproduktion sofort erheblich, und sie steigt wieder, wenn man wieder Nahrung zuführt. Lässt man aber ein gut- genährtes Tier hungern, d. h. ein solches, welches längere Zeit mit vollkommen ausreichender Nahrung gefüttert war, so vermindert sich die Wärmeproduktion in den ersten 3-5 Tagen der Nahrungs- entziehung gar nicht. Dann aber sinkt sie allerdings erheblich. Umgekehrt, wenn man einem Tier, welches 10 Tage gar keine Nah- rung erhielt, wieder zu fressen gibt, so steigt die während des Hungerns stark gesunkene Wärmeproduktion nicht sogleich an, sondern bleibt noch mehrere Tage auf ihrem niedrigen Wert, wobei das Tier sehr an Gewicht zunimmt. Dann erst beginnt sie zu steigen und erreicht auch erst nach einigen Tagen den Wert, welchen sie vor der Nah- rungsentziehung hatte. Was den Zusammenhang zwischen Wärmeproduktion und Atmungs- ausscheidungen anlangt, so ist es ja ganz selbstverständlich, dass ein solcher bestehen muss, da beide Wirkungen eines und desselben Vor- ganges, nämlich der in den Geweben stattfindenden Oxydationen sind. Fraglich aber konnte sein, ob die Ausscheidung, namentlich die Kohlen- säure, so unmittelbar auf ihre Entstehung folgt, dass die Menge der ausgeschiedenen Kohlensäure stets der produzierten Wärmemenge pro- portional verlaufen müsse. Auch war es nicht zweifelhaft, dass die Beziehung zwischen Kohlensäureproduktion und Wärmeproduktion keine absolut feste sein konnte, da ja bei Oxydationen verschiedener chemischer Substanzen von verschiedenen Verbrennungswärmen die Wärmeproduktion in anderem Verhältnis wechseln muss, als die Kohlensäureproduktion. Ganz die gleichen Betrachtungen lassen sich auch auf den Sauerstoffverbrauch des Organismus übertragen, ja sie gelten gewiss von diesem noch in höherem Grade, weil sicher der in einem gegebenen Zeitpunkt innerhalb eines Tierkörpers vorhandene Vorrat an freiem, locker und etwas fester gebundenen Sauerstoft, durch dessen weitere chemische Aktion Wärme produziert werden kann, ehe er in Gestalt von Kohlensäure oder in anderer Verbindung den Körper verlässt, Schwankungen unterworfen ist, deren Betrag festzustellen wir ganz außer Stande sind. Allerdings können wir mit einer für die meisten Aufgaben hin- länglichen Genauigkeit feststellen, welche Elemente und in welchen Verbindungen sie in den Tierkörper ein- und austreten. Aber um 494 Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren. aus solchen Stoffwechselprodukten eine klare Einsicht in die während dessen innerhalb des Tierkörpers vorgegangenen Prozesse zu gewinnen, dazu fehlt uns leider ein Mittel, welches die Aufstellung der Stoff- wechselbilanz erst vollkommen machen würde — wir können keine Inventur aufnehmen. Der einzig mögliche Schritt nach dieser Richtung, die Bestimmung des Gesamtkörpergewichts und seiner Schwankungen, genügt offenbar nicht. Was hätte die Inventur eines Kaufmannes zu bedeuten, der sein ganzes Waarenlager, ohne Rück- sicht auf den Wert der einzelnen Posten, in Bausch und Bogen auf die Waage gebracht und sein Gesamtgewicht in die Bilanzberechnung eingestellt hätte? Wenn wir uns das klar gemacht haben, so werden wir nicht er- warten, dass Stoffwechsel und Wärmeberechnungen einerseits und Wärmemessungen anderseits genau übereinstimmen. Aber wir werden uns die Frage vorlegen, welche Versuchsbedingungen wir herstellen müssen, um die Uebereinstimmung zu demjenigen Grade zu bringen» der überhaupt erreichbar ist. Und diese Bedingungen sind offenbar folgende: 1) Die Versuche müssen an Tieren angestellt werden, welche schon seit längerer Zeit mit immer genau derselben Nahrung ernährt worden sind, welche zur Erhaltung ihres Gleichgewichts eben aus- reichend ist, und die Tiere müssen ihren Stoffwechsel mit dieser Nahrung in vollkommenes Gleichgewicht gesetzt haben. 2) Jeder einzelne Versuch muss hinlänglich lange Zeit dauern, um die kleinen Schwankungen, welche nicht ausgeschlossen werden können (z.B. in Folge von Muskelbewegung), möglichst unschädlich zu machen. Diese beiden Grundsätze habe ich sowohl bei den schon erwähnten Versuchen über die Beziehungen der Wärmeproduktion zur Ernährung als auch bei denjenigen über die Beziebungen zur Atmung nach Mög- lichkeit durchzuführen versucht. Die Untersuchungen werden dadurch ungemein schwierig und langwierig, und das ist der Grund, warum sie so langsam vorrücken. Trotzdem glaube ich doch schon einige wertvolle Beziehungen erkannt zu haben, welche unser Verständnis der Lebensvorgänge zu fördern geeignet sind. Lavoisier und Laplace brachten ein Meerschweinchen erst in das Eiskalorimeter, um die Wärmeproduktion zu messen, und dann in eine mit Quecksilber abgesperrte Glocke, um die produzierte Kohlen- säure zu bestimmen. Dulong und Despretz bestimmten die respi- ratorischen Ausgaben während des Aufenthaltes des Tieres innerhalb des Kalorimeters, und diesem Beispiel sind alle Experimentatoren ge- folgt. Der Vorzug unseres Luftkalorimeters besteht nun gerade darin, dass man die Versuche beliebig lange fortsetzen und dass man die Atmungsprodukte nach den bewährtesten Methoden bestimmen kann. Ich habe dazu sowohl die Pettenkofer’sche als auch die Regnault- Reiset’sche Methode verwertet. Für die letztere muss der Apparat entsprechend abgeändert, mit luftdichten Verschlüssen und den Vor- Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren. 495 richtungen für die Sauerstoffzuführung u. s. w. versehen werden. Dafür bietet sie aber den Vorteil, dass die Sauerstoffaufnalıme nicht bloß mittelbar aus den übrigen Versuchsdaten berechnet, sondern ebenso wie die Kohlensäureausgabe unmittelbar bestimmt wird. Bei ausreichend und gleichmäßig ernährten Tieren könnte man erwarten, dass ein nahezu konstantes Verhältnis zwischen Wärme- produktion und respiratorischen Ausscheidungen bestehe !). Denn bei einem solchen Tiere müsste die oxydierte Substanz eine nahezu konstante Zusammensetzung und zwar diejenige der Nahrung haben. Dies ist nun auch nach meinen Untersuchungen nahezu der Fall, wenn man die einzelnen Versuchsperioden nicht zu kurz wählt, so dass sich die erwähnten, in der Natur der Stoffwechselprozesse be- gründeten Schwankungen einigermaßen ausgleichen. In einem solchen Falle kann man denn auch das hauptsächlichste Oxydationsprodukt, die Kohlensäure, herausgreifen und sie mit der Wärmeproduktion ver- gleichen. Man erhält so eine Verhältniszahl, welche angibt, wieviel Kalorien einem Gramm ausgeschiedener CO, entsprechen. Diese Ver- hältniszahl hat Herr Liebermeister mit dem Namen „Wärme- äquivalent der CO,“ belegt. Dass demselben kein unveränderlicher Wert zugeschrieben werden könne, geht aus meinen Auseinander- setzungen hervor. Ich habe das auch an der Hand der früheren Be- stimmungen des Herrn Senator wie meiner eigenen Untersuchungen nachgewiesen. Beschränkt man sich aber auf die Fälle, in denen der Begriff des Wärmeäquivalents der CO,, oder wie ich ihn bezeichnet habe, des „CO,-Faktors der Wärme“ einen wahren physiologischen Sinn hat, so zeigt sich eine interessante Erscheinung. Der CO,- Faktor schwankt dann innerhalb gewisser Grenzen. Ordnet man nun die Versuche einer längeren Versuchsreihe so, dass die Wärmeproduktion von den niedrigsten zu immer höheren Werten ansteigt, so bemerkt man, dass die zugehörigen CO,-Faktoren gleichfalls eine ansteigende Reihe bilden. Das heißt aber: Wenn bei gleichbleibender Er- nährung die Wärmeproduktion steigt, so wächst zwar die CO,-Ausscheidung auch, aber in geringerem Maße. Dieser Satz gewährt uns einen wichtigen Einblick in die Stoffwechsel- ökonomie der Tiere. Um die wahre Bedeutung des Satzes zu erkennen, müssen wir beachten, dass die im Tierkörper verbrennenden Stoffe stets Gemenge verschiedenartiger chemischer Substanzen sind, deren jeder eine be- 1) Ich hatte anfänglich erwartet, ein solches konstantes Verhältnis am ehesten bei hungernden Tieren zu finden, weil das znr Verbrennung kom- mende Material des Tierkörpers dann einigermaßen gleichartig sein müsse. Später fand ich, dass die Verhältnisse bei den ausreichend ernährten Tieren noch günstiger liegen. Vergl. meine Mitteilungen an die königl. preuß. Akademie der Wissenschaften vom 13. Dezember 1888 und 28. März 1889. 496 Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren. stimmte CO,-Menge liefert. Wäre das Verhältnis der verbrennenden Stoffe untereinander ein konstantes (z. B. immer gleich dem Ver- hältnis derselben in der Nahrung), so müssten produzierte Wärme und produzierte Kohlensäure auch ein konstantes Verhältnis zeigen, das heißt, der CO,-Faktor müsste konstant sein. Das ist aber nach meinen Versuchen eben nicht der Fall. Also müssen wir schließen, dass auch bei gleichbleibender Nahrung das Mengenver- hältnis der verbrennenden Stoffe wechselt und zwar derart, dass bei höherer Wärmeproduktion etwas mehr von den Stoffen verbrennt, welche auf eine gegebene CO,-Menge mehr Wärme zu liefern vermögen. Angenommen, wir fütterten einen Hund regelmäßig seit längerer Zeit mit Eiweiß und Fett im Verhältnis von 2:1, und der Hund be- finde sich in vollkommenem Ernährungsgleichgewicht. Wenn wir an- nehmen, dass auch die innerhalb seines Körpers verbrennenden Sub- stanzen Eiweiß und Fett in demselben Verhältnis seien, so berechnet sich der CO,-Faktor für ein solches Gemenge von 2 Teilen Eiweiß auf 1 Teil Fett auf 2,803. Nun schwankte in meinen Versuchen der CO,-Faktor innerhalb der Werte 2,5 und 3,4, der Mittelwert einer längeren Versuchsreihe war 2,9. Wir sehen also, dass zwar der Mittelwert dem berechneten ziemlich nahe kommt, dass jedoch bei niederer Wärmeproduktion wahrscheinlich verhältnismäßig mehr Ei- weiß, bei höherer verhältnismäßig mehr Fett verbrannt wurde. Da diese Annahme vollkommen ausreicht, um alle beobachteten Erschei- nungen zu erklären, so halte ich sie für sehr wahrscheinlich. Ich sehe in diesem Ergebnis meiner Versuche einen Beweis dafür, dass durch fortgesetzte Untersuchung der Wärmeproduktion unsere Er- kenntnis der Stoffwechselvorgänge wesentlich vertieft und erweitert werden kann. Denn wir erfahren hier etwas, worüber uns die Stoff- wechselversuche allein keinen genügenden Aufschluss geben würden. Die minimale Veränderung in der Ausgabe von N und C im Harn und in der Atmung sind viel zu gering, um einen sicheren Schluss darauf, wie viel von diesen Ausgaben auf die Zersetzung der einzelnen Substanzen (Eiweiß und Fett in unserem Falle) zu rechnen sei, zu gestatten. Die gleichzeitige Messung der Wärmeproduktion aber und die Vergleichung derselben mit den respiratorischen Ausscheidungen macht uns auf feine Unterschiede in dem Ablauf der Oxydationen aufmerksam, denen nachzugehen Aufgabe weiterer Untersuchungen sein wird. Ich habe schon gesagt, dass bei Tieren mit so vollkommenem Ernährungsgleichgewicht, wie sie zu diesen Untersuchungen benutzt wurden, eine ziemlich gute Uebereinstimmung zwischen der thatsäch- lich gemessenen und der aus den Verbrennungswärmen der Nahrung berechneten Wärmeprodukten besteht, wenn man die Messungen auf genügend lange Zeiträume ausdehnt. Eine der theoretischen Schwierig- keiten für die Erklärung der tierischen Wärme, welche seit den Rosenthal, Wärmeproduktion bei Säugetieren. 497 Arbeiten von Dulong und von Despretz so viele Erörterungen hervorgerufen haben, ist damit beseitigt. Diese Forscher glaubten bekanntlich gefunden zu haben, dass mehr Wärme produziert wird, als den chemischen Umsatzungen nach produziert werden könnte. Waren auch ihre Versuche und die Bereicherungen derselben nicht genügend, jene Behauptung zu stützen!), so musste es doch immer als ein Mangel angesehen werden, dass ein Naturgesetz von so ein- schneidender Bedeutung, wie das Gesetz von der Erhaltung der Energie, für die Wärmeproduktion der Tiere nicht bewiesen war. Meine Versuche haben diese Lücke ausgefüllt und die Bedingungen aufgewiesen, unter denen allein die gesuchte Uebereinstimmung nach- weisbar ist. Denn in der That fehlt diese Uebereinstimmung in allen Fällen, in denen die Ernährung entweder überreichlich, oder in denen sie unzureichend ist. Im ersteren Falle produziert das Tier weniger Wärme, als bei vollkommener Verbrennung der Nahrungsbestandteile produziert werden müsste, im letzteren Falle mehr. Dabei nimmt das Körpergewicht im ersteren Falle zu, im letzteren ab. Die CO,-Faktoren können in diesen Fällen größere Schwankungen aufweisen als in dem Fall der ausreichenden Nahrung. Sie können jedoch zur Berechnung der Wärmeproduktion nur mit großer Vorsicht benutzt werden, weil es unmöglich ist, mit Sicherheit zu bestimmen, aus welchen chemischen Substanzen die CO, hervorgegangen und wie die Oxydation verlaufen ist. Auch zu Untersuchungen über den Einfluss äußerer Umstände auf die Wärmeproduktion thut man gut, womöglich immer von dem Zustand der ausreichenden Ernährung auszugehen. Von solchen Um- ständen habe ich zunächst den Einfluss der Umgebungswärme genauer untersucht. Bekanntlich wird von vielen Physiologen und Pathologen die Ansicht vertreten, dass eines der Hauptmittel der Wärmeregulierung bei den homoiothermen Tieren in einem Anpassungsvermögen der Wärmeproduktion gegeben sei, der Art, dass, unmittelbar durch das Nervensystem angeregt, bei jeder Abkühlung der Haut eine gesteigerte, bei jeder Erwärmung derselben eine verminderte Wärmeproduktion eintrete. Demgegenüber habe ich immer den Satz vertreten, dass zwar eine solehe Anpassung für die Fälle größerer und langdauernder Schwankungen der Außentemperatur bestehen müsse, dass aber da- neben auch die Anpassung der Wärmeausgabe von der Haut nicht nur bei der Regulierung mitwirke, sondern dass sie in vielen Fällen allein wirksam sei. Die Entscheidung konnte aber nur durch wirkliche Messung der Wärmeausgabe herbeigeführt werden, weil die früher versuchte Lösung der Frage auf dem Wege der Berechnung der Wärmeproduktion aus der CO,-Ausgabe oder O-Aufuahme aus den schon erörterten Gründen unmöglich ist. 1) Man vergl. meine Kritik derselben in Hermann’s Handbuch, Bd. IV, Teil 2, 8.35 .1g: XI. 32 498 Kochs, Schädigung der Fische im Winter. Zu diesen Versuchen eignen sich Kaninchen besser als Hunde, weil sie auf Schwankungen der Außentemperatur schneller und stärker reagieren. An Kaninchen fand ich, dass die Wärmeproduktion bei einer gewissen mittleren Temperatur der Umgebung (ungefähr 15° C) ein Minimum zeigt und sowohl bei niederen wie bei höheren Tem- peraturen größer ausfällt. Dieses Ergebnis ist deshalb sehr interes- sant, weil Herr C. v. Voit ein ganz gleiches Verhältnis für die CO,-Produktion beim Menschen gefunden hat. Bei Hunden konnte ich aus äußeren Gründen Temperaturen über 15° C nicht prüfen. Ich fand, dass innerhalb der Grenzen von + 5 bis + 15° Hunde im Allgemeinen mehr Wärme produzieren bei niederen Temperaturen; doch waren die Ergebnisse nicht so regelmäßig wie beim Kaninchen. Ich habe auch untersucht, welchen Einfluss es auf die Wärme- produktion hat, wenn die Versuchstiere vor der Messung in einer höheren oder niederen Temperatur gehalten wurden, als diejenige, bei welcher die Messung selbst erfolgte. Ich fand aber keinen nam- haften Einfluss. Ich habe ferner den Einfluss verschiedener Medi- kamente und Gifte auf die Wärmeproduktion untersucht. Da aber diese Untersuchungen in enger Beziehung stehen zu denjenigen über über das Fieber, so will ich ihre Besprechung auf die späteren Ab- schnitte dieser Mitteilungen verschieben. Wie man aus dem Vorhergehenden ersieht, habe ich durch meine Versuche ein ziemlich bedeutendes Erfahrungsmaterial über eine bis- her sehr wenig experimentell bearbeitete, schwierige, aber ungemein wichtige Frage angesammelt und auch schon begonnen, dasselbe theoretisch zu verarbeitent!). Ich habe in vorstehenden Zeilen von den Ergebnissen meiner Arbeit nur diejenigen kurz zusammengefasst, welche mir vorerst als die wichtigsten erscheinen. Ich hoffe, dass es mir vergönnt sein wird, dieselben in späteren Mitteilungen zu er- gänzen und zu vervollständigen. Erlangen, den 14. Mai 1891. Ueber die Ursachen der Schädigung der Fischbestände im strengen Winter. Von Dr. W. Kochs, Privatdozent. Der verflossene Winter 1890—1891 war für Europa der kälteste seit 1837—1838. Nach den Angaben von Prof. Hann war der vorige Winter um 3,70 zu kalt. Das letzte Dezennium ist überhaupt 0,3 bis 0,4° zu kalt. Seit 1877 haben wir keinen warmen Sommer mehr ge- habt und zur Zeit befindet sich Europa entschieden in einer Kälte- 4) Demgegenüber ist es doch sehr auffallend, wenn Herr Rubner sagt, solche Versuche (nämlich länger dauernde kalorimetrische Messungen) hätten bisher, d. h. bis zur Konstruktion seines Apparats, nicht angestellt werden können (a. a. 0. $. 35), und wenn er nicht bloß von meinen Arbeiten gar keine Kenntnis nimmt, sondern auch ganz verschweigt, dass die von ihm be- nutzte Methode schon lange vor ihm von Anderen erfunden worden ist. Kochs, Schädigung der Fische im Winter. 495 periode. Da jedoch schon früher ähnliche Kälteperioden beobachtet sind, so besteht die Hoffnung, dass bald wieder eine warme Periode folgt. Die Temperaturabweichungen, welche in den Jahren 1837—45 in Wien beobachtet wurden, stimmen mit den aus Paris gleichzeitig gemeldeten so genau überein, dass an der großen gleichmäßigen Ver- breitung solcher Wärmeanomalien nicht zu zweifeln ist. Im vergangenen Winter sind allerorten erheblich tiefere Tempera - turen wie gewöhnlich beobachtet und da dieselben mit geringen Schwankungen viele Wochen andauerten, haben Flora und Fauna empfindlich gelitten. Speziell die Bewohner des stehenden süßen Wassers scheinen wenigstens stellenweise in großer Zahl unter dem schweren Eise getötet zu sein. Schädigungen des Wachstums oder des Fortpflanzungsgeschäftes entziehen sich noch der Beurteilung. Der Vorsitzende des Rheinischen Fischereivereins, Herr Geh. Rat Frhr. von la Valette St. George, hat mich aufgefordert, auf Grund früherer von mir gemachter einschlägiger Studien die Gründe für das vielfache Absterben der Fische im strengen Winter klar zu stellen und zu untersuchen, wie es kommt, dass stellenweise alle Fische und große Mengen anderer Wassertiere umgekommen wurden, und nicht weit davon entfernt gar keine Verluste beobachtet sind. Offenbar müssen neben der großen Kälte noch andere Momente ent- scheidend mitwirken. Nur durch genaue Kenntnis aller in Betracht zu ziehenden Verhältnisse können diese die Fischzucht schwer tref- fenden Frostschäden so ergründet werden, dass in Zukunft an jedem Orte die richtigea Gegenmaßnahmen zeitig getroffen werden können. Zunächst wollen wir daher die in Teichen beim Eintritte kalter Witterung mit nachfolgendem Froste überhaupt stattfindenden Ab- kühlungsvorgänge genauer betrachten. Wenn durch kühles Herbst- wetter die Temperatur eines Teiches auf 6° etwa gesunken ist und nun Frost eintritt, so wird die oberste Wasserschicht sich schnell abkühlen und zwar bis auf 4%. Da aber das Wasser bei 4° seine größte Dichtigkeit oder Schwere hat, sinkt die 4° warme Schicht nach unten, während 6° warmes Wasser an die Oberfläche kommt. Daraus folgt, dass, bevor nicht die ganze Wassermasse auf 4° ab- gekühlt ist, die Temperatur überhaupt nicht unter 4° sinken kann, Ist dieses aber erreicht, so tritt ein ganz anderes Verhältnis ein. Die obersten 4° warmen Schichten kühlen sich schnell auf 0° ab, weil unter 4° das Wasser wiederum leichter wird, also nicht mehr sinkt und demnach kein wärmeres Wasser aus der Tiefe mehr an die Ober- fläche kommen kann. Daher bildet sich sehr bald eine dünne Eis- decke, welche auf dem Wasser schwimmt. Unter dieser Eisdecke besteht aber in ganz geringer Entfernung — bei Windstille in 5 bis 10 em — eine Wassertemperatur von 4°. Eis ist nun ein sehr schlechter Wärmeleiter und deshalb kann eine Diekenzunahme des Eises nur relativ langsam stattfinden. Nach der ersten Eisbildung ist daher eine weitere Abkühlung der unteren Wasserschichten unter 4° sehr nr % 500 Kochs, Schädigung der Fische im Winter. erschwert. Die bei der Abkühlung bis auf 4° vorhandenen Strömungen fallen unter 4° gänzlich fort, da das kältere, leichtere Wasser wie das Eis auf dem wärmeren, schwereren Wasser schwimmt. Rum- ford!) bewies zuerst, dass alle Flüssigkeiten mit Ausnahme des Quecksilbers zu den schlechten Wärmeleitern gehören; man kann durch folgenden Versuch sich diese wichtige Thatsache anschaulich machen. Einen etwa !/, Meter hohen, einige Zentimeter weiten Glas- zylinder, der mit Wasser gefüllt ist, umgebe man unten mit Schnee und Salz, während man in der Mitte ihn mit einer Flamme erhitzt. Bald wird das Wasser in der oberen Hälfte des Zylinders zum Kochen kommen, während unten sich ein solider Eispfropfen gebildet hat. Entfernt man nun die Flamme und die Kältemischung, so wird man sehen, dass das Eis keineswegs sofort schmilzt, und durch allmäh- liches Hineinsenken eines Thermometers in das Wasser kann man sich leicht überzeugen, wie langsam die Siedehitze der oberen Schichten sich nach unten hin mitteilt. Durch diese Eigenschaften des Wassers kommt es, dass in der Tiefe der Landseen das ganze Jahr hindurch die Wassertemperatur 4°—5° beträgt, während das oberflächliche Wasser im Sommer höhere, im Winter tiefere Temperatur zeigt. Eine Pfütze gefriert in jeder kalten Nacht bis auf den Grund, ein flacher Teich bedarf mehrerer kalten Nächte, und ein nur wenige Meter tiefer See friert in unseren Breiten überhaupt nie bis auf den Grund. Das stärkste Eis, welches im letzten Winter auf tiefem Wasser beobachtet wurde, maß gegen SO cm. In den Boden kann leicht der Frost bis 1,25 m Tiefe eindringen, weil der im mäßig feuchten Erdboden vor- handene Wärmevorrat viel geringer ist als im Wasser, welches die höchste spezifische Wärme aller Körper hat. Da nun das Wasser erst bei 0° zu frieren anfängt, so haben die Fische, welche in nicht bis auf den Grund zugefrorenen Teichen über- winterten, keinesfalls eine Abkühlung auf 0° erlitten. Trotzdem sind viele in solchen Teichen gestorben. Das physikalische Verhalten des Wassers kann nicht die Ursache für diese Verluste sein; wir wollen deshalb jetzt das Verhalten der leben- den Wasserbewohner bei fortdauernder Abkühlung näher untersuchen. in der Litteratur finden sich vielfache Angaben, dass Fische und andere Wassertiere den ganzen Winter im Eise eingeschlossen ver- harren könnten und beim Auftauen wieder lebendig würden. Da es für die Erkenntnis des Wesens der Lebensvorgänge von größter Wich- tigkeit ist, ob diese Angaben richtig sind, so habe ich selbst Beobach- tungen dieser Art gesammelt und geeignete Experimente angestellt, aus welchen das Verhalten der Lebensvorgänge der Versuchstiere bei niederer Temperatur ersichtlich ist. In früheren Jahren hatte ich mehrfach Frösche, Kröten, Tritonen, Wasserkäfer und Wasserschneeken unter verschiedenen Bedingungen hart frieren lassen. Bei starkem Froste hatte ich Abends die Tiere in Gefäßen mit Wasser ins Freie 1) Ru m ford, Philosoph. Trans., 1792. Kochs, Schädigung der Fische im Winter. 501 gestellt und fand am anderen Morgen Wasser und Tiere in einen soliden gut durchsichtigen Eisblock verwandelt. Beim Auftauen er- wiesen sich die Tiere stets als tot, auch hatten mehrfache Versuche, die Muskeln durch elektrische Reize nochmals zur Zusammenziehung zu bringen, niemals Erfolg. Ich beschloss nun, den ganzen Vorgang des Einfrierens und Sterbens der Versuchstiere genauer zu beobachten. Im Januar 1890 ließ ich aus dem Schlamme eines Teiches in der Nähe von Endenich, welcher oberflächlich zugefroren war, dicht am Ufer zahlreiche Frösche und Wasserkäfer (Dytiscus marginalis) heraus- holen und in das ebenfalls mit einer leichten Eisdecke versehene Aquarium des Pharmakologischen Institutes bringen. Die Tiere be- wegten sich träge, waren aber keineswegs starr und reagierten auf leichte Reize, wenn auch schwächer, wie sie es sonst zu thun pflegen. Die Temperatur des Wassers resp. des Schlammes am Boden des Aquariums schwankte zwischen 4 2 bis + 3°. Der Schlamm des Teiches, in welchem die Tiere gefangen wurden, wird infolge der Quellen auch beim stärksten Froste niemals völlig hart. Die folgen- den Versuche wurden also mit Tieren angestellt, welche in der Natur langsam sich an niedere Temperatur gewöhnt hatten. In Becher- gläser von etwa 400 cem Inhalt setzte ich Vormittags je ein Tier (Rana fusca, R. viridis und Dytiscus marginalis) und füllte dieselben mit Wasser aus dem Aquarium. Bei einer Lufttemperatur von — 4° stellte ich die Gläser ins Freie auf eine hölzerne Unterlage. Nach 2 Stunden hatten die Gläser eine feste Eisdecke und schwammen die Tiere unter derselben. Die Bewegungen besonders der Käfer waren entschieden lebhafter als im Aquarium. Bis zum Abend bildete sich auf dem Boden und an den Seiten der Gläser ebenfalls einige Centi- meter dickes klares Eis. Ziemlich genau in der Mitte des Glases resp. Eisblockes war noch ein eiförmiger Wasserraum, in dem die Tiere sich lebhaft bewegten. Die Wände dieses Wasserraumes, der längere Zeit sich nieht merklich verkleinerte, waren glattes klares Eis und in den oberen Partien sammelte sich allmählich Gas, etwa 1 cem. Ich bohrte nun den Wasserraum mit einem Drillbohrer an und ließ ein dünnes Thermometer hinein, welches zu meiner Ver- wunderung — 2° zeigte. Nach 5 Stunden war der Wasserraum er- heblich kleiner geworden. Das Thermometer zeigte + 1° und nach 8 Stunden waren die Tiere völlig vom Eise umschlossen. Genau war dieser Zeitpunkt nur für die Käfer festzustellen, da den Fröschen die Spitzen der Extremitäten schon früher festgefroren waren. Während dieser Zeit zeigte ein ins Eis eingebohrtes Thermometer — 2° und die Luft hatte schließlich — 5°. Diese Versuche habe ich mehrfach wiederholt auch mit kleinen Fischen, welche ebenfalls aus dem er- wähnten Teiche stammten. In der Hauptsache verliefen dieselben immer gleich. Die Fischehen waren zuerst vom Eise völlig umschlossen und bewegten sich nur sehr wenig. Die Frösche suchten sich so lange wie möglich zu bewegen und die Käfer schwammen geradezu 502 Kochs, Schädigung der Fische im Winter, energisch bis sie vom Eise fixiert wurden. Offenbar suchen die Tiere ihre Wärmeproduktion zu steigern und kämpfen so gegen die Kälte, bis ihre brennbare Körpersubstanz zu Ende geht, resp. der Sauerstoff- mangel die Verbrennung verhindert, erst dann frieren sie fest. Bei zahlreichen Versuchen dieser Art zeigten sich die Käfer gegen die Kälte bei weitem am widerstandfähigsten. Mehrfach sah ich Käfer, welche 5—6 Stunden vom Eise völlig umschlossen waren, allerdings nur bei Temperaturen von höchstens — 3°, wieder zum Leben kommen. Beim Durchsägen derartiger Präparate fand sich aber, dass das Innere des Leibes dann noch nicht hart gefroren war. Sobald aber einige Tiere sich als völlig hart gefroren erwiesen, sah ich nie eines wieder lebendig werden. Wenn die Eisklumpen, in denen sich noch lebens- fähige Käfer befanden, bei 0° bis zum folgenden Tage aufbewahrt wurden, waren die eingeschlossenen Tiere ebenfalls stets tot. Aus diesen Versuchen ergibt sich, dass es ganz unmöglich ist, dass ein Wassertier auch nur einen Tag völlig vom Eise umschlossen sein kann, ohne zu Grunde zu gehen. Wo immer Beobachtungen über angeblich völlig eingefrorene Wassertiere gemacht sind, welche doch wieder lebendig wurden, liegen oft nicht leicht aufzudeckende Irrtümer vor, In der Litteratur finden sich jedoch noch immer derartige An- gaben, welche durch gegenteilige Beobachtungen widerlegt werden. So z. B. findet sich in der „Deutschen Fischereizeitung“ 14. Jahrgang, Nr. 17, S. 132 Folgendes: „Es ist von einigen Forschern, u. a. von dem bedeutenden Ichthyologen Professor Günther in London, be- hauptet worden, dass Karpfen und Karauschen weiter zu leben ver- mögen, nachdem sie in einen soliden Eisblock eingefroren waren. Diese Angaben nun beruhen nach Beobachtungen und Versuchen von G. Knauthe völlig auf Irrtum. — Knauthe hat in diesem Winter einige Lettengruben durch beständiges Aufeisen zum gänzlichen Aus- frieren gebracht und konnte dann bei dem Ende Januar eintretenden Thauwetter feststellen, dass der ganze Besatz der „Himmelteiche“, bestehend aus Barschen, Karpfen, Karauschen, Bitterlingen, Schleien, Schlammbeißern, sowie Fröschen, Kröten, Unken und Schildkröten der Kälte völlig erlegen war. Darauf hat der Genannte im Februar eine ansehnliche Reihe von Versuchen mit solchen im Schlamm vergrabenen oder unter einer starken Schicht feuchter Blätter verborgenen lethar- gischen Fischen, Fröschen und Kröten angestellt und gefunden, dass die Tiere selbst in dieser schützenden Umhüllung ein gänzliches Hart- frieren nicht vertragen. Hierdurch werden auch die Angaben wider- legt, wonach Frösche und Kröten, die so hart gefroren waren, dass man sie in Stücke brechen konnte, doch bei ganz allmählichem Auf- tauen zu neuem Leben erwachten. Keines der genannten Amphibien lebte wieder auf, nachdem es brüchig hart gefroren war, keines gab auch nur die geringsten Lebenszeichen mehr von sich, selbst wenn es sich bloß einige Augenblicke im hartgefrorenen Zustande be- funden hatte“, Kochs, Schädigung der Fische im Winter. 503 Trotzdem nun meine Versuche durch die Art ihres Verlaufes zeigen, dass die Tiere mit Aufbietung aller Mittel gegen das Einfrieren an- kämpfen müssen, weil die Kälte als starker Reiz wirkt, der die Ver- brennung steigert und die Tiere erst, nachdem sie erschöpft sind, einfrieren und stets sterben, habe ich dennoch viele Angaben genauer geprüft, um vor Allem festzustellen, wie es kommt, dass gute Be- obachter in solche Irrtümer verfallen können. Herr Schoettler (Rheinbach) teilte mir einen Brief von Herrn Dr. Pfahl in Bieber bei Gelnhausen mit, welcher in dieser Hinsicht sehr lehrreich ist. Drei Karpfen, je 1!/, Pfd. schwer, waren in einem kleinen 5m langen, 1!/, m breiten und !/, m tiefen Weiher eingefroren, welcher schließlich nur eine solide Eismasse darstellte. Man konnte durch die Eismasse hindurch die drei Karpfen längere Zeit an der- selben Stelle befindlich beobachten. Dieselben befanden sich aber, wie Pfahl besonders hervorhebt, auf einer etwa 25cm dieken Schlamm- schicht, die zweifellos Grundwasser durchließ, da 1'/,m davon entfernt ein nicht zufrierender Bach vorbeifloss. Im Frühjahr waren alle drei Karpfen noch lebendig. Der gleiche Beobachter teilt dann weiter mit, dass in einem zementierten Bassin von 80 cm Tiefe, welches infolge Zufrierens des Zuflussrohres vollständig ausfror, sämtliche Fische, 8 Forellen von 1 Pfd. schwer, 1 Karpfen von 2 Pfd. und alle Krebse bis auf einen tot gefunden wurden. Aus dem Angeführten ergibt sich für die Praxis, dass die Fische unter allen Umständen eine frostfreie Zufluchtsstätte im tiefen Schlamm oder Wasser finden müssen. Eine Wassertiefe von im bis 1,5m dürfte bei jedem Untergrunde völlig ausreichend sein. Der Boden des Teiches muss aber so regelmäßig geböscht sein, dass die Tiere nicht an seichten Stellen durch das Eis gefangen gehalten werden können. Nach einem Berichte des Herrn Kunz in Dierdorf sind viele halberstarrte Fische in einem großen sehr tiefen Teiche durch ein sehr dichtes Gewirr von Wasserpflanzen gleich unter der ersten dünnen Eisschicht festgehalten worden, so dass sie später ganz einfroren und dann in den obersten Schichten des Eises tot aufgefunden wurden. Es sind nun aber auch in manchen Teichen trotz größerer Tiefe und Abwesenheit zahlreicher Wasserpflanzen alle Fische oder einige Fischarten gestorben. Die Ermittelungen, welche ich hierüber an- stellen konnte, haben folgendes ergeben. Derartige Verluste haben nur stattgehabt in Teichen, welche während des größten Teiles des Winters keinen Wasserzufluss erhielten. Es hat sich als völlig gleich- giltig erwiesen, ob die Eisdecke bei diesen Teichen durch zahlreiche Löcher mit eingesteckten Strohwischen offen gehalten wurde oder nicht. Entscheidend für die gute Ueberwinterung hat sich die Er- neuerung oder Vermehrung des Wassers durch frischen Zufluss er- wiesen. In mehreren Teichen mit schlammigem Boden, welche nicht abgelassen werden können und keinen Zufluss erhielten, so dass das Wasser schließlich geradezu stank, sind alle Fische und Krebse, sowie 504 Kochs, Schädigung der Fische im Winter. viele Frösche und Kröten zu Grunde gegangen. Nur in wenigen Teichen mit sehr reinem Wasser haben sich trotz fehlenden Wasser- zuflusses die Tiere lebendig erhalten. Ueberlegt man, welche che- mischen Vorgänge in Teichen mit schlammigem, organische Reste ent- haltendem Grunde stattfinden, insbesondere, wenn sie noch durch Abgänge aus Viehställen und menschlichen Wohnungen verunreinigt werden, so findet man, dass solche Teiche ergiebige Quellen für Sumpfgas, Schwefelwasserstoiff und Ammoniak sein mussten. Ist der Teich eisfrei, dann werden diese Gase rasch in die umgebende Luft diffundieren, resp. durch Pflanzen zerstört werden, ohne erheblichen Schaden für seine Bewohner. Ist er aber mit einer Eisdecke ver- schlossen, dann hört die Diffusion auf, und je nach der Dauer der Bedecekung muss sich das Teichwasser mit den genannten Stoffen an- reichern. Schwefelwasserstoff und Ammoniak sind nun für Fische spezifisch giftig. Erstgenanntes Gas bindet noch dazu im Wasser ent- haltenen Sauerstoff und kann ein wirkliches Ersticken der Fische infolge mangelnden Sauerstoffes veranlassen. Eine Vergleichung der Absorptionskoeffizienten der in Frage kommenden Gase zeigt weiterhin, wie gefährlich größere Mengen Schwefelwasserstoff und Ammoniak bil- dender Substanzen im Teichwasser dem Leben der Fische werden müssen. Bei 4° Celsius beträgt der Absorptionskoeffizient für Wasser: bei, Sauerstons ey u Sr 00T „ Schwefelwasserstoff . 4,0442 SERNTIIRONIaRA Ale: Bei 20° Celsius: beit 'Sauerstoftl 1. WU 07 70,02838 „ Schwefelwasserstoff . 2,9053 „Ammonlakr nenn. Demnach kann man sagen, dass jede Bildung dieser beiden letz- teren Gase, zumal sie leicht vom Wasser gelöst werden, schädlich ist. In der frostfreien Zeit des Jahres sorgen die Wasserpflanzen unter der Wirkung des Lichtes für die Zerstörung dieser schädlichen Sub- stanzen. Ammoniak fördert das Wachstum der Pflanzen und somit indirekt auch die an denselben lebenden Tiere, welche den Fischen zur Nahrung dienen. Unter der Eisdecke aber oder auch im Sommer, wenn keine genügende Menge grüner Wasserpflanzen vorhanden ist, werden faulende organische Stoffe für die Fische zu einer Quelle tötenden Giftes. Folgende Daten, welche ich dem ausgezeichneten Werke von Paul Regnard!) entnehme, zeigen die große Gefährlichkeit des den Sauer- stoff bindenden Schwefelwasserstoffes sogar in größeren Flüssen. Das Wasser der Themse enthält: oberhalb London . . 7,4 Liter Sauerstoff im Kubikmeter Wasser bei Hammersmith . . 47 ,„ . R 5 n bei Sommerset House . 15 ,„ n 5 5 > bei! Woolwich "US 0237, r n » h 1) Paul Regn ard, Recherches exp6rimentales sur les conditions physi- ques de la vie dans les eaux. Paris 1891. p. 351. Kochs, Schädigung der Fische im Winter. 505 So sehr sinkt der Sauerstoffgehalt des Themsewassers durch die Fäkalien der Weltstadt. M. Girardin hat durch zahlreiche sorg- fältige Beobachtungen dargethan, dass mit der Verminderung des Sauerstoffgehaltes des Wassers ein Krankwerden der Fische stets verbunden ist. Regnard beschreibt dasselbe folgendermaßen: Sobald die Gewässer sauerstoffärmer werden, zeigen die Fische ein augenscheinliches Unbehagen, sie steigen häufig zur Oberfläche, sie schwellen an und wenn die Störung fortdauert, gehen sie in großer Menge zu Grunde. Wenn der Sauerstoffgehalt noch niebt so sehr gesunken ist, können die Fische, deren Atmung nicht sehr lebhaft ist, noch widerstehen, während die anderen nicht mehr leben können. So überlebt der Aal die anderen Fische; der Blutegel lebt noch, nach- dem alle Krebse gestorben sind. Können nun in das Eis geschlagene Löcher mit eingesetzten Stroh- wischen etwas nützen oder sind dieselben ganz unnötig? Diese prak- tisch immerhin sehr wichtige Frage ist durch das bisher angeführte nicht sicher zu entscheiden. Alle Erkundigungen haben zu keinem zuverlässigen Ergebnis geführt. Dass die Fische stets an die offenen Stellen im Eise heranschwimmen und nach Luft schnappen, ist bekannt. Offenbar ist dieses ein Zeichen für Sauerstoffmangel im Wasser, welcher, wie es scheint, leicht eintreten kann. Wenn man in einem Glase mit einigen Goldfischen, welche längere Zeit sich gut erhielten, etwas unter der Wasseroberfläche ein Netz spannt, so dass die Fische nicht mehr mit dem Maule an die Oberfläche kommen können, sterben dieselben in kurzer Zeit an Erstickung. Ueber die Atmungsverhält- nisse der Fische im Wasser dürfte folgende Betrachtung einige ver- wertbare Anhaltspunkte geben. Der Absorptionskoeffizient für Luft in Wasser beträgt: bei 0° 0,02471 4° 0,02237 10270001953 20° 0,01704. Bei 4° löst demnach 1 cbm Wasser 0,02237 cbm Luft, gleich 22,37 Liter. Diese absorbierte Luft enthält nach Bunsen 34,9], Sauerstoff und 65,09°/, Stickstoff. Demnach würden in einem Kubik- meter Wasser von 4° nur etwa 7,4 Liter Sauerstoff sein. 1 Liter Sauerstoff wiegt 1,43028 g, 7,4 Liter demnach 10,582 g. Nehmen wir nun pro Kubikmeter Wasser 1 kg Fisch an und eine feste Eisdecke während 60 Tagen, so müsste 1 kg Fisch, voraus- gesetzt, dass derselbe dem Wasser allen Sauerstoff entziehen kann, 60 Tage mit 7400 cem Sauerstoff leben können. Im Tage dürfte er 123 cem und pro Stunde 5 cem Sauerstoff im Gewichte von 0,00615 g gebrauchen. Durch sehr genaue Versuche hat nun Regnard (S. 416) fest- gestellt, dass bei einer Wassertemperatur von 2° C ein Kilogramm Goldfisch pro Stunde 14,8 cem Sauerstoff verbraucht. Es würde dem- 506 Kochs, Schädigung der Fische im Winter. nach schon am 20. Tage unser in Rechnung gezogener Kubikmeter Wasser völlig von Sauerstoff befreit worden sein. Selbstverständlich sind die Fische nicht im Stande, dem Wasser allen Sauerstoff zu entziehen. Schon bei einer Verminderung auf 1 Liter pro Kubikmeter sterben viele an Erstickung. Wenn nun auch die Atmung der Fische im Winter auf ein Minimum sinkt, so zeigen die angeführten Daten doch, dass eine zu starke Besetzung eines Teiches im Winter leicht Erstickung herbeiführen kann. Durch kleine Löcher im Eise kann nur eine sehr geringe An- reicherung des Wassers mit Sauerstoff stattfinden, da die Diffusion infolge schneller Sättigung der obersten Wasserschicht sehr bald fast ganz aufhört und die Fortbewegung der Luft im ruhigen Wasser nach Versuchen von Regnard!) so langsam stattfindet, dass pro Stunde die Sättigung höchstens 1 cm nach der Tiefe hin fortschreitet. Infolge der Strömungen ist in der Natur die Diffusion meist viel wirksamer, man darf aber nicht vergessen, dass bei einem zugefrorenen Teiche mit kleinen Oeffnungen sehr annähernd die Bedingungen des Experi- mentes mit einem oben offenen Zylinder voll Wasser, wie Regnard es anstellte, zutreffen. Der Nutzen der Löcher im Eise ist demnach wohl nur darin zu suchen, dass dieselben den Fischen das Luft- schnappen ermöglichen. Dieses kann allerdings zuweilen lebens- rettend sein. Fließende Gewässer entbehren der meisten bis jetzt besprochenen Gefahren für die Fische im strengen Winter. Aus einem eingehenden Berichte des Herrn von Winterstein (Saarburg) ersehe ich, dass der starke Eisgang speziell in der Saar viele Fische im Schollen- gewirre zerquetscht hat. Die Verluste an Amphibien, Fischen und Reptilien im vergangenen Winter müssen sehr beträchtlich sein. Mehrfache Exkursionen nach mir aus früheren Jahren bekannten Froschtümpeln machen mich glauben, dass stellenweise nur wenige Tiere sich gerettet haben. In der Nähe der Station Kottenforst sind im Frühjahre so viele tote Frösche im Wasser gewesen, dass dasselbe stark roch. Aehnliches ist bereits früher beobachtet worden. So berichtet Leydig?): „Mancher hat wahrscheinlich, gleich mir, nach dem so harten Winter 1879—80 Gelegenheit gehabt, zu sehen, dass im März etwa beim Auswerfen von Gräben Frösche, tote und in Verwesung begriffene, zum Vorschein kamen!, die sich zwar tief eingegraben hatten, aber doch der großen und lang andauernden Kälte erlegen waren. Mir hat dieser Anblick verständlich gemacht, wie ein anderer berüchtigter Winter, jener von 1829 — 30, die Lacerta viridis bei Bex in der Schweiz, wo sie früher häufig, nun auf Jahre hinaus zur Seltenheit werden ließ, welche Wahr- nehmung Charpentier aufbewahrt hat. Und wenn man erfährt, 1) Regnard, op. eit. S. 350. 2) F. Leydig, Zu den Begattungszeichen der Insekten. Arbeiten aus dem zool.-anat. Institut Würzburg, Bd. X, S. 55. Kochs, Schädigung der Fische im Winter. 507 dass es bis zum Winter 1829 auf Island Frösche gegeben hat und später nicht mehr, wird man diese Veränderung in der Fauna des Landes auf die gleiche Ursache zurückzuführen einigen Grund haben“. Aus den vorstehenden Darlegungen können nun die nachstehenden Folgerungen gezogen werden: Fischleben ist in erster Reihe nur möglich im flüssigen Aggregat- zustande des Wassers. Wassertiere, namentlich Fische, sterben, wenn sie derartig einfrieren, dass sie allseitig vom Eise berührt werden. Tiefe und große Teiche sind infolge dessen gefahrloser für ihre Be- wohner, wie kleine und flache Teiche. Um das Leben des Fisches zu unterhalten, ist eine gewisse Menge von gelöstem Sauerstoff erforderlich. Ist derselbe verbraucht und wird er nicht erneuert, so muss der Fisch sterben. Diese Ursache tritt namentlich in strengen Wintern ein, wenn durch anhaltenden Frost eine dieke Eisschicht auf stehenden Gewässern gebildet worden ist. Die Mengen des unter dem Eise befindlichen flüssigen Wassers mit seinem Gehalte an Sauerstoff und die Zahl der Fische resp. ihre gesamte respiratorische Thätigkeit bedingen dann die Zeitdauer ihres Lebens. Dasselbe kann verlängert werden durch Erneuerung des flüssigen Wassers durch Quellen und Zuflüsse oder durch Lüftung desselben dadurch, dass große Stellen eisfrei gehalten werden. Solche Maßregeln sind um so mehr nötig, wenn stehende Gewässer durch Abgänge verunreinigt werden, die zur Bildung von Ammoniak und Schwefelwasserstoff Veranlassung geben. Jedes organische Leben ist auf die Dauer nur da möglich, wo die dazu erforderlichen Bedingungen vorhanden sind; diese zu erkennen und zu schaffen ist für die Fischzucht von eben derselben Bedeutung, wie es die Gesundheitspflege für den Menschen ist. Gerade so wie die Menschen nur in Räumen mit hinreichender reiner Luft gedeihen können, ist für Leben und Gedeihen aller Fische in erster Linie reines, hinreichend lufthaltiges Wasser zu allen Jahreszeiten erforderlich. Nur so viel organische, sich zersetzende Stoffe sind in den Ge- wässern zu dulden, als zum Wachstum einer mäßigen Zahl Wasser- pflanzen erforderlich sind. Teiche müssen, wenn keine Quellen oder Zuflüsse vorhanden sind, mindestens 1m bis 1,2 m tief sein oder doch größere Teile von solcher Tiefe besitzen. Wenn irgend möglich, ist im Winter, wenn keine Quellen im Boden des Teiches vorhanden sind, für Zufluss und Abfluss von Wasser zu sorgen. Im Kubikmeter Wasser dürfen höchstens 1—1!/, kg Fische vor- handen sein, sonst leidet die Gesundheit und das Wachstum im Som- mer, während im Winter leicht Ersticken eintreten kann. Jedenfalls müssen die Fische eine frostfreie Zufluchtsstätte finden können. In Gewässern mit starker Strömung müssen strom- und frostfreie 508 Hansgirg, Erwiderung. tiefe Buchten geschaffen werden, wohin sich die Fische bei Eisgang flüchten können. Das Hauen von Löchern oder Aufeisen größerer Strecken hat nur Sinn bei Teiehen ohne Zufluss. Wenn die Fische im Winter an die Eislöcher kommen, ist dieses ein Zeichen großen Luftmangels, und sind dann weitere Strecken aufzueisen. Erwiderung. Von Prof. Anton Hansgirg. Um weiteren Missverständnissen vorzubeugen, sehe ich mich ge- nötigt, auf die von G. Klebs gegen mich wiederholt gerichteten An- griffe Folgendes zu erklären. Abenteuerliche Ideen, die mir K. neulich in der Bot. Zeitung ?) vorgeworfen hat, finden sich auch in seinen Abhandlungen und in den Publikationen anderer best bekannter Algologen. Hat man doch früher den genetischen Zusammenhang der Chantransia-Arten mit den Batrachospermen- und Lemanea-Arten oder noch in diesen Tagen den genetischen Nexus der Hormidium-, Schizogonium- und Prasiola-Formen und ähnliche Ideen für abenteuerlich gehalten. Gegenüber den mir seinerzeit in diesen Blättern ?) von K. ge- machten Vorwürfen, auf die sich K. neulich ') wieder beruft und auf die ich gleich, nachdem ich auf sie aufmerksam gemacht wurde, kurz geantwortet habe), sei mir gestattet hier bloß zu bemerken, dass die von K. veröffentlichten kritischen Bemerkungen zu meiner Ab- handlung „Ueber den Polymorphismus der Algen“ ete., welche viel dazu beigetragen haben, dass diese und andere Abhandlungen in ge- wissen Kreisen missverstanden wurden ®), mit demselben oder mit viel mehr Recht auf die von Klebs u. a. veröffentlichten ähnlichen Arbeiten, als auf meine hätten angewandt werden können. Hat doch Klebs in seiner Abhandlung über die Desmidiaceen Ostpreußens nicht eine einzige von den zahlreichen Cosmarium- u. a. Formen, welche er zu einer Art oder zu einem Formenkreis vereinigt, auf dem Wege der Kultur in die andere übergeführt und doch hat er sich selbst und andere von der Haltlosigkeit seiner ohne irgend- welche Kulturversuche begründeten Behauptungen nicht überzeugt und wurden ihm, so viel mir bekannt, von der damaligen Kritik keine, umsoweniger aber den in seinen „Kritischen Bemerkungen“ ähnliche Vorwürfe gemacht. Was die Methoden der Forschung anbelangt, so glaube ich, dass jeder Forscher solche Methoden zu wählen hat, welche ihn zum Ziele führen können, was vor mir wohl auch Klebs that, indem er bei 1) Botanische Zeitung, 1891, Nr. 19, S. 318. 2) Im Biolog. Centralblatt, 1886, Nr. 21. 3) In Anmerk. zu meiner Abhandlung in der Flora, 1886. 4) Man vergl. mein Werk „Physiologische und algologische Studien“ 1887 und einige „abenteuerliche“ Referate über meine Ideen. 64. Versammlung deutscher Naturforscher. 509 seinen Untersuchungen über die Variabilität der Cosmarien ete. weder der Methoden, welche er mir in seiner Kritik empfiehlt, noch auch der von mir angewandten Zopf’schen Methoden sich bediente, son- dern, wie auch ich meistens that, den direkten Untersuchungen der in der freien Natur sich entwickelnden Algen den Vorzug vor un- sicheren Kulturen gegeben hat. Da Klebs außerdem selbst offen zugibt, dass es unter den Algen pleomorphe, reichgegliederte Arten gibt und da er weder die Zopf- sche Lehre von der Umwandlung der Spaltalgen ete. Formen noch auch die Nägeli’sche Lehre von der Umwandlung der Bakterien- formen, die ebenfalls für „abenteuerlich“ erklärt wurden, angegriffen hat, so begreife ich nicht gut, warum er, seine früheren Untersuchungen gänzlich außer Acht lassend, sich gegen mich mit scharfen Waffen gewendet hat, die von feindlicher Hand gegen mich geführt, tiefere Wunden geschlagen haben, als er durch seine Bemerkungen, in welchen er am Ende von meiner Verwundung spricht, wohl beabsichtigt hat. Schließlich bemerke ich hier noch, dass ich eine sachliche Wider- legung der in den Klebs’schen „Bemerkungen“ enthaltenen Angriffen für unnötig hielt und noch immer halte, da sich Klebs nicht jahre- lang mit dem Studium des Polymorphismus der Algen in der freien Natur ete. befasst hat, wie Kützing u. a., die er in seinen „Be- merkungen“ angreift. 64. Versammlung der Gesellschaft deutscher Natur- forscher und Aerzte. Halle a. 8., 21.—25. Septbr. 1891. Allgemeine Tagesordnung. Sonntag, den 20. September. Abends 8 Uhr: Gegenseitige Begrüssung mit Damen in der »Concordias., Montag, den 21. September. Morgen 9 Uhr: I. Allgemeine Sitzung im grossen Saale der »Kaisersäle«s. 1) Eröffnung der Versammlung; An- sprachen und bDegrüssungen. 2) Vortrag des Herrn Geh.- Rat Prof. Dr. H. Nothnagel (Wien): Ueber die Grenzen der Heilkunst. 3) Vortrag des Herrn Prof. Dr. Gr. Kraus (Halle): Ueber die Bevölkerung Europas mit fremden Pflanzen. 4) Vortrag des Herrn Dr. Lepsius (Frankfurt a. M.): Das alte und das neue Pulver. Nachmittags 3 Uhr: Bildung und Eröff- nung der Abteilungen. Abends 7!/, Uhr: Festvorstellung im Stadttheater. Abends 8 Uhr: Commers in der »Concordias. Dienstag, den 22. September. Morgens 8 Uhr: Besichtigung der elektrotechnischen und elektrolytischen Ausstellung, sowie des Depöts und der Maschinenanlage der Stadtbahn unter fachmännischer Führung und Er- läuterung. Versammlung in der Turnhalle, Berlinerstrasse la. Sitzungen der Abteilungen. Nachmittags 4 Uhr: Festfahrt auf der Saale. Mittwoch, den 23. September. Morgens 9 Uhr: II. Allgemeine Sitzung im grossen Saale der »Kaisersäle«. 1) Vortrag des Herrn Geh.- Rat Prof. Dr. J. Wislicenus (Leipzig): Ueber den gegenwärtigen Stand der Stereo- chemie. 2) Vortrag des Herrn Geh.-Rat Prof. Dr. W. Ebstein (Göttingen): Ueber die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern. Vormittags 11 Uhr: Geschäftsitzung der Gesellschaft. (Die Teilnahme an dieser Sitzung ist nur 510 64. Versammlung deutscher Naturforscher. gegen Vorxeigung der Mitgliedskarte gestattet.) Nachmittags 4 Uhr: Fest- mahl im Stadtschütxenhaus. Abends 7!|, Uhr: Festworstellung im Stadt- theater. Donnerstag, den 24. September. Morgens 8 Uhr: Besichtigung der elektrotechnischen und elektrolytischen Ausstellung, sowie des Depöts und der Maschinenanlage der Stadtbahn unter fachmännischer Führung und Erläuterung. Versammlung in der Turnhalle, Berlinerstrasse la. Sitzungen der Abteilungen. Abends 8 Uhr: Festball im Stadtschütxenhaus. Freitag, den 25. September. Morgens $!/, Uhr: III. Allgemeine Sitzung im grossen Saale der »Kaisersäle«. 1) Vortrag des Herrn Geh.- Rat Prof. Dr. Th. Ackermann (Halle): Edward Jenner und die Frage der Immunität. 2) Vortrag des Herrn Dr. Karl Russ (Berlin): Ueber nationalen und internationalen Vogelschutx. 3) Schluss der Versammlung. Nachmittags 12 Uhr 50 Min.: Exkursion nach Frankfurt a. M. Aus der vorläufigen Tagesordnung der Abteilungen: 4) Botanik. (Botanisches Institut. Grosse Woallstrasse 23.) Ein- führender Vorsitzender: Prof. Dr. Kraus. Grosse Wallstrasse 25. Sehrift- führer: Dr. phil. Heydrich, Grosser Berlin 15. Meissner, Botanisches Institut. Am 24. September d. J. wird in Halle die Generalwersammlung der deutschen botanischen Gesellschaft abgehalten werden, und wird dieselbe gemeinsam mit der Abteilung 4 für Botanik tagen. 5) Zoologie. (Zoologisches Institut. Domplatz 4) _Einführender Vorsitzender: Prof. Dr. Grenacher, Wettinerstrasse 18. Schriftführer : Prof. Dr. Taschenberg jun., Henriettenstrasse 27. Angemeldete Vorträge: l) Dr. Robert Schneider (Berlin): Verbreitung und Bedeutung des Eisens im animalischen Körper. — 2) Landes-Oekonomie-Rat W. v. Na- thusius (Halle): Ueber die Unterschiede der Behaarung nach Gestalt und Färbung der einzelnen Haare bei den verschiedenen Arten, resp. Rassen der Equiden. — 3) Dr. O. Zacharias (Cunersdorf): Mitteilungen über die biologische Station am Gr. Plöner See in Holstein. 6) Entomologie. (Zoologisches Institut. Domplatz 4) Einführen- der Vorsitzender: Prof. Dr. Taschenberg sen., Mühlweg 19. Schrift- führer: Dr. v. Schlechtendal, Am Kirchentor 6. Angemeldete Vorträge: l) Brenske (Potsdam): Ueber Verbreitung der Melolonthiden. 6) Ethnologie und Anthropologie. (Anatomisches Institut. Gr. Steinstrasse 35, Hörsaal für Histologie. 1 Treppe) Einführender Vorsitzender: Prof. Dr. Eberth, Mühlweg 5. Schriftführer : Privatdozent Dr. phil. Schenck, Breitestrasse 23. Angemeldete Vorträge: 1) Dr. E. Veckenstedt: Ueber die Feuererzeugung bei verschiedenen Völkern. De- monstration: Erzeugung von Holxfeuer, Reib-, Drill- und Walxenfeuer. — 3) Privatdozent Dr. Schenck (Halle a. S.): Ueber Steinwerkxeuge aus Westgriechenland, Südafrika. — 3) @Geh.-Rat Prof. Dr. Welcker (Halle a. S.): a) Ueber die Wirbel der Schädelbasis, mit Demonstrationen. b) Zur anthropologischen Untersuchungsmethode. 9) Anatomie. (Anatomisches Institut. Gr. Steinstrasse 35. Hörsaal für Anatomie. Parterre.) Einführender Vorsitzender: Geh.-Rat Prof. Dr. Welecker, Mühlweg 1. Schriftführer: Privatdozent Dr. Eisler, Schiller- strasse 8. Angemeldete Vorträge: 1) Dr. P. Herxfeld (Halle a. S.): Demonstration einiger Modelle zur Veranschaulichung der wichtigsten Formen der Gelenkbewegungen. — 2) Privatdozent Dr. Eisler (Halle a. S.): 64. Versammlung deutscher Naturforscher. AA Ueber den Plexus humbosacralis mit Demonstrationen von Zeichnungen. — 3) Geh.- Rat Prof. Dr. Weleker (Halle a. S,): Vortrag mit Demonstra- tionen, Thema vorbehalten. — 4) Privatdozent Dr. Kromayer (Halle a. S.): Beitrag zum feineren Bau der Epithelxelle mit Demonstration mikroskopi- scher Präparate. 10) Physiologie. (Physiologisches Institut. Magdeburgerstrasse 13.) Einführender Vorsitzender: Prof. Dr. Bernstein, Mühlweg 5. Schrift- führer: Dr. med. Heese, Wwuchererstrasse 6. Angemeldete Vorträge: 1) Prof. Dr. Nasse (Rostock): a) Ueber die Einwirkung des Schwefels auf Eiweisskörper. b) Ueber fermentative Vorgänge in den Geweben. — 2) Prof. Dr. Biedermann (Jena): Ueber Pigmentxellen und den Farbenwechsel bei Amphibien. — 3) Prof. Dr. Rosenthal (Erlangen): Neue kalorimetrische Untersuchungen. — 4) Prof. Dr. Grütxzner (Tübingen): a) Zur chemi- schen Reisung motorischer Nerven. b) Ein Paar Versuche mit der Wunder- scheibe. — 5) Prof. Dr. Bernstein (Halle a. S.): a) Ueber die Sauer- stoffxehrung der Gewebe. b) Einige Demonstrationen. — Prof. Dr. Ewald (Strassburg): a) Ueber die Funktionen des Labyrinths. b) Der Hund ohne Rückenmark, nach Versuchen, welche gemeinschaftlich mit Herrn Prof. Goltz ausgeführt wurden. 11) Allgem. Pathologie und pathol. Anatomie. (Pathologisches Institut. Magdeburgerstrasse 12.) Einführender Vorsitzender: Geh.- Rat Prof. Dr. Ackermann, Barfüsserstrasse 14. Schriftführer: Dr. med. Gerdes, Forsterstrasse 46. Angemeldete Vorträge: 1) Professor Dr. Chiari (Prag): Ueber Veränderungen des Kleinhirns infolge der Hydro- cephalie. — 2) Dr. Unna (Hamburg): Ueber Protoplasmafärbung. — 3) Prof. Dr. Eberth (Halle a. S,): Ueber Regenerations-Vorgänge in der Hornhaut. — 4) Dr. Haasler (Halle a. S.): Ueber kompensatorische Lungenhypertrophie. — 5) Dr. Gerdes (Halle a. S.): Ueber Veränderungen der Grosshirnrinde bei paralytischem Blödsinn. — 6) Geh.- Rat Prof. Dr. Ackermann (Halle a. S.,): Pathologisch- Anatomisches über die mensch- liche Placenta. 12) Pharmakologie. (Pathologisches Institut. Magdeburgerstrasse 12. Chemische Abteilung) KEinführender Vorsitzender: Prof. Dr. Harnack, Lowisenstrasse 3. Sehriftführer: Dr. Herzberg jun., kl. Ulrichstrasse 17. Angemeldete Vorträge: 1) Prof. Dr. Kobert (Dorpat): Zur Pharmakologie der Oxalsäure und ihrer Derivate. — 2) Prof. Dr. Harnack (Halle a. S.): Demonstration aschefreien Albumins. 13) Pharmacie und Pharmakognosie. (Universität. Auditorium Nr. 1) Einführender Vorsitzender: Apotheker Dr. Hornemann, König- strasse 411. Schriftführer: Privatdozent Dr. Baumert, Blumenthal- strasse 4. Angemeldete Vorträge: 1) Privatdozent Dr. Baumert (Halle a. 8): Erfahrungen mit der Mayrhofer’schen Methode zur Bestimmung von Arsen in Nahrungsmitteln, Genussmitteln und Gebrauchsgegenständen, — 2) E. Dieterich (Helfenberg) : Thema vorbehalten. — 3) Apotheker Ch. Kittl (Wlarchim) : a) Ueber die therapeutische Wirkung von Bellis peren- nis L. aus der Familie der Synantheracen und der hieraus bereiteten Ex- trakte. b) Ueber das Verhalten und Wesen der Filixsäure im Extraetum filieis und die Art der Wirkungsäusserung der Filixgerbsäure in demselben — mit Berücksichtigung analoger Erscheinungen anderer Antitaenialien.. c) Ueber Extractum Punicae granati radieis aquosum liquidum. d) Ueber Extractum Cascarillae. e) Ueber die Anwendung von Ergotin im Extractum secal. cornut. liquidum. f) Ueber Esxtractuwm Cubebar. und die vorteilhaf- 512 64. Versammlung deutscher Naturforscher. teste Dispensierungsmethode desselben. — 4) Staatsrat Prof. Dr. Kobert (Dorpat) : Ueber den Nachweis von ungeformten Fermenten und Giften im Blute. — 5) Prof. Dr. E. Schmidt (Marburg) : Mitteilungen aus dem pharmazeutisch-chemischen Institute zu Marburg. — 6) Apotheker und Handelschemiker P. Soltsien (Erfurt) : Mitteilungen aus der analytischen Praxis. — 7) Apotheker H. Thoms (Berlin): a) Ueber einige Derivate des Bugenols. b) Prüfung und Wertbestimmung von Nelkenöl. — 8) Prof. Dr. Tsehirch (Bern) : Thema vorbehalten. — 9) Dr. Ritsert (Berlin) : Bakteriologische Untersuchungen über das Schleimigwerden der Infusa. — 10) Dr. J. Holfert (Berlin): Zur Etymologie der volkstümlichen Arzmei- mittelnamen. — 11) Apotheker M. Göldner: Ueber Desinfektion und die Fortschritte derselben. 23) Hygiene und Medixinalpolixei. (Universität. Auditorium IX.) Einführender Vorsitzender: Prof. Dr. Renk, Heinrichstrasse 1. Schrift- führer: Dr. med. Schaefer, Scharrengasse 9b. Angemeldete Vorträge: 1) Präsident der königl. bayer. Akademie Geh.-Rat Prof. v. Pettenkofer (München) : Ueber Selbstreinigung der Flüsse. — 2) Prof. Dr. Lehmann (Würzburg) : Ueber den Zustand des Brodes in Deutschland. — 3) Prof. Dr. Wolffhügel (Göttingen): Thema vorbehalten. — 4) Med.- Rat Dr. Höleker (Münster) : Thema vorbehalten. — 5) Architekt Nussbaum (Hannover) : Mitteilungen über bauhygienische Erfahrungen. — 6) Dr. Schall (Prag): a) Ueber Oholeratoxine. b) Ueber HEiweissfäulnis. — 7) Prof. Dr. Renk (Halle a. S.): Ueber künstliche Beleuchtung von Hör- sülen. — 5) Prof, Dr. Löffler (Greifswald): Thema vorbehalten. — 9) Prof. Dr. Hüppe (Prag): Ueber Kresole als Desinfektionsmittel. 25) Medizinische Geographie, Klimatologie und Hygiene der Tropen. (Universität. Auditorium X.) Einführender Vorsitzender : Prof. Dr. Brauns, Kirchthor 7. Schriftführer: Sanitätsrat Dr. Lue- decke, Barfüsserstrasse 6b. Angemeldete Vorträge: 1) Dr. Below (Kön- nern): Ueber die aus den tropischen Ländern eingelaufenen von der deutschen Kolonialgesellschaft versandten Fragebogen. — 2) Prof. Dr. Brauns (Halle a. S.): Ueber den Boden der Tropen und subtropischen Gegenden und deren Einfluss auf die Gesundheitsverhältnisse. — 3) Sanit.- Rat Dr. Wernicke (Torgau) : Thema vorbehalten. — 4) San.- Rat Dr. Luedecke (Halle a. S.): Thema vorbehalten. — Hauptmann Kolm (Char- lottenburg) : Thema vorbehalten. 29) Agrikulturchemie und landwirtschaftliches Ver- suchswesen. (Landwirtschaftliches Institut. Wwuchererstrasse 1.) Ein- führender Vorsitzender: Geh. Regierungs-Rat Prof. Dr. Maerceker, Karl- strasse 8. Schriftführer: Dr. phil. Gerlach, Harx 15. Angemeldete Vor- träge: 1) Prof. Hellriegel (Bernburg): Thema vorbehalten. — 2) Geh. Hofrat Prof. Dr. Nobbe (Tharandt): Thema vorbehalten. — 3) B. W. Bauer (Memel) : a) Ueber Normalboden. b) Feldversuche auf Dünensand. c) Ueber die in den Hagebutten enthaltene Zuckerart (Dextrose). — 4) Geh.- Rat Prof. Dr. Maereker (Halle a. $): Thema vorbehalten. — 5) Dr. Morgen (Halle a. S.): Ueber Verfälschungen der Thomasschlacke. — 6) Prof. Dr. Albert (Halle a. S.): Thema vorbehalten. — 7) Dr. Cluss (Halle a. S): Die Anwendung der Flusssäure in den Brennereien. — 8) Dr. Gerlach (Halle a. 5.): Die Löslichkeit der Bodenphosphorsäure und ihre BDexiehung zu den Erntemengen. Verlag von Eduard Besold in Leipzig. = Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern \ von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen ‚durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XL. Band. 1: September 1891. Nr. 2. en le, eker amitotische N — Häcker, I Die et M.S. „Gazelle“ in den Jahren 1874 bis 1876. — Retzius, Biologische Unter- suchungen. — Greenwood, Untersuchungen über die Wirkung des Nikotins auf niedere Tiere. — Münsterberg, Ueber Aufgaben und Methoden der Psychologie. — Siebente Versammlung des deutschen Vereins für Öffentliche Gesundheitspflege zu Leipzig am 17., 18., 19. u. 20. September 1891. Ueber amitotische Kernteilung. Von M. Löwit, Innsbruck. In einem Nachtrage seiner Arbeit über die biologische Bedeu- tung der amitotischen (direkten) Kernteilung im Tierreich erwähnt H. E. Ziegler!) auch die von mir erhaltenen Befunde über die amitotische Teilung der Krebsleukocyten ?2); er führt an, dass durch diese Untersuchung die regenerative amitotische Teilung dieser Zellen nicht einwurfsfrei erwiesen ist, weil ich, nach Ziegler’s Angabe, nur das aus dem Körper an einer Wundstelle ausfließende oder zwischen den Organen mit einer Pipette aufgenommene Blut unter- sucht und jene Regenerationsheerde für die Blutkörperchen beim Flusskrebs unberücksichtigt gelassen hätte, welche in physiologischer Hinsicht den Lymphdrüsen der Wirbeltiere zu vergleichen wären, und in denen die Zellteilungen auf mitotischem Wege erfolgen können. Dieser Einwand Ziegler’s findet bereits in meiner soeben an- geführten Untersuchung seine Erledigung; gerade dieser Teil meiner Auseinandersetzungen muss Ziegler entgangen sein. Auf Seite 242 der genannten Abhandlung heißt es wörtlich: „Ein Punkt verdient noch besonders hervorgehoben zu werden. Die bis jetzt mitgeteilten Beobachtungen über die Neubildung der Krebsblutzellen beziehen sich ausschließlich auf die im strömenden Blute vorhandenen Gebilde. Pfitzner hat nun bereits vor einiger Zeit der Vermutung Ausdruck gegeben, dass die „vagierenden“ Leukocyten sich in einer andern 1) Dieses Centralblatt, Bd. XI, Nr. 12 u. 13, S. 389. 2) Ziegler’s Beiträge ete. Bd.X, S. 213 fg. XI. 33 514 Löwit, Amitotische Kernteilung. Weise teilen, als die an den Bildungsstätten sich entwickelnden farb- losen Blutzellen. Schon von diesem Gesichtspunkte aus, den ich allerdings nicht für berechtigt halte, kann die Frage erhoben wer- den, ob im Organismus der Krebse nicht irgendwo, entsprechend den Lymphdrüsen höherer Tiere, Bildungsstätten der Blutzellen vorhanden sind, in welchen, sei es aus gleichartigen (leukoeytären), sei es aus andersartigen Elementen, Blutzellen durch Mitose gebildet werden? Kükenthal macht bezüglich der Iymphoiden Elemente der Anneliden darauf aufmerksam, dass sie sich durch direkte Teilung vermehren, dass sie aber auch aus den großen bindegewebigen, das Bauchgefäß umgebenden Zellen, oder durch Loslösen von Zellen der Leibeswand entstehen können. Aehnliche Verhältnisse habe ich nun beim Krebse nicht auffinden können, wohl aber kommen reichliche Ansammlungen von Blutzellen in gewissen Organen des Krebses bei jedem Tiere vor. Cuenot gibt für den Krebs geradezu an, dass an dem zu den Kiemen hinziehenden großen arteriellen Gefäße und zwar in der Wandung desselben eine Lymphdrüse für die Entwicklung der Blutzellen gelegen ist. Frenzel hatte früher bereits im Enddarm einzelner Dekapoden zwischen der Ringmuskelschichte und dem Epithel Blutlakunen aufgefunden, die aber gerade beim Flusskrebse vermisst wurden. Rawitz findet solche Lakunen in der grünen Drüse des Flusskrebses, und Grobben erwähnt derartige Blutan- sammlungen im Hoden der Krebse. Für den Darmkanal und den Hoden der Krebse konnte ich mich mit voller Sicherheit von der regelmäßig vorhandenen Ansammlung von zahlreichen Blutzellen in dem Gewebe der genannten Organe überzeugen; bezüglich der grünen Drüse konnte ich diese Sicherheit nicht gewinnen; in einzelnen daraufhin untersuchten Arthrobranchien konnte ich mich zwar nicht von der Gegenwart einer eigenen Lymph- drüse, wohl aber von reichlicher Ansammlung von Blutzellen (Blut- lakunen) überzeugen. Aber an all den genannten Lokalitäten konnte ich an den Blutzellen nur direkte, niemals indirekte Teilung kon- statieren. Es erfolgt also hier die Neubildung der Blutzellen in der- selben Weise wie an den Zellen des strömenden Blutes.“ Es geht wohl hieraus zur Genüge hervor, dass der von Ziegler gegen die Resultate meiner Untersuchung erhobene Einwand voll- ständig unbegründet ist. Gelegentlich einer (demnächst andernorts mitzuteilenden) Untersuchung über die Lagerung und Neubildung der Iymphoiden Zellen innerhalb der Blutzellen bildenden Organe ver- schiedener Wirbeltiere (Lymphdrüsen und verwandte Organe, Milz, Knochenmark) habe ich auch den eben erwähnten „Blutlakunen“ des Flusskrebses mein Augenmerk wieder zugewendet und sie an passend gehärteten und in Schnitte zerlegten Objekten untersucht. An diesen, namentlich an Präparaten aus Platinchlorid, kann nun thatsächlich stellenweise der Eindruck eines Iymphatischen Gewebes hervorgerufen Löwit, Amitotische Kernteilung. 515 werden, da die Blutzellen zwischen einem mehr oder minder dichten adenoiden Gewebe gelagert sein können. Mitotische Teilungen wurden gelegentlich an einzelnen Zellen gefunden, die ich aber nur als fixe Zellen dieses adenoiden Gewebes, nicht als Blutzellen, ansprechen kann. Ob die von Ziegler angeführten Angaben über mitotische Teilungen in den Blutkörperchen einer Fischassel auf derartige Ver- hältnisse zurückzuführen sind, vermag ich nicht zu entscheiden; ich hebe hier nur nochmals hervor, dass ich auch an Schnittpräparaten aus den „Blutlakunen“ des Flusskrebses niemals mitotische Teilungen in Blutzellen gesehen habe. Was nun die Bedeutung der amitotischen Teilung anbetrifft, so versucht Ziegler den Nachweis zu führen, dass dieselbe mit assimi- latorischen und sekretorischen Thätigkeiten der Zellen, nicht aber mit der Regeneration der Kerne und Zellen in Beziehung zu bringen ist. Im Gegenteil deutet nach Ziegler die amitotische Kernteilung stets das Ende der Reihe der Teilungen und den demnächstigen Un- tergang der Kerne an. Ich kann mich dieser Auffassung in ihrer Allgemeinheit nicht anschließen. Ich habe nicht nur an den Krebs- blutzellen, sondern auch an den leukocytären Elementen der Ka- ninchenlymphe!) die im Gefolge einer bereits eingeleiteten ami- totischen Kernteilung eintretende Zellteilung unter dem Mikroskope nahezu vollständig ablaufen gesehen, und muss wenigstens für die Leukocyten an der Annahme einer regenerativen amitotischen Teilung festhalten, d. i. einer solchen, welche zur echten Zellenneubildung und zur Entwicklung eines keimfähigen Zellenmaterials führt. In dieser Beziehung kann mithin die amitotische Teilung der mitotischen an die Seite gestellt werden, insofern auch diese (an andern Zellen) zur Entstehung eines keimfähigen Zellenmaterials Veranlassung gibt. Ich verkenne aber anderseits nicht, und habe selbst bereits zu wiederholten Malen darauf hingewiesen, dass es auch eine amitotische Kernteilung gibt, die nieht zur Zellenneubildung führt, die vielmehr wahrscheinlich von einem mehr oder minder rasch eintretenden Un- tergange des Kernes und der Zelle gefolgt ist. Ich habe diese Form der amitotischen Teilung als degenerative, als Kernfragmentierung oder als Kernzerschnürung zu bezeichnen vorgeschlagen. Diese Form ist es nun auch, welche Ziegler ausschließlich im Auge hat, da er die regenerative amitotische Teilung nicht anerkennt. Ich habe nun selbst an den Krebsleukoeyten Anhaltspunkte für die Anschauung beigebracht, dass der Kern derselben an der sekretorischen Thätig- keit des Zellleibes beteiligt ist, allein ich kann mich mit Sicherheit dahin aussprechen, dass der Kern dabei wohl das Bild der degenera- tiven amitotischen Teilung (Kernfragmentierung, Kernzerschnürung) darbieten kann, aber nicht darbieten muss. Auch hier erscheint mir 1) Sitzungsber. d. k. Akad. der Wissensch. in Wien. Math.-naturw. Klasse, 1885, III. Abt., Bd. 92. 335 516 Häcker, Forschungsreise der „Gazelle“, eine Verallgemeinerung vorläufig noch unthunlich, wenn ich auch zugebe, dass die Kernfragmentierung mit den genannten Prozessen in Beziehung stehen kann. Ich habe speziell für die Krebsleukocyten zu zeigen versucht, dass die Beteiligung des Kernes an den sekre- torischen Prozessen des Zellleibes im wesentlichen in dem Uebertritte gewisser Kernsubstanzen (pyrenogene Körper) in den Zellleib besteht. Es ist nun gewiss im höchsten Grade wahrscheinlich, dass dieser Uebertritt durch die eigenartige Kernform begünstigt wird, aber das Wesen der Beteiligung des Kernes an der genannten Funktion der Zelle kann ich in der Kernzerschnürung, Kernaufrollung ete. nicht erblicken, da eine solche Beteiligung auch ohne Veränderung der Kernform durch alleinigen Uebertritt von Kernsubstanzen in den Zellleib erfolgen kann. Ob nun die Kernzerschnürung diesem soeben genannten Prozesse stets nachfolgt, ob sie geradezu durch denselben bedingt wird, oder ob wieder eine Anbildung von Kernsubstanzen im Kern und ein erneuerter Uebertritt derselben in den Zellleib er- folgen kann, darüber vermag ich keine bestimmte Angabe zu machen!!). Ich glaube, dass es sich empfehlen dürfte auch fürderhin zwischen der regenerativen und degenerativen amitotischen Teilung zu unter- scheiden. Die erstere führt nach meiner Auffassung zur Neubildung von Kern und Zelle, die letztere kann mit sekretorischen und assimi- latorischen Vorgängen im Zellleibe zusammenhängen und dürfte wahr- scheinlich in vielen Fällen der Ausdruck eines bevorstehenden Kern- und Zelltodes sein. Die degenerative amitotische Kernteilung hat wohl eine gewisse äußere, formale Aehnlichkeit mit der regenera- tiven amitotischen Teilung, soweit die Veränderungen der Kernform in Betracht kommen, es liegt daher wohl auch bei der Kernzerschnürung eine Art Kernteilung vor, aber keine solche, die zur Kern- und Zel- lenneubildung führt. Will man nicht die degenerative Kernteilung (Kernzerschnürung, Kernfragmentierung) vollständig von den Teilungs- vorgängen absondern, so dürften doch in dem eben Erörterten hin- längliche Gründe für die Auseinanderhaltung der regenerativen und degenerativen amitotischen Teilung gegeben sein. Die Forschungsreise S. M.S. „Gazelle“ in den Jahren 1874 bis 1876. Herausgegeben von dem hydrographischen Amt des Reichs -Marine - Amts. III. Teil: Zoologie und Geologie (von Prof. Dr. Th. Studer in Bern), Berlin, Mittler & Sohn, 1889, XXX und 322 S. Die Veröffentlichung und Diskussion der Ergebnisse der Plankton- Expedition hat wieder die Erinnerung an das erste vom Deutschen Reiche unterstützte Unternehmen wachgerufen, welches sich, wenigstens als Nebenaufgabe, die Erforschung der marinen Tierwelt zum Ziele 1) Vergl. Ziegler’s Beiträge etc. a. a. O. S. 239 fg. und $. 283 fg. Häcker, Forschungsreise der „Gazelle“. 517 setzte. Es war dies die Reise der deutschen Korvette „Gazelle“, welche bekanntlich in erster Linie beauftragt war, eine astronomische Expedition nach Kerguelensland zu verbringen und ihr bei Errichtung einer Station zur Beobachtung des Venus-Durchgangs behilflich zu sein; daneben wurde aber auch unter Leitung des Zoologen der Expedition, Studer, der das Schiff auf seiner ganzen zweijährigen Reise begleitete, eine umfassende Erforschung der Tiefsee- und Küsten- Fauna außereuropäischer Gebiete unternommen. Es sei daher gestattet, in diesen Blättern auf den dritten Teil des Reiseberichts hinzuweisen, in welchem Studer die zoologischen und geologischen Ergebnisse der Forschungsreise zuzammenfasst. In zahlreichen Einzelarbeiten haben sowohl er als eine Anzahl von andern Forschern die zoologische Ausbeute behandelt und auf Grund derselben wird uns nunmehr eine Reihe tiergeographischer Charakterbilder gegeben, in denen nicht nur die Existenzbedingungen und Wechselbeziehungen der Tierwelt ge- prüft werden, sondern auch die Zusammensetzung der verschiedenen Faunen eine Beleuchtung vom geologischen Standpunkt aus erfährt. Im Folgenden sollen einzelne dieser Skizzen herausgegriffen werden und zwar zunächst die faunistische Schilderung der tropischen Westküste Afrika’s. Was die letztere vor Allem kennzeichnet, ist die relative Einförmigkeit des tierischen Lebens, welche begründet ist in dem flachen, sandigen Charakter der von einer gewaltigen Brandung heimgesuchten Küste, in dem sparsamen Auftreten felsiger Ufer mit klarem, krystallhellem Wasser und in dem vollständigen Mangel von Korallenriffen. An Stelle tropischer Farbenpracht und Form- verschiedenheit treten bescheiden gefärbte Arten auf, ein Charakterzug, der schon in der Fischfauna in dem Fehlen der bunten Chätodonten und Labroiden seinen Ausdruck findet. Die Seichtwasserfauna insbesondere zeigt vorwiegend eigen- artige Formen und erinnert sehr an die Fauna der europäischen Meere der Miocänzeit. In dieser letzteren Periode waren wohl die meteoro- logischen Verhältnisse beider Gebiete ähnlicher, so dass Mittelmeer und ostatlantische Küsten einer einzigen tiergeographischen Provinz angehörten. Vermutlich hat dann das nach dem Durchbruch der tertiären, europäisch-amerikanischen Landbrücke zuströmende Polar- wasser Temperatur und Fauna des Mittelmeers verändert, während im äquatorialen Westafrika die ursprüngliche Formenwelt bis zur Gegenwart erhalten blieb. Von der erwähnten tertiären Landbrücke aus haben sich wohl auch seiner Zeit die westatlantischen Formen, welche heute in beträchtlicher Zahl in Westafrika auf- treten, über beide atlantische Küsten verbreitet '!). 1) Studer glaubt an die Möglichkeit einer jetzt noch stattfindenden Ver- mittlung beider atlantischer Küstenfaunen durch freischwimmende Larven und führt als Stütze für diese Ansicht an, dass er Alöma-, Mysis- und Zoea-Larven von Crustaceen 250—300 Meilen von der Küste entfernt begegnete; es mag 518 Häcker, Forschungsreise der „Gazelle“. Die II. Abteilung des Werkes beschäftigt sich eingehend mit Kerguelensland. Dieses öde, von beständigen Stürmen heimge- suchte vulkanische Eiland, dessen Inneres von einem Firnmeer be- deckt ist, lässt nur in der Umgebung der Buchten und Fjorde die Entfaltung organischen Lebens zu: hier gedeihen gesellige Gräser, verschiedene Farne und eine Rosacee, in den Thalgründen bildet eine Umbellifere, Azorella selago Hook., zusammen mit Moosen und Leber- moosen wasserdurchtränkte Rasenpolster und an geschützten sonnigen Abhängen wächst der Kerguelenkohl, Pringlea antiscorbutica. Eine reiche Vogelwelt belebt die Felsen des Ufers und die Azorella- Rasen; es sind entweder Standvögel oder Arten, welche nur zur Brüte- zeit die Insel aufsuchen, nachher aber auf dem Meere ein „pelagisches“ Wanderleben führen, wie z. B. die meisten Procellariiden. Unter den ersteren ist von besonderem Interesse die Chionis minor Forst., ausgezeichnet durch eine die Schnabelbasis frei überwölbende Horn- scheide und durch die auch beim erwachsenen Vogel persistierende Klaue an der Phalanx des ersten Fingers. Vermutlich haben wir es mit dem überlebenden Repräsentanten eines alten Typus zu thun, mit welchem einerseits die Möven, anderseits die Regenpfeifer zusammen- hängen. Eine vikarierende Art (Chionis alba Gm.) kommt an der Südspitze von Amerika, also in einer Entfernung von 4000 Meilen, vor!). Dank der günstigen Jahreszeit, während welcher die Expedition auf dem Eiland stationierte, hatte Studer Gelegenheit, auch mit der Embryonalentwicklung der Procellariiden und Pinguine sich eingehend zu beschäftigen. Auffallend ist bei den ersteren, dass der Sturmvogel- Typus, insbesondere die eigentümliche Schnabelbildung, schon in den frühesten Embryonalstadien hervortritt. Zwei Drittel des Schnabels sind nämlich von einer später verhornenden Wachshaut überzogen, welche sich um die auf der Schnabelfirste liegenden Nasenlöcher zu einer doppelten Nasenröhre aufkrempt. Im ganzen Bau erinnert der Embryonalschnabel lebhaft an einen Geierschnabel, und Studer ge- denkt dabei der Auffassung verschiedener Forscher, welche auf Grund anderer anatomischer Merkmale in der That die Cathartidae und Porcellariidae als verwandte Gruppen zusammenstellen. Interessant ist auch, dass namentlich der Riesensturmvogel (Ossifraga gigantea Gm.) vieles in Habitus und Lebensweise mit den Geiern gemein hat: das Bild, welches Studer von dem Tierleben am Strand entwirft und bei welchem der Riesensturmvogel den gewaltthätigen Herren spielt, erinnert lebhaft an Brehm’s Schilderung einer Geiermahlzeit in der Wüste. fraglich erscheinen, ob diese Auffassung mit unsern heutigen Anschauungen über Herkunft und Ortsbewegungsvermögen pelagischer Larven in Ueberein- stimmung steht. 1) Kerguelensland liegt etwa 50° südlicher Breite und ungefähr unter dem Meridian von Bombay. Häcker, Forschungsreise der „Gazelle“. 519 Die Untersuchung der Embryonalentwicklung verschiedener Pin- guine führt Studer zu dem Schluss, dass die Sphenisceiden die Ueber- bleibsel einer Gruppe bilden, die sich sehr früh vom Carinatenstamme ablöste, aber zu einer Zeit, wo bei der Stammform schon die vorderen Extremitäten zu Flügeln umgebildet waren. Sehr spärlich ist die Fauna der wirbellosen Tiere des Landes und Süßwassers. Im Azorella-Rasen und unter Steinen fand Studer mehrere durch das Fehlen des zweiten Flügelpaares ausgezeichnete Coleopteren, meist Rüsselkäfer. Einer der letzteren steigt auf dem rauben, sterilen Basalthöhen bis gegen 800 m empor und erinnert so an das Vorkommen von Rüsselkäfern nahe der Schneegrenze der Alpen. Eine Motte mit rudimentären Flügeln, eine auf Pringlea lebende Diptere, die sich bei Beunruhigung tot stellt, die Beine anzieht und sich in die Blattwinkel fallen lässt, eine Chironomide, die mit aus- gebreiteten Flügeln und ausgestreckten Beinen auf dem Wasser der Tümpel treibt, und eine Anzahl von Thysanuren charakterisieren die Insektenfauna des Eilands. Fortwährende Stürme suchen, wie erwähnt, die Insel heim und dementsprechend finden wir im Wesentlichen nur flugunfähige Formen vor. Aufgeführt werden noch verschiedene Arachnoiden und Entomostraken, unter diesen ein Vertreter der kosmopolitischen Gattung Simocephalus, endlich mehrere Würmer und eine Patula- (Helix-) Art. Alles in Allem überwiegen die Beziehungen zur Landfauna- und -Flora der Südspitze von Amerika, und da man bei der Mehrzahl der Formen von der Annahme einer aktiven Verbreitung oder eines Trans- ports durch den Wind, durch Vögel oder Eisberge absehen muss, so bleibt nur die Annahme übrig, dass Kerguelensland in früheren Zeiten mit einem Landkomplex oder einer Inselkette, die sich von Feuerland über die Falklands-Inseln östlich erstreckte, im Zusammenhang stand. Die Fauna, namentlich aber auch das Vorkommen von fossilen Baum- stämmen und Kohlenlagern weisen darauf hin, dass ursprünglich eine viel reichere Organismenwelt vorhanden war und dass die derzeitigen meteorologischen Verhältnisse den Untergang nicht nur der Baum- vegetation, sondern eines großen Teils der Tierwelt, namentlich der Insekten, bedingten. Als anpassungsfähige Reste der waldbewohnen- den Fauna dürfen wir vielleiebt die Rüsselkäfer auffassen. Ein viel reicheres Tierleben beherbergen die submarinen Florideen- wälder des Strandes und der noch tiefere Schlammgrund, in welchem die Wurzeln des Riesentangs haften. Auch diese Fauna fordert die An- nahme eines früheren näheren Zusammenhangs der antarktischen Küsten. Auf einen solehen weisen unter Anderem auch die einer aktiven Verbreitung unfähigen Echinodermen hin, deren Jungen sich in eigenen Brutbehältern entwickeln, ohne als freie Flimmerlarven zu schwärmen. So wachsen z. B. die Jungen einer Hemiaster- Art in den Ambulakralfurchen, die der Cidaris membranipora Stud. in dem 520 Retzius, Biologische Untersuchungen. vertieften, durch die darüber gekreuzten Stacheln geschützten Abak- tinalfeld des Weibchens zu vollständigen Seeigeln heran, und es er- klärt sich dadurch auch das herdenweise Vorkommen dieser Tiere. Auch bei einzelnen Ophiuriden und Holothurien finden sich Bruttaschen, in denen sich die Jungen vollkommen entwickeln. Die folgenden Abschnitte des Werkes beziehen sich auf die übrigen Stationen der Weltumseglung und für die faunistische und geologische Durchforsehung mancher Gebiete, z. B. des Bismark - Archipels, sind Studer’s Berichte von grundlegender Bedeutung. Die biologischen Schilderungen, durch welche die faunistischen Aufzählungen gewürzt werden, sind besonders reichhaltig und lebendig da, wo Studer das ornithologische Gebiet betritt. Interessant ist hier vor Allem seine Beobachtung, dass das prachtvolle Rot tropischer Papageien (Platy- cercus) insoferne eine wirksame Schutzfärbung darstelle, als es die genaue Komplementärfarbe zum Grün der Baumblätter bildet und mit diesem für unser Auge auf größere Entfernung zu einem gemeinsamen Farbenton verschmilzt. Auf die biologische Eigentümlichkeit einer Großfußhuhn-Art (Megapodius), welche Studer auf einer der Bismark- Inseln entdeckte, ist er bereits in einer früheren Abhandlung zu sprechen gekommen: noch im Ei werden die Embryonaldunen abge- stoßen und die definitiven Konturfedern entwickelt. Es seien zum Schluss noch erwähnt das Verzeichnis der „Gazelle“- Holothurien von Dr. K. Lampert, sowie die reich ausgestatteten Tafeln, welche dem Werke beigegeben sind und von denen eine An- zahl bestimmt war, die Monographie der Bärenrobben zu illustrieren, welche der verstorbene, um die Verarbeitung der „Gazelle*-Ausbeute hochverdiente Prof. Peters in Angriff genommen hatte.. Dr. Valentin Häcker (Freiburg i. B.). Gustaf Retzius, Biologische Untersuchungen. Neue Folge, I. Folio. 99 S. 18 Tafeln. Stockholm u. Leipzig 1890. Verf. hat in den Jahren 1881 und 1882 in zwei Bänden histo- logische Arbeiten unter dem Titel „Biologische Untersuchungen“ ver- öffentlicht, welche teils von ihm selbst, teils unter seiner Leitung angestellt waren. Durch größere Arbeiten damals verhindert, diese Reihe fort- zusetzen, hat er den vorliegenden Band als neue Folge bezeichnet. Er wird. aber jetzt nur seine eigenen Arbeiten darin veröffentlichen. Der vorliegende Band enthält fünf Abhandlungen: zwei größere: „Zur Kenntnis des Nervensystems der Crustaceen“ und „Muskelfibrille und Sarkoplasma“ und drei Mitteilungen „Das Magma retieule des menschlichen Eies“, „Ein sogenanntes Kaudalherz bei Myzxine gluti- nosa“ und „Ueber die Ganglienzellen der Cerebrospinalganglien und über subkutane Ganglienzellen bei Myzxine glutinosa“. Retzius, Biologische Untersuchungen. 994 Die Untersuchungen über das Nervensystem der Crustaceen sind ein Teil von Versuchen, die Verf. seit Jahren angestellt hat, durch die Ehrlich’sche Methylenblaufärbung den Bau des Zentralnerven- systems bei Wirbellosen und bei niederen Wirbeltieren klar zu legen. Es gelang ihm bei einem Aufenthalt an der Meeresküste schöne Bilder, vor allem bei einem Cyelostomen, Myxine glutinosa, bei einem Crustaceen, Palaemon squilla und bei verschiedenen Anneliden zu er- halten. Da aber diese Arbeiten sehr viel Zeit erfordern, beschränkte er sich znnächst auf die Untersuchung der Crustaceen. Er studierte das Nervensystem von Palaemon squilla und, da er diese Unter- suchungen an der Meeresküste nicht fortsetzen konnte, des Fluss- krebses. Er modifizierte bei diesen Untersuchungen die Ehrlich’sche Methode auf folgende Weise: da sich gleich nach der Methylenblau- injektion nur einige Fasern, aber keine Zellen in den Zentralorganen färben, und bei dem Zurückbringen der Tiere in ihr Element die Färbung rasch verblasst, ließ er die in das Abdomen injizierten Tiere 12—20 Stunden liegen, indem er durch Abtragen des ventralen Haut- panzers für Luftzutritt zu dem freiliegenden Bauchstrang sorgte und die Tiere vor Eintrocknen schützte. Dann fand er einzelne Zellen und Nervenfasern gefärbt, so dass er den Verlauf dieser und der Zellfortsätze verfolgen konnte. Da sich diese Färbung mit den ge- bräuchlichen Methoden nicht zur Zufriedenheit des Verf. fixieren ließ, so injizierte er jedesmal eine ganze Reihe Tiere, untersuchte dann eines nach dem andern und zeichnete rasch, ehe die Färbung ver- blasste. Auf diese Weise lernte er die gleichen Gebilde, die häufig gefärbt waren, erkennen und stellte ausgewählte typische Bilder ein- zelner Zellen und Fasern zu den Abbildungen der ganzen Ganglien zusammen, die sich nicht nach einem und demselben Objekte zeichnen ließen. Verf. zog auch deshalb den Flusskrebs dem Palaemon zum Studium des zentralen Nervensystems vor, weil die Ganglien des letzteren von einer sehr pigmentreichen Bindegewebshülle umgeben sind, deren Entfernung die Entfärbung beschleunigt. Verf. schiekt der Abhandlung eine Uebersicht der bisher ausge- sprochenen Ansichten über Zahl und Verlauf der Ganglienzellfortsätze, über das Wesen und die Bedeutung der Punktsubstanz und über die Beziehungen der Nervenfasern zu Ganglienzellen und Punktsubstanz bei den Wirbellosen voraus. Diese Ansichten und die Angaben auch der Forscher, die noch in letzter Zeit und mit den vollkommensten Methoden gearbeitet haben, differieren in auffallend hohem Grade. Als feststehend ist zu betrachten, dass sich die Ganglien wirbelloser Tiere aufbauen aus den längs verlaufenden Fasern der Längskom- missuren, welche teils durch die Ganglien hindurchziehen, teils um- biegend in denselben irgendwie endigen oder entspringen, aus der zu beiden Seiten dieser Längsfasern angeordneten von Leydig so 522 Retzius, Biologische Untersuchungen. genannten Punktsubstanz und aus Zellen, die größtenteils außen um die Punktsubstanz gruppiert und zum allergrößten Teil unipolar sind; die Fortsätze dieser Zellen treten in die Punktsubstanz ein; auch quer die beiden Ballen der Punktsubstanz als „Querkommissuren“ ver- bindende Fasern sind lange bekannt. Aus den Ganglien entspringen Bündel peripherer Nerven. Ueber die Beziehung der Nervenfasern und der Ganglienzellen zu einander und zur Punktsubstanz bestehen nun aber sehr mannigfaltige Anschauungen, die sich nach drei wesent- lich verschiedenen Meinungen ordnen lassen. Nach der ersten besteht keine direkte Verbindung zwischen Nervenfasern und Ganglienzellen: die Fortsätze der letzteren lösen sich vollständig in ein Geflecht feinster Fibrillen auf, welches in der Punktsubstanz liegt oder eben diese konstituiert, und aus diesem Geflecht sammeln sich wieder die Nerven- fasern. Dabei können die Fibrillen entweder ein Netzwerk bilden, durch welches verschiedene Zellen und Fasern mit einander verbunden sind, oder es können auch die Fibrillen jeder Zelle nur mit einander anastomosieren, so dass jede Bahn isoliert wäre. Nach der zweiten Auffassung gehen die Zellfortsätze direkt in Nervenfasern über. Auch dann können die Bahnen entweder ganz isoliert sein, oder durch Abgabe von Seitenzweigen entsteht in der Punktsubstanz entweder ein Netzwerk anastomosierender, oder ein Geflecht getrennt verlaufender Fibrillen. Die dritte Ansicht vereinigt die beiden vorigen: ein Teil der Fort- sätze geht direkt in Fasern über, unter Abgabe von Seitenzweigen, welche sich in der Punktsubstanz verästeln. Andere Fortsätze ver- ästeln sich vollständig und ebenso gibt es auch Nervenfasern, die nur aus der Punktsubstanz entspringen. Auch hier sind die Auf- fassungen noch sehr verschieden, ob die Seitenzweige der Nerven- fortsätze nutritive oder nervöse Funktion haben und ob in der Punkt- substanz Anastomosen der Fibrillen verschiedenen Ursprungs bestehen oder nicht. Verf. gibt nun eine Beschreibung erst der Abdominal-, dann der Thorakalganglien und des Obersehlundganglion des Flusskrebses und schildert im einzelnen den Verlauf bestimmter Fasern und der Fort- sätze bestimmter Zellen, wie er ihn durch Vergleich vieler Präparate festgestellt hat. Dabei kommt er zuerst zu zwei allgemeinen Resultaten: jeder Zellfortsatz, der zu einer Nervenfaser wird, gibt Seitenzweige ab, die sich diehotomisch zu feinen varikösen Fäserchen verästeln. Die An- schwellungen dieser Fibrillen gleichen ganz den stark gefärbten Körnehen der Punktsubstanz, in der sie verlaufen, und je stärkere Vergrößerung man anwendet, desto öfter kann man erkennen, dass auch die scheinbar isolierten Körnchen der letzteren durch feine Fäden zu Reihen verbunden sind. Die Punktsubstanz besteht also aus feinen varikösen Fibrillen, die aus Verzweigungen der Zellfortsätze und Retzius, Biologische Untersuchungen. 523 Nervenfasern hervorgehen, ohne dass aber Anastomosen dieser Fäser- chen nachzuweisen wären. Aus der Beobachtung, dass der Fortsatz unipolarer Zellen unter Abgabe von Seitenzweigen zur Nervenfaser wird, ergibt sich aber auch, dass die Ausdrücke „Axenzylinderfortsatz“ und „Protoplasmafortsätze“ sich hier nicht anwenden lassen. Da über die physiologische Funktion der Seitenzweige noch nichts bekannt ist, so hält Verf. die Ausdrücke „Stammfortsatz“ und „Nebenfortsätze“ für die geeignetsten Bezeichnungen. Es ergibt sich nun weiter aus den Methylenblaubildern, dass höchst wahrscheinlich jede Nervenfaser aus einem Zellfortsatz hervor- geht und jeder Fortsatz unipolarer Zellen zur Nervenfaser wird: zwar gibt es Bilder, in denen Nervenfasern und Stammfortsätze sich voll- ständig in Fibrillen aufzulösen scheinen: aber es liegt im Wesen der Methode, dass ebenso wie nicht alle Elemente gefärbt werden, auch nicht alle Teile eines Elementes gefärbt zu sein brauchen. Die relative Seltenheit dieser Bilder und ein Vergleich derselben mit vollständig gefärbten Stammfortsätzen macht es wahrscheinlich, dass sie unvoll- ständiger Färbung ihre Entstehung verdanken. Man findet nämlich häufig, dass sich der Stammfortsatz T-förmig in zwei Aeste teilt, von denen der eine zur Nervenfaser wird, der andere sich verzweigend auflöst, ohne dass ein bedeutenderer Unterschied im Kaliber der Aeste und des Stammfortsatzes beobachtet werden kann. Die Stammfort- sätze treten in ihrem weiteren Verlaufe entweder als periphere Nerven auf derselben oder der entgegengesetzten Seite des Ganglions aus, oder sie treten in die Längskommissuren ein, um wahrscheinlich immer, wie sich zuweilen nachweisen lässt, in anderen Ganglien als periphere Nerven auszutreten. Dabei können sie in diesen Ganglien oder in solchen, durch welche sie bloß hindurchpassieren, sich ver- ästelnde Nebenfortsätze abgeben. An gewissen Stellen finden sich multipolare Ganglienzellen; die- selben scheinen sich durch nichts von den unipolaren zu unterscheiden als dadurch, dass ein Teil der Nebenfortsätze, anstatt vom Stamm- fortsatz, von der Zelle selbst abgeht. Die Größe der Ganglienzellen und die Beschaffenheit ihres Protoplasmas sind sehr verschieden, ohne dass sich mit irgend welcher Sicherheit bestimmte Zellarten unter- scheiden ließen. Das geht eher bei den Nervenfasern: es gibt näm- lich gewisse breite Fasern, welche mit großen Zellen in Verbindung stehen: ihre Nebenfortsätze sind auch breit und verästeln sich geweih- artig, indem erst die letzten Verzweigungen sich rasch zuspitzen: auch lässt sich ein Uebergang dieser zugespitzten Aeste in variköse Fibrillen nicht beobachten. Der gewöhnliche Typus der Verzweigung ist, dass von noch etwas stärkeren Aesten gleich feine, sich weiter teilende variköse Fibrillen abgehen. Die Funktion der Nebenfortsätze kann nach der Ansicht des Verf. keine nur nutritive, sondern muss eine nervöse sein. Sonst 594 Retzius, Biologische Untersuchungen. würde die physiologische Forderung einer Verbindung verschiedener Ganglienzellen nicht erfüllt sein. Aber diese Verbindung findet nicht durch Anastomosen sondern nur durch die Berührung der ineinander- geflochtenen varikösen Fibrillen der Punktsubstanz statt. An diese Untersuchungen schließt Verf. noch solche über das periphere Nervensystem von Palaemon squilla und Astacus fluviatilis an. Er gibt auch hier eine histologische Uebersicht, aus der hervor- geht, dass es bis vor wenigen Jahren als Lehrsatz galt, die Nerven wirbelloser Tiere entbehrten alle des Myelins. Verf. hat nun im Jahre 1888 gefunden, dass viele Nervenfasern von Palaemon eine durch Ueberosmiumsäure sich schwarz färbende Scheide besitzen. Nähere Untersuchung lehrte, dass es sich um eine dieke Myelinscheide handelt, an deren Innenseite Kerne liegen. Aehnliches wurde bei Mysis gefunden, nichts derartiges bei As/acus und Homarus. Von anderer Seite wurden diese Beobachtungen bestätigt und ähnliche in- betreff der Längskommissurenfasern von Würmern berichtet. Nun fand Verf. nach der Methylenblauinjektion an den sonst ungefärbten Nervenfasern von Palaemon in regelmäßigen Abständen blaue Striche, welche sich nach Fixation mit pikrinsaurem Ammonium noch deut- licher ganz wie Ranvier’sche Kreuze darstellten, welche sich auch beim Frosch mit dieser Methode in gleicher Weise zur Erscheinung bringen lassen. Zwischen je zweien solcher, im zentralen wie im peripheren Nervensystem vorhandenen Einschnürungen lag jedesmal ein Kern, wie sich das an den feineren Verzweigungen peripherer Nerven besonders schön erkennen lässt. Verf. behandelte dann Nerven- fasern von Palaemon mit Silbernitrat. Es ließen sich die Ein- schnürungen sehr schön, doch in wechselnder Gestalt darstellen: ge- wöhnlich erschien ein schwärzlicher Ring um die Nervenfaser, zuweilen zwei Ringe dicht bei einander; gewöhnlich erscheint auf eine Strecke hin am Axenzylinder noch eine körnige Masse, welche den Stamm der Kreuze bildet. Häufig treten zu beiden Seiten der Einschnürungs- ringe braune Streifen gleich den Frommann’schen Linien anf. Durch Behandlung mit Ueberosmiumsäure-Silbernitrat ließen sich an den Ein- schnürungsstellen gelbglänzende Körper darstellen. Die Natur dieser hier vorhandenen besonderen Substanz lässt sich aber so wenig wie bei Wirbeltieren erkennen. Trotz dieser Befunde will Verf. nicht aussprechen, dass diese Verhältnisse denen der Wirbeltiernerven homolog, sondern nur, dass sie analog seien. Es fehlt nämlich die Schwann’sche Scheide und die Mylinscheide ist zäher als bei den Wirbeltieren und zerfällt nicht in Lantermann’sche Segmente. Zuweilen nur tritt eine Streifung und ein Zerfall in Tafeln ein, welcher ein ähnliches Bild wie das dieser Segmente vortäuscht. Bei Astacus hat sich von allem diesem nichts finden lassen; bei demselben ist nur eine doppeltkonturierte Scheide vorhanden, die sich Retzius, Biologische Untersuchungen. 525 durch Osmiumsäure nicht schwärzt und keine Andeutung von Ein- schnürungen zeigt. Die Kerne, welche ihr anzugehören scheinen, liegen außerhalb in sie eingebettet. Sie scheint noch einmal über- zogen zu sein von endoneuralen, verzweigten Zellen, deren Reste als Fetzen in den Präparaten zu finden sind. Wenn der Verf. die Nervenfasern von Palaemon zur Peripherie weiter verfolgte, so fand er, wie sie nach wiederholten Verzweigungen die Myelinscheiden abgeben und sich darauf noch weiter ver- zweigen. Dann verhalten sich motorische und sensible Fasern ver- schieden. Die motorischen teilen sieh weiter diehotomisch, und ver- laufen als lange, den Muskelfasern sich anschmiegende, variköse Fäserchen, um spitz oder häufiger knotig zu endigen. Von Endhügeln konnte Verf. nichts finden. Ueber die Funde Biedermann’s, dass in den Muskeln des Flusskrebses verschiedenartige Nervenfibrillen gemeinsam verlaufen und endigen, kann Verf. sieh nicht äußern, da er seit dem Erscheinen v. B.’s Arbeit die motorischen Nervenendigungen am Flusskrebs nicht untersucht hat. Der Verlauf der sensiblen Nerven ließ sich besonders gut an frisch gehäuteten Individuen von Palaemon beobachten. Nach wieder- - holten dichotomischen Teilungen sieht man an den feinen Nerven- ästchen Rosetten von kernähnlichen Körpern: dann kann man noch feinere, scheinbar aus je einem solchen Kerne entspringende Fäserchen verfolgen, die sich weiter quirlförmig teilen und frei endigen. Viel- fach kann man beobachten wie die Chromatophoren von perlschnur- förmigen den Muskelendnerven ähnlichen Fäserchen umsponnen sind. Besonders in den Hautanhängen kann man die Nervenendigungen mit der Ehrlich’schen Methode weiter verfolgen als bisher. Man wusste bisher, dass Nerven an die einzelnen Borsten herantreten. Verf. sah die Nervenfasern sich büschelförmig teilen, mit ihren Verzweigungen die ganze Epidermis durchziehen und in großer Zahl in die weiche Substanz der Borsten eintreten, in welcher sie mit reichlichen Ver- zweigungen endigten. Die früher für Ganglien gehaltenen Anschwel- lungen in der Nähe der peripheren Verzweigungen sieht Verf. als den Fasern anliegende Kerne der Scheide an. Auf den Bau der Axenzylinder will Verf. nicht näher eingehen; er erwähnt nur, dass er, besonders in breiteren Fasern, oft blau ge- färbte Körnchenreihen sah, die durch feine Fäserehen verbunden waren. Ebensolche Körnchen und Fäserchen sah Verf. auch in Nerven- zellen. Sie sind hier von wechselnder Größe und liegen sowohl an der Oberfläche, wie in der Tiefe. Sind sie klein, so erkennt man ihre strangförmige Anordnung, sind sie größer, so ähneln sie gewisser- maßen den Knötchen der Punktsubstanz. Es sei mir gestattet, hier gleich auf die Mitteilungen einzugehen, die Verf. an letzter Stelle in diesem Bande der biologischen Unter- suchungen macht. Es handelt sich um Funde mit der Methylenblau- 526 Retzius, Biologische Untersuchungen. methode an Myzxine glutinosa. Verf. hat in den Spinalganglien von Mysxine die von Freund bei Petromyzon entdeckten Uebergangsformen zwischen dem bipolaren Ganglienzelltypus der Knochenfische und dem unipolaren der höheren Wirbeltiere in sehr schönen, leider nicht fixier- baren Bildern nachgewiesen, Bei Untersuchung der Nervenendigungen bei Myzxine fand er unter der Haut überall da, wo das Fettzellgewebe die Untersuchung nicht stört, in den Maschenräumen des sehr dichten Nervennetzes Ganglienzellen den Nervenbündelehen mehr oder weniger anliegend. Dieselben waren nie gefärbt, zuweilen ließ sich ein einfacher Aus- läufer erkennen, waren aber immer von gefärbten Fäserchen umsponnen, die mit stark gefärbten Plättchen ihnen dicht auflagen. Sie glichen vollständig den mit Arnold-Ehrlich’schen Nervennetzen umspon- nenen sympathischen Ganglienzellen des Frosches und des Kaninchens. Ob die Fasern an diesen Zellen endigten oder weiterliefen, ließ sich nicht entscheiden. Bilder, welche sich von denen dieser subkutanen Ganglienzellen der Myxine nicht unterscheiden ließen, erhielt Verf. auch von Gruppen von Ganglienzellen aus der Muskelschicht des Darms und des Ventrikels von Anguis fragilis. Auch seiner Untersuchung über den Bau der Muskelfasern schickt Verf. eine historische Uebersicht voraus. Aus der großen Zahl der aufgeführten Beobachtungen und Hypo- thesen sei hier nur auf die Thatsachen hingewiesen, mit denen v. Kölliker und Rollett die Lehre von den Fibrillen und von der Zwischensubstanz in der Muskelfaser bereichert haben. Kölliker entdeckte gewissermaßen erst die Fibrille, indem er zuerst die wirkliche Fibrille beschrieb, während man bis dahin gewöhnlich Bündel von Fibrillen für letztere gehalten zu haben scheint. Er legte diesen Gebilden den Namen Muskelsäulchen bei. Solche Muskelsäulchen bilden überall den Inhalt des Sarkolemms oder konstituieren, wo dieses fehlt, direkt den Muskel. Nur an den Flügel- muskeln der Insekten hat man bisher nicht entscheiden können, ob die feinen Fäserchen, in welche sie zerfallen, verhältnismäßig dicke Fibrillen sind, oder aber selır feine Säulchen, welche man nur bisher noch nicht hat in ihre Elemente auflösen können. Kölliker hat auch von jeher auf die Bedeutung der „interstitiellen Körnchen“ hin- gewiesen, welche sich in allen Muskeln mehr oder weniger zahlreich finden. Man verwechselte dieselben anfangs vielfach mit den Fett- tröpfehen, wie sie sich in pathologisch-veränderten Muskeln, wie z. B. von Winterfröschen, sehr zahlreich finden. Aber K. hat festgestellt, dass diese Körnchen vielleicht zu Fetttröpfehen degenerieren können, dass sie aber normaler Weise aus einer Substanz bestehen, welche sich in ihrem mikrochemischen Verhalten mit keiner anderen, be- kannten deckt. Rollett verteidigte vor allem die Anschauung, dass die Muskelsäulchen untereinander und wahrscheinlich auch die Fibrillen Retzius, Biologische Untersuchungen. 5927 innerhalb der Säulchen durch eine Zwischensubstanz, das „Sarko- plasma“ mit einander verbunden sind. Die interstitiellen Körner sind Teile dieses Sarkoplasmas; sie lassen sich nur zwischen den Muskel- säulehen, nicht innerhalb derselben nachweisen. Im Vergleich zu dieser Zergliederung der Muskeln in der Längs- richtung war die Lehre von der Querstreifung der Muskelfasern seit lange nicht bereichert worden: ja, über das eine Element dieser Quer- streifung, die von Engelmann zur Seite der Zwischenscheibe ent- deekten Nebenscheiben, welche nur bei Insektenmuskeln beobachtet wurden, widersprechen sich nicht nur die Hypothesen, sondern auch die Beobachtungen verschiedener Forscher außerordentlich. Vielfach ist ein gekörntes Aussehen derselben bemerkt worden. In den letzten Jahren nun hatten eine Anzahl jüngerer Forscher, besonders van Gehuchten und Ramön y Cajal, neue Theorien aufgestellt, welche allen älteren vollständig widersprachen. Die bis- her sogenannte Zwischensubstanz sollte die eigentlich kontraktile sein, die Fibrillen aber nur durch die Reagentien hervorgerufene Kunst- produkte, entstanden durch die Spaltung eines im Leben homogenen „Enchylems“. Dieselben stützten sich dabei auf Bilder, wie sie zuerst Verf. in dem 1881 erschienenen ersten Bande der Biologischen Unter- suchungen beschrieben hatte. Er hatte mittelst Vergoldung in den Muskelfasern Netze dargestellt, welche dieselben in der Quere durch- zogen und welche durch andere, feinere, der Längsaxe parallele Netze mit einander verbunden wurden. Die Quernetze entsprachen den Cohnheim’schen Feldern auf Querschnitten, und stellten sich auf Längsschnitten als Körner dar, wie sie sich überhaupt auch als Körner- reihen, welche durch feine Fäden netzartig verbunden sind, darstellen ließen. Diese Quernetze schienen mit den Mittel- und mit den Zwischen- scheiben zusammenzufallen: zuweilen waren noch Körnerreihen zwischen ihnen vorhanden. Die kontraktile Substanz war durch die Behand- lung stark angeschwollen und hatte ihre Struktur verloren. Auf ähn- liche Bilder gestützt hatten die genannten Forscher Theorien auf- gestellt, dass die Längsfasern dieser Netze die kontraktile Substanz bildeten. Gegen diese revolutionären Lehren traten Rollett und v. Köl- liker sehr entschieden auf und belegten die Fibrillentheorie durch neue eingehende Untersuchungen. Rollett erklärte die „negativen Goldbilder“, wie er sie nannte, als Durchschnitte durch das die Muskel- säulchen überall umscheidende Sarkoplasma. Bei der Säureeinwirkung quellen nach seiner Anschauung die verschiedenen, den Querstreifen entsprechenden Abschnitte der Fibrillen verschieden stark und pressen das Sarkoplasma in Formen, welche sich auf Schnitten als Knötchen und Fäden darstellen. Trotz dieser Befestigung der älteren Lehre sind nach Ansicht des Verf. noch folgende Fragen nicht endgiltig beantwortet: 598 Retzius, Biologische Untersuchungen. 1) Ist die Fibrille, wie sie von v.Kölliker, Wagener, Rollett u. a. dargestellt worden ist, das eigentliche histologische Element der kontraktilen Substanz der quergestreiften Muskelfaser ? 2) Besteht die Fibrille aus einer und derselben chemischen Sub- stanz (v. Kölliker) und welcher ist ihr Bau in den verschiedenen Kontraktionszuständen ? 3) Sind alle die von den Forschern in der Fibrille beschriebenen Querbänder oder Scheiben in der Natur vorhanden ? 4) Wie werden die Fibrillen zu Säulchen vereinigt? 5) Wie verhält sich die Zwischensubstanz, mit den interstitiellen Körnern v. Kölliker’s —= das Sarkoplasma Rollett’s, bei ver- schiedenen Muskelarten? Welcher ist ihr eigentlicher Bau und wie verhält sie sich zu den Säulchen und Fibrillen ? 6) Wie stimmen die Gold- und Säurebilder mit den Bildern der lebenden Faser und der mit Alkohol, Chromsäure oder Ueberosmium- säure behandelten Präparate überein? Wie lassen sich die Ansichten von Melland, van Gehuchten, Marshall und Ramön y Cajal erklären ? Verfasser hat nun hauptsächlich die Muskelfasern von 4 Käfern: Oryctes nasicornis, Carabus sp., Cetonia aurata und Dytiscus marginalis, außerdem vom Flusskrebs, von Appendicularia, von Myzxine glutinosa, Raja, Kaninchen und eines menschlichen Embryos untersucht. Er wandte Färbung mit Beale’schem Karmin nach Konservierung in Alkohol-Chromsäuremischung und Vergoldung von Alkoholpräparaten, vor allem aber folgende Methode an: die Präparate wurden mit Chrom- Osmium - Essiggemiseh (welehes weniger Ueberosmiumsäure enthielt, als die Flemming’sche Lösung) behandelt, mit Rosanilin gefärbt und in Kaliacetat aufgehoben: in letzterem trat eine schöne Differen- zierung ein und hielten sich die Präparate einige Monate. Verfasser schildert zuerst seine Funde bei Oryctes nasicornis und bei den 3 anderen Käferarten. Schon mit den beiden ersten Färbe-Methoden erwiesen sich die Nebenscheiben als aus Körnern bestehend, welche sich ihrer Substanz nach von allen andern Scheiben unterschieden: denn sie färbten sich mit Karmin stärker als alle anderen Teile und blieben bei Vergoldung ganz ungefärbt und stark glänzend. Ueber ihre Beziehung zu den Fibrillen konnte man aber an diesen Präparaten nichts ersehen, da dieselben viel leichter in der Quere brachen, als sie sich zerzupfen ließen. Durch die dritte Methode aber ließen sich alle Scheiben deutlich differenzieren und zugleich die Muskeln so konservieren, dass man durch vorsichtiges Zerzupfen Säulchen und Fibrillen isolieren konnte: nun ergab sich ein über- raschender Befund: noch an den isolierten Fibrillen konnte man im extendierten Zustand doppeltbrechendes und einfachbrechendes Band und, als feine Körnchen, Hensen’sche Mittelscheibe und Krause’s Retzius, Biologische Untersuchungen. 529 Zwischenscheibe erkennen: aber schon an den isolierten Säulchen gab es keine Nebenscheiben mehr. Statt dessen lagen gewöhnlich zu beiden Seiten der Zwischenscheibe dem Säulchen stark gefärbte Körnchen an. Analog war es bei kontrahierten Muskeln: auch hier konnte man noch an den einzelnen Fibrillem in der anisotropen Substanz Mittel- und Zwischenscheibe erkennen. Beide erschienen als feine Punkte und letzterer lagen, nur dichter angedrängt als an der extendierten Faser, von beiden Seiten die stark gefärbten Körner an. Diese Körner liegen nicht ganz lose in den durch vorsichtiges Zerzupfen der mit Rosanilin gefärbten Muskeln vom Verf. darge- stellten Spalträumen zwischen den einzelnen Säulchen, sondern sie sind durch feine, schwächer rosa gefärbte Fädchen mit einander ver- bunden. Eben solche, rundlich ovale oder unregelmäßige Körner, durch feine Fäden verbunden, kleiden als feine Schicht die Innen- fläche des Sarkolemms aus, wo sie sich mit derselben Methode dar- stellen ließen. Verf. schließt sich nicht der Auffassung Rollett’s an, die Muskel- säulchen seien rings von der Zwischensubstanz, dem Sarkoplasma, umscheidet, da er in den Interstitien nur die Körnchen und ihre Ver- bindungsfäden, sonst aber durchaus nichts entdecken konnte. Er nimmt deshalb an, dieselben seien von einer serumartigen Flüssigkeit durchtränkt, wie sie auch schon von Kölliker hier vermutet wurde, und welche sich auch nicht durch die zur Fixation dienenden Reagen- tien niederschlagen lasse, da sie an den Präparaten ausgelaufen sei. Er möchte dieses „Muskelserum“ nicht mit unter dem Sarko- plasma begreifen, sondern fasst als letzteres nur die Körnchen und ihre Verhindungsfäden auf. Diese Körnchen schlägt er vor, da der nach Analogie gebildete Name „Sarkoplasmosomen“ zu schwerfällig sei, „Sarkosomen“ zu nennen. Die interstitiellen Spalträume sind an dickeren Lagen von Muskelsäulchen natürlich verdeckt. In den Flügelmuskeln der Käfer sind, wie lange bekannt und von Kölliker neuerdings genau untersucht, die interstitiellen Körner sehr zahlreich. Sie färben sich mit Rosanilin und dann färbt sich auch schwächer eine sie verbindende Substanz: überhaupt verhalten sich diese Körner ganz so wie die eben geschilderten Sarkosomen, nur dass sie zahlreicher sind und ungeordnet liegen. Diesem Umstand entsprechend lassen sich nun auch an den Flügelmuskeln Nebenscheiben in keiner Weise nachweisen. Verf. konnte den Beweis erhalten, dass es thatsächlich Muskelsäulchen sind, welche die Flügelmuskeln zu- sammensetzen. Freilich sind die Fibrillen, aus welchen sie bestehen, besonders innig vereinigt, aber einigemale waren doch einzelne Fibrillen abgetrennt und man konnte dann in diesen an Stelle der Zwischen- scheibe Knötchen erkennen. Bei Appendicularia flabellum fand Verf. mit Rosanilinfärbung XI, 34 530 Retzius, Biologische Untersuchungen. eigentümliche Strukturverhältnisse in den dünnen Lamellen querge- streiften Muskelgewebes des Schwanzanhanges. Dieselben bestehen aus einer Lage schmaler, paralleler, ziemlich dicht nebeneinander- liegender Fäserchen: jedes Fäserchen ist ein quergestreiftes Band, das als eine Kette von aneinander gereihten Körperchen erscheint. Dieselben färben sich stark mit Rosanilin und scheinen den Quer- scheiben der Arthropodenmuskeln zu entsprechen. Sie tragen alle eine helle kreuzartige Zeichnung, deren Querbalken dem Hensen’schen Mittelstreifen zu entsprechen und deren Längsbalken auf eine fibrilläre Struktur hinzuweisen scheint. Die einzelnen Körperchen sind an den Enden etwas abgerundet und durch eine sich nur sehr schwach färbende Substanz verbunden, in welcher R. vergebens nach einer Andeutung der Zwischenscheibe suchte. Diese quergestreiften Fäserchen sind nun offenbar die kontraktile Substanz; aber keine Spur eines Sarkoplasmas schien hier vorhanden. Verf. war schon vor einigen Jahren auf eine außen auf der Fäserchen- lamelle liegende körnige Substanz aufmerksam geworden, ohne deren Bedeutung zu erkennen. Dieselbe besteht aus in der Fläche ange- ordneten, stark glänzenden, ovalen oder etwas unregelmäßigen Körn- chen, welche vollständig Sarkosomen gleichen und durch eine sehr fein gekörnte Substanz zusammengehalten werden. Das Sarkoplasma erscheint also hier seitwärts von den Fäserchen angeordnet. Bei den untersuchten Wirbeltiermuskeln konnte Verf. überall die Fibrillen mit Rosanilinfärbung nachweisen: Die Zwischenscheiben scheinen auch hier aus kleinen Knötchen in den oder um die einzelnen Fibrillen gebildet zu werden, wie es bei den Käfermuskeln zuweilen erkennbar war. Die anisotrope Querscheibe zeigte einen feinern Bau, indem sie aus einer ungeraden Zahl, 3 oder 5 Streifen bestand. Der mittlere derselben stellte den Hensen’schen Streifen dar. Auch sie schienen durch knotenförmige Anschwellungen der Fibrillen bedingt: zuweilen erschien am ganzen Muskelsäulchen die Querscheibe dicker als die isotrope Substanz. Die Sarkosomen färbten sich ebenso wie bei den Arthropoden: sie sind viel kleiner, aber auch deutlich regel- mäßig angeordnet und durch feinkörnige Fäden verbunden. Sie scheinen auch hier hauptsächlich an den Zwischenscheiben angeordnet zu sein, aber in einer einfachen Reihe, so dass sie bei ihrer Kleinheit am un- zerzupften Muskel von derselben nicht getrennt werden können. Nebenscheiben sind, wie bei dieser Anordnung zu erwarten, nirgends beohachtet worden. Um die Kerne der Fasern ist das Sarkoplasma in Gestalt von Sarkosomen mit Verbindungsfäden angehäuft. An Goldpräparaten fand Verf. seine Anschauungen über das Sarkoplasma bestätigt: besonders in den Ecken zwischen den Cohnheim’schen Feldern der Querschnitte fanden sich violett gefärbte, rundliche oder längliche Partien von sehr verschiedenem Durchmesser: es sind die Durchschnitte durch die Sarkosomen und ihre Verbindungsfäden. Retzius, Biologische Untersuchungen. 531 Ebenso sieht man an Längsschnitten Protoplasmazüge, deren An- schwellungen Sarkosomen entsprechen. Verfasser fasst seine, teilweise durch diese Arbeiten ge- wonnenen oder befestigten Anschauungen über den Bau der querge- streiften Muskeln in folgenden Punkten zusammen, die es gestattet sei möglichst kurz wiederzugeben. Dieselben entsprechen ungefähr den oben als noch nicht vollständig beantwortet aufgestellten Fragen. 1) Die quergestreifte Muskelfaser der Arthropoden und Wirbel- tiere besteht, vom Sarkolemma abgesehen, aus zwei verschiedenen Elementen: der Muskelfibrille und der Zwischensubstanz oder dem Sarkoplasma. 2) Das Bestehen der Muskelfibrille im lebenden Muskel kann wohl nicht zur Anschauung gebracht werden; aber dasselbe ist er- wiesen dadurch, dass nach Anwendung der Härtungsmittel, welche an anderen Objekten die natürliche Struktur am zuverlässigsten er- halten, die Muskeln sich in Fibrillen zerspalten lassen. Die lebenden Flügelmuskeln der Insekten sind nicht mehr als Beweis für diese Lehre zu brauchen, da die feinen Fasern derselben keine Fibrillen, sondern Bündel von solchen darstellen. Die Fibrillen sind in regelmäßiger Weise gegliedert: ob diese Glieder sich nur durch Dieke und Struktur, oder auch chemisch unter- scheiden, ist noch nicht zu entscheiden. Sie verhalten sich in ihrer ganzen Länge gegen Essigsäure gleich, gegen bestimmte Farbstoffe aber zeigt jedes Glied ein verschiedenes Verhalten: Die isotropen, die anisotropen und die Zwischenscheiben färben sich verschieden stark, und die anisotropen Querscheiben erscheinen häufig gebändert, fast immer stellt sich in ihnen der Hensen’sche Streifen heller oder dunkler als die Nachbarpartien dar. 3) Die Fibrillenbündel oder Muskelsäulchen, welche den Cohn- heim’schen Feldern der Querschnitte entsprechen, haben bei ver- schiedenen Tieren verschiedene Größe und Gestalt. Die Fibrillen sind in ihnen so dichtgedrängt, dass sie in der Längsansicht nur nach Zerzupfen, im Querschnitt überhaupt nur sehr selten zu er- kennen sind. Die von Kölliker postulierte Zwischensubstanz inner- halb der Säulchen ist mit den jetzigen Hilfsmitteln und Färbungen nicht nachzuweisen. 4) Die für den physiologischen Zustand charakteristische regel- mäßige Bänderung ist, bei den Arthropoden wie bei den Wirbeltieren, ganz dieselbe an den Muskelsäulchen und an den sie zusammen- setzenden Fibrillen. Man unterscheidet am ausgedehnten Muskel: a) Eine anisotrope Querscheibe; in derselben findet man — aber nicht immer — die Mittelscheibe (Hensen’scher Streifen) als ein bald helleres, bald dunkleres, breiteres oder schmäleres, gewöhnlich nicht scharf begrenztes Band. Bei gewissen Arthropoden erscheint 34* 539 Retzius, Biologische Untersuchungen. dasselbe als durch Rosanilin stärker färbbar und etwas hervorragend. Zuweilen erkennt man mit starker Vergrößerung in der Querscheibe an Säulchen eine Struktur, indem jeder Fibrille entsprechende, durch Rosanilin färbbare Körperchen an den Enden, außerdem zuweilen in der Mitte derselben auftreten. b) An den Enden der Querscheibe liegt je eine helle, homogene, kaum färbbare, isotrope Partie, deren Länge nach dem Extensions- grad wechselt; ihre Substanz ist stets zusammenhängend, nicht in zwei Partien geteilt. c) Am Ende der hellen isotropen Partien der Säulchen findet sich die stets feine, in Rosanilin stark färbbare Zwischenscheibe ; dieselbe ragt rings um die Säulchen etwas vor und ist aus einer Reihe feiner Körnchen zusammengesetzt, von denen je eines einer Fibrille entspricht. Die bisher beschriebenen Nebenscheiben existieren nicht als Be- standteile der Muskelsäulchen und Fibrillen. Sie gehören der Zwischen- substanz an. Der auf ihr Vorhandensein gegründete Unterschied zwi- schen Wirbeltier- und Arthropodermmuskeln hat also keine Bedeutung. Im kontrahierten Muskel sind die Säulchen und Fibrillen ver- kürzt und verdickt. Die isotropen Scheiben sind kürzer als am aus- gedehnten Muskel oder fast ganz verschwunden. Die Querscheiben sind kürzer und dicker; die Mittelscheiben in der Regel deutlicher. Die kontrahierten Muskelfasern brechen leichter quer durch als ge- dehnte; Säulchen und Fibrillen sind deshalb schwieriger zu isolieren als dort. Sonst ist kein Unterschied zu finden. 5) Die Zwischensubstanz Kölliker’s, das Sarkoplasma Rol- lett’s, ist überall zwischen den Muskelsäulchen vorhanden. Rings um die letzteren findet sich, wie Leydig längst betont hat, ein Ka- nalsystem von Spalträumen, welche ein umspülendes Serum enthalten. In diesen Räumen liegt das eigentliche Sarkoplasma: dasselbe besteht aus den Sarkosomen und feinkörnigen zarten, dieselben verbindenden Fäden. Die Sarkosomen sind die interstitiellen Körner Kölliker’s und bestehen aus einer eigentümlichen Substanz, nicht aus Fett. Sie sind bei verschiedenen Tieren und verschiedenen Muskeln in wechseln- der Anordnung und Zahl vorhanden: sie bilden die Nebenscheiben der Käfer, sind in anderen Fällen in Längsreihen geordnet, sind in den Flügelmuskeln der Insekten außerordentlich zahlreich und bilden hier gleichsam Scheiden um die Säulchen derselben, sind immer um die Kerne der Muskelfasern und an der Innenfläche des Sarkolems gehäuft. Sie scheinen eine Beziehung zur Zwischenscheibe zu haben. Verfasser bemerkt an dieser Stelle, dass er jetzt, entgegen seiner Ansicht vor 9 Jahren, der Anschauung zuneige, die Muskelfaser sei eine vielkernige Zelle. Die erwähnten intercolumnaren Spalträume wären dann also „intrazelluläre Gänge“ }). 1) Im Original steht „intercellulär“; offenbar ein Druckfehler. Retzius, Biologische Untersuchungen. 533 6) Betreffs der physiologischen Bedeutung der Muskelfaserbestand- teile kann kein Zweifel darüber obwalten, dass die Muskelfibrillen die kontraktile Substanz darstellen. Das Sarkoplasma ist höchst wahrscheinlich lebhaft am regen Chemismus der Muskelzelle beteiligt. Ob die Anschauungen J. v. Gerlach’s über die Nervenendigungen im Muskel insofern riehtig sind, als etwa das Sarkoplasma und die Sarkosomen die nervösen Impulse leiten, darf Verf. nicht entschei- den, da es ihm nicht gelungen ist einen direkten Zusammenhang von Nervenfaser und Sarkoplasma nachzuweisen. Doch hat er durch Methylenblaubehandlung von Froschmuskeln Bilder erhalten, welche darauf hinweisen'). In dem dritten Aufsatze beschreibt Verf. das sogenannte Magma retieule Velpeau’s, welches er bei einer größeren Zahl junger menschlicher Embryonen zu untersuchen Gelegenheit hatte. Dabei fiel es ihm auf, dass dasselbe von den meisten Autoren fast übersehen, oder aber nur für Gerinnsel gehalten worden ist. Dasselbe findet sich bei menschlichen Embryonen, welche noch nicht 6 Wochen alt sind, als eine sulzige Masse in dem ziemlich weiten Raum zwischen Chorion und Amnion, in welcher bindegewebsähnliche Stränge die beiden Häute verbindend laufen: an diesen Strängen scheint das Amnion im Chorion aufgehängt. Bei mikroskopischer Untersuchung zeigen sich diese aus embryonalem Bindegewebe bestehend, welches auffallend reif erscheint für das Alter der Embryonen. Bei älteren Embryonen erscheint an der entsprechenden Stelle, durch das Ver- wachsen der vorher schon durch dies Magma verbundenen, binde- gewebigen Schichten des Chorion und Amnion die Membrana inter- media, welche von den Autoren regelmäßig beschrieben worden ist. In dem vierten Aufsatze schildert Verf. ein Kaudalherz bei Myxine glutinosa, welches sich beim lebenden Tiere durch seine Pulsationen bemerkbar machte. Der Bau desselben ist folgender: Im Schwanze liegen zwei spitz-ovale, seitlich abgeplattete Höhlungen unter der Chorda; sie sind durch eine an letzterer befestigte Knorpellamelle geschieden; ihrer äußeren bindegewebigen Haut liegt je eine dünne Muskellamelle auf, welche am Unterrand des Knorpels inserieren. Wie man nun am lebenden Tier oder am überlebenden Schwanz nach Wegnahme der Hautdrüsen und der äußeren Muskelpakete beobachten kann, kontrahieren sich die beiden Muskellamellen synchron, wobei sie den Unterrand des Knorpels hin und her ziehen und den vom Blute nicht unterscheidbaren Inhalt der beiden Höhlen nach vorne in die Vena caudalis pressen. Dort muss ein Klappenapparat vor- handen sein, denn ein Zurückstauen lässt sich nie beobachten oder herbeiführen. Dieses Kaudalherz wäre demjenigen des Aals und 1) In einem folgenden Aufsatz werde ich über andre Arbeiten, insbesondre diejenigen von Rollett, über den Bau der Muskelfaser berichten. Ref. 534 Greenwood, Wirkung von Nikotin auf niedere Tiere, den Lymphherzen der Amphibien vergleichbar. Aber obgleich es dem ersteren sehr ähnlich gebaut ist, so besteht doch der Unter- schied, dass es Blut führt und direkt in eine Vene mündet, das Kau- dalherz des Aals aber nur Lymphe enthält. Es fragt sich auch, woher ihm Blut zugeführt wird. Und hier verweist Retzius auf eine Hypothese des Freih.Klinkowström: inden großen subkutanen Höhlen von Myxine findet sich regelmäßig Blut. Freih. v. Klinkowström vermutet nun, dass dieses Blut nicht pathologischerweise transsudiert sei, sondern dass hier ähnliche Zirkulationsverhältnisse vorlägen wie bei den Avertebraten. Dann hätte das Kaudalherz die Aufgabe, dieses Blut wieder in das Gefäßsystem zurückzupumpen. Derselbe hat auch durch eine Injektion in die Unterhauthöhle diese Anschauung bestätigt gefunden, indem sich die Injektionsmasse bald darauf in der Vena caudalis fand. Noch sei auf die außerordentliche Schönheit und Reichhaltigkeit der Tafeln hingewiesen, durch welche insbesondere die Präparate, auf welche sich die zwei ersten Untersuchungen gründen, trefflich dargestellt sind. W. Greenwood’s Untersuchungen über die Wirkung des Nikotins auf niedere Tiere '). Verfasserin experimentierte mit Amoeba, Actinosphaerium, Hydra, Meereshydroiden, Aurelia-Ephyren, Actinien, Lumbricus, Asterias, Ophiuriden, Comatula, Palaemon, Sepiola und Archidoris. Die Tiere wurden eine Zeit lang in 0.001, 0.01, 0.05 oder 0.1 pro- zentiger Nikotinlösung und dann in frisches Wasser gesetzt. Bei einigen der höheren wurden subkutane Injektionen von 0.1 prozentiger Nikotinlösung vorgenommen. Je nach der Wirkung des Nikotins lassen sich unter den Ver- suchstieren zwei Gruppen untescheiden. In der ersten hat das Nikotin keine ihm eigentümliche Giftwirkung. In schwacher Lösung ist das Leben nicht gefährdet und selbst nach der Einwirkung starker Lösungen können sich die Tiere erholen. In der zweiten Gruppe treten bestimmte und dem Nikotin eigentümliche Giftwirkungen auf. Hier tritt zuerst erhöhte Erregung und dann Lähmung ein. Die Art der Lähmung ist bei verschiedenen Formen verschieden. Die höheren Formen erholen sich, wenn sie einmal spezifische Nikotinvergiftungs- erscheinungen gezeigt haben, kaum wieder. Zu der ersten Gruppe gehören die Protozoen und Cölenteraten. Zur zweiten die Echinodermen, Anneliden, Arthropoden und Mollusken, an denen Greenwood experimentierte. 1) On the Action of Nicotin upon certain Invertebrates. Journal of Physiology, Bd. 11, Supplementnummer. Greenwood, Wirkung von Nikotin auf niedere Tiere. 535 Schwache Nikotinlösungen üben nur geringen Einfluss auf Amoeba (proteus Leidy) aus. Stärkere töten sie erst nach Stunden. Eine iprozentige Kochsalzlösung tötet die Amöbe ebenso rasch wie eine Iprozentige Nikotinlösung. Potasche und Thymol sind für die Amöbe sehr verderblich selbst in schwacher Lösung. Potasche verursacht Anschwellung und Zerfließen. Kochsalz bewirkt scheinbar eine Lösung von Teilen ohne Anschwellung. Durch schwache Kochsalzlösung ge- tötete Amöben erscheinen geschrumpft, granulös. Thymol bewirkt die Ausstoßung sehr großer, hyaliner Blasen. Nikotin hingegen ver- anlasst eine Schrumpfung, wobei die Amöbe die Gestalt einer scharf begrenzten Kugel gewinnt. Weit empfindlicher dem Nikotin gegenüber ist Actinosphaerium (Eichhornii). Ein 5 Minuten langer Aufenthalt in 1 prozentiger Lösung von weinsaurem Nikotin tötet dieses Tier. Auch 0.1 prozentige Niko- tinlösung wirkt ziemlich rasch in merkbarer Weise ein und tötet sicher innerhalb einiger Stunden. Kommt Nikotin mit dem Tier in Berührung, so werden zunächst die Pseudopodien zu rundlichen Ballen zusammengezogen und abgestoßen. Bringt man dann das Tier gleich wieder in reines Wasser, so bilden sich die Pseudopodien aufs neue. Sowohl die zu rundlichen Massen zusammengezogenen Pseudopodien, wie auch das ganze durch Nikotin getötete Tier sind sehr undurch- sichtig und spröde. Greenwood schreibt die größere Empfindlich- keit des Actinospaerium — im Vergleich zur Amöbe — dem relativ viel zarteren Bau dieses Tieres zu. Bei Hydra (fusca) bringt 0.01 prozentige Nikotinlösung keine spezifische Giftwirkung hervor. Nach mehrstündiger Einwirkung von 0.05 prozentiger Nikotinlösung erscheint das Tier lethargisch. Bald nach Beginn der Einwirkung ist das Tier weit ausgestreckt und “ unempfindlich für Reize. Es kehrt jedoch später die Empfindlichkeit wieder. Die Tentakeln zeigen diese Symptome früher als der Leib. 0.5 prozentige Nikotinlösung ist tötlich. Die Funktion der Anheftung wird durch Nikotin nicht gestört. Eine Entleerung des Mageninhaltes wird durch Nikotineinwirkung nicht herbeigeführt. Starkes Nikotin wirkt auf die Gewebe direkt ein. Die Tentakel werden brüchig und die einzelnen Zellen trennen sich, wie nach Maceration. Nicht unähnlich ist die Nikotinwirkung auf marine, stockbildende Hydroiden. Bei jungen Ephyren von Aurelia (aurita) bewirkt 0.01 prozentige Nikotinlösung eine sehr bedeutende Verlangsamung des Rythmus der Schirmkontraktionen. Beim gesunden Tier finden in der Minute etwa 110 Kontraktionen statt, bei dem nikotinisierten bloß 20. Stärkere Giftlösungen bewirken ein Unregelmäßigwerden der Kontraktionen. 0.05 prozentige Lösung verursacht nach einer halben Stunde voll- kommene Ruhe. Meistens ist dann der Glockenmuskel scharf kon- trahiert. War das Gift so schwach, dass nur Verlangsamung der 536 Greenwood, Wirkung von Nikotin auf niedere Tiere. Zusammenziehungen und nicht Unregelmäßigwerden derselben ein- getreten war, so erholt sich die Ephyra in frischem Seewasser nach einigen Stunden wieder. Zuweilen beobachtet man, dass einige Lappen zusammengezogen bleiben, während andere zu schlagen fortfahren. Auch hier wird, wie bei Hydra, Maceration beobachtet: Das Ver- halten einiger eraspedater Medusen ist nicht unähnlich. Actinia (mesembryanthemum) und Sagartia (parasitica) sind gegen Nikotin - Einwirkung sehr unempfindlich. Es ist nie gelungen Ac- tinien durch Nikotin zu töten. Stets erholten sie sich nach der Be- handlung, selbst wenn 15 mg injiziert wurden, in frischem Seewasser bald wieder vollkommen. In starker Nikotinlösung nimmt die Ac- tinie keine Nahrung zu sich und löst sich leicht von ihrer Unterlage. Regenwürmer werden durch eine mehrstündige Einwirkung von 0.05 prozentiger Nikotinlösung getötet. 0.Olprozentiges Gift bewirkt Lethargie, doch erholt sich der Wurm nach der Einwirkung desselben wieder. Starke Giftlösung führt ziemlich rasch zum Tode. Zunächst tritt Muskelstarre ein, auf welche erst der gewöhnliche, weiche Zu- stand des toten Wurmes folgt. Erholt sich der Wurm nach Nikotin- Lähmung, so treten zuerst die lokalen Reflexbewegungen und erst später die spontanen Bewegungen wieder auf. Der Gleichgewichtssinn und der Grabinstinkt treten zuletzt auf. Eine Eigentümlichkeit niko- tinisierter Regenwürmer ist die Gewohnheit sich auf äußere Reize hin zu einer ziemlich engen Spirale zusammenzuziehen. Greenwood führt dies auf lokale Kontraktion einzelner Längsmuskeln zurück. Der gesunde Regenwurm ist rein. An der Oberfläche des nikotini- sierten haften Erdkrümmel. Bei den Asteriden liegt das Nervensystem oberflächlich, bei den Ophiuriden ist es durchaus mit Kalkplatten gedeckt und bei Cri- noiden liegt ein Teil desselben an der Oberfläche und ein Teil in der Tiefe. Injiziert man einen Asteriden mit Nikotin, oder setzt man ihn in eine Nikotinlösung, so beugen sich seine Arme und die Füßchen und Hautkiemen werden zurückgezogen. Später verliert das Tier die Fähigkeit sich in die normale Lage zu bringen, wenn es auf den Rücken gelegt wurde, und schließlich wird es auch unmöglieh durch Reizung gewöhnliche Reflexbewegungen zu erzielen. Rascher Tod wird durch Nikotin nie hervorgerufen. Hält man das Tier eine halbe Stunde in 0.01—0.05prozentiger Nikotinlösung, so erholt es sich in frischem Seewasser allmählich wieder. Mit stärkeren Lösungen be- handelte Seesterne gehen zu Grunde. Bei den Ophiuriden ist die erste Wirkung des Nikotins die Er- zeugung klonischer Krämpfe, welche !/, bis 1!/, Minuten andauern und dann in eine allgemeine Kontraktion übergehen, welche der Armbeugung der Asteriden entspricht. Während dieser Kontraktion erscheint die orale Körperoberfläche leicht konvex und die Arme Greenwood, Wirkung von Nikotin anf niedere Tiere. 537 sind starr ausgestreckt. Ophiuriden sind gegen Nikotin außerordent- lich empfindlich. Bei einviertelstündiger Einwirkung erzeugt schon 0.001prozentige Nikotinlösung einen recht beträchtlichen Effekt, aber es erholen sich die Ophiuriden selbst nach der Einwirkung von 0.01 prozentiger Giftlösung in frischem Seewasser wieder. Auf Comatula wirkt Nikotin zunächst in der Weise ein, dass lebhafte Bewegungen der Arme hervorgerufen und die Spitzen der Pinnulae gebeugt werden. Nach einigen Minuten hören diese Be- wegungen auf und es tritt Paralyse ein. 0.1 prozentige Nikotinlösung lässt das Tier mit gebeugten, 0.5prozentige mit ausgestreckten Armen in der Ruhelage. Die letzte Reflexbewegung, welche vor dem Eintritt allgemeiner Paralyse noch beobachtet werden kann, ist ein ruckweises Strecken des gereizten Arms. Auf schwache Vergiftung erfolgt vollkommene Erholung. Nach stärkerer Vergiftung beobachtet man aber nur teilweise Erholung. Wird das Tier umgekehrt, so richtet es sich nur dann auf, wenn es gereizt wird. Comateln, welche ihre Eingeweide und damit auch den ventralen Nervenring um den Mund ausgestoßen haben, verhalten sich dem Nikotin gegenüber fast ebenso wie normale. Wird nur ein Arm vergiftet, so wirkt dies, wie es scheint, auf das ganze Tier ein. Hat sich das Tier von dieser Wirkung erholt, so zeigt der vergiftete Arm noch immer jene ruckweisen, für die Arme nikotinisierter Comateln charakteristischen Streckungen auf Reize hin, welche beim gesunden Tier nicht beobachtet werden. Schon Yung und Langley haben höhere Krebse mit Nikotin behandelt. Greenwood experimentierte an Pulaemon serratus. Im normalen Zustande sitzt das Tier, wenn keine äußeren Reize auf das- selbe einwirken, bei Tage ruhig am Boden des Aquariums. Reize veranlassen scharfe Kontraktion der Längsmuskeln im Hinterteile des Körpers, Einwärtsschlagen und weiters energische Schwimm- bewegung. Nikotininjektion ruft starke Krämpfe hervor und ist in kurzer Zeit tötlich. Bringt man das Tier in eine 0.01 prozentige Niko- tinlösung in Seewasser, so beobachtet man kräftige Bewegungen, auf welehe Lähmung folgt. Sehr bald hört die Koordination der Be- wegungen der Extremitäten und damit die Lokomotion auf. Die Paralyse schreitet von vorn nach rückwärts fort und lässt die Glie- der in krampfhafter Zusammenziehung. Zuletzt hört die Bewegung der Kiemenfüße auf und dann tritt Relaxion des Extremitätenkrampfes ein. Jetzt liegt das Tier regungslos auf der Seite. Häufig kommt es vor, dass in dieser Periode koordinierte Bewegung plötzlich auf einige Sekunden wiederkehrt und das Tier im Aquarium energisch herumschwimmt, um dann gleich wieder in Lethargie zu verfallen. Bringt man das gelähmte Tier nach halbstündigem Aufenthalt in der erwähnten Nikotinlösung in frisches Seewasser, so erfolgt ent- weder Erholung oder nicht. Im ersten Fall treten die Bewegungen 538 Greenwood, Wirkung von Nikotin auf niedere Tiere. in umgekehrter Reihenfolge, wie sie verloren gingen, wieder auf. Anfangs sind die rythmischen Bewegungen der Kiemenfüße noch un- terbrochen. Durch Reizung in einer Bewegungspause wird rythmische Bewegung derselben veranlasst. Im zweiten Fall erholt sich das Tier anfangs etwas. Es liegt auf der Seite und ist häufig sehr reizbar. Ein geringer Stoß veranlasst die weitgehendsten Reflexbewegungen, diese sind jedoch nicht koordiniert. Yung gegenüber neigt sich Greenwood der Ansicht zu, dass die Herzthätigkeit durch Nikotin auch anfangs nicht beschleunigt wird. Sie beobachtete nur Verlangsamung und Unregelmäßigwerden des Herzschlags. Sepiola ist außerordentlich empfindlich gegen Nikotin. Selbst 0.001 prozentige Giftlösung beeinflusst schon das Tier. 0.01 prozentige Lösung tötet in wenigen Sekunden. Das Tier ist bestrebt sich selbst umzustülpen, die Arme bewegen sich lebhaft und unregelmäßig, die Farbe ist blass, die Augen sind fast ganz geschlossen. Aehnliche Wirkungen bringt das Einlegen in 0.005 prozentiger Nikotinlösung nach einer halben Minute hervor. Eine Erholung nikotinisierter Se- piolen wurde nicht beobachtet. Bringt man ein vergiftetes Exemplar in frisches Seewasser, so erweitern sich die Pupillen kollossal und bleiben bis zum Eintritt des Todes dilatiert. Die Chromatophoren- muskeln der Haut behalten ihr Kontraktionsvermögen (auf elektrische Reize hin) noch längere Zeit bei. Farbeneffekte können durch Reize selbst nach dem eigentlichen Tode des Tieres noch hervorgebracht werden. Minder empfindlich ist Archidoris. (0.O1prozentige Nikotinlösung bewirkt Aufhebung der beim gesunden Tier zu beobachtenden reflek- torischen Kontraktion der Antennen auf Reize des Mantelrandes hin. Auch kann eine in soleher Nikotinlösung gehaltene Archidoris sich nicht aufrichten, wenn sie umgekehrt wird. Erholung nach der Ver- giftung kommt vor. Zum Schluss bemerkt Greenwood über die Nikotinwirkung auf die Versuchstiere im Allgemeinen noch Folgendes: Der Grad der Giftwirkung des Nikotins ist proportional dem Grad der Entwicklung des Nervensystems. Für Amoeba und Aetino- sphaerium ist Nikotin eigentlich gar kein Gift. Das erste, was bei den höheren Formen durch Nikotin verniehtet wird, ist die Koor- dination der Bewegung. Andeutungen hievon beobachtet man bei Hydra und Aurelia, deutlich ausgesprechen ist dies bei Asterias, Comatula und Palaemon. Der Lähmung geht verstärkte Bewegung voraus, so bei Ophiuriden, Comatula, Palaemon und Sepiola. R, v. Lendenfeld. Münsterberg, Aufgaben und Methoden der Psychologie. 539 Hugo Münsterberg, Ueber Aufgaben und Methoden der Psychologie. Schriften der Gesellschaft für psychologische Forschung, Heft 2, Leipzig, Ambr. Abel, gr. 8°, 272 S., 6 Mark. Das vorliegende Heft verdient die Aufmerksamkeit aller der Kreise, welche der Psychologie überhaupt Teilnahme entgegenbringen, denn es vermittelt einen lohnenden Ueberbliek tiber den gesamten Betrieb dieser Wissenschaft. Was der Verf. sagt, ist naturgemäß nicht immer neu; aber dass er es in übersichtlicher Zusammenstellung gesagt hat, scheint mir verdienstlich zu sein. Es wäre freilich zweck- mäßig gewesen, den einzelnen Kapiteln kurze Litteraturnachweise beizufügen, damit der weniger Orientierte sich leicht weiterfinden könne. Auch muss erwähnt werden, dass die Darstellung an einer gewissen Breite leidet, die in unserer zum Viellesen verdammten Zeit lebhaft empfunden werden wird, und dass die formale Ausgestaltung hier und da der letzten Feile entbehrt. Herr Münsterberg unterscheidet zwischen einer engeren und weiteren Aufgabe der Psychologie. Die engere Aufgabe besteht darin, dass „die psychischen Phänomene des individuellen Bewusstseins, ohne Rücksicht auf ihre Uebereinstimmung mit den Bewusstseins- inhalten anderer Individuen“ untersucht werden. Für die erweiterte Aufgabe gilt es, „die Gesamtheit der Bewusstseinsinhalte in ihre Elemente zu zerlegen, die Verbindungsgesetze und einzelnen Ver- bindungen dieser Elemente festzustellen und für jeden elementaren psychischen Inhalt empirisch die begleitende physiologische Erregung aufzusuchen, um aus der kausal verständlichen Koexistenz und Sue- cession jener physiologischen Erregungen die rein psychologisch nicht erklärbaren Verbindungsgesetze und Verbindungen der einzelnen psy- chischen Inhalte mittelbar zu erklären“. In der näheren Ausführung der „engeren Aufgabe der Psychologie“ sind die Bemerkungen des Verfassers über Bewusstseinsinhalt und Bewusstseinsthätigkeit beifalls- würdig, diejenigen über die „Erklärung“ psychischer Vorgänge da- gegen dem Ref. befremdlich. Geistige Prozesse sollen erklärt sein, wenn sie auf solche sich zurückführen lassen, „die das individuelle Bewusstsein nacherzeugen kann“. Gerade die letzteren aber sind doch zweifellos sehr zusammengesetzter Natur; wie dürfen wir dem- gemäß hier Halt machen? Infolge dieser einseitigen Auffassung ge- langt Münsterberg zur Ableugnung einer erkennbaren Gesetzmäßig- keit und Notwendigkeit im Seelenleben, wobei dann noch unklar bleibt, wie dieser Standpunkt des Verfassers mit der früher von ihm vertretenen Lehre von den Empfindungen als den Elementen des Psychischen sich vereinigen lässt. Es scheint, als ob für ihn jetzt der Wille zum Ursprünglicheren geworden ist. 540 Münsterberg, Aufgaben und Methoden der Psychologie. Wie dem auch immer sei — die zweite Art der „Erklärung“ innerhalb der Psychologie, die der Münsterberg’schen „weiteren Aufgabe“ zu Grunde liegt, wird kaum einem Widerspruch begegnen. Sie besteht darin, dass aus der Gesetzmäßigkeit physischen Geschehens ein Schluss auf die Abfolge der mit diesem physischen Geschehen empirisch verknüpften Bewusstseinsvorgänge gezogen wird. Da nun nichts in der Seele sich ereignet, was nicht eine parallele Gehirn- erregung zur Seite hätte, so lässt sich im Prinzip eine solche „Er- klärung“ auf die Gesamtheit des inneren Lebens ausdehnen. Indessen gerade an der entscheidenden Stelle werden wir von dem Verf. in Stich gelassen. Mit welcher Art von „Erklärung“ haben wir es jetzt zu thun? Welche erkenntnistheoretischen Grenzen sind der Kausali- tätsübertragung gesteckt? Auf diese und ähnliche Fragen wäre viel- leicht eine bündige Antwort erwünscht gewesen. In dem Hauptteil der Studie werden zunächst die mathematische, die erkenntnistheoretisch-kritische und die metaphysisch -spekulative Methode in sehr schöner und klarer Form als wertlos für die Lösung der speziell psychologischen Aufgabe zurückgewiesen. Herr Münster- berg hebt alsdann den bereits vertretenen Gesichtspunkt einer Schei- dung zwischen Forschungsgebieten und Methoden der Psychologie hervor und richtet danach seine Benennungen ein. „Dasjenige Bei- wort, welches zum Wort Psychologie hinzukommt, soll von uns künftig demselben vorangestellt werden, wenn es die Methode bezeichnet, und nachgestellt werden, wenn es die engere Aufgabe!) abgrenzt. Eine philosophisch-psychologische Untersuchung ist also eine mit philosophischer Methode gewonnene Untersuchung über beliebige psychologische Fragen, eine psychologisch-philosophische dagegen ist eine Untersuchung über die Grenzgebiete zwischen Psychologie und Philosophie. Wo es sich irgend ermöglichen lässt, werden wir beide Worte in eins zusammenziehen, ohne dass das Prinzip sich ändert; beispielsweise die Pathopsychologie umfasst alles das in der Psycho- logie, was durch die Methode pathologischer Untersuchungen erkannt wird, die Psychopathologie dagegen dasjenige Kapitel der Psychologie, das von den krankhaften Seelenzuständen handelt“. Neu und fruchtbar ist die weitere Einteilung, welche zunächst zwischen der rein psycho- logischen und der psychophysiologischen Untersuchung unterscheidet, alsdann die natürlichen Bedingungen der so zu sagen passiven Be- obachtung von den künstlichen Bedingungen des aktiven Eingreifens trennt und schließlich die Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit der Be- obachtung für die Unterabteilungen verwertet. Wir wollen jedoch dem Verf. nicht systematisch in alle Einzelkammern seines Gebändes 1) Dieser Ausdruck ist hier in einer anderen Bedeutung als vorher ge- braucht; er entspricht dem, was ich in der Vierteljahrsschrift für wiss. Philos., v1 S. 68 und in den psychologischen Beiträgen zu Meyer’s Konservations- lexikon, Bd. XVIII, „Forschungsgebiet“ genannt habe. M.D. Münsterberg, Aufgaben und Methoden der Psychologie. 54 folgen, sondern nur gelegentlich in diese oder jene Zelle einen Blick werfen. Da finden wir die Aufschrift „Reine Selbstbeobachtung“ und treten ein. Die Analyse des Begriffes wird selbständig durchgeführt, jedoch ohne Berechtigung auf das physiologische Gebiet hinübergespielt. Wenn von der reinen psychologischen Selbstbeobachtung die Rede ist, dann darf nieht die Anforderung erhoben werden, dass der Beobachter auf die Vorgänge in seinen Muskeln achten soll; das gehört in den Abschnitt über psychophysiologische Untersuchung. Abgesehen nun von dem formalen Fehler bedeutet es sachlich eine Einseitigkeit, alles Heil für die Ergebnisse innerer Wahrnehmung von den anatomisch -physiologischen Verhältnissen zu erhoffen und dann auf diese wiederum sämtliche anderen Methoden zu stützen !). In dem Verlauf der Aufzählung vermisse ich nähere Angaben über die Völkerpsychologie, die Rechtspsychologie, insofern sie die seelischen Grundlagen von Handlungsfähigkeit, Willenserklärung u. dgl. untersucht, und vor Allem über die ethnologische Psychologie. Es ist vielleicht angebracht, die letztere, wie sie Adolf Bastian als „naturwissenschaftliche Psychologie auf komparativ-genetischer Grund- lage“ beschrieben hat, in ihren äußersten Umrissen hier zu skizzieren, und zwar deshalb, weil ihre Grundlehren selbst dem Fachmann kaum bekannt zu sein pflegen. Wer nicht das Glück gehabt hat, sich einer besonderen Unterweisung des großen Gelehrten zu erfreuen, wird aus seinen Schriften nur mit Mühe eine klare Einsicht in seine Lehre ge- winnen. Die Hauptgedanken der Bastian’schen Psychologie sind kurz die folgenden. Das Individuum, als etwas Selbständiges für sich betrachtet, existiert in der sozialen Wirklichkeit nieht: wir ab- strahieren es aus dem Milieu ?2), mit dem es untrennbar verwachsen ist. Alle Beobachtungen an einem solcherart herausgerissenen Stücke sind gleichfalls Stückwerk — die Menschheit muss richtiger Weise für eine umfassende Psychologie zum Ausgangspunkt genommen werden. In der Menschheit, einem Begriffe, der nichts Höheres neben sich kennt, besitzen wir das einheitliche Ganze, innerhalb dessen der Einzelmensch — das „gesellige Tier“ — nur als Bruchteil figuriert. Die innere Menschheit findet sich nun gewissermaßen niedergeschlagen in den Völkergedanken d. h. in den ursprünglichsten und eigen- tümlichsten, daher jedoch auch allgemeinsten menschheitlichen Ge- danken; in ihnen, nicht in den individuellen Empfindungen, offenbart sich das Wesen des Psychischen. So entsteht die Aufgabe einer Gedankenstatistik, die Aufgabe, ein Inventar über die Macht- sphäre des Selenlebens aufzunehmen. Alle Zeiten und alle Völker 4) „Die speziellen Methoden ...... sind ohne Ausnahme kein Ersatz, son- dern eine Ergänzung der unmittelbaren Selbstwahrnehmung“ (S. 179). 2) Ein ganz moderner Gedanke, der lebhaft an den ästhetischen Kodex des jungen Künstlergeschlechtes erinnert. 542 Münsterberg, Aufgaben und Methoden der Psychologie. müssen berücksichtigt werden; alle Zeichen geistiger Thätigkeit sind zu sammeln, zu vergleichen, nach höheren Einheiten zusammenzuordnen und in einer Entwickelung darzustellen. Die Buntheit der Lokal- differenzen stört diese Arbeit nicht, im Gegenteil, sie lässt sich nütz- lich verwerten, da, den abgeschlossenen Kreisen einer bestimmten Fauna oder Flora entsprechend, eine geographische Provinz auch für den psychischen Menschen existiert und als solche beschrieben werden kann. Dagegen fehlt der Völkerkunde ebenso wie etwa der Tierkunde an sich jede Berührung mit der Chronologie. Man verzeihe die Abschweifung und gestatte, dass ich ein paar Einzelheiten erledige, ehe ich zu den beiden noch übrig bleibenden Hauptpunkten übergehe, in denen ich Münsterberg’s Darstellung aus vollem Herzen beistimmen kann. Während der Abschnitt über den Hypnotismus sich durch Sach- kenntnis und Besonnenheit auszeichnet, finde ich in den kurzen Be- merkungen über Telepathie ein seltsames Missverständnis. Der Verf. unterscheidet dort eine „wirkliche“ Telepathie von der experimentellen und spontanen Gedankenübertragung und behauptet von jener, dass sie der notwendigen Voraussetzung einer Erkenntnismöglichkeit wider- spreche. Dies kann wohl bloß so verstanden werden, dass die „wirk- liche“ Telepathie eine Vermittelung psychischer Inhalte von einem Menschen zum andern ohne jedes körperliche Zwischenagens be- deuten soll. Aber von einer solehen Telephonverbindung ohne Draht hat m. W. noch nie ein zurechnungsfähiger Mensch gesprochen. Unter genuiner Telepathie versteht man vielmehr die (noch nicht hinreichend erwiesene) Transmission von Gedanken auf einem bisher unbekannten physischen Wege, unter der unechten hingegen jene auf dem be- kannten, wenngleich oft unbemerkten Wege geringer Andeutungen, Suggestionen u. Ss. f£ — Unter Müusterberg’s Erwägungen zur experimentellen Normalpsychologie ist mir besonders eine als angriffs- fähig aufgefallen: sie betrifft die von ihm warm empfohlene „Ketten- reaktion“. Die Kettenreaktion besteht wesentlich darin, dass ein Reiz von etwa 10 Personen nacheinander gegenseitig appliziert und wahrgenommen und dass dann die Gesamtzeit für diese Vorgänge durch 10 dividiert wird, um die Reaktionszeit des Einzelnen, befreit von individuellen Zufälligkeiten und den Fehlern der üblichen Apparate, auszumitteln. Durch einen Druck mit dem Fuß wird der elektrische Strom geschlossen und geöffnet. Auf eine eingehende Kritik dieses mir ganz ungeheuerlich erscheinenden Verfahrens brauche ich mich wohl nicht einzulassen; wollte man boshaft sein, so könnte man sagen, der Verf. messe eigentlich nichts weiter als die Zwischenzeit zwischen zwei Fußtritten. Ich komme nun zu dem einen der beiden Hauptpunkte, die ich vorhin als erörterungswert erwähnte. Nachdem Herr Münsterberg den Vorteil geschildert hat, den die Forschungen der Experimental- Münsterberg, Aufgaben und Methoden der Psychologie. 543 physiologie dem Psychologen gewähren, betont er umgekehrt den Nutzen unserer Wissenschaft für die Vertreter der Gehirnphysiologie. Diese sollten endlich zu der Einsicht gelangen, „dass derjenige physio- logische Forscher, welcher glaubt, für seinen psychophysiologischen Hausgebrauch seine Psychologie sich allenfalls selbst zurechtzimmern zu können, voraussichtlich gerade ebenso die Thatsachen auf den Kopf stellen wird, wie etwa derjenige Psychologe, welcher glauben würde, die Physiologie sich selber ausdenken zu können“. Hierin bin ich durchaus mit unserem Autor einverstanden. Ich kann mir den unter den Physiologen herrschenden Irrwahn nur aus zwei Gründen ° erklären. Einmal scheint die Vorstellung zu bestehen: es sei in der Psychologie überhaupt nichts Sicheres festgestellt, und zum Andern scheint man zu glauben: es sei ein voraussetzungsloses Be- obachten und Experimentieren in den Naturwissenschaften möglich. Dass beide Annahmen hinfällig sind, wird bei näherem Zusehen kaum bestritten werden können; sie allein aber machen m. E. die Haltung der führenden Forscher begreiflich. Zum Schluss ein paar Worte über die Ergebnisse der Münster- berg’schen Methodenstudie für die wissenschaftliche Auffassung und den praktischen Betrieb der Psychologie. Wenn man die gewaltige Ausdehnung überblickt, die hiernach die Psychologie besitzt, so wird man von Neuem zu der Forderung gedrängt, dass endlich dieser selbständigen Wissenschaft das Recht einer selbständigen Vertretung im Lehrplane der größeren Universitäten zu Teil werde. Nur wenigen Bevorzugten ist es vergönnt, neben allen Disziplinen der Philosophie samt ihrer Geschichte die vielgliedrige Erfahrungswissenschaft Psychologie zu umspannen. Für das Durchschnittsvermögen der Lehrenden wie der Lernenden bietet die Psychologie allein schon den Anblick eines unermesslichen Feldes, auf dem sich der Einzelne be- scheiden ein Stückchen absteckt. Wie die Physiologie sich aus den Mutterarmen der Anatomie entwunden und auf eigene Füße gestellt hat, ohne doch die innigste Berührung mit der Erzeugerin zu ver- lieren, so darf auch die Psychologie auf eine freiere Stellung zur Philosophie hoffen, ohne dass dieser der entscheidende Einfluss ge- raubt zu werden braucht. Da Ref. schon öfters im gleichen Sinne sich geäußert hat und Münsterberg’s Schrift ebenso ausklingt, so mag es für dieses Mal an dem kurzen Hinweis genug sein. Die Besprechung darf aber nicht schließen, ohne darauf aufmerksam zu machen, dass das Buch positive Vorschläge in der angedeuteten Richtung nicht enthält. Max Dessoir (Berlin). 544 Versammlung des Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. Siebente Versammlung des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege zu Leipzig am 17., 18., 19. u. 20. Sept. 1891. Mittwoch, den 16. September. 8Uhr Abends. Tagesordnung: Gesellige Vereinigung. Donnerstag, den 17. September. 9 Uhr Vormittags: Erste Sitzung. Tages- ordnung: I. Antrag des Ausschusses betr. Systematische Unter- suchungen über die Selbstreinigung der Flüsse. Referent: Ober- ingenieur F. Andreas Meyer (Hamburg). U. Ueber dieAnforderungen der Gesundheitspflege an dieBeschaffenheit der Milch. Referent: Professor Dr. Soxhlet (München). Nachmittags: Besichtigungen nach Wahl oder nach einander: Schülerwerkstatt in der alten Thomasschule am Thomaskirchhof; Stadtkrankenhaus, Liebigstraße 20; Siechenhaus, Filiale des Krankenhauses, Windmühlenweg 8; Kinderkrankenhaus, Platzmannstraße und Öststraße; Johannisstift, Hospitalstraße 36. Freitag, den 18. September. 9 Uhr Vormittags: Zweite Sitzung. Tages- ordnung: III. Die Handhabung der gesundheitlichen Wohnungs- polizei. Referenten: Stadtbaurat Stübben (Köln). Oberbürgermeister Zweigert (Essen). IV. Sanatorien für Lungenkranke. Referent: Privatdozent Dr. Moritz (München). Nachmittags: Besichtigungen: Sie- bold’s Milchsterilisierungs-Anstalt, Querstraße 14 (in der inneren Ostvorstadt); Meyer’s Arbeiterwohnhäuser in Lindenau (im Westen, Pferdeeisenbahn nach Lindenau); achte Bezirksschule an der Scharnhorststraße (im Süden); Jugend- spiele auf den Bauernwiesen (nahe der achten Bezirksschule). 7 Uhr Abends: Gewandhaus-Extrakonzert im Konzerthause. Sonnabend, den 19. September. Früh Morgens: Besichtigung der Markt- halle. 9 Uhr Vormittags: Dritte Sitzung. Tagesordnung: V. Kühlräume für Fleisch und andere Nahrungsmittel. Referent: Geh. Medizinalrat Professor Dr. Franz Hofmann (Leipzig). VI. Die Schulspiele der deutschen Jugend. Vortrag von Turninspektor August Hermann (Braunschweig). 1—2 Uhr: Motette in der Thomaskirche. Nachmittags: Ge- meinsame Besichtigung des Wasserleitung-Hochreservoirs, des südlichen Friedhofes, der zweiten Gasanstalt und des Schlacht- und Viehhofes. 7 Uhr Abends: Besuch des Theaters. Von 8 Uhr an: Freie Vereinigung im Krystallpalast (Wintergartenstraße 17). Sonntag, den 20. September. Ausflug nach dem Rochlitzer Berg. Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wünschen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten anzugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut“ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Eurgelgeis in Erlangen. 24 Nummern ı von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI. Band. 15. September 1891. N. 18. Inhalt: Möbius, Ueber endophytische Algen. — Naeh über Herrn Dr. Wolff’s Kritik der Darwin’schen Lehre. — V erson, Zur Beurteilung der amitotischen Kernteilung, — Frenzel, Zur Beurteilung der amitotischen (direkten) Kernteilung. — Resenthal, Die Wärmeproduktion im Fieber. — Stern, Ueber das Auftreten von Oxyhämoglobin in der Galle. Ueber endophytische Algen. Von M. Möbius in Heidelberg. Es ist eine bekannte Erscheinung, dass man kaum eine größere Alge untersuchen kann, ohne an ihr verschiedene kleinere Algen an- haftend zu finden: an den derberen Brauntangen haben sich zierliche Florideen angesiedelt, diese tragen wiederum Cyanophyceen oder sind mehr oder weniger mit Diatomeen bedeckt. Während es hier oft Zufall ist, dass die eine Alge auf der anderen wächst, gibt es auch gewisse Formen, die darauf angewiesen sind, andere Algen oder sonstige Wasserpflanzen als Substrat zu benutzen, besonders nämlich diejenigen, deren Thallus die Gestalt einer mit der Unterseite ange- wachsenen Scheibe besitzt, wie unter den Florideen die mit Kalk inkrustierten Melobesien, unter den Phaeophyceen beispielsweise Myrio- nema, unter den Chlorophyceen Phycopeltis, Chaetopeltis, manche Arten der Gattung Coleochaete, u. a. Schließlich gibt es auch solche, die in die Substanz anderer Organismen eindringen und den eben genannten Epiphyten gegenüber als Endophyten zu bezeichnen sind. In einem Conspectus algarum endophytarum‘) habe ich versucht, alle als endophytisch bekannten Algenarten zusammenzustellen und die betreffende Litteratur möglichst vollständig anzuführen. Allerdings habe ich dabei die rein zoologischen Arbeiten, in denen endophytische Algen, wie die Zoochlorellen und Zooxanthellen behandelt werden, nicht so eingehend berücksichtigt, da mehrere Arbeiten, die zum Teil 1) Notarisia, Commentarium phyeologieum 1891. Zu den dort angeführten Arten würde noch hinzuzufügen sein: Schmitziella endophloea Born. et Batt. und Ectocarpus investiens (Thur.) Hauck. XI. 35 546 Möbius, Endophytische Algen. auch in dieser Zeitschrift erschienen sind, den Gegenstand ausführlich behandeln. Ganz abgesehen habe ich von den in den Flechten ein- geschlossenen Algen, weil hier einfach auf die lichenologischen Hand- und Lehrbücher verwiesen werden kann. Die Ergebnisse, zu denen ich bei Betrachtung aller einzelnen Fälle von endophytischer Lebensweise der Algen geführt wurde, habe ich kurz in den Conelusiones der genannten Arbeit zusammengestellt und es sei mir erlaubt, dieselben hier in etwas erweiterter Form wieder- zugeben, da sie vielleicht auch für einen größeren Kreis als den der Algologen einiges Interesse haben. Wir können zunächst fragen, ob es bestimmte Abteilungen, Familien oder Gruppen von Algen sind, die sich durch endophytisches Vor- kommen auszeichnen. Von den etwa 100 Arten, die mir als solche bekannt geworden sind, gehören weitaus die meisten zu den grünen Algen, den Chlorophyceen, auf sie folgen die Cyanophyceen, dann die Rhodophyceen, dann die Phaeophyceen; endophytische Diatomeen !) sind nicht bekannt. Unter den Chlorophyceen wiederum sind am stärksten die Protococcoideen vertreten, was sich daraus erklären lässt, dass ihr kleiner, aus nur einer Zelle bestehender Körper leicht in anderen Organismen Raum findet und anderseits des Schutzes be- sonders bedarf. Es ist kein Wunder, dass aus Europa, als dem am besten durch- forschten Lande, die meisten endophytischen Algen bekannt sind. Es ist indess zu erwarten, dass viele derselben, besonders Süßwasser- formen, die ja oft eine ubiquitäre Verbreitung besitzen, sich auch in andern Erdteilen werden auffinden lassen; die Ohlorochytrium-, Endo- sphaera-, Phyllobium-Arten u. a. kommen wahrscheinlich allenthalben vor. Natürlich richtet sich das Vorkommen der Endophyten nach dem ihrer Wirte, wenn sie auf bestimmte Wirte angewiesen sind. So finden wir Nostoc Gunnerae Reinke und Anabaena Azollae regelmäßig in den Gunnera- und Azolla-Arten, wo immer dieselben auftreten, so dass z. B. Anabaena Azollae aus Amerika, Asien, Afrika und Australien bekannt ist. Ein anderes Beispiel einer weiten Verbreitung ist Mar- chesettia spongioides Hauck, jene Floridee, welche im Körper der Spongie Reniera fibulata lebt: man hat sie bei Singapore, Üelebes, den Philippinen, Neukaledonien, Neuguinea, Madagascar und sogar im adriatischen Meere gefunden. Im Gegensatze dazu sind zahlreiche Arten nur von einem Fundorte bekannt, sie sind eben dann gewöhn- 1) Es sei aber bei dieser Gelegenheit auf die eigentümliche Symbiose aufmerksam gemacht, in der eine Chaetoceras-Art mit einer Protozoe (Tintinnus inquilinus) lebt und die zuletzt von Famintzin (Mem. de l!’Acad. de St. Petersbourg, Ser. VII, T. 36, Nr. 16, 1889) beschrieben ist. Die beiden Zellen von Chaetoceras und Tintinnus werden dicht neben einander in Verbindung gefunden und wahrscheinlich schützt der erstere den letzteren durch die langen stacheligen Auswüchse seiner Schale. Möbius, Endophytische Algen. 547 lich nur einmal beobachtet worden. Auch dafür seien Beispiele an- geführt: die merkwürdige Floridee Episporium Centroceratis Möb. ist von mir nur auf einem Centroceras aus Westaustralien gefunden worden; die Phaeophycee Streblonemopsis irritans V al. hat Valiante nur auf einer Üystoseira bei Neapel beobachtet, die einzelligen grünen Algen: Chlorochytrium rubrum Schröter, Chl. laetum Schröter, Chl. viride Schröter sind nur bei Breslau, Ohl. dermatocolax Reinke in der Ostsee, Stomatochytrium Limnanthemum Cunningh. nur in den Blät- tern eines ostindischen Limnanthemum, Peroniella Hyalothecae Gobi nur in Finnland, die aus verzweigten mehrzelligen grünen Fäden be- stehenden: Endoclonium chroolepiforme Szymanski nur bei Breslau, E. polymorphum Franke nur bei Messina, E. pygmaeum Hansg. und Periplegmatium gracile Hansg. nur in Böhmen, Phaeophila horrida Hansg. nur bei Fiume, Ph. Engleri Reinke nur in der Ostsee, Trentepohlia spongophila Web. van Bosse nur auf Sumatra, Siphono- cladus voluticola Hariot nur in Patagonien, Blastophysa rhizopus Reinke nur in der Ostsee, Zygomitus reticulatus Born. et Flah. nur bei Croisie in Frankreich und die Siphonee Phytophysa Treubii Web. van Bosse nur auf Java, und, wie gesagt, meist nur einmal beobachtet worden. Hierher würde auch die kleine grüne Alge gehören, welche ich seit vorigem Jahre auf einer Cladophora in einem Bassin des Heidelberger botanischen Gartens beobachte und die ich im Con- specetus unter dem provisorischen Namen Bolbocoleon endophytum be- schrieben und abgebildet habe). 1) Leider ist es mir noch nicht gelungen, die Entwicklung dieser Alge klar zu stellen, doch kann ich wenigstens einiges aus meinen in diesem Früh- jahr gemachten Beobachtungen den früheren hinzufügen. Was zunächst die Haare betrifft, so entstehen sie einzeln oder zu zwei auf dem Rücken der Zellen als farblose Ausstülpungen, die sich dann durch eine Querwand ab- gliedern, sie wachsen an der Spitze weiter und erreichen eine Länge von 0,2 mm bei einer Dicke von 1—2 «u. Dabei bleiben sie immer ungeteilt und unterscheiden sich dadurch von den septierten Haaren von Herposteiron (NäÄg.) Hansg., während sie mit den Membranborsten von Aphanochaete (Berth.) Hansg. u. a überhaupt nicht zu vergleichen sind; allerdings weichen sie auch im Bau von denen der Pringsheim’schen Gattung Bolbocoleon nicht unwesentlich ab. Ich fand nun auch eine auf der Cladophora epiphytisch wachsende Alge, welche dieselbe Verzweigung, dieselben Haare und dieselbe Zellform zeigte, wie die endophytische, nur hatten die Zellen etwas kleinere Dimensionen und enthielten oft nur ein Pyrenoid. Deshalb glaube ich, dass beide Formen zusammengehören, wie ja auch bei Eindoclonium polymorphum ein freier und ein endophytischer Zustand beobachtet worden ist. An der epiphytischen Form sah ich an einem Tage mehrmals die Bildung von Schwärm- sporen, welche zu 2 aus einer Zelle austreten, mit 2 Cilien versehen sind, eines roten Pigmentflecks aber zu entbehren scheinen. Ihre weitere Entwicklung gelang mir nicht zu verfolgen. Vermutlich aber produzieren sie die endo- phytische Form, denn von dieser beobachtete ich vielfach einzellige Anfangs- stadien. Ueber der in die Oladophora-Membran eingedrungene Zelle war noch 35* 548 Möbius, Endophytische Algen. Die endophytischen Algen kommen nun, wie Algen überhaupt, sowohl im Meere, als auch im süßen Wasser und außerhalb des Wassers vor; die meisten aber sind Bewohner des Meeres. So finden sich alle Rhodophyceen und Phaeophyceen mit Ausnahme von Chan- transia natürlich im Meere, ferner fast alle die Algen, welche in der Substanz von Muschelschalen angetroffen werden, auch zahlreiche andere zu den Chlorophyceen gehörende sind marin. Einige Gattungen haben sowohl im salzigen als auch im süßen Wasser ihre Vertreter, wie Periplegmatium, Zoochlorella und Zooxanthella. Als A&rophyten sind die Gattungen Stomatochytrium, Phyllobium, Mycoidea, Phyllo- siphon, Phytophysa, Trichophilus und Cyanoderma zu bezeichnen, deren Arten meistens in den Blättern von Landpflanzen leben, während sich die der beiden zuletztgenannten Gattungen als höchst eigentümlichen Wohnort die Haare von Faultieren ausgesucht haben. Die Chloro- chytrium-Arten leben teils in Wasser- teils in Landpflanzen, also teils im süßen Wasser, teils an der Luft. Entophysa Charae Möb. findet sich im Brackwasser und schließlich ist noch die Anabaena zu er- wähnen, welche in den Wurzeln der Cycadeen vorkommt, also, eine auffallende Erscheinung unter den Algen, unter der Erde gedeiht. Ferner sehen wir, dass die endophytischen Algen teils auf eine bestimmte Pflanzen- oder Tier-Species als ihren Wirt angewiesen sind, teils in verschiedenen Wirten vorkommen. Wenn aber eine solche Alge bisher nur in einer Species gefunden worden ist, so ist damit nicht gesagt, dass sie nur in derselben leben könne, sondern es ist in vielen Fällen wahrscheinlich, dass es nur an dem Mangel genügen- der Beobachtungen liegt, wenn der betreffende Endophyt nicht auch anderswo entdeckt wurde. Warum sollte z. B. Endosphaera biennis Klebs nur in den Blättern von Potamogeton lucens und nicht auch in den Blättern anderer Potamogeton-Arten oder anderer Wasserpflanzen vorkommen? Aehnlich verhält es sich mit Ohlorosphaera endophyta Klebs und Chl. Alismatis Klebs, mit Periplegmatium gracileHansg., Eindoclonium polymorphum Franke u. a. Anderseits scheint es doch, dass gewisse Algen aus uns unbekannten Gründen auf nur eine Wirts- Species angewiesen sind, da sie mehrfach in dieser und sonst nirgends gefunden wurden. So kommt Chlorochytrium Lemnae Cohn nur in Lemna trisulca, aber in keiner andern Lemna-Art vor, während von die entleerte Zellhülle mit ihr in Verbindung stehend sichtbar, woraus hervor- geht, dass das Eindringen in derselben Weise geschieht, als es v. Lager- heim für Chloroeystis Cohnii (Wright) Reinhard beschrieben hat (Svet. Vet. Akad. Öfvers., 1884). Ebenso wie der Keimling die äußere Membran der Cladophora von außen nach innen durehbohrt, so durchbohren später die Haare des Endophyten die Membran seines Wirtes von innen nach außen, was jedenfalls als eine sehr auffallende Erscheinung zu bezeichnen ist. Die Ent- wicklung von Schwärmsporen aus der endophytischen Form habe ich an der lebenden Pflanze nicht beobachten können, so oft ich sie auch zu verschiedenen Tageszeiten untersuchte. Möbius, Endophytische Algen. 549 Chl. Knyanum Cohn et Szymanski gerade Lemna trisulca gemieden wird. Phyllosiphon Arisari Kühn scheint ebenso nur in Arisarum vulgare seine Existenzbedingungen zu finden. Aus dem Grade der gegenseitigen Anpassung dürfen wir wohl ferner schließen, dass Ricardia Montagnei Derbes et Solier und Janczewskia verrucae- Formis Solms nur in Laurencia obtusa, Episporium Centroceratis Möb. nur in Centroceras clavulatum, Streblonemopsis irritans Val. nur in Oystoseira opuntioides, Trentepohlia spongophila Web. van Bosse nur in Ephydatia fluviatilis, Struvea delicatula Ktz. nur in Halichon- dria spec. zu existieren vermögen. Bei manchen Algenarten müssen die Wirte wenigstens zu derselben Gattung oder Familie gehören, indem wir sehen, dass Nostoc Gunnerae Reinke die Arten von Gun- nera regelmäßig bewohnt und die schon erwähnte Anabaena sich in den Wurzeln verschiedener Cycadeen, doch nicht regelmäßig, vorfindet. Es sind aber auch solehe Algen bekannt, die sich unter annähernd gleichen Existenzbedingungen in sehr verschiedenen Wirten vorfinden. So kommt Periplegmatium Ceramü Ktz. (Entocladia viridis Reinke) in den verschiedensten Meeresalgen, Chlorocystis Cohnü (Wright) Reinhard nicht bloß in Meeresalgen, sondern auch in Hydrozoen, Rhodochorton membranaceum Hauck in Hydrozoen und Spongien, Myecoidea parasitica Cunningh. in den Blättern zahlreicher tropischer Pflanzen mit lederigen Blättern vor. Nach Reinsch’s allerdings nicht weiter bestätigter Angabe soll fast jede größere Floridee von einer Art der zu den Phaeozoosporeen gehörigen Gattung Eintonema inficiert sein. In wieviel verschiedenen Tieren sich die Zoochlorellen und Zooxanthellen aufhalten, ist den Zoologen und Botanikern bekannt. Was nun die Natur der als Wirte funktionierenden Organismen betrifft, so gehören sie in größerer Anzahl dem Pflanzen- als dem Tierreiche an, und zwar sind es hauptsächlich wiederum Algen, näm- lich die größeren marinen Formen von Rhodophyceen, Phaeophyceen und Chlorophyceen. Aber auch die anderen Ordnungen des Pflanzen- reichs haben wenigstens einige Vertreter unter den Wirten der endo- phytischen Algen. Von den Pilzen könnten wir die flechtenbildenden hierher rechnen; sehen wir von diesen aber ab, so wäre höchstens zu erwähnen, dass eine Nostoc-Art in einigen Pezizen und andern Ascomyceten gefunden wurde, ohne dass es sich um Flechtenbildung handelte, Unter den Moosen sind Blasia und Anthoceros wegen ihrer Symbiose mit Nostocaceen bekannt, aber auch andere Leber- und Laubmoose, letztere freilich weniger, können als Wirte dienen, be- sonders die leeren und durchlöcherten Zellen der Sphagnen geben kleineren Algen einen Aufenthaltsort ab. Die Azolla-Arten beherbergen zwar konstant die schon erwähnte Anabaena, sind aber auch die einzigen Vertreter der Gefäßkryptogamen in solcher Beziehung. Von den Gymnospermen dienen die Cyeadeen, von den Monokotylen und Dikotylen zahlreiche nicht im Einzelnen anzuführende Arten als Algen- 550 Möbius, Endophytische Algen. wirte, sogar eine Meeresphanerogame gehört zu letzteren, da Phaeophila Floridearum auch in Zostera marina gefunden wurde. Die Tiere, welche Algen beherbergen, sind meist solche, die im Wasser, im salzigen oder süßen leben, es sind aber hier Reptilien, Mollusken, Würmer, Eehinodermen, Cölenteraten und Protozoen vertreten. Die Faultiere, Bradypus- und Choloepus- Arten, dürften wohl die einzigen Vertreter der Land- und zugleich Säugetiere sein, die hier zu nennen sind; auf die sonderbare Erscheinung, dass in der Substanz ihrer Haare gewisse und zwar sonst nieht vorkommende Algen sich an- siedeln, wurde schon oben hingewiesen. Es ist noch zu berücksich- tigen, ob die Algen in den sie aufnehmenden Organismen in Hohl- räumen des Körpers oder in der Körpersubstanz selbst, ferner ob intracellular oder intercellular leben. Zunächst können wir jene Algen bei Seite lassen, die Bornet als Algues perforantes bezeichnet hat, die nämlich sich in Muschelschalen einbohren und dort vegetieren; ihnen würde sich das in der Schale von Emys europaea lebende Dermatophyton radicans Peter anschließen. In Membranen oder Horn- fasern von Tieren kommen nur wenige Algen vor: BRhodochorton membranaceum, ein Callithamnion, Chlorocystis Cohnii und vielleicht, nach einer von mir gemachten Beobachtung, Periplegmatium Ceramii. Aber in den Zellwänden der Pflanzen lebt eine größere Anzahl von endophytischen Algen und besonders in den weichen, wasserreichen und leicht quellbaren der Algen selbst, speziell der Rhodophyceen und Phaeophyceen des Meeres, deren Gewebe ja auch der Intercellular- räume, die für höhere Pflanzen so wichtig sind, im Allgemeinen ent- behrt. Unter solcher Existenzbedingung leben Arten von Antithamnion, Callithamnion, Episporium, Harveyella, Ricardia, Janczewskia, Streb- lonemopsis, Periplegmatium, Entophysa, Blastophysa, Chlorocystis, Phaeo- phila, Chaetonema, Peroniella und das von mir beschriebene Bolbocoleon endophytum. Bemerkenswert ist Myeoidea parasitica als die einzige Art, die in der Membran einer Phanerogame außerhalb des Wassers lebt, nämlich zwischen der äußeren Epidermismembran und der Cutieula in Laubblättern (s. oben). Von den andern Algen, die intercellular vor- kommen, können wir wieder solche unterscheiden, die in Tieren, und solche, die in Pflanzen sich aufhalten. Zu letzeren gehören besonders Formen, die in den Intercellularräumen des Gewebes von Blättern höherer Pflanzen gefunden wurden, sei es dass sie bereits vorhandene Räume z.B. die Atemhöhlen unter den Spaltöffnungeu benutzen, wie Eindoclonium polymorphum und Stomatochytrium Limnanthemum, sei es, dass sie die Zellen des Blattes erst auseinanderdrängen, wie es die Arten von Chlorosphaera, Chlorochytrium (wenigstens viele), Zndo- sphaera, Scotinosphaera, Phyllobium, Phyllosiphon und Phytophysa thuen. Ja es sind Fälle bekannt, wo die Pflanze selbst besondere Räume, Domatien, für ihre Algengäste entwickelt, das sind für Nostoc liche- noides die Höhlen auf der Unterseite des Thallus der Anthoceroteen Möbius, Endophytische Algen. 551 und die sogenannten Blattohren von Dlasia pusilla und für Anabaena Azollae die Höhlungen des oberen Blattlappens der Azolla-Arten. Die mit Tieren symbiotisch lebenden Algen drängen gewöhnlich die Gewebe- Elemente des Tierkörpers auseinander und verändern dadurch dessen Gestalt, wie wir es bei den Spongien bewohnenden Algen finden: Marchesettia, Spongocladia, Struvea, Chroococcus Raspaigellae, Oscillaria Spongeliae. Ihnen können wir Trichophilus und Cyanoderma anschließen, welche sich zwischen den Zellen der Haarsubstanz ansiedeln. Die Zoochlorellen und Zooxanthellen dagegen werden in das Plasma der tierischen Zelle selbst aufgenommen. Auch in die Zellen der Pflanzen dringen manche endophytische Algen ein, wie Nostoc Gunnerae; Trentepohlia endophytica wächst inter- und intracellular im Gewebe der Jungermanniaceen; Periplegmatium gracile dringt nicht nur in die Membran sondern auch in die Zellen von Oladophora fracta selbst ein und eine Ohantransia-Form durchwächst ähnlich wie Pilzhyphen die Zellen abgestorbener Pflanzenteile. Nicht eigentlich endophytisch sind wohl jene Algen zu nennen, die sich in den leeren Zellen von Sphagnum oder in Chlorochytrium Lemnae, nachdem es seine Sporen entleert hat, finden, denn es sind zum Teil Algen, die sonst freilebend vorkommen und offenbar mehr durch Zufall in entleerte Räume ge- raten sind. Hinzufügen müssen wir aber, dass manche endophytische Algen nicht völlig im Körper ihres Wirtes eingeschlossen leben, son- dern gewisse Teile frei nach außen entwickeln. Den einfachsten Fall finden wir bei Scotinosphaera paradoxa Klebs, deren einzelliger Thallus halb aus dem Blatt oder Stengel von Hypnum hervorragen kann. Bei den fadenförmigen Mycoidea und Struvea verlängern sich die Fäden zum Teil über die eingeschlossenen Partien und wachsen frei. Phaeophila Floridearum und mein Bolbocoleon senden Borsten resp. Haare durch die Membran der Wirtspflanze nach außen. End- lich leben bei einigen parasitischen Florideen die vegetativen Teile im Innern anderer Algen, während die Fortpflanzungsorgane außer- halb gebildet werden, so bei Harveyella mirabilis Schmitz et Reinke, Ricardia Montagnei, Janczewskia verrucaeformis und Melo- besia Thureti Born. Schließlieh wären noch die physiologischen Beziehungen zu er- örtern, in denen die Algen zu ihren Wirten stehen. Wenn aus dem Endophytismus beide Partien Vorteil zu ziehen scheinen, so sprechen wir von Symbiose, ein Verhältnis, über das, auch bezüglich der Algen, bereits so viel geschrieben worden ist, dass ich mich darauf be- schränken kann, die Hauptarbeiten zu zitieren'). Es lässt sich auch 4) A. de Bary, Ueber Symbiose (Tagebl. d. 51. Vers. deutscher Naturf. und Aerzte in Kassel, 1878); G. Klebs, Ueber Symbiose ungleichartiger Organismen (Biolog. Centralb., 1882); A. Weber vanBosse et Max Weber, Quelques cas de symbiose (Zoolog. Ergebnisse einer Reise nach niederländisch Ost-Indien, herausg. v. M. Weber, Heft I, Leiden 1890); ferner Arbeiten von 552 Möbius, Endophytische Algen. nichts Allgemeines darüber sagen, inwieweit die Algen von ihren Wirten ernährt werden, sondern es ist dies für jeden einzelnen Fall besonders zu prüfen und es ist fraglich, ob ein Resultat mit Sicher- heit allemal zu erlangen ist. Dass viele endophytische Algen ihren Wirten Nährstoffe entziehen, steht für mich außer Zweifel. Doch wollen wir nur untersuchen, welche äußeren Veränderungen diese Endophyten hervorrufen können und ob sie wirklich schädlich zu wirken vermögen. Am auffallendsten sind wohl die Veränderungen, welehe unter dem Einfluss von Nostocaceen bei Anthoceros und Blasia, wie oben erwähnt, auftreten, aber es handelt sich dabei um eine offenbar der Wirtspflanze nützliche Umgestaltung ihrer Organe, es ist Symbiose. Wahrscheinlich verhält es sich ähnlich bei den Spongien, die von Algen durchsetzt werden, und dabei die Form oder Größe oder Farbe oder alles zugleich verändern, wofür das beste Beispiel die Symbiose von Struvea und Halichondria abgibt. Die in Pflanzen lebenden Algen bringen oft Deformationen an ersteren hervor. Ganz unbedeutend und jedenfalls ohne Nachteil für die Pflanze sind sie bei Chlorochytrium, Endosphaera und andern in Blättern lebenden Algen: sie drücken die benachbarten Zellen etwas zusammen, das ganze Blatt aber leidet wohl nicht darunter. Andere Deformationen können wir schon geradezu als Algengallen bezeichnen, aber auch sie dürften noch nicht das Leben der inficierten Pflanze gefährden. Besonders auffallende Gallenbildungen finden wir an Oystoseira opuntioides durch Streblonemopsis irritans und an den Sprossteilen der Pilea - Arten, welche von Phytophysa Treubii befallen sind. Auch an den Cycadeen- wurzeln sind die Stellen, wo sich Anabaena eingenistet hat, äußerlich kenntlich und zeigen einen vom normalen abweichenden anatomischen Bau. Zu erwähnen wäre vielleicht noch die Krümmung der Fäden, welche das schon wiederholt erwähnte Bolbocoleon an Oladophora be- wirkt. Wir können aber in einigen Fällen einen geradezu schädigen- den Einfluss konstatieren. So wird angegeben, dass Trenteyohlia endophytica die infiecierten Zellen der Jungermanniaceen tötet. Wenn ein Blatt von Mycoidea parasitica befallen wird, so bildet sich unter den betreffenden Stellen im Mesophyll eine Art von Wundkork aus und die angrenzenden Zellen sterben ab; diese Erscheinung ist als eine offenbar für Mycoidea charakteristische im Gegensatz zu der epipbytischen Phycopeltis und ähnlichen Algen von den Systematikern noch zu wenig gewürdigt worden. Als eine Schädigung der Wirts- pflanze müssen wir es natürlich auch betrachten, wenn ihre Repro- duktionsorgane von endophytischen Algen befallen werden und dadurch nicht zur Ausbilduug kommen können. Hierher würde der von Reinsch beschriebene Fall gehören, dass ein Hypheothrix-Faden in ein Oogonium von Oedogonium eindringt und seinen Inhalt resorbiert; ferner die von G. Entz, V. B. Wittrock u. a., bezüglich derer das Litteraturverzeichnis in meinem Conspectus zu vergleichen ist. Emery, Kritik der Darwin’schen Lehre. 553 mir beobachtete Erscheinung, dass die Tetrasporangien von Centroceras, in deren Membran sich das Episporium angesiedelt hat, keine Tetra- sporen bilden, sondern zu übermäßiger Größe heranwachsen. Zuletzt erwähnen wir Phyllosiphon Arisari, das unter den Arisarum-Pflanzen geradezu Epidemien hervorruft, indem die von ihm befallenen Blätter erst gelbe Flecke bekommen und dann absterben. Dies ist aber auch, wie schon Frank in seinem Lehrbuch der Pflanzenkrankheiten er- wähnt, der einzige Fall, in dem eine Alge wie ein parasitischer Pilz als Krankheitserreger auftritt. Unser Interesse erregen die endo- phytischen Algen nicht durch die Veränderungen, welche sie an ihren Wirten verursachen, als vielmehr durch die Eigenschaften, mit denen sich diese sonst frei und selbständig lebenden Pflanzen dem Leben im Innern eines anderen Organismus angepasst haben. Nochmals über Herrn Dr. G. Wolff’s Kritik der Darwin’- schen Lehre. Von Professor C. Emery in Bologna. In Herrn Dr. Wolff’s „Erwiderung“ auf das, was er meinen „Angriff“ nennt, zeigt sich in schärfster Weise seine polemische Methode, welche hauptsächlich darin besteht, jeden einzelnen Satz von seinem be- sonderen Standpunkt aus isoliert zu betrachten und ad absurdum zu treiben. Ich habe nicht die Absicht den Streit weiter zu führen: hat Herr Wolff um meine nicht 3 Seiten lange Schrift zu wider- legen 10 Seiten gebraucht, so dürfte ich eine ganze Nummer des Biologischen Centralblatts niederschreiben, um die Argumentation meines Gegners zu bekämpfen. Ich will aber nur die wichtigsten Punkte berühren. Zuerst einiges zum Verständnis. — Unter numerischen Aende- rungen verstehe ich solche, die sich in Maß- oder Gewichtseinheiten leicht ausdrücken lassen (z. B. Länge von Füßen, Federn, Staub- gefäßen ete., Gewicht von Samen oder Eiern u. dergl.), wobei andere etwa zugleich vorhandene Variationen ganz ohne Bedeutung sind. Kom- pliziertere Formänderungen können in mehrere einfachere, in Maß- und Gewichtseinheiten ausdrückbare Differenzen aufgelöst gedacht werden. Solche numerische oder mathematische Variationselemente sind aber in den meisten konkreten (d. h. wirklich vorkommenden) Fällen in Mehrzahl mit einander kombiniert. Ich hielt es nicht für notwendig meinen Satz zu beweisen, dass die Variationen der Organismen immer messbar genannt werden können. Bei dieser Behauptung glaube ich mich mathematisch richtig ausge- drückt zu haben, denn jede nicht unendlich kleine Menge ist theoretisch messbar, selbst wenn sie so klein oder derart beschaffen ist, dass wir, mit unseren jetzigen Hilfsmitteln, nicht im Stande sind sie zu messen. Wären die Differenzen unendlich klein (d. h. kleiner als 554 Emery, Kritik der Darwin’schen Lehre. jede angebbare Menge), also was man in der Infinitesimalrechnung ein Differenzial nennt, so würden sie durch irgend welche nicht unend- liche Zahl multipliziert doch immer Null ergeben. Die Zahl der Generationen kann aber in einer phyletischen Reihe, wenn auch sehr groß, doch niemals unendlich sein; deswegen können die zu sum- mierenden Differenzen nieht unendlich klein sein, sonst würden sie keine schätzbare Summe bilden können. — Ein jeder, der mit den all- gemeinen Prinzipien der Matliematik vertraut ist, wird mich verstehen. Ich komme nun zur Streitfrage, zum Verhältnis der möglichen günstigen Variationen zu den ungünstigen. — Ich glaube, es bedarf, kaum eines Beweises, dass ein Organ um so schwieriger durch regel- lose Variation verbessert, desto leichter aber verschlechtert werden kann, je vollkommener es schon ist. Ebenso ginge es mit dem von mir als Beispiel aufgeführten Drucksatz: wimmelt er von Fehlern, so wird es nicht schwierig sein, dass er durch eine beliebige Aenderung verbessert oder doch nicht verschlechtert werde; ist er aber einigermaßen gut, so wird ihm beinahe jede Aenderung schädlich sein. — Im be- rechneten Beispiel habe ich willkürlich 5°/, nützlicher Variations- elemente angenommen, aber die Zahl derselben ist in jedem wirk- lichen Fall eine andere und damit auch die Zahl der günstigen, schäd- lichen und indifferenten Kombinationen. Hätte Herr Dr. Wolff meine Zahlen genauer betrachtet, so hätte er bemerkt, dass ich aus Ver- sehen, statt der Zahl jener Kombinationen von je 10 unter 200 Ele- menten, welche eines oder mehrere von 10 bestimmten Elementen enthalten — 9172 Billionen, dafür die viel geringere Zahl (1022) der Kombinationen von 10 Elementen zu 1, 2, 3........:. 9 ge- schrieben habe, ein Fehler den ich recht sehr bedauere. Von dieser bedeutenden Summe machen solche Variationen, welche nur 1—2 günstige Elemente neben 8 schädlichen oder indifferenten enthalten beinahe 9000 (8969) Billionen d. h. 39°/, von der Totalsumme (23.000 Billionen) der Variationen; nur 203 Billionen (also weniger als 1°/,) werden von solchen Veränderungen gebildet, die 3—9 nützliche Ele- mente enthalten. Durch diese Ausbesserung werden meine Schlüsse durchaus nicht verändert, wohl aber wird die Schlussfolgerung, welche Herr Wolff auf Grund meiner unrichtigen Zahlen gegen die Selek- tionstheorie führt, hart getroffen. In der Natur sind die Fälle wohl meistens viel komplizierter als der von mir berechnete und deshalb die Summierung aller denkbaren kombinierten Variationen im Laufe der Generationen nicht minder unmöglich: diese Unmöglichkeit allein wollte ich zu Gunsten der Panmixie- Hypothese beweisen. Herr Dr. Wolff klagt mich einigermaßen der Ketzerei an, weil ich mich für einen Darwinianer erkläre und dabei die Konkurrenz der Organe und den Atavismus als Momente, welche die Entartung nutz- loser Organe begünstigen, aufführe, weil ich nicht allein dem Gott Zufall und der Göttin Naturauslese huldige. Sollte dieses das Glaubens- Emery, Kritik der Darwin’schen Lehre. 555 bekenntnis jedes Darwinianers sein, so würde ich mich entschieden als kein solcher erklären. Die Naturauslese kann nicht Alles er- klären und die Variationen sind nicht ohne Regeln und Ursachen. Sind uns solche auch meistens unbekannt, so ist es doch erlaubt nach denselben zu suchen. — Mein Zweck war nicht, zu behaupten, dass die Panmixie allein zur Entartung nutzloser Organe führen muss, sondern nur, dass sie, wenigstens unter Umständen, dazu führen kann, und der wichtigste dieser Umstände ist eine genügende Variabilität des Organes. Alle Tiere und alle Organe sind nicht in gleichem Maße und in jeder Richtung veränderlich; ist die Variabilität gering, wie es bei uralten Einrichtungen wohl oft der Fall sein wird, so wird die Panmixie wenig schaden können. Ich wollte auch zeigen, dass andere Momente zur Entartung derselben Organe beitragen können. Meine Annahme, dass die Rückbildung nutzlos gewordener Organe von seiten des Atavismus durch Hemmung in der Ontogenese befördert werden könne, soll nach Herrn Wolff dem sogen. biogenetischen Grundgesetz widersprechen. Leider hat jenes „Grundgesetz“ bereits so viele Widersprüche erfahren, dass ihm einer mehr kaum noch Schaden möchte. Thatsächlich kann von manchen reduzierten Ge- bilden nachgewiesen werden, dass sie bis zum erwachsenen Zustand embryonale Formen und Strukturen erhalten. So bleiben rudimentäre Knochen sehr oft knorpelig; der Schultergürtel von Fierasfer und Enchelyophis bleibt nicht nur kuorpelig, sondern er bewahrt eine Form, die bei anderen Knochenfischen nur in früher Jugend besteht; ebenso behält die Augenlinse des Maulwurfs zeitlebens ihre embryonale zellige Beschaffenheit. Derartige Rückbildungsformen können kaum anders als Hemmungsbildungen angesehen werden, deren Entstehung wohl richtig dem Atavismus zugeschrieben werden darf. Und jene Organe, welche, wie Herr Wolff richtig bemerkt, in der Ontogenese zuerst angelegt werden um bald zu verkümmern, werden in der Regel, bevor die Atrophie beginnt, in ihrer Entwicklung auf einem mehr oder weniger frühen Stadium gehemmt. — Wie oft wird nicht eine und dieselbe Bildung von verschiedenen Forschern einmal als primitiv, ein anderes Mal als reduziert angesehen? Dem Atavismus d.h. dem Einfluss gewisser von Urahnen stammender Vererbungs- tendenzen gebührt, meiner Ansicht nach, in der Entwicklung mancher archaisch aussehenden Neubildungen, sowie in der Reduktion von späteren Generationen erworbener oder vervollkommneter Gebilde eine viel bedeutendere Rolle, als gewöhnlich angenommen wird. Diese atavistischen Tendenzen bilden in jeder Ontogenese ein notwendiges Moment, dessen Wirkung durch entgegengesetzte Vererbungstendenzen aus späteren Zeiten größtenteils ausgeglichen wird. Eine ausführliche Behandlung dieses Gegenstandes würde aber in den Rahmen dieser Schrift nicht passen. 556 Verson, Amitotische Kernteilung. Noch in einem anderen Punkt muss ich Herrn Dr. Wolff durchaus widersprechen, obschon er nicht direkt zur Streitfrage gehört; näm- lich in der Behauptung, dass die Naturauslese nur ein Organ nach dem anderen züchten kann. Dieses halte ich für falsch. Die Natur- auslese züchtet keine Organe, sondern Organismen !), begünstigt jedes be- fähigtere Exemplar, ohne Rücksicht darauf, ob es durch eine feine Nase, ein flinkes Bein, oder die Fähigkeit, der Kälte und sonstigen Krank- heitserregern zu widerstehen bevorzugt ist. Wenn man von natür- licher Züchtung von Organen redet, so ist das nur eine Abstraktion, welche der Wirklichkeit nicht entspricht. Vielleicht ist dieses wieder eine Ketzerei. Das Urteil überlasse ich den Lesern. Zum Schlusse will ich hinzufügen, dass ich mit Herrn Wolff die große Wichtigkeit der Situations- Vorteile anerkenne und sogar überzeugt bin, dass sie die Wirkung der Selektion unter Umständen beinahe ganz zu hemmen im Stande sind. Ich glaube aber, dass Herr Wolff im Allgemeinen die Bedeutung der Naturauslese unter- schätzt und zwar in Folge seiner dialektischen Methode, welche ihn dazu bringt jede Theorie zu verwerfen, welche ihm nicht auf alle Fälle anwendbar scheint, ohne zuerst gesucht zu haben, ob apparente Widersprüche wirklich jeder Aufklärung nicht fähig sind. Aus Dr. Wolff’s Schriften ist leicht zu sehen, was er nicht will, was er aber an die Stelle der Darwin’schen Hypothese stellen will, das zu ver- stehen, ist mir nicht gelungen. Zur Beurteilung der amitotischen Kernteilung. Von E. Verson in Padua. An die Hypothese Flemming’s anknüpfend nach welcher Fragmentierung des Kernes in den Geweben der Wirbeltiere nicht zur physiologischen Vermehrung und Neubildung von Zellen führen dürfte, sondern vielmehr eine Entartung oder Aberration dar- stellt, wo sie nicht etwa dem cellularen Stoffwechsel zu dienen hat, — sucht H. E. Ziegler (Biol. Centralblatt, XI, 8.372 u. fg.) weiter auszuführen, dass die amitotische Kernteilung, wo immer sie auftritt, stets im Sinne der oben zitierten Darlegung zu deuten ist. H.E Ziegler schöpft aus der eigenen Erfahrung sowie aus der Litteratur zahlreiche Beispiele, welche zu Gunsten einer solehen Be- urteilung der amitotischen Kernteilung im Tierreiche überhaupt sprechen. Bei der Tragweite der Konsequenzen, die sich aus dieser Verallge- meinerung ergeben, dürfte jedoch jedwelehe Erweiterung unserer dies- bezüglichen Kenntnisse, mögen sie in welchem Sinne auch immer zur 1) Ebenso geht es in der künstlichen Zuchtwahl, denn der Züchter wird, wenn auch sein Augenmerk besonders auf eine bestimmte Eigenschaft seiner Tiere gerichtet ist, doch kein Exemplar für die Zucht verwenden, welches sonst in anderer Weise bedeutende Fehler besitzt. Verson, Amitotische Kernteilung. 557 schwebenden Frage ausfallen, nicht zu verschmähen sein. Und so sei es mir an dieser Stelle gestattet die Aufmerksamkeit der Forscher auf einen Befund zu lenken, der, wenn ich nicht irre, mit den An- schauungen Ziegler’s nicht recht vereinbar zu sein scheint. In einer 1889 erschienenen Schrift, welche wohl übersehen wurde (La Spermatogenesi nel Bombyx mori — Publicazioni sovvenute della R. Stazione Bacologica — Padova), konnte ich für den Seidenspinner beweisen — und nachträgliche Untersuchung bestätigte es auch für andere Lepidoptera —, dass die noch heute geläufigen Anschauungen über die ersten Phasen der Spermatogenesis zum Teil unvollständig, zum Teil unrichtig sind. Jedes Hodenfach enthält nämlich nahe seiner Basalfläche einen länglichen, achromatischen Riesenkern '), der bisher allen Beobachtern entgangen ist, und in der erwachsenen Larve etwa 0,01 auf 0,015 mm misst. Derselbe ist von einem breiten Protoplasmahofe umgeben welcher peripherisch in zahllose, radiär verlaufende, stellenweise noch seitlich zusammenhängende Zipfeln auseinanderfasert. Und innerhalb dieser protoplasmatischen Lappen und Zipfel liegen, kranzartig um den Riesenkern verteilt, einzelne viel kleinere sekundäre Kerne; in zentrifugaler Reihenfolge weiter nach außen, zunächst unregelmäßig gestaltete Gruppen von 2—12 und noch mehr ebensolcher Kerne, eng aneinandergeschmiegt und häufig in mitotischer Teilung begriffen; dann ähnliche Gruppen zu größeren Ballen abgerundet; endlich fertige Spermatocysten mit Umhüllungshaut, aus welcher hie und da Plasma- fäden vorragen und den Zusammenhang mit dem riesenhaften zer- faserten Leibe der Mutterzelle noch ferner, bis zur Umbildung in lose Samenschläuche, aufrecht erhalten (vorgetäuschte Follikeln!). Eine genaue Verfolgung der aneinandergereihten Entwicklungs- vorgänge zeigt in der That, dass jedes Hodenfach ursprünglich von einer einzigen Mutterzelle eingenommen und ausgefüllt ist; dass der Riesenkern derselben zahllosen sekundären, viel kleineren Kernen Ursprung verleiht; und dass diese sekundären Kerne, von den stets nachfolgenden vorgeschoben, gegen die Peripherie des Zellenleibes rücken, der durch radiäre Spaltung netzartig auseinanderweicht: während gleichzeitig die in die Maschenfäden -angelangten Kerne sich vermehren und allmählich zu Spermatocysten umordnen, ohne jedoch den Verband mit dem Leibe der Mutterzelle ganz aufzugeben. An der Bildung der Spermatocysten nehmen also nicht allein die aus dem Riesenkern hervorgegangenen und sich weiterteilenden sekundären Kerne teil; sondern das Protoplasma der Mutterzelle selbst geht teil- weise in dieselben ein. Während jedoch die sekundären Kerne sich dabei durch indirekte Teilung vermehren, ist beim primordialen Riesenkerne von einer Mitose nichts zu er- 1) Mit diesem Namen beabsichtige ich nur die außergewöhnliche Größe des Kernes anzudeuten. 558 Frenzel, Amitotische Kernteilung. kennen. Derselbe ist meist länglich gestaltet und durch außerordent- liche Armut an Chromatin ausgezeichnet. An einer seiner polaren Kuppen erscheint eine ringförmige Falte, die sich vertieft und endlich durch Abschnürung eine ungleiche Teilung herbeiführt: die größere Hälfte reintegriert sich zum perennierenden Riesenkerne, der sofort zu weiterer Teilung, wie vorher, sich anschickt; die kleinere Hälfte zerfällt an Ort und Stelle zu mehreren, meist 4, rundlichen Knötchen, welche als sekundäre Kerne in den peripheren Mutterzellenleib aus- rücken. Hier vermehrt sich jeder einzelne mitotisch fort und fort, bis das Nest soviel neue Elemente zählt, dass sie zur Konstitution einer regelrechten Spermatocyste ausreichen. — Es handelt sieh also einesteils um einen ungewöhnlich großen Kern, der außerordentlich arm an Chromatin ist und durch direkte Teilung sich vermehrt. Aber andernteils ist die Kernteilung schließlieh doch von einer wirklichen Zellteilung gefolgt, wenn dieselbe auch für eine gewisse Zeit unvollständig bleibt. Der Riesenleib der primordialen Mutterzelle beherbergt zwar in sich die ganze Nachkommenschaft bis zur Aus- bildung der Spermatocysten; sowie sich letztere zur endgiltigen Um- wandlung anschicken, schwinden jedoch die Plasmafäden, welche gegenseitige Fühlung bewahrten, und die entstehenden Samenschläuche werden allseitig frei und selbständig. Im vorliegenden Falle kann auch davon die Rede nicht sein, dass die amitotische Kernteilung das Ende einer Reihe von Teilungen dar- stelle. Denn im Gegenteil beginnt dieselbe schon im embryonalen Hoden, und setzt sich ohne Unterbrechung durch die ganze Larven- und Puppenperiode fort, bis in das Imagoalter hinein. Endlich kann die Thatsache nicht weggeleugnet werden, dass im Hoden der Lepidoptera die aus dem Riesenkern durch amitotische Teilung hervorgegangenen sekundären Kerne sich von nun an durch Mitose, und zwar so häufig wiederteilen, bis die aus jedem sekun- dären Kerne neuentstandenen Elemente der einer Cyste gewöhnlich zukommenden Anzahl von Spermatiden gleichkommen (etwa 100 beim Seidenspinner!). Fasse ich alles dieses zusammen, so will es mir scheinen, dass das Verhalten der riesenhaften Mutterzelle, welche ich für jedes Hoden- fach der Lepidopteren nachgewiesen habe, zu nieht unbegründetem Zweifel berechtigt, ob denn der amitotischen Kernteilung wirklich für alle Fälle jede regenerative Funktion abgesprochen werden darf, wie es Ziegler wahrscheinlich zu machen sich bemüht. Zur Bedeutung der amitotischen (direkten) Kernteilung. Von Prof. Joh. Frenzel. Es hat lange gedauert, bis die direkte, nicht auf Mitose beruhende, Kernteilung sich wieder Anerkennung verschafft hat. Als die mitotische Frenzel, Amitotische Kernteilung. 559 (indirekte) Kernteilung entdeckt worden war, neigte man bekanntlich vielfach der Ansicht zu, dass dieses wohl der einzige Modus der Kern- teilung sei, und erst infolge der Untersuchungen Arnold’s u. a., denen sich auch die meinen anschlossen, wurde die sogenannte direkte Kern- teilung (Fragmentation) wieder in ihr Recht eingesetzt und in scharfen Gegensatz zur mitotischen gestellt. Indem ich mir vorbehalte, an einer anderen Stelle auszuführen, dass dieser Gegensatz durchaus nicht so unvermittelt ist, wie man gemeinhin glaubt, möchte ich hier nur auf die Frage eingehen, ob bei den Metazoen die direkte Kern- teilung von einer Zellteilung begleitet sein kann oder nicht. Vor kurzem hat H.E. Ziegler diese Frage in einem interessanten Aufsatze „Die biologische Bedeutung der amitotischen (direkten) Kern- teilung im Tierreich“ !) behandelt und hat sieb für die Verneinung derselben entschieden. Er gibt zwar das Auftreten direkter Kern- teillungen zu, meint aber, dass es gewöhnlich nur zur Bildung mehr- kerniger Zellen komme, oder dass diese, wenn sie sich ja teilen, dem baldigen Untergange geweiht seien. Er verallgemeinert somit eine Vermutung W. Flemming’s, die dieser ausdrücklich nur auf die Wirbeltiere bezog. Nach den bis jetzt vorliegenden Erfahrungen wird man dieser Vermutung Flemming’s Berechtigung gewähren müssen. Hinsicht- lich der wirbellosen Tiere aber glaube ich mit Ziegler nicht übereinstimmen zu können, wenngleich er ja in manchen Fällen Recht haben mag. Zunächst scheint mir der Satz nicht haltbar zu sein, „dass die Kerne (l. e. 1, S. 375), welehe sich amitotisch teilen, stets durch besondere Größe ausgezeichnet sind“, also Riesen- kerne vorstellen, wofür Ziegler den Namen „Meganukleus“ vor- schlägt. Hinsichtlich der Mitteldarmdrüse der Crustaceen war ich früher über die Epithelregeneration?) zu keinem sicheren Resultate gekommen (l. ce. 2, S. 80). Erst später nahm ich, zum Teil auf Veranlassung meines verehrten Kollegen Prof. W. Flemming, diese Frage wieder auf, ohne sie leider so ausführlich behandeln zu können, wie beab- sichtigt wurde. Immerhin aber konnte ich in der Mitteldarmdrüse von Carcinus maenas, Idotea tricuspidata und von einem Amphipoden eine amitotische Kernzerschnürung feststellen. Diese findet dort nur bei jüngeren Epithelzellen statt, wo die Kerne noch klein sind und jedenfalls im Verhältnis zum Zellleibe keine enorme Größe besitzen. In den fetthaltigen Zellen wächst nach vollzogener Zellteilung der nun stets einzelne Kern im gleichen Verhältnis mit der Zelle heran, während in den anderen Fermentzellen mit der Ausbildung des Sekret- 1) Biol. Centralblatt, Bd. 11 (15. Juli 1891) Nr. 12 u. 13. 8.372 fg. 2) Ueber die Mitteldarmdrüse der Crustaceen. Mitteil. der Zoolog. Station zu Neapel, Bd. 5, S. 50 fg. 560 Frenzel, Amitotische Kernteilung. ballens eine immer weiter gehende Reduktion des Kernes eintritt (ee: 2, Taf. 4, Fig. 1, 2,283, A). Im Mitteldarmepithel der Dekapoden!) kommen zwar ganz riesige Kerne vor, z.B. bei Astacus fluviatilis (1. e. 3, Taf. 9, Fig. 13). Dies bezieht sich aber nur auf die reiferen Zellen, deren Kerne sich nicht mehr zu teilen vermögen. Die sich amitotisch teilenden Kerne der Mutter- zellen sind viel kleiner und nur sehr groß im Verhältnis zum Zell- körper. Ganz anders finden wir es hingegen bei den Meeresdekapoden 2. B. bei Scyllarus und Maja, wo sowohl junge wie reife Kerne des Mitteldarmepithels relativ klein sind. Ebenso sind auch im Mittel- darm der Insekten?) die Epithelkerne im Allgemeinen nicht durch eine abnorme Größe ausgezeichnet, wenngleich es ja richtig ist, dass sie räumlich stets wohl entwickelt sind. Sehr groß fand ich die reifen Kerne nur bei der Bienenlarve (l. e. 4, Taf. 9, Fig. 24), während die jungen sich teilenden Kerne im Verhältnis hierzu recht winzig sind. Ziegler (l. ec. 1, S. 376) spricht nun weiter den Satz aus, „dass bei den Metazoen die amitotische Kernteilung (vorzugs- weise, vielleicht ausschließlich) bei solchen Kernen vor- kommt, welche einem ungewöhnlich intensiven Sekre- tions- oder Assimilationsprozess vorstehen“ Wenn ich dies recht verstehe, so spricht der Autor ausschließlich von den spezifisch thätigen Zellen, will dieselben mehrkernig werden lassen und dem Kerne bei dieser spezifischen Thätigkeit einen her- vorragenden Anteil zuschreiben. Es ist dies gewiss recht einleuchtend; denn schon lange hatte man vermutet, dass der Zellkern nicht bloß bei der Fortpflanzung, sondern auch bei der Thätigkeit der Zelle überhaupt eine hervor- ragende Rolle spiele, und E. Korschelt?) hat ja eine ganze Reihe von Beispielen dafür namhaft gemacht. Es mag dann auch von be- sonderem Vorteile sein, wenn sich die Oberfläche des Kernes ver- größert, sei es durch lappige Ausläufer, sei es durch völlige Tei- lung des Kernes in mehrere räumlich völlig gesonderte Stücke. Wenn nun aber Ziegler den oben zitierten Satz nur auf wirklich thätige resp. secernierende oder assimilierende Zellen anwenden will und nicht auch auf deren Jugendstadien, so bin ich leider nicht im Stande, ihm zu folgen und muss auch heute noch behaupten, dass die amitotisehe Kernteilung ebensogut bei jugendlichen Zellen sich ereignet und von einer Zellteilung begleitet wird. 1) Ueber den Darmkanal der Crustaceen ete. ‚Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 25, SAT de, 2) Einiges über den Darmkanal der Insekten ete. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 26, S. 229. 3) Beiträge zur Morphologie und Physiologie des Zellkernes. Zool. Jahr- bücher, Abteil. f. Anat., Bd. 4, 1889. Frenzel, Amitotische Kernteilung. 561 Bereits früher habe ich im Mitteldarmepithel der Dekapoden (l. c. 3, Taf. 18, Fig. 15 bis 26) in den jugendlichen Basalzellen Kerndurehschnürungen d. h. direkte Kernteilung angetroffen. Wenn hier nun keine Zellteilung nachfolgte, so müssten doch die reiferen Zellen mehrkernig sein, was sich aber niemals ereignet, denn in jeder Epithelzelle fand ich nur einen einzigen Kern (l. e. 3, Taf. 18, Fig. 13, 27, 28). Haben mithin die jugendlichen Zellen in einem ge- wissen Stadium zwei Kerne, die reifen hingegen nicht, so folgt doch wohl daraus, so meine ich, dass sich jene doppelkernigen Zellen eben in zwei einzelne teilen und dann zu typischen Epithelzellen heran- wachsen. Ich wüsste gar nicht, wie man jene Teilungsbilder anders deuten sollte. Von Astacus gibt Ziegler weiter an (l. c. 1, S. 381), „dass die Kerne der Epithelzellen des Mitteldarmes an gewissen in der Tiefe der Falten gelegenen Stellen das Aussehen jugendlicher Kerne haben, welche sich wahrscheinlich mitotisch teilen“. Ziegler ist also nicht im Stande, die Mitose mit Sicherheit zu behaupten, und ich selbst muss gestehen, dass ich sie an jenem Orte nicht gesehen habe. Trotzdem aber will ich die Möglichkeit gar nicht bestreiten, dass sie ab und zu oder sogar in regelmäßigen Intervallen auftrete, um sich als Zwischenglied in die direkte Kernteilung einzuschieben, welch letztere doch kaum mehr fortgeleugnet werden könnte, selbst wenn man Mitosen fände. Sehr wahrscheinlich ist mir jedoch das Vorhandensein derselben im Mitteldarm der Dekapoden nicht. Da es sehr fraglich ist, ob in diesem Organ mit Ausnahme viel- leicht der Paguriden ein lebhafter Zellverbrauch stattfinde, so erscheint zur Entscheidung dieser Frage das Epithel der Mitteldarmdrüse der Crustaceen um vieles geeigneter, denn hier gehen doch wenigstens die typischen Fermentzellen fortdauernd zu Grunde und müssen durch neue ersetzt werden (l. c. 2, Taf. 4, Fig. 20, 24, 31). Nur wie das letztere geschieht, war mir bisher noch unklar gewesen, und ich neigte mich der Meinung P. Mayer’s zu, dass die Epithelzellen von hinten her, „durch Nachschub ersetzt werden“. Erst als ich später die Unter- suchungsmethode änderte und besonders Macerations- und Zupfprä- parate studierte, fand ich an jeder beliebigen Stelle des Drüsen- schlauches jugendliche Zellen mit amitotischen Kernteilungen, worüber bei späterer Gelegenheit ausführlicher berichtet werden möge. Hinsichtlich des Mitteldarmes der Insekten kommt Ziegler zu Resultaten, welche den von mir aufgestellten Ansichten durchaus widersprechen. Während ich nämlich die Krypten (l. e. 4, Taf. 8, Fig. 19 Blatta, Fig. 22 Bomdus) und kryptenähnlichen Ausstülpungen (Taf. 9 Fig. 26 Hydrophilus) für drüsenähnliche Organe, etwa den Lieberkühn’schen Drüsen der Wirbeltiere entsprechend, gehalten hatte, so kommt Ziegler zu dem Schluss, dass sie vielmehr Regene- rationsherde für die Epithelzellen seien, zumal ja der Zellkörper klein sei und keinerlei Sekrettropfen enthalte. „Es wäre also ganz un- XI. 36 562 Frenzel, Amitotische Kernteilung. begründet“, so fährt jener Autor fort, „wenn man annehmen wollte, dass im Darmkanal der Crustaceen oder Insekten die Zellvermehrung auf der amitotischen Kernteilung beruhe ete. (l. e. 1, S. 381). Nun haben wir bereits die Verhält- nisse bei den Crustaceen besprochen, und es erübrigt nur noch einmal hervorgehoben zu werden, dass dort ebensowenig im Darmtraktus wie in dessen Anhängen derartige Krypten überhaupt vorhanden sind. Sollten sodann wirklich, wie Ziegler für wahrscheinlich hält, im Mitteldarm des Astacus Mitosen existieren, so bliebe immer noch die Mitteldarmdrüse übrig; und dass sie hier fehlen, kann ich um so sicherer behaupten, als meine Resultate in Kiel fortdauernd von Herrn Jos. Schedel, einem Schüler Flemming’s, kontroliert wurden, welcher die Konservierung mit den Flemming’schen Mitteln vor- nahm, während ich hauptsächlich salpetersauren Sublimat- Alkohol und Merkel’sche Flüssigkeit anwendete. Bei den Insekten haben wir zwei Fälle zu unterscheiden, näm- lich solche, wo Krypten vorhanden sind, und solche, wo, wie bei den Crustaceen, dies nicht statthat. Wie die Verhältnisse bei Blatta lehren (l. e. 4, Taf. 8, Fig. 19), sind die Kerne der Kryptenzellen von denen der Epithelzellen ganz wesentlich verschieden. Erstere sind schmal und länglich, letztere eirund; jene besitzen feine, gedrängter liegende „Knotenpunkte“, diese hingegen ein weiteres Maschenwerk mit grö- beren „Knotenpunkten“. Auch der Zellkörper der Kryptenzellen ist ganz anders gestaltet als derjenige der Epithelzellen, welch letztere sehr deutlich längsgestreift sind. Schließlich vermisste ich Ueber- gänge zwischen beiderlei Zellarten durchaus. Dass man ferner in den Kryptenzellen keine Sekretbläschen sieht, wie Ziegler betont (l. e. 1, 8. 381), ist richtig, soweit sich dies auf Schnittpräparate be- zieht. Aber auch in den Epithelzellen sieht man unter denselben Bedingungen nichts vom sekretorischen Inhalte, der sich eben bei der Konservierung ganz oder teilweise gelöst hat, und es ist ja recht wohl denkbar, dass sich der gesamte Zellinhalt allmählich in das Sekret umwandelt, ohne dass das forschende Auge etwas davon wahr- zunehmen vermag. Eine ganz besondere Beurteilung muss die Frage nach der Zell- regeneration noch erfahren, wenn wir die Funktion der verschie- denen Zellen in Erwägung ziehen. Die Darmepithelien haben bekannt- lich die doppelte Funktion, zu secernieren und zu absorbieren. Im Mitteldarm z. B. von Artemia, wo nur eine Zellart vorhanden, wird man annehmen müssen, dass sie diesen beiden Funktionen gleichzeitig oder eher wohl alterierend vorstehe, indem sie etwa erst absorbiert und dann secernierend zu Grunde geht. Wo aber zweierlei Zellarten zur Entwicklung kommen, wie z. B. im Mitteldarm der Raupen, der blatta ete. ist es nicht unmöglich, dass bereits eine Arbeitsteilung eingetreten ist, so dass die eine Zellart, die langen Epithelzellen, ab- Frenzel, Amitotische Kernteilung. 563 sorbieren und die Kryptenzellen oder die aufsteigenden Schleimzellen secernieren. Dann jedoch würden die ersteren gar nicht oder nur in beschränktem Maßstabe zu Grunde gehen, es würden nur noch wenig Ersatzzellen erforderlich und Zell- und Kernteilungen selten sein. Eine ähnliche Ansicht hat ja auch A. von Gehucehten!) entwickelt, und ich muss gestehen, dass das, was ich bei den Insekten gesehen, dieser Deutung nicht ganz widerspricht. Freilich ist diese Frage eine so schwierige, dass wir heute kaum im Stande sind, uns ein sicheres Urteil darüber zu bilden, und ich möchte nur dabei stehen bleiben, dass die Kryptenzellen morphologisch wesentlich von den Epithelzellen verschieden sind und nicht Regenerationsherde für diese vorstellen. Gerade wie bei den Crustaceen so liegen unter den Insekten die Verhältnisse dort viel klarer, wo der Mitteldarm keinerlei Krypten enthält. Als Beispiel hiefür möge das entsprechende Epithel der Larvenformen, nämlich der Schmetterlinge (l. e. 4, Taf. 8, Fig. 18) und Hymenopteren (l.c. 4, Taf. 9, Fig. 24) dienen. Wo keine Krypten vorhanden sind, das dürfte wohl klar sein, können sie auch nicht als Regenerationsstätten herhalten, und man muss die Regeneration des Epithels folgerichtig wo anders suchen. Hatte nun Ziegler bereits bei Astacus, wo dieselben Verhältnisse obwalten, Mitosen vermutet, ohne sie beweisen zu können, so würde man wohl dieselbe Vermutung auch hier bei den kryptenlosen Insekten aufstellen wollen. Aber ob- wohl der Zellverbrauch ein ganz bedeutender sein muss, und obgleich man zahlreiche junge Zellen sieht, z. B. die aufsteigenden Schleim- zellen im Mitteldarm der Bombyx-Raupe (l. e. 4, Taf. 8, Fig. 18), so bat meines Wissens noch Niemand eine Mitose hier entdeckt, weshalb doch wohl kein anderer Ausweg übrig bleibt, als die Annahme, dass die Kerne sich amitotisch teilen und darauf eine Zell- teilung erfolgt, so dass die eine Hälfte als Mutterzelle restiert, während die andre zur typischen Zylinder- oder zur Schleimzelle wird. W. Flemming?) hat sich neuerdings bekanntlich die Anschau- ung gebildet, dass Fragmentierung des Kerns, mit und ohne nach- folgende Teilung der Zelle überhaupt in den Geweben der Wirbel- tiere ein Vorgang ist, der nicht zur physiologischen Vermehrung und Neubildung von Zellen führt. „Wenn sich also“, so fährt Flem- ming fort, „Leukocyten mit Fragmentierung ihrer Kerne teilen, so würden hiernach die Abkömmlinge dieses Vorgangs nicht mehr zeugungs- fähiges Material sein, sondern zum Untergang bestimmt“ ete. — Ver- gleicht man diese Worte mit dem, was oben dargelegt wurde, so möchte es so scheinen, als wenn damit ein tiefgreifender Unterschied zwischen Wirbellosen und Wirbeltieren statuiert würde. Dies möchte 1) Recherches histologiques sur l’appareil digestif de la larve de Ptychoptera contaminata. La Cellule, Tome VI, 1890. 2) Ueber Teilung und Kernformen bei Leukocyten ete. Archiv für mikr. Anatomie, Bd. 37 (1891). 30 564 Frenzel, Amitotische Kernteilung. indessen nicht unbedingt nötig sein. Denn gerade was die drüsigen resp. secernierenden Organe der Wirbeltiere anbetrifft, so meine ich, dass uns doch noch sehr wenig Erfahrungen zu Gebote stehen, um die Anschauung Flemming’s so ohne Weiteres zu unterschreiben. Sollte nicht dort, wo lebhafte Zellregeneration erforderlich ist, die rascher von statten gehende amitotische Kernteilung eher am Platze sein, also in Drüsen, deren Zellen bei der Sekretion stetig untergehen? Ja viel- leicht ist diese Art der Kernteilung gerade charakteristisch für secer- nierende Epithelien überhaupt, ohne dass damit Mitosen ein für allemal ausgeschlossen sein sollten (z. B. Mitteldarm von Phronima). Dann würde auch die sehr bedenkliche Scheidewand zwischen Wirbellosen und Wirbeltieren wegfallen. Bei den Protozoen haben wir bekanntlich nicht nur mitotische und amitotische Kernteilung, sondern oft auch eigentümliche Zwischen- stufen zwischen beiden. Eine recht eigenartige Zwischenstufe beob- achtete ich ferner bei der von mir gefundenen Salinella!), einer Art von Mesozo&, über die an anderen Orten berichtet wird. Dort ereignet sich aber auch eine direkte, amitotische Kernteilung, welcher eine Halbierung der Zelle folgt. Wenn ich nun darauf hinweisen darf, dass die einzelnen Zellen der Salinella als typische Mitteldarmzellen gelten können, welche ganz wie solche secernieren und absorbieren, so hätten wir das Recht, hier einen ähnlichen Vorgang wie im Mittel- darmepithel von Arthropoden zu erblicken, nämlich eine Epithel- regeneration auf Grund einer amitotischen Kernteilung, die hier frei- lich nicht eine einfache Fragmentation darstellt, sondern vielmehr mit gewissen Umformungen innerhalb des Kernkörpers verbunden erscheint, wie des Genauern noch darzulegen ist. Es sei zum Schluss noch daran erinnert, dass bei Protozo@n mit einfachem Nukleus — von ceiliaten Infusorien abgesehen —, die Tei- lung des Zellkörpers gar nicht selten ohne Kernmitose von statten geht, bei manchen Rhizopoden beispielsweise, ohne dass man bis jetzt sagen könnte, es schiebe sich von Zeit zu Zeit eine Mitose „zur Auffrischung“ etwa ein. Was die Amöben anbetrifft, so habe ich die alte Darstellung F. E. Schultze’s?) mehrfach konstatieren können, auch mit Hilfe von Färbungsmitteln. Hierbei gehört ferner eine von Bütschli zitierte Beobachtung Boveri’s?). „Nach dem heutigen Stand der Forsehung“, so äußert sich Ziegler endlich (l. ec. 1, S. 374), darf man behaupten, dass die amitotische Kernteilung stets das Ende der Reihe der Teilungen an- 4) Zoolog. Anzeiger, 1891, Nr. 367, S. 230, Mikroskop. Fauna Argentiniens und Biol. Centralbl. XI... 2) Rhizopodenstudien V. Archiv für mikr. Anatomie, Bd. XI, S. 583 fg., Taf 36. 3) 0.Bütschli, Ueber den Bau der Bakterien und verwandten Organismen. Vortrag etc. (1869) 1890. — $. 28. Frenzel, Amitotische Kernteilung. 565 deutet“. Uebertragen wir diesen Satz auch auf die damit ver- bundene Zellteilung, so liegt darin eine nicht zu unterschätzende Wahrheit. Die Epithelzellen aus dem Mitteldarmgebiet der Arthro- poden gehen nämlich, wie wir bereits wissen!), bei der Sekretion stets unter, haben nicht mehr die Fähigkeit sich fortzupflanzen und sind die letzten ihres Stammes. In manchen Fällen wird sogar ihr Kern auch stark reduziert (l. c.2, Taf. 4, Fig. 20, 24, 31). Nnr dürfen wir anderseits nicht vergessen, dass die andre, bei der Teilung zurückbleibende Zellhälfte, die Mutterzelle, trotz der amitotischen Kernteilung fort und fort die Fähigkeit Nachkommenschaft zu erzeugen besitzt und behält. Ob nun mit Waldeyer anzunehmen ist, dass der amitotische Teilungsmodus als der einfachere die Grundform der Kernteilung sei, mag schwer zu entscheiden sein. Vielleicht aber liegt seine physio- logische Bedeutung darin, dass er rascher als der mitotische verläuft; oder, er mag sich auch aus diesem dadurch entwickelt haben, als Vereinfachung, dass es in gewissen Fällen nicht mehr auf eine gleich- mäßige Abwägung der Kernpotenz ankam, wie sie bei der Mitose statthat, und dass schon eine, wenn auch ungleichmäßige Fragmen- tation ihren Zweck völlig erfüllte. Man kann sich wohl vorstellen, dass eine Epithel- oder Drüsenzelle, welche nur ein kurzes Leben führend zwecks der Sekretion stirbt, weniger von jener Kernpotenz bedarf, als eine andre Zelle, die ein langes Leben zu führen oder weitere Nachkommenschaft zu erzeugen hat. Wenn ich von Neuem die Abbildungen betrachte, die ich seiner Zeit von dem Mitteldarm- epithel der Crustaceen gab, so fällt mir bei den mehrfach konstatierten ungleichmäßigen Kernabschnürungen auf, dass die kleinereHälfte stets nach oben gerichtet ist und mithin der späteren Sekretzelle angehört (l. c. 2, Taf. 9, Fig. 16, 19, 22, 24), während die größere Hälfte bei der Mutterzelle bleibt, was uns jetzt verständlich werden muss, wenn wir bedenken, dass diese sich stets weiterteilen muss. Dort endlich, wo eine genaue Kernhalbierung eintritt, mag ein Ueber- schuss an Kernmaterial vorhanden und ein Geizen damit nicht er- forderlich sein (l. ec. 2, Taf.9, Fig. 15, 17, 18, 20, 21 ete.) Alles in Allem genommen vermag ich, um es nochmals zu be- tonen, in der amitotischen Kernteilung nicht einzig und allein eine Kernvermehrung sondern ebensowohl auch eine wahre Zell- vermehrung zu erblicken, wie ich ferner die, Hoffnung nicht auf- gebe, dass diese auch im Bereiche der Wirbeltiere dort statthaben dürfte, wo zwecks einer Sekretion ein lebhafter Zellverbrauch statt- findet, bei dem gleichzeitig ein Untergang von Kernen eintritt. 1) Vergl. 1. eit. 2, 3, 4, 6 und Joh. Frenzel, Der Mechanismus der Sekretion. Centralblatt f. Physiologie, 1891, Bd. 5, Nr. 10, 8. 271. H66 Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. Die Wärmeproduktion im Fieber. Von Professor J. Rosenthal in Erlangen. Die zuweilen sehr erhebliche Erhöhung der Eigentemperatur, welche als das wichtigste Symptom beim Fieber betrachtet werden kann, hat von jeher das Interesse der Pathologen erregt. Seitdem man die Ursache der Wärmeproduktion im Tierkörper in der Oxy- dation der Körperbestandteile erkannt hat, d. h. seit den Zeiten Lavoisier’s, lag es nahe, diese Temperaturzunahme als eine Folge vermehrter Oxydation und damit vermehrter Wärmeproduktion an- zusehen. Und diese Anschauung wurde noch wesentlich gestützt durch die Erkenntnis, dass die hauptsächliehsten Produkte der tieri- schen Oxydation, Kohlensäure und Harnstoff, während des Fiebers in einer im Verhältnis zu der meist sehr herabgesetzten Nahrungs- aufnahme recht beträchtlichen Menge ausgeschieden werden. Es ist deshalb nicht zu verwundern, dass der Versuch, welchen Traube machte, für die erhöhte Fiebertemperatur eine andere Er- klärung einzuführen, von den Pathologen fast allgemein zurück- gewiesen worden ist. Traube stellte nämlich den Satz auf, dass die erhöhte Temperatur nicht durch vermehrte Wärmeproduktion, sondern durch Wärmeretention, durch Verminderung der nor- malen Wärmeverluste zu Stande komme). Und wahrlich, für die oft sehr schnelle Temperatursteigerung im Initialstadium der akuten Fieber hat diese Auffassung so wesentliche Stützen in den objektiven und subjektiven Erscheinungen des Fieberfrostes (blasse und kühle Haut, subjektives Frostgefühl bei thermometrisch schon nachweis- barer Temperatursteigerung), dass sie sich den physiologischen An- schauungen über das Wesen der Wärmeregulation auf das Glück- lichste anpasst. In der That wissen wir ja, dass die Eigentemperatur eines Tieres nicht bloß von seiner Wärmeproduktion, sondern auch von seiner Wärmeausgabe und dass die letztere vorzugsweise von dem durch das Nervensystem geregelten Zustand der Haut abhängt. Dieselben Veränderungen der Haut aber, welche im normalen Leben des Warm- blüters dahin wirken, dass er beim Uebergang aus einer warmen in eine kalte Umgebung seine Temperatur nahezu konstant erhält, müssen, wenn sie durch eine abnorme Einwirkung des Nervensystems eintreten, notwendig dahin führen, dass bei gleichbleibender Um- gebungstemperatur die Eigenwärme steigt. Ist somit die theoretische Zulässigkeit der Traube’schen Fieber- theorie nicht anzuzweifeln, so konnte doch über ihre Giltigkeit nur auf Grund kalorimetrischer Bestimmungen der wirklich produzierten Wärmemengen entschieden werden. An solchen Messungen hat es denn auch nicht gefehlt; sie sind, mit wenigen noch zu erwähnenden 1) Allgemeine medizinische Centralzeitung, 1863 und 1864. Gesammelte Abhandlungen, II, S. 637 und 679. Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. 567 Ausnahmen, gegen die Traube’sche Theorie ausgefallen. Einer vorurteilslosen Prüfung gegenüber halten jedoch diese Messungen nicht Stand. Die Schwierigkeiten kalorimetrischer Messung sind so groß, dass die Mehrzahl derjenigen Versuche, welche zur Prüfung der Traube’schen Lehre angestellt worden sind, als nicht beweisende angesehen werden müssen, einerseits weil bei ihnen eine scharfe Trennung der bei dem Versuch an das Kalorimeter abgegebenen Wärme von der in gleicher Zeit wirklich produzierten nicht möglich ist, andererseits weil bei der meistens nur kurzen Versuchsdauer die Versuchsfehler häufig größer sind, als die zu messenden Werte. Dies gilt namentlich von allen Versuchen an Menschen, bei denen als Kalorimeter ein Vollbad diente, dessen nur äußerst geringe Tem- peraturveränderung durch die Wärmeaufnahme aus dem Körper des Badenden gegenüber den Temperaturschwankungen des Wassers durch Abkühlung und Verdunstung und der Unmöglichkeit, die wahre Durch- schnittstemperatur einer großen Wassermasse genau zu bestimmen, es ganz unmöglich machen, die Wärmeabgabe des Menschen auch nur annähernd zu bestimmen. Rechnet man zu dieser Unsicherheit noch diejenige, welche durch die Schwankungen der Eigentemperatur des Badenden veranlasst werden, so muss man vollends daran ver- zweifeln, auf diesem Wege zu irgend einem entscheidenden Ergebnis zu gelangen. Die Schwierigkeiten der physiologischen Kalorimetrie, welche ich in meinem Artikel über die Wärmeproduktion bei Säugetieren in dieser Zeitschrift Nr. 15 u. 16 schon kurz angedeutet habe, werden noch erheblich gesteigert, wenn innerhalb der Versuchsdauer die Eigen- temperatur des Versuchsobjektes sich ändert. Und dies ist gerade bei der Untersuchung fiebernder Menschen und Tiere um so häufiger der Fall, wenn man, um die anderen Versuchsfehler nach Möglichkeit zu verkleinern, die Versuchsdauer mögliehst verlängert. Unmittelbar misst man mit jedem Kalorimeter niemals die Wärmeproduktion, sondern immer nur die Wärmeausgabe des Tieres. Diese beiden Werte sind nur dann einander gleich, wenn der Wärmevorrat des Versuchstieres während der Versuchszeit sich nicht geändert hat. Das letztere erfahren wir durch Messung der Eigentemperatur des Tieres. Aber diese Messung gibt uns niemals genauen Aufschluss über die wahre Durchschnittstemperatur des Tieres, und kleine Aen- derungen in der Wärmeverteilung innerhalb des Tierkörpers, wie sie gerade beim Fieber nicht selten vorkommen, können zu Täuschungen Anlass geben, die zu vermeiden es wiederum nur ein Mittel gibt: Verlängerung der Versuchsdauer. Denn erstlich erreichen wir da- durch den Vorteil, dass jene kleinen unvermeidlichen Fehler gegen den größeren Gesamtwert der gemessenen Wärmemenge weniger in Betracht kommen, und zweitens sind auch jene Unregelmäßigkeiten in der Wärmeverteilung bei länger dauernden Versuchen von ge- ringerem Einfluss auf die Berechnung des Wärmevorrats des Tieres. 568 Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. Aus diesen Gründen schien es mir notwendig, die Frage, ob sich beim Fieber die Wärmeproduktion ändere, mit Hilfe des von mir konstruierten Luftkalorimeters nochmals zu untersuchen. Ich ging an diese Untersuchung nicht mit einer vorgefassten Meinung für oder gegen die Richtigkeit der Traube’schen Theorie. Nur die eine Ueberzeugung leitete mich, dass diese Theorie, trotz der fast all- gemeinen Ablehnung, welche sie durch die Mehrzahl der Pathologen erfahren hatte, durch die vorliegenden Versuche nicht widerlegt sei. Dagegen hielt ich es für sehr wohl möglich, dass sie zwar für den Temperaturanstieg im Anfangsstadium des Fiebers passe, dass aber nachher auf der Fieberhöhe eine wirkliche Vermehrung der Wärme- produktion eintrete. Letzteres schien mir in Anbetracht des zuweilen Tage, ja Wochen anhaltenden abnorm hohen Temperaturstandes sogar sehr wahrscheinlich. Endlich glaubte ich annehmen zu dürfen, dass vielleicht nicht alle Arten von Fieber auf gleiche Weise zu Stande kommen. Denn das gemeinsame Symptom der erhöhten Temperatur konnte sehr wohl, bei den verschiedenen Ursachen, welche den ein- zelnen fieberhaften Krankheiten zu Grunde liegen, auf verschiedenen Wegen erzeugt werden. Alles das konnte nur durch zahlreiche Versuche entschieden werden. Solche Versuche mussten sowohl an fiebernden Menschen bei den verschiedensten Krankheiten, als auch bei Tieren, denen künstlich Fieber erzeugt war, angestellt werden. Ich habe beide Wege eingeschlagen, doch sind meine Versuche am Menschen zur Zeit noch nicht abgeschlossen. Zur Erzeugung des Fiebers habe ich Kaninchen, Katzen und Hunden tuberkulöse Sputa, Careinomeiter, Heuinfus und Pyocyanin unter die Haut injiziert. Letztere Substanz, eine sterilisierte, ein- gedampfte Reinkultur des Bacillus pyocyaneus, erhielt ich von den Herren von Bergmann und Schimmelbusch, welche mit einer Untersuchung über die fiebererregende Wirkung derselben beschäftigt sind und die Güte hatten, mir eine Probe zur Verfügung zu stellen. In einigen Versuchen habe ich auch durch Injektion des Koch’schen Tuberkulins bei vorher tuberkulös gemachten Kaninchen Fieber her- vorgerufen. Das so erzeugte Fieber war meistens ein flüchtiges, von wenigen Stunden bis zu höchstens 48 Stunden anhaltendes. In einzelnen Fällen wurde dasselbe durch wiederholte Injektionen verlängert. Man kann aber auch durch einmalige Injektion ein langdauerndes Fieber erhalten. Es scheint, dass in dieser Hinsicht Katzen besonders empfindlich sind. Da ich mit den Versuchen dieser letzteren Art noch beschäftigt bin, so will ich zunächst nur über die Erscheinungen berichten, welche ich bei den kurzdauernden Fiebern beobachtet habe. Ich habe die Versuche in folgender Weise angestellt: Ein Tier wurde eine Zeit lang möglichst gleichmäßig ernährt, dann bei gleich- bleibender Ernährung 8 Tage hintereinander im Kalorimeter beob- Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. 569 achtet und so die Grenzen bestimmt, innerhalb deren seine Wärme- produktion schwankte. Gleichzeitig wurde Morgens und Abends, zuweilen auch noch öfter seine Eigentemperatur im Rektum bestimmt, um festzustellen, dass dieselbe gleichfalls innerhalb der normalen Grenzen blieb, und dass das Tier fieberfrei war. Sodann wurde die Injektion vorgenommen, durch öfter, in der Regel alle 2 Stunden, vorgenommene Temperaturmessung die Entstehung des Fiebers und gleichzeitig die Wärmeausgabe des Tieres weiter verfolgt und mit derjenigen vor der Injektion verglichen. Ich sage, die Wärmeausgabe und nicht die Wärmeproduktion, weil in diesem Stadium des Temperaturanstiegs die letztere aus der ersteren erst unter Berücksichtigung der Aenderungen des Wärme- vorrats bereehnet werden muss. Das Ergebnis aller meiner sehr zahlreichen Messungen ist nun, dass im Stadium des Tempera- turanstiegs die Wärmeausgabe vermindert ist. Hiervon habe ich nur eine einzige Ausnahme gesehen, bei einer Katze nach Injektion einer fauligen Krebsjauche, wo die Wärmeausgabe in der ersten Stunde nach der Injektion um ein Weniges stieg (von 10,584 auf 11,052 Stundenkalorien) und dann erst abfiel. Da aber dieses Tier sehr unruhig war, so glaube ich, dass es sich hier um eine durch die vermehrte Muskelthätigkeit gesteigerte Wärmeproduktion handelt, welche den regelrechten Ablauf der Erscheinungen verdeckte. Wenn wir also nach diesen Ergebnissen von einer Wärmereten- tion im Sinne Traube’s reden können, so haben wir jetzt zu unter- suchen, ob durch diese allein die Temperaturerhöhung zu Stande kommt, oder ob daneben noch eine Aenderung der Wärmeproduktion vorhanden ist. Zu diesem Zwecke multiplizieren wir die durch das Thermometer bestimmte Temperaturerhöhung mit dem Gewicht des Tieres und der mittleren spezifischen Wärme des Tierkörpers. Letztere habe ich auf Grund meiner früheren Beobachtungen — 0,8 angesetzt!). Man erhält so diejenige Wärmemenge, welche erforderlich wäre, um die Temperaturerhöhung zu bewirken. Mit dieser vergleicht man den Betrag der Wärmeretention, d. h. den Unterschied in der Wärme- ausgabe vor und nach der Injektion. Auf diese Weise habe ich fest- gestellt, dass in allen meinen Versuchen (mit einziger Ausnahme des einen an der Katze, welchen ich oben erwähnt habe) der Betrag der Wärmeretention mehr als ausreichend war, die Temperatur- erhöhung zu decken. Ich komme daher zu dem Schluss, dass im Initialstadium des Fiebers eine Vermehrung der Wärme- produktion nieht nachgewiesen werden konnte, dass wir daher berechtigt sind, die Temperaturerhöhung in diesen Fällen als Folge der Wärmeretention anzusehen. Beispiel: Eine Katze im Gewicht von 3225 g gab aus in der Stunde 12,8 Kalorien. Dieselbe zeigte um 11 Uhr Vormittags eine 1) Vergl. Archiv für Physiologie, 1878, S. 215. 570 Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. Rektumtemperatur von 38,1°. Sie erhielt eine subkutane Injektion von 2 eem Pyocyanin, worauf ihre Temperatur innerhalb 2 Stunden auf 38,9, dann in den folgenden 2 Stunden auf 39,8 und in den fol- senden 3 Stunden auf 40,6 stieg. Während dieser Zeit gab sie aus (auf je eine Stunde berechnet) 10,735 — 9,935 — 10,61 Kalorien, zusammen 73,17 Kalorien in 7 Stunden. Außerdem aber hatte sie ihre Eigentemperatur um 2,5° gesteigert. Dazu wären erforderlich gewesen 6,45 Kalorien. Erspart hatte sie aber 16,43 Kalorien, also 10 Kalorien mehr, als zu der gefundenen Erwärmung ihres Körpers nötig gewesen wäre. Die Abnahme der Wärmeausgabe tritt in der Regel sehr bald nach der Injektion ein; sie pflegt schon in der ersten Stunde nach derselben deutlich ausgeprägt zu sein, wird dann in den folgenden Stunden noch deulicher, dann aber wieder geringer. Die Steigerung der Eigenwärme dagegen ist im Anfang sehr gering oder gar nicht vorhanden und tritt erst nach einigen Stunden deutlicher hervor, um nach 6—19—12 Stunden etwa ihren Höhepunkt zu erreichen. Dieses Verhalten stimmt zu der Annahme, dass die Temperatursteigerung eine Folge der Wärmeretention sei. Denn wenn durch einen ver- minderten Wärmeabfluss nach außen, durch Wärmestauung, die Eigentemperatur vermehrt wird, so kann die Temperaturzunahme da, wo wir sie messen, nämlich in den inneren Teilen, sich nicht sofort zeigen; vielmehr muss eine geraume Zeit verstreichen, bis diese Teile sich nach und nach höher erwärmen. Wenn dagegen die Tempera- turerhöhung durch vermehrte Wärmeproduktion zu Stande käme, so müsste erst die Temperatur im Inneren steigen, und dann müsste nachträglich auch die Wärmeausgabe wachsen, weil ein wärmerer Körper (bei unveränderter Temperatur der Umgebung) auch mehr Wärme abgibt. Wir müssen also aus unseren Versuchen schließen, dass die erste Wirkung der fiebererzeugenden Mittel, welche ich bei meinen Versuchen benutzt habe, in einer solchen Veränderung der Haut bestehe, dass dieselbe bei gleichen Temperaturverhältnissen weniger Wärme abgibt, oder wie ich es an einer anderen Stelle !) ausgedrückt habe, dass der „Emissionsko&ffizient“ des Tieres kleiner wird. Ich habe in der eben zitierten Abhandlung gezeigt, dass, wenn der Emissionskoeffizient auf diesem kleineren Wert beharrt, die Tem- peratur des Tieres so lange steigen muss, bis die Wärmeausgabe wieder auf ihrem früheren Werte angelangt ist. Denn die Wärme- ausgabe ist proportional dem Emissionsko&ffizienten und dem Ueber- schuss der Temperatur des Tieres über die Temperatur der Um- gebung. Wenn also die Wärmeausgabe steigt, während die Tem- peratur des Tieres über der normalen ist, so darf man daraus noch 1) Sitzungsberichte der königl. preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 25. Juni 1891. Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. 51 nicht auf eine höhere Wärmeproduktion schließen. Das wäre erst gestattet, wenn die Wärmeausgabe größer würde als die normale. Ich habe schon gesagt, dass die Wärmeausgabe nach den fleber- erregenden Injektionen anfangs immer mehr sinkt, dann aber wieder ansteigt. Wenn das Fieber auf seinem Höhepunkt angelangt ist und auf dieser Höhe einige Zeit verweilt, dann ist in vielen Fällen die Wärmeausgabe auch wieder auf den normalen Wert gelangt, manch- mal auch etwas kleiner oder etwas größer, als sie vor der Injektion war. Eine genaue Vergleichung wird ungemein erschwert durch den Umstand, dass auch in normalen Verhältnissen die Wärmeausgabe innerhalb gewisser Grenzen schwankt. Man muss daher Durch- schnittswerte von vielen einzelnen Beobachtungen an einem und dem- selben Tiere mit einander vergleichen. Und das ist wiederum nicht leicht, weil nicht alle Tiere die Injektionen so gut vertragen, dass man viele Beobachtungen an ihnen machen kann. Ich besitze jedoch eine ununterbrochene Reihe von 31 Beobachtungen (jede einen ganzen Tag umfassend) an einem und demselben Tiere. Hiervon fallen 14 auf den fieberlosen Zustand, 10 auf den Zustand gleichmäßigen Fiebers, und 7 sind gemischte, d. h. sie sind an Tagen angestellt, an denen kein Fieber vorhanden war, an denen aber ein solches im Verlaufe des Versuches eintrat. Die Mittelwerte dieser Messungen sind: Aus den Versuchen ohne Fieber 2,764 sec. Kalorien, ” ) ” mit ” 2,729 ” „ 5 „ gemischten Versuchen 2,598 „ A Aus diesen Zahlen geht hervor, dass die mittlere Wärmeausgabe in den gemischten Versuchen kleiner ausfällt, weil in ihnen die Zeit des Fieberanstiegs mit enthalten ist. Zwischen den fieberfreien und den Fiebertagen besteht aber kein Unterschied. Es war also hier die höhere Temperatur, welehe das Tier an den Fiebertagen hatte, nicht durch eine vermehrte Wärmeproduktion hervorgerufen, sondern diese muss einzig und allein durch eine Verkleinerung des Emissions- koeffizienten erklärt werden. Es fragt sich jetzt, ob dieser Befund für alle Fieber gilt. Für die durch die angeführten Injektionen erzeugten Fieber der Kaninchen glaube ich das im Allgemeinen behaupten zu können. Diese Tiere fiebern zwar zuweilen stark, aber das Fieber hält gewöhnlich nicht lange an. Dagegen habe ich allerdings in anderen Fällen, nament- lich bei Katzen infolge einmaliger Injektion von Heuinfus, Pyoeyanin und Krebsjauche länger anhaltendes Fieber gesehen und in solchen Fällen auch Wärmeausgaben beobachtet, welche die an den Normal- tagen beobachteten entschieden überstiegen. Ich bin also in meiner Ansicht, dass nicht alle Fieber einander gleich seien, bestärkt worden. Aber ich muss doch betonen, dass auch in diesen Fällen der Temperaturanstieg stets und ausnahmslos ohne vermehrte Wärmeproduktion und nur allein durch Wärmeretention zu Stande kam. Und weil gerade diese Fälle vermehrter Wärmeausgabe sich 572 Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. 27 mir bisher nur selten gezeigt haben (vielleicht deshalb, weil ich weniger an Katzen gearbeitet habe), so ziehe ich es vor, mich über diesen Punkt noch nieht endgiltig auszusprechen, sondern dieserhalb auf eine spätere Mitteilung zu verweisen. Wir können das bisher Festgestellte nochmals dahin zusammen- fassen, dass im Fieberanstieg niemals, auf der Fieberhöhe häufig keine Vermehrung der Wärmeproduktion vorhanden ist, dass also in diesen Fällen das Ansteigen der Eigentemperatur im ersten, die Bewahrung der erhöhten Temperatur im zweiten Stadium des Fiebers durch Verminderung der Wärmeausgabe erklärt werden muss. Wir haben jetzt zu untersuchen, wodurch die Verminderung der Wärme- ausgabe hervorgerufen werden kann. Es ist allgemein bekannt, welehe große Bedeutung das Verhalten der Körperoberfläche, namentlich die Blutzirkulation in der Haut für die Wärmeregulierung hat. Wenn ein Tier, aus einem warmen in einen kalten Raum versetzt, seine Eigentemperatur nahezu unver- ändert beibehält, so bedeutet das nichts anderes, als dass der Ueber- schuss der Eigentemperatur über die Umgebungstemperatur vermehrt wird, ohne dass deswegen die Wärmeausgabe steigt. In diesem Falle muss also der Emissionsko&ffizient des Tieres kleiner geworden sein. Wenn andererseits eine solche Verkleinerung des Emissions- koeffizienten eintritt, ohne dass die Umgebungstemperatur sich ändert, so muss notwendig die Eigentemperatur des Tieres steigen. Das ist es aber gerade, was wir im Anfangsstadium des Fiebers beobachten. Und es scheint mir nicht zweifelhaft, dass diese plötzlich eintretende Veränderung im Zustand der Haut unter dem Einfluss des Nerven- systems erfolgt, zumal wir in den vasomotorischen Nerven einen Apparat kennen, welcher einen solchen Einfluss sehr wohl auszuüben vermag. Daneben freilich kann es auch nicht als unmöglich hingestellt werden, dass durch andere gleichzeitige Einflüsse, welche vielleicht ebenfalls vom Nervensystem ausgehen, die Energie der Stoffum- setzungen in den Geweben unmittelbar gesteigert, dass also mehr Wärme produziert werden kann, was bei gleichbleibendem Emissions- koöffizienten gleichfalls zu einer Temperatursteigerung und dann zu einer vermehrten Wärmeausgabe führen muss. Eine solche vermehrte Wärmeausgabe müsste aber kalorimetrisch nachgewiesen werden. Das ist uns im Anfangsstadium des Fiebers niemals, auf der Höhe des Fiebers in vielen Fällen gleichfalls nicht gelungen, während in anderen in der That eine, wenn auch nieht sehr große Vermehrung der Wärmeproduktion beobachtet wurde. Ob dieselbe von einem unmittelbaren Einfluss des Nervensystems auf die Gewebe herrührt, das kann durch die kalorimetrische Untersuchung allein nicht ent- schieden werden. Man könnte nämlich auch daran denken, sie als eine mittelbare Folge der durch das fiebererregende Mittel erzeugten Temperatur- Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. 573 steigerung zu deuten. Wenn ein Tier durch Wärmezufuhr von außen erwärmt wird, so dass seine Temperatur über den normalen Wert steigt, so nimmt die Aufnahme von Sauerstoff und die Ausgabe von Kohlensäure zu. Manche Autoren sind geneigt, diese Thatsache so zu deuten, dass bei der höheren Temperatur auch die chemischen Umsetzungen in den Geweben lebhafter vor sich gehen. Dann müsste natürlich auch mehr Wärme produziert werden. Der gleiche Erfolg müsste aber auch eintreten, wenn die Temperatursteigerung auf an- dere Weise, z. B. wie in unserem Falle durch Verkleinerung des Emissionskoeffizienten veranlasst wäre. Ich bin bis jetzt nicht in der Lage, für oder gegen eine dieser möglichen Annahmen thatsächliche Belege beizubringen. Ich beab- sichtige auch keineswegs, in diesem Aufsatz eine abgeschlossene Theorie des Fiebers aufzustellen, sondern ich will nur einige That- sachen feststellen, welche als Grundlagen für eine solche Theorie später Verwendung finden können. Das Material, welches ich hierfür liefern kann, ist noch lange nicht vollständig genug, um jetzt schon allzu weitgehende Schlüsse darauf zu bauen. Bisher habe ich mich nur mit den Stadien des Fieberanstiegs und der Fieberhöhe beschäftigt. Viel schwieriger ist es, durch Ver- suche an Tieren etwas über das Stadium des Fieberabfalls, der De- fervescenz, zu erfahren. Günstig für die Untersuchung wären jähe, kritische Abfälle der Fiebertemperaturen, und solche habe ich bei meinen Tieren nicht beobachtet. Dagegen habe ich öfter während der Fieberhöhe steile Abfälle durch Antipyrineinspritzungen erzeugt. Dabei zeigte sich stets eine sehr große Steigerung der Wärmeaus- gabe, welche ungefähr der Temperaturabnahme entsprach. Darf man diese Erfahrungen auf die spontan eintretenden Temperaturabfälle übertragen, so würden diese also durch eine plötzliche Vergrößerung des Emissionsko£ffizienten zu Stande kommen, wie die Temperatur- anstiege im Initialstadium durch Verkleinerung desselben. Das thatsächliche Ergebnis meiner Versuche, dass wenigstens im Anfang des Fiebers nicht mehr Wärme produziert wird, als vor dem Fieber, stimmt vollkommen überein mit den analogen Befunden des Herrn Senator!). Dieser Forscher bediente sich eines Wasser- kalorimeters. Ist dasselbe auch für die physiologische Kalorimetrie weniger geeignet, als das von mir benutzte Luftkalorimeter, so hat doch Herr Senator es durch geschickte Einrichtung des Apparats möglich gemacht, mit demselben brauchbare Ergebnisse zu erzielen, namentlich auch Messungen von 2 bis 3 Stunden Dauer anzustellen, was seinen Versuchen einen großen Vorzug vor ähnlichen anderer Forscher verleiht. Mit dem Luftkalorimeter aber konnte ich die Versuche über mehrere Tage ausdehnen und so den ganzen Verlauf 1) Untersuchungen über den fieberhaften Prozess und seine Behandlung. Berlin 1873. 574 Rosenthal, Wärmeproduktion im Fieber. des Fiebers verfolgen, wie ich es im Vorhergehenden dargestellt habe. Ueber meine Versuche am Menschen will ich mich kurz fassen, weil dieselben noch nicht abgeschlossen sind. Ich habe zwar zahl- reiche Beobachtungen angestellt, aber da die Kranken immer nur kurze Zeit kalorimetrisch untersucht werden können, so bekommt man auch nur kurze Ausschnitte aus dem Fieberverlauf zu Gesichte, und es ist sehr schwer, aus diesen den ganzen Verlauf zu kon- struieren. Die Hauptschwierigkeiten sind folgende: 1) Wenn es auch möglich ist, Messungen auf der Fieberhöhe anzustellen, so fehlt doch der Vergleich mit dem vorhergegangenen Normalzustand; statt dessen ist man angewiesen auf den postfebrilen Zustand der Rekonvaleszenz, in welehem doch besondere Verhältnisse obwalten, die nieht ohne weiteres auf den gesunden Zustand, wie er etwa kurz vor dem Einsetzen eines akuten Fiebers bestanden hat, übertragen werden können. 2) Den Fieberanstieg kann man überhaupt nicht untersuchen, weil die Kranken schon fiebern, wenn man sie zu Gesicht bekommt. 3) Es gelingt zuweilen, eine Periode aus dem Deferveszenz- stadium zu beobachten, aber die Fälle sind selten, weil man durch keine Symptome von dem Herannahen desseiben unterrichtet wird, also auf den Zufall angewiesen ist. Alle diese Schwierigkeiten würden verschwinden, wenn man typische intermittierende Fieber untersuchen könnte, wie sie der Malaria eigen sind. Dazu habe ich aber noch keine Gelegenheit gehabt. Als Ersatz habe ich das durch Injektion des Koch’schen Tuberkulins bei Tuberkulösen erzeugte Fieber untersucht und dabei einige wertvolle Ergebnisse gefunden. Im Uebrigen erstrecken sich meine bisherigen Erfahrungen auf Fälle von Pneumonie, von Typhus und einen Fall von unregelmäßig intermittierendem Fieber, welchen mir Herr Direktor Guttmann im Krankenhause Moabit gütigst zu untersuchen gestattete. Das Ergebnis dieser aus den angeführten Gründen noch lücken- haften Erfahrungen ist folgendes: Auf der Fieberhöhe ist die Wärme- ausgabe größer als im fieberlosen Zustand der Rekonvaleszenz; noch größer und zwar um sehr viel größer ist sie im Stadium der Deferveszenz, sowie während der Temperaturabfälle unter dem Ein- fluss von Antipyrin. Im Stadium des Fieberanstiegs ist die Wärme- ausgabe geringer als auf der Fieberhöhe. Diese Ergebnisse stimmen im Allgemeinen überein mit den an Tieren gewonnenen. Sie stimmen auelı überein mit dem, was schon Leyden!) an fiebernden Menschen beobachtet hat. Sie gestatten vorerst aber gar keinen Schluss auf das Verhalten der Wärmepro- 1) Deutsches Archiv für klinische Medizin, Bd. VII, S. 273. Stern, Auftreten von Oxyhämoglobin in der Galle. 575 duktion. Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, durch fernere Ver- suche die noch bestehenden Lücken auszufüllen, und werde dann Weiteres berichten. Erlangen, den 15. Juli 1891. Richard Stern, Ueber das Auftreten von Oxyhämoglobin in der Galle. Aus dem Laboratorium der mediz. Klinik des Herrn Geheimrat Biermer in Breslau. — Virchow’s Archiv f. patholog. Anatomie u. Physiologie und für klin. Medizin, 123 Bd., 1891, S. 33 fg. Durch die Arbeit von Wertheimer und Meyer!) war kon- statiert, dass bei durch Anilin oder Toluidin vergifteten oder infolge starker Abkühlung gestorbenen Hunden Blutfarbstoff in die Galle übertritt. In einer fast gleichzeitig erscheinenden Arbeit teilte Fi- lehne?) mit, dass er bei Vergiftungen mit den verschiedensten Blut- giften bei Kaninchen konstant Hämoglobin in der Galle gefunden habe, jedoch nicht bei Hunden. Bei Kaninchen schien also hiernach durch gewisse blutschädigende Eingriffe Hämoglobinocholie erzeugt zu werden. Verf. stellte sich daher die Aufgabe, zu untersuchen, ob sich dasselbe auch dureh Injektion von Hämoglobinlösungen erreichen lasse. Nach den Untersuchungen Ponfick’s°) nahm man an, dass, wenn das im Plasma befindliche Hämoglobin weniger als !/,, des ge- samten Körperhämoglobins ausmache, dasselbe von der Leber auf- genommen, in Gallenfarbstoff umgewandelt und durch den Darm aus- geschieden werde, aber noch nicht im Urin erseheine. Verf. unter- suchte nun, ob nicht zwischen der Hämoglobinämie einerseits und der Hämoglobinurie anderseits ein Stadium existiere, in welchem der Blutfarbstoff aus dem Plasma in die Leber aufgenommen, aber nicht mehr in Gallenfarbstoff umgewandelt werde, das Hämoglobin also in der Galle auftrete. Er benützte zu seinen Versuchen Kaninchen, denen er aus Pferdeblut hergestelltes, krystallisiertes Hämoglobin intravenös injizierte. Nach Verlauf von 1, 2, 3—5 Stunden nach der Injektion wurden die Tiere durch Genickschlag getötet, und unter Vermeidung jeder Verunreinigung durch Blut die Galle und der Harn der getöteten Tiere in Reagensgläser entleert. Desgleichen wurde auch der gesamte von den Tieren in der Zeit zwischen der Injektion und dem Tode gelassene Urin aufgefangen. Die so gewonnenen Flüssigkeiten wurden mittels eines mit Skala versehenen Spektroskops & vision directe auf die Anwesenheit von Hämoglobin geprüft. Hierbei ergab sich, dass 1—2 Stunden nach der Injektion die Galle überhaupt noch kein 4) E. Wertheimer et E. Meyer, De l’apparition de l’oxyh&moglobine dans la bile ete. Arch. de physiol., 1889, p. 438. 2) W. Filehne, Der Uebergang von Blutfarbstoff in die Galle ete. Virchow’s Archiv, Bd. 117, 1889, p. 415. 3) Ponfick, Ueber Hämoglobinurie und ihre Folgen. Verh. d. II. Kon- gresses für innere Medizin und Berliner klin. Wochenschrift, 1883. 576 Stern, Auftreten von Oxyhämoglobin in der Galle. Hämoglobin enthält, die Ausscheidung desselben in die Galle also erst in der dritten Stunde nach der intravenösen Injektion beginnt. Ferner fand Verf., dass, sobald die Menge des injizierten Hämoglobins eine sehr niedrige Grenze — etwa 0,02 g pro kg des Tieres — über- schreitet, die Leber nicht mehr im stande ist, allen Blutfarbstoff in Gallenfarbstoff umzuwandeln, sondern einen Teil des ersteren unver- ändert ausscheidet, dass jedoch erst bei weit höheren Hämoglobin- mengen auch eine Ausscheidung durch die Nieren stattfindet. — Da das angewandte Hämoglobin in einer 0,6prozentigen Kochsalzlösung aufgelöst injiziert wurde, so stellte Verf. auch einige Kontrolversuche mit Injektionen von reiner 0,6proz. Kochsalzlösung an. Es ergab sich hierbei, dass auch hierdurch, allerdings erst bei höheren Dosen — ca. 10 cem pro kg Tier — Blutfarbstoff unverändert in die Galle übertritt. Es ist also Kochsalzlösung durchaus keine für Blut so indifferente Flüssigkeit, als man bisher annahm. Ob hierbei infolge Diffusion der andern (außer NaC]) in den roten Blutkörperchen ent- haltenen Salze in die Kochsalzlösung ein Zerfall der roten Blutkörper- chen stattfindet, oder ob durch die intravenös injizierte Chlornatrium- lösung eine Schädigung und daraus bedingte Funktionsstörung der Leber stattfindet, will Verf. nicht entscheiden. Da durch die Einwanderung pathogener Mikroorganismen in den Körper meistenteils eine starke Schädigung des Blutes bewirkt wird, so lag es nahe, zu untersuchen, ob auch bei Infektionskrankheiten ein Uebergang von Blutfarbstoff in die Galle stattfinde. Diese Ver- mutung konnte Verf. durch eine Reihe von Versuchen, die er eben- falls an Kaninchen anstellte, für den Milzbrand bestätigen. Hingegen erhielt er nicht so sichere Resultate nach Infektion mit dem Löff- ler’schen Diphtherie- Bacillus. Verf. schloss hieran noch eine größere Versuchsreihe, in welcher er menschliche Galle auf die Anwesenheit von Hämoglobin unter- suchte. Jedoch konnten die Untersuchungen den Verhältnissen gemäß gewöhnlich erst ca. 24 Stunden nach dem Tode vorgenommen werden, und schon Wertheimer und Meyer hatten in ihrer Arbeit kon- statiert, dass — beim Hunde wenigstens — nach dem Tode das Hämo- globin aus den in den Gefäßen der Gallenblase befindlichen roten Blutkörperchen in die Galle übergeht. Verf. kann daher nicht mit Sicherheit entscheiden, inwieweit in den Fällen, in denen er Hämo- globinocholie gefunden, das Hämoglobin erst post mortem in die Galle gelangt ist. Seinen an den etwa 80 untersuchten Fällen gewonnenen Resultaten misst deshalb der Verf. auch keine ausschlaggebende Be- deutung bei und teilt nur kurz die beobachteten Thatsachen mit, ohne zunächst den Versuch einer Erklärung derselben zu machen. H. Kionka (Breslau). Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI, Band. 15. Oktober 1891. i Nr. 19. Augen von Krebsen und Insekten. — Nagel, Ueber die Entwicklung des Uterus und der Vagina beim Menschen. — Schmiedeberg, Ueber die chemische Zusammensetzung des Knorpel, — Ellenberger und Baum, Systematische und topographische Anatomie des Hundes, — Zacharias, Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers. — Aus den Verhandlungen ge- lehrter Gesellschaften: Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Natur- wissenschaften in Marburg. Das Mesozoon: Salinella. Von Johannes Frenzel. Es ist bekannt, dass zwischen einzelligen und vielzelligen Tieren bisher eine Kluft sich ausdehnte, welche größer war, als die zwischen dem Pflanzen- und Tierreich, denn diese beiden sind ja auch heute noch trotz unserer fortgeschrittenen Kenntnisse kaum von einander zu trennen. Die einzelligen Tiere, meist unter dem Namen der Protozoen zusammengefasst und noch viele zweifelhafte Formen der Protisten umschließend, bestehen nicht nur, wie bereits ihr Name kundgibt, aus einer einzigen Zelle, welche all die verschiedenen Funktionen eines tierischen Organismus in sich vereinigt, sondern sie nehmen auch in mehrfacher andrer Beziehung eine recht abson- derliche Stellung ein, namentlich auf dem Gebiete der Entwicklung. Muss man doch sogar, was jedem modernen Zoologen schwer wird, bei ihrer systematischen Anordnung physiologische Beweggründe walten lassen, da hier eben die rein morphologischen und em- bryologischen Stützen unzureichend sind; und muss man sie doch sogar, im Allgemeinen wenigstens, von dem biogenetischen Grundgesetz Häckel’s ausschließen, was gleichfalls wenig er- freulich ist. Die vielzelligen Tiere andrerseits sind nun nicht etwa ein- fache Zellaggregate, wie sie im übrigen von den Protisten her nicht unbekannt sind, sondern sie lassen, wenn auch häufig nur mit Mühe noch erkennbar, einen dreischiehtigen Bau nachweisen, indem I: o7 575 Frenzel, Das Mesozoon: Salinella. sie im einfachsten Falle eine äußere Zellschicht besitzen, welche die Sinneswahrnehmungen etc. vermittelt, ferner ein mittleres stützendes Gewebe und endlich ein inneres, welches die Funktion der Ernährung besorgt, indem es einen als Gastralraum, Darmrohr ete. benannten Hohlraum umkleidet. Es gibt noch einen anderen durchaus nicht unwichtigen Unter- schied zwischen Einzelligen und Vielzelligen, der leider viel zu wenig beachtet wird, vielleicht deshalb, weil er zuvörderst nur physio- logischen Motiven entspringt. Sehen wir nämlich von holophytisch sich ernährenden Formen ab, die also wie eine niedere Pflanze leben, und sehen wir ferner von den Darmparasiten ab, welche vielfach, aber nicht immer, das bereits von Anderen Verdaute absorbieren können, so finden wir, dass die Protozoenzelle ihre Nahrung (richtiger Speise) in sich aufnimmt, im Inneren verdaut und das Geeignete absor- biert. Dies ist eine sog. intrazelluläre Verdauung, welche ganz im Gegensatze bei den Metazoen nur vereinzelter und ausnahmsweise angetroffen wird, denn hier herrscht die extrazelluläre Ver- dauung vor, die sich nach „dem Grundsatz: „Einer für Alle und Alle für Einen“ vollzieht, indem alle daran beteiligten Zellen ihre Ver- dauungsenzyme gewissermaßen in einen gemeinsamen Topf werfen, wo die Verdauung vor sich geht, gerade wie in einer Küche für eine größere Anzahl von Personen gekocht wird. Es werden demnach nicht mehr feste, zum Teil überhaupt nicht verdaubare Körper von den Zellen aufgenommen, wie wir dies bei den Protozoen bemerkten, sondern nur noch flüssige Stoffe in Gestalt von Pepton, Zucker, Fett u. s. w. Infolgedessen sind derartige morphologisch besonders gebaute Aufnahmeorgane nicht mehr erforderlich, wie man sie bei den Protozoen in Form von Pseudopodien, Geißeln, Wimpern ete. vorfindet. Die Absorption bei den Metazoen darf vielmehr nur noch als ein chemischer Prozess betrachtet werden, der von den leben- den Zellen ausgeht. Würde man nun aus einer Anzahl von Protozoen z. B. aus ziliaten Infusorien ein mehrzelliges Tier konstruieren wollen, so würde man mithin bald auf eine große physiologische Schwierigkeit stoßen. Man könnte ja wohl mit Leichtigkeit den einfachsten metazoischen Fall nachahmen und jene Zellen so anordnen, dass sie einen Hohlraum, welcher eine einführende Oefinung hat, umkleiden. Wie sollte nun aber die Ernährung vor sich gehen? Die Protozoengruppe würde allenfalls aus dem gemeinsamen Hohlraum ihre Speise entnehmen, Die Einzelindividuen würden diese jedoch direkt in ihr Inneres be- fördern, dort verdauen ete. Mithin wären wir bei dieser Konstruk- tion nicht über eine simple Protozoenkolonie hinausgekommen und hätten noch lange kein regelrechtes Metazoon gewonnen. Denn wenn es bei diesen auch intrazellulär verdauende Formen gibt, so dürfen Frenzel, Das Mesozoon: Salinella. 579 wir nicht vergessen, dass es nur die Entodermzellen sind, die dabei in Frage kommen können. Nun müssen aber alle übrigen Gewebe gleichfalls ernährt werden, und dies geschieht doch dadurch, dass sie bereits verdaute Stoffe von den Darmzellen aus empfangen. Würde man diese letzteren also allenfalls noch als Protozoenzellen auffassen können, so ist dies bei den ersteren, den Mesoderm - und Ektodermzellen durchaus nicht mehr statthaft, und diese müssen in ähnlicher Weise absorbieren, wie es die extrazellulär verdauenden Darmzellen thun. Es lässt sich aus dem soeben Betrachteten unschwer erkennen, dass die Mehrschichtigkeit der Metazoen an und für sich schon den schneidenden Unterschied bedingt, welcher sie von den Protozoen trennt, und dass ferner die Mehrzelligkeit als solehe noch nicht im Stande ist, die tiefe Kluft zwischen den beiden Hauptgruppen des Tierreiches zu überbrücken. Als Mesozoen sind bekanntlich schon früher Organismen benannt worden, welche allerdings sonderbar genug sind und die Berechtigung jenes Namens nicht unwahrscheinlich machten. Aber die Stellung der Orthonektiden und Dieyemiden ist doch eine recht zweifelhafte und weist mehr auf die Zugebörigkeit zu den Würmern hin. Auch das Genus Trichoplax ist von Fr. Eilh. Schulze mit gutem Grunde den Metazoen angereiht worden. Denn wenngleich seine Enährungs- verhältnisse wohl noch recht unklare geblieben sind, so lässt sich doch nicht feststellen, dass die Verdauung hier eine intrazelluläre sei. So ist es gekommen, dass die Gruppe der Mesozoen wieder von der Bildfläche verschwand. Ich glaube es daher als einen glück- lichen Zufall betrachten zu dürfen, dass es mir gelang, in einer Lösung von Salinensalz, welches aus der Provinz Cördoba, Argen- tinien, stammte, ein mikroskopisches Tierchen zu finden, welches, aus vielen Zellen zu einem einheitlichen Organismus verbunden, nicht mehr als Protozoon zu betrachten ist, dagegen, da es nur eine Zell- schieht aufweist, kein Metazoon genannt werden kann, wenngleich sich die Verdauungsvorgänge wie bei einem solchen abspielen. Es liegt hier mithin das erste und einzige Beispiel eines Ueber- gangsgliedes zwischen Protozoen und Metazoen vor. Die Salinella, wie ich dieses neue Tierchen genannt habe, ist ein vielzelliger Organismus, bei dem die denselben zusammenetzenden Elementarorganismen ihre Selbständigkeit so völlig aufgegeben haben, dass gewissermaßen ein Mitteldarmtier entstanden ist, ein Tier, dessen Darmepithel aus typischen Mitteldarmzellen zusammengesetzt ist. Ob hier indessen ursprünglich eine Kolonie von Infusorien vor- lag, die sich allmählich umgewandelt haben, ist eine Frage, welche sieh durchaus nicht irgendwie entscheiden lässt. Leider fehlt bis Jetzt nämlich eine der wesentliehsten Beweisstützen, das ist die Ent- wicklungsgeschichte. Ich traf zunächst nur Larven an, die allerdings Dr ar 580 Frenzel, Das Mesozoon: Salinella. einzellig sind und ferner auch ganz wie eine echte Ciliate intra- zellulär verdauen. Der äußere Bau dieser Larven ist nun freilich. so eigenartig, der Besitz nämlich von Bauchzilien, Rückenborsten ete., dass man sofort den Zusammenhang dieses Tierchens mit der Sali- nella erkennen muss und auf eine recht direkte Entwicklung schließen möchte. Es bleibt jedoch darin eine erhebliche Schwierigkeit be- stehen, dass der Uebergang dieser einen intrazellulär ver- dauenden Zelle in dasextrazellulär verdauendereife Tier rätselhaft und völlig unaufgeklärt ist. Wollte man unsere Salinella aus einer Summe von ciliaten In- fusorien konstruieren, so würde, wie wir schon wissen, zunächst nur eine Protozoenkolonie entstehen. Weiterhin wäre es dann nötig, die Einzelelementarorganismen zu veranlassen, ihren Mund zu schließen, ihre Verdauungsenzyme in den gemeinsamen Hohlraum, den Darm zu entleeren und das Verdaute zu absorbieren. Dies würde aber einen höchst komplizierten Entwicklungsprozess abgeben, wofür ein Analogon kaum besteht: In der That scheint die Natur auch einen andern Weg einge- schlagen zu haben. Eine Beobachtung nämlich, welche leider infolge eines unglücklichen Zufalls nicht weiter fortgesetzt werden konnte, deutet darauf hin, dass innerhalb jener Larvenzelle durch eine Art von endogener Zellwucherung an der Leibeswand neue viel kleinere Zellen entstehen, die im Innern einen Hohlraum freilassen, der wahr- scheinlich späterbin zum Darmrohre wird. Eingeleitet wird dieser Vorgang zuerst durch eine Halbierurg des Kernes, welche zwar als indirekte Teilung zu bezeichnen ist, aber von der mitotischen sich wesentlich unterscheidet. Hierauf entstehen weitere Teilstücke, die nun ihrerseits nach der Peripherie der Larvenzelle hinrücken. Was jetzt weiter geschieht, war ich leider nicht mebr im Stande zu be- obachten. Vermutlich jedoch bildet sich um jeden jener Kerne, wie schon gesagt, eine Zelle, und zwar an der bewimperten Bauchseite der Larve Bauchzellen, an der mit Borsten besetzten Rückenseite hückenzellen ete. Gleichzeitig muss sich am vorderen Pole eine Mundöffnung und hinten eine Afteröffnung bilden, und ebenso an der Innenseite der jungen Zellen ein Wimperbesatz. Damit würde sodann das völlig entwickelte Tier fertig sein, und der ursprüngliche verdauende Raum der einzelligen Larve, welcher freilich einen ento- plasmatischen Inhalt führt und nicht hohl ist, wäre in das Darmrohr übergegangen, das nun seinerseits frei von einem solchen Inhalt ist. Mir scheint, dass dieser letztere Umstand von ganz entschei- dender Bedeutung wird. Denn würde auch der Darm ein (ver- dauendes) Plasma enthalten, so müsste dieses zellulärer Natur sein und müsste, da ja Speisebestandteile aufgenommen werden, intra- zellulär verdauen. Dann aber wäre auch schon eine Mehrschichtig- keit vorhanden. Exner, Physiologie der facettierten Augen. 51 Nachdem ich bereits eine vorläufige Mitteilung!) über den Bau der Salinella veröffentlicht hatte, habe ich vor kurzem die ausführ- liche Bearbeitung dieses Gegenstandes dem Druck übergeben. Es sei mir gestattet, im Einzelnen auf die letztere zu verweisen, da hier nur noch im Besonderen darauf hingezeigt werden sollte, wie nahe doch die Salinella in physiologischer Beziehung den Metazoen steht, und wie man sie nicht so ohne weiteres aus einer Protozoenkolonie entstanden denken darf, obgleich allerdings ihre Larvenform ganz wie ein ziliates Infusorium aussieht. Grade die weitere Entwicklung dieser Larve aber, so unvollkommen sie mir auch bekannt wurde, beweist, dass sie sich nicht etwa durch gewöhnliche Teilung zum vollkommenen Tiere heranbildet, so etwa, wie aus einer einzelnen Choanoflagellate eine Kolonie wird, sondern durch einen bei weitem komplizierteren Prozess, den wir am passendsten als endogene Zell- bildung bezeichnen dürfen. Es ist, um nun den Schluss zu machen, vor der Hand ziemlich gleichgiltig, ob man die Salinella zu den Protozoen oder zu den Metazoen stellen möchte, oder sie zwischen beide als eine Mesozoe schiebt, wo sie ebenso unvermittelt dasteht wie der Amphioxus in der Reihe der höheren Tiere. Dass sie indessen einen wirklichen Uebergang zwischen den beiden großen Abteilungen des Tierreiches herstelle, kann von ihr ebensowenig wie von einer Orthonektide oder von Trichoplax behauptet werden. Wir haben hier eben absonder- liche Glieder vor uns, welche sich in unser so schön und so künst- lich gebautes System nicht einreihen lassen und welche beweisen wollen, wie wenig sich die Natur eine dogmatische Behandlung von unserer Seite gefallen lässt, eine Behandlung, die in den biologischen Wissenschaften leider zu sehr die Ueberhand zu nehmen scheint und gerne Alles ausschließen möchte, was nicht in ihren engen Rahmen passt. S.Exner, Die Physiologie der facettierten Augen von Krebsen und Insekten. Gr. S. 198 Seiten. Mit 7 lithographischen Tafeln, einem Lichtdruck und 23 Holzschnitten. Leipzig u. Wien. Franz Deuticke. 1891. Die Augen aller Lebewesen lassen sich in zwei Hauptgruppen teilen. Nach dem Prinzip der Camera obseura ist die erste Gruppe bei Gastropoden, Würmern und Wirbeltieren gebaut und ihre Dioptrik ist gut bekannt. Die zweite Gruppe wird von den Facetten-Augen der Arthropoden gebildet; ihre Dioptrik ließ bisher alles zu wünschen übrig, obgleich in den letzten zwanzig Jahren viele Forscher sich mit denselben beschäftigt haben. Sig. Exner gelang es nun das Prinzip des „Linsenzylinders“ für das Facettenauge zur Geltung zu bringen 1) Zoolog. Anzeiger, 1891, Nr. 367, S. 230 fg. lo Exner, Physiologie der facettierten Augen. und eine Reihe von interessanten Beobachtungen damit zu erklären. Das wesentlichste Ergebnis seiner wissenschaftlichen Forschungen ist tolgendes. Fig. 1. Zur Untersuchung der Dioptrik des Fa- —— —— cettenauges eignen sich : besonders solche Au- gen, deren Krystall- kegel mit der Cornea verwachsen sind wie \ N das die Figur 1 zeigt. d;-- ------- D); Diese Abbildung stellt \ ZH, ein Facettenglied des Limulus-Auges dar [Li- mulus Schwertschwanz, zu den geschwänzten Seekrebsen gehörig]. A ist der dioptrische Apparat bestehend aus Hornhaut und Krystall- kegel, B die Retinula. Ein Auge mit derartig beschaffenen Facetten- gliedern kann leicht mit einem feinen Messer abgekappt und so von seinem Pigment befreit werden, dass man von rückwärts Gegenstände durch das Auge beobachten kann. Zu dem Zweck hängt man es in einem Flüssigkeitstropfen an einem Deckglase auf, befestigt das Ganze auf einem durchlöcherten Objektträger und bringt es unter das Mikroskop. So gelingt es dem Beobachter den Effekt der dem diop- trischen Apparat durchsetzenden Lichtstrahlen zu kontrollieren und Exner erkannte das zur Perzeption gelangende aufrechte Bild des Limulus - Auges. Johannes Müller hatte schon im Jahre 1826 behauptet, dass durch die Facetten der Arthropoden- Augen ein aufrechtes Bild zur Wahrnehmung gelange, doch wurde diese Theorie Joh. Müller’s, die zu wenig begründet war, von den späteren Autoren, besonders von Grüel und Gottsche, ferner von Max Schulze aufgegeben zu Gunsten der Theorie vom umgekehrten Bilde. Hatte sich in jüngster Zeit die Vermutung bereits Bahn gebrochen, dass die Theorie Joh. Müller’s doch die richtige sein möchte, so hat nun Sig. Exner durch seine bahnbreehenden Untersuchungen der Theorie vom auf- rechten Bilde nunmehr zu vollem Rechte verholfen. Mit Hilfe des Refraktometers kam nämlich Exner zur Ueber- Sanur une W Exner, Physiologie der facettierten Augen. 585 zeugung, dass der dioptrische Apparat eines Facettengliedes nicht aus einer homogenen Masse bestände, sondern aus die Axe umlagernden zylindrischen Schichten, deren Breehungsexponenten von der Axe zum Mantel abnehmen. Derartige sogenannte Linsenzylinder funktionieren ähnlich wie Linsen; ihre Eigenschaften, durch die sie sich aber von den Linsen unterscheiden, machen dieselben besonders geeignet für die spezifischen Forderungen des Facettenauges. So ist die optische Wirkung des Linsenzylinders nahezu unabhängig von der denselben umgebenden Flüssigkeit; während die optische Wirkung von kugeligen Flächen im höchsten Grade von der Umgebung abhängig ist. Damit hängt es zusammen, dass jene Tiere, welehe teils im Wasser teils außerhalb desselben leben, wie die Schwimm- und Wasserkäfer, eine vordere Begrenzungsfläche der Corneafacetten haben, deren Krümmung kaum in Betracht kommt, während z. B. bei vielen Schmetterlingen diese Flächen einen sehr kleinen Krümmungshalbmesser haben. In der That würde die Wirkung des dioptrischen Apparates bei starker Kıümmung der Corneafacetten sich gänzlich ändern, wenn das Tier aus dem Wasser steigt, während sie sich nahezu gar nicht ändert, wenn die Corneafacette aus einem Linsenzylinder besteht. Bei Krebsen, die das Wasser zeitweilig verlassen, waltet ein analoges Verhältnis ob. Im Folgenden gebe ich eine kurze Uebersicht über die Brechungs- verhältnisse des Linsenzylinders. Es sei z.B. in Fig..2adcd ein Zylinder, dessen Brechungs- index von der Axexy zum Mantel a b stetig abnimmt; dann lässt sich berechnen, dass ein auffallen- der Strahl x m denselben so durch- setzt, wie es nebenstehende Zeich- nung veranschaulicht, er wird näm- lich der Axexywieder zugebrochen. Stellt man sich einen längeren derartigen Zylinder vor, wie ihn die Figur 3 zeigt, so ergeben sich für parallel auffallende Strahlen jene Brennpunkte a@ b ce der Fig. 3, Fig. 3. in weleher man nur nötig hat, den Zylinder so oder so senkrecht zu seiner Axe zu durchschneiden, um eine Dioptrienfolge zu erhalten. Fig. 4 stellt einen Linsen-Zylinder dar, in welchem das Bild eines 5s4 Exner, Physiologie der facettierten Augen. Gegenstandes konstruiert ist. Dieser Zylinder hat die einfache Länge seiner Brennweite, die dem Bilde z y peripherisch anliegenden Mantel- Fig. 4. stücke kommen in soleh einem Zylinder nicht zur dioptrischen Verwertung, wie die Figur zeigt. Ein abgestumpfter Kegel von den be- schriebenen Eigenschaften des Linsenzylinders wird die gleichen Dienste thun und eine Facette des Limulus- Auges entspricht einem solchen abgestumpften Kegel; bei A in Fig. 1 liegt die sogenannte Spitzenfläche des Kegels, die der Ebene c d in Fig. 4 entspricht. In der oben beschriebenen Versuchsanordnung kann an der Spitzenfläche a? das Bild eines Gegenstandes direkt beobachtet werden. Ein Kegel des Limulus-Auges also von der Cornea bis zur Spitzenfläche entspricht nach Exner einem dioptrischen Apparat, der im Wesentlichen als Linsenzylinder wirkt und zwar als einer näherungsweise von der Länge seiner Brennweite. Aus Figur 1 ist ersichtlich, dass ein Facettenglied mit seiner Retinula rings von Pigment umgeben ist, die Retinula also nur aus einem einzigen Kegel Licht empfängt, der seinerseits ein Gesichtsfeld von 8° Weite beherrscht. Aus den Gesichtsfeldern aller Einzelfacetten setzt sich das Gesamtgesichtsfeld des Limulus- Auges zusammen. Exner erkannte dies als einen besonderen Typus der Bildapperzeption und drückte dies durch den Namen „Apposttionsbild“ aus im Gegen- satz zu dem „Superpositionsbilde“. ne u Dieses letztere ist dadurch charakterisiert, dass die den einzelnen Facettengliedern zugehörigen Lichtmassen in der Ebene der Netzhaut Exner, Physiologie der facettierten Augen. 585 zu einem großen Teile über einander fallen und zwar liegen für jeden Punkt des abzubildenden Gegenstandes eirca 30 Netzhautbilder über einander. Ein Blick auf den beigegebenen Durchschnitt durch das Auge des Leuchtkäfers (Fig. 5) |Lampyris splendidula| wird dies ver- anschaulichen. Der dioptrische Apparat, die Cornea-Zylinder, sind von der Retina R durch eine breite Zwischenschicht getrennt, und das Pigment umhüllt nicht, wie im ZLimulus- Auge ein Facettenglied ganz und gar, sondern ein und dieselbe Stelle der Retina kann Licht aus verschiedenen Cornea-Zylindern erhalten. So entsteht das Super- positionsbild. Dasselbe ist ein aufrechtes Bild und wird mittels oben beschriebener Versuchsanordnung mit dem Mikroskop als solches be- obachtet. Exner hat es mikrophotographisch aufgenommen und seinem Buche als Titelblatt beigegeben. Das Auge befand sich einem Bogenfester gegenüber, durch welches eine Kirche sichtbar war. Auf einer der Fensterscheiben war aus schwarzen Papier ein # aufgeklebt. Alles dieses ist auf der Photographie deutlich sichtbar. Das Zustandekommen des Superpositionsbildes veranschaulicht besonders auch folgender Versuch Exner’s. Derselbe wählte als ab- zubildenden Gegenstand zwei Kerzenflammen und richtete das hori- zontalgestellte Mikroskop, auf dessen Objekttisch sich das Lampyris- Auge in der oben angegebenen Weise befand, gegen den Mittelpunkt der Verbindungslinie der beiden Kerzen. Stellte jetzt Exner auf die Ebene des Netzhautbildes ein, so sah er natürlich zwei Lichtpunkte. Näherte er dann die Fokalebene des Mikroskops der Cornea, so ge- wahrte er die optischen Querschnitte der Strahlenbündel, welche bei ihrer Vereinigung die beiden Bildpunkte ergaben. Und zwar gehörte Jedem Punkt eine Schaar von Strahlen an; jeder dieser Strahlen kam aus einem Krystallkegel. Waren die beiden Kerzenflammen in der passenden Entfernung, so drangen aus der Mehrzahl der beleuchteten Krystallkegel je zwei Strahlen hervor, von denen der eine dem einen Bildpunkte, der andere dem anderen Bildpunkte zustrebte. Ein vom rechten Objektpunkte in den Krystallkegel eindringender Strahl wird als nach dem rechten Bildpunkte abgelenkt, ein vom linken Objekt- punkte eindringender Strahl ward in demselben Krystallkegel dem linken Bildpunkte zugelenkt. Wenn man vermuten könnte, dass dieser Vorgang auf Reflexion beruhe, so beweist Exner, dass die Wirkung der Krystallkegel wesentlich auf ihrer Schiehtung, die ihn eben als Linsenzylinder charakterisiert, basiert ist. Die gekrümmten Flächen, die von so wesentlicher Wirkung im Wirbeltierauge sind, kommen im Facettenauge nur wenig in Betracht, wenn gleich sie die Wirkung des Linsen -Zylinders unterstützen und zwar handelt es sich nach Exner’s Darstellung für das Lampyris-Auge um einen Linsenzylinder, dessen Länge gleich ist der doppelten Länge seiner Brennweite. Exner sucht auch zu beweisen, dass den Krystallkegeln des facettierten Auges eine katoptrische Wirkung zukommt. Diejenigen >Sb Exner, Physiologie der facettierten Augen. Strahlen nämlich, welche nur einen Teil des Krystallkegels zu durch- setzen im Stande sind, werden teils zwar vom Pigment absorbiert, teils verlassen sie mehrfach reflektiert wie- der den Krystallzylinder Nebenstehende Figur 6 veranschaulicht diesen Vorgang. Exner glaubt damit eine Erscheinung er- klären zu dürfen, die an vielen Insekten auffallend ist, z. B. an Hydrophilus, be- sonders aber an Krebsen, die einen eigen- tümlichen diffusen Schimmer ihrer Augen zeigen, der recht oberflächlich seinen Ur- sprung zu haben scheint. Derselbe wird besonders deutlich, wenn man die Tiere ins direkte Sonnenlicht bringt. Es sind dann die aus dem Auge herausbeförderten Strahlen intensiver. Langusten und Hum- mer zeigen diesen Schimmer am schönsten. Es wird also auf diese Weise störend in das Facettenglied eindringendes Licht un- schädlich wieder herausbefördert. Ein besonderes Kapitel widmet unser Verfasser den Pigment- Verhältnissen des Facettenauges. Dieselben sind interessant an den Augen, in denen ein Superpositionsbild zu Stande kommt. Die Ab- bildung des Lampyris-Auges (Fig. 5) zeigt zwei Schichten der Pigment- ablagerung, das sogenannte Irispigment, welches um die Krystallkegel gelagert ist, und zweitens das Retinapigment bei A. Ersteres ist von besonderem Interesse deshalb, weil es einem Lagewechsel unterworfen ist. Unsere Abbildung des Lampyris-Auges gehört einem im Dunkeln getöteten Tiere an. Hat man ein solches Auge der Sonne ausgesetzt und das Tier in der Sonne getötet, so hat das Pigment eine Lokal- veränderung erlitten, und zwar eine Verschiebung nach hinten, unge- fähr um die Länge des Krystallkegels. Die funktionelle Bedeutung dieser Pigmentverschiebung beruht darauf, dass beim allmählichen Uebergang des Pigmentes aus der Dunkelstellung in die Lichtstellung immer mehr und mehr Strahlen abgeblendet werden und somit die relative Helligkeit des Bildes abnimmt. Diese Pigmentverschiebung scheinen besondere muskulöse Organe zu bewirken, wenigstens war es möglich gewisse Gebilde so zu deuten. Anderseits wurden nieht an allen Augen mit Pigmentverschiebung muskelähnliche Gebilde gefunden, namentlich bei den Krebsen nicht. Es hat den Anschein, als ob das Facettenauge sich im höheren Grade durch sein Irispigment den verschiedenen äußeren Helligkeiten anpassen könne, als das Wirbeltierauge. Bis auf den Strahl eines Facettengliedes, meint Exner, könne die Liehtmenge reduziert werden und die engste Pupille der Katze dürfte immer noch an Wirkung der Fig. 6. Exner, Physiologie der facettierten Augen. 587 Wirkung des Irispigments zahlreicher Gliedertiere nachstehen. Nur bei Augen, die nach dem Prinzipe des Lampyris-Auges gebaut sind, die also ein Superpositionsbild entwerfen, ist der geschilderte Effekt möglich. Es muss eben zwischen dem dioptrischen Apparat und der empfindlichen Netzhautschicht ein Zwischenraum sein, in welchen hinein sich das Irispigment verschieben kann. Anderseits kann man dann aus dem Vorhandensein der Pigmentverschiebung bei Belichtung schließen, dass man es mit einem Superpositionsbilde zu thun hat.. Exner fand, dass nur die Nachttiere eine Iris - Pigmentverschiebung im Auge zeigen. Dieselben können eben ihre Augen sowohl bei Tag als bei Nacht gebrauchen. Nacht-Schmetterlinge sind bei Tage nieht blind, Tag-Schmetterlinge bei Nacht vollkommen hilflos. Die meisten Krebse sind Nachttiere, sehen aber auch bei Tage. Bei tagelanger Einwirkung der Dunkelheit sah Exner eine mittlere Pigmentstellung sich entwickeln, ebenso wie in der Dämmerung. Letzteres ist wohl der Grund, dass diese Pigmentverschiebung so spät erst erkamnt worden ist. Interessant ist auch, dass bei ungleichmäßiger Belichtung von Augenteilen sich z. B. im oberen Teile Lichtstellung, im unteren Teile Dunkelstellung des Irispigments zeigte. An einer großen Reihe von Arthropoden hat Exner diese Be- obachtungen über die Funktionsweise ihrer Augen gemacht und auch phylogenetische Gesiehtspunkte gewinnen können wie z. B. bei Cetonia und Tropinota, von deren Augen Exner behaupten konnte, dass sie vor vielen Jahren Nachtaugen waren wie jene des ihm verwandten Maikäfers. Der Rosenkäfer sieht nämlich mit einem Superpositions- bilde, hat aber die Fähigkeit eingebüßt, durch das Irispigment die relative Helligkeit des Netzhautbildes stark zu variieren. Im Weiteren kommt dann der Verfasser auf das Augenleuchten der Nachtschmetterlinge zu sprechen und gibt darüber grundlegende Beobachtungen, ferner erwähnt er auch das Phänomen der Pseudo- pupillen und erklärt dasselbe auf recht befriedigende Weise. Bekannt- lich sieht man auf dem Auge z.B. eines Kohlweißlings eine Anzahl von dunklen Flecken, die ihre Lage mit dem Standort des Beschauers wechseln. Der mittelste dieser Flecken ist am schärfsten gegen seine Umgebung abgegrenzt und ihn bezeichnet man als Hauptpupille, wäh- rend um denselben herum 6 sogenannte Nebenpupillen 1. Ordnung und 12 Nebenpupillen 2. Ordnung angeordnet sind. Ihre Schwärze verdanken diese Pupillen dem Umstand, dass in der Nähe der Axe des Phänomens aus der Facette kein Licht in das Auge des Beobach- ters gelangt. Auf eine Erklärung dieser Erscheinung führte Exner der Umstand, dass er bei der oben beschriebenen grundlegenden Ver- suchsanordnung außer dem zur Perzeption gelangenden Hauptbilde um dasselbe herum noch 6 andere sogenannte Nebenbilder beobachtet hatte, die ihre Entstehung dem Umstande verdankten, dass bei der Versuchsanordnung das Auge von Pigment befreit werden musste, 588 Narel, Entwicklung von Uterus und Vagina. IOC orh fe) o Dieses Pigment, welches im Leben die sechseckigen Krystallzylinder umhüllte, wird eben dann zur Ursache der Entstehung des Phänomens der Nebenpupillen. Am Schlusse seines Buches macht Exner noch recht interessante Mitteilungen über das Sehen mit den Facettenaugen. Zu dem Zwecke knüpft der Verfasser an das seinem Buche beigegebene Titelblatt an, welches ich oben schon beschrieb. Diese Photographie vom Netzhaut- bild des Lampyris- Auges versinnlicht ja am besten die Schärfe des Netzhautbildes. Aus ihr folgert Exner, dass das Leuchtkäferchen noch im Stande ist Schilderschrift in der Entfernung von einigen Metern zu lesen, oder in der Ausdrucksweise der Augenärzte: eine Sehschärfe gleich „6, bis „$, besitzt. In der Nähe von 1 cm würde demnach das Tier die Stäbe eines Gitters, wenn diese nur 0,22mm breit sind, noch unterscheiden. Jedoch sollen andere Insekten und Krebse mit einem Superpositionsbilde sehr viel schärfere Netzhautbilder haben. Ueber die Verzerrung der Netzhautbilder wäre so manches In- teressante noch zu erforschen. Es sind nämlich die Netzhautbilder der facettierten Augen sehr häufig den Projektionen der Objekte nicht gnometrisch Ähnlich. Und zwar kommt dies vor zu Gunsten der Erweiterung des Gesichtsfeldes, teils aus anderen undurchsichtigen Gründen. Ein solches verzerrtes Netzhautbild ist durchaus nicht als schlechter betreffs der Erhaltung der Art zu betrachten, es wird viel- mehr gewöhnlich gerade wegen seiner Brauchbarkeit diese Form er- halten haben. Unter demselben Gesichtspnnkt ist ja überhaupt auch das Facettenauge gegenüber dem Camera obscura-Auge zu betrachten und Exner kommt dies betreffend zu dem Schluss, dass der Typus des Wirbeltierauges in vollkommener Weise dem Erkennen von Formen der äußeren Objekte, der Typus des Facettenauges in vollkommenerer Weise dem Erkennen von Veränderungen an den Objekten, von Be- wegungen dient. Die Wahrnehmung von Bewegungen spielt eben auch im Leben der Tiere eine viel größere Rolle. Es steht das in Zusammenhang mit den lebendigen Feinden, vor denen sie sich zu hüten, oder mit der lebendigen Beute, die sie zu erjagen haben. Das Werk, dessen Inhalt im Vorstehenden kurz wiedergegeben ist, bedeutet auf dem Gebiete der Physiologie der facettierten Augen einen ganz wesentlichen Fortschritt. Alle Fachgenossen werden das- selbe mit Freuden begrüßen. — Zacke (Erlangen). Nagel W., Ueber die Entwicklung des Uterus und der Vagina beim Menschen. (Aus dem anatomischen Institut in Berlin. — Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. 37, Heft 4, 1891.) Für die Entwieklung des Uterus und der Vagina und ihr Entstehen aus den vereinigten Müller’schen Gängen, dem soge- Nagel, Entwicklung von Uterus und Vagina. 589 nannten Geschleehtsstrang, war bisher eine Auffassung allgemein giltig gewesen, die dahin lautet: Anfangs hat der Geschlechtsstrang in seiner ganzen Länge eine Auskleidung von dem ursprünglichen Zylinderepithel der Müller’schen Gänge und zeigt ein ganz gleich- mäßiges Aussehen; erst um die Hälfte der Schwangerschaft tritt eine Trennung in Uterus und Vagina durch die Bildung der Portio vaginalis ein, die schon etwas früher durch die Umwandlung des Zylinder- epithels des unteren, der Vagina entsprechenden Abschnittes in mehr- schichtiges Plattenepithel vorbereitet war. Die vorliegende Arbeit, das Ergebnis der mikroskopischen Unter- suchung einiger Hundert Embryonen von 1,1 em Länge an, hat eine neue Erklärung und Darstellung des fraglichen Gegenstandes gegeben, die ich hier kurz skizzieren will. Für das genauere Studium muss ich auf die Arbeit selbst verweisen, deren interessante Ausführungen durch gute Abbildungen erläutert sind. In dem Gesehlechtsstrang, der mit den angrenzenden Teilen der Plieae urogenitales eine seichte dorso- ventrale Krümmung mit vorderer Konkavität zeigt, unterscheidet man zwei Epithelial- sebilde, die Müller’schen und die Wolff’schen Gänge; er teilt sich ferner in drei Strecken: die proximal gelegene ist gabel- förmig geteilt; die nächste mittlere Strecke zeigt eine gleichmäßige spindelförmige Verdiekung, hauptsächlich erzeugt durch eine An- häufunge mesodermaler „Bildungszellen“, aus denen später die nieht- epithelialen Teile der Organe entstehen; die dritte, distale Strecke läuft nach unten spitz zu und durchbohrt die hintere Wand des Sinus urogenitalis schräg von hinten und oben nach unten und vorn, in denselben hügelartig hineinragend. Die beiden Epithelialgebilde haben in diesem Entwicklungs- stadium, das ungefähr einer Rumpflänge von 1,1—5 cm der Embryonen entspricht, noch folgende Kennzeichen: Die Müller’schen Gänge verlaufen im proximalen Teil divergierend und sind im Innern ausgekleidet von einem Saum von hohen Zylinderzellen mit länglichem Kern. Im mittleren Teil liegen beide dieht aneinander ; die trennende Wand ist bei Jüngeren Embryonen nur mehrfach durchbrochen, bei älteren (— 4,5 cm Länge) aber schon geschwunden, so dass eine gemeinsame Höhle besteht, die auf dem Querschnitt querovales Lumen und eine Auskleidung von sehr hohen, oft mehrschichtigen Zylinderzellen besitzt. Das distale Ende zeigt keine Höhle, sondern ist ausgefüllt mit großen, kubischen, protoplasma- reichen Zellen !) mit rundlichen, blassen Kernen; es ragt hügelartig in den Sinus urogenitalis hinein; die ausfüllende Epithelmasse stülpt das Sinusepithel vor. 1) Vergl. Nagel W., Ueber die Entwicklung des menschlichen Urogenital- systems. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 34, 1839. 390 Nagel, Entwieklung von Uterus und Vagina. Die Wolff’schen Gänge liegen distal dieht an den Müller’- schen an, sind aber stets deutlich von denselben abgrenzbar; ihr Epithel besteht aus Zylinderzellen mit länglichen, am Lumenende der Zellen gelegenen Kernen. Sie münden zu beiden Seiten von den Müller’schen Gängen und neben und innen von den Ureteren in die Uebergangsstelle von Urachusschlaueh und Sinus urogeni- talis ein und verbleiben dort auch, wenn die hintere Urachuswand bei ihrer Umwandlung zur Harnblase die Ureteren mit nach außen und oben zieht, ein Vorgang, der die Entstehung des Trigonum Lieutaudii erklärt, dessen untere Spitze die Mündung der dicht nebeneinanderliegenden Wolff’seben und Müller’schen Gänge bildet. An den eben skizzierten Befund schließt sich nun die Weiter- entwieklung an, wie sie vom Verfasser an weiblichen Embryonen von 5-15 em Rumpflänge beobachtet worden ist. Die Entwicklungs- periode führt zu den Anfängen der Bildung der Portio vaginalis. Der Geschleehtsstrang erhält zu der dorso-ventralen, nach vorn konkaven Krümmung noch eine besondere Knickung an der Stelle, wo das Zylinderepithel mehrschichtig und sehr hoch ist; diese Kniekung bringt den oberen Teil des Geschlechtsstranges in eine nach vorn geneigte, fast horizontale Lage. Die Müller’schen Gänge sind völligin ein Organ verschmolzen und lassen nur an einer herzförmigen Einsenkung des oberen Endes die ursprüngliche doppelte Anlage erkennen. Wir unterscheiden auch an dem vereinigten Organ einen proximalen und einen distalen Abschnitt. Der proximale Teil zeigt eine Höhle im Inneren, die, oben am breitesten, nach dem distalen Ende zu sich verjüngt. Ihre Wandungen werden gebildet durch reichliches embryonales Gewebe, in dem zahlreiche Gefäße sich verästeln; von der inneren Fläche er- strecken sich in senkrechter Richtung zarte, regelmäßig angeordnete Faserzüge in die Wand hinein, ohne den Peritonealüberzug zu er- reichen. Das Epithel der inneren Fläche zeigt hohe schmale Zylinder- zellen mit länglichen Kernen, die, wie oben geschildert, im oberen Drittel einschichtig, in dem unteren Teil mehrschiehtig und von be- deutender Höhe sind und dort auch kleine Epithelzapfen in die Tiefe senden. Der distale Teil bildet entsprechend der oben erwähnten Knickung mit dem proximalen Abschnitt einen nach vorn offenen, stumpfen Kniekungswinkel. Seine Wand besteht ebenfalls aus embryo- nalen Gewebe mit zahlreichen Kapillaren. Das Innere ist ausgefüllt mit jenen oben beschriebenen Zellen, die sich aber in dieser Entwick- lungsperiode der Wand entlang regelmäßig anordnen und in der Mitte in plattere Zellen sich umwandeln. Eine Höble besteht nicht. Dicht oberhalb des unteren Endes erweitert sich durch Vermehrung der Zellausfüllung der distale Abschnitt zu einer breiteren Ampulle, um dann als Hügel in den Sinus urogenitalis hineinzuragen. Die Grenze zwischen distalem und proximalem Abschnitt wird durch Nagel, Entwicklung von Uterus und Vagina. 591 den allmählichen Uebergang der kubischen in die zylindrischen Epithel- zellen bezeichnet; dieser Punkt wird durch das Längenwachstum allmählich von dem Ende des distalen Teiles, dem Uebergang in den Sinus urogenitalis entfernt; er liegt oberhalb des Bodens des Douglas’schen Raums. Die Wolff’schen Gänge, seitwärts von den Müller’schen gelegen, veröden, soweit sie im Geschlechtsstrang liegen, gleichzeitig mit dem Fortschreiten des Längenwachstums der Müller’schen Gänge immer mehr und sind bei Embryonen von 12—14 cm Länge nur noch als zerstreute Epithelinseln neben den Müller’schen Gängen zu finden. Ihre Endigung liegt nach den Ausführungen Nagel’s in der Höhe des Epithelüberganges zwischen distalem und proximalem Ende des Müller’schen Ganges und ist blind. (Ihre Reste sind die sogenannten Gartner’schen Kanäle.) Es folgt nun eine weitere Entwiceklungsperiode, die sich in den weiblichen Embryonen von 15—22 cm Rumpflänge darstellt und von Nagel wie die früheren hauptsächlich aus sagittalen Längs- schnitten konstruiert wurde Wiederum zeigt der proximale Abschnitt des Gesehlechtsstranges die zweifache Neigung nach vorn. Seine Wandungen zeigen jetzt glatte Muskelfasern, die in Bündeln wirr durcheinander gelegt, haupt- sächlich in den äußeren, unter dem Peritoneum gelegenen Teilen liegen. Die inneren Schichten werden vom embryonalen Bildungsgewebe zu- sammengesetzt, in dem jene oben erwähnten senkrechten Faserzüge verlaufen. Die Epithelauskleidung der Höhle zeigt in den oberen Partien seichte, in den unteren Partien zahlreiche tiefere Einwuche- rungen in die Wand, die im sagittalen Durchschnitt der Wand ein sägeförmiges Aussehen geben; die anfangs noch bestehende Epithel- verdiekung des unteren Teiles nimmt damit gleichzeitig ab, so dass bei älteren Embryonen das Epithel im ganzen proximalen Abschnitt gleiche Höhe hat. Der distale Abschnitt, in gerader Richtung von hinten und oben nach vorn und unten verlaufend, stumpfwinklig gegen dem proximalen Teil geriehtet, zeigt jetzt in seiner Wand neben den zellenreichen embryonalen Gewebe zahlreiche Kapillaren und starke Bindegewebs- bündel, die namentlich in den peripheren Schichten lagern. Die innere Partie zeigt auch jetzt noch keine Höhle, sondern nur eine deutliche Verschiedenheit des ausfüllenden Epithels, das sich in die wandständigen kubischen und in die zentralen platten, locker ge- stellten Zellen trennen lässt. Die wandständigen Zellen schicken in die Wand kleine Zapfen hinein, die sich allmählich weiter in die Tiefe senken, so dass eine Faltung der Wand erzeugt wird. Die zentraleren platten Zellen zerfallen lebhaft und der gebildete Detritus drängt die Wände auseinander, so dass jetzt eine Höhle von quer- ovalem Durchsehnitt und einem Durchmesser von 5 mm entstanden 599 Nagel, Entwicklung von Uterus und Vagina. ist, die infolge der allgemeinen Erweiterung auch keine endständige Ampulle mehr zeigt. Nach unten zu gegen den Sinus urogenitalis ist die Höhle in den Embryonen dieser Periode noch immer durch Epithelmassen geschlossen. Der hintere Rand dieses unteren Endes ist stärker als der vordere entwickelt, so dass die Einmündungsstelle etwas mehr nach vorn verlegt wird; sie hat eine in sagittaler Rich- tung längsovale Gestalt. An der Grenze zwischen distalem und proximalem Abschnitt, die jetzt viel schärfer erscheint, da der Epithelübergang auf kürzerer Strecke sich vollzieht, zeigt das kubische Epithel der hinteren Wand eine sichelförmige Einwucherung, der alsbald eine eben solche der vorderen Wand entspricht. Beide vereinigen sich an den Seiten und setzen so deutlich den proximalen Abschnitt gegen den distalen ab. In diesem Vorgang lässt sich die Bildung der Portio vaginalis uteri erkennen und damit ergibt sich auch die Deutung der übrigen 3efunde. Der proximale Teil des Geschlechtsstranges ist der Uterus, der in seinem oberen Teil, der früher allein das einschichtige Zylinder- epithel trug, wenig zapfenähnliche Einsenkungen aufweist, während der untere, längere Abschnitt, der dureh die Epithelverdiekung ge- kennzeichnet war, eine viel größere Zahl der Einwucherungen auf- weist. Dieser Abschnitt würde die Gervix sein, die ja schon bei der Geburt eine reiche Drüsenentwicklung zeigt, während der Uterus erst spät deutliche Drüsenformationen aufweist. Der distale Abschnitt entspricht der Vagina: „sie ent- steht also nieht wie bisher allgemeinangenommen wurde, durch eine Umwandlung des ursprünglichen Zylinder- epithels des Müller’schen Ganges, sondern ist von vorn- herein als eine besondere Abteilung des Müller’schen Ganges angelegt“. Die noch immer verschlossene Einmündungsstelle dieses distalen Teiles in den Sinus urogenitalis stellt das Orifieium vestibulare vaginae vor; der Sinus wird durch das Wachstum der Vagina allmählich immer flacher und nähert sich so der bleiben- den Form der Vulva und des Vestibulums; der hintere Rand wäre als Andeutung des Hymens anzusprechen. Dies die Ergebnisse der interessanten Arbeit, soweit sie die weib- lichen Geschlechtsorgane betretfen; es finden sich auch die Entwick- lungsvorgänge der männlichen Genitalien zum Teil besprochen; ich verweise bezüglich der Einzelheiten auf das lehrreiche Studium des Originals. 6. Spener (Erlangen). Schmiedeberg, Chemie des Knorpels. 595 O. Schmiedeberg, Ueber die chemische Zusammensetzung des Knorpels. 50 Seiten. Leipzig, F. C. W. Vogel. 1891. (Sonderabdruck aus dem Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol.) In einer ungemein mühsamen, über eine längere Reihe von Jahren ausgedehnten experimentellen Arbeit ist es Schm. gelungen, brauch- bare Methoden zur chemischen Untersuchung des Knorpels ausfindig zu machen und mit deren Hilfe die hauptsächlichsten Knorpelbestand- teile, von denen man bisher trotz zahlreicher bezüglicher Spezial- forschungen nur eine sehr unvollkommene Kenntnis hatte, rein dar- zustellen und zu charakterisieren. Die Arbeit ist um so verdienstvoller, als sie nicht allein unser Wissen über die chemische Natur des Knorpels klärt und bereichert und die widersprechenden Angaben über die collagenen und chondrigenen Gewebselemente versöhnt, sondern auch ein Verständnis für die biochemischen Funktionen des Knorpelgewebes anbahnt. Als Ausgangsmaterial wählte Sehm. die aus reinem hyalinen Knorpel bestehende Nasenscheidewand des Schweins. Die vom Peri- ehondrium befreiten und mit destilliertem Wasser gewaschenen blen- dend weißen Platten, von denen Schm. im Laufe seiner Unter- suchung 600-700 Stück verbraucht hat, wurden fein zerkleinert und der Knorpelbrei der Verdauung mit Pepsin-Salzsäure bei Körper- temperatur unterworfen. Bei kräftiger Verdauung wandelte sich der Knorpel in eine weiche teigartige Masse um, in Peptochondrin, das durch Waschen und Kneten mit Wasser, Auflösen in verdünnter Salzsäure und Fällen mit Alkohol nahezu aschefrei und frei von störenden Eiweißstoffen und Nucleinen erhalten werden konnte. War die Pepsinwirkung nicht energisch genug, so blieb die Umwandlung bei einem Teile der Knorpelsubstanz auf der Stufe des Glutinehon- drins stehen, das im wesentlichen identisch ist mit dem 1837 von J. Müller entdeckten Chondrin oder Knorpelleim. Das Pepto- chondrin löst sich leicht in Alkalien. Aus einer überschüssige Kalilauge enthaltenden Lösung desselben wird durch Alkohol das Kaliumsalz einer gepaarten Schwefelsäure gefällt, welche Schm. Chondroitinschwefelsäure genannt hat, während Leimpepton gelöst bleibt. Um vom chondroitinschwefelsauren Kalium ein zur Analyse geeignetes Präparat zu erhalten, muss man den Niederschlag wieder in Wasser auflösen und von neuem mit Alkohol fällen und diese Operation so oft wiederholen, bis eine Probe des gelösten Salzes sich durch negativen Ausfall der Biuretreaktion als vollkommen frei von Eiweißkörpern und Peptonen erweist. Die völlige Reinigung des chondroitinschwefelsauren Kaliums und anderer Salze dieser Säure ist sehr schwierig und zeitraubend und mit beträchtlichen Substanz- verlusten verknüpft. Schm. hat das Kupfersalz und die Kaliumver- xl. 38 594 Schmiedeberg, Chemie des Knorpels. bindungen mehrfach dargestellt; aus den Analysen dieser Präparate ergibt sich für die Chondroitinschwefelsäure die Zusammensetzung 0,3H5.N80,,. Die Säure selbst ist sehr unbeständig. Aus ihren Salzen in Freiheit gesetzt, beginnt sie schon bei gewöhnlicher Temperatur sich unter Wasseraufnahme zu spalten in Chondroitin und Schwefelsäure: C,;H,,NSO;, + H,0 — Q,sH,,N0, + H,SO,. Den Nachweis, dass der gesamte Schwefel aus dem schwefelhaltigen Hauptbestandteil des Knorpels in Form von Schwefelsäure abgespalten werden könne, hat Mörner bereits 1889 erbracht; er hat zur Kenn- zeichnung seiner Chondroitsäure, die der Chondroitinschwefelsäure gleich zu setzen ist, hervorgehoben, sie enthalte die ganze Menge des Schwefels in ätherschwefelsäureähnlicher Bindung. Das Chondroitin ist die charakteristische Grundsub- stanz des echten Knorpels und findet sich in diesem, mit einem Schwefelsäurerest zu einer Aetherschwefelsäure gepaart, als Chondroitinschwefelsäure. Reines, zur Analyse geeignetes Chondroitin gewann Schm. aus dem Baryumsalz der Chondroitinschwefelsäure. Die Elementarana- lyse desselben bestätigte die Formel CH,NO 4, welche indirekt schon aus der Gleichusg für die Spaltung seines Schwefelsäureesters abgeleitet worden war. Dass hyaliner Knorpel beim Kochen mit Mineralsäuren eine Kupferoxyd reduzierende Substanz liefere, hat zuerst Bödecker (1854) beobachtet. Die vielfachen Versuche, dieses reduzierende, voraussichtlich zuckerartige Spaltungsprodukt zu isolieren, waren bisher erfolglos. Schm. ist es nun gelungen, den lang gesuchten Körper zu fassen: derselbe entsteht glatt aus reinem Chondroitin beim anhaltenden Erhitzen desselben mit 3—4°/,iger Salpetersäure. Schm. hat ihn als schwefelsaures Salz abgeschieden und analysiert; er nennt dieses Chondroitinderivat Chondrosin. Das Chondrosin hat die Zusammensetzung C,,H,,NO,,. Gleich den Amidosäuren verbindet es sich sowohl mit Säuren wie mit Basen; seinem Sulfat kommt die Formel (C,,H,,NO,,), - H,SO, zu. Das reine Chondrosin und seine Verbindungen zeigen, ebenso wie das Chon- droitin und die Chondroitinschwefelsäure, keine Neigung zu krystalli- sieren. Die Reduktionswirkung des Chondrosins gegenüber alka- lischer Kupferoxydlösung ist etwas größer als die des Traubenzuckers. Chondrosinsulfat dreht die Ebene des polarisierten Lichts nach rechts; aus der Größe der Ablenkung berechnet sich für freies Chondrosin en =-+ 22. Die Konstitution des Chondrosins konnte aus der Natur seiner Spaltungsprodukte erschlossen werden. Mit gesättigter Barytlösung Sehmiedeberg, Chemie des Knorpels. 595 bei mäßiger Wärme behandelt, liefert dasselbe Glykuronsäure, beim Kochen mit überschüssigem Baryt dagegen 3 verschiedene Säuren von folgender Zusammensetzung: a) C,H,,O- (Trioxyadipinsäure ?), b) C,H,O, (Trioxyglutarsäure?), ce) U,H,O,, welche vorläufig Chon- dronsäure genannt werden soll. Die Säuren a) und b) enstehen nicht direkt aus dem Chondrosin, sondern sekundär durch Oxydation bezw. Spaltung der Glykuronsäure; die Chondronsäure aber stammt von dem zweiten primären, sticktoffhaltigen Spaltungsprodukt des Chondrosins, und dies kann nichts Anderes als Glykosamin sein. Der Zerfall des Chondrosins entspricht also folgender Gleichung: 05H,N0, + H,0 —= (,H,0; + GH,,NO, Chondrosin Glykuronsäure Glykosamin Damit ist zugleich auch die Konstitutionsformel CHO | CH.N = CH.(CH. OH), . COOH | (CH. OH), | CH,.OH für das Chondrosin gegeben. Dass die Verkettung des Glykuronsäure- und des Glykosaminmoleküls zu dem Molekül des Chondrosins dureh Stickstoff zu Stande kommt, also in anderer Weise als z. B. die Ver- kettung von Glykose und Fruktose zu Rohrzueker, kann daraus ge- schlossen werden, dass das Chondrosin sich nicht wie die Disaccharate durch Kochen mit Säuren spalten lässt, dagegen beim Kochen mit Alkalien leicht unter Ammoniakentwicklung zerfällt. Diese Ergebnisse gestatten einen Rückschluss auf die Konsti- tution des Chondroitins. — Neben dem Chondrosin konnte als Spal- tungsprodukt des Chondroitins nur Essigsäure gefunden werden. Die Spaltung verläuft daher höchst wahrscheinlich im Sinne der Gleichung: C,sH5,NO,, En 3 H,0 er C5H,,NO,, u 0,H,O, Chondroitin Chondrosin Essigsäure Hiernach liegt es nahe, für das Chondroitin folgende Konstitution anzunehmen: C0'—C6.. CH, 200° CH, — CO.CH, | CH.N = CH.(CH.0H),. COOH | (CH. OH), Cu,.on Ob diese Annahme zutrifft, werden weitere Untersuchungen zu zeigen haben. Auch abgesehen von der Konstitutionsfrage, beansprucht jeden- falls allein der Nachweis so naher Beziehungen zwischen einem charakteristischen Bestandteil des Knorpels und bekannten Glykose- derivaten ganz besonderes Interesse. Das Chondrosin ist ein neues Ba 596 Schmiedeberg, Chemie des Knorpels. Beispiel für die Beteiligung der Kohlenhydrate an dem Aufbau stick- stoffhaltiger, dem tierischen Organismus eigentümlicher Verbindungen; es reiht sich in dieser Beziehung dem sogenannten Cerebrin an, dessen zuckerartiges Spaltungsprodukt, der früher als Gehirnzucker bezeich- nete Körper, von Thierfelder als Galaktose erkannt worden ist. Von größtem Wert für die Beurteilung der chemischen Natur des Knorpels erweist sich das Studium der Reaktionen der Chon- droitinschwefelsäure. Eine stark salzsaure oder essigsaure Lösung von chondroitinschwefelsaurem Kalium erzeugt in einer Lösung von gewöhnlichem Leim (Glutin, Gelatine) einen teigartigen Niederschlag von ebenjenem Glutinchondrin, das direkt aus echtem Knorpel durch mäßige Verdauung mit Pepsin-Salzsäure erhalten wird. Glutin- chondrin ist in warmem Wasser unlöslich und gibt daher auch keine Gallerte. Gelatinierender Knorpelleim d.i. das Chondrin früherer Autoren ist lediglich ein Gemenge von gewöhnlichem Leim und ehondroitin- schwefelsaurem Kalium oder Natrium und lässt sich künstlich darstellen durch Vermischen einer Leimlösung mit einer neutralen Lösung von chondroitinschwefelsaurem Alkali. Eine solche Mischung verhält sich genau so, wie dies früher von Chondrinlösungen beschrieben worden ist; Zusatz von Essigsäure oder von verdünnten Mineralsäuren schlägt aus derselben Glutinchondrin nieder. — Leimpepton und Chondroitin- schwefelsäure liefern dasselbe Peptochondrin, das direkt aus dem Knorpel bei kräftiger Verdauung mit Pepsin -Salzsäure entsteht. — Eiereiweiß und Serumalbumin werden gleiehfalls durch chondroitin- schwefelsaures Kalium gefällt; die Niederschläge spalten beim Kochen mit Alkali den dem Eiweiß angehörigen Schwefel als Alkalisulfid ab, stimmen also hierin mit dem Chondromucoid von Mörner überein. Im allgemeinen erinnert das Verhalten der Chondroitinsch wefel- säure gegenüber den Eiweiß,- und Leimstoffen, den Albumosen, Pep- tonen und Nucleinen sehr an dasjenige der Gerbsäure. Die Verbin- dungen, welche die Chondroitinsehwefelsäure mit jenen Substanzen einzugehen vermag, sind außerordentlich mannigfaltig und ihre Lös- lichkeitsverhältnisse und physikalische Beschaffenheit von vielen Nebenumständen abhängig. Hieraus erklären sich die vielfach ein- ander widersprechenden Litteraturangaben über die ehemischen Be- standteile des Knorpels. Die Chondroitinschwefelsäure ist im Knorpel in Form von Ei- weiß- und Leimverbindungen enthalten; durch Alkalien, welche jene Verbindungen zerlegen, kann sie dem Knorpel vollständig entzogen werden. Wenn man z. B. die Platten des Nasenknorpels erst mit Salzsäure entkalkt und dann wochenlang in verdünnter Kalilauge verweilen lässt, so geben sie allmählich, ohne Gestalt und Aussehen zu verändern, die Chondroitinsäure vollkommen ab, und das Knorpel- gewebe besteht schließlich nur noch aus reinem Collagen. Umgekehrt kann der entkalkte, aus reiner collagener Substanz bestehende Ellenberger u. Baum, Anatomie des Hundes. 50 fo) Jr Knochenknorpel künstlich in wahren Knorpel umgewandelt werden, wenn er bei 40-50° kurze Zeit mit Chondroitinschwefelsäurelösung behandelt wird. Ein Teil des Collagens geht dabei in Leim über, und dieser verbindet sich mit Chondroitinschwefelsäure zu Glutin- ehondrin. Auf diese Weise lässt sich jedes rein collagene Gewebe künstlich verknorpeln. Die Verknorpelungsversuche führen zu dem Schluss, dass die Chondroitinschwefelsäure des echten Knorpels nicht mit der ganzen eollagenen Substanz verbunden, sondern in Gestalt ihrer Eiweiß- und Leimverbindungen in letztere nur eingelagert ist. Welche Rolle die Chondroitinschwefelsäure im echten Knorpel spielt, bleibt noch unentschieden. Soviel scheint sicher, dass sie für die Struktur des Knorpels keine Bedeutung hat. Schm. schließt dies daraus, dass sie in Knorpelgeschwülsten fehlen kann — er ver- misste sie bei einem daraufhin untersuchten Enchondrom —, dass sie also zum Aufbau des Knorpelgewebes nicht unerlässlich ist; ferner daraus, dass die Festigkeit und Elastizität des Knorpelgewebes durchaus nieht größer ist als die des entkalkten chordroitinfreien rein collagenen Gewebes der Knochen. Vielleicht aber kommt ihr eine allgemeinere physiologische Bedeutung zu. Möglich, dass sie im Knorpel nur gebildet und aufgespeichert wird, um von hier aus sich weiter im Organismus zu verbreiten; möglich auch, dass die Synthese der gepaarten Schwefel- und Glykuronsäuren eine spezi- fische Funktion des echten Knorpelgewebes ist. Voraussichtlich werden sich diese biochemischen Fragen durch direkte Versuche lösen lassen. Oscar Schulz (Erlangen). W. Ellenberger und H. Baum, Systematische und topo- graphische Anatomie des Hundes. Gr. 8. XXIV und 646 Seiten. Mit 208 Holzschnitten und 37 lithograph. Tafeln. Berlin. Paul Parey. 1891. Während über die Anatomie des Pferdes und die des Rindes aus- führliche Darstellungen vorhanden sind, fehlte bisher eine solehe für den Hund. Dieser Mangel war um so fühlbarer, als der Hund nicht nur eines der verbreitetsten Haustiere ist, sondern neben dem Kaninchen und dem Frosch auch das von Physiologen am meisten benutzte Ver- suchstier. So wird also die auf Anregung des Altmeisters der Physio- logie ©. Ludwig unternommene Bearbeitung der Anatomie des Hundes sicherlich allen Physiologen willkommen sein, aber auch eine wesent- liche Ergänzung der Litteratur über die Haustiere bilden. Im Vergleich zur Anatomie der Kaninchens von W. Krause ist diese Darstellung der Anatomie des Hundes viel genauer, wie schon ihr viel größerer Umfang zeigt. Es steckt ein ungeheurer Fleiß in diesem Buche; hat doch einer der Herren Verff. zwei volle Jahre 59 Zacharias, Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers. ganz ausschließlich sich dieser Arbeit gewidmet. Die vorzüglichen Holzschnitte sind, mit wenigen Ausnahmen, durchaus Originale, nach den Präparaten der Herren Verff. gezeichnet, die Tafeln nach Gefrier- schnitten, welehe mittels eines besonderen Zeichenapparats gezeichnet wurden, hergestellt. So ist also vollkommene Treue gewährleistet. Nach einer kurzen Einleitung, in welcher über die Art der Dar- stellung, namentlich über die gewählte Nomenklatur Auskunft erteilt wird, folgt die eigentliche Anatomie in der übliehen Einteilung: Osteologie und Syndesmologie, Myologie, Splanchnologie, Angiologie, Neurologie, Sinnesorgane und Integument. Im ersten dieser Abschnitte wird auf die Rassenunterschiede Rücksicht genommen. Jeder, der in die Lage kommt, sich über die Anatomie des Hundes belehren zu müssen, namentlich also der experimentierende Physiologe, wird dieses Buch mit Dankbarkeit begrüßen. Darstellung wie Aus- stattung sind gleich ausgezeichnet. Das bloße Betrachten der Figuren wird dem operierenden Physiologen ein sicherer Führer bei seinen Arbeiten sein. So können wir denn den Herren Verfassern sowohl wie der Verlagshaudlung für ihre gediegene Leistung nur unbedingtes Lob spenden. Das Buch ist des Mannes, dem es zugeeignet ist, des Physiologen C. Ludwig, durchaus würdig. J. R. Die Tier- und Pflanzenwelt des Sülwassers. Einführung in das Studium derselben. Herausgegeben von Dr. Otto Zacharias. Leipzig, J. J. Weber, 1891. 1. Band. Okt. 380 S. 79 Abb. Der rühmliehst bekannte Direktor der biologischen Station am Plöner See beabsichtigt mit diesem Werk dem Anfänger, welcher sich für die biologischen Verhältnisse unserer Seen und Flüsse in- teressiert, einen Leitfaden an die Hand zu geben, welcher ihn mit den bisherigen Ergebnissen der Wissenschaft auf diesem Gebiete bekannt macht und ihm zugleich die Wege weist, auf welchen er selbst sich an dem Studium der einzelnen Tier- und Pflanzenklassen beteiligen kann. Der Herausgeber hat sich deshalb mit Erfolg be- miüht, Mitarbeiter zu finden, welche die Kapitel, mit denen sie sich besonders beschäftigt haben, in einer zusammenfassenden, wissen- schaftlichen und zugleich leicht verständlichen Weise darstellten. Bei der Vielseitigkeit des Stoffes ist dadurch ein Werk entstanden, welches auch von dem besonderen Zwecke abgesehen eine anregende Lektüre bildet für denjenigen, welcher die Entwickelung der viel- verzweigten biologischen Wissenschaften verfolgen will. In dieser Hinsicht seien besonders folgende Aufsätze hervorgehoben: Allgemeine Biologie eines Süßwassersees. Von Prof. Dr. F. A. Forel in Morges. Zur Biologie der phanerogamischen Süßwasserflora. Von Prof. Dr. Fr. Ludwig in Greiz. — Ein Wurzelfüßer des Süßwassers in Bau und Lebenserscheinungen. Von Prof. Dr. A. Gruber in Freiburg i. Br. Greeff, Organismus der Amöben. 599 Außer diesen enthält der vorliegende Band Aufsätze über die Algen und über die Flagellaten von Dr. W. Migula in Karlsruhe, über die Süßwasserschwämme von Dr. W. Weltner in Berlin, über die Strudelwürmer vom Herausgeber, über die Rädertiere von Dr. L. H. Plate in Marburg und die Krebsfauna unserer Gewässer von Dr. J. Vosseler in Tübingen. Der zweite Band des Werkes soll im Herbste dieses Jahres er- scheinen. Allerdings hat sich der Herausgeber nicht Lückenlosigkeit in der Behandlung aller Tier- und Pflanzenformen zum Ziel gesetzt; die Infusionstiere, die Hydren, die höheren Würmer und endlich die Bryozoen hat er übergangen, da über diese Gruppen in einer aus- gezeichneten Spezialliteratur leicht Auskunft zu erhalten ist. Doch wird das vorliegende Buch dadurch, dass an den Beispielen der ein- fachen Formen die Grundgesetze der Biologie im sehr anschaulicher und anziehender Weise entwickelt sind, auch zu dem Studium jener anderen Gruppen eine vortreffliche Einleitung bilden. W: Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften zu Marburg. In der wissenschaftlichen Sitzung vom 19. Dezember 1890 sprach Herr Professor Dr. R. Greeff: „Ueber den Organismus der Amöben, ins- besondere über Anwesenheit motorischer Fibrillen im Ekto- plasma von Amoeba terricola. Nach einem Rückblick auf die Geschichte der Kenntnis des Rhizopoden- Organismus seit F. Dujardin und Max Schultze und der hiermit in Ver- bindung stehenden Sarkode- und Protoplasma-Theorie, knüpfte der Vortragende seine Mitteilungen an die von ihm im Jahre 1866 veröffentlichten!) und 1888 weiter ausgeführten ?) Untersuchungen über die Erd-Amöben an. Beobachtet man eine lebende, unter dem Deckglase fortkriechende Amoeba terricola Gr., so sieht man bald, dass der Körper der Amöbe aus zwei ihrer Konsistenz und ihrem Aussehen nach verschiedenen Substanzen besteht, einer äußeren hyalinen, homogenen, namentlich völlig körnchenfreien und sehr konsistenten Außenzone oder Rindenschicht (Ektoplasma) und einer mehr flüssigen, körnigen, Kern oder Kerne, Vakuolen, Nahrungsteile oder sonstige Einschlüsse enthaltenden Innenzone oder Markschicht (Entoplasma). Der Aufbau des Plasmakörpers aus diesen beiden Schichten lässt sich, wie bekannt, auch bei anderen Amöben und Rhizopoden mit größerer oder geringerer Deut- lichkeit nachweisen, bei keiner der hierher gehörigen Formen aber tritt diese Sonderung wohl schärfer und klarer hervor, als bei der vorliegenden: Voraus eilt ein verhältnismäßig breiter, glasheller Saum, dem der flüssige Inhalt unauf- haltsam folgt, ohne sich mit jenem zu mischen oder ihn zu durchbrechen. Wenn auch hin und wieder kleinere Ströme des Innenparenchyms in die an der inneren Grenze der Außenzone sich bildenden Buchten eindringen, immer 1) Ueber einige in der Erde lebende Amöben und andere Rhizopoden. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. II, 1866, S. 299. 2) Studien über Protozoen. Marburger Sitzungsberichte, 1888, Nr. 2, März. Sitzung vom 20. März 1888. 600 Greeff, Organismus der Amöben. wieder scheiden sich bei der Weiterbewegung die beiden Zonen gegeneinander ab, wie ich dieses, sowie andere Form und Lebenserscheinungen der Amoeba terricola in der oben erwähnten Abhandlung vom Jahre 1866 bereits ausführ- lich geschildert habe. Die Außenzone der lebenden und sich bewegenden Amöbe ist völlig hyalin und homogen. Selbst mit den stärksten mir zu Gebote stehenden Vergrößerungen vermag ich nichts von Strukturverhältnissen oder von de: Grundsubstanz verschiedenartigen Bildungen darin wahrzunehmen. Sie ist auch, wie ich schon früher ausgesprochen, der Sitz der kräftigen Kontraktionen des Körpers, während der flüssige Inhalt mehr passiv diesen Bewegungen folgt. Bei aufmerksamer Beobachtung erkennt man, dass dieser Inhalt nicht gleichmäßig und ungehindert in einem einzigen Innenraume sich bewegt, sondern in mehr oder minder kanalartigen, gegen die Peripherie und namentlich gegen die vorauseilende Außenzone gerichteten Strömen. Größere Körper, wie der Nukleus der einkörnigen Amöben, die oft ebenfalls großen Vakuolen und andere Einschlüsse werden oft in diesen, bald engeren bald weiteren Kanälen zurückgehalten oder drängen sich langsam und durch den Druck ausgezogen hindurch. Man beobachtet ferner bei sorgfältiger Prüfung, dass das auf die hyaline Außenzone folgende körnige Innenparenchym nicht ganz an jenen strömenden Bewegungen Teil nimmt, sondern dass zunächst eine Lage körnigen Plasmas sich an diese Außenzone anschließt, die mit ihr verbunden scheint, uud an ihren Kontraktionsbewegungen Teil nimmt, gegen die Peripherie sich oft strahlenartig ausbreitend. Auf diese Mittelzone (Mesoplasma) folgt erst nach innen, der flüssige und strömende Inhalt. Alle diese Erscheinungen veranlassten mich die Ausführung eines schon lange gehegten Vorhabens, feine Durchschnitte durch den winzigen und zarten Amöben-Körper herzustellen, ernstlich zu versuchen. Nach vielen vergeblichen Bemühungen gelang es so, dass mir ein aufklärender, "ım Teil in hohem Grade überraschender und in seinen Folgen bedeutungsvoller Einblick in die Organi- sation der Amöbe gestattet war. Zunächst stellte sich heraus, dass, wie dieses schon bei der oben er- wähnten Betrachtung des ganzen und sich bewegenden Amöbenkörpers her- vortrat, in der That auf die hyaline Außenzone eine Lage körnigen Plasmas folgt, von der aus Stränge nach innen sich erstrecken, die den Innenraum durchsetzen und so unregelmäßige Räume und Kanäle umschließen, durch welche, kraft der Kontraktionen der Außenzone, der flüssige Inhalt hindurchgetrieben wird. Die höchste Ueberraschung aber bot mir die kontraktile Außen- zone selbst, in der ich eine mehr oder minder deutliche radiäre Faserung wahrnahm. An manchen Stellen indessen war die Faserung kaum oder gar nicht mehr zu erkennen, wie mir schien infolge der Veränderung oder des eintretenden Zerfalles der zarten, behufs der Schnitt-Herstellung, mannigfacher Vorbehandlung unterworfenen Substanz. Um weitere Sicherheit zu erlangen, fixierte ich frische, kräftig sich kon- trahierende und möglichst große Exemplare von Amoeba terricola rasch durch Osmium und untersuchte sie entweder direkt nach Abspülung in Wasser und in diesem oder nachdem ich kurze Zeit verdünnten Weingeist hatte einwirken lassen und zwar im Ganzen unter mäßigem Deckglasdruck. Und nun konnte ich die obige, anfangs noch etwas unsichere Erscheinung der Fibrillen- bildung im Ektoplasma mit völliger Klarheit erkennen. Greeff, Organismus der Amöben. 601 Ich habe, wie ich vorausschicken muss, bereits in meiner Abhandlung vom Jahre 1866 zwei verschiedene Erd-Amöbenformen beschrieben, eine ein- und eine vielkernige und der Vermutung eines genetischen Zusammenhanges Beider Ausdruck gegeben. Ich habe die vielkernige Form später häufig wieder gefunden und in meinen „Studien über Protozoen“ vom Jahre 1888 genauere Mitteilungen darüber gemacht, ohne mich auch damals noch von der Annahme eirer Möglichkeit ihres Zusammenhanges mit der einkernigen Form vollständig lösen zu können. Nun aber bin ich überzeugt, dass die einkernigen und viel- kernigen Erd-Amöben verschiedene Arten darstellen und zwar anf Grund der anatomischen Differenz ihrer Außenzone, namentlich in Rücksicht auf die in ihr auftretenden und oben erwähnten Fibrillen. Bei der vielkernigen Form tritt nämlich diese Fibrillenstruktur der Außenzone in sehr eigentüm- licher Weise und viel deutlicher hervor als bei der einkernigen, so dass ich bei ihr zuerst völlige Sicherheit darüber habe erlangen können. Untersucht man nämlich die lappen- oder breit-kolbenförmigen nach außen gestreckten und in der obigen Weise durch Osmium fixierten Pseudopodien einer solchen vielkernigen Erd- Amöbe mittels starker Vergrößerung, so sieht man zunächst diese Pseudopodien und den ganzen Körper von einer deutlichen, doppelt-konturierten und von der darauf folgenden Außen- zone scharf abgegrenzten Hautschicht umgeben. Auf diese Haut nach innen folgend gewahrt man unter vorsichtigen Einstellungen glänzende Punkte, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit der Innenfläche der Haut anliegen. Geht man weiter nach innen zur Betrachtung der Außenzone des Körpers, so sieht man hier und dort feine, kontinuierliche Fäden auf- tauchen, die diese Zone in radiärer Richtung durchziehen und die bei weiterer sorgfältige Prüfung immer zahlreicher erscheinen und endlich erkennt man, dass diese Fädehen mit jenen Punkten an der Innen- fläche der Hautschicht in Verbindung stehen resp. an ihnen endigen, kurz wir haben hier, wie ich nach dem Obigen nicht mehr zweiteln kann, muskuläre, die kontraktile Außenzone in radiärer Rich- tung durcehziehende Fibrillen vor uns, die sich an der Innenfläche der äußeren Haut inserieren. Bei der gewöhnlichen einkernigen Amoeba terricola tritt nach meinen bis- herigen Erfahrungen die eben vorgeführte Erscheinung viel weniger deutlich ans Licht, als bei der vielkernigen Form, da bei jener die Fibrillen feiner, zarter und hinfälliger zu sein scheinen. Ich habe sie indessen auch hier einige Male zweifellos erkannt. Es liegt nahe, nun auch manche Erscheinungen bei anderen Sarcodinen, wie die längst bekannten aber bisher rätselhaften Axenfäden der Heliozen in dem obigen Sinne als muskuläre Elemente und als die eigentlichen Motoren der Pseudopodien zu deuten, ebenso vielleicht die Axengebilde in den Tentakeln der Acineten u. a. Doch kann selbstverständlich eine Ent- scheidung hierüber und über andere hieran sich knüpfende Fragen nur weitere genaue Prüfung bringen In der wissenschaftlichen Sitzung vom 28. Februar 1891 sprach Herr Prof. R. Greeff: „Ueber die Erd-Amöben‘“. Aeussere Cuticula. Protoplasma. Granulabildung. Kontraktile Behälter. Systematisches. In der Sitzung vom 19. Dezember 1890 habe ich, im Anschluss an frühere Untersuchungen, über einige Ergebnisse weiterer Beobachtungen der Form- und 502 Greeft, Organismus der Amöben. Lebenserscheinungen der Erd- Amöben berichtet, namentlich über die in Ge- stalt radiärer, sehr dieht zusammengedrängter, feiner Fasern im Ektoplasma vorkommenden muskulären Elemente, sowie über die Sonderung desEkto- und Entoplasma und einige Eigenschaften des Letzteren gegenüber dem Ektoplasma. Ich habe seitdem die Untersuchung dieser merkwürdigen Organismen, die, vermöge mancher scharf ausgeprägter Eigentümlichkeiten, vielleicht geeignet sind, auch für die Aufklärung allgemeiner Fragen über die Orga- nisation des Protoplasmas und der Rhizopoden beizutragen, fort- setzen und erweitern können, gleichzeitig auch eine systematische Prüfung der bisher beobachteten Formen der Erd- Amöben unternommen, die zu der sicheren Unterscheidung von fünf verschiedenen Arten geführt hat. Wer sich eingehender mit der Untersuchung der Protozoen und insbe- sondere der Rhizopoden beschäftigt hat, weiß, wie schnell eintretend und tief eingreifend die Veränderungen sind, die der zarte protoplasmatische Körper durch die Einwirkung verschiedener Reagentien erleidet, so dass die Bezeich- nung der hierdurch erlangten Bilder als „Kunstprodukte*, im Vergleich mit den lebenden Objekten, in der That sehr häufig volle Berechtigung verdient. Ich habe mich deshalb bemüht, zunächst soweit wie möglich die Natur der lebenden Organismen zu ermitteln und bin nur dann von diesem Wege abgegangen, wo er nicht allein zum gewünschten Ziele der Erkenntnis führte. Stets aber bin ich von den durch künstliche Behandlung erlangten Ergebnissen behufs vergleichender Kontrole zur Beobachtung des lebenden Organismus zurückgekehrt. Von Reagentien hat mir die besten, ja fast die einzigen wesentlich för- dernden Dienste die Ueberosmiumsäure geleistet, die sich, wie bei der Untersuchung anderer Organismen und mancher Gewebe, auch hier gewisser- maßen souverän erwiesen hat und nach meiner Erfahrung durch kein anderes Mittel ersetzt werden kann. Die in Osmium getöteten Amöben wurden dann, wie bereits in meiner ersten Mitteilung berichtet, noch kurze Zeit der Ein- wirkung sehr verdünnten Alkohols ausgesetzt. Von den zahllosen Färbemitteln habe ich mich mit Vorteil des Methylenblaus bedient, zumal dasselbe in das Protoplasma des lebenden Organismus mit Leichtigkeit eindringt und ihn erfüllt, ohne seine Lebensthätigkeit wesentlich zu beeinträchtigen. Zur nach- träglichen Fixierung erwies sich Pikrokarmin in mancher Beziehung günstiger, als das sonst hierzu dienende pikrinsaure Ammoniak, Die äußere Cutieula. Eine äußere, den Amöbenkörper umgebende Haut ist bisher mit Sicher- heit nicht beobachtet und, wo sie aufzutreten schien, auch nicht als solche anerkannt worden, da man sie mit der Nahrungsaufnahme des lebenden Orga- nismus nicht für vereinbar hielt. Sie galt in solchem Falle als eine Abschei- dung der äußeren Plasmaschicht, die infolge der Reagentien - Einwirkung oder durch Zersetzung nach dem Absterben der Amöbe als scheinbare Haut sich abhob. In diesem Sinne habe auch ich meine hierauf bezüglichen Wahr- nehmungen früher und bei späteren Mitteilungen geglaubt deuten zu müssen. Die genauere Prüfung bietet aber zweifellose Sicherheit, dass, wie ich dieses bereits in meinem ersten Vortrag ausgesprochen habe, auch die lebende Amöbe von einer vom Plasma verschiedenen und von ihm scharf abgegrenzten Cutieula umgeben ist. Schon an der veränderten, unter dem Deckglase hinkriechenden Amöbe kann man bei Verfolgung des den Bewegungen vorangehenden Ekto- Greeff, Organismus der Amöben. 605 plasma - Saumes sich von ihrer Anwesenheit überzeugen. Lässt man während der Beobachtung eine schwache Methylenblau-Lösung zufließen, so sieht man, sobald der Farbstoff mit der Oberfläche in Berührung kommt, zuerst ein feines blaues Band auftreten, das den kurze Zeit ungefärbten Körper umgrenzt. Bald darauf dringt der Farbstoff, ohne dass die Bewegungen der Amöbe aufhören, in das Ektoplasma ein und auch jetzt noch erkennt man an der etwas anderen Färbung und dem anderen Lichtbrechungsvermögen zwischen Ektoplasma und der dasselbe umgebenden Grenzschicht, sowie an den über die Oberfläche des Körpers hinziehenden mannigfachen, durch die Kontrak- tionen des Ektoplasmas erzeugten blauen Furchen und Falten die selbständige Existenz einer Cuticula. Noch klarer stellt sich die Erscheinung dar, wenn man die Amöbe vorher in Osmium tötet und gleich in Wasser mit nachfolgen- dem Zufluss von Methylenblau untersucht. Das blaue Band erscheint auch jetzt alsbald und erhält sich, allmählich intensiver werdend, längere Zeit, während das unterliegende Plasma vom Farbstoff noch unberührt bleibt und nun bietet sich an der, fast wie im Leben unveränderten, aber unbeweglich ausgebreiteten Amöbe dem Auge ein so schönes und ausgeprägtesBild einer äußeren Cuticula, wie es dent- licher kaum gedacht werden kann. Erst zögernd und allmählich färbt sich an dem Osmium -Präparat dann das Ektoplasma. Aber auch jetzt noch sind beide, Plasma und Cutieula, scharf gegeneinander abgegrenzt. Ich kann somit meine schon in der ersten Mitteilung auf Grund der Prüfung des lebenden Objektes ausgesprochene Ueberzeugung von der Existenz einer den Amöbenkörper umgebenden, vom Plasma desselben verschie- denen und vonihm scharfabgegrenzten Cuticula bestätigend wieder- holen. Dass bei Zersetzung des Plasmas durch weitere Behandlung mit Reagen- tien, namentlich dureh die Einwirkung starken Alkohols oder infolge des Ab- sterbens sich der Körper oft kugelig aufbläht und dann eine äußere Membran vom Plasma sich abhebt resp. isoliert, habe ich in meinen früheren Abhand- lungen schon mitgeteilt, ebenso, dass zuweilen bei den Erd-Amöben ein förm- licher Häutungsprozess stattfindet. Man sieht dann, wie ich das bereits rücksichtlich des bekannten aın Hinterende zuweilen auftretenden eigentüm- lichen Zottenanhanges beobachtet und in meiner ersten Abhandlung über die Erd- Amöben beschrieben habe, einen unregelmäßigen Klumpen abgestreifter und zusammengefalteter Haut dem hinteren Teil des Körpers anhängen, in der Regel durch eine schmale Brücke noch mit ihm verbunden. Ich habe seitdem derartige mit zweifellosen Häutungen zusammenhängende Beobachtungen mehr- fach wiederholen können. Wie wird nun aber die Nahrung in das Entoplasma des Amöbenkörpers aufgenommen und wie unbrauchbare Stoffe daraus entfernt? Es scheint mir zunächst, dass beides, Aufnahme und Abgabe, bei vielen Amöben an einer bestimmten Stelle des Körpers erfolgt, die bei den Bewegungen in der Regel nach hinten gerichtet ist. Ich babe bereits früher eine hierauf zu deutende Beobachtung beschrieben und seitdem Aehnliches häufig wahrgenommen. Man sieht alsdann einen Algenfaden, eine Wurzelfaser oder andere, ihrer ursprünglichen Natur nach schwer erkennbare, Gegenstände zum Teil in dem Ektoplasma stecken, zum Teil noch aus dem Körper, und zwar fast stets aus dem hinteren Ende desselben, hervorragen. Das Letztere ist in der Regel durch die Kontraktionen am meisten zusammengeschnürt, zahlreiche tiefe Furchen und Falten bildend und konisch gestaltet. Prüft man eine solche in 504 Greeff, Organismus der Amöben. der Aufnahme eines Algenfadens begriffene Amöbe genauer, so erkennt man, dass die Oberfläche resp. die Cuticula an jener Stelle von dem betreffenden Gegenstand mitsamt dem Ektoplasma eingestülpt und im Innern des Körpers durchbrochen ist. Die Nahrungsaufnahme erfolgt somit ganz in derselben Weise wie bei allen übrigen Rhizopoden, nur mit der meiner Meinung nach unwesentlichen Komplikation, dass der betreffende Gegenstand hier nicht allein durch das Plasma, sondern auch durch die dasselbe umgebende Cutieula hin- durchgeschoben werden muss. Jedenfalls vollzieht sich der Prozess des Durch- tritts durch die, wie die Beobachtung lehrt, zarte, nachgiebige und elastische Cutieula viel leichter als durch das zäh-feste Ektoplasma. Meistens ist außer- dem (diese Stelle der Nahrungsaufnahme resp. das hintere Ende durch sehr dünnschichtiges Ektoplasma und zuweilen auch noch durch eigentümliche Ein- lagerung von Körnchen ausgezeichnet. Das Protoplasma. Das Protoplasma der Erd- Amöben ist, wie ich wiederholt nachgewiesen habe und wie leicht bestätigt werden kann, in zwei, durch ihre Lagerung, ihr Aussehen, ihre Konsistenz ete. verschiedene Zonen getrennt, Ektoplasma und Entoplasma. Wir werden aber sehen, dass diese beiden Schichten nicht bloß durch diese leicht erkennbaren Charaktere von einander geschieden sind, sondern dass dieselben zwei durch ihre innere Organisation und ihrephysiologische Bedeutung verschiedene Plasma-Arten dar- stellen. A. Ektoplasma. Das Ektoplasma erscheint in der lebenden Amöbe völlig homogen, hyalin und farblos. Bei genauester Prüfung mittels starker Immersionen vermag ich nichts von Strukturverhältnissen in demselben wahrzunehmen, namentlich nichts von einer schaumigen oder netzförmigen Bläschen- oder „Wabenstruktur“, wie sie Bütschli vielfach im Protoplasma sah und als allgemeine Grundstruktur desselben schildert und wie ich sie selbst auch im Entoplasma mancher Rhizopoden (Pelomyxa u. a.) beobachtet und beschrieben habe. Wäre eine solche Vakuolen- oder Wabenbildung vorhanden, so müsste sie, meiner Meinung nach, bei einer einigermaßen genauen Prüfung mit guten Immersionen zu sehen sein, da im Allgemeinen wenige Gebilde infolge ihres eigentümlichen Lichtbrechungsvermögens schärfer und leichter erkennbar aus dem lebenden Protoplasma hervorzutreten pflegen, als gerade die kleinen und kleinsten „Vakuolen“ d. h. die mit Flüssigkeit erfüllten kleinen Räume. Ich glaube später bei Erörterung der Organisation des Entoplasmas in Verbindung mit den in ihm vorkommenden kontraktilen Räumen die völlige Abwesenheit einer schaumigen Wabenstruktur im Ektoplasma noch überzeugender nach- weisen zu können, als durch jene direkte Beobachtung. Anders verhält es sich mit der von mir aufgefundenen und in meiner ersten Mitteilung dargelegten Faserstruktur des Ektoplasmas. Den Fasern wohnt offenbar dasselbe Lichtbrechungsvermögen bei, wie der Grund- substanz, in die sie eingebettet sind, so dass beide wegen der vollkommenen Durchsichtigkeit des ganzen Ektoplasmas im Leben nicht zu unterscheiden sind. Durch die früher erörterte Einwirkung von Osmium- Alkohol werden indessen beide als sichtbare Elemente getrennt und fixiert und die Fasern liegen nun so deutlich und klar, in dichten Zügen die ganze Ektoplasma-Zone durchlaufend vor dem Auge, dass an ihrer reellen Existenz nicht zu zweifeln ist. So habe ich sie seit meiner ersten Mitteilung wiederholt gesehen und Greeff, Organismus der Amöben. 605 auch hiesigen Fachgenossen überzeugende Auschauung davon bieten können. Am sehönsten und in voller Klarheit tritt aber die Faserstruktur, wie ich bereits lrüher bemerkt habe, erst bei den großen vielkernigen Erdamöben zu Tage und zwar insbesondere bei der unten als Amoeba fibrillosa Gr. bezeich- neten Art, die leider gegenüber den anderen einkernigen Formen zu den Selten- heiten gehört. Wie ist nun die protoplasmatische Grundsubstanz des Ektoplasmas, die Trägerin der Fibrillen beschaffen und wie verhält sich dieselbe zu diesen? Lässt man einer lebenden Amöbe eine schwache Methylenblau-Lösung zu- fließen, so färbt sich, wie bereits früher mitgeteilt, der Körper schnell, zuerst die äußere Cuticula und dann das Plasma. Die äußerste Schicht des Ekto- plasmas ist am intensivsten gefärbt, nach innen nimmt die Färbung allmählich ab bis zur Grenze des Entoplasmas, das sich langsamer und, wie wir später noch sehen werden, in ganz anderer Weise färbt, als das Ektoplasma. Die Färbung des letzteren ist aber diffus, so dass ich meinerseits auch jetzt noch niehts von Strukturverhältnissen wahrzunehmen vermag. Nur nach Fixierung schien mir zuweilen eine äußerst feine Granulation hervorzutreten. Dasselbe Resultat erhielt ich durch Behandlung mit anderen Farbstoffen und Reagentien. Dauert die Einwirkung länger, so tritt eine weitere Veränderung ein: zwischen der feinen Granulation erscheint ein schwer definierbares, unregelmäßig netz- förmiges Gefüge, ähnlich dem, das bei Substanzen und Geweben nach längerer Einwirkung von Reagentien infolge eines Gerinnungs- oder Zersetzungsprozesses wahrgenommen wird. Schließlich bläht sich der Körper zu einer kugeligen Blase auf, deren Wandung von der äußeren Cutieula gebildet wird. An der Innenfläche derselben haften noch unregelmäßige Reste des nun ganz zer- fallenen Ektoplasmas. Nach der früher erörterten Behandlung mit Osmium-Alkohol behufs Dar- stellung der Faserstruktur des Ektoplasmas erscheinen unter günstigen Um- ständen die radiär verlaufenden und schräg sich kreuzenden Fasern so dieht gedrängt im Ektoplasma, dass wenig Anderes wahrzunehmen ist, wenn nicht wiederum, wie mir zuweilen schien, zwischen ihnen eine feine Granulation. Nach längerer Einwirkung des Alkohols wird die Faserstruktur undeutlich und verschwindet schließlich, nun den früher erwähnten Bildern von feinster Körnelung und unregelmäßig netzförmigem Gefüge Platz machend. B. Entoplasma. Während das Ektoplasma, wie ich dies schon in meiner ersten Ab- handlung vom Jahre 1866 über die Erdamöben ausgesprochen und in meiner letzten Mitteilung schärfer formuliert und begründet habe, die motorische Zone des Amöbenkörpers darstellt und dementsprechend organisiert ist, zeigt das Entoplasma einen ganz anderen Charakter, sowohl rücksichtlich seiner Organisation, als seiner physiologischen Bedeutung. Dem zäh-festen Ektoplasma gegenüber ist das Entoplasma weich und flüssig und folgt den Kontraktionen der motorischen Außenzone, den Innen- raum durchströmend, mitsamt seinen mannigfachen Einschlüssen, ohne schein- bar aktiv an den Bewegungen des Körpers Teil zu nehmen. Der wichtigste Bestandteil des Entoplasmas, seine Grund- und Lebenssubstanz, dieihm und damit dem ganzen Protoplasma einen eigentümlichen Charakter aufprägt, sind, meiner Meinung nach, seine Granula. Dieselben treten in zwei durchaus verschie- 606 Greeff, Organismus der Amöben. denen Elementen auf, von denen die einen leicht, die anderen sehr schwer im lebenden Körper zu sehen und in der That bisher übersehen worden sind, trotzdem gerade sie stets gleichmäßig das Entoplasma erfüllen und für dasselbe von fundamentaler Bedeutung zu sein scheinen. Die Sonderung dieser beiden Granula-Elemente, namentlich die Erkenntnis der zuletzt erwähnten eigent- lichen Elementargranula des Protoplasmas der Amöbe, scheint mir ein Hauptergebnis meiner ermeuerten Untersuchung, das mich zugleicherzeit den Anschauungen Altmann’s über die Bedeutung der Zellengranula zugeführt hat. Ich glaube in der That, dass hier ein reiches und fruchtbringendes Feld der zukünftigen Forschung über die Konstitntion des Protoplasmas und der Zelle sich eröffnet, zumal wenn es gelingt, die bisherigen optischen Hilfsmittel noch zu verstärken, da die Untersuchung meist an der Grenze des Sichtbaren sich bewegt. Alsbald bei der genaueren Prüfung des Entoplasmas der Amöbe in die Augen fallend sind die bekannten, das Licht stark brechenden, dunkel- glänzenden, bald sehr feinen, bald gröberen, bald rundlich, oval, stäbchen- förmig, selbst kıystalloid gestalteten, auch in sehr wechselnder Menge im Entoplasma einer und derselben Art auftretenden Granula, die bisher im Allgemeinen allein als Körncehen des Amöben- und Rhizopoden-Protoplasmas beobachtet und beschrieben und meist als Stoffwechselprodukte angesehen worden sind. Ich möchte sie vorläufig zur Unterscheidung von den anderen Elementen Glanzgranula nennen. Trotz ihrer Unbeständigkeit im Vorkommen scheinen sie für jede Art bestimmte Formen und unter besonderen Umständen auch bestimmte Lagerung und Anordnung anzunehmen, wie sie z. B. bei Amoeba terricola in der auf cas Ektoplasma nach innen folgenden und, wie in meiner ersten Mitteilung erörtert, mit ihm verbundenen Schicht des Entoplasmas zuweilen eine eigen- tümlich netzförmige oder im Verein mit den Elementargranula radiär gegen die Peripherie gerichtete Anordnung zeigen. Auch sieht man häufig zwei, drei oder eine größere Zahl perlschnurartig an einander ge- reiht oder gruppenweise zu dreien, vieren in regelmäßiger Dreiecks- und Vier- ecksform oder auch in unregelmäßigen Figuren vereinigt, wodurch zum Teil wohl die erwähnte scheinbare maschenförmige Anordnung zum Ausdruck ge- langen mag. Die äußere Gestalt der Glanzgranula der Erdamöben ist im Allgemeinen kugelig. Bei genauerer isolierter Betrachtung scheinen sie noch von einem feinen, hellen Hof umgeben, der nicht den Eindruck einer Vakuole macht. Jedenfalls wird es noch einer besonders eingehenden, sorgfältigen und nach verschiedenen Riehtungen ausgeführten Prüfung bedürfen, um diese Glanz- granula nach ihren Formverhältnissen bei den verschiedenen Arten oder inner- halb einer und derselben Art gegen einander und gegen andere mehr oder minder ähnlich gestaltete, aber nicht zu ihnen gehörende Einschlüsse des Amöbenkörpers abgrenzen zu können, noch mehr wohl, um eine Einsicht in ihre Genese, ihr chemisches und physikalisches Verhalten und damit vielleicht in ihre Lebensbedeutung zu erhalten !). 4) In besonders auffallendem Maße treten, wie ich hier gleich hinzufügen möchte, Verschiedenheiten der Glanzgranula bei gewissen Wasseramöben hervor, namentlich solchen mit krystalloiden Granulabildungen im Entoplasma. Neben diesen krystalloiden finden sich auch stets sehr feine rund- liche Glanzgranula. Im meinen „Studien über Protozoen* (Sitzungs- berichte, 1888, Nr.2, März) habe ich über die Formverhältnisse und die merk- würdigen chemischen Reaktionen der Krystalloide von Amoeba proteus und die Greeff, Organismus der Amöben. 607 Komprimiert man den lebenden Amöbenkörper allmählich unter dem Deckglase durch Wasserentziehung, so gelangt man, anfangs freilich nicht ohne Mühe und wiederholte Versuche, bei einiger Erfahrung leichter, zur An- schauung der anderenGranula-Elemente, dieich Elementar-Granula nennen möchte, einerseits zur Unterscheidung gegen die Glanzgranula und anderseits, weilich sie für die eigentlichen Elemente des Protoplasmas im Ento- plasma der Erdamöbe, diesem seine Organisation gebend und dasselbe stets gleichmäßig erfüllend, halte. Man überzeugt sich bei dieser Prüfung bald, dass diese Elementargranula Bildungen von ganz anderem Charakter darstellen als die Glanzgrauula, so dass sie mit diesen, wenn man sie einmal aufgefunden hat, niemals verwechselt werden können. Die Elementargranula sind erheblich größer, als die Glanzgranula, sehr schwach lichtbrechend, äußerst blass, und ebendaher im Leben schwer und nur mittels guter Immersionen deutlich zu erkennen, ganz von dem Aussehen hyaliner Protoplasmakörperchen. Ihrer äußeren Form nach sind sie selten mehr oder minder kreisförmig, meist oval, kurz-stäbchen-, spindel- oder wurst- förmig, doch treten wahrscheinlich auch rücksichtlich dieser Elemente bei den einzelnen Arten eigene charakteristische Formen auf, die vielleicht für die Art-Diagnose von Bedeutung sein können. Prüft man die Elementargranula isoliert bei starker Vergrößerung, so scheinen sie ebenfalls, wie die Glanzgranula, von einem sehr zarten, nicht scharf umgrenzten Hof umgeben und aus dem Innern ein Zentrum hervorzu- treten, das den Eindruck einer sehr kleinen, das Licht anders brechenden resp. mit anderer Substanz erfüllten Höhlung macht und das wird alsbald durch Färbung der Amöbe mit Methylenblau bestätigt. Die Granula nehmen den Farbstoff, wenn derselbe in das Entoplasma eingedrungen ist, nach einiger Zeit auf und erscheinen nun mit einem lebhaft blau gefärbten kleinen Zentrum, Dann haben diese Gebilde in Verbindung mit dem äußeren Hof eine seltsame Aehnlichkeit mit einer minimalen Zelle. Außer durch die oben erwähnte allmähliche Kompression gewinnt man, wie ich noch zur Beachtung hinzufügen möchte, eine sehr günstige Anschau- ung isolierter Elementargranula, wenn man einen eben prall gefüllten kontrak- tilen Behälter, der sich gegen die Peripherie hervorwölbt, ins Auge fasst, namentlich dann, wenn er eine nach oben, dem Beschauer zugewendete Lage eingenommen hat Der Behälter dringt, immer mehr sich erweiternd, in das Ektoplasma ein, so dass bald nur wenige Gebilde des Entoplasmas an seiner Oberfläche zurückgeblieben resp. zu sehen sind, Granula und mitunter einzelne kleine und kleinste Flüssigkeitsvakuolen; und nun kann man mit völliger Klar- heit und Sicherheit die Elementargranula und Glanzgranula, beide über die Wölbung des Behälters wandernd erkennen und sich, sie mit andern ver- gleichend, von der fundamentalen Verschiedenheit Beider überzeugen. Gleich- hieraus sich ergebenden Schlüsse bereits ausführliche Mitteilung gemacht (a. a. 0. S. 136 fg.): Die krystalloiden Glanzgranula bestehen hier aus einer Doppel- pyramide mit einem in der Mitte eingefügten kleinen glänzenden und nach außen vorspringenden Knöpfchen. Bei Zusatz von Qprozentiger Kali- lauge verschwand das Krystalloid, mit Ausnahme des seit- lichen Knöpfchens, und bei 2prozentiger Essigsäure das Knöpf- chen, während die Doppelpyramide unverändert blieb. Hieraus folgt also die merkwürdige Thatsache, dass der Hauptteil des krystalloiden Glanzgranulum aus organischer, das seitlich eingefügte Knöpfehen aber aus anorganischer Substanz (Kalksalz) besteht. 508 Greeff, Organismus der Amöben. zeitig bietet sich bei dieser Betrachtungsweise auch meist Gelegenheit, die Granula von den ebenfalls zuweilen vorbeiziehenden kleinen Vakuolen zu sondern und sich vor Verwechselung mit diesen zu sichern und endlich kann man nun nochmals in hierfür günstigster Lagerung des Amöbenkörpers die Gleichartigkeit des Ektoplasmas, namentlich die Abwesenheit einer schaumigen oder Wabenstruktur, bestätigen. 3eide, die Glanz- nnd Elementargranula, sind in ein weichflüssiges und, wie es scheint, im Leben homogenes und hyalines Plasma eingebettet und werden in diesem mit samt den übrigen Einschlüssen und Bildungen des Ento- plasmas im Innern strömend umhergeführt. Ueber die vitale Bedeutung der Elementar- und Glanzgranula wage ich vorläufig keine Ansicht zu äußern. Außer Zweifel aber scheint mir, dass die Ersteren mit wichtigen Aufgaben für das Leben ihrer Träger betraut sind, die aber bei den verschiedenen Formen der Rhizopoden je nach ihren besonderen Lebens - Bedürfnlssen und -Bedingungen und dem damit zusammenhängenden Aufbau ihres Körpers wechselnde sein mögen. Dass die Glanzgranula im All- gemeinen als Ernährungs- resp. Stoffwechselprodukte anzusehen seien, ist mir wahrscheinlich, wird aber auch erst durch genaueste und vielseitige Unter- suchung zu entscheiden sein !!). (Schluss folgt.) 1) Nach den bisher an anderen Sarkodinen gewonnenen Beobachtungen kann ich nicht zweifeln, dass sich bei den meisten derselben, vielleicht bei allen eine ähnliche Granula - Organisation resp. -Differenzierung in Elementar- und Glanzgranula wird nachweisen lassen wie bei den Erdamöben. Mit Sicher- heit habe ich sie erkannt bei Amphizonella violacea Gr., Pelomyxa palustris Gr., Amoeba proleus, und einigen dieser in ihrem Aussehen und Größe nahestehenden ein- und mehrkernigen Amöben, deren Entoplasma neben krystalloiden und kleinen rundlichen Glanzgranula sehr blasse, ovale, spindel- oder stäbehen- förmige Elementargranula enthält. Die Elementargranula treten übrigens bei einigen Sarkodinen, statt im Entoplasma, im Ektoplasma auf, diesem nun einen besonderen Charakter aufprägend und gleichzeitig beide Plasmazonen von ein- ander scheidend. In dieser Verteilung finden sie sich als rundliche, blasse Granula bei Actinosphaerium Eichhornü, wo sie auf das großblasige Ekto- plasma und zwar auf die peripherische, zuweilen fein-vakuolär erscheinende Schicht desselben beschränkt zu sein scheinen. In solchem Vorkommen habe ich sie bereits im Jahre 1571 beobachtet und als besondere peripherische Protoplasma-Schicht des Actinosphaerium-Körpers beschrieben. In überraschen- der Weise gelangt dieses Verhältnis zum Ausdruck durch Färbung mit Methylen- blau, da sich hierdurch sofort und meistens ganz allein das die Elementar- granula enthaltende Ektoplasma mit seinen Pseudopodien färbt, während das Entoplasma, das hauptsächlich die, meist von Blasen umschlossenen und häufig tanzend in ihnen sich bewegenden, Glanzgranula enthält, ungefärbt bleibt und von dem Ersteren wie von einem blauen Gürtel umgeben ist. Man erkennt nun auch viel deutlicher als vorher die Elementargranula, da sie es hauptsäch- lich sind, die den Farbstoff aufgenommen haben und die Färbung des Ekto- plasmas bedingen. Lässt man nachträglich Pikrokarmin einwirken, so erlangt man, namentlich bei Osmium - Alkohol- Präparaten eine sehr schöne Doppel- färbung: Der blaue Ektoplasma -Gürtel erhält sich, während die durch Pikro- karmin lebhaft rotgefärbten zahlreichen Kerne aus dem im Uebrigen noch ungefärbten Entoplasma hervorleuchten. Die Elementargranula treten übrigens bei Actinosphaerium in zwei verschiedenen Formen auf, kleineren und größeren, die Letzteren äußerst blass und weniger zahlreich. Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 "Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XL Band. 1. November 1891. Nr, 20. ar Czapski, Die voraussichtlichen En der Leistungsfähigkeit des arnkroeköpe. —_ Frenzel, Notiz über den Wassergehalt des Muskelfleisches. — Maefadyen, Neneki und Sieber, Untersuchungen über die chemischen Vorgänge im menschlichen Dünndarm. — Preyer, Die organischen Elemente und ihre Stellung im System. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesell- schaften: Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften in Marburg (Schluss). Die voraussichtlichen Grenzen der Leistungsfähigkeit des Mikroskops'). Von Dr. S. Czapski in Jena. So lange man den Vorgang der Abbildung im Mikroskop als einen rein dioptrischen ansah, war kein Grund, den Leistungen dieses Instrumentes a priori irgend welche Grenzen zu ziehen. Denn die Aufgabe, welche man unter diesem Gesichtspunkte als die einzig zu lösende ansehen musste, nämlich die Vergrößerung des Mikros- kops zu steigern, ist im Prinzip mit jeder beliebigen Annäherung an den Wert „Unendlich“ lösbar, und es brauchten nur noch die geeignetsten praktischen Wege zur Verwirklichung der höchsten Vergrößerungsziffern diskutiert zu werden). Bekanntlich hatte sich aber schon zu Anfang dieses Jahrhunderts und im Laufe desselben durch die Untersuchungen von Harting, Mohl u. a. immer sicherer herausgestellt, dass die gesteigerte Ver- größerung allein nicht genüge, um die Details eines mikroskopischen Objektes sichtbar werden zu lassen. Bei gleicher Vergrößerung, gleicher rein dioptrischer Vollkommenheit (Korrektion der Abweich- ungen, gute Strahlenvereinigung) und gleicher Beleuchtungsweise 1) Dieser Aufsatz ist ein Abdruck aus der Zeitschrift für wissenschaft- liche Mikroskopie und für mikroskopische Technik, Band VIII, 1891, S. 445—4155, welchen der Herr Verf. uns, mit einigen Verbesserungen und Zusätzen ver- sehen, gütigst zur Benutzung überlassen hat. Die Redaktion. 2) Vergl. z. B. Listing B., in Nachr. v. d. k. Gesellsch. d. Wiss. u. d. G. A. Univ. Göttingen 1869, 8. 1. Pogg. Ann. 936, 8. 467. xl. 39 610 Czapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. zeigten die Systeme, deren „Deffnungswinkel“ der größere war, immer noch eine Ueberlegenheit in der Definition und im Auflösungs- vermögen, welche früher auf keine Weise befriedigend erklärt werden konnte. Auch wenn man etwa künstlich den Unterschied in der Helligkeit der Bilder ausglich, welcher offenbar bei Systemen gleicher Brennweite aber verschiedenen Oeffnungswinkels unter gleicher Okular- vergrößerung bestehen muss, wurde jene Ueberlegenheit nicht beseitigt. Die Erklärung dieser „spezifischen Funktion des Oeffnungswinkels“ kam dann fast gleichzeitig von Abbe!) und Helmholtz?). Letz- terer setzte bei seinen Betrachtungen stillschweigend das Objekt als selbstleuchtend (die einzelnen Punkte als selbständige Erregungs- zentren von Lichtoszillationen) voraus, wie es etwa dem Fernrohr gegenüber die Sterne sind. Auf dieser Annahme, auf den anerkannten Prinzipien der Undulationtheorie des Lichtes und einigen eigens her- geleiteten besonderen Beziehungen beruht seine, auf ihrem Boden unanfechtbare Beweisführung. Versuche, welche seiner Zeit Abbe mit glühend gemachten Drahtgittern angestellt hat, bestätigen ihre Konsequenzen. Wegen der genannten Voraussetzung selbständig leuch- tender Objekte findet aber die Helmholtz’sche Theorie keine An- wendung auf die in der Praxis der Mikroskopie allein vorkommenden nicht selbstleuchtenden, sondern erst mittels auf- oder durchfallen- den Lichtes sichtbar werdenden Präparate. Auf diese bezieht sich die Theorie von Abbe. So sehr demnach beide Theorien in ihren Voraussetzungen und ebenso in den meisten ihrer Konsequenzen divergieren, so kommen sie doch in einem Punkte fast zu dem gleichen Resultat. Das Auf- lösungsvermögen der Systeme bei entsprechender Beleuchtung ist nach beiden Theorien durch die gleiche Formel bestimmt. Dafür, dass bei schiefer Beleuchtung die auflösende Kraft des Mikroskops eine höhere ist als bei zentraler, dass anch bei letzterer die ganze Apertur des Systems wirksam wird und für manche andere erfahrungsmäßig festgestellte Thatsachen auf diesem Gebiete weiß die Helmholtz’sche Theorie — eben entsprechend der Verschiedenheit ihrer Grundlage von den gewöhnlich vorliegenden Verhältnissen — keine Erklärung zu bieten, während die von Abbe bis jetzt noch in keinem Falle versagt hat. Wie dem aber auch sein mag: die Deduktion, dass das Auf- lösungsvermögen von gewissen Faktoren abhängig ist, führt sofort auf eine Grenzbestimmung für dasselbe. Dementsprechend be- titelte auch Helmholtz seine Abhandlung: „Die theoretische Grenze für die Leistungsfähigkeit der Mikroskope“. Jedoch war es damals nicht seine Absicht, — wie der Titel vielleicht vermuten lassen könnte — zu erörtern, bis zu welcher Grenze in absehbarer Zukunft 4) Abbe E., in Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. IX, 1873, $. 413. 2) Helmholtz H., in Poggendorff’s Ann. Jubelbd. 1874, S. 557. Özapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. 611 und mit angebbaren Mitteln etwa die Leistungsfähigkeit des Mikros- kops gesteigert werden könnte, sondern allein die oben angegebene: festzustellen, von welchen Faktoren und in welcher Art von diesen sie abhängig sei. Dass eine Diskussion dieser letzteren Art, wie Abbe und Helm- holtz sie angestellt haben, in ihren Entwicklungen wie ihren Resul- taten den Vorzug einer größeren Strenge, ja mathematischer Exakt- heit besitzt, ist fraglos. Aber doch wird es immer eine verlockende Aufgabe sein, und zwar gerade auf Grund solcher Deduktionen, die Beantwortung der anderen oben genannten Frage zu versuchen: wie weit können wir hoffen, zu gelangen? Erörterungen dieser Art und ihre Ergebnisse haben selbstverständlich nur einen relativen Wert. Wir können natürlich nie voraussagen, mit welchen, jetzt viel- leicht nieht einmal geahnten Mitteln ein künftiges Genie dem Forschungs- drange der Menschen neue Wege bahnen wird. Einen Sinn hat nur die Diskussion über das Ziel, bis zu welchem wir hoffen dürfen, mit den gegenwärtig bekannten Mitteln, unter den gegenwärtig gegebenen Bedingungen, nach dem gegenwärtigen Stande unserer theoretischen Einsicht in den Zusammenhang der betreffenden Verhältnisse zu ge- langen. Ferner liegt in der Natur solcher Diskussionen, dass ihre Ergebnisse starken subjektiven Schwankungen unterliegen. Um in diesem Punkte nicht missverstanden zu werden, möchte ich von vornherein bemerken, dass der eigentliche Zweck der folgenden Zeilen nicht sowohl ist, zu zeigen wie weit man vielleicht kommen kann, sondern, dass man über gewisse Grenzen auch auf den angedeuteten Wegen sicher nieht hinauskommen kann. Um diese Grenzen wirk- lich als solche zu bestimmen, stelle ich mich auf einen möglichst- sanguinischen Standpunkt in der Beurteilung des möglicherweise d.h. denklich erreichbaren. Wenn ich angeben sollte, welchen Fortschritt ich in absehbarer Zeit für praktisch realisierbajr halte, so würde ich meinen Er- örterungen sofort eine ganz andere Färbung geben müssen !). Gehen wir also von der oben erwähnten fundamentalen Formel für die Leistungsfähigkeit des Mikroskopes aus. Wenn d die kleinste mit einem optisch vollkommenen Objektiv unterscheidbare Distanz der Elemente einer regelmäßigen Struktur bedeutet, A die Wellenlänge des wirksamen Lichtes (im leeren Raume) und « die Apertur des Systems, so ist, nach der Theorie von Abbe ebenso wie nach der von Helmholtz, das äußerste erreichbare d — bei zentraler 2a’ Beleuchtung ist nach ersterer Theorie d halb so groß nämlich de = Wir fassen letztere Formel näher ins Auge. 1) Die Fortschritte, welche zweifellos noch in reichem Maße durch Ver- besserung der Präparationsverfahren erzielt werden können, liegen voll- ständig außerhalb des Rahmens der hier vorzunehmenden Betrachtungen. Ihre Erörterung ist ein Gegenstand ganz für sich. 393 612 Czapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. Einen Fortschritt in der Leistung des Mikroskopes bemessen wir allgemein nach der Kleinheit der auflösbaren Struktur, also nach der Größe d. Gemäß obiger Formel können wir diese Größe auf zwei und, da d einfach der Quotient zweier Größen ist, nur auf zwei Wegen verkleinern. Wir können entweder 1) « größer, oder 2) A kleiner machen. — Ad. 1. Die Erhöhung der Größe «, d. h. der Apertur des Systems, ist seit den Arbeiten von Abbe und Helmholtz das vor- zügliche Bestreben aller um die Verbesserung des Mikroskops be- mühten Optiker gewesen. Sehen wir zu, wie weit man hoffen kann, auf diesem Wegen zu gelangen, wie weit man anderseits von dieser erreichbaren Grenze gegenwärtig noch entfernt ist. Es ist a=n sin u, worin n der Brechungsexponent des Mediums vor der ersten Linse des Systems ist, u der Winkel, welchen der äußerste, durch das System hindurchgelassene, von einem mittleren Objektpunkt ausgegangene Lichtstrahl mit der Axe desselben bildet. Dieser Winkel kann aus rein geometrischen Gründen füglich nicht über etwa 65° gesteigert werden, damit noch ein gewisser, wenn auch sehr kleiner Raum, zwischen Objekt und System frei bleibe (für das Deckglas und als Spielraum für die Einstellung). Es kann somit sin u kaum einen höheren Wert erreichen als 0'95. Um die Apertur des Systems zu steigern bliebe daher, wenn man jene geo- metrische Grenze erreieht hat — und das ist ziemlich allgemein der Fall — kein anderes Mittel, als die Größe n, den Breehungsexponent des Mediums vor dem Objektiv, zu steigern. Damit ist man auf das Prinzip der Immersionssysteme geführt. Doch ist zu beachten, dass es nicht genügt, zwischen Deckglas und Frontlinse eine „Im- mersionsflüssigkeit“ von genügend hohem Brechungsexponent einzu- führen, sondern dass auch zwischen Objekt und Immersionsflüssigkeit kein Medium, auch nicht in der mikroskopisch dünnsten Schicht, vor- handen sein darf, dessen Brechungsexponent geringer ist als der der Immersionsflüssigkeit. Andernfalls wird die Apertur des Systems, ganz gleich wie hoch der Breehungsexponent n der Immersionsflüssig- keit ist, durch Totalreflexion reduziert auf die Größe a° = n‘, wenn n‘ der niedrigste zwischen dem Objekt und der Immersionsflüssigkeit in irgend einer Schicht auftretende Breehungsexponent ist, wie ich bereits in meiner Mitteilung „Ueber ein System von der Apertur 1'60 (Mono- bromnaphthalin), hergestellt nach Reehnungen von Professor Abbe in der optischen Werkstätte von Carl Zeiss“ !) hervorgehoben habe. Wir sind nun bei den meisten Präparaten gezwungen, sie mit Deekgläsern zu überdecken. Der Brechungsexponent der gewöhn- lich angewandten, d. h. leicht herstellbaren, im Gebrauch bequemen und im Preise billigen Deckgläser beträgt 1-52 bis 153. Bei An- 1) Vergl. Zeitschrift f. wissensch. Mikroskopie und für mikrosk. Technik, Bd. VI, 1889, S. 417. Czapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. 613 wendung solcher ist daher die Grenze der erreichbaren Apertur — 144 bis 145. Um in der Apertur weiter zu gehen, muss man, wie ich in meiner eben erwähnten Mitteilung über das System von 1'60 Apertur ebenfalls bemerkt habe, zunächst Deckgläser von höherem Brechungsexponenten anwenden. Und dies hat seine mannig- fachen Schwierigkeiten. Die Jenaer Glasschmelzerei von Schott u. Gen. hat ja aller- dings Gläser bis zu einem Brechungsexponenten von fast 2:0 herge- stellt. Aber die aus solchem Glase fabrizierten Deckgläser sind einerseits natürlich sehr kostspielig. Dieselben lassen sich nicht mehr auf dem sonst üblichen Wege des Ausblasens herstellen, sondern müssen nach den umständlichen Verfahrungsweisen der technischen Optik ganz ebenso wie andere planparallele Platten aus dickeren Blöcken erst herausgesägt, dann auf die gewünschte Dieke von 0:15 bis 02 mm dünner geschliffen und schließlich kunstgerecht poliert werden. Hierbei ist einmal der Materialverlust ein sehr großer und in noch höherem Maße macht die aufzuwendende Arbeit solche Deck- gläser kostspielig. Ferner führen solche Deckgläser auch im Gebrauch manche Sehwierigkeiten mit sich, mit welchen man bei Anwendung der gewöhnlichen nichts zu thun hat. Denn es darf, wie oben hervor- gehoben, kein Medium zwischen Objekt und Frontlinse einen niederen Brechungsexponenten haben als die Ziffer der zu erreichenden Apertur; es müssen also, wie ich am angeführten Orte ebenfalls hervorgehoben habe, die Objekte selbst in Medien eingebettet sein, deren Brechungsexponent die gewünschte Höhe hat. Auch hier liegt ein absolutes Hindernis nicht vor; wir besitzen Einbettungsmedien, deren Brechungsexponent die Zahl 2 sogar über- schreitet. Aber diese Medien und die Methoden der Präparation von Objekten mit ihnen haben ihre unangenehmen Seiten. Wir haben es hier meist mit Quecksilber-, Schwefel-, Arsen- und Phosphorverbind- ungen zu thun, welche beim Präparieren erwärmt werden müssen und dabei entweder die Gesundheit in hohem Maße angreifende Dämpfe entwickeln oder auch außerdem noch sehr leicht explosibel sind, so dass die Präparation eines Objektes mit solchen Medien eine fast lebensgefährliche Arbeit ist. Es hat sich ferner bei den mit dem genannten System von der Apertur 160 vorgenommenen Versuchen herausgestellt, dass viele dieser Einbettungsmedien auch die Sub- stanz jener Deckgläser von hohem Index angreifen, korrodieren, so dass die Oberfläche desselben matt und damit undurch- sichtig wird. Wie weit sich dieser Uebelstand bei anderen Glasarten, als den bei jenem System angewandten, vermeiden lassen wird, wäre allerdings noch besonders zu untersuchen, und es ist kein Grund, in dieser Beziehung von vornherein auf ein besseres Gelingen zu ver- ziehten. Im Gegenteil! Aber als ganz gewiss muss man hinstellen, dass einerseits das Deckglas von hohem Brechungsexponenten in jedem 614 Czapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. Falle sehr viel empfindlicher sein wird als das gewöhnliche Deck- glas, und dass hierdurch die Auswahl unter den optisch genügenden Einbettungsmedien von vornherein beschränkt werden wird; ander- seits, dass die Präparation von Objekten mit den noch zur Verfügung bleibenden Medien jedenfalls eine sehr viel schwierigere und kost- spieligere sein wird, als die bei den jetzt angewandten Aperturen. Das allergrößte Hindernis in diesem Punkte bieten jedoch nicht die genannten anorganischen Substanzen, sondern die Substanz des Objektes, wenn dieses aus dem Gebiete der unserem Interesse weitaus am nächsten stehenden organischen Natur stammt. Ist schon bei dem jetzt gebräuchlichen Präparationsverfahren oftmals Anlass zu Bedenken, ob nicht durch die Präparation das Objekt eine wesentliche Veränderung seiner natürlichen Strukturverhältnisse er- fahre, so zeigt sich bei Anwendung der jetzt bekannten hoch- brechenden Einbettungsmedien oft schon dem unbewaffneten Auge, dass geradezu eine Zerstörung dieses durch jenes eintritt. Große Klassen der aus der organischen Natur stammenden Objekte ver- langen zudem, in ganz gewissen Medien zu verbleiben, in ihrer natürlichen Umgebung oder solchen Mitteln, die dieser sehr ähnlich sind. Diese besitzen nun meistens Brechungsexponenten von 1'33 bis höchstens 1'6. Dieser Umstand schließt eine Erhöhung der Leistungs- fähigkeit des Mikroskops durch Vergrößerung der Apertur von vornherein aus und verweist uns mit Notwendigkeit auf den anderen der oben genannten Wege als den einzigen, welcher in solehen Fällen überhaupt die Aussicht auf einen möglichen Fortschritt eröffnet. 1, Dieser Weg besteht, wie erwähnt, darin, /, die Wellenlänge des wirksamen Lichtes, kleiner zu machen. (Mit der Ver- kleinerung von A geht zwar an sich bei allen normal zerstreuenden Immersionsflüssigkeiten eine Vergrößerung von n und damit der Apertur Hand in Hand — eine Vergrößerung, welche im selben Sinne auf die Größe von d wirkt, wie die Verkleinerung von 4; doch können wir diese als relativ zu gering für die folgende Betrachtung ganz außer Acht lassen.) Beobachtet man bei gewöhnlichem Tageslicht (reflektiertes Licht weißer Wolken), so kommen zwar sehr viele ver- schiedene Wellenlängen auf einmal zur Wirkung, nämlich die des ganzen sichtbaren Spektrums. Nun ist aber einerseits die absolute Energie der Sonnenstrahlen in den verschiedenen Teilen des Spek- trums eine verschiedene, anderseits variiert die Empfindlichkeit des Auges für die verschiedenen Farben des Spektrums bei gleicher physischer Stärke des Reizes ebenfalls. Hieraus resultiert eine Ein- drucksstärke des weißen Tageslichtes, welche durch eine wellen- förmige Kurve dargestellt wird, deren Scheitel etwa bei 4 = 0'55 w liegt. Es empfängt also das Auge von den Strahlen dieser Wellen- Czapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. 615 länge und der ihr benachbarten den bei weitem stärksten Eindruck, und dies in so überwiegendem Maße, dass derselbe die den kleineren und größeren Wellenlängen entsprechenden farbigen Partialbilder gewissermaßen unwirksam macht, oder wenigstens nur insoweit zur Geltung kommen lässt, als ihre Eigenschaften denen der Bilder, welche i = 055 u entsprechen, gleich sind. Schließt man dagegen diese, absolut und physiologisch am energischsten wirksamen Strahlen der Wellenlänge 055 w und der größeren Wellenlängen auf irgend eine Weise aus und lässt nur den Strahlen kürzerer Wellenlänge den Zutritt zum Auge, so kann unter günstigen Umständen, nämlich bei genügend intensiven Lichtquellen, das Licht dieser kürzeren Wellenlängen sehr wohl bis zu einer ge- wissen Grenze selbständig wirksam werden. Allbekannt ist die auf- fallende Steigung im Auflösungsvermögen eines Objektivs, wenn man, sei es durch einen Beleuchtungsapparat für monochromatisches Licht, sei es durch Einschaltung von Absorptionsgläsern oder dergleichen, ein Präparat in rein blauer Beleuchtung beobachtet. Man sieht dann, wie ein solches, welches bei gewöhnlicher Beleuchtung die Grenzen der Auflösung übersteigt, mit monochromatischem blauen Lieht von demselben Objektiv und unter sonst genau gleichen Um- ständen bequem gelöst wird. In der That ist das Auge noch für die Wellenlänge 0'44 u genügend empfindlich, um unter Ausschluss anders- farbigen Lichtes einen recht intensiven Eindruck erhalten zu können. Eine Verminderung der wirksamen Wellenlänge von 0:55 auf 044 ist aber gleichbedeutend mit einer Erhöhung der Apertur, z. B. von 1:40 auf 175! Wie man sieht, ist hier ein relativ großer Fortschritt mit sehr einfachen Mitteln zu Wege gebracht. Es ist, zuerst wohl von Helmholtz!), dann wiederholt von Anderen darauf hingewiesen worden, dass die Photographie ein Hilfsmittel biete, um auf diesem Wege die Leistungsfähigkeit des Mikroskops zu steigern, da die photographischen Platten meist für kurzwelligeres Licht empfindlich sind und auch das Maximum der Empfindlichkeit haben als das Auge. Der Erfolg hat aber nicht immer der Theorie entsprochen. In der That hat man oft eine wich- tige Voraussetzung unbeachtet gelassen, welche für das praktische Gelingen ausschlaggebend ist. Es ist nämlich bei allen theoretischen Deduktionen stillschweigend, oder auch ausdrücklich, vorausgesetzt, dass das zur Photographie benutzte Objektiv mit den Lichtstrahlen der geringen Wellenlänge auch an sich gleich gute Bilder gebe wie bei gewöhnlicher, weißer Beleuchtung. Dies ist aber keineswegs von selbst der Fall. Ja bei den Objektiven des gewöhnlichen Typus, d. h. bei den bis vor wenigen Jahren allein existierenden „achromatischen* Objektiven war eine solehe Anforderung überhaupt nicht zu erreichen. Wenn NL ee. 8.576. 616 Czapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. das Objektiv für Lieht von der Wellenlänge 055 u gute Bilder gab, „korrigiert war“, so waren die Bilder vom Licht der Wellenlänge 0-44 w für sich betrachtet bereits so schlecht, d. h. die sphärische und chromatische Korrektion des Objektivs für diesen Teil des Spek- trums eine so mangelhafte, dass der theoretisch postulierte Vorteil eines erhöhten Auflösungsvermögens wenig oder gar nicht zur Geltung kommen konnte. Wohl half man sich auch früher schon in derselben Weise, wie man sich bei gewöhnlichen (makro)photographischen Ob- jektiven — bei denen die Verhältnisse ganz ähnlich liegen — von jeher beholfen hat und noch heute behilft. Man korrigierte das Ob- jektiv sphärisch für Strahlen von derjenigen Wellenlänge, welche in der Photographie vornehmlich zur Geltung kommt, z. B. bei Brom- silbergelatine- und mehreren anderen Plattenarten für A —= 044 u und bewirkte die chromatische Korrektion des Objekts in der Weise, dass das der Wellenlänge 0'55 entsprechende Bild örtlich mit jenem photograpbisch wirksamen zusammenfiel. Hierdurch wurde wenigstens erreicht, dass man das photopraphisch wirksame Bild mit Hilfe des mit bloßem Auge sichtbaren richtig einstellen konnte. Es blieb aber dabei 1) das optisch wirksame Bild an sich schlecht (sphärisch unter-, ehromatisch überkorrigiert) und 2) auch im photo-chemisch wirksamen Teile des Spektrums die Konzentration des Lichtes eine sehr unvollkommene: die Bilder, welche den verschiedenen wirksamen Wellenlängen entsprechen, fallen an Ort und Größe auseinander (ehromatische Unterkorrektion für diesen Teil des Spektrums). Die diesen verschiedenen Wellenlängen entsprechenden Bilder können sich daher nicht verstärken, sondern es liegt im Gegenteile die Gefahr nahe, dass der eine Teil eine Verschleierung des von dem anderen Teile herrührenden Bildes bewirkt. Man hat sich auch hier einigermaßen zu helfen gewusst, indem man nur einen kurzen Spektralbezirk wirksam werden ließ, worauf ich gleich näher eingehen werde. Es ist aber von vornherein klar, dass hierdurch jedenfalls die Intensität der Beleuchtung ganz außerordentlich vermindert wird, und dies ist wieder in anderer Hin- sicht unangenehm. Jedenfalls konnten Objektive, welche vom Optiker für den Zweck der Mikrophotographie konstruiert waren, gar nicht mehr vorteilhaft für die gewöhnliche Beobachtung benutzt werden und umgekehrt. Der große Fortschritt, welcher in dieser Hinsicht durch die Kon- struktion der Apochromate herbeigeführt worden ist, besteht eben darin, dass bei ihnen die den verschiedenen Wellenlängen des ganzen sichtbaren Spektrums bis ins Violette hinein entsprechenden Bilder bis auf praktisch gleichgiltige Unterschiede dem Orte und der Größe nach zusammenfallen. Der Vorzug, den die Apochromate in der Benützung zur Photographie vor Systemen der älteren Art besitzen, ist unvergleichbar größer als die Ueberlegenheit, welche sie Czapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. 617 bei bloßem optischen Gebrauch, im direkten Sehen aufweisen. In der That ist auch nicht zu verkennen und wiederholt hervorgehoben, welchen Aufschwung die Mikrophotographie seit der Einführung der Apochromate genommen hat, und ebenso haben sich die Fälle ge- mehrt, in welchen durch die Photographie Strukturen sichtbar ge- macht worden sind, welche dem Auge ganz oder beinahe verborgen geblieben waren. Aber auch hier sind meines Erachtens nicht immer die Bedingungen eingehalten worden, von welchen eine erliöhte Leistungsfähigkeit des Öbjektivs abhängt. Dieselbe kann, wie eingangs bemerkt, nur dann erwartet werden, wenn Licht kürzerer Wellenlänge unter Aus- schluss von Licht größerer Wellenlänge zur Verwendung kommt. Denn wenn gleichzeitig auch Licht größerer Wellenlänge zur Bildung des Photogramms beiträgt, so kann leicht auf der photo- graphischen Platte dasselbe passieren, was wir bei der Ocular- Beobachtung mit weißem Licht der Netzhaut des Auges gegenüber konstatiert haben: dass das den größeren Wellenlängen entsprechende gröbere Bild das von den kurzwelligen Strahlen entworfene, feiner strukturierte, aber auch lichtschwächere überdeckt. Man wird also von Photogrammen, die z B. auf sogenannten orthochromatischen Platten erstellt sind, oder gar von solchen, bei welchen grüne, gelbe, braune Lichtfilter angewandt sind, in dieser Hinsicht von vorn- herein nichts erwarten dürfen. Bekanntlich nötigt aber sehr oft die Beschaffenheit des Präparates, d. h. seine eigene Färbung, zur Anwendung solcher Filter, aus rein photochemischen Gründen, um die vorhandenen Details genügend zum Ausdruck zu bringen. Diese Klasse von Präparaten bleiben also von einem Fortschritt in ihrer Abbildung mit Hilfe der Photographie von vornherein ausgeschlossen. Damit soll natürlich keineswegs gesagt sein, dass die Photographie bei solchen gar keinen Vorteil biete; doch liegen diese Vorteile auf einem anderen, hier nicht näher zu erörternden Gebiete. Die Bedingung einer durch die Photographie zu erreichenden ge- steigerten Leistungsfähigkeit der Objektive und die Grenzen einer solchen liegen meines Erachtens vielmehr in folgenden Umständen: Erstens in dem schon erwähnten, dass das benutzte System geeignet korrigiert sei, so dass die Bilder, welche von der zur Anwendung zu bringenden kurzen Wellenlänge A = x herrühren, an sich scharf seien und dem Orte nach mit dem auf das Auge wirken- den zusammenfallen — wie oben erwähnt, um die Einstellung zu er- möglichen. In dem Maße, in welchem diese Korrektion früher bei makrophotographischen Objektiven für 2 = 0'55 etwa und 4 = 044 erreicht war, würde sie an sich auch für dasselbe A=0'55 einerseits und noch viel kurzwelligeres Licht anderseits erreichbar sein. Man würde zwar die Brechungsexponenten der Gläser, aus welchen das 618 Czapski, Leistungsfähigkeit des Mikroskops. Objektiv besteht, für Licht von einer Wellenlänge, welche keinen merklichen Eindruck mehr auf das Auge macht, nur mit Hilfe der Photographie selbst bestimmen können. Doch würde dies mit ge- nügender Genauigkeit möglich sein, und es würde ebenso möglich sein, mit den Mitteln, über welche jetzt der rechnende und der tech- nische Optiker verfügt, Systeme herzustellen, von denen der Mikro- graph a priori sicher sein kann, dass sie für jene unsichtbaren Wellen- längen in der gewünschten Weise korrigiert sind, ohne dass die Kontrolle dureh das Auge zu Hilfe genommen zu werden brauchte. Diese Anforderung ist also an sich bis zu beliebigen Grenzen des A erfüllbar. Die zweite besteht darin, dass das Licht. von der gewünschten kurzen Wellenlänge photographisch wirksam werden muss. Dieselbe zerfällt in vier Unterbedingungen. Es muss 1) die Licht- quelle Wellen von der gewünschten Kürze und diese in hinreichender Intensität überhaupt ausstrahlen. Es müssen 2) die den größeren Wellen entsprechenden Strahlen durch geeignete Licht- filter von der Wirkung ausgeschlossen werden, ohne dass zugleich die Intensität der kurzwelligen Strahlen zu sehr vermindert wird. Es muss 3) die photographische Platte für das Licht der betreffenden Wellenlänge genügend empfindlich sein (wenn die Empfindlichkeit der Platte für das betreffende Licht ein ausgesprochenes Maximum be- sitzt, so wird hierdurch dasselbe erreicht, wie durch einen Lichtfilter). 4) aber müssen alle Medien zwischen Lichtquelle und photographischer Platte die Strahlen von der betreffenden kurzen Wellenlänge auch durchlassen. Diese letztere Forderung zieht meines Erachtens die Grenzen des möglichen Fortschritts am engsten. Bekanntlich lassen schon die ge- wöhnlichen Gläser nur einen sehr kleinen Bruchteil des Lichtes von der Wellenlänge 0'3 w hindurch. Welche Schwierigkeiten damit ver- bunden sind, kurzwelligeres Licht zur Anwendung zu bringen, davon kann man sich eine Vorstellung machen, wenn man die auf Photo- graphie des ultravioletten Spektrums ausgehenden Arbeiten der Phy- siker, z. B. von Cornu und Schumann verfolgt. Es scheint mir daher, dass die Anwendung von Licht der Wellenlänge 035 « das äußerste ist, was wir in absehbarer Zeit erhoffen können, d. h. was sich erreichen lässt, ohne die Schwierigkeit des Arbeitens über alles Maß hinaus zu erhöhen. Um diese Anwendung aber wirklich zu er- reichen, dazu wird es noch der vereinigten Anstrengungen der Optiker, Physiker, Photochemiker und der Mikroskopiker selbst in den ge- nannten Richtungen bedürfen. Der Lohn solcher Bemühungen ist im Vergleich zu den durch eine Steigerung der Apertur erreichbaren Erfolge immerhin groß und daher verlockend genug. Denn eine Wirksammachung der Wellen- länge 0'35 w statt der mittleren Wellenlänge des gewöhnlichen Tages- Frenzel, Wassergehalt des Muskelfleisches. 619 lichts 2 = 0'55 w wäre gleichbedeutend mit einer Erhöhung der Apertur von z. B. 1'40 auf 2:20. Die Wirksammachung der Wellenlänge A = 0'30 u würde einer Steigerung der Apertur von 140 auf 257 entsprechen. Bei zentraler Beleuchtung würden unter diesen Umständen Strukturen aufgelöst werden, welche im ersteren Falle 4000 Elemente auf der Länge eines Millimeters enthielten, im zweiten Falle 4667 oder solche, deren gegen- seitiger Abstand im ersteren Falle 0'25 u ist, im letzteren Falle 021 u, während jetzt die entsprechenden Zahlen (bei der Apertur 140 und weißer Beleuchtung) 2545 und 0'39 w sind. Bei schiefer Beleuchtung würden sich diese Zahlen (nahezu) verdoppeln bezw. halbieren. Das Resultat dieser Ueberlegungen, um es noch einmal hervor- zuheben, ist also dieses: Für die Beobachtung mit dem Auge und bei gewöhnlichem Tages- oder Lampenlicht sind wir, insofern es sich um das Studium der organischen Welt handelt, mit Systemen von der Apertur 1:40-—1'45 praktisch am Ende des Erreichbaren angelangt. Hier ist eine weitere Steigerung des Vermögens der Mikroskope nur mit äußerster Anstrengung unter Opferung bequemen Arbeitsabstandes der Systeme und auch dann nur um einige wenige Prozent herbeizuführen. Für die gegen gewisse Reagentien unempfindlichen Produkte der unorganischen Natur, für die Kieselskelette mancher Diatomeen und ähnliche Präparate würden auch Systeme höherer Apertur noch praktisch verwendbar und solche bis zur Apertur 18 oder 1'9 wahr- scheinlich noch von den Optikern konstruierbar sein. Eine weitere Steigerung im Abbildungsvermögen der Mikroskope ist hier wie dort ersichtlichermaßen nur durch Anwendung kurz- welligeren Lichtes erreichbar; bis zu einem gewissen Grade wird dieselbe durch monochromatische Beleuchtung erzielt; darüber hinaus könnte man nur unter Verzicht auf die unmittelbare Beobachtung mit dem Auge unter den oben angegebenen Bedingungen und bis zu den genannten Grenzen durch Mikrophotographie gelangen. Ob dieser umständliche und mühselige Weg jemals von einer nennens- werten Zahl von Forschern beschritten werden wird, will ich dahin- gestellt sein lassen. Notiz über den Wassergehalt des Muskelfleisches. Von Prof. Joh. Frenzel. In einem anregend geschriebenen Aufsatze „Ueber eine wichtige Veränderung der Körperbeschaffenheit, welehe der Mensch und die Säugetiere der gemäßigten Zone im heißen Klima erleiden“), hat sich W. Kochs die Frage vorgelegt: „kann der Europäer wenigstens für eine gewisse Zeit, wenn auch nicht so andauernd und intensiv wie in der gemäßigten Zone, in den heißen Klimaten thätig sein?“ — 4) Biolog. Centralblatt, 10. Bd., Nr. 10, 8. 289 fg. 620 Frenzel, Wassergehalt des Muskelfleisches. Wie bekannt, wird diese Frage vielfach verneint, und indem sich Kochs dieser Meinung anschließt, ist er geneigt, auf Grund seiner Beobachtungen an argentinischem Rindvieh anzunehmen, dass der erhöhte Wassergehalt der Gewebe, vor allem des Muskel- fleisches, die geringe Widerstandsfähigkeit und das gesunkene Leistungsvermögen eingewanderter Europäer bedingt. Gehen wir zunächst von der obenerwähnten Frage aus, so wird man besonders scharf zwischen feuchtem und trocknem Klima zu unterscheiden haben. Auch Kochs gedenkt dieses Unterschiedes und sagt mit Recht: „wenn die Umgebungstemperatur gleich der normalen Bluttemperatur ist und mit Feuchtigkeit fast gesättigt, dann steigt die Eigenwärme bald in gefährlicher Weise.“ Dennoch aber scheint mir, als wenn Kochs jenen fundamentalen Unterschied nicht genug würdigt, denn weiterhin äußert sich derselbe: „hiernach müsste man nun annehmen, dass ein Aufenthalt in den heißen Gegenden der Erde überhaupt nur während einiger Stunden möglich wäre“, wobei also von den heißen Gegenden ganz im Allgemeinen diese Befürchtung ausgesprochen wird. Obgleich nun weiterhin schon mit dem feuchten und trocknen Klima ein fundamentaler Gegensatz bedingt ist, so werden wir außer- dem noch in jedem jener beiden Fälle einen Unterschied festzuhalten haben, ob das Klima ein gleichmäßiges, nur geringen Tages- oder Jahreszeiten-Schwankungen unterworfenes, oder ob es im Gegen- teil ein ungleiehmäßiges ist; denn wenn auch gemeinhin das trockne, kontinentale Klima das ungleichmäßigere ist, so darf doch nicht außer Acht gelassen werden, dass auch das feuchtwarme recht beträchtlichen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen ausgesetzt sein kann. Gehen wir nunmehr wieder zur Frage Kochs’ zurück, so werden wir sie eigentlich nur noch auf ein gleichmäßiges, feuchtes und heißes Klima zu beziehen haben, ein Klima, wie es vielleicht Bahia in Bra- silien aufweist, während beispielsweise das von Rio Janeiro, unter dem Wendekreis des Steinbocks gelegen, in den Wintermonaten doch recht erträglich ist und im Allgemeinen von den eingewanderten Europäern, namentlich von den zahlreichen Portugiesen und Italienern gut vertragen wird. Trotz jener Einschränkung aber weiß ich nicht, ob wirklich die Leistungsfähigkeit des Europäers so sehr sinkt, wie Viele annehmen. Hinsichtlich der Körperkräfte mag es ja im All- gemeinen der Fall sein. Aber es mag doch auch viel auf die Indi- vidualität des Einzelnen ankommen, wie auch weiterhin auf die der Rasse, soweit Gewohnheit dabei nicht mitspielt; denn es lässt sich nicht leugnen, dass der an ein warmes Klima gewöhnte kräftige Lombarde oder Sizilianer sieh leistungsfähiger erhält, als der Nord- länder. Bleibt ebenso der Körper von Fieberkrankheiten etc. ver- schont, so glaube ich auch, dass selbst unter einem ungünstigen Frenzel, Wassergehalt des Muskelfleisches. 621 Klima die geistige Leistungsfähigkeit recht wohl erhalten bleiben kann, wenn auch der Körper den Dienst teilweise versagen sollte. Habe ich doch Leute kennen gelernt, welche bei intensiver feuchter Hitze fröhlich am Schreibtisch saßen, während ihnen allerdings ein Gang von etwa 15 Minuten recht beschwerlich fiel. Kochs bezieht seine Schlüsse im besonderen auf Buenos Aires (Ensenada), wo er das Fleisch der Schlachtochsen auf den Wasser- gehalt prüfte. Nach Allem jedoch, was ich von jener Stadt kennen gelernt — ich lebte ca. 4 Jahre in Argentinien — kann ich der Meinung Kochs’ nur in sehr geringem Grade beipflichten. Denn Buenos Aires hat ein durchaus gemäßigtes Klima. Im Sommer wird eine Temperatur von 30° C. im Schatten schon als eine recht hohe angesehen, während die von Cördoba z. B. auf 40° C. steigen kann. Gibt es zu jener Zeit dort ferner auch recht feuchte Tage, so wechseln sie doch stets mit trocknen ab, so etwa, um einen ungefähren Ver- gleich zu machen, wie es in Westdeutschland der Fall ist; der Winter von Buenos Aires endlich ist durchgehend kühl, kühler im All- gemeinen als der von Neapel. Solch ein Klima kann man mithin kein „heißes“ nennen und dort daher auch nieht die schädigenden Einflüsse eines solchen konstatieren. Die Stadt Buenos Aires — mit ca. 500,000 Einwohnern — besteht ungefähr zur Hälfte aus ein- gewanderten Europäern, welche fast ausschließlich alle groben Hand- arbeiten verrichten; und sind es auch großenteils Italiener, welche sich dort leichter akklimatisieren, so ist doch die Zahl der ein- gewanderten Nordeuropäer keine geringe. Nie aber habe ich ge- sehen, dass diese infolge des Klimas in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt worden wären, wie auch vor allen Dingen diejenige der Geisteskräfte, soweit meine Erfahrungen reichen, ganz unverändert bleibt oder bleiben kann. Gibt es doch in Buenos Aires eine recht ansehnliche Zahl von deutschen Aerzten, Apothekern, Lehrern, Bankbeamten, Kaufleuten ete., um nur von diesen zu sprechen, welche durchgängig eine energische geistige Thätigkeit zu entfalten haben. Kochs hat gefunden, dass der Wassergehalt des Muskelfleisches des argentinischen Rindviehes höher ist als der des europäischen resp. des westdeutschen, und er bringt diesen Umstand in unmittel- barste Beziehung zum Klima. Bekanntlich beträgt der Gehalt des Fleisches an Wasser bei uns ca. 72 bis 75°/,, und Kochs betont, dass er in Bonn nie mehr kon- statiert habe. In Buenos Aires resp. Ensenada jedoch war der Ge- halt nach Kochs ca. 80°/,, einige Male sogar 83°/,, so dass also der Wassergehalt dort ca. 5 bis 8°/, höher ist, als der der Tiere in Europa. In der That ist dies eine in. den Saladeros stets gemachte Beobachtung, und ich vermag dieselbe im Allgemeinen zu bestätigen. Das Merkwürdige jedoch ist, dass sie auch für solche Tiere gilt, 529 Frenzel, Wassergehalt des Muskelfleisches. welche aus einer trocknen Gegend stammen. Dies gilt für das ganze Innere von Argentinien, nämlich für die Provinzen Cördoba und Buenos Aires mit Ausnahme des Littorals einerseits, und für die östlichen Provinzen Corrientes und Entrerios anderseits. In beiderlei Gebieten regnet es im Winter selten oder gar nicht z. B. in der Stadt Cördoba, die etwa 5 bis 6 Monate regenlos ist, und auch im Sommer geben die Regenmengen durchaus nicht Anlass, das Klima „feucht“ zu nennen. Ja man muss bedenken, dass das meiste Schlachtvieh gerade aus jenen Gegenden stammt. So produzieren die relativ trocknen Provinzen ÜCorrientes und Entrerios soviel Vieh, um die zahlreichen dortigen Saladeros, wo das Trockenfleisch für Brasilien hergestellt wird, sowie die Fleischextraktfabriken der „Lie- big“- und „Kemmerich“-Kompagnien zu versorgen. Auch das bei Buenos Aires verarbeitete Vieh stammt nur zum geringsten Teil aus dem Littoral und der feuchten Provinz Santa Fe, wo relativ wenig Rindvieh vorhanden ist, sondern vielmehr 'hauptsächlich aus den inneren und den westlichen, nördlichen und südlichen Teilen der Provinz Buenos Aires, aus Patagonien, dem Süden Cördobas ete., kurz aus zum Teil sehr trocknen Regionen. Trotz dieser Trocken- heit aber ist das Muskelfleisch des Viehes wasserreich, wie ich in vielfachen Proben gefunden habe, und zwar gilt dies sowohl für die warme, feuchte, wie auch für die kalte, trockne Jahreszeit. Oft habe ich ferner die Angabe Kochs’ bestätigen können, dass das Wasser im Muskelgewebe nur lose gebunden sei und beim Liegen des Fleisches austrete. Zum Teil ist indessen die höhere Temperatur der Um- gebung daran schuld; denn in der Kälte tritt erheblich weniger Fleischsaft als in der Wärme aus. Er erreicht sein Maximum bei ca. 45°, um dasselbe auch bei steigender Temperatur zu erhalten. Dies gilt übrigens, wenngleich mit einigen Variationen, für jedes Fleisch, wie es ja unseren Hausfrauen bekannt ist, dass das Fleisch beim Zubereiten mehr oder weniger beträchtlich an Volumen ab- nimmt, — von einem vorübergehenden Quellen abgesehen. Ich ver- mag daher nicht zuzugeben, dass dies Phänomen sich auf das Vieh warmer Klimate beschränke; denn wenngleich ich zugebe, dass es dort in erhöhtem Maße auftrete, so trifft man doch ab und zu auch in Deutschland auf sehr wasserreiches Fleisch, dessen Fleischsaft ebenso leicht wie bei dem argentinischen Fleische austritt. Unsere Fleischer wissen dies sehr wohl und bezeichnen derartiges Fleisch als solches zweiter oder dritter Klasse. Dieselben behaupten ferner, dass das Fleisch von altem abgetriebenen Vieh sehr wassereich sei. Kochs gibt zwar an, dass er in Bonn bei zahlreichen Analysen nie mehr als 72 bis 75°, Wasser gefunden habe. Vermutlich wird er aber stets nur gutes Fleisch zu seinen Versuchen benutzt haben, wie er ja selbst angibt, dass es in seinen Eigenschaften sehr gleich- mäßig war. Frenzel, Wassergehalt des Muskelfleisches. 623 Ist auch der hohe Wassergehalt des argentinischen Fleisches zweifellos richtig, so darf doch andrerseits nicht vergessen werden, dass es davon Ausnahmen genug gibt, und zwar gerade in der Stadt Buenos Aires. Dort bezahlt man mehr für Fleisch als in den Sala- deros, und hat daher eine erheblich bessere Qualität. Diese ist nicht so wasserreich wie die andere und stammt von einer besseren Viehrasse. Es ist oben darauf hingedeutet worden, dass das Klima Argen- tiniens resp. das von Buenos Aires durchaus kein tropisches sei und dass das dortige Vieh nicht in warmen und zugleich feuchten Strichen lebe. Manche Gegenden Spaniens, Italiens oder Süd-Russlands haben etwa dieselben klimatischen Bedingungen. Wären daher die An- siehten Kochs’ richtige, so müsste auch dort das Muskelfleisch des Viehes sehr wasserreich sein. Mir ist jedoch davon nichts bekannt; und wenn es wirklich so wäre, so würde sich dafür wohl noch ein andrer Grund finden lassen. Die argentinischen Viehzüchter legen nämlich entweder ein Gewicht auf die Rasse des Viehes oder auf sein Futter und seine sonstigen Lebensbedingungen. Die einen meinen durch Einführung guter Zuchttiere die Qualität des Fleisches, die ja zum Teil durch den Wassergehalt bedingt wird, erheblich bessern zu können; die andern hingegen behaupten, dass selbst die beste Rasse durch das gebräuchliche Züchtungssystem, welches das Vieh oft fast verhungern lässt und allen Unbilden der Witterung preisgibt, in kurzer Zeit verderben werde. Es würde wohl zu weit führen zu untersuchen, welche dieser beiden Ansichten mehr für sich habe. Jedenfalls aber wirken eine ganze Reihe von Ur- sachen mit, um das argentinische Rindfleisch zu einem minderwertigen zu machen. Denn — und dies darf man nicht vergessen — nicht allein sein Wassergehalt ist ein ungünstiger. Kochs selbst gibt noch andere Eigenschaften desselben an, so das leichte Austreten des Fleischsaftes und die dunkle Farbe des Fleisches, welche allerdings zum Teil durch den geringen Fettgehalt desselben hervor- gerufen wird. Auch ist sie, wie ich fand, nicht überall gleich; denn das Fleisch gut gehaltener Ochsen von Riocuarto im Süden der Pro- vinz Cördoba, wo große Weiden mit Luzerne-Klee sind, ist heller als das von Corrientes und Entrerios, wo kolossale Heerden von 30,000 Stück und mehr auf die zum Teil harten wild wachsenden Gräser angewiesen sind. Auch soll hier, was ich selbst nicht mehr prüfen konnte, das Sommerfleisch hellroter und überhaupt besser als das des Winters sein, welch letzteres allerdings oft, wie ich fand, sehr grobfaserig ist und nach dem Kochen dunkelbraun wird. In dem regenlosen Winter ist eben die Nahrung des Viehes eine sehr dürftige, während im Sommer die Gräser üppig sprossen. Solch ein dunkles Fleisch ist ferner ärmer an denjenigen Salzen, welche dem Fleisch resp. dessen Brühextrakt sein eigentümliches Aroma und seinen Wohlgeschmack verleihen. 624 Frenzel, Wassergehalt des Muskelfleisches. Geben wir nunmehr im Allgemeinen den höheren Wassergehalt resp. die geringere Qualität des argentinischen Rindfleisches zu, so werden wir, so meine ich, die Ursachen hiervon in erster Linie in den Lebensbedingungen zu suchen haben, denen das Vieh unter- worfen ist, denn es lässt sich doch andrerseits nicht verkennen, dass das europäische Vieh nur durch sorgsame Pflege und Zucht zu dem wurde, was es ist!). Zu jenen Lebensbedingungen mag ja auch die höhere Temperatur zu rechnen sein, am wenigsten aber, das möchte aus Obigem hervorgehen, der erhöhte Feuchtigkeitsgehalt der Luft. — Indem Kochs den größeren Wassergehalt des Muskelfleisches vom argentinischen Ochsen konstatiert, zieht er nun einen allgemeinen Schluss und vindiziert vor Allem dem Muskelfleisch eingewanderter Europäer — Menschen — dieselbe Eigenschaft. Ein derartiger Schluss ist aber doch wohl etwas übereilt. Er kann nicht einmal für die gesamten Säugetiere oder nur für die Haustiere gelten. Denn das argentinische Schweinefleisch z. B. steht in seinen allgemeinen Eigen- schaften und im besonderen hinsichtlich seines Wassergehaltes dem europäischen kaum nach, ein Umstand, der sich wohl dadurch ge- nügend erklären würde, dass das Schwein nicht das ganze Jahr hindurch frei auf der Weide läuft, sondern ähnlich wie in Europa gehalten und gefüttert wird. Hinsichtlich des Hammelfleisches fehlen mir genauere Angaben und eigene Prüfungen. Doch scheint es mir dem europäischen ungefähr zu gleichen, ein Umstand, der sich da- durch erklärt, dass nicht nur viel gute Zuchtböcke nach Argentinien eingeführt sind, sondern dass auch die argentinische Schafzucht ähn- lich der europäischen ist. Gerade so ist es ferner mit dem Federvieh. Nach allen meinen Erfahrungen bezieht sich der höhere Wasser- gehalt des Muskelfleisches nur auf den Ochsen. Ehe also nicht ein- gehende Untersuchungen über das Muskelfleisch des Menschen in Argentinien, resp. in heißen und feuchten Klimaten vorliegen, besteht kein Anlass, auch bei diesem von einem höheren Wassergehalt zu sprechen. Es mag wahr sein, dass Kochs richtig geraten hat, denn anders kann man es kaum nennen; aber einen Beweis hat er nicht gebracht. Gibt er doch nicht eine einzige Analyse vom Muskelfleisch europäischer Argentiner. Eine solehe wäre leicht auszuführen, und vielleicht findet sich ein argentinischer Forscher, deren es leider herz- lich wenige gibt, welcher sich jener dankenswerten Aufgabe unterzieht. Zum Schluss sei noch erwähnt, dass Kochs selbst noch eine andere Erklärung für den großen Wasserreichtum des argentinischen Ochsenfleisches zu geben scheint. Er erwähnt nämlich, dass das stark getriebene Vieh zwei bis drei Tage vor dem Schlachten große 1) Ich möchte deswegen nicht, um es nebenbei zu bemerken, das argen- tinische Rind herabsetzen. Für den geringen Preis, für den es käuflich ist, ist es gut genug, ja sogar erheblich besser — relativ genommen — als das europäische. Frenzel, Wassergehalt des Muskelfleisches. 625 Mengen Wassers saufe, wodurch das Fleisch so wasserreich werde, Es fragt sich nur, ob das Vieh bereits vorher große Wassermengen im Muskelfleisch besaß und sie wieder ersetzte, oder ob es infolge des wochenlangen Treibens überhaupt Substanzen im Fleisch verlor, die nun alle durch Wasser ersetzt werden. Vielleicht mag beides der Fall und das Fleisch getriebenen Viehs noch wasserreicher als das des geruhten sein. Dann aber würde Kochs selbst vom feucht- warmen Klima absehen und andere Ursachen heranziehen, nämlich gerade so wie wir, schlechte Lebensbedingungen. Vielleicht — und das wäre wohl möglich — wirken diese auf den Europäer in feucht- warmen Strichen ähnlich ein, und machen sein Muskelgewebe, oder über- haupt seine Gewebe wasserreicher. Dies müsste aber erst eingehender untersucht werden, ehe man sich dazu entschließen könnte, die Hypo- these Kochs’ anzuerkennen, die dahin lautet, dass auf dem reichen Wassergehalt der Tiere ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Hitze beruhe, und dass derjenige akklimatisiert sei, der in den Tropen einen höheren Wassergehalt der Körpergewebe erlangt hat. Würde man, dies sei noch betont, aber auch wirklich einen „reichen Wasser- gehalt der Tiere“ finden, so müssten dann noch besonders die Ge- webe untersucht werden; denn jener Wasserreichtum könnte sich auf die Körperflüssigkeiten, wie auf das Blut, die Lymphe ete., oder auf indifferente Gewebe, wie das Fett- und interstitielle Gewebe, ferner vielleicht noch auf die drüsigen Organe (Leber, Niere ete.) beschränken. Der schädigende Einfluss namentlich eines feuchtwarmen Klimas auf den Menschen kann nicht geleugnet werden. Ehe man indessen an jene gröberen Wirkungen und Veränderungen denkt, sollte man, so meine ich, zunächst an das Nervensystem gehen, das so eigen- tümlich affiziert wird. Man denke nur an die lähmende und er- mattende Wirkung des Scirocco in Italien, der doch unmöglich inner- halb einiger Stunden die Gewebe des Menschen verändern und wasser- reicher machen kann. Hier darf man wohl nicht anders, als eine direkte Wirkung auf das Nervensystem annehmen. Aehnlich wie der enorme Wasserreichtum äußert sich endlich das Gegenteil, näm- lich ein sehr trocknes Klima, wie man es z. B. im Innern Ar- gentiniens (Cördoba), im Norden Chiles (Atacama) antrifit. Auch dies lähmt die physische wie psychische Leistungsfähigkeit vieler Europäer in auffallender Weise. Hier sollte man wohl eher denken, dass ihren Geweben Wasser entzogen würde. Aber einerseits ist dies nicht anzunehmen, wenn der Schluss vom Ochsen auf den Menschen gestattet ist, und andrerseits müsste es doch durch reichliches Trinken kompensiert werden können. Trotz reichlicher Wasserzufuhr in das Innere des Körpers vermag indessen die üble Wirkung der Trocken- heit nicht irgendwie beeinflusst zu werden. XI, 40 626 Maefadyen, Nencki u. Sieber, Die chemischen Vorgänge im Dünndarm. Macfadyen, Nencki und Sieber, Untersuchungen über die chemischen Vorgänge im menschlichen Dünndarm. Archiv f. experim. Pathol. u. Pharmak., Bd. 23, S. 311 fg. In der chirurgischen Universitätsklinik in Bern wurde bei einer älteren, ziemlich mageren Bauernfrau der in einer Hernie eingeklemmte und gangränös gewordene Darmteil, und zwar die unterste Ileum- schlinge mit dem Coecum, reseziert und ein Anus praeternaturalis an- gelegt. Die Heilung ging glatt von statten, und nun gab die Frau in ihrem verhältnismäßigen Wohlbefinden Veranlassung zu mehrfachen Versuchen, die deswegen von großer Bedeutung sind, weil bei der Lage des Anus praeternaturalis die Verdauungsvorgänge beobachtet werden konnten, wie sie sich im ganzen Verlaufe des Dünndarms des Menschen gestalten. Die von der Patientin selbst gewählte Kost betrug pro Tag: Brot 260 g, Fleisch 100 g, Griesbrei 200 g, Pepton (Kemmerich) 20 g, Zucker 60 5, Milch 100 g, Bouillon 1050 g und 2 Eier und verteilte sich auf die einzelnen Mahlzeiten folgendermaßen: mu V,: 350 g Kaffeeaufguß + 50 g Milch, 1 Milehbrot (85 g), Zucker 10 8. 10% V.: 350 g Bouillon, 1 Ei, !/, Milchbrot. 12% M.: 350 g Bouillon, 10 g Pepton, 100 g gehacktes Fleisch, t/, Milehbrot, 200 g Griesbrei mit 10 g Zucker. 3b N.: 350g Theeaufguß + 50g Milch, 10g Zucker, '/,Milehbrot. 61 N.: 350g Bouillon, 10g Pepton, 1 Ei, '/, Milchbrot. Getränk am Tage: 200 & Wein, 200 g Wasser, 20 g Zucker. Getränk in der Nacht: 150 g Grog mit 10 g Zucker. Der Darminhalt wurde mittels eines Schlauches in eine Flasche gesammelt und dann untersucht. Dabei fanden sich folgende Eigen- schaften: Die Menge der aus dem Ileum austretenden Massen hängt von der Konsistenz ab; bei der oben beschriebenen Nahrung, die vorzugs- weise animalisch war, war der Inhalt meist dünnflüssig mit 5°/, festen Bestandteilen; wurde aber Erbsenmuß gereicht, so verdickte sich der Inhalt bis zu 10°/, fester Bestandteile. Dem entsprechend betrug die Menge im ersteren Fall 550g, im zweiten ca. 230 g während 24 Stunden. Die Zeit, während welcher der Speisebrei im Dünndarm ver- weilt bis zu seinem am Tage stetig erfolgenden Abfluss in den Diek- darm wurde durch Versuche festgestellt: I. Statt der 200 g Griesbrei werden Mittags 200 g grüne, auf- gekochte Erbsen gereicht, die unverdaut abgingen und zwar zuerst nach 5!/, Stunden, zuletzt nach 23 Stunden. II. 72 V. werden neben Kaffee und Milchbrot 125 g grüne Erbsen gereicht: nach 2!/, Stunden zeigen sich die ersten Erbsen, deren Ent- Macfadyen, Nencki u. Sieber, Die chemischen Vorgänge im Dünndarm. 697 leerung noch 5°/, Stunden anhält, um dann nach 4stündiger Pause wieder zu beginnen und noch 2 Stunden anzudauern. IH. 10!/;n V. erhält die Frau neben der gewöhnlichen Kost 2 g Salol; die erste Reaktion auf Eisenchlorid gab der von 121/,—1!/, entleerte Inhalt, die stärkste Reaktion nach 3—5 Stunden, die letzte erfolgte nach 14—16 Stunden. IV. 9% V. Darreichung von 2 g Salol: erste Reaktion nach 2, die letzte nach 8—9 Stunden. Es würde somit frühestens nach 2 Stunden der Speisebrei den Dünndarm zu durchlaufen haben, ein Zeitpunkt der aber ebenfalls mit der Konsistenz des Inhaltes wechselt: je kürzer der Darminhalt im Darm verweilt, desto wasserreicher ist er. Die Farbe war bei der oben angegebenen Kost zwischen gelb und gelbbraun wechselnd; doch wandelte sich dieselbe allmählich an der Luft in grün um, infolge der Umsetzung des Bilirubins in Biliverdin. Ein spezifischer Geruch fehlte dem Inhalt, nur zuweilen erschien derselbe schwach faulig, an Indolgeruch erinnernd. Als Bestandteile des Darminhaltes ergeben sich im Filtrat der- selben hauptsächlich: Eiweiß, das in der Hitze koaguliert, und weniger als 1°/, beträgt, ferner Zucker, dessen Menge jedoch je nach der Konsistenz des Darminhalts schwankt und bei diarrhoischem Inhalt bis zu 4,75°/, stieg. Außerdem fanden sich Muein, Peptone, Dextrin, die inaktive Gärungsmilchsäure, die optisch aktive Paramilchsäure, flüchtige Fettsäuren, besonders Essigsäure, Gallensäuren, Bilirubin. Im trockenem Rückstand ließ sich bei der gewöhnlichen Kost der Patientin 5,39 — 6,78°/, Stiekstoff, nach Erbsenmußgenuss nur etwa 4,49°/, nachweisen, was ungefähr 30—40°/, Eiweiß entsprechen würde, dazu würden noch etwa 15°], anorganische Salze und Fette zu rechnen sein, so dass etwa 45°/, aus Kohlehydraten und in Alkohol löslichen Stoffen beständen. Die Reaktion des Darminhaltes war stets sauer, entsprechend dem bis zu 0,21°/, steigenden Säuregehaltes des Filtrats. Hauptsäch- lich sind es organische Säuren, namentlich die Essigsäure, welche die Reaktion bedingen. Salzsäure war niemals nachzuweisen. Die fortdauernde Neutralisation dieses sauren Darminhaltes durch den alkalischen Darmsaft bewirkt einen aus Muein, Gallensäuren, Fett, Cholestearin und Neutralisationseiweiß bestehenden Niederschlag an der Darmwand und trägt wohl zur Resorption der Bestandteile bei. Es gelang auch nachzuweisen, dass die saure Reaktion des Darm- inhaltes eine Zersetzung des Eiweißes verhindere. Es konnten bei sehr genauen Untersuchungsmethoden die Endprodukte der Eiweiß- zersetzung wie Skatol, Phenol überhaupt nicht und Indol nur in äußerst geringen Spuren nachgewiesen werden; ebensowenig fand sich Leuein und Tyrosin, so dass die Lehre, dass der Pankreassaft eine Abspaltung dieser beiden Amidosäuren im Dünndarm hervorrufe, einigen berechtigten 40* 6528 Macfadyen, Nencki u. Sieber, Die chemischen Vorgänge im Dünndarm. Zweifeln begegnen muss. Dagegen konnten die Forscher im Inhalt neben Aethylalkohol noch Essigsäure, die beiden Milchsäuren und die Bernsteinsäure nachweisen, Körper, die die Annahme nahe legten, dass sie durch eine Veränderung der Kohlehydrate infolge bakterieller Einflüsse hervorgerufen würden. Zum Zwecke dieses Nachweises isolierten die Untersuchenden die im Darminhalt vorhandenen Spalt- pilze in Reinkulturen, um dann deren Wirkung auf Eiweiß- und Zucker- lösungen zu prüfen. Sie fanden bei den 3 Untersuchungen, die mit Hilfe ausgiebiger Kulturversuche gemacht wurden, sehr verschiedene Mikroben; nur einige von ihnen haben sich bei jeder Untersuchung gezeigt. Diese letzteren sowie einige der am häufigsten vorkommenden Spaltpilzarten haben die Forscher dann einer genaueren Prüfung unterworfen. 1) Das „Bakterium Bischleri“, ein dem Bakterium coli commune ähnliches Kurzstäbehen, das, die Gelatine nicht verflüssigend, für Meer- schweinchen pathogen ist und nach den Untersuchungen des Dr. A. Bischler den Zucker in Gärung versetzt und dadurch Aethylalkohol, Essigsäure und eine Milchsäure bildet, und zwar zum Unterschied vom Bakterium coli commune die optisch inaktive Milchsäure, während dieses die optisch aktive liefert. Auf Eiweiß d. h. auf Fleischsaft blieb das Bakterium ohne Einwirkung. 2) Streptococeus liquefaciens ilei v. acidi lactiei ist ein kleiner, feiner, meist in Ketten von 6—20 Gliedern auftretender, leicht färb- barer Kokkus, der die Gelatine langsam verflüssigt und ebenfalls für Meerschweinchen pathogen ist. Derselbe verwandelt bis auf eine geringe Menge von Nebenprodukten die Zuckerlösung ganz in inaktive Milchsäure. 3) „Bakterium ilei Frey“ nennen die Forscher ein kleines Kurz- stäbehen mit abgerundeten Ecken und endständigen Sporen. Es ver- flüssigt die Gelatine nicht, wächst aber vorzugsweise oberflächlich. Auch dieser Mikroorganismus vergärt den Zucker zu Alkohol, Bern- steinsäure und einer Milchsäure, die vielleicht „die zweite aktive Linksmilchsäure“ ist. Eiweißlösung blieb unverändert. 4) „Bakterium liquefaciens ilei“ wird beschrieben als ein schlankes Stäbehen von lebhafter Beweglichkeit, das schwer färbbar, die Gelatine ziemlich schnell verflüssigt und die Zuckerlösung wenig, die Fleisch- lösung aber etwa zur Hälfte unter der Entwicklung eines Geruches nach altem Käse und der Bildung von vielem Ammoniak zersetzt. 5) „Bakterium ovale ilei“: fast kreisrunde, in bacillenähnlichen Formen auftretende Kurzstäbchen, die die Gelatine nicht verflüssigen, Zuckerlösung zum Teil in Alkohol, Essigsäure und Paramilchsäure verwandeln, das Fleischwasser aber nicht verändern. 6) „Der schlanke Baecillus des Ileum“ ist ein bewegliches, schlankes, Gelatine nicht verflüssigendes Stäbchen, das ebenfalls den Zucker wie oben vergärt und Eiweißlösung unverändert lässt. Macfadyen, Nencki u. Sieber, Die chemischen Vorgänge im Dünndarm. #99 7) „Das mit dem Bakterium lactis aörogenes (Escherich) wahrscheinlich identische Kurzstäbchen“ So nennen die Forscher ein scharf abgerundetes Stäbchen, das auf der Oberfläche der Gelatine weiß-gelbliche Kolonien bildet und Meerschweinchen nach subkutaner Injektion in 2—4 Tagen tötet. Es zersetzte die Zuckerlösung fast gänzlich in die früher genannten Produkte, von denen die Milchsäure hier Rechtsmilchsäure war. Die Forscher versuchen alsdann diesen ihren bakteriologischen Befund mit den Beobachtungen anderer Forscher in Einklang zu bringen, besprechen dabei auch kurz den Pilzbefund des Diekdarms bei der Patientin und ziehen dann aus den Untersuchungen zahlreiche interessante Schlüsse, deren genauere Begründung und gegenseitigen Beziehungen man im sehr lesenswerten Originalbericht nachsehen möge. Hier seien nur einzelne Lehrsätze herausgehoben. 1) Im menschlichen Dünndarm wird das Eiweiß in der Regel gar nicht oder ausnahmsweise in geringem Grade zersetzt; dies geschieht erst im Diekdarm unter Bildung der bekannten Fäulnisprodukte, wie Indol, Skatol ete. 2) Die Zahl und die Art der Mikroben des Dünndarms wechselt im gesunden Zustande schon je nach den Nahrungsstoffen und ihrer Zubereitung. Dieselben zersetzen die Kohlehydrate des Darminhaltes mehr oder weniger und zwar unter Bildung von Alkohol und orga- nischen Säuren. 3) Diese Gärungsprodukte des Zuckers sind für die Ernährung des Menschen nicht notwendig. 4) Die organischen Säuren bedingen die saure Reaktion des Darm- inhaltes; sie werden durch das von der Darmschleimhaut gelieferte Alkali nur zum Teil neutralisiert. 5) Die Eiweißstoffe der Nahrung werden zum größten Teil im Magen und Dünndarm resorbiert, nur ein kleiner Teil (14,25°/,) geht in den Diekdarm über!). 6) Während für die Pflanzen der Satz gilt: Kein Pflanzenleben in der Natur ohne das Leben der Mikroben —, erscheint durch das volle 6 Monate hindurch ohne Diekdarmverdauung geführte Leben der Frau, die dabei an Körpergewicht zunahm und einen stetig sich ver- mehrenden Stickstoffumsatz zeigte, bewiesen, dass der Mensch auch ohne die Hilfe der Spaltpilze durch die eigenen Verdauungssäfte die Nahrungsstoffe derartig modifizieren kann, dass sie zu einer zweck- mäßigen Ernährung des Lebens dienen. C. Spener (Erlangen). 1) Die Forscher haben auch experimentell untersucht, wie viel von per Rektum eingeführten und in geeigneter Lösung befindlichen Eiweißstoffen im Dickdarm zurückgehalten und resorbiert wird, und haben gefunden, dass 30 bis 40 g Eiweiß im Dickdarm den Körpersäften zugeführt werden können. 630 Preyer, Organische Elemente. W. Preyer, Die organischen Elemente und ihre Stellung im System. Vortrag, gehalten in der Deutschen chemischen Gesellschaft zu Berlin am 23. März 1891. 47 S. Wiesbaden 1891. Unter den bisber bekannten 68 Elementen sind 14 für den Aufbau des Tier- und Pflanzenleibes unerlässlich. Es sind dies die folgenden: Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Fluor, Natrium, Mag- nesium, Silicium, Phosphor, Schwefel, Chlor, Kalium, Caleium und Eisen. Pr. nennt diese unentbehrlichen Grundstoffe des Protoplasmas der entwickelten Organismen organische Elemente erster Ord- nung. Neben ihnen finden sich gelegentlich, in einzelnen Pflanzen- und Tierarten, aber niemals konstant und in großer Menge, Bor, Lithium, Mangan, Kupfer, Zink, Brom, Rubidium, Strontium, Jod und Caesium. Diese accessorischen organischen Elemente oder organi- schen Elemente zweiter Ordnung gelangen hie und da in einen Organismus etwa in derselben Weise, wie viele andere Elemente dem Tierkörper in der Gestalt von Arzneimitteln eingeführt werden können, ohne dass ihnen die geringste physiologische Bedeutung zukäme. Wahrscheinlich würden die pelagischen Tiere und Pflanzen, welche Jod oder Brom oder Mangan zu assimilieren vermögen, auch in solchem Meerwasser sich entwickeln, welches diese Stoffe nicht ent- hält. Die übrigen der bisher entdeckten chemischen Elemente nehmen an der Bildung von Protoplasma und dem Aufbau von Zellen nicht Teil. Man könnte versucht sein, das Fehlen dieser anorganischen Elemente in der Lebewelt, deren Zahl etwa ?/, sämtlicher Grund- stoffe beträgt, auf ihr relativ spärliches Vorkommen zurückzuführen; dem widerspricht aber, dass manche unter ihnen durchaus nicht selten sind, dass z. B. das Aluminium zu den verbreitetsten Körpern auf der ganzen Erdoberfläche gehört. Lässt sich nun die exzeptionelle Bedeutung der 14 organischen Elemente erster Ordnung, lässt sich ihre biologische Unentbehrlichkeit vom chemischen Standpunkt aus erklären? Zeigen sie in ihrer Ge- samtheit gegenüber den für die Erhaltung des Lebens nicht not- wendigen Grundstoffen irgendwelche Besonderheiten, welche uns ihre Ausnahmestellung begreiflich erscheinen lassen können? Pr. ist der Lösung dieser Fragen nachgegangen und hat gefunden, dass zwischen den Atomgewichten der 14 Protoplasmaelemente nähere und mannig- faltigere Relationen bestehen als zwischen denen der anorganischen Elemente. Unter Zugrundelegung der zuverlässigsten Zahlen (von Marignac, Stas, Loth. Meyer und Seubert) findet er z. B., dass das Atomgewicht eines jeden organischen Elements erster Ord- nung, mit Ausnahme desjenigen vom Stickstoff und vom Kalium, bis auf sehr kleine Differenzen gleich dem arithmetischen Mittel aus den Preyer, Organische Elemente. 631 Atomgewichten zweier anderer organischer Elemente erster Ordnung ist. So ergibt sich en 13 0.08 N +: _p 008 . a 2 ll, VER in ul E A OF Da FE on Bu. = Ga “ Re ZZ —Ms + 003 — 5 — = 01 + 0,06. En) Indem Pr. diese arithmetischen Beziehungen weiter verfolgt, gelangt er zu dem Schluss, dass keine anderen 14 Elemente ausgewählt werden könnten, deren Atomgewichtszahlen auch nur mit annähernd derselben Genauigkeit aus einander abzuleiten wären. Hierzu kommt die bei den anorganischen Elementen nie in gleichem Maße vorhandene Fähigkeit der Protoplasmaelemente, sehr große d. h. aus sehr vielen Atomen bestehende Moleküle zu bilden, wie sie vor allem bei den wichtigsten Verbindungen des Tier- und Pflanzenkörpers, den Albu- minen, Vitellinen u. ä zu Tage tritt; enthält doch das Hämoglobin OsooHssoNı5aFeS;0,-, (nach früheren Untersuchungen von Pr.; die neueren Formeln geben noch größere Zahlen) 1897 Atome! In dem natürlichen System der Elemente von Mendelejeff finden die besonderen fundamentalen Eigenschaften der organischen Elemente erster Ordnung keine Berücksichtigung. Allerdings stehen grade diese Elemente zu Anfang der einzelnen Gruppen des natür- lichen Systems, abgesehen von der dritten Gruppe, und zwar meist paarweise an erster und zweiter oder an zweiter und dritter Stelle, und schon hieraus geht hervor, dass sie nicht regellos im System verteilt sind; aber ihre hervorragende Bedeutung und ihr Verhältnis zu den anorganischen Elementen kann in dem Mendelejeff’schen System überhaupt nicht genügend ins Licht gerückt sein, weil bei seiner Aufstellung ein in dieser Richtung maßgebender Gesichtspunkt gefehlt hat. Einen beachtenswerten Fortschritt gegenüber dem natürlichen System erblickt Pr. in dem von G. Wendt in seiner Schrift: „Die Entwicklung der Elemente“, Berlin 1891 begründeten genetischen System der Elemente. Das leitende Prinzip bei Wendt liegt darin, dass er ein wahres Verwandtschaftsverhältnis aller Elemente postuliert der- gestalt, dass die Elemente mit höheren Atomgewichten von solchen mit niedrigen Atomgewichten abstammen. Die Bedingungen für einen derartigen Entwicklungsgang wären in den physikalischen Verhältnissen der Sonne und den ungeheuren Massenumwälzungen zu suchen, welche in ihrem Bereich sich in früheren kosmischen Perioden vollzogen haben und sich noch jetzt vollziehen. Aus einer den ganzen Weltraum erfüllenden Urmaterie 632 Preyer, Organische Elemente. seien durch Kondensation zuerst die vier Urelemente Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff hervorgegangen, dann Schwefel und Phosphor, und durch weitere Kondensation einzelner der ersten d. h. ältesten oder durch Verdichtung zweier zusammentretender Grundstoffe die übrigen Elemente. Wenn hiernach der Begriff „Entwicklung“ auch auf die Reihe der chemischen Elemente übertragen wird, so deckt sich derselbe offenbar nicht mit dem biologischen Differenzierungsbegriff. Der im Sinne des Entwicklungsprinzips unter Zugrundelegung der Atom- gewichtszahlen von G. Wendt aufgestellte Stammbaum der Elemente enthält manche Willkürlichkeiten, Pr. hat diese zu eliminieren ge- sucht und gelangt zu einem genetischen System, in welchem sich von einer Grundreihe von 7 Elementen in 7 Hauptlinien und 3 x 7 Seiten- linien 12 Reihen von Generationen ableiten. Die Grundreihe bilden Wasserstoff, Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff — mit den Atomgewichten von 1 bis 16; zur Wasserstoff- generation gehören die Halogene Fluor, Chlor, Brom, Jod; in der zweiten Familie schließt sich an das Lithium Natrium und Kalium an, in der dritten Familie an Beryllium das Magnesium und Caleium, in der fünften an Kohlenstoff Silicium, in der sechsten an Stickstoff Phosphor, in der siebenten an Sauerstoff Schwefel. Eisen steht allein von den 14 organischen Elementen erster Ordnung in einer Seiten- linie, und zwar in der vierten (Bor-) Familie. Dass der Wasserstoff zu der Familie der elektronegativen Halogene gerechnet wird, wider- spricht vollständig dem natürlichen System, wo dieses Element den seinen charakterischen Eigenschaften am besten entsprechenden ersten Platz unter den einwertigen Metallen einnimmt. Das genetische System deutet die Existenz von höchstens 91 und wenigstens 84 Elementen an. Wir kennen gegenwärtig 68, es blieben mithin 23 oder 16 noch zu entdecken, deren Atomgewichte innerhalb gewisser Grenzen vorauszuberechnen sind. Die organischen Elemente erster Ordnung stehen, wie bereits an- geführt, im genetischen System paarweise in den Hauptlinien, mit alleiniger Ausnahme des Eisens; die vier wichtigsten unter ihnen, Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff gehören zur Grund- reihe; Fluor, Natrium, Schwefel und Phosphor finden sich in der zweiten Querreihe. Die organischen Elemente zweiter Ordnung sind gleichfalls nicht regellos verteilt: sie liegen sämtlich auf der linken Hälfte der diagonal geteilten Tabelle. Pr. will das genetische System nicht gegen Einwände verteidigen, er hofft aber, dass die Einführung des für die Biologie so überaus fruchtbringenden Entwicklungsbegriffes in die Chemie auch dieser Wissenschaft förderlich sein werde. In einem dem Vortrage Pr.’s beigegebenen Anhange hat G. Wendt dieGründe seiner Systematik der Elemente und einige der Konsequenzen, Greeff, Organismus der Amöben. 633 zu denen sie führt, kurz zusammengefasst. Wenner, an die Geschichte der Theorien über den Zusammenhang der Elemente erinnernd, be- merkt: „Der überlieferte Begriff der chemischen Affinität hat es bisher wohl verhindert, dass man zu dem Begriff der realen, materiellen Verwandtschaft von Elementen gelangte... .“, so schlägt er die Rolle, welehe die Prout’sche Hypothese gespielt hat, sehr gering an. Selbst als durch die analytischen Arbeiten von Berzelius und Turner bereits nachgewiesen war, dass die Atomgewichte mehrerer Elemente keine einfachen Multipla des Atomgewichts des Wasserstoff seien, vermochte jene Hypothese sich noch lange zu behaupten. Was sie stützte, war nicht der — experimentell sicher zu widerlegende — Satz, dass die Atomgewichte aller Elemente, auf das Atomgewicht des Wasserstoffs als Einheit bezogen, durch ganze Zahlen ausdrückbar seien, vielmehr die dem logischen Postulaten spekulativer Naturbetrachtung entgegenkommende Anschauung, die Elemente seien aus einer Urmaterie entstanden durch deren verschiedenartige Kondensation. In jüngster Zeit hat ferner vor Anderen Crookes die Frage von der materiellen Verwandtschaft der Elemente wieder angeregt mit seiner „Genesis der Elemente“ (Braunschweig 1888). Crookes spricht ebenfalls von einer Urmaterie, die er Protyl nennt, aus welcher durch allmähliche Kondensation alle Elemente hervorgegangen seien; eine Anschauung, welche er überdies durch gewisse spektralanalytische Beobachtungen zu begründen versucht hat. Oscar Schulz (Erlangen). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Naturwissenschaften zu Marburg. (Schluss. Die kontraktilen Behälter. Den Prozess der Entleerung und Wiederfüllung der kontraktilen Behälter oder „Vakuolen*“ unserer Erdamöben habe ich zuerst im Jahre 1866 beobachtet und genau beschrieben. Es scheint, dass derselbe in gleicher oder ähnlicher Weise bei allen Amöben, vielleicht auch bei anderen, kontraktile Behälter führenden Rhizopoden verläuft: Wenn ein Flüssigkeitsraum eine gewisse zur Kontraktion ihn befähigende Größe und Spannung erreicht hat, rückt eran die Peripherie des Körpers bis dicht unter die Oberfläche, diese oft nach außen hervorwölbend. Gleich nach der dann bald und zwar von innen nach außen erfolgenden Kontraktion und Entleerung der Flüssigkeit des Behälters taucht an derselben Stelle oder in ihrer unmittelbaren Nähe eine große Anzahl äußerst kleiner, anfangs, selbst bei starker Vergrößerung, kaum erkennbarer oder punktförmig erscheinender Bläschen auf, die aber, schnell ineinanderspringend, größere Bläschen bilden. Durch weiteres und nun zögerndes, oft erst bei zufälliger Begegnung und Berührung in dem strömenden Entoplasma eintretendes Zusammenfließen entstehen einige größere Blasen, die sich in der Regel schließlich zu einem großen, aufs Neue sich kontrahierenden Flüssigkeitsbehälter vereinigen. 634 Greeff, Organismus der Amöben. In welcher Richtung aber erfolgt die Entleerung der Flüssigkeit, nach außen, wie es nun für die kontraktilen Behälter der Infusorien angenommen wird, oder nach innen? Die Lösung dieser Frage, von der ja das Urteil über das eigentliche Wesen und die Bedeutung der merkwürdigen Erscheinung zunächst abhängt, ist mit großen Schwierigkeiten verknüpft, größeren als sie sich bei den Infusorien entgegenstellen, da die kontraktilen Behälter der Amöben nicht, wie bei jenen, örtlich fixiert sind, sondern mit dem strömenden Plasma durch den Körper wandern und so in ihrer Stelle, Lage, Form, sowie in ihren Kontraktions-Intervallen, mannigfachem Wechsel unterworfen sind. Nach vielfältigen Beobachtungen und Versuchen bin ich stets wieder zu dem Ergebnis gekommen, dass die Flüssigkeit der kontraktilen Be- hälter unserer Erdamöben nicht nach außen, sondern nach innen entleert wird und dass vornehmlich aus der durch den Behälter entleertenFlüssigkeitsogleich die primitiven kleinen Bläschen wieder erstehen und allmählich zusammenschließend den neuen kontraktilen Behälter bilden. Was ich bisher inbetreff der die Entleerung und Wiederfüllung der kon- traktilen Behälter bei den Erdamöben begleitenden Erscheinungen wiederholt habe beobachten können, ist im Wesentlichen folgendes: Wenn durch das er- wähnte Zusammenfließen ein größerer, prall gefüllter und aus dem Innern blasenartig hervortretender Flüssigkeitsraum entstanden ist, sieht man, wie ich dieses bereits in meiner ersten Abhandlung geschildert habe, dass dieser nur zögernd den Bewegungen des Entoplasmas folgt, einerseits behindert und zurückgehalten durch die für seinen Umfang engen Strombahnen des Plasmas, anderseits aber als ob er durch irgend eine bewegende Ursache in das Ento- plasma und gegen die Peripherie des Körpers hingedrängt oder von ihr an- gezogen würde. Bald ist er hier fixiert, und wenn dieses in einer Seitenlage erfolgt ist, sieht man deutlich, wie er nur durch einen kleinen Zwischenraum von der äußeren Cutieula getrennt ist. Zuweilen beobachtet man nun ein seltsames Schauspiel: Die vorher kugelige Blase zieht sich zu einer birnen- förmigen aus, indem sie sich nach außen gegen die Cuticula zuspitzt, als ob zwischen ihr und der Oberfläche der Amöbe eine Attraktion bestände. Dann nimmt sie wieder ihre kugelige Gestalt an und liegt nun fast unmittelbar der Innenfläche der Cutieula an, hier einige Zeit — bald länger, bald kürzer, je nach der Art oder der Beobachtungsweise unter Deckglas oder frei — in voller Ausdehnung, oft die Oberfläche hervorwölbend, verharrend. Dann erfolgt die Kontraktion, und zwar stets von innen nach außen gegen die Cuti- cula. Am Ende des Kollapsus sieht man zuweilen noch einen halbmond- förmigen Spalt, der mit seiner Konvexität gegen die Cutieula gerichtet ist und der entweder auch noch verschwindet oder in einen, in seltenen Fällen zwei an den beiden Enden des Spaltes auftauchende, anscheinend ganz dicht unter der Oberfläche liegende und scharf umschriebene vakuolenartige Räume über- geht, wie es scheint, ein Rest des nicht vollständig kontrahierten Behälters. Doch kann die Entleerung auch eine vollständige sein. Im ersteren Falle bildet der zurückgebliebene Rest nun gewissermaßen die Stammblase für den neu entstehenden Behälter. Zunächst aber rückt die- selbe wieder von der Oberfläche zurück in das Entoplasma und nun sieht man bald in ihrem Umkreise oder in der nächsten Nachbarschaft minimale Bläschen zahlreich auftauchen, die schnell in einander fließen und, größer geworden, von der Stammblase aufgenommen werden. Je länger dieses Spiel dauert und je mehr infolge davon die Blasen wachsen, um so langsamer und zögernder Greeff, Organismus der Amöben, 635 erfolgt der Zusammenfluss, zumal nun auch häufig ein Teil derselben durch die Plasmaströmung von dem Orte ihrer Entstehung entführt wird, um sich gelegentlich bei Begegnungen zu verbinden und so allmählich den zur Kon- traktion sich eignenden Behälter wieder herzustellen. So sehr man auch bei diesen und ähnlichen Beobachtungen den Eindruck gewinnt, als ob der stets von innen nach außen gegen die äußere Cuticula des Körpers zusammenfallende Behälter seinen Inhalt nach außen entleeren müsste, so habe ich mich doch nicht durch die direkte Beobachtung davon überzeugen können, da ich, selbst bei der günstigsten Lagerung des Objektes, nie mit Bestimmtheit eine Oeffnung an der Oberfläche resp. in der Cutieula habe erkennen können, ebensowenig bei der früher schon erwähnten Lagerung des sich kontrahierenden Behälters nach oben. Man erkennt in diesem Falle zunächst klar und deutlich, die nach oben gerichtete Wölbung des Behälters überblickend, dass, wie ja auch bei der wechselnden Lage desselben fast selbst- verständlich ist, eine vorgebildete Oeffnung sicher nicht vorhanden ist, glaubt aber zuweilen, gleich nach der Entleerung eine kleine, scharf umschriebene, runde Stelle, die den Eindruck einer Veffnung macht, wahrzunehmen. Ich habe aber fast stets bei genauer Prüfung durch irgend welche Merkmale geglaubt deutlich erkennen zu können, dass diese runde Stelle unter der Oberfläche resp. unter der Cuticula liegt und meistens nicht nach der Entleerung verschwindet, sondern bleibt und, wieder in das Entoplasma zurückweichend, als die oben erwähnte kleine Stammblase für die Neubildung des Behälters erscheint, somit keine Entleerungs- öffnung in der Haut, sondern eine bei der Kontraktion des Behälters zurück- gebliebene Vakuole darstellt. Wenn ich hiernach auf Grund der direkten Beobachtung eine Ent- leerung der kontraktilen Behälter nach außen bei den Erdamöben nicht anzu- nehmen vermag, so bestimmen mich auch noch andere diese Organismen und ihre kontraktilen Behälter betreffende Wahrnehmungen und die hierauf ge- gründeten Erwägungen, eine Entleerung nach außen zu bezweifeln. Die kontraktilen Behälter haben bei den Erdamöben im Allgemeinen eine außergewöhnliche Größe, bei den kleinern Formen oft bis zu ein Drittteil oder Vierteil des ganzen Körpervolumens erreichend und erlangen nach ihrer Ent- leerung in verhältnismäßig kurzer Zeit!) durch den mehrfach erwähnten Zu- sammenfluss ihre frühere Ausdehnung. Wenn nun in der That eine Entleerung nach außen bestände, so würde auf diesem Wege in kurzer Zeit, vielleicht im Verlauf einer Stunde, so viel Flüssigkeit aus dem Körper entleert werden, als das ganze Volumen desselben beträgt. Betrachten wir nun die Flüssigkeitsquellen im Körper für solche verhältnis- mäßig enormen Entleerungen, so sind dieselben anscheinend die denkbar ge- ringsten. Das Ektoplasma enthält keine, wenigstens keine sichtbar - vakuolär abgelagerte Flüssigkeit, das Entoplasma enthält häufig eine größere oder ge- ringere Anzahl von in ihm unregelmäßig verbreiteter und mit Flüssigkeit 1) Ich bin vorläufig außer Stande, auch nur annähernd ein Zeitmaß für die Entleerungs-Intervallen anzugeben, da dasselbe nicht bloß bei den Arten, sondern auch innerhalb einer und derselben Art, ja bei den einzelnen Individuen je nach den äußeren Bedingungen, unter denen die Beobachtung stattfindet, mannigfachem Wechsel unterworfen ist. Zuweilen erfolgt eine neue Entleerung schon nach einigen Minuten, zuweilen kann man eine halbe Stunde und länger darauf harren, namentlich bei Beobachtungen unter dem Deckglase. 636 Greeff, Organismus der Amöben. erfüllter Vakuolen, die aber nicht wohl als eine Quelle zur Bildung des neuen kontraktilen Behälters angesehen werden können, da dieser aus einer offenbar diffus in der Umgebung der Entleerungsstätte auftretenden Flüssigkeit, die dann erst in punktförmigen, ineinanderfließenden Bläschen sichtbar wird, sich zusammensetzt, und zwar sehr schnell nach der Entleerung. Die Vakuolen müssten somit, wie man anzunehmen wohl genötigt wäre, in dem Falle ihrer Beteiligung an dem Füllungsprozess, sofort nach der Kontraktion des Behälters sich als solche auflösen und gegen die Entleerungsstätte hinströmen. Dass dem nicht so sein kann, erweist uns schon die Beobachtung, dass der Entleerungs- und Füllungsprozess keine Aenderung erleidet, wenn gar keine Vakuolen im Entoplasma wahrgenommen werden können und anderseits, dass diese, wenn sie vorhanden sind, bei der Entstehung der punktförmigen Bläschen an der Entleerungsstätte unverändert bleiben. Das weichflüssige den Innenraum durchströmende und die Kerne, Granula, Vakuolen und sonstige Gegenstände umschließende Entoplasma ist ohne Zweifel mit Flüssigkeit reichlich durehtränkt, aber diese weiche Konsistenz bildet den eigentlichen Charakter des Entoplasmas und erleidet auch, wie die Beobach- tung lehrt, keine sichtbare Aenderung. Die hier diffundierte Flüssigkeit könnte somit nur dann ausgeschieden und als Material zum Aufbau des neuen kon- traktilen Behälters verwandt werden, wenn sie ununterbrochen von außen wieder ersetzt würde. Eine Mundöffnung, die den eiliaten Infusorien zur beständigen Zufuhr von Wasser in das Entoplasma und möglicherweise zur Speisung ihrer kontraktilen Behälter dient, fehlt unseren Erdamöben, so dass also, abgesehen von dem mit der Nahrung zeitweise aufgenommenen Wasser, solches nur auf dem Wege der Transfusion durch die Haut und das Entoplasma in den Körper gelangen kann. Eine solche verhältnismäßig enorme Wasser-Transfusion durch die Haut und das zähfeste Ektoplasma, wie sie zur Erklärung der fraglichen Erscheinung erforderlich wäre, müsste indessen, wenn schon a priori höchst unwahrscheinlich, erst nachgewiesen werden und wäre überhaupt doch nur möglich, wenn die in Rede stehenden Organismen in feuchten Medien resp. im Wasser lebten und das führt mich auf einen Hauptgrund, der mir gegen eine Entleerung der kontraktilen Behälter nach außen zu sprechen scheint, nämlich das Vorkommen und die Lebensweise unserer Amöben in der Erde, unter dünnen Moos-, Flechten- und sonstigen Pflanzenrasen, die an Felsen, Mauern, Bäumen, auf Hausdächern ete., also an Oertlichkeiten wachsen, die der Wasser- entziehung resp. Austrocknung durch Sonne und Luft in besonderem Maße ausgesetzt und diesen auch thatsächlich unterworfen sind. Wochen können vergehen, ohne dass ihnen auf einem anderen Wege als durch die Luft Feuch- tigkeit zugeführt wird. Und doch ist ihre Lebensthätigkeit, wenigstens soweit hierüber die Beobachtung Einsicht gewährt, nicht unterbrochen. Wenn man die Amöben, direkt dem trockenen Sande entnommen, unter- sucht, so sieht man alsbald den prall gefüllten kontraktilen Behälter und alle die Lebenserscheinungen, die man sonst an ihnen wahrzunehmen pflegt. Würde aber das Fortleben des Protoplasmas, insbesondere des weichflüssigen Ento- plasmas möglich sein, ohne dass ihm ein gewisser Grad von Feuchtigkeit er- halten bliebe oder solehe von außen zugeführt würde? Eine Eneystierung als Schutzvorrichtung gegen Austroeknung habe ich bei meinen häufigen und viel- seitigen Untersuchungen der Erdamöben niemals beobachtet, so dass ich das Vorkommen einer solchen glaube ausschließen zu dürfen. Ein Schutz gegen Austrocknen des Entoplasmas wird aber, wie ich nicht zweifele, in gewissem Maße durch die äußere Haut und das zähfeste Ektoplasma geboten. Derselbe Greeff, Organismus der Amöben, 437 würde aber nicht hinreichen, wenn außerdem die im Entoplasma befindliche Flüssigkeit zeitweise durch den kontraktilen Behälter und zwar in den den Dimensionen des Behälters entsprechenden ansehnlichen Quantitäten entleert würde. Ich glaube somit, um diese Gedankenreihe vorläufig nicht weiter aus- zuführen, in Rücksicht auf die Ergebnisse der früher erörterten direkten Be- obachtungen und die hieran angeschlosseneu und ebenfalls auf besondere Lebens- erscheinungen der fraglichen Organismen gegründete Erwägungen, vorläufig, dass die kontraktilen Behälter der Erdamöben nieht nach außen sondern nach innen sich entleeren, indem sie ihren Inhalt dem Entoplasma, dem sie ihn entnommen, wieder zuführen. Hiernach kann ich natürlich diese Bildungen auch nicht als Exkretions- Apparate ansehen, sondern halte sie in erster Linie für Respirations- und Zirkulations-Apparate: Der kontraktile Raum rückt, nachdem sich in ihm die in dem Entoplasma verteilte Flüssigkeit wieder gesammelt hat, an die Oberfläche des Körpers, woselbst durch Vermittelung der Cutieula die Respira- tion resp. der Gasaustausch bewirkt wird, entweder direkt in der Luft oder im Wasser, je nach den wechselnden Zuständen, denen die Amöbe durch ihre Lebensweise ausgesetzt ist. Die nun von Neuem sauerstoffreiche Flüssigkeit wird alsdann durch Collapsus des Behälters unter der Haut entleert und dem Entoplasma zugeführt, anfangs diffus, dann in Tröpfehen auftretend, die in der bekannten Weise allmählich wieder zu einem kontraktilen Behälter sich ver- einigen. Neben der Atmung und Ernährung dienen aber, wie aus den obigen Dar- legungen schon hervorgeht, die verhältnismäßig ansehnlichen kontraktilen Be- hälter der Erdamöben, meiner Meinung nach, auch als Vorratsbehälter von Flüssigkeit zum Schutze gegen Austrocknung des Proto- plasmas, wenn, wie das durch die Lebensweise dieser Organismen häufig bedingt ist, ein Mangel an Zufluss von äußerer Feuchtigkeit eintritt. Ich habe geglaubt, in dem Obigen meine auf Beobachtung und Erwägung gestützte Ansicht über die Bedeutung der kontraktilen Behälter der Amöben, die von der rücksichtlich der Infusorien jetzt im Allgemeinen herrschenden abweicht, aussprechen zu müssen, möchte aber daran erinnern, dass die Er- kenntnis des eigentlichen Wesens der kontraktilen Behälter der Protozoen, wie die Geschichte der vielfältigen, zum Teil einander widersprechenden Ergebnisse sorgfältigster Forschung lehrt, zu den schwierigsten Problemen gehört, die diese Tierwelt uns bieten, und gleichzeitig nochmals betonen, dass die Schwierig- keit bei den Amöben, den Infusorien gegenüber, noch erheblich gewachsen ist. Ich kann deshalb das erlangte Ergebnis meiner Bemühung auch nur als ein vorläufiges Ansehen, in der Hoffnung, dass weitere Untersuchung größere Sicherheit bringen möge. Die Arten der Erdamöben. In meiner ersten Abhandlung vom Jahre 1866 habe ich vier ver- schiedene einkernige Erdamöben beschrieben, nämlich: 1) Amoeba terricola; 2) A. brevipes; 3) A. granifera und 4) A. gracilis; außerdem in einer Anmerkung (S. 319) derselben Abhandlung einer größeren, ebenfalls einkernigen Amöbe Erwähnung gethan, die sich durch einen anderen Nukleus von A. terricola unterschied und endlich im Text ($. 314) eine mehrkernige Form charakterisiert, dieich aber damals in genetischen Zusammenhang mit der einkernigen A. terricola glaubte stellen zu müssen, 638 Greeff, Organismus der Amöben. indem ich die Kerne als Keimkörner, hervorgegangen aus dem großen Kern der A. terricola, betrachtete. Im Jahre 1888 („Studien über Protozoen“) habe ich den mehrkernigen Erdamöben genauere Beobachtung gewidmet und unter ihnen zwei Formen unterschieden, nämlich solche mit größeren Nuklei und einer diesen entsprechenden größeren Anzahl von Nukleoli und solche, deren kleinere Nuklei bloß einen oder wenige Nukleoli tragen; aber auch rücksichtlich dieser Formen glaubte ich noch an der Annahme einer durch die Fortpflanzung bedingten Verbindung, sowohl der beiden mehrkernigen untereinander als dieser mit der einkernigen A. terricola festhalten zu müssen. Eine nochmalige genaue Revision der früher beobachteten Formen an der Hand eines neuen und ziemlich reichen Materiales hat zur sicheren Unter- scheidung von fünf Arten der Erdamöben geführt, drei einkernigen und zwei mehrkernigen. Rücksichtlich der früher aufgeführten Arten glaube ich mich überzeugt zu haben, dass „Amoeba brevipes“ nicht zur Gattung Amoeba, sondern Amphizonella gehört, wahrscheinlich eine Jugendform von Amphizonella violacea!). Die beiden anderen als A. granifera und A. gracilis beschriebenen Formen muss ich ebenfalls für Jugendstadien derjenigen Amöbe halten, deren ich, wie oben bereits angeführt, in einer Anmerkung in Ver- bindung mit A. terricola Erwähnung gethan. Ich habe dieselben mit der unten als Amoeba sphaeronucleosus charakterisierten Art vereinigt. Endlich habe ich geglaubt auf die lange festgehaltene Annahme einer genetischen Verbindung zwischen der einkernigen Amoeba terricola und den mehrkernigen Erdamöben und dieser untereinander vorläufig verzichten zu müssen, einerseits wegen der morphologischen Unterschiede und anderseits, weil es mir trotz vielfältiger Ver- suche nicht gelungen ist, einen solchen Zusammenhang nachweisen zu können. Einkernige Erdamöben. 1. Amoeba terricola Gr. Ich habe diese am häufigsten vorkommende und am weitesten verbreitete Erdamöbe in meiner ersten Abhandlung ausführlich beschrieben und, indem ich die wesentlichen Charaktere zusammenfasse, nur wenig Neues hinzuzufügen. Der Körper hat in den größeren Exemplaren einen Durchmesser von 0,3—0,35 mm und erscheint durch seine nach außen hervorgestreckten, glas- artigen und mannigfach, meistens kegel- und kolbenförmig oder konisch ge- stalteten Fortsätze auf den ersten Blick bei schwacher Vergrößerung ohne Deckglasdruck einem höckerigen Sandkorn Ähnlich, zumal die Formverände- rungen in diesem Zustande sehr träge, fast unmerklich erfolgen. Bemerkenswert für die Erkennung bei der ersten Begegnung und Sonderung von anderen Amöben isteine gelbe oder gelbbraune, in kleineren Ballen und Körnern im Entoplasma verteilte und durch das glasartige Ektoplasma mehr oder minder scharf hervortretende Färbung. Sie ist, wie es scheint, durch Nahrungs- produkte bedingt und an diese gebunden und bildet insofern einen wesentlich differenzierenden Charakter dieser Art, als sie fast niemals ganz fehlt, während sie den übrigen Amöben, abgesehen von durch andere Einschlüsse erzeugten ähnlichen Färbungen, nicht zukommt. Der Nukleus ist verhältnismäß groß, stets mehr oder minder länglich-oval und von einer ziemlich breiten hyalinen Kapsel umschlossen. Die Innenwand ist von einer unregelmäßigen, hier oder 1) Auch der in derselben Abhandlung als Amphizonella digitata beschriebene Rhizopode gehört, wie ich nicht zweifle, in den Formenkreis der Amphizonella violacea. Greeff, Organismus der Amöben. 639 dort nach innen ausgebuchteten, zuweilen auch unterbrochenen Chromatin- Schicht ausgekleidet, die in kleinen resp. jugendlichen Formen homogen er- scheint, dann eine wolkige und schließlich eine Zerklüftung in Körnern (Nukleoli) erkennen lässt. Die Nukleoli treten aber niemals so deutlich und gegeneinander abgegrenzt hervor als bei der folgenden Art. Der Innenraum ist mit Kernsaft erfüllt und enthält, namentlich bei den größeren Formen, häufig einzelne von der Wandungsschicht abgelöste, ebenfalls in Nukleoli zerklüftete Chromatin- brocken. Bei sehr großen Amöben fand ich an den, entsprechend ebenfalls großen Kernen ein paar Mal eine an einem Ende der Letzteren angefügte Nebenkapsel, ganz erfüllt mit großen Chromatinkörnern, die diejenigen des Nukleus selbst ähnlich waren (Sporenbehälter ’?). 2, Amoeba similis nov. Spec. Ich kenne diese Amöbe schon lange, habe sie aber früher stets mit A. terricola für identisch gehalten, mit der sie in der That sehr viel Aehnlich- keit hat, namentlich rücksichtlich des vornehmsten systematischen Charakters, des Nukleus. Nichtsdestoweniger bin ich zu der festen Ueberzeugung gelangt, dass sie eine gute und insbesondere von A. terricola deutlich sich abhebende Art darstellt. Sie erreicht nicht die Größe von A. terricola, sondern bleibt, namentlich in den mittelgroßen Formen, etwa ein Drittteil oder noch mehr hinter derselben zurück. Niemals zeigt sie die für jene, wie eben hervorge- hoben, sehr charakteristische gelbe und braune Färbung im Entoplasma, sondern ist in der Regel farblos resp. weißlich, abgesehen von durch frisch aufgenom- mene Nahrung und sonstige Einschüsse bedingte Färbung, die aber leicht von der der A. terrieola zukommenden zu unterscheiden ist. Der hauptsächlich differenzierende Charakter, wodurch man sie bei einiger Erfahrung sofort er- kennen und von der andern sondern kann, liegt in dem verschiedenen Nukleus Beider. Derselbe ist bei A. similis ebenfalls oval, aber kürzer und breiter als bei A. terricola, mit mehr abgerundeten Enden, von einer gleichfalls hyalinen breiten Kapsel umgeben. Die Chromatin-Schicht der Innenwand ist breiter, unregelmäßig nach innen vorspringend und von vorneherein deutlich in Nukleolus-artigen Körpern differenziert, die um so schärfer und mehr gegeneinander abgegrenzt hervortreten, je größer die Indi- viduen sind. A. similis kommt unter denselben Verhältnissen wie A. terricola und mit dieser gemeinschaftlich vor, aber im Allgemeinen seltener. 3. Amoeba sphaeronucleosus. Mit dieser Art vereinige ich, wie ich bereits oben erwähnt, die in meiner ersten Abhandlung (S. 599 Anm. 1) kurz charakterisierte, aber nicht benannte Amöbe und dann die ebenda unter dem Namen Amoeba granifera und A. gracilis beschriebenen Formen, die ich für Jugendzustände der vorliegenden Art glaube halten zu müssen. 4A. sphaeronucleosus ist im Allgemeinen bedeutend kleiner als A. terricola und A. simiks, kaum die Hälfte der Größe der letzteren er- reichend. Sie ist in der Regel völlig farblos und charakterisiert durch ihren, von dem der beiden anderen wesentlich verschiedenen Nukleus. Derselbe ist meist kugelig, in seltenen Fällen und dann bei den größeren Formen etwas oval. Die Kernkapsel erreicht niemals die Breite, wie bei den vorher- gehenden, sondern stellt eine mehr oder minder starke Membran dar. Der Innenraum enthält im einfachsten Falle einen einzelnen großen, sphäri- 640 Greeff, Organismus der Amöben. schen Nukleolus, stark chromatisch und einige kleine Vakuolen tragend. In weiterer Entwicklung treten neben dem einen Nukleolus eine größere Anzahl kleinerer Kugeln auf, offenbar Teilsprösslinge des großen, die auch unter sich wieder durch Teilung sich vermehren, so dass schließlich der Nukleus mit vielen größeren und kleineren, oft minimalen Kugeln erfüllt ist. Vorkommen wie bei den vorhergehenden, aber im Allgemeinen seltener. Mehrkernige Erdamöben. 4. Amoeba fibrillosa nov. spec. Ich wähle für diese Amöbe den vorstehenden Namen, weil ich bei ihr zuerst die Faserstruktur des Ektoplasmas mit voller Deutlichkeit sah und diese auch bei keiner anderen Amöbe so leicht und klar zur Anschauung gelangt, als bei ihr. Sie wetteifert in der Größe mit A. terricola, unterscheidet sich aber von dieser durch den Mangel der jener zukommenden Färbung. Sie ist meistens völlig farblos oder zeigt zuweilen im Innern einen leichten Hauch einer diffusen gelblichen Färbung. Auch ihre Bewegungen und die Art und Weise der Ausbreitung des Körpers und damit zusammenhängend die äußere Gestalt, sind im Allgemeinen anders als bei A. terricola, aber leichter dem erfahrenen Blick kenntlich, als definierbar: Während Amoeba terricola durch die nach außen starrenden unregelmäßig -kegelförmigen Fortsätze eine wie früher schon erwähnte, höckerige Körperform zeigt und, sich bewegend, in breitem Plasmastrom vorwärts strebt, ist A. fibrillosa mehr flächenhaft in lappen- förmigen Fortsätzen ausgedehnt. Die Kerne sind sehr zahlreich, in den kleineren Formen 20—50, in den größern bis 100 und darüber. Sie sind in der Regel rund, zuweilen leicht oval und enthalten meist einen größeren Nukleolus, der fast stets ein kleines kornartiges Zentrum (Vakuole?) erkennen lässt. Entweder ist er der einzige, oder es finden sich außer ihm noch ein oder zwei gleich große oder einige kleinere, offenbar Teilprodukte des primitiven größeren Nukleolus, da man häufig sich vollziehende oder mehr oder minder vollzogene Teilungen vorfindet. Amoeba fibrillosa gehört zu den seltenen Erscheinungen, nach der man oft lange vergeblich suchen kann, bis sie plötzlich an irgend einer Lokalität häufiger auftritt, ohne dass ich meinerseits bisher im Stande wäre, eine Eigenheit ihres Vorkommens und ihrer Lebensweise den übrigen Erdamöben gegenüber hervorheben zu können. 5. Amoeba alba nov. spec. Diese Amöbe ist der vorhergehenden in Bezug auf Größe, Aussehen, Bewegung etc. zum Verwechseln ähnlich, unterscheidet sich aber von dieser durch die anderen Kerne, Dieselben sind ebenfalls sehr zahlreich, aber größer, meist oval und tragen stets eine größere Anzahl, bis 10, ja 20 kleinere Nukleoli, die, wie die Untersuchung lehrt, durch Teilung entstanden sind, da man auch hier die mannigfachsten Teilungsstadien findet. Im Innern eines jeden stark chromatischeu Nukleolus findet sich ebenfalls ein kleines kornartiges Zentrum (Vakuole?). Auch in ihrem Vorkommen stimmt A. alba im Allgemeinen mit der vorhergehenden Art überein. Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess wd Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. - Fi ST: Band, i5. November 1891. Nr 20 Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. — v. Wagner, Der Organismus der acoelen Turbellarien. — W. Braune und ©. Fischer, Ueber die Bewegungen des Kniegelenks, nach einer neuen Methode am lebenden Menschen gemessen; Dieselben, Nachträgliche Notiz über das Kniegelenk. — Aus den Verhandlungen gelehrter &esellschaften: Naturforschende Gesellschaft zu Freiburg i. B. — Physikalisch-medizinische Sozietät zu Erlangen. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. Ueber das Schicksal der Mineralsalze in der Pflanze gibt uns eine einlässliche Untersuchung von A. F. W. Schimper „Zur Frage der Assimilation der Mineralsalze durch die grüne Pflanze“!) mancherlei wertvolle Aufschlüsse. Verf. stellt sich die Aufgabe „mit Hilfe mikrochemischer Methoden, die einzelnen Nährsalze von dem Momente des Eindringens in die Pflanze bis zu den Stätten ihres Verbrauches zu verfolgen, die Be- dingungen der Assimilation der Mineralsäuren, die Bedeutung der mit ihnen verbundenen Basen für den Stoffwechsel festzustellen“. Nach einer einlässlichen methodischen Auseinandersetzung über den mikrochemischen Nachweis der Mineralsäuren und Mineralbasen in der Pflanze, ferner der zu Wasserkulturen benutzten Lösungen, bespricht Verf. die Verteilung und Leitung der Aschen- bestandteile in der Pflanze. Die Nährsalze, welehe die Pflanze dem Boden entnimmt, werden gewöhnlich nicht direkt nach ihren Verbrauchsorten geführt. Gewöhn- lich werden sie während kürzerer oder längerer Zeit in bestimmten Geweben gespeichert, denen zugleich auch teilweise die Leitung zu- zukommen pflegt. Von einer Speicherung unorganischer Salze im Samen kann kaum die Rede sein. Die in demselben vorhandenen bedeutenden 1) Flora, 73. Jahrgang, III. Heft, S. 207—261. xl, 41 42 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Mengen von Kali-, Kalk- oder Magnesiaphosphaten stehen mit orga- nischen Bestandteilen in lockerer Verbindung. Anders verhalten sich die Rhizome. In ihnen sind die Mineralstoffe in anorganischen Verbindungen aufgespeichert (Phosphate, Nitrate, Chloride). Sulfate wurden nicht mit Sicherheit nachgewiesen. Den Rhizomen ähnlich verhalten sich die oberirdischen Reservestoffbehälter, das Holz der Bäume und Sträucher. Mit dem Beginn der Keimung fällt der Unterschied zwischen Rhizom und Samen in Bezug auf die Phosphate dahin. Sie werden in diesen aus den organischen Verbindungen abgespalten. Von An- fang an vollzieht sich in erheblichem Maße die Auswanderung der Phosphate, zu deren Leitung das chlorophyllarme Rinden- und Mark- parenchym des Stengels und der Wurzeln, sowie das Nervenparenchym der Blätter dient. Phosphorhaltige organische Stoffe wandern im Siebteil der Gefäßbündel. Die Phosphorsäure ist vorwiegend an Kali, daneben an Kalk und Magnesia gebunden. Als Endziel der Wanderung wurden die Vegetationspunkte und in geringerem Grade das Mesophyli erkannt. Sie sind die Bildungsstätten phosphorsäurehaltiger organischer Verbindungen. Das gleiche gilt für die Nitrate und Chloride der Knollen. Auch in der erwachsenen Pflanze pflegt die Speicherung der Mineralsalze durchaus keine gleichmäßige zu sein. Vielmehr sind auch in dieser Zeit das saftreiche und chlorophyllarme Parenchym von Mark und primärer Rinde der Wurzeln und Kaulome (Stengel), sowie das sehr ähnliche Parenehym der Blattnerven und in vielen Fällen die Epidermis mit ihren Anhängen deren Behälter. Mesophylil und Holzteil der Gefäßbindel enthalten für gewöhnlich nur Chloride. Es sind jedoch sowohl bezüglich des Vorkommens als auch der Verteilung der Mineralsalze in der Pflanze bedeutende Unterschiede zu konstatieren. Bei vielen Arten entspricht die Salzaufnahme unge- fähr dem augenblicklichen Bedarf, so namentlich bei Holzpflanzen. Andere, vor allem Kräuter speichern von sämtlichen Nährsalzen des Bodens bedeutende Mengen auf (z. B. Chenopodiaceae). Zeigt sich bei den einen die Neigung zur Aufspeicherung sämtlicher Nähr- salze, so ist sie bei andern Pflanzen auf bestimmte Mineralsäuren beschränkt. Im Parenehym der Stiele und Blätter der Rosskastanie sind z. B. lösliche Phosphate in sehr erheblichen Mengen aufgespeichert (24°/, der Asche), während Nitrate, Sulfate und Chloride nieht nach- weisbar sind. Die Neigung zur Speicherung der Chloride bei Aus- schluss anderer Mineralsalze kommt namentlich Holzgewächsen zu, welche unter natürlichen Bedingungen am Strande wachsen, also Halophyten sind und Arten aus der Verwandtschaft dieser. Die Art der Verteilung der anorganischen Salze ist von ihrer Qualität abhängig. In dem bereits erwähnten Speichergewebe, dem plasmaarmen Rindenparenchym, sind die Nitrate stets an bestimmte Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 643 Zellen gebunden, also nicht gleich den Phosphaten und Chloriden auf die Gesamtheit dieser Zellen verteilt. Auch sind sie viel strenger als diese auf das eigentliche Speichergewebe beschränkt. Frei von anorganischen Salzen sind stets die Urmeristeme, die Siebteile der Gefäßbündel, die Milehröhren und Sekretbehälter, die Pollenkörner und Ovula; arm das Wassergewebe und das Mesophyll. In ihnen sind die Mineralbasen in organischen Verbindungen, also assimiliert. In den Meristemen und den Mesophylizellen sind Kali und Magnesia meist reichlich vorhanden, ebenso in den Siebröhren, während Kalk fehlt oder doch nur in ganz untergeordneten Mengen sich findet. Ein dritter Abschnitt behandelt „die organischen Kalksalze der Pflanze“. In wachsenden Pflanzenteilen bildet sich unabhängig von Licht, Chlorophyll und Transpiration das primäre Kalkoxalat. In ausge- wachsenen Blättern sind es höchstens noch chlorophylihaltige tran- spirierende Zellen, welche unter dem Lichteinflusse Kalkoxalat bilden, das sekundäre. Tertiäres Kalkoxalat endlich entsteht in vergilbten Blättern unter der Einwirkung von Kalksalzen auf Kalioxalat. Das Kalkoxalat tritt in der Pflanze in Form von Krystallen auf. Wahrscheinlich befindet sich in den Cytoplasten des grünen Blatt- sewebes während der sekundären Kalkoxalatbildung eine Lösung des Salzes, die dem Sättigungspunkt nahe bleibt. Dem entsprechend ist die Zahl der Krystalle eıne geringe. Sie werden die Mittelpunkte der Anziehungssphäre, die sich weit über die Zelle hinaus erstrecken kann. Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, dass einander benach- barte Zellen bald mit bald ohne Krystalle sind. Aus dem Umstande, dass das Salz nicht als amorpher Staub, sondern als Krystalle auf- tritt, schließt Schimper darauf, dass das Kalkoxalat im Blatte wandert. Die Entstehung des sekundären Kalkoxalates ist, wie bemerkt, an die Thätigkeit des Plasmas, bezw. der Chlorophylikörner gebunden, während die die Krystalle enthaltenden Zellen und die Raphidenzellen arm an Plasma und Chlorophyll sind. Dieser Umstand spricht dafür, dass diese Zellen Speicherorgane für das in grünen Zellen gebildete Salz darstellen. Die Anhäufung in ihnen kann darin beruhen, dass das Salz in diesen Zellen noch weniger löslich ist als in den Blatt- parenchymzellen. Die Bildung des Kalkoxalates ist nicht ausschließlich an die Blätter gebunden. Bei Kräutern kann sie im Stengel und in den Wurzeln unter ähnlichen Bedingungen vor sich gehn wie in den Blättern. Die Entstehung des primären Kalkoxalates ist hierbei auf die wachsende Region unterhalb der Urmeristeme beschränkt. Ist die Streckung vollendet, dann hört in nicht grünen Zellen die Kalk- oxalatbildung auf. 41* 644 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Wie mit dem Längenwachstum der Kräuter so ist auch mit dem Diekenwachstum der Holzgewächse die Kalkoxalatbildung verknüpft und zwar wird sie durch die Thätigkeit des Cambiums bedingt. Schimper stellt fest: 1) dass in Organen ohne sekundäres Dicken- wachstum Kalkoxalatbildung im Siebteil der Gefäßbündel nicht statt- findet, auch da wo solches in andern Geweben reichlich auftritt; 2) dass auch in sekundärem Baste, dem die Siebröhren fehlen, Kalk- oxalat gebildet wird. Nieht mit der Bildung organischer Stoffe durch die Siebröhren, sondern mit den Vorgängen des Wachstums hängt die Kalkoxalatbildung im Ba-te bezw. in außerhalb des Bastes liegenden Siebröhren zusammen; wie denn thatsächlich in den die Siebröhren führenden Strängen eine Zunahme der Krystalle nicht mehr stattfindet, sobald jene fertig sind. Das weist wohl darauf hin, dass die Elemente des Bastes den wachsenden Teilen Stoffe zuführen, deren Verarbeitung mit der Ausscheidung von Kalkoxalat verbunden ist. 3) Die Kalk- oxalatbildung ist vielfach auch mit der Bildung des Periderms ver- knüpft und zwar hauptsächlich da, wo neben dem Kork auch Phellogen erzeugt wird, in dessen Zellen alsdann das Kalkoxalat liegt. Ist die Zahl der Kalkoxalat erzeugenden Pflanzen auch eine sehr große, so gibt es doch auch Arten, denen es fehlt, wie ja denn auch die erstern das Salz zum großen Teil nur als primäres im Zusammen- hang mit dem Wachstum zu bilden vermögen und nieht auch in dem grünen Gewebe. Diese Unterschiede beruhen entweder darauf, dass die Bildung des Kalkoxalates eine Eigentümlichkeit gewisser Pflanzen ist ohne Analogie bei andern Arten oder aber darauf, dass bei den analogen Prozessen anderer Arten statt des Kalkoxalates sich andere Kalksalze bilden. Bei der Weinrebe beobachtet man z. B. fast oder völlig aus- schließlich die Bildung von primärem Kalkoxalat. Die Zunahme des Kalkgehaltes der Asche mit dem Alter muss also der Zunahme der im Zellsaft löslichen Kalksalze (z. B. des wein- und apfelsauren Kalkes) zugeschrieben werden. Diese verhalten sich, ganz ähnlich dem sekundären Kalkoxalat. Sie nehmen mit dem Alter zu; in be- schatteten Blättern sind sie stets in erheblich geringeren Mengen vor- handen als in gut beleuchteten. Dem tertiären Kalkoxalat entspricht in den vergilbten Blättern unserer Weinrebe (und verwandter Arten) ein krystallinisch zur Ausscheidung kommendes tertiäres Kalktartrat. Die Cystolithenbildung bei den Apocarpeen lehrt, dass auch kohlensaurer Kalk statt des Kalkoxalates gebildet werden kann. Er entsteht hier unter ganz analogen Bedingungen wie sonst der sekun- däre oxalsaure Kalk, während z.B. bei den Acanthaceae seine Bildung der Bildungsweise des primären Kalkoxalates entspricht, also schon dicht unter dem Vegetationspunkte beginnt. Ebenso scheinen die Kalküberzüge von verschiedenen Wasser- pflanzen eine Analogie zur Bildung des Kalkoxalates darzustellen. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 645 Verfolgen wir nunmehr an Hand der Darlegungen Schimper’s „dieRolle desKalkes und des Kalis im Stoffwechsel“, den Inhalt des IV. Ab-chnittes. Die mikrochemische Untersuchung der Verteilung der 3 Basen Kalk, Magnesia und Kali lässt die auffällige Thatsache erkennen, dass die beiden letzten in jeder Zelle namentlich in dem Meristem vorhanden sind, während Kalk den Zellen gewisser Gewebekomplexe vollkommen fehlen kann. Kalkfrei sind namentlich die Meristeme und oft auch die Mesophylizellen. Für die Vorgänge der Assimilation dürfte also Kalk entbehrlich sein, während diese wichtigsten Vorgänge des pflanzlichen Stoffwechsels, Synthese der Kohlehydrate, der Eiweiß- körper und Nukleine und Bildung der organisierten Plasmagebilde der Gegenwart reicher Mengen von Kali und Magnesia bedürfen. Führt die Art der Verteilung der drei Basen zu diesem Sehlusse, so darf hieraus doch nicht geschlossen werden, dass Kalk ein neben- sächlieher unwesentlicher oder gar unnötiger Bestandteil der Pflanzen- nahrung sei. Schimper’s Darlegungen weisen auf seine Bedeutung beim Wachstum hin. Die Thätigkeit des Meristems ist eng mit der Bildung von Nuklein verknüpft. Dieses ist eine Phosphorverbindung, welcher die Formel C,H; NgP30,, zugeschrieben wird. Die Nukleinbildung ist mit einer Trennung der Säure von der Basis verbunden, mit welcher vereint jene im Pflanzenkörper zu wandern vermag. In einigen Fällen ist das weitere Schicksal der Basis deutlich zu erkennen. In ruhendem Zustande enthalten die Rhizome von Polygonatum multiflorum reich- liche Mengen von saurem phosphorsaurem Kalk, welcher in die wachsenden Triebe wandert ohne aber das Scheitelmeristem zu er- reichen. Hier werden vielmehr erhebliche Mengen von phosphor- saurem Kali und Magnesia nachgewiesen. Da wo das Kalkphosphat verschwindet, findet eine lebhafte Bildung von Kalkoxalat statt. Es ist also kaum daran zu zweifeln, „dass das Scheitelmeristem aus dem zugeführten Kalksalze die zur Bildung des Nukleines nötige Phos- phorsäure entnimmt, während der Kalk an die bei der Synthese des Nukleins entstehende Oxalsäure als Nebenprodukt verbunden bleibt“. Aehnliche Beobachtungen sind auch an Keimpflanzen, so wie an oberirdischen wachsenden Organen zu machen. So sind z. B. die Luftwurzeln von Philodendron cannifolium in ihren langgestreckten Rindenzellen reich an gelöstem phosphorsaurem Kalk, und zugleich treten in ihnen erhebliche Mengen von Kıystallkörnern von Kalk- oxalat auf, die den Meristemzellen vollständig fehlen. „Das Ver- schwinden des phosphorsauren Kalkes in der Nähe des Vegetations- punktes ist ein rascebes und koinzidiert mit dem Auftreten der Raphiden“. Auch diese zu der vorangehend skizierten völlig stimmende Erschei- nung deutet Sehimper dahin, dass das Kalkoxalat als ein Neben- produkt der Assimilation des phosphorsauren Kalkes bei der Synthese des Nukleins gebildet werde. 646 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Analoge Beobachtungen an vielen andern Sprossen führen Schim- per zu der Anschauung, dass stets das primäre Kali- und Kalkoxalat als ein Nebenprodukt der Nukleinbildung aufzufassen sei, eventuell der Bildung anderer organi- scher Phosphate, bei der sich eine Trennung der Säure von der Basis vollzieht. Die Bedeutung des Kalkes ist darin zu sehn, dass er die Zufuhr der Phosphorsäure nach der Bildungsstätte der Nukleine ermöglicht. Dabei kann allerdings eine andere Basis in nieht seltenen Fällen stellvertretend für den Kalk eintreten z. B. Kali in den Samen. Es kann demnach in dieser Leistung des Kalkes noch nicht die Ursache seiner Unentbehrlichkeit für die Pflanze gesehen w:rden. Um diese Frage zu lösen, werden Pflanzen in kalkfreien Nähr- lösungen gezogen. Anfänglich entwickeln sie sich in diesen durchaus normal. Nach einigen Wochen jedoch werden zunächst die jungen Blätter braunfleckig und sterben ab. Das gleiche zeigen successive auch die ältern Blätter, während der Stengel von der Spitze ab- gesehn länger gesund bleibt, Seitensprosse zu erzeugen vermag, denen allerdings keine längere Lebensdauer zukommt. Die zuerst entstehenden Blätter enthalten noch unbedeutende Mengen von Kalk, die spätern sind völlig kalkfrei, im übrigen, von größerem Stärkereichtum abgesehen, durchaus normal. „Kalkverbin- dungen sind also weder notwendige Bestandteile des Plasmas, noch sind sie bei der Anlage neuer Organe, noch bei der Assimilation nötig. Die Ursache der Unentbehrlichkeit des Kalkes ist in seiner Beteiligung an Vorgängen zu suchen, die sich in der wachsenden Region, aber außerhalb des Urmeristems, sowie in den grünen Zellen, aber unabhängig von der Assimilation abspielen“. Es tritt dadurch Kalk in einen entschiedenen Gegensatz zu Kali und Magnesia. Das Schwarzwerden, Absterben der Endknospe in den kalkfreien Kulturen wird nach dem Vorgange Böhm’s darauf zurückgeführt, dass bei Kalkmangel der Zucker nicht im Stande ist sich in der Pflanze zu bewegen. Die Folge hiervon wäre, dass in den Blättern eine Anhäufung von Stärke sich vollzöge, dass also die Endknospe aus Mangel an Nährstoffen ihr Wachstum einstellte und abstürbe. Schimper weist nach, dass auch die stärkeführenden jüngern Inter- nodien und Blätter schwarz werden, wenn wenigstens die Pflanze gut beleuchtet ist, und dass unter der gleichen Voraussetzung auch die ältern, von Stärke strotzenden Blättern schließlich schwarz werden und zu Grunde gehen, während, wie oben bereits erwähnt wurde, die entsprechenden Stengelteile gesund bleiben. Deh&rain stellte ferner fest, dass bei höherer Temperatur das Absterben infolge des Kalk- mangels ausbleibt. Blätter von Tradescantia, die die krankhafte Stärkeanhäufung infolge von Kalkmangel in hervorragendem Grade zeigen, vermögen aus einer Zuckerlösung in gleichem Grade Zucker Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie, 641 in ihre Gewebe aufzunehmen und in Glykose zu verwandeln wie normale Blätter. Dass in der That nieht die Unfähigkeit der Pflanze bei mangelndem Kalk hinlängliche Mengen von Kohlehydrate den wachsenden Teilen zuzuführen die Ursache des Absterbens der End- kno-pe sein kann, geht auch daraus zur Genüge hervor, dass sich immer wieder neue Knospen entwickeln. „Die Folgen der Kalkentziehung zeigen vielmehr alle Symptome einer Vergiftung und zwar durch einen Stoff, der vornehmlich in den wachsenden Spitzen und den Laubblättern erzeugt wird“. Der Zell- inhalt der kalkfrei gezogenen Pflanze unterscheidet sich von dem der normalen Pflanzen dadurch, dass sie einen enormen Gehalt von meist saurem Kalioxalat führen. Schon der Umstand, dass die Bildungs- stätten des Kalioxalates zuerst zu Grunde gehen, macht es wahr- scheinlich, dass die Anhäufung dieses Stoffes die Ursache ihres Ab- sterbens ist. Das Experiment lehrt, dass Tradescantia Zweige in einer 1—3prozentigen Lösung von neutralem oder saurem oxal aurem Kali unter Bildung ähnlicher brauner Flecken an den Blättern zu Grunde gingen, wie sie an den absterbenden Blättern der kalkfreien Pflanze erschienen. Die Blätter enthielten in reicheren Mengen das Salz. Werden diese Pflanzen in eine kalkhaltige Lösung gebracht, dann tritt nach einigen Tagen der normale Zustand ein. Es ist »lsdann das Kalioxalat fast völlig dureh Kalkoxalat ersetzt. Deh&rain’s oben erwähnte Beobachtung ist leieht verständlich. Die Wärme wirkt auf die Säure zersetzend. Es ist also nach dieser Darlegung bei der Tradescantia die Ursache der Unentbehrlichkeit des Kalkes darin zu sehen, da:s bei dessen Fehlen die im Stoffwechsel ent- stehende Oxalsäure nur an das Kali gebunden wird und dass dieAnhäufung dieses Salzes giftig wirkt. Die Stärke- anhäufung ist als eine sekundäre Erscheinung aufzufassen. Da auch für einige andere Arten dasselbe nachgewiesen wurde, dürfte dieses für Tradescantia angegebene Verhalten das allgemeine sein. Der Vorgang der Zersetzung des Kalioxalates durch ein Kalk- salz, wie er in der kalkfrei gezogenen Pflanze beobachtet wird, ist ein auch unter normalen Verhältnissen sich vollziehender. Bei der ‘ Assimilation der Mineralsalze in grünen Zellen entsteht zunächst Kali- oxalat und es ist das sekundäre Kalkoxalat nur ein Produkt der Wechselzersetzung des Kalioxalates mit anorganischen Kalksalzen. Der Ursprung des tertiären Oxalates entsprieht nach Schimper völlig dem des sekundären und das gleiche gilt für das primäre. Ein letzter Abschnitt der Abhandlung, den wir kurz referieren wollen, ist der Untersuchung der „Rolle des Mesophylis bei der Assimilation der Mineralsalze“ gewidmet. Es stehen sich diesbezüglich zwei Anschauungen gegenüber. In seiner frühern Arbeit über Kalkoxalatbildung betonte Schimper, dass Nitrate in grünen Zellen, speziell in dem Mesophyll, in größerer Menge ver- 648 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie, arbeitet werden. Frank dagegen verlegt den Sitz der Assimalation der Salpetersäure in Stengel und Wurzel. Das Mesophyll hat nach ihm keinen Anteil daran. Nach Schimper führte Frank die un- richtige Interpretation einer wichtigen Reaktion zu Täuschungen. Denn wenn auch „das Eintreten von Blaufärbung bei Behandlung pflanzlicher Objekte mit Diphenylamin Schwefelsäure für ein untrüg- liches Zeichen des Vorhandenseins von Nitraten“ gelten darf, so ist es falsch aus dem Nichteintreten der Färbung auf das Fehlen des Nitrates zu schließen. Thatsächlich führt er im weitern unter anderem an, dass z. B. Tradescantia in einer Nährlösung, die die Salpetersäure an den Kalk gebunden enthielt, diese in ihre Blätter in reichem Maße aufnahm und im Mesophyll enorme Menge von Kalkoxalat erzeugte. In kalk- freier Lösung dagegen bildete sich in den Blättern in reichen Mengen Kalioxalat aber kein Kalkoxalat, in destilliertem Wasser weder das eine noch das andere. Verrichten auch andere Gewebe die gleiche Funktion? Mit der Verarbeitung der Mineralsalze ist eine Ausscheidung von Aschen- bestandteilen verbunden, da nur ein kleiner Teil der an die Säure gebundenen Basen im Stoffwechsel verbleibt. Vergleichen wir den Aschengehalt der verschiedenen Organe der Pflanzen unter sich, so finden wir bei 1- und 2jährigen Pflanzen bei perennierenden Gewächsen Samen 30% Samen 3°), Wurzeln, 5, , Holz Ly, Stengel 4 „ Rinde Uia Blätter 15 „ Blätter 10 „ Die Blätter enthalten also sehr viel mehr Aschenbestandteile als die tibrigen Pflanzenteile. Vorab aber sind sie kalkreicher. Doch stellen selbst diese bedeutenden Mengen von Aschenbestandteilen des Laubes nur einen Bruchteil derjenigen dar, die der Transpirations- strom denselben zugeführt hat. Ein Teil derselben, vorab Phosphor- säure und Kali, wandern fortwährend aus dem Blatte in den Stengel. Bei der Assimilation der Salpetersäure wirkt nach Schimper das Chlorophyllkorn in ähnlicher Weise als reduzierendes Organ wie beider Assimilation derKohlen- säure. Es wird also aus den Blättern ein Strom von Assimilations- produkten abgeleitet, der nicht bloß aus Kohlehydraten, sondern auch aus organischen Stickstoff , Schwefel-, Phosphor-, Kali- und wahr- scheinlich auch Magnesiaverbindungen besteht. Die Wanderform der Stickstoffverbindungen sind Amide und Amidosäuren, die im leitenden Blattparenechym nachweisbar sind. Der Einwand, dass gewisse Pilze unabhängig von Licht und Chlorophyll die Salpetersäure und Schwefelsäure zu assimilieren ver- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 649 mögen, wird deshalb nicht als stichhaltiger anerkannt, da bei diesen, wie Nägeli gezeigt hat, die Reduktionsvorgänge ganz anderer Art sind. ’ Wir schließen hier die Darstellung der Ergebnisse einer Reihe von Abhandlungen an, welche sich mit der physiologischen Be- deutung ete. des oxalsauren Kalkes und der Oxalsäure befassen, die ja auch in der vorangehend skizierten Abhandlung Sehimper’s eine nicht unwesentliche Würdigung fand. Es sind dies: Dr. F.P. Kohl, Zur physiologischen Bedeutung des oxal- sauren Kalkesin der Pflanzet). C. Wehmer, Die Oxalatabscheidungim Verlauf der Spross- entwieklung von Symphoricarpus racemosa L.?). Derselbe, Ueber den Einfluss der Temperatur auf die Entstehung freier Oxalsäure in Kulturen von Asper- gillus niger van Tiegh?). Derselbe, Die Zersetzung der Oxalsäure durch Licht und Stoffwechselwirkung®). Derselbe, Entstehung und physiologische Bedeutung der Öxalsäure im Stoffwechsel einiger Pilze°). In der zitierten kleineren Abhandlung Kohl’s wird untersucht, ob die Oxalsäure eine allgemeine Verbreitung besitzt, ob sie nament- lich auch bei den Thallophyten so allgemein nachzuweisen sei wie bei den Cormophyten. Von der Voraussetzung ausgehend, dass die Eiweißregeneration mit der Bildung organischer Säuren, speziell der Oxalsäure, Hand in Hand gehe, muss man weiter schließen, dass nicht nur einzelne Pflanzenarten, sondern alle die Fähigkeit be- sitzen Oxalsäure oder eine sie substituierte Säure zu erzeugen. Für viele Cormophyten wurde thatsächlich ihr Vor- handensein in Form von oxalsaurem Kalk nachgewiesen. Von Verf. und Sehimper wurde ferner gezeigt, dass in vielen Fällen, wo Kalkoxalat nicht zu beobachten war, lösliche Oxalate (oder sie er- setzende Tartrate) sich fanden. Auffällig war aber das so überaus spärliche Vorkommen von Kalkoxalat bei den Thallophyten. Nur bei wenigen Algen und Pilzen könnte bislang Kalkoxalat, in fester Form in den Zellen ausgeschieden beobachtet werden. Wie ist diese Erscheinung zu erklären? Bilden wirklich die Thallophyten, von jenen wenigen Arten abgesehen, keine Oxalsäure, oder bilden sie dieselbe nur in Form löslicher, Salze oder geben sie 4) Botanisches Centralblatt, XLIV. Band, Nr. 11, 1890. 2) Botanische Zeitung, 49. Jahrgang, Nr. 10—12, 1891. 3) Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft, IX. Bd., Heft 6, 1891. 4) Ebenda, IX. Bd., Heft 7, 1891. 5) Botanische Zeitung, 49. Jahrgang, Nr. 15 bis 38, 1891. 650 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. vielleieht dieselbe sofort nach außen ab? Für viele Fälle wurde nun thatsächlich die Produktion von Oxalsänre erwiesen. Dieselbe wird an Kali gebunden und kann in dieser lö-lichen Form naelı außen diffundieren, bevor eine Ueberführung des Kali in Kalkoxnlat in der Zelle sich vollziebt Diese Wechselwirkung aber wird deshalb aus- bleiben, weil die Pilzzellen Kalkzalze nur in untergeordneten Mengen aufnehmen, wenn sie sich ihrer Aufnahme überhaupt nicht völlig be- geben. Das Fehlen von Kalkoxalat in Pilzzellen darf also nicht als Beweis dafür beansprucht werden, dass die betreffenden Pilze keine Oxalsäure erzeugen. Ließ in solehen Fällen auch eine reichere Kalk- salzzufuhr das Kalkoxalat in der Zelle nicht entstehen, so ist anzu- nehmen, dass die Oxalsäure rasch nach außen diffundiert. Sie musste alsdann außerhalb der Zellen nachwei-bar sein. In der That be- obachtet man bei der Zufuhr kalkhaltiger Lösungen stets Kalkoxalat- bildung in der Umgebung der Zelle. Verf rief für so viele Arten diese Bildung der Krystalle in der Umgebung der Pilzzelle hervor, dass wir nieht anstehen mit dem Verf. die Oxalsäurebildung auch für die Thallophyten als eine ebenso allgemeine Erscheinung zu erklären wie für die Cormophyten. Die Stärke der Oxal äurebiklung ist allerdings bei den verschie- denen Speeies sehr bedeutenden Verschiedenheiten unterworfen. Bei einzelnen Arten z. B Saccharomyces Hanseniü Zopf ist sie außer- ordentlich bedeutend, so dass sie, wie der genannte Pilz, geradezu als spezifische Oxalsäureproduzenten erscheinen. Sie rufen die Oxalsäure- gärung, eine Form der Oxydationsgärung hervor. Versuche an Algen ergaben, dass hier die Oxalsäure wohl ge- wöhnlich als oxalsaures Kali vorhanden ist, das z. B. in dem kalk- haltigen Leitungswasser als Caleinmoxalatkrystalle erhalten wird. Im Wasser, das während längerer Zeit Algen enthielt, war Oxalsäure stets nachweisbar. — Fassen wir mit Kohl die Gärung „als den Ernährungsprozess des die Gärung einleitenden und unterhaltenden Organismus mit seinen Folgen auf“, dann müssen wir alle Pflanzen als Gärungserreger be- zeichnen und wir können sie nach den Hauptprodukten der Gärung in zwei Reihen ordnen: sie sind Erreger von Oxydationsgärungen oder von Spaltungsgärungen. Oxydationsgärung. Spaltungsgärung. Spaltpilze . . . . . . Essigsäure. Alkohol; Milchsäure; Buttersäure. Zahlreiche andere Pilze . Oxalsäure, Kohlensäure. Alkohol. Algen . . . 2... . Oxalsäure, Kohlensäure. ar Bryophyten; Pteridophy- ten; Phanerogamen . . Kohlensäure; Oxalsäure; Weinsäure; Aepfelsäure. — Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 651 Aus dieser Zusammen: tellung ergibt sich, dass die Oxalsäure- bildung ein allen Pflanzen — die Spaltpilze ausgenommen — zu- kommender Prozess ist. — Der zweite Teil der Abhandlung beschreibt den experimentellen Bewei- dafür, dass Kalkoxnlat entsprechend der Annahme Schimper’s olne vorangehende Zersetzung zu wandern vermag. Von mannigfaltigen Gesichtspunkten au gehend hat ©. Wehmer die Oxalsäure zum Gegenstande seiner einlässlichen Untersuchungen gemacht. Ueber die Oxalsäureabscheidung im Verlaufe der Sprossentwieklung äußert sich Wehmer in folgendem Sinne. Die Winterknospen zahlreicher Laubbäume sind sowohl durch ihren Reichtum an oxalsaurem Kalk als auch durch eine eigenartige Verteilung desselben in den einzelnen Organen ausgezeichnet. Fast jede Zelle des bereits differenzierten Markparenchyms enthält Drusen oder Einzelkrystalle des Salzes, ebenso die umschließenden Schuppen. Dem Vegetationskegel aber und den umschließenden jüngsten Laub- blattanlagen fehlen sie. Vereinzelt treten sie in den größern Laub- blättern auf, in den äußern je in reicheren Mengen als in den innern. Diese Verhältnisse wiederholen sich bei Symphoricarpus. Die Zellen der größern Schuppen enthalten meist eine Druse. Die äußern Laubblattwirtel zeigen dieselben auf die Spitze lokalisiert. Rasch nimmt nach Innen ihre Zahl ab, so dass die jüngsten Wirtel völlig frei von oxalsaurem Kalke sind. Im Marke, das schon zu zer- reißen beginnt, findet man eine weiße Masse, tote Zelireste und ein Aggregat von Kalkoxalat. Bei der Streckung der Knospen im März sind die Verhältnisse der Verteilung und Anhäufung von oxalsaurem Kalk wie an der großen Winterknospe Das Ausschlagen der Knospe führt zunächst ebenfalls zu keiner Veränderung dieser Verhältnisse. Die jungen Sprosse wachsen bedeutend heran, ohne dass in den innern Laub- blattwirteln eine Spur von Krystallen sichtbar wird. Auch im Rinden- gewebe der jungen Axe ist eine Neuabscheidung von Krystallen nicht zu beobachten, während im Markparenchym vereinzelte Drusen in den innern Zellen wahrzunehmen sind. Obschon das Wachstum des jungen Sprosses für die 3 untern Internodien mit ihren Blattwirteln um diese Zeit bereits abgeschlossen ist, so beobachtet man doch „weder innerhalb der Rinde, noch im Siebteil der sich ausbildenden Gefäßbündel der Blätter Oxalat auftreten und dasselbe fehlt also sowohl in Begleitung des ersten Blattwachstums wie der ersten Wachstumsprozesse innerhalb der Axe“. Von nun an treten auch an solehen Stellen, die bisher frei von oxalsaurem Kalke waren Krystalle auf und zwar stets in der Spitzen- region. Dabei stellen die jüngsten noch wachsenden Blätter mit ihren Achselknospen und den benachbarten Teilen der Internodien einen 652 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. ersten Ort der Neubildung bezw. Ausscheidung dar, während die nahezu ausgewachsenen mittleren und unteren Wirtel, von den vor- jährigen Spitzenansammlungen abgesehen, keine Krystalle aufweisen. Die Mitte Mai untersuchten Triebe zeigen in den genannten Teilen nicht nur eine entschiedene Größenzunahme der Krystalle, auch ihre Zahl ist vermehrt. Es ist also da jenige Stadium, in welchem eine allgemeinere Oxalatabscheidung wenigstens in den oberen Sprossen begonnen hat. Rasch schreitet diese fort, so dass zu Beginn des letzten Drittels des Mai der Zuwachs außerordentlich augenfällig ist. Von oben nach unten nimmt aber die Oxalatmenge ab, so dass die untern Wirtel fast völlig frei sind. Das Maximum der Anhäufung findet sieh nicht in den höch ten großen Laubblättern sondern im darauffolgenden Deckblattpaar. Vergleicht man hiermit nun den Oxalatgehalt im Zweige unmittel- bar vor dem Laubfall, dann findet man wohl eine Zunahme gegenüber dem Oxalatgehalte im Mai; aber sie steht in keinem Verhältnisse zu der Bildung desselben während der Sprossentwicklung Es scheint also, dass wie die Öxalatausscheidung allmählich beginnt und stärker wird, dieselbe auch wieder allmählich zurückgeht, um schließlich völlig zu erlöschen. Vergieichen wir die anatomische Ausbildung der einzelnen Spross- teile mit der Oxalatansammlung, dann finden wir, dass verschiedene anatomische Differenzierungen zu einer Zeit bereits weiter fortge- schritten sind, wo die Absonderung der Druse beginnt, dass in den untern Axenteilen insbesondere die Ausbildung des Faserringes der Krystallanhäufung vorangeht, während in den Blättern die Drusen- ansammlung in der Nähe des Hartbastes vor dessen Sklerose beginnt. „Es geht aus alledem hervor, dass die Krystallablagerung keinesfalls notwendig Folge von Wachstumsvorgängen ist, sondern die That- sachen weisen darauf hin, dass die das spätere Wachstum beglei- tenden Stoffumsatzprozesse aus irgend einem Grunde von jener be- gleitet sind“. Verf. weist auf Grund dieser kurz dargelegten Beobachtungen auf eine gewisse Periodizität der Salzausscheidung hin. Dabei unter- scheidet er folgende 4 Perioden: „il. Periode: Ausgestaltung der Achselknospe von Mai an, be- gleitet von reichlicher Drusenbildung. 2. Periode: Austreiben derselben im nächsten Frühjahr, von April bis Anfang Mai, ohne Drusenbildung (sehr spärlich zunächst im Mark). 3. Periode: Auswachsen des jungen Zweiges zur definitiven Größe, Mitte bis Ende Mai; massenhafte Oxalatabscheidung (wie in Periode 1) in den wachsenden Teilen und Fortgang im Gefolge der innern Ausbildung (bis Juli). Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 653 4. Periode: Ausgewachsenes Stadium, Juli bis Oktober. Offen- bar reduzierte Krystallabscheidung“. Warum gerade im ersten und letzten Entwicklungsstadium des Zweiges die Oxalatabscheidung besonders stark ist, kann zur Zeit nicht beantwortet werden. Die Thatsachen weisen mit einiger Sicherheit darauf hin, dass wenigstens bei der Versuchspflanze „die größere Menge des im Spross abgelagerten Exkretes während seiner Entwick- lung abgeschieden und vielleicht auch gebildet wird und wir dafür demnach den Gesamtstoffumsatz und nicht vereinzelte konkrete Vor- gänge wie Assimilation u. s. f. verantwortlich machen können“. Da nach Verf. Beobachtungen für die Abscheidung des Oxalates während des Wachstums weder das Wachstum als solches bei jungen Organen, noeh nachträgliche Sklerose ete. allgemein entscheidend sind, so hält er auch Sehimper’s Einteilung in primäres, sekundäres ete. Oxalat „als nicht den Kern der Sache treffend“ für unzweekmäßig. Die Frage, ob die gleichzeitige Berücksichtigung des Erscheinens und Versehwindens anderer Stoffe einen Einblick in die Bedingungen der Oxalatausscheidung gestatten möchte, beantwortet Verfasser in folgender Weise. Nitrate sind zwar in Blättern nachweisbar, treten aber erst ver- hältnismäßig spät auf und fehlen während der ersten Entwicklungs- periode des Sprosses meistens. Für Stärke gilt das umgekehrte. Im Mesophyll ist sie im aus- gewachsenen Zustande der Untersuchungsobjekte makroskopisch nach- weisbar. Eine gleichartige l’eziehung zur Oxalatabscheidung ist aber weder bei dem einen noch bei dem andern Körpern zu konstatieren. Gleichartige Vorgänge wie z. B. Stärkekonsum und Faserausbildung zeigen in dem einen Falle örtliches Zusammenfallen mit Oxalataus- scheidung, in vielen andern Fällen wieder nicht. Verfasser hält zum Schlusse dafür, dass vielleicht überall weniger die Vorgänge als vielmehr die Umstände, unter denen sie sich abspielen, von Einfluss auf die Oxalatbildung und -aus- scheidung sind. Dafür sprechen die Beobachtungen, „dass im Laufe des Sommers sich gelegentlich aus den obern Achselknospen bereits entwickelnde Triebe schon im jungen Zustande Oxalat abscheiden und nieht jene charakteristische Verteilung desselben in den ver- schiedenen Blättern aufweisen. Dasselbe war bei solchen Sprossen nachweisbar, welche sich mitte Juni aus den untern Achselknospen entwickelten, nachdem der Zweig einige Zentimeter über seiner Basis abgeschnitten war“. Solche Beobachtungen weisen darauf hin, dass alle später sich entwickelnden Organe schon in ihren jugendlichen Stadien Oxalat führen, während es den im ersten Frühjahr entstehen- den aus irgend einem Grunde fehlt. 654 v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien Der Organismus der acoelen Turbellarien. ik Vor Kurzem veröffentlichte v. Graff in einer größeren Abhand- lung die Resultate seiner mehrjährigen, überaus gründlichen und mit Hilfe der neuesten technischen Erfahrungen ausgeführten Unter- suchungen „über den Bau der acoelen Strudelwürmer“!). Wäre auch der Einblick, welehen uns der unermüdliche Turbellarien- forscher durch seine neueste inhaltsreiche Arbeit in die Organisations- verbältnisse der genannten Tiere eröffnet, kein so umfassender, dass künftige Forschungen kaum Wesentliches daran ändern dürften, so würde schon das Interesse, welches gerade diese niedrigst stehenden Plattwürmer für allgemeinere Fragen bieten, es rechtfertigen, an dieser Stelle kurz darüber zu berichten. Das in dem glänzenden Gewande der so beliebt gewordenen Monographien dargebotene Werk v. Graff’s gliedert sich in 3 Teile, deren erster der Anatomie gewidmet ist. Die Ergebnisse dieses weitaus umfangreichsten Absehnittes ‚bilden die Grundlage für die im zweiten Kapitel erörterte Frage nach der systematischen Stellung der Acoelen. Daran schließen sich in der dritten syste- matischen Abteilung spezielle Angaben über die untersuchten (11) Arten an. Diesen rein zoologischen Ausführungen ist ferner in Form eines Anhanges eine interessante Abhandlung über „den Bau und die Bedeutung der Chlorophyllzellen von Convoluta ros- coffensis“ angeschlossen, welche von dem Grazer Phytologen Haber- landt herrührt. Es kann nicht die Aufgabe des folgenden Referates sein, auch nur annäherungsweise Vollständigkeit in der Wiedergabe der vielen neuen Thatsachen und der darauf sich stützenden allgemeineren Auf- fassungen anzustreben; Ref. wird vielmehr bezüglich des Thatsäch- lichen nur das Wichtigste mitteilen und ausführlicher lediglich auf die durch v. Graff’s Untersuchungen gewonnenen allgemeinen Ge- sichtspunkte eingehen können. Jede gründlichere Kenntnisnahme muss dem Studium der Originalarbeit vorbehalten bleiben. v. Graff untersuchte 11 Species: Proporus venenosus O.Schm., Proporus rubropunctatus Ö.Schm. [jetzt = Monoporus (n. gen.) rubropunctatus Graff], Aphanostoma diversicolor Oerst., Cyrto- morpha saliens Graff |jetzt = Convoluta saliens Graff], Con- voluta flavibacillum Jens., Convoluta sordida Graff?), Convoluta Lacazä n. sp. Graff?), Convoluta paradoxa Verst, Convoluta 4) L v. Graff, Die Organisation der Turbellaria acoela. Mit einem An- hang von G. Haberlardt. Leipzig, W. Engelmann, 1891. 2) Zu dieser Art zieht v. Graff jetzt auch die früher aufgestellte Species Cyrtomorpha subtilis Graff. 3) Ob diese bloß auf ein 2. (hinteres) Augenpaar hin begründete neue Species haltbar sein wird, scheint trotz v. Graff’s Versicherung, dass er v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. 555 Schultzii ©. Schm., Convoluta roscofensis n. sp. Graff und Con- voluta cinerea [jetzt = Amphichoerus (n. gen.) einereus Graff]. Die hauptsächliehxten Gründe, welche v. Graff zu den im Vor- stehenden angegebenen systematischen Aenderungen veranlasst haben, werden im systematischen Teil kurz anzuführen sein. II. Die Epidermis der Acoelen setzt sich nach v. Graff’s Unter- suchungen aus dreierlei Elementen zusammen: den eigentlichen Epithel- zellen, den sogenannten interstitiellen Zellen und den einzelligen Haut- drüsen mit ihren ausführenden Kanälen. Die Epithelzellen be- sitzen rundliche Kerne und sitzen dem Hautmuskelschlauch mit füßchen- artigen Fortsetzen auf, so dass bei schwacher Vergrößerung der basale Teil der Epidermis den Anblick einer hellen Zone gewährt. Die Lücken, welehe so die Epithelzellen zwischen ihren Füßchen bilden, werden von den oft sehr zahlreichen interstitiellen Zellen ausgerüllt. Die Acoelen besitzen keine Cutieula; was Delage!) bei Convoluta roscoffensis dafür gehalten hat, sind nach v. Graff be- sondere Stücke der kompliziert gebauten Cilien. Der Hautmuskelschlauch baut sich entsprechend den von v. Graff bereits 1882?) angegebenen und von Delage für Con- voluta roscoffensis bestätigten Befunden aus den drei Systemen der Ring-, Diagonal- und Längsfaserschicht auf, von welchem die letzt- genannte überall am stärksten entwickelt ist. Die Mächtigkeit des Hautmuskelschlauches ist natürlich bei den verschiedenen Species nicht die gleiche; besonders muskelkräftig ist Convoluta sordida. Die von Delage behauptete Bindegewebsscheide der Längsmuskel- fasern konnte v. Graff nicht auffinden, bezieht vielmehr die be- treffenden Befunde des französischen Forschers auf das Parenchym, „welches sich beiderseits der Fasern ein wenig verdichtet, so dass hier und da der Schein eines doppelten Kontures — die „„gaine conjunetive“* — entsteht“. Die bei Turbellarien allgemein verbreiteten Hautdrüsen finden sich auch allenthalben bei den Acoelen und zwar in zweifacher Aus- bildung: solehe, welche Stäbchen einzeln oder in Packeten nach außen absondern und solche, deren schleimiges Sekret in Form von Tröpfchen ausgeschieden wird. v. Graff hält beide Drüsenarten für „gleich- wertige Bildungen“. Meist im Bereich der Epidermis gelegen, können sie auch tief ins Parenchym eingesevukt sein, wie denn auch ihre ersteres als „spezifische Bildung“ ansprechen müsse, fraglich (vergl. Zoolog. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ontog., IV. Bd., S 354). 4) Ich beziehe mich stets auf die ausführliche Arbeit: Arch. d. Zool. exper. et gener.. 2. ser., t. IV. 2) Ich brauche nicht besonders zu bemerken, dass v. Graff’s Rhabdocoe- liden-Monographie gemeint ist. 656 v. Wagner, Organismus der acoelen 'Turbellarien. topographische Verbreitung über die Körperoberfläche nach den ein- zelnen Arten mannigfachen Schwankungen unterliegt. Gegenüber früheren Bedenken anerkennt jetzt v. Graff die spezi- fische Natur der von M. Schultze und Geddes für die beiden grünen Convoluten (Vonvoluta Schultzii und C. roscoffensis) be- schriebenen sogenannten Sagittocysten, welche, „wie es scheint“, von Flüssigkeit erfüllte Blasen darstellen, „die durch Platzen an einem Ende eine starre Zentralnadel ausstoßen“. Jede Sagittocyste ist in eine kernhaltige Zelle eingebettet. Ihrer Zahl nach beschränkt, — selten über 100 in einem Individuum — findet sie v. Graff „stets nur in der Region von der 2 Geschlechtsöffnung bis zu dem Hinter- ende des Körpers vor und schließt daraus sowie aus gewissen biolo- gischen Befunden, dass diese Bildungen als „Reizmittel bei der Be- gattung“ besondere Beziehungen zur Geschlechtsthätigkeit unserer Tiere besitzen. In die Reihe der sogenannten Giftorgane gehört eine von v. Graff bei Convoluta sordida aufgefundenen Anhäufung von großen flaschenförmigen Drüsen, welche am Vorderende vor dem Munde gelegen sind und wohl als Waffen zum Nahrungserwerb dienen mögen. Von Belang namentlich in systematischer Beziehung sind die Korrekturen, welche v. Graff gegenüber seinen früheren Angaben hinsichtlich des Mundes und des Pharynx anbringt. Während 1882 „noch Acoe/a mit und ohne Pharynx unterschieden werden und in den beiden Gruppen der Proporida und Aphanostomida Species mit termi- naler und andere mit ventraler Mundöffnung beschrieben sind, kann ich für die hinsichtlich dieser Punkte neuerdings genauer untersuchten zehn Arten konstatieren 1) dass bei allen die Mundöffnung der Ventral- seite des Körpers angehört, selbst bei Proporus venenosus, wo dieselbe allerdings dicht unter der vorderen Spitze des Leibes angebracht ist, und 2) dass nirgends der Mund direkt in das Parenchym führt, son- dern stets ein — wenn auch manchmal nur sehr kurzes — Pharyngeal- rohr vorhanden ist. Da die untersuchten Formen allen Gattungen der Acoelen angehören, so dürften diese beiden Punkte für die Acoela überhaupt Geltung haben“. Ueberall ist der Schlund unbeschadet geringfügiger Modifikationen im Einzelnen ein Pharynx simplex. Ueberaus wichtig sind die Ergebnisse, zu welchen v. Graff be- züglich des Parenchyms unserer Tiere, dessen morphologische Dignität bekanntlich noch strittig ist, gelangt ist. Auf Grund sehr sorgfältiger Untersuchungen vermochte nämlich der genannte Forscher den Nachweis zu erbringen, dass die Organisation des Acoelen- Parenchyms dreierlei Typen unterscheiden lässt, welche zwar verschiedene Befunde darbieten, aber unter einander sich zu einer Folge schließen, deren weitreichende Bedeutung alsbald in die Augen springt. Sie werden am klarsten durch Monoporus rubropunctatus, Amphichoerus cinereus und Convoluta paradoxa illustriert. v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. 657 Während das Parenchym der erstgenannten Species sich als „eine von Kernen durchsetzte reiche Plasmamasse, die den ganzen Leibesraum gleichmäßig!) erfüllt“ präsentiert, so dass „die in ihr enthaltenen amöboiden Zellen sich ohne Wiederstand nach allen Rich- tungen frei bewegen“ können („Fresszellen“), zeigt die gleiche Bildung bei Amphichoerus cinereus die Ansätze einer bedeutungsvollen Sonderung in zwei differente Schichten — ein zentrales und peri- pheres Parenchym. Diese Scheidung in 2 ihrem Bau nach ver- schiedene Schichten ist bei Convoluta paradoxa eine vollständige geworden. Dient hierbei die periphere Gewebslage gleich dem Paren- chym der eölaten Turbellarien als Stütz- und Füllgewebe, so darf bei dem Umstande, dass die aufgenommene Nahrung immer im zen- tralen Parenehymsyneytium assimiliert wird, für das letztere die Funktion des Darmepithels der Rhabdocöliden und Dendroeöliden in Anspruch genommen werden. Betrachten wir nun den feineren Bau des Acoelen - Parenchyms, so stellt, wie eben erwähnt wurde, die erste Form desselben, welche bei den Proporidae angetroffen wird, ein „protoplasmatisches Syn- cytium“ dar, welches „wenig Neigung zur Bildung festerer Platten und Balken“ zeigt. Dem gegenüber bietet uns gerade das mehr oder weniger dichtmaschige und derbe Gerüstwerk von Balken und Plättchen das charakteristische Merkmal der zweitgenannten Parenchymart, wobei „durch die Verfeinerung des Balkenwerkes und Verkleinerung der Hohlräume“ innerhalb der peripher gelegenen Schicht eine Son- derung gegenüber jenem Zentralparenechym angebahnt ist. Der dritte Typus des Parenchyms der Acoelen (Convoluta paradoxa) „weist eine fundamentale Differenz zwischen zentralem und peripherischem Parenchym dar. Ersteres aus einer feinkörnigen Protoplasmamasse mit darin ausgehöhlten größeren und kleineren Vakuolen bestehend, unterscheidet sich leicht von dem aus dicht gedrängten, rundlichen Zellen zusammengesetzten peripherischen Gewebe“. Immerhin muss aber hervorgehoben werden, dass dem Zentralparenehym eine be- sondere Umgrenzung mangelt, „dessen Kontur lediglich von der Ge- stalt der umgebenden Organe bedingt wird“. Besonders bemerkens- werte Bestandteile des Parenchyms unserer Tiere sind dorso-ventrale Muskelelemente und die sogenannten indifferenten Zellen; erstere vermochte zuerst Delage im Parenchym von Convoluta roscofensis nachzuweisen und v. Graff konnte zeigen, dass diese Parenchymmuskulatur „ein nie ganz fehlendes Element des Acoelen- Parenchyms“ überhaupt vorstellt. Die „indifferenten Zellen“, welchen nach v. Graff überall die gleiche morphologische Dignität zukommen soll, bieten nach Zahl und Verbreitung im Parenchym bei den einzelnen Arten überaus wechselnde Befunde dar; selbst innerhalb derselben Art (z. B. Amphichoerus) sind diese Elemente oft so verschieden gebaut, dass kleine, runde und 1) Im Original nicht gesperrt gedıuckt. XI, 42 658 v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. plasmaarme Zellen von großen, mit amöboiden Fortsätzen ausgestat- teten und „zweifellos an der Verdauung beteiligten“ unterschieden werden können. Erstere nun nennt v. Graff — wenig glücklich — wieder „indifferente Zellen“ (leichterer Verständlichkeit halber will ich sie in Folgendem als freie Biudegewebszellen bezeichnen), letztere „aktive“ oder zutreffender „Fresszellen“. Im Parenchym der Proporiden (Il. Typus) sind beide Formen der indifferenten Zellen vertreten; die freien Bindegewebszellen in großer Zahl und dem Hautmuskelschlauch dicht angelagert, so dass sie „an manchen Stellen einen fast zusanımenhängenden, inneren Zell- belag des Integumentes“ herstellen (Monoporus rubropunctatus), in weit geringerer Zahl die amöboiden „Fresszellen“, welche stets dem zentralen Teil des Parenchyms angehören. Bei der zweiten, durch Amphichoerus repräsentierten Parenchym- Art fällt die außerordentliche Anhbäufung von „indifferenten Zellen“ auf, so dass sie „für diese Art des Parenchyms charakteristisch zu sein“ scheinen. Auch hier finden sich beide Formen, die freien Binde- gewebszellen und „Fresszellen“ neben einander, letztere aber viel zahlreicher als erstere und mehr dem zentralen Parenchym-Abschnitt eingelagert. Dort wo „eine fundamentale Differenz zwischen zentralem und peripherischem Parenehym“ vorliegt, wie bei Convoluta paradoxa (III. Typus) sind die zahlreich vorhandenen „indifferenten Zellen“, ausschließlich freie Bindegewebszellen, welche wie die Zoochlorellen dieser Art lediglich in das periphere Parenchym eingebettet sind; „Fresszellen“ fehlen vollständig. Während Pigment- und Generationszellen als Einlagerungen des Parenehyms schon von früher her bekannt sind, erwiesen sich die von v. Graff seiner Zeit auch hierher gestellten Stäbchenzellen als Bestandteile des Integumentes, womit ein für die Beurteilung der morphologischen Bedeutung des Acoelen-Parenchyms schwerwiegendes Moment befriedigend klar gestellt ist. Um das Bild vom Bau des Acoelen-Parenchyms, wie es uns durch v. Graff’s schöne Untersuchungen entworfen worden ist, zu vervoll- ständigen, sei noch angeführt, dass v. Graff entgegen den bezüg- lichen Angaben von Delage auf das Bestimmteste versichert: das Verhältnis des Parenechyms zum Nervensystem und Geschlechtsapparate lasse die Ausbildung besonderer Membranen vermissen, jenes trete vielmehr unmittelbar an diese heran; geringfügige Ausnalımen liefern in dieser Hinsicht bloß die Proporiden und Aphanostoma diversicolor, bei welchen Formen einzelne Teile der Geschlechtsorgane (Ovarien, bei Monoporus rubropunctatus auch die Hoden) durch eine Tunica propria vom umgebenden Parenehym getrennt sind. In diese kurz skizzierten Formen des Acoelen-Parenchyms von Monoporus, Amphichoerus und Convoluta paradoxa lassen sich die Be- funde, welche die Ausbildung des Parenchyms der übrigen von v. Graff v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. 659 untersuchten acoelen Turbellarien darbietet, zwanglos einfügen; sie zeigen nicht nur keine prinzipiellen Differenzen gegenüber den auf- geführten Typen, sondern verbinden dieselben durch mannigfache Uebergänge in der wünschenswertesten Weise, worüber indess auf das Original- Werk verwiesen werden muss. Die angeführten, wichtigen Resultate gestatteten naturgemäß der Frage nach der morphologischen Bedeutung des Acoelen- Parenchyms näher zu treten, einer Aufgabe, welcher v. Graff sich mit der gebotenen Vorsicht unterzog. Ausgehend von der wohl zutreffenden Ansicht, dass das Parenchym der Acvelen dem Entoderm plus Mesoderm der cölaten Turbellarien entspräche, jedenfalls aber bei den ersteren „eine gewebliche Sonderung der entodermalen und mesodermalen Elemente nicht wahrzunehmen“ sei, legte sich v. Graff die Frage vor, welche von den drei Form- bestandteilen des Parenchyms (— Muskelzellen, „indifferente Zellen“ und Syneytium —) ento- beziehungsweise mesodermalen Ursprungs sein möchten. Dass die Parenchym-Muskulatur dem Mesoderm zuzu- rechnen sei, wird man ohne Widerspruch zugestehen dürfen. Bezüg- lich des Syneytium gelangt v.Graff, die Verhältnisse von Monoporus, Amphichoerus und Convoluta paradoxa vergleichend, zu dem Ergebnis „dass die in Convoluta yaradoxa vorhandene Scheidung in ein peri- pherisches Stütz- und Ausfüllungsgewebe und in ein zentrales, ver- dauendes Syncytinm sich aus den bei Monoporus und Amphichoerus gegebenen Verhältnissen dadurch entwickelt hat, dass die daselbst im ganzen Körper als Wanderzellen verteilten freien Zellen aus dem Verbande des Retieulum (Syneytium) gelöst und zur Peripherie ge- wandert sind — womit eine Scheidung in die zwei auch bei cölaten Turbellarien vorhandenen, als Entoderm und Mesoderm getrennten Leibesschichten sich vollzogen hat“. Bei dieser, jedem Unbefangenen wohl einleuchtenden Schlussfolge lässt v. Graff die Frage unentschieden, ob die Gesamtheit der „in- differenten Zellen“ mesodermalen Elementen gleich zu setzen sei, wozu der Verfasser übrigens geneigt zu sein scheint, oder ob dies bloß für die hier als freie Bindegewebszellen bezeichneten Elemente des Paren- chyms Geltung habe, zu welcher Anschauung sich Referent bekennen möchte. Indem so in der stufenweise erfolgenden Scheidung des Acoelen- Parenchyms in ein Leibes- und ein Darm-Parenchym der Ueber- gang zu der bei den höheren Strudelwürmern gegebenen Sonderung in Darmepithel und Parenchym vermittelt erscheint, ist ein überaus bedeutungsvolles Ergebnis gewonnen, durch welches auch manche entwicklungsgeschichtliche Beobachtungen eine neue Beleuch- tung erfahren. Insbesondere könnte sich die Angabe Goette’s!), dass das Entoderm der Larve von Stylochus pilidium nicht in Ento- 1) Vergl. Goette, Abhandlungen zur Entwicklungsgeschichte der Tiere, 4. Heft, S. 13 u. 34. Tard 560 v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. derm und Mesoderm sich differenziere, trotz des Widerspruches von Lang!) als richtig herausstellen. Neben diesen wichtigen, das Parenchym betreffenden Ausführungen v. Graff’s tritt das, was noch vom Nervensystem und den übrigen Organen zu berichten steht, mehr oder weniger in den Hintergrund. Was zunächst das Nervensystem anlangt, so war schon durch die Mitteiluugen von Delage die Angabe v. Graff’s, dass ein solches den Acoelen ausnahmslos fehle, beseitigt worden. Das Studium desselben Untersuchungs-Objektes, welches Delage zu Gebote stand (Convoluta roscofensis), ließ auch v. Graff alsbald dasselbe auffinden und den im Einzelnen komplizierten Bau desselben erkennen Wie zu erwarten stand, konnte auch bei allen übrigen von v. Graff untersuchten Acoelen -Species das Vorhandensein des Nervensystem konstatiert werden. Ueber den Bau desselben kann ich mich kurz fassen, da einer- seits die von Delage darüber gegebene Darstellung ım Wesentlichen bestätigt wird, für die übrigen Arten aber — vielleicht Monoporus ausgenommen — prinzipielle Abweichungen nicht namhaft gemacht werden. Der zentrale Teil des Nervensystems, das Gehirn, baut sich nach den besonders klaren Befunden bei Amphichoerus und Pro- porus „aus einem zweilappigen dorsalen Ganglion und zwei unter diesem gelegenen ventralen Ganglienpaaren“ auf. „Ersteres versorgt den Otolithen und erstreckt sich nach. vorne bis an die Basis des Frontalorgans, um dann den das Vorderende des Körpers mit Sinnes- nerven versorgenden Plexus zu bilden“. Eine Ausnahmestellung nimmt Monoyorus rubropunctatus ein, dessen Gehirn einen Ring hildet, welcher das Frontalorgan umgreifend „sowohl dorsal an der Ursprungstelle des Otolithennerven als auch seitlich eine Verdiekung durch größere Anhäufung von Ganglienzellen aufweist“. Die von Delage behauptete und mit dem Otolithen in Zusammen- hang gebrachte Durchlöcherung des Gehirns, wodurch natürlich zwei parallele Querkommissuren gegeben erscheinen, weist v. Graff zurück, indem er bei richtiger Einstellung „das Gehirn als kontinuierlich über den Otolithen hinwegziehende Masse“ erkennt. Hinsichtlich der peripheren Nerven komnte v. Graff infolge technischer Schwierigkeiten keine besonderen Angaben machen. Bei Convoluta roscoffensis, für welche schon Delage vorgearbeitet hatte, konnte eine dem Hautmuskelschlauch dorsal und ventral dicht ange- schmiegte nervöse Plexusbildung festgestellt werden. Auf die den feineren Bau des Nervensystem betreffenden Mit- teilungen v. Graff’s braucht hier, mangels allgemeinerer Ergebnisse nicht eingegangen zu werden, nur die interessante Thatsache muss verzeichnet werden, dass die zuerst von Delage für Convoluta ros- cofensis aufgedeckte Durchsetzung des Gehirns durch dorsoventrale 1) Vergl. Lang, Die Polycladen des Golfes von Neapel, Leipzig 1884 82399 u. Tg. v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. 661 Muskelzüge eine für das Acoelenhirn allgemeine Erscheinung vor- stellt. Von Sinnesorganen erscheint die Otolithenblase erwähnens- wert, welche immer der Unterseite des Gehirns angelagert „entweder in eine Vertiefung desselben eingebettet oder von der Gehirmfläche abgerückt“ ist. Der Otolith selbst geht durch Umbildung aus einer Zelle hervor, deren Kern erhalten bleibt. v. Graff ist der Meinung, „dass die Wand der Otolithenblase, welche stets einige spindelförmige, nach innen vorspringende Kerne enthält, vom Parenehym gebildet wird. Wie der Otolith in der Blase fixiert wird, vermochte auch v. Graff nicht klar zu legen, hält vielmehr mit Rücksicht darauf, „dass noch Niemand jene zitternden oder schwingenden Bewegungen gesehen hat, welche demselben als Gehörstein zukommen müssten“ das in Rede stehende Organ lediglich für ein Organ des Gleichgewiehts- Sinnes, eine Vermutung, über welche erst künftige Untersuchungen entscheiden können. In seiner schönen Arbeit über die Convoluta von Roscoft hatte bekanntlich Delage eine völlig neue Bildung, das „organ frontal“ beschrieben, welches der verdiente französische Forscher für ein kompliziertes Sinnesorgan ansah. Die ausgedehnten Untersuchungen v. Graff’s, welche auch dieses Organ als eine allen Acoelen zu- kommende Bildung nachwiesen, führten diesen Forscher zu ganz ab- weichenden Resultaten, sowohl was den Bau als auch die Funktion des „organ frontal“ betrifft; freilich konnte auch v. Graff diese eigen- tümliche Bildung bei Amphichoerus cinereus vorzüglich studieren, da dieselbe bei dieser Art eine besonders massige Entwicklung erreicht hat, indem sie den ganzen Raum zwischen Vorderende und Hirn ausfüllt. Das Frontalorgan wird von einem Haufen birnförmiger, reich- lich Sekrete produzierender Drüsen gebildet, deren Ausführungsgänge das Gehirn vielfach durchbohren, d. h. zwischen Gehirn und vorderer Kommissur hindurehtreten; v. Graff bezeichnet diese Drüsenzellen als „Stirndrüsen“, während er für die Sekretstränge derselben — wiederum wenig pas:end — den Ausdruck „Frontalorgan“ (also in beschränktem Sinne) gebraucht. Alle Sekretstränge münden durch einen etwas auf die dorsale Seite gerückten Porus im Integumente, welches an dieser Stelle des Cilienkleides entbehrt, unmittelbar nach außen. Die beschriebene Form des „organ frontal“ darf trotz wechselnder Ausgestaltung im Einzelnen als typisch gelten; abweichend davon zeigt die gleiche Bildung bei den Proporiden einen mehr gleich- artigen Bau und lässt namentlich die Scheidung in „Stirndrüse“ und „Frontalorgan“ (s. str.) vermissen, weil die die Sekretstränge führen- den Ausleitungsgänge „locker aneinander vorüberziehen*, um erst diehbt vor dem hier großen Porus sich aneinanderzulegen. In histologischer Hinsieht ist anzumerken, dass die Lückenräume zwischen den Drüsen und Drüsengängen, soweit nicht das Gehirn in Frage kommt, vom Parenchym ausgefüllt sind. 662 v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. Widerlegt sich nach den eben gemachten Angaben die Ansicht von Delage, dass das fragliche Organ ein Sinnesapparat wäre, von selbst, so bedarf freilich auch die Meinung v. Graff’s, „dass das klebrige Sekret der Stirndrüsen zum Angriff und zur Verteidigung diene“ noch des Nachweises durch die thatsächliche Beobachtung. Die Auffindung des „organ frontal“ bedeutet übrigens für die Systematik der Acoelen eine Art Revolution, „denn es unterliegt keinem Zweifel, dass ihre Mündung in den meisten, wenn nicht in allen Fällen als Mund beschrieben worden ist, wo von einer am vorderen Leibesende angebrachten Mundöffnung bei Acoelen die Rede war“. Ueber den Bau der Geschlechtsorgane unserer Tiere bietet für vorliegenden Bericht bloß der eine Befund Interesse, welcher die Schicksale der Ovarialzellen betrifft; innerhalb der ursprünglich gleich- gestalteten Keimzellen kommt es zu einer Sonderung von Eikeimen und Abortivzellen, wobei letztere das Nährmaterial für die rasch heranwachsenden Eier abgeben. IH. Der tiefe Einblick, welehen die weitreichenden Resultate v. Graff’s uns in den Bau der Acoelen erschließen, gestattet es, trotz des Mangels entwicklungsgeschichtlicher Erfahrungen die Beantwortung der Frage nach der Stellung der Acoelen im Turbellariensystem mit größerer Sicherheit als bisher in Angriff zunehmen. Bekanntlich hatte v. Graff schon 1882 „die Acoelen an die Wurzel des Stammbaumes der Turbel- larien gestellt“, die Acoelie als einen ursprünglichen Charakter auf- gefasst. Dieser Anschauung trat Spengel!) in einem vortrefflichen Aufsatze bei und stillschweigend folgten wohl die meisten Zoologen. Indess fehlte es nicht an Widerspruch, so insbesondere seitens Lang’s?), welcher von der Ursprünglichkeit der Polyeladen ausgehend mit der Anschanung hervortrat, die Acoelen wären „nicht sowohl ursprüng- liche Formen als stationäre, geschlechtsreif gewordene Turbellarien- larven“, wobei natürlich die Acoelie als eine sekundäre Rückbildungs- erscheinung betrachtet werden musste. Die Argumente, welche v. Graff auf Grund seiner neuen Er- fahrungen gegen Lang’s Auffassung vorbringt, sind in der That geeignet, diese letztere endgiltig zu beseitigen und die phyletische Bedeutung der Acoelen sicher zu stellen Einmal das Nerven- system, von welchen die bei den Acoelen noch vollkommene Gleich- wertigkeit der vom Gehirn abgehenden Nervenstämme, die jede Spur einer Anpassung an die Bilateral- Symmetrie vermissen lässt, gerade für Lang einen wichtigen Beleg abgeben sollte, „die Acoelen an die unterste Stufe des Turbellariensystems und damit in die nächste Nähe der Ctenophoren zu stellen“. Dann das Parenchym, dessen verschiedene Ausbildungsgrade, welche v. Graff gewiss mit Recht 1) Kosmos, Jahrg. 1884, (VIII), I. Bd., S. 12—18. 2) Diese Zeitschrift, II. Bd., S. 167. Vergl. auch desselben Autors: die Polyeladen des Golfes von Neapel, Leipzig 1884. v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. 6653 „als fortschreitende Entwicklung nach der Richtung der eölaten Turbel- larien“ deutet, nach der lan g’schen Hypothese gänzlich unverständ- lich bleiben. Gewiss darf man die durch v. Graff auf vergleichend- anatomischen Wege gewonnene Auffassung von der Ur-prünglichkeit der acoelen Turbellarien als eine gesicherte theoretische Vorstellung und damit die Acoelie als ein primäres Merkmal der genannten Tiere betrachten. Dem gegenüber ist es weniger von Belang, ob der Versuch von Graff’s, den von F. E. Sehulze entdeckten und mit dem Namen Trichoplax adhaerens‘) belegten, merkwürdigen Organismus als „Re- präsentanten der niedrigsten Acoelengruppe, welche direkt zu den Gastraeaden“ hinführt, in Anspruch zu nehmen, in der Folge allge- meine Zustimmung erlangen wird. Das Vorhandensein eines Haut- muskelschlauchs, die Fähigkeit sich dureh Teilung fortzupflanzen, die doch immerhin zweifelhafte Homologisierung der sogenannten Glanz- kugeln mit den Hautdrüsen der Acoelen berechtigen doch trotz mancher wichtigen Uebereinstimmung im Bau beider Formen noch keineswegs im Trichoplax einen Wurm und sei es auch, wie Noll will, „in seiner einfachsten Form“ zu erblieken, abgesehen davon, dass der Mangel jeder Andeutung einer Bilateral-Symmetrie die Einbeziehung dieses Tieres in dem Stamm der Würmer verbietet?). Wenn daher aueh der Trichoplae immerhin „eine Vorstufe der Acoela“ bedeuten mag, möchte Ref. doch mit F. E. Schulze „die systematische Stellung desselben so lange für unsicher halten, bis seine Entwieklungsgeschichte festgestellt sein wird“. IV. Auf die zahlreichen Detailangaben, welche der systematische Teil von v. Graff’s Arbeit enthält, kann an dieser Stelle selbst- redend nicht eingegangen werden. Nur zwei Momente, weil von allgemeinerem Interesse, seien hier kurz erwähnt. Die Vermutung v. Graff’s, dass überall da, wo bislang bei den Acoelen eine terminale Mundöffnung angegeben wurde, diese mit dem Porus des Frontalorgans verwechselt wurde, hat sich bei allen unter- suchten Arten, ausgenommen Proporus venenosus, als richtig nach- weisen lassen. Dementsprechend musste das System der Acoelen, wie es v. Graff seiner Zeit aufgestellt hatte, zum Teil tief einschneidende Modifikationen erfahren, wozu unter anderem infolge der aufgedeckten wichtigen Unterschiede in anatomischer Hinsicht auch noch die Um- wandlung der Convoluta cinerea in das neue Genus Amphichoerus trat. Im Folgenden ist die neue Gruppierung des Acoelensystems nach von Graff enthalten: 4) Warum v. Graff statt „der Trichoplax“ „die Trichoplax* sagt, vermag Ref. nicht einzusehen. 2) Man vergleiche übrigens hierzu die neueste Arbeit von F.E. Schulze: Trichoplax adhaerens. Berlin 1891. (Abhandlungen der Akademie.) 664 v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. I. Fam. Proporida. Acoela mit einer Geschlechtsöffnung. 1. gen. Proporus (s. str.). Bursa seminalis fehlt. 2. gen. Monoporus (n. g.). Mit Bursa seminalis. II. Fam. Aphanostomida. Acoela mit zwei Geschlechtsöffnungen, die weibliche vor der männ- lichen gelegen, mit Bursa seminalis. 3. gen. Aphanostoma. Bursa seminalis ohne Hartteile. 4. gen. Convoluta. Bursa seminalis mit einem chitinösen Mundstück. 5. gen. Amphichoerus (n. g.). Bursa seminalis mit zwei symmetrisch gestellten Chitin-Mundstücken. — Der zweite Punkt betrifft die durch v. Graff vorgenommene Aufstellung der neuen Art Convoluta roscofensis, welche bekanntlich von Geddes und Delage mit der ihnen aus eigener Anschauung nicht bekannten Convoluta Schultzii identifiziert worden ist. Man muss v. Graff Dank wissen, dass er sich der Mühe unterzogen hat, die beiden grünen Convoluten, die der Adria und die von Roscoff naturgetreu nebeneinander abzubilden, wodurch sowohl die anatomi- schen wie die Unterschiede in der Größe und Konfiguration des Leibes ohne Weiteres in die Augen springen. Besonderes Interesse gewähren diese beiden Species noch dadurch, dass, während Convoluta Schultzü sich von kleinen Krustern und Turbellarien nährt, für die französische Art eine Nahrungsaufnahme überhaupt nicht konstatiert werden konnte, eine bei der vollkommen normalen Mundbildung dieser Tiere gewiss sehr befremdliche Erscheinung, für deren Erklärung die interessanten Beobachtungen Haberlandt’s bedeutungsvolle Hinweise bieten, über welche der folgende Abschnitt berichtet. — V. Zweifellos erhielt die jüngste Acoelen-Publikation v. Graff's eine überaus wertvolle Bereicherung durch die gründlichen Untersuchungen, welche der Grazer Phytologe Haberlandt über Bau und Bedeutung der grünen Zellen von Convoluta roscoffensis angestellt und im Anhange zu v. Graff’s Arbeit veröffentlicht hat. Haberlandt konnte zunächst die wichtige Thatsache konstatieren, dass den Zoochlorellen, wenngleich sie einer farblosen Plasmahülle nieht entbehren, doch durchweg eine wirkliche Zellmembran fehlt. Sie besitzen keine be- stimmte Gestalt, sondern zeigen unter der Muskelthätigkeit des Wurmes die mannigfachsten Formzustände, wobei sehr häufig kleine Teilstück- chen dieser Bildungen abgerissen und zwischen den Zoochlorellen ver- streut werden. Jede dieser letzteren besteht aus einem großen, mulden- förmigen Chloroblasten, in welchem ein meist zentralgelegenes und in der Regel kugeliges Pyrenoid enthalten ist, dessen Hülle aus vorwiegend stäbchenförmigen Stärkekörnern gebildet ist. Der Plasma- v. Wagner, Organismus der acoelen Turbellarien. 665 körper der in Rede stehenden Zellen, an Volumen mehr oder weniger hinter dem des Chloroblasten zurückbleibend, ist stets mit einem am lebenden Objekt freilich nicht wahrzunehmenden Kern ausgestattet, dessen Lage im Zellkörper übrigens auch eine vielfach wechselnde ist. Andere Einschlüsse der Zoochlorellen, deren Natur völlig unsicher ist, können füglich übergangen werden. Diese Befunde sprechen deutlich für die Algennatur der grünen Zellen; Haberlandt weist aber mit Recht darauf hin, dass diese Beurteilung einen zweifachen Sinn haben kann, je nachdem man die Zoochlorellen als Algen schlechtweg auffassen oder aber bloß in phyletischer Beziehung als solche gelten lassen will. Haber- landt bekennt sich auf Grund verschiedener Beobachtungen zu letz- terer Deutung. Leider war es dem genannten Forscher versagt, über die wichtige Frage, ob die grünen Zellen Eindringlinge oder Autoch- thonen im Wurmorganismus darstellen, irgend welche Untersuchungen anstellen zu können. Dagegen vermochte derselbe den Nachweis zu erbringen, dass die Zoochlorellen sowohl außerhalb des Wirttieres als auch nach dem Absterben desselben nieht im Stande sind, sich mit einer Membran zu umhüllen oder überhaupt weiter zu leben Diese Thatsachen, insbesondere die Unfähigkeit, eine für die einzelligen Algen so charakteristische Bildung, wie es die Zellmembran ist, im isolierten Zustande zu produzieren, unterscheiden die grünen Zellen der Convoluta roscoffensis scharf von den typischen Algen. Haber- landt erblickt demnach auch in der Membranlosigkeit der Zoochlorellen eine bedeutungsvolle Anpassung derselben an die Lebensbedingungen im wirtlichen Tierkörper. Spricht so der Mangel eines wesentlichen Attributes der Algennatur, der Membran, schon dagegen, die grünen Zellen einfach als Algen zu betrachten, so kommt noch eine weitere interessante Thatsache hinzu, deren Aufdeekung ebenfalls den Unter- suchungen Haberlandt’s zu verdanken ist, dass nämlich die Zoo- chlorellen eine reiche Vorratskammer von Nährmaterial für das Wirt- tier darstellen. Während aber bei analogen Verhältnissen eine Ver- dauung der Zoochlorellen als solcher zu beobachten ist, muss ein derartiger Prozess in unserem Falle ausgeschlossen werden. Eine Verdauung ganzer Zoochlorellen findet bei Convoluta roscofensis nicht statt, vielmehr sind es jene zahlreichen schon oben erwähnten Plasmasplitter, welche durch die stärkeren Kontraktionen des Wurmes von den grünen Zellen abgerissen werden, deren Assimilation seitens des Wirttieres durch Haberlandt’s Befunde sicher gestellt erscheint. Demnach gewähren die Zoochlorellen wenigstens indirekt ihren Trägern sowohl stiekstofflose (Stärkekörner) wie Eiweißnahrung, die sich über- dies der Wurm jederzeit sozusagen mundgerecht machen kann. „Je mehr Arbeit der Wurm durch lebhaftes Umherschwimmen leistet, je größer infolge dessen sein Nahrungsbedürfnis ist, desto größer ist auch der Gewinn an Nahrung, den er durch seine Bewegungen er- zielt. Verbrauch und Gewinn von Nahrung unterliegen so auf sehr 566 Braune u. Fischer, Kniegelenk. einfache Weise einer zweckmäßigen Selbstregulation“. Dass die grünen Zellen auch gelöste Assimilate auf osmotischem Wege dem Wurme zuführen und so dessen Ernährung fördern, hat Haberlandt auf experimentellem Wege wahrscheinlich gemacht. Aus dem Mitgeteilten erhellt unzweideutig die hohe ernährungs- physiologische Bedeutung der grünen Zellen für ihre Träger. Dieses wichtige Ergebnis bringt nun Haberlandt in Zusammenhang mit der schon früher erwähnten eigentümlichen Erfahrung, dass eine Nahrungsaufnahme bei Convoluta roscofensis überhaupt nieht vorkomme, und betrachtet die Zoochlorellen als symbiotische Algen im phyleti- schen Sinne, welche aber ihre Selbständigkeit als solche aufgegeben und einen Grad der Anpassung an die Lebensvorgänge des Wırttieres erworben haben, welche ihre Gesamtheit einfach als das „Assimila- tionsgewebe“ dieses Tieres zu bezeichnen gestattet. Ob diese gewiss scharfsinnige Auffassung Haberlandt’s, der sich v. Graff an- schließt, als eine vollkommen zutreffende bezeichnet werden darf, ist namentlich im Hinblick auf die im Sinne dieser Auffassung kaum zu verstehende Thatsache der Erhaltung der normalen Mundbildung nicht ohne Bedenken. Soviel ist ındess gewiss sicher, dass die Sym- biose unserer Acoele mit den grünen Zellen weit über die einfachen Verhältnisse des Raumparasitismus, wie sie bei Convulata Schultzii verwirklicht zu sein scheinen, hinausgreift und letztere nicht einfach als symbiotische Algen bezeichnet werden dürfen. Am Schlusse dieses Berichtes angelangt, drängt sich wohl nicht bloß dem Ref. dringlicher denn je der Wunsch auf, es möchte, nach- dem jetzt die Anatomie der Acoelen durch v. Graff eine so ausge- zeichnete Bearbeitung gefunden hat, auch die sicherlich nieht minder wichtige und interessante Entwiceklungsgesehichte dieser Tiere einer gleich mustergiltigen Behandlung unterzogen werden. Möge sich diese Hoffnung recht bald erfüllen! F. v. Wagner (Straßburg i. E.). W. Braune und O. Fischer, Ueber die Bewegungen des Kniegelenks, nach einer neuen Methode am lebenden Menschen gemessen. Abh. d, Sächs. Ges. d. Wiss., XVII, Nr. 2, 1891. Dieselben, Nachträgliche Notiz über das Kniegelenk. Anatom. Anzeiger, VI, Nr. 14 u. 15, 1891. Den Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung bildet die Frage, ob die Gelenke des menschlichen Körpers überhaupt Präzissions- mechanismen sind; d. h. ob sie fest bestimmte Bewegungen ausführen oder nicht; ob sie mehr oder weniger schlotternde Knochenverbindungen sind oder genau spielende Artikulationen. Man kann bekanntlich, wenn man äußere Gewalt anwendet, bei den verschiedenen Gelenken allerdings Braune u. Fischer, Kniegelenk. 667 in verschiedenem Grade, am Kadaver sehr mannigfaltige Bewegungen ausführen, so dass man in gegebener Breite einen Punkt des bewegten Knochens in jede beliebig vorgezeichnete Kurve zwingen kann. Damit scheint auch die Beobachtung von König, weleher Durchschnitte an gefrorenen Gelenken machte, übereinzustimmen, dass die Gelenkknorpel nicht miteinander in Kontakt stehen, oder wenigstens nur eine ver- schwindend kleine Kontaktfläche zeigen. Dementsprechend fanden auch die Verfasser, dass bei einem herausgeschnittenen Kniegelenk des Menschen bei wiederbolter Be- wegung aus der Streckstellung in die Beugestellung die einzelnen Knochenpunkte nicht immer wieder genau in denselben Bahnen liefen. Somit erwiesen sich die Kadaverversuche allein nicht als ausreichend für die Bestimmung der Gelenkbewegungen. Es wurde deshalb erforderlich, die Gelenkbewegung am lebenden Menschen zum Gegenstand der Untersuchung zu machen. Die Mes- sungen der Gelenkbewegungen am Lebenden ersetzen aber nicht die Untersuchung am Kadaver, wie Lecombe und Heiberg meinten; sondern ergänzen nur dieselbe. Die Freilegung des toten Gelenkes, die Bestimmung der Gelenkformen, der Gelenkbänder, der Gelenk- muskeln muss als Grundlage für die weitere Untersuchung am Leben- den vorausgehen. Bei Maschinengelenken mit starren Massen bedingt die Geleuk- form allein schon die Art der Gelenkbewegung; bei animalen Gelenken ist dies nicht der Fall, weil hier die nachgiebigen Massen eine Ver- änderlichkeit der Gelenkflächen während der Bewegung bedingen. Gelenkmessungen am lebenden Körper sind schon vielfach ge- macht worden, namentlich von Marey und Bowditch. Diese Mes- sungen reichen aber nicht aus, da die Untersucher nur eine Pro- jektion gewannen, während bekanntlich, wenn es sich um eine Be- wegung im Raume handelt, mindestens zwei Projektionen erforderlich sind. Es zeigte sich, dass der Druck, welchen die Muskeln bei der Bewegung auf das Gelenk ausüben, eine feste und genügend große Kontaktfläche an dem Knorpel erst erzeugt, eine Pfanne sich erst heraus anleitet, und dass am Lebenden eine willkürliche Rollung des Unterschenkels um seine Längsaxe bei Beugestellung fast ganz aus- geschlossen ist. Das Kniegelenk besitzt nur einen Grad der Freiheit, die Bewegung ist eine zwangläufige, bei der keine feste Axe, sondern nur ein Axen- punkt vorhanden ist. Mit der Beugung verbindet sich stets Rollung des bewegten Knochens. Die Methode der Untersuchung bestand darin, dass während der Beugung an drei starr mit dem Unterschenkel ver- bundenen Stellen gleichzeitig in der Sekunde etwa 20 Funken durch einen Ruhmkorff’schen Induktor erzeugt wurden, die durch Photo- graphie in 2 senkrecht zu einander stehenden Richtungen auf ein Koordinatennetz projiziert wurden. 568 Häcker, Richtungskörper bei (Uyelops und Canthocamptus. Die Größen der Bewegung sind in einer Anzahl von Tabellen niedergelegt, die im Originale eingesehen werden müssen. Beigefügt sind 19 Tafeln in Lichtdruck, welche sowohl die Verhältnisse der Knorpelform bei Druck und ohne Druck auf das Gelenk illustrieren, als auch die Punkte im Koordinatennetz deutlich wiedergeben, sodass eine Kontrole der Beobachtungen wie der Rechnung ermöglicht ist. In dem Nachtrag bringen die Vff. den Nachweis, dass man zwar passiv, durch äußere Gewalt, den in reehtwinkliger Beugestellung herabhängenden Unterschenkel um nahezu 30° rotieren könne, dass aber das Individuum selbst durch die eigene Muskel- aktion keine Drehung zu Stande bringt. Es war allerdings dabei notwendig, um Täuschungen vorzubeugen, den Fuß durch engen Gipsverband unverrückbar fest mit dem Unterschenkel zu verbinden und den Oberschenkel zu fixieren. Bei weiteren Versuchen an anderen Individuen fand sich zwar eine Spur von aktiver Rotation; dieselbe war aber sehr gering ge- genüber der durch äußere Gewalt passiv hervorgebrachten. B. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Naturforschende Gesellschaft zu Freiburg i. B. Die Riehtungskörperbildung bei (yelops und Canthocamptus. Von Dr. Valentin Häcker, Assistent am zoolog. Institut der Universität Freiburg i. B. In den letzten Jahren spielte in der ausgedehnten Litteratur '), welche die Reifungsvorgänge im Ei und speziell die Bildung der Riehtungskörper zum Gegenstand hat, die Frage nach der Existenz sogenannter „Reduktions- teilungen“ eine hervorragende Rolle. Die erste Anregung zu den diesbezüg- lichen Untersuchungen und Erörterungen hatte Weismann gegeben, welcher zu dem Schlusse gelangt war, dass die Befruchtung eine Mischung der Ver- erbungstendenzen zweier verschiedener individuen darstelle und als solche die für die Weiterentwicklung der Art notwendige Variation der Charaktere her- beiführe. Damit aber die in der Befruchtung sich vollziehende Zusammen- häufung der von den verschiedenen Vorfahren herstammenden Vererbungs- tendenzen nicht unendliche Dimensionen annehme, muss vor Vereinigung des Eies mit dem Sperma ein gewisser Teil der in beiden vorhandenen Vererbungs- tendenzen ohne Ahnenplasmen ausgeschieden werden: in den Richtungsspindeln findet demzufolge die jedesmalige Herabsetzung der Anzahl der vorhandenen Ahnenplasmen auf die Hälfte statt. Nachdem nun später hauptsächlich durch Boveri nachgewieseu worden war, dass die Anzahl der Chromosomen, in welche sich das Chromatin vor jeder Kernteilung auflöst, für jede Art konstant ist, lag es nahe, sich zu fragen, ob die von Weismann geforderte Halbierung der Anzahl der Vererbungs- tendenzen etwa in einer Halbierung der Anzahl der Chromosomen ihren 1) Ein weiteres Eingehen auf dieselbe liegt außerhalb des Rahmens dieser Mitteilung; ich verweise vorläufig nur auf das Litteraturverzeichnis bei 0. Hertwig, Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. 36, Heft 1. Häcker, Richtungskörper bei Cyelops und Canthocamptus. 569 morphologischen Ausdruck finde. Boveri selbst gab auf diese Frage die Antwort, dass in den Richtungsspindeln die Chromosomen allerdings in redu- zierter Anzahl auftreten, dass aber die Reduktion bereits in dem der Rich- tungskörperbildung vorangehenden Ruhestadium eintreten müsse. Im Herbst vorigen Jahres habe ich im „Zoologischen Anzeiger“ (XII. Jahrg. 1890, S. 551—558; einige Ergebnisse meiner Untersuchungen über die Eireifung von Cyclops veröffentlicht. Bei dem ersten Teilungsprozess treten darnach im Kern 8 längsgespaltene Chromosomen, sogenannte Doppelstäbchen auf, wovon 4 in den ersten Richtungskörper abgehen. Von den im Eikern ver- bleibenden 8 einfachen Stäbchen treten 4 in den zweiten Richtungskörper ein. Durch die Kopulation werden sodann die 4 im Ei verbliebenen Stäbchen auf die für Oyelops charakteristische Zahl 8 ergänzt. Ich habe damals folgende Deutung für die nächstliegende gehalten: „Die Längsspaltung der Chromosomen im ersten Teilungsprozess ist ge- wissermaßen eine anachronistische, d.h. die normalerweise in der Aequatorial- platte der zweiten Richtungsspindel stattfindende Längsspaltung der Chromo- somen, in gewöhnlichen Fällen also die sekundäre, wurde in die Aequatorial- platte der ersten Spindel zurückverlegt, ein Vorgang, der nach Boveri’s Befunden nichts Auffälliges bietet. Sieht man also ab von dieser (sekundären) Längsspaltung, so übernimmt die erste Spindel aus dem Keimbläschen die ursprüngliche, nicht reduzierte Achtzahl der Elemente, um von diesen durch einen besonderen Verteilungsprozess vier in den ersten Richtuugskörper, vier in den Eikern abzuscheiden, ohne dass die primäre Verdopplung der Schleifenzahl, wie sie sonst der ersten Spindel zukommt, auftritt. Nach dieser Deutung fände also die Reduktion bei der Ausstoßung des ersten Richtungs- körpers statt“. Darnach hätten wir hier Verhältnisse vor uns, wie sie in letzter Zeit Henking für die Samenfäden der Feuerwanze beschrieben hat; nach diesem Autor stellt nämlich der erste Teilungsprozess der Reifezone eine Reduktionsteilung, der zweite eine gewöhnliche Mitose dar. In einer ausführlichen, demnächst in den „Zoologischen Jahrbüchern“ erscheinenden Arbeit werde ich nunmehr eine andere Deutung der Verhält- nisse zu vertreten haben, zu welche: mich ein Vergleich der Befunde bei einer größeren Anzahl von Formen geführt hat: Die in der Aequatorialplatte der ersten Teilung auftretende Längsspaltung ist darnach schon im Knäuel- stadium präformiert und hat, wie ein Vergleich mit Canthocamptus ergibt, weder mit einer primären noch mit einer sekundären Spaltung der Elemente der Richtungsspindeln etwas zu thun; vielmehr bezieht sie sich auf einen von den letzteren unabhängigen Vorgang, den ich kurz als Verdopplungsprozess, Diplose, bezeichnen möchte. Die aus dieser Diplose hervorgehenden Doppel- elemente werden nun auf die vier Abkömmlinge der beiden Teilungsprozesse (Ei und Richtungskörper) in vollständig gleichmäßiger Weise ver- teilt, in der Art, dass jeder zwei Doppelelemente erhält. Da demnach auch in der zweiten Teilung die beiden zu einem Doppelstäbchen vereinigten Einzelstäbchen nicht auseinanderweichen, so stellen beide Teilungen Reduktionsprozesse dar und unterscheiden sich, was den Teilungs- mechanismus anbelangt, in keinerlei Weise von einander. Es findet aber trotz- dem keine Vierteilung, sondern nur die verlangte Halbierung der Anzahl der Elemente statt, weil eben durch die vorhergehende Diplose die Anzahl der Elemente auf doppelten Stand gebracht worden war. Dass sich die Verhältnisse in der That nur so erklären lassen, scheint mir durch einen wichtigen Befund bei Canthocamptus, dem bei uns vorkom- menden Vertreter der Copepodenfamilie der Harpactiden, bewiesen zu sein; 570 Hermann, Karyokinetische Spindelfizur. auf die Teilungen der Keimzone, aus welchen die Eikeime hervorgehen, folgt hier unmittelbar ein weiterer, nicht zur Vollendung kommender Teilungs- prozess, in welchem es bis zur Bildung der Aequatorialplatte und der in dieser normalen Weise erfolgenden Spaltung der Chromosomen kommt. Anstatt dass aber die Tochterchromosomen in zwei Tochterkerne verteilt werden, lagern sich die gespaltenen Elemente zu einem Doppelfaden zusammen, welcher in Form einer mehrfach gewundenen Schlinge den Kernsaum ausfüllt. Hier vollzieht sich also die „Diplose* in einem reduzierten Teilungsvorgang am Schluss der Keimzone und zugleich scheinen mir die Verhältnisse darauf hin- zuweisen, dass eine Diplose, d.h. eine Verdopplung der Elemente nur dann eintritt, wenn sich die Chromosomen in der Stellung der Aequatorialplatte befinden. Es liegen also bei Canthocamptus und Cyclops die Verhältnisse in der Weise, dass durch die Diplose die Elemente verdoppelt werden. Die ent- standenen Doppelelemente (Doppelstäbcehen, Doppelchromosomen) werden durch die beiden Reduktionsteilungen gleichmäßig auf die vier Enkelzellen (Ei und Riehtungskörper) verteilt. Das Resultat der Diplose und der beiden Reduktionsteilungen ist also das Auftreten der halbierten Anzahl der Elemente im Eikern. Physikalisch - medizinische Sozietät in Erlangen. Sitzung vom 9. November 1890. Herr Dr. F. Hermann sprach über die Entstehung der karyo- kinetischen Spindelfigur. In einer Arbeit über die Histologie des Hodens!) habe ich neben dem Kerne der großen Spermatocyten des Salamanders einen farblosen Körper von ovaler oder rundlicher Gestalt beschrieben und habe nachweisen können, dass derselbe während des Teilungsprozesses genannter Zellen erhalten bleibt, ja dass er gerade zu diesem Vorgange in gewisse Be- ziehungen tritt, die lebhaft an die von van Beneden und Boveri am Ascaris-Ei zuerst beschriebenen Verhältnisse erinnert. Leider erlaubten meine damaligen Untersuchungsmethoden, die mehr dem Studium der chromatischen Substanzen dienen sollten, nicht, einen näheren Einblick in diese Beziehungen zu erhalten. Unter Zuhilfenahme besserer Fixationsmethoden, die wesentlich in Appli- kation eines Platinchlorid-Osmium-Essigsäuregemisches und nachheriger Reduk- tion mit Holzessig bestanden, habe ich in den verflossenen Monaten das Studium des Teilungsvorganges der Spermatocyten wieder aufgenommen und bin nach längerem Herumprobieren zu Resultaten gelangt, die in Folgendem veröffent- licht werden mögen, Im Ruhestadium findet sich den großen Kernen der Spermatocyten, un- gefähr in der Gestalt eines flachen Brotlaibes, eine Scheibe körnigen Proto- plasmas angelagert, gegen die sämtliche den Zellleib durchsetzenden Proto- plasmafäden zentriert sind und die ich wegen der Vorgänge, die sich während der Kernteilung in ihr abspielen, mit dem Namen Archoplasma belegen will. Irgend eine fibrilläre Anordnung ist übrigens in diesem Archoplasma nicht zu beobachten, auch die Anwesenheit eines Centrosomas vermochte ich nicht fest- zustellen, da eine Menge von durch Osmium mehr oder minder geschwärzten Granula eine sichere Diagnose desselben unmöglich machen. 1] Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 34; d. W. 1889, S. 134. Hermann, Karyokinetische Spindelfigur. 671 Ist der Kern jedoch in das Spiremstadium eingetreten, so werden auch die Verhältnisse innerhalb des Archoplasmas wesentlich durchsichtiger, und man kann nun deutlich und klar zwei auseinanderweichende Centrosomen be- obachten, die durch eine lichte Brücke mit einander in Zusammenhang stehen. Von einer eigentlichen Polstrahlung ist aber auch in diesem Stadium noch nichts zu sehen, nur einige wenige, ziemlich grobe Fibrillen gehen von den Centrosomen in die Archoplasmasubstanz hinein. Der nächstfolgende Vorgang besteht nun darin, dass die chromatischen Spiremfäden sich konstant an der dem Archoplasma gegenüberliegenden Seite des Kernes zu einem Knäuel zusammenballen, dessen Elemente so dicht inein- ander geschlungen sind, dass sich nur in Ausnahmefällen eiu Einblick in die Verlaufsrichtung der einzelnen gewinnen lässt. Durch diese Retraktion der Chromatinfäden wird das achromatische Kernnetz auf das prägnanteste sichtbar und man sieht jetzt klar, wie sämtliche Fasern desselben gegen das Archo- plasma hin zentriert sind. Zu gleicher Zeit beginnt nun die allmähliche Auf- lösung der Kernmembran und sind nun die Kernelemente lediglich von einem lichten, unregelmäßigen Hofe eingeschlossen. In dem Archoplasma selbst spielen sich bald wichtige Dinge ab; die die beiden auseinanderweichenden Centrosomen verbindende Brücke bildet sich zu einer äußerst zierlichen kleinen Spindel um, die als lichter Körper in dem körnigen, dunkeln Archoplasma gelegen ist. An den beiden Polen finden sich die beiden Centrosomen, Polkörperchen, die durch ungemein feine Fädchen miteinander in Verbindung stehen. Von einer eigentlichen Strahlensonne ist aber auch jetzt noch nichts wahrzunehmen, wenn auch die zu der kleinen Spindelfigar zentrische Verlaufsrichtung sämtlicher Protoplasmastrukturen deut- lich in die Augen fällt. Erst wenn diese kleine Spindel ungefähr zum doppelten oder dreifacheu ihrer ursprünglichen Länge herangewachsen ist, treten Strahlenfiguren deutlich zu Tage. Man sieht dann, und zwar konstant zuerst, von einem der beiden Centrosomen aus ein mächtiges Bündel feinster, ziemlich glattrandiger Fäser- chen ausgehen, die divergent auseinanderstrahlend sich an die Chromatin- schleifen ansetzen, so dass mit den einzelnen chromatischen Element stets eine größere Anzahl von Fäserchen in Verbindung tritt. Hat nun auch das andere Centrosoma sein Strahlenbündel nach den Kernelementen entsendet, so sind dieselben durch einen ganzen Wald feiner Fäserchen mit den beiden Spindelpolen in Verbindung gebracht und zwar will es mir scheinen, als wenn jedes Chromatinelement von beiden Centrosomen her Fasern bezöge. Aller- dings muss ich eingestehen, dass ich diesen doppelten Ansatz von Fasern an die einzelne Chromatinschleife bei der eminenten Feinheit der ganzen Ver- hältnisse nicht direkt habe beobachten können, ich schließe dies aber aus dem Umstande, dass die beiden Strahlensysteme sich unter den verschiedensten Winkeln durchkreuzen und durchflechten. Dadurch nun, dass die Fasern sich nach den Spindelpolen zu kontrahieren, werden die chromatischen Elemente der Spindel genährt werden müssen, und wir bekommen so jene eigentümlichen, schon von Flemming beobachteten karyokinetischen Figuren, wo die Chromatinelemente in einem dicken Knäuel sich an der einen Seite der Spindel angelagert finden. In bekannter Weise werden nun die Chromatinelemente an der Oberfläche der Spindel herumgeschoben und es entsteht so jene für die Spermatocyten des Salamanders so charakteristische Figur der Metakinese, mit der großen bauchigen Spindel und den tonnenförmig angeordneten Chromatinschleifen, 672 Hermann, Karyokinetische Spindelfigur. Damit bin ich mit der Schilderung der thatsächlichen Verhältnisse, wie sie sich aus dem Studium meiner Präparate ergaben, zu Ende gelangt; wir sind im Verlaufe derselben zu ähnlichen Bildern gelangt, wie sie uns durch die bekannten Untersuchungen von vanBeneden undBoveri am Ascaris-Ei, durch v. Kölliker an den sich furchenden Axolotl- Eiern bekannt geworden sind. Ich glaube durch die beobachteten Verhältnisse zu dem Schlusse berechtigt zu sein, dass auch für die Spermatocyten des Salamanders die Herkunft der Spindelfigur eine protoplasmatische ist, obwohl ich allerdings bis jetzt noch nicht in der Lage bin, die Möglichkeit direkt völlig auszuschließen, dass ein gewisser, jedenfalls geringer Teil jener Fasersysteme, welche die Centro- somen mit den chromatischen Kernelementen verknüpfen, sich vielleicht auch von dem achromatischen Gerüstwerk des Kernes ableiten ließe. Jedenfalls, das kann mit aller Sicherheit behauptet werden, hat ein ge- wisser Teil der Spindelfaserung mit dem Kerne absolut nichts zu schaffen, nämlich jener, der sich von der die beiden auseinanderweichenden Centrosomen verbindenden Brücke ableiten lässt. An der ausgebildeten Spindel würde derselbe die Mitte einnehmen, weshalb ich ihn mit den Namen Central- spindel bezeichnen möchte, und würde aus Fasern bestehen, die direkt und kontinuierlich von einem Polkörperchen zum anderen ziehen. Gewisser- maßen als Mantel würde sich über diese Zentralspindel jener Teil der Faser- systeme legen, der zur Herbeiholung der chromatischen Elemente von diesen nach den beiden Centrosomen ausgespannt ist. Diese oberflächlichen Fasern werden nicht kontinuierlich von Pol zu Pol gehen, sondern im Aequator der Spindel durch die chromatischen Elemente unterbrochen sein und demnach nur Spindelhältten darstellen. Durch Kontraktion dieser erfolgt dann die dizen- trische Verschiebung der Chromatinelemente nach beiden Polen hin und ich kann mich dabei des Gedankens nicht erwehren, dass die Zentralspindel dabei jenen Teil der karyomitotischen Spindelfigur darstellt, der mit dem Namen Verbindungsfasern allgemein bezeichnet wird, und von dem ja bekannt ist, dass er sich optisch in gewissem Grade anders verhält wie die übrigen Fasern. Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass ich bis jetzt den er- wähnten Bildungsmodus der Spindel ausschließlich an den heterotypisch sich teilenden Spermatocyten des Salamanders gefunden habe, kann aber nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass auch in der Zwitterdrüse von Helix pomatia‘ mit der ich mich im vorigen Jahre beschäftigte, vielleicht ähnliche Verhältnisse sich finden. Freilich handelt es sich auch hier wieder um Sexualzellen. Halten wir aber an der zuerst von van Beneden ausgesprochenen Vermutung fest, dass die Zentralkörperchen einen allgemein vorkommenden Zellbestandteil darstellen, halten wir daran fest, dass die Beziehungen dieser letzteren zum Akte der - Zellteilung allgemein typisch die gleichen sein werden, so tritt uns die Frage entgegen, wie gestaltet sich der Entstehungsmodus der karyokinetischen Spindel für die gewöhnlichen Gewebezellen?, eine Frage, die freilich nur durch eine langwierige und saure Geduldsarbeit einer endgiltigen Lösung entgegengeführt werden kann. Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Uentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 16 Mark. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xl. Band. 1. Debambe 1891. Wr. 2. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. — Bernard und Bratusehek , Der Nutzen der Schleimhüllen für die Froscheier. — Wer- ner, Biolog. Studien an Reptilien. — Frenzel, Die nukleoläre Kernhalbierung. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. Zweites Stück. So verbreitet im Pflanzenreich oxalsaure Salze sind, so selten ist das Vorkommen freier Oxalsäure. Nur wenige Pflanzenarten sind bisher bekannt geworden, in deren Stoffwechsel sie in reichlichern Mengen wenigstens unter bestimmten Bedingungen entstehen kann. Man hat es dem entsprechend in der Hand je mit der Aenderungen der Bedingungen ihre Entstehung zu fördern oder zu hindern. Ob dies bei allen Arten möglich ist, kann zur Zeit nicht entschieden werden. Aspergillus niger v. Tiegh. ist bei der Kultur auf gewissen Nährlösungen in ganz hervorragendem Grade ein Oxalsäureproduzent, so auf Peptonlösung und auf Salzen organischer Säuren, wobei im erstern Falle die Oxalsäure an Ammoniak, in letzterem an die im Salze vorkommende Basis gebunden ist. Bei Ernährung durch freie organische Säuren tritt die Oxalsäure nicht auf. Dient Ammonium- nitrat als Nährlösung, dann tritt die Oxalsäure ausschließlich oder vorwiegend in freiem Zustande auf und wird auch als solche ange- sammelt. Verfolgen wir bei mittlerer Temperatur (15°—20°) das Wachstum soleher Kulturen, in denen Ammoniumnitrat die Stickstoffquelle ist, dann lehrt die in verschiedenen Zeitpunkten ausgeführte Säurebe- stimmung, dass mit dem Wachstum der Pilzdecke ihre Menge zunächst zunimmt. Ist ein gewisses Maximum erreicht, dann nimmt der Oxal- säuregehalt wieder ab. Schließlich verschwindet die Säure gänzlich. Die freie Säure ist also nur vorübergehend vorhanden. Der sie produzierende Pilz zerstört sie später wieder. XI, 43 674 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Das Ansammeln freier Säure wirkt auf das Wachstum nachteilig. Ihr Auftreten muss also als ein für den Stofiwechsel ungünstiges Moment erklärt werden. Eine Begünstigung des Stoffwechsels d.h. ein regerer Verlauf kann auf chemischem Wege erzielt werden, indem Ernährungsbedingungen geschaffen werden, durch welche die ent- stehende Oxalsäure sofort zerstört, deren Anhäufung also verhütet wird. Die Frage, ob die gleiche Wirkung durch äußere Bedingungen wie z. B. durch Temperaturerhöhung herbeigeführt werden kann, hat Wehmer zum Gegenstande experimenteller Untersuchungen gemacht, über deren Ergebnisse er in der früher schon zitierten Abhandlung Einfluss der Temperatur auf die Entstehung freier Oxal- säure berichtet. Unter Temperaturen, welche dem Wachstumsoptimum (34—35° C) des Aspergillus niger entsprechen, wurden verschiedene Kulturen des Pilzes gezogen. Als Nährflüssigkeit diente Zuckerlösung und Ammonium- nitrat als Stickstoffquelle. Der Vergleich mit Kulturen in Zimmer- temperatur lässt bedeutende Verschiedenheiten erkennen, indem dort schon 2 Tage nach der Aussaat eine üppig wachsende Decke mit beginnender Sporenbildung vorhanden ist, die nach 5—8 Tagen völlig ausgewachsen ist. Das Wachstum gleicht jenem bei 15°—20°, wobei die vom Pilze produzierte freie Oxalsäure durch Natriumphosphat entzogen wird. Es deutet also wohl dasselbe darauf hin, dass hier eine Ansammlung der freien Säure nicht statthatte. Die chemischen Reaktionen bestätigen die Vermutung. Sie fehlt nicht völlig, sie ist aber nur in Form ihrer Salze vorhanden. Meist wird eine geringe Menge von oxalsaurem Kalke nachgewiesen, dessen Menge mit dem Alter der Pilzdecke sich zu steigern pflegt und die auch bei reicher Ernährung etwas größer wird. Wird Kaliumnitrat als Stickstoffquelle benutzt, dann unterbleibt die Ansammlung der freien Säure ebenfalls. In etwas reicherer Menge als im vorigen Falle tritt aber das Oxalat auf. Dass die Säure als freie Säure entsteht, einmal vorübergehend vorhanden ist, also unter dem Einfluss der höhern Temperatur der Kultur wieder zerstört wird, beweist der Umstand, dass wenn der Kultur Kalkkarbonat zugesetzt wird, eine Ansammlung von Caleiumoxalat erfolgt, indem die Säure durch die Basis des kohlensauren Salzes gebunden wird. Dass höhere Temperatur schnelle Säurezersetzung bewirkt, geht auch daraus hervor, dass der auf einer Zuckerlösung vegetierende Pilz unter bestimmten Bedingungen zugesetzte freie Oxalsäure bei höherer Temperatur viel schneller zersetzt als bei niederer. Unter analogen Bedingungen werden lösliche oxalsaure Salze nicht oder nicht merklich angegriffen. Sie wirken vielmehr gleich den kohlensauren Salzen d.h. sie binden einen Teil der sich bildenden Säure, wobei ein saures oxalsaures Salz entsteht. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 675 Die darauf fußende Vermutung, „dass da, wo durch die Qualität der Nahrung die Entstehung oxalsaurer Salze vorgezeichnet ist, auch die abgeänderten Wachstumsbedingungen keinen wesentlichen Einfluss haben und jene eine weitere Zersetzung nicht oder nur spurweise erleiden“, bestätigt das Experiment nicht. Die Natur des organischen Nährstoffes ist vielmehr sehr wesentlich. Bei Anwendung von Pepton, sammelt sich in der Nährlösung reichlich oxalsaures Ammoniak an, das in ältern Kulturen zunimmt, während das Pilzgewicht sinkt. Wird dagegen weinsaures Ammoniak als Nährlösung benutzt, dann entstehen nur zarte, ungemein langsam wachsende Anfänge einer Pilz- decke; die Sporenbildung, die bei gewöhnlicher Temperatur rasch eintritt, unterbleibt jetzt ganz. Nach kurzer Zeit stirbt das gebildete Mycelium ab. Es entsteht Ammoniumkarbonat, dessen Ansammlung die Lebensfähigkeit des Pilzes unmöglich macht. Die Versuche Wehmer’s ergeben also, dass in der That die Ansammlung freier Oxalsäure durch Temperaturerhöhung ausgeschlossen werden kann infolge einer schnellen Zerstörung der sich bildenden Säure. Ueber die Zersetzung der Oxalsäure durch Licht- und Stoffwechselwirkung äußert sich Wehmer loe. eit. in folgender Weise. Die Beobachtung, dass verdünnte Oxalsäurelösung am Lichte allmählich sich zersetzt, wobei gleichzeitig Pilzflocken aufzutreten pflegen, hat zu der Ansicht geführt, dass diese an der Säurezerstörung einen hervorragenden Anteil haben. Auf Grund exakter Experimente den Einfluss des Lichtes, sowie des Stoffwechsels zu prüfen, hat Wehmer sich zur Aufgabe gestellt. In einer gleichen Zahl von sterilisierten Versuchsgefäßen mit Wattenverschluss wurde Oxalsäure einer bestimmten Konzentration (0,792°/,) während 7?1/,Monaten In voller Dunkelheit und am Lichte aufbewahrt. Das Ergebnis war, dass bei ersteren eine Oxalsäureabnahme nicht erfolgte, während bei letz- tern eine Verminderung durchschnittlich auf '/, des ursprünglichen Gehaltes erfolgte, zum Teil alle Oxalsäure zerstört wurde. Dasselbe geschah in Gefäßen ohne Wattenverschluss. Sie zeigten am Ende des Versuchs vereinzelte Pilzfloeken. Die belichtete Säure war wieder in ähnlicher Weise wie in der vorigen Versuchsreihe zersetzt. In der verdunkelten hatte wieder keine Zersetzung stattgefunden. Bei stärkerer Konzentration (3—4°/,) war nach derselben Belichtungs- dauer eine totale Zerstörung eingetreten. Diese und andere Versuche des Verfassers scheinen darauf hinzuweisen, dass die konzentrierten Lösungen eine schnellere Abnahme erfahren als die verdünnten, viel- leicht infolge der Anwesenheit anderer Salze. Die Versuchsreihe, die in Hinsicht auf den Einfluss der Nähr- lösung ausgeführt wurde, ergab ebenfalls, wie nachfolgende Tabelle zeigt, dass im Dunkeln eine Zersetzung nicht erfolgt oder jedenfalls nur in kaum nennenswertem Maße. 43 * 076 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Ange- Berechnet | Gefunden | | Zucker- | : \ wandte an oxal- in VS | gehalt der | ı, a Oxalsäure- saurem Caleium- | Differenz in Nähr- | Volumen Menge | Kalk | oxalat ı lösung | agent. 0 an Be er cr E | N 5 | rer | | 40 15 we ]1,730 5 He ee 50 60 1,59" PN TS NRLIEGH — 0,065 10 50 60 1,0% 171,15970)071,13000) 0,029 10 50 40 1,50 011,730 | 1,694 ı— 0,036 | 1) 50 In gleichem Sinne entscheidet der Versuch die Frage des Ein- flusses abgestorbener organischer Massen, toter Teile der Pilzdecke ete. Die Wirkung lebender Zellen ist nieht immer die gleiche. Sie wird vielmehr in sehr bedeutendem Maße von den näheren Umständen, namentlich von den Prozentgehalt der Säurelösung bestimmt. Ist sie nahe 1°/,, dann üben die Organismen keine zerstörende Einwirkung aus, wohl deshalb, weil sie durch die Säure geschädigt werden. Anders wenn der Säuregehalt unter 1°/, liegt. Die Hyphen von Aspergillus und Penicillium veranlassen nunmehr eine Zerstörung der Säure, die durch günstige Temperaturen und Nährlösungen sehr be- fördert wird. Bei der Zimmertemperatur wurden die 2 g der Säure, die der Zuckernährlösung zugesetzt waren, in drei Fällen bei der Verdunkelung in 113 Tagen zerstört. Eine Temperatursteigerung von 15° auf 35° bewirkt das Verschwinden der Säure bereits nach 19 Tagen. Auf Oxalate war die Wirkung anderer Art. Die Wirkung des Lichtes auf 3°/, Kaliumoxalatlösungen war so, dass die Abnahme der Säure bei Gegenwart von Nährsalzen nach Smonatiger Versuchs- dauer kaum eine nennenswerte war. Ist aber ein guter Nährstoff vorhanden, dann erfolgt bei Aspergillus nicht nur keine Zerstörung von Kaliumoxalat, sondern die Säure wird noch vermehrt. Penieillium dagegen zersetzt das Salz schnell. Dieses verschiedene Verhalten kann modifiziert werden durch Abänderung in der Zusammensetzung der Nährlösung. Aspergillus hat auch die Fähigkeit das Kaliumoxalat zu zerstören, wenn nur die Bedingungen so gewählt werden, dass durch den Stickstoffverbrauch eine Mineralsäure frei wird. — Inwieweit Uebereinstimmung zwischen Lieht- und Stoffwechsel- wirkung auf freie Oxalsäure in den Einzelheiten besteht, ist zur Zeit nicht möglich zu sagen. „Möglicherweise handelt es sich in beiden Fällen um eine Sauerstoffübertragung, obschon eine Zerspaltung nicht ausgeschlossen ist“. Eine einlässliche an neuen Ergebnissen reiche Studie ist C. Weh- mer’s Arbeit über die „Entstehung und physiologische Be- deutung der Oxalsäure im Stoffwechsel einiger Pilze“). 1) Botanische Zeitung, 49. Jahrg., Nr. 15—38. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. RR Verf. beabsichtigt in dieser Arbeit die Prozesse wie die Be- dingungen, unter denen Oxalsäure entsteht, zu untersuchen, um daraus einen Schluss auf ihre Stellung im Stoffwechsel abzuleiten. Freie Oxalsäure ist auch für die Pilze, die sich gegen schädigende Einflüsse des Substrates im allgemeinen sehr widerstandsfähig zeigen, ein Gift, wenn die Konzentration einmal eine bestimmte Grenze (1°/,) überschritten hat. Bei geringerer Konzentration wird sie, wie wir aus früher erwähnten Arbeiten des Verf. bereits wissen, in merk- licher Weise vom Pilze zerstört. Den Einfluss des Lichtes auf die Säure haben wir ebenfalls nach Verf. zitierter Arbeit kennen gelernt. Verschwindet also die Oxalsäure, so ist das stets entweder Wirkung des Lichtes oder des Stoffwechsels. Welcher Einfluss auf ihre Entstehung kommt nun den Substrate zu? Die Vergleichung zahlreicher Kohlenstoffverbindungen lehrt, dass deren chemische Qualität von geringer Bedeutung ist, denn einzelnen Pilzen kommt die Fähigkeit zu aus fast allen Oxalsäure aufzuspeichern, während wieder andere Arten je nur aus bestimmten Verbindungen dieselbe bilden. Die Abänderungen der Stickstoffnahrung zeigte aber vor allem, dass es Fälle geben kann, wo keine Art Oxalsäure zu bilden vermag, wogegen wieder unter andern Verhältnissen jeder ein Oxalsäurebildner ist. „Die Säureentstehung in den Kulturflüssig- keiten erwies sich demnach weniger abhängig von Nahrung oder Species als vielmehr von gewissen — für das Wachstum sonst neben- sächlichen — Bedingungen, die zu gutem Teil auf die chemische Zu- sammensetzung zurückzuführen waren“. Für Aspergillus niger wurden folgende Ergebnisse unter ver- schiedenen Kulturbedingungen erzielt. Er ist stets ein Oxalsäure- produzent, es wäre denn, dass freie Oxalsäure als Substrat geboten wird. Aus Kohlehydraten (Dextrose, Rohrzucker, Milchzucker, Stärke, Dextrose + Weinsäure) wird freie Oxalsäure ausgeschieden; ebenso in Kulturen, deren Substrat Olivenöl, Glyzerin, Asparagin ist. Sind Eiweißstoffe (Pepton, Pepton 4 Dextrose, Gelatine) oder Salze orga- nischer Säuren (Kalinm-, Natrium-, Ammoniumsalze der Essigsäure, Milchsäure, Aepfelsäure, Weinsäure, Zitronensäure und Chinasäure) das Substrat, dann tritt Oxalsäure in gebundenem Zustande auf. Warum tritt nun beim Konsum organischer Stoffe Ansammlung der Oxalsäure ein, während sie bei den freien Säuren nicht beobachtet wird? Ein Unterschied dieser beiden Fälle liegt nun offenbar nur darin, dass der Konsum der Weinsäure etc. aus ihren Salzen not- wendig zur Abgabe freier Basen führt. Also werden diese wohl auch als Ursache der Oxalsäureansammlung zu betrachten sein. In der That entsteht sie ja in Form der Verbindung mit einer Basis, als Salz. Ein Bild über das Verhalten verschiedener Nährlösungen zur Entwicklung des Pilzes einerseits und zur Oxalsäurebildung ander- seits gibt folgende Zusammenstellung. Die Zahlen geben die Gewichte 678 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie, des in annähernd gleicher Zeit von Aspergillus niger aus 1,5 g der verschiedenen Kohlenstoffverbindungen unter übrigens gleichen Be- dingungen erzeugten Oxalsäure (als Caleiumoxalat gefällt) und der Trockengewichte der Pilzsubstanz wieder. Oxalat Pilzgewicht Dextrosehtiv. 2a EIN NEO ZTITEN 0102200 Glyzermat en. EN EN EAN ADZANEEL FORUR NO ATS Olivenolid ar REIN TE ET RROFOSLUN,, WeEnBsateta IA IETRO und OD, Chinasanıee Serra. 9 2800 EEEIN DZBOR, Aittonensaure wer. 9.0.00 ARENA Milchsaurer naaa aree eo ER ALNENNOZ2EN, Weinsaures Ammonium . . . 0,7167 „ . ... 0,030 „ Wemsaures Kalum % FRI EHEN EN IE Zitronensaures Ammonium . . 0,390 „ . . . 0,056 „ Apfelsaures Ammonium . . . 0,267 . . . . 0,027 „ Peoptont nei 2 IEENENTODEDA TE RINGE Der Stiekstoffquelle kommt bei Aspergillus folgende Bedeutung für die Oxalsäurebildung zu. Es ist für ihre Entstehung gleichgiltig, ob der Pilz den Stickstoff aus salpetersaurem und phosphorsaurem Ammonium, aus salpetersaurem Kalk, Kali oder Natron entnimmt. Wird aber statt dieser Verbindungen schwefelsaures oder oxalsaures Ammonium angewandt, dann tritt nie eine Spur von Säurebildung ein. Bei der Verarbeitung der genannten Nitrate wird eine Basis frei, welche die im Stoffwechsel allfällig entstehende Oxalsäure bin- det, während der Verbrauch des Ammoniums aus den letztgenannten Verbindnngen eine Mineralsäure frei werden lässt. Dass ein gleiches bei Ammoniumoxalat nicht eintritt, wo ja auch eine Säureausscheidung und nicht das Freiwerden einer Basis eintritt, hat darin seinen Grund, „dass derartige Salze in Kulturflüssigkeiten bindend auf etwa gege- bene Oxalsäure wirken“. Die Menge der in Kulturflüssigkeiten auftretenden Oxalate hängt von der Menge der freiwerdenden Basen ab. So kann bei Darbietung freier organischer Säure ein Oxalat natürlich sich nieht bilden, trotz- dem die Möglichkeit der Entstehung der Oxalsäure, wie wir aus dem Verhalten der Salze erkennen, nicht ausgeschlossen ist. Bei diesen führt die ausgeschiedene Basis wie erwähnt die Anhäufung der Oxalate herbei. Durch Rechnung lässt sich zeigen, dass in gewissen Fällen die Gesamtmenge der Basis in oxalsaures Salz übergeht, so dass das Gewicht der gebildeten Oxalsäure das der Pilzsubstanz oft um das 10—20 fache übertrifft. Aspergillus bildete z. B. aus 1,5 g der verschiedenen Salze (in 50 ee Ammoniumnitratnährlösung): Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 679 Pilzgewicht Oxalat Dauer Essigsaures Natrium . . 0,040 g 0,790 & 43 Tage n u I AN ONU22 0,954 „ 162.7 ;; Weinsaures Kalium . . . 0,032 „ 0.5505 46 » n N 0,496 „ IA Apfelsaures Ammonium . 0,027 „ 0,267, SUFR, Weinsaures Ammonium . 0,030 „ 06207 5; San, . n 7.0.0407, 0,525 „ U Vlpening+ c ” 2 0048, Drar IR Zitronensaures Ammonium 0,056 „ 0,390 „ SHTF, Besonders instruktiv geht die Beziehung der Menge des ge- bildeten Oxalates zur Menge der freiwerdenden Basis aus folgendem Versuche hervor. Aspergillus bildete in 107 Tagen aus 20 g wein- saurem Ammonium (200 ee Ammoniumnitratnährlösung) 15,456 g Oxalat. Die Berechnung ergibt, dass aus der Gesamtmenge weinsaurem Am- moniums bei totaler Sättigung der Basis durch Oxalsäure 15,87 g oxal- saurer Kalk erhalten werden. Der Versuch beweist also, dass die Menge der freiwerdenden Basis die der angesammelten Oxalsäure bestimmt. Das Verhalten von Aspergillus niger ist nun allerdings nicht allen Pilzen eigen. In zahlreichen der erwähnten Versuche waren die Kultur- flüssigkeiten, in denen z. B. Penieillium, Peziza, Mucor, Aspergillus glaucus gezüchtet wurden, völlig frei von Oxalsäure oder sie war doch nur in Spuren vorhanden. Wird hier die Säure überhaupt nicht gebildet oder wird ihr Nach- weis infolge raschen Zerfalls unmöglich ? Um diese Frage zu entscheiden mussten die Bedingungen so ge- wählt werden, dass die allenfalls entstehende Säure als unlösliches Salz gebunden wurde. Dies brachte es mit sich, dass die Wirkung von Kalksalzen auf die Säurebildung untersucht wurde. Um möglichst günstige Bedingungen der Säurebindung zu schaffen, wurde je das zur Anwendung kommende Kalksalz in starkem Ueber- schusse angewandt. Die Gegenwart des kohlensauren Kalkes führt bei A. niger zu einer außerordentlichen Steigerung der Säureansammlung. Aber auch bei Penieillium glaucum wurde in bald reichern, bald geringern Mengen je nach der Nährlösung ihre Gegenwart nachgewiesen. In den Kul- turen von Mucor, von Peziza, von Aspergillus glaucus fand ebenfalls eine Oxalatansammlung statt. Dem Caleiumkarbonat ähnlich wirkt der phosphorsaure Kalk. Auch hier konnte fast in allen Fällen die Entstehung der Oxalsäure nachgewiesen werden, so namentlich auch in den Zuekerkulturen mit Salmiak und Ammoniumsulfat. In den Penieillium-Kulturen auf Stärkekleister, auf Glyzerin und Alkohol wurde ebenfalls bei Gegenwart von Caleiumphosphat Oxalsäure ge- 80 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. bunden. Uebereinstimmend sind die Versuche mit den übrigen oben- genannten Pilzen. Es ist also zweifellos ein Fehlen von Oxalsäure wenigstens oft- mals nieht auf die mangelnde Entstehung zurückzuführen, sondern vielmehr auf eine sofortige Zerstörung derselben. Ist Caleiumnitrat, Caleiumchlorid oder Caleiumsulfat im Ueber- schusse vorhanden, dann wird die Oxalatanhäufung nicht begünstigt, sondern vielmehr direkt herabgesetzt. Denn in kalkfreien Kulturen wird alsdann unter den gleichen Bedingungen mehr Oxalsäure zu den verschiedenen Zeiten gefunden als in den Kulturen, die die genannten Salze enthalten. Es werden also durchaus nicht alle Kalksalze von der sich bilden- den Säure zersetzt. Es genügt demnach die Gegenwart eines Kalk- salzes nicht ohne weiteres um die Entstehung eines Oxalates zu ver- anlassen. Es hat das darin seinen Grund, dass in diesen Fällen die chemischen Reaktionen soleher Art sind, dass nicht nur keine Basen frei werden, vielmehr unter Umständen freie Mineralsäure entstehen. Dadurch wird natürlich eine schnellere Zerstörung der entstehenden Oxalsäure bedingt. — ‘ Schon früher wurde darauf hingewiesen, dass nach des Verfassers Ansicht in gewissen Kulturen freie Oxalsäure auftritt. Er stellt sich damit in Gegensatz zu der gewöhnlichen Ansicht. Wir wollen des- halb ohne allzusehr auf Einzelheiten einzutreten der Argumentation des Verf. nach einige Aufmerksamkeit schenken. „Aus irgend einem, doch sicher wenig zutreffenden Grunde, schreibt Wehmer, glaubt man mehrfach die Entstehung freier Säuren insbesondere aber der Oxalsäure bei den Pilzen verneinen zu dürfen. .... Erwägen wir jedoch, dass im Lebensprozess sowohl der Bakterien wie der höhern Pflanzen, Säuren verschiedener Qualität in ganz erheblichen Mengen auftreten können, so ist ein Grund schwer einzusehen, warum ähn- liches nicht auch in gewissen Fällen von der Oxalsäure gelten sollte, die doch notorisch fast allgemeine Verbreitung besitzt und keines- wegs durch eine besondere Kluft von den andern organischen Säuren wie Milchsäure, Apfelsäure, Bernsteinsäure ete. getrennt ist“. So ist es a priori nicht unwahrscheinlich, dass auch die Oxalsäure zunächst in freiem Zustande gegeben ist, dass ihre Bindung an eine Basis erst einen sekundären Vorgang vorstellt. Ihre Giftigkeit steht dem nicht entgegen. Denn über ihre schädigende Wirkung entscheidet, wie schon früher betont wurde, der Grad der Konzentration. Als direkter Beweis für die Entstehung freier Säure muss folgende Beobachtung beansprucht werden: Bei der Kultur von Aspergillus auf der Ammonium- nitratnährlösung mit Zusatz von 5%, kohlensaurem Kalk geht die Bilduug von Caleiumoxalat mit Gasblasenentwicklung vor sich. Nur die freie Oxalsäure kann aber aus dem Karbonat die Kohlensäure ausscheiden. In der kalkfreien Nährlösung verschwindet die ent- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 681 standene Oxalsäure nach einiger Zeit wieder vollständig, „eine Wirkung, die Aspergillus unter jenen Bedingungen nicht auf oxalsaure Salze auszuüben vermag“. Die allseitige Prüfung des Zustandes der angesammelten Oxal- säure ergab nun für die verschiedenen Arten folgende Ergebnisse: Aspergillus niger sammelt fast in jeder Nährflüssigkeit reich- lich Oxalsäure an. Bald ist dieselbe vollständig als Oxalat vorhanden, bald auch nur teilweise. Es hängt dies von der Menge der vorhan- denen Basis ab. Die freie Säure wird nach kürzerer oder längerer Zeit wieder zerstört; die gebundene bleibt in der Kulturflüssigkeit. Penicillium, Mucor, Peziza sowie Aspergillus glaucus pflegen nur in Nährlösungen Oxalsäure anzusammeln, die eine Bindung derselben bewirken. Nur selten tritt hier freie Säure und stets nur in äußerst geringen Mengen auf. Das gebildete lösliche Oxalat pflegt meist weiter gehenden Veränderungen zu unterliegen. Die Zeit beeinflusst die Ansammlung der Oxalsäure je nach den Bedingungen in sehr ungleicher Weise. In den einen Fällen beobachten wir eine dauernde Zunahme. Die ältesten Kulturen sind also gleich- zeitig die an Oxalsäure reichsten. Dies gilt für Kultur auf Pepton, organischen Salzen und jenen Zuckerlösungen, in denen durch Ein- griffe eine Festlegung der entstehenden Säure erfolgt. z. B. NH,NO,-Nährlösung. 50 ce. 10°), Zucker. 5°), CaCO,. Kulturdauer. Oxalat. Pilzgewicht. 17 Tage 0,082 g& 0,037 g 307, 0,955 0,032 „ AD 1.520 , 0,1058, ee 1,870 „ 0,362 „ 1 a 3,122 , 0,350 „ In Fällen, wo ein gewisser Teil der Säure frei auftritt, bringt die längere Dauer der Kultur eine erhebliche Abnahme des Säure- gehaltes mit. KNO,-Nährlösung. 50 ee. 3°/, Zucker. Kulturdauer. Oxalat Pilzgewicht. 11 Tage 0,351 g 0,195 g 2; 0,255 „ 0,148 „ Dlkrrtd, 0,426 „ 0,380 „, Diez, 0,340 „ 0,348 „ Horyel. 0,375 „ 0,278 „ Bl 0,348 „ 0,348 „ rs, 0,490 „ 0,305 „ 142 , 0,250 „ 0,310 , 1709.08 0,250 „ 0,290 „ H82 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. In Nährlösungen mit Ammoniumnitrat sind je die ältesten Kulturen die säureärmsten, wenn nicht auf irgend einem besonderem Wege eine Bindung erfolgt. z. B. NH,NO,-Nährlösung. 50 ec. 10°/, Zucker. Kulturdauer. Oxalat. Pilzgewicht. 17 Tage 0,1718 0,620 g Stan; 0,220 „ 0,820 „ 42. (5% 0,462 „ Maximum 0,690 „ HAsna 0,263 „ 0293 N 0,100 „ Minimum 0,760 „ Inbezug auf den Einfluss des Lichtes auf die Entstehung und Zer- setzung der Oxalsäure in wachsenden Kulturen verweisen wir auf eine frühere Stelle unseres Referates. — Dem Vorhandensein von Eisensalzen in den Nährlösungen kommt ein gewisser Einfluss auf die sich ansammelnde Oxalatmenge zu, sofern die Kulturen unter der Einwirkung des Lichtes stehen. Die Anhäufung der Oxalsäure wird verringert, selbst völlig aufgehoben. 50 ce NH,NO,-Nährlösung mit 3%/, Dextrose an Lichtkulturen ohne Zusatz mit Zusatz von Eisensalz Pilzgewicht Oxalat Kulturdauer | Pilzgewichtt Oxalat Kulturdauer — _— = ı 0,302 g 0,0857 & 18 Tage 0,395 €: . 0255 g 18 Tage | 0,370 „ Spur 1864; 0240.06,0.280 02a 0302 4 0,0 NE 0,352. 9.6,0,316: 00 RR 0,282 „ N) GTsha 099842.2730,020. 7 RO 0,320 „ N) Ogae, Dem Abschnitte über die Beziehung zwischen Zucker und der entstehenden Oxalsäuremenge entnehmen wir folgende Ergebnisse. Eine Steigerung des Zuckergehaltes auf die 3fache Menge hatte in einer Ammoniumnitrat-Minerallösung keinen Einfluss auf die Oxal- säurebildung. In KNO,-Nährlösung besteht eine Proportionalität auch nicht zwischen konsumiertem Zueker und produzierter Säure. Eine Steigerung des Zuckers auf das 3fache und 10fache hat eine Ver- doppelung bezw. Verdreifachung des Pilzgewichtes, dagegen nur eine annähernde Verdoppelung der Säureansammlung zur Folge. Wird dagegen auch das Volumen der Nährlösung verdoppelt, dann findet eine Begünstigung von Wachstums und Säurebildung statt. Die Volumina erweisen sich also von Einfluss auf die Menge der ange- sammelten Säure. Einen Einblick in den Einfluss der Qualität der Stiekstoffverbin- dungen auf die Menge der in Zuckerkulturen angetroffenen Säure ge- währt uns noch folgende tabellarische Zusammenstellung. Es sind die Kulturresultate von Aspergillus auf 50 ec einer 3°/, Zuckerlösung mit 1°/, der verschiedenen Stiekstoffverbindungen. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 689 Stiekstoffverbindungen Alter der Kultur Oxalat Pilzgewicht Ca(NO,), 16 Tage 0,117 g 0,238 g 36 5 0,190 „ 0,178 „ KNO, 1003, 0,3514, 0,198 „ 364, 0,340 „ 0,348 „ NH,NO, 1 0,070.% 0,120 „ BR 0% 0,273, , 0,225 „ (NH,),HPO, iora 0,538 „ 0,348 „ DOHMN.,; 0,650 „ 0,300 „ (NH,050, a0 1,088 „ 0,310 „ NH,C 160% 0,850 „ 0.3723 DASINR: 0 0,418 „ (NH,)SO, Son: M; 0 0425 IGuyl, 0 0,440 „ Pepton (3°/,) 36. 0 0,436 „ DR E 0,580 „ 0,695 „, NaNO, San, 0,488 „ 0183 % Die schon früher erwähnte Thatsache, dass ein Freiwerden von Basen eine Säureansammlung hervorruft, prüft Verf. noch in anderer Weise, als wie wir oben zeigten. Spielt wirklich die Basis die ihr zugeschriebene Rolle bei der Anhäufung des Oxalates, dann ist zu erwarten, „dass experimentelle Eingriffe eine Aenderung des Resultates erzielen werden, vorausgesetzt, dass diese der Art sind, dass sie die Entstehung von Basen im Stoffiumsatz von vornherein ausschließen“. In der That bewirkte der Zusatz von HCl und H,PO, in Mengen, die der Pilzentwieklung nicht hinderlich waren, zu Pepton und Ammonium- nitratnährlösung und ebenso zu Zuckerlösung mit Kalium- und Natrium- nitrat bei Aspergillus wie bei Penicillium, dass auch nach Wochen jede Spur von Oxalsäure in der Kulturflüssigkeit fehlte. „Es ergibt sich also, dass sofern wir die Möglichkeit des Entstehens freier Basen im Stoffwechsel ausschließen, auch ein oxalsaures Salz nicht ge- bildet wird“. Umgekehrt wirkt der Zusatz alkalisch reagierender Salze (sekun- däre und tertiäre Alkaliphosphate). Sie entziehen dem Stoffwechsel Oxalsäure und häufen sie in der Kulturflüssigkeit an. Die Wirkung ist so entschieden, „dass auch die Hervorrufung einer Oxalsäure- anhäufung bei Peniecillium mit Leichtigkeit gelingt“. Aus den bisherigen Darlegungen folgt, dass die Oxalsäure ein sehr allgemeines Stoffwechselprodukt der Pilze ist und dass ihre Ent- stehung nicht sowohl durch die chemische Natur der Kohlenstoff- und Stiekstoffnahrung bedingt ist, vielmehr ausschließlich die Bedingungen, unter denen sich der Stoffumsatz vollzieht, maßgebend sind. Sie wird gebildet und wieder zerstört, und es weist so ihr Vorhandensein in einer Kulturflüssigkeit auf das Ausbleiben der Zersetzung, ihr Fehlen 654 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. auf ihren raschen Zerfall hin. Da eine Säureansammlung ganz all- gemein möglich ist, „so stellt sich hiernach die Säure — gleich- bedeutend ob sie in reale Erscheinung tritt oder nicht als ein wesent- liches Glied im Umsatze dar“. So entsteht die Frage, auf Kosten welcher anderen Erzeugnisse ihre Bindung und Ansammlung erfolst, mit anderen Worten, in welche Prozesse unter anderen Umständen das Säuremolekül eingreift. Durch ihre Anhäufung wird andern Lebens- vorgängen, den plastischen oder den respiratorischen, Kohlenstoff ent- zogen. Die Beobachtungen an den Aspergillus- Kulturen lehren, dass eine nachweisbare Beeinträchtigung der Stoffbildung auch dann nicht eintritt, wenn die Versuchsbedingungen eine reichliche Festlegung der Oxalsäure mit sich bringen. Dies wird uns bestimmen auf eine Be- ziehung zur Kohlensäureabgabe, die eine Folge der Oxydation der sich bildenden Oxalsäure ist, zu schließen. Die Festlegung zieht also eine Verminderung der Kohlensäureabgabe nach sich. „Zur Illustration sind diejenigen Versuche, in denen die Bindung durch Natriumphosphat oder Caleiumkarbonat herbeigeführt wurde; und wo der Pilz aus 1,5g Zucker eine Säurequantität bildete, die 1,680 bis 2,033 g oxalsaurem Kalk entsprach, sehr geeignet. Lassen wir den Umstand, dass unsere Zahlen um ein geringes zu niedrig ausgefallen sein dürften, unberücksichtigt, so entsprechen die beiden höchsten derselben (1,930 g und 2,033 g Oxalat) —= 1,190 resp. 1,253 g wasserfreier Oxalsäure, und diese Menge wurde demnach aus 1,5 g Zucker gebildet. Theore- tisch vermögen bei glatter Oxydation 1,5 g Zucker 225 g Säure zu liefern, und für 1,253 g dieses ist hiernach wenigstens der Kohlen- stoff von 0,3318 g Zucker notwendig, so dass noch 0,6682 g Zucker für andere Zwecke übrig bleiben. Aus diesem produzierte Aspergillus 0,290 g (also nahezu die Hälfte) an trockener Pilzsubstanz — im übrigen annähernd die gleiche Menge, wie sie aus 1,5 g Zucker in Versuchen, wo keine oder nur Spuren der Säure auftraten, gebildet wurde. Da die Pilzmasse kohlenstoffreicher als Zucker ist, . . . so ist für die Produktion von 0,290 & offenbar eine größere Zuckermenge notwendig, und es kann demnach für eine Kohlensäureentbindung auch im günstigsten Falle nur noch ein geringer Rest verbleiben. Nehmen wir nun einmal an, dass unter andern Umständen die festgelegte Oxalsäurequantität total oxydiert wäre, so hätte das nach Rechnung 1,16356 g Kohlensäure — 629,63 ee Kohlensäure liefern können, und dies wäre also das Plus, welches dann auftreten müsste, wenn eine Oxalsäureansammlung unterdrückt wird“. Eine offene Frage ist, ob vielleicht die Gesamtmenge der durch die Atmung zur Ausscheidung kommenden Kohlensäure auf den Zerfall der Oxalsäure zurückzuführen ist oder ob die Kohlensäure neben den Oxalsäuregruppen aus irgend welchen andern Verbindungen abge- spalten werden könnte, „so dass die Säure etwa als ein Nebenprodukt der Atmung oder als das Ergebnis eines eng neben dieser einher- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 685 gehenden Stoffwechsels anzusehen, dessen Zerfall aber bei der ge- gebenen Sachlage unbedingt für diesen mit in Anschlag zu bringen ist“, — Die Frage nach einer allfälligen Bedeutung der Oxalsäure für den Stoffbildungsprozess wird, wie schon angedeutet, durch die Er- gebnisse der Aspergillus-Kultur entschieden. Sie zeigen, „dass bei Zuckernahrung die Ausschaltung der gegebenen Oxalsäure aus dem Stoffwechsel selbst in relativ bedeutenden Mengen auf das Wachstum desselben (des Aspergillus) nicht von nachweisbaren Einfluss ist“. Auch der Wärmeverlust infolge der bei der Säureansammlung ausbleibenden Oxydation kann nicht von Bedeutung sein, denn die Verbrennungswärme der Oxalsäure ist eine relativ geringe. Nur scheinbar anderer Art sind die Ergebnisse der Kulturen auf weniger günstigem Substrate, auf organischen Säuren. Auf den freien Säuren, wo keine Oxalsäure angesammelt wird, ist nach gleicher Kulturdauer das Pilzgewicht durchschnittlich etwa 4mal größer als auf den Salzen der betreffenden Säuren, wo es zur Festlegung von Oxalsäure kommt. Doch weisen gewisse Beobachtungen darauf hin, dass diese Differenz des Wachstums nicht auf die Oxalsäurebindung zurückgeführt werden darf. Nach 101 Tage entstand aus 1,5 g milch- saurem Kalium 0,1 g Pilzgewicht. Oxalatbildung fehlte. Im gleichen Zeitraum entstand aus gleicher Menge Milchsäure 0,26 g Pilzsubstanz, wobei wieder keine Oxalatansammlung erfolgte. Diese Beobachtung beweist die allgemeine Minderwertigkeit der Salze im Vergleiche zu den freien organischen Säuren. Von verschiedenen Autoren wurde eine Bedeutung der Oxalsäure für die Pflanze darin gesucht, dass ihr die Fähigkeit zukommt Salze anderer Säuren zu zersetzen. Nun vermissen wir bei Pilzen Oxal- säure oder Oxalate oft als wirkliche Stoffwechselprodukte und doch werden Salze von Mineralsäuren zersetzt. Die Mithilfe der Oxalsäure ist also in diesen Fällen nicht nötig. In anderen Fällen wieder muss die Zersetzung eines Salzes der Entstehung der Säure vorangehen und wieder in andern existiert das Salz neben der freien Oxalsäure und diese verschwindet nach einiger Zeit ohne zu einer Zersetzung des Salzes geführt zu haben. Ein unbedingtes Erfordernis für eine Salzzersetzung ist also die Gegenwart der Oxalsäure nicht. Eine Bedeutung kann ihr in bestimmten Fällen dadurch zukommen, dass sie im Stoffwechsel freiwerdende Basen neutralisiert, was ja unter Umständen für die Existenz des Organismus nicht ohne Bedeutung sein kann. Im weitern kann die Oxalsäure zu einer wirksamen Waffe in der Konkurrenz verschiedener Arten werden. Selbst niedere Konzentra- tionen der Säure sind für viele Organismen ein heftiges Gift, das der Entwieklung bestimmter Arten hinderlich sein kann. In unreinen Aspergillus-Kulturen, wo neben A. niger Bakterien, Mucor, Penieillium, 6S6 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Peziza aufwachsen, verschwanden schon nach wenigen Tagen die Beimengungen, da die entstehende Oxalsäure die Entwicklung der fremden Keime unterdrückte. Ihre Anhäufung müsste allerdings für ihren Produzenten selbst schließlich verhängnisvoll werden, wenn sie nicht bald zerstört oder durch Basen gebunden wird. — Verf. hält dafür, dass der Oxalsäure im Stoffwechsel der Phanero- gamenzelle dieselbe Stellung zuzuweisen sei wie für die Pilze. Auch bei den höhern Pflanzen ist die Entstehung oxalsaurer Salze nach Verf. allein von den Bedingungen abhängig. Nicht mit konkreten Vorgängen der Stoffbildung ist die Bildung der Oxalate kausal zu verknüpfen. — Auch dann, wenn wir die Anhäufung von Oxalaten von konkreten Vorgängen der Stoffbildung unabhängig sein lassen, erklärt sieh das von uns schon früher erwähnte, periodische Auftreten der Oxalate. „Es ist die Mineralsalzmenge im jugendlichen Frühjahrsblatte eine außerordentlich geringe, so dass schon aus diesem Grunde eine Oxalatbildung kaum nachweisbar sein könnte, und erst nach Ab- lauf der Reservestoffperiode fließen demselben Bodensalze reichlich zu, während gleichzeitig der das nunmehr beginnende lebhafte Wachstum begleitende, ergiebige Stoffumsatz besonders günstige Umstände für eine Oxalsäureabspaltung schafft... . Auf die zweite Periode der Sprossentwicklung entfällt vorzugsweise die Verarbei- tung organischen wie anorganischen Materials und an diesen Zeitraum knüpft sich in mehreren Fällen nachgewiesener Massen die Haupt- oxalatabscheidung*. — Die Ergebnisse zu denen Wehmer’s einlässliche Untersuchungen führten, stehen also in vielen Punkten der von Schimper vertretenen Ansicht über Entstehung und Bedeutung der Oxalsäure diametral gegenüber. Wird hier die Oxalsäurebildung mit ganz bestimmten Stoff- bildungsprozessen (Nukleinsynthese) verknüpft, so betont Wehmer auf seine umfassenden Pilzkulturen sich stützend gerade die Unab- hängigkeit der Oxalsäurebildung von konkreten Vorgängen. Ganz allgemein ist in der lebenden Zelle durch den Stoffwechsel die Ent- stehung von Oxalsäuregruppeu gegeben; deren Realisierung wird durch die jeweiligen Umstände bedingt. — Unter den wiehtigen Arbeiten, welche der Transpiration der Pflanzen gewidmet sind, stellen wir voran: Die Sehutzmittel des Laubes gegen Transpiration mit besonderer Berücksichtigung der Flora Javas von Schimper!). Pflanzen trockener Standorte vermögen sich gegen die Gefahr zu großer Wasserverluste auf mannigfaltige Weise zu schützen. Sie ver- mindern die Oberfläche der transpirierenden Organe, sie überziehen 1) Sitzungsberichte d.k. preuß. Akademie der Wissensch. zu Berlin 1890. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 687 sie mit Wachs oder Harzexkreten, sie decken sie durch dichte Be- haarung, sie versenken ihre Spaltöffnungen, entwickeln eine dicke Cutieula oder bilden in Blättern oder Stengeln einen Teil des Gewebes in Wasserspeicher um. Vorrichtungen, welche auf erschwerte Wasser- versorgung deuten, finden sich aber auch bei Pflanzen, deren Standort durchaus nicht wasserarm ist. Dies eine weist wohl schon hinläng- lich darauf hin, dass das Bedürfnis nach Schutz gegen Transpiration durch sehr ungleiche Ursachen bedingt sein kann. Schimper weist dies im Besondern nach an den Halophyten und alpinen Gewächsen Javas, wie an den immergrünen Holzpflanzen temperierter Zonen. a. Der xerophile Charakter der Halophyten. Einfache Salzlösungen vermögen schon bei 0,5°/,, gemischte aber in jedem Verhältnis die Transpiration herabzusetzen. Ihre hemmende Wirkung steigt mit der Konzentration der Salzlösung, „weil durch dieselbe, so gut wie durch einen relativ wasserarmen Boden die Wasserversorgung erschwert wird“. Von großer Bedeutung ist Schim- per’s Entdeckung, „dass konzentrierte Lösungen, die von der Pflanze sonst noch gut vertragen werden, die Assimilation des Kohlenstoffs ganz verhindern oder stark beeinträchtigen, der Art, dass die Pflanze keine oder beinahe keine Stärke oder Cellulose mehr erzeugt“. Kommt einer Pflanze die Fähigkeit zu in ihren Geweben reichere Salzmengen zu speichern, dann wird sie zwar leichter Wasser aus dem Boden schöpfen, aber für sie ist die Gefahr groß bei lebhafter Transpiration jene Konzentration der Salzlösung in ihren Zellen zu erlangen, die tötlich wirkt. Die so kultivierten Gewächse bildeten überall — in Ueberein- stimmung mit den Bedingungen des Stoffwechsels Schutzmittel gegen Transpiration aus. Stärkere Ausbildung des Pallisadengewebes, Ab- nahme der Interzellularen verbunden mit einer Abnahme der Blatt- flächen werden durch die verschiedenen Salzlösungen, sobald sie nur einen bestimmten Grad der Konzentration zeigen, hervorgerufen. Die Wirkung ist also ganz ähnlich der stärkern Beleuchtung. — Wie weit sind nun die angedeuteten Thatsachen geeignet die Eigentümlichkeiten der javanischen Strandvegetation zu deuten? Verf. unterscheidet sie in 4 Vegetationsformationen. Die Mangrove bildet ein Buschwerk oder niedere Wälder in ruhigen Buchten im Bereiche der Flutbewegung. Die Nipaformation, die Stellvertreterin der Mangrove an den weniger salzigen Stellen, ist vorab durch das massen- hafte Auftreten einer stammlosen Palme (Nipa fruticans) ausgezeichnet. Die Katappaformation (nach der Terminalia Katappa genannt) besteht aus Wäldern, die außerhalb der Flut wachsen. Die Pescapra- formation (genannt nach der Ipomaea pescapra), vorwiegend aus kriechenden Kräutern bestehend, bildet eng an die Strandformation an- schließend das unvollkommene Kleid des sandigen, oft bewegten Bodens. 088 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Als ein dunkelgrau bis schwarz gefärbter Schlamm erscheint der Untergrund der Mangroveformation zur Zeit der Ebbe, während der Flut ragen die kleinen Bäume nur mit ihren Kronen aus dem Wasser. Die Pflanzen der Mangroveformation sind also Bewohner eines durchaus feuchten Standortes. Dennoch haben die Bäume zumeist dickfleischige oder lederartige Blätter, die oft zum Teil noch dicht behaart sind. Auch die Blätter der Bäume der Katappaformation sind häufig fleischig, saftreich oder wieder lederartig. Sie sind bisweilen anch reich be- haart oder die transpirierende Oberfläche ist stark reduziert. In beiden Fällen, in der Mangrove- wie in der Katappaformation, kommt der ausgesprochen xerophile Charakter der Pflanzen namentlich auch in der anatomischen Struktur zum Vorschein. „Ganz allgemein finden wir an den Blättern der Mangrovegewächse eine sehr diekwandige, stark kutikularisierte Oberhaut. Häufig sind die Spaltöffnungen tief eingesenkt oder mit geräumigem, nur eine enge Oeffnung nach oben besitzendem Vorhof versehen. Stets ist reichliches, manchmal auf- fallend mächtiges Wassergewebe vorhanden. Das Mesophyll ist bei- nahe lückenlos. . . .“ Werden diese Strandpflanzen in gewöhnlichem Boden kultiviert, auf weniger nassem Substrate und unter voller Beleuchtung der Sonne, dann tritt die xerophile Struktur bedeutend zurück. Die Blätter werden dünner. Die Spaltöffnungen sind nicht mehr eingesenkt, die Ober- haut ist dünner, ärmer an Cutin u. s. f. Die Ursache der xerophilen Struktur dieser Pflanzen halb aquatischer Lebensweise ist wegen des Einflusses von Salzlösungen auf die Transpiration, den wir anfäng- lich besprachen, verständlich. Denn er bedingt ja, „dass die Halo- phyten unter erschwerten Verhältnissen der Wasserversorgung leben und der Gefahr ausgesetzt sind, dass ihr meist salzreicher Zellsaft eine für die Ernährung schädliche oder gar eine tötliche Konzentra- tion erreiche“. b. Der xerophile Charakter der javanischen Alpenflora. Scharf unterscheidbare Regionen, deren Pflanzen durchaus ver- schiedene physiognomische Charaktere eigen sind, reihen sich in der Höhenverbreitung der javanischen Pflanzen einander an. Die oberste dieser Regionen, deren untere Grenze bei 8000’ liegt, ist die Formation der „alpinen Savanne“. Trotzdem kein Schnee sie niederdrückt, trotzdem sie während des ganzen Jahres unter günstigen Temperatur- verhältnissen vegetiert, weicht sie doch von der tiefern Region in höherem Maße ab als die alpine Region unserer Hochgebirge von der anschließenden Waldregion. „Nicht der niedern Temperatur verdankt diese Alpenflora ihr höchst eigenartiges Gepräge, sondern den Sehutz- mitteln gegen Transpiration“. Die Repräsentanten verschiedener Familien sind habituell gleich. Kleine lederartige aufrechte Blätter, oft mit diehter Wollenbekleidung sind ihnen eigen. Schirmartig ver- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 689 zweigt sind die relativ stark entwickelten Stämme und Aeste. Be- senders ausgeprägt ist der xerophile Charakter Ostjavas. Die Wiesen- formation hat steppenartigen Charakter. Kleine Sträucher mit dick- blätterigem Laub oder harten Blättern (Leucopogon javanicus) bilden die spärliche Repräsentanz der Holzgewächse. „Der xerophile Charakter der alpinen Flora Javas kommt nicht bloß im physiognomischen Ge- samtcharakter der Vegetation, im Vorkommen australischer Formen, in dem beinahe gänzlichen Fehlen der atmosphärischen Phanerogamen und der Lianen, im Austausch mit der Strandflora, im Auftreten sonst epiphytischer Arten als Bodenpflanzen zum Ausdruck, sondern ist auch in auffallendster Weise in der anatomischen Struktur ausgeprägt“. Von der Ausbildung eines Wassergewebes abgesehen kommen fast alle anatomischen Eigentümlichkeiten xerophiler Struktur zur Aus- bildung. In tiefern Regionen kultiviert geht auch ihnen der xerophile Charakter rasch verloren. Physiognomie und Anatomie weisen also auf das Vorhandensein ungünstiger Verhältnisse der Wasserversorgung hin. Luftverdünnung, direkt durch ihren fördernden Einfluss auf die Transpiration und indirekt durch die kräftigere Insolation, ist als ihre wichtigste Ursache zu betrachten. Dazu kommt, dass in jener Höhe die Niederschläge schwächer und die Luft trockener ist als in den tiefern Regionen, dem Nebelgürtel. Auch der Charakter unserer Alpenflora ist ein xerophiler. Krumm- holzbildung, Diekblätterigkeit, Behaarung ete. hat man als Sehutz- mittel gegen die Winterkälte und gegen den Druck des Schnees auf- gefasst. Aber die gleiche Physiognomie und dieselben Strukturverhält- nisse, wie sie unseren Alpenpflanzen eigen sind, kehren auch auf Javas Alpen wieder trotz einer fast konstanten Temperatur, trotz mangelnden Schnees. Es deutet also wohl der xerophile Charakter unserer Alpenpflanzen wie dort auf erschwerte Wasserversorgung hin. „Ich trage daher kein Bedenken, schreibt Schimper, die Eigentüm- lichkeiten der europäischen Hochgebirgsflora ebenso wie diejenigen der javanischen auf die durch Luftverdünnung und stärkere Insolation bedingte größere Transpiration und die dadurch erschwerte Wasser- versorgung zurückzuführen“. c. Ueber den gegenseitigen Standortwechsel von Ha- lophyten, Epiphyten und Alpengewächsen. Auf die habituelle Aehnlichkeit zwischen Alpenpflanzen und Halo- phyten wurde namentlich von Battandier hingewiesen, der auf gewisse Analogien zwischen algerischen Strandpflanzen und der Flora der höchsten Gipfel des Atlas aufmerksam machte, der namentlich auch die Analogie der alpinen und Strandvarietäten gewisser beider Orts vorkommender Arten erkannte. Doch nicht nur auf den Ha- bitus, auch auf die systematische Zusammensetzung der Vegetationen RT, 44 590 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. erstreckt sich diese Aehnlichkeit, sodass den Höhen des Atlas und dem Strande gemeinsame Arten zukommen, die der Zwischenregion fehlen. Nicht auf Algerien allein ist diese Aehnlichkeit beschränkt. Sie ist wohl allgemein. So besteht auch in Südasien diese physiogno- mische und systematische Analogie zwischen der Strandvegetation und der Flora der höchsten Regionen. Die Krummholzform der Hochalpen kehrt in der Mangrovevegetation Javas wieder. Tropische Epiphyten erscheinen wieder als alpine Bodenpflanzen und epiphy- tisch lebende Arten können, wenn auch selten, als Halophyten der Strandflora eigen sein. „Dieser Wechsel des Standortes zwischen den Pflanzen der al- pinen Region, denjenigen des Strandes und Epiphyten, der früher rätselhaft erschien, hat für uns nichts unbegreifliches, indem alle diese Gewächse die gemeinsame Eigentümlichkeit haben, dass an ihrem gewöhnlichen Standorte die Verhältnisse des Wasserversorgens ungünstige sind, sodass sie überall wesentlich gleiche Schutzmittel gegen Transpiration erworben haben. Immerhin sind die sonstigen Existenzbedingungen so ungleich, dass der Austausch nicht sehr er- giebig sein konnte.“ Zum größern Teil hinfällig werden diese erschwerenden Be- dingungen des Austausches an salzreichen Stellen der javanischen Berge. Die von den Fumarolen entfernteren Teile der Solfataren (3500°) deckt eine relativ üppige Vegetation, die aber durchaus einen andern Charakter hat als die des benachbarten Urwaldes. Mitten in den nebel- und regenreichen Regionen ist sie dennoch ausgesprochen xerophil. „Wie in der alpinen Region finden wir auch in den Solfa- taren sonst auf Stämmen und Aesten der Bäume wachsende Arten auf dem Boden gedeihend und diesen sonst epiphytischen Arten bei- gemengt mehrere rein alpine Formen, die sonst erst oberhalb 8000‘ auftreten.“ Wassergewebe, doppelte Epidermis, sehr starke Cutieula u. =. f. sind diesen Solfatarenpflanzen eigen. Die chemische Beschaffenheit der Unterlage muss hier ähnlich wie in der Mangrovevegetation Schutzmittel gegen Transpiration zur Lebensbedingung machen. Es sind vorab Sulfate, welche hier die Transpiration beeinflussen. d. Immergrüne Holzpfanzen in temperierten Ländern. Dem Laubfall tropischer Holzgewächse beim Eintritt der trockenen Jahreszeit entspricht der Laubfall unserer Holzgewächse nieht nur der äußern Bedingung nach. Beide sind Schutzmittel gegen Wasser- verlust. Die wenigsten Bäume vermöchten während des Winters den Wasserverlust durch Wasseraufnahme zu ersetzen. Die Sonnen- bestrahlung müsste erstern vergrößern, während der gefrorene Boden eine Wasseraufnahme nur in unbedenutendem Grade zulässt. Die Bernard u. Bratuscheek, Schleimhüllen der Froscheier. 691 immergrünen Bäume der temperierten Zone bedürfen also, um schad- los den Winter zu überdauern, bestimmter Schutzmittel gegen die Transpiration ähnlich wie die immergrünen Gewächse der Tropen, um die trockene Jahreszeit zu ertragen. Im anatomischen Bau der Blätter kommt das zum Ausdruck. Die derbe Beschaffenheit des Laubes ist ebenfalls ein Charakter des xerophilen Blattes. Als Sehutzmittel gegen die Kälte kann aber auch einer starken Cutieula nur eine untergeordnete Bedeutung zukommen. Bald muss ja der Kälteeinfluss durch sie hindurch auf das Plasma sich geltend machen. Zudem beobachtet man, dass die Widerstandsfähigkeit gegen niedere Temperaturen von dieser Eigenschaft der Blätter ganz unabhängig ist und wohl ihre Ursache in einer noch unerkannten Eigenschaft des Plasmas hat (Stellaria media). Aus Sehimper’s Darlegungen ergibt sich also, dass Schutz- mittel gegen Transpiration allen Pflanzen zukommen, die dauernd oder periodisch gegen erschwerte Wasserversorgung zu kämpfen haben, mag die Ursache der letzteren in der Trockenheit der At- mosphäre, des Bodens, in kräftiger Insolation und Luftverdünnung, im Salzreichtum des Substrates oder zu niederer Temperatur des- selben zu suchen sein Der Nutzen der Schleimhüllen für die Froscheier. Von Henry Bernard und Karl Bratuscheck. (Aus dem zoologischen Laboratorium der Universität Jena.) Der zähe Schleim, welcher die Eier der ungeschwänzten Lurche zu Klumpen oder Sehnüren vereinigt, ist bisher wesentlich als eine Einriehtung zum Schutz gegen Austrocknen, gegen Verletzung durch Druck oder Stoß, sowie gegen das Gefressenwerden aufgefasst worden. In Bezug auf letzteres lagen bis vor kurzem nur Beobach- tungen über das Verhalten der Vögel vor, denen es mit Ausnahme der breitsehnäbligen Enten unmöglich ist, den Laich zu verschlingen. Erst neuerdings hat E. Stahl (Pflanzen und Schnecken. Jena 1888. S. 82) durch den Versuch bewiesen, dass der Schleim auch gegen Fische und Schnecken als Schutzmittel dient, da diese Tiere heraus- geschälte Froscheier begierig fressen, hingegen dem unversehrten Laich nichts anzuhaben vermögen. Zu etwas anderen Ergebnissen führten uns ähnliche Versuche mit ausgehungerten Flohkrebsen (Gammarus pulex). Schleimklumpen vom Laich des Grasfrosches fraßen die Krebse zwar ebenfalls nicht, obgleich sie sich im ersten Augenblick gierig darüber her machten. Die Klumpen lagen noch nach mehreren Tagen unvermindert im Wasser. Noch widerlicher waren ihnen aber augenscheinlich die herausgeschälten Eier und jungen Quappen, die sie sofort hastig von 44* 592 Bernard u. Bratuscheck, Sehleimhüllen der Froscheier. sich stießen, wenn sie auf ihrer beständigen Suche nach Nahrung zufällig derselben habhaft wurden, ganz als ob ihnen der Geschmack ihrer Beute unerträglich sei. Eines Schutzmittels scheinen die Quappen bei ihrer starken Färbung zu bedürfen, und es lässt sich kaum an ein anderes denken, als an einen üblen Geschmack, der vielleicht von den durch die Schleimhülle zurückgehaltenen Stoffwechselerzeug- nissen herrührt. Es bleibt daher die Möglichkeit, dass auch der Schleim selbst durch die Durehränkung mit denselben Stoffen für die Krebse urgenießbar ist, nicht allein durch seine Zähigkeit. Der Schutz, den der Schleim in den angeführten drei Richtungen gewährt, muss mit seiner Masse wachsen, woraus sich der Vorteil eines Zusammenheftens der einzelnen Eier ergibt. In dieser Be- ziebung erscheinen die Laichklumpen der Frösche und anderer Lurche vorteilhafter als die Laichschnüre der Kröten. Doch ist für die Klumpen eine weitere Einrichtung nötig, um auch den im Innern liegenden Eiern das zur Atmung und zum Stoffwechsel nötige Wasser zuzuführen. Es wird dies durch die Kugelform der einzelnen Ei- hüllen erreicht, da durch dieselbe ein Netz von Zwischenräumen ent- steht. Mittelbar hat diese Form für die Atmung sogar noch einen weiteren Vorteil; denn die grellen Punkte, welche von den als Sammellinsen wirkenden glashellen Kugeln im Sonnenschein entworfen werden, locken die Schwärmsporen kleiner Algen an, sich auf dem Laich anzusiedeln. Der grüne Algenüberzug, den man auf älterem Laich fast stets findet, übt aber durch die reichen Sauerstoffmengen, welche er den Eiern zuführt, auf die Entwicklung derselben sicher- lich einen günstigen Einfluss aus. Aber nicht nur zum Schutze dienen die Schleimhüllen den Eiern, sondern sie haben für dieselben noch einen anderweitigen, mindestens ebenso bedeutenden Nutzen. Wir gehen dabei von der längst aus- ‚gesprochenen Vermutung aus, dass die mehr oder weniger starke Färbung der Lurcheier eine Einrichtung zur Aufnahme der Sonnen- wärme sei. Es steht dahin, ob die Färbung zu diesem Behufe er- worben ist, jedenfalls hat sie diese Wirkung, und andere Gründe sind bisher für sie mit Erfolg nicht geltend gemacht worden. Die Schleimhülle kann nun die Wirkung dieser Färbung sehr wesentlich unterstützen, wenn sie den Sonnenstrahlen den Durchtritt gestattet, hingegen die von dem Ei ausgehenden Strahlen großer Wellenlänge zurückhält und ihre lebendige Kraft dem Ei durch Wärmeleitung wieder zuführt. Im Vergleich mit frei im Wasser schwimmenden Eiern unterstützt der Fortfall der Strömung ein wirksames Zusam- menhalten der Wärme. Auch die Kugelform der Schleimhüllen ist nicht gleichgiltig, da sie die unteren Schichten der Eier in die Zwischenräume der oberen lagert und so der Bestrahlung zugänglich macht; für diejenigen aber, die grade unter andern zu liegen kommen, die Randstrahlen sammelt. Bernard u. Bratuscheck, Schleimhüllen der Froscheier. 93 Durch die Liebenswürdigkeit Herrn Prof. Winkelmann’s, dem wir an dieser Stelle unseren Dank aussprechen, war es uns möglich diese Vermutungen durch den Versuch zu bestätigen. Es wurde eine 0,2 mm dieke Schleimschicht vom Laich des Grasfrosches zwischen 0,015 mm dicken Glimmerplättehen eingeschlossen und diese zwischen die strahlenden Körper und eine Wärmesäule gebracht. Zum Vergleich wurde hierauf eine Wasserschicht von gleicher Dicke zwischen dieselben Glimmerplättehen gebracht unter ganz gleichen Umständen. Denn es kommt nur ein Vergleich mit der Durchlässig- keit des Wassers in Betracht, da nur die Vorteile mit Schleimhüllen versehener Eier im Gegensatz zu freischwimmenden gestgestellt wer- den sollten. Vor der Wärmesäule waren ein schwarzer Schirm mit kleiner Oeffnung und ein weißer Schirm mit größerer Oeffnung auf- gestellt. Erstere wurde abwechselnd geöffnet und geschlossen, um die Strahlung der allmählich erwärmten Schirme zu berücksichtigen. Die Stärke des durch diese Strahlung erregten Stromes wurde von der Stärke des Gesamtstromes in Abzug gebracht. Die Ablenkung der Magnetnadel wurde durch Spiegelablesung gemessen, und zwar durch Umschalten der doppelte Ausschlag bestimmt. Da es sich um sehr kleine Ausschläge handelte, wurde das Verhältnis des Aus- schlags zur Stromstärke und der Stromstärke zur Strahlung als fest angesehen. Als Mittel aus mehreren Versuchen mit einer größeren Anzahl von Ablesungen ergab sich das Verhältnis der von dem Schleim durchgelassenen Strahlung zu der vom Wasser durchgelassenen: sr dsecSonnest ınlush Veteeaet 2) für eine leuchtende Gasflamme . . . .2...05 3) für ein geschwärztes Messingblech von 100° C 0,4 (Eine kleine Unsicherheit in diesen Zahlen rührt daher, dass die Versuche mit Schleim von verschiedenem Quellungszustand ausgeführt werden mussten, da der Sonnenschein mehrmals im entscheidenden Augenblick versagte.) Die Zahlen bestätigen die Vermutung, dass der Schleim ver- glichen mit Wasser von den Strahlen um so mehr zurückhält, je größere Wellenlänge dieselben besitzen. Dieser Unterschied wird für die Strahlen der nur wenig über ihre Umgebung erwärmten Eier noch viel bedeutender sein. Dem Versuche sind diese natürlich kaum zugänglich. Hiermit hätten wir wenigstens für den Laich des Gras- frosches bewiesen, dass die Schleimhüllen ein kleines Treibhaus ab geben, in dem die Eier zu rascherer Entwicklung gebracht werden. Eine genaue vergleichende Untersuchung verschiedenen Laiches, die sich auf die Durchlässigkeit des Schleims für einfache Wellen der verschiedensten Länge erstreckt, muss lehren, ob die Durch- lässigkeitsverhältnisse bei allen Lurchen die gleichen sind, oder ob 694 Werner, Biologische Studien an Reptilien. sich Abweichungen zeigen und sich in diesen ein Zusammenhang mit der früheren oder späteren Laichzeit erkennen lässt, mit der im Allgemeinen die Stärke der Färbung und der mehr oder weniger verborgene Ort der Ablage Hand in Hand geht. Ein solcher Zu- sammenhang, der nur aus einer natürlichen Auswahl der Verän- derungen in der Zusammensetzung des Schleims sich erklären ließe, verdiente in vieler Beziehung Beachtung, und es verlohnte sich der Mühe ihn festzustellen. Zeigen sich aber in den Eigenschaften des Schleims bei den verschiedenen Lurchen keine besonderen Anpas- sungen, oder sind die Durchlässigkeitverbältnisse überall die gleichen, so würden doch,die Einriehtungen zur Ausnutzung der Eigenschaften des Schleims eine verschieden ausgeprägte Anpassung erkennen lassen. Während z. B. der Laich aller übrigen einheimischen Lurche teils dureh Anheftung an Pflanzen und Steine unter Wasser gehalten wird, teils auf dem Boden der Gewässer liegen bleibt, schwimmt der am frühesten von allen, schon im März, oft zwischen Eisschollen abgesetzte Laich des Grasfrosches auf dem Wasserspiegel und erhält so die im Vorfrühling ohnedies noch matte Sonnenstrahlung un- mittelbar zugeführt, ohne Schwächung durch darüber liegende Wasser- schichten und die bei dem schiefen Einfall der Strahlen recht be- deutende Spiegelung an der Wasseroberfläche. Dies Schwimmen ist durch eine ganz unscheinbare Einrichtung, eine im Vergleich mit dem Laich andrer Lurche geringe Vergrößerung der Schleimhüllen ermöglicht, die das Gewicht des Laiches im Verhältnis zum Wasser um so viel verringert, dass er durch die von den Wasserpflanzen abgeschiedenen Gasblasen getragen werden kann. Denn nur in pflan- zenhaltigem Wasser schwimmt er, während er in pflanzenlosem zu Boden sinkt. Es zeigt sich an diesem Beispiel, wie die geringste Veränderung in der Beschaffenheit des Laichs für seine Entwicklung von aus- schlaggebender Bedeutung werden kann. Die Möglichkeit in der so einfachen und doch so vielen Zwecken dienenden Einrichtung der Schleimhüllen derartige Beziehungen aufzudecken, möge diesen Zeilen einige Aufmerksamkeit sichern. Biologische Studien an Reptilien. Von Dr. phil. Franz Werner in Wien. Naclıstehend will ich teils einige Erfahrungen mitteilen, welche ich über die Häutung der Schlangen und Eidechsen gemacht habe, teils Beobachtungen an Embryonen und neugebornen Jungen der Coro- nella austriaca. Ich beginne mit der Darstellung der Häutung obenerwähnter Reptilien und zwar will ich, bevor ich auf die Einzelheiten dieses Werner, Biologische Studien an Reptilien. 95 wichtigen Vorganges eingehe, noch auf einen interessanten Unterschied zwischen der Häutung der Schlangen und Eidechsen aufmerksam machen. Die Schlangen streifen bekanntlich das Stratum corneum ihrer Epidermis derart ab, dass dessen Innenseite nach außen kommt; bei denjenigen Eidechsen aber, die ein sogenanntes Natterhemd abwerfen, d.h. deren Haut in einem einzigen Stück abgelegt wird, ist die Außen- seite der abgelegten Haut auch an dem Tiere selbst die Außenseite gewesen. Also die Schlange stülpt ihre Haut beim Herauskriechen um, die Eideche dagegen kriecht heraus wie aus einem Sack. Die Sehlangenhaut wird durch Feuchtigkeit, die teils von der Schlange selbst abgesondert, teils dureh häufige Bäder aufgenommen wird, geschmeidig gemacht um abgestreift werden zu können, da sie nicht vie] weiter ist als der Rumpf der Schlange. Die Eidechsenhaut aber wird durch Hitze und Trockenheit gelockert und umgibt den Körper wie ein weiter Sack, aus dem das Tier, ohne ihn umzustülpen, heraus- kriecht; dabei besteht noch der Unterschied zwischen den Lacertiden einer-, den Seincoiden und Chaleidiern anderseits, dass diese beim Herauskriechen aus der Haut diese teleskopartig zusammenschieben, so dass z. B. die ganze Haut einer Blindschleiche nur eine dicke, glänzende Rolle von oft nur 3 oder 4 cm Länge vorstellt, während die Lacertiden, nachdem sie die Rumpfhaut hinten am Kopf (hinter den Kopfschildern) und an den Spitzen der Finger und Zehen gelöst haben, aus derselben herauskriechen, wobei sie weder umgestülpt noch zusammengeschoben wird. Allerdings sind so vollkommene Häu- tungen selten und wenn man sagt, dass die Haut der Bidechsen in Fetzen abgestreift wird, so ist das für Lacertiden, Geckoniden, Aga- miden, Chamäleonten wohl ebenso die Regel wie unter den Schlangen bei Eryx jaculus. Im Allgemeinen häuten sieh Wasserschlangen besser als Land- lebende. Also die Tropidonotus- Arten bei uns am besten. Aber bei genügender Feuchtigkeit gelingt es wohl allen Arten gut, sogar der sonst sehr trockenhäutigen Coronella austriaca. Kann ein Teil der Haut nicht abgestreift werden, so macht dies weiter nichts, wenn er nur nicht sehr groß ist, da sonst die abgestorbene Haut den Stoff- wechsel der neuen behindert und den Tod der Schlange herbeiführt. Bei der Abstreifung der Kopfhaut reisst mitunter die das Auge be- deekenden Haut von der übrigen Haut los und bedeckt dann das Auge bis zur nächsten Häutung; bis dahin ist das Auge natürlich blind. Dass Schlangen zur Zeit der Häutung keine Nahrung annehmen ist ebenso unrichtig als die alte Fabel von der Trägheit der Schlangen nach eingenommener Mahlzeit. Gesunde Schlangen fressen auch wäh- rend der Häutungsperiode, solange sie nur einen Schimmer von Nahrung bemerken können und nur zur Zeit der völligen Erblindung, die aber 16) Werner, Biologische Studien an Reptilien. in der Regel nur einen Tag oder zwei dauert, verhalten sie in der Regel sich ganz passiv jedem Tier gegenüber. Das erste Zeichen der beginnenden Häutungsperiode ist eine schwache Trübung der Augen, so dass dieselben einen bläulichen Anflug bekommen. Zu gleicher Zeit verdunkelt sich die Körperhaut und bekommt ein schmutziges Aussehen; die Unterseite wird bei gelben Farben weißlich (Coluber Aesculapii), bei schwarzen hellblau oder blaugrau (Tropidonotus-Arten, Coronella getulus) u. s. w. Dabei wird die das Auge überziehende Haut immer trüber und endlich ganz undurchsichtig, das Auge erscheint ganz blau. Mit diesem Stadium ist der Höhepunkt des Prozesses erreicht; am nächstfolgenden Tage wird das Auge wieder etwas heller, die Färbung der Bauchseite kommt der gewöhnlichen näher und nach einigen Tagen ist das Auge wieder ganz klar, die Färbung der Unterseite der normalen ganz gleich und hiemit ist die Zeit der Häutung gekommen. Die Schlange kriecht nun lebhaft herum, mit der Schnauze an allerhand harten und scharfen Gegenständen anstreifend, bis sich die Haut am Rostrale gelöst hat, gewöhnlich auch gleichzeitig die des Mentalschildes; durch fortwährendes Vorbeigleiten an harten Gegenständen wird nun der ganze Kopf seiner Haut entledigt. Nun beginnt ein anderes Verfahren. Die Schlange sucht sich einen gabligen Ast aus oder ein zum Durch- kriechen gerade genügend großes Loch in einem Felsen, woran die abzustreifende Haut Widerstand findet und hängen bleibt. Dann be- ginnt das Tier aus der fixierten Haut herauszukriechen indem sie die Rippen so bewegt wie sie zu thun pflegt, wenn sie in ein Erdloch kriecht !), also indem sie die Rippen gebraucht wie ein Scolopender seine Füße. Bei diesem Herauskriechen ist der Körper an der Stelle, wo eben die Haut sich loslöst, etwas aufgetrieben und der dadurch auf diese ausgeübte Druck im Verein mit der Fortbewegung mit Hilfe der Rippen löst die Haut allmählich ab. Dabei bemerkt man stets einen eigentümlichen, bei allen Schlangen gleichen, aber sehr unangenehmen Geruch, der von der Feuchtigkeit herrührt, welche die Ablösung der Haut zu fördern bestimmt ist. Diese Feuchtigkeit ist oft in so großer Menge vorhanden, dass bei den betreffenden Schlangen ohne vorheriges Baden ihre abgestreifte Haut (auf der Innenseite) ganz feucht erhalten wird; andere Schlangen wieder, wie Eryx jaculus, sind ganz trockenhäutig wie eine Lacertide, während anderseits wieder die frisch abgelegte Haut eines Ophisaurus ebenfalls feucht ist. Bei ziemlich vielen Schlangen ist nach der Häutung ein deut- licher blauer Schimmer zu bemerken, am stärksten bei Coronella austriaca und Tarbophis vivax und zwar auf dem Kopfe, und bei letz- terer auch auf den großen schwarzen Flecken des Rückens. Manche Schlangen, darunter wieder die vorher erwähnten Arten, irisieren leb- 1) Also ohne seitliche Biegungen des ganzen Körpers. Wermer, Biologische Studien an Reptilien. 697 haft am ganzen Körper, wenn die Sonne darauf scheint. Doch hört die Erscheinung einige Tage nach der Häutung auf. Je gesunder, kräftiger eine Sehlange ist, desto öfter häutet sie sich und desto kürzere Zeit braucht sie von dem ersten Auftreten der blauen Augenfärbung bis zur Häutung. Dass sich eine Schlange von Mai bis August regelmäßig jeden Monat einmal häutet, ist wahr- scheinlich die Norm; ja sogar das Datum variiert dann oft nur um einen oder zwei Tage. Wasserschlangen, welche wirklich viel im Wasser leben, häuten sich weniger als Landlebende, oft nur ein- bis zweimal jährlich. Fünf- bis sechsmalige Häutung im Jahre dürfte das Maximum bei freilebenden Schlangen sein; solche, die in geheizten Räumen, keinen Winterschlaf haltend, leben und den ganzen Winter über Nahrung zu sich nehmen, häuten sich auch im Winter noch ein- oder zweimal. Das Bad vor jeder Häutung ist vielen Schlangen ein großes Be- dürfnis. Besonders den beiden Callopeltis- Arten, die, obwohl Land- schlangen, doch tagelang im Wasser bleiben. Schlangen, die krank sind, verenden fast immer während der Häutung; ebenso verenden solche, welche, obwohl gesund, sich aus mechanischen Gründen nicht häuten können; also wegen Mangel an Feuchtigkeit oder an geeigneten harten Objekten zur Abstreifung der Haut. Nach der Häutung sind die meisten Schlangen sehr hungrig, da- her am leichtesten zur Nahrungsannahme zu bewegen. — Sehr ähnlich bis auf den anfangs erwähnten Unterschied ver- halten sich die schlangenähnlichen Saurier, soweit ich sie kenne. Die, wenn möglich, in einem Stück abgestreifte Haut fühlt sich gleich nach der Häutung bei Angwis trocken, bei Ophisaurus feucht an. Zur Abstreifung der Haut genügen einfachere Vorrichtungen, schon beim Durchkriechen dureli Moos löst sie sich ab. Bei Anguis ist die Färbung vor der Häutung verändert, matt, gewöhnlich grau mit schwachem Stahlglanz, bei Ophisaurus aber bleibt sie immer gleich; bei diesem Tieren ist, da ja weder bei Anguis noch bei Ophisaurus die Augen von der Haut überzogen sind, an diesen nichts über den Verlauf des Häutungsprozesses zu erkennen. Von Geckoniden habe ich die Häu- tung bei Hemidactylus turcicus beobachtet: das Tier wird in ein oder zwei Tagen allmählich weißlichgrau, seidenglänzend wie spinnwebig überzogen, es steckt in der alten Haut wie in einem feinen, weiten Sack und wenn es einmal so aussieht, so ist in wenigen Stunden darauf nicht nur die Häutung vollzogen (bis auf Schwanzspitze und auf den Haftapparat der Zehen, die länger brauchen) sondern auch die Spuren derselben fast vollständig getilgt, da die Haut meistens gleich aufgefressen wird. Agamiden und Iguaniden häuten sich nur bei großer Hitze ordent- lich. Dann springt die Haut und löst sich in Fetzen ab; sonst aber 598 Werner, Biologische Studien an Reptilien, 8 1 ist die Häutung gewöhnlich die Zeit, über welche diese Tiere lebend nicht hinüberkommen. Seincoiden wie Seincus, Gongylus, Eumeces, Sphenops häuten sich wie Anguis, gewöhnlich Rumpf, Schwanz und Extremitäten gesondert. Die Chamaeleons häuten sich in großen hellen Fetzen ziemlich leicht. Bei Lacertiden ist die Häutung ein von Sonne oder wenigstens überhaupt Wärme abhängiger Vorgang. Ohne Wärme und ohne voll- ständige Gesundheit keine Häutung. Lacerta agilis schlüpft oft aus ihrer alten Haut wie aus einem weiten Sack heraus, der Schwanz und Kopf häuten sich gesondert vom übrigen Körper, ersterer ringel- weise, seltener in einem Stück, am Kopf lösen sich die Schilder meist einzeln ab. Meistens geht aber auch die Rumpfhaut in einzelnen Fetzen ab wie bei den Geekoniden, Agamiden, Iguaniden und Cha- mäleonten; allerdings Fetzen, die oft gleich ein Drittel der Rumpf- oberfläche einnehmen. Bei Lacerta viridis und L. ocellata häutet sich die Bauchpartie häufig in einem oder zwei großen Stücken, auch die Kehle in einem Stück. Ueber eine vielleicht nicht uninteressante Frage, nämlich bezüg- lich der Vererbung von Zeichnungsvarietäten gibt die kürzlich von mir vorgenommene Eröffnung einer trächtigen abnorm gezeichneten Coronella austriaca Aufschluss. Das Tier war durch seine Zeichnung einigermaßen einer Leoparden- natter (Coluber quadrilineatus var. leopardinus) ähnlich, indem der Rücken mit zwei Reihen großer brauner, dunkel gerändeter Flecken geziert war, die teils alternierten, teils quer verschmolzen waren. An jeder Seite des Körpers verlief ein dunkler, die Fortsetzung des Postocularstreifens (derjenige dunkle Streifen, welcher sich vom hin- teren Augenrand zum Mundwinkel hinzieht) bildender Streifen, stellen- weise in ziemlich große Flecken aufgelöst. Unter mehr als 200 Exemplaren habe ich nur 2 von dieser Varietät angetroffen, welche beide trächtige Weibehen waren. Bei dem einen waren die Embryonen in ihrer Entwicklung noch nicht so weit, um eine Zeichnung erkennen zu lassen, bei dem anderen, oben erwähnten aber, waren sie schon vollkommen entwickelt, nur die Gehirnpartie noch stark vorgetrieben, aber alle Kopfschilder bis auf die Parietalia bereits gut entwickelt, die Färbung oben deutlich graubraun. Was aber das Interessanteste an den Tierchen war, das war ihre Zeichnung, die bei allen ohne Ausnahme mit der großfleckigen Rückenzeiehnung und allen anderen obenerwähnten Zeichnungen der Mutter bis ins Detail übereinstimmte. Nur die Kontinuität des Post- okular- und des lateralen Längsstreifens war noch gar nicht oder dureh eine liehtere Linie zwischen dem Ende des Postokular- und dem verdiekten Anfangsstück des Lateralstreifens hergestellt !). 3 1) Dies wiederspricht auffallend der Häcker’schen Annahme von der Kontinuität beider Streifen (Biolog. Centralbl., 15. 12. 1890). Werner, Biologische Studien an Reptilien. 59 Diese auffallende und bei Coronella austriaca seltene Zeichnung ist also auf alle 8 Junge vererbt worden, obwohl man eben bei der Seltenheit dieser Varietät als wahrscheinlich annehmen kann, dass die Mutter von einem normal gezeichneten Männchen befruchtet worden ist. Ueber Coronella austriaca hätte ich noch folgende Bemerkungen zu machen: der Grad der Ausbildung der neugeborenen Jungen ist ebenso verschieden wie die Zeit der Geburt — denn letztere variiert von Ende August bis Mitte November. Erstere aber ist oft insofern gering, dass die Jungen mitunter noch mit allen Eihüllen und gewaltigen Dottermassen geboren werden, stundenlang ruhig in dem durchsich- tigen Ei liegen bleiben und erst allmählich Lebenszeichen von sich geben, indem sie sich langsam bewegen und endlich die Eihülle durch- brechen. Ist dies geschehen, so kriechen die Jungen, die eine Länge von durchschnittlich 154 mm und ein Gewicht von 3,3 g besitzen, langsam heraus und schleppen die Dottermasse am Nabelstrang, der gewöhnlich in der Entfernung einer Schwanzlänge vor der After- spalte an der Bauchhöhle hervorbrieht, nach. Auch im Inneren bergen die Tierchen noch große Dottermassen zu Seiten der Nieren; eine ähnliche Masse lagert an der Trachea. Die beiden Ruthen sind ausgestülpt, wie dies nach Smalian auch bei Anops und Angus der Fall ist. Nach und nach vertrocknet der Blutgefäßstrang und wird beim Herumkriechen samt dem daranhängenden Dotterklumpen von dem Tiere abgestoßen. Die Längsspalte auf dem Bauche bei welcher er hervorbrach, schließt sich und die junge Schlange ist jetzt sozusagen selbständig und bereitet sich nun auf die erste Häutung vor, die etwas eine Woche nach der Geburt erfolgt und nach welcher sie erst dem erwachsenen Tiere ähnlich wird, denn dann erst wird der dieke Kopf schön flach, die früher sehr dunkle und schmutzige Färbung und Zeichnung lebhaft und deutlich (die weißlichgelbe Bauchseite wird schön rot, daher also die Bauchfärbung des männlichen Geschlechtes der der Jungen entsprechend!) die etwas zerknitterten Schuppen werden glatt und der durch die oft merkwürdig verwickelte Lage im Ei ver- drückte Körper erhält seine bleibende Gestalt, wobei auch der Quer- schnitt sich aus einem Kreis sich ungefähr in ein gleichseitiges Dreieck mit konvexen Bögen als Seiten verwandelt. Die Menge des Dotters, den die junge Coronella bei der Geburt mitbekommt, hängt teils von der Tragzeit, von der Anzahl der Jungen, die zwischen 2 und 15 schwankt, gewöhnlich aber nicht über 9 hinaus- geht, sowie natürlich auch von dem Alter und der Größe der Mütter ab; alte Schlangen werfen mehr Junge als jüngere, dabei sind die neugeborenen Jungen alter Coronella-Weibehen noch immer größer als bei jüngeren Weibchen unter sonst gleichen Umständen. — In den meisten Fällen wird aber die junge Coronella schon ohne Dotter- 700 Werner, Biologische Studien an Reptilien. anhang geboren, doch ist die Spalte, durch welche der Dotter in die Leibeshöhle eintrat, bei den neugebornen Jungen meist noch zu er- kennen. Bei vielen Schlangen und manchen Eidechsen werden bei der Eiablage zuerst Eier gelegt, die sich von den später gelegten dadurch unterscheiden, dass sie kleiner, sehr weich sind und eine gelbliche Färbung besitzen; sie bestehen aus lauter Nahrungsdotter und ent- halten keine Embryonen. Die Anzahl soleher Eier schwankt zwischen 1 und 3; das erste Ei ist an dem bei der Geburt zuerst hervor- tretenden Ende schraubenförmig gedreht, das zweite und dritte Ei entweder an beiden Enden, oder ohne solche Chalazen. Diese Dotter- Eier, welche auch durch eine etwas zwetschgenförmige Gestalt sich von den entwicklungsfähigen, darauf folgenden Eiern unterscheiden, habe ich bei Tropidonotus tessellatus, Zamenis Dahlii u. a. gefunden. Schließlich möchte ich noch die große Verschiedenheit der Größe der Eier verwandter Schlangen-Arten hervorheben. Während nämlich das Ei von Coluber Aesculapii, einer Schlange, welche die Länge von 2 Metern erreichen kann, eine durchschnittliche Länge von 47,5 mm bei einer Breite von 22 mm besitzt, ist das Ei des Coluber quadri- lineatus, welche Schlange selten über einen Meter lang wird, mindestens 70 mm lang bei einer Breite von 20 mm. Die Eier letzterer Schlange sind also, wenn man die Größenverhältnisse beider Arten in betracht zieht, relativ dreimal so groß als die der Aesculap-Natter. Allerdings legt CO. gquadrilineatus selten mehr als 2 dieser langen, wurstförmigen, häufig durch eine seiehte Quereinschnürung in zwei gleiche Hälften, deren jede etwa in den Dimensionen einem normalen Colubriden - Ei entsprechen dürfte, geschiedenen Eier, aber auch C. Aesculapii legt selten mehr als 5. Das Ei von (. guadrilineatus ist aber außer durch seine Länge noch durch eine merkwürdige Eigenschaft ausgezeichnet; es zeigt nämlich bei genauerer Betrachtung auf seiner ganzen Oberfläche eine große Anzahl von erhabenen Sternchen zierlichster Art, und zwar 4—8strahlige in verschiedener Größe von 0,5—2,5 mm Durch- messer. Auf manchen Eiern sowie an den Polen dieser erwähnten Eier finden sich nur kleine Warzen von 0,5—1,0 mm Durchmesser. Bei den Eiern von ©. Aesculapii kommt dieselbe Erscheinung, wenn auch seltener vor, fehlt aber bei denen von Tropidonotus natrix, tessellatus , Coelopeltis lacertina, Zamenis Dahlii und Z. gemonensis durchaus. Die Ursache dieser sonderbaren Erscheinung ist mir nicht bekannt. Frenzel, Die nukleoläre Kernhalbierung. 701 Die nukleoläre Kernhalbierung, eine besondere Form der amitotischen Kernteilung. Von Prof. Joh. Frenzel. In einem Aufsatz, welcher in Nr. 18 Bd. 11!) dieses Blattes erschien, gedachte ich einer kleinen Untersuchung, welche ich früher an einigen Urustaceen angestellt hatte, um über die amitotische Kernteilung mit nachfolgender Zellteilung Klarheit zu erlangen. Dabei hatten sich einige Resultate ergeben, welche mich überraschten und weiter führten, als zu vermuten war. Indem darüber im Fol- genden kurz berichtet wird, sei auf die ausführlichere, mit einer Tafel begleitete Mitteilung verwiesen, welehe demnächst im Arch. f. mikrosk. Anatomie erscheinen wird. Wie ich früher ?2) zu zeigen unternommen, besteht das Epithel der Mitteldarmdrüse der Dekapoden und vieler Amphipoden (Crevet- tinen und Oaprelliden) aus zweierlei Sekretzellen, nämlich aus den sog. „fetthaltigen“ und den „Fermentzellen“. Während ferner von den letzteren feststeht, dass sie zwecks der Sekretion ausgestoßen werden und zu Grunde gehen, ist dies hinsichtlich der ersten zwar noch fraglich, aber nicht unwahrscheinlich, dass auch hier ein zeit- weiliger Zellverbrauch statfinde. Der Ersatz für diesen Zellverbrauch vollzieht sich nun so, dass sich für die Fermentzellen kleinere, iso- diametrische Mutterzellen teilen, indessen die Fettzellen sich zumeist wohl durch Spaltung schon reiferer Zellen, die bereits das fettartige Sekret führen, vermehren. Daneben mag, wie wir später noch sehen werden, im blinden Ende des Drüsenschlauches noch ein Keim- epithel existieren, dessen junge Zellen sich kontinuierlich vorzu- schieben hätten, um besonders zum Ersatz der Fettzellen zu dienen. In den sich teilenden Zellen Kernmitosen zu finden, ist mir trotz vielen Suchens nieht geglückt. Dahingegen traf ich häufige „Doppel- kerne“ an, Kerne, welche in der amitotisechen Teilung begriffen waren. Welcher von den beiden Zellarten sie auch angehören, so haben sie doch zunächst das Gemeinsame, dass sich zuerst der Nukleolus ver- doppelt. Dies geschieht nun wahrscheinlich nieht nach dem Re- mak’schen Schema unter Zerschnürung des ursprünglichen Nukleolus, sondern sehr viel wahrscheinlicher unter Neubildung eines zweiten, welcher dem ersten in seiner exzentrischen Lage, seinem Glanze, Färbbarkeit und annähernd kugeligen Gestalt fast völlig gleicht. Beide Nukleolen sind von nicht unbeträchtlicher Größe und färben sich mit Karmin oder Hämatoxylin viel intensiver als das Kerngerüst. Dieses markiert sich sehr scharf nach einer Behandlung mit salpeter- 1) Zur Bedeutung der amitotischen (direkten) Kernteilung. 2) Ueber die Mitteldarmdrüse der Crustaceen. Mitteil. Zool. Station Neapel, Bd. V, S. 50 fg. 702 Frenzel, Die nukleoläre Kernhalbierung, saurem Sublimat- Alkohol und zeigt sich aus ziemlich kräftigen Fäden zusammengesetzt, welche in diesem Falle wieder aus einzelnen rund- lichen, gleichgroßen Körnchen (Granula) zusammengereiht sind. Kno- tenpunkte sind jetzt weniger deutlich. Nach Behandlung mit Mer- kel’scher Flüssigkeit hiegegen, wo auch das Gerüst deutlich bleibt, besteht es aus etwa ebenso dicken, nun aber glatten Fäden, wobei sich die Knotenpunkte sehr bemerklich machen. Bei diesen jugend- lichen Kernen ist das Netzwerk ziemlich deutlich. Ein Unterschied scheint sich weiterhin darin geltend zu machen, dass es in den zu- künftigen Fermentzellen ein Maschenwerk wie gewöhnlich vorstellt, während es in den sich teilenden Kernen der Fettzellen von den Nukleolen etwa austrahlend fast in Form größter Kreise mehr längs der Peripherie hinzieht. Später, nach der Teilung, finden in beiderlei Kernen Umformungen des Gerüstes statt, indem es in den Ferment- zellen engmaschiger wird und in den Fettzellen gleichfalls einen solchen maschigen Bau annimmt, sodass also die Strahlung ver- schwindet, vermutlich, indem sich Anastomosen zwischen den ur- sprünglichen kreisartigen Fäden ausbilden. Im Uebrigen verläuft die Teilung in allen jenen Kernen in überaus regelmäßiger Weise. Wahrscheinlich noch während der neue Nukleolus entsteht, streckt sich der erst genau kugelige Kern in die Länge, wobei gleichzeitig senkrecht zum Mittelpunkt der so entstandenen Längsaxe eine kreisförmige Einschnürung von der Kernperipherie aus auftritt. Diese wird tiefer und tiefer, ohne dass die beiden Hälften dabei auseinanderrücken. Sie streben jedoch danach, eine möglichst genaue Kugelgestalt anzunehmen und zu behalten. Ist nun die Durchsehnürung beendet, so ist eine fast mathematisch exakte Verdoppelung des ursprünglichen Kernes eingetreten. Nicht nur die ursprüngliche Nukleolensubstanz hat sich verdoppelt, sondern überhaupt der gesamte Kern, sein Gerüst, sein „Kernsaft“ ete., und beide Kernteile sind nun ebenfalls genau gleich groß und gleich be- schaffen. Es hat mithin eine Kernhalbierung mit Verdoppelung der Kernsubstanzen und im besonderen des Nukleolus stattgefunden, eine Erscheinung, die wir als „nukleoläre Kernhalbierung“ be- zeichnen wollen. Nicht immer freilich möchte dieser Prozess ganz . so regelmäßig verlaufen, denn ich fand bei einem Amphipoden auch eine ungleichmäßige Abschnürung in eine größere und eine kleinere Kugel, welch letztere nun wieder einen kleineren Nukleolus beher- bergte. Die allgemeinere Bezeichnung wäre daher die als „nukleo- läre Kernteilung“, deren Charakteristikum aber immer in der /Zweizahl des Nukleolus und der Erhaltung des Kerngerüstes besteht. Hinsichtlich der Mitteldarmdrüse schließen sich die Isopoden hier enge an. Sie haben dort aber nur eine Art von Epithelzellen. Diese teilen sich ähnlich wie die Fettzellen der Dekapoden, jedoch in ju- gendlicherem Alter. Die Kerne bilden also auch hier einen zweiten Frenzel, Die nukleoläre Kernhalbierung. 703 Nukleolus, und die Zerschnürung erfolgt in derselben regelrechten Weise, sodass daraus zwei gleich große und sonst gleich beschaffene Tochterkerne hervorgehen. — Ueber den eigentlichen Zweck der Mitose (Karyokinesis) wissen wir bis jetzt noch recht wenig. Hat man auch jedenfalls mit Recht behauptet, dass sie nach einer möglichst genauen Halbierung und Verteilung der auffälligsten Kernbestandteile, kurz überhaupt der Kernpotenzen hinziele, so muss doch erkannt werden, dass dies ihre einzige Aufgabe nicht sein kann, denn einmal könnte jenes Ziel viel bequemer und einfacher erreicht werden und zweitens sind die karyokinetischen Vorgänge doch so komplizierte, dass man ihnen wohl außerdem noch eine wichtigere Bedeutung beilegen müsste. Thatsächlich lehren uns die Vorgänge in der Mitteldarmdrüse der Crustaceen nun auch, dass eine Halbierung der „Kernpotenzen“ ohne solehe Umständlichkeiten erreicht wird. Fraglich muss es vor der Hand noch bleiben, ob ein Unterschied zwischen der Mitose und unserer nukleolären Kernteilung darin zu suchen sei, dass bei der ersteren der Kern als morphologisches Individuum mit Ausnahme der chromatischen und achromatischen Fi- guren aufgelöst werde, während in unserem Falle doch der oder die Kerne als morphologisch gesonderte Gebilde weiterexistieren. Bei den Metazoen geht nun allerdings dort die erst schärfer markierte Kernumgrenzung verloren; eine eigentliche Karyolyse möchte dabei aber nicht eingeschlossen sein, nachdem W. Pfitzner, dem sich Waldeyer anschloss, das ziemlich unveränderte Fortbestehen des Kernplasmas während der Teilung nachgewiesen hatte, sodass letz- terer den Grundtypus des Remak’schen Schemas hier wiedererkannte. Weiterhin hält Bütsehli ja für Protozoen das Bestehen der Kern- begrenzung auch aufrecht. Da indessen bei den Metazoen wenigstens diese „Begrenzung“ seltner den Charakter einer festeren Membran anzunehmen scheint, so stünde vor der Hand wohl, namentlich wenn sie gänzlich schwindet, dem Eindringen von Zellsaft in den Kern nach der Meinung Flemming’s nicht viel entgegen. Auch die Kerne in der Mitteldarmdrüse der Crustaceen weisen keine festere Membran, sondern nur die etwas unbestimmt lautende „Umgrenzung“, „Konturierung“ auf. Ein unmittelbares Eintreten von Zellsaft in den Kern glaube ich indessen hier verneinen zu dürfen. Dieser ver- größert sich allerdings zum Zweck der Teilung um das Doppelte seines Volumens; eine Aufnahme von Zellsubstanzen in den Kern ist daher mehr als wahrscheinlich. Sie werden indessen offenbar in Kernsubstanzen umgeformt. Die Mitose (Karyokinesis) besteht in erheblichen Umäuderungen des Kerngerüstes, wodurch sie zu allen übrigen Kernteilungen in schärfsten Gegensatz tritt. Diese sind jedoch nicht alle unter sich gleichartig, sondern lassen wieder verschiedene Typen erkennen, von 704 Frenzel, Die nukleoläre Kernhalbierung. denen einer unsere nukleoläre Kernteilung mit der Unterabteilung der entsprechenden Kernhalbierung ist. Ob man diesen Modus als einen „direkten“ oder „indirekten“ ansprechen will, das bleibt wohl ganz Geschmackssache. Jedenfalls ist er aber weniger direkt als eine Kernfragmentation und weniger indirekt als eine Mitose. Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass die Kerne im Epithel unserer Mitteldarmdrüse nach erfolgter Teilung wohl nicht funktionslos werden. Sie wachsen nämlich nicht nur mit ihren Zellen mit, sondern ihr chromatisches Gerüst wird auch ganz erheblich dichter und die Nukleolensubstanz wird oft noch mächtiger. Während jugendliche Kerne vor Eintritt in die Teilung und nach erfolgter Durchtrennung in die Tochterkerne stets nur einen einzigen Nukleolus beherbergen, so kann in den enorm groß gewordenen Kernen na- mentlich der Fermentzellen der Dekapoden und in den Epithelzellen der Isopoden oft noch ein zweiter oder gar ein dritter Kernkörper auftreten. In den Fermentzellen der Dekapoden beginnt dann eine Metamorphose, die wir als rückschreitende benennen dürfen. Sobald sich nämlich das Sekretbläschen zeigt, fängt der Kern an mit Er- haltung seiner Gestalt einzuschrumpfen, worauf er sich dann immer diffuser färbt, indem er zunächst an „Kernsaft“ einbüßt. Schließlich sieht man ihn nur noch als schmales, halbmondförmig aussehendes, glänzendes und sich lebhaft tingierendes Scheibchen der riesigen Sekretblase anliegen, mit welcher er endlich in das Drüsenlumen befördert wird. Die Kernsubstanzen, mit Ausnahme eines beschei- denen Restes, werden hier also bei der Sekretbildung aufgebraucht. Diese Vorgänge geben nun schließlich auch den besten Beweis ab, dass wenigstens die Fermentzellen der Mitteldarmdrüse zwecks der Sekretion mitsamt dem Kerne untergehen, woraus folgt, dass sie ebenso stetig durch neue ersetzt werden müssen. Dieser Ersatz dürfte nun in zweierlei Manier erfolgen, nämlich erstens durch Kern- und Zellteilungen innerhalb jeder beliebigen Stelle des Epithels, wie wir oben sahen, und durch ebensolche Teilungen innerhalb eines Keimepithels, das in dem blinden Ende eines jeden Drüsen- schlauches liegt. Hier sind die Zellen nämlich sehr klein, ohne be- stimmteren Charakter und lassen keinen sekretorischen Inhalt wahr- nehmen. Nur nukleoläre Kernhalbierungen vermisst man nicht. Die hier entstehenden jungen Zellen mögen sich daher in das sezer- nierende Epithel vorschieben und so zum Ersatz der Zellen, nament- lich der fetthaltigen, beitragen, die ja nicht im Epithel selbst Mutter- oder Keimzellen besitzen, wie die Fermentzellen. Wenn sie sich teilen, so geschieht dies vielmehr in ihrem reiferen Zustande, nach- dem der sekretorische Inhalt bereits teilweise produziert ist. Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen, Biologisches Gentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Eneekas in Erlangen. 4 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XL ‚Band. 15. Dezember 1891. Nr. 23. RER t: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der RER (Drittes Stück). _ Thiele, Das Integument der Chitonen. — Auerbach, Ueber einen sexuellen Gegensatz in der Chromatophilie der Keimsubstanzen nebst Bemerkungen zum Bau der Eier und Ovarien niederer Wirbeltiere. — Kochs, Ueber die Malaria- amöbe und das Chinin. — Ritzema Bos, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen. — Valenti, Ossa sopranumerarie del naso. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. (Drittes Stück.) In meinem ersten Referate konnte ich bei der Wiedergabe des Inhaltes zweier wichtiger vorläufiger Mitteilungen Wiesner’s über die Elementargebilde der Pflanzenzelle auf das bevorstehende Er- scheinen einer umfassenderen Publikation des Verf. hinweisen. Der Inhalt des nun erschienenen Werkes!) verlohnt es vollauf, dass wir in unserem Berichte in ganz besonderem Maße die Aufmerksamkeit der Leser auf ihn lenken, um, wie wir wünschen, zur Lektüre des Originales anzuregen. Eine eingehendere „Geschichte und Kritik der bisher unternommenen Versuche, den elementaren Bau und das Wachstum der lebenden Substanz zu erklären“ leitet das Werk ein. Sie führt den Nachweis, dass nicht sowohl ein noch so fein erdachter Ausbau der Micellartheorie, der Lehre von der Molekular- struktur der organisierten Substanz, eine Förderung unseres Einblickes in das Wesen der Organisation verspricht als vielmehr die Fortführung und Entwicklung der Vorstellung Brücke’s von der Organisation, wie sie folgender Begriffsbestimmung zu Grunde liegt. „Wir können uns keine lebende vegetierende Zelle denken mit homogenem Kern und homogener Membran und einer bloßen Eiweißlösung als Inhalt; denn wir nehmen diejenigen Erscheinungen, welche wir als Lebens- 1) Die Elementarstruktur und das Wachstum der lebenden Substanz. Wien 1892. 283 Seiten. XI, 45 706 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. erscheinungen bezeichnen, am Eiweiße als solchem durchaus nicht wahr. Wir müssen deshalb den lebenden Zellen, abgesehen von der Molekularstruktur der organischen Verbindungen, welche sie enthält, noch eine andere und in anderer Weise komplizierte Struktur zu- schreiben, und diese ist es, welche wir mit den Namen Organisation bezeichnen. Die zusammengesetzten Moleküle der organischen Ver- bindungen sind hier nur die Werkstücke, die nicht in einförmiger Weise eines neben dem andern aufgeschichtet, sondern zu einem lebendigen Baue kunstreich zusammengefügt sind“. Eine geistreiche Vertiefung des Problemes der Organisation in diesem Brücke’schen Sinne ist Wiesner’s Plasomenlehre. Der erste Teil der Abhandlung, der Inhalt des II. Kapitels, ist dem Studium über „die Bedeutung der Teilung für das Leben und die Grenzen des Teilungsvermögens der lebenden Substanz“ gewidmet. Die Geschichte der biologischen Naturwissenschaften lehrt uns, dass der Lehre von der spontanen Entstehung der Organismen mit der fortschreitenden Entwicklung der Wissenschaft der Boden immer mehr und mehr entzogen wurde. Seit Dezennien perhorreszierte man in Gelehrtenkreisen die spontane Erzeugung selbst niederster Organismen der Pflanzen- oder Tierwelt. Die Zeit aber liegt noch nicht weit zurück, wo diese Auffassung noch nicht in das Gebiet der Histologie hinübergriff, wo man an der Lehre von der spontanen Ent- stehung der Zelle innerhalb des Organismus sich nicht stieß. Nach- dem auch für diese Elementargebilde der Organismen die spontane Entstehung preisgegeben war, glaubte man doch für die niedrigeren Einheiten, die „Elementargebilde“ der Zellen sie festhalten zu sollen. „Noch vor wenigen Jahren ließ man den Zellkern aus dem als Flüssigkeit angenommenen Protoplasma hervorgehen und nahm noch eine spontane Entstehung organisierter Inhaltskörper (Chlorophylil- körner etc.) in der Pflanzenzelle an“. Rasch sich folgende Fortschritte der mikroskopischen Untersuchungsmethoden lassen nunmehr keinen Zweifel darüber bestehen, „dass innerhalb des Organismus das Lebende nur wieder aus Lebendem oder in anderer Form ausgedrückt das ÖOrganisierte nur wieder aus Organisiertem hervorgeht“. Ist dem so, so folgt daraus, „dass alle uns in der Zelle entgegentretenden lebenden Individualitäten aus andern lebenden Gebilden auf dem Wege der Teilung hervor- gehen müssen. Dass die Teilung, auf der die ungeschlechtliche Fort- pflanzung, die Neubildung der Zellen zu Geweben, in letzter Linie auch die geschlechtliche Fortpflanzung beruht, im Leben der Organismen eine ganz hervorragende Rolle spielt, liegt auf der Hand. Wo liegt die Grenze der Teilungsfähigkeit? Aus der Beobachtung, dass im allgemeinen durch geteilte Stöcke die Vermehrung leicht vor sich geht, dass ferner sehr zahlreiche Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 707 Pflanzen, wohl etwas schwieriger, durch Stecklinge vermehrt werden können, dass die Vermehrung durch künstlich losgelöste Laubknospen zwar möglich aber äußerst schwer ist, möchte man geneigt sein zu schließen, „dass sich das Teilungsvermögen mit der Abnahme der entwicklungsfähigen Organe verringere“. Dem widerspricht das Ver- halten der Adventivsprosse. So regeneriert sich der Löwenzahn aus seiner Wurzel und selbst aus zahlreichen Teilstücken seiner Wurzel, nicht aber durch den normalbeblätterten Spross. Eine Proportionalität zwischen dem Grade der direkten Entwicklungsfähigkeit der Teil- stücke einer Pflanze und dem ihres Teilungsvermögens besteht also nicht, wie auch jene Fälle lehren, in denen einzelne Pflanzen durch Blätter oder selbst Blattfragmente (Begonia Rex) fortgepflanzt werden können. Ist hiermit die äußerste Grenze der Teilbarkeit erreicht? Auf der niedersten Stufe der blattbildenden Pflanzen, bei den Moosen, erreicht die ungeschlechtliche Vermehrungsfähigkeit den höchsten Grad — denn es kann fast jede Zelle zum Vorkeim und durch diesen zur Moospflanze sich entwickeln — und zugleich die Teilbar- keit ihre höchste Grenze, indem auch einzelne sich lösende Zellen zur Pflanze heranwachsen können. Es ist also bei den Phanerogamen, auch eingeschlossen jene Fälle parasitischer Gewächse (Orobanche), bei denen ein aus wenigen an- scheinend gleichartigen Zellen bestehendes Teilstück — die Keim- lingsspitze des sehr einfach gebauten Keimfadens — die normale Pflanze hervorzubringen vermag, die Teilbarkeit eine begrenztere als bei den Moosen. Die Entstehung der Adventivsprosse lehrt, dass ihre Anlage auf Protoplasma enthaltende Zellen zurückzuführen ist, „welche schließ- lich, gewöhnlich unter Vermittlung eines Kallus, ein Teilungsgewebe bilden, in welchem je eine Meristemzelle zum Ausgangspunkte des Adventivsprosses oder des neuentstandenen Individuums wird“. Diese Meristemzelle ist der befruchteten Eizelle vergleichbar, weshalb Wiesner sie als sekundäre Embryonalzelle bezeichnet, „denn diese Zelle ist von dem Augenblicke an, in welchem aus ihr durch gesetzmäßige Teilung eine embryonale Pflanze und endlich die normale Pflanze mit allen ihren Eigentümlichkeiten hervorgeht, von der be- fruchteten Eizelle nicht mehr verschieden, da sie dieselben Produkte wie diese durch dieselben Mittel und in derselben Reihenfolge hervor- bringt. All dies ist aber nur möglich, wenn sie dasselbe Plasma (Keimplasma) und, wie man annehmen darf, in derselben Menge, wie die Eizelle, enthält“. Der Unterschied zwischen den Vermehrungszellen, d. h. den Zellen einer Geschlechtspflanze, welche auf ungeschlechtlichem Wege die Anlage eines Pflanzenindividuums zu bilden vermag, und einer Vegetationszelle besteht darin, dass jene weitmehr Keim- plasma führt. „Der Teilbarkeit der höhern Pflanzen ist dadurch eine 45* 708 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Grenze gesetzt, dass in den Zellen der zur ungeschlechtlichen Ver- mehrung dienenden Organe (Blätter, Stengel, Wurzeln) zu wenig Keimplasma enthalten ist, als dass sie direkt die Anlage einer neuen Pflanze zu bilden vermögen; es muss erst durch einen gewöhnlich infolge von Verletzungen eingeleiteten Zellteilungsprozess so viel Keimplasma geschaffen werden, als zur Anlage neuer Individuen er- forderlich ist“. Die Teilbarkeit einer Pflanze erfährt aber auch noch andere Einschränkungen. Die unter Mitwirkung anderer Zellen ent- standene sekundäre Embryonalzelle muss gleich der befruchteten Ei- zelle durch ein Gewebe genährt werden. Diese Aufgabe kommt dem fast ausnahmslos sich bildenden Kallus zu. In wenigen Fällen nur (Cardamine) genügt ein schwach entwickeltes Meristem nicht nur zur Entstehung, sondern auch zur Entwicklung der sekundären Em- bryonalzelle. „Aus dieser Betrachtung ist zu ersehen, dass die Teil- barkeit der höhern Pflanzen nicht bis zur einzelnen Zelle hinabreicht; es ist zur Anlage des Keimes zunächst ein Keimplasma erzeugendes Meristem, und sodann ein Nährgewebe (Kallus) erforderlich, welches aus ersterem hervorgeht. Da nun zur Hervorbringung dieser Gewebe mehr oder minder große Massen von Dauergewebe erforderlich sind, so ist ersichtlich, dass von der Menge dieser je nach der Pflanzenart verschiedenen Menge vom lebenden Gewebe die Größe und Ausbildung der Teilstücke, welche zur Vermehrung der Pflanzen notwendig sind, abhängig sein wird“. Die Umwandlung der Vegetationszellen in Vermehrungszellen führt Verf. auf folgende Umstände zurück. In durchschnittenen lebenden Organen stauen sich die nach den Schnittflächen sich bewegenden plastischen Stoffe und führen das zur Kallusbildung nötige Material zu. Die durch die Trennung ange- schnittenen Zellen verschwinden nach einiger Zeit, während zugleich die Neubildung der Zellen vor sich geht. „Es tritt eine Resorbtion der verletzten Zellen ein und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Produkte dieser Zellen in den Stoffwechsel der überlebenden Zellen eintreten“. Sollten nicht die in die benachbarten überlebenden Gewebe eintretenden Stoffe die Ursache der Umwandlung der Dauer- zellen in Folgemeristemzellen sein? Diese Stoffe können zweierlei Art sein, tote Substanz, also bestimmte chemische Individuen oder lebende, also protoplasmatische Substanz. Verf. ist geneigt, „nicht nur in diesem Falle, sondern überall dort, wo durch stoffliche Einwirkung eine spezifische Umgestaltung, sei es eines Organismus, sei es eines Organes hervorgerufen wird, das Eingreifen einer lebenden also, ge- formten, organisierten Substanz anzunehmen“. — Geht die Teilungsfähigkeit der Phanerogamen in einzelnen Fällen (Orobanche) bis auf eine kleine Gruppe gleichartig erscheinender Zellen herab, bei den Moosen sogar bis zur einzelnen Zelle, so kann bei den Thallophyten die Teilbarkeit sogar noch über die einzelne Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 709 Zelle hinausgehen bis auf die kernhaltigen Protoplasmateilchen der Coeloblasten. Bei Tieren ist die Teilbarkeit des ausgebildeten Organismus eine viel beschränktere, indem sie nur den niedersten Formen zukommt. Tiere und Pflanzen stimmen aber bezüglich der Teilbarkeit darin mit einander überein, „dass die Organbildung durchaus auf Teilung der Zelle beruht und dass von der Zelle abwärts alle siehtlichen Neubildungen des lebenden Organismus durch Teilung entstehen“. Stärkekörner, Chlorophylikörner sowie auch die iibrigen Chromato- phoren gehen aus teilungsfähigen Plastiden hervor, „die unmittelbar von einer Generation auf die andere übertragen werden“. Entsprechend dem Fortschritte’der Wissenschaft, der Erweiterung unseres Erfahrungswissens musste also die Grenze der organischen Teilbarkeit des Pflanzenkörpers immer weiter herabgerückt werden. Der einstigen Auffassung, dass Stecklinge, Brutknospen und zum Okulieren dienende Laubknospen oder Laubsprosse die letzten Teil- körper der Pflanze seien, trat mit der Entdeckung der Zellteilung die Ansicht entgegen, dass die Zelle der letzte Teilkörper der Pflanze sei. Nachdem die Zellstudien der letzten Jahre die Erkenntnis brachten, dass die Kerne ausnahmslos aus Kernen hervorgehen, wurden Proto- plasma und Kern als die letzten Teilkörper angenommen. Die Be- obachtung der der Kernteilung vorangehenden Teilung der Kernfäden bei der indirekten Zellteilung, der im Protoplasma selbständig sich teilenden Plastiden führte zur nun herrschenden Ansicht. Der Kern und die in demselben sich teilenden Chromatinfäden, die Chromato- phoren, die Plastiden sind die letzten teilungsfähigen Gebilde der Pflanzen. — Sind es in Wirklichkeit die letzten? Hat die Teilungsfähigkeit der lebenden Substanz eine Grenze? Wo liegt sie? „Da das Organi- sierte fortzeugend Organisiertes hervorbringt, so ist es gewiss, dass die Teilung der lebenden Substanz nicht bis zu ihrem Zerfall in Moleküle gehen könne, sondern dass ihr eine räumliche Grenze ge- setzt sein müsse“. In den Chromatophoren zahlreicher Algen wurde eine Art Kern beobachtet, kugelige Gebilde, die als Pyrenoiden bezeichnet werden. Diese sind teilungsfähig und insofern ist deren Teilung für die Chromatophoren von Bedeutung, als sie der Teilung jener stets voran- geht. Dabei entstehen gewöhnlich so viele neue Chromatophoren als neue Pyrenoide gebildet wurden. Damit wird also die Grenze der Teilungsfähigkeit auf noch kleinere organisierte Gebilde verschoben, als wie man bisher dachte. Die Amylumherde, wie sie bei Konjugaten in den Chromatophoren nachgewiesen wurden, stellen ebenfalls organi- sierte Individualitäten dar. Sie bestehen aus meist kleinen Amylum- körnern, also ist wohl die Annahme berechtigt, „dass in jenem Teile des Chromatophors, in welchem die Amylumkörnchen erscheinen, 710 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. kleine, der direkten Beobachtung sich entziehende Protoplasmakörper- chen (Stärkeplastiden) vorkommen, welche die Stärkekörnchen er- zeugen“. Die Amylumherde teilen sich bei der Teilung der Pyrenoiden. An der Einsehnürungsseite entsteht eine anfangs sehr schwache Zone, in welcher sehr kleine nach und nach heranwachsende Stärkekörnchen erscheinen. Bald nach der Teilung ist der die entstandenen Pyrenoide umgebende Amylumherd von gleich großen in gleichem Abstand an- gelagerten Körnchen umgeben. Die neu eingeschalteten Körner werden den ältern Schwesterkörnern gleich in ihrer Entstehung auf Plastiden zurückzuführen sein. Woher stammen aber die Amidoplastiden? Wenn sie so entstehen, wie jene Plastiden, deren Herkunft wir kennen, so gehen sie aus Plastiden hervor, welche sich zwischen den neuen Pyrenoiden angesammelt haben mussten, in einer daselbst gänzlich neu entstandenen Zone von Chromatophorensubstanz. Da aber eine spontane Entstehung von Plastiden unseren sonstigen diesbezüglichen Erfahrungen widersprechen würde, so bleibt nur die Annahme übrig, dass sie aus schon vorhandenen Plastiden durch Teilung hervorge- bracht wurden, und zwar muss während der Teilung des Pyrenoids eine reichliche Teilung der Plastiden stattgefunden haben. Unter den gemachten Voraussetzungen, deren Wahrscheinlichkeit wohl an Gewiss- heit grenzt, kommen wir als zu dem Ergebnisse, dass in den Chromato- phoren sich teilende Plastiden vorhanden sein müssen, welche sich aber, sei es wegen ihrer Kleinheit, sei es, weil sie sich von der Um- gebung aus optischen Gründen nicht differenzieren, der direkten Wahrnehmuug entziehen, Die Kleinheit der Plastiden lässt der Hoffnung wenig Raum, dass auch in ihnen innere Teilung nachweisbar werde. Auf eine zeitweise Komplikation ihres Baues weist jedoch der Umstand hin, dass Plastiden Junger Blätter von Tradescantia, die sog. Leukoplastiden, anfänglich nicht färbbar sind, später aber färbbar werden. Alsdann zeigen sie eine innere Gliederung: rundliche stark tingierbare Gebilde sind einer farblosen Grundmasse eingebettet. Eine Zusammensetzung aus kleinen Körpern gilt auch für das Protoplasma. Demnach „beruht die Teilung des ganzen Proto- plasmakörpers auf innerer Teilung und geht von letzten Teilkörperchen aus, welche in der Teilungszone des Protoplasmas gelegen sein müssen“. Die Sprossung der Hefezellen lehrt, dass auch die Zellhaut als ein selbständiger Teilkörper der Zelle zu betrachten ist. Auf ihre Zusammensetzung aus kleinsten Hautkörpern, den Dermatosomen, kom- men wir später zu sprechen. So bestehen also nach Wiesner’s Auffassung alle Teile der Zelle, also des ganzen Organismus, aus kleinsten Gebilden, „durch deren Thätigkeit und Wechselwirkung der Organismus lebt und auf deren Vermehrung durch Teilung das Wachstum des Organismus in erster Linie beruht“. Diese letzten Teilkörperchen sind die Plasomen. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. TA Das II. Kapitel behandelt die Elementarstruktur der Organismen. Die Frage, ob die Plasomen direkt sichtbar sind, bejaht Verf. wenigstens für bestimmte Fälle. „Ich halte es für zweckmäßig, schreibt er, die kleinsten, wahrnehmbaren Teilkörper der Zelle einst- weilen als Plasomen zu betrachten, jedoch mit dem Vorbehalte, dass dieselben auch Plasomgruppen sein mögen“. Daneben müssen aber auch, wie bestimmte Thatsachen lehren, Plasomen existieren, die man auch mit den besten Hilfsmitteln nicht zu unterscheiden vermag, wie z. B. die Dermatosomenanlagen. Die Dermatosomen, in welche die Wand ausgebildeter Bastzellen zerlegt werden kann, gehen, wie für bestimmte Fälle erwiesen ist, aus sichtbaren Plasomen hervor. Ge- wöhnlich aber sind diese Dermatosomenanlagen nicht nachweisbar. Ein Grund anzunehmen, dass in solchen Fällen die Entstehung anderer Art sei als in jenen ersten Fällen, existiert nicht; also muss es in der That der Wahrnehmung sich entziehende Plasomen geben. „Da die Dermatosomen sich nicht mehr teilen, aber aus teilungsfähigen Plasmagebilden hervorgehen, so gelangt man zu der Ansicht, dass die Plasomen beträchtlich heranzuwachsen befähigt sind, sobald sie ihr Teilungsgeschäft beendigt haben“. Zu derselben Ansicht führt die Beobachtung von Plasmakörnchen in ausgewachsenen Zellen, die in jugendlichen nicht zu sehen waren. Sie stellen also die Dauer- zustände viel kleinerer Teilkörperchen dar. Es verhält sich danach das Plasom gleich andern teilungsfähigen Gebilden, die ja auch „nach der Teilung ihr Volumen durch Wachstum vergrößern“. Neben dem Vermögen sich zu teilen und zu wachsen wohnt den Plasomen auch die Fähigkeit inne sich zu höhern Einheiten zu ver- binden. Die Chromatinfäden, welche bei der Kernteilung auftreten, werden z. B. auf die in ruhenden Kernen vorhandenen Körperchen zurückgeführt. In der nähern Begründung der Elementarstruktur des pflanzlichen Organismus stellt Verf. seine Auffassung von der Organisation der Zellhaut voran, die von der herrschenden bedeutend abweicht. Die Unterschiede zwischen der vegetabilischen Zellhaut und dem „lebenden Zellenleibe“ sieht man 1) in der chemischen Beschaffenheit, 2) in der Struktur, 3) darin, dass die Zellhaut als ein totes Gebilde zu betrach- ten sei. Dass die Zellhaut nicht aus einem chemischen Individuum (Cellulose) besteht, sondern gleich andern lebenden Gebilden eine komplexe chemische Zusammensetzung besitzt, geht aus folgendem hervor. Wenn z. B. Chlorzinkjodlösung, welche reine Cellulose intensiv violett färbt, auch an der Zellwand die Färbung hervorruft, so darf aus dem Auftreten der Tinktion nur geschlossen werden, dass 7112 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. die Zellhaut Cellulose enthält, nicht aber dass sie aus reiner Cellu- lose besteht. Andere Reaktionen (Einwirkung von übermangansaurem Kalium) beweisen thatsächlich, dass sie noch andere organische Sub- stanzen enthalten muss. Verf. weist z. B. in verholzten Zellwänden neben Cellulose Koniferin, Vanillin, 2 Gummiarten und einen 5. nicht näher bestimmten Körper nach; in verkorkten Zellwänden kommt Suberin dazu und unter Umständen Eiweiß. Die Zellhaut ist also ein chemisch-komplexes Gebilde, dessen chemische Individuen teils Glieder der aromatischen Reihe sind, teils zu den Fettkörpern ge- hören. Erstere kann man nicht aus Cellulose ableiten, wohl aber aus dem Eiweißgehalt der Zellhaut erklären. Durch kombinierte Reaktionen lässt sich in der That in vielen Fällen die Gegenwart von Eiweiß in der Zellhaut verschiedener Pflanzen- gewebe nachweisen. In ganz jugendlichen Zellhäuten ist Eiweiß stets nachweisbar. Seine Gegenwart verhindert das Entstehen der Chlorzinkjodreaktion, die sofort eintritt, nachdem die jungen Zellhäute peptonisiert wurden, wobei die Eiweißkörper in Lösung gehen. Der Eiweißgehalt ist für das Leben der Zellhaut noch nicht maß- gebend. Nur dem lebenden Eiweiß kommt ein bestimmter Einfluss zu. Die Löw-Bokorny’sche Silberreaktion lässt aber in den Membranen zahlreicher, namentlich jugendlicher lebender Zellen die Gegenwart von lebendem Protoplasma erkennen. Für das Leben der Zelle reden aber vor allem ihre Thätigkeitsäußerungen. Die in Membranen sich vollziehenden Veränderungen wurden bisher auf Vor- gänge im Cytoplasma zurückgeführt. Gegen die völlige Passivität der Zellhaut sprechen aber eine Reihe von Thatsachen, wie die protoplasmatischen Verbindungen be- nachbarter Zellen, die Verwachsungserscheinungen von Zellen, welche einander mit ihren Wänden anliegen (Okulieren, Kopulieren ete.). Eine bloße Verklebung findet in diesen Fällen nicht statt. Das ganze Verhalten ist von der Zellverbindung, wie sie bei Geweben auftritt, nicht zu unterscheiden. Die Eiweißreaktion lässt in den Zellwänden lebendes Protoplasma erkennen, also „muss die Verbindung ursprüng- lich getrennter Zellmembranen als ein Lebensakt aufgefasst werden“. Die Cystolithenbildungen, welche in extremster Ausbildung im Blatte der Goldfussia beobachtet werden, sind auf ein lokal ungemein ge- steigertes Wachstum der Wand zurückzuführen und leicht verständ- lich, wenn man mit Wiesner annimmt, dass in der wachsenden Wand lebende Substanz enthalten ist. — Cramer’s Untersuchungen über das Wachstum der vertizillierten Siphoneen ergaben, „das überaus starke Membranwachstum der Mantelscheide der Algen, welches sich überall getrennt vom lebenden Cytoplasma vollzieht“. Auch das Wachstum der Mantelkappe erfolgt getrennt vom Cytoplasma. Die Eiweißreaktion der Wände tritt allerdings nicht ein. „Es scheint mir, Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 7113 sagt Wiesner, dass das tote, vor der Reaktionsvornahme erst zu entkalkende Material, dessen zarte Zellwände während der Behand- lung mit den Reagentien fast ganz zerfließen, zu Studien über Eiweiß- gehalt der Zellwände nur wenig geeignet ist“. — Die Struktur der Zellwände ist nach Wiesner ganz anderer Art, als wie bisher gedacht wurde. Durch eine Behandlungsweise der Zellhaut, die als das Zerstäubungs- oder Karbonisierungsverfahren bezeichnet wird, gelingt es die Zellwände in feine Fibrillen und diese wieder in überaus fein rundliche Körnchen zu zerlegen. „Diese kleinen Gebilde sind die Hautkörperchen oder Dermatosomen, durch deren Vereinigung die Fibrillen zu Stande kommen, und diese reihen sich in der Richtung der Oberfläche der Zellen zu dem zusammen, was man bisher immer als Schichtung bezeichnet hat... Man kann also in der That mit dem gleichen Rechte, mit dem man die Zellhaut als geschichtet betrachtet, dieselbe auch als fibrillär gebaut ansehen. Mit dem gleichen Rechte kann man sie aber auch in gewissen Fällen als einen Stoß genau über einander liegenden Querscheiben betrachten. Aber strenge genommen besteht sie weder aus Schichten noch aus Fasern, noch, wie die karbonisierte Jutefaser annehmen ließe, aus übereinander liegender Lamellen, sondern sie setzt sich aus eigentüm- lichen Hautkörperchen zusammen, die sich nur je nach ihrer gegen- seitigen Lagerung und Verbindung zu Fibrillen oder zu Schichten oder zu Lamellen vereinigen“. Durch Anwendung von Chlorwasser kann nach wochenlanger Ein- wirkung eine [Isolierung der Dermatosomen unter Anwendung von nur sehr schwachem Drucke erfolgen. Dieses Verfahren lässt auch die Korkzellwände in Dermatosomen zerlegen. Die Hyphen der Pilze sind sehr widerstandsfähig. „Da nun (aber) die Pilzwände nach drei- wöchentlicher Behandlung mit Chlorwasser durch später folgende Einwirkung von Chlor oder Salzsäure sehr deutlich geschichtet er- scheinen, die Schichtung aber auf Anwesenheit von Dermatosomen schließen lässt, und da überhaupt anzunehmen ist, dass die Membran der Pilzzelle nicht anders als die der übrigen Pflanzenzellen gebaut ist, so wird man zu der Ansicht gedrängt, dass die Pilzzellhaut wohl auch aus Dermatosomen besteht, dass sich aber dieselben wegen ihrer außerordentlichen Kleinheit der direkten Beobachtung entziehen“. Nach Schmitz und Strasburger’s Untersuchungen bilden häufig zu Reihen geordnete kleine Protoplasmakörnchen die Anlage der Zellwand. Häufig verschwinden dieselben. „Da nun in den Zell- häuten später Dermatosomen auftreten, welche ja nicht spontan ent- stehen, sondern aus Plasomen hervorgehen, so betrachte ich die ge- nannten Plasmakörnchen als Plasomen (oder Plasomgruppen) welche bei ihrer Teilung zu verschwinden scheinen, nämlich wegen ihrer außerordentlichen Kleinheit selbst bei den stärksten Vergrößerungen picht mehr wahrnehmbar sind, aber nach dem Aufhören der Tei- 714 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. lung heranwachsen und als Dermatosomen wieder in Erscheinung treten“. Mit Wiesner’s Auffassung von Bau und chemischer Beschaffen- heit der Zellhaut stehen die Beobachtungsresultate verschiedener Autoren in vollem Einklang, so die von Zacharias entdeckte Bil- dungsweise der Zellhaut an den Rhizoiden von Chara foetida, vor allem aber Noll’s Beobachtungen über die Zusammensetzung der Zellhäute von Derbesia und andern Algen. In weleher Weise sind die Dermatosomen mit einander verbunden? Nicht durch gegenseitige Anziehung baften sie einander an, sondern es vermitteln bestimmte Substanzen ihre Vereinigung. Die Lösung der Zellen aus ihrem Verbande kann bei den mannigfaltigsten Pflanzen- arten, sei es auf mechanischem Wege, sei es auf chemischem ausge- führt werden. Hierbei bewahren aber die sich trennenden Zellen ihren innern Zusammenhang. Es folgt daraus, „dass die Dermato- somen an den Zellgrenzen lockerer gebunden sein müssen als inner- halb der Zellhaut“. Die Möglichkeit Membranen in Schichten zu zerlegen zeigt, dass auch innerhalb der Membranen die Bindung eine verschiedene ist. „Da mit der fortschreitenden Zerlegung der Zell- haut in Dermatosomen der relative Gehalt an Cellulose zunimmt und in den freigewordenen Dermatosomen neben Cellulose keine andere Substanz sich nachweisen lässt, so muss angenommen werden, dass jene Substanzen, welche in der Zellhaut als „Nichtcellulose“ auftreten, hauptsächlich zwischen den Hautkörperchen gelegen sind und mithin die Bindesubstanz repräsentieren“. Die Genesis der Haut, ihre Entstehung aus Protoplasma, das nur zum Teil sich in Cellulose umwandelt, weist darauf hin, dass diese Bindesubstanz entweder aus Resten der Eiweiß- körper besteht oder aus Abkömmlingen dieser. Der geschichtete und fibrilläre Charakter der meisten Zellhäute erklärt sich hieraus, denn diese Bindesubstanzen werden in der Regel ein anderes Lichtbrechungs- vermögen besitzen als die Cellulose. Die Gliederung einer vegetabilischen Zellhaut in Außenhaut (Mittel- lamelle der zu Geweben verbundenen Zeilen), Verdiekungsschichte und Innenhaut hat teils in der chemischen Beschaffenheit, teils in der je- weiligen Verbindungsweise der Dermatosomen ihren Grund. Die Beobachtungen über die Struktur des Protoplasmas lehren, dass dieselbe nicht in allen Zellen gleichartig ist. In vielen Fällen stellt es ein Netzwerk dar, in andern ein durch vielfach ver- schlungene Fäden erzeugtes Fadenwerk, wieder in andern Fällen hat es einen wabenartigen Bau. In ein und derselben Zelle kann diese Struktur verschiedenen Charakter besitzen. Ein einheitlicher Typus der Protoplasmastruktur verrät sich also hierin nicht. Das Ueberein- stimmende muss also tiefer liegen, als bisher angenommen wurde. Die Einheit im Bau des Protoplasmas ist dessen Zusammensetzung aus Plasomen, deren Anordnung und Verbindung diese genannten Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 715 gröbern Strukturverhältnisse bedingen. „In Protoplasmen, welche hyalin und homogen erscheinen, liegen höchst wahrscheinlich die Plasomen dicht gedrängt neben einander, wie die Zellen eines Meristem- gewebes“. Gleich dem Protoplasma ist auch der Kern — wie ja ebenfalls schon aus unsern frühern Darlegungen ersichtlich — aus Plasomen zusammengesetzt. Chlorophylikörner und Chromatophoren besitzen einen protoplas- matischen Bau, werden also — worauf zum Teil erwähnte Einzel- beobachtungen hinweisen — die gleiche Plasmastruktur besitzen. Das- selbe gilt für die Stärkekörner!). Betreffend ihre Struktur ergeben die Untersuchungen von Mikosch, dass ihnen die gleiche Organi- sation zukommt wie der Zellhaut. Bezüglich der Entstehung der Vakuolen sind — wie wir in unserem ersten Referate zeigten — die Meinungen nicht abgeklärt. „Nach allen meinen Wahrnehmungen, über Vakuolen schreibt Wiesner, möchte ich dieselben in die Kate- gorie der organisierten Inhaltskörper stellen, welche Plastiden ihre Entstehung verdanken, also kleiner, protoplasmatischer, durch die Thätigkeit der Teilung ausgezeichneter Körper“. Farbstoff- und Gerb- stoffbläschen sind spezielle Fälle der Vakuolen. Auch die Aleuron- körner fasst Wiesner als Produkte der Plastiden auf. — Es kann also allen organisierten Teilen der Zelle ein überein- stimmender Bau zugeschrieben werden. Sie alle sind Verbindungen der Plasomen. „Gleich den Zellen büßen schließlich diese Elementar- gebilde ihre Teilungsfähigkeit ein und verschwinden entweder oder werden in relativ große, stationäre Körperchen, in Dermatosomen, Protoplasmakörnchen u. s. f. umgestaltet“. — Im Wesen der Teilung ist es begründet, dass ihre Produkte ein- ander anfänglich unmittelbar berühren. Ein Teilungsgewebe besteht demnach aus dicht gefügten Zellen, zwischen denen erst später Hohl- räume entstehen. Analog haben wir uns vorzustellen, dass in den ersten Entwicklungsstadien der Zellen deren Plasomen dichter einander anliegen als später, „Es ist auch wahrscheinlich, dass die Plasomen, so lange sie noch in Teilung begriffen sind, unter einander mehr über- einstimmen und sich erst später mannigfaltiger ausgestalten. Zwischen den Plasomen liegt dann eine Interfilarmasse, über deren Natur man nur dann ins Klare kommen kann, wenn sie gewissermaßen aus sich Örganisiertes hervorbringt. Dann ist sie selbst organisiert, also aus Plasomen zusammengesetzt. ... Eine solche Interfilarmasse kann aber auch etwas Lebloses sein, eine Eiweißlösung, welche die lebenden Teile der Zelle, die Plasomen und Plasomgruppen, umhüillt“. Entsprechend den verschiedenen Arten der Gliederung einer Zelle müssen die Kategorien der die Zelle zusammensetzenden Plasomen 1) Ein späteres Referat wird zwei neuen Arbeiten über den Ursprung der Stärkekörner gewidmet sein. 716 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. im großen und ganzen selbst um so mannigfaltiger werden, je voll- kommener eine Pflanze oder eine Zelle gebaut ist, „so dass die Ver- schiedenartigkeit der Zelle höherer Pflanzen in der Verschiedenartig- keit der Plasomen höher organisierter Zellen ihr Abbild findet“. Der ihnen allen gemeinsame Charakter ist ihre Fähigkeit sich zu teilen, zu wachsen und zu assimilieren. — Dem Wachstum der lebenden Substanz ist das IV. Kapitel gewidmet. Nach den bestehenden Vorstellungen ist das Wachstum entweder ein solches durch Intussuszeption oder Apposition. Mit Recht hebt Wiesner hervor, in welch verschiedenartigem Sinne die beiden Benennungen gebraucht werden. Um jede Zweideutigkeit zu vermeiden bezeichnet er daher mit dem Worte eellulare Intussus- zeption „alle jene Vorgänge, welche, sei es durch innere Teilung, sei es durch irgend eine morphologische Veränderung, die sich in oder an einer Zelle wahrnehmen lässt, den interkalaren Charakter des Wachstums begründet“. Nägeli’s Intussuszeption, „die hypothetische Vorstellung über die beim Wachstum angenommene Zwischenlagerung der Micellen oder Molecüle“ bezeichnet er als molekulareIntussus- zeption. In ähnlichem Sinne spricht er von molekularer und cellularer Apposition. VomLeben unabhängige Volumenzunahmen gehören in die Kategorie des passiven oder anorganischen Wachstums (Wachstum der Krystalle). Das charakteristische des organischen Wachstums ist eine mit Organisationsveränderungen verbundene Volumenzunahme. Beide Wachstumsformen bewirken einen Substanzgewinn. Erfolgt die Zunahme der Substanz bei Organismen und Anorga- nismen in gleicher Weise? Die Volumenzunahme beim anorganischen Wachstum vollzieht sich durch den Uebergang eines gas- oder dampfförmigen oder eines flüssigen, bezw. gelösten Körpers in den starren Zustand; wobei die Veränderung des Aggregatzustandes mit einer chemischen Veränderung verbunden sein kann oder nicht. „Es erfolgt also das Entstehen und Weiterwachsen der festen anorganischen Substanzen entweder bloß durch die Thätigkeit von molekularen Kräften oder es spielen dabei auch chemische Affinitäten eine Rolle“. In gleicher Weise vollzieht sich der Substanzgewinn beim Wachstum der Organismen. Die hierbei stattfindende Ausscheidung fester Substanz ist also zum Teil auf die ausschließliche Wirkung von molekularen Kräften zurückzuführen, zum Teil auf diese unter gleichzeitiger Mitwirkung chemischer Kräfte. Molekulare Intussuszeption und Apposition ist aber nicht für die eine oder andere Form des Wachstums ein ausschließliches Merkmal. Beide beruhen auf molekularer Apposition oder Intussuszeption. „Wir können aber wegen der Komplikation der Vorgänge den faktischen Verlauf dieses Prozesses nicht verfolgen, nur lässt sich mit großer Wahr- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 717 scheinlichkeit annehmen, dass bei dem interkalaren Charakter fast alles organischen Wachstums die Intussuszeption vorherrschen wird. — Die Frage, „ob die Assimilation der zellbildenden Substanzen mit dem Wachstum zusammenfällt oder nicht“, beantwortet Wiesner in folgender Weise. „Wenn die feste Substanz, welche sich den schon vorhandenen organischen Teilen angliedert, infolge eines chemischen Prozesses entstanden ist und hierbei in unlöslicher Form abgeschieden wurde, so ist es einleuchtend, dass das entstandene chemische Indi- viduum in dem Momente der Strukturbildung herangezogen wurde, in welchem es entstanden ist. In diesen Fällen erfolgen also Assimi- lation und Wachstum gleichzeitig“. Wie die Assimilation dem Wachs- tum vorangehen kann, so kann sie ihm auch folgen „d. h. in den schon geformten und noch lebenden Teilen der Zelle können nach- trägliche Stoffmetamorphosen eintreten“, aber unter Umständen leiten dieselben ein neues Wachstum ein. Die Assimilation, eine Bedingung des organischen Wachstums, bildet doch auch nicht einen durch- greifenden Unterschied zwischen diesem und dem anorganischen. Bei Saprophyten wurde der Nachweis geführt, dass die aufgenommenen Stoffe ausnahmsweise ohne eine chemische Umwandlung zu erfahren zur Organisation herangezogen werden können. Die Differenz beider Wachstumsformen liegt darin, dass das spezifische organische Wachstum eine Entwicklung, also ein Evolutionswachstum ist. Die einfachen Prozesse, welche thätig in dieses eingreifen, sind: 1) Die cellulare Apposition. 2) Die cellulare Intussuszeption. 3) Die Differenzierungen bestimmter Plasmapartien zum Zwecke der Wachstumsfortsetzung der Zellhaut. 4) Die Verwachsung von Zellen oder Zellenteilen zum Zwecke der Wachstumsfortsetzung. Diese Vorgänge sind der direkten Beobachtung zugänglich. Die cellulare Apposition kann in drei Formen vor sich gehen, normal als Anlagerung gleichartiger Zellenteile wie z. B. Anlagerung von Zellhautschichten an schon gebildete Zellhautschichten ; oder sie ist eine Anlagerung ungleichartiger Zellenteile, wie z.B. jenes von Krabbe beobachtete Wachstum der Bastzellen des Oleanders, wo nicht nur neue Zellhautschichten an die vorhandenen sich anlagern, sondern auch Protoplasma sich angegliedert, das dann von neuen Zellhautschichten überlagert wird; oder endlich sie ist eine Apposition der Zellen, die allerdings zumeist mit cellularer Intussuszeption verbunden ist. Diese, die Einfügung von Zellen zwischen schon vorhandene, ist beim Wachstum der Gewebe der gewöhnliche Vorgang. Die Differenzierung ist jener im Wachstum bestimmter Pflanzenteile sich vollziehende Vorgang, bei welchem einzelne anfäng- 718 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. lich homogen erscheinende Partien der lebenden Substanz eine Ver- änderung erfahren, während der Rest unverändert bleibt. Die ver- änderte Partie pflegt später eine meist weitgehende Umgestaltung zu erfahren. Diese Form des Evolutionswachstums beobachten wir bei der Umkleidung nackter Protoplasmakörper mit einer Haut, ein Vor- gang, welcher verbunden ist mit der Umgestaltung von peripheren Protoplasmapartien in Dermatoplasma. Die Verwachsung von Zellen behufs Fortsetzung des Wachs- tums ist eine äußerst wichtige Form des Evolutionswachstums. So ist die Fortentwicklung der befruchteten Eizelle der Angiospermen durch ihre Verwachsung mit der Wand des Embryosackes bedingt. Eine bloße Verklebung tritt hier nicht ein. „Das Cytoplasma der Eizelle ist durch das Dermatoplasma mit dem Cytoplasma der benach- barten Zelle verbunden“. Die innere Zellteilung, jene Teilungsform, bei welcher die Teil- produkte von Anfang an mit einander verbunden bleiben, wie wir das als Regel bei der Gewebebildung beobachten, ist keine besondere Wachstumsform; sie ist entweder cellulare Apposition oder Intussus- zeption. — Die Annahme cellularer und molekularer Intussuszeption erschöpft aber die Möglichkeiten des interstitiellen Wachstums noch nicht. „Das interkalare Wachstum der Zellen und ihrer Bestandteile ist in analoger Weise auf innere Teilung zurückzuführen, wie das Wachstum des Blattes auf durch sichtliche Teilung vermittelte Neubildung von Zellen zurückgeführt ist“. Aus früheren Darlegungen ergab sich, dass die Plasomen die Elementarteile der Zellen sind. Die Plasomen verhalten sich zu den Zellen gleich wie diese zu den Geweben. „Wie das Wachstum der letzten durch die Teilung der Zellen vermittelt wird, so vermitteln die Teilungen der Plasomen das Wachstum der Zelle und ihrer lebenden Bestandteile, das ist des Protoplasmas, des Kerns, der Plastiden, der Chromatophoren. . .“ Mit dem Aufhören der Zell- teilung steht das Wachstum der Gewebe und Organe nicht still; denn die Zellen wachsen weiter. Aber nicht eine bloße Stoffzunahme ist dieses Wachstum. Es geht mit vielen Organisationsveränderungen vor sich, Grund genug hier nicht molekulare, sondern organische Veränderungen anzunehmen; die Ansicht zu vertreten, dass mithin das Wachstum der Zellenteile ein organisches ist, welches ähnlich wie das Gewebe der Organe — freilich nur bis zu einer bestimmten Grenze — auf innerer Teilung beruht“. Nach Wiesner’s Theorie wachsen also die Zellteile durch die als Folge der Teilung auftretende Neubildung der Plasomen. Das Plasom ergänzt dagegen nach er- folgter Teilung seine Masse durch bloßes Wachstum. „Wie nun die in das Plasom eintretenden oder in demselben gebildeten chemischen Individuen organisiert werden, d. h. wie die toten Bausteine sich in das lebende Ganze des Plasoms so einfügen, dass die organische Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 719 Einheit bis zu einer bestimmten Grenze erhalten bleibt, dann aber unter den Bedingungen des Wachstums in einem bestimmten Momente aufgehoben wird und Teilung eintritt, ist uns völlig rätselhaft. Nur so viel lässt sich sagen, dass das Wachsen des Plasoms nur eine Fortsetzung seines eigenen Wachsens sein kann, eine Fortsetzung des Organisierens unter steter Mitwirkung der lebenden Substanz. Während der Krystall als morphologisches Gebilde faktisch ent- steht und, einmal entstanden, die richtenden Kräfte in sich schließt, welche die Anordnung der sich ausscheidenden und angliedernden Moleküle beherrschen, kann das Plasom nicht entstehen, sondern ver- mag nur während des Wachstums die schon gegebene Organisation fortzusetzen. Zweifellos sind auch molekulare Kräfte bei der Fort- setzung des Plasomwachstums beteiligt; allein diese Kräfte sind im Plasom in einer Weise kompliziert, dass sie in jenen einfachen Ver- hältnissen, welche den Aufbau des Krystalls herbeiführen, ihr Analogen nicht finden; sie sind gegeben durch die schon vorhandene Organi- sation“. Dem Turgor wird allgemein ein großer Einfluß auf das Wachs- tum zugeschrieben. Sachs sah bekanntlich den ursächlichen Zu- sammenhang zwischen Turgescenz und Wachstum darin, dass durch den Druck des flüßigen Zellinhaltes die Wandteilchen auseinander ge- schoben und dadurch die Bedingungen für die Zwischenlagerung der nach der Fläche sich vergrößernden Zellhaut geschaffen werden. Nach anderen soll durch den Turgor nur eine passive Dehnung der Zellhaut bewirkt werden, auf welcher das Flächenwachstum beruht. Den Einfiuß des Turgors auf das Wachstum beurteilt Wiesner in durchaus anderer Weise. In einem Zellverbande wird die Turges- cenz des gegenseitigen Druckes wegen nicht die gleiehe Dehnung zu bewirken vermögen wie in der Einzelzelle.e Dagegen ist der Druck innerhalb der Zellhäute vermehrt. Bestimmte Beobachtungen an Keimstengeln weisen darauf hin, dass ein vermehrter Druck (inner- halb bestimmter Grenzen) von reicherer Teilung der Zellen begleitet wird. „Da nun die Teilung der Zellen auf der Teilung ihrer Pla- somen beruht, so muss der vermehrte Druck... .. auch eine ver- mehrte Plasomenteilung hervorgerufen haben.“ Der Turgor ist da- nach des vermehrten Druckes wegen ein die Teilung der Plasomen begünstigendes Moment. „Der Turgor der wachsenden Zelle wirkt also — nach Wiesner’s Auffassung — nicht bloß als mechanischer Druck dehnend auf die Haut, sondern er betätigt sich auch als Reiz auf jene Gebilde, auf deren Wachstum und Teilung das Wachstum der Haut und damit auch das der Zelle beruht, auf die Plasomen, indem er deren Teilung begünstigt.“ So ist also das Evolutionswachstum ein komplizierter Prozess. Die größte Einfachheit zeigt es in den Plasomen, denn dieselben wachsen durch bloße Ergänzung ihrer Organisation. Alle höhern 720 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Einheiten wachsen durch innere Teilung und durch das Wachstum des Plasomen. In den Sehlussbetrachtungen wird die Frage des phylo- genetischen Alters von Zellkern und Protoplasma berührt, die Bedeu- tung der Plasomen für die Vererbungstheorie erörtert und das Wesen der Plasome kritisch beleuchtet. Nach früheren Auffassungen bezeichnete man den Zellenleib, der die Differenzierung in Kern und Protoplasma nicht zeigt, „als ein zur Zelle individualisiertes Protoplama.“ Die große Bedeutung aber, welche dem Kern im Leben der Zelle zukommt, bestimmte in der Neuzeit einzelne Forscher einzellige Gebilde ohne sichtliche Diffe- renzierung als Zellkern zu betrachten. Die Auffassung hängt mit der Vorstellung zusammen, dass der Zellkern der absolut notwendige Bestandteil einer Zelle sei, dass er den primären Bestandteil, das phylogenetisch ältere Glied der Zellerepräsentiere. Nun aber gibt es Fälle (Hefe, Nostocaceae), in denen der spe- zifische Kernstoff im allgemeinen Protoplasma verteilt ist. Wiesner hält deshalb dafür, dass Kern und Plasma phylogenetisch gleich alt sind. Den homogenen Zellenleib der einfachst gebauten Organismen bildet ein nicht differenziertes Plasma, das Archiplasma. „Aus dem Archiplasma haben sich im Laufe der phylogenetischen Ent- wicklung erst Kern und Protoplasma differenziert.“ — Den verschiedenen Vererbungstheorien, welche Spencer, Dar- win, Häckel, Weißmann etc. aufgestellt haben, ist das eine ge- meinsam: der materielle Träger der Erblichkeit ist nach ihnen nicht ein durch die Beobachtung bekannt gewordenes Gebilde; es ist eine besondere hypothetische Wesenheit. Nach der Plasomlehre sind die letzten organischen Elemente der lebenden Substanz, die Plasomen, die Träger der erblichen Anlagen. „Das Plasom, welches sich geteilt hat, ergänzt sich zunächst durch Wachstum zu einem neuen Teilkörper. Die gestaltenden Kräfte, welche zu diesem Ergänzungswachstum führen, sind in dem eben durch Teilung entstandenen Plasom schon gegeben. Von der Or- ganisation des eben geteilten Plasoms hängt seine Weiterentwicklung ab, welche durch äußere Einflüsse, durch die Wirkungsweise der benachbarten Plasomen nur modifiziert, aber nicht wesentlich um- gestaltet werden kann; mit einem Worte: das eben geteilte Plasom vererbt seine ÖOrganisationseigentümlichkeiten auf sich selbst und innerhalb weiterer Grenzen auf seine Deszendenten.“ Öntogenetische wie phylogenetische Entwicklung des Plasoma riefen bestimmten Veränderungen desselben. Während der Ontogenese wird es zum größeren Teil in bestimmte Dauerzustände übergeführt, zum kleinen Teil verharrt es im teilungsfähigen Zustande und bildet als solches das Keimplasma. „Es ist anzunehmen, dass die in der ontogenetischen Entwicklung stets erhalten bleibenden Keimpla- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Tr somen, aus welchen also das Keimplasma zusammengesetzt zu denken ist, in der phylogenetischen Entwicklung der betreffenden Organismen bestimmte gesetzmäßige Aenderungen erfahren. Auf diesen und auf Veränderungen, welche von äußeren Einflüssen aus- gehen, beruhen nach dieser Auffassung jene gesetzmäligen Um- gestaltungen, welche in den Umgestaltungen der Pflanzen- und Tier- arten zum Ausdrucke kommen.“ Die ganze lebende Substanz setzt sich also aus Trägern der erblichen Anlagen zusammen. — Das Wesen des Plasoms, seine innere Ausgestaltung, ist uns noch völlig unbekannt. „Im Hinblick auf den mit den Wachstums- vorgängen verknüpften Assimilationsvorgang und auf die mechanische Funktion der Teilung kann nicht angenommen werden, dass das Plasom eine gleichartige, den Krystallcharakter besitzende Molekul- gruppe sei, wie das Nägeli’sche Mizell, vielmehr hat man sich darunter einen Mechanismus zu denken, der während seiner mecha- nischen Thätigkeit auch chemisch wirksam ist. Zwischen den Atomen und Molekülen einerseits und Plasom andererseits bestehen zunächst dieselben Unterschiede wie zwischen Anorganismen und Organismen. Der wichtigste Unterschied zwischen beiden liegt darin, dass die Atome und Molekule unter konstanten äußeren Bedingungen unveränderlich und unter allen Umständen unentwicklungsfähig, die Plasomen selbst unter konstanten äußeren Verhältnissen veränderlich und entwicklungsfähig sind.“ Eine einheitliche Auffassung der Anorganismen und Organismen, die Annahme bloß gradueller Verschiedenheit beider ist demnach nach Wiesner’s Plasomentheorie ausgeschlossen. „Da ich die Mangelhaftigkeit unseres jetzigen Erfahrungswissens und auch unserer Einsicht in das Wesen der Dinge einräume, schreibt Wiesner in den Schlussseiten seines inhaltsreichen Werkes, so wage ich nicht zu behaupten, eine generatio spontanea bestehe nicht oder habe nie bestanden. Aber wenn ich sehe, dass gerade mit dem Fortschreiten unseres Wissens die mögliche Existenz einer Spontanerzeugung in immer weitere Ferne rückt, so scheint es mir derzeit am zweck- mäßigsten diese Frage, als derzeit indiskutabel, möglichst bei Seite zu lassen und das Lebende gleich dem Leblosen als etwas Gegebenes zu betrachten, über dessen Anfang und Ende wir uns noch kein Ur- teil bilden können.“ Anmerkung des Referenten. Die Plasomentheorie Wiesner’s stützt sich auf ein so reiches Material von Erfahrungs- wissen, weiß schwierige Probleme in so einfacher Weise verständlich zu machen, dass wir nicht anstehen ihr einen ähnlichen reforma- torischen Einfluss auf unsere Anschauungen vom Wesen der Organi- sation zuzugestehen, wie ihn vor Dezennien die Zellentheorie aus- übte. Eine Dissonanz wird aber für viele die Schlussfolgerung sein, dass eine nicht zu überbrückende Kluft Anorganismen und Organismen xl. 46 122 nn Thiele, Das Integument der Chitonen. trenne, dass die Theorie zum Fundamente des Dualismus werde, der Lebendes und Lebloses genetisch nicht verknüpft wissen will. Unser Erfahrungswissen schiebt unzweifelhaft eine generatio spontanea immer weiter zurück, uns scheint sie aber eine Kon- sequenz der Entwicklung der Organismen und ihrer Kon- tinuität zu sein. Die Annahme einer gesetzmäßigen Umgestaltung der Lebewesen, welche vom elementaren Archiplasma, dem Typus einfachster Or- ganisation, zu der höchsten Organisationsstufe führte, steht mit der Plasomentheorie in keinem Widerspruch. Hat aber für eine unab- sehbare Reihe von Organismen das Prinzip des Werdens Giltigkeit, warum sollen wir sie für einen einzigen verneinen? Die Kon- sequenz scheint uns in der That auch des ersten Organismus Wer- den zu fordern. Dann muss aber auch das Elementarteilchen des Organisierten, dem ja die Wesenheit des Organismus innewohnt, ge- worden sein. Die Annahme ist zwingend unserem Dafürhalten nach, wenn schon zur Zeit der Vorgang in tiefstes Dunkel gehüllt ist. Das Entwicklungsprinzip spricht also unserem Dafürhalten nach für die genetische Verbindung von Organismen und Anorganismen, für die Entstehung der komplexen chemischen Zusammensetzung des einfachsten Organismus aus den nicht komplexen Ingredienzien, für die Einheit in der Natur. Das Integument der Chitonen. Von Dr. Johannes Thiele. Nachdem die Schalenbildungen der Plakophoren bereits früher von mehreren Forschern (Middendorf, Gray, Marshall, Reincke, van Bemmelen, Moseley, Thiele) mehr oder weniger eingehend untersucht worden waren, ist kürzlich über diesen Gegenstand eine ausführliche Arbeit von Blumrich!) erschienen, die unter Professor Hatschek’s Leitung entstanden und von ihm mit einer Vorbemer- kung versehen ist. Bei dem hohen Interesse, das die Amphineuren dem vergleichenden Anatomen und namentlich dem Phylogenetiker darbieten, soll hier über die Befunde Blumrich’s berichtet werden. Dass die achtteilige Schale aus dem inneren „Artieulamentum“ und dem äußeren „Tegmentum“ besteht, ist schon durch Midden- dorf bekannt geworden. Das Tegmentum wird von zahlreichen eigentümlichen Gewebssträngen, den Aestheten, durchzogen, die an der Oberfläche mit kappenförmigen Chitinkörpern versehen sind. In diesen Aestheten sind bei manchen exotischen Chitonen Augen auf- getreten (Moseley) und auch bei einer kleinen mittelmeerischen Art, Chiton rubicundus, haben sie durch Pigmenteinlagerung und eine geringe Veränderung der Chitinkappe den Bau von Augen angenommen 4) Das Integument der Chitonen. Zeitschrift f. wiss. Zool. 52, 3. Heft. Thiele, Das Integument der Chitonen. 723 (Thiele). Den Körper der Aestheten bilden hauptsächlich große drüsenähnliche Zellen mit basalen Kernen, zwischen ihnen sieht man schmale stark gefärbte Kerne in zarten Fasern, die bis zum oberen Ende verfolgbar sind. Die Mikrästheten enthalten fein granuliertes Protoplasma und an ihrer Abzweigungsstelle einen Zellkern, die Fasern dringen nicht in sie hinein. Die proximalen Faserstränge enthalten in ihrer Wandung plattgedrückte Kerne. Am interessan- testen sind nun Blumrich’s Angaben über die Entwicklung der Aestheten. Den Bildungsherd stellt eine am Rande der Schale ver- laufende Falte des Mantels dar („ästhetenbildende Mantelkante“), die sich nach der Mitte hin zwischen Articulamentum und Tegmentum mit einem gesimsartigen Vorsprunge auskeilt. Sie ist von Blutlakunen durchzogen und mit Zylinderepithel bekleidet. Zuerst entstehen einige Mikrästheten als Fortsätze je einer Epithelzelle mit körnigem Protoplasma und rundlichem Zellkern. Die Aestheten selbst (Ma- craesthetes Moseley’s) entstehen aus einer Wucherung mehrerer Zellen, von denen die mittleren sich in die drüsenähnlichen Zellen umwandeln, während die Kappe von einer einzigen großen Zelle mit rundem, stark gefärbtem Kern erzeugt wird. Indem die Anlage sich bei der Abscheidung der Schalensubstanz in die Länge streckt, dif- ferenzieren sich die Bestandteile und nehmen allmählich ihre defini- tive Form an; die Bildungszelle der Kappe entfernt sich von dieser und atrophiert. Die Aestheten rücken allmählich auf den gesims- artigen Vorsprung und spinnen sich unter fortwährender Aufnahme von Epithelzellen zu bedeutender Länge aus, wobei sie zwischen Ar- tieulamentum und Tegmentum hineingeraten. Die jüngeren Teile des Artieulamentums enthalten ebenso wie das Tegmentum weniger Kalk als die älteren Teile des ersteren; die äußerste Schicht hebt sich oft als zartes Häutchen ab (Peri- ostracum). Das Wachstum des Tegmentums wird durch die Ab- scheidung der Mantelkante bedingt, während das Articulamentum in seiner ganzen Fläche wächst; daher zeigt nur dieses Diekenwachstum und übertrifft bei älteren Tieren das Tegmentum bedeutend an Dicke. Blumrich konnte Nerven zu einigen Aestheten verfolgen. Die hellen Fasern in diesen sind wahrscheinlich als sehr lange Sinnes- zellen anzusehen. Blumrich hält die Aestheten daher für Tast- organe, indessen müssen Tastorgane doch wohl beweglich sein, was die Aestheten sicher nicht sind, und die Oberseite wird doch auch ein zum Tasten wenig geeigneter Ort sein. Vielleicht sind sie eher als Organe zur Wahrnehmung von Wasserbewegungen anzusehen, ähnlich den Seitenorganen der Fische, womit auch ihre Endigungsart in Einklang zu bringen sein wird. Weit eher kann man wohl die langen Stacheln des Mantelsaumes als Tastorgane ansprechen. Am Mantelrande ist das Epithel zum größten Teil in Papillen angeordnet, die entweder aus gleichartigen Zellen bestehen oder aus 46 * 124 Thiele, Das Integument der Chitonen. Stützzellen und granulierten Zellen, welche den drüsenähnlichen Zellen der Aestheten sehr ähnlich sind. Dieser Rand ist von einer mächtigen Cutieularschicht eingehüllt, die zahlreiche Stacheln enthält; diese sind meist zylindrisch, seltener schuppenförmig. Die Haupt- masse jedes Stachels, der Schaft, ist kalkig, er wird von einer zarten Chitinsehicht, dem Stachelhäutehen, eingehüllt, welches am unteren Ende stark verdickt ist; dieser Teil wird als Chitinbecher bezeichnet, der einen zapfenförmigen Ansatz trägt. Dieser endlich wird in vielen Fällen von einem Chitinringe umgeben, der aus einer größeren Anzahl von Stücken zusammengesetzt wird. Bei den Schuppenstacheln ist der Chitinbecher darch eine rautenförmige Platte ersetzt, welche einen kleinen mit einer Vertiefung versehenen Zapfen trägt. Jeder Stachel hängt durch einen Plasmafaden mit einer Papille des Epithels zusammen, dieser Faden reicht bis auf den Grund der Papille hinab und ist distal mit einem „Endkölbehen“ versehen, das mit einem chitinigen Scheibehen abschließt. Dadurch sind diese Gebilde den Mikrästheten sehr ähnlich. Die Anlage der Stacheln erfolgt in Einsenkungen des Mantel- gewebes, die vom Epithel ausgekleidet sind. Meist spielt eine große Zelle bei der Erzeugung des Stachels die Hauptrolle, doch kann eine solche auch fehlen, so bei den Schuppenstacheln und bei den Stacheln von Chitonellus. Nach meiner Ansicht dürfte dieser zweite Fall eine sekundär modifizierte, der erstere die primitive Entstehungsart dar- stellen. Ein helles rundliches Bläschen in einer Papille ist die erste Anlage eines Stachels, getragen von der Bildungszelle; zur Skulp- turierung des Schaftes tragen auch die Nachbarzellen bei. Während der Stachel sich vergrößert, wird er von der Cuticula in die Höhe gehoben. Die Bildungszelle wird allmählich schmaler, löst sich dann vom Stachel ab und erzeugt das Endscheibchen; so nimmt sie nach und nach die Gestalt des Fadens mit dem Endkölbcehen an. Der Chitinring wird von benachbarten Epithelzellen erzeugt, jedes Stück von einer Zelle. (Vielleicht kann man diese Stücke als rudimentäre Stacheln ansehen). Hin und wieder ist der Plasmafaden von einer zelligen Hülle umgeben. Bei den verschiedenen Species zeigen die Stacheln sehr ver- schiedene Form, man kann mit Blumrich Rückenstacheln (bei Chiton siculus und laevis schuppenförmig), Bauchstacheln und Saum- stacheln unterscheiden; diese sind immer zylinderförmig und ungefärbt, die Saumstacheln oft stark verlängert, die Bauchstacheln klein und schief nach außen gerichtet, oft ganz anliegend. Aus der Beschrei- bung der Stachelformen der verschiedenen Arten, die ohne Abbil- dungen nicht gut wiederzugeben ist, will ich nur hervorheben, dass die Schuppenstacheln außer der Basalplatte noch von einer chitinigen „Seitenplatte“ nach der Mitte des Tieres hin begrenzt werden, haupt- sächlich aber die langbecherigen Saumstacheln von Chiton siculus Thiele, Das Integument der Chitonen. 125 und l/aevis. Der enorm verlängerte Becher ist von einem Zentral- kanal durchzogen, während der eigentliche Stachel bei der ersteren Art auf ein kleines Knöspchen reduziert ist. Bei der letztgenannten Art ist der im Ringe gelegene Tragapparat von sehr komplizierter Beschaffenheit, doch wurde auch hier die Entstehung des Ganzen aus einer Zelle beobachtet. Blumrich glaubt aus dem reicheren Kalkgehalte, der den Stacheln mit dem Artieulamentum gemeinsam ist, und aus der ziem- lich negativen Uebereinstimmung des letzteren mit den Schuppen- stacheln, dass sie keine besondere Bildungszelle haben, auf eine Verwandtschaft beider schließen zu dürfen, und nimmt mit Gegen- baur die Entstehung des Articulamentums aus vergrößerten Schuppen- stacheln an. Er kann aber die Bedeckung desselben durch das Teg- mentum nur mit Hilfe ziemlich unwahrscheinlicher Hypothesen er- klären. Ich möchte dem gegenüber auf meine kürzlich publizierte Anschauung bezüglich der Molluskenschale '!) hinweisen und dabei bemerken, dass grade die Verhältnisse, die ich bei Chitonen beob- achtet, mich hauptsächlich zu meiner Auffassung geführt haben, dass nämlich das Artieulamentum ein Hautskelet darstellt; ich werde das demnächst an anderem Orte näher begründen. Ich stimme Blumrieh dagegen vollkommen bei, wenn er das Tegmentum für die dem Artieulamentum aufgelagerte Cuticula er- klärt, eine Fortsetzung der Bedeckung des Mantelrandes. Daher sind die Aestheten nur in die Länge gestreckte Papillen, denen am Mantelrande entsprechend. Die Endkappen dürften nicht den Chitin- bechern der Stacheln, sondern den Endscheibchen der Träger homo- log sein, die Stacheln mögen auf dem Tegmentum in Wegfall ge- kommen sein. Darnach möchte ich die sehr große Uebereinstimmung hervor- heben, welche zwischen den Stacheln der Chitonen und den Borsten von Polychäten besteht, ihre ähnliche Lage auf seitlichen Fortsätzen des Körpers (Mantelfalten-Parapodien), ihre Entstehung in Ein- senkungen des Epithels und ihre Entwicklung durch die Thätigkeit einer einzigen Bildungszelle. Auch bei Proneomenia neapolitana m. habe ich die Entstehung eines Stachels in einer Einsenkung mit einer großen Bildungszelle beobachtet. Namentlich die langbecherigen Randstacheln der echten Chitonen haben eine derartige Aehnlichkeit mit manchen Stacheln von Polychäten, dass ihre Verwandtschaft, die ich schon früher betont habe ?), hierdurch noch sicherer begründet wird. Ich vermute, dass die Spieula der Solenogastres, wenigstens gewisse derselben, und viele Borsten von Polychäten nur den Chitin- bechern der Chitonstacheln äquivalent sind, weil diese wie jene von 1) Die Stammesverwandtschaft der Mollusken. Jen. Zeitschr. f. Naturw. 25,9. 5058. 2) 128248.521 325. 726 Thiele, Das Integument der Chitonen. einem deutlichen Zentralkanal durchzogen werden, was bei den eigentlichen Stacheln der Chitonen nicht der Fall zu sein scheint; auch stimmt die chitinige Beschaffenheit der Anneliden-Borsten zu dieser Ansicht. Es mag auch in Kürze erwähnt werden, dass nach meinen Un- tersuchungen die Schale der eigentlichen Mollusken nicht allein dem Artieulamentum entspricht, sondern dass sie ebenso wie die der Chi- tonen aus einer unteren dem Articulamentum homologen Schicht und einer oberen, die dem Tegmentum vollkommen äquivalent ist, besteht. Am Schlusse seiner Abhandlung beschreibt Blumrich in der Mantelhöhle von Chitonen Züge eines hohen drüsigen Epithels, die er als parietale und paraneurale Krause bezeichnet; bei Chiton caje- tanus hängt mit der letzteren eine zwischen der siebenten und achten Kieme mit enger Oeffnung ausmündende Höhle zusammen. Einige arten haben nur im hintersten Teile der Mantelhöhle ein solches Epithel, das hier als palliale Krause bezeichnet wird. Da Blumrich eine reiche Versorgung dieser Krausen von den Seitensträngen her wahrnahm, so hält er sie für Sinneshügel, die den Spengel’schen Organen homolog wären. Ich will indessen einerseits darauf hin- weisen, dass nicht nur der Bau des Epithels, sondern auch die Innervierungsart letzterer Organe völlig verschieden ist, andererseits, dass nach Bernard!) die Manteldrüse der Prosobranchier eine reiche Versorgung mit Nerven und Sinneszellen aufweist. Ich kann daher der Homologisierung Blumrich’s nicht zustimmen, halte die Organe vielmehr für ein Analogon der Manteldrüse der Prosobranchier. Endlich möchte ich erwähnen, dass die zuerst von Pelseneer?) geäußerte Ansicht, welcher sich Hatschek in der Vorbemerkung zu Blumrich’s Arbeit anschließt, nach der Chitonellus die Elternform der Solenogastres darstellt, meiner Auffassung nach unhaltbar ist. Dass Chitonellus eine sekundär modifizierte Form neben den echten Chitonen ist, gebe ich zu, aber nicht eine nähere Verwandtschaft desselben mit den Solenogastres, weil diese in mehreren höchst wichtigen Organisationsverhältnissen primitiver sind, hauptsächlich im Darmtrakt und dem Urogenitalsystem. Ich nehme daher mit Bela Haller an, dass die Solenogastres und die Plakophoren, ebenso die Polychäten sich von einer gemeinsamen Stammform aus nach verschiedenen Richtungen hin entwickelt haben, und da die eigent- lichen Chitonen, wie gesagt, auch nach meiner Ansicht primitiver sind, als Chitonellus, so ist die entfernte Aehnlichkeit zwischen der Mantelhöhle des letzteren und der Ventralfurche von Proneomenia nicht ein Zeichen näherer Verwandtschaft. Die anderen von Pel- seneer angeführten Gründe sind ohne jede Beweiskraft. L 1) Sur le manteau des Gasteropodes prosobranches et les organes qui en dependent. Comptes rend. Ac. Se. 107, sowie Ann, sc. nat., VII, 9. 2) Sur le pied de C'hitonellus et des Aplacophora. Bull. seient. Fr. Belg., 22. Auerbach, Chromatophilie der Keimsubstanzen. ar Leopold Auerbach, Ueber einen sexuellen Gegensatz in der Chromatophilie der Keimsubstanzen nebst Bemerkungen zum Bau der Eier und Ovarien niederer Wirbeltiere. Sitzungsberichte der k. preuß. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1891, XXXV, S, 713 fg. (Sitzung vom 25. Juni). Nachdem es dem Verf. durch Anwendung geeigneter Färbungs- methoden gelungen war, zweierlei Substanzen in den Kernkörperchen gewisser Zellarten und der roten Blutkörperchen der Amphibien auf- zufinden, welche sich inbetreff der Aufnahme der Farbstoffe bei Doppel- färbungen verschieden verhielten, und die er als kyanophile und ery- throphile Substanz unterschied!), war in ihm der Gedanke aufge- taucht, „es möchte vielleicht die Verschiedenheit und in gewissem Sinne Gegensätzlichkeit jener beiden Substanzen zur Geschlechtlich- keit in Beziehung stehen“. Er setzte sich daher die weitere Aufgabe zu untersuchen, ob nicht etwa die eine Substanz männliche, die andere weibliche Keimsubstanz darstelle und somit die Kernsubstanz selbst einen gemischten, also hermaphroditischen Charakter besitze. Zu diesem Zwecke stellte Verf. seine Untersuchungen an den Keimdrüsen verschiedener Tiere an, um hieran das Verhalten der Keimsubstanzen gegen die von ihm angewandten Doppelfärbungs- methoden zu beobachten. Um jedoch ganz sicher zu gehen, dass nieht etwa doch unbemerkt irgend welche kleine Abweichungen in der Behandlung bei der Färbung der einzelnen Objekte sich ein- schlichen, so fertigte Verf. sich Doppelpräparate folgender Art an. Zwei je einer männlichen und einer weiblichen Keimdrüse derselben Art entnommene Stückchen wurden gemeinschaftlich gehärtet, in Paraffin eingebettet und geschnitten, dann die Schnitte beider Objekte neben einander auf denselben Objektträger geklebt und gemeinschaft- lich weiter behandelt und gefärbt. Wenn statt der Schnitte aus der männlichen Keimdrüse reifes Sperma zur Untersuchung benützt wurde, so wurde dieses zwischen den aufgeklebten Ovarienschnitten auf den Objektträger gestrichen, wo es durch seine eigene Klebrigkeit genugsam fest haftete. Alsdann wurden die Präparate in derselben Weise, wie die andern weiter behandelt. Als Härtungsflüssigkeit verwandte Verf. vornehmlich eine wässerig - alkoholische Sublimatlösung (Sublimat 4, Alkohol 20, Wasser 76) mit Nachhärtung in absolutem Alkohol, seltener konzentrierte wässerige Sublimatlösung, Pikrinsäure oder absoluten Alkohol. Zur Tinktion wurde eine große Anzahl blauer und roter Farbstoffe benützt, welche Verf. in allen möglichen Zu- sammenstellungen versuchte, und zwar von blauen: Methylenblau, 4) Zur Kenntnis der tierischen Zellen. Sitzungsber. d. k. preuß. Akad. d. Wissensch. zu Berlin, 1890, XXXII, S. 735 fg., referiert in diesem Centralbl., BdsTX Nr. 4 728 Auerbach, Chromatophilie der Keimsubstanzen. Viktoriablau, Hämatoxylin, Methylgrün und Smaragdgrün; von roten: Karmin, Eosin, Eehtrot, Fuchsin, Orange, Orange mit Fuchsin und Rosanilin. Die beiden mit aufgeführten grünen Farbstoffe zeigten den chromatophilen Substanzen gegenüber ein gleiches Verhalten, wie die angewandten blauen, während Orange sich ebenso, wie die roten Farbstoffe verhielt. Verf. begann seine Untersuchungen an den Genitaldrüsen von Oyprinus Carpio und Esox lueius. Schon makroskopisch zeigten die nach der oben angeführten Methode hergestellten Doppelpräparate einen auffälligen Unterschied zwischen den Schnitten des Ovariums und denen des Hodens. Erstere erschienen lebhaft rot, die Hoden- schnitte dagegen ganz blau. Das mikroskopische Bild der letzteren zeigte denn auch, dass der Kopf der Spermien — diesen Namen führt Verf. statt der früher üblichen Bezeichnung Spermatozoon ein — stets intensiv und sehr haltbar blau gefärbt war, das Mittelstück und der Schwanz hingegen rot. Ebenso erschienen die Reste des eigentlichen Hodenparenchyms und das Zwischengewebe von roter Farbe. Da dieses letztere jedoch an Volumen sehr zurücktritt und der Hoden bei weitem überwiegend seiner Masse nach aus den Köpfen der Spermien besteht, so erklärt sich dadurch die makroskopische Ein- farbigkeit dieser. Schnitte. — In den Ovarienschnitten behalten auch nach starkem Auswaschen sämtliche Nueleoli der Keimbläschen eine intensiv rote Farbe, während die Grundsubstanz derselben in einem lichten Rot oder bei Eosinfärbung in einem falben, gelbrötlichen Tone erscheint. Auch die Membran der Keimbläschen und die Dotter- körperehen nehmen eine mehr oder weniger intensive Rotfärbung an, und ebenso sind alle endothelähnlichen Formationen des Gewebes der Keimdrüse blassrötlich gefärbt, und nur in den Kernen werden neben gesättigt roten auch schöne und große blaue Nucleoli sichtbar. Fast dieselben Bilder inbezug auf die Tinktionsfähigkeit zeigten Doppelpräparate, welche Verf. aus den Keimdrüsen von Amphibien: von Triton taeniatus und T. eristatus, Rana temporaria und R. esculenta anfertigte. Auch hier stellten sich die Spermienköpfe stets ganz und gar rein blau dar und das Mittelstück und der Schwanz rein rot, eventuell gelb, während die Nucleoli der Kleimbläschen und die Dotter- plättehen intensiv, das Protoplasma der Keimbläschen und die endo- thelialen und bindegewebigen Elemente schwach rot gefärbt waren und nur die Kerne des Endothels und des Bindegewebes neben roten Nucleolis auch feine blaue Körnchen zeigten. Auch die reifen oder fast reifen Spermien von Lacerta agilis be- saßen nach der Doppelfärbung einen total und intensiv blau gefärbten Kopf und einen rosa oder gelblichrot gefärbten Schwanzanhang. Nur bei einzelnen war der blaue Kopf noch von einer dünnen roten Scheide umhüllt mit einer etwas stärkeren Anhäufung über der Spitze des Kopfes. Kochs, Malariaamöbe und das Chinin, 129 Dieselben Färbungsverhältnisse fand Verf. bei Gallus domesticus, beim Kaninchen und dem ejakulierten Sperma eines Menschen. An den aus der Epididymis und dem Hoden entnommenen Spermien konnte Verf. ebenfalls die rote Umsäumung des im übrigen blau gefärbten Kopfes beobachten, welche er für eine aus erythrophiler Substanz be- stehenden Scheide um den ganzen Kopf herum ansieht, die hinten mit der Wurzel des Schwanzfadens zusammenhängt. Später, zur Zeit der Reifung, reisst die Hülle in der mittleren Gegend des Kopfes und retrahiert sich nach beiden Seiten, während sie vorn noch eine zeit- lang als eine Art Kopfkappe aufsitzt und erst später abgestreift wird. Hierfür spricht auch der Umstand, dass in dem ejakulierten mensch- lichen Sperma an den Spermienköpfen von Resten rotgefärbter Sub- stanz nichts mehr zu finden war. Es besteht also bei allen untersuchten Arten der Kopf der reifen Spermien aus kyanophiler, das Mittelstück und der Schwanz aus erythrophiler Substanz. Anderseits sind die Nucleoli das Keimbläschen hochgradig, die Grundsubstanz derselben mehr oder weniger ausge- sprochen erythrophil, desgleichen die Dotterkörperchen. Mithin scheint die männliche Befruchtungssubstanz eine kyanophile, die weibliche eine erythrophile zu sein und der sexuelle Gegensatz auf dem quanti- tativen Unterschiede dieser beiden zu beruhen. Die Frage, ob die beiden in den Zellkernen sich findenden, chromatisch sich ebenso von einander unterscheidenden Substanzen mit den beiden Sexualstoffen identisch sind, lässt sich vorläufig noch nicht beantworten. Im Anschluss an diese Beobachtungen hat Verf. noch eine große Anzahl histologischer Untersuchungen über den Bau der Keimdrüsen, besonders der Ovarien, bei den von ihm untersuchten Knochenfischen und Amphibien angestellt. Doch möchte ich wegen der Menge der angeführten Einzelheiten inbezug auf diese auf die Arbeit selbst ver- weisen. H. Kionka (Breslau). Ueber die Malariaamöbe und das Chinin. Von Dr. W. Kochs, Privatdozent in Bonn. Im Anschlusse an die Abhandlung von Spener „Ueber den Krankheitserreger der Malaria“, Biolog. Centralbl., 1891, Nr. 12, 13 und 14 dürfte es von Interesse sein eine kurze Uebersicht über das zu bringen, was wir bis heute von dem Vorgang der Heilung der Malariafieber durch Chinin wissen. Vor kaum zwei Dezennien noch war dieser Vorgang in völliges Dunkel gehüllt. Von den Versuchen, ihn zu erklären, trat am meisten hervor der von Briquet in Paris, dessen Monographie über die Chinarinde durch die dortige Akademie mit dem Preise gekrönt wor- den war. Für Briquet, und man kann sagen für die ganze da- 730 Kochs, Malariaamöbe und das Chinin. malige medizinische Welt, soweit sie sich nicht einfach auf den Stand des „Ignoramus“ gestellt hatte, war das Chinin ein Agens, welches in mysteriöser Weise den Fieberanfall aufhielt, indem es das Nerven- system durch eine kalmierende und zugleich tonisierende Einwirkung gegen die unbekannte Ursache jenes intermittierenden Anfalles wappnete. „La speeialit& d’action du Quinquina &tant bien deter- minee, la raison indique que son influence ne peut s’exercer que sur le systeme nerveux. Il ne reste plus qu’a rechercher de quelle maniere se produit cette influence“ !,. Das Experiment schien dieses zu bestätigen, als Chäperon in dem Laboratorium von Fick gefunden zu haben glaubte, das Chinin setze die Reflexerregbarkeit herab?). Das Wesen des Fiebers bestand demnach in gesteigerter Reflexerregbarkeit; daher der Schüttelfrost, das Hitzestadium und der Ausbruch des Schweißes. Das Chinin nahm diese Reaktion oder richtiger die Fähigkeit dazu fort, und nun hörte damit die ganze Krankheit auf. Wie stark dabei die Phrase in Gebrauch kam, er- hellt aus der Bemerkung, welche Briquet noch 1872 in einem er- regten Aufsatze gegen die Arbeiten von Binz drucken ließ: „Pour la medieine frangaise la Quinine est un antiperiodique et voiläa tout?). Und in England sprach man bei der Chininwirkung nur vom „Toni- sieren“; das Chinin war für den englischen Mediziner ein „tonie“ und weiter nichts. Es sei gleich hier bemerkt, dass jene Würzburger Versuche von Chäperon in dem Laboratorium von Binz einer eingehenden Prüfung unterzogen und als unzutreffend befunden wurden ®). Sie waren nur an Fröschen angestellt und schon deshalb auf Krankheits- verhältnisse des Menschen schwer übertragbar; dazu konnten sie die Thatsache nicht erklären, dass dureh Chinin auch die Fälle von Ma- lariafieber geheilt werden, welehe ohne intermittierende Anfälle ver- laufen. Ferner ergab sich, dass die Reflexerregbarkeit nur durch solche Gaben Chinin herabgesetzt wird, welche absolut tötlich für den Frosch oder den Warmblüter sind. Außerdem waren die Re- sultate Chäperon’s mit einem wesentlichen Versuchsfehler be- haftet. Chäperon hatte sich zu seinen Injektionen des schwer lös- lichen Chininsulfates bedient, dem zur Lösung freie Schwefelsäure zugesetzt worden war. Injizierte man die gleiche Menge Schwefel- säure und Wasser gesunden Fröschen, so bekam man die gleichen Er- gebnisse wie bei der gleichzeitigen Anwesenheit des Chinins °). 1) P. Briquet, Traite therapeutique du Quinquina. Paris 1855. 2. Aufl. pag. 342. 2) Pflüger’s Archiv, II, S. 293 3) P. Briquet, Reflexions sur le mode d’action des sels de Quinine. 3ulletin general de Thörapeutique, 1872, LXXXI, 341. 4) H. Heubach, Archiv f. experim. Path. u. Pharmakol., V, 8. 1. 5) Lauder Brunton, St. Bartholomews Hospital Reports. London 1876. Seite 150. Kochs, Malariaamöbe und das Chinin. 731 Schon einige Jahre vorher hatte Binz die Frage nach der Wir- kungsweise des Chinins in die richtige Bahn gelenkt und unsere Zeit ist in derselben zum Ende gelangt. Binz zeigte!), dass das Chinin (bei ihm ist immer nur von dem leicht in Wasser löslichen, schwach basisch oder neutral, niemals sauer reagierenden Chininhydrochlorid die Rede) die in Pflanzenaufgüssen, ehe diese faulig sind, wachsen- den großen Infusorien mit einer Energie lähmt, welche nur von der der am stärksten antiseptisch wirkenden Stoffe, wie Chlor und Queck- silberchlorid, übertroffen wird. Alle übrigen Antiseptica ließ das Chinin in dieser Eigenschaft weit hinter sich. Eine weitere Untersuchung ?) erstreckte sich auf die Bewegungen des Protoplasmas und deren empfindliche Lähmung durch das Chinin. Das Alkaloid, bezw. seine neutralen oder schwach basischen Salze, erwies sich als allgemeines Gift für niedere bewegliche Protoplasmen. Diese Eigenschaft des Chinins als eines Protoplasmagiftes wurde auch als die Ursache seiner antiseptischen und antizymotischen Kraft er- kannt. Jede von ihm gehemmte Umsetzung kommt nur durch direkte Einwirkung auf das Protoplasmader umsetzenden Hefe oder irgend welcher sonstiger Zellen zu Stande. Kein anderes der offizinellen Alkaloidsalze besitzt darin die Kraft des Chinins; einige von ihnen, z. B. das des Morphins sind fast indifferent in antiseptischer und anti- zymotischer Hinsicht. Mittlerweile hatte Binz durch eine Reihe von Versuchen an Tieren gezeigt), dass das Chinin keine irgendwie besondere Wirkung auf das Nervensystem hat, woraus etwa eine Erklärung für die un- bestrittene geradezu wunderbare Heilwirkung in den intermittieren- den und Malariafiebern hergeleitet werden könne. Alles zusammen gab ihm die Berechtigung zu sagen: das Chinin heilt jenes Fieber durch Lähmen seiner Ursache, welche wahrscheinlich ein niederster Organismus ist. Diesen Organismus zu finden und zu bestimmen war für ihn unausführbar, weil es in Bonn und weiter Umgebung keine Malariafieber gibt. Die Frage über die Wirkungsweise des Chinins “bei der Malaria war aber durch diese Untersuchungen aus der mysti- schen Nerventheorie herausgerettet, in welche sie seit vielen De- zennien hineingeraten war und worin sie festsaß. Einige Jahre nachher wurde dann in malarischer Erde Italiens ein Bacillus gefunden und als die Ursache der Sumpffieber an- gesprochen, ohne jedoch weiteren Untersuchungen Stand zu halten. Erst 1880 gelang es dem in Algerien als Militärarzt thätigen A. La- veran, den von Binz mehr als 10 Jahre vorher signalisierten „nie- dersten Organismus“ nachzuweisen. Seine Eigenschaften sind die 4) C. Binz, Ueber die Einwirkung antiseptischer Stoffe auf die Infusorien von Pflanzenjauche. Centralblatt f. d. mediz. Wissensch., 1867, S. 308. 2) C. Binz, Max Schultze’s Archiv, 1867, III, 383. 3) Unter Anderem in Virchow’s Archiv, XLVI u. LI. 132 Kochs, Malariaamöbe und das Chinin. einer Amöbe, und so schien schon ohne weiteres auf ihn übertragbar, was Binz 1867 von dem Verhalten dieser niederen Lebewesen zu Chinin in großer Verdünnung beschrieben hatte. Alle neueren Beobachter stimmten in der Folge dann darin überein, dass auf Darreichung von Chinin die Malariaamöbe oder Plasmodien, wie sie auch genannt werden, aus dem Blute verschwinden. Gemäß den ersten Untersuchungen von Binz war es wahrscheinlich, dass man auch hier eine direkte Protoplasmavergiftung des Parasiten vor sich habe, allein der Beweis war dafür noch nicht erbracht. In seiner neuesten Publikation hat Laveran mitgeteilt, dass im Blute lebende und lebhaft bewegliche Malariaamöben auf dem Objekttisch betrachtet bei Zusatz dünner Chininlösung sofort absterben !). Damit ist das von Binz auch für die Malariafieber schon vor 20 Jahren Ausgesprochene zur Evidenz bewiesen und die Frage, welche früher so vielen als unergründliches Rätsel in der klinischen Medizin ge- golten hatte, in ihrer Hauptsache gelöst. Das Chinin heilt das Ma- lariafieber und seine sämtlichen noch nicht histologisch abgelaufenen oder fixierten Folgen dadurch, dass es im Körper kreisend die in- fektiösen Plasmodien schwächt, lähmt, kurz ihre Weiterentwieklung nicht aufkommen lässt. Es wirkt demnach als direktes Gegengift. „Mit der Ursache fallen auch die Wirkungen fort“, wie Binz sich bereits in seinen ersten Publikationen ausdrückte. Die Zellen des Organismus sind weit weniger empfindlich gegen das Chinin, als es die lebende Malariaursache ist. Im Interesse sachlicher Korrektheit ist noch zu bemerken, dass Binz gegen die Behandlung, welche Laveran seinen Untersuchungen angedeihen lässt, unter ausführlicher Konfrontierung seiner Stellen mit denen des französischen Forschers Protest erhoben hat?). La- veran hat nämlich bereits 1884 Binz die Priorität der richtigen Deutung der Chininwirkung zugesprochen ?), ihn aber damals und jetzt wiederholt so unzutreffender Angaben und Experimente be- schuldigt, .dass von jener Priorität nicht viel übrig geblieben wäre, wenn seine Angaben richtig wären. Die ganze Darstellung der Binz’schen Arbeiten durch Laveran macht den Eindruck, dass dieser jene Arbeiten nie im Original vor sich hatte, wahrscheinlich weil er des Deutschen nieht mächtig ist. Die durch Binz begonnenen und durch Laveran beendeten Untersuchungen über das Verhalten der Malariaamöbe gegen Chinin, also über die direkte Lähmung eines Krankheitserregers inmitten der Zellen und Säfte des Körpers, ohne diesen ernstlich zu belästigen, 1) Du Paludisme et de son Hematozoaire. Paris 1891. 8. 185. Auch ein nordamerikanischer Arzt hat den einfachen Versuch angestellt und dasselbe gesehen. Vergl. G. Dock, Centralbl. f. klin. Medizin, 1890, S. 489. 2) C. Binz, Berliner klin. Wochenschrift, 1891, Nr. 43. 3) Laveran, Trait& des fievres palustres, 1884, S. 492. Kochs, Malariaamöbe und das Chinin. 139 geben Aussicht auf die Möglichkeit, nach demselben Prinzip auch in anderen ähnlichen Fällen verfahren zu können. Es ist biologisch nicht abzusehen, warum ein solcher Antagonismus zwischen Krankheit und Heilmittel nicht noch bei anderen Störungen bestehen soll. Die Malaria wird keinesfalls ein Unikum sein. Am ersten hat man an das Verhalten der Quecksilberpräparate zur Syphilis zu denken und ferner an das der Salizylsäure zum akuten Rheumatismus. Wird man erst bei der Syphilis den niederen Organismus kennen, der die Störung bedingt und dieselbe infektiös überträgt und bei dem akuten Rheumatismus das Irritament, welches in der einen Form ein chemischer Körper, in der anderen Form ebenfalls eine Mikrobe zu sein scheint — so wird man nach dem Beispiel von Malariaamöbe und Chinin das Weitere eruieren können und einen experimentellen Weg für ein noch zu entdeckendes spezifisches Heilmittel haben. In der Beziehung des Chinins zu Bewegungen des Protoplasmas ist noch Folgendes klar zu stellen. Th. Engelmann hat in seiner Abhandlung über das Protoplasma in L. Hermann’s Handbuch der Physiologie I S. 364 die Angaben von Binz, welche sich auf die Leukocyten beziehen, angezweifelt. Später hat er die betreffenden Versuche wiederholt und ist dabei zu der Ueberzeugung gekommen, dass er sich geirrtt habe und „dass die Empfindlichkeit der weißen Blutkörperchen gegen Chinin noch größer zu sein scheint, als selbst der Entdecker dieser Wirkung, Binz, und seine Schüler angeben.“ In einem an Binz gerichteten Briefe hat Engelmann dieses ausdrücklich erklärt; dieser Brief ist in Virchow’s Archiv 1891. CXXV. S. 196 abgedruckt. Damit erscheinen auch die Einwendungen hinfällig, welche Laveran gegen die Binz’schen Arbeiten hinsicht- lich der Leukocyten anführt. In Frankreich wie in Deutschland hat es Autoren gegeben, auf die Laveran sich beruft, welche nicht im Stande waren die Binz’schen Versuche ungeachtet ihrer Einfachheit richtig zu wiederholen. Es wird aber für jeden Mikroskopiker leicht sein sich von der Richtigkeit der zweiten Angabe Engelmann’s zu überzeugen. Ungelöst ist bis jetzt die Frage geblieben, welche Beziehungen die Leukocyten zu der lebenden Amöbe der Malaria haben, ob gar keine, ob sie dieselbe fördern oder bekämpfen. Laveran neigt sich im Sinne der Metschnikoff’sehen Phagoeytenlehre zu letzter An- sicht (1891, S. 180). Die hier mitgeteilten Versuchsergebnisse sind jedoch nichts weniger als beweisend. Jedenfalls geschieht die Hei- lung des Malariafiebers durch Lähmen der Fieberursache seitens des Chinins ohne Beteiligung oder Hilfe der Leukocyten, denn auch sie erfahren durch das Protoplasmagift eine Einbuße ihrer intakten Eigenschaften. Diese geht so weit, dass man nach Binz die Aus- wanderung der meisten Blutkörperchen aus den Mesenterialgefäßen des lebenden Frosches behindern kann durch innerlich in nicht töt- 734 Ritzema Bos, Vererbung von Traumatismen. licher Dosis beigebrachtes Chinin, ein Versuch, der wiederholt be- stätigt wurde; unter anderen von Appert in Arnold’s Laboratorium in Heidelberg (Virchow’s Archiv, LXXI, S. 364). Die Wirkung ist eine direkte auf die Leukocyten. Einige Nachexperimentatoren, welche sie bestätigten (Pekelharing u. a.) lassen eine gleichzeitige Wirkung auf die Wandungen der feinsten Gefäße zu. Zur Frage der Vererbung von Traumatismen, von Dr. J. Ritzema Bos (Wageningen — Niederlande). Obgleich wohl jetzt die Mehrzahl der Biologen nichts mehr von der Erblichkeit „erworbener Eigenschaften“ wissen will, und also auch nicht von der Erblichkeit von Traumatismen, so tauchen doch noch dann und wann, sporadisch, Fälle von schwanzlos geborenen Hunden oder Katzen auf, welche Kinder einer Mutter sind, die bei irgend welcher Operation oder Katastrophe den Schwanz verloren hatte. Wer aber die Vererbung von Traumatismen für unmöglich hält, frägt dann sogleich: 1) Hat dieselbe Katze, hat derselbe Hund, früher, als er den Schwanz noch nicht verloren hatte, immer normale, schwanztragende Junge zur Welt gebracht? und 2) Wie verhielten sich in dieser Hinsicht die Großeltern und die früheren Geschlechter ? Auf diese beiden Fragen lässt sich dann gewöhnlich keine Antwort geben. Ich habe Versuche gemacht mit Wanderratten, deren Voreltern mir seit zehn Generationen, und mit weißen Hausmäusen, deren Vor- eltern mir seit sechs Generationen als vollkommen normale, schwanz- tragende Tiere bekannt waren. Seit Mitte Oktober 1886 bin ich mit Versuchen über Erblichkeit und über den Einfluss der Inzucht beschäftigt; ich benutzte für diese Versuche Wanderratten von verschiedener Farbe (schwarz, grau, weiß, gefleckt) sowie weiße Hausmäuse. Ueber die Resultate dieser Haupt- versuche will ich später berichten. Nebenbei aber konnte ich einen Teil meines Zuchtmaterials, dessen Abstammung mir natürlich ganz genau bekannt war, zu Versuchen über etwaige Erblichkeit künstlich hergestellter Verstümmelungen benutzen. Den sechs jungen Ratten eines Wurfes amputierte ich den Schwanz, als sie erst einen Tag alt waren; nachher ließ ich diese Jungen als sie erwachsen waren, mit einander paaren. Den Jungen, welche aus dieser Paarung hervorgingen, wurde wieder in frühster Jugend der Schwanz abgeschnitten; — und so fuhr ich stets fort; ich nahm immer wieder zur Zucht in engster Verwandtschaft meine Zuflucht, indem ich stets entweder Geschwister unter sich oder Junge mit ihren Eltern paarte; ich that dies, damit ich eventuell auftretende neue Ritzema Bos, Vererbung von Traumatismen. 735 Eigenschaften (hier: die Schwanzlosigkeit) sobald wie möglich fixieren könnte. Es paarten immer wieder schwanzlose mit schwanzlosen Ratten. Ich stellte drei Versuchsreihen an: im erster. Falle erstreckten sich meine Versuche über 10 Generationen, im zweiten über 7, im dritten über 5 Generationen; ich züchtete im ganzen etwas mehr als 1200 Wanderratten, welche alle von künstlich des Schwanzes be- raubten Ratten geboren wurden; — es war aber keine einzige der von mir gezüchteten Ratten schwanzlos; es hatte sogar keine einzige einen kürzeren Schwanz wie eine gewöhnliche Ratte. Mit weißen Mäusen, deren Stammeltern ich seit 6 Generationen als mit normalen Schwänzen versehen kannte, stellte ich ähnliche Versuche an, und mit demselben Resultate wie bei den Ratten. Indem ich während resp. 9,8 und 6 Generationen stets den kaum geborenen, später zur Fortpflanzung zu benutzenden Jungen den Schwanz ampu- tierte, gelang es mir weder Schwanzlosigkeit noch Verkürzung des Schwanzes zu erzielen. Ich gelangte also zu ganz denselben Resultaten wie Weismann (vergl. „Ueber die Hypothese einer Vererbung von Verletzungen, von Prof. A. Weismann, Jena, 1889, S. 22). Unter den Ratten, welehe ich — wie ich oben schon sagte — zum Zwecke von andern Versuchen züchtete, waren einige von mehr wilder Natur als die anderen. Diese ließen sich oft nicht ohne Protest aus dem einen Käfige in den anderen überbringen und versuchten verschiedene Mal zu entrinnen. Beim Wiedereinfangen büßten einige von ihnen die Schwanzspitze ein. Diese Ratten wurden die Stamm- eltern einer sehr zahlreichen Nachkommenschaft; aber die Enkel bis in die 14. und 15. Generation hatten alle einen normalen Schwanz. Einer weiblichen Albinoratte wurde kurze Zeit nach ihrer Geburt von ihrem Vater der eine Vorderfuß abgebissen. Diese dreifüßige Ratte paarte ich mit einem normalen Männchen; die Jungen waren alle normal, vierfüßig. Ich paarte einen dieser Jungen drei Mal hinter- einander mit seiner dreifüßigen Mutter; ich erhielt aber immer voll- kommen normale Junge. Habe ich nun durch meine Versuche bewiesen, dass Verletzungen nicht vererben? Natürlich nicht; denn obgleich ich bewiesen habe, dass in einem gewissen Falle eine gewisse, in jeder neuen Generation wiederholte Verletzung, auch noch nach zehn Generationen sich nicht fortpflanzt, so folgt daraus noch nicht, dass nicht z. B. nach 20 Genera- tionen eine vererbte, aber erst latent gebliebene Eigenschaft sichtbar werden könnte. Aber — um mit Weismann zu reden — „man darf nicht ver- gessen, dass alle sogenannten „Beweise“, die bisher für eine Vererbung von Verstümmelungen vorgebracht wurden, die Vererbung einer ein- maligen Verstümmelung behaupten, welche sofort in der folgenden Generation in die Erscheinung trat. Auch bezieht sich in allen diesen 736 Valenti, Ossa sopranumerarie del naso. Fällen die Verstümmelung nur auf einen der Eltern, nicht wie bei den Mäuse- (und Ratten-) Versuchen auf beide. Diesen Versuchen gegenüber fallen alle diese „Beweise“ in nichts zusammen, sie müssen alle zusammen auf Irrtum beruhen“ (l. e. S. 25). Meine Resultate sind also rein negativ. Ich hatte zwar auch nichts Anderes erwartet; aber weil ich ja gerade ein ausgedehntes Zuchtmaterial disponibel hatte, und zwar ein Zuchtmaterial, dessen Abstammung mir seit zehn, resp. sechs Generationen bekannt war, so schien es mir angewiesen, die obenerwähnten Versuche über Ver- erbung von Verstümmelungen anzustellen, welche mir ja für die Aus- führung meiner Hauptversuche gar kein Hindernis in den Weg legten. Wageningen, 11. November 1891. Zusatz zur Mitteilung des Herrn Ritzema Bos. Zu ganz den gleichen Ergebnissen bin auch ich bei Züchtungs- versuchen an weißen Ratten gelangt, welche durch 10 bis 15 Genera- tionen in Inzucht gepaart und bald nach der Geburt ihrer Schwänze beraubt wurden. Niemals war auch nur eine Verkümmerung oder Verkürzung der Schwänze zu erkennen. J. Rosenthal. Valenti, G., Ossa sopranumerarie del naso. Monit. zool. ital., Ann. II, N. 8, 31. Agost. 1891. Die kleine Schrift bringt die Beschreibung zweier accessorischer Knochen- paare, die Verf. an einem Schädel der anatomischen Sammlung zu Pisa fand. Die Nasenbeine dieses übrigens zahlreiche Anomalienı darbietenden Schädels hatten gleichsam eine Fortsetzung nach unten zu in 4 Knöchelchen, von denen die äußeren von unregelmäßiger, viereckiger Gestalt seitlich an die Oberkiefer, nach oben an die Nasenbeine grenzten, während sie nach der Mittellinie zu an die medialen unter einander durch eine oberflächliche Naht zusammen- hängenden unregelmäßig ovalen Knochenplättchen stießen. Der untere Rand war frei und bildete die obere Begrenzung der Apertura pyriformis; an ihm war eine kleine Incisur, den lateralen Knochen angehörig, zu bemerken, die eine Fortsetzung des Sulcus ethmoidalis war. — Verf. sucht die Bildung dieser accessorischen Knochenplättchen mit den durch Ineisuren oder Nähte angedeu- teten partiellen Knochenspalten in Zusammenhang zu bringen, die er in einer großen Zahl von Fällen in verschiedener Deutlichkeit fand. Er weist ferner die Analogie dieser Bildungen mit der von Maggi beim Affen gefundenen Varietät der hohen Lage der Ossa incisiva, die sich normal bei niederen Vertebraten z. B. Echidna findet, nach. C. Spener (Berlin). Die Herren Mitarbeiter, welche Sonderabzüge zu erhalten wünschen, werden gebeten, die Zahl derselben auf den Manuskripten anzugeben. Einsendungen für das „Biologische Centralblatt“ bittet man an die „Redaktion, Erlangen, physiologisches Institut‘ zu richten. Verlag von Eduard Besold in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Biologisches Öentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. I. Band: 31. Dezember 1891. Nr. 24. Inhalt: Ritzema Bos, Die „Blumenkohlkrankheit“ der Erdbeerpflanze. — Schneider, Ein Beitrag zur Phylogenie der Organismen. — Ziegler und vom Rath, Die amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. — Frenzel, Der Zellkern und die Bakterienspore. — Gräfin Maria v. Linden, Das Schwimmen der Schnecken am Wasserspiegel. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Naturforschende Gesellschaft zu Rostock. Die „Blumenkohlkrankheit“ der Erdbeerpflanze. („Zwei neue Nematodenkrankheiten der Erdbeerpflanze“, von Dr. J. Ritzema Bos: in Dr. Paul Sorauer’s „Zeitschrift für Pflanzenkrankheiten“, Bd. I, Lieferung 1, S. 1). Verf. erhielt im Mai und Juni 1890 von Fräulein Ormerod in St. Albans (England) eigentümlich erkrankte Erdbeerpflanzen aus Kent. Als Ursache der Krankheit erkannte er eine Nematodenart der Gattung Aphelenchus Bastian, und zwar eine bis jetzt unbe- schriebene Art, welche er Aphelenchus Fragariae nannte. Das Genus Aphelenchus Bastian ist dem Genus Tylenchus Bastian sehr nahe verwandt, zu welchem T'ylenchus devastatrix (das Stengelälehen) gehört, worüber Verfasser seine Untersuchungen im Auszuge im „Biologischen Centralblatte“, Bd. VII u. VIII publiziert hat. Zu den beiden Gat- tungen zählen freilebende Arten sowie Pflanzenschmarotzer. Für die Beschreibung der neuen in Erdbeerpflanzen schmarotzenden Aphelenchus- Art sei auf den Original-Aufsatz verwiesen. Hier will ich bloß einige Mitteilungen über die von ihr verursachte Erdbeerpflanzenkrankheit im Auszuge wiedergeben. — Zunächst sei bemerkt, dass diese Nematode im Allgemeinen die- selben Abnormitäten bei der Erdbeerpflanze auftreten lässt, welche die anderen Vertreter der Familie der Anguilluliden (z. B. Ty- lenchus devastatrix) verursachen, wenn sie in Pflanzengeweben schma- rotzen, nämlich: eine Einschränkung resp. ein Stillestehen des Längen- wachstums der Gefäßbündel; gewöhnlich eine ungemein starke Ver- ästelung derselben; Hypertrophie der Parenchymzellen der Stengel, Aeste und Blätter; zuletzt starke Teilung dieser Zellen !). l) „Untersuchungen über Tylenchus devastatrix Kühn“, von Dr. J. Ritzema Bos; in: Biolog. Centralblatt, VII, Nr. 21, S. 647. XI, 47 138 Ritzemä Bos, „Bluinenkohlkrankheit* der Erdbeerpflanze. Es versteht sich aber, dass dem Habitus nach sehr verschiedene Missbildungen entstehen, je nachdem eine Pflanze oder irgend welcher Ptlanzenteil früher oder später von Parasiten heimgesucht wird; und je nachdem in demselben eine größere oder geringere Anzahl von Anguilluliden sich befindet. Bei den von vielen Aphelenchen bewohnten Erdbeerpflanzen kommt eine starke Verdiekung aller Stengelteile und eine starke Verästelung sowie die Bildung einer großen Anzahl neuer Knospen vor. — In den Achseln der niederen, übrigens normal entwickelten Blätter finden sich zahlreiche sehr diekschuppige Knospen, die große Uebereinstimmung haben mit den kleinen Brutzwiebeln, welche inner- halb der ausgewachsenen Blumenzwiebeln sich bilden; diese abnorm dieken Knospen bilden niemals Stolonen. — Den Hauptstengel fand Verfasser bei einigen Exemplaren — denjenigen, welche nicht sogleich im Anfange von einer großen Anzahl von Aphelenchen bewohnt wurden — anfänglich ziemlich regelmäßig ausgewachsen; aber in einer gewissen Höhe fand er denselben stark verästelt; er fand die Aeste nicht nur diek und breit, sondern auch während ihres weiteren Wachstums auf eine große Streeke ihrer Oberfläche hin vereinigt bleibend, so dass wahre Verbänderungen („Faseiationen“) entstanden waren. Es bildet sich aber gewöhnlich keine band förmige Ver- bänderung, sondern eine Verdiekung, welche vom Verf. mit einem Stücke Blumenkohl vergliehen wird; daher der Name der Krankheit. Ausnahmsweise aber bildet sich eine einfache, bandförmige Ver- breiterung des Stengels oder des Astes, während die an derselben befindlichen, immer sehr zahlreichen Blumen- und Blattknospen ziem- lieh normal zur Entwicklung gelangen. — Es kann auch das Wachs- tum auf der einen Seite des Stengels oder des Astes, welche eine Verbänderung bildet, kräftiger als auf der anderen Seite sein, wo- durch eine Biegung, sogar eine Krümmung des betreffenden Teiles entsteht. Der gewöhnlichste Fall aber ist der, dass der Stengel oder der Ast sich nicht nur in die Breite sondern auch in die Dicke vergrößert; die Seitenäste verwachsen dann zum größten Teil oder gänzlich mit einander, und die Knospen kommen nur ausnahmsweise zu vollkom- mener Entwickelung. In diesem Falle ähnelt ein großer Teil der kranken Pflanze sehr dem Blumenkohle oder Broccoli, je nachdem die Knospen entweder gar nieht oder doch noch teilweise zur Ent- wiekelung gelangen und anormale oder normale Blüten entstehen lassen. — Oefter ist der Stengel sehr verbreitert und kurz geblieben, und sind die Knospen an seinem Gipfel, oder vielmehr an seinem Kamme, zusammengedrängt, wie beim Hahnenkamme (Celosia eristata). Gewöhnlich aber finden sich die Knospen, ganz wie bei dem Blumen- kohl, auf dem größten Teile der Oberfläche der zu einer dichtge- drängten Masse veränderten Axenteile. Je nachdem dann alle Aeste Sehneider, Beitrag zur Phylogenie der Organismen. 739 der vielverzweigten Teile sehr kurz geblieben und zusammengedrängt, oder etwas länger und dünner und nur teilweise zusammengewachsen sind, ist die Aehnlichkeit mit Blumenkohl oder mit Broceoli eine größere. Von den Blättern sind zwar einige normal, viele aber bleiben immer klein; bisweilen ist die Blattfläche nicht mehr dreizählig son- dern aus einem Stücke bestehend und öfter gefaltet. Was die Blütenknospen betrifft: bisweilen wird der Axenteil sehr dick und bleiben die Blattteile sehr dünn, schuppenförmig. Oft sind die beiden Blätterreihen des Kelches („Calyx duplex“) vollkommener als die anderen Reihen von Blütenblättern entwickelt. — Die Knospe bleibt öfter geschlossen, kann sich aber auch öffnen. — Die beiden Kelchblätterreihen sind oft ganz anormal entwickelt, entweder zu groß oder zu klein, bisweilen mehr oder weniger gelappt, gespalten oder eingeschnitten, sogar dreizählig, wie die gewöhnlichen grünen Blätter. — Die Kronenblätter bleiben oft rudimentär, jedenfalls bleiben sie kleiner als die Kelcehblätter; sie sind nieht immer rein weiß, son- dern oft grünweiß, aber zart. — Die Staubblätter fehlen vielen Blüten; sie sind in anderen Blüten rudimentär, oder jedenfalls ist der Faden kürzer als in normalen Blüten. — Der Blütenboden, d. h. der Axen- teil der Blüte mit den auf demselben eingepflanzten Fruchtblättern, bleibt in vielen Fällen sehr klein; letztere können auch gänzlich fehlen. Bisweilen entsteht eine axilläre Prolifikation der Blüten, und zwar immer in der Weise, dass in den Achseln von zwei bis drei Keleh- blättern sich neue Knospen bilden. Aus diesen Knospen entstehen aber wohl niemals normale Blüten; man sieht an den Stellen, wo diese hätten entstehen sollen, eine Anhäufung von rudimentären Blättchen. — Weniger heimgesuchte Pflanzen haben auch ziemlich normal ent- wickelte Aeste, Blätter und Blüten; überhaupt weicht ihr Bau weniger von den normalen ab. — Verf. empfing, ebenfalls aus Kent, kranke Erdbeerpflanzen, in denen eine andere unbeschriebene Aphelenchus- Art vorkam, die er Miss Ormerod zu Ehren, Aphelenchus Ormerodis nannte. Die von dieser Art verursachte Krankheit ähnelt sehr der oben beschriebenen, von A. Fragariae verursachten. — Dr. J. Ritzema Bos (Wageningen). Ein Beitrag zur Phylogenie der Organismen. Von Dr. Karl Camillo Schneider in München. Ein Organismus charakterisiert sich als Organismus durch die Fähigkeit, die Ausgaben an Substanz, die er macht, durch Einfügung neugebildeter, gleicher in die eigne Masse zu ersetzen. Wir be- zeichnen diese Umsetzungsvorgänge mit Leben: sie sind Bewegungs- 17® 740 Schneider, Beitrag zur Phylogenie der Organismen. erscheinungen, die sich von denen in Anorganismen nur durch ihre Wirkung — die eben einen Ersatz des verbrauchten bedeutet — unterscheiden. Diese Differenz ist aber keine prinzipielle, denn ein Organismus entstand ja, als eine Summe chemischer Verbindungen (oder eine einzige, höchst komplizierte) durch irgend einen Zufall (d. h. durch unbekannte, mechanische Einflüsse) zusammentrat und die Fähigkeit äußerte, derart auf andere Körper einzuwirken, dass sie diese oder vielmehr deren Umwandlungsprodukte assimilieren, d. h. sich direkt einfügen konnte. Leben ist demnach weiter nichts als das Vorsiehgehen von Veränderungen in einem Gegenstand; da die Organismen das verbrauchte neugewinnen, sollte man sie deshalb Dauerlebewesen nennen. Der Ersatz trat sofort wieder in Aktion; der einfachste Organismus, von dem hier die Rede ist und den wir als Zoon (Cor) einführen, hatte, im obigen Sinne als mechanische Substanz gedacht, es durchaus nicht in der Gewalt den eingeleiteten Umsetzungsprozess zu enden; es ergoss sich also durch ihn ein un- unterbrochener Strom des Lebens, der, wenn die Einflüsse der Um- gebung, d. h. hier die Ernährung, eine konstante blieb, selbst sich konstant erhielt. Er konnte sich nur verändern, wenn jene sich ver- änderte, und wir dürfen annehmen, dass in jener Erdperiode, als die jedingungen zur Bildung von Zoen gegeben waren, ebensogut oder noch mehr als jetzt im Großen und Ganzen sich gleichbleibende Ver- hältnisse vorlagen — eine Konstanz der Art ist ja nur durch Kon- stanz der Umgebung möglich —. In der Frage, ob die angegebenen Bedingungen in mehr als einer Weise vorgelegen haben, ob wir eine mono- oder polyphyletische Entstehung der Organismenwelt zu ver- treten haben, neige ich mich letzterer Ansicht, ja sogar der zu, dass Zoen verschiedener Beschaffenheit sich bilden konnten, denn warum sollte das dauernde Leben gerade nur an eine Formel gebunden sein? Immerhin ist jeder Streit augenblicklich hierüber ganz fruchtlos. Da das Zoon durch eine bestimmte Gruppierung (folglich auch Menge) von bestimmten Verbindungen charakterisiert ist, wird es auch eine bestimmte, sieh konstant erhaltende Größe besitzen. Wir dürfen fernerhin annehmen, dass ihm eine aktive Bewegungsfähigkeit innewohnte — oder es entwickelte sich diese erst —, und dass es das denkbar einfachste Empfindungsvermögen besaß. (Siehe hierüber Näheres in einem baldigst folgenden Aufsatze). Für die Charakteri- sierung des Zoons sind diese Punkte aber von untergeordneter Natur; anders steht es aber mit der Frage: wie verhält sich das Zoon, wenn Ausgaben und Einnahmen sich nicht mehr entsprechen; wenn es sich nieht mehr im (allerdings nieht haarscharf gezogenen) Op- timum der Lebensbedingungen befindet? Dieser Fall könnte ein- treten, wenn das Zoon in nährstoffarme oder reiche Bezirke gelangt, Da es in bestimmter Weise aufgebaut ist, wird es bei Mangel an assimilierbaren Stoffen ruhen oder die eigne Substanz angreifen Schneider, Beitrag zur Phylogenie der Organismen. 741 müssen (im letzteren Falle also zu Grunde gehen); bei Ueberschuss jedoch ladet es sich einen Ballast auf, der für das Ganze statt irgend welchen Vorteils — das Zoon ist ja durch eine bestimmte Substanz- menge charakterisiert — nur den Nachteil hat, dass er die Bewe- gungsfähigkeit hemmt. Bei mangelndem Leistungsvermögen wird allerdings der Ueberschuss aufgezehrt; ist aber die Ernährung dazu zu reichlich, so häuft jener sich an, etwa bis er die gleiche Menge des Zoons repräsentiert. Er besteht aus der gleichen Substanz wie dieses; er wird demnach unter gleichen Einflüssen, die das Zoon selbst entstehen ließen, ebenfalls zu einem Ganzen zusammentreten, das auch ein Zoon repräsentiert. Es sind also gewissermaßen zwei Attraktionszentren in dem ursprünglich einheitlichen Individuum vor- handen, es können sich aber auch deren 3, 4 oder mehr Einzelheiten ansammeln — deren Trennung wäre sogar leichter anzunehmen (durch mechanische Einwirkung der Umgebung), als die von 2. Das Ueberschreiten der maximalen Grenze des Optimums führt also zur Teilung. Die Einwirkung des Zoons auf Fremdkörper behufs Umsetzung dieser erfolgt jedenfalls durch flüssige Zwischenprodukte; eine direkte Einwirkung der festen Massen aufeinander — von flüssigen Fremd- körpern abgesehen — anzunehmen ist nicht nötig, da ja der Or- ganismus fähig ist, Substanzen abzuscheiden (eben die speziell pas- sende Beschaffenheit dieser erzeugt ja den Organismus). Wir wollen sie co Avonklacua oder einfach zo Avov — das lösende (und um- setzende) nennen. Fassen wir nun die Charakteristik der einfachsten Lebewesen (denen die Existenz in unserer Zeit unmöglich abgesprochen werden kann) nochmals kurz zusammen, so müssen wir sagen: ein Zoon (Protozoon) ist eine Summe von Atomen (Molekulen, vielleicht Verbindungen), die durch die Fähigkeit, auf Fremdkörper derartig (vermittels spezifischer Lyoplasmen) umsetzend einzu- wirken, dass die Umsetzungsstoffe assimiliert werden können und somit den eignen Verbrauch zu decken ver- mögen, sich als einen Organismus (Dauerlebewesen) ein- fachster Art erweist. Das Zoon bleibt ein Zoon, mag es sich nun den verschieden- artigsten Anforderungen der Umgebung anpassen oder nicht. Es ist etwas ganzes, abgeschlossenes, eine Individualität, d. h. es ist eine Summe, die sich zu etwas Einheitlichem verbunden hat. Die Atome in ihm sind eine bestimmte Arbeitsteilung eingegangen, die (ohne damit etwas spezialisieren zu wollen) vielleicht durch ihre Teilnahme an der oder jener Verbindung repräsentiert wird. Das soll heißen: gewisse Einflüsse der Umgebung zwingen das Atom zu der und der Lagerung; in Vereinigung mit anderen also zu der und der Funktion. Dies ist — soweit eben unsere Chemie auf physikalisch erklärbarem 742 Schneider, Beitrag zur Phylogenie der Organismen». Boden steht — durchaus mechanisch gedacht. Wenden wir den- selben Gedanken auf die Fortentwicklung der Organenwelt an, so müsste man sagen: eine Summe von Zoen trat unter gegebenen Be- dingungen derart in Verbindung, dass sie eine Individualität zweiter Stufe erzeugte. Während aber bei Verbindungen die Einwirkung irgend welcher Einflüsse klar und einfach zu Tage tritt, lässt sich dies bei komplizierteren Substanzen, wie die Zoen sie darstellen, nicht so leiehthin nachweisen, denn die Kompliziertheit des Baues bedingt eine so vielfache Verwertung von Einflüssen, dass die Ant- wort des Organismus die Frage oft gar nicht wiedererkennen lässt. Eine Folge hiervon ist, dass Umbildungsprozesse sich relativ langsam vollziehen werden — die Arbeitsteilung der Bausteine des Zoons zerspaltet den Einfluss in viele Teile, sodass dessen Wirkung na- türlich im Einzelnen eine weit schwächere ist, als im Ganzen auf die früher isolierte Verbindung. Vielleicht war es eine andauernd günstige Ernährung, die eine außerordentliche Vermehrung eines Zoons zur Folge hatte, welche den Anlass zur Koloniebildung bot. Die Zoen blieben in Zusammenhang, da eine Trennung nicht notwendig war; immerhin durfte derselbe aber nicht zu innig sein, da sonst die Abgabe der Lyoplasmen unmöglich gewesen wäre. Wir können uns hierbei sofort die Herausbildung einer Arbeitsteilung denken, und zwar allein auf Grund zufällig vorliegender Beeinflussungen. Die Abscheidung des Lyons war nötig; die Aufgabe des Zusammenhalts aller wurde nicht veranlasst: so werden die einen, die gerade dazu günstig lagen, die umsetzenden Sekrete abscheiden und sich hierbei isolieren; die andern den Zusammenhang unter einander nicht auf- geben — daraus resultiert ein Lückensystem, wo die Wandungen aus vereinigten Zoen bestehen, während in den Lücken freie Zoa sich vorfinden, deren Abscheidungssekrete das Ganze erfüllen. (Es ist dies eine Vermutung, die dadurch, dass sie sich auf mechanische Prinzipien stützt, an wahrscheinlicher Richtigkeit gewinnt; ob sie in der That genügt und nicht andere dies bei weitem besser thun, soll nicht im geringsten behauptet werden; das Ganze hat ja nur den Zweck ein denkbares Beispiel zu liefern). Solang die günstige Nähr- quelle genügt, kann sich die Kolonie derart erhalten; ist jene aus- genützt, so treten andere Anforderungen an diese heran, die entweder zur Auflösung des Verbandes oder zur Anpassung, also zur Fortent- wicklung führen. Die Fähigkeit der Ortsveränderung muss gewonnen werden; die Zoen besitzen diese — wie wird sie sich in der eben beschriebenen Kolonie vollziehen? Die Bewegung der einzelnen nützt zu nichts; die der vereinigten muss aber in der ungeregelten An- ordnung aller derartig verschieden wirken, dass ihr Ergebnis wohl ebenfalls niehts nützt. In dem Widerstreit der Bewegungsäußerungen wird es zur Aufgabe alter und Eingehung neuer Vereinigungen kommen, woraus schließlich doch vorteilhafte sich ergeben können. Schneider, Beitrag zur Phylogenie der Organismen. 143 Als solche haben wir uns zweifelsohne reihen- oder ebenflächen- förmige Anordnungen zu denken, denn in einer geraden Linie oder ebenen Fläche können Verkürzungen und Verlängerungen, die zur Lokomotion führen, sich abspielen. Auch die Bewegung der Einzelzoa wurde jedenfalls durch Veränderungen der Form, rhytmisch sich wie- derholende Verkürzung und Verlängerung in einer Axe besorgt. Wenn sich also in der Kolonie (ro/v&wor) in einer gewissen Richtung ein Teil der Zoen zu parallelen Linien oder Flächen anordnet und in diesen einheitliche Bewegungen ausführt, so ist die Fortbewegung der Massen (falls diese nicht zu groß, was dann immerhin zum we- nigstens teilweisen Zerfall führen würde) denkbar, denn z. B. bei Verklebung des Polyzoons an einem Ende mit der Unterlage, bei darauffolgender Kontraktion, Anheftung am andern Ende, Ausdeh- nung ete. tritt Ortsveränderung ein. Um gleich abschließend die Lokomotionsausbildung zu behandeln, sei noch bemerkt, dass die Ausdehnung des Ganzen nicht durch dieselben Zoen, die die Kon- traktion bewirkten, möglich ist — aus rein mechanischen Rück- sichten —, sondern dass jedenfalls Kontraktionen anders gelagerter Reihen sie vollzogen. Dann ist aber die flächenhafte Vereinigung der Zoen nieht anzunehmen; wir dürfen vielmehr als Abschluss dieser Anpassungen im Polyzoon die Ausbildung eines Maschenwerks von Fäden (zo Alvov), die aus Zoen (6 Awondkacıns) bestehen, vertreten. In diesem Maschenwerk finden sich die die Umsetzung bewirkenden Einzelzoen (6 Avrorrkaorng), die Lyoplasmen und die zu assimilieren- den, umgesetzten Stoffe, die in dem Maschenwerk durch Kapillar- attraktion sich verbreiten. Unter den weiteren Umbildungen im Deuterozoon (Lebewesen zweiter Stufe, ovv$erov — das zusammengesetzte) ist hauptsächlich die höhere Vereinheitlichung, die Ausbildung einer abgeschlossenen Individualität zu berücksichtigen. Den ersten Schritt bewirkte die Ausbildung bewegungsfähiger Elemente; sie bestimmte zugleich im großen Ganzen das Maß des Synthetons — natürlich sind hier die Grenzen der optimalen Größe weit weniger scharfe als im Zoon. — Die Linoplastiden durchsetzen den ganzen Körper, da sie sowohl die Bewegung des ganzen Organismus, wie auch die von eingelagerten Substanzen (nicht bloß durch Kapillarattraktion) besorgen. Anders ist es mit den Einzelzoen. Die peripher gelegenen stehen unter an- dern Einflüssen, als die zentralen; es wird also die Arbeitsteilung unter ihnen sich fortsetzen. Demnach wird auch die Lyoplasma- bildung nur von besondren Gruppen der Zoen übernommen werden, und da das Lyon eine flüssige Substanz ist, die im ganzen Organis- mus sich verbreitet, so ist es als höchst wahrscheinlich anzusehen, dass die Lytoplastiden eine zentrale Lage einnehmen werden, während die peripheren Bezirke andern Zoen überlassen bleiben, die einer direkten Verbindung mit der Aussenwelt benötigen. — Wir finden rY 44 Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. also im differenzierten Syntheton die Zelle; in deren Fibrillen (siehe meine Arbeit: Untersuchungen über die Zelle; Arbeiten d. zool. Inst. Wien, T. IX, H. 2) die aus Linoplastiden aufgebauten Bewegungs- organe jener; in deren Kern mit den Chromatinkörnern den zentralen Aufenthaltsort (der sich abkapseln konnte, aus gewissen, an anderer Stelle zu berücksichtigenden Gründen sogar musste) mit den Lyto- plastiden; in den Bioblasten Altmanns und Plastidulen Maggis (Zoja, intorno ai plastiduli fuseinotli, memorie d. R. istituto Lombardo di scienze, vol. XII) die übrigen, an spezifische Arbeitsleistungen an- gepassten Monozoen, welche das Maschenwerk des Synthetons be- wohnen; in der Grundmasse (Interfilarmasse, Zwischensubstanz) die flüssigen Umsatzprodukte, wie sie die Thätigkeit der dazu an- gepassten Zoen beschafft. Fassen wir nun die Charakteristik der auf zweiter Stufe der Entwicklung stehenden Lebewesen (Deuterozoen) zusammen, so haben wir die Charakteristik der Zoen wieder, der nur einzelne, speziali- sirende Momente zuzufügen sind: ein Syntheton ist eineSumme von Zoen, die wie die Zoen sich als individuellen Orga- nismus repräsentiren, in dem durch Arbeitsteilung der Bausteine sich bewegungserzeugende Elemente (Lino- plastiden) von nährstoffumsetzenden (Lytoplastiden) und sonstigen, zu anderen Funktionen differenziertenMono- zoen unterscheiden lassen. Ohne auf die hochwichtigen Fragen, wie Teilung, Konjugation, Kopulation, Dauer des Lebens, Vererbung (worauf ich in einem spätern Aufsatz zu sprechen kommen werde) näher einzugehen, füge ich betreffs der Fortentwieklung der Organismen nur kurz hinzu, dass aus Stadium II (Syntheton) durch Kolonisirung und Arbeitstei- lung Stadium 1II (Metazoen mit Ausnahme weniger) und auf gleiche Weise aus Stadium III Stadium IV (übrige Metazoen, vor Allem die Siphonophoren) hervorgingen. Eine natürliche Systematik muss sich meiner Ansieht nach hierauf stützen, und könnte demnach nur 4 Typen unterscheiden — doch auch hierauf werde ich an anderer Stelle ausführlich zu sprechen kommen. Vorbemerkend sei hier noch angefügt, dass ich die Bakterien nicht als Zoen, sondern als Syntheten sehr einfacher Art betrachte. Die amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. H. E. Ziegler, und O. vom Rath, Drsph.,*Pror. Dr. ph. Die Darlegungen über die biologische Bedeutung der amitotischen Kernteilung, welche in Nr. 12 u. 13 dieses Bandes des „Biologischen Centralblattes“ veröffentlicht wurden !), haben alsbald von mehreren A) ELSE; Ziegler, Die biologische Bedeutung der amitotischen (direkten) Kernteilung im Tierreich. Biol. Centralbl., Bd. XI, 1891, S. 372 u. fg. Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. 745 Forschern, nämlich von Loewit, von Frenzel und von Verson Widerspruch erfahren!). Loewit stützt sich auf seine an den Blut- körperchen des Flusskrebses angestellten Untersuchungen und hält seine Ansicht aufrecht, dass neben der degenerativen amitotischen Teilung auch eine „regenerative“ amitotische Teilung zu unterscheiden sei. Verson behauptet, dass bei der Spermatogenese von Bombyx mori und andern Lepidopteren die Kerne der Samenmutterzellen jedes Hodenfaches durch amitotische Teilung von einem einzigen großen Kern sich herleiten und dass folglich amitotisch entstandene Kerne weiterhin sich mitotisch vermehren können. Frenzel verweist haupt- sächlich auf seine Beobachtungen am Mitteldarm von Crustaceen und Insekten und an der Mitteldarmdrüse der Urustaceen und schreibt der amitotischen Kernteilung und den derselben folgenden Zellteilungen in diesen Fällen eine große Rolle zu. Wir möchten uns hier darüber äußern, wie wir zu den Darlegungen dieser Autoren Stellung nehmen. Man sieht, dass die Einwände von Loewit, Verson und Frenzel fast sämtlich auf Untersuchungen an Arthropoden be- gründet sind?). Frenzel stimmt den Anschauungen von Flemming hinsichtlich der Wirbeltiere bei, aber er kann sich nicht einverstanden erklären, wenn man dieselben auf die Wirbellosen überträgt. Wir sind der Ansicht, dass die amitotische Kernteilung bei den Wirbel- tieren nach denselben Prinzipien zu beurteilen ist, wie bei allen übrigen Metazoen. Wir würden Frenzel eher zustimmen, wenn er bei dieser Frage nieht für die Wirbeltiere, sondern für die Arthropoden eine Sonderstellung verlangt hätte; denn die Arthropoden sind überhaupt in histologischer Hinsicht eine recht eigenartige Gruppe und es scheint, dass die amitotische Kernteilung bei denselben häufiger ist als bei irgend einem anderen Typus der Metazoen. Wir sind der Ansicht, dass ein regenerativer Charakter der ami- totischen Kernteilung auch bei den Arthropoden in keinem Falle er- wiesen ist. Ehe wir aber die einzelnen Fälle besprechen und über die Beobachtungen berichten, welehe wir neuerdings zur Stütze unserer Ansicht beibringen, scheint es uns notwendig den Begriff der Regeneration zu erörtern. Dieser bezieht sich ursprünglich auf die in das Gebiet der Pathologie gehörige Regeneration, nämlich auf die bei einer Verletzung oder bei einem durch krankhaften Prozess erzeugten Gewebsverlust eventuell erfolgende Wiederherstellung des Gewebes oder Organes; es ist ja von jeher bekannt, dass Wunden verheilen können und dass bei Amphibien und Reptilien sogar ab- geschnittene Extremitäten, Kiemen, oder der abgeschnittene Schwanz 1) M. Loewit, Ueber amitotische Kernteilung. Biol. Centralbl., Bd. XI, 1891, S. 513 u. fg.; J. Frenzel, Zur Bedeutung der amitotischen (direkten) Kernteilung. Biol. Centralblatt, Bd. XI, 1891, S. 558; E. Verson, Zur Be- urteilung der amitotischen Kernteilung. Biol, Centralbl., Bd XI, 1891, S. 556. 2) Frenzel bezieht sich auch auf die Amöben und auf die von ihm be- schriebene und in der Abteilung der Mesozoa eingereihte Salinella. 746 Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. wieder nachwachsen. Inbezug auf diese pathologische Regeneration wird man wohl in Berücksichtigung der neuesten Litteratur!) folgende beiden Sätze ohne Widerspruch gelten lassen: 1) Die Regeneration geht stets von den relativ am wenigsten differenzierten Zellen des betreffenden Gewebes aus, von solehen Zellen, welche einen jugendlichen Charakter haben d. h. den embryo- nalen Zellen noch am meisten gleichen ?). 2) Die Regeneration beruht stets auf Mitosen. Geht man von der im Gebiet der Pathologie beobachteten Re- generation zur physiologischen Regeneration über und bedenkt man, dass (wie Barfurth ausführt) die erstere als „eine gesteigerte physio- logische Regeneration“ aufgefasst werden kann, so ist es naheliegend nur da von Regeneration zu sprechen, wo die beiden obengenannten Sätze zutreffen. Wir fassen den Begriff der physiologischen Regenera- tion so, dass diese beiden Sätze per definitionem dazugehören. Wir sehen daher nicht in jeder Zellenvermehrung eines Gewebes eine Re- generation, sondern nehmen eine solche nur dann an, wenn eine Ver- jJüngung des Gewebes stattfindet, wenn jugendliche und relativ un- differenzierte Zellen an die Stelle der alten treten?). Wie die ganze 1) Siehe die neue Publikation von Barfurth (Zur Regeneration der Ge- webe. Archiv f. mikr. Anatomie, 37. Bd., 3. Heft, 1891) und die dort zitierte Litteratur. 2) Kölliker schreibt: „In allen Fällen, in denen ein Organ oder ein Ge- webe fähig ist sich wieder zu erzeugen, muss dasselbe Elemente von embryo- nalem Charakter enthalten oder wenigstens solche, die diesen Charakter anzunehmen im Stande sind“ (A. Kölliker, Die Bedeutung der Zellkerne für die Vorgänge der Vererbung. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie, 42. Bd., 1885, S. 44). Es mögen hier einige Beispiele angeführt werden. Die Regene- ration der Haut der Wirbeltiere geht von den Zellen des Stratum Malpighii aus, welche sich mitotisch teilen und welche im Vergleich zu den Zellen des Stratum corneum einen embryonalen Charakter haben. Bei der pathologischen Regeneration mesenchymatischer Gewebe tritt ein „Keimgewebe* auf (E. Zieg- ler, Lehrbuch der pathol. Anatomie, 6. Aufl., 1889, 1. Bd., S. 176), welches dem Mesenchym (Bildungsgewebe) des Embryo entspricht und in welchem die Zellen mitotisch sich vermehren. Speziell hinsichtlich der Regeneration des Knochens schreibt Krafft (Zur Histogenese des periostalen Callus. Beiträge zur path. Anatomie u. Physiologie, 1. Bd., 1836): „Die dem Knochen zunächst gelegene Keimschicht des Periostes, die osteogenetische Zone, von Billroth als Cambiumschicht, von Virchow als Proliferationsschicht bezeichnet, ist ein Ueberbleibsel spezifisch modifizierten embryonalen Bindegewebes des chondro- ostalen Blastems und muss, so lange der Knochen nachwächst, in direkter Abstammung von diesem ursprünglichen embryonalen Gewebe fortbestehen, ohne dessen Typus überhaupt je ganz zu verlieren; demgemäß tritt auch bei allen Wucherungsvorgängen die Rückkehr zum embryonalen Typus deutlich hervor. 3) Zum Beispiel bei der Regeneration von Knorpel wird aus „Keimgewebe* durch Entwickelung der Zwischensubstanz Knorpelgewebe gebildet; wenn aber der ausgebildete hyaline Knorpel unter weiterer Zellteilung an Masse zunimmt, so findet zwar ein Gewebswachstum aber nicht eine Gewebserneuerung statt. Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. 747 Ontogenie aller Metazoen beweist, teilen sich jugendliche Zellen stets mitotisch; und anderseits haben die mitotisch sich teilenden Kerne einen jugendlichen Charakter im Vergleich zu den amitotisch sich teilenden!); die letzteren zeigen im Ruhezustande niemals ein so gleichmäßiges feines Chromatinnetz wie die ersteren. Dieser Begriff der Regeneration entspricht nur dann den That- sachen und wird sich nur dann als brauchbar und nützlich erweisen, wenn thatsächlich bei allen Metazoen in allen Geweben, in welchen ein kontinuierlicher Verbrauch von Zellen stattfindet, jugendliche Zellen vorhanden sind und deren Mitosen sich nachweisen lassen; dann wird man nicht zweifeln, dass auf den mitotischen Teilungen dieser Zellen die Regeneration beruht, und wenn ein Teil der so entstandenen Zellen sich noch weiter mit amitotischer Kernteilung vermehrt?), so wird man diesen Vorgang nicht als Regeneration auffassen sondern in ihm nur eine Zellenvermehrung sehen. Wir machen die Annahme, dass die amitotische Kernteilung sich nicht beliebig oft wiederholen kann, sondern die Zahl der successive sich folgenden amitotischen Kernteilungen und noch mehr die Zahl 1) Wir können Frenzel nicht zustimmen, wenn er „auch heute noch be- hauptet, dass die amitotische Kernteilung ebensogut bei jugendlichen Zellen sich ereignet“ (l. c. S. 561). 2) In der früheren Publikation ist die Möglichkeit offen gelassen worden, dass der amitotischen Kernteilung die Zellteilung folge (Biol. Centralbl., 1891, S. 375: „Wie Flemming sagt, werden weitere Untersuchungen zu entscheiden haben, ob in den Fällen, in welchen die amitotische Teilung von einer Zell- teilung begleitet ist, eine Teilung der Attraktionssphäre auftritt“). Jedoch wurde betont, dass in den meisten Fällen die Zellteilung unterbleibt und in Folge dessen mehrkernige Zellen gebildet werden. In einigen Fällen aber wird die amitotische Kernteilung von einer Zellteilung begleitet und darf man dann darin einen Beweis sehen, dass die amitotische Teilung aus der Mitose ent- standen ist. Wir erwähnen die Beobachtungen von Loewit (]. c.), welcher „nicht nur an den Krebsblutzellen sondern auch an den leukocytären Elementen der Kaninchenlymphe die im Gefolge einer bereits eingeleiteten amitotischen Kernteilung eintretende Zellteilung unter dem Mikroskope nahezu vollständig ablaufen“ sah. Auch Flemming ist der Ansicht, dass die amitotische Kern- teilung bei den Leukocyten von Zellteilung begleitet sein könne und er hat neuerdings eine Beobachtung gemacht, durch die sehr wahrscheinlich wird, dass im Falle solcher Zellteilung mit der amitotischen Teilung des Kerns auch eine Teilung der Attraktionssphäre erfolgt (Flemming, Neue Beiträge zur Kenntnis der Zelle, II. Teil. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 37, 1891, S. 714). — Wenn man bei den Wirbeltieren nach den Beobachtungen von Flemming u.a. die Regeneration der Leukocyten auf die im Blute und in den Iymphoiden Organen beobachteten Mitosen jugendlicher Leukocyten zurückführt, so wird man nicht geneigt sein die unter amitotischer Kernteilung erfolgende Teilung von Leukocyten mit Loewit einen regenerativen Vorgang zu nennen. Loewit spricht hinsichtlich der Leukocyten ausdrücklich von einer „regenerativen amitotischen Teilung, d. i. einer solchen, welche zur echten Zellenneubildung und zur Entwickeluug eines keimfähigen Zellenmateriales führt“ (l. e. S. 515). 748 Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. der dabei stattfindenden Zellteilungen eine beschränkte ist. Wenn in einem Gewebe, in dem amitotische Kernteilung vorkommt, ein reger Zellenverbrauch stattfindet, so müssen wir also stets erwarten Zellen zu treffen, welche sich mit Mitose teilen; diese Zellen nennen wir die tegenerationszellen; häufig liegen dieselben in großer Zahl an einer Stelle beisammen und bilden so einen Regenerationsherd. Solange in einem Gewebe lediglich die amitotische Kernteilung ge- funden ist, gilt uns die Untersuchung als unvollständig; es kommt darauf an die Regenerationszellen oder den Regenerationsherd zu ent- deeken und nachzuweisen, dass in dem Gewebe kontinuierlich oder periodisch die auf Mitosen beruhende Verjüngung stattfindet. Frei- lieh ist dieser Nachweis gerade bei den Arthropoden besonders schwer zu führen, weil die Mitosen manchmal periodisch auftreten und man dann eine geringe Wahrscheinlichkeit hat das Tier im richtigen Mo- ment zu konservieren. Aber durch jeden einzelnen Fall, in welchem der Nachweis gelingt, wird eine Stütze für die hier vertretene Auf- fassung gegeben und in demselben Maße der gegenteiligen Ansicht der Boden entzogen, nach welcher die amitotische Kernteilung sich unbeschränkt fortsetze und für sich allein einem kontinuierlichen Zıellenverbrauche das Gleichgewicht halten könne. Wir wenden uns jetzt zur Besprechung einzelner Fälle und wollen zunächst die Leber (Mitteldarmdrüse) des Flusskrebses be- trachten, von welcher Frenzel neuerdings (Biol. Centralbl., Bd. XI, Seite 562) fest behauptet hat, dass sie keine Mitosen enthalte. Be- kanntlich besteht dieses Organ aus zahlreichen dünnen Schläuchen und wir können mit Sicherheit angeben, dass sich in jedem Schlauche am blinden Ende der Regenerationsherd vorfindet. In seiner früheren Publikation über die Mitteldarmdrüse der Crustaceen (Mitt. der zool. Station zu Neapel, 5. Bd., 1884, S. 80) war Frenzel auf der rich- tigen Fährte, indem er schrieb: „Die Meinung von P. Mayer, nach welcher die Epithelzellen von hinten her durch Nachschub ersetzt werden, hat sehr viel Wahrscheinlichkeit für sieh“. „In der That besteht das Epithel des Schlauchendes aus kleinen Zellchen, welche die Eigenschaften jugendlicher Zellen haben“. In diesem obersten Teile des Schlauches haben wir bei jungen Exemplaren von 2—5 em Länge mit Regelmäßigkeit in jedem Falle zahlreiche Mitosen gesehen; es mag dabei bemerkt werden, dass wir die Tiere alsbald konser- vierten, nachdem wir sie ihrem natürlichen Aufenthaltsorte entnommen hatten !). Bei ausgewachsenen Krebsen wurden bei zwei Exemplaren in den obersten Teilen der Leberschläuche ebenfalls wie bei den Jungen Krebsen Mitosen in großer Menge getroffen. Dagegen wurden I) Wir sahen überhaupt davon ab, die Organe solcher Krebse zu unter- suchen, welche vom Händler geliefert wurden, da solche Exemplare gewöhn- lich seit mehreren Tagen in anormalen Verhältnissen gelebt haben und deshalb bei ihnen keine Mitosen zu erwarten sind. Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. 749 die Mitosen bei vielen (bei mindestens 12) Exemplaren vergeblich ge- sucht. Diese Exemplare waren mit den beiden anderen gemeinsam in einem von frischem Wasser durchströmten Aquarium gehalten und reichlich mit Regenwürmern und rohem Fleisch gefüttert worden. So wird man zu dem Schlusse geführt, dass bei erwachsenen Krebsen das Auftreten der Mitosen in den Leberschläuchen e’'n periodisches ist '). Vielleicht besteht eine Beziehung zwischen dem periodischen Auftreten der Mitosen und den periodischen Häutungen, doch müssen wir diese Frage einstweilen unentschieden lassen. In der folgenden Figur wird eine Abbildung des blinden Endes des Leberschlauches eines erwachsenen Astacus fHuviatilis gegeben; man sieht den hRegene- rationsherd, welcher den obersten Teil des Schlauches einnimmt und in welchem die Kerne einen jugend- lichen Charakter haben; zahlreiche Mitosen findet man hier vor; unter- halb des Regenerationsherdes nehmen die Kerne bedeutend an Größe zu, so dass sie im Sinne der früheren Darlegung (Biol. Centralblatt, 1891, S. 375) als Makronuklei bezeichnet werden können, es treten Sekret- tropfen in den Zellen auf, die Zellen vergrößern sich und der Durch- messer des Schlauches wächst; bei einigen Kernen deutet die Form auf amitotische Teilung hin, wie sie auch thatsächlich in dem Schlauche vorkommt. Das Epithel des Schlau- ches besitzt in seinem weiteren Verlaufe durchweg den Charakter eines secernierenden Epithels, wie wir ihn hier unterhalb des Re- generationsherdes auftreten sahen. Die einzelnen Leberschläuehe jedes Leberlappens sitzen einem einzigen längeren Schlauche an, welcher als Ausführungsgang fungiert; an der Einmündungsstelle jedes ein- zelnen kleinen Schlauches geht das secernierende Epithel desselben direkt in das ebenfalls secernierende Epithel des Ausführungsganges über und schiebt sich hier kein Regenerationsherd ein; wohl aber sieht man bei Jungen Krebsen sehr deutlich an der Einmündungsstelle der Sammelgänge am Mitteldarm ein mit dem Epithel des Mitteldarms kontinuierlich zusammenhängendes jugendliches kleinzelliges Epithel, in dem bei jungen Krebsen Mitosen reichlich gefunden werden und 1) Es ist bekannt, dass bei den Wirbeltieren das Auftreten der Mitosen auch meistens „schubweise“ erfolgt (Flemming, Ueber Teilung und Kern- formen bei Leukocyten ete. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 37, 1891, S. 260). 750 Ziegler u. vom Rath, Amitotisehe Kermnteilung bei den Arthropoden. welches an der Regeneration des Mitteldarmepithels und vielleicht auch an der Regeneration des Epithels der Ausführungsgänge sich beteiligt: Bei den Isopoden haben wir die Leberschläuche von Oniscus, Porcellio, Cymothoa und Anilocra untersucht; das blinde Ende des Schlauches zeigte bei jungen Exemplaren von Oniscus kleinere Zellen als der übrige Teil desselben; aber es bleibt fraglich, ob die Re- generation von hier ausgeht; sicherlich liegt bei den Isopoden ein Regenerationsherd am proximalen Ende, am Ausführungsgang des Schlauches, wo sich ein kleinzelliges Epithel von jungendlichem Charakter befindet. Bei mehreren Präparaten von jungen Exemplaren von Cymothoa fanden wir in diesem jugendlichen Epithel einige Mitosen vor. Wie in der Leber des Flusskrebses wurde auch in den Leber- schläuchen der Isopoden bei den secernierenden Zellen die amitotische Kernteilung gesehen !). Bei den Isopoden trifft man in dem secer- nierenden Epithel jedes Schlauches (insbesondere an dem oberen Teil desselben) häufig mehrkernige Zellen. Das Epithel des Mitteldarmes der Örustaceen und In- sekten wurde schon in der früheren Publikation besprochen (Biol. Centralbl., 1891, S. 380); doch müssen wir in Hinsicht auf die neueren Ausführungen von Frenzel (l. ec. S. 560) auf diese Verhältnisse zu- rückkommen. Im Mitteldarm des Flusskrebses ?) hat Frenzel schon früher (an den tieferen Zellen des Epithels) amitotische Teilung be- 4) Beiläufig möchten wir hier die Vermutung äußern, dass auch in der Leber der Wirbeltiere amitotische Kernteilung vorkommt; denn Podwys- sozki gibt einige Bilder, welche wir als amitotische Teilung deuten möchten, obgleich der Autor in ihnen ein „Zusammenfließen früher geteilter Kerne“ sieht (W. v.Podwyssozki jun., Untersuchungen über die Regeneration des Leber- gewebes. Beiträge zur path. Anatomie u. Physiologie, I. Bd., 1886, Taf. XIV, Fig. 855—89). Sicherlich trifft man die amitotische Kernteilung recht häufig in der Leber der Gastropoden, wie wir uns an Präparaten von Helix pomatia und anderen Pulmonaten überzeugten. Jedoch ist zu beachten, dass die Leber dieser Schnecken zu verschiedenen Jahreszeiten keineswegs dasselbe Bild gibt. Es scheint, dass die regenerativen Vorgänge vorzugsweise im Früh- jahr stattfinden. Bei einer im April konservierten Helix pomatia, welche noch eingedeckelt war, fanden wir zahlreiche Mitosen im Epithel der Ausführungs- gänge und wurden auch in dem drüsigen Epithel der Leber zwischen den großen Sekretionszellen (deren Kerne häufig das Bild amitotischer Teilung zeigten) da und dort kleine Regenerationskerne in Mitose getroffen. 2) Es mag hier darauf aufmerksam gemacht werden, dass in dem be- kannten Lehrbuche von Claus die Bezeichnung Mitteldarm nicht allein für jenen Teil gebraucht wird, welehen Huxley mit diesem Namen bezeichnet und der auch in der Darstellung von Frenzel und in der unserigen gemeint ist, sondern dass bei Claus auch der lange Abschnitt des Darmkanals zugerechnet ist, welchen man nach Huxley als Enddarm bezeichnet (Claus, Lehrbuch der Zoologie, 5. Aufl., 1891, S. 496). Ziegler u. vom Rath, Ämitotische Kernteilung bei den Arthropoden: 751 obachtet, Mitosen aber niemals sehen können. Doch will er „die Möglichkeit gar nicht bestreiten, dass die mitotische Teilung ab und zu oder sogar in regelmäßigen Intervallen auftrete, um sich als Zwischen- glied “ die direkte Kernteilung einzuschieben“. Wir haben bei jugendlichen Krebsen (2-6 em Länge) in allen Exemplaren im Mittel- darm vereinzelte Mitosen getroffen!); das Epithel war größtenteils ein hohes mehrschichtiges Zylinderepithel und die Mitosen waren olıne erkennbare Gesetzmäligkeit in demselben zerstreut. Bei ausgewach- senen Krebsen haben wir vergeblich nach Mitosen gesucht; aber da- dureh ist noch nieht bewiesen, dass da keine Mitosen vorkommen; dies zeigt der Vergleich mit den Verhältnissen des Enddarms. Es liegen uns Scehnittserien durch den Enddarm von vielen (30—40) Exem- plaren erwachsener Krebse vor; stets sind amitotische Teilungen häufig zu sehen, aber nur bei einigen wenigen Exemplaren wurden Mitosen getroffen; diese lagen teils in der Tiefe des Epithels, teils nahe an der Oberfläche desselben. Man kann vermuten, dass man bei den- selben Exemplaren, bei welehen die Mitosen im Enddarm vorhanden waren, auch Mitosen im Mitteldarm gesehen hätte, aber der Mittel- darm der betreffenden Exemplare war leider nicht aufbewahrt. Wir glauben daher, dass beim Flusskrebs im Epithel des Mitteldarms wie in dem des Enddarms eine Anzahl Kerne niemals an der amitotischen Kernteilung sich beteiligt, sondern zeitweilig durch mitotische Tei- lungen eine Regeneration des Epithels herbeiführt. Der Mitteldarm der Isopoden (Onicsus, Porcellio, Cymothoa, Ani- loera) zeigt die amitotische Kernteilung besonders deutlich und recht häufig; oft trifft man auch mehrere Kerne in einer Zelle; auch kom- men mannigfache Formen verzweigter Kerne oder gelappter Kerne vor. Wie ınan sich bei den einheimischen Landasseln Oniscus und Porcellio leieht überzeugen kann, sieht man die Verzweigungen der Kerne und die Bilder amitotischer Kernteilung im Epithel des Mittel- darms um so häufiger, je weiter man in demselben nach hinten geht (dies wurde schon früher angegeben, Biol. Centralbl., 1891, S. 375). Ein Regenerationsherd liegt bei den untersuchten Isopoden stets am Anfang des Mitteldarmes (an der Grenze von Vorder- und Mitteldarm) und haben wir dort bei einem jungen Exemplar von Cymothoa Mitosen reichlich getroffen. Bei demselben Exemplar von Cymothoa sahen wir vereinzelte Mitosen zerstreut im Epithel des Vorderdarms und in dem des Mitteldarms?); daneben fanden sich schon die Bilder ami- N) Es mag hier beiläufig bemerkt werden, dass wir auch an dem Kaumasen, welcher bekanntlich ein Teil des Vorderdarmes ist, bei jungen Krebsen häufig Mitosen in dem Epithel (Hypodermis) gefunden haben. 2) Beiläufig mag bemerkt werden, dass wir an diesem jungen Exemplar von Cymothoa und an jugendlichen Exemplaren von Hyperia medusarum auch Mitosen an den Kernen der Muskeln fanden, während in der ausgebildeten Muskulatur der Arthropoden von uns wie von den Autoren stets nur amito- 752 Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. mw totischer Kernteilung und mehrkernige Zellen vor. Von Aniloera mediterranea Leach. wurden eine Anzahl erwachsener Exemplare geschnitten und bei einem einzigen derselben einige Mitosen in dem Regenerationsherd am Anfang des Mitteldarms gefunden. Unter den Amphipoden haben wir besonders Hyperia medusarum Muell. untersucht, welche sich ihrer Weichheit wegen für Schnitt- serien besonders geeignet zeigte und (wie Phronima) durch die Größe der histologischen Elemente sich vorteilhaft auszeichnet; wir sahen Regenerationsherde an der Grenze von Mitteldarm und Vorderdarm und an der Grenze von Mitteldarm und Enddarm; bei jugendlichen Exemplaren verschiedenen Alters trafen wir an diesen Stellen reich- liche Mitosen und sahen wir auch einzelne Mitosen zerstreut im Epithel (des Mitteldarms. Im Mitteldarm von Phronima werden die Regene- rationsherde durch die von Frenzel beschriebenen und abgebildeten inselartigen Gruppen mitotisch sich teilenden Zellen repräsentiert. Beim Mitteldarm der Insekten unterscheiden wir mit Frenzel solche Fälle, in welchen das Epithel Krypten enthält, und solche, in welchen Krypten fehlen. Hinsichtlich der ersteren behauptet Frenzel, dass die in den Krypten gelegenen Zellen von den übrigen Epithelzellen scharf getrennt seien; in diesem Punkte können wir Frenzel nicht beistimmen und bleiben wir bei der Behauptung, dass die Krypten, in welchen Frenzel die Mitosen sah, die Regene- rationsherde für das Epithel sind. Wir berufen uns dabei auf die Darstellung von Balbiani!) und stützen uns auf unsere Beob- achtungen an Periplaneta (Blatta) orientalis L.; hier sahen wir deutlich den allmähliechen Uebergang von den kleinen dunkel tingier- baren Zellen der Krypten zu den großen sekrethaltigen Zellen des übrigen Epithels; freilich haben die Krypten des Epithels meistens tische Kernteilung gesehen wurde. Diese amitotische Teilung der Muskelkerne beobachteten wir besonders klar bei Scolopendrella immaculata Newp. Es ist uns durchaus nicht auffallend, dass in älteren Muskelzellen amitotigche Kern- teilung vorkommt, da ja (nach den neueren Beobachtungen bei Wirbeltieren) ausgebildete Muskelzellen sich an keiner Regeneration beteiligen und da die Kerne wahrscheinlich für den Stoffwechsel der Muskelfasern von Bedeutung sind und diese Funktion sozusagen ihr letztes Amt ist. 1) „De fait, ces groupes de petites cellules n’ont nullement la constitution de glandes compos6es. Leur aspect est le m&@me que celui des cellules &pithe- liales et l’on observe toutes les transitions de forme et de grandeur entre ces petites cellules et les cellules &pitheliales adultes, ainsi que j’ai pu m’en assurer chez la Blatta, le Gryllotalpa et le Cryptops“. „Les pretendues cellules glandulaires de Frenzel (et des auteurs qui partagent son opinion), et les Jeunes cellules &pitheliales en voie de regeneration ne sont qu’une seule et m&me chose; elles ne peuvent avoir par consequent qu’un seul et m&me mode de reproduction. Je me range done entierement ä l’avis de Miall et Denuy et de OQudemans, qui les premiers ont soutenu l’identit@ des deux sortes d’el&öments“. — E. G. Balbiani, Etudes sur le tube digestif de Uryptops. Archives de Zool. exp. et gen., 2. Ser., Vol. VIII, 1890, S. 58. Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. 755 eine schiefe Lage, so dass manchmal eine Krypte auf dem Schnitt nur an ihrem untersten Teile getroffen ist und folglich das vorliegende Bild den Zusammenhang mit dem Epithel nicht zeigt; man kann aber dann den Uebergang auf den nächsten Schnitten finden. Beiläufig mag erwähnt werden, dass in den Leberschläuchen, welche bei Peri- planeta am Anfang des Mitteldarmes ansitzen, das Epithel denselben Bau hat wie im Mitteldarm und auch die Krypten aufweist. Hinsichtlich derjenigen Insekten, in deren Mitteldarm keine Krypten vorkommen, muss zunächst beachtet werden, dass an der Grenze von Oesophagus und Mitteldarm und an der Grenze von Mitteldarm und Hinterdarm Regenerationsherde gelegen sein können. Wir haben bei Campodea staphylinus Westw. einem Tbysanuren, dem die Krypten fehlen!), zwischen Oesophagus und Mitteldarm einen typischen aus kleinen Zellen bestehenden Regenerationsherd gesehen und in dem- selben mehrere Mitosen gefunden. Es muss mindestens als möglich gelten, und kann für manche Fälle z. B. für Campodea als wahrschein- lich angesehen werden, dass solche Regenerationsherde an der Re- generation des Mitteldarmes sich beteiligen Es können aber auch zerstreute Regenerationsherde an der Basis des Epithels des Mittel- darms vorhanden sein?). Frenzel hat den Mitteldarm bei Raupen von Schmetterlingen und bei Larven von Cimbex, Apis und Bombus untersucht und keine Mitosen gefunden. Mit Rücksicht auf den Mittel- darm von Apis und Bombus hat Frenzel in seiner früheren Publi- kation geschrieben (Archiv f. mikr. Anatomie, 26. Bd., 1856, 5. 294): „Aus diesem negativen Befunde darf man nun noch nicht unbedingt schließen wollen, „dass hier der Kernteilungsvorgang niemals ein mito- tischer sei; „denn es ist immerhin noch möglich, dass bei Apis und Bombus die Zellenregeneration nur eine schwache ist, so dass Karyo- lysen nur vereinzelter vorkommen und ein langes Suchen erforderlich machen“. Diese Ueberlegungen Frenzel’s halten wir für durchaus berechtigt und wir können es folglich nicht für erwiesen erachten, dass in diesen Fällen eine auf Mitosen beruhende Regeneration fehle. 4) Bei anderen Thysanuren, z. B. bei Machilis und Lepisma sind Krypten vorhanden, wie wir an eigenen Präparaten gesehen haben. Grassi hat die Krypten von Lepismina, Thermophila und Machilis abgebildet (Anatomie com- par&ee des Thysanoures. Archives italiennes de Biologie, T. XI, 1839). 2) Die Regenerationsherde sind von besonderer Wichtigkeit, wenn während der Puppenruhe eine Histolyse und Neubildung der Darmepithelien stattfindet. Man beachte in dieser Hinsicht die Darstellung von Kowalewsky (Beiträge zur Kenntnis der nachembryonalen Entwicklung der Musciden. Zeitschrift für wiss. Zoologie, 45. Bd., 1887), insbesondere seine Figur 14° auf Tafel XXVII, in welcher die Regenerationsherde für die verschiedenen Teile des Darmkanals schematisch mit roter Farbe bezeichnet sind. Das Wesentliche der im Puppen- stadium stattfindenden Regenerationsvorgänge kann aus dem neuen Lehrbuche von Korschelt und Heider ersehen werden (Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der wirbellosen Tiere, 2. Heft, S. 869 — 876). XI, 48 754 Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. Wir zweifeln nicht, dass Regenerationsherde vorhanden sind und dass manin denselben Mitosen finden wird, wenn man den günstigen Zeitpunkt trifft. Wahrscheinlich erfolgt bei allen Lepidopteren und Hymenopteren im Puppenstadium eine Erneuerung des Mitteldarmepithels und wir glauben, dass diejenigen Zellen des Epithels, welche etwa in dem vorhergehenden Larvenstadium durch amitotische Teilung entstanden sind, spätestens zu dieser Zeit ihren Untergang finden. Hinsichtlich der Spermatogenese der Arthropoden können wir uns hier kurz fassen und auf eine an anderer Stelle erschienene Publikation verweisen '). Beim Flusskrebs wurde festgestellt, dass das Epithel jedes Hodenfollikels bei geschlechtsreifen Tieren aus zweierlei Zellen besteht, aus den Samenbildungszellen und aus den zwischen diesen liegenden Rand- oder Stützzellen; nur bei den letz- teren kommt die amitotische Teilung vor. Wir müssen deshalb ver- muten, dass auch bei den Lepidopteren die amitotische Teilung nur bei den Rand- oder Stützzellen vorkommt und an der Entwicklung der Samenbildungszellen keinen Anteil hat; wir treten so in Wider- spruch zu den oben beim Beginn erwähnten Angaben von Verson (l. e.), welche sich auf den Seidenspinner und andere Schmetterlinge beziehen. Als wir die Abhandlung von Verson?) studierten, sind wir zu der Ansicht’ gekommen, dass dieser Autor durch seine Beobach- tungen nicht zu der Annahme genötigt ist, dass die kleinen Zellen, welche er im jüngsten vorliegenden Stadium neben der großen Zelle in jedem Hodenfach bemerkt, durch amitotische Teilung von der großen Zelle herstammen; es erscheint eine Deutung zulässig, welche die Befunde von Verson mit denen von vom Rath in Ueberein- stimmung bringen könnte, nämlich die Auffassung, dass die kleinen Zellen nicht die Abkömmlinge, sondern sozusagen die Geschwister der großen Zelle sind und dass sie durch successive mitotische Tei- lung die zahlreichen Samenbildungszellen erzeugen, während der Kern der großen Zelle, welche den Charakter einer Rand- oder Stützzelle hat, mehrfach sich amitotisch teilt. Demnach bieiben wir bei der Behauptung, dass Kerne, welche durch amitotische Teilung entstanden sind, nie mehr in mitotische Teilung eintreten. Durch die bisherigen Erörterungen wird der Schluss nahegelegt, dass bei den Arthropoden in allen Geweben, bei welchen die amitotische Kernteilung vorkommt und bei welchen gleichzeitig ein reger Zellenverbrauch stattfindet, Re- generationszellen existieren, welehe sich mitotisch teilen; freilich ist das Auffinden der Mitosen manchmal schwierig 4) 0. vom Rath, Ueber die Bedeutung der amitotischen Kernteilung im Hoden. Zoologischer Anzeiger, 1891, Nr. 373. 2) E. Verson, La spermatogenesi nel Bombyx mori. Publieazioni della R. Stazione Bacologiea. Padova 1889. Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. 755 und vom Zufall abhängig !). Demnach erscheint es gerechtfertigt, die Behauptung von Loewit, nach welcher die Blutkörperchen des Flusskrebses sich stets ausschließlich amitotisch vermehren, mit kri- tischem Sinn aufzunehmen und nur durch einen ganz einwurfsfreien Beweis sich überzeugen zu lassen. Es wurde Loewit der Einwand gemacht (Biol. Centralblatt, 1891, 8.389), dass an einzelnen Regenera- tionsherden Blutkörperchen aus mitotisch sich teilenden Zellen ent- stehen könnten. Freilich hat Loewit schon in seiner früheren Publikation selbst diese Möglichkeit ins Auge gefasst und abgelehnt; es war aber aus seiner Darstellung nieht zu erkennen, dass er die fraglichen Stellen auf Schnitten untersucht hatte, und die Frage kann wohl nur auf Schnitten entschieden werden. Vor Kurzem berichtete Loewit (Biol. Centralbl., 1891, S.514) über neue Beobachtungen, welche auf Schnitte gegründet sind; er sah an den „Blutlakunen“, bei welehen die Regenerationsherde vermutet werden, eine Art von Iymphatischem Gewebe, in welchem aber, wie er angibt, nur in fixen Zellen, nicht in Blutzellen Mitosen vorkommen. Loewit stellt eine ausführliche Publi- kation in Aussicht und man muss vorerst diese abwarten, ehe man den Fall weiter erörtert. Wir haben deshalb auch einstweilen eine Nachuntersuchung nicht unternommen; zudem schien es uns gerade beim Flusskrebs besonders schwierig eine definitive Entscheidung zu erlangen, weil die Größe des Tieres und die Härte des Chitinpanzers ungünstige Vorbedingungen für die Untersuchung sind und weil das Auftreten der Mitosen beim erwachsenen Krebs ein seltenes (perio- disches) sein kann, wie unsere Beobachtungen an der Leber und am Enddarm des Flusskrebses gezeigt haben. Wir haben uns aber da- von überzeugt, dass bei anderen Crustaceen Mitosen an Blutkörperehen gefunden werden. Bei einer 5 mm langen Cymothoa sahen wir Mitosen nicht selten an Zellen, welche wir für Blutkörperchen halten und welche in den Blutbahnen (größtenteils in den seitlichen Teilen der Rumpfsegmente und in der großen Schwanzplatte) gelegen waren; die Vermutung, dass die fraglichen Zellen dem fixen Bindegewebe angehören, können wir bei der geringen histologischen Differenzierung des Bindegewebes so junger Tiere nicht ganz ausschließen, müssen sie aber in Anbetracht des Aussehens und der Lage der Mitosen für unwahrscheinlich halten. Bei mehreren jungen (3—5 mm langen) Exemplaren von Hyperia medusarım sahen wir nicht selten Mitosen an Blutzellen, die im Lumen von Blutbahnen lagen. Sehließlieh möchten wir hier noch einige Sätze beifügen, welche zur Ergänzung der früheren Ausführungen dienen und die amitotische Kernteilung der Metazoen überhaupt betreffen. Die Kerne, welche sich amitotisch teilen, haben in ihrem Bau und in ihrer physio- logischen Natur gewisse Veränderungen erlitten, sodass die Zell- 4) Das Auftreten der Mitosen ist häufig ein periodisches und steht viel- leicht bei manchen Arthropoden mit den periodischen Häutungen in Beziehung. 48 * 756 Ziegler u. vom Rath, Amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. und Kernteilung nicht mehr in der typischen Weise (nämlich durch Mitose) ablaufen kann. Kerne, welche durch amitotische Teilung ent- standen sind, können niemals wieder zur mitotischen Teilungsweise zurückkehren. Wir halten es für wahrscheinlich, dass die amitotische Teilung träger ablauft als die Mitose und sich manchmal bis zum vollständigen Stillstand verlangsamt !). Bei der amitotischen Kern- teilung unterbleibt die Zellteilung sehr häufig ?), aber nicht immer. Wenn die Zellteilung folgt, so ist doch die Zahl der auf diese Art vor sich gehenden Teilungen eine beschränkte; dies wird dadurch erwiesen, dass in solehen Geweben, in welchen ein kontinuierlicher oder periodischer Zellenverbrauch stattfindet, bei dem Ersatz Re- generationszellen beteiligt sind, welehe sich mitotisch teilen; jedoch kann es vorkommen, dass die Mitosen nicht zu jeder Zeit vorhanden sind und folglich ihre Auffindung sehr erschwert ist. 4) Hinsichtlich der Zeitdauer der Mitose sehen wir davon ab, dass bei der Ausbildung der Geschlechtszellen, insbesondere bei der Spermatogenese die der vorletzten Teilung zugehörige Mitose im Knäuelstadium auffallend lange verharren kann; dieser Fall ist ja offenbar von dem gewöhnlichen Ver- halten verschieden. Durch die obige Behauptung treten wir in Widerspruch zu der von Frenzel (l. ec.) vermutungsweise aufgestellten Ansicht, dass die amitotische Teilung rascher verlaufe als die Mitose; es dient zur Stütze unserer Auffassung, dass man in manchen Geweben die Bilder amitotischer Kernteilung in jeder Schnittserie sehr zahlreich vorfindet, so dass man unter der Voraus- setzung eines raschen Ablaufs der Teilung auf eine sehr häufige Wiederholung des Vorgangs also auf eine ganz außerordentliche Kernvermehrung schließen müsste, welche doch thatsächlich nicht stattfindet. Wo überhaupt die amito- tische Kernteilung vorkommt, da ist sie auf jeder Schnittserie vielfach zu sehen, während Mitosen meistens viel seltener getroffen werdeu; man ist in der Entwicklungsgeschichte längst darauf aufmerksam geworden, dass man einen Vorgang um so leichter auf den Schnitten trifft, je länger er andauert. 2) Wo amitotische Kernteilung vorkommt, findet man meistens auch mehr- kernige Zellen und die meisten Fälle mehrkerniger Zellen sind auf amitotische Kernteilung zurückzuführen. Wenn in den ausgebildeten Geweben eines Tieres mehrkernige Zellen vorkommen, so weist dies (soweitnichtVerschmelzung oder Ein- wanderung vonZellen oderPhagocytose inbetracht kommt) entweder auf amitotische Teilung oder doch sicher auf geschwächte oder gehemmte Teilungsenergie hin; die ältere Ansicht, welche aus dem Vorkomwen mehrkerniger Zellen auf lebhafte Zellteilung schloss, ist ganz verkehrt. In der Embryonalentwicklung kommt es bei manchen Cölenteraten, vielen Arthro- poden und einigen Wirbeltieren (z. B. Torpedo) in der Furchung vor, dass trotz mitotischem Verlauf der Kernteilung die Zellteilung vorerst unterbleibt und erst nach einiger Zeit erscheint; es geschieht dies aber ausschließlich bei solchen Tieren, deren Eier viel Dotter enthalten, und es ist leicht begreiflich, dass der Dotter das Auftreten der Zellgrenzen hemmen oder unsichtbar machen kann. Selbstverständlich darf man nicht von einer mehrkernigen Zelle sprechen, wenn lediglich infolge der Kleinheit und der diehten Lagerung der Zellen die Zellgrenzen nicht zu erkennen sind und nur scheinbar ein Plasmodium mit eingestreuten Kernen vorliegt, wie es z. B. bei dem Endfaden des Ovariums der Insekten der Fall ist. Frenzel, Zellkern und Bakterienspore. 757 In der früheren Publikation (Biol. Centralblatt, 1891, S. 372) und in der vorliegenden wurde dargelegt, was alle bekannten Fälle ami- totischer Kernteilung in biologischer Hinsicht Gemeinsames haben. Wir wollen aber nicht behaupten, dass alle diese Fälle in morpho- logischer Hinsicht gleichartig sind. Nicht in allen Fällen, welche als amitotische Kernteilung bezeichnet wurden, ist der Vorgang pbylo- genetisch aus der Mitose hervorgegangen und folglich einer wirk- lichen Kernteilung homolog. In manchen Fällen liegt nur eine zur Ab- schnürung von Teilstücken führende Verzweigung desKerns!), in man- chen Fällen lediglich ein Zerfall des Kerns vor. Da es aber zur Zeit noch an einer brauchbaren Einteilung und genügenden Sonderung der Fälle fehlt, so lässt es sieh rechtfertigen, dass man vorerst alle gemeinsam behandelt und zunächst darauf Wert legt, dass die ami- totische Kernteilung bei den Metazoen niemals für etwas ursprüng- liches zu halten ist, dass alle Fälle in biologischer (physiologischer) Hinsicht der Mitose gegenübergestellt werden können und im Ver- gleich zu dieser einen degenerativen Charakter haben. Freiburg i. B., zoolog. Institut der Universität, Okt. 1891. Der Zellkern und die Bakterienspore. Von Prof. Joh. Frenzel. Es ist bekannt, dass in den modernen Vererbungstheorien der Zellkern eine ganz hervorragende Stellung einnimmt, und die meisten Autoren, wie O.Hertwig, Weismann, v.Kölliker sehen ihn als den alleinigen Träger derjenigen Substanzen an, welche die Vererbung vermitteln. Bereits früher ?) hatte ich versucht, diese 1) Wenn in einem Gewebe verzweigte Kerne vorkommen und ebenda ami- totische Kernteilung beschrieben ist, so sind a priori zwei Auffassungen denk- bar. Entweder ist die Teilung als eine Abschvürung von Zweigen oder Lappen des Kerns anzusehen und hat folglich phylogenetisch keine Beziehung zur Mitose, oder aber die Teilung ist als eine echte Kernteilung anzusehen, welche amitotisch verläuft, da die Kerne bei ihrer (schon in der Verzweignng zum Ausdruck kommenden) Anpassung an die spezielle physiologische Funktion die Fähigkeit zur mitotischen Teilung verloren haben. In vielen Fällen kann man zur Zeit noch nicht entscheiden, welche Auffassung die richtige ist. Hin- sichtlich der Spinndrüsen der Raupen äußert Korschelt folgende Ansicht: „Die Drüsenzellen sind sehr umfangreich und enthalten den je nach dem Alter der Larve mehr oder weniger verzweigten Kern. Die Verzweigung kann so weit sehen (bei Orgyia antiqua beispielsweise), dass sich ganze Abschnitte vom Kern loslösen; anstatt des einen Kerns sind schließlich eine ganze Anzahl von Kernstücken unabhängig von einander vorhanden* (Korschelt, Beiträge zur Morphologie und Physiologie des Zellkernes. Zool. Jahrbücher, Abt. f. Anat. u. Ont., Bd IV, 1889). 2) Johannes Frenzel, Das Idioplasma und die Kernsubstanz. Ein kritischer Beitrag zur Frage nach dem Vererbungsstoff. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. 27, 8. 73 fg. 758 Frenzel, Zellkern und Bakterienspore, Frage von einem allgemeinen Standpunkte aus zu behandeln und war zu dem Schlusse gekommen, dass sie doch nicht so klipp und klar erledigt sei. Damals hatte ich unter Anderem auch die Bakteriaceen herangezogen und möchte desshalb hier noch einmal auf dieselben zurückgreifen. Meine damaligen Argumente waren von C. Weigert!) nicht als stichhaltige anerkannt worden, und obgleich W. Wal- deyer?) ja noch eine ähnlieh vorsichtige Stellung wie ich ein- nehmen wollte, so war er doch, was die Kernhaltigkeit der Bak- teriaceen angeht, den Ausführungen Weigerts im Allgemeinen ge- folgt. Noch zurückhaltender in der Vererbungsfrage ist endlich F. v. Leidig?) gewesen, der etwa wie C. v. Nägeli*) auch in den Zellsubstanzen Träger der Vererbung suchen möchte. Die Bakteriaceen galten früher als kernlos, wie sich W. Zopf°) eptschiedener, A. de Bary °) vorsichtiger aussprachen. Erst später wurden von P. Ernst ”) einerseits, V. Babes ®) andererseits eigen- tümlieh sich verhaltende Körperchen in der Spaltpilzzelle aufgefunden, die in Beziehung zu echten Kernstoffen gebracht wurden, und end- lich gelang es OÖ. Bütschli’®) bier einen sog. Zentralkörper nachzuweisen, welcher, meist den grössten Teil des Zellleibs ein- nehmend, diesen auch ganz ausfüllen kann. Seine allgemeinen Reak- tionen sowie besonders sein Gehalt an kleinen Körnchen, die sich mit Hämatoxylin rot-violett färben und nach Bütschli in echten Zell- kernen ebenfalls anzutreffen sind, veranlassten diesen Autor, jenen Zentralkörper mit einem echten Zellkern zu identifizieren, obgleich freilich nicht alle Umstände zu dieser Deutung berechtigten. Der Zentralkörper ist nämlich im Verbältnis zum Zellleibe meist von so riesigen Dimensionen, dass man immer mit einem gewissen Zagen an die Deutung dieses Gebildes gehen wird, solange nicht weitere, vollgültige Beweise erbracht sind. Es ist besonders nach den bis 1) ©. Weigert, Neuere Vererbungstheorien,. Schmidt’s Jahrbücher der gesamten Medizin, 1887, (Nr. 215), 8. 89 fg. 2) W. Waldeyer, Ueber Karyokinese und ihre Beziehungen zu den Be- fruchtungsvorgängen. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 32, (1888), 8.1 fg. 3) F. v. Leydig, Beiträge zur Kenntnis des tierischen Eies im unbe- fruchteten Zustande. Zoolog. Jahrbücher, /1889, (II), Abt. f. Anatomie und Ontogenie, 8. 287 fg. — S. 420. 4) C. v. Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungs- lehre. München u. Leipzig, 1884. 5) W. Zopf, Die Spaltpilze ete. Separatabdruck aus der Encyclopädie der Naturwissenschaft. Breslau 1883. 6) A. de Bary, Vorlesungen über Bakterien. Leipzig 18»5. 7) P. Ernst, Ueber Kern- und Sporenbildung bei Bakterien. Zeitschrift für Hygiene, (1889), Bd. 5, 8. 428 fg. 5) Vietor Babes, Ueber isoliert-färbbare Anteile von Bakterien. Zeit- schrift f. Hygiene, (1889), Bd. 5, S. 173. 9) 0. Bütschli, Ueber den Bau der Bakterien und verwandter Orga- nismen. Vortrag. Leipzig 1890 (1889). Frenzel, Zellkern und Bakterienspore. 299 jetzt vorliegenden Erfahrungen sehr schwer für uns die Vorstellung zu bilden, wie eine lebensthätige Zelle bloß aus einem Kern bestehen sollte, zu dem sich höchstens noch eine plasmatische Geißel gesellte. Als recht befremdend muss ferner das so verschiedene Größen- verhältnis des Zentralkörpers bezeichnet werden. Denn vergleicht man die von Bütschli gegebenen Darstellungen mit einander, so muss es auffallen, dass jener das eine Mal die Zelle völlig ausfüllt oder auszufüllen scheint (l. e. Fig. 9), das andere Mal an den beiden Zellenden einen freien Raum lässt (l. e. Fig. 5, 6, 8) und endlich in anderen Fällen nur ein bescheidenes Körperchen darstellt (l. e. Fig. 4). Bei Gelegenheit meiner „Untersuchungen über die mikroskopische Fauna Argentiniens“!) fand ich im Darmkanal von Anurenlarven als Schmarotzer grünliche Bacillen, die sich zum Teil durch ihre enorme Größe auszeichneten. Ich versuchte daher mich über die Resultate Bütschli’s zu orientieren, kam aber leider ebenfalls nicht zu einem völlig befriedigenden Abschluss, am erfolgreichen Arbeiten verhindert durch den Mangel an Hilfsmitteln, durch die überaus traurigen Einrichtungen jener argentinischen Universität, welche in Manchem hinter der Mittelschule eines Kulturlandes zurückstand, und durch die fortgesetzten bürgerlichen Unruhen jenes Landes. Hin- sichtlich der Sporenbildung bei den Bakterien glaube ich indessen einige neuere Daten erbracht zu baben und habe das Ausführlichere kürzlich publiziert ?). Hier sei die Spore nur darauf hin betrachtet, welchen Wert sie im Hinblick auf den Zellkern hat. Früher wurde, wie bekannt, der Zellkern als ein morphologisch differenziertes Gebilde innerhalb des Zellkörpers definiert. Bloß um ihn etwas deutlicher hervortreten zu lassen, wurde allenfalls die Essigsäurereaktion angewendet, und da diese an bestimmten Stellen im Stiche ließ, so wurden dann seine Anwesenheit ganz in Abrede gestellt. Später nun, als der Wert der Tinktionsmittel und anderer Reagentien erkannt worden, verschob sieh die Diagnose, und manch einer war schon zufrieden, wenn Kernsubstanzen überhaupt nach- gewiesen wurden, ganz gleichgültig, ob sie zu einer morphologi- sehen Einheit zusammengehörten oder nicht Hinsichtlich der Bak- terien stand z. B. ©. Weigert auf diesem Standpunkte, indem er diese keineswegs als kernlos ansehen mochte, da ein morpho- logisch differenzierter Kern nicht vorhanden zu sein brauchte; denn wir müssten uns vorstellen, dass bei so tief stehenden Wesen (l. ce. S. 97), wie die Bakterien, eine morphologische Differenzierung des Protoplasmas vom Karyoplasma noch nicht vorhanden ist, sondern dass beide noch untereinander gemischt sind. Das Karyoplasma 1) Joh. Frenzel, Untersuchungen über die mikrosk. Fauna Argentiniens. Vorläufiger Bericht. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd, 38, S. 1 fg. 2) Derselbe, Ueber den Bau und die Sporenbildung grüner Kaulquappen- bacillen. Zeitschrift für Hygiene, Bd. 11, S. 208 fg. 760 Frenzel, Zellkern und Bakterienspore. müsste allerdings wenigstens noch als diffuse Einlagerung nach- zuweisen sein, nämlich tinktorell als Chromatin. Nach Ansicht Weigert’s verhielten sich die Bakterien ferner zwar sehr mannich- faltig, sie geben jedoch sämmtlich eine Art von Chromatinreaktion, manche sogar alle Reaktionen der Kernsubstanz. Prinzipielle Unter- schiede von der ja auch mehrfach abgestuften Kernfärbung der Zell- kerne seien daher nicht anzunehmen. Wie es scheint, legte W. einen gar zu großen Wert auf die Tinktionsmethoden, denn man darf wohl nicht außer Acht lassen, dass das chromatophile Karyoplasma nicht die einzig färbbare Substanz innerhalb der Zelle ist, sondern dass sich manche Zell- bestandteile oft intensiver als solche des Kernes färben können. Indem ieb mir vorbehalte, an einer anderen Stelle !) darauf zurück- zukommen, möchte ich hier nur kurz darauf hinweisen, dass wir doch eigentlich nicht eher von den Eigenschaften des Zellkernes reden dürfen, ehe man sich darüber verständigt haben wird, ob dessen Kriterium in der Gestalt oder in der Substanz zu bestimmen ist. Auch die Cytoden (Moneren) Häckels wurden bekanntlich grade wie die Sprosspilze (s. Schmitz) als kernlos angesehen. Ist es nun nach und nach auch geglückt in vielen von ihnen sogar den morphologischen Repräsententen des Kernes zu finden, so giebt es, wie ich selbst zu bestätigen weiß?), immer noch abseits stehende Formen. Im Süß- wasser (Cördoba) traf ich mehrere derselben an. Bei einigen war kein Erfolg, bei anderen hingegen machten sich mehrere sich stark färbende Körnchen bemerkbar, welehe innerhalb eines bestimmten Bereiches lagen, so dass, wenn man eine Kreisperipherie um sie ge- schlungen hätte, die Form eines Kernes vorgelegen hätte. Es gelang mir indessen nicht, eine solche Begrenzung oder wenigstens einen Zusammenhang der tingiblen Körnchen unter sich sichtbar zu machen, so dass vorläufig nur von dem Vorhandensein chromatopbiler Substanz die Rede sein darf, die recht wohl karyoplasmatischer Natur sein könnte. Sehen wir nun vor der Hand davon ab, ob der Zentralkörper den Wert eines echten Zellkernes habe oder nicht, so interessieren uns hier vor Allem die Sporen, hinsichtlich deren folgendes fest- gestellt werden konnte. Während viele der von mir beobachteten grünen Bacillen innerhalb des Zentralkörpers keine besondere Dif- ferenzierung erkennen ließen, von den („roten“) Glanzkörnern ab- gesehen, so beraßen andre, die sich zur Sporulation anschickten, zentral oder nach einem der beiden Pole hin gelegen einen ellip- soliden Körpers, den man sofort für einen Zellkern ansehen würde 1) Joh. Frenzel, Beiträge zur vergleichenden Physiologie u. Histologie der Verdauung (Wird im Archiv f. Anat. u. Physiol. erscheinen.) 2) Joh. Frenzel, Ueber einige merkwürdige Protozoen Argentiniens. (Erscheint in der Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. 53, S. 332 fg.) Frenzel, Zellkern und Bakterienspore. 161 und dessen feinerer Bau, Inhalt und allgemeine Reaktionen teils mit denen des Zentralkörpers, teils mit denen eines Zellkernes übereinstimmten. In weiteren Verlauf färbt sich dieses Körper- chen, der Sporenkern, wie wir mit Vorbehalt sagen wollen, grünlich und teilt sich oft noch amitotisch im zwei völlig gleiche Hälften, die nach den beiden Zellenden des Bacillus hin rücken. Dann bilden sie sich weiter aus, indem sie mehr und mehr er- grünen, starkglänzend und völlig homogen werden, wobei in gleichem Maße das Plasma der Zelle und des Zentralkörpers ver blasst und matt wird. Beginnt mithin die Spore als ein kernartiger Körper, so werden allmählig die Bestandteile der gesammten Zelle in sie aufgenommen, und zwar der grüne Farbstoff direkt und in konzentrierter Form, das Uebrige aber entweder in derselben Weise oder in einer irgendwie veränderten Form. Es muss nunmehr die Frage entstehen, welchen Wert die fertige Spore hat, den eines Kernes oder den einer Zelle? Bekanntlich genügt die Spore vollständig zur Fortpflanzung; sie muss daher alle Vererbungspotenzen implieite enthalten. Ist sie ein Kern, so wäre der Beweis geliefert, dass dieser einzig und allein die Vererbung übermitteln kann; ist sie jedoch eine Zelle, so wäre im Gegenteil der Beweis da, dass auch Zellsubstanzen bei der Vererbung eine Rolle spielen können. Morphologisch ist nun dieSpore wahrscheinlich wohl ein Kern, wenn sie auch nur die substantielle Umwandlung eines solehen ist. Den Vererbungstheoretikern kommt es hierauf aber gar nicht so sehr an. Wird doch nach der Befruchtung der Kern in der Eizelle in einer Weise zerstückelt, dass bloß noch die Chromosomen ete. übrigbleiben, deren Hanptbedeutung ihre Färbbarkeit, ihre Reaktion, ihre Substanz ist. Diese muss mithin ganz augenscheinlich als das charakteristische und aussehlaggebende gelten, und wir haben daher die weitere Frage zu behandeln, ob die Spore aus Karyoplasma (Kernsubstanzen) bestehe oder nicht? Wenn die Spore zuerst ein Kern ist, worauf ja gewisse Reak- tionen hindeuten, so enthält sie zu irgend einer Zeit ohne Zweifel derartige Substanzen, die zunächst im Netzwerk, vielleicht auch in den (roten) Glanzkörnern zu suchen sind. .Jenes verschwindet aber im Verlaufe der Entwicklung völlig, indem die Spore homogen wird, und in gleicher Weise verschwindet die Nukleinreaktion. Es liegt daher die Möglichkeit vor, dass entweder die Kernsubstanzen diffus ge- löst oder vielleicht sogar chemisch verändert werden. Jeden- falls ist dann das Chromatin nieht mehr tinktorell, als diffuse Ein- lagerung etwa, nachweisbar, wie Weigert gerne möchte Wir können also nur sagen, dass wir über seinen Verbleib nichts mehr wissen. Lässt man nun die Frage außer Acht, ob die Bakterienspore noch ursprüngliche Kernbestandteile enthalte oder nicht, so muss man 162 Frenzel, Zellkern und Bakterienspore. weiterhin in Betracht ziehen, was sie noch enthalten kann. Weiterhin hörten wir schon, wie das Plasma der Zelle und des Zentralkörpers zu Gunsten der Spore reduziert wird. Es liegt nun- mehr die Möglichkeit vor, dass es umgewandelt werde, und zwar zu Karyoplasma, und wenn dies der Fall ist, so muss dieses in der Spore nachweisbar sein. Ferner müsste untersucht werden, ob diese nur aus Karyoplasma oder auch aus anderen Substanzen bestehe z. B. dem sog. Kernsaft (Interfilarmasse) ete. _ Die Prüfung der Sporensubstanzen muss sowohl mit Färbungs- wie mit Lösungsmitteln geschehen. Schon von den Bakterien über- haupt weiß man bekanntlich, dass sie sich mit Anilinfarben oft an- ders tingieren, als echte Zellkerne, trotzdem sie doch einen als Kern angesehenen Zentralkörper führen. Die Sporen nun färben sich sehr schwer, wahrscheinlich ihrer dieken Membran wegen, reagieren im allgemeinen aber doch auf dieselben Farbstoffe wie die Bakterien- zelle.. Da leider mein Arsenal an Farbstoffen stark reduziert war und nicht mehr ersetzt werden honnte, so war es mir nicht möglich, an den Sporen der grünen Kaulquappenbaeillen eingehendere Studien daraufhin zu machen. Alaunkarmin jedoch, ferner Pikrokarmin und Hämatoxlin brachten keine Färbung zu stande, oder wenn ja, so ließ sie sich auf das Leichteste wieder durch Auswaschen entfernen, während echte Zellkerne die Farbe behielten. Eine spezifische Fär- bung dieser Sporen mit der Ziehl’schen Fuchsinlösung gelang da- gegen ohne Schwierigkeit. Gegen Lösungsmittel sind Bakteriensporen bekanntlich außer- ordentlich resistent, auch Säuren gegenüber, während hier die Zell- kerne viel empfindlicher sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Verdau- barkeit in (saurem) Magensaft. Brachte ich nämlich etwas Magen- schleimhaut einer kleinen Kröte mit den grünen, fruchttragenden Bacillen zusammen, so wurden diese, jedoch mit Ausnahme der Sporen, zerstört, von denen viele noch unverändert sichtbar waren. Etwas anderes indessen geschah in dem Falle, wo die Bacillen der Wirkung von etwas Pankreasgewebe ausgesetzt wurden. Jetzt verschwanden auch die Sporen, allerdings langsam, offenbar geschützt durch ihre feste Cutieula. Diese aber wird wohl niemand für nukleinartig ansehen, Fassen wir alles dies zusammen, so müssen wir zu dem Schlusse kommen, dass die Bakteriensporen aus Substanzen bestehen, welche nicht auf Karyoplasmen hinweisen. Allerdings bleibt ja die Mög- liehkeit erhalten, dass letztere auch dabei sind. Die Spore muss Jedoch vor der Hand eher als eine Zelle, und zwar als eine kern- lose angesehen werden, da sie die Bestandteile der Zelle ohne Um- wandlung in Karyoplasma in sich aufgenommen hat. Solange nun die Vererbungstheorie darauf beruht, dass der Kern als morphologi- sches Individuum definirt wird, werden wir sagen dürfen, dass Fort- pfanzung und Vererbung auch ohne geformtes Karyoplasma ge- Maria Gräfin Linden, Schwimmen der Schnecken am Wasserspiegel. 76:) schehen kann, auch ohne einen Zellkern. Zu untersuchen bliebe dann noch, ob Kernsubstanzen überhaupt, wenn auch anscheinend in ge- löster, diffuser Form hinreichen, um die Vererbungspotenzen zu tragen und ob die Bakterienspore derartige Substanzen enthalte. Gehen wir andrerseits von der Genese der Spore aus, so ist dieselbe möglicher- weise als Kern, resp. als kernartiges Individuum aufzufassen, ohne aus Karyoplasma zu bestehen oder dieses in der hergebrachten Form zu führen. Eine Entscheidung in dieser Frage, und mithin in der ganzen Vererbungstheorie wird man, so scheint mir nach Sachlage der Dinge, erst treffen können, wenn eine allgemein giltige Definition des Zellkernes geschaffen sein wird. Zusatz. In Betreff des von Bütschli beschriebenen Zentral- körpers der Bakterien und verwandten Organismen ist jedenfalls der Einwurf Fischers nicht stiehhaltig, dass er etwa ein Kunstprodukt, durch Kontraktion des Plasmas hervorgerufen, sei. Ich sah ihn auch in lebenden Zellen. Der Zweifel E. Zacharias’ an der Kern- natur jenes Gebildes bleibt allerdings als berechtigt bestehen (s. E. Zacharias: Ueber Val. Deinega’s Schrift „Der gegen- wärtige Zustand unserer Kenntnisse über den Zellinhalt der Phyko- chromaceen“. — Botan. Zeitung Jahrgg. 49, Nr. 40, S. 664 fg. — S. 665 Anmerk.). Auch für den sog. Sporenkern kann ich nieht mit Sicherheit behaupten, dass er ein echter Zellkern sei. Das Schwimmen der Schnecken am Wasserspiegel. Die eigentümliche Erscheinnng, dass manche Wasserschnecken die Fähigkeit besitzen mit nach abwärts gekehrtem Gehäuse ver- mittelst ihres breiten Fußes an der Wasseroberfläche zu hängen oder nach Belieben daran hinzugleiten, wird in der vierten Abteilung (Band2, S. 242 und 243) von Brehm’s Tierleben eingehend behandelt. „Während sie so hängen“, führt der Verfasser an, „geben sie jedoch diese Stelle oft plötzlich auf; sie sinken rasch zu Boden, von welchem sie sich gewöhnlich nur durch Fortkriechen an irgend einer festen Unterlage zur Oberfläche erheben. Zuweilen habe ich sie auch geraden Weges durch das Wasser emporschweben sehen, eine That- sache, die ich nur durch die Annahme erklären kann, dass sie das Vermögen besitzen, die Luft in ihrer Lungenhöhle zusammenzudrücken, wenn sie niedergehen, und dass sie derselben sich auszudehnen ge- statten, um so ihren Körper zu erleichtern, wenn sie durch das Wasser aufsteigen wollen.“ Dieser von Johnston herrührenden Erklärung stimmt Schmidt bei und erläutert im Folgenden, auf welche Weise es den Schnecken möglich ist an der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft zu schweben. Von Wichtigkeit scheint ihm hierbei die Bekleidung der Fußsohle mit Flimmerhärchen, doch hält er es für unerklärt, wie das Tier sein Gleiten plötzlich hemmen kann. „Am schwierigsten und gänzlich ungelöst“, fährt der Verfasser fort, „ist aber das Haften an der Ober- 764 Maria Gräfin Linden, Schwimmen der Schnecken am Wasserspiegel. fläche selbst. Es sieht genau so aus, als ob die Luftsäule eine An- ziehung ausübe und als ob vor dem Untersinken ein Losreißen statt- finde, Es hat mir jedoch scheinen wollen, als ob die Sohle bei diesem Schnecken an der Wasseroberfläche sich etwas, wie eine hohle Hand vertiefte, so dass das Tier wie ein Boot getragen wird. Da das spezifische Gewielit nur wenig über 1 ist, so genügt, um die Schnecke gerade am Wasserspiegel zu erhalten, eine geringe Konkavität: wird diese durch unmerkliche Kontraktion des Fußrandes zur Ebene, so versinkt das Tier augenblicklich.“ Noch ehe mir diese Begründung der eigentümlichen Erscheinung bekannt war, hatte ich derselben meine Aufmerksamkeit zugewendet und war durch die Resultate verschiedener Versuche dazu bestimmt worden, eine von Schmidt abweichende Erklärungsweise anzunehmen. Als Beobachtungsobjekte hatte ich Lymneen der verschiedensten Altersstufen in ein 3ebdm großes Aquarium versetzt. Auf dem Boden des Gefängnisses befand sieh eine Schichte von Kies und Sand und die Wasserpflanzen, welehe dem ursprünglichen Aufenthaltsort der Schnecken entnonmen waren, sollten ihnen das neue Heim angenehm und gemütlich machen. Die Tiere fühlten sich in der engeren Wohnung sehr bald zu Hause und gaben willig ihre turnerischen Künste zum Besten. Wie Johnston berichtet, kletterten sie an Wasserpflanzen oder an den Wänden des Aquariums zum Niveau empor, nahmen, in- dem sie sich über dasselbe erheben, wie ich regelmäßig bemerkt habe, frische Luft ein und gingen hierauf mit gleitender Bewegung zum Wasserspiegel über. Allerdings zeigte sich bei den an der ÖOber- fläche hängenden Schnecken sehr häufig die vo. Schmidt erwähnte Vertiefung auf der Fußsohle, es schien jedoch, dass diese Kontraktion ohne Einfluss auf die Stellung des Tieres war. Wenn sich z. B. die Lymneen schnell fortbewegen, so verwandeln sie ohne unterzusinken ihren Fuß in eine schmale, langgestreekte Ebene und ebenso steht es in ihrer Gewalt denselben unbeschadet ihrer Haltung über einer daher- schwimmenden Wasserlinse zu schließen. Diese letztere Bewegung konnte vermittelst eines beliebigen, kitzelerregenden Gegenstandes sehr leicht künstlich hervorgerufen werden, und wenn es der Schnecke bei diesem Experiment zu schwül wurde, so verstand sie durch eine geschickte Wendung den Fuß nach nnten und die Schale nach oben zu drehen; die Rückkehr in ihre frühere Stellung erfolgte erst, wenn keine Wiederholung des unliebsamen Spieles drohte. Selbst ein ge- waltsames Losreißen von der obersten Wasserschichte, bringt die Sehnecken nicht zum Sinken und wenn sie durch einen Stoß in die Tiefe hinabbefördert werden, so steigen sie alsbald mit nach oben gekehrten Fuß wieder empor. Bisweilen schwimmen die Lymneen nur wenige Millimeter unter dem Wasserspiegel und kehren je nach Belieben an denselben zurück, oder lassen sich ganz untersinken. Es steht somit in ihrer Gewalt ihr spezifisches Gewicht dem des Wassers gleich zu machen oder Maria Gräfin Linden, Schwimmen der Schnecken am Wasserspiegel. 765 ’ Fo) (DI auch, wenn es die Umstände erheischen, ihr Volumen so zu ver- srößern bezw. zu verkleinern, dass das Gewicht der von ihnen ver- drängten Wassermasse ihr absolutes Gewicht übertrifit, oder dem- selben nachsteht. Diese Fähigkeit hängt allein mit der eigentümlichen Beschaffenheit der Atmungsorgange unserer Schnecken zusammen. Wenn eine Lymnee an den Wasserspiegel hingleitet, so kann bei einer entsprechenden Wendung ihres Körpers wahrgenommen werden, dass sich in der Oeffnung des bloßgelegten Atmungsloches ein Luft- bläschen befindet, welches je nachdem die Schnecken tiefer sinken oder höher steigen will in das Atemloch bezw. in die Lungenhöhle zurücktritt oder halbkugelförmig über den Rand der Oeffnung her- vorsteht. Mit diesem Vor- und Zurücktreten des Luftbläschens ist gleichzeitig ein Heben bezw. Senken der das Atemloch umgebenden Hautschichten verbunden und ich beobachtete in den meisten Fällen, dass der ganze Körper die Wirkung vermehrte, indem er sein Vo- lumen zu vergrößern oder zu verkleinern suchte. So oft nun dieses Luftbläschen künstlich entfernt oder freiwillig von der Schnecke aus- gestoßen wurde, sank dieselbe plötzlich unter und war nicht mehr im stande geraden Weges durch das Wasser aufzusteigen. Wollte sie ihre Kunststücke am Wasserspiegel dennoch fortsetzen, so blieb ihr kein anderer Ausweg als an einer festen Unterlage empor- zukriechen und ihre Lungenhöhlen aufs Neue mit Luft anzufüllen. Erreicht die durch das Atmungsorgan geregelte Volumenzunahme der Schnecken ihr Maximum, so werden dieselben durch den hydraulischen Druck am Wasserspiegel in der Schwebe erhalten und gelangen in ihre natürliche Gleichgewichtslage, wenn sie den pneumatischen Apparat nach oben kehren; auf diese Weise kommt auch der Fuß in die gewohnte Stellung. Die kleinen wellenförmigen Bewegungen auf dessen Sohle genügen um eine Ortsveränderung hervorzubringen; als Steuer dienen hierbei Kopf und Fühler. Fragen wir uns, aus welchem Grund die Schnecken überhaupt an dem Niveau des Wassers erscheinen, statt ihre Wanderlust auf festen Pfaden zu befriedigen, so erhalten wir die erwünschte Ant- wort, wenn wir das Verhalten der Lymneen nur kurze Zeit verfolgen. Die Schnecken suchen mit Vorliebe zu ihrer Ernährung die jungen saftigen Blätter der Wasserpflanzen auf, diese aber schwimmen meistens auf dem Niveau und nötigen die Gastropoden heraufzu- kommen. Selbst kleine Wasserkäfer und Spinnen werden von den Lymneen nicht verschmäht. Ich habe beobachtet, dass sich die Schnecken ihre Nahrung auf zweifache Weise erjagen. Sie steuern entweder geraden Weges auf das auserlesene Beutestück zu, oder sie legen sich auf die Lauer. In letzterem Fall sieht man sie unbeweglich an dem Wasserspiegel hängen. Die Sohle ihres Fußes, welche ein stark adbärierendes Sekret ausscheidet, ist dann, wie auch Schmidt beobachtet hat, in der Mitte vertieft und frei von Wasser, während der höherliegende 766 Maria Gräfin Linden, Schwimmen der Schnecken am Wasserspiegel. Fußrand von demselben bedeckt wird; (vermutlich verhindert die schleimige Abscheidung den Zutritt des Wassers). Auch der Kopf wird unter Wasser gehalten. Durch fortgesetztes Oeffnen und Schließen des Mundes erzeugen die Lymneen an der Wasseroberfläche eine unbedeutende wirbelförmige Bewegung, durch welche die in der Um- gebung befindlichen Nahrungsstoffe in das Bereich der Schnecken gelangen. Während die kleinen Beutestücke auf einen Schluck im Schlund verschwinden, wissen die Gastropoden ihren Fuß als Fang- apparat für größeren Raub geschickt zu verwerten. Gleitet z. B. ein Wasserbewohner oder ein schwimmendes Blatt über den Fußrand in die Vertiefung der Sohle, so zieht sich der Rand derart zusammen, dass das betreffende Beutestück in einer nach der Länge des Fußes verlaufenden Rinne gefangen ist. Um den Bissen vollends in die Mundöffnung hineinzubefördern, rollt die Schnecke das Fußende nach dem Kopfe hin auf, wodurch das gefangene Objekt soweit nach vor- wärts geschoben wird, bis es von den Lippen erfasst werden kann. Da die Nerven und Muskeln, welche bei der Kontraktion der Fuß- sohle der Schnecken thätig sind, schon auf geringen Reiz reagieren, so vereinigt dieser Körperteil den Nutzen eines Bewegungsorgans und feinen Greifwerkzeugs. Ich habe im Vorhergehenden erwähnt, dass die Lymneen bis- weilen Wassertiere verschlingen, und fand in einem andern Fall zu meinem Erstaunen, dass diese Schneckengattung eine besondere Vor- liebe für Fleischnahrung hat, obwohl sie nach der Beschaffenheit ihrer Mundwerkzeuge in die Reihe der Pflanzenfresser gestellt wird. Ich hatte kürzlich in mein Aquarium Larven der Eintagsfliege (Ephe- mera vulgata) eingesetzt und wollte ihre Metamorphose verfolgen. Die gebotenen Verhältnisse waren jedoch für ihr Fortkommen so ungünstig, dass sie binnen weniger Tage zu Grunde gingen. Als ich die verwesenden Leichen entfernen wollte, bemerkte ich, dass eine IL.ymnee sich einer derselben bemächtigt hatte. Mit ihrem Fuß um- klammerte sie den leicht beweglichen Körper, ergritf vermittelst der Lippen die durch das Wasser und den Verwesungsprozess aufge- weichten Fleischfasern und ließ ein Stückchen nach dem andern in der Mundöffnung verschwinden. Dies Beispiel lockte eine zweite Lymnee, welche den Vorgang von einiger Entfernung mit angesehen hatte, ebenfalls herbei, um das entgegengesetzte Ende des toten Körpers in ähnlicher Weise zu bearbeiten. Die gemeinschaftliche Mahlzeit währte ungefähr eine Viertelstunde, wonach die Schnecken den zerzausten Kadaver seinem Schicksal überließen und neugestärkt an den Glaswänden ihres Gefängnisses auf- und abspazierten. Diese Episode beweist, dass sich auch in den Kreisen der Gastro- poden emanzipationslustige Wesen finden, welche, statt ihrer natür- lichen Bestimmung zu folgen, lieber dem individuellen Geschmack freien Lauf lassen. Gräfin Maria v. Linden. u 1 Nasse, Physiologische Oxydation. = er Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Naturforschende Gesellschaft zu Rostock. Sitzung am 31. Oktober 1891. (Separatabdruck der „Rostocker Zeitung“, Nr. 534, 1891.) Herr OÖ. Nasse hielt den angekündigten Vortrag über die physio- logische Oxydation. Bringt man Benzaldehyd mit wässeriger Lösung von Kupfersulfat und möglichst wenig Luft in ein geschlossenes Glasgefäß (1), so sieht man sehr rasch, besonders bei Belichtung, metallisches Kupfer an den Wänden des Ge- fäßes und die Tropfen des Benzaldehyd umhüllend sich ausscheiden. War dem Gemisch Schwefel in seiner Verteilung zugesetzt (2), so findet man nicht metallisches Kupfer, sondern Schwefelkupfer. Schüttelt man aber Benzaldehyd mit Wasser und Luft (3), so werden beigefügte oxydabele Körper oxydiert, Jodkaliumstärke, sowie Guajaktinktur gebläut, Sulfide in Sulfate verwandelt u. dgl. m., wie schon vor längerer Zeit von Schönbein beobachtet worden ist. Den erwähnten drei Experimenten ist ein Vorgang gemeinsam, nämlich die Oxydation des Benzaldehyd zu Benzo@säure. In den beiden ersten Fällen kann die Oxydation nur auf Kosten des Wassers vor sich gehen. Es werden die Wassermoleküle gespalten, OH (Hydroxyl) tritt an die Stelle von H in die Aldehydgruppe des Benzaldehyd, die beiden Wasserstoffatome aber, das aus dem Benzaldehyd austretende, sowie das restierende des Wassers rufen sekun- däre Verändernngen in den Gemischen hervor. Im 1. Falle treten je zwei Wasserstoffatome an Stelle des Kupfers im Kupfervitriol, Kupfer wird abge- schieden, — im 2. Falle vereinigen sich je zwei Wasserstoffatome mit einem Schwefelatom zu Schwefelwasserstoff, der nun weiter Schwefelkupfer bildet. Aber auch in dem 3. Experiment, in welchem nicht Reduktions- sondern Oxy- dationserscheinungen in das Auge fallen, so dass der Vorgang ein ganz anderer zu sein scheint, wird von dem Freiwerden von Wasserstoffatomen bei der Hydroxylierung des Benzaldehyd auf Kosten des Wassers auszugehen sein. Hier werden Sauerstoffmoleküle angegriffen, und indem je zwei Wasserstoff- atome sich eines Sauerstoffatoms bemächtigen, mit demselben Wasser bildend, werden Sauerstoffatome disponibel, welche nun die zuvor beschriebenen Oxy- dationen von zugesetzten oxydabelen Substanzen ausführen, u. a. auch die so- genannten Ozonreaktionen (Schönbein) zu stande bringen, die bekanntlich nichts anderes sind als Reaktionen auf Sauerstoffatome (vergl. Pflüger’s Archiv III, S. 240, 1870). Eine ganze Reihe von Oxydationen im Protoplasma muss man sich ab- hängig denken von den Sauerstoffatomen, welche bei Hydroxylieruugen ähnlich der des Benzaldehyd frei werden. Als sekundäre Oxydationen können sie den letzteren gegenüber gestellt werden (vergl. Pflüger’s Archiv, XLI, S. 378, 1887). Nun lässt sich freilieh nicht leugnen, dass der naszierende Wasserstoff auch Wasserstoffhyperoxyd bilden kann und auch leicht beobachten bei längerem Durchlüften von Benzaldehyd mit Wasser; wenn aber auch wirk- lich nur Wasserstoffhyperoxyd entstände, was nicht scharf bewiesen werden kann, so wäre das für die Vorgänge im Protoplasma doch nicht von Bedeu- tnng, da das Wasserstoffhyperoxyd in Berührung mit dem Protoplasma sofort wieder unter Freiwerden von Sauerstoffatomen zerfallen muss. Die Aktivierung des Sauerstoffs durch Wasserstoff im status nascens, wie man das Freiwerden von Sauerstoffatomen wohl auch genannt hat, ist zuerst von Hoppe-Seyler nachgewiesen und auch innerhalb der Organismen, im Protoplasma, als möglich 768 Nasse, Physiologische Oxydation. und wahrscheinlich bezeichnet worden. Für die Richtigkeit der Anschauung, dass naszierender Wasserstoff in den Geweben eine Rolle spielt, sprechen Be- obachtungen, welche Herr Dr. Rösing im verflossenen Sommer in dem hiesigen Institut für Pharmakologie und physiologische Chemie gemacht und in seiner Dissertation „Untersuchungen über die Oxydation von Eiweiß in Gegenwart von Schwefel“ veröffentlicht hat. Rösing fasst die Ergebnisse seiner Beobach- tungen und Experimente dahin zusammen (8.23): „Gewisse, bisher noch nicht näher zu bezeichnende Eiweißarten haben das Vermögen, sich bei Gegenwart von Wasser auf Kosten desselben zu hydroxylieren. Die Hydroxylierung wird, abgesehen von der Temperatur, beeinflusst durch die Anwesenheit von Schwefel, der dabei zum Teil in Schwefelwasserstoff übergeführt wird“. Das Analogon zu dem am Eiweiß beobachteten bildet der oben unter (2) angeführte Versuch mit Benzaldehyd, Wasser, Schwefel und Kupfervitriol, der auch bereits von Rösing selbst als Stütze seiner Auffassung mitgeteilt ist. Nun sind solche Eiweißarten (wie schon de Rey-Pailhade berichtet, der zuerst diese Schwefelwasserstoffbildung beobachtet, das Wesen des Vor- ganges indess nicht erkannt hat) allerdings sehr verbreitet in den Organismen» aber ihr Bestreben sich zu hydroxylieren auf Kosten des Wassers ist offenbar ein sehr geringes. Man kann sie in dieser Beziehung vergleichen mit den fetten Aldehyden, die im Gegensatz zu den aromatischen Aldehyden im strengen Sinne des Wortes sich ebenfalls nur bei Gegenwart von Schwefel rasch oxy- dieren, ohne diesen aber nur äußerst langsam, und darf hieraus vielleicht folgern, dass die in Rede stehenden Eiweißstoffe eine fette Aldehydgruppe enthalten. So werden denn für die schließliche Bildung von Sauerstoffatomen (mittels des naszierenden Wasserstofis) sei es auf direktem Wege, sei es auf dem Umweg durch Wasserstoffhyperoxyd keinenfalls ausschließlich die Bestandteile des Protoplasma selbst in Betracht kommen, sondern wahrscheinlich in weit höherem Grade die Stoffwechselprodukte im Protoplasma, die Spaltungsprodukte komplizierter Moleküle. Man wird sich vorzustellen haben, dass diese, sei es im Entstehungszustand, sei es als bereits geschlossene Moleküle sich aus dem Wasser hydroxylieren, wird aber wohl auch nicht ohne Weiteres ausschließen können, dass sie ihren Sauerstoffbedarf aus Sauerstoffmolekülen direkt decken und so auf kürzerem Wege zum Freiwerden von Sauerstoffatomen Anlass geben können. Die Suche nach Sauerstoffatomen im Protoplasma muss daher fortgesetzt werden. Dass dieselbe nicht leicht sein wird, geht aus den Arbeiten von Pfeffer hervor, in denen Sauerstoffatome (und Wasserstoffhyperoxyd) ganz entschieden abgelehnt werden. Die bei der Hydroxylierung von Eiweiß wie von Stoffwechselprodukten verschiedener Art freiwerdenden Wasserstoffatome haben vielleicht noch eine andere Aufgabe, nämlich dem Nahrungseiweiß, welches nachweislich das Hydroxylierungsvermögen meist schon eingebüßt hat oder im Darmkanal ein- büßt (Rösing), dieses Vermögen wieder zu verschaffen. Wird man doch sehr geneigt sein, eine so weit verbreitete Eigenschaft — nennt man sie die Aldehyd- Natur der Eiweißkörper, so muss auch der einschlagenden Anschauungen von Loew und Bokorny gedacht werden — als eine wesentliche anzusehen, auch wenn ihre Bedeutung noch nicht klar ist. Vielleicht hängt mit ihr die Eigenart des sogenannten lebendigen Eiweißes oder der Fermente zusammen. Verlag von Eduard Besold in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Firma: Junge & Sohn) in Erlangen. Alphabetisches Namen -Register, Abbe 48, 448, 610. Adler 53. Adlerz 22, 334. Aeby 184, 186. Alfaro 166 fg. Allmann 201. Altmann 86, 744. Aderson 414. Angelini 415. Antolisei 415, 446 fg. Anutschin 309. Apäthy 78 fg., 127 fg. Appert 734. Arnold 372, 482, 526, 559, 734. d’Arsonval 490 fg. Auerbach 31fg., 185, 7278. Aufrecht 252. Ayers 117, 125. Babes 758. Baccelli 404. Bach 337. Bachmaier 88. Baer 21. Baker 4. Balbiani 752. Baldi 272. Ball 399. v. Bambeke 375. Baranowsky 88. Barbieri 273. Barfurth 76. Barrois 294. Baruggi 394. de Bary 149 fg., 551, 758. RI, Bastian 541, 737. Battandier 689. Bauer 88. Bauer, F.4. Bauhin 153. Baum 597 fg. Baumgarten 87, 88, 397, 446. Beale 528. Beccari 167. Bell 418. Belt 165 fg. v. Bemmelen 722. Benecke 129 fg., 159, 285. v. Beneden 670 fg. Benham 479. v. Bergmann 568. Berkley 104, 144 Bernard 417, 427, 691 fg., 7126. Bernheim 230, 237. Bernstein 184. Berthold 79. Bertillon 309. Bertkau 297 fg. Berzelius 633. Beyerinck 53, 286 fg., 475. v. Bezold 184. Biedermann 525. Biett 251. Bignami 404. Billroth 49, 746. Binns 136. Binz 152, 239, 243, 730 tg. Biondi 32. Birula 295 fg. Bisson 212 fg. Bizzozero 382. Blanchard 294 fg. Blankenhorn 145. Blochmann 377, 476 fg. Blumrich 722 fg. Bobrecki 46. Bode 254. Bödecker 594. Bogdanow 313 fg. Böhm 646. du Bois-Reymond 489. Bokorny 5 fg., 163 fg., 164 fg:, 279, :282, 712, 768. Bolle 137, 154. Bonnet 201. Bonnier 163. Bornet 550. Bos, Ritzema 734 737 fg. v. Bosse 547. Bouch& 137, 154. Boussingault 194. Boveri 565, 668 fg., 670fg. Bowditch 667. Bowmann 183, 186. Brady 356 fg. Braid 231, 237. Brandes 73 fg. Brandt 386 fg., 465, 475. Bratuscheck 691 fg. Brauer 228. Brault 251. Braune 666 fg. Brehm 519, 763. 49 fg., ei) Briquet 729 fg. Broca 313. Bronn 386, 466. Broughton 247. Brown 468. Brücke 705 fg. Brückner 268. Brunchorst 284 fg. Brunton, Lauder 730. Buchner 255. Buckle 417. Buffon 4. Bunsen 30, 505. Bürja 88. Busch 242. Büsgen 193 fg. Bütschli 33 fg., 78fg., 126, 127 fg,,. 386 1 Abb ufg;; 47äfg., 565, 703, 758 fg. de By 146. Canalis 401 fg. de Candolle 135, 148, 155, 283. Caparelli 27 fg. Carnoy 377 fg. Carriere 110 fg., 212 tg., 224 fg., 416. Carus 133, 144. Caspary 448. Cattaneo 397. Cazenave, Alph6e 251. Celli 390 fg., 441, 446 fg. Certes 387. Chantres 308, 313. Chäperon 730. Chareot 237. Charpentier 506. Chenzinsky 397, 447. Cholodkowsky 117 fg., 216, 225 fg. Chun 376 fg. Claus 354, 750. Clos, D. 134. Clusius 134. Cohn 50, 395. Cohnheim 527 fg. Colladon 448. Condorcet 87. Cori 4783 fg. Cornil 251. Cornu 618. Counzilman 395 fg. Cramer 712. Crawford 489. Creplin 4. Crookes 633. Croucher 154. Cuenot 389, 514. Curtis 104. Czapski 609. Dachnahl 155. Daday 357. Da&l von Koeth 146. Dalgarno 87. Damm 38. Dangeard 475 tg. Danilewsky 392, 404 fg. Darwin, Ch. 9, 21, 133, 137,2 144, 152, 321.18, 463, 553 fg., 720. Davaine 3. David 145. Decaisne 134, 136. Deh6rain 646 fg. Deinega 763, Delafield 34. Delage 655 fg. Denny 752. Derbes 549. Descartes 87. Desfosses 42. Despretz 489, 494, 497. Dessoir 539 fg. Detmer 270. Dewitz 468 fg. Dieu 250. Dioscorides 250. Dock 732. Dogiel 378. Dolega 412, 447. Donders 187. Doria 175. Douglas 591. Downing 155. Doyere 3 fg. Dragendorff 256. Drechsel 272. Alphabetisches Namenregister. Driesch 14 fg., 207. Duchenne 483. Dufour 294 fg. Dujardin - Beaumetz 253, 599. Dulong 489, 494, 497. Dumeril 2. Duplessis 357. Dürer 482. Dürrbeck 489. Dyer 88. Eggers 134. Ehrenberg 476. Ehrlich 32, 521, 525. Eichhorn 88. Eimer 361 fg. Elfving 163 fg., 164 fg. Eliascheff 252. Ellenberger, W. 597 fg. Emery' 165 Te.) 3217 Te, 553 fg. Engelmann 163, 184, 187, 527, 733. Engler 133. Entz 552. Erckert 308, 313. Erikson 283 fg. Ernst 758. Errera 30. Escherich 628. Ewald 254. Exner 238, 581 fg. Fabre, Henri 179. Faist 270. Famintzin 475 fg., 546. Faussek 297, 380. Fehling 270. Feletti 405 fg., 446. Fick 188 fg., 730. Filehne 575. Finkler 54. Fiori 171, 173. Fischer 356 fg. Fischer, O. 666. Fischer, R. 395. Flemming 30, 300, 372 fg., 528, 557 fg., 559fg., 671, 745 fg. Alphabetisches Namenregister, rl: Focke 139 fg. Foex 65. Fol 300 fg., 352. Fontana 4. Forbes 357. Borel 22, 27, 107, 11s, 4126,2237:, 043, 33012, 397, 998. Förster 337. Fortune 137. Föttinger 187. Frank 52, 136, 144, 151, 283 fg., 648. Franke 547. Fränkel 254. Frankland, Grace C. und Percy F. 54 fg. Franklin 2. Frenzel 296, 380 fg., 464 fg.., 514, 558 Ig., 077 Sg. 619 fg., 701 fg., 745 fg., 757 fg. Frey 628. Friedländer 57, 417 fg. Friedmann 489. Friedrich 88. Fries 140. Frommann 524. Fuchs 88, 237. Fühling 142. Gablentz 88. Gabryelski 87 tg. Gartner 591. Gärtner 449. Gaupp 481 fg. Geddes 656. Gegenbaur 221, 725. v. Gehuchten 381, 527 fg., 563. Geißler 3. Geoffroy 250. Gerhardt 413, 446. v. Gerlach 533. Germar 332. Giltschenko 304 fg. Ginanni 4. Girardin 505. Gobley 272. Göthe 146 fg. Götte 659. Gottsche 582. Goetze 135. Golgi 28, 393 tg. v. Gossler 250. Graber 117,121 fg., 126 fg.., 212 fe, ,222 Io,, 319, 416 fg. Grafi 654 fg. Gram 319. Grassi 126, 221,225, 405 fg., 446, 753. Gray 722. Greeff 3, 599. Greenfield 251. Greenwood 534 fg. Grenacher 300. Grobben 514. Gruber 386 fg. Grubner 598. Grüel 582. Grützner 235. Gualdi 446. Guarnieri 399 fg., 447. Gueinzius 336. Gumlich 254. Günther K. 319 fg. Guttmann 574. Haase, E. 114 fg., 228. Haberlandt 265, 654. Häckel 133, 577, 720, 760. Häcker 359 fg., 516 fg., 668 fg., 698. Hagens 333, 336. Hahn 254. Haller, Bela 726. Hamann 384, Hann 498. Hansemann 252. Hansen 136, 231. Hansgirg 449 fg., 508 fg., 547. Harmer 294, Hartig 194, 270. Harting 609. Hasemann 88. Hasse 481 fg. Haswell 479. Hatschek 293, 478, 480, 122.120. I as Hauck 546. Hebra 251. Hecker 145. Heffter 274. Heiberg 667. Heidenhain 83, 231, 237. Heider 117,120fg , 218 fg.., 2284 198. Heinzmann 2. Hellriegel 284 fg., 348. Helmholtz 610 fg. Henderson 88. Henke 188. Henking 377. Hensen 528 fg. Heräus 54. Hermann 30, 670 fg. Herrick 357. Hertel 413. Hertwig, O0. 30, 386 fg., 668, 757. Hess 42. Heubach 730. Heymann 254. Hicks 27. Hildebrand 450. Hippokrates 249, Hirn 490. His 16. Hofer, Bruno 272. Hoffmann, R. 194, 283. Hofmeister 450, 463. Hogg 154. Hollrung 350. Homolka 256. Hooker 194. Hoppe -Seyler 272, 767. Horvath 2. Hoyer 380. Huber 174. Huxley 750. 185, 490, v. Jacksch 409, 447. Jäger, H. 140. James 399. Janson 336. Jessen 131, 137 fg., 149 fg. Ihering 309, 313. Imhof 356 fg. 49 * MR Me. Intosh 481. Johnston 763. Juhle 87. Jurine 357. Kalmar 87. Kaposi 251. Karl 8°. Keller 65 fg., 97 fg., 160 fg.., 257 fg., 641 fg., 673 fg., 705 fg. Kemmerich 622. Kerner 449. Kienitz-Gerloff 160 fg. Kionka 30, 31 fg, 49 fg., 282 fg., 319 fg., 575 fg., 727 fg. Kittary 294. Klebs 265, 267, 279, 391, 395, 508, 551. Klein 379. Klinkowström 534. Knipowitsch 300 fg., 352. Knauthe 57 fg., 502. Knight 153 fg Kny 283. Koch, A. 289. Koch, K. 142. Koch, R.50, 59 fg., 248 fg., 395, 446, 568, 574. Kochs 229 fg., 499 fg., 619 fg., 729. Kohl 173, 649. Kohlschütter 243. Kölliker 36, 85, 526 fg., 672, 746, 757. König 667. Korotneff 117, 125, 215 fg. Korschelt 374 fg., 477, 560,793 Kossel 269. Kotelmann 318. Koeth, v. 146, Kowalewsky 75, 117 fg., 293, 382, 480, 753. Krabbe 717. Krafft 746. Krafft-Ebing 235. Kraus 282. Krause, A. 231 fg. Krause, W. 42, 528, 597. Kronfeld 178. Krüger, W. 129 fg. Kruse 406. Kückenthal 384,. 514. Kühn, J. 4, 343 fg., 737. Kühne 35, 185. Kunz 503. Kützing 509. Laliman 106. de Lamotte 107. Lampert 520. Landgraf 254. Landois 239, 242. Landsberg 387. Lang 300, 353, 660 fg. Langley 537. Lankaster 481. Laplace 489, 494. Lauda 88. Laulani& 181. Laurens 289. Lautermann 524. Laveran 390fg., 441, 731 fg. Lavoisier 489, 494, 566. Lebedinski 47. Lecombe 667. Leeuwenhoek 4. Leibnitz 87. Leidy 535. v. Lendenfeld 15, 19,5341g. Lespes 333. Leunis 136. Levander 477. Lewin 272. Leyden 574. Leydig 41, 80, 471, 506, 921,2932 198. Liebeault 237. Lieberkühn 561. Liebermann 269, 275. Liebermeister 49. v. Liebig, Justus 247, 270, 622. Liebreich 247 fg., 272. Linden, Gräfin Maria 71 fg.., 763 fg. Lindley 154 fg. Lindmann 450. Alphabetisches Namenregister. Linne 449. Listing 609. Littre 249. Livingstone 139. Loeb 200 fg., 426. Löffler 576. Looss 73 fg. Lott 88. Loew 5 fg., 269 fg., 277, 712, 768. Loewit 389, 513 fg., 745 fg. Loewy 489. Lubbock 22, 26 fg., 334, 337. Lucas 155. Ludwig, Carl 489, 597. Ludwig, F. 598. Macfayden 626. Mach 426. Maggi 736, 744. Maimieux 88. Mäklin 333. Maldant 88. Malijew 313. Malpighi 221, 283, 746. Mangin 163. Marcellinus 305. Marchiafava 391 fg., 441, 446. Marey 184, 667. Marignae 630. Märkel 337. Marktanner - Tuoneret- scher 351 fg. Marri, A. 147. Marshall 201, 526, 722. Martin 413. de Mas 88. Masing 256. Masius 385. Matteucei 30. Maupas 387 fg. Maxwell 274. Mayer 270 fg. Mayer, P. 561, 748. Mayer, Rob. 420. Mayr 165, 169, 337. Melland 528. Melville-Bell 88. Alphabetisches Namenregister. Mendelejeft 631 fg. Menet 88. Mersanne 87. Metschnikoff 73, 214, 290, 395, 733. Metzger 138. Meyer, E. 575. Meyer, Loth. 630. Miall 752. Miescher-Rüsch 74. Migula 599. Mikosch 714. Mingazzini 381. Minot 385. Mittendorf 722. Möbius, M. 129 tg, 546. Moggridge 176 fg. Mohl 609. Molisch 164. Moge 235. Monier 358. v. Mons 153, 155. Monti 397, 409. Mörner 596. Moseley 722 tg. Mosso 394 fg. Müller 34, 66, 238, 300, 313, S8ITE. Müller, Fr. 165. Müller, Johs. 582, 593. Müller, 0. F, 356. Müller, P. W. 332. Müller, W. 305. Müller-Thurgan 67. 147. Munk 271 fg. Münsterberg 539 fg. Müntz 54. Nagel 558 fg. Naegeli 10, 21, 509, 649, 1212758: Nähter 87. Nasse 767. Needham 4. Nels 145. Nencki 626 fg. Newton 490. Niethammer 87. Nietner 144. Nissen 379. Nobbe 144. Noll 200, 450,462, 663, 714. v. Noorden 413, Nusbaum, J. 42 fg., 117 fg., DIA 22T TE, 9u3le., 313: Nussbaum, M. 201. Oberlin 147. Ormerod 737. Osler 396. ÖOudemans 752. Overdieck 155 Paic 88. Palla 265, 267. Paltauf 409. Pantjuchow 308. Parker 74. Pasteur 248, 405. Patten 126, 227. Paulsen 346. Payen 157. Pekelharing 734. Pelikan 248. Pelseneer 726. Penard 466. Penzig 138. Pereny 300. Peringuey 334, 336. Peter 550 Peters 520. Pettenkofer 242, 494. Pfahl 503. Pfeffer 194, 258, 768. Pfeiffer 398 fg. Pfitzner 386, 513, Pflüger 767. Pichi 289. Place 184. Plastin 269. Plate 467, 599. Plateau 111, 296, Platner 380. Platten 117 fg. Plehn 409 fg., 446 fg. Piinius 144, 250. Plotke 239. 469 fg., 703. 299. 773 Podwyssozki 750. Poggenpol 357. Pokrowsky 308. Pohl 275. Polejaeff 291. Ponfick 575. Poppe 357. Pott 270. Pouillet 184. Prantl 133. Pravaz 255. Prazmowsky 286 fg. Preyer 1 fg., 229 fg., 427, 630 fg. Prillieux 3, 283 fg. Pringsheim 547. Prior 54. Prout 633. Purkinje 238. Wuincke 390, 412, 447. Raabe 344. Rabe 27. Rabl 352. Raleigh, W. 148. Ramon y Cajal 28, 527 fg. Ranvier 524. Rasch 147. vom Rath 375, 744 fg. Räthay 448. Rathke 117. Raulin 275. Ravaz 103 fg. Rawitz 514. Rayer 251. Reaumur 199. v. Rees 75, 382 fg. Regnard 504 fg. Regnault 494. Rehberg 357. Reinhard 43, 548. Reinke 269, 546 fg., 722. Reinsch 549. Reiset 494. Remak 703. Retzius 520 fg. de Ryy-Pailhade 768. 3719 Te 774 Richard 391. Richardson 2. Richet 491. Riedel 258. Riegel 482 fg. Ritthausen 270. Rivand 67. Robert 382. Robin - Pouchet 111. Robiquet 249. Roffredi 4. Roger 334, 337. Rollet 35, 39, 526 fg. Romanes 3. Rosa 88, 96. Roscoff 661. Rösel 200. Rösing 768. Rosenbach 239, 411, 446. v. Rosenhof 200. Rosenthal, Carl 489. Rosenthal, J. 96, 391, 488 fg., 566 fg.. 736. Rosin 411. Rostrup, E. 140. Rothe 140, 142. Roule 49. Roux 18, 21, 188 fg. Royle 139. Rubner 489 fg. Rudzki 63. Ruge 376. Ruhmkorff 667. Rumford 500. Russow 161, Ryder, J. A. 127. 180 fg., Sacharoff 399. Sachs 3, 19, 200, 719. Sahlberg 335. Sahut 65, 107 fg. v. Saint Martin 242. Salisch 141. Samenhof 88, Sarasin 294, 357. Saunders, H. 174. Schäffer 213 fg. Scharling 242, 490. Schedel 562. Schewiakoft 33 fg., 127 fg., 386, 475 fg. Schiavuzzi 394 tg. Schiff 185. Schimkewitsch 291 fg., 299. Schimmelbusch 568. Schimper 280, 641 fg., 686 fg. Schindler 234. Schinz 189 fg. Schlampp 40 fg. Schlechtendal 283. Schleiden 131, 149. Schleyer 88. Schlösing 54, 290. Schmidt 763 fg. Schmied 37. Schmiedeberg 593 tg. Schmitz 265, 271 fg., 551, 713: Schneider 739 fg. Schopenhauer 419. Schoter 547. Sehott 613. Schönbein 767 tg. Schoettler 503. v. Schrenk-Notzing 235. Schultze, C. A. S. 4. Schultze, F. E. 564, 579, 663. Schultze, Max 599, 656. Schulz 54 fg., 593 fg., 630 fg. Schulze, E. 272 fg. Sehumann, K. 165, 618. Schwann 524. Seemann 136. v. Sehlen 39. Selenka 40. Senator 489, 495, 573. Servile 125. Seubert 630. Sieber 626 fg. Sigard 87. Smalian 699. Smith 242, 336. Smith, Frederick 167. Solier 549. Sorauer 131, 142, 737. Sotos Ochando 83 Soudre 88. Alphabetisches Namenregister. Spallanzani 4. Speechley 155. Spencer 720. Spener 351 fg., 390 fg., 429 fg., 588 fg, 626 fg., 729, 736. Spengel 207, 726. Spiegel 256. Sprengel 449. Stahl 691. Stas 630. Stein 87. Steiner 88, 184. Stellwag 272 fg. Stern 255, 575 fg. Stieda 304 fg. Stoll 167. Straebe 385 Strasburger 30, 271 fg., 713. Strübing 337. Studer 516 fg. Sturmhövel 88. Stutzer 272. Szymanski 547. Taranetzky 304. Taylor 250. Thiel 284. Thiele 722 fg. Thierfelder 596. Thomas 52. Thuemen, von 142 fg. Thümen 65. Tichomiroff 126, 215 fg. Titoff 414. Tommasi-Crudeli 390 fg. Topinard 307 fg. Traube 566 fg. Trautzsch 200 fg. Trembley 4. 200. Treviranus 194, 283, 449. Trinkler 29. Tschirch 284. Tucker 142. Turner 633. Tyge Rothe 140. Unger 149, 194. Urban 450. Alphabetisches Namenregister. Valenti 736. Valiante 547. la Valette St. George 499. Vejdovsky 358, 384. Velpeau 533. Verson 212 fg., 556 fg., 745, 754. Viala 65, 68, 97 tg. Virchow 252, 395, 746. Vöchting 200, 450, 462. Vogel 490. Vogt 356. v. Voit 242, 498. Volk 88. Völtzkow 126. Vonhausen 141. Vosseler 599. de Vries 10, 51, 258 fg., 234. 397, Wagener 181, 528. Wagner 238. v. Wagner 654 fg. Waldeyer 385, 565. 709, 758. Walker 174. Ward, M. 285 tg. 719 Wasmann 21 fg., 23 fg., Winterstein 506. 26: -fg., 478 fg. Weber, E. H. 185. Weber, J. M. 482. Weber, M. Weber, R. 270, 674. Wehmer 649. Weigert 62, 758 fg. Weismann 15, 75, 214.32. 322. 18%, 668, 720, 735, 757. Weltner 599. Wendt 631 fg. Werner 358 fg., 694 Wertheimer 575 fg. Westhoff 336. Wetterstrand 235. Wheeler 115 fg., 225 fg. Wielowiejski 212 fg. Wiesner 267 fg., 462 fg., 705 fg. Wilfarth 286, 349. Wilkins 87. Will 125, 226. Willkomm 139. v. Wilson 194 fg. Winkelmann 693. Q {9} JA + 179, 331 fe, Witlaezil 216 fg., 226. . Wittmack 137 fg. 126, 82, fg. 48, Wittrock 449, 552. Wolfert 88. MioliE,..@:- >24, 553 fg. Wolff 589 fg. Wolke 87. Wood 253. Wood-Mason 115. Woronin 283. Wright 548. am TE;, Yung 537 fg. Zacharias 269, 598, 714, 763. Zacke 581 fg. Zeiss 34, 84, 612. Zeller 40. Zenetti 489. Ziegler 397, 744 fg. Ziegler, H. E. 372 tg., 513 fg., 557 fg., 559. Ziehl 762. Zopf 470 fg., 509, 650, 758. Zorn 153. Zschokke 74. Alphabetisches Sachregister. A. Abbe’scher Apparat 84. Abdominalanhänge d. Insekten 220 fg. Abdominalbeine der Insekten 110 fg. Absorptionskoeffizient f. Luft 505; A. für Wasser 504. Acaeia 6; A. albida 191. Acanthaceae 190, 644. Acanthosicyos horrida 191. Achordata 293. Achyranthes lopponica 449. Acer 162; A.pseudoplatanus var. pur- pureum 194. Aeilius 117, 126. Acoele Turbellarien 654 fg. Acoelomata 293. Aconitum lycoctomum var. pyrenaicum 460; A. napellus 460; 4A. panicula- tum 460; A. vulgare 460. Acorus calamus L. 133. Acridiidae 125. Actinia mesembryanthemum 536 Actinien 534. Actinophrys 474. Actinosphaerium 535,538; A. Eichhornii 386, 465, 535, 608. Actinotrocha 478. Adoxa moschatellina 460. Aepus Robinü 112. Aesculus 162. Aestivales 68. Agathaea amelloides Ab4. Agelastica alni 112. Ageratum conyzoides 449. Aggregation 9 fg. Aggregatzustand des 257 fg Aglaophenia 17; A. pluma 204. Aglaophenien, bibasale 204. Agonum Mülleri 343. Agraphis nutans 458; A. patula 458. Agrimonia eupatorium 459; A. leu- cantha 459. Agrostemma coronaria 4693. Akaziendorne, Ameisen in A. 165 fg. Aktives Eiweiß 6. Alchemilla vulgaris 464. Algen 650; A., endophytische 545. Algues perforantes 550. Alisma plantago 464. Allium 457; A. ampeloprasum 462; 4. anescens 462; A. angulosum 462; A. fallax 462; A. nutans 462; A. ophios- cordon 462; A. sativum 462. Allomerus septemarticulatus Mayr 166. Aloe 455; 4A. albilinea 458; A. ougu- lata 458; A. cihiaris A58; A. dicho- toma 190, 458; A. disticha 458; A. echinata 458, 464; A. elongata 458; A. margaritifera 458; A. nigricans 458; A. recurva 458; A. Reinwardii 458; A. sacotorina 458; A. sapona- ria 458; 4A. suberecta 458; A. sub- rigida 458, 464; A. tachyphylla 458; A. trigona 458; A. vera 458; A. ver- rucosa 458; A. vulgaris 458. Älpenflora, javanische 688 fg. Alpengewächse, Standortwechsel 68918. Alsine laricifolia 453. Protoplasma Sachregister. Althaea ficifolia 453. Alyssum montanum 450. Alveolarschicht 36. Amblystoma 76. Ameisen, Beziehungen zu Insekten 177 fg.; A., Biologie 165 fg.; A., Gehörsvermögen 26 fg.; A., Hoch- zeitsflug 173 fg.; A., Parthenogene- sis 21. Ameisengäste, 331 fg. Amerikanische Reben 65 fg., 97 1g. Amitotische Kernteilung 372 fg., 513tg., 556 fg., 558 fg. 701 fg, 744 fg. Ammocharis 1%. Ammoniakproteosomen 12. Amoeba 534, 538; 4A. alba nov. spec 640; A. brevipes 637 fg,; 4. fibril- losa, Gr. 605, 640; A. gracilis 637 fg.; 4A. granifera 637 fg.;, 4A. malariae febris quartanae 416; A.proteus Leidy 535, 606 fg.; A. similis nov. spec. A. sphaeronucleosus 638 fg.; A. ter- ricola 599 fg., 637 fg. Amöben, Organismus 599 fg., 633 18. Ampbhichoerus cinereus Gr. 655 fg. Amphizonella digitata 6385; A. violacea 608, 638. Amphotis marginata F. 342. Amylum-Körnchen 53. Anabaena 549; A. Azollae 546, 551. Anabiose 1 fg. Anaemaria 283. Anagallis arvensis 453, 460; 4. coe- rulea 453, 460; 4A. grandiflora 453, 460. Anatomie des Hundes 597 tg Anchomenus angusticollis 112. Androsace septentrionalis 453. Anemone hepatia 449; A. albana 46V; 4A. Halleri 460; A. pulsatilla 460. Anemone nemorosa 158, 453; A. ranun- culoides 453; A. rivularia 453; 4. stellata 453. Anergates 173, 176; A.astratulus 331 fg. Anethum graveolens A452; A. Sowa 452. Anguillulinen 4, 737 fg. Anguis 699. Angus fragilis 526. Anilocra 379, 750 fg.; A. mediterranea Leach. 752. Intern. Beziehungen 7 Anochetus Ghilianii 174, 176. Anops 699. Anpassungsfähigkeit der europ. Rebe an die amerikanische 109 fg. Anpassungsfärbung 366. Antennularia 15, 20. Anthricum liliago 458, 464; d. ramo- sum 458. Anthropologie des Kaukasus 304 fg.; A. der Osseten 304 fg. Anthropometrie der Osseten 308 fg. Anthicus 179. Anthoceros 549. Antithamnion 550. Anurida maritima 127. Apfelkrebs 153. Aphaenogaster barbarus 169, 176; 4. structor 172, 176. Aphanochaeta (Berth.) Hansg. 547. Aphanostoma diversicolor Verst. 6d4fg. Aphellenchus Bastian 737 fg.; A. Fragariae 739; A. Ormerodis 739. Aphididae 125, 170. Aphis 194; A. pelargonii 125; A. rosae 125; 4A. saliceti 125. Aphrophora spumaria 380. Apidae 126. Apis 753. Aplacophora 726. Apochromate 616. Appendieularia 528; 4A. Hlabellum 529. Apposition, molekulare 716. Appositionsbild 584. Apseudes 353. Aquilegia advena 460; A. arctica 460; A. atrata 460; A. Bauhini 460; 4. Bertolini 460; A. californica 460: A. canadensis 460; 4. chrysantha 460; A. coerulea 460; A. Einseliana 460; A. Haenkeana 460; A. hybrida 460; A. Kitaibelii 460; A. leptoceros 460; A.lutea 460; A. nevadensis 460; A. nigricans 460; 4A. olympica 460; 4A. Ottonis 460; 4A. pyrenaica 460; A. sibirica 460; A. Skinneri 460; A. stellata 460; A. Sternbergii 460; 4A, thalictrifolia 460; A. versicolor 460; A. vulgaris 460. Arachnida 293. Archidoris 534, 538. Aretiscoiden 4. 78 Arenaria capensis 463. Arisarum vulgare 549, 553. Aristida 190 fg. Aristolochia elematitis 460. Arizona lineatocollis 362. Arthropoden, Muskeln 33 fg.; A., amit. Kermteilung 774 fg.; A, Sperma- togenese 754 fg. Arthrostraken 353. Artieulata 293. Arundo phragmites L. 134. Ascaris 670. Aschenbestandteile der Pflanze 641. Asclepias albida 460; 4. cornuti 460; 4A. Douglassi 460; 4A. hybrida 460; A. princeps 460; 4A. Sullivanti 460; A. syriaca 460. Ascomyceten 141. Asegmentata 293. Asellus 49. Asemorhoptrum lippulum 340. Aspergillus glaucus 679 fg.; 275, 673 fg. Asperula odorata 158. Asphodeline cretica 458; 4. lutea Ad8. Asphodelus albus 459; 4. luteus 459, 464; A.ramosus 459; A. Villarsi 459. Assimilation der Mineralsalze durch die grüne Pflanze 641 fg. Astacus fluviatilis 3Afg., 381,524,560, 749. Asterias 534. Astilbus canaliculatus 342. Astragulus 458; 4. glyciphylius 464. Astrantia 457; A. alpina 452; 4A. car- niolica 452, A.major 452 ; A. minor 452. Aihamenta cretensis 457 fg. Atmeles 179; 4A. emerginatus 331 fg. ; A. paradoxus 331 fg. Atmung, Formänderungen bei A. 481. Augen, facetierte 581 fg. Augenlinse des Proteus anguineus 40 fg. Aurelia aurita 535; 4A.-Ephyren 534. Axolotl 672. Azorella selago Hook 518. Azteca instabilis165; A. brevicornes 169. A. niger B. Bacillococeus 56. Bacillus anthracis 55; B. pyrocyaneus 568; B. Radicicola 286 fg.; B. sub- tilis 320; B. malariae 390 fg. Sachregister. Bacillus des Ileum 628. Bakteriologie, Studium 319 fg. Bakterienspore 757 fg. Bakterium Bischleri 628; B. coli com- mune 628; B.ilei Frey 628; B. lactis aerogenes 629; B. liquefacıens ilei 628: B. ovale vlei 628. Baphane A. Bärtierchen 4. Batrachier, Blutkörperchen 31 fg. Batrisus formicarius Aube& 340. Baumrinden, Kalkoxalat 282. Begonia Rex 707. Belastomatidae 125. Bellis perennis 453, 464. Berteroa incana 458. Beuteinstinkt der Myrmedonien 25. Bewegung, tierische 417 fg. Bewegungen des Kniegelenkes 666 fg. Beziehungen, internat. d. Ameisengäste 331 fg, Bilateria 292 18. Biologie der Ameisen 165 fg. Biolog. Bedeutung der amitotischen Kernteilung 372 fg. Biologische Studien an Reptilien 694 fg. Biologische Untersuchungen 520 fg. Bisciutella laevigata 452; B. raphani- folia 458. Bitterrot 105. Black-July 108 fg. Blackrot 103. Blasia 549; B. pusilla 551. Blastophysa rhizopus 547. Blastoporus 292. Blatta germanica A117, 125, 216. Blattidae 125. Blitz, Einwirkung auf die Weinrebe 448. Blumenkohlkrankheit der Erdbeer- pflanzen 737 fg. Blütenpflanzen, geschlechtslose Ver- mehrung 129 fg. Blütenstiele, Bewegung 449 tg. Blut- u. Fettgewebe d. Insekten 212 fg. Blutkörperchen d. Batrachier 31 fg. Blutlaus 156. Bolbocoleon endophytum 547, 550. Boa constrictor 362. Bootia 460. Bombus 763. Bombyeidae 126. Sachregister. Bombyx mori 212 fg., 557, 745, 754. Boragineen 453. Botrytis cinerea 198. Brachiopoda 293. Bradypus 550. Branchiata 293. Brassica nigra 458. Brunsvigia 19. Bryozoa 293. Bunias erucago 452. Bryophyten 650. Buphthalmum 463. Byrrhus pilula 343; DB. dorsalis 343. C. Calandrina discolor 459. Callithamnion 550. Callopeltis 697. Callyntrochlamys Phronimae 461. Calyx duplex 739. (amarsia esculenta 464. Uamelina sativa 159. Campanula var. alba 453; Ü. carpatica 453; CO. drabaefolia 453, 460; (. erio- carpa 460; Ü. latifolia 453, 460; Ü. medium 453, 461; C. mircantha 460 ; ©. patula 453; Ü. persicifolia 453; C. pulla 461; CO. pusilla 453; 0. Reuteriana 453, 460; Ü. rhomboidea 453; C. rotundifolia 453; 0. sarma- tica 460; C. Scheuchzeri 453; (. si- birica 461; Ü. turbinata 453. Uampanularia gelatinosa 17. Campanulaceen 453. Campanulariden 15. Campodea 111, 113 fg., 228; phylinus Westw. 753. Camponotus aethiops A70; C. lateralis- atricolor 470; C. ligniperdus 331g; ©, marginatus 170; U. planatus Reg. 167; C. pubescens 170; Ü. rectangu- laris Emery 168; Ü. senex 167. Canthocamptus, _Richtungskörperbil- dung 668 fg.; Verbreitung 356 fg. Capsella 158; CO. pursa pastoris A450. Carabus auratus 112. Carchesium 21. Carcinus maenas 559. Cardamine amara 452; 452, 464. Ü, sta- Ü. pratensis 779 Carum carvi 452, 464. Caryophyllaceen 453. Cecropia 165. Celosia cristata 738. Centroceras 547; ©. clavulatum 549. Üentrotoma lucifuga 343. Cephalaria alpina A53; C. procera 453. Cerampix 169. Cerastes 367. Cerastium alpinum 453; (. Boissieri 453; 0. Biebersteinii 453; C. hirsu- tum 453; Ü. perfoliatum 453, 456, 464; O.repens 453; C.tenuifolium 453 ; ©. tomentosum 453; (. triviale 453; Cereus kaktus 362. Cerianthus membranaceus 208 fg. Cerianthus-Röhren 479. Cetonia 587; C. aurata 528; ricola Gyll 342. Chalicodoma 226 fg., 416; U. 118 fg. Chamaeleon 365, 699. Chantransia 508, 551. Chara foedida 714. Chaerophyllum aureum 4575, Ch. temu- lum 457. Chaetoceras 546. Chaetognatha 293. Chaetopeltis 545. Chaetopoda 293. Chelidonium laciniatum 452, 457; Ch. maius A452, 457. Chemie des Knorpels 593 fg. Chemische Vorgängei. Dünndarm 62618. Chennium bituberculatum Latr. 340. Chenopodiaceae 642. Chinin, Heilwirkung bei Malaria 729 tg, Chionis alba Gm. 518; Ü. minorF orst. 518. Chironamidae 126. Chironomus 213. Chiton 292; Ch. cajetanus 726; Ch. laevis 724; Ch. rubicundus 722; Ch. siculus T2A. Chitonellus 724. Chitonen, Integument 722 fg. Chlorochytrium Knyanum Cohn et Szymansky 549; Ch. Lemnae Cohn 548. Chlolosphaera Alismatis Klebs 548; Ch. endophyta Klebs 548. C. flo- muraria 780 Chlorochytrium 546; Ch. dermatocolax Reinke 547; Oh laetumSchröter 547; Ch. rubum Schröter 547; Ch. viride Schröder 547. Chlorocystis Cohnüi 548, tg. Chloroblasten 664. Choloepus 550. Chondrosin 59. Chondroitinschwefelsäure 593. Chondronsäure 59. Chordata 293. Chromatin 31. Chromatophilie d. Keimsubstanzen 727. Ohrysanthemum leucanthemum 453. Uhrisomela caerulea 187. Chrysomelidae 126. Cicada septendecim 116, 125, 224. Cicadidae 125. Cidaris membranipora 519. Ciliaten, holotriche 475. Cimbex 754. Cinerarea 108. Cinerascentes 68. Cistineen 452 Distus salvifolius 464. Oladophora 547 fg.; Cl. fracta 551. Olaviceps purpurea 193 fg. Claviger 179; C. foveolatus 331 fg.; ©. longicornis 331 fg.; C. Dwvali 331 fg.; C. testaceus 331 fg. Clematis integrifolia 456, 460; Cl. recta 396. Olepsine 84. Clio aurantiaca 301. Clione limacina 300 fg., 352. Olythra läviuscula 126 ; Ol. 4-punctata L. 342. Unemidophorus sexlineatus 361. Cochlearia officinalis 464. Coceobacteria septica 49. Coccus Cacti 197. Colchiaceen 468. Coelenterata 293. C'oelopeltis lacertina 700. Coleochaete 545. Coleoptera 125. Collembola 126. Colobopsis n. sp. 168. Colocasia antiquorum Schott 137. Coluber quadrilineatus 360, 698; €. Aesculapii 696. Sachregister. Coluria geoides 459. Comatula 534, 538. Commelinaceen 454 Compositen 453. Oonnechoetes Gorgon 363. Conspecetus algarum endophytarum 545. (Conurus pubescens 342. Convoluta cinerea 655, 663; ©. flavi- bacillum Jens. 654; C. Lacazü n. sp. Graff 654; O,paradoxa Verst. 654 fg.; C. roscoffensis 654 fg,; C. saliens Graff 654; C. Schultzü O. Sehm. 655, 665; ©. sordida Graff 654. Convolvulaceen 453. Convolvulus mauritianicus 453; (. tri- color 453; C. alsinoides 460; Ü. scammonia 460; CO. siculus 460. Copaifera coelosperma 192. Cordia gerascanthos 167. Cordifolia 108. Coreopsis cardaminefolia 453; U. tinc- toria 453. Corethra 214; Ü. plumicornis 181, 186. Coriandrnm sativum 452. Coronella austriaca 694 fg.; Ü. getulus 696. Coronilla montana 459. Cortusa Matthioli 457. Cosmarium 508. Cosmos bipimatus 453. (otoneaster nummularia 459. Cotyledon 6. Crabro ceurvitarsis Herr. Schäff 173, 129% Crambe hispida 458. Crematogaster 166; U. brevispinosus Mayr 168; (. scutellaris 173. Urocus 6 fg.; (©. vernus 10. Cruciferen 452. Crustacea 293, 701; €C., Nervensytem 529 fg.; C, Darmkanal 562 fg. Crustaceen, Mitteldarm 750 fg. Cryptocerus minutus F. 168; C. disco- cephalus F. Sm. 168 Utenophora 293. Ütenophoroidea 293. Ütenoplanidae 292. Cureurbitaceen 191. Oyanoderma 548, 551. Sachregister. Uyeclamen persicum 463. Uyclas cornea 278. Oyeloneura 293. Uyelops 34, 668 fg. Cynailurus 360. Uynoglossum linifolium 453; 0. offiei- nala 464. Cymothoa 750 fg. Oynthiana 108. Uyprinus rex cyprinorum Bloch 58; Ü. hungaricus Heck. 57; Ü. nudus vel alepidotus Bloch. 58; (C. Carpio 728. Uyrtomorpha saliens Graff 654. Uystopus 148. Uystoseira 547; Ü. opuntioides 549. Uytisus Weldeni 265. D. Dalmaticum 465. Daphne 162. Darwin’sche Lehre, Kritik 321 fg. Daucus carota 450; D. maximus 450. Deckgläser, 612 fg. Degeneration d. Froschlarvenschwanzes Taste. Delphinum caucasum 460; D. cunea- tum 460; D. elatum 460; D. formo- sum 460; D. grandiflorum 460; D. Hendersonii 460; D. laxiflorum 460. Dendrogaster astericola 300. Dendrophiden 367. Dendrophilus pygmaeus L. 341. Derbesia 714. Dermatophyton radicans Peter 550. Diacamma 174. Dianthus banaticus 453; D. caesius 453; D. fragans 453; D. plumarius 453; D. siWwestris 453; D. squarro- sus 453. Dicoma capensis 189. Dictamnus albus 265. Dieyemidae 293. Differenzierung beim Wachstum der Zellen 718. Digitalis 458. Dinarda Märkelii %; D. Sol.tg, Dinophilidae 293. Dioscorea Batatas Decene 136 tg. Diphterie-Baeillus 576. dentala 781 Diplose 669 fg. Diplotaxis tenuifolia 452. Dipsaceen 453. Dipsadiden 367. Diptera 126. Dodecatheon integrifolium D. meadia 461, 464. Dorylus 173. Doryphoro decemlineata 126, 216. Dothiora sphaeroides Fries 141. Draba verna 449. Dreissena polymorpha Pall 476 fg. Dromia 381. Dromophis praeornatus 362. Drosera 6; D. rotundifolia 10. Drüsen der Insektenembryonen 110 fg., 225 fg. Dryas Drummondi 456, 460; D. octo- padala 456. Drydinen 367. Dualismus 722. Dünndarm, chemische Vorgänge 626 fg. Duroia hirsuta 165. Dyscomiceten 141. Dytiseidae 126. Dytiscus 26; D. marginalis 112, 380, 501, 528. 461, 464; E. Echeveria 6, 8 fg; Echidna 736. Echiniscus 3. Echinorhyncha 293. Echinozoa 293. Echis 367. Echiuroidea 293. Ectadium virgatum var. latifolim 190 fg. Ectocarpus investiens 545. Ehrlich-Biondi’sche Mischung 32. Eichhornia tricolor 463. Eigenschaften, erworbene, Vererbung Hufe. Eiweiss, aktives 5 fg. Ektoplasma v. Amoebaterricola 599 fg. Elaphis quaterradiatus 368. Elaps 367. Elementargebilde der Zellen 267. Elementarstruktur d. lebenden Substanz 705 fg. Elemente, organische 630 fg. E. floribunda 464. 182 Elodea 460; E. canadensis Rich. 134, 266. Elvira 108. Embryologie der Isopoden 42 fg. Embryonale Anlage des Blut- u. Fett- gewebes der Insekten 212 fg. Embryonalzelle, sekundäre 707. Emilia sagittata 453; E. sonchifolia 453. Emissionskoe&ffizient 570. Emphylus glaber 342. Emulsion der Protoplasma 79. Emys europaea 590. Enalus 460. Enchelyophis 555. Endoclonium chroolepiforme Szyman- ski 547; E. polymorphum Franke 547: E. pygmaeum Hansg. 547. Endophytische Algen 545 fg. Endophaera 545, 550, 552; E. biennis Klebs. 548. Enteropneusta 293. Entocladia riridis Reinke 549. Entodermzellen 579. Entonema 549. Entophysa Charae Möb. 548. Entwicklung von Olione’limacina 300 fg. Entwicklung des Uterus und der Vagina beim Menschen 588 fg. Entwicklungsmechanik bei Hydroidpo- lypen 18. Enzyme 272. Ephydatia fluviatilis 549. Epilobium hirsutum 453. Epiphyten, Standortwechsel 689 fg. Episporium Centroceratis 547 fg. Erd-Amoeben 601 fg., 637 fg. Erdbeerpflanze, Blumenkoblkrankheit ee Eremobia muricata Pall 380. Eremurus altaicus 458; EP. spectabelis 458. Erinus alpinus 457. 464. Eripha spiniformis 47. Erix thebaicus 362; E. jaculus 695. Ernährungsgleichgewicht 492. Erntezeit der Ameisen 176. Erodium botrys 452; E. cicutarium 452; E. gruinum 452; I. Manascavi 452; E. moschatum 452. Eruca cappadocica 458; E. sativa 458; E. vesicaria 458, 464. Sachregister. Erysimum repandum 452. Escholtzia california 452. Esox lucius 728. Eucalyptus 52. Eucoelomata 293. Eudendrium racemosum 205. Eugenia australis 6. Euglena 386, 465. Euglypha alveolata 386. Eumeces 698. Euphoberiden 111. Euphorbia Cyparissias 158, 454; E. faleata 454; E. helioscopia 454; E. Lagascae 454; E. palustris 454; E. pilosa 454; E. platyphylla 449; E. strieta 454. Euphorbiaceen 454. Eurotium herbariorum Link 164 Eutoca viscida 453. Ewvitis Planchon 68. Evolutionswachstum 717. Exogamie 173. Extremitäten der Isopoden 48 fg. F. Falagria obscura 342. Falcaria Rivini 450. Fangpflanzen 343 fg. Färbung der Tiere 358 fg. Farsetia 9. Felis antiquorum 360; F. Diardi 360; F. Geoffroyi 360; F. onca 360; F'. pardus 360; F. serval 360; F\. varie- gata 360. Ferment der Nitrifikation 54 fg. Fermentzellen 704. Fernwirkung, physiologische 164 fg. Festuca Fuegiana Hook 133; F. ovina L. 133. Fettgewebe der Insekten 212 fg. Fibrillenbildung im Ektoplasma 599 fg. Fibulus terrestris 459. Ficus carica L. 137. Fieber, intermittierende574 ; F., Wärme- produktion 488 fg., 566 fg. Fieraster 555. Finkler-Prior’s Bacillen 54 Fische, Schädigung im Winter 498 fg. Flora Javas 686 fg. Folmica Menziesii 464. Sachregister. 183 Form der Gelenkflächen 188 fg. Formen des menschlichen Körpers 481 fg. Formica cinerea A70, 175; F. fuligi- nosa 331 fg.; F. fusca 22, 26, 175; F. gagates ATd; F. pratensis 334; F. rufa 169, 331 fg.; F\ rufibarbis 22, 175, 331 fg.; F. sangwinea 22. Formicomus pedestris 179. Formicoxenus 173, 176; F. 334, 342. Fragaria collina 452; F. clatior 452, 459; F. grandiflora 452, 459; F. indica 456; F. monophylla 459; F. vesca 452, 456, 459. Fritillaria 461. Frontania leucas Ehrbg. vernalis 476. Froscheier, Schleimhüllen 691 fg. Froschlarvenschwanz, Degeneration 13. fe: Fruchtstiele, Bewegung 449 fg. Fuchsia repens 464. Fühler bei Myrmedonia 23 fg. Fühlerlose 24. Fulbagtria violacea 457. Fumana procumbens 459. Funkia 458. Funktion der Phosphorsäure 269 fg. Furchtinstinkt der Myrmedonien 25. nitidulus 475; #. 6. Galanthus nivalis 269. Galega 458. Galeodes ater Bir. 300. Galeodiden, Mitteldarm 295 fg. Galium aparine 456; G. saccharatum 456, 460; @. tricorne 460. Galle, Auftreten von Oxyhämoglobin 575 fg. Gallus domesticus 729. Gammarus 299. Gamotropische Bewegung der Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele 449 fg. Gasteropoden 726. Gastroneura 293. Gastropacha pini 34, 36. Gastrotricha 293. „Gazelle* Forschungsreise 516 fg. Gedankenstatistik 541. Gefühl, angebornes, der Kardinalrich- tungen 63. (ehörsvermögen der Ameisen 26 fg. Geißelfäden 391, 438. Gelehrtensprache 87 fg. Gelenkflächen, Form d. G. 188 fg. Gemum coccineum 452; @. Laxmanni 452; @. virginianum 452. Genitaldrüsen der Insekten 217. Gentiana excisa 265. Geophilus (Scolioplanes) maritimus A11; G. (Schendyla) submarinus 111. Georginen 138. Geotropes stercararius 112. Geraniaceen 452. Geranien 138. Geranium aconitifolium 452; @. argen- tum 452; @. asphodeloides 452; @. cinereum 452; @. ceristatum 452; @. Londesi 452; G@. macrorhizum 464; G. nodosum 452; @. pratense var. album 452, 464; @. pyrenaicum 452; G. sanguineum 452; G. striatum 449. (Geschlechtsorgane der Acoelen 662. Geum canadense 450; @. pallidum 460, 464; @. rivale 460, 464; @. strietum 450; @. tirolense 460; @. urbanum 450. (sewebselemente, dung 160 fg. Gieseckia 189. Giftorgane der Konvoluten 656. Gilia achilleaefolia 453; @. tricolor 453. Glutinchondrin 593. Gobio fluviatilis Cuv. 57. Goldfussia 712. Gonangium 45, 18. Gonothyraea Loveniüi 207. Gram’sche Methode 319. Graneria fuliginea Viala 105. Gratiola offieinalis 457. Gryllidae 125. Gryllotalpa 116 fg., 215; @. vulgaris L. 125. Gunnera 546, 549. Gymnodactylus pulchellus 360. Gymnosporen 405. Gypsophila elegans 453. Gyrinus natator AR, Protoplasmaverbin- 784 H. Halbmondstadium der Malariabaecillen 390 fg., 429 fg. Halichondria 549. Halophyten, xerophile 687 fg. Haemamoeba malariae 405 ; H. praecox 408. Haemanthus 190. Haemataria 293. Haematobium malariae 400. Hämatoxylinmethode 83. Haematozoon 404. Haemoplasmodien 392. Harpacticida 356. Harveyella 550. Hefezellen 710. Heilmittel der 247 fg. Helianthemum grandiflorum 452; H. pilosum 464; H. roseum 452, 464; H. tomentosum 452; H. vulgare 452, 463, A64. Heliozoen 465 fg. Helix 519; H. pomatia 672. Helminthozoa 293. Hemerocallis fulva 265. Hemiaster 519. Haemidactylus turcicus 696. Hemiptera 125. Heracleum absynthifolium 450; H. as- perum 457; H. eminens 457; H. gi- ganteum 457; H. granatense 457; H. sphondylium 457; H. trachyloma 457. Herbemont 108. Hermannia alnifolia 461; H. althaei- folia 461; H. angularis 461, H. can- dicans 461; H. discolor 461; H. flam- mea 461; H. hirsuta 461; H. micans 461; H. mollis 461. Herposteiron (Näg.) Hansg. 547. Hetaerius ferrugineus Oliv. 341. Heterantera 460. Heteromorphose 200 fg. Heucheria 458; H. villosa 464. Hinterleibsringe der Insektenembryo- nen 110 fg., 224 fg. Hirudinei 293. Hister ruficornis 343. Histologie des Hodens 670. Tuberkulose 59 fg., Sachregister. Histolytische Prozesse bei der Reduk- tion des Froschlarvenschwanzes 73. Hochzeitsflug der Ameisen 173 fg. Hoden, Histologie 670. Holosteum umbellatum 456, 464. Holzpflanzen, immergrüne 690 fg. Homalota talpa Heer. 341. Homarus 524. Homoeusa acuminata Mrkl. 340. Honigtau 193 fg. Horizont, Kardinalriehtungen 63. Hormidium 508. Hund, Anatomie 597 fg. Hunger als förderndes Prinzip der Natur 76. Hyacinthus orientalis 265, 464. Hyaecinthen 138. Hyaloplasma 83. Hydnora africana 19%. Hydra 209, 534; H. fusca 535. Hydrallmania 17 fg. Hydranthen 15. Hydrilla 460. Hydrocleis 460. Hydroiden-, Spross- und Wurzelbildung 205. Hydroidpolypen, Stockbildung 14 fg. Hydrophilidae 125. Hwydrophilus 214, 227, 586; H. cara- boides 121, 125; H. piceus 34, 117 fg., 125, 188, 218, 382. Hydrophyllaceen 453. Hydrozoa 293. Hylobius abietis 112. Hwylodes martinicenses 76. Hylotoma 221. Hymenoptera 126. Hyperia medusarum 751 fg. Hypheodrix 552. Hypnotismus beim Menschen 229 fg. Hypnum 551. Hyponomeuta 213. J. Janczewskia verrucaeformis Solms 549 fg. Japyx 114 fg. Java, Flora 686 fg. Jdotea tricuspidata 559. Sachregister. Jecorin 272. Immergrüne Holzpflanzen 699 fg. Impatiens noli tangere 461. Inartieulata 293. Indigofera 458. Infusoria 387. Insekten, Abdominalbeine 110 fg.; I., facettierte Augen 581; IL, Bezieh- ungen zu Ameisen 177 fg.; 1., Blut- und Fettgewebe 212 fg.; I., Mittel- darm 752. Insektenembryonen, 110 fg., 224 fg. Insektenleben 71 fg. Instinkt der Tiere 422 fg. Integument der Chitonen 722 fg. Interessensphäre, deutsche, in Süd- west-Afrika 189 fg. Internationale Beziehungen d. Ameisen- gäste 331 fg. Intestinaldrüsen 382. Intussuszeption, molekulare 716. Jonquilla patiens 464; J. pseudonar- cissus 464. Jpomaea pescapra 687. Jpomea bona nox 460; J. coccinea A460. Isatis tinctoria 452. Isopoden, Embryologie 42 fg. Isopodenfüße, Morphologie 353 fg. Isopyrum thalictroides 453, 460. Hinterleibsringe K. Kaffeinproteosomen 13. Kalachari 191. Kalk, oxalsaurer in der Pflanze 649. Kalkoxalat der Baumrinden 282. Kantharidinlösung, Herstellung 256. Kantharidinsaure Salze 247 fg. Karbonisierung 713. Kardinalrichtungen des Horizonts 63. Karpotropische Bewegung d. Knospen-, Blüten- und Fruchtstiele 449 fg. Kartoffel, Krankheiten 148 fg. Karyokinese 385 fg., 701 fg., 757 fg. Karyokinetische Spindelfigur 670 fg. Katappaformation 687. Kaukasus, Anthropologie 304 fg. Keimblätter der Isopoden 42 fg. Keimplasomen 720. Keimstreif der Isopoden 48 fg. XI. 785 Keimsubstanzen, Chromatophilie 727 fg Kerguelensland 518. Kernhalbierung, nukleoläre 701 fg. Kernsubstanzen, chromatophile 31 fg. Kernteilung, Amitotische 372fg.,513 fg., 556 fg., 558 fg., 701 fg., 744 fg.; K., Einfluss des Magneten 30. Kinorhyncha 293. Kirrocyten 212. Klassifikation des Tierreichs 291 fg. Klima, Einfluss auf den Körper 619 fg. IKnautmwa macedonica 453; K. silvatica 453. Kniegelenk, Bewegungen 666 fg. Knochenbildung bei Wirbeltieren 272. Knorpel, Chemische Zusammensetzung 593 fg. Knospenstiele, Bewegung 449 fg. Körper, physiol. Fernwirkung 164 fg. Körperbeschaffenheit, Einfluss des Klima 619 fg. Körperformen, menschliche 481 fg. Krankheitserreger der Malaria 390 fg., 429 fg. Krebse, facettierte Augen 581. Krebsleukoeyten 513. L. Labidura gigantea 171. Labruscoideae 68. Lacerta agilis 698, 728; L.ocellata 698; L. viridis 506, 698. Lactuca perennis 453. Laestadia Ridwellii 103 fg. Lagarosiphon 460. Lamina fusca 41. Lampyris splendidula 585, Lasius alienus 175, 340; L. brunneus 331 fg.; L. emerginatus 340; L. flavus 331 fg.; L. fuliginosus Latr. 24 fg., 170, 331 fg.; L. mixtus 340; L. niger 331 fg.; L. umbratus 331 fg. Lathyrus ordoratus 459; L. sativus 459 Laub, Schutzmittel gegen Transpira- tion 686 fg. Laurencia obtusa 549. Lavatera trimestris 453. Laverania malariae 405; L. Danilewski 408. Lebeckia multiflora 189, 191. 50 786 Lebensbedingungen im heißen Klima 623 fg. Lebensverhältnisse, der Ameisengäste 33. Lieithin 272. Leguminosen, Wurzelknöllchen 282 fg. Leistungsfähigkeit des Mikroskops 609 fg. Lemanea 508. Lemna trisulca 548. Leontodon hastilis 462. Lepidoptera 126, 557. Lepisma "53. Lepismatiden 114. Lepismina 753; L. polypoda Grassi 342. Leptacinus formicetorum Mrkl, 341. Leptanilla Revelierei 174. Leptocardiü 293. Leptodira annulata 367. Leptothorax 331 fg.; L. acervorum 340; L. tuberum 340. Leucaspius delineatus Sieb. 57. Leueciscus phoxinus Flem. 57. Leucojum vernum 265. Leucopogor gavanicus 689. Licht, Einfluss auf Stoffwechsel 649, 675; L., Einwirkung auf Pilze 163 fg. Ligia oceanica L. 42 fg., 354. Liliaceen 454, 458. Lilium dalmaticum 461; L. martagon 461, 464. Limacina arctica 352. Limantheen 452. Limanthes alba 452; L. Douglasii 452. Limnanthemum 547. Limnocharis 460. Limulus- Auge 583 fg. Lina tremulae G mel. 126. Linaria alpina 457, L. aparinordes 457; L. bipartita 457; L. cymbalaria 459, 463; L. macrocarpa 464; L. pal- lida 459, 463; L. purpurea 457; L. vulgaris 457. Lindheimeria texana 453. Lineen 452. Linsenzylinder 581. Linum austriaceum 452; L. grandi- florum 452 ; L. humile 452; L. perenne 452; L. usitatissimum 452. Sachregister. Liometopum 168 fg. Lithobius 113; L. forficatus 33, 35. Loasaceen 452, 461. Loasa hispida 464. Lobopelta 174. Locustidae 125. Lomechusa 179; L. paradoxa 331 fg.; L. strumosa 331 fg. Lophosciadum meifolium 457. Lucanus 169; L. cervus 33, 36. Lumbricus 534. Lunularia vulgaris Mich. 135. Lupinus 458; L. luteus 233. Lysimachia latifolia 460; L. nemorum 460; L. nummeralia L, 134. Lytta vesicatoria 249. microcephalum Panz. M. Machilis 113 fg., 127, 753. Macraesthetes 723. Macrobiotus 3. Magenschleimhaut, nervöse Endigungen 2uNte. Magnet, Einfluss auf Kernteilung 30. Maja 381, 561. Malaria, Krankheitserreger 429 fg., 729 fg. Malariaamöbe und das Chinin 729 fg. Malocozoa 293. Malope trifida 453. Malva 162; M. crenata 453; M. sil- vestris 453. Malvaceen 453. Mangrove 687. Mantidae 125. Mantis 117, 214, 220; M. carolina L. 125; M. religiosa 125. Marchantia polymorpha 266. Marchesettia 551; M. spongioides Hauck 546. Massenanziehung der Körper 472. Mastigophora 386. Meganukleus 375, 559. Megapodius 520. Mehltau 146. Melaleuca 6. Melilotus 458. Melobesia Thureti Born. 551. 390 fg. Sachregister. Meloö 117, 220, 226; M. proscarabäus 118 fg. Meloidae 126. Melolontha 117, 220, 226; M. fullo 33; M. vulgaris 126. Mentzelia Lindleya 452. Mesozoon: Salinella 577 fg, 745. Mesophylli bei der Assimilation der Mineralsalze 647. Metanephridium 480. Metazoa 293. Meum athamanticum 452, 464. Micrococcus prodigiosus 34. Mikrophotographie 619; M. als Hilfs- mittel naturwissenschaftl. Forschung 351 fg. Mikroskop, Grenzen der Leistungs- fähigkeit 609 fg. Mikroskopische Technik 319 fg. Mimulus guttatus 453; M. luteus 453; M. tigrinus 453; M. Tillingii 453. Mineralsalze, Assimilation durch Pflan- zen 641 fg. Mitteldarm der Galeoditen 295 fg.; M. der Crustaceen und Insekten 750 fg. Mitteldarmtier 579. Mitose, amitotische 558, 701fg., 744. Molachium aquatile 453, 456. Molekularbewegung 472. Molluskenschale 725. Monarda punctata 450. Monokaliumphosphat 277. Monoporus rubropunctatus Graff 654. Monotoma angusticollis Aub& 342; M. coneicollis Aube& 342. Monozoa 293. Montia minor 456. Morphologie der Isopodenfüße 353 fg. ; M. der Tiere 200 fg. Mucor 679. Mulgedium Plumieri 453. Müller’sche Flüssigkeit 33; M.’sche Gänge 588 fg.; M.’sches Gesetz 16. Musa 214; M. sapientium L. 135. Musca vomitoria L. 75, 382 fg. Muscadinia Planchon 69. Muscari 458. Muschellarve, freischwimmende 476 tg. Muscidae 126. Muskelfasern, Schaumstruktur 78 fg., 127 fe. 157 Muskelfleisch, Wassergehalt 619 fg. Muskeln, quergestreifte der Arthro- poden 33 fg.; Muskeln, Wellenbe- wegung 180 fg. Mustang 97. Mygratum perfoliatum 458. Mycetoporus splendidus 342. Mycoidea 518; M. parasitica 549 fg. Myriapoden und Insekten 110 fg. Myrionema 545. Myrmedonia 179; M., Bedeutung der Fühler 23 fg.; M. cognata 331 fg.; M. funesta 341; M.humeralis 331 1g.; M.laticollis 331fg.; M.lugens 331fg.; M. ruficollis 173; M. similis 343. Myrmecophila acervorum 343. Myrmedes piceus Payk 342. Myrmekasphalie 179. Myrmekophagie 179. Myrmekophilie 179. Myrmekoxenie 179. Myrmelachista Schumanni Emery 169. Myrmica 173; M. laevinodis 331 fg.; M. lobicornis 331 fg.; M. rubida 331 fg., 343; M. ruginodis 331 fg.; M.rugulosa 331 fg. ; M.scabrinodis 22. Myrrhis odorata 451. Mysis 524; M. chamelio 47. Mytilus 417. Myzine glutinosa 520 fg. N. Naegelia cinnabarina 461. Narcissus 461, 464. Nauplius- Stadium der Isopoden 48. Nebalia 354. Nebria brevicollis 343. Necrophorus 471. Nelken 138. Nemachilus barbatulus Günth. 57. Nemathelminthes 293. Nematodes 293. Nematomorpha 293. Nematus Capreae 53. Nemertini 293. Nemophila insignis 455, 459, 463; N. maculata 453, 460, 463. Neophylax concinnus 117, 126. Nervenendigungen im Magen 27 fg. 50 * 188 Nervenfasern, Schaumstruktur 78 fg., 127 fe. Nervensystem der Acoelen 660 fg.; N. der Crustaceen 520 fg.; N., Ein- fluss des Klimas 625. Neuroptera 126. Newton’sches Gesetz 490. Nicandra physaloides 460. Nikotin, Wirkung auf niedere Tiere 534 fg. Nipa fructicans 697. Nipa- Formation 687. Nitrifikation, Ferment 54 fg. Noah 108. Nolana grandiflora 460; N. prostrata 460. Nonnea rosea 460. Nostoc Gunnerae Reinke 546, 549. Nothoscordon fragans 454. Notodelphis 76 Notoneura 293. Notothecta flavipes 331 fg.; N.ancepsEr. 341. Nuclearella 466, 471. Nuklein 269 fg. Nuphar 460. Nyktitropische Bewegung der Knospen- Blüten- und Fruchtstiele 449 fg. Nymphaea 460; N. alba 449. ®. Obstbäume, Erkrankungen 152 fg. Ochthodium aegyptiacum 458. Ocypus edentulus 342. Odontomachus 174. Oecanthus niveus 116 fg. Qedogonium 6, 265. Oenanthe carstia457; Oe. Matthioli 457 ; Oe. pimpinelloides 457. Oenocyten 212. Oenothera fruticosa 453; Oe. glauca 453 ; Oe. Lamarckiana 453; Oe. speciosa 453. Oitium 66,103; O. Tuckeri Berk. 145 fg. Olea europaea L. 137. Öligodontiden 360. Önagraceen 453. Oncidium Lemonianum Lindl. 134. Oniscus 46, 299, 750 fg.; O. murarius 354 fg. Sachregister. Onobrychis 458. Ontogenie 18 fg. Ophisaurus 696 fg. Ophiuriden 534. Opuntia 197. Organische Elemente 630 fg. Organismen, leblose Wiederbelebung 1 fg.; O., Phylogenie 739 fg.; O., primitive Ortsbewegungen 464 fg. Organismus der Amöben 599 fg., 633 fg.; 0. der Turbellarien 654 fg ; O., Ele- mentarstruktur 711 fg. Ornithogalum 455; O. caudatum 458, 464; O0. Ekloni 458; O. nutans 464; O.pyramidale 458; O.pyrenaium 458; OÖ. scilloides 458, 464; O. umbellatum 464. Orthorectidae 293. Ortsbewegungen der Organismen 464 fg. Oryetes nasicornis 528. ÖOsmotische Vorgänge 257 fg. ÖOssa sopranumerarie del naso 736. Össeten, Anthropologie 304 fg.; O., Anthropometrie 308 fg. Össifraga gigantea Gm. 518. Othello 108 fg. Ottelia 460. Oxalideen 452. Oxalis acetosella 452 fg.; O. Andrieuxi 452 fg.; O. articulata 452 fg.; O. caprina 452 fg.; O0. catharinensis 452 Tg.; ‘O2 erassipes 452 Tg.; 0. Deppei 452 fg.; O. esculenta 452 fg.; O. lasiandra 452 fg.; O. latifolia 452 fg.; O. rosea 452 fg.; O0. strieta 452 fg.; O. tetraphylla 452 fg.; O. tropaeoloides 452 fg.; O0. umbrosa 452 fg.; O. vespertilionis 452 fg. Oxalsäure in der Pflanze 649, 673 fg. Oxydation, physiologische 767 fg. Oxyhämoglobin in der Galle 575 12. Oxypoda vittata 335; O. haemorrhoa Sahlbg. 341. Oxytelus rugosus 343. Oxytropis 458. P: Palaemon 534; P. squilla 521 fg.; P. serratus 537. Paludina 303. Sachregister. Panicum maliaceum 159. Panmyxie 321 fg. Papaver alpinum 452, 461; P. apulum 461; P. argemone 461; P. croecum 452, 461; P. Hookeri 461; P. mo- destum 461; P. nudicaule 452, 461; P. olympicum 461; P. orientala 452; P. pyrenaicum 452, 461; P. rhoeas 185, 452, 461; P. rupifragum 461; P. somniferum 452, 461; P. spicatum 461. Papaveraceen 452. Pappeln 139 fg. Paradisca hiliastrum 458. Parasita 293. Parasycia Peringueyi 174. Parthenogenesis 21 fg. Passalus glaberrimus 188. Pasteuria ramosa 290. Patillarieae 141. Patula 519. Pelamis bicolor 362. Pelargonien 189. Pellicula 36. Pelobates fuscus 77. Penieillium glaucum 679 fg. Pentstemon barbatum 457; P. cobaea 457; P. coeruleum 457; P. digitalis 457; FP. gentianoides 457; P. Ma- kayanum 457; P. pubescens 457. Peptochondrin 593. Perikardialzellen 212 fg. Peripatus 113. Periplaneta orientalis L. 117, 384, 752. Periplegmaticum Ceramiü Ktz. 549; P. gracile Hansg. 547 fg. Perithecien 105. Peroniella Hyalothecae Gobi 547. Peronospora macrocarpa 158; P. Papa- veris 158; P. viticola 66 fg., 146 fg. Peronosporeen 146. Pescapraformation 687. Petunia violaceae 453. Peziza 679 fg. Pflanze, Aschenbestandteile 641 fg.; Pfl., Assimilation der Mineralsalze 641 fg.; Pfl., Protoplasmaverbin- dungen 160 fg. Pflanzen- und Tierzellen, wirkung 49 fg. Pflanzenläuse 195 fg. Wechsel- 189 Pflanzenphysiologie, Fortschritte ADUSE-, 613. 18, 100 Te. Pflanzenwelt des Süßwassers 598 fg. Pflanzenzellen, Elementargebilde 267 fg. Phaeophila Englery Reinke 547; Ph. Floridearum 550; Ph.horridaH an sg. 547. Phagocyten 73. Phanerogamen 650. Phaseolus 274, 283 fg. Philodendron cannifolium 645. Pheidole absurta 174; Ph.pallidula 173. Philonthus politus 342. Phlox Drummondii 453; Ph. ovata 464. Phoma wvicola Berkley et Curtis 104. Phoenix dactylifera L. 136. Phoronida 293. Phoronis, Anatomie und Histologie 418 fg.; Ph. australis 478 fg.; Ph. Kowalevskii 478 fg.; Ph. psammo- phila 478 fg. Phosphatalgen 278. Phosphorsäure, Funktion 269 fg. Phronima 380, 752. Phryganea striata 71. Phryganeidae 126. Phycomyces nitens 164 fg. Phyeopeltis 545. Phyllobium 546, 548, 590. Phylogenie der Organismen 739 fg. Phyllosiphon 548, 550; Ph. Arisari Kühn 549, 553. Phylloxera 65 fg., 97 fg., 147 fg. Physiologie der facettierten Augen 581 fg. Physiologische Fernwirkung 164 fg.; Ph. Funktion der Phosphorsäure 269 fg.; Ph. Oxydation 767 fg. Phytomyza 283. Phytophthora infestans 151, 196. Phytophysa 548, 550; Ph. Treubii Web. van Bosse 547, 552. Pelomyza palustris Gr. 608. Pigmentkörner 432. Pilze, Einwirkung des Lichts 163 fg.; Entstehung der Oxalsäure einiger Pilze 649, 676. Pimpinella magna 450; P. saxifraga 450- Pinguicula vulgaris 461. Pipa americana 76. 790 Pisum 288; P. sativum 459. Plagiolepis pygmaea 175. Plankton - Expedition 516. Planorbis 303. Plasmafortsätze 160 fg. Plasmahaut 257 fg. Plasmodium malariae 392 fg., 429 fg. Plasomenlehre 706 fg. Plathelminthes 293. Plathyarthrus Hofmannseggiüi 334. Platycercus 52. Platycodon Mariesii 461. Pleuropodia 116. Plumula 274. Plumularia pinnata 205. Plumulariden 15. Pneumococcus 57. Poa albina L. 133; P. stricta Lindb. 133. Podophrya 389. Polemoniaceen 453. Polemonium coeruleum 461, 464; P. gracile 461; P. Richardsoniti 461. Polycladen 660. Polyergus rufescens 22, 174, 331 fg. Polygonatum 464; P. multiflorum 645. Polymitus sanguinis avium D. 404; P. malariae 408. Polyzoa 293. Ponera punctatissima var. androgyna 173, 176. Pontederia 460; P. crassiceps 463. Pontobdella muricata 82. Populus alba L. 142; P. canadensıs Mschx. 142; P. canescens W. 142; P. dilatata Ait. 139; P. nigra 139, 142; P. pyramidalis Rozier 139; P. tremula L. 142. Porcellio 750 fg.; P. scaber 43. Potamogeton lucens 548. Potentilla argentea 452; P. appenina 452; P. astrachanica 452; P. atro- sanguinea 452; P. bifurca 452; P. calabra 452; P. canescens 452; P. chrysantha 452; P. curdica 452; P. elegans 452, P. formosa 452; P. fru- ticosa 452; P.Gaudini452; P. grandi- flora 452; P. heptaphylla 452; P. insignis 452; P. megalontodon 452; P. nepalensis 452; P. norwegica 452; P. pallida 452; P. pulcherrima 452; Sachregister. P. recta 452; P. rupestris 452; P. stolonifera 452; P. tormentilla 452; P. turingiaca 452. Prasiola 508. Prenolepis longicornis Latr. 168. Prianus curiarius 37. Primula elatior 457; P. cortusoides 457; P. farinosa 457; P. japonica 456; P. macrocalyx 457; P. obconica 457; P. offieinalis 457; P. pubescens 457. Primulaceen 453, 456. Pringlea antiscorbutica 518. Prometheus 136. Proneomenia neapolitana m. 725. Pronephridia 293. Proporus rubropunctatus O0. Schm. 654; P. venenosus 0. Schm. 654. Protagon 272. Protein 6. Proteosomen 6 fg. Proteus anguineus 40 fg. Protonephridia 293. Protoplasma 257 fg. ; P., Struktur 78fg., 714 fg. Protoplasmaverbindungen 160 fg. Protoplasten 257 fg. Protopterus annectens 74. Prototracheata 293. Protozoa 293, 387. Protozoenkolonie 580. Prunus institia L. 154. Psammophis 367; P. sibilans 359. Pseudocoelomata 293. Pseudomyrma bicolor 166; P. Belti Emery 166; P. nigroeineta Emery 166; P. spiniecola Emery 166; P. subtilissima Emery 166; P. gracilis F. 167; P. fulWwescenz Emery 167; P. Künckeli Emery 168; P. mewv- cana 168; P. nigropilosa Emery 168. Pseudovermiculus D. 405. Psychologie, Aufgaben und Methoden 539 fg. Ptychoptera cantaminata 381, 563. Pterocarpus 192. Pteridophyten 650. Pyenidien 104 Pyrenoiden 664, 709. Pyrenomyceten 145. Pyrethrum 463. Sachregister. Pythium de Baryanum Hesse 159. Pyeinia eristalligera 467. @. Quedius brevis 179, 341. Quercus ilex 169; Qu. robur 169. R. Rädertiere 4. Radiata 293. Raja 528. Rana esculenta 77, 501, 728; R. tem- poraria 77, 728; R. viridis 501. Ranunculaceen 453. Ranunculus 18; R. acer 453; R. auri- comus 453; R. Ficaria L. 134; R. gramineus 453; R. polyanthemus 449; R. repens 453; R. tuberosus 453. Raphanus sativus 464. Rapistrum perenne 458; R. glabrum 458; R. rugosum 458. Raubameise, europäische 168 fg. Reben, amerikanische 65 fg., 97 fg.; R., Anpassungsfähigkeit 109 fg.: R., Degeneration 66; R., Ursachen des krankhaften Zustandes 66. Reblaus 147 fg. Reduktion des Froschlarvenschwanzes 73 fe. Reduktionsteilungen 6683 fg. Regeneration 745 fg. Reptilien, biologische Studien 694 fg. Rhabdonema nigrovenosum 380. Rhabdopleurida 293. Rhax 296. Rhinanthus 158. Rhotochordon membranaceum Hauck 549 fg. Ricardia Montagnei Derbe&s et So- lier 549 fg. Richtungskörperbildung 668 fg. Riesenkerne 375. Rinera fibulata 546. Ripariae 69, 108. Rissa 112. Robinia 283. Rosa alpestris459; R. cinnamomea 459; R. eglanteria 456; R. pimpinellifolia 456, 459 R. rugosa 459. [6 Rosaceen 452. Rosen 138. Rotatoria 293. Rotbuche 270. Rotiferen 3. Rübennematoden, Bekämpfung 343 fg Rupestres 68, 108. S. Saccharomyces Hansenü Zopf 650. Sacculina 228. Sagartia parasitica 536. Sagittocysten 656. Salinella 565, 578 fg., 745; S. salve 465. Salyx babylonica L. 142. Salsola Zeyyheri 189. Salze, kantharidinsaure 247 fg. Salyz amygdalina 53. Sanginaria canadensis 461. Sarcocalon 189, 191. Sarkoglia 35. Sarkolemm 36. Sarkoplasma 35. Säugetiere, Wärmeproduktion 488 fg Sazifraga arvensis 453; S. atropur- purea 452; 9. Camposü 452, 462; S. caespitosa 462; S. columbaria 450; S. geum 462; $. graminifolia 453; S. Huetiana 452; S. hypnoides 462; S. rotundifolia 462; S. sarmentosa 462. Saxifragaceen 452. Scabiosa lucida 450; $. silenifolia 452; S. trifurcata 452; S. umbrosa 462; S. vestita 453. Scarabäidae 126. Schädigung der Fische im Winter 498 fg. Schaumstruktur bei Nerven- u. Muskel- fasern 78 fg, 127 fg. Schinzia 283. Schizogonium 508. Schizoneura lanigera Hausm. 156. Schlaf u. Hypnotismus beim Menschen 22. Schlangen, Zeichnung 358 fg. Schleimhüllen f. die Froscheier 691 fg. Schmitziella endophloea 545. Schnecken, Schwimmen der Schn. am Wasserspiegel 763 fg. 192 Schutzmittel des Laubes gegen Tran- spiration 686 fg. Seilla bifolia 265; 5. campanulata 458; S. cernua 458; S$. nutans 458. Seincus 367, 698. Seolioplanes acuminatus 112. Scolopendra 33, 35, 37. Scolopendrella 113 fg., 225, 416; S. immaculata Newp. 752. Scorzonera eriosperma 462. Scotinosphaera 550; S. paradoxa 551. Scrophularia 464; S. nodosa 461, 464; S. orientalis 461, 464. Scrophulariaceen 453. Serophularineae 190. Scyllarus 560. Scyphozoa 293. Segmentata 293. Seichtwasserfauna 517. Selektionskoeffizient 322. Selektionstheorie 321 fg. Sempervivum 6. Sepiola 534, 538. Septoria mori 198. Sertulariden 15 fg. Sertularia cupressina 16; 9. polyzonias 207. Sialidae 126. Sialis infumata 117, 126. Stilene diurna 460; S. nutans 460. Simocephalus 519. Simotes 360. Simplocaria aenea 343. Sinapis alba 266; 5. nigra 159. Siphonocladus voluticola Hariot 547. Sipuncoloidea 233. Siredon 76. Sisymbrium austriacum 458; $. elatum 456; 8. Löselüi 457, 458, 464. Sitones griseus 343. Sklerotien 104. Solanaceen 453. Solanum argentinum 461; S. capsi- castrum 461; S. Hendersonvi 461; S. humile 461; S. laciniatum 461; S. pseudocapsicum 461; S. tuberosum 453. Solenogastres 125. Solenopsis fugax 173, 175. Solpuga 295. Somatoplasma 83. Sachregister. Spaltpilze 650. Spergula arvensis 159. Spermatogenese der Arthropoden 754. Spermatien 104. Spermogonien 104. Sphagnum 551. Sphaeroplea 6. Siphenops 698. Sphynz populi 12. Spindelfigur, karyokinetische 670 fg. Spirogyra maxima 13; Sp. nitida 8, 275 fg.; Sp. Weberi 277 fg. Spirogyren 6 fg., 265, 275 fg. Spongiaria 293. Sporulation der Malariabacillen 438. Springschwänze 127. Standortwechsel der Pflanzen 689 fg. Staphylococcus citreus 54. Stärkekörner 715. Stellaria graminea 453; St. holostea 453, 459, 464; St. media 158, 456, 463, 464, 691. Stenamma Westwoodi 340. Stenobothrus 116 fg., 213, 217, 226. Stenus aterrimus Er. 341; St. bigutia- tus 342; St. bipunctatus 342. Stockbildung bei den Hydroidpolypen 14 fg. Stoffwechsel, Bedeutung.d.Kalis 645 fg.; St., Bedeutung des Kalks 645 fg. Stomatochytrium 548; St. Limnanthe- mum 550; St. Lymnanthemum Cun- ningh. 547. Streblonemopsis 549 fg. Strongylognathus testaceus 340, 342. Strudelwürmer, acoele 654 fg. Struktur des Protoplasma 78 fg. Struvea delicatula Ktz. 549. Stylochus pilidium 659. Stylechopoda 293. Streptocarpuspaniculatus 461 ; $. Rhexit 461. Streptococcus liquefaciens ilei v. acidi lactici 628. Stylosporen 104. Substanz, lebende 705 fg. Südwest- Afrika, deutsche Interessen- sphäre 189 fg. Süßwasser, Tier- 598 fg. irritans Val. 547, und Pflanzenwelt Sachregister. 1% Superpositionsbild 584. Symphoricarpus 651. Symphitum 461, 464. Sympodium 15. Syringa vulgaris 464. T. Tabanidae 126. Tachyporus hypnorum 342. Tapinoma erraticum 331 tg. Tarbophis vivax 367, 696. Tardigraden 3. Taylor 108. Technik, mikroskopische 319 fg. Teilungsvermögen d. leb. Substanz 706. Temperatur, Einfluss auf Entstehung von Oxalsäure 674 fg. Temperaturverhältnisse, nesis bei Ameisen 21. Tenebrio molitor 118 fg. Tenobrionidae 126. Terminalia Katappa 687. Tetranema mexicana 461, 464. Tetraneura 293. Tetramorium caespitum 173, 331 tg. Thermophila 753. Thermopsis AN. Thiasophila angulata 331 fg. Thlaspi arvense 464. Thomagnathus sublaevis 331 fg. Thuidium delicatulum 161. Thujaria 17 tg. Thysanura 126 fg. Thichogonia ÜOhemnitzei 476. Tier- und Pflanzenzellen, wirkung 49 fg. Tiere, -einzellige 577 fg.; T., festge- frorene, Wiederbelebung 2 fg.; T., niedere, Wirkung d. Nikotins 534 fg. ; T., vertrocknete, Wiederbelebung 3 fg.; T., vielzellige 577 fg. Tierische Bewegung 417 fg.; Tierische Zellen 31 fg. Tierreich, amitotische Kernteilung 372 fg.; T., Versuch einer Klassi- fikation 291 fg. Tierwelt des Süßwassers 598 fg. Tinktion Heidenhains 83. Tinnantia fugax 459. Tintinnus inquilinus 546. Parthenoge- Wechsel- ——- Tofielda calyeulata 458, 464. Tomognathus 173. Tordylium syriacum 457; T. carpum 456, 457. Torpedo 756. Tracheata 293. Tradescantia 646 tg., 710; T. crassula 459; T. erecta 454, 459; T. navieu- laris 459; T. pilosa 459; T. virginiea 30, 454, 459. Tragopogon 158; T. pratensis 453. Transpiration der Pflanzen 686 fg. Traubenkrankheit 146. Traumatismen, Vererbung 734 tg. Trentepohlia spongophila Web. van Bosse 547, 549. Triarticulata 293. richhelminthes 293 Trichophilus 548, 551. Trichoplax 579; T. adhaerens 663. Trichoptera 126. Trifolium 283; T. elegans 459; T. re- pens 159, 459. Trignolla spruneriana 459. Triteleja uniflora 454. Triticum repens 158. Triton eristatus 728; T. taeniatus 728. Tritonum alpestris 360. Tropidonotus 695 fg.; 7. natrix 700; T. quinceunciatus 367; T. tessellatus 700; T. vittadus 359. Tropinota 587. Trollius americanus 453; TI. europaeus 453. Trutta salar 74. Tuberkulin 568, 574. Tuberkulose, Heilmittel 59 fg., 247 fg. Tubularia mesembryanthemum 20, 205. Tubulariden 15. Tulipa silvestris 454. Tulpen 138. Tunica saxifraga 453. Tunicata 293. Turbellarien, Organismus 654 fg. Tussilaga farfara 450, 460. Tylenchus devastatrix Kühn 737. trachy- Umbelliferen 452. Untersuchungen, biologische 520 fg. 194 Sachregister. Urachusschlauch 590. Uterus, Entwicklung 588 fg. Uvularia grandiflora 461. v Vagina, Entwicklung 588 fg. Vallisneria 460. Varanus nilotieus 360. Vaucheria 6, 265. Vegetationszelle 707. Verbascum blattaria 449. Vererbung erworbener Eigenschaften 57 fg., 734 fg. Vermehrung, geschlechtslose, der Blü- tenpflanzen 129 fg. Vermehrungszellen 707. Vermes 293. Veronica aphylla 457; V. Bachofenci 457; V. candida 457; V. candidissima 457; V. chamaedrys 453, 457; V. De- voniensis 457; V. falcata 457; V. Fructieulosa 453; V. gentianoides 453, 456 fg.; V. latifolia 453, 457; V. multifida 453; V. offieinalis 457; V. saxatilis 457; V. teuerium 457; V. umbrosa 456; V. urticaefolia 453. Vertebrata 293. Vesperus luridus 171. Vialla 108. Viburnum lantana 464. Vieia cracca 283; V. Faba 283 fg. Victoria 460. Vinca minor L. 134. Vincetoxium medium 460; V. purpures- cens 460. Viola alba 452, 461; V. biflora 461; V. cornuta 452, 461; V. cucullata 4525 V. elatior 461; V. lutea 452; V. mirabilis 461; V. multicaulis 461; V. odorata 461; V. silvatica 461; V. stagnina 452; V. tricolor 450, 461. Violaceen 452. Vipera ammodytes 367. Viseum 161. Vitis 65 fg.; V. aestivales Michaux 68, 97 fg.; V. Arizonica Engelmann 68, 97 fg.; V. Berlandieri Planchon 68, 97 fg.; V. bicolor Leconte 68, 97 fg.; V. californica Bentham 68, 97 fg.; V. candicans Engelmann 68, 97 fg.; V. carıbaea De CGan- dolle 68, 97 fg.; V. cinerea Engel- mann 68, 97fg.; V.coriacea Shutt- leworth 68, 97 fg.; V. Labrusca L. 68, 97 fg.; V. Linsecomü Backley 68, 97 fg.; V. monticola Backley 68, 97 fg.; V. munsoniana Simpson 69, 97 fg.; V. riparia Michaux 69, 97 fg.; V.rotundifoliaMichaux 69, 97 fg.; V. rubra Michaux 69, 97 fg.; V. rupestris Scheele 69, 97 fg.; V. silvestris Gmel. 448; V. vinifera L. 448. Vorgänge, chemische, im Dünndarm 626 fg. W. Wabenstruktur 127. Wachstum d. lebenden Substanz 716 fg. Wachstumsgesetz 15. Waldsteinia geoides 459, 464; W. si- birica 459. Wärmeretention 566 fg. Wärmeproduktion bei Säugetieren 488 fg., 566 fg.; W.im Fieber 566 fg. Wassergehalt d. Muskelfleisches 619fg. Wasserspiegel, Schnecken am W. 763 fg. Weinbau, Bedeutung amerikan. Reben 105 fg. Weinrebe, Einwirkung desBlitzes 448. Weinstock, Parasitenschäden 143 fg. Wellenbewegung der Muskeln 180 fg. Welwitschia miriabilis 191. Wettertheorie 67. Whitlavia grandiflora 453. Wiederbelebung lebloser Organismen 1,18; Willensakte der Tiere 420 fg. Winter, Schädigung der Fische 498 fg. Wirbeltiere, Gewebe 556; W., Eier und Ovarien 727. Wolff’sche Gänge 589 fg. Wuchsenzyme 53. Wurzelknöllchen d. Leguminosen 282g. Ne Xantholinus linearis 342; X. picıipes Thoms. 341. Xantocyten 212. Sachregister. Xerophiler Charakter d. javan. Alpen- flora 683 fg.; X. Ch. d. Halophyten 687 fg. Xiphidium ensiferum 117, 125. Y. Yamswurzel 136. Yorks Madeira 108. 2. Zahlengesetz bei Stockbildung 16. Zaitha fluminea 116 fg., 224, 227. Zamenis Dahl 700; Z. gemonensis (0; Z. versicolor 360, 367. Zea Mais 159. Zeichnung der Schlangen 358 fg. 795 Zellen, Elementargebilde 267 fg.; Z. tierische 727. Zellhautbildung 265 fg. Zellkern 269 fg., 757 fg. Zellsaftproteosomen 11. Zellteilung 372 fg., 559 fg. Zoochlorella 548; Z. conductrix 475. Zoochlorellen 475 fg., 664 fg. Zooxanthella 548. Zostera marina 362, 550. Zuckerrohr, Krankheiten 129 fg. Zygaena 214. Zygnema 265, 279. Zygophyllum simplex 190. Zygomitus reticulatus Bom. et Flah. 547. Zellen, grüne, der Convoluta 664; Z., Struktur 78 fg.; Z., tierische 31 fg. SBR “Lutr ao gie ARE N * rn t f 2 F ‘ es ; s